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German Pages 1674 [1676] Year 2010
Großkommentare der Praxis
Bruck/Möller
Versicherungsvertragsgesetz Großkommentar 9., völlig neu bearbeitete Auflage herausgegeben von
Horst Baumann, Roland Michael Beckmann, Katharina Johannsen, Ralf Johannsen
Neunter Band §§ 178–191; AUB 2008 Bearbeiter: §§ 178–191: Kent Leverenz AUB 2008: Kent Leverenz
De Gruyter
Stand der Bearbeitung: Februar 2010
Zitiervorschlag: Bruck/Möller/Leverenz9 § 178 Rn. 8 Sachregister: Christiane Göhring, Andernach-Kell
ISBN 978-3-89949-509-6 e-ISBN 978-3-11-024861-6
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Bercker Graphischer Betrieb GmbH & Co. KG, Kevelaer ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Verzeichnis der Bearbeiter der 9. Auflage Dr. Horst Baumann, Professor an der Technischen Universität Berlin Dr. Roland Michael Beckmann, Professor an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Oliver Brand, LL.M. (Cambridge), Professor an der Universität Mannheim Dr. Christoph Brömmelmeyer, Professor an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder) Dr. Heinrich Dörner, Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Charlotte Echarti, Rechtsanwältin in Rellingen Dr. Helmut Heiss, LL.M. (Chicago), Professor an der Universität Zürich Dr. Jörg Henzler, Rechtsanwalt in Stuttgart Dr. Harald Herrmann, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Leiter des Instituts für Versicherungswissenschaft Dr. Knut Höra, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Frankfurt am Main Dr. Detlef A. Huber, Rechtsanwalt in Freiburg i.Br. Dr. Katharina Johannsen, Vorsitzende Richterin am Hanseatischen OLG a.D., Hamburg Dr. Ralf Johannsen (†), Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Rocco Jula, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Berlin Dr. Kai-Oliver Knops, Professor an der Universität Hamburg Dr. Robert Koch, LL.M. (McGill), Professor an der Universität Hamburg Dr. Hubertus W. Labes, Rechtsanwalt in Rellingen Dr. Kent Leverenz, Richter in Hamburg Dr. Annemarie Matusche-Beckmann, Professor an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken Oliver Meixner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamburg Dr. Helmut Müller, Präsident des Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen a.D., Berlin Dr. Ernst Niederleithinger, Ministerialdirektor beim Bundesministerium der Justiz a.D., Honorarprofessor, Berlin Dr. Knut Pilz, Rechtsanwalt in Berlin Dr. Peter Präve, Syndikus beim GDV, Berlin Dr. Reinhard Renger, Ministerialrat beim Bundesministerium der Justiz a.D., Bonn Dr. Thomas Richter, Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Claus von Rintelen, Rechtsanwalt in Hamburg Dr. Christian Rolfs, Professor an der Universität zu Köln Dr. Winfried Schnepp, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Köln Arno Schubach, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Koblenz Dr. Hans-Peter Schwintowski, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Ansgar Staudinger, Professor an der Universität Bielefeld Dr. Wolfgang Voit, Professor an der Philipps-Universität Marburg Dr. Eckhardt Wilkens, Vorstand der R+V Versicherung AG und Vorsitzender der Vereinigten Tierversicherung Gesellschaft auf Aktien a.D., Burgwedel Dr. Gerrit Winter, Professor an der Universität Hamburg
V
Vorwort zu Band 9 Nach Fertigstellung der Kommentierung des Allgemeinen Teils des VVG liegt nun mit der Unfallversicherung der erste Band der Kommentierung der einzelnen Versicherungszweige vor. Seit Erscheinen des Bandes Unfallversicherung von Klaus Wagner in der Vorauflage 1978 hat das Recht der privaten Unfallversicherung mannigfaltige Änderungen durch den Gesetzgeber und die Verfasser der GDV-Musterbedingungen erfahren. Der durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Versicherungsrecht als Experte ausgewiesene und durch die Tätigkeit in einer großen Versicherungsgesellschaft und als Rechtsanwalt mit den praktischen Problemen vertraute Autor Kent Leverenz hat die Neufassung der §§ 178–191 VVG und die AUB 2008 unter Berücksichtigung der Entwicklung aus den Vorgängerregelungen AUB 61/88/94/99 und des allgemeinen Versicherungsvertragsrechts umfassend kommentiert. Rechtsprechung und Literatur sind bis Februar 2010, in Einzelfällen auch darüber hinaus berücksichtigt. Für Kritik und Verbesserungsvorschläge sind Verlag und Herausgeber dankbar. Berlin, Saarbrücken und Hamburg im September 2010 Horst Baumann
Roland Michael Beckmann
Katharina Johannsen
Aus dem Vorwort zu Band 1 Die 8. Auflage des „Bruck/Möller“ ist geprägt von Hans Möller, daneben von Karl Sieg und Ralf Johannsen. Hans Möller hat das Werk herausgegeben und die Einleitung sowie die §§ 1–66 mit systemprägender Kraft bearbeitet. Karl Sieg und ihm folgend Ralf Johannsen haben später die Herausgabe übernommen. Zugleich hat Karl Sieg die §§ 67–80 sowie die Grundlagen der Feuerversicherung, Ralf Johannsen die Allgemeine Haftpflichtversicherung, die Kraftfahrtversicherung und (gemeinsam mit Katharina Johannsen) die Feuerversicherung kommentiert. Mit Hilfe weiterer Autoren für die einzelnen Versicherungszweige haben sie so den hoch renommierten Großkommentar zum VVG von überragendem Rang geschaffen. Eine großartige Leistung, für die ihnen über ihren Tod hinaus Dank und bleibende Anerkennung gebührt! Die VVG-Reform 2008 stellt den Versicherungsvertrag auf eine neue gesetzliche Grundlage. Die 9. Auflage des „Bruck/Möller“ bringt hierzu und zu den rechtlichen Rahmenbedingungen eine Kommentierung in bewährter Qualität. Höchste fachliche Kompetenz, unbestechliche Objektivität und größtmögliche Praxisgerechtigkeit sind die Leitmaximen der Neuauflage. Ein großes Expertenteam aus allen mit dem Versicherungsrecht und seiner Reform befassten Bereichen gewährleistet die Fertigstellung des Gesamtwerks einschließlich der zuverlässigen Kommentierung der einzelnen Versicherungszweige und ihrer AVB
VII
Vorwort
in wenigen Jahren. Bereits der hiermit vorgelegte Band 1 bringt außer der detaillierten Analyse der §§ 1–32 insbesondere mit der Generaleinführung und der Kommentierung zu § 1 einen fundierten Gesamtüberblick über das neue VVG und die Einzelheiten der Reform. Ralf Johannsen hat die Zusammensetzung des neuen Herausgeber- und Autorenteams wie auch die Gesamtkonzeption der Neuauflage maßgeblich mitbestimmt und noch die Neukommentierung des § 2 fertiggestellt. Er ist am 16.1.2007 verstorben, gehört aber zu den Herausgebern der 9. Auflage. Sein Schaffen wirkt wie das von Ernst Bruck, Hans Möller und Karl Sieg im „Bruck/Möller“ fort.
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Inhaltsübersicht Bearbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur Literaturverzeichnis zur Unfallversicherung . . . . . . . . . . . .
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. V . VII . XI . XXXI
Vorbemerkungen zu § 178 . . . . . . . . . . . . . . . Leistung des Versicherers . . . . . . . . . . . . . . . Einzelne Unfallgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . Versicherte Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Invalidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefahrerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitwirkende Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . Herbeiführung des Versicherungsfalles . . . . . . . . Abwendung und Minderung des Schadens . . . . . . Bezugsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweispflicht des Versicherers . . . . . . . . . . . . Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neubemessung der Invalidität . . . . . . . . . . . . . Sachverständigenverfahren, Schadensermittlungskosten Einsichtsrecht in ärztliche Stellungnahmen . . . . . . Pflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . .
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1 58 163 199 299 324 333 343 351 353 380 407 439 462 467 473 474
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475 508 530 540 682
VERSICHERUNGSVERTRAGSGESETZ Teil 2 EINZELNE VERSICHERUNGSZWEIGE Kapitel 7 Unfallversicherung Vor § 178 § 178 Anh § 178 § 179 § 180 § 181 § 182 § 183 § 184 § 185 § 186 § 187 § 188 § 189 Anh § 189 § 190 § 191
Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen 2008 Vor Ziff. 1 Ziff. 1 Ziff. 2 Ziff. 2.1 Ziff. 2.2
Vorbemerkungen zu Ziffer 1 Versicherungsgegenstand . Leistungsarten . . . . . . . Invaliditätsleistung . . . . Übergangsleistung . . . . .
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IX
Inhaltsübersicht
Ziff. 2.3 Ziff. 2.4 Ziff. 2.5 Ziff. 2.6 Ziff. 3 Ziff. 4 Ziff. 5 Ziff. 5.1.1 Ziff. 5.1.2 Ziff. 5.1.3 Ziff. 5.1.4 Ziff. 5.1.5 Ziff. 5.1.6 Ziff. 5.2.1 Ziff. 5.2.2 Ziff. 5.2.3 Ziff. 5.2.4 Ziff. 5.2.5 Ziff. 5.2.6 Ziff. 5.2.7 Ziff. 6 Ziff. 7 Ziff. 8 Ziff. 9.1 Ziff. 9.2 Ziff. 9.3 Ziff. 9.4 Ziff. 9.5 Ziff. 10 Ziff. 11 Ziff. 12 Ziff. 13 Ziff. 14 Ziff. 15 Ziff. 16 Anh. Ziff. 16 Ziff. 17 Ziff. 18
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696 707 723 729 734 743 764 780 868 893 940 959 971 975 984 991 1009 1031 1040 1072 1081 1109 1196 1258 1266 1267 1271 1281 1284 1332 1386 1398 1529 1532 1551 1558 1591 1628
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1629
X
Tagegeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankenhaustagegeld . . . . . . . . . . . . . . . . . Genesungsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Todesfallleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versicherbarkeit (gestrichen) . . . . . . . . . . . . . . Ausschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewusstseinsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luftfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rennsport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kernenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bandscheibe, innere Blutungen . . . . . . . . . . . . Strahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heilmaßnahmen und Eingriffe . . . . . . . . . . . . . Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . Beeinträchtigungen durch Bauch- und Unterleibsbrüche Kindertarif, Gefahränderung . . . . . . . . . . . . . Obliegenheiten (nach Vertragsschluss) . . . . . . . . . Nichtbeachtung von Obliegenheiten . . . . . . . . . . Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neubemessung der Invalidität . . . . . . . . . . . . . Lebensbescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . Beginn und Ende des Vertrags . . . . . . . . . . . . . Beitragszahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsverhältnisse am Vertrag . . . . . . . . . . . . . Vorvertragliche Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . Klageausschlussfrist (gestrichen) . . . . . . . . . . . . Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unfallversicherungsprozess . . . . . . . . . . . . . . Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur a.A. a.a.O. ABE ABG ABGB abgedr. ABGF Abk. abl. ABl. ABMG ABN ABRK ABRV ABS Abs. Abschlussbericht Abschn. ABU ABV ABV (PKautV) ABVerm abw. AcP ADB ADS a.E. AEB ÄndG ÄndVO AERB AEUV AFB AFVB a.F. AFG AG AGG AGBG
anderer Ansicht am angegebenen Ort Allgemeine Bedingungen für die Elektronikversicherung Allgemeine Bedingungen für die Kaskoversicherung von Baugeräten Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) abgedruckt Allgemeine Bedingungen für die dynamische Sachversicherung des Gewerbes und der Freien Berufe Abkommen ablehnend Amtsblatt Allgemeine Bedingungen für die Maschinen- und Kasko-Versicherung von fahrbaren und transportablen Geräten Allgemeine Bedingungen für die Bauwesenversicherung von Gebäudeneubauten durch Auftraggeber Allgemeine Bedingungen für die Reparaturkosten von Kraftwagen Allgemeine Bedingungen für die Reise-Rücktrittskosten-Versicherung Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung (Österreich) Absatz siehe KomE Abschnitt Allgemeine Bedingungen für die Bauwesenversicherung von Unternehmerleistungen Allgemeine Bedingungen der Vertrauensschadenversicherung Allgemeine Bedingungen der Vertrauensschadenversicherung (Personenkautionsversicherung) Allgemeine Bedingungen für die Vermögenshaftpflichtversicherung abweichend Archiv für civilistische Praxis (zit. nach Band, Jahr u. Seite) Allgemeine Deutsche Binnen-Transportversicherungsbedingungen Allgemeine Deutsche Seeversicherungsbedingungen von 1919 am Ende Allgemeine Einbruchdiebstahlversicherungsbedingungen Änderungsgesetz Änderungsverordnung Allgemeine Bedingungen für die Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Allgemeine Bedingungen für die Feuerversicherung Allgemeine Bedingungen für die Fahrradverkehrsversicherung alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Amtsgericht; Aktiengesellschaft Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz)
XI
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur AGlB AGTG AHagB AHB AKB AktG ALB allg. allg.M. Alt. AltZertG a.M. AMB AMBUB AMG AMoB amtl. Begr. Anh. Anl. Anm. AnwBl. AnwKom/Bearbeiter ao AO AöR AP ARB ArchBR Art. ASKB Asmus/Sonnenberg AStB AT AtomG AUB AÜG Auff. Aufl. AuR ausdrückl. ausführl. AusfVO ausl. AuslG AusnVO ausschl. Ausschussbericht
XII
Allgemeine Bedingungen für die Glasversicherung Allgemeine Bedingungen für die Garantieverlängerungsversicherung von Technischen Geräten Allgemeine Hagelversicherungs-Bedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung Allgemeine Bedingungen für die KfZ-Versicherung Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien Allgemeine Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung allgemein allgemeine Meinung Alternative Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen anderer Meinung Allgemeine Maschinenversicherungs-Bedingungen Allgemeine Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen Arzneimittelgesetz Allgemeine Montageversicherungsbedingungen amtliche Begründung Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt AnwaltKommentar BGB, hrsg von Dauner-Lieb/Heidel/Ring, 5 Bände (2005) außerordentlich Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis. Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung Archiv für Bürgerliches Recht Artikel Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung von kerntechnischen Anlagen Kraftfahrtversicherung, 7. Aufl. (1998) Allgemeine Bedingungen für die Sturmversicherung Allgemeiner Teil Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auffassung Auflage Arbeit und Recht ausdrücklich ausführlich Ausführungsverordnung ausländisch Ausländergesetz Ausnahmeverordnung ausschließlich Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (BTDrucks. 16/5862)
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur AV AVB AVBR AVBSP AVB Vermögen AVBW AVFE AVFEBU AVFEM AVG AVP AVR AVSZ AVTHK AWaB AWB AWG Az.
Allgemeine Verfügung Allgemeine Versicherungsbedingungen Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Reisegepäck Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Juwelen, Schmuckund Pelzsachen im Privatbesitz Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden Allgemeine Bedingungen für die Kasko-Versicherung von Wassersportfahrzeugen Allgemeine Versicherungsbedingungen für Fernmelde- und sonstige elektronische Anlagen Allgemeine Betriebsunterbrechungs-Bedingungen bei Fernmelde- und sonstigen elektrotechnischen Anlagen Allgemeine Bedingungen für die Mehrkostenversicherung bei Fernmeldeanlagen und sonstigen elektrotechnischen Anlagen Angestelltenversicherungsgesetz Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Pferden und anderen Einhufern Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Rindern Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Schweinen, Schafen und Ziegen Allgemeine Bedingungen für die Tierkrankenversicherung von Hunden und Katzen Allgemeine Versicherungs-Bedingungen für die Waldbrandversicherung Allgemeine Bedingungen für die Leitungswasserversicherung Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen
Bach/Langheid
Aktuelle Rechtsfragen der Versicherungsvertragspraxis, 2. Aufl. (1990) Bach/Moser Private Krankenversicherung, MB/KK- und MB/KT-Kommentar, 4. Aufl. (2009) BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BAG Bundesarbeitsgericht Bamberger/Roth/Bearbeiter Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch in drei Bänden, 2. Aufl. (2007/08) BankArch Bankarchiv. Zeitschrift für Bank- und Börsenwesen BAnz. Bundesanzeiger Baran Das Versicherungsaufsichtsgesetz, 3. Aufl. (2000) Basedow/Fock Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bd. I–III (2002/03) Bauer Die Kraftfahrtversicherung, 5. Aufl. (2002) BauGB Baugesetzbuch Baumgärtel/Prölss Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 5 (Versicherungsrecht) (1993) Baumgärtel/Laumen/Prütting Handbuch der Beweislast – BGB AT, §§ 1–240, 3. Aufl. (2007) BAV (BAA) Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- (bis 1973: und Bausparwesen (bis 2001) BB Der Betriebs-Berater BBG Bundesbeamtengesetz Bd. Band BDSG Bundesdatenschutzgesetz Bearb. Bearbeitung Beckmann/MatuscheVersicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl. (2009) Beckmann/Bearbeiter begl. beglaubigt
XIII
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur Begr.
Bek. Bekl. Bem. Benkel/Hirschberg ber. Berliner Kommentar/ Bearbeiter bes. BesBed Arch
BesBed Priv Beschl. Beschw. Bespr. Best. bestr. betr. BetrAV BetrAVG BeurkG BFH BGB BGBl. BGE BGH BGHGrS BGHR BGHSt BGHZ BLAH/Bearbeiter BLVA BMI BMJ Böhme/Biela Boldt FeuerV Bolze Borutta BR
XIV
Begründung zum VVG: RTDrucks Nr. 364, 12. Legislaturperiode, 1. Session 1907; zum PflVersG v. 7.11.1939: DJ 39, 1771; zur VO v. 19.12.1939: Amtl. Sonderveröffentl. d. DJ Nr. 20, Beilage zur DJ Nr. 3/1940; zum G v. 28.12.1942: DJ 43, 41 ff.; zur VO v. 6.4.1943: DJ 43, 269; zum G v. 5.4.1965 (PflVersG n.F.): BRDrucks. IV/2252 S 11 ff. zum RegE VVGReformG v. 20.12.2006 BTDrucks. 16/3945 Bekanntmachung Beklagter Bemerkung Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung, ALB- und BUZ-Kommentar, 2. Aufl. (2009) berichtigt Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz: Kommentar zum deutschen und österreichischen VVG, hrsg. von H. Honsell (1999) besonders Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Berufshaftpflichtversicherung von Architekten, Bauingenieuren und beratenden Ingenieuren Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Privathaftpflichtversicherung Beschluss Beschwerde Besprechung Bestimmung bestritten betreffend Betriebliche Altersversorgung Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Beurkundungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des (Schweizerischen) Bundesgerichts Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Großer Senat BGH-Rechtsprechung Zivilsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 67. Aufl. (2009) Bayerische Landesbrandversicherungsanstalt Bundesminister(ium) des Inneren Bundesminister(ium) der Justiz Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Handbuch für die Praxis, 23. Aufl. (2006) (bis zur 22. Aufl. Becker/Böhme) Feuerversicherung, 7. Aufl. (1995) Praxis des Reichsgerichts in Civilsachen (1886 ff.) Handbuch des Privatversicherungsrechts (Loseblatt-Ausgabe) Bundesrat
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur BRAK BRAO BRAOÄndG
bzgl. bzw.
Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentrechtsanwaltsordnung und anderer Gesetze Lebensversicherung (1932) Bundesrats-Drucksache Bundesregierung Protokolle des Bundesrates Beamtenrechtsrahmengesetz Verhandlungen des Bundesrats, Stenographische Berichte (zit. nach Sitzung u. Seite) Das Privatversicherungsrecht (1930) Kommentar zum Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag, 7. Aufl. (1932) Das Recht des Lebensversicherungsvertrages: ein Kommentar zu den Allgemeinen Vertragsbedingungen der Kapitalversicherung auf den Todesfall, 2. Aufl. (1933) Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unter Einschluss des Versicherungsvermittlerrechtes, 8. Aufl. (1961–2002) Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, 9. Aufl. (2008 ff) Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Beispiel Bundessteuerblatt Besonderer Teil, Bundestag Bundestagsdrucksache s. BTVerh. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags Verhandlungen des deutschen Bundestag, Stenographische Berichte (zit. nach Wahlperiode u. Seite) Betriebsunterbrechung Buchstabe Handbuch Versicherungsrecht, 4. Aufl. (2009) Versicherungsrecht in der anwaltlichen Praxis, 4. Aufl. (2000) Reiseversicherung, 3. Aufl. (2009) Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung Besondere Vertragsbedingungen Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (zit. nach Band u. Seite) bezüglich beziehungsweise
ca. cic CR
circa culpa in contrahendo Computer und Recht
dagg. DAR
dagegen Deutsches Autorecht
Braun Lebensversicherung BRDrucks. BReg. BRProt. BRRG BRStenBer. Bruck PVR Bruck Versicherungsvertrag Bruck/Dörstling Bruck/Möller/Bearbeiter8
Bruck/Möller/Bearbeiter BSG BSHG Bsp. BStBl. BT BTDrucks. BTProt. BTRAussch. BTStenBer. BU Buchst. van Bühren/Bearbeiter Hdb van Bühren van Bühren/Nies BUZ BVB BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE
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Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur DAV DB DDR DepotG ders. Deutsch dgl. DGVZ d.h. dies. Dietz HausratV Dietz WohngebäudeV Diff., diff. Dig. Diller Diss. DJ DJT DJZ DMW DöV Dörner AVB D&O DOGE DR DRechtsw. Dreher DRiB DRiG DRiZ DRM DRpfl. DRsp. Drucks. DRW DRZ DSB DStrR dt. DuR DVBl. DVers. DVersPresse DVO DVollzO DVP DVR DVZ DZWIR
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Deutscher Anwaltsverein; Deutsche Aktuarvereinigung Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren (Depotgesetz) derselbe Das neue Versicherungsvertragsrecht, 6. Aufl. (2008) dergleichen Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung das heißt dieselbe(n) Hausratversicherung 84, Kommentar, 2. Aufl. (1987) Wohngebäudeversicherung, Kommentar, 2. Aufl. (1999) Differenzierung, differenzierend Digesta Die Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte. Kommentar (2009) Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung (1896–1936) Deutsche Medizinische Wochenschrift Deutsche öffentlich-rechtliche Versicherung Allgemeine Versicherungsbedingungen, Textausgabe, 6. Aufl. (2009) Directors and Officers (Liability Insurance) Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Recht, Wochenausgabe (vereinigt mit Juristische Wochenschrift) (1931–1945) Deutsche Rechtswissenschaft (1936–1943) Die Versicherung als Rechtsprodukt (1991) Deutscher Richterbund Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsches Recht, Monatsausgabe (vereinigt mit Deutsche Rechtspflege) Deutsche Rechtspflege (1936–1939) Deutsche Rechtsprechung, hrsg. von Feuerhake (Loseblattsammlung) Drucksache Deutsches Recht, Wochenausgabe Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946–1950) Datenschutzberater Deutsches Steuerrecht deutsch Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Versicherung Deutsche Versicherungspresse Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung Deutsche Verwaltungspraxis Datenverarbeitung im Recht (bis 1985, danach vereinigt mit IuR) Deutsche Versicherungszeitschrift Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur E ebd. ebso. ECB ECBUB
ED ed(s) EDV EFG EG EGBGB EGGVG EGInsO EGInsOÄndG EGKS EGMR EGOWiG EGStGB EGStPO EGV EGVVG EheG ehem. Ehrenberg Ehrenzweig Einf. eingeh. einschl. einschr. Einl. EKMR EMRK entgg. Entsch. entspr. Entw. Erg. ErgBd. Erl. Erw. EStG etc. EU EuGH EuGHE EuGRZ EuR EurKomMR europ.
Entwurf bzw. Entscheidung ebenda ebenso Bedingungen für die Versicherung zusätzlicher Gefahren zur Feuerversicherung für Industrie- und Handelsbetriebe Bedingungen für die Versicherung zusätzlicher Gefahren zur FeuerBetriebsunterbrechungs-Versicherung für Industrie- und Handelsbetriebe Einbruchdiebstahl editor(s) Einbruchdiebstahlversicherung Entscheidung der Finanzgerichte (zit. nach Band u. Seite) Einführungsgesetz bzw. Europäische Gemeinschaft(en) bzw. Erinnerungsgabe Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz v. 27.1.1877 Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrecht Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum VVG Ehegesetz ehemalig Privatversicherungsrecht (1923) Deutsches (österreichisches) Versicherungs-Vertragsrecht (1952) Einführung eingehend einschließlich einschränkend Einleitung Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention entgegen Entscheidung entsprechend Entwurf Ergebnis bzw. Ergänzung Ergänzungsband Erläuterung Erwiderung Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – Amtliche Sammlung Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Europäische Kommission für Menschenrechte europäisch
XVII
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur EuropolG EUV EuZW EV
evtl. EWG EWGV EWiR EWiV f., ff. FAG Fahr/Kaulbach/Bähr FamRZ FAO Farny FBUB Fenyves/Kronsteiner/Schauer FG FGG FGO FHB FinDAG FJL Fn. fragl. FS FVG v. Fürstenwerth/Weiß G GB BAV GB GDV GBl. GDV GE gem. GenG Gerhard/Hagen GerS GeschO gesetzl. GewArch GewO gg. GG ggf. von Gierke Versicherungsrecht I
XVIII
Europol-Gesetz Vertrag über die Europäische Union (Lissabon-Vertrag) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung folgende Gesetz über Fernmeldanlagen Versicherungsaufsichtsgesetz, 4. Aufl. (2007) Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung Versicherungsbetriebslehre, 4. Aufl. (2006) Allgemeine Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen Kommentar zu den Novellen zum VersVG (Österreich) (1998) Finanzgericht Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Feuerhaftungs-Versicherungsbedingung Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz Feyock/Jacobsen/Lemor Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl. (2009) Fußnote fraglich Festschrift Gesetz über die Finanzverwaltung Versicherungsalphabet, 10. Aufl. (2001) Gesetz Geschäftsbericht des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Geschäftsbericht des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Gesetzblatt Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. Geschäftsplanmäßige Erklärung gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Kommentar zum deutschen Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag (1908) Der Gerichtssaal Geschäftsordnung gesetzlich Gewerbearchiv, Zeitschrift für Gewerbe- u. Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbeordnung gegen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls J. von Gierke, Versicherungsrecht, Bd. I (1937)
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur von Gierke Versicherungsrecht II GKG GKV gl. GmbHG GmbHR GMBl. GoA grdl. grds. Grimm GrS GrSZ Grubmann GRUR GS GVBl. GVG GWB GwG
h.A. Hagelschuer Hagen Versicherungsrecht Halbs. Halm/Engelbrecht/Krahe Hansen Beweislast HansRGZ Harbauer Hauss Hax Hdb. HdV HeilPrG Heiss Heiss/Lorenz Herdt HEZ HFR HGB HGZ hins. Hinw. HK VVG/Bearbeiter h.L. h.M. Hofmann PVR
J. von Gierke, Versicherungsrecht, Bd. II (1947) Gerichtskostengesetz Gesetzliche Krankenversicherung gleich Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (vorher: Rundschau für GmbH) Gemeinsames Ministerialblatt Geschäftsführung ohne Auftrag grundlegend grundsätzlich Unfallversicherung, 5. Aufl. (2009) Großer Senat Großer Senat in Zivilsachen Das Versicherungsvertragsgesetz, 6. Aufl. (2007) (Österreich) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz) herrschende Ansicht Lebensversicherung, 2. Aufl. (1987) in: Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handelsrechts, 8. Band, I. und II. Abteilung (1922) Halbsatz Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht, 3. Aufl. (2008) Beweislast und Beweiswürdigung im Versicherungsrecht (1990) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift Rechtsschutzversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB), 8. Aufl. (2009) 25 Jahre Karlsruher Forum. Beiträge zum Haftungs- und Versicherungsrecht (1983) Grundlagen des Versicherungswesens (1964) Handbuch Handwörterbuch der Versicherung, hrsg. von Farny/Helten/Koch/ Schmidt (1988) Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) Treu und Glauben im Versicherungsvertragsrecht (1989) Versicherungsvertragsgesetz, 2. Aufl. (1996) Die mehrfache Kausalität im Versicherungsrecht (1978) Höchstrichterliche Entscheidungen (Zivilsachen) Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch Hanseatische Gerichtszeitung hinsichtlich Hinweis Versicherungsvertragsgesetz Handkommentar, hrsg. von Rüffer/Halbach/Schimikowski (2009) herrschende Lehre herrschende Meinung Privatversicherungsrecht, 4. Auflage (1998)
XIX
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur HRR Hrsg./hrsg. h.Rspr. Hübner i.Allg. i.d.F. i.d.R. i.d.S. i.E. i.e.S. IFG i.gl.S. i.Grds. IHK i.H.v. ILC IM InfoV inl. insbes. insges. InsO inzw. IPBPR i.R.d. i.R.v. i.S. i.S.d. i.S.e. i.S.v. i.techn.S. i.U. i.üb. IuKDG
Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928–1942), bis 1927: Die Rechtsprechung, Beilage zur Zeitschrift Juristische Rundschau Herausgeber/herausgegeben herrschende Rechtsprechung Allgemeine Versicherungsbedingungen und AGB-Gesetz, 5. Aufl. (1997)
IuR IVH i.V.m. i.w. i.w.S. i.Z.m.
im Allgemeinen in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne Informationsfreiheitsgesetz im gleichen Sinne im Grundsatz Industrie- und Handelskammer in Höhe von International Law Commission Innenministerium siehe VVG-InfoV inländisch insbesondere insgesamt Insolvenzordnung inzwischen Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des im Sinne einer(s) im Sinne von im technischen Sinne im Unterschied im Übrigen Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informationsund Kommunikationsdienste (Informations- und Kommunikationsdienstegesetz) Informatik und Recht Info-Letter Versicherungs- und Haftungsrecht in Verbindung mit im Wesentlichen im weiteren Sinne im Zusammenhang mit
JA Jabornegg JahrbÖR JBeitrO JBl. JBlRhPf. JBl Saar jew. JK JM
Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Das Risiko des Versicherers (1979) Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Justizbeitreibungsordnung Juristische Blätter (Österreich) Justizblatt Rheinland-Pfalz Justizblatt des Saarlandes jeweils Jura-Kartei Justizminister(ium)
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Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur JOR JPVR JR Jula JurA Jura JurJahrb. JuS Justiz JuV JVBl. JVKostO JW JZ JZ-GD
Jahrbuch für Ostrecht Juristische Rundschau für die Privatversicherung Juristische Rundschau Sachversicherungsrecht, 2. Aufl. (2008) Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristen-Jahrbuch Juristische Schulung. Zeitschrift für Studium und Ausbildung Die Justiz. Amtsblatt des Justizministeriums von Baden-Württemberg Justiz und Verwaltung Justizverwaltungsblatt Gesetz über Kosten im Bereich der Justizverwaltung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Juristenzeitung – Gesetzgebungsdienst
KalV
Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung – KalV) Kap. Kapitel Kfz. Kraftfahrzeug KfzPflVV Kraftfahrzeugpflichtversicherungsverordnung KG Kammergericht, Kommanditgesellschaft KGJ Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881–1922) (zit. nach Band u. Seite) KH Kraftfahrzeug-Haftpflicht Kisch Versicherungsschein Der Versicherungsschein (1952) Kisch Mehrfache Versicherung Die Mehrfache Versicherung desselben Interesses (1935) Kisch PVR II Handbuch des Privatversicherungsrechts, Bd. II (1920) Kisch PVR III Handbuch des Privatversicherungsrechts, Bd. III (1922) KJ Kritische Justiz Kl. Klausel KLV Kapitalbildende Lebensversicherung Knoerrich/Rotkies Rechtsgrundlagen der Individualversicherung KO Konkursordnung Koch/Weiss Gabler Versicherungslexikon (1994) Koller Transportrecht, 6. Aufl. (2007) KomE Kommissionsentwurf zur Reform des Versicherungsvertragsrechts; zitiert nach: Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April (2004), hrsg. von Egon Lorenz (2004) KorrBekG Gesetz zur Bekämpfung der Korruption K&R Kommunikation und Recht krit. kritisch KritVj Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung KrW-/AbfG Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz) KTS Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen K&R Kommunikation und Recht Kühnholz Versicherungsrecht (1989) KunstUrhG Kunsturhebergesetz Kuwert/Erdbrügger Privat-Haftpflichtversicherung. Leitfaden durch die besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen, 2. Aufl. (1990)
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Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur KuV KWG
Kraftfahrt und Verkehrsrecht Gesetz über das Kreditwesen
Langheid/Wandt/Bearbeiter
Münchener Kommentar Versicherungsvertragsgesetz: VVG; Band 1: §§ 1–99 VVG (Teil 1. Allgemeiner Teil) und Erläuterungen zum EGVVG (2010); Band 3: §§ 192–215 VVG, Synopsen, Materialien (2009) Legislaturperiode Landgericht littera (Buchstabe) Literatur Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. von Lindenmaier/ Möhring u.a. (zit. nach Paragraph u. Nummer) Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring VVG Versicherungsvertragsgesetz, Kommentar (2009)
LegPer. LG lit. Lit. LM LMK Looschelders/Pohlmann/ Bearbeiter LPG LS lt. LVerf. LZ LZB
m. MaBV Mahr Maier Manes Versicherungslexikon m. Anm. Marlow/Spuhl Martin SVR m.a.W. m.Bespr. MBKK MBKT MBPPV MBUB MdB MdL MDR MDStV MedR Meixner/Steinbeck missverst. m.krit.Anm. MMR MMW Möller Verantwortlichkeit Möller Versicherungsvertragsrecht Motive
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Landespressegesetz Leitsatz laut Landesverfassung Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907–1933) Zusatzbedingungen für die Feuerversicherung landwirtschaftlicher Betriebe mit Makler- und Bauträgerverordnung Einführung in die Versicherungswirtschaft, 3. Aufl. (1970) Das Versicherungs-Vertragsrecht (1911) Versicherungslexikon, 3. Aufl. (1930) mit Anmerkung Das neue VVG, 3. Aufl. (2008) Sachversicherungsrecht, Kommentar, 3. Aufl. (1992) mit anderen Worten mit Besprechung Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung Musterbedingungen für die private Pflegeversicherung Allgemeine Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherungsbedingungen Mitglied des Bundestags Mitglied des Landtags Monatsschrift für Deutsches Recht Staatsvertrag über Mediendienste Zeitschrift für Medizinrecht Das neue Versicherungsvertragsrecht (2008) missverständlich mit kritischer Anmerkung (von) MultiMedia und Recht Münchner Medizinische Wochenschrift Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für das Verhalten Dritter (1939) Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl. (1977) Motive zum VVG, Nachdruck (1963)
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur MüKo-BGB/Bearbeiter H. Müller m.w.N. m.zust.Anm. N. Nachtr. Nds.GVBl. Nds.Rpfl NEGB NEhelG Neum. n.F. Niederleithinger NJ NJOZ NJW NJWE-VHR NJW-RR Nr. NStZ NVersZ NVwZ NwIG NwSoBed NwSoBedIuG NwSoBedlwGeb NZA NZG NZS NZV o. o.ä. ob.dict. OBGer öffentl. ÖJVersG ÖJZ ÖVVG o.g. OG OGDDR ÖOGH OHG OLG OLGZ OVG OWiG
Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Rebmann/Säcker/Rixecker, 5. Aufl. (2009) Versicherungsbinnenmarkt (1998) mit weiteren Nachweisen mit zustimmender Anmerkung Nachweise Nachtrag Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Niedersächsische Rechtspflege Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung der Elektround Gasgeräte des Haushalts Gesetz über die Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen neue Fassung Das neue VVG (2007) Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Versicherungs-/Haftungsrecht NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Sonderbedingungen für die Neuwertversicherung von Industrie und Gewerbe Sonderbedingungen für die Neuwertversicherung Sonderbedingungen für die Neuwertversicherung von Industrie und Gewerbe Sonderbedingungen für die Neuwertversicherung landwirtschaftlicher Gebäude Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht oben oder ähnlich obiter dictum Obergericht (Schweizer Kantone) öffentlich Österr. Bundesgesetz über internationales Versicherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum Österreichische Juristenzeitung Österreichisches Versicherungsvertragsgesetz (auch VersVG) oben genannt Oberstes Gericht der DDR Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR in Zivilsachen Österreichischer Oberster Gerichtshof Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen, einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
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Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur Palandt/Bearbeiter PartGG PatG PAuswG PKV polit. PostG PostO Pr. Präve AGB PrG Prölss/Martin/Bearbeiter Prölss/Bearbeiter VAG PrOVG PStG psych.
Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl. (2009) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Patentgesetz Gesetz über Personalausweise Private Krankenversicherung politisch Gesetz über das Postwesen (Postgesetz) Postordnung Praxis des Versicherungsrechts, Beilage zur „Oeffentlich-rechtlichen Versicherung“ (1926–1928: „Versicherung und Geldwirtschaft“) Versicherungsbedingungen und AGB-Gesetz (1998) Pressegesetz Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl. (2005) Versicherungsaufsichtsgesetz, hrsg. von Kollhosser, 12. Aufl. (2005) Preußisches Oberverwaltungsgericht Personenstandsgesetz psychisch
QIR
Angerer/Ollick, Quellen zum Individualversicherungsrecht
RAA RAO Raiser
Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung Reichsabgabenordnung Kommentar der Allgemeinen Feuerversicherungs-Bedingungen, 2. Aufl. (1937) Deutscher Reichsanzeiger Rechtsausschuß/Rechtsausschuss Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung Recht der Arbeit Runderlaß/Runderlass Rechtsdienstleistungsgesetz Recht der Jugend und des Bildungswesens Das Recht des Kraftfahrers, Unabhängige Monatsschrift des Kraftverkehrsrechts (1926– 43, 1949–55) Rundschreiben Recht der Datenverarbeitung Recht der Wirtschaft (Österreich) Das Recht, begründet von Soergel (1897–1944) Rechtsmedizin rechtspolitisch rechtsvergleichend Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts mit Begründung (nicht veröffentlicht; zitiert nach der vom BMJ online zur Verfügung gestellten PDFDatei; u.a. noch abrufbar unter: http://www.brak.de/seiten/pdf/ aktuelles/versicherungsvertragsrecht.pdf) Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631) (siehe auch VVG-Reform 2008) Regierung Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (BTDrucks. 16/3945); siehe auch Ausschussbericht Regierungsblatt Aspekte des internationalen Versicherungsvertragsrechts im Europäischen Wirtschaftsraum, hrsg. von Reichert-Facilides (1994) relativ
RAnz. RAussch. RBerG RdA RdErl. RDG RdJB RdK RdSchr. RDV RdW Recht RechtsM rechtspol. rechtsvergl. RefE
ReformG Reg. RegE RegBl. Reichert-Facilides/Bearbeiter rel.
XXIV
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur RFH RfStV RG RGBl. RGRK/Bearbeiter
RGZ RHG Richter PVR Riebesell Ritter/Abraham RKG RL Rn. Römer Römer/Langheid ROW Rpfleger RpflG Rspr. RStBl. RT RTDrucks. RTVerh. Rudisch Versicherungsrecht RuP RuS RVerkBl. RVG RVO RzW s. S. s.a. SaarRZ SBR Schauer ScheckG Schimikowski Schimikowski/Höra SchlHA SchHB 79 Schmidt-Salzer/Schramm Schmidt-Salzer/Bearbeiter Schmidt/Müller-Stüler Schmidt Obliegenheiten
Reichsfinanzhof Rundfunkstaatsvertrag Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsrätekommentar – Das Bürgerliche Gesetzbuch. Kommentar, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofs, 12. Aufl. (1975 ff.) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (zit. nach Band u. Seite) Rechnungshofgesetz Privatversicherungsrecht (1980) Unfallversicherungsrecht und AUB 88, 2. Aufl. (1991) Das Recht der Seeversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Deutschen Seeschiffahrts-Bedingungen, 2. Aufl. (1967) Reichsknappschaftsgesetz Richtlinie Randnummer(n) Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zum Versicherungsvertragsrecht, 7. Aufl. (1997) Versicherungsvertragsgesetz, 2. Aufl. (2002) Recht in Ost und West. Zeitschrift für Rechtsvergleichung und interzonale Rechtsprobleme Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtsprechung Reichssteuerblatt Reichstag Drucksachen des Reichstags Verhandlungen des Reichstags Das neue Versicherungsrecht: Gesetzestexte, Materialien, Hinweise (1994) Recht und Politik. Vierteljahreshefte für Rechts- und Verwaltungspolitik Recht und Schaden Reichsverkehrsblatt Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Reichsversicherungsordnung Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht siehe Satz, Seite siehe auch Saarländische Rechts- und Steuerzeitschrift Sonderbedingungen für die Beraubungsversicherung Das österreichische Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl. (1995) Scheckgesetz Versicherungsvertragsrecht, 4. Aufl. (2009) Das neue Versicherungsvertragsrecht (2008) Schleswig-Holsteinische Anzeigen Allgemeine Bedingungen für die gleitende NeuwertVers von Gebäuden gegen Schäden durch Schwamm und Hausbockkäfer Kommentar zur Umwelthaftpflichtversicherung (1993) Produkthaftung, Bd. IV/1: Produkthaftpflichtversicherung, 3. Auflage (1994) Das Recht der öffentlich-rechtlichen Sachversicherung, 3. Aufl. (1979) Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten (1953)
XXV
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur Schwintowski Schwintowski/Brömmelmeyer/Bearbeiter SchwJZ SchwZStr. Sen. SGB I, IV, V, VIII, X, XI
SGb. SGG SGlN Sieg Versicherungsvertragsrecht SJZ s.o. Soergel/Bearbeiter sog. Sonderausschuss SozVers SP Späte AHB spez. SpV StaatsGH Staudinger/Bearbeiter StAZ Stein/Jonas StenBer StGB Stiefel/Hofmann
StPO str. st.Rspr. StuR StVG StVj StVO SVS StVZO s.u. SubvG SV
XXVI
Der private Versicherungsvertrag zwischen Recht und Markt (1987) Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht (2008) Schweizerische Juristen-Zeitung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht (zit. nach Band u. Seite) Senat I: Sozialgesetzbuch, Allg. Teil IV: Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung V: Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung VIII: Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe X: Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehung zu Dritten XI: Soziale Pflegeversicherung Sozialgerichtsbarkeit Sozialgerichtsgesetz Sonderbedingungen für die gleitende Neuwertversicherung von Wohn-, Geschäfts- und landwirtschaftlichen Gebäuden Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, 3. Aufl. (1994) Süddeutsche Juristen-Zeitung (1946–50), dann Juristenzeitung siehe oben Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl. (2000) sogenannt(e) Sonderausschuß des Bundestags für die Strafrechtsreform, Niederschriften zitiert nach Wahlperiode und Sitzung Die Sozialversicherung Schadenspraxis Haftpflichtversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) (1993) speziell Spektrum für Versicherungsrecht Staatsgerichtshof Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Bearbeitung (1993 ff.) Das Standesamt. Zeitschrift f. Standesamtswesen, Personenstandsrecht, Ehe- u. Kindschaftsrecht, Staatsangehörigkeitsrecht Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Aufl. (2002 ff.) Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch Kraftfahrtversicherung. Kommentar zu den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftversicherung (AKB) und zu den Allgemeinen Bedingungen für die Verkehrs-Service-Versicherung (AVSB), 17. Aufl. (2000) Strafprozeßordnung strittig, streitig ständige Rechtsprechung Staat und Recht Straßenverkehrsgesetz Steuerliche Vierteljahresschrift Straßenverkehrsordnung Speditions-Versicherungsschein Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Subventionsgesetz Sachverhalt
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur SZ
Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivilund Justizverwaltungssachen
TDG Terbille/Bearbeiter MAH
Gesetz über die Nutzung von Telediensten Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, hrsg. von Terbille, 2. Aufl. (2008) Tierschutzgesetz Titel Telekommunikationsgesetz Transportrecht Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12.5.1920 Truppenvertrag Textzahl
TierschG Tit. TKG TranspR TumSchG TV Tz. u. u.a. u.ä. u.a.m. Üb. ÜbergangsAO Übk. ü.M. UFITA U-Haft Ulmer/Brandner/Hensen umstr. UNO unv. u.ö. UrhG UStG usw. u.U. UWG UZwG
VA
VA (Berlin) VAE VAG v.A.w. VBlBW VDEW VE VerBAV/VerBaFin
unten unter anderem und ähnlich und anderes mehr Überblick, Übersicht Übergangsanordnung Übereinkommen überwiegende Meinung Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Untersuchungshaft AGBG-Kommentar, 10. Aufl. (2006) umstritten United Nations Organization (Vereinte Nationen) unveröffentlicht und öfter Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung, ab 1947: … des Zonenamtes des Reichsaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (Hamburg) Veröffentlichungen des Aufsichtsamts für das Versicherungswesen Groß-Berlin (ab 15.9.1948) Verkehrsrechtliche Abhandlungen und Entscheidungen Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmungen von Amts wegen Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke Vorentwurf Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungsund Bausparwesen, ab 1973: … des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, ab Mai 2002: VerBAFin = Veröffentlichungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Versicherungsbereich)
XXVII
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur VereinsG VerfGH VerglO Verh. VerkMitt vermitt. VerschG VersG VersEnzyklopädie/Bearbeiter VersAG VersArch VersM VersPrax VersR VersRdsch. VersSlg VersVermV VersVO VersWissArch VersWiss. Stud. VerwArch. VG VGB VGB 2008 VGH vgl. VGS VHB
VHB 2008 VN VO VOBl. VOBlBZ. VOR vorangeh. Voraufl. Vorbem. vorgen. VRR VR VRS VU VuR VVaG VVG
XXVIII
Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Verkehrsrechtliche Mitteilungen vermittelnd Verschollenheitsgesetz Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Versicherungsenzyklopädie, hrsg. von Grosse/Müller-Lutz/Schmidt, 4. Aufl. (1991) Versicherungsaktiengesellschaft Versicherungsarchiv Versicherungsmedizin Die Versicherungspraxis Versicherungsrecht. Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Versicherungsrundschau (Österreich) Sammlung der seit 1945 ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen in Vertragsversicherungssachen, hrsg. von K. Wahle (1961) Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung Dritte DurchführungsVO zu MRG Nr. 63 (VersicherungsVO) Versicherungswissenschaftliches Archiv Versicherungswissenschaftliche Studien, hrsg. von Basedow/Meyer/ Schwintowski Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung von Wohngebäuden gegen Feuer-, Leitungswasser- und Sturmschäden Allgemeine Wohngebäude-Versicherungsbedingungen Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vereinigter Großer Senat Allgemeine Bedingungen für die Neuwertversicherung des Hausrats gegen Feuer-, Einbruchdiebstahl-, Beraubungs-, Leitungswasser-, Sturm- und Glasbruchschäden/Allgemeine Hausratversicherungsbedingungen Allgemeine Hausrat-Versicherungsbedingungen Versicherungsnehmer Verordnung Verordnungsblatt Verordnungsblatt für die Britische Zone Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht vorangehend Vorauflage Vorbemerkung vorgenannt Verkehrsrechtliche Rundschau Versicherer Verkehrsrechts-Sammlung, Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts (zit. nach Band u. Seite) Versicherungsunternehmen Verbraucher und Recht Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz)
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur VVG-InfoV VVGE
VVG-Kommission VVGRefG bzw. VVG-Reform 2008 VVV VW VwGO VwVfG VwVG VwZG WaffG Wallm. Wandt WarnRspr
Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen Entscheidungssammlung zum Versicherungsvertragsrecht (VVGE): Entscheidungen zum Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), hrsg. von Dietrich Müller Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631) (siehe auch ReformG) Versicherungswissenschaft, Versicherungspraxis, insbesondere Versicherungsmedizin (später DVZ) Versicherungswirtschaft Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz
WZG
Waffengesetz Wallmanns Versicherungszeitschrift Versicherungsvertragsrecht, 4. Aufl. (2008) Sammlung zivilrechtlicher Entscheidungen des RG, hrsg. von Warneyer (zit. nach Jahr u. Nummer) weitergehend Grundzüge des Versicherungsvertragsrechts (1986) Produkthaftungshandbuch (1997) Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) Wussows Informationen Wirtschaftsrechtliche Beratung 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Versicherungsaufsichtsrecht (2007) Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) Wertpapier-Mitteilungen AGB-Recht, Kommentar (2007) Die Wirtschaftsprüfung Gesetz über Wertpapierhandel Wettbewerb in Recht und Praxis Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wirtschaft und Recht der Versicherung. Beiheft zu Mitt., ab 1926 zu „Versicherung und Geldwirtschaft“, ab 1929 zu OeffV, ab 1935 zur DOeffV Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl. (2008) Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung, 8. Aufl. (1976) Kommentar zu den AFB und den §§ 1127–1130 BGB, §§ 97–107c VVG, 2. Aufl. (1975) Warenzeichengesetz
(Z) ZAkDR ZaöRV ZAP z.B. ZentrBlHR ZEuP
Entscheidung in Zivilsachen Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934–44) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für die Anwaltspraxis zum Beispiel Zentral-Blatt für Handelsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
weitergeh. Werber/Winter von Westphalen/Bearbeiter WHG WI WiB 1. WiKG 2. WiKG Winter WiStG WM Wolf/Lindacher/ WPg WpHG WRP WuM WuR
Wussow Wussow AHB Wussow FeuerV
XXIX
Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur ZfBR ZFBUB ZfgA 81b ZfRV ZfS ZfV ZfW ZfZ ZGR ZGS ZHR Ziff. ZIP zit. ZJBl. ZMR Zöller/Bearbeiter ZollG ZPO ZRP ZSchwR ZSK ZSW z.T. ZUM zusf. zust. ZustG zutr. z.V.b. ZVBl. ZVerkR ZVersWiss ZVG zw. z.Z. ZZP
XXX
Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zusatzbedingungen zu den FBUB Zusatzbedingungen (zu den AFB) für Fabriken und gewerbliche Anlagen Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht u. Europarecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, begr. v. Goldschmidt Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zentral-Justizblatt für die Britische Zone Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen; Kommentar 27. Aufl. (2009) Zollgesetz Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zusatzklauseln Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht/Film und Recht zusammenfassend zustimmend Zustimmungsgesetz zutreffend zur Veröffentlichung bestimmt Zentralverordnungsblatt für die sowjetische Besatzungszone Deutschlands (Österr.) Zeitschrift für Verkehrsrecht Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (zitiert nach Jahr und Seite) Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) zweifelhaft zur Zeit Zeitschrift für Zivilprozess
Literaturverzeichnis zur Unfallversicherung Bruck/Möller/Wagner Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen Carus Gaidzik
Unfallversicherung (§§ 179–185), Bd. VI 1, 8. Aufl. (1978) Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl. (2009), § 47: Unfallversicherung Unfallversicherung (1931) Die Begutachtung des Kausalzusammenhangs durch den Arzt in der Privaten Unfallversicherung (1986) Gerhard/Hagen Kommentar zum Deutschen Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag (1908), S. 719 ff. Grewing Entstehungsgeschichte der AUB von 1961 (1962) Grewing Unfallversicherung (1967) Grimm Unfallversicherung, AUB-Kommentar, 4. Aufl. (2006) Henke Die Ausschlüsse und Grenzfälle in der Unfallversicherung (1950) Hierholzer/Ludolph Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung (1992) Hiestand Grundzüge der Privaten Unfallversicherung (1900) Ernst Hofmann Die private Unfallversicherung (1970) K. Jannott Kernfragen der Versicherungs-Rechtsprechung – Unfallversicherung (1938) Kloth Private Unfallversicherung (2008) Konen/Lehmann AUB 88 – Motive und Erläuterungen (1990) Lehmann/Ludolph Die Invalidität in der privaten Unfallversicherung, 2. Aufl. (2004) Marlow/Spuhl Das neue VVG kompakt, 3. Aufl. (2008) Meixner/Steinbeck Das neue Versicherungsvertragsrecht (2008) Naumann/Brinkmann Die private Unfallversicherung in der anwaltlichen Praxis (2009) Perret Was der Arzt von der privaten Unfallversicherung wissen muss (1980) Reichenbach Die private Unfallversicherung – Sonderdruck aus „Der Unfallmann“, 11. Aufl. (1993) Riebesell Unfallversicherung und AUB 88, 2. Aufl. (1991) Rüffer/Halbach/Schimikowski Versicherungsvertragsgesetz (2009), §§ 179 ff. und Ziff. 1 AUB 2008 ff. Schimikowski/Höra Das neue Versicherungsvertragsgesetz (2008), S. 199 ff. Schwintowski/Brömmelmeyer Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht (2009), §§ 179 ff. Spier/Japtok Bd. I: Grundbegriffe der Unfallmedizin, 2. Aufl. (1998) Stockmeier/Huppenbauer Motive und Erläuterungen zu den Allgemeinen UnfallversicherungsBedingungen – AUB 99 (2000) Terbille/Hormuth Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 2. Aufl. (2008), § 24: Unfallversicherung van Bühren/Schubach Handbuch Versicherungsrecht, 4. Aufl. (2008), § 16: Unfallversicherung Veith/Gräfe/Lücke Der Versicherungsprozess (2005), § 7: Unfallversicherung; Wussow/Pürckhauer AUB, 6. Aufl. (1990) Wüstney Die private Unfallversicherung (1936)
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Versicherungsvertragsgesetz Artikel 1 des Gesetzes vom 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631), in Kraft getreten am 1.1.2008, zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 14.4.2010 (BGBl. I S. 410)
TEIL 2 Einzelne Versicherungszweige Kapitel 7 Unfallversicherung Vorbemerkungen zu § 178 Allgemeines zur Unfallversicherung Schrifttum André Die geschäftsplanmäßige Erklärung (1969); Armbrüster Bedeutung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes für private Versicherungsverträge, VersR 2006 1297; ders. Kontrahierungszwang im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz? NJW 2007 1494; Baumann Die Stellung der privaten Unfallversicherung in der Haftpflicht- und Sozialrechtsordnung, JZ 1979 81; Böhme Die private Unfallversicherung vor neuen Herausforderungen, VW 1981 1427; Drews Gruppen- und Sammelversicherungsverträge in der Lebensversicherung, ZfV 1984 10; Eichberger Der Unfall – eine Übersicht über einen vielfältigen Begriff, JuS 1996 1078; Claudia Fuchs Zivilrechtsgestaltende Instrumente der Aufsichtsbehörde bei der Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen nach dem VAG: Zivilrechtliche (Bindungs-)Wirkung „Geschäftsplanmäßiger Erklärungen“ vor und nach dem Dritten Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) vom 21.7.1994 (2005); Fricke Wer beweist was? – Ein Versuch über § 22 AGG –, VersR 2006 1473; Funck Ausgewählte Fragen aus dem Allgemeinen Teil zum neuen VVG aus der Sicht einer Rechtsabteilung, VersR 2008 163; Glauber Wandlungen im Recht der geschäftsplanmäßigen Erklärung, VersR 1993 12; Grimm Die neuen Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 88), VW 1988 132; Grote/Finkel Der Rücktritt von einem Altvertrag – altes oder neues Recht? VersR 2009 312; Heilmann Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – eine Herausforderung für Erst- und Rückversicherer, ZfV 2006 679; Höra Materielle und prozessuale Klippen in der Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung, RuS 2008 89; Jaeger Neue Invaliditätsdeckungen – Unfall-, Lebens- oder Krankenversicherung? VW 1998 242; Knappmann Privatversicherungsrecht und Sozialrecht (Kranken- und Unfallversicherung): Unterschiede und Übereinstimmungen, RuS 2007 45; ders. Reform des Versicherungsvertragsgesetzes – Teil I, VRR 2007 408; Konen Der Versicherungsfall, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Krebs Allgemeine Unfallversicherung 1984, VW 1985 1455; Krömmelbein Der versicherungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen Deregulierung und Diskriminierung (2007); Leverenz Vertragsschluss nach der VVG Reform (2008); ders. Zu den Einwänden gegen die Prämiengestaltung in der Unfallversicherung, VersR 1997 652; Looschelders Bewältigung des Zufalls durch Versicherung? VersR 1996 529; Möhrle Die Luftfahrt-Unfallversicherung (2003); Millauer Der Gruppenvertrag in der Unfall-, Haftpflicht- und Sachversicherung, VersR 1966 421; ders. Rechtsgrundsätze der Grup-
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Kapitel 7: Unfallversicherung
penversicherung, 2. Aufl. (1966); Müller-Frank Aktuelle Rechtsprechung zur Berufsunfähigkeits(Zusatz-)Versicherung, 7. Aufl. (2007); Muschner Zur fortdauernden Anwendbarkeit der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. im Jahr 2008, VersR 2008 317; Muschner/Wendt Die Verjährung im Versicherungsvertragsrecht, MDR 2008 609; Neuhaus Neues VVG: Überlebt die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG trotz Streichung im Gesetz? RuS 2007 177; ders. Zwischen den Jahrhunderwerken – Die Übergangsregelungen des neuen VVG, RuS 2007 441; Neuhaus/Kloth/Köther Neue Frist, alte Verträge – Wann ist ein Altvertrag mit mehrjähriger Laufzeit kündbar? ZfV 2009 180; Olbrich Neues VVG: Kündbarkeit von Mehrjahresverträgen, VersPrax 2009 117; Orlowski Rechtsfragen der Insassenversicherung, VersR 1954 45; Plagemann Die Einordnung der gesetzlichen Unfallversicherung in das SGB VII, NJW 1996 3173; Präve Die VAG-Novelle 2000/2001, VersR 2001 133; ders. Die VVG-Informationspflichtenverordnung VersR 2008 151; Riehl Änderungen zur Gruppenunfall-Versicherung, VW 2001 265; Rixecker VVG 2008 – Eine Einführung, ZfS 2007 430 und 669; Römer Zu ausgewählten Problemen der VVG-Reform nach dem Referentenentwurf vom 13. März 2006 (Teil I), VersR 2006 740; Winfried-Thomas Schneider Neues Recht für alte Verträge? VersR 2008 859; Schubach Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), AnwBl. 2008 27; Sodan „Unisex-Tarife“ – Gleichbehandlung von Männern und Frauen im privatrechtlichen Versicherungswesen, ZVersWiss 2004 539; Sommer Versicherungsrecht und Sozialrecht, RuS 2007 1; Thüsing/ v. Hoff Private Versicherungen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, VersR 2007 1; Uyanik Die Klageausschlussfrist nach § 12 Abs. 3 VVG a.F. – Oder: Totgesagte leben länger? VersR 2008 468; Wagner Bedeutung des AGB-Gesetzes für die Gefahrbeschreibung in den Allg. Unfallversicherungs-Bedingungen, ZVersWiss 1977 119; ders. Grenzfälle und Ausschlüsse in der privaten Unfallversicherung, ZVersWiss 1975 619; Wandt Diskriminierung und Versicherung, in Karlsruher Forum 2004: Haftung wegen Diskriminierung nach derzeitigem und zukünftigem Recht (2005), S. 117; ders. Geschäftsabhängige Tarifierung in der privaten Krankenversicherung, VersR 2004 1341.
Übersicht Rn. A. Bedeutung der privaten Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . B. Zweck der privaten Unfallversicherung C. Entwicklung der privaten Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . II. VVG-Reform 2008 . . . . . . . . . . 1. Auswirkungen auf die AUB . . . . 2. Übergangsrecht . . . . . . . . . . a) Neuverträge . . . . . . . . . . b) Altverträge . . . . . . . . . . . aa) Schonfrist von einem Jahr . bb) Sonderregelungen . . . . . D. Rechtsnatur der privaten Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . I. Personenversicherung . . . . . . . . II. Summenversicherung . . . . . . . . . III. Schadensversicherung . . . . . . . . E. Arten der privaten Unfallversicherung I. Allgemeine Unfallversicherung . . . . II. Kinder-Unfallversicherung . . . . . . III. Gruppen-Unfallversicherung . . . . . IV. Volks-Unfallversicherung . . . . . . . V. Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr . . . . . . . . . . . . . . VI. Kraftfahrt-Unfallversicherung . . . . VII. Luftfahrt-Unfallversicherung . . . . . VIII. Strahlen-Unfallversicherung . . . . . F. Abgrenzung zwischen privater und gesetzlicher Unfallversicherung . . . .
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Rn. G. Rechtsquellen der privaten Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . I. Versicherungsvertrag . . . . . . . . . II. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . 1. Versicherungsvertragsrecht . . . . 2. Versicherungsaufsichtsrecht . . . . a) Geschäftsplan . . . . . . . . . b) Geschäftsplanmäßige Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . aa) Geschäftsplanmäßige . . . Erklärungen zur Unfallversicherung . . . . . . . . bb) Öffentlich-rechtliche Auswirkungen . . . . . . . . . cc) Privat-rechtliche Auswirkungen . . . . . . . . . c) Missstandsaufsicht . . . . . . . III. Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . 1. Gesetzlicher Rahmen . . . . . . . a) Anwendungsbereich des AGG . b) Inhalt des AGG . . . . . . . . aa) Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot . . . . . . . . bb) Rechtfertigungsgründe . . . c) Sanktionen bei Verstößen gegen das AGG . . . . . . . . . . . . d) Konkurrenzen . . . . . . . . . e) Abweichende Vereinbarungen . f) Prozessuales . . . . . . . . . . g) Flankierende Vorschriften . . .
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Rn. 2. Auswirkungen auf die allgemeine Unfallversicherung . . . . . . . . . a) Geschlecht . . . . . . . . . . . .
Rn. b) Alter . . . . . . . . . . . . . . . c) Behinderung . . . . . . . . . . . 3. Spezielle Versicherungsprodukte . . .
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A. Bedeutung der privaten Unfallversicherung Die private Unfallversicherung hat sowohl in wirtschaftlicher als auch rechtlicher 1 Hinsicht eine enorme praktische Bedeutung. Sie hat zum einen eine weite Verbreitung mit einem gewichtigen Beitragsvolumen gefunden;1 dies nicht zuletzt deshalb, weil die gesetzliche Unfallversicherung Unfälle im privaten Bereich nicht abdeckt und deshalb durch Eigenvorsorge ergänzt werden muss. Hinzu kommt, dass die finanzielle Absicherung nach Eintritt eines Unfalls auch mit hohen Versicherungssummen zu bezahlbaren Prämien erfolgen kann.2 Zum anderen wird die Bedeutung der privaten Unfallversicherung in der Rechtspraxis durch die Vielzahl an Gerichtsentscheidungen belegt, die Jahr für Jahr zu verzeichnen sind.
B. Zweck der privaten Unfallversicherung Die Unfallversicherung bezweckt grundsätzlich, dem Verletzten selbst bzw. seinen 2 Hinterbliebenen Schutz vor denjenigen Vermögensschäden zu bieten, die bei dem Verlust oder der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität infolge eines Unfalls eintreten können.3 Die Gefahr eines Unfalls kann die Unfallversicherung selbstverständlich nicht bannen. Den Eintritt des schädigenden Ereignisses kann und soll die Versicherung nicht verhindern oder ungeschehen machen. Der Abschluss eines Unfallversicherungsvertrages kann nur dazu beitragen, sich vor den wirtschaftlichen bzw. finanziellen Folgen eines Unfalls zu schützen bzw. diese auszugleichen.4
C. Entwicklung der privaten Unfallversicherung Die Unfallversicherung ist seit langem fester Bestandteil der am Markt angebotenen 3 Versicherungsprodukte. Ihre Rechtsgrundlagen haben durch die VVG-Reform 2008 mannigfaltige Änderungen erfahren.
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Nähere Informationen finden sich u.a. auf der Homepage des GDV (http://www.gdv.de/ DatenUndFakten/schadenundunfall/ inhalt.html) Des Weiteren sind Angaben zur Entwicklung der Unfallversicherung regelmäßig für jedes Geschäftsjahr vom damaligen BAV in der VerBAV (und zuvor in GB BAV) veröffentlicht worden; s. etwa VerBAV 2002
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133 f.; VerBAV 2001 89 ff. und 120 ff.; VerBAV 2000 261 f. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 1. Wussow/Pürckhauer6 Vorbemerkungen Rn. 1. Kloth Rn. A 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen2 § 47 Rn. 1; Looschelders VersR 1996 529; van Bühren/Schubach4 Hdb. § 16 Rn. 1.
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I. Überblick 4
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Die „Geschichte“ der Unfallversicherung reicht weit zurück.5 Vergleichbare Erscheinungen einer Unfallversicherung finden sich bereits seit dem Spätmittelalter. Die Anfänge der modernen Unfallversicherung liegen im 19. Jahrhundert. In England, aber auch Frankreich und Amerika fanden sich erste Versicherungen von Reisenden gegen Eisenbahnunfälle. Diese haben sich in der Folgezeit allmählich zu einer allgemeinen Versicherung gegen Unfälle jeder Art fortentwickelt.6 Mit Inkrafttreten des Reichshaftpflichtgesetzes (RHG) im Jahr 1871 gewann die Unfallversicherung in Deutschland an Bedeutung. Das Gesetz unterwarf die Unternehmer von Eisenbahnen, Gas- und Elektrizitätswerken, Bergwerken, Steinbrüchen, Gräbereien und Fabriken der Haftpflicht für Betriebsunfälle ihrer Arbeiter. Wurde durch den Unfall die Haftpflicht des Betriebsunternehmers begründet, so war dieser allerdings berechtigt, die Versicherungssumme aus einer (kollektiven) Unfallversicherung auf die Haftpflichtentschädigung anzurechnen, wenn er selbst mindestens ein Drittel der Versicherungsprämie mitgetragen hatte.7 Die Einführung der sozialen Unfallversicherung im Jahr 1885 bremste vorübergehend den Aufschwung der Kollektiv-Unfallversicherung;8 denn der Kreis der durch das Unfallversicherungsgesetz versicherten Personen deckte sich im Wesentlichen mit denen, die als Arbeiter durch das RHG geschützt waren. Unterdessen hatte sich jedoch neben der Kollektiv- die Einzel-Unfallversicherung stark weiterentwickelt. Das geweckte und gesteigerte Bedürfnis der Bevölkerung nach Unfallversicherungsschutz führte bald zu einem unerwarteten Aufschwung.9 Die verschärfte Wettbewerbssituation gab u.a. Anlass für die Gründung eines Interessenverbandes. Im Jahr 1900 schlossen sich 29 Versicherer zu dem „Verband der in Deutschland arbeitenden Unfallversicherungsgesellschaften“ zusammen, dem Vorläufer des nach dem 2. Weltkrieges gegründeten HUK-Verbandes (Verband der Haftpflicht-, Unfall-, Kraftfahrt- und Rechtsschutzversicherer).10 Letzterer vereinte sich wiederum im Jahr 1995 mit dem Verband der Sachversicherer e.V. zum Verband der Schadenversicherer e.V., der seinerseits 1997 im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) aufging. Die Verbandsgründung im Jahr 1900 war Voraussetzung für die Entwicklung allgemeiner Versicherungsbedingungen bzw. von Mustertexten für die private Unfallversicherung. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmen im Jahr 1901 wurden die AVB als Teil des Geschäftsplans der öffentlich-rechtlichen Genehmigungspflicht durch die Versicherungsaufsichtsbehörde unterworfen, um die Belange der versicherten Person zu wahren und die dauerhafte Erfüllbarkeit der Verträge sicherzustellen. Bis zum 30.6.1994 durften AVB erst nach einer Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde verwendet werden (§ 13 Abs. 1 VAG a.F.; sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Das öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis zwischen dem VR und der Auf-
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Zur Entwicklung der Unfallversicherung s. etwa Carus S. 9 ff.; Grewing Unfallversicherung S. 19 ff.; Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 6 ff.; Möhrle S. 4 f.; Riebesell S. 19 ff.; Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 2 ff. Grewing Unfallversicherung S. 21 ff.; Hiestand S. 6 ff.
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Carus S. 13; s.a. Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 54 f. Motive zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 179 S. 719. Carus S. 14 f.; Hiestand S. 10 ff. Grewing Unfallversicherung S. 26 f.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
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sichtsbehörde entfaltete indes keine unmittelbaren, sondern nur mittelbare Wirkungen auf das zivilrechtliche Rechtsverhältnis zwischen VN und VR: 11 Einerseits führte die Genehmigung des neuen Geschäftsplans nicht zu einer unmittelbaren Umgestaltung der Versicherungsvertragsverhältnisse. Vielmehr wirkte die Genehmigung nur mittelbar in der Art, dass der VR im Verhältnis zum BAV berechtigt war, gegenüber seinen Vertragspartnern mit zivilrechtlichen Instrumentarien Änderungen am Versicherungsvertrag herbeizuführen. Andererseits hatte das Genehmigungserfordernis für AVB nicht zur Folge, dass Versicherungsverträge (nach § 134 BGB) unwirksam bzw. nichtig waren, die unter Einbeziehung ungenehmigter Bedingungen abgeschlossen wurden.12 Bei Verstößen gegen das Genehmigungserfordernis konnte das BAV im Rahmen der Missstandsaufsicht eingreifen. Die ersten gemeinschaftlichen Versicherungsbedingungen für die Einzel-Unfallversiche- 9 rung (Verbandsbedingungen) genehmigte das Kaiserliche Aufsichtsamt im Jahr 1904.13 Das Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30.5.1908, das mit §§ 179 bis 185 a.F. einige Vorschriften über die Unfallversicherung enthielt, machte eine Überarbeitung der Verbandsbedingungen erforderlich. Im Jahr 1910 genehmigte das Amt zwei Neufassungen, die zwischen Renten- und Kapitalzahlung unterschieden.14 Grundlegende Änderungen brachten die „Neuen Verbandsbedingungen“, die die Aufsichtsbehörde – seit 1919 das Reichsaufsichtsamt – im Jahr 1920 genehmigte.15 Sie prägten in der Folgezeit die AVB für die Einzelunfallversicherung.16 Eine Neuveröffentlichung der AVB erfolgte im Jahr 1937.17 Nach einer Vorlaufzeit von rund 11 Jahren18 genehmigte das BAV 1961 eine neue AUB- 10 Generation – nämlich die AUB 61.19 Diese unterlagen in den Folgejahren einer Reihe von inhaltlichen Modifizierungen, Ergänzungen und Änderungen, die dazu führten, dass das Leistungsangebot und der Kreis der versicherbaren und versicherungsfähigen Personen allmählich erweitert wurde.20 Ein Eingriff in den Aufbau der Bedingungen oder ihre materielle Grundsubstanz erfolgte indes nicht. Das am 1.4.1977 in Kraft getretene AGB-Gesetz,21 die Kritik Wagners an den AUB 11 6122 und von den Bedingungsgebern nicht beabsichtigte Entwicklungen in der Rechtsprechung führten dazu, die AUB 61 einer grundlegenden Überarbeitung zu unterziehen. Es sollten modernere und kundenfreundlichere Bedingungen geschaffen werden, die dem faktischen Ablauf der Beziehungen zwischen VN und VR folgten („Story-Idee“). Verschieden bezeichnete Rechtsbegriffe wurden vereinheitlicht. Darüber hinaus erfolgte eine Textstraffung und verständlichere Gestaltung, die u.a. beinhaltete, dass einige Bestimmungen mit nur geringer praktischer Bedeutung gestrichen wurden (Ärzteausschussver-
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BVerwG 16.7.1968 NJW 1968 2258, 2259 = VerBAV 1968 278, 280. S.a. Beschlusskammerentscheidung des BAV 21.1.1958 VerBAV 1958 96 f. Abgedruckt und kommentiert bei GerhardHagen S. 731–761; dazu auch VA 1904 92 f. VA 1910 182 ff. VA 1920 92 ff. und 102 ff. Zur Entwicklung der Unfallversicherung in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg Carus S. 15 ff.; Grewing Unfallversicherung S. 30 f.; eine Kommentierung findet sich bei Wüstney S. 1 ff.
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VA 1937 61 ff. Näher zu den Hintergründen Grewing Entstehungsgeschichte S. 5 f. VerBAV 1961 211 ff. (dazu auch GB BAV 1961 48 f.); die letzte genehmigte Fassung findet sich in VerBAV 1984 10 ff.; ferner etwa VerBAV 1972 251 f.; VerBAV 1962 218. Zu Vorgängerversionen s. VerBAV 1958 235 ff. und 292. Näher Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 7. S. dazu auch VerBAV 1979 261 f. Wagner ZVersWiss 1975 619 ff.; ders. ZVersWiss 1977 119 ff.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
fahren, Heilkostenversicherung).23 Weiterhin sollte der tendenziellen Wandlung der Unfallversicherung von einer Versicherung für vorwiegend erwachsene Berufstätige zu einer „Jedermannsversicherung“ für alle Altersklassen und Bevölkerungsgruppen Rechnung getragen werden (dazu Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 40). Wichtigste Änderung war die Neufassung des Invaliditätsbegriffs.24 Darüber hinaus wurde angestrebt, Entwicklungen auf technischem (Strahlen- und Kernenergie) und medizinischem Gebiet (z.B. Aids) zu berücksichtigen.25 Die AUB 88 wurden den Unfall-VR ab 1.1.1988 zur geschäftsplanmäßigen Verwendung genehmigt.26 Bei den AUB 88 handelt es sich im Vergleich zu den AUB 61 um ein völlig neues Regelwerk, das für den VN per saldo günstiger ist,27 aber neben Verbesserungen auch Verschlechterungen beinhaltet.28 Eine Prämienerhöhung war mit der Einführung der AUB 88 nicht verbunden.29 Vorteilhaft für den VN ist u.a.: die Erhöhung des Gliedertaxwertes für den Verlust eines Auges von 30 % auf 50 %. Insgesamt vorteilhaft ist auch der Verzicht auf die „gleitende Bewertung“ von Schäden an paarigen Sinnesorganen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 44). Nachteilig für den VN ist u.a. die Streichung der Leistungsart für den Ersatz von Heilungskosten (s. Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 4) und der grundsätzliche Ausschluss für Infektionen (s. Ziff. 5.2.4 AUB 2008 Rn. 15). Das Dritte Durchführungsgesetz/EWG zum VAG vom 21.7.199430 führte zu gravie12 renden und grundlegenden Änderungen des Versicherungsrechts. Durch die sog. Deregulierung entfiel zum Stichtag 1.7.1994 das Jahrzehntelang bestehende (präventive) Erfordernis der aufsichtsbehördlichen Genehmigung von AVB. Stattdessen wurde die Verbraucherinformation eingeführt (§ 10a VAG, § 5a a.F.). Der neuen Gesetzeslage trugen die AUB 94 Rechnung. Das Bedingungswerk enthielt indes im Vergleich zu den AUB 88 keine wesentlichen unfallspezifische Veränderungen. Bereits 1994 waren sich die Bedingungsgeber dahingehend einig, dass die Verbraucher13 freundlichkeit der AUB weiter verbessert werden sollte, nicht zuletzt um einen Beitrag zur Markttransparenz im Kernbereich der privaten Unfallversicherung zu leisten. Im Vordergrund der Arbeiten für die AUB 99 standen Fragen des Aufbaus und der Verständlichkeit (moderne Sprache, einfache Wortwahl, kürzere Sätze, persönliche Ansprache des Kunden durch „Wir-und-Sie-Formulierungen“, Voranstellen einer Gliederung in Frageform). Insbesondere wurde die „Story-Idee“ der AUB 88/94 aufgegeben. Auch wurde die bisherige Einteilung der AUB in Paragraphen sowie römische und arabische Ziffern zugunsten einer numerischen Gliederung geändert, die den Anforderungen von DIN 1421 entspricht. Zitierschwierigkeiten bei tiefen Unterteilungen (z.B. Ziff. 2.1.2.2.1 AUB 99) nahm der GDV hin.31 Daneben erfolgte eine Vereinheitlichung „spartenübergreifender Klauseln“, um z.B. bei Bündelungspolicen Irritationen des Kunden durch unterschiedliche Regelungen etwa zur Beitragszahlung, zu den Rechtsfolgen bei Obliegenheitsverletzungen usw. zu vermeiden. Des Weiteren wurden die einzelnen Bedingungen auch inhaltlich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und der tatsächlichen Entwicklungen am Markt auf den Prüfstand gestellt.32 Folgerichtig weisen die AUB 99
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VerBAV 1987 417 (s.a. GB BAV 1986 79 f. Nr. 9.2.1); näher Grimm VW 1988 132; Konen/Lehmann S. 3 ff.; ferner Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 8. VerBAV 1987 417 (s.a. GB BAV 1986 79 Nr. 9.2.1). Wussow/Pürckhauer6 Vorbemerkungen Rn. 6. VerBAV 1987 417 ff. (dazu auch GB BAV 1987 79 Nr. 9.2.1.).
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Grimm VW 1988 132, 137. OLG Bamberg 13.3.1997 VersR 1998 833, 834; OLG Hamm 17.3.1993 VersR 1994 37, 38 = RuS 1993 441. LG Coburg 23.7.1996 VersR 1998 1102. BGBl. I S. 1630. Stockmeier/Huppenbauer S. 2. Stockmeier/Huppenbauer S. V und 1 ff.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
nicht nur ein neues Konzept, sondern auch einige materiell-rechtliche Veränderungen gegenüber den AUB 88/94 auf. Diese sind überwiegend positiv für den VN.33 Vorteilhaft für den VN ist z.B. die Herabsetzung der Schwelle bei der Übergangsleistung, da nunmehr eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit von 50 % genügt (Ziff. 2.2 AUB 2008 Rn. 8), und die Beschränkung der Ruhensregel auf den Weltkriegsfall (Ziff. 10.4 AUB 99/2008). Nachteilig für den VN kann sich u.a. auswirken, dass die Frist zur Geltendmachung der Übergangsleistung nicht mehr Obliegenheit, sondern Anspruchsvoraussetzung ist (Ziff. 2.2 AUB 2008 Rn. 8) sowie bei einer Änderung der Berufstätigkeit der Grundsatz der Beitragsstabilität gilt und nicht von einer gleich bleibenden Versicherungssumme ausgegangen wird (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 11). Nicht durchsetzen konnte sich der Vorschlag, in die AUB 99 eine sog. Sozialklausel 14 aufzunehmen, nach der bei unvorhergesehener und nachgewiesener Notlage (z.B. Berufsund Erwerbsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Getrenntleben oder Ehescheidung) dem VN ein Wahlrecht zwischen dem Ruhen und der Aufhebung des Vertrages zur nächsten Beitragsfälligkeit eingeräumt werden sollte. Grund hierfür war, dass die Vielzahl der denkbaren Notlagen für den VN nicht eindeutig definiert werden konnte und die Verfasser der AUB 99 eine Missbrauchsgefahr befürchteten.34 Neben den AUB hat der GDV auch die wichtigsten Zusatzbedingungen und Besonde- 15 ren Bedingungen angepasst. Auf die Aktualisierung praktisch unbedeutender Bedingungswerke wurde verzichtet.35 Zu ihnen zählen etwa: • • • • • •
die Beamten-Unfallversicherung (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 252), der Einschluss von Bewusstseinsstörungen in die Unfallversicherung (Ziff. 5.1 AUB 2008 Rn. 93), die Besonderen Bedingungen für die Firmengäste-Unfallversicherung,36 der Ausschluss von bestimmten Gesundheitsschäden (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 30), die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung der Reiter von Miet- und Leihpferden,37 die Zusatzbedingungen für den Einschluss von Schmerzensgeld in die Allgemeine Unfallversicherung,38 • die Besonderen Bedingungen für die Spezial-Jagdunfallversicherung,39 • die Besonderen Bedingungen für die Sportboot-Insassen-Unfallversicherung.40
Nach der Deregulierung und Schaffung der AUB 94/99 erfuhr der gesetzliche Rahmen 16 für alle Versicherungssparten weitere gravierende Veränderungen. Mehrere europäische Richtlinien waren ins nationale Recht umzusetzen. U.a. die E-Commerce-Richtlinie,41 die
33
34 35 36 37
38 39
Stockmeier/Huppenbauer S. 4; insgesamt positive Resonanz auch durch Bihr VW 1999 1329 ff. Stockmeier/Huppenbauer S. 5. Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 9. VerBAV 1987 429; VerBAV 1979 386 f. (dazu auch GB BAV 1979 86 Nr. 8123). VerBAV 1993 140 (dazu auch GB BAV 1993 73 Nr. 9.2.2); VerBAV 1987 429; VerBAV 1979 312 (dazu auch GB BAV 1979 86 Nr. 8125). VerBAV 1991 187 f. VerBAV 1987 429; VerBAV 1980 120 (dazu auch GB BAV 1979 87 Nr. 8126); VerBAV 1968 171 f.; aus der Rechtsprechung s. etwa
40
41
OLG Köln 12.5.1933 VA 1933 353 f. Nr. 2591. VerBAV 1993 140 (dazu auch GB BAV 1993 72 f. Nr. 9.2.1); VerBAV 1987 428; VerBAV 1984 17 f. und 172; VerBAV 1983 306; VerBAV 1980 234; VerBAV 1977 404 f. (dazu auch GB BAV 1977 75 Nr. 811) Richtlinie 2001/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt (Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr), ABl. EG Nr. L 178 vom 17.7.2000 S. 1.
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Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen42 und die Vermittlerrichtlinie43 führten zu mannigfaltigen Veränderungen der nationalen Gesetzesregelungen im VVG, VAG und Gewerberecht.
II. VVG-Reform 2008 17
Am 7.6.2000 hat das Bundesministerium der Justiz eine Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts eingesetzt. Die Expertenkommission erstellte zunächst einen Zwischenbericht, der keine Besonderheiten zum Unfallversicherungsrecht enthielt. Es folgte dann am 19.4.2004 der Abschlussbericht, in dem auch die bisherigen §§ 179 ff. a.F. materiell-rechtliche und redaktionelle Änderungen erfuhren. Diese Vorschläge wurden sowohl im Referenten- als auch Regierungsentwurf im Wesentlichen beibehalten. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren erfolgten keine Änderungen mehr zu speziellen Fragen der Unfallversicherung. 1. Auswirkungen auf die AUB
18
Aus dem Allgemeinen Teil des neuen VVG sind u.a. folgende Neuregelungen auch für die Unfallversicherung von großem Interesse: 44 • Beratung des VN: Neben dem Vermittler (§§ 59 ff.) trifft auch den VR gegenüber dem VN eine Beratungs- und Dokumentationspflicht vor und nach Vertragsschluss (§ 6). • Informationspflicht und Wegfall des Policenmodells: Der VR hat dem VN rechtzeitig vor Abgabe seiner zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung seine Vertragsbestimmungen einschließlich der AVB sowie die in einer Rechtsverordnung – der VVG-InfoV – festgelegten Informationen mitzuteilen (§ 7; s. dazu § 179 Rn. 94). • Abschaffung der Fünfjahresverträge: Die maximale Laufzeitbindung wird von 5 auf 3 Jahre reduziert (§ 11 Abs. 4; näher dazu Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 10). • Streichung der Klagefrist: Die bislang bestehende Möglichkeit, dem VN eine Klageausschlussfrist von 6 Monaten zu setzen (§ 12 Abs. 3 a.F.), entfällt ersatzlos (näher dazu Ziff. 14 AUB 2008 Rn. 2 f.). • Änderung der Verjährungsvorschriften: Die Verjährung bestimmt sich nach dem BGB. Lediglich § 15 sieht eine Besonderheit für das Versicherungsrecht vor (s. dazu Ziff. 15 AUB 2008 Rn.19 ff.). • Vorvertragliche Anzeigepflichten, Gefahrerhöhung und Obliegenheiten (§§ 19 ff.): Die Regelungen zu den vorvertraglichen Anzeigepflichten (vgl. Ziff. 13 AUB 2008) werden grundlegend auf neue Füße gestellt. Im Bereich der nach Vertragsschluss begangenen Obliegenheitsverletzungen (s. hierzu Ziff. 7 AUB 2008) verzichtet das Gesetz zukünftig u.a. auf das bisher geltende Allesoder-nichts-Prinzip (eingehend Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 9). • Verzug mit der Prämienzahlung (vgl. Ziff. 11 AUB 2008): U.a. entfällt die bisherige Rücktrittsfiktion für den Fall, dass der VR seinen Prämienanspruch nicht innerhalb von 3 Monaten gerichtlich geltend macht (§ 38 Abs. 1).
42
43
8
Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, ABl. EG Nr. L 271 S. 16. Richtlinie 2202/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.12.2002 über Versicherungsvermittlung, ABl. EG Nr. L 9
44
vom 15.1.2002 S. 3; umgesetzt durch das Gesetz zur Neuregelung des Vermittlerrechts vom 19.12.2006, BGBl. 2006 Teil I Nr. 63 S. 3232. Übersicht zu den wesentlichen Punkten der VVG-Reform etwa bei Römer VersR 2006 740 ff.; Schubach AnwBl. 2008 27 ff.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
Nach Vorlage des Regierungsentwurfs hat der GDV damit begonnen, seine Muster- 19 bedingungen zu überarbeiten. Im Laufe des Jahres 2007 hat er seinen Mitgliedsunternehmen u.a. neue AVB zur privaten Unfallversicherung (AUB 2008) oder Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr unverbindlich empfohlen. Dem VR stand gemäß § 1 Abs. 3 EGVVG bis Ende 2008 ein Anpassungsrecht mit Wirkung zum 1.1.2009 zu (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2009 Rn. 30 ff.). 2. Übergangsrecht Die VVG-Reform 2008 macht es notwendig, zwischen Neu- und Altverträgen zu 20 unterscheiden. Je nachdem, wann der Vertrag zustande gekommen ist, sind zwei unterschiedliche Rechtsordnungen maßgebend: Anwendbares Recht bis 31.12.2007
Anwendbares Recht ab 1.1.2008
Altvertrag (Vertragsschluss bis 31.12.2007)
VVG a.F. (Art. 1 Abs. 1 EGVVG)
VVG a.F. (Art. 1 Abs. 1 EGVVG) bis 31.12.2008 VVG 2008 ab 1.1.2009
Neuvertrag (Vertragsschluss ab 1.1.2008)
–
VVG 2008 (Art. 12 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts)
Versicherungsfall bis 31.12.2008 bei Altvertrag
VVG a.F. (Art. 1 Abs. 2 EGVVG)
VVG a.F. (Art. 1 Abs. 2 EGVVG)
Entscheidend für die Einordnung als Alt- oder Neuvertrag ist der formelle Vertragsschluss.45 Abzustellen ist auf den Zeitpunkt, zu dem zwei übereinstimmende Willenserklärungen der Vertragsparteien (Angebot und Annahme) vorliegen. Im Antrags- und Policenverfahren war mithin der Zugang der Annahmeerklärung des VR beim VN maßgebend. Unerheblich war dagegen, wann der VN den Antrag gestellt hat46 und ob noch eine Widerspruchs-, Widerrufs- oder Rücktrittsfrist nach §§ 5a, 8 Abs. 4 und 5 a.F. lief.47 Ist es im Jahr 2008 zu einer Vertragsänderung gekommen, kann sich die Frage stellen, ob es sich hierbei bereits um einen Neu- oder noch um einen Altvertrag handelt. Die Frage lässt sich nicht allgemein beantworten. Entscheidend wird die mit Wertungen behaftete Überlegung sein, ob die vorgenommene Änderung einem Neuabschluss gleichkommt (Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 22 f.). a) Neuverträge. Für Neuverträge sind ab Inkrafttreten des VVG 2008 am 1.1.2008 21 die neuen Regelungen zu beachten (Art. 12 VVG RefG). Um hier eine gesetzeskonforme Umsetzung sicherzustellen, waren die VR gehalten, sämtliche vertragsrelevanten Dokumente (z.B. AVB, Antrags- und Policentexte, Verbraucher- bzw. Vertragsinformationen, Prospekte und Beratungsunterlagen, Kundenbriefe, Bearbeitungshilfen, vertriebsunterstützendes Material), die durch das neue VVG betroffen sein können, zu überprüfen und ggf. anzupassen. In diesem Zusammenhang hat auch der GDV seinen Mitgliedsunternehmen neue unverbindliche Musterbedingungen und Musterformulare zur Verfügung gestellt, die der aktuellen Gesetzeslage Rechnung tragen. So sind u.a. neben den AUB
45 46 47
So auch Funck VersR 2008 163, 168. So aber Rixecker ZfS 2007 669, 670. Leverenz Rn. 3/97; a.A. Höra RuS 2008 89,
90, der auf den Ablauf der Widerspruchsfrist abstellt.
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Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
2008 auch Vorschläge für Produktinformationsblätter und Belehrungstexte i.S.v. § 19 Abs. 5, § 28 Abs. 3 und § 186 entwickelt worden. Weiterhin waren im Zuge der Umsetzungsmaßnahmen zum neuen VVG u.a. die Vertragsschlussverfahren (§ 179 Rn. 95 ff.), Verwaltungs- und Leistungsprogramme auf den Prüfstand zu stellen sowie der Innenund Außendienst zu schulen (s.a. Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 47).
22
b) Altverträge. Für Altverträge wird es für eine gewisse Zeit notwendig sein, verschiedene VVG-Fassungen heranzuziehen. Zwar war der Gesetzgeber bestrebt, möglichst schnell einen einheitlichen neuen Rechtsrahmen für die Beurteilung von Versicherungsverträgen zu schaffen. Er entschied sich deshalb im Grundsatz dafür, Alt- bzw. Bestandsverträge mit Vertragsschluss vor dem Inkrafttreten der VVG-Reform am 1.1.2008 keinem Bestandsschutz zu unterwerfen, sondern das neue VVG auch auf diese Vertragsverhältnisse im Wege der unechten Rückwirkung zu erstrecken (Art. 12 des Reformgesetzes). Dadurch sollte zum einen gerade bei langfristig angelegten Vertragsverhältnissen ein Nebeneinander zweier unterschiedlicher Rechtsordnungen verhindert werden. Zum anderen war beabsichtigt, dass auch „Altkunden“ von der Stärkung der Rechtsstellung des VN gegenüber den VR profitieren.48 Den Grundsatz der unechten Rückwirkung hat der Gesetzgeber jedoch in zweierlei Hinsicht abgeschwächt:
23
aa) Schonfrist von einem Jahr. Zunächst sollte den VR eine einjährige Übergangszeit („Schonfrist“) eingeräumt werden, um die bestehenden AVB und Vertragsmuster an das neue Recht anzupassen und die notwendigen betriebsorganisatorischen Maßnahmen ergreifen zu können (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 30 ff.). In Ausnahme von der allgemeinen Inkrafttretungsregelung des Art. 12 des Reformgesetzes findet deshalb das VVG a.F. auf Altverträge bis zum 31.12.2008 Anwendung (Art. 1 Abs. 1 EGVVG); ab 1.1.2009 unterliegen auch diese Bestandsverträge dem neuen Recht. Wird zu einem Altvertrag ein Rechtsstreit geführt, ist für die Entscheidung der Tag der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend. Liegt dieser nach dem 31.12.2008, so tritt ein Paradigmenwechsel ein, der ggf. eine Anpassung des Tatsachenvortrags erforderlich machen kann.49
24
(1) Versicherungsverhältnis. Der Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 1 EGVVG erstreckt sich nur auf „Versicherungsverhältnisse“. Versicherungsfremde Umstände werden dagegen nicht erfasst, sondern unterliegen dem Recht, das gemäß Art. 12 des Reformgesetzes in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt Geltung beansprucht.50 Für sie gibt es kein Übergangsrecht. Nicht abschließend geklärt ist z.T., welche Folgerungen hieraus abzuleiten sind. Beispiele: • Die Vorschrift zur Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten in § 213 soll nach umstrittener Ansicht bereits ab dem 1.1.2008 zu beachten sein.51 Zweifelhaft ist aber, ob § 213 „vertragsfremd“ ist. Die Datenerhebung durch den VR erfolgt nur, wenn ein Versicherungsvertragsverhältnis mit dem VN besteht bzw. angestrebt wird. Nach Eintritt des Versicherungsfalls ist die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten für die vertragsgemäße Leistungsregulierung durch den VR häufig unabdingbar.
48
49 50
Begründung RegE zu Art. 1 Abs. 1 EGVVG, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 117 f. Höra RuS 2008 89. W.-T. Schneider VersR 2008 859, 860 f.; a.A. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner Art. 1 Rn. 4.
10
51
W.-T. Schneider VersR 2008 859, 861; a.A. Langheid/Wandt/Eberhardt § 213 Rn. 74; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 213 Rn. 98 und Art. 1 Rn. 4.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
• Für die Gerichtsstandsregelung in § 215 wird die Auffassung vertreten, dass sie keine versicherungsvertragliche Norm, sondern eine prozessuale Zuständigkeitsvorschrift enthalte, die zu den §§ 12 ff. ZPO hinzutrete. Für sie finde deshalb Art. 12 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts mit der Folge Anwendung, dass eine nach dem 1.1.2008 erhobene Klage nicht mehr auf den entfallenen Gerichtsstand der Agentur (§ 48 a.F.), sondern auf die Wohnsitzzuständigkeit (§ 215) zu stützen sei.52 Es gelte damit keine Übergangsfrist bis zum 1.1.2009. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut des Art. 1 EGVVG und seiner systematischen Einordnung, sondern auch aus seinem Sinn und Zweck. Es sei nicht notwendig, dem VR für nach dem 1.1.2008 erhobene Klagen Bestandsschutz und einen Übergangszeitraum zur Anpassung seiner Geschäftsvorgänge zu gewähren.53 Überzeugend ist diese Argumentation nicht. Sie hat zu einigen Diskussionen geführt, die sogar in eine „Kleine Anfrage“ der FDP-Fraktion vom 3.12.2008 an die Bundesregierung mündeten,54 und ist zutreffend auf Widerstand gestoßen. Der Begriff „Versicherungsverhältnis“ in Art. 1 Abs. 1 EGVVG reduziert sich nicht auf „Versicherungsvertragsverhältnis“, sondern umfasst auch das „Versicherungsprozessverhältnis“.55 Eine Differenzierung zwischen vertraglichen und prozessualen Umständen ist den Gesetzesmaterialien nicht in der gebotenen Deutlichkeit zu entnehmen. Art. 1 Abs. 2 EGVVG spricht vielmehr das VVG a.F. ohne Einschränkung (im Hinblick auf § 48 a.F.) an und kann – ohne Anhaltspunkte in den Materialien – auch nicht in das Wort „insoweit“ hineininterpretiert werden.56 Hätte der Gesetzgeber tatsächlich für den zeitlichen Anwendungsbereich des § 215 eine vom materiellen Vertragsrecht abweichende Rechtslage schaffen wollen, so hätte es einer klaren Anordnung bedurft, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Des Weiteren gibt es das Bedürfnis für einen Anpassungszeitraum zumindest für reine Makler- oder Direktversicherer, die es bisher gewohnt waren, nur an einem Gericht verklagt zu werden.57 Auch kann es in bestimmten Geschäftszweigen notwendig sein, die Übergangszeit mit Hilfe von Art. 1 Abs. 3 EGVVG für die Anpassung von Gerichtsstandsvereinbarungen in den AVB zu nutzen.58
(2) Abgeschlossene Sachverhalte. Der Gesetzgeber hat bewusst auf eine gesetzgeberi- 25 sche Klarstellung dazu verzichtet, dass auf Altverträge solche Vorschriften des VVG 2008 nicht anwendbar sind, die beim Abschluss des Vertrags zu beachten sind. Stattdessen gelangen weiterhin die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Altvorschriften zur Anwendung. Würde Art. 1 Abs. 1 EGVVG Anwendung auf zum Zeitpunkt des
52
OLG Saarbrücken 23.9.2008 VersR 2008 1337 f. = RuS 2009 102 f.; LG Hechingen 15.12.2008 VersR 2009 665, 666; Fricke VersR 2009 15, 20; Langheid/Wandt/ Looschelders § 215 Rn. 38 ff.; W.-T. Schneider VersR 2008 859, 861; van Bühren4 Hdb. § 1 Rn. 968; a.A. OLG Hamburg 30.3.2009 VersR 2009 531 = NJW-RR 2009 966 f.; OLG Hamm 20.5.2009 VersR 2009 1345, 1346 = RuS 2009 403, 404 = NJW-RR 2010 105 (LS); OLG Stuttgart 18.11.2008 RuS 2009 103; OLG Stuttgart 16.6.2008 RuS 2009 102; LG Lübeck Beschluss vom 28.11.2008 – 356/08B05 a; LG Osnabrück 30.1.2009 VersR 2009 1101; Abel/Winkens RuS 2009 103 ff.; Kloth Rn. S 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Klär § 215 VVG Rn. 16; Marlow/Spuhl 3 S. 299; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner § 215 Rn. 8 und Art. 1 Rn. 4; Wagner VersR 2009 1589, 1590 ff.; s.a. OLG Köln 9.6.2009 VersR
53 54
55
56 57 58
2009 1347 f. = NJW-RR 2009 1543 f. (Anwendbarkeit von § 215 jedenfalls für Klagen ab dem 1.1.2009). OLG Saarbrücken 23.9.2008 VersR 2008 1337 f. BT-Drucksache 16/11269 S. 1 f.; die Bundesregierung verzichtete darauf, eine Rechtsauffassung zur Anwendbarkeit des § 215 im Jahr 2008 zu formulieren. Jedenfalls sei die Vorschrift ab 1.1.2009 auf alle Verträge anzuwenden (BT-Drucksache 16/11480). Siehe ergänzend BT-Drucksache 16/13061 S. 17 ff. OLG Hamburg 30.3.2009 VersR 2009 531 = NJW-RR 2009 966; LG Berlin 8.12.2008 VersR 2009 386. S. etwa LG Osnabrück 30.1.2009 VersR 2009 1101. Abel/Winkens RuS 2009 103, 104. LG Berlin 8.12.2008 VersR 2009 386.
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Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
Inkrafttretens der VVG-Reform 2008 bereits vollständig abgeschlossene Sachverhalte finden, hätte dies einen Eingriff in laufende Verträge im Wege einer echten (und damit verfassungsrechtlich bedenklichen) Rückwirkung zur Folge.59 Konsequenz wäre, dass den Vertragsparteien Unmögliches abverlangt würde. Im Zeitpunkt Ihres in der Vergangenheit liegenden Handelns bzw. Unterlassens hatten die Neuregelungen noch keine Geltung. Vielmehr waren die damals bestehenden gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Häufig hatten die Vertragspartner noch nicht einmal (genaue) Kenntnis vom Inhalt der zwischenzeitlich mit der VVG-Reform 2008 eingeführten Rechtsänderungen. Aus dem Verbot der echten Rückwirkung folgt: Die Beurteilung der Entstehung eines Altvertrags richtet sich nach altem Recht. Insbe26 sondere sind die in § 7 i.V.m. der VVG-InfoV vorgesehenen Informationspflichten nicht (rückwirkend) heranzuziehen.60 Vielmehr beurteilt sich der Abschluss von Verträgen aus der Zeit vor dem 1.1.2008 etwa nach § 5a a.F. Bei der Beurteilung der Frage einer vorvertraglichen Anzeigeobliegenheitsverletzung 27 zu einem Altvertrag sind zwar die bisherigen Regelungen von §§ 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 a.F. weiterhin maßgeblich, jedoch bestimmen sich die Rechtsfolgen bei Eintritt des Versicherungsfalls erst nach dem 31.12.2008 aus dem VVG 2008 (sog. Spaltungsmodell): 61 Altvertrag (Vertragsschluss bis 31.12.2007)
Anwendbares Recht
Anmerkungen
Versicherungsfall bis 31.12.2008
§§ 16 ff. a.F.
Unerheblich für das anzuwendende Recht ist, wann ein etwaiges Gerichtsverfahren eingeleitet wird. Auch wenn die Klage erst in 2009 erhoben worden ist, gelten §§ 16 ff. a.F.
Versicherungsfall ab 1.1.2009
Spaltungsmodell: Gesetzlich nicht klargestellt • Beurteilung der Anzeigeobliegenheitsverletzung: §§ 16 ff. a.F. • Beurteilung der Rechtsfolgen: §§ 19 ff.
Nicht eindeutig ist der Fall geklärt, in dem bei einem Altvertrag ein Versicherungsfall im Jahr 2008 eintritt, der VR wegen der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit jedoch erst im Jahr 2009 den Rücktritt erklärt. Sachgerecht ist es hier, für die rechtliche Beurteilung des Rücktritts des VR das VVG a.F. jedenfalls dann anzuwenden, wenn der Rücktritt wegen einer mit dem Versicherungsfall kausal im Zusammenhang stehenden vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung erfolgt.62
28
bb) Sonderregelungen. Art. 1 Abs. 2 EGVVG bestimmt, dass das VVG a.F. auch über den 1.1.2009 hinaus Anwendung findet, wenn zu einem Altvertrag ein Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten ist. Gerade bei gedehnten Versicherungsfällen kann das alte Recht mithin noch auf Jahre hinaus zu beachten sein.63 59 60 61
W.-T. Schneider VersR 2008 859, 862. W.-T. Schneider VersR 2008 859, 862. Begründung RegE zu Art. 1 Abs. 1 EGVVG, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006
12
62 63
S. 118; näher Marlow/Spuhl 3 S. 61 ff.; ferner etwa W.-T. Schneider VersR 2008 859, 862 f. Eingehend Grote/Finkel VersR 2009 312 ff. Höra RuS 2008 89, 90.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
Die neuen Vorschriften der §§ 69 bis 73 über die Vertretungsmacht des Versiche- 29 rungsvertreters und der in § 73 erfassten Vermittler sind bereits ab 1.1.2008 anzuwenden (Art. 2 Nr. 1 EGVVG). Gravierende Änderungen ergeben sich dadurch nicht, da §§ 69 ff. die schon geltende „Auge-und-Ohr-Rechtsprechung“ umsetzen. Neu ist allerdings, dass eine Beschränkung der Vollmacht des Versicherungsvertreters fortan nicht mehr möglich ist (§ 72; näher Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 6 und 10). Die Verjährungsfrist für Ansprüche aus der Unfallversicherung beträgt nicht mehr zwei 30 (§ 12 Abs. 1 S. 1 a.F.), sondern nunmehr drei Jahre (§ 195 BGB, Ziff. 15.1 AUB 2008). Diesem Umstand trägt Art. 3 EGVVG in Anlehnung an Art. 229 § 6 EGBGB Rechnung. Stichtag ist der 1.1.2008 (Art. 3 Abs. 1 EGVVG). • Art. 3 Abs. 1 EGVVG erfasst nur Ansprüche, die am 1.1.2008 noch nicht verjährt sind. Auf Ansprüche, die bereits vor dem 1.1.2008 verjährt sind, findet § 195 BGB folglich keine Anwendung. Für sie gilt ausschließlich § 12 a.F. Liegt der Beginn, nicht aber das Ende der Verjährung vor dem 1.1.2008, ist die kürzere Verjährungsfrist maßgebend (Art. 3 Abs. 2 EGVVG). Bestimmte sich z.B. der Verjährungsbeginn für den Anspruch aus der Unfallversicherung auf den 31.12.2007, so bleibt es bei der zweijährigen Frist nach § 12 Abs. 1 VVG a.F.; § 195 BGB greift nicht ein.64 • Art. 3 EGVVG regelt allein den zeitlichen Anwendungsbereich des § 195 BGB zur Verjährungsdauer. Keine Aussage trifft die Vorschrift zum Verjährungsbeginn. Deshalb verdrängen die nach dem neuen Versicherungsrecht geltenden Bestimmungen zum Verjährungsbeginn (§ 199 BGB, dazu Ziff. 15 AUB 2008 Rn. 11 ff.) das VVG a.F. nicht ab dem 1.1.2008, sondern erst nach dem 31.12.2008 (Art. 1 Abs. 1 EGVVG). Bis dahin bestimmt sich der Beginn der Verjährungsfrist bei Altverträgen noch allein nach § 12 Abs. 1 S. 2 a.F.65
Die Klageausschlussfrist des § 12 Abs. 3 a.F. ist im Zuge der VVG-Reform 2008 ab- 31 geschafft worden (Ziff. 14 AUB 2008 Rn. 2). Für (Neu-)Verträge, die ab dem 1.1.2008 zustande gekommen sind, erlangt die Frist keine Bedeutung mehr. Fraglich ist, was für vor dem 1.1.2008 geschlossene Altverträge gilt. Unstreitig ist, dass die Frist für Altverträge noch Bedeutung erlangt, wenn sie vor dem 1.1.2008 begonnen hat und noch im Jahr 2007 abgelaufen66 oder vor dem 1.1.2008 begonnen und erst im Jahr 2008 verstrichen ist, also der Versicherungsfall bis zum 31.12.2007 eingetreten und dem VN eine ordnungsgemäße Leistungsablehnung mit Rechtsfolgenbelehrung nach § 12 Abs. 3 a.F. vor dem 1.1.2008 zugegangen ist.67 Nachdem für den zweiten Fall zunächst noch Rechtsunsicherheiten bestanden,68 wurde relativ spät im Gesetzgebungsverfahren mit Art. 1 Abs. 4 EGVVG eine ausdrückliche Regelung geschaffen.69 Beispiel: 1.9.2007: Geltendmachung von Invaliditätsleistungen durch den VN → 30.12.2007: Zugang der Leistungsablehnung des VR mit ordnungsgemäßer Setzung der Klageausschlussfrist nach § 12 Abs. 3 a.F. beim VN → 15.7.2008: Klageerhebung des VN → Die Klage ist wegen Versäumung der Klagefrist abzuweisen. In Betracht kommt allerdings, dass der VR die dem VN wirksam gesetzte Frist über den 30.6.2008 hinaus verlängert.70
64
65 66 67
S.a. die Beispiele bei Kloth Rn. P 8; Muschner/Wendt MDR 2008 609, 613; Neuhaus RuS 2007 441, 444. Muschner/Wendt MDR 2008 609, 612. OLG Karlsruhe 5.6.2008 VersR 2008 1250. Bruck/Möller/K. Johannsen § 15 Rn. 3; Marlow/Spuhl 3 S. 4; Muschner VersR 2008 317, 318; Neuhaus RuS 2007 441, 442; Rixecker
68 69
70
ZfS 2007 430, 431; W.-T. Schneider VersR 2008 859, 864. S. Neuhaus RuS 2007 177, 179 f. S.a. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu Art. 1 Abs. 4, BTDrucksache 16/3945 vom 28.6.2007 S. 100. Marlow/Spuhl 3 S. 4.
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Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
Umstritten ist dagegen, ob eine im Jahr 2008 gesetzte Klageausschlussfrist noch relevant werden kann.71 Z.T. wird die Auffassung vertreten, die Klagefrist könne ohne Einschränkung für Versicherungsfälle zwischen dem 1.1. und 31.12.2008 gesetzt werden,72 wobei eine Anwendung des § 12 Abs. 3 a.F. selbst dann noch zulässig sei, wenn (z.B. nach aufwändiger Leistungsprüfung) die Entscheidung des VR erst in den Folgejahren (z.B. 2010 oder 2011) erfolge.73 Allerdings treffe in solchen Fällen den VR eine besondere Aufklärungspflicht.74 I.E. wird jedoch der einschränkenden Gesetzauslegung zu folgen sein, so dass § 12 Abs. 3 a.F. nur für Fristen gilt, die noch im Jahr 2007 gesetzt worden sind: Einerseits bestimmt Art. 1 Abs. 1 EGVVG, dass das alte Recht bis zum 31.12.2008 anzuwenden ist. Fernerhin sieht Art. 1 Abs. 2 EGVVG die Anwendung des VVG a.F. für Versicherungsfälle zu Altverträgen bis zum 31.12.2008 vor. Dies spricht dafür, die Anwendung des § 12 Abs. 3 a.F. auch noch in der Übergangszeit zuzulassen.75 Andererseits ordnet Art. 1 Abs. 4 EGVVG an, dass eine vor dem 31.12.2007 in Lauf gesetzte Ausschlussfrist über den 1.1.2008 weiterläuft. Daraus kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass § 12 Abs. 3 a.F. nicht mehr eingreifen soll, wenn die Frist nach dem 31.12.2007 begonnen hat. Dagegen spricht zwar, dass Art. 1 Abs. 1 EGVVG a.E. den Art. 1 Abs. 4 EGVVG nicht als vorrangige Sondervorschrift nennt.76 Überzeugend ist diese formale Argumentation indes nicht; denn sie führt dazu, dass Art. 1 Abs. 4 EGVGG gegenüber der Grundregel des Art. 1 Abs. 1 EGVVG überflüssig wäre.77 Hinzu kommt die Erwägung, dass Art. 3 Abs. 1 bis 3 EGVVG für die Verjährung ein Günstigkeitsprinzip mit der Folge vorsieht, dass bei divergierendem Fristablauf grundsätzlich die kürzere Frist gelten soll. Art 3 Abs. 1 bis 3 EGVVG finden nach Art. 3 Abs. 4 EGVVG entsprechend Anwendung auf die Klageausschlussfrist des § 12 Abs. 3 a.F. Überträgt man das Günstigkeitsprinzip auf die Beurteilung des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 12 Abs. 3 a.F., so bedeutet dies, dass für Klageausschlussfristen, die nach dem 31.12.2007 gesetzt sind, immer das neue Recht einschlägig ist, weil dieses überhaupt keine Frist nach § 12 Abs. 3 a.F. mehr vorsieht.78 Die VVG-Reform 2008 hat dazu geführt, dass dem VN ein Sonderkündigungsrecht 32 nicht mehr nach fünf (§ 8 Abs. 3 a.F.), sondern bereits nach drei Jahren zusteht (§ 11 Abs. 4; Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 10). Umstritten ist, ob dieser Tatbestand unter Art. 1 Abs. 179 oder Art. 3 Abs. 4 EGVVG80 zu subsumieren bzw. die Mindestvertragsdauer vom (formellen) Beginn81 der Versicherung oder vom 1.1.2008 an zu berechnen ist. Die Beurteilung erlangt durchaus praktische Relevanz, wie die folgende Übersicht verdeutlicht: 71
72
73 74 75
Ablehnend Grote/Schneider BB 2007 2689, 2701; Höra RuS 2008 89, 91; Knappmann VRR 2007 408; Marlow/Spuhl 3 S. 5; Rixecker ZfS 2007 430, 431 und 669, 670; W.-T. Schneider VersR 2008 859, 864; Uyanik VersR 2008 468, 470; wohl auch Bruck/Möller/K. Johannsen § 15 Rn. 3. LG Dortmund 28.5.2009 – 2 O 353/08; Kloth Rn. S 8; Mertens VersR 2007 825; Müller-Frank S. 177 f.; Neuhaus RuS 2007 441, 442 f.; ders. RuS 2007 177, 180. Muschner VersR 2008 317, 319. So Muschner VersR 2008 317, 319; Neuhaus RuS 2007 177, 180 (mit Textvorschlag). Mertens VersR 2007 825; Müller-Frank S. 177 f.; Neuhaus RuS 2007 441, 442.
14
76 77 78
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81
Muschner VersR 2008 317, 318. Höra RuS 2008 89, 91; Uyanik VersR 2008 468, 470. W.-T. Schneider VersR 2008 859, 864; Uyanik VersR 2008 468, 470; s.a. Marlow/ Spuhl 3 S. 5. So Versicherungsombudsmann 3.4.2009 VersR 2009 913, 914; ferner Bruck/Möller/ K. Johannsen § 11 Rn. 4 (ohne nähere Begründung); Olbrich VersPrax 2009 117, 120 f. So Funck/Pletsch VersR 2009 615, 616 f.; Neuhaus/Kloth/Köther ZfV 2009 180, 181 f.; W.-T. Schneider VersR 2008 859, 863 f. So Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers § 11 Rn. 51.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
Zeitpunkt des Vertragsschlusses (mit fünfjähriger Laufzeit)
Kündigungsmöglichkeit nach § 8 Abs. 3 a.F.
Kündigungsmöglichkeit nach § 11 Abs. 4
Neuverträge ab 1.1.2008
Kündigungsmöglichkeit nach fünf Jahren
Rechtslage unstreitig: Kündigungsmöglichkeit nach drei Jahren. Ab 1.1.2008 können für „Neuverträge“ zwar noch Laufzeiten von fünf oder auch mehr Jahren vorgesehen werden. Jedoch ist an diese nur der VR gebunden. Dem VN steht spätestens zum Ende des dritten Jahres ein Kündigungsrecht zu, da mit Inkrafttreten der VVG-Reform 2008 § 11 Abs. 4 – halbzwingend (§ 18) – zur Anwendung kommt (Art. 12 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts). Damit der VN durch eine Laufzeitvereinbarung über drei Jahren nicht von der Ausübung seines Sonderkündigungsrechts abgehalten wird, muss er bei Vertragsschluss unmissverständlich auf sein Recht aus § 11 Abs. 4 hingewiesen werden (Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 2).
Abschluss des Altvertrags am 1.7.2007
Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2012
Rechtslage streitig: • Anwendung von Art. 1 Abs. 1 EGVVG: Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2010 • Anwendung von Art. 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 S. 1 EGVVG: Kündigungsmöglichkeit zum 31.12.2010
Abschluss des Altvertrags am 1.7.2006
Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2011
Rechtslage streitig: • Anwendung von Art. 1 Abs. 1 EGVVG: Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2009 • Anwendung von Art. 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 S. 1 EGVVG: Kündigungsmöglichkeit zum 31.12.2010
Abschluss des Altvertrags am 1.7.2005
Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2010
Rechtslage streitig: • Anwendung des Art. 1 Abs. 1 EGVVG: Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2009 (bis zum 31.12.2008 war das VVG a.F. anzuwenden) • Anwendung von Art. 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 S. 2: Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2010
Abschluss des Altvertrags am 1.7.2004
Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2009
Rechtslage unstreitig: • Anwendung des Art. 1 Abs. 1 EGVVG: Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2009 (bis zum 31.12.2008 war das VVG a.F. anzuwenden) • Anwendung von Art. 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 S. 2: Kündigungsmöglichkeit zum 30.6.2009
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Kapitel 7: Unfallversicherung
Die Streitentscheidung hängt davon ab, ob der in § 11 Abs. 4 angesprochene Dreijahreszeitraum eine Frist ist, „die für die Geltendmachung oder den Erwerb oder Verlust eines Rechts maßgebend“ ist. Dies wird i.E. zu verneinen sein; es handelt sich um einen „Termin“:82 • Der Zeitraum von drei Jahren betrifft die Festlegung der Vertragsdauer bzw. der maximalen Festlaufzeit, nicht aber die „Geltendmachung“ eines Rechts.83 Für die „Geltendmachung“ sieht § 11 Abs. 4 eine andere Ausübungsfrist vor: Die Kündigung eines langfristigen Versicherungsvertrags muss nach § 11 Abs. 4 unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Schluss des Versicherungsjahres erklärt werden. Diese Kündigungserklärungsfrist ist von der VVG-Reform 2008 unberührt geblieben. • Näher liegt es, den Dreijahreszeitraum in § 11 Abs. 4 mit den Merkmalen „Erwerb oder Verlust eines Rechts“ i.S.v. Art. 3 Abs. 4 EGVVG in Zusammenhang zu bringen.84 Aber auch dies ist zweifelhaft. Ein „Rechtserwerb“ wird in § 11 Abs. 4 nicht angeordnet;85 denn das Kündigungsrecht nach spätestens dreijähriger Vertragsdauer besteht kraft Gesetzes bereits von Anfang an, nämlich mit Vertragsschluss. Ein endgültiger „Rechtsverlust“ tritt nach Ablauf von drei Jahren ebenfalls nicht ein. Das Kündigungsrecht als solches bleibt bestehen; es kann nur nicht beliebig bzw. jederzeit ausgeübt werden. Hat der VN die dreimonatige Kündigungsfrist nicht eingehalten, kann er das nach wie vor bestehende Kündigungsrecht immer noch zum Schluss des nächsten Versicherungsjahres unter Wahrung der dreimonatigen Kündigungsfrist ausüben. • Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die VVG-Reform 2008 den Verbraucherschutz verbessern soll. Die Rechtsstellung des VN wird eher gestärkt, wenn er seinen Vertrag zum Schluss des dritten Versicherungsjahres nach § 11 Abs. 4 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 EGVVG und nicht unter Anwendung der Stichtagsregelung in Art. 3 Abs. 3 und 4 EGVVG kündigen kann. Allerdings geht dies zu Lasten der VR, die im Vertrauen auf den Bestand der Fünfjahreslaufzeit dem VN Prämiennachlässe eingeräumt oder geringere Prämien kalkuliert haben.86
D. Rechtsnatur der privaten Unfallversicherung 33
Die private Unfallversicherung ist Personenversicherung und Summen- oder Schadenversicherung.87 Insbesondere die Personen- und Schadenversicherung schließen sich nicht gegenseitig aus. Vielmehr handelt es sich bei der Personen- und Summenversicherung einerseits und der Personen- und Schadenversicherung andererseits um unterschiedliche Arten der Bedarfsdeckung, die beide in der Unfallversicherung rechtlich zulässig sind.88 Ob eine abstrakte oder konkrete Bedarfsdeckung vereinbart ist, muss anhand der Regelungen zur jeweiligen Leistungsart ermittelt werden.
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83 84 85
Versicherungsombudsmann 3.4.2009 VersR 2009 913, 914; zustimmend Olbrich VersPrax 2009 117, 120 f.; a.A. Funck/Pletsch VersR 2009 615, 616; Neuhaus/Kloth/Köther ZfV 2009 180, 181 f. A.A. Neuhaus/Kloth/Köther ZfV 2009 180, 182. So Funck/Pletsch VersR 2009 615, 616. A.A. Neuhaus/Kloth/Köther ZfV 2009 180, 182.
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Darauf weisen Funck/Pletsch VersR 2009 615, 616 hin. Die Anwendung von Art. 1 Abs. 1 EGVVG sei deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. S. bereits Carus S. 4 ff.; Grewing Unfallversicherung S. 29; zur Einordnung der Unfallversicherung als Aktiven- oder Passivenversicherung Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 18. BGH 20.12.1972 VersR 1973 224 f.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
I. Personenversicherung Die Allgemeine Unfallversicherung ist eine Personenversicherung (so noch ausdrück- 34 lich § 1 Abs. 1 S. 2 a.F.); 89 denn „Objekt“ bzw. „Risikogegenstand“ der Versicherung ist die körperliche Integrität einer natürlichen Person (der versicherten Person). Sachen werden in der Unfallversicherung nicht versichert.
II. Summenversicherung Die Unfallversicherung ist in der Regel keine Schaden-, sondern eine Summenver- 35 sicherung.90 Summenmäßig festgelegt werden die wichtigsten Leistungsarten der Unfallversicherung wie die Invaliditätsleistung, das Tagegeld, das Krankenhaus-Tagegeld, das Genesungsgeld, die Übergangsleistung und die Todesfallleistung. Auf die Summenversicherung finden die Vorschriften in §§ 74 ff. zur Schadenversi- 36 cherung keine Anwendung.91 Sie können nur entsprechend herangezogen werden, wenn dies ausdrücklich wie in § 189 für das Sachverständigenverfahren und die Schadenermittlungskosten vorgesehen ist (vgl. auch §§ 184 f. a.F.). Unanwendbar ist deshalb z.B. • § 81 (§ 178 Rn. 127), der als Nachfolgevorschrift des weiter gefassten § 61 a.F. für die gesamte Schadenversicherung die vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls regelt. Ein von der versicherten Person bewusst und gewollt herbeigeführtes Ereignis ist im Übrigen kein Unfallereignis i.S.d. Unfallbegriffs (§ 178 Rn. 131). • § 87 (§ 67 a.F.),92 der den Übergang von Ersatzansprüchen in der Schadenversicherung normiert. Dadurch kann es bei drittverursachten Unfällen zu Überkompensationen kommen. Dem Unfallgeschädigten steht zum einen gegen den (häufig haftpflichtversicherten) Schädiger ein Schadensersatzanspruch z.B. aufgrund einer Gefährdungshaftung oder aus unerlaubter Handlung zu. Zum anderen erhält die geschädigte versicherte Person die Leistung aus der Unfallversicherung. Die Leistungen nach Haftpflicht- und Unfallversicherungsvertragsrecht werden zusammen häufig über den bei der versicherten Person bestehenden Bedarf hinausgehen.93 Die Behandlung solcher Fälle ist mit erheblichen dogmatischen Schwierigkeiten verbunden (§ 179 Rn. 181 ff.).
Für die Summenversicherung gilt das Prinzip der abstrakten Bedarfsdeckung.94 Be- 37 zweckt ist die Deckung eines nur (unwiderleglich) vermuteten Bedarfs unter Abstrahierung von einer tatsächlichen und feststellbaren Schadenslage.95 Die Versicherungsleistung im Einzelfall ist folglich unabhängig von dem durch den Unfall tatsächlich eingetretenen Vermögensschaden, sondern wird – ebenso wie in der Lebens- und Krankenversicherung – summenmäßig im Versicherungsvertrag (im Voraus) vereinbart.96 Jeder VN legt m.a.W.
89 90
91 92 93
BGH 20.12.1972 VersR 1973 224; Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 9. BGH 15.2.1968 VerBAV 1969 102, 103; BGH 19.11.1955 BGHZ 19 94, 99; RG 9.3.1934 VA 1934 18, 19 Nr. 2675. Prölss/Martin/Knappmann27 § 179 Rn. 1; Stiefel/Hofmann17 § 16 AKB Rn. 5. BGH 20.12.1972 VersR 1973 224; RG 9.3.1934 VA 1934 18, 19 Nr. 2675. Baumann JZ 1978 81 f., der deshalb (S. 83 ff.) eine „Überleitungsklausel“ vorschlägt, nach der es dem VN bzw. der versicherten Person im Leistungsfall obliegen soll, etwaige Scha-
94
95 96
densersatzansprüche gegen Dritte an den Unfallversicherer abzutreten. In der Praxis hat dieser Vorschlag keine Gefolgschaft gefunden. S. nur BGH 15.2.1968 VerBAV 1969 102, 103; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen2 § 47 Rn. 3. Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 10. Motive zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 179 S. 720; ferner BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 47 f.; Terbille/Hormuth2 MAH § 24 Rn. 2.
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Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
seinen Bedarf für den Versicherungsfall selbst fest.97 Gesetzliche Beschränkungen zur Höhe der Versicherungssummen oder Versicherungsleistungen bestehen nicht. Die Kumulierung von Summenversicherungen ist grundsätzlich zulässig:98 • Unverhältnismäßig hohe Unfallversicherungssummen begründen keine Überversicherung. § 74 (§ 51 a.F.) ist unanwendbar;99 denn das Leben und die Gesundheit eines Menschen sind – anders als bei der Sachversicherung – ihrem Wert nach nicht schätzbar und dementsprechend auch nicht „wertgenau“ zu versichern.100 • Die Vorschriften für die Doppelversicherung bzw. Mehrfachversicherung (§§ 77 ff., §§ 58 ff. a.F.) finden ebenfalls keine Anwendung in der Unfallversicherung als Summenversicherung.101 Vielmehr kann der VN grundsätzlich unbegrenzt viele Unfallversicherungen nebeneinander unterhalten.102 Soweit keine Besonderheiten vorgesehen sind, kann die versicherte Person im Versicherungsfall aus mehreren Unfallversicherungsverträgen bei einem oder mehreren VR (z.B. aus zwei Verträgen zur allgemeinen Unfallversicherung oder aus einem Vertrag zur allgemeinen Unfallversicherung und einem Vertrag zur Insassen-Unfallversicherung) die jeweils summenmäßig bestimmten Leistungen in Anspruch nehmen.103
Jedoch sollten die Leistungen den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der versicherten Person entsprechen, wie sie vor dem Unfall bestanden.104 Unverhältnismäßig hohe Leistungen können einerseits ein Interesse des VN am Eintritt des Versicherungsfalls begründen und Verdachtsmomente erzeugen, die gegen die Unfreiwilligkeit des Gesundheitsschadens sprechen (§ 178 Rn. 205). Andererseits kann die Vereinbarung hoher Versicherungsleistungen mit einem Prämienniveau, dass der wirtschaftlichen Situation des VN nicht Rechnung trägt, Anhaltspunkte für eine nicht bedarfsgerechte, sondern eine provisionsorientierte Beratung durch den Versicherungsvermittler geben.
III. Schadensversicherung 38
Die Unfallversicherung kann auch als Schadenversicherung betrieben werden, so dass die Leistung des VR durch die Höhe des Schadens bestimmt und begrenzt wird (konkrete Bedarfsdeckung). Dies ist indes selten. Schadenleistungen werden etwa vorgesehen in den Bedingungen • • • •
zur reinen Heilkostenversicherung (§ 8 Abs. 6 AUB 61; s.a. Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 4),105 zu den Bergungskosten (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 18), zu den kosmetischen Operationen (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 16) und zur Beihilfe für Kuren (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 17).
In der Kinder-Unfallversicherung (Rn. 41) war außerdem in älteren Bedingungswerken die Erstattung der aufgewendeten Beerdigungskosten vorgesehen. Bei all diesen Leistungsarten kommt eine (direkte, nicht nur analoge) Anwendung der allgemeinen Vorschriften über die Schadensversicherung in Betracht.106 Denkbar ist z.B. eine Anwen97 98 99
100 101
18
RG 17.3.1908 VA 1908 52 Nr. 383. Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 10. OLG Hamm 12.7.1928 VA 1928 27 Nr. 1940; ferner etwa van Bühren/Schubach4 Hdb. § 16 Rn. 9. RG 17.3.1908 VA 1908 52 Nr. 383; Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. A 13. BGH 15.2.1968 VerBAV 1969 102, 103; Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. A 17 ff.; Wussow/Pürckhauer6 § 1 Rn. 8.
102 103
104 105 106
OLG Hamm 27.6.1986 RuS 1986 267. OLG Hamm 12.7.1928 VA 1928 27 f. Nr. 1940; Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 36. Grimm 3 § 1 Rn. 14. BGH 15.2.1968 VerBAV 1969 102, 103; BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 47 f. Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 11.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
dung der §§ 77 ff. auf die Heilkostenversicherung.107 In der Praxis kommen aber solche Fälle offenbar kaum vor, da die VR im Rahmen der Beratung des VN und der Vertragsprüfung häufig schon bestehenden Unfallversicherungsschutz abfragen.108 Weiterhin kann etwa die Vorschrift des § 86 (§ 67 a.F.) zum Übergang von Ersatzansprüchen auf eine als Schadenversicherung betriebene Unfallversicherung herangezogen werden.109
E. Arten der privaten Unfallversicherung Die verschiedenen Arten der Unfallversicherung können in mehrfacher Hinsicht diffe- 39 renziert werden.110 Als Anknüpfungspunkte kommen in Betracht: • die Rechtsgrundlage: Private oder gesetzliche Unfallversicherung. • die Selbständigkeit der Unfallversicherung: Unfallversicherung als Einzelvertrag oder Unfall-Zusatzversicherung (UZV). • die Zielgruppe: Erwachsene, Kinder, Familien,111 Schüler, Senioren und Beamte, Angestellte oder Selbständige. • die Zahl der versicherten Personen: Einzel-Unfallversicherung oder Kollektiv- bzw. GruppenUnfallversicherung. • die Merkmale der versicherten Person wie Alter oder Geschlecht (z.B. Kinder-, Schüler-, Studenten- oder Senioren-Unfallversicherung). • die versicherten Risiken: „Single- oder Multiriskpolicen“, reine Risiko-Unfallversicherung oder Verknüpfung von Unfallrisiken mit anderen Elementen (z.B. Unfallversicherung mit Prämienbzw. Beitragsrückgewähr), Allgemeine Unfallversicherung oder Ausschnittsdeckung bzw. Versicherung von Sondergefahren (z.B. Kraftfahrzeug- bzw. Sportboot-Insassen-Unfallversicherung, Reiseverkehrs- bzw. Luftfahrt-Unfallversicherung und Strahlen-Unfallversicherung). • die Höhe der Versicherungssummen: Einzel-/Gruppen-Unfallversicherung oder Volks-Unfallversicherung. • die Vertriebsart: Vermittler- bzw. Maklervertrieb (persönlicher Kundenbesuch) oder Fernabsatz (z.B. Einsatz von Briefen, E-Mails, Mailings, Internet u.ä.), auch die (Zeitschriften-)AbonnentenUnfallversicherung.112 • das Medium beim Vertragsschluss: Papiernes oder elektronisches Vertragsschlussverfahren (z.B. klassischer Papierantrag, technisch unterstützter Antrag durch Nutzung von Notebooks, Automatenversicherung,113 Internetversicherung oder Telefonie).
I. Allgemeine Unfallversicherung Die Allgemeine Unfallversicherung ist das Grundmodell der privaten Unfallversiche- 40 rung. Sie stellt das Leitbild auch für spezielle Ausgestaltungen der privaten Unfallver-
107
108 109 110
Abgelehnt von LG Karlsruhe 15.5.1968 VerBAV 1969 109 f. zu § 59 Abs. 2 a.F. (kein Ausgleichsanspruch einer Ersatzkasse gegen den privaten Unfall-VR für ärztliche Behandlungskosten). Näher Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. E 12. BGH 20.12.1972 VersR 1973 224 f. S. etwa Grewing Unfallversicherung S. 79 ff.; Riebesell S. 89 ff.
111
112 113
Zur Familien-Unfall- und Sterbegeldversicherung GB BAV 1980 85 f. Nr. 810; zum beitragsfreien Einschluss minderjähriger Kinder die Familien-Unfallversicherung GB BAV 1978 72 f. Nr. 8111. Dazu etwa Carus S. 45 f.; Grewing Unfallversicherung S. 87 f. Sie ist in Deutschland nicht verbreitet; s. Näheres bei Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. C 9.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
sicherung dar.114 Ihre primären Rechtsgrundlagen finden sich in den AUB (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 2 f.). Die klassische Unfallversicherung ist als Risikoversicherung ausgestaltet,115 bei der der Eintritt des Versicherungsfalls ungewiss ist und die Beiträge „verloren“ sind, wenn während der Vertragslaufzeit kein Versicherungsfall eintritt.116 Der Unfallversicherungsschutz kann zum einen durch einen eigenständigen Vertrag begründet werden. Zum anderen ist es aber auch möglich, ihn als Zusatzversicherung an den Vertrag zu einer anderen Sparte zu knüpfen. Solche Unfallzusatzversicherungen (UZV) finden sich häufig als Bestandteil von Lebensversicherungen.117 Mit ihnen wird das Risiko des Unfalltodes abgedeckt; bei einem Tod der versicherten Person durch Unfall erhöht sich die Versicherungsleistung (z.B. Verdoppelung der Todesfallleistung). Die UZV kann sowohl gegen laufenden Beitrag als auch gegen Einmalbeitrag vereinbart werden.118
II. Kinder-Unfallversicherung 41
Die Unfallversicherung von Kindern unterlag in den letzten Jahrzehnten einigen Veränderungen:119 Ursprünglich wurde sie bis 1974 in weitgehender Übereinstimmung mit den AUB, allerdings flankiert durch einige Spezialbestimmungen, in eigenen Allgemeinen Kinder-Unfallversicherungs-Bedingungen (AKiUB)120 als eine selbständige Versicherungsart der privaten Unfallversicherung geregelt. 1974 erfolgte eine Neugestaltung der Vertragsgrundlagen. Der Versicherungsschutz richtete sich fortan grundsätzlich nach den AUB. Lediglich die Besonderheiten wurden in den „Zusatzbedingungen für die KinderUnfallversicherung“ (ZKiUV) geregelt.121 Daneben verwendeten einige VR „Besondere Bedingungen für den Einschluss von Vergiftungen in die Kinder-Unfallversicherung“.122 Nicht selten wurden beide Bedingungstypen in den „Zusatzbedingungen für die KinderUnfallversicherung mit Einschluss von Vergiftungen“ kombiniert.123 Mit der Einführung der AUB 88 kam es zu einer Anpassung der Zusatzbedingungen für die Kinder-Unfallversicherung.124 Es entfiel die Regelung zum Zahnverlust bei der Heilkostenversicherung, da die Leistungsart Heilkosten in den AUB 88 nicht mehr enthalten war (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 4). Eingefügt wurden u.a. die „Besonderen Bedingungen für die beitragsfreie Weiterführung der Kinder-Unfallversicherung beim Tode des Versicherungsnehmers“125. Im Zuge der Einführung der AUB 99 wurden die „KiUV 90“126 aufgegeben. Die Besonderheiten der Kinder-Unfallversicherung sind seitdem unmittelbar in den AUB berücksichtigt. Dieses System wurde in den AUB 2008 beibehalten. Folgende Sonderregelungen finden sich:
114 115 116 117
118 119 120
20
Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 36. Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 19. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 6. Die aktuelle Fassung des Bedingungtextes ist abrufbar unter www.gdv.de. Zu älteren Bedingungsfassungen s. u.a. VerBAV 1992 183 ff.; VerBAV 1984 6 ff.; VerBAV 1981 55 ff.; VerBAV 1975 295 ff.; VerBAV 1970 208 ff.; VerBAV 1961 89; VerBAV 1958 22 ff.; s.a. VerBAV 1958 35 ff. GB BAV 1969 54. S.a. Grimm4 KiUV Rn. 1. VerBAV 1964 131 ff.
121
122
123 124 125 126
VerBAV 1974 359 (dazu auch GB 1974 73 Nr. 810); geändert durch VerBAV 1983 152 (dazu auch GB BAV 1982 79 Nr. 8110). VerBAV 1978 206, 207 (dazu auch GB BAV 1978 72 Nr. 8110); geändert durch VerBAV 1983 152. VerBAV 1980 121; VerBAV 1978 206. VerBAV 1987 417, 422; VerBAV 1985 124; s.a. GB 1984 89 Nr. 9.2.5.2. VerBAV 1987 430. VerBAV 1990 556 ff.; s.a. GB BAV 1990 95 Nr. 9.2.1.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
• Ein Wahlrecht des VN bei Vollendung des 18. Lebensjahrs der versicherten Person, nämlich entweder unveränderte Beibehaltung der vereinbarten Versicherungssummen bei gleichzeitiger Anpassung der Prämie an den Erwachsenentarif oder unveränderte Beibehaltung des Beitrags bei gleichzeitiger Verminderung der Versicherungssumme im Verhältnis zum Erwachsenentarif (Ziff. 6 AUB 2008); • Versicherungsschutz auch für Vergiftungen (mit Ausnahme von Nahrungsmitteln; Ziff. 5.2.5 AUB 2008); • Verlängerung des Rechts auf Neubemessung der Invalidität von drei auf fünf Jahre (§ 188, Ziff. 9.4 AUB 2008); • Beitragsfreie Weiterführung des Vertrags bis zur Vollendung eines bestimmten Lebensjahres der versicherten Person bei Tod des VN vor Vollendung eines bestimmten Lebensjahres (Ziff. 11.7 AUB 2008).
Auf Grundlage der Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Invaliditäts-Zusatz- 42 versicherung von Kindern – KIZ 2008/II 127 kann der VN für das versicherte Kind Versicherungsschutz für die während der Wirksamkeit des Vertrags durch Krankheit oder Unfall unfreiwillig eingetretene Invalidität erlangen. Invalidität wird angenommen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit des versicherten Kindes mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und dessen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Weiterhin muss ein Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 vorliegen. Die Invaliditätsleistung wird als Monatsrente gezahlt, solange die Invalidität besteht und nachgewiesen wird.128 Die Rechtsnatur der Kinder-Invaliditäts-Zusatzversicherung (KIZ) wird unterschiedlich beurteilt. Dies liegt daran, dass die Unterschiede zwischen der „klassischen“ Unfall-, Lebens- und Krankenversicherung in dem Produkt miteinander vermischt werden. Die Einordnung der Invaliditätsversicherung in eine der herkömmlichen Versicherungsformen ist nicht unbedeutend, da davon abhängt, welche gesetzlichen Bestimmungen neben den AVB-Regelungen zur Anwendung gelangen.129 Während z.B. der VN in der Lebensversicherung den Vertrag bei laufender Prämienzahlung jederzeit zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen kann (§ 168 Abs. 1), ist eine feste Vertragslaufzeit von bis zu drei Jahren in der Unfallversicherung möglich (§ 11 Abs. 4). Die Versicherungsaufsicht scheint dazu zu tendieren, die KinderInvaliditäts-Zusatzversicherung der Sparte Lebensversicherung zuzuordnen.130 In der Praxis wird indes die KIZ regelmäßig als Unfallversicherung betrieben. Dies belegen bereits die KIZ-AVB, die sich – soweit möglich – an den AUB orientieren. Bedenken hiergegen greifen nicht durch. Eine Beeinträchtigung der schutzwürdigen Belange der versicherten Person, die einen aufsichtsrechtlichen Missstand begründen würde, ist jedenfalls durch die Zuordnung der KIZ zur Unfallsparte nicht erkennbar.
III. Gruppen-Unfallversicherung Der Gruppen- bzw. Kollektivversicherung kommt keine geringe praktische Bedeutung 43 zu. Bei ihr werden – im Gegensatz zur Einzel-Unfallversicherung – die Unfallrisiken 127
128
Download unter http://www.gdv.de/ Downloads/allg_Bedingungen_pSV/KIZ_ 2008_II.pdf Dazu OLG Karlsruhe 15.1.2009 VersR 2009 668, 689 = NJW-RR 2009 612 = RuS 2009 476, 477.
129 130
Jaeger VW 1998 242 f. BAV GB 1997 46 Nr. 2.12.
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mehrerer versicherten Personen in einem Vertrag zusammengefasst. Unterschieden wird üblicherweise zwischen der • Gruppenversicherung mit Namensangabe: Bei ihr hat der VN jede versicherte Person gegenüber dem VR namentlich zu bezeichnen sowie ab- und anzumelden. • Gruppenversicherung ohne Namensangabe: Bei ihr teilt der VN dem VR nicht namentlich mit, wer versicherte Person ist. Die Gefahrperson ist nicht bestimmt, sondern nur bestimmbar. Sie kann ohne jeweils erneuten Vertragsschluss ausgewechselt werden.131
Im Regelfall werden die besonderen Rechtsbeziehungen der Parteien durch die vom GDV entwickelten und bis zur Deregulierung vom damaligen BAV genehmigten (nunmehr unverbindlichen) Musterbedingungen, den „Zusatzbedingungen für die Gruppenunfallversicherung“ näher ausgestaltet.132 Der Anreiz für die Vereinbarung von Gruppenversicherungsverträgen besteht aus 44 Sicht des VN im Vergleich zur Einzel-Unfallversicherung darin, dass bei der GruppenUnfallversicherung typischerweise günstigere Beiträge und/oder verbesserter Versicherungsschutz vorgesehen wird.133 In Betracht kommt etwa, dem VN Nachlässe auf den Tarif für die Einzelversicherung einzuräumen, einen Sondertarif zugrunde zu legen oder geringere Ratenzahlungszuschläge zu vereinbaren. Für den VR kann sich die Zusammenfassung einer Mehrheit von Personen, die unter jeweils gleichen tatsächlichen Voraussetzungen dem gleichen Unfallrisiko ausgesetzt sind, in einem Vertrag anbieten, um Verwaltungsaufwand zu sparen. Der VR braucht nur einen Vertrag abschließen, Neuzugang und Ausscheiden einzelner versicherter Personen erfordern nicht jeweils den weiteren Abschluss oder die Beendigung eines Einzelvertrages, sondern vollziehen sich vereinfacht als Änderungen des bestehenden Vertrags, Vertragspartner und damit Prämienschuldner und Adressat aller im Zusammenhang mit dem Vertrag notwendigen Erklärungen ist nicht eine Vielzahl von versicherten Personen, sondern ein VN.134 Seit jeher soll die Gruppen-Unfallversicherung nur Personenkreise erfassen, die ge45 meinsame personelle Merkmale (z.B. Alter, Art der Tätigkeit, Mitgliedschaft oder Zugehörigkeit in einem Verein, Unternehmen oder Verband) aufweisen und damit abgrenzbar sowie bereits bei Vertragsschluss objektiv bestimmbar sind.135 Entsprechend einer Vorgabe des Reichsaufsichtsamts vom 8.3.1934 über Sondervergütungen und Begünstigungsverträge in der Unfall-, Haftpflicht- und Kraftfahrzeugversicherung136 kommt die Gruppen-Unfallversicherung in der Praxis typischerweise in folgenden Formen vor: • Kurzfristige Gruppenversicherung: Sie dient der Deckung einer vorübergehenden Gefahr (z.B. Sportveranstaltungen, Ausstellungen, Reisen).137 • Betriebs- bzw. Firmen-Gruppenversicherung: Sie wird von Arbeitgebern zur zusätzlichen Sicherung ihrer Betriebsangehörigen bzw. Arbeitnehmer oder zur eigenen Sicherung i.S.d. Finanzierung betrieblicher Versorgungseinrichtungen abgeschlossen.138 Der Versicherungsschutz der Arbeitnehmer kann sich auf die Unfallgefahren beschränken, die mit ihrer Betätigung für den Betrieb verbunden sind, oder sich auch auf Berufs- und Freizeitunfälle erstrecken. Der VN ist nicht gehindert, seine Arbeitnehmer im Innenverhältnis in vollem Umfang mit der anteiligen Prämie zu
131
132
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Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 37; eingehend zu den Ausgestaltungsmöglichkeiten Millauer S. 16 ff. Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 120 f.; ferner VerBAV 1987 423; VerBAV 1984 16 f.; VerBAV 1961 217; VerBAV 1958 241.
133 134 135 136 137 138
Wussow/Pürckhauer6 GrUV Rn. 2. Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. H 63. Drews ZfV 1984 10, 13; Grimm4 GrUV Rn. 2; Millauer S. 6 ff. VA 1934 98 ff.; dazu auch Millauer S. 162 ff. Millauer VersR 1966 421, 426. Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 37.
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belasten.139 Der Versicherungsschutz kann auch den Arbeitgeber, also bei Einzelfirmen den Firmeninhaber bzw. bei Personen- oder Kapitalgesellschaften die Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder einbeziehen.140 Insoweit liegt dann eine Eigenversicherung vor, die mit einer Fremdversicherung für die übrigen versicherten Personen kombiniert ist.141 Um einen Verstoß gegen die BegünstigungsVO zu vermeiden, werden für die Versicherung des Arbeitgebers folgende Mindestvoraussetzungen aufgestellt: Es müssen wenigstens drei Arbeitnehmer versichert werden und die jeweiligen Versicherungssummen des Arbeitgebers für Tod und Invalidität dürfen nicht höher sein als die Gesamtversicherungssummen sämtlicher Arbeitnehmer für Tod und Invalidität.142 • Vereins-Gruppenversicherung: Vereine können zugunsten ihrer Mitglieder Unfallversicherungsschutz vereinbaren. Dieser kann sich auf die aus der Vereinszugehörigkeit erwachsenden Unfallgefahren beschränken, aber auch weitergehenden Versicherungsschutz vorsehen.143 • Gruppenversicherung aufgrund von Benutzungsverhältnissen: Als VN kommen etwa Träger von Einrichtungen und diese selbst in Betracht (z.B. Schulen, Hochschulen, Gemeinden, Länder). Sie bezwecken zugunsten der Gruppenmitglieder die Deckung der Unfallgefahren aus der Benutzung einer Einrichtung des VN oder einer Betätigung in dieser.144
Zu denken ist fernerhin an die Kraftfahrt-Unfallversicherung.145 Dagegen waren Gruppenversicherungsbedingungen traditionell nicht für eine durch Zufall zusammengewürfelte Personengruppe oder Personenverbindungen (z.B. auf familienrechtlicher Grundlage) bestimmt.146 Daran hat sich durch die Aufhebung der Anordnung von 1934 durch § 4 BegünstigungsVO (Rn. 78) nichts geändert.147 Zwar hat die BegünstigungsVO die Definition für Gruppenversicherungsverträge nicht übernommen, jedoch sollte damit nicht der Gruppenversicherungsbegriff aufgeweicht werden. Hintergrund der Änderung im Jahr 1982 war, dass das damalige BAV bei der zu erteilenden Ausnahmegenehmigung an die Grenzen seiner Erkenntnismöglichkeiten gestoßen war, da in der Unfallversicherung die Tarife nicht zum Geschäftsplan gehörten. Das Amt musste also Tarifabweichungen prüfen, die ihm nicht bekannt waren.148 Im Übrigen belegen auch die Gestaltung und Formulierungen in den ZB GruppenUV, dass sie nicht etwa auf die Versicherung von Familien zugeschnitten sind. Des Weiteren gelten die hergebrachten Kriterien für eine Gruppe in der Unfallversicherung auch heute noch für die Lebensversicherung.149
IV. Volks-Unfallversicherung Die Allgemeinen Volks-Unfallversicherungsbedingungen (AVUB)150 decken denselben 46 Umfang der Unfallgefahr wie die AUB. Die Besonderheit der Volks-Unfallversicherung besteht darin, durch Vereinfachung der Vertragsgestaltung, insbesondere der Regulierung, Kosten zu sparen und so eine günstigere Prämienkalkulation zu ermöglichen.151 Die Volks-Unfallversicherung ist eine „Unfallversicherung mit kleineren Beträgen“ i.S.d. § 211 Abs. 1 Nr. 4 (§ 189 Abs. 1 Nr. 3 a.F.).152 Die Vorschriften der §§ 37, 38 (ferner §§ 165, 166 und 169) sind daher nicht anwendbar. Welche Versicherungssummen zwischen den Parteien vereinbart werden müssen, um noch von „kleineren Beträgen“
139 140 141 142 143 144 145 146
Millauer VersR 1966 421, 426 f. Millauer S. 12. Wussow/Pürckhauer6 GrUV Rn. 5 Grimm4 GrUV Rn. 7. Millauer VersR 1966 421, 427. Millauer VersR 1966 421, 427. Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. H 64. Grimm4 GrUV Rn. 2.
147 148 149 150 151 152
Krebs VW 1985 1455, 1457; Wussow/Pürckhauer6 GrUV Rn. 4. Grimm4 GrUV Rn. 3. S. dazu etwa Drews ZfV 1984 10 ff. S. etwa VerBAV 1966 127 ff.; VerBAV 1962 99 ff. S.a. Grewing Unfallversicherung S. 86 f. Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 38.
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sprechen zu können, wird im Gesetz nicht definiert. Die Beträge, die sich in Veröffentlichungen des Aufsichtsamtes oder in der Literatur finden, dürften veraltet sein. Im Jahr 1954 hat das BAV eine Invaliditätssumme bis zu DM 2.500,– als kleineren Betrag gekennzeichnet.153 Später hat das BAV einen Betrag für den Todesfall von maximal DM 3.000,– und für den Invaliditätsfall von höchstens DM 15.000,– akzeptiert,154 also ein Verhältnis zwischen Todesfall- und Invaliditätsleistung von eins zu fünf angenommen. Unter Berücksichtigung der Inflation müssten diese Werte heute deutlich höher anzusetzen sein. Eine Orientierung kann am Wert für die „gewöhnlichen Beerdigungskosten“ i.S.v. § 150 Abs. 3 (§ 159 Abs. 3 a.F.) erfolgen, die z.Z. mit € 8.000,– beziffert werden.155 Die Invaliditätsleistung müsste dann das Fünffache betragen dürfen. Danach sind Unfallversicherungen mit einer Todesfallleistung bis zu € 8.000,– und Invaliditätsleistungen bis zu € 40.000,– als Unfallversicherungen mit geringen Beträgen anzusehen.
V. Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr 47
Die namentlichen Bezeichnungen und gebräuchlichen Abkürzungen für die Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr variieren. Gebräuchlich sind Bezeichnungen wie Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr (UPR), Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr (UBR), Unfallversicherung mit garantierter Prämien- bzw. Beitragsrückzahlung, Unfallversicherung mit Prämienrückerstattung, Unfallversicherung mit Beitragsrückzahlung oder Unfall-Prämienrückgewähr-Versicherung. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion hat dieses Kombinationsprodukt aus einer Unfall- und kapitalbildenden Lebensversicherung bisher keine große Bedeutung erlangt. Es finden sich nur wenige Gerichtsentscheidungen. Auch die Fachliteratur hat sich mit dieser Versicherungsart eher am Rande beschäftigt,156 obwohl das Beitragsvolumen und die versicherungstechnischen Rückstellungen durchaus beträchtlich sind.157 Die Besonderheit der UBR liegt in der Verknüpfung des klassischen Unfallversiche48 rungsschutzes mit kapitalbildenden Elementen. Neben den in der privaten Unfallversicherung vorgesehenen Versicherungsleistungen erhält der VN zum vereinbarten Ablauftermin oder vorher im Fall des Todes der versicherten Person eine einmalige Kapitalleistung, die dem gezahlten Beitrag ohne Versicherungsteuer und Teilzahlungszuschlägen entspricht. Diese garantierte Kapitalleistung, zu der noch nicht garantierte Überschüsse kommen können, ist unabhängig davon, ob der VR Leistungen zur Unfallversicherung erbracht hat. Das Entgelt für die Gefahrtragung erwirtschaftet der VR während der Laufzeit der Versicherung aus der Nutzung des ihm überlassenen Kapitals (Zinsertrag aus den Prämienleistungen des VN).158 Die vom VN insgesamt zu zahlende Prämie setzt sich aus vier Rechnungsposten zusammen, nämlich159
153 154 155 156
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VerBAV 1954 182. VerBAV 1962 32; ferner Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 38 VerBAV 2001 133. Instruktiv die Ausarbeitung des DAV-Ausschusses HUK-Versicherungen vom 22.8. 2008, abrufbar unter http://www.aktuar.de/ download/dav/veroeffentlichungen/ EINORDNUNG-UBR-2008-08-Endfassung.pdf.
157
158
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S. etwa GB BAV 2001 48 Nr. 7.1.1; GB BAV 2000 39 Nr. 7.1; GB BAV 1999 55 Nr. 7.2.1.; GB 1998 59 Br. 7.2.2. BFH 28.11.1961 VerBAV 1962 163, 164; Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 20 und B 39; Bruck/Möller/Winter8 Anm. B 121. BFH 5.8.1965 VerBAV 1966 30, 31 f.; BFH 28.11.1961 VerBAV 1962 163, 164.
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• der Sparprämie. Ihre verzinsliche Anlage ergibt das Deckungskapital, das zur Rückzahlung der Prämie erforderlich ist. • der Risikoprämie. Mit ihr werden die laufenden Versicherungsfälle gedeckt. • der Kostenprämie. Sie dient der Deckung der einmaligen und laufenden Kosten (Abschluss- und Verwaltungskosten). • den Sicherheitszuschlägen, die zur Deckung unvorhergesehener Abweichungen von der Kalkulation dienen.
Weitere Besonderheiten der UBR gegenüber der „normalen“ Unfallversicherung bestehen u.a. darin, dass eine Reihe von Anleihen aus der Lebensversicherung genommen wird. So ist eine Umwandlung der Kapitalversicherung in eine beitragsfreie Kapitalversicherung möglich. Weiterhin kann ein Rückkaufswert verlangt werden. Einzelheiten zur UBR ergeben sich aus den Allgemeinen Bedingungen für die Unfall- 49 versicherung mit garantierter Beitragsrückzahlung (AB UBR 2008).160 Im Übrigen gilt im Grundsatz das allgemeine Versicherungsvertrags- und Versicherungsaufsichtsrecht. Anders als die Unfallversicherung oder Lebensversicherung ist die UBR allerdings nicht explizit in einem eigenen Gesetzesabschnitt geregelt. Vereinzelte Regelungen finden sich u.a. im Versicherungsaufsichtsrecht (§§ 11d, 13d Nr. 6,161 65 Abs. 4, 80c VAG, § 4 Abs. 3 S. 2 DeckRV162 und § 4 AktuarV), im Bereich der Geldwäsche (§§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 GwG) oder des Steuerrechts (§ 6 Abs. 2 Nr. 6 VersStG). So sind nach § 11 d VAG etwa die für die Lebensversicherung geltenden Vorgaben des § 11 VAG hinsichtlich der Prämienkalkulation und des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch für die UBR zu beachten. Ferner ist wie bei der Lebensversicherung ein verantwortlicher Aktuar zu bestellen (§ 11a VAG). Dem lag die Erwägung zugrunde, dass der Lebensversicherungsteil der UBR versicherungstechnisch eine kapitalbildende Lebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall mit gleichmäßig steigender Versicherungssumme darstellt163 bzw. die Rechnungsgrundlagen für den in der UBR enthaltenen Lebensversicherungsanteil weitgehend mit denen einer Lebensversicherung übereinstimmen.164 Weiterhin sieht § 2 Abs. 5 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 bis 8 und Abs. 2 VVG-Info (s.a. Anlage D Abschnitt II Nr. 2 zum VAG a.F.) wie bei der Lebensversicherung für die UBR zusätzliche Informationspflichten vor. Danach hat der VR dem VN gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 VVG zusätzlich zu den allgemeinen Informationen nach § 1 Abs. 1 VVG-InfoV folgende Informationen zur Verfügung zu stellen:165 • Angaben über die für die Überschussermittlung und Überschussbeteiligung geltenden Berechnungsgrundsätze und Maßstäbe; • Angabe der in Betracht kommenden Rückkaufswerte; • Angaben über den Mindestversicherungsbeitrag für eine Umwandlung in eine prämienfreie oder eine prämienreduzierte Versicherung und über die Leistungen aus einer prämienfreien oder prämienreduzierten Versicherung; • das Ausmaß, in dem die Leistungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 und 5 VVG-InfoV garantiert sind; • bei fondsgebundenen Versicherungen Angaben über die der Versicherung zugrunde liegenden Fonds und die Art der darin enthaltenen Vermögenswerte;
160
161 162
Abrufbar unter http://www.gdv.de/ Downloads/allg_Bedingungen_pSV/ABUBR_ 2008.pdf; die AB UBR 2000 sind abgedruckt bei Grimm4 Anh. I 19 S. 496 ff. Dazu GB BAV 2001 48 f. Nr. 7.1.2. Fünfte Verordnung zur Änderung der Deckungsrückstellungsverordnung vom
163 164 165
11.5.2009, BGBl. 2009 I Nr. 26 vom 18.5.2009. Prölss/Schmidt/Präve12 § 11 d Rn. 1. VerBAV 1988 101; Präve VersR 2001 133, 138. Dazu Präve VersR 2008 151, 153 f.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
• allgemeine Angaben über die für diese Versicherungsart geltende Steuerregelung. Die Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr wird steuerlich den kapitalbildenden Lebensversicherungen gegen laufende Beitragszahlung mit Sparanteil gleichgestellt.166 Die Versicherungsteuer beträgt z.Z. 3,8 %.
Dabei sind die Angaben zu den Rückkaufs- und Mindestversicherungsbeiträgen in Euro anzugeben. (Europarechtliche) Bedenken gegen diese zusätzlichen Informationspflichten bestehen nicht. Ihre Berechtigung ergibt sich daraus, dass der VN auf die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 bis 8 VVG-InfoV angesprochenen Informationen genauso angewiesen ist wie bei der Lebensversicherung.167 Das Gesetz stellt die UBR aber keineswegs vollständig mit der Lebensversicherung gleich. So ist einerseits z.B. anders als in der Lebensversicherung ein Kostenausweis nicht vorgesehen, da § 2 Abs. 5 VVG-InfoV nicht auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VVG-InfoV verweist. Auch nennt § 4 Abs. 4 VVG-Info die UBR nicht. Fernerhin muss der VR keine normierte Modellrechnung erstellen (vgl. § 2 Abs. 3 VVGInfoV, § 154 VVG). Selbstverständlich ist indes, dass keine überzogenen Erwartungen beim Kunden durch Beispielrechnungen erzeugt werden sollten. Andererseits können die Unfall-VR keine Altersvorsorgeverträge i.S. des AltZertG anbieten.168 50 Bestehen vertragliche bzw. gesetzliche Regelungslücken oder kommt es bei der Rechtsanwendung zu Auslegungsstreitigkeiten, ist das anzuwendende Recht unter Rückbesinnung auf die Rechtsnatur der UBR zu ermitteln. Diese liegt mangels eindeutiger gesetzlicher Zuordnung der UBR zu einer Versicherungssparte und aufgrund der Verquickung von Unfall- und Kapitalversicherung nicht ohne weiteres auf der Hand. Wie weit der Einfluss des Lebensversicherungsanteils in der Rechtsanwendung geht, ist folgerichtig noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Die Entscheidung hierzu ist nicht rein akademischer Natur; denn der im Gesetz festgelegte Rechtsrahmen für die Unfall- und Lebensversicherung weist Unterschiede auf. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob und inwieweit wichtige Weichenstellungen der Rechtsprechung und des Gesetzgebers zur (Kapital-)Lebensversicherung auch auf die UBR ausstrahlen. Zu denken ist hier etwa an die Vorgaben des BVerfG zur angemessenen Beteiligung des VN an (Schluss-)Überschüssen169 oder die Urteile des BGH, die sich mit der Transparenz der Regelungen zur Kündigung des Vertragsverhältnisses sowie zum Rückkaufswert und den Abschlusskosten170 oder den Rechtsfolgen beschäftigten, wenn es an solch transparenten Regelungen fehlt.171 Z.T. wird die UBR „eindeutig“ als Unfallversicherung angesehen.172 Vertreten wurde aber auch schon die Auffassung, dass die UBR wirtschaftlich überwiegend den Charakter einer Lebensversicherung habe, da die Unfallrisikoleistungen nur dann aus den Zinsen der Prämien finanziert werden könnten, wenn sie sich auf ein Vielfaches der normalen Unfallversicherungsprämie beliefen.173 Richtig ist es, die UBR in ihrer Gesamtheit dem
166
167 168 169 170
26
Ziff. 4 des BMF-Rundschreiben vom 25.11.2004 (GZ IV C 1 – S 2252 – 405/04) und Ziff. 1 bis 3, 6 f., 27, 36, 40 und 58 des BMF-Rundschreibens vom 22.12.2005 (GZ IV C 1 – S 2252 – 337/05). Begründung VVG-InfoV zu § 2 S. 10; ferner Präve VersR 2008 151, 153. Prölss/Schmidt/Präve12 § 11 d Rn. 2. BVerfG 26.7.2005 VersR 2005 1227. BGH 9.5.2001 BGHZ 147 354. Nach Entscheidungen des Versicherungsombuds-
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manns ist die Entscheidung des BGH zur Kapitallebensversicherung nicht auf die Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr anwendbar. BGH 12.10.2005 NJW 2005 3559. Bruck/Möller/Winter8 Bd. VI 1 Anm. B 121 mit Hinweis auf Bruck/Möller/Wagner8 Bd. V 2 Anm. B 20 und B 39; s.a. FG München 17.7.1964 VersR 1965 447 (LS). So angedeutet in FG München 18.3.1964 VersR 1965 272.
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Vor § 178
Versicherungszweig der Unfallversicherung zuzurechnen174 bzw. als eine Unfallversicherung mit Lebensversicherungskomponenten anzusehen.175 • Sie einerseits ausschließlich als Unfallversicherung zu bewerten, lässt die Besonderheiten der UBR, nämlich das kapitalbildende Element, außer Betracht. Die Beitragsrückgewähr wird nach Art der Lebensversicherung betrieben und kalkuliert.176 • Die Zuordnung zur Lebensversicherung ist andererseits ebenfalls unpassend, da dann der Unfallrisikoschutz unberücksichtigt bleibt. Insbesondere sagt die Höhe der Prämie bzw. die Finanzierbarkeit des Risikoschutzes noch nichts darüber aus, welches Versicherungselement den Vertrag aus Sicht der Vertragsparteien prägt. • Nicht zulässig ist es weiterhin, die UBR in ihre Elemente – Unfallversicherungsschutz und Kapitalleistung – aufzuteilen und dann entweder Unfall- oder Lebensversicherungsrecht anzuwenden. Die Bestandteile der UBR sind untrennbar in einem einheitlichen Vertrag verbunden,177 was auch in der Präambel zu den AB UBR 2008 ausdrücklich betont wird („in einem einheitlichen Vertrag zweifache Vorsorge“). • Die UBR ist im Kern dem Unfallversicherungsrecht zu unterwerfen.178 Dass die Unfallversicherung ihr prägendes Element ist, ergibt sich bereits aus ihrem Namen. Noch entscheidender ist, dass sich die UBR – bis auf die Regelungen zur Kapitalversicherung – in ihrer Ausgestaltung nicht von der gängigen Unfallversicherung unterscheidet. Insbesondere die den Versicherungsschutz prägenden Elemente, nämlich der Umfang des Deckungsschutzes und die Art der Entschädigungsleistung bzw. die vom VR übernommene Gefahr, stimmen in der UBR und der klassischen Unfallversicherung überein.179 Punktuell ist es aber angemessen, Regelungen aus der Lebensversicherung (insbesondere zum Rückkauf, zur Umwandlung und zur Kündigung) heranzuziehen,180 sei es, dass diese ohnehin in den Vertrag zwischen VN und VR einbezogen sind, sei es im Wege einer analogen Anwendung. Die Nähe zwischen dem Kapitalversicherungselement in der UBR und der Lebensversicherung kann in Einzelfällen Anleihen zum Lebensversicherungsrecht rechtfertigen. Hierfür spricht, dass auch der Gesetzgeber die UBR in Fällen, in denen die Kapitalbildung im Vordergrund steht, den gleichen Regelungen wie die Lebensversicherung unterworfen hat (s. § 11d VAG sowie § 2 Abs. 5 VVG-InfoV). Bereits in der Vergangenheit hat das BAV die Verwendung gleicher Rechnungsgrundlagen (Sterbetafeln, Rechnungszins und Kostenzuschläge) eingefordert.181
Ob und inwieweit § 153 VVG auf die UBR (analoge) Anwendung findet, ist noch 51 nicht abschließend geklärt.182 Für eine Heranziehung des § 153 VVG sowohl hinsichtlich der Beteiligung am Überschuss nach einem verursachungsorientierten Verfahren als auch für die Beteiligung an den Bewertungsreserven (unter Berücksichtigung der Besonderheiten der UBR als Kombinationsprodukt) spricht einerseits, dass die Situation bei der UBR vergleichbar ist mit der bei der Lebensversicherung: Der VR ist auch bei der UBR gehalten, die Prämien vorsichtig zu kalkulieren (§§ 11d, 11 VAG), so dass Überschüsse anfallen. Weiterhin lassen sich die vom BVerfG für die Beteiligung der VN an den Kapitalerträgen in der Lebensversicherung gegebenen Gründe und entwickelten Grundsätze183 auf die UBR übertragen, so dass eine Gleichbehandlung beider Versicherungsarten naheliegt. Andererseits betreffen sowohl § 153 VVG als auch die Entscheidung des BVerfG nur die Lebensversicherung. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die UBR nicht die exis-
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GB BAV 1977 75 Nr. 810. Präve VersR 2001 133, 137 f.; Prölss/ Schmidt/Präve12 § 11d Rn. 1; in diese Richtung auch OLG Nürnberg 23.5.1991 VuR 1991 274, 275, allerdings mit nicht haltbaren Thesen zur Rechtsnatur des Versicherungsvertrages. GB BAV 1977 75 Nr. 810. BFH 28.11.1961 VerBAV 1962 163, 164.
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Präve VersR 2001 133, 138. Bruck/Möller/Wagner8 Anm. B 20 und B 39; Bruck/Möller/Winter8 Anm. B 121. GB BAV 1977 75 Nr. 810. VerBAV 1988 101; GB BAV 1987 80 Nr. 9.2.3. Beiläufig ablehnend Engeländer VersR 2007 155, 156. BVerfG 26.7.2005 VersR 2005 1227.
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tentielle Bedeutung für die Vorsorge des Einzelnen hat wie die kapitalbildende Lebensversicherung. Die Sparbeiträge in der UBR haben gegenüber der Lebensversicherung ein vergleichsweise geringes Gewicht. Der Schwerpunkt liegt bei der UBR nicht in der Kapitalleistung, sondern im Risikoschutz. Des Weiteren ist das Beitragsvolumen für die UBR typischerweise wesentlich geringer als für eine kapitalbildende Lebensversicherung. Folgerichtig wird die UBR kaum zur Besicherung von Darlehen eingesetzt. Wird § 153 auf die UBR (analog) angewandt, so ist die Vorschrift konsequenterweise ab 1.1.2008 auch für Altverträge zu berücksichtigen (Art. 4 Abs. 1 EGVVG). Demnach waren die VR gehalten, ihre Bedingungen im nicht regulierten Bestand anzupassen (Art. 1 Abs. 3 EGVVG) und für den regulierten Altbestand Geschäftsplanänderungen zur Genehmigung bei der BaFin einzureichen. Die Rechtsunsicherheiten hierzu waren indes groß, da sich § 153 und damit auch Art. 4 Abs. 1 ebenso wie Art. 1 Abs. 3 EGVVG eben nicht „eindeutig“ auf die UBR erstreckt. Für den Fall der Systemumstellung des regulierten Altbestandes konnte offenbar Einvernehmen zwischen der BaFin und dem GDV erzielt werden. Über die Überschussbeteiligung hat der VR alljährlich zu informieren (vgl. auch § 155). Dabei ist dem VN auch mitzuteilen, inwieweit die Überschussbeteiligung garantiert ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 VVG-InfoV).
VI. Kraftfahrt-Unfallversicherung 52
Die Kraftfahrt-Unfallversicherung eröffnet Versicherungsschutz gegen Unfälle, die i.w.S. im Zusammenhang mit der Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder Anhängers erlitten werden. Einzelheiten ergeben sich aus A.4 AKB 2008 (§§ 16 ff. AKB a.F.). Darüber hinaus sehen auch die Schutzbriefversicherungen häufig Versicherungsleistungen bei Unfällen vor (z.B. Rücktransport der verletzten Person, vgl. A.3.7 AKB 2008). Sofern in der Fahrzeugvollversicherung (Vollkaskoversicherung) „Unfälle“ versichert sind (vgl. A.2.3.2 AKB 2008), handelt es sich um eine reine Schadens-/Sachversicherung. Allerdings deckt sich der dort verwendete Unfallbegriff weitgehend mit demjenigen in der Personenunfallversicherung. In der Kfz-Unfallversicherung werden traditionell folgende Versicherungstypen unterschieden: Die Insassen-Unfallversicherung ist seit Langem bekannt.184 Der gegen Unfallrisiken 53 versicherte Personenkreis wird in A.4.2 AKB 2008 (§ 17 Nr. 1 AKB a.F.) festgelegt. Erfasst werden die „berechtigten Insassen“. Zu ihnen zählen Personen, die sich mit Wissen und Willen der über die Verwendung des Fahrzeugs Verfügungsberechtigten in oder auf dem versicherten Fahrzeug befinden oder im ursächlichen Zusammenhang mit ihrer Beförderung beim Gebrauch des Fahrzeugs – d.h. beim Lenken, Benutzen, Behandeln, Beund Entladen, Abstellen des Kfz oder Anhängers, Ein- und Aussteigen – tätig werden (A.4.2.4 AKB 2008, § 17 Nr. 1 S. 1 und 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 AKB a.F.).185 Unfälle von „Schwarzfahrern“ (unberechtigten Insassen) sind nicht gedeckt (§ 19 Nr. 3 AKB a.F.). Ist der VN (Halter) selbst Insasse, so stellt die Insassen-Unfallversicherung eine Eigenversicherung dar. Für andere Insassen ist sie typischerweise (zugleich) eine Fremdversicherung für fremde Rechnung (§ 179 Abs. 1 S. 2). Bei der Berechnung der Versicherungsleistung unterscheiden die AKB zwischen folgenden Systemen:186
184 185
28
S. etwa VA 1933 234 (zur Tagesunfallversicherung für Kraftfahrzeuginsassen). Einzelheiten etwa bei Stiefel/Hofmann17 § 17 AKB Rn. 1 ff.
186
Näher Stiefel/Hofmann17 § 16 AKB Rn. 11ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 43 und G 319 ff.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
• Pauschalsystem (A.4.2.1 AKB 2008, § 16 Nr. 1a AKB a.F.): Bei diesem in der Praxis vorherrschenden System wird die einheitliche Versicherungssumme durch die Anzahl der z.Z. des Unfalls im Fahrzeug befindlichen Insassen geteilt (§ 16 Nr. 3 AKB a.F.). Unerheblich ist, ob alle oder nur einzelne Insassen eine Gesundheitsschädigung erlitten haben. Die Versicherungssumme wird stets durch die Anzahl aller Insassen dividiert. • Kfz-Unfall-Plus-Versicherung (A.4.2.2 AKB 2008): Bei ihr sind die jeweiligen berechtigten Fahrzeuginsassen mit der für Invalidität und Tod vereinbarten Versicherungssummen versichert. Wird der jeweilige Fahrer verletzt und verbleibt eine unfallbedingte Invalidität, deren Prozentsatz unternehmensindividuell festzulegen ist, erhöht sich die für Invalidität vereinbarte Versicherungssummen um einen bestimmten Prozentsatz. • Platzsystem (A.4.2.3 AKB 2008, § 16 Nr. 1b AKB a.F.): Es ist in der Praxis selten und kommt nur noch für Omnibusse und andere Kraftfahrzeuge vor, die als Verkehrsmittel für eine Vielzahl von Personen genutzt werden. Die Insassen-Unfallversicherung ist für eine bestimmte Zahl von Personen oder Plätzen (mit Ausnahme der angestellten Berufsfahrer und Beifahrer des VN) geschlossen, wobei jeder Platz mit der gleichen Summe versichert ist. Die Versicherungsleistung erhöht sich nicht, wenn sich weniger Insassen im Fahrzeug befinden, als dieses Plätze bietet. Sind aber z.Z. des Unfalls mehr Personen versichert als Personen oder Plätze angegeben sind, so wird die Versicherungssumme für die einzelne Person entsprechend gekürzt (§ 16 Nr. 4 AKB a.F.).
Die Berufsfahrerversicherung (A.4.2.5 AKB 2008, §§ 16 Nr. 1c, 17 Nr. 2 AKB a.F.) 54 wird nicht von allen VR vertrieben. Die Berufsfahrerversicherung bezieht sich entweder • auf den jeweiligen Kraftfahrer oder Beifahrer des im Vertrag bezeichneten Fahrzeugs oder • unabhängig von einem bestimmten Fahrzeug auf namentlich bezeichnete Kraftfahrer und Beifahrer oder • unabhängig von einem bestimmten Fahrzeug und ohne Namensnennung auf sämtliche beim VN angestellten Kraftfahrer oder Beifahrer.187
Die namentliche Versicherung wird in A.4.2.6 AKB 2008 (§§ 16 Nr. 1d, 17 Nr. 3 55 AKB a.F.) angesprochen. Sie ist unabhängig von einem bestimmten Fahrzeug. Für die versicherte Person besteht Versicherungsschutz für alle Unfälle i.S.v. A.4.1 AKB 2008 (§ 18 Abs. 1 AKB a.F.), die sie mit einem Fahrzeug erleidet, und zwar unabhängig davon, ob sie Fahrer oder Insasse ist.188 Die namentlich benannten versicherten Personen können ihre Versicherungsansprüche – in Abweichung etwa zu § 3 Abs. 2 AKB – selbständig geltend machen.189
VII. Luftfahrt-Unfallversicherung Die Luftfahrt-Unfallversicherung ist eine besondere Form der privaten Unfallversiche- 56 rung. Sie deckt als Ausschnittsversicherung Risiken ab, die durch die AUB vom Versicherungsschutz ausgenommen sind (näher Ziff. 5.1.4 AUB 2008 Rn. 32 ff.). Ihre Regelung erfolgt in Besonderen Bedingungen oder auch eigenständigen Bedingungswerken (z.B. LUB 2008). Die Luftfahrt-Unfallversicherung kann Versicherungsschutz bieten u.a. für Fluggäste eines Luftfahrzeuges in Ausübung eines Berufes, Freizeitpiloten (nicht beruflich fliegende Luftfahrzeugführer), Sportflieger (wie Führer von Segelflugzeugen, Hängegleitern, Ultraleichtflugzeugen und Ballonen), Flugpersonal, Fluglehrer und -schüler einschließlich Luftfahrzeugführer der Luftfahrtindustrie und Personal militärischer Luftfahrzeuge.
187 188
Einzelheiten etwa bei Stiefel/Hofmann17 § 17 AKB Rn. 6 ff. Stiefel/Hofmann17 § 16 AKB Rn. 20.
189
Dazu etwa Stiefel/Hofmann17 § 17 AKB Rn. 15 ff.
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29
Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
VIII. Strahlen-Unfallversicherung 57
Die Strahlen-Unfallversicherung sieht Versicherungsschutz für diejenigen schädlichen Einwirkungen auf den Körper der versicherten Person vor, die durch Ziff. 5.2.2 AUB 99/2008 einem Ausschluss unterliegen. Einzelheiten sind in den „Besonderen Bedingungen für die Strahlen-Unfallversicherung von Personen, die beruflich mit strahlenerzeugenden Stoffen oder Geräten in Verbindung kommen“ oder den „Besonderen Bedingungen für den Einschluss von Gesundheitsschäden durch Röntgen- und Laserstrahlen in die Unfallversicherung“ (Ziff. 5.2.2 AUB 2008 Rn. 15) geregelt.
F. Abgrenzung zwischen privater und gesetzlicher Unfallversicherung 58
Die private Unfallversicherung ist von der gesetzlichen Unfallversicherung abzugrenzen. Beide stehen selbständig nebeneinander. Jede hat ihre besondere Aufgabe bei der Vorsorge. Die jeweiligen Leistungen stehen nicht in einem Alternativverhältnis; sie sind wechselseitig nicht anrechenbar.190 Vielmehr unterscheiden sich die private und gesetzliche Unfallversicherung in ihren Rechtsgrundlagen, ihrer Trägerschaft, ihren Leistungen und ihren jeweiligen Leistungsvoraussetzungen.191 Einige wichtige Unterschiede sind in der folgenden Tabelle skizziert:192 Private Unfallversicherung
Gesetzliche Unfallversicherung
Rechtsquellen
• Individueller Versicherungsvertrag • AUB, BB u.ä. (z.B. AKB für die Kraftfahrtunfallversicherung oder die UZV-Bedingungen als Teil der Lebensversicherung) • Zivilrecht (insbesondere VVG und BGB)
• SGB VII (früher – bis 1996 – RVO)193 • Berufskrankheitenverordnung (BKV) • Öffentliches Recht
vertragliche Gestaltungsfreiheit
Die Versicherung folgt den Vereinbarungen des Versicherungsvertrags; es herrscht Vertragsfreiheit. Im Rahmen der §§ 179 ff. kann der Vertrag frei gestaltet und die Leistungen an die individuellen Bedürfnisse des einzelnen VN angepasst werden.
Die Versicherung folgt den Vorschriften des SGB VII und der in dessen Ausführung erlassenen BKV und orientiert sich streng an diesen Regeln; eine Gestaltungsmöglichkeit für den Einzelnen gibt es daher nicht.
Versicherungsträger
Versicherungseinrichtungen des privaten Rechts (AG oder VVaG) sowie öffentlich-rechtliche Versicherungsanstalten und -körperschaften außerhalb der Sozialversicherung
Sie sind in § 114 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 i.V.m. §§ 115 ff. SGB VII abschließend aufgezählt.
190 191 192
30
Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. B 34. Konen S. 7. S.a. Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 2 ff.; Knappmann RuS 2007 45 ff.; Reichenbach S. 69 ff.; Sommer RuS 2007 1 ff.
193
Eingehend etwa Plagemann NJW 1996 3173 ff.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
Private Unfallversicherung
Gesetzliche Unfallversicherung
Geschützter Personenkreis
Im Grundsatz jede versicherte Person (§ 179 – „Jedermannsversicherung“) in jedem Alter, für jede normale Lebenssituation des täglichen Lebens, überall auf der Erde und zu jeder Tageszeit; ausgenommen sind – sofern vereinbart – Personen, die geisteskrank und dauerhaft pflegebedürftig sind (s. Kommentierung zu Ziff. 4 AUB 2008).
Grundsatz: Pflichtversicherung für Beschäftigte, Kinder, die eine Kindertagesstätte oder einen Kindergarten besuchen, Schüler, Studenten, Auszubildende, Arbeitnehmer, Landwirte, Helfer bei Unglücksfällen, Zivilschutz oder Katastrophenschutzhelfer, Blutund Organspender. Die freiwillige Versicherung für Unternehmer, Selbstständige oder Freiberufler sowie mitarbeitende Ehegatten ist möglich (Einzelheiten §§ 2 ff. SGB VII).
Definition des Versicherungsfalls
Regelfall: Unfälle des täglichen Lebens • Plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis, das unfreiwillig zu einer Gesundheitsschädigung führt (§ 178). • Ereignisse, die aufgrund erhöhter Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder der Wirbelsäule zu einer Gelenksverrenkung oder Muskel-, Sehnen-, Bänder- oder Kapselzerrung bzw. -riss führen (Ziff. 1.4 AUB 2008).
Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII):194 • Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. • Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden und im SGB VII versicherten Tätigkeit.
Versicherte Risiken
Je nach Vertragsinhalt: Versichert sind grundsätzlich alle Unfälle im beruflichen und privaten Bereich des VN zu jeder Zeit weltweit.
Arbeitsunfälle einschließlich Wegeunfälle (Unfälle auf dem unmittelbaren Weg von oder zum Ort der versicherten Tätigkeit, in der Regel zum Wohnort des Versicherten und zurück) sowie Berufskrankheiten, die von der BKV anerkannt werden (§§ 7 ff. SGB VII). Der Geltungsbereich erstreckt sich in der Regel auf das Bundesgebiet.
Leistungen
• Vor Eintritt des Versicherungsfalls: • Vor Eintritt des Versicherungsfalls: Keine Prävention von Unfällen durch Be• Nach Eintritt des Versicherungsfalls: ratung und Aufsicht der MitgliedsFinanzielle Absicherung durch betriebe auf dem Gebiet der ArbeitsGeldleistungen (gelegentlich auch sicherheit, Unfallverhütung und des Sach- und Dienstleistungen) bei Gesundheitsschutzes der Arbeitunfallbedingten Personenschäden nehmer; Kooperation mit den Befür die sich daraus ergebenden hörden der staatlichen Gewerbegesundheitlichen Folgen bei der aufsicht ist dabei möglich (§§ 1 versicherten Person. Einzelheiten Nr. 1, 14 ff. SGB VII). Verstöße bestimmt der Vertrag (u.a. Ziff. 2 können als Ordnungswidrigkeit AUB 2008). Die Leistungsarten sind sanktioniert werden vielfältig, z.B. Invaliditätsleistung (§ 209 SBG VII).
194
Kurzer Überblick etwa bei Eichberger JuS 1996 1078, 1079 f.
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31
Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung Private Unfallversicherung
Gesetzliche Unfallversicherung
als Kapital- oder Rentenzahlung, • Nach Eintritt des Versicherungsfalls: Todesfallleistung, Tagegeld, Sach- und Geldleistungen. Krankenhaustagegeld, GenesungsBei Körperverletzung besteht Angeld, Übergangsleistung, Übernahme spruch auf Heilbehandlung einvon Bergungskosten oder Kosten schließlich Leistungen zur medizinifür kosmetische Operationen. schen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie auf Geldleistungen (§§ 26 ff. SGB VII), ggf. auch auf Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit mindestens 20 % beträgt (§§ 56 ff. SGB VII). Weil der Träger gehalten ist, alle geeigneten Mittel zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Verletzten bereitzustellen (§ 1 Nr. 2 SGB VII), hat er alle erforderlichen Maßnahmen auszuschöpfen, ohne dass es dabei eine Budgetierung der einzusetzenden Mittel gibt. Bei Tod haben die Hinterbliebenen u.a. Anspruch auf Sterbegeld, Erstattung von Überführungskosten und Hinterbliebenenrente (§§ 63 ff. SGB VII).
59
Arztwahl
Freie Arztwahl.
Einschränkung möglich, wenn besondere unfallmedizinische Behandlungen angezeigt sind (§ 28 Abs. 4 SGB VII).
Beitragspflicht
Der VN zahlt die vereinbarte Prämie für die festgelegte Laufzeit.
Beitragspflichtig sind die Mitgliedsunternehmen. Die Beiträge werden nach Ablauf eines Kalenderjahres im Wege der Umlage festgesetzt (§§ 150 ff. SGB VII).
Nicht selten werden in der Begutachtung zur privaten Unfallversicherung Regelungen der gesetzlichen Unfallversicherung angewandt oder mit Vorgaben der privaten Unfallversicherung vermengt. Folge sind regelmäßig fehlerhafte Beurteilungen. Zum einen kann der Unfallbegriff der Sozialversicherung nicht zur Auslegung des Unfallbegriffs in der privaten Unfallversicherung herangezogen werden. Beide Begriffe sind nicht identisch.195 Zum anderen werden die haftungsbegründende und -ausfüllende Kausalität in der gesetzlichen und privaten Unfallversicherung nach unterschiedlichen Kriterien festgestellt:196
195
32
OLG Düsseldorf 16.3.1954 VersR 1954 317; OLG Hamm 13.2.1981 VersR 1981 830, 831; Grimm4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 26; Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115.
196
S.a. Knappmann RuS 2007 45, 49 f.; Reichenbach S. 72 ff.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
• Zwischen dem Vorliegen eines geeigneten Unfallhergangs und des geltend gemachten Körperbzw. Gesundheitsschadens muss in der gesetzlichen Unfallversicherung ein Kausalzusammenhang bestehen, der sich nach der Lehre von der wesentlichen Bedingung beurteilt:197 Im Rahmen einer wertenden Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls sind nur diejenigen Bedingungen maßgebend, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. So bleiben z.B. bloße Gelegenheitsursachen außer Betracht. Umgekehrt wirken sich Krankheitsanlagen (innere mitursächliche Umstände) nicht aus, es sei denn, sie sind von so überragender Bedeutung, dass sie durch jedes alltäglich vorkommende Ereignis in Erscheinung treten können. Beurteilungskriterien sind etwa der zeitliche Ablauf des Ereignisses, das Ausmaß und die Art der Einwirkung, das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, die Erstbefunde oder die gesamte Krankheitsgeschichte. Zur Bejahung des haftungsbegründenden und -ausfüllenden Ursachenzusammenhangs genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. • In der privaten Unfallversicherung beurteilt sich die Kausalität nach der Äquivalenztheorie. Mitursächlichkeit genügt, so dass auch bloße Gelegenheitsursachen einen Leistungsanspruch gegen den VR begründen können (§ 178 Rn. 153 und 157). Allerdings werden unfallfremde Umstände durch einen Abzug der Vorinvalidität (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 235 ff.) oder im Rahmen der Mitwirkungsklausel (§ 182, Ziff. 3 AUB 99/2008) leistungsmindernd berücksichtigt. Fernerhin können sie über Ausschlussklauseln Bedeutung erlangen (z.B. bei Unfällen infolge einer Geistesoder Bewusstseinsstörung). Die haftungsbegründende Kausalität ist im Wege des Strengbeweises festzustellen (§ 178 Rn. 181 ff.), während für die haftungsausfüllende Kausalität die Beweiserleichterung nach § 287 ZPO eingreift (§ 180 Rn. 51 ff.).
Insbesondere verbietet es sich, im Rahmen der Invaliditätsbewertung die „Minderung 60 der Erwerbsfähigkeit“ (MdE), aber auch den „Grad der Behinderung“ (GdB) mit dem Invaliditätsgrad (pauschal) gleichzusetzen.198 Zwar müssen die in einem sozialgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse, auf die sich eine Partei in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung zur privaten Unfallversicherung beruft, in der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, da sich die sozial- und privatrechtlichen Fragestellungen (sogar weitgehend) überschneiden können.199 Jedoch ist stets zu berücksichtigen, dass der privaten und der gesetzlichen Unfallversicherung unterschiedliche Bewertungskriterien zugrunde liegen. Eine Gleichsetzung bedarf einer besonderen Begründung.200 Die Unterschiede zwischen der privaten und der gesetzlichen Unfallversicherung werden in der Praxis häufig – insbesondere bei der medizinischen Begutachtung und der Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen – übersehen: • Der medizinische Gutachter muss trennen, ob er im Rahmen der gesetzlichen oder der privaten Unfallversicherung tätig wird. Die Bewertung eines Sachverhalts kann je nach Tätigkeitsfeld unterschiedlich ausfallen. Im Invaliditätsfall muss er in der gesetzlichen Unfallversicherung konkret auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit abstellen, während in der privaten Unfallversicherung (vorrangig) abstrakt die Gliedertaxe oder die normale körperliche und geistige Leistungsfähigkeit maßgeblich ist.201 Hat z.B. die Verminderung der Gebrauchsfähigkeit eines Beines in der Sozialversicherung eine MdE von 100 % zur Folge, so führt in der Allgemeinen Unfallversicherung selbst der vollständige Verlust eines Beines nach der Gliedertaxe „nur“ zu einer Invalidität von 70 %.202 Unzulässig ist es auch, in die Festlegung des Invaliditätsgrades Einschätzungen eines MdE-Grades einfließen zu lassen. Testiert der Gutachter z.B. eine MdE von 30 %, so folgt daraus
197 198
Näher Sommer RuS 2007 1, 4 ff. OLG Celle 13.9.2007 VersR 2007 1688, 1689 = NJW-RR 2008 345, 346 f. = RuS 2008 254, 255; OLG Köln 30.1.1992 RuS 1993 199, 200 = ZfS 1993 165; OLG Köln 22.12.1988 VersR 1989 353, 354; Lehmann/Ludolph2 S. 64; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen2 § 47 Rn. 1; Reichen-
199 200 201 202
bach S. 125; s. ferner u.a. bereits OLG Breslau 14.12.1929 VA 1930 198 Nr. 2162. BGH 8.7.1981 VersR 1981 1151. Lehmann/Ludolph2 S. 76. Konen S. 8. OLG Köln 30.1.1992 RuS 1993 199, 200; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 5; s.a. Gaidzik S. 37 f.
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Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
nicht eine dauernde Funktionsbeeinträchtigung des Beines von 3/7 nach AUB (3/7 · 70 % Beinwert = 30 %).203 • In der rechtlichen Auseinandersetzung schließen Anspruchsteller oftmals von der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf den Grad der Invalidität, obwohl beide Bewertungen voneinander unabhängig sind. Entscheidungen der Sozialversicherungsträger über Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit lassen sich nicht „1 : 1“ auf die Allgemeine Unfallversicherung übertragen. Ein Vergleich der Regelungen innerhalb der gesetzlichen Sozialversicherung mit privatrechtlich abgeschlossenen Unfallversicherungen ist systemwidrig und verbietet sich.204
G. Rechtsquellen der privaten Unfallversicherung 61
Das Recht der Unfallversicherung ist von verschiedenen Rechtsverhältnissen geprägt, denen unterschiedliche Rechtsquellen zugrunde liegen: • Das zivilrechtliche Rechtsverhältnis zwischen dem VN und dem VR wird materiell-rechtlich vom Versicherungsvertrag bestimmt sowie den dafür vornehmlich im VVG und BGB, aber auch in sonstigen Schutzbestimmungen wie z.B. im BDSG205 und AGG (Rn. 81 ff.) normierten Rechtsrahmen. Für die Rechtsdurchsetzung gilt allgemeines Zivilprozessrecht (näher dazu Anh. Ziff. 16 AUB 2008). • Das Versicherungsaufsichtsrecht, das seine Quelle insbesondere im VAG findet, stellt die Grundlage für das Rechtsverhältnis zwischen VR und der BaFin (früher: dem BAV) dar. Fernerhin erlangt für das öffentiche Recht die Gewerbeordnung nebst Versicherungsvermittler-Verordnung insbesondere mit ihren Regelungen zum Berufszugang und zu den statusbezogenen Informationspflichten für Versicherungsvermittler und -berater erhebliche Bedeutung. • Die Rechtsbeziehungen zwischen verschiedenen VR werden vornehmlich durch das Wettbewerbsrecht ausgestaltet. Rechtsquellen sind etwa das UWG oder die Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft,206 die in 2006 neu gefasst worden sind. Fernerhin ist das Kartellrecht, insbesondere die Gruppenfreistellungsverordnungen für die Versicherungswirtschaft aus 1992207 und 2003208 beachtlich. Sie ermöglichen den VR u.a. eine Zusammenarbeit bei der Erstellung gemeinsamer, auf gegenseitig abgestimmten Statistiken oder dem Schadensverlauf beruhender Risikoprämientarife, bei der Erarbeitung von Mustern für AVB und der gemeinsame Deckung bestimmter Arten von Risiken.
Fernerhin wird die Unfallversicherung durch das Steuerrecht209 oder auch das SGB II flankiert.210
203 204 205 206 207
208
34
Reichenbach S. 120. OLG Köln 12.1.2000 VersR 2000 1489, 1490. Dazu etwa Hoeren VersR 2005 1014 ff. Abrufbar unter http://www.gdv.de/ Downloads/Themen/neue_WRL.pdf. Verordnung (EWG) Nr. 3932/92 der Kommission vom 21.12.1992 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EWG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Bereich der Versicherungswirtschaft, ABl. L 398 vom 31.12.1992 S. 7 ff. Verordnung (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom 27.2.2003 über die Anwen-
209
210
dung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. EG L 53 vom 28.2.2003 S. 8 ff. S. insbesondere BMF-Schreiben vom 17.7.2000 – IV C 5 – S 2332 – 67/00; eingehend Woelke Die Unfallversicherung im Steuerrecht (2008) – nicht veröffentlichtes Skript; s.a. Grewing Unfallversicherung S. 104 ff.; Naumann/Brinkmann § 13 Rn. 1 ff.; Riebesell S. 113 ff. Zur Behandlung von Kapital- und Rentenleistungen aus der privaten Unfallversicherung bei „Hartz-IV-Empfängern“ bzw. im Zusammenhang mit ALG II u.a. Sächsisches
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
I. Versicherungsvertrag Die wichtigste Rechtsgrundlage für die private Unfallversicherung stellt der Versiche- 62 rungsvertrag zwischen dem VN und dem VR dar (zur Rechtsnatur § 179 Rn. 80). Es gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 179 Rn. 82 ff.). Der Inhalt des Vertrages wird typischerweise von den detaillierten Formularen des VR geprägt. Besondere Bedeutung haben hier der Versicherungsantrag und die Versicherungspolice nebst den AVB (AUB, BB, Zusatzbedingungen u.ä.). Hinzu kommen die Beratungsdokumentation, die Vertragsinformationen nach § 7 und der VVG-InfoV (§ 179 Rn. 89). Im Massengeschäft unterliegen die Vertragsbestimmungen in aller Regel dem AGB-Recht (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 1 ff.). Individualvereinbarungen finden sich selten (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 13). Dem Versicherungsvertrag können differierende Vereinbarungen und Bedingungswerke zugrunde liegen. Vor jeder rechtlichen Prüfung empfiehlt es sich deshalb, die konkreten Vertragsgrundlagen zu ermitteln. So unterscheiden sich z.B. die jeweiligen AUB-Generationen (AUB 61/88/94/99/2008) erheblich voneinander. Entsprechendes gilt für weitere Bedingungswerke. Zudem ist es keinesfalls zwingend, dass die VR die vom GDV empfohlenen Musterbedingungen unverändert übernommen haben. Fehlende Unterlagen können der VN bzw. dessen Rechtsanwalt gemäß § 3 vom VR anfordern.
II. Gesetzliche Grundlagen Die wichtigsten materiell-rechtlichen Gesetzesbestimmungen für die Unfallversiche- 63 rung stammen aus dem Versicherungsvertragsrecht (insbesondere VVG und BGB) und dem Versicherungsaufsichtsrecht. 1. Versicherungsvertragsrecht Neben dem in §§ 178 bis 191 geregelten gesetzlichen Leitbild der Unfallversicherung 64 finden die allgemeinen Vorschriften des VVG 2008 in §§ 1 bis 73 auf die Unfallversicherung Anwendung. Darüber hinaus sind §§ 74 bis 99 anzuwenden, soweit die Unfallversicherung Schadensversicherung ist (Rn. 38) und im Gesetz nichts anderes bestimmt wird (vgl. §§ 183, 184, 189). Die gesetzlichen Vorschriften werden, sofern sie nicht ohnehin (halb-)zwingendes Recht enthalten, nicht durch die Bedingungswerke der VR verdrängt. Dispositives Recht findet vielmehr subsidiär auf den Unfallversicherungsvertrag Anwendung.211 Halbzwingende Vorschriften, von denen nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden darf, werden in §§ 18, 32, 42, 67, 191 aufgelistet. Sie gewährleisten ein hohes Maß an Verbraucherschutz.
LSG, Urteil vom 13.03.2008 – L 2 AS 143/07 Rn. 28 ff.; s.a. Urteil vom 12.5.1993 – 7 RAr 56/92. Zur Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung BSG Urteil vom 6.12.2007 – B 14/7b AS 62/06 R Rn. 19 ff.; BSG Urteil vom 5.9.2007 – B 11b AS 15/06 R Rn. 20 ff.; zur Berufsunfähigkeits- und Erwerbungsunfähigkeitsrente BSG Urteil vom
211
16.5.2007 – B 11b AS 27/06 R Rn. 20; zur Altersrente für schwerbehinderte Menschen BSG, Urteil vom 23.11.2006 - Az. B 11b AS 1/06 R Rn. 35; zur betrieblichen Invaliditätsrente BSG Urteil vom 16.5.2007 – B 11b AS 27/06 R Rn. 20. Näher Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 37 ff.
Kent Leverenz
35
Vor § 178 65
Kapitel 7: Unfallversicherung
Das Bürgerliche Gesetzbuch findet Anwendung, soweit nicht speziellere Vorschriften des Versicherungsvertrages oder des VVG vorrangig heranzuziehen sind.212 Beispiele: Stichwort
Allgemeine Vor- Ändernde oder ergänzende Erläuterungen schrift im BGB Spezialvorschrift im VVG
Inhaltlich abweichende Willenserklärungen
§ 150 Abs. 2
§ 5 Abs. 1 (§ 5 Abs. 1 a.F.) Vgl. § 179 Rn. 108 ff.
Schadensersatz wegen Pflichtverletzung
§ 280
§§ 6 Abs. 5, 63
§ 179 Rn. 242 f.
Wirksamwerden einer § 130 Abs. 1 Willenserklärung gegenüber Abwesenden
§ 13 (§ 10 a.F.)
Vgl. Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 42 ff.
Leistungszeit
§ 271 Abs. 1
§ 14 (§ 11 a.F.) und § 187 Abs. 2 S. 1
§ 187 Rn. 48 ff., Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 24 ff.
Verjährung
§§ 195 ff.
§ 15 (§ 12 a.F.)
Ziff. 15 AUB 2008
Anfechtung
§§ 119 ff.
§ 22 (§ 22 a.F.)
§ 179 Rn. 119 ff., Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 202 ff.
Leistung durch Dritte
§ 267
§ 34 (§ 35a a.F.)
Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 16
Aufrechnung
§ 387
§ 35 (§ 35b a.F.)
Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 28 ff.
Leistungsort
§ 269 Abs. 1
§ 36 Abs. 1 (§ 36 a.F.)
§ 187 Rn. 48 ff., Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 24 ff.
Verzug, Leistungserbringung
§§ 284 ff.; 320 ff.
§ 37 f. (§§ 38 f. a.F.)
§ 187 Rn. 46 ff., Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 67 ff.
Vertrag zugunsten Dritter
§§ 328 ff.
§§ 43 ff., 159 f., 185 (§§ 74 ff., 166 f., 179 Abs. 2 S. 2 a.F.
§ 179 Rn. 130 ff., § 185 Rn. 1
Stellvertretung
§§ 164 ff.
§§ 69 ff. (§§ 43 ff. a.F.)
§ 179 Rn. 13 und 36 ff., Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 16 ff.
Bedeutung für die Rechtsanwendung in der Unfallversicherung erlangt das BGB etwa • • • •
beim Abschluss des Versicherungsvertrages (§§ 104 ff., 145 ff. BGB; § 179 Rn. 81 ff.); bei der Auslegung des Vertragsinhalts (§§ 133, 134, 157, 242 BGB); bei der Berechnung von Fristen (§§ 186 ff. BGB; siehe z.B. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 114 und 126); bei der Inhaltskontrolle von AVB (§§ 305 ff. BGB; dazu Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 82 ff.).
212
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Näher Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 148 ff.
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Allgemeines zur Unfallversicherung
Vor § 178
2. Versicherungsaufsichtsrecht Das Versicherungsaufsichtsrecht regelt vornehmlich die öffentlich-rechtliche Rechts- 66 beziehung zwischen dem VR und dem Aufsichtsamt (BAFin, früher BAV).213 Das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) enthält indes auch Vorschriften, die unmittelbar (wie z.B. §§ 14, 14a, §§ 15 ff., §§ 77 ff., 80 ff., 88 ff. VAG) oder mittelbar (wie z.B. §§ 11d, 11e VAG) Auswirkungen auf den Versicherungsvertrag zwischen VN und VR entfalten. Beispielsweise ist das Versicherungsunternehmen im Interesse des Verbraucherschutzes und des Ansehens der Versicherungswirtschaft dazu verpflichtet, nur mit solchen gewerbsmäßig tätigen Versicherungsvermittlern zusammenzuarbeiten, die bestimmte Anforderungen nach der Gewerbeordnung erfüllen (§ 80 VAG). a) Geschäftsplan. Da bis zur Deregulierung des Versicherungsmarktes im Jahre 1994 67 insbesondere die Satzung und die AVB zum Geschäftsplan gehörten, prägte lange Zeit die aufsichtsrechtliche Bedingungsgenehmigung durch das BAV den Inhalt des versicherungsrechtlichen Vertragsinhalts. Seit Wegfall des Erfordernisses der Bedingungsgenehmigung hat der Geschäftsplan keine unmittelbare Bedeutung mehr für das Versicherungsverhältnis.214 b) Geschäftsplanmäßige Erklärungen. Ähnliches wie für die Satzungen und AVB gilt 68 für geschäftsplanmäßige Erklärungen des VR gegenüber dem Aufsichtsamt, mit denen der VR sich schriftlich gegenüber der Aufsichtsbehörde zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, insbesondere dazu, bestimmte Vorschriften in den AVB (nur) in einem bestimmten Sinne anzuwenden.215 Die geschäftsplanmäßigen Erklärungen waren bis zur Deregulierung im Jahre 1994 Bestandteil des Geschäftsplans. Sie fanden ihre Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 3 VAG a.F.216 Seit dem Dritten Gesetz zur Durchführung der versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) vom 21.7.1994 kann die Aufsichtsbehörde keine geschäftsplanmäßigen Erklärungen mehr von den VR verlangen.217 Die Unternehmen können solche Erklärungen zwar auch weiterhin abgeben, diese werden jedoch vom Aufsichtsamt nicht mehr genehmigend zur Kenntnis genommen. Seit 1994 sind folgerichtig auch keine geschäftsplanmäßigen Erklärungen mehr veröffentlicht worden. Mit der Änderung der aufsichtsrechtlichen Gegebenheiten haben indes die geschäftsplanmäßigen Erklärungen, die innerhalb des durch das VAG (a.F.) begründeten Aufsichtsverhältnisses zwischen dem damaligen BAV und den Versicherungsunternehmen seitens der einzelnen VR abgegeben worden sind, ihre öffentlich-rechtliche und (begrenzt) zivilrechtliche Bedeutung – auch für die Unfallversicherung – nicht verloren. aa) Geschäftsplanmäßige Erklärungen zur Unfallversicherung. Geschäftsplanmäßige 69 Erklärungen mit Bezug zur Unfallversicherung218 befassen sich etwa mit folgenden Inhalten:
213 214 215
Näher Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 185 ff. Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 27. Eingehend André S. 6 ff.; Fuchs S. 3 und 9 ff. (zur rechtlichen Qualifikation S. 29 ff.); Glauber VersR 1993 12 ff.; ferner OLG Saarbrücken 25.11.1987 VersR 1989 245,
216 217 218
246; Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 192 ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 34. Näher Fuchs S. 3 f.; eingehend, differenzierend und kritisch André S. 42 ff. Fuchs S. 4 und 12. S. dazu auch GB BAV 1989 83 f. Nr. 9.2.2.
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Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
Allgemeines: • Vorgaben zur Gestaltung von AVB und Vordrucken.219 So bestand für die AUB 88 die Verpflichtung, §§ 38, 39 a.F. im Anschluss an den Bedingungstext abzudrucken.220 • Vorgaben zur Bündelung von Versicherungsverträgen.221
Vertragsanbahnungsphase: • Verbot von langfristigen Vorversicherungsverträgen.222 • Verbot von Ausspannung und Kündigungshilfe.223
Antragsphase: Ausgestaltung der Antragsvordrucke.224 Angabe der Bindungsfrist im Antrag.225 Regelungen zum Ausweis von Nebengebühren im Antrag.226 Hinweise zur Aushändigung der Antragsdurchschrift und Aushändigung der AVB im Antrag.227 Hinweise zu den vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten.228 Hinweise im Antragsvordruck zu Besonderheiten bei der Versicherung von älteren versicherten Personen (keine Fortführung der Versicherung über das 75. Lebensjahr und Rentenzahlung im Invaliditätsfall, wenn die versicherte Person am Unfalltag das 65. Lebensjahr vollendet hat).229 • Datenschutzklausel.230 • Schweigepflichtentbindungserklärung im Unfallversicherungsantrag231 und in Schadenanzeigen der Allgemeinen Unfallversicherung232 (dazu Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 115 ff.). • • • • • •
Policierungsphase: Vermerke im Versicherungsschein zur Vertragslaufzeit (vgl. § 10).233 Vorgaben zur Anwendung der Billigungsklausel (vgl. § 5).234 Hinweis zu den Folgen beim Verzug mit der Zahlung der Erstprämie (vgl. § 37 Abs. S. 2).235 Hinweis im Versicherungsschein auf das Recht des VN, Abschriften zu verlangen (vgl. § 3 Abs. 4).236 • Hinweis im Versicherungsschein auf die Einschränkung der Agentenvollmacht.237 • • • •
Vertragsdurchführungsphase: • Unterrichtung von minderjährigen VN nach Erreichen der Volljährigkeit über die schwebende Unwirksamkeit und die Genehmigungsbedürftigkeit des Versicherungsvertrages (§ 179 Rn. 28).238
219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229
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VerBAV 1990 479 Nr. 5; VerBAV 1990 11, 12 Nr. 2; VerBAV 1987 167 Nr. 2. VerBAV 1987 417. VerBAV 1990 479, 480 Nr. 8; VerBAV 1990 11, 12 Nr. 9; s.a. VerBAV 1977 403 f. VerBAV 1990 479 Nr. 3; s. u.a. bereits VerBAV 1962 2. VerBAV 1990 479 Nr. 4; VerBAV 1990 11, 12 Nr. 7; VerBAV 1987 167 f. Nr. 7. VerBAV 1990 479 Nr. 6. VerBAV 1990 479 Nr. 6a; VerBAV 1990 11, 12 Nr. 1; VerBAV 1987 167 Nr. 1. VerBAV 1990 479 Nr. 6b; VerBAV 1990 11, 12 Nr. 5; VerBAV 1987 167 Nr. 5. VerBAV 1990 479, 480 Nr. 6c. VerBAV 1990 479, 480 Nr. 6d. VerBAV 1990 11, 13 Nr. 13; VerBAV 1987 167, 168 Nr. 13; ferner GB BAV 1974 76 f. Nr. 811.
230 231 232 233
234
235 236 237 238
VerBAV 1994 287, 288 Nr. III 2; VerBAV 1992 335; VerBAV 1990 75 ff. VerBAV 1989 346. VerBAV 1990 432. VerBAV 1990 479, 480 Nr. 6e; VerBAV 1990 11, 12 Nr. 3a; VerBAV 1987 167 Nr. 3a. VerBAV 1990 479, 480 Nr. 6e; VerBAV 1990 11, 12 Nr. 3b; VerBAV 1987 167 Nr. 3b. VerBAV 1990 11, 14 Nr. 23; VerBAV 1987 167, 169 Nr. 22. VerBAV 1990 11, 12 Nr. 3c; VerBAV 1987 167 Nr. 3c. VerBAV 1990 11, 12 Nr. 4; VerBAV 1987 167 Nr. 4. VerBAV 1994 287, 288 Nr. III 3; VerBAV 1990 479, 480 Nr. 13; VerBAV 1990 129.
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Vor § 178
• Trennung von Abfindungserklärungen (s.a. § 187 Rn. 40) und Quittungen.239 • Änderung und Verlängerung von Versicherungsverträgen.240 So muss z.B. ein Antrag auf Vertragsverlängerung sich deutlich von anderen mit ihm verbundenen Erklärungen abheben.
Weitere Besonderheiten zur Unfallversicherung: • Verwendung der AUB 88 und Umstellung von Bestandsverträgen auf die AUB bei nächster Gelegenheit (mit schriftlichem Einverständnis des VN).241 • Verwendung bestimmter AVB in der Kinderunfallversicherung.242 Lange Zeit wurde die Höhe der Todesfallsumme gedeckelt.243 Diese Beschränkung entfiel im Jahr 1990.244 • Ausschluss des Versicherungsschutzes für bestimmte Gesundheitsschäden nur insoweit, als dem VR entsprechende Vorerkrankungen oder Gebrechen der versicherten Person bei Antragstellung bekannt geworden sind.245 • Gesundheitsschäden infolge Verteidigungs- und Rettungshandlungen gelten als unfreiwillig erlitten und in die Unfallversicherung eingeschlossen (s. dazu auch § 178 Rn. 141 f.).246 • Hinweise auf nicht versicherbare Personen in Antrags- und Versicherungsscheinvordrucken (Ziff. 4 AUB 2008 Rn. 34).247 • Schriftliche Unterrichtung des VN über das Recht des VR zur Risikoprüfung und Ablehnung in der Gruppenunfallversicherung).248 • Bei der Volks-Unfallversicherung Hinweise für versicherte Personen, die das 75. Lebensjahr vollenden (s.a. Rn. 104).249 • Abweichung zu § 38 (§ 39 a.F.) bzw. (eingeschränkt) bestehender Versicherungsschutz bei Unfallversicherungen mit Zuwachs bzw. planmäßiger Erhöhung von Leistung und Beitrag, wenn der VN die Anpassung nicht widerrufen und den bisherigen Beitrag gezahlt hat.250
bb) Öffentlich-rechtliche Auswirkungen. Die VR sind öffentlich-rechtlich zur Einhal- 70 tung des Geschäftsplans verpflichtet und können dazu von der Aufsicht mit den Instrumentarien des VAG angehalten werden.251 In zeitlicher Hinsicht ist Folgendes zu beachten: Für Verträge, die bis zum 28.7.1994 geschlossen worden sind, haben die geschäftsplanmäßigen Erklärungen weiterhin Gültigkeit und müssen vom VR beachtet werden.252 Sie gelten weiterhin auch für nach dem 28.7.1994 abgeschlossene Verträge, sofern sich der VR von ihnen nicht durch Erklärung gegenüber dem Aufsichtsamt gelöst hat.253 In solchen Fällen hat allerdings die Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, im Rahmen der Missstandsaufsicht gegen den VR vorzugehen, wenn die Nichtbeachtung der einst abgegebenen geschäftsplanmäßigen Erklärungen gegen gesetzliche Bestimmungen oder die dazu ergangene Rechtsprechung verstößt.254 239 240 241 242 243 244 245 246
VerBAV 1990 479, 480 Nr. 7; VerBAV 1990 11, 12 Nr. 8; VerBAV 1987 167, 168 Nr. 8. VerBAV 1990 479 Nr. 2; s.a. GB BAV 1989 84 f. Nr. 9.2.6. VerBAV 1987 417 (dazu auch GB BAV 1988 88 Nr. 9.2.1). VerBAV 1990 11, 13 Nr. 14; VerBAV 1987 167, 168 Nr. 14. S. etwa GB BAV 1982 79 Nr. 8110; GB BAV 1976 76 Nr. 814. VerBAV 1990 249 (dazu auch GB 1990 96 Nr. 9.2.3). VerBAV 1995 119, 120 Nr. III 2 a; VerBAV 1990 11, 13 Nr. 13c. VerBAV 1990 11, 13 Nr. 19; VerBAV 1987 167, 169 Nr. 19.
247 248
249 250 251 252 253 254
VerBAV 1990 11, 14 Nr. 20. VerBAV 1990 11, 14 Nr. 21; ferner Grimm 4 GrUV Rn. 10; Wussow/Pürckhauer 6 GrUV Rn. 18. VerBAV 1990 11, 14 Nr. 22 VerBAV 1995 119, 121 Nr. II 2b; VerBAV 1990 11, 14 Nr. 24. BGH 13.7.1988 BGHZ 105 140, 151 = VersR 1988 1062, 1065. Zur Bindungswirkung vor der Deregulierung André S. 74 ff. VerBAV 1994 287. VerBAV 1994 356; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 29.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
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cc) Privat-rechtliche Auswirkungen. Die Frage, ob und inwieweit geschäftsplanmäßige Erklärungen des VR gegenüber der Aufsichtsbehörde Einfluss auf das Rechtsverhältnis zwischen VN und VR erlangen können, stellt sich insbesondere bei Regelungen, die sich unmittelbar auf das versicherungsrechtliche Vertragsverhältnis auswirken.255 Hier drängt sich die – sehr umstrittene256 – Frage nach der zivilrechtlichen Bindungswirkung geradezu auf.257 Nach der Rechtsprechung des BGH gilt Folgendes:258 Die geschäftsplanmäßigen Erklärungen begründen als öffentliches Recht keine unmit72 telbaren vertraglichen Verpflichtungen des VR gegenüber dem VN bzw. keine unmittelbaren Rechte des VN gegen den VR (etwa aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter). Sie sind zivilrechtlich nur relevant, sofern sie zum vereinbarten Vertragsinhalt gehören, sei es, dass die geschäftsplanmäßigen Erklärungen in den (einbezogenen) AVB aufgenommen sind oder in den AVB auf sie verwiesen wird.259 Fehlt es an der Einbeziehung in den Vertrag, begründen geschäftsplanmäßige Erklärungen insbesondere keinen Vertrag zugunsten Dritter (direkt oder analog § 328 BGB).260 Sie können grundsätzlich auch nicht nach Treu und Glauben eine zivilrechtliche Bindungswirkung herbeiführen.261 So kann eine (auf das Rechtsverhältnis zur Aufsichtsbehörde beschränkte) geschäftsplanmäßige Erklärung nicht zur Auslegung und Wirksamkeitsprüfung der vertraglich maßgebenden AVB herangezogen werden.262 Des Weiteren hat die Erklärung des VR gegenüber dem Aufsichtsamt, seine Bestände bei sich bietender Gelegenheit von den AUB 61 auf die AUB 88 umzustellen, keinen Schadensersatzanspruch des VN gegen den VR mit dem Inhalt zur Folge, dass ein Leistungsfall statt nach den vereinbarten AUB 61 nach den AUB 88 zu regulieren wäre (s.a. Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 56). Begünstigte aus einer geschäftsplanmäßigen Erklärung können sie nur mittelbar zur Stärkung ihrer Rechtsposition einsetzen, indem sie sich wegen deren Nichteinhaltung an das Aufsichtsamt wenden. Die Behörde kann dann gemäß § 81 VAG gegen den VR vorgehen.263 Die zivilrechtliche Irrelevanz geschäftsplanmäßiger Erklärungen ist wiederholt „aufge73 weicht“ worden. Z.T. wird etwa angenommen, dass eine geschäftsplanmäßige Erklärung je nach Einzelfall die Annahme einer Einwendung des VN gegen den VR (wegen widersprüchlichem Verhalten)264 erlaube.265 Auch der BGH hat entschieden, dass die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen des VR Rückwirkungen auf das private Versicherungsverhältnis haben können. Inwieweit der einzelne VN ein eigenes Recht auf Beachtung der
255 256
257 258
259
260
40
Bindungswirkung bejahend etwa Bruck/Möller/Sieg 8 Bd. 3 Anm. A 21. Eingehend André S. 98 ff.; Fuchs S. 37 ff. Glauber VersR 1993 12, 13 ff.; ferner etwa Prölss/Martin/Prölss 27 Vorbem. I Rn. 120; offen lassend OLG Saarbrücken 25.11.1987 VersR 1989 245, 246. Fuchs S. 16. Grundlegend BGH 13.7.1988 BGHZ 105 140, 150 ff. = VersR 1988 1062, 1065 f.; zustimmend Glauber VersR 1993 12, 14 f. BGH 13.7.1988 BGHZ 105 140, 151; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 29; eingehend Fuchs S. 52 ff. (zusammenfassend S. 161 ff.). BGH 7.2.1996 VersR 1996 486, 487 = NJW 1996 1409, 1410; BGH 13.7.1988 BGHZ 105 140, 151; OLG Düsseldorf 31.10.1967
261 262 263
264 265
VersR 1968 243, 244 mit zustimmender Anm. Klatt; a.A. OLG Oldenburg 21.6.1974 NJW 1974 2133, 2134; wohl auch OLG Düsseldorf 5.9.2000 NVersZ 2001 279, 280; OLG Hamm 17.3.1993 VersR 1994 37, 38 = RuS 1993 441 f. (i.E. aber verneint). Eingehend Fuchs S. 166 ff. (zusammenfassend S. 216 ff.) BGH 7.2.1996 VersR 1996 486, 487. OLG Bamberg 13.3.1997 VersR 1998 833, 834; OLG Hamm 17.3.1993 VersR 1994 37, 38; Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 29; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 34. OLG Düsseldorf 31.10.1967 VersR 1968 243, 244. Eingehend Fuchs S. S. 219 ff. (zusammenfassend S. 249 ff.).
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geschäftsplanmäßigen Erklärung erwerbe, sei entsprechend den in § 328 Abs. 2 BGB genannten Kriterien zu beurteilen.266 Besondere Bedeutung komme der Veröffentlichung der geschäftsplanmäßigen Erklärung im Amtsblatt des Aufsichtsamts (VerBAV) zu. Dadurch werde deutlich, dass die geschäftsplanmäßige Erklärung nicht nur das Rechtsverhältnis zwischen dem VU und dem Aufsichtsamt betreffe, sondern auch für Dritte von Bedeutung sein könne.267 Soweit durch geschäftsplanmäßige Erklärungen Rechte des VN begründet werden, gelten für ihre Auslegung die Grundsätze, die die Rechtsprechung für die Auslegung von AVB (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008) entwickelt hat.268 Maßgebend ist damit die Sichtweise eines „durchschnittlichen VN“.269 c) Missstandsaufsicht. Besondere Bedeutung hat die Missstandsaufsicht durch die 74 BaFin (§ 81 VAG). Sie bezweckt, Gesetzes- und Geschäftsplanverstöße sowie einer sonstigen nicht ordnungsgemäßen Durchführung des Geschäftsbetriebs durch den VR entgegen zu wirken. So kann die Aufsicht im Rahmen der Bearbeitung von VN-Beschwerden Einfluss auf die Geschäftspraxis des VR (z.B. bei der Auslegung und Anwendung von Vertragsregelungen) nehmen. Voraussetzung ist indes, dass das Verhalten des VR nach gesicherter Auffassung in der Rechtsprechung und Lehre gegen Normen verstößt.270 Des Weiteren kann die Aufsichtsbehörde Missständen bei den Tarifen begegnen. Zwar sind Prämienhöhe und Versicherungssumme nach AGB-Recht nicht kontrollfähig (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 90 ff.), jedoch achtet die Aufsichtsbehörde einerseits darauf, dass die Erfüllbarkeit der Verträge gewährleistet ist. Andererseits wird sie einer wucherischen oder sittenwidrigen Prämiengestaltung entgegenwirken.271 Im Rahmen der Missstandsaufsicht hat die Aufsichtsbehörde die Befolgung der Vor- 75 schriften des VAG und aller sonstigen zum Schutz der versicherten Person geschaffenen Spezialgesetze zu überwachen. Eingriffsmöglichkeiten bestehen indes nur dann, wenn die Belange von Versicherten berührt sind. Der Schutz von Mitbewerbern des VR, sonstigen Marktbeteiligten oder der Allgemeinheit ist nicht bezweckt.272 Zu beachten ist u.a. das AGB-Recht. So kann die BAFin – auch nach Wegfall der Bedingungsgenehmigung im Zuge der Deregulierung (Rn. 12) – eine Inhaltskontrolle von AGB, AVB, Besonderen Vertragsbedingungen, Tarifen und Klauseln nach § 307 ff. BGB vornehmen und ggf. gegenüber den VR die Verwendung bestimmter AGB untersagen.273 Wiederholter Gegenstand der aufsichtsrechtlichen Betrachtung war des Weiteren das 76 Wettbewerbsrecht (UWG).274 U.a. folgende Themen, die auch für die Unfallversicherung Geltung beanspruchen, waren Gegenstand von Stellungnahmen: • Irreführende Werbung durch einen Versicherungsvermittler. Beanstandet wurde es etwa, wenn sich ein Versicherungsvertreter gegenüber dem Versicherungsinteressierten als Versicherungsmakler geriert, die vom Versicherungsvertreter verwendeten Drucksstücke nicht den Risikoträger klar ausweisen oder in den Angeboten des Vermittlers Wochenbeiträge zur Erzeugung des Eindrucks eines außergewöhnlich billigen Angebots genannt werden, obwohl der VR diese Zahlungsweise nicht vorsieht.275
266 267
268 269 270
So etwa KG 10.2.1995 VersR 1996 1397, 1398. BGH 13.7.1988 BGHZ 105 140, 151 f.; ferner OLG Oldenburg 21.6.1974 NJW 1974 2133, 2134; siehe auch OLG Düsseldorf 31.10.1967 VersR 1968 243, 244. BGH 13.7.1988 BGHZ 105 140, 153. BGH 4.10.1995 VersR 1996 51, 52. Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 30 f.
271
272 273 274 275
Leverenz VersR 1997 652, 658 f. m.w.N.; ferner Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 28 und 30. Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 31. BVerwG 25.6.1998 VersR 1998 1137, 1138 f. Zusammenfassende Darstellung bei Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 31. VerBAV 1967 226.
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Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
• Straßenwerbung für (Rechtsschutz-) Versicherungen gegenüber Geschädigten nach Straßenverkehrsunfällen.276 • Koppelung von Waren- und Dienstleistungsgeschäften (z.B. Buchung einer Reise277 oder von Kreditkartenangeboten278) mit Versicherungsschutz (z.B. Unfall-, Reiseversicherungen).279
77
Darüber hinaus existieren zahlreiche Rundschreiben und Stellungnahmen, die sich speziell mit dem Vertrieb von Unfallversicherungen befassen. Beispiele: • Geringwertige Unfallversicherungen als Reklamemittel bzw. „Gratiszugabe“ oder „Beigabe“ im Warenhandel.280 • (Zulässige) Werbung für Schüler-Unfallversicherungen durch Lehrer.281 Zu beanstanden ist es dagegen, wenn Versicherungsvermittler sich als Beauftragte der Schulverwaltung ausgeben und den Anschein erwecken, die Eltern seien den Schulen gegenüber zum Versicherungsabschluss verpflichtet.282 • Kombination des Vertriebs von Zeitschriften mit der Vermittlung von Unfallversicherungsverträgen.283 So sind obligatorische Gruppen-Unfallversicherungen für Zeitschriftenabonnenten bedenklich. • Gewährung von Unfallversicherungsschutz im Zusammenhang mit dem Abschluss von Sparverträgen284 sowie Abzahlungs- und Kreditgeschäften.285 • Abhängigkeit der Kreditvergabe zu günstigen Bedingungen oder lukrativer Nebenverdienstmöglichkeiten vom Abschluss einer Unfallversicherung.286 • Zulässigkeit der vergleichenden Werbung zwischen privater und gesetzlicher Unfallversicherung, es sei denn, die Leistungen oder die Bedeutung der gesetzlichen Unfallversicherung werden falsch oder missverständlich dargestellt.287
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Schließlich erlangt das aufgrund der – rechtspolitisch umstrittenen288 – Verordnungsermächtigung in § 81 Abs. 2 S. 4 und 6 VAG erlassene Verbot von Sondervergütungen und Begünstigungsverträgen in der Schadenversicherung289 immer wieder – gerade im Zusammenhang mit Gruppen-Unfallversicherungsverträgen – an praktischer Relevanz. Das Verbot steht in einer langjährigen Tradition der Versicherungsaufsicht, nur die Versicherung bestimmter Personenkreise über einen Gruppenvertrag zuzulassen und der ungerechtfertigten Begünstigung von Personenmehrheiten entgegenzuwirken.290 § 2 Abs. 2 BegünstigungsVO bestimmt folgerichtig, dass eine Begünstigung vorliegt, wenn VN oder versicherte Person hinsichtlich der Versicherungsbedingungen (Leistungsumfang) oder des Versicherungsentgelts im Verhältnis zu gleichen Risiken desselben VR ohne sachlich gerechtfertigten Grund besser gestellt werden. Ziel des Begünstigungsverbots ist es, die dauerhafte Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge zu gewährleisten und ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen der versicherten Person entgegen zu wirken. Der Vereinbarung von Vertragsbedingungen, die individuell dem Risiko (ohne Sondervorteile) angepasst sind, steht es nicht entgegen.291
276 277 278 279
280 281 282 283
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VerBAV 1968 120 f.; dazu auch OLG Nürnberg 14.3.1967 VerBAV 1968 137 f. VerBAV 1969 167 f. VerBAV 1991 59. VerBAV 1990 339 ff.; VerBAV 1994 359; s. u.a. bereits VerBAV 1961 69 f.; ferner GB BAV 1988 88 f. Nr. 9.2.4; GB BAV 1979 93; näher Präve VW 1992 1529 ff. VA 1926 137 f.; VA 1933 234. VA 1949 66. GB BAV 1976 76 Nr. 815. VerBAV 1954 181 f. (aufgehoben in VerBAV
284 285 286 287 288 289 290 291
1995 119, 120 Nr. I 4); ferner GB BAV 1984 89 Nr. 9.2.4.; VerBAV 1952 57. VerBAV 1970 240; dazu auch GB BAV 1970 93 und GB 1971 84. GB BAV 1969 91. GB BAV 1989 84 Nr. 9.2.4. GB BAV 1979 88 f. Nr. 819. Prölss/Kollhosser12 § 81 VAG Rn. 71 ff. VerBAV 1982 456 f.; s.a. VerBAV 1949 53 ff.; VA 1934 103 ff. S. etwa Millauer S. 117 ff. Grimm4 GrUV Rn. 5.
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Vor § 178
In der Begründung zu § 2 BegünstigungsVO wird der Begriff der Begünstigung näher 79 erläutert. Danach verändern Begünstigungen „die laufenden Leistungspflichten der Partner des Versicherungsvertrags unmittelbar, sei es durch Herabsetzung der (Tarif-) Prämie oder Besserstellung hinsichtlich des Leistungsumfangs des Versicherungsunternehmens ohne Erhebung einer Vertragsprämie. Nicht als Begünstigung angesehen wird ein Nachlass auf die Tarifprämie, der sachlich gerechtfertigten Gründen Rechnung trägt, insbesondere wenn dadurch individuellen Risikoverhältnissen Rechnung getragen wird oder nachgewiesene Kostenersparnisse berücksichtigt werden.“292 Keine gerechtfertigte und damit zulässige Besserstellung liegt vor, wenn andere VN oder versicherte Personen durch die Besserstellung belastet werden. Für die Beurteilung gilt ein objektiver Maßstab.293 Nicht ausreichend für eine Rechtfertigung ist294 • • • •
die bloße Erwartung günstigerer Risikoverhältnisse. die Konkurrenz mit günstigeren Angeboten anderer Anbieter. das Vorliegen einer Familien- oder Zufallsgemeinschaft zwischen den versicherten Personen. die Durchführung eines bloßen Sammelinkassos durch den Vertragspartner. Zur Rechtfertigung eines Beitragsnachlasses muss die Übernahme weiterer Tätigkeiten hinzutreten wie die Inkassokontrolle, die Bearbeitung von Beitragsrückständen, das Nachtragsinkasso, die Bestandspflege und die Erteilung von Auskünften.295
Der VR ist vielmehr an die Konditionen gebunden, die im Tarifbuch vorgesehen sind.296 Dies bedeutet indes nicht, dass er gehindert ist, sein Tarifwerk für die Zukunft zu ändern.297 Problematisch sind auch Maklerbedingungen, die für Kunden von Maklerfirmen generell Bedingungs- und Kostenvorteile enthalten.298 Das Begünstigungsverbot darf nicht durch „Bedingungskosmetik“ umgangen werden.299 Verstöße gegen das Begünstigungsverbot führen nicht zur Nichtigkeit des Versiche- 80 rungsvertrages nach § 134 BGB.300 Sie begründen weiterhin keine Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB. Zwar mögen Begünstigungsverträge aus ordnungspolitischer Sicht Bedenken ausgesetzt sein, jedoch laufen sie deshalb nicht bereits der vorherrschenden Rechts- und Sozialmoral zuwider.301 Aufsichtsrechtlich sind Verstöße gegen das Begünstigungsverbot als Missstand anzusehen (§ 81 Abs. 2 S. 1 VAG), der die BaFin zum Eingreifen gegenüber den VR berechtigt.
III. Gleichbehandlungsgrundsatz Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist kein fremdes Element im Versicherungsrecht, son- 81 dern fußt auf weit reichenden Wurzeln, ohne dass von einem allgemeinen versicherungsrechtlichen Leitbild gesprochen werden kann.302 Eine (teilweise) gesetzliche Verankerung besteht seit Langem im Versicherungsaufsichtsrecht:303
292 293 294 295 296 297 298
VerBAV 1982 456, 457. Grimm4 GrUV Rn. 4. Vgl. Grimm4 GrUV Rn. 4. Drews ZfV 1984 10, 14 ff. (zur Lebensversicherung). Grimm4 GrUV Rn. 4; Rieger VP 1981 163, 164. Näher Grimm4 GrUV Rn. 4; Rieger VP 1981 163, 164. Wussow/Pürckhauer6 GrUV Rn. 4.
299 300
301 302 303
Grimm4 GrUV Rn. 5. Prölss/Kollhosser 12 § 81 VAG Rn. 98; Millauer S. 129 ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 68. LG Köln 19.9.1984 VersR 1985, 384, 385. Eingehend Krömmelbein S. 1 ff. (zusammenfassend S 369 f.). Eingehend Krömmelbein S. 61 ff.; ferner Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 168.
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Vor § 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
• §§ 11 Abs. 2, 11d, 12 Abs. 4 VAG ordnen für die Lebensversicherung, die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr und die substitutive Krankenversicherung (siehe auch § 178g a.F.) an, dass bei gleichen Voraussetzungen Prämien und Leistungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen werden dürfen. • § 12 Abs. 1 VAG sieht für die substitutive Krankenversicherung u.a. vor, dass die Prämien auf versicherungsmathematischer Grundlage unter Zugrundelegung von Wahrscheinlichkeitstafeln und anderen einschlägigen statistischen Daten, insbesondere unter Berücksichtigung der maßgeblichen Annahmen zur Invaliditäts- und Krankheitsgefahr, zur Sterblichkeit, zur Alters- und Geschlechtsabhängigkeit des Risikos und zur Stornowahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung von Sicherheits- und sonstigen Zuschlägen sowie eines Rechnungszinses zu berechnen sind. • § 21 Abs. 1 VAG sieht für den VVaG vor, dass Mitgliederbeiträge und Vereinsleistungen an die Mitglieder bei gleichen Voraussetzungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen werden dürfen. Ein Verstoß gegen die aufsichtsrechtliche Vorgabe führt nicht zur Nichtigkeit des zivilrechtlichen Versicherungsvertrags.304 • Die Ausgrenzung oder Diskriminierung behinderter Menschen durch einen VR begründet einen Missstand i.S.v. § 81 VAG.305 • Nach § 81e VAG sind Tarifbestimmungen und Prämienkalkulationen als Missstand anzusehen, wenn sie auf die Staatsangehörigkeit des VN oder der versicherten Person oder deren Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe abstellen. Sog. Ausländertarife sind damit nach Aufsichtsrecht untersagt. Folgerichtig hat schon das BAV festgestellt, dass eine bedingungsgemäße Schlechterstellung ausländischer VN mit Art. 3 Abs. 3 GG nicht vereinbar ist und Klauseln nicht genehmigungsfähig sind, die darauf abzielen, dass der Unfallversicherungsschutz für Ausländer bei Aufgabe des inländischen Wohnsitzes automatisch erlischt. Der VR sei ausreichend vor einer Leistungspflicht ohne Beitragszahlung durch §§ 37, 38 (§§ 38, 39 a.F.) geschützt.306 • Regelungen zu Sondervergütungs- und Begünstigungsverboten (Rn. 78 ff.).
82
Die Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes rückt durch das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)307 am 18.8.2006 noch stärker – für alle Versicherungssparten – in den Fokus; denn das inhaltlich weit reichende und dementsprechend heftig diskutierte „Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien308 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ vom 14.8.2006, mit dem der deutsche Gesetzgeber über europarechtliche Vorgaben noch hinausgeht,309 erlangt mit seinem Art. 1 – dem AGG – und dem dort geregelten zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot erhebliche praktische Bedeutung für die Versicherungswirtschaft. Es hat auch Auswirkungen auf die Unfallversicherung, da sie – genauso wie andere Personenversicherungssparten – Differenzierungen zwischen Risikoklassen vornimmt. Bereits jetzt zeigt sich, dass das Gesetz aufgrund ungenauer bzw. auslegungsbedürftiger Formulierungen eine Vielzahl von Detailfragen aufwirft, die voraussichtlich zu Rechtsunsicherheiten führen werden. Insofern bleibt die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung abzuwarten.
304 305
306 307
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OLG Frankfurt/M. 5.3.1928 VA 1928 224 f. Nr. 1879; Prölss/Weigel 12 § 21 VAG Rn. 15. S. etwa Parlamentarische Staatssekretärin Hendricks auf Anfrage des Abgeordneten Laumann, abgedruckt in VersR 2003 45. GB BAV 1977 76 Nr. 814. BGBl. 2006 Teil I Nr. 39, 1897 vom 17.8.2006; dazu etwa Bruck/Möller/Beckmann Einf. A Rn. 166 ff.
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Zur Entstehungsgesichte s. etwa Krömmelbein S. 236 ff.; krit. zur Rechtsetzungskompetenz der EG Sodan ZVersWiss 2004 539 ff. BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 25 f.
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Vor § 178
1. Gesetzlicher Rahmen Um Ansprüche aus dem AGG ableiten zu können, deren Durchsetzung u.a. durch 83 eine spezielle Beweislastregelung erleichtert wird, müssen folgende Voraussetzungen vorliegen: • Der Anwendungsbereich des Gesetzes muss eröffnet sein. • Es muss eine Benachteiligung vorliegen. • Es darf keine Rechtfertigung für die Benachteiligung eingreifen.
a) Anwendungsbereich des AGG. Der zeitliche Anwendungsbereich der Neuregelun- 84 gen wird durch Übergangsbestimmungen in § 33 AGG bestimmt. U.a. sieht § 33 Abs. 4 S. 1 AGG vor, dass das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot auf Schuldverhältnisse, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben, nicht anzuwenden ist, wenn diese vor dem 22.12.2007 begründet worden sind. Dadurch soll es den VR ermöglicht werden, ihre Kalkulationen, Vertragsmuster und Versicherungsbedingungen in angemessener Zeit den neuen Anforderungen anzupassen.310 Diese Regelung gilt indes nicht für spätere Änderungen solcher Schuldverhältnisse (§ 33 Abs. 4 S. 2 AGG). Dies wird man so verstehen müssen, dass die Neuregelungen nur für die geänderten Teile, nicht aber für die unverändert gebliebenen Altteile von Verträgen heranzuziehen sind.311 Was allerdings genau unter einer Vertragsänderung zu verstehen ist, lässt der Gesetzgeber offen. Maßgebend dürfte sein, ob wesentliche Vertragsinhalte betroffen sind (z.B. AVB, versicherte Risiken oder Leistungsarten verändert werden; s.a. Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 22). Bloße Anpassungen während der Vertragsdurchführung (z.B. Änderung der Zahlungsweise, Dynamisierung von Leistungen und Prämien) dürften genauso wenig wie Änderungen des Bezugsrechts gemeint sein.312 b) Inhalt des AGG. Das AGG zielt darauf ab, – unmittelbare und mittelbare – Be- 85 nachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft (z.B. Hautfarbe), des Geschlechts (auch Schwanger- und Mutterschaft), der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (z.B. Homosexualität, Transsexualität) zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1 AGG).313 Dabei liegt nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 1 S. 1 AGG eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Von einer mittelbaren Benachteiligung spricht das Gesetz, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen könnten, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich (§ 3 Abs. 2 AGG).314 Hier wird es mithin insbesondere auf die Intention der jeweiligen Regelung ankommen. aa) Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot. Konsequenz der gesetzgeberischen Ziel- 86 setzung ist es, dass ein zivilrechtliches Benachteiligungsverbot besteht. Die in § 1 AGG
310 311 312 313
BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 53. Armbrüster VersR 2006 1297, 1306. So auch der GDV. Zu den einzelnen Begriffen s. etwa die
314
Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 30 f. Näher hierzu Armbrüster VersR 2006 1297, 1301.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
genannten Benachteiligungen sind im Grundsatz u.a. bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse unzulässig, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Die explizite und gegenüber § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG speziellere Regelung in § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG war notwendig, da die in § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG angesprochenen „Massengeschäfte“ private Versicherungen nicht bzw. nicht ausreichend erfassen. Während es sich bei den Massengeschäften um Schuldverhältnisse handelt, die typischerweise „ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“, handelt es sich bei Versicherungsverträgen um Verträge, bei denen die Umstände des Einzelfalles ausschlaggebende Bedeutung für die regelmäßig vorgesehene individuelle Risikoprüfung erlangen.315 Warum dies allerdings eine Spezialregelung nur für Versicherungen und nicht etwa für andere Finanzdienstleister wie Banken erforderlich macht, bleibt offen.316 Eine Beschränkung des Benachteiligungsverbots auf die Versicherung elementarer Lebensrisiken lässt der Wortlaut des § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG nicht zu.317 Erfasst sind Benachteiligungen in jeder Phase des Versicherungsverhältnisses, also bei der • Begründung, zu der neben dem eigentlichen Vertragsschluss auch die konkrete Vertragsanbahnung, aber auch schon das Unterbreiten öffentlicher Angebote zum Abschluss von Versicherungsverträgen zählen.318 • Durchführung und Abwicklung, z.B. bei (Kulanz-)Leistungen; • Beendigung durch Gestaltungserklärungen (wie z.B. Rücktritt oder Kündigung) und Abschluss eines Aufhebungsvertrages.
Benachteiligungen können resultieren aus:319 • der vollständigen oder teilweisen Vertragsweigerung durch Selektion z.B. nach Alter, Geschlecht oder Gesundheitszustand oder aufgrund von Vorauswahlverfahren für VN mit bestimmten Merkmalen; • Schlechterstellungen innerhalb eines bestehenden Versicherungsvertragsverhältnisses durch Regelungen zum Versicherungsschutz (z.B. Begrenzung der Risikoübernahme oder Schaffung spezieller Vertragsbestimmungen wie Vertragsanpassungsklauseln für Menschen mit bestimmten Merkmalen) oder zur Prämienfestsetzung (z.B. Zuschläge für bestimmte versicherte Personen). Fernerhin kann eine Benachteiligung aus einer Verwaltungspraxis resultieren (z.B. infolge der Ausübung von Gestaltungsrechten durch den VR gegenüber VN, die ein bestimmtes Alter erreicht haben).
87
bb) Rechtfertigungsgründe. Nicht jede unterschiedliche Behandlung von Kunden oder Kundensegmenten ist als eine verbotene Benachteiligung i.S.d. AGG zu werten. Allerdings ist eine Benachteiligung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft in privatrechtlichen Versicherungsverträgen absolut unzulässig.320 Eine Rechtfertigung für solche unterschiedlichen Behandlungen ist in § 20 AGG nicht vorgesehen. Im Übrigen ist auf § 81e VAG zu verweisen. Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist dagegen nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt (§ 20 Abs. 1 S. 1 AGG). Für das Versicherungswesen enthält § 20 Abs. 2 AGG zwei spezielle Rechtfertigungstatbestände, um erforderliche Differenzierungen bei Prämien oder Leistungen weiterhin zu ermöglichen.
315 316
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BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 42; Heilmann ZfV 2006 679, 680 f. U.a. deshalb beklagt Armbrüster VersR 2006 1297 f. ein Begründungsdefizit beim Gesetzgeber.
317 318 319 320
Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 2. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 2. Dazu etwa Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 2. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 2 f.
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Vor § 178
Hintergrund für § 20 Abs. 2 AGG ist, dass das AGG zwar vor Willkür schützen soll, 88 das Gesetz jedoch nicht bezweckt, die auch im Interesse der Versicherten erforderliche Differenzierung nach dem ex ante beurteilten individuellen Risiko unmöglich zu machen (s.a. Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 3). Diese Differenzierung gehört zu den Grundprinzipien der privatrechtlichen Versicherungswirtschaft.321 Wird auf sie verzichtet, droht eine Antiselektion, die letztlich die dauerhafte Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus dem Versicherungen (§ 81 VAG) gefährden kann.322 Eine negative Risikoselektion könnte der Gesetzgeber zwar durch Vorgaben zur Prämienkalkulation oder Tarifierung unterbinden, jedoch würde dann das mit der Deregulierung verfolgte Ziel, größtmöglichen Wettbewerb zu schaffen, wieder in Frage gestellt.323 Im Übrigen sollten die Anforderungen an den VR nicht überspannt werden. Zunächst kann im Grundsatz davon ausgegangen werden, dass VR sich in einem funktionierenden Versicherungsmarkt schon im Interesse ihrer eigenen Wettbewerbsfähigkeit auf Grundlage gesicherter Erkenntnisse ökonomisch sinnvoll verhalten und keine willkürlichen Differenzierungen vornehmen. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass übertriebene Eingriffe in die Produktgestaltung zu einem höheren Prämienniveau und einer Reduzierung der Angebotsvielfalt führen können, die letztlich zu Lasten der Versicherungsinteressierten bzw. VN gehen.324 Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts ist in versicherungsrecht- 89 lichen Verträgen bei den Prämien oder Leistungen (z.B. durch Risikoausschlüsse) nur zulässig, wenn deren Berücksichtigung bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist (§ 20 Abs. 2 S. 1 AGG).325 Die Interpretation dieser unbestimmten Rechtsbegriffe birgt erhebliche Spielräume und damit Rechtsunsicherheiten. • Unter versicherungsmathematischen Daten sind solche zu verstehen, die nach den anerkannten Grundsätzen der Versicherungsmathematik (Wahrscheinlichkeitsberechnung) zur Ermittlung eines bestimmten Risikos ermittelt werden.326 • Statistische Daten beruhen auf der Quantifizierung und Interpretation von Massenerscheinungen.327 Mit Hilfe der Statistik kann die Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts für den einzelnen VN geschätzt werden. • Von einem „bestimmenden Faktor“ kann nach der Gesetzesbegründung nur in dem Fall gesprochen werden, in dem das Geschlecht nicht nur ein Differenzierungskriterium unter vielen darstellt, sondern es sich um einen maßgeblichen Faktor bei der Beurteilung der versicherten Risiken handelt, wenn auch nicht unbedingt um den einzigen. Dessen Heranziehung darf nicht willkürlich sein.328 Offen bleibt dabei, wann ein Faktor maßgeblich ist.329 • „Relevant“ und „genau“ sind nach Auffassung des Gesetzgebers nur Daten, die eine stichhaltige Aussage über das Merkmal Geschlecht als versicherungsmathematischen Faktor erlauben. Die Daten müssen nach der Gesetzesbegründung deshalb verlässlich sein, regelmäßig aktualisiert werden und auch der Öffentlichkeit (Rn. 97) zugänglich sein.330
Die praktische Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Die Erstellung von Statistiken unterliegt Grenzen. Nicht immer kann der VR (z.B. bei seltenen oder neu erkannten Erkrankungen) auf einen genügend langen
321 322 323 324 325
BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 45. Heilmann ZfV 2006 679, 681 f. Wandt S. 117, 121 f.; ders. VersR 2004 1341, 1342. Näher Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 3 f. Zur Entwicklung der Regelung Thüsing/ v. Hoff VersR 2007 1, 4.
326 327 328 329 330
Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 5. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 5. BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 45. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 6. BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 45.
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Beobachtungszeitraum und ein hinreichend großes beobachtetes Kollektiv zurückgreifen. Z.T. sind in der Vergangenheit schlicht die notwendigen Daten nicht erhoben worden. Bei Produktinnovationen kann häufig für eine gewisse Zeit nur mit plausiblen Annahmen gearbeitet werden.331 Werden hier höhere Anforderungen gestellt, ist zu befürchten, dass aufgrund rechtlicher Bedenken neuartige Risiken für einen längeren Zeitraum unversicherbar sind. Insgesamt muss damit gerechnet werden, dass es zukünftig zu Streitigkeiten zwischen VN und VR u.a. darüber kommen wird, ob etwa das ausgewertete Datenmaterial quantitativ und qualitativ ausreichend ist, Vergleichsgruppen korrekt ausgewählt oder Untersuchungszeiträume zutreffend bemessen worden sind.332 In Versicherungsverträgen ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion 90 oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen (§ 20 Abs. 2 S. 3 AGG). Dem liegt nach der Gesetzesbegründung die Erwägung zugrunde, dass als Risikomerkmale ohnehin nur solche Umstände herangezogen werden können, die zu vertretbaren Kosten statistisch erfassbar sind und einen deutlichen statistischen Zusammenhang mit der Schadenserwartung aufweisen.333 Die Anforderungen für die Rechtfertigung sind hier geringer als bei der Berücksichtigung des Geschlechts als Risikofaktor.334 • Unter dem Begriff „anerkannte Prinzipien risikoadäquater Kalkulation“ versteht der Gesetzgeber eine Zusammenfassung der Grundsätze, die von Versicherungsmathematikern bei der Berechnung der Prämien und Deckungsrückstellungen anzuwenden sind. Dabei verweist er auf die gesetzlichen Grundlagen z.B. in §§ 11, 65 VAG oder §§ 341 f. HGB. Es sind bestimmte Rechnungsgrundlagen, mathematische Formeln und kalkulatorische Herleitungen zu verwenden, wobei hierbei – falls vorhanden oder mit vertretbarem Aufwand erstellbar – auch statistische Grundlagen (z.B. Sterbetafeln) heranzuziehen sind. Ferner muss auf anerkannte medizinische Erfahrungswerte und Einschätzungstabellen der Rückversicherer zurückgegriffen werden.335 Damit stellt die Gesetzesbegründung klar, dass – anders als in der ursprünglichen Fassung des AGG vorgesehen – nicht mehr das gesamte Risikoprüfungsinstrumentarium unterhalb von Statistiken außer Betracht bleiben soll.336 • Offen ist, welche Folgerungen aus dem Wort „insbesondere“ in § 20 Abs. 2 S. 3 AGG abzuleiten sind. Es wird zulässig sein, auch andere sachliche Differenzierungsgründe wie z.B. naturwissenschaftliche Kausalzusammenhänge oder versicherungsmedizinisches Erfahrungswissen in Betracht zu ziehen.
91
Aufgrund der Formulierung des § 20 Abs. 2 S. 1 und 3 („im Fall des § 19 Abs. 1 Nr. 2 nur zulässig“) ist noch nicht abschließend geklärt, ob die versicherungsspezifischen Differenzierungsgründe in § 20 Abs. 2 AGG abschließenden Charakter haben oder zusätzlich auch auf die Gründe im Grundtatbestand des § 20 Abs. 1 AGG zurückgegriffen werden kann.337 Dann wäre z.B. eine unterschiedliche Behandlung zulässig, wenn sie besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 AGG).338
331 332 333
334
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Heilmann ZfV 2006 679, 682 f. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 5 f. BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 45 mit Hinweis auf Wandt VersR 2004 1341, 1342. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 7.
335 336 337 338
BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 45. Heilmann ZfV 2006 679, 680. Heilmann ZfV 2006 679, 681; Thüsing/ v. Hoff VersR 2007 1, 3. So Armbrüster VersR 2006 1297, 1300 f.
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c) Sanktionen bei Verstößen gegen das AGG. Bei einem Verstoß gegen das Benachtei- 92 ligungsverbot sieht das AGG mehrere Sanktionen vor.339 Der Benachteiligte kann unbeschadet weiterer Ansprüche die Beseitigung der – gegenwärtigen – Beeinträchtigung verlangen und – bei Gefahr weiterer Beeinträchtigungen – auf Unterlassung klagen (§ 21 Abs. 1 AGG). Darüber hinaus kommen Schadensersatzansprüche in Betracht (§ 21 Abs. 2 AGG). Die speziellen Ansprüche aus § 21 AGG können nur innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden, es sei denn, der Benachteiligte war ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert (§ 21 Abs. 5). Es handelt sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist, die von Amts wegen zu beachten ist.340 Im Gesetz nicht vorgesehen ist ein Anspruch auf Abschluss eines verweigerten Vertrags. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung die Frage nach einem etwaigen Kontrahierungszwang des VR beurteilen wird.341 d) Konkurrenzen. Ansprüche aus unerlaubter Handlung bleiben durch das AGG un- 93 berührt (§ 21 Abs. 3 AGG). In Betracht kommt Schadensersatz wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstigem Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB oder aufgrund einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB). Im Regelfall werden die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 826 BGB allerdings nicht vorliegen, wenn der VR einen Vertragsschluss mit einem behinderten Menschen ablehnt. • Sofern der VR seine Entscheidung auf sachliche Erwägungen stützen kann, wird es typischerweise an einem Verstoß gegen die guten Sitten fehlen. So liegt etwa der Fall, in dem die Ablehnung des VR mit der (begründeten) Intention erfolgt, die Risiken für die Versichertengemeinschaft berechenbar zu halten und Vorgaben des Rückversicherers nachzukommen. Eine Verpflichtung des VR, Versicherungsschutz zu einer erhöhten Prämie oder mit einer Ausschlussklausel anzubieten, besteht nicht.342 • Es fehlt an dem Kausalzusammenhang zwischen einer etwaigen sittenwidrigen Schädigung und dem Schaden (fehlender Versicherungsschutz), wenn davon auszugehen ist, dass der VR für die Unfallfolgen einen Ausschluss vorgesehen hätte.343 • Dem Anspruchsteller kann ein Mitverschulden anzulasten sein, wenn er sich nicht um den Abschluss einer (Unfall-)Versicherung bei einem anderen Anbieter bemüht hat.344
§ 823 Abs. 2 BGB kommt dagegen von vornherein nicht zur Anwendung, da § 19 Abs. 1 und 2 AGG kein Schutzgesetz ist.345 Weiterhin können Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach § 1004 BGB analog eingreifen. Auch §§ 280, 311 Abs. 2 BGB (Anspruch aus culpa in contrahendo) sind anwendbar. Neben zivilrechtlichen Ansprüchen können Verstöße gegen das AGG des Weiteren Maßnahmen im Rahmen der Missstandsaufsicht durch die BAFin (§ 81 VAG) begründen. e) Abweichende Vereinbarungen. Auf Vereinbarungen, die von dem Benachteiligungs- 94 verbot abweichen, kann sich der Benachteiligende nicht berufen (§ 21 Abs. 4 AGG). § 19 Abs. 1 und 2 AGG sind als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB anzusehen. Daraus folgt die Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften, die – ohne Rechtfertigung nach § 20 AGG – von
339
340 341
Eingehend Armbrüster VersR 2006 1297, 1302 ff.; ferner Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 8 f. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 9. Ablehnend Armbrüster NJW 2007 1494 ff.; ders. VersR 2006 1297, 1303 f.; bejahend Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 9.
342 343 344 345
OLG Karlsruhe 18.12.2007 VersR 2008 522 = RuS 2009 74, 75. OLG Karlsruhe 18.12.2007 VersR 2008 522, 523. Offen lassend OLG Karlsruhe 18.12.2007 VersR 2008 522, 523. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 9.
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dem zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot abweichen. Mit Schwierigkeiten ist zu rechnen, wenn ein Versicherungsvertrag an die „üblichen“ Prämien und Leistungen angepasst werden soll.
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f) Prozessuales. Bei der Geltendmachung etwaiger Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach § 21 AGG dürfen Antidiskrimierungsverbände den Benachteiligten unterstützen (§ 23 AGG). Neben den spezialgesetzlichen Regelungen nach dem AGG können Verbände Verstöße gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot auch nach dem UKlaG und dem UWG verfolgen.346 Die Beweislastregel in § 22 AGG ist schwer verständlich und birgt Auslegungspro96 bleme.347 Im Streitfall genügt es für die Annahme einer Beweislastumkehr, dass die eine Partei (VN) Indizien („Hilfstatsachen“) beweist, die eine Benachteiligung i.S.d. § 3 AGG vermuten lassen. • Wie der Begriff „vermuten“ konkret auszulegen ist, wird kontrovers beurteilt. Einigkeit besteht insoweit, als der Begriff nicht mit „Vermutung“ i.S.d. § 292 ZPO gleich zu setzen ist. Nach wohl h.M. genügt die Überzeugung des Gerichts nach § 286 ZPO von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Diskriminierungsmerkmal und Benachteiligung, ohne dass alle anderen Alternativen zwingend ausgeschlossen sein müssen.348 • Streitig ist, welche Anforderungen an den Indizienbeweis zu stellen sind, um eine Umkehr der Beweislast annehmen zu können. Während die eine Auffassung die Anforderungen an das Beweismaß absenkt und ein „glaubhaft machen“ i.S.v. § 611a BGB a.F. (nicht § 294 ZPO) bzw. eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für ausreichend hält,349 fordert die Gegenauffassung die volle richterliche Überzeugung. Offen ist, wie die Beweisführung praktisch erfolgen kann. Denkbar ist etwa, mit Statistiken die Unterrepräsentation einer Merkmalsgruppe in einer Kundensegmentgruppe zu belegen.350
Ist eine Benachteiligung zu vermuten, so trägt die andere Partei (VR) die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. I.E. trägt der VR damit eine gesteigerte Darlegungs- und Beweislast.351 Er sollte deshalb die Gründe für eine Ungleichbehandlung mehrerer Personen aktenkundig machen.352 Strengt ein VN gegen einen VR einen Rechtsstreit an, können Mitarbeiter des Rückversicherers als Zeugen auftreten. Die inhaltliche Richtigkeit der zugrunde gelegten Daten und medizinischen Erkenntnisse wird ein gerichtlich bestellter Sachverständiger feststellen müssen.353
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g) Flankierende Vorschriften. Nach § 10a Abs. 2a VAG hat ein VR, der „unterschiedliche Prämien oder Leistungen für Frauen und Männer vorsieht, die versicherungsmathematischen und statistischen Daten zu veröffentlichen, aus denen die Berücksichtigung des Geschlechts als Faktor für die Risikobewertung abgeleitet wird; diese Daten sind regelmäßig zu aktualisieren. Bei Daten, die bereits von anderen Stellen veröffentlich worden sind, genügt ein Hinweis auf diese Veröffentlichung.“ Das im AGG nicht vorgesehene
346 347 348 349
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Näher BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 zu § 23 Abs. 4 AGG S. 48 f. Dazu etwa Armbrüster VersR 2006 1297, 1305 f.; Fricke VersR 2006 1473 ff. ArbG Berlin 12.11.2007 NJW 2008 1401, 1402. BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 zu § 22 S. 47; ArbG Berlin 12.11.2007 NJW
350 351 352 353
2008 1401, 1403 f.; Palandt/Grüneberg 67 § 22 AGG Rn. 2. Vgl. Bayreuther NJW 2009 806 ff. (zum Arbeitsrecht). BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 45. Armbrüster VersR 2006 1297, 1305. Heilmann ZfV 2006 679, 684.
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Publizitätserfordernis ergibt sich aus der zugrunde liegenden Gender-Richtlinie.354 Fraglich ist, worauf es sich im Einzelnen erstreckt: • Das Gesetz spricht von „Daten …, aus denen die Berücksichtigung des Geschlechts als Faktor für die Risikobewertung abgeleitet wird“. Zu den „Daten“ zählen etwa Sterbetafeln. Im Übrigen lässt sich als Umkehrschluss aus der Gesetzesformulierung folgern, dass die Relevanz der Daten (das „Ob“ ihrer Berücksichtigung in der Prämienkalkulation), nicht aber die Methoden oder Formelwerke (das „Wie“ der Prämienkalkulation) zu veröffentlichen sind. • Das Publizitätserfordernis ist in seiner Handhabung unproblematisch, soweit es um Datenmaterial geht, dass schon in der Vergangenheit allgemein zugänglich war (vgl. auch § 103a VAG). Die Forderung nach „Öffentlichkeit“ kann aber auch die Gefahr bergen, dass Geschäftsgeheimnisse – nämlich unternehmensindividuelle Daten – von Erst- und Rückversicherern offenbart werden müssen.355 Eine dahingehende Verpflichtung hätte weit reichende Konsequenzen für den Wettbewerb. Muss der VR nicht nur eigene – kostenaufwendige – Auswertungen bekannt geben, können Konkurrenten davon profitieren und der wünschenswerte Wettbewerb zwischen den VR beeinträchtigt werden. Einheitstarife könnten die Folge sein.356 Gegen eine Veröffentlichungspflicht unternehmensindividueller Daten lässt sich eine Passage aus der Gesetzesbegründung anführen, in der es heißt, dass der VR „nach wie vor die Darlegungslast über eine darüber hinaus gehende unternehmensindividuelle Risikobewertung“ trägt.357 Bestünde von vornherein eine Publizitätspflicht, so bedürfte es keines Rückgriffs mehr auf allgemeine zivilprozessuale Grundsätze. Offen ist, ob es in einem Rechtsstreit ausreicht, dass der VR seine unternehmensindividuellen Daten nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Gutachter oder der BaFin zur Prüfung auf etwaige Diskriminierung vorlegen muss.
Mangels Verweis in § 10a Abs. 2a VAG auf § 7 bzw. die InfoV muss die Publikation nicht in den Vertragsinformationen des VR vorgesehen werden. Entscheidend ist, dass das Datenmaterial in einem Medium erfolgt, dass verbreitet und zugänglich ist sowie eine dauerhafte Speicherung erlaubt; dem Interessierten muss der Zugriff zumutbar sein. Will der VR von der Möglichkeit Gebrauch machen, auf anderweitig veröffentlichtes Material zu verweisen, so genügt z.B. ein Link auf seiner Homepage zu Publikationen der DAV oder des GDV.358 Das hinweisende Unternehmen trägt allerdings die Verantwortung dafür, dass die Daten aktuell sind.359 § 13d Nr. 10 VAG bestimmt, dass der VR der BaFin die Verwendung von Tarifen an- 98 zuzeigen hat, bei denen Prämien oder Leistungen für Männer und Frauen unterschiedlich sind. Der Anzeige sind die gemäß § 10 a Abs. 2a VAG zu veröffentlichenden Daten beizufügen. Weitergehende Informationen (z.B. die Vorlage von Tarifbüchern) sind nicht gefordert. Der Verweis auf anderweitig veröffentlichtes Datenmaterial dürfte ausreichend sein.360 2. Auswirkungen auf die allgemeine Unfallversicherung Das AGG erlangt für die Unfallversicherung vornehmlich Einfluss durch die Merk- 99 male Geschlecht, Alter und Behinderung. Die VR müssen zur Sicherstellung rechtskonformen Handelns ihre Tarife, Vertragsregelungen (z.B. individuelle Ausschlüsse oder 354 355 356 357 358
Art. 5 Abs. 2 S. 2 der RL 2004/113/EG vom 13.12.2004. Armbrüster VersR 2006 1297, 1306; Heilmann ZfV 2006 679, 683. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 5. BT-Drucksache 16/4191 vom 31.1.2007 zu Nr. 7a S. 39. Zum statistischen Schadenbedarf von Frauen
359 360
und Männern unter Berücksichtigung des Alters bzw. zur „Risikodifferenzierung nach Geschlecht“ s. www.gdv.de (mit grafischen Darstellungen). BT-Drucksache 16/4191 vom 31.1.2007 zu Nr. 7a S. 39. So auch der GDV.
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Risikozuschläge), Rechnungsgrundlagen, Annahmerichtlinien und Druckstücke auf etwaige (ungerechtfertigte) Diskriminierungen überprüfen. Es wird mit z.T. erheblichen Rechtsunsicherheiten zu rechnen sein, bis zum einen die (höchstrichterliche) Rechtsprechung die rechtlichen Anforderungen durch das AGG näher bestimmt hat und zum anderen (weiteres) beweisgeeignetes Datenmaterial zur Rechtfertigung von Differenzierungen erhoben und ausgewertet ist. a) Geschlecht. Es gibt durchaus Anbieter, die geschlechtsspezifische Tarife vorsehen. Zu denken ist etwa an spezielle „Frauentarife“ mit gesonderten Prämiensätzen. Weiterhin können neben verschiedenen Gefahrengruppen für Männer auch eine oder mehrere Gefahrengruppen für Frauen vorgesehen werden. Folge dieser Differenzierungen ist, dass – aufgrund der höheren Schadenshäufigkeit bei Männern bis zum Alter von etwa 60 Jahren361 – entweder für Männer bei gleichen Versicherungsleistungen höhere Beiträge erhoben werden als für Frauen oder Männer für gleiche Prämiensätze geringere Versicherungsleistungen erwarten können als Frauen. Da Frauen eine statistisch längere Lebenserwartung als Männer haben, kommt es in Betracht, bei Rentenzahlungen bzw. bei der Verrentung von Kapitalzahlungen für Frauen niedrigere Monatsrenten vorzusehen als für Männer.362 Nach § 20 Abs. 2 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Ge101 schlechts bei den Prämien oder Leistungen nur zulässig, wenn dessen Berücksichtigung – bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung – ein bestimmender Faktor ist. Daraus folgt einerseits, dass es keinen Zwang zu Unisex-Tarifen gibt.363 Allerdings kann eine unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen über gesonderte Prämiensätze nur erfolgen, wenn sich statistisch belegen lässt, dass ein unterschiedlicher Schadensbedarf besteht. Es ist davon auszugehen, dass der GDV hierzu repräsentative Statistiken erstellen und veröffentlichen wird. Zum Bereich der geschlechterspezifischen Kalkulation liegt bereits umfangreiches Datenmaterial vor, auf das zurückgegriffen werden kann.364 Andererseits muss eine geschlechtsspezifische Differenzierung in der Unfallversiche102 rung nicht „standardmäßig“ vorgesehen werden. Bietet der VR „Einheitstarife“ an, so zwingt das AGG nicht dazu, risikorelevante Differenzierungen einzuführen. Das AGG verbietet für bestimmte Merkmale eine unterschiedliche Behandlung, gebietet aber keine (absolute) Gleichbehandlung. Nachdem der Gesetzgeber im § 1 Abs. 1 Nr. 2 AltZertG eine geschlechtsunabhängige Kalkulation („Unisex-Tarif“ bei der „Riester-Rente“) verbindlich vorgegeben hat, kann es kaum beanstandet werden, wenn auch in anderen Bereichen der Personenversicherung entsprechend verfahren wird. Dies lässt sich auch mit einem Umkehrschluss zu § 12 Abs. 1 Nr. 1 VAG belegen, der (nur) für die substitutive Krankenversicherung die alters- und geschlechtsabhängige Kalkulation gesetzlich vorschreibt. Kein Anpassungszwang besteht des Weiteren, wenn innerhalb eines Geschlechts (sachlich gerechtfertigte) Unterschiede vorgesehen sind. So kann die weithin übliche Unterscheidung nach Gefahrengruppen auf ein Geschlecht (Männer) beschränkt bleiben.365
100
361
362
52
Ab einem Alter von 60 Jahren übersteigt nach Ermittlungen des GDV der statistische Grundbedarf von Frauen den der Männer. Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 4 f.; Wandt S. 117, 128.
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Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 4; eingehend zur PKV Wandt VersR 2004 1341 ff. Heilmann ZfV 2006 679, 683. So auch der GDV.
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b) Alter. Altersbedingte Differenzierungen treten in allen Bereichen der Personenver- 103 sicherung auf, da das Alter Risiken wie Todesfall, Langlebigkeit, Krankheitskosten u.ä. beeinflusst.366 Auch in der Unfallversicherung hat das Alter der versicherten Person häufig Einfluss auf den Zugang zum Versicherungsschutz und dessen Inhalt: Weitgehend üblich sind zunächst unterschiedliche Tarife für Kinder, Erwachsene und Senioren, die typischerweise noch nach dem Geschlecht (Mann/Frau) differenzieren, wobei im Grundsatz das Alter bei Vertragsschluss für den vereinbarten Versicherungsschutz entscheidend ist und das Erreichen einer Altersgrenze nicht zu einer Neutarifierung bzw. zu einem Ausschluss führt. Altersabhängige Tarifstrukturen führen zu Differenzierungen bei den Prämien und Leistungen. Zu denken ist hier etwa an Alterszuschläge oder eingeschränkte Leistungsangebote. Jedenfalls bis zum Inkrafttreten des AGG war es weiterhin nicht ungewöhnlich, dass 104 pauschale Eintrittsaltersbegrenzungen oder (für Senioren) bei Erreichen eines bestimmten Alters Vertragsanpassungen bzw. -beendigungen vorgesehen wurden. So haben es in der Vergangenheit etwa VR abgelehnt, Kinder bereits vor Vollendung des 1. Lebensjahres zu versichern. Auf Anregung des BAV hat der GDV jedoch dann seinen Mitgliedern empfohlen, die Aufnahmefähigkeit von Kindern nicht mehr durch ein Mindestalter zu begrenzen.367 „Alterskontrollen“ führten auch in der jüngeren Vergangenheit noch u.a. dazu, dass ältere Menschen nicht bzw. nicht mehr oder nur eingeschränkt versichert wurden oder für vergleichbare Versicherungsleistungen höhere Prämien zahlen mussten als jüngere versicherte Personen. Beispielsweise wurde für VN, die das 75. Lebensjahr vollendet hatten, ein Risikozuschlag vereinbart und der Vertrag spätestens mit Erreichen des 80. Lebensjahres beendet. Dies wurde von dem BAV als unkritisch eingeschätzt, sofern die Vertragsbeendigung nicht automatisch mit Erreichen der Altersgrenze, sondern aufgrund einer Kündigung des VR erfolgte.368 Insgesamt stand aber auch das BAV der Kündigung einer Unfallversicherung aus Altersgründen kritisch gegenüber. Es schade dem Ansehen der Unfallversicherung, wenn die VR einerseits ihre Werbung darauf aufbauten, dass jedermann von der Geburt bis zum Lebensende gegen Unfälle versichert sein könne, und andererseits langjährige Verträge nur deshalb kündigten, weil die versicherte Person eine bestimmte Altersgrenze überschritten habe. Die Aufsicht empfahl deshalb in Übereinstimmung mit dem GDV, auf altersbedingte Kündigungen (z.B. ab Erreichen des 85. Lebensjahres der versicherten Person) zu verzichten und stattdessen die Versicherung altersentsprechend und bedarfsgerecht umzugestalten.369 § 20 Abs. 2 S. 3 AGG ordnet nunmehr u.a. an, dass eine unterschiedliche Behandlung 105 wegen des Alters nur zulässig ist, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Berücksichtigung statistischer Erhebungen. Herangezogen werden können z.B. Sterbetafeln oder anerkannte medizinische Erfahrungswerte und Einschätzungstabellen der Rückversicherer.370 • Differenzierung nach Prämienhöhe: Liegen entsprechende Unfallstatistiken u.ä. vor, so ist die Bildung von Altersgruppen unter Berücksichtigung des Geschlechts nach wie vor möglich. Unterschiedliche Prämiensätze (auch Ab- bzw. Zuschläge) dürfen vorgesehen werden. Es ist davon auszugehen, dass der GDV den unterschiedlichen Schadensbedarf von Männern und Frauen in
366 367 368
Thüsing/v. Hoff VersR 2007 1, 7. GB BAV 1980 87 f. Nr. 817. BAV GB 1980 87 Nr. 815 und GB 1978 73 Nr. 812.
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GB BAV 1985 79 Nr. 9.2.4; Böhme VW 1981 1427, 1428. BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 45.
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Abhängigkeit von dem jeweiligen Alter der versicherten Person statistisch belegen kann und vorliegendes Material veröffentlichen wird. Differenzierung nach der Höhe der Versicherungssumme: Die Begrenzung von Versicherungssummen für bestimmte Altersgruppen lässt sich statistisch nicht belegen. Auf sie sollte verzichtet werden. Differenzierung beim Zugang bzw. Erhalt des Versicherungsschutzes: Kritisch sind pauschale Eintrittsaltersbegrenzungen und die Kündigung von bestehenden Verträgen ab einem bestimmten Alter, da hierdurch einzelnen Personenkreisen grundsätzlich der Versicherungsschutz versagt werden kann. Unter Geltung des AGG wird zukünftig eine Differenzierung nach Altersgruppen nur über die Prämie erfolgen können. Alternativ kann erwogen werden, statt einer pauschalen Ablehnung risikoadäquat kalkulierte Angebote für Einzelfälle vorzuhalten oder Umstellungsverfahren ab einem bestimmten Alter mit Verweis auf den statistischen Grundbedarf anzustreben. In Betracht kommt auch, für bestimmte Tarife „Alterskontrollen“ durchzuführen, wenn für die ausgeschlossene Altersklasse ein anderer Tarif mit etwas anderen – „besser“ geeigneten – Leistungen zur Verfügung steht. Ein völliger Ausschluss lässt sich nur in Randbereichen für Altersgruppen diskutieren, für die keine hinreichenden statistischen Grundlagen bestehen. Kann der VR das von ihm zu übernehmende Risiko nicht einschätzen, so handelt er nicht willkürlich, wenn er die Gefahrtragung nicht übernehmen will. Differenzierung nach Leistungsarten: Zulässig sind Differenzierungen für das angebotene Leistungsspektrum. Es besteht kein Zwang, für jedes Alterssegment das komplette Leistungsspektrum anzubieten. Sollten für ein Produkt in einer bestimmten Altersgruppe zu wenige Interessenten vorhanden sein, so entspricht es einer risikoadäquaten Kalkulation, wenn der VR kein Versicherungsangebot vorsieht, da dann kein Risikoausgleich in einem ausreichend großen Versicherungskollektiv mehr möglich ist.371 Vielmehr ist eine unterschiedliche Ausgestaltung des Versicherungsschutzes nach dem Bedarf bestimmter Zielgruppen, Vertriebsbesonderheiten und Wirtschaftlichkeit zulässig; denn das AGG will den grundsätzlichen Zugang zum Versicherungsschutz sicherstellen. Es soll dagegen nicht Leistungsinhalte definieren. Die Innovationskraft und unternehmerische Handlungsfreiheit soll auch unter Geltung des AGG erhalten bleiben. So sind z.B. „Junge-LeuteTarife“ oder spezielle „Seniorenprodukte“ zulässig.372 Entscheidend ist, dass der Zuschnitt eines Produkts nicht willkürlich, sondern aufgrund betriebswirtschaftlicher und vertrieblicher Überlegungen erfolgt. Kritisch zu beurteilen ist es dagegen, wenn ein VR zwar für alle Altersgruppen Unfallversicherungen anbietet, aber für bestimmte Alterssegmente (z.B. Senioren ab einem bestimmten Alter) keine Invaliditätsleistung vorsieht. Die Invaliditätsleistung prägt die Unfallversicherung. Wird sie von einem „Jedermanns-VR“ für eine Altersklasse – ohne die gebotene Rechtfertigung – versagt, so besteht die Gefahr, dass für dieses Segment der Zugang zu existenziellem Versicherungsschutz verhindert wird. Umgekehrt dürfte es zulässig sein, z.B. „Assistance-Leistungen“ nur für das Kundensegment „Senioren“ vorzusehen. Differenzierung nach Zielgruppen: Dem VR bleibt es unbenommen, sich als Zielgruppenversicherer auf bestimmte Altersgruppen wie z.B. Senioren zu konzentrieren. Müsste für alle Alterssegmente ein Angebot vorgehalten werden, hätte dies tief greifende Einschnitte in die (durch das Grundgesetz geschützte) unternehmerische Freiheit zu Folge.373
c) Behinderung. Die Behinderung eines Menschen ist nach dem AGG ein diskriminierungsrelevantes Merkmal. Das AGG selbst lässt indes offen, wie der Begriff „Behinderung“ zu definieren ist. In der Begründung374 wird allerdings auf die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 SGB IX (s.a. § 3 BGG) verwiesen. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand
371 372
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So auch der GDV. BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 zu § 20 Abs. 1 Nr. 3 S. 44.
373 374
So auch der GDV. BT-Drucksache 16/1780 vom 8.6.2006 S. 31.
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abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Von der Behinderung ist die Krankheit abzugrenzen. Nicht jede Ungleichbehandlung wegen einer Krankheit stellt deshalb bereits eine solche wegen einer Behinderung dar.375 Vielmehr sind Differenzierungen mittels Prämienzuschlägen, Ablehnungen, Ausschlüssen u.ä. aufgrund von Krankheiten nicht vom AGG erfasst. Da es zwischen den beiden Begriffen „Behinderung“ und „Krankheit“ keine EU-weite oder deutschlandweite „messerscharfe“ Abgrenzungsformel gibt, sondern sich beide auch überlappen können, ist mit Rechtsunsicherheiten zu rechnen.376 Lässt sich absehen, dass sich eine Krankheit länger als sechs Monate auf die Teilhabe am allgemeinen Leben auswirkt oder liegt bereits ein Schwerbehindertenausweis vor, sollte der VR die Anforderungen des AGG beachten. Die Behinderung einer versicherten Person kann in der Unfallversicherung an mehre- 107 ren Stellen Bedeutung erlangen: Zum einen hat sie vor Vertragsschluss Einfluss auf die Risikoprüfung. Im Regelfall werden Erkrankungen oder die Vorinvalidität vor Vertragsschluss durch den VR bei dem VN bzw. der versicherten Person abgefragt; denn die Behinderung kann Auswirkungen auf die Unfallhäufigkeit oder die Folgen von Unfällen haben. Obwohl heute ein Großteil der körperlich behinderten Menschen Versicherungsschutz findet, kann gelegentlich die Behinderung eines Menschen Grund für den VR sein, den Vertrag abzulehnen oder nur modifiziert anzunehmen („Vertragsverweigerung“). Zum anderen kann bei einer hochgradigen Pflegebedürftigkeit und erheblichen geistigen Behinderung Nichtversicherbarkeit anzunehmen sein. Des Weiteren kann die Behinderung eines Menschen Einfluss auf die Leistungsregulierung des VR erlangen. Die AUB sehen seit Langem den Ausschluss für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen vor. Solche Störungen (z.B. Idiotie oder Wahnsinn) können zum einen krankheitsbedingt, zum anderen aber auch auf die (dauerhafte) Behinderung eines Menschen zurückzuführen sein. Ferner führt die Mitwirkung von Krankheiten, die nicht selten auch als Behinderung zu werten sein können, zu einem Vorinvaliditätsabzug und/oder einer Leistungskürzung. Eine unterschiedliche Behandlung wegen einer Behinderung ist – ebenso wie u.a. bei 108 dem Merkmal „Alter“ – nach § 20 Abs. 1 S. 3 AGG nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen. Bislang liegen dem GDV noch keine Statistiken über den Zusammenhang von bestehenden Vorerkrankungen und ihren Auswirkungen auf den Eintritt eines Unfallereignisses und von Unfallfolgen vor. Insofern kann nur auf Kenntnisse naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhänge und medizinisches Erfahrungswissen zurückgegriffen werden. Dies kann etwa beim Einfluss von Diabetes auf Unfallfolgen relevant werden. • Differenzierung in der Risikoprüfung: Kritisch sind pauschale Ablehnungen und Einschränkungen des Versicherungsschutzes nach lediglich groben Kriterien zu beurteilen. Das AGG verhindert dagegen nicht eine individuelle Risikoprüfung, die z.B. das Nachfragen von medizinischen Attesten beinhaltet. Das AGG soll vor Willkür schützen; nicht die dem Versicherungswesen immanente Risikoprüfung verhindern. Risikoausschlüsse und Ablehnung sind möglich, wenn eine (im Streitfall belegbare und nachweisbare) außergewöhnlich erhöhte Risikoanfälligkeit vorliegt und Daten für eine riskoadäquate Kalkulation nicht vorliegen.377 Dann sind auch Prämiendifferenzierungen zulässig. Die Differenzierungsentscheidung muss gegenüber dem Kunden nicht unmittelbar verdeutlicht werden. Es ist zu erwarten, dass die VR hier sensibel vorgehen werden.
375 376
Armbrüster VersR 2006 1297, 1298 f. Heilmann ZfV 2006 679, 684.
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So auch der GDV.
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• Differenzierung beim Versicherungsschutz (Nichtversicherbarkeit): Die in den AUB – jedenfalls in älteren AUB-Generationen – vorgesehene Nichtversicherbarkeit von Schwer- oder Schwerstpflegebedürftigen sowie Geisteskranken (Ziff. 4 AUB 99, § 3 AUB 88/94, § 5 AUB 61) ist sachlich dadurch begründet, dass es bei den betroffenen Personen in aller Regel an einem Versicherungsinteresse fehlt und damit die Prämienzahlung wirtschaftlich sinnlos ist (Ziff. 4 AUB 2008 Rn. 2 ff.). Die Klausel dient vorrangig den Interessen des VN und hält damit auch einer AGB-rechtlichen Kontrolle stand (Ziff. 4 AUB Rn. 35). Bedenken wegen etwaiger Diskriminierungen sind bisher nicht erhoben worden. Daran ändert auch das AGG nichts: Dass Personen mit einer Pflegestufe III keinen oder im Vergleich zu anderen Menschen deutlich geringeren Unfallrisiken ausgesetzt sind, dürfte – auch ohne entsprechende statistische Belege – allgemein anerkannt sein. Anders kann für die Regelung zur Nichtversicherbarkeit von Geisteskranken argumentiert werden; denn nach allgemeinem Sprachverständnis wird unter Geisteskrankheit jede krankhafte Störung des Geistes oder der Seele verstanden (Ziff. 4 AUB 2008 Rn. 24 ff.). Nicht jede geistige Behinderung lässt aber das Bedürfnis nach Unfallversicherungsschutz entfallen. Dennoch ist Ziff. 4 AUB 2008 nicht diskriminierend. Die Auslegung ergibt, dass aus systematischen und teleologischen Gründen mit dem Wort „geisteskrank“ nur Störungen erfasst sind, die ein erhebliches Ausmaß erreichen und in ihrer Gewichtung einer dauernden Pflegebedürftigkeit gleich zu setzen sind. Bei diesem Verständnis ist die Nichtversicherbarkeit von Geisteskranken sachlich gerechtfertigt. Die Durchsetzung sinnlosen Versicherungsschutzes kann nicht Ziel des AGG sein. • Differenzierung beim Versicherungsschutz (Ausschlüsse): Der Ausschluss für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen (Ziff. 5.1.1 AUB 2008, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) verstößt nicht gegen das AGG. Fraglich ist bereits, ob der Tatbestand Behinderte unmittelbar oder mittelbar benachteiligt; denn er richtet sich gegen alle versicherten Personen. Insbesondere ist die Versagung des Versicherungsschutzes für geistes- oder bewussteinsgestörte Menschen unabhängig davon, ob die Störung kurz- oder längerfristig bei der jeweiligen versicherten Person auftritt. Des Weiteren sind die Ausschlussklauseln in den verschiedenen AUB-Generationen sachlich gerechtfertigt und folgerichtig von ihrer inhaltlichen Berechtigung – soweit ersichtlich – auch noch nie (ernsthaft) unter Diskriminierungskriterien (z.B. nach AGB-Recht) in Frage gestellt worden. Die Unfallversicherung will nur „normale“ Unfallgefahren decken, die „jedermann“ treffen. Es ist allgemein anerkannt, dass geistes- und bewusstseinsgestörte Menschen einer erhöhten Unfallgefahr unterliegen (Ziff. 5.1 AUB 2008 Rn. 6). Selbst wenn es für diese unbestrittene Feststellung (noch) keine Statistiken geben sollte, so wird z.B. der medizinische Gutachter doch bestätigen können, dass Menschen mit Geistes- oder Bewusstseinsstörungen in ihrer Abwehr- und Reaktionsbereitschaft beeinträchtigt sind. • Differenzierung beim Versicherungsschutz (Höhe der Versicherungsleistung): Eine Berücksichtigung der Vorinvalidität (Ziff. 2.1.2.2.3 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88/94, § 10 Nr. 4 AUB 61) sowie einer Mitwirkung von Krankheit und/oder Gebrechen (Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61) im Leistungsfall ist nach wie vor möglich. Eine diskriminierende Wirkung ist den entsprechenden – praktisch äußerst relevanten – AUB-Regelungen bisher nicht unterstellt worden. Das AGG öffnet hier kein neues Einfallstor. Die AUB-Klauseln finden für alle versicherten Personen Anwendung, so dass schon zweifelhaft ist, ob von einer unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung behinderter Menschen gesprochen werden kann. Weiterhin tragen die AUB-Regelungen der Ausgestaltung der Unfallversicherung als Ausschnittsdeckung für unfallbedingte Schädigungen Rechnung. Es sollen nur wirtschaftliche Folgen von Risiken abgesichert werden, die sich nicht bereits realisiert haben.378 Die Zulässigkeit von Mitwirkungsregelungen wird im Übrigen durch § 182 belegt.
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S.a. AG Hannover 26.8.2008 VersR 2009 348, 349 (zu einer Krankheitskostenversicherung).
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3. Spezielle Versicherungsprodukte. Das AGG soll vor Willkür schützen, nicht aber 109 Produktinnovationen hemmen oder gar unterbinden. Zielgruppenprodukte sind nach wie vor möglich: 379 • Die Vereinbarung der „Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Hilfs- und Pflegeleistungen in der Unfallversicherung – (BB Hilfe und Pflege/Senioren)“ setzt eine umfangreiche individuelle Gesundheitsprüfung voraus. Müssten im „Assistance“- und Pflegebereich Personen versichert werden, die bereits pflegebedürftig i.S.d. SGB XI sind oder bei denen sich eine Pflegebedürftigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit abzeichnet, so würde ein noch so geringfügiger Unfall die volle Leistungspflicht des VR begründen, da die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen bei diesem Produkt zu keiner Leistungskürzung berechtigen. • Die Kinderinvaliditätsversicherung (KIZ) sieht Leistungen vor, wenn das versicherte Kind schwerbehindert i.S.d. SGB IX wird und ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 %. Typischerweise wird in den Bedingungen oder Annahmerichtlinien des VR eine Aufnahmefähigkeit des Kindes erst ab einem bestimmten Mindestalter (z.B. 1 Jahr) und nur bis zu einem bestimmten Endalter (z.B. 18 Jahre) vorgesehen. Der Verzicht auf Angebote ab Geburt des Kindes ist gerechtfertigt, da die notwendige individuelle Gesundheitsprüfung erst nach einer gewissen Karenzzeit möglich ist. Weiterhin handelt es sich um ein Zielgruppenprodukt, das ausschließlich für das Segment „Kinder“ kalkuliert ist und folgerichtig Begrenzungen für das Eintrittsalter und die Versicherungsdauer vorsehen muss. Für Erwachsene gibt es besser geeignete Versicherungsalternativen. Des Weiteren sind regelmäßig Kinder mit einer bei Vertragsschluss bestehenden Invalidität nicht versicherbar. Diese Regelung ist sachlich gerechtfertigt. Sie betrifft Sachverhalte, bei denen der Versicherungsfall entweder bereits vorliegt oder für seinen Eintritt ein stark erhöhtes Risiko besteht. Genauso wie bei den Regelungen zur Nichtversicherbarkeit in den AUB wird hier – auch im Interesse des Versicherungskunden – dem Umstand Rechnung getragen, dass es an einem versicherten Risiko fehlt. Kritisch sind dagegen Bestimmungen, die im Fall einer Invalidität infolge von angeborenen Krankheiten den Versicherungsschutz ausschließen. Hier mag zwar eine Rechtfertigung nach dem AGG möglich sein, jedoch halten entsprechende Klauseln einer AGB-rechtlichen Kontrolle nicht stand.380 • Bei der Unfallversicherung mit garantierter Beitragsrückzahlung (UBR) lassen sich alters- und geschlechtsbedingte Differenzierungen etwa bei den Tarifen (Leistungen, Prämienhöhe, Laufzeiten usw.) oder Zielgruppen kalkulatorisch rechtfertigen. Eine (zulässige) Berücksichtigung der Kriterien Alter und Geschlecht findet statt, indem z.B. auf die öffentlich zugänglichen Sterbetafeln der Deutschen Aktuarvereinigung zurückgegriffen wird. So ist die Höhe des Unfallversicherungsschutzes bei gleichem Beitrag und gleicher Laufzeit von der Sterblichkeit der versicherten Person abhängig. Bei einer hohen Sterbewahrscheinlichkeit ist nur ein marginaler oder kein Unfallversicherungsschutz darstellbar. Die Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr kann deshalb nicht für jedes Eintrittsalter angeboten werden. Weiterhin bestimmen Alter und Geschlecht die Höhe der garantierten Beitragsrückzahlung.
379 380
So auch der GDV. BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690 = NJWRR 2008 189 = RuS 2008 25.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
§ 178 Leistung des Versicherers (1) Bei der Unfallversicherung ist der Versicherer verpflichtet, bei einem Unfall der versicherten Person oder einem vertraglich diesem gleichgestellten Ereignis die versprochenen Leistungen zu erbringen. (2) Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Die Unfreiwilligkeit wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet.
Schrifttum Abel/Winkens Die Invaliditätsleistung bei krankhaften Störungen infolge psychischer Reaktionen, VersR 2009 30; Akermann Der Suizid in der Lebensversicherung, VersMed 1997 195; Appl/ Müller Rotatorenmanschettenruptur – Degeneration oder Unfallfolge, VersR 2000 427; Büdenbender Zur Auslegung des Unfallbegriffes in § 2 AUB, VersR 1974 211; Eichberger Der Unfall – eine Übersicht über einen vielfältigen Begriff, JuS 1996 1078; Eichelmann Der Tod beim Baden im Rahmen der Unfallversicherung, VersR 1972 411; Fleischmann Umkehrung der Beweislast in der Unfallversicherung, VW 1967 626; Greger Veränderungen und Entwicklungen des Beweisrechts im deutschen Zivilprozess, BRAK-Mitt. 2005 150; Grewing Psychogene Erkrankungen in der Unfallversicherung, VersR 1973 8; Hansen Anscheins- und Indizienbeweis bei § 180a Abs. 1 VVG, VersR 1991, 282; Harbort Bemerkungen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung des Autofahrer-Suizides aus kriminalistischer Sicht, VersR 1994 1400; Hildebrand/Hitzer/Püschel Simulation und Selbstbeschädigung – unter besonderer Berücksichtigung des Versicherungsbetruges (2001); dies. Unfallmäßige Selbstschädigung oder Obliegenheitsverletzung – Versicherungsbetrug als Hasard? VersMed 2006 29; Jaeger Entwicklung der Rechtsprechung zum HWS-Schleudertrauma, VersR 2006 1611; Janssen Plötzlicher Herztod – Sicherung der Diagnose, ZVersWiss 1983 121; Kessal-Wulf Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur privaten Unfallversicherung, RuS 2008 313; Kirsch Die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles in der privaten Unfallversicherung, Diss. Köln 1972; Konen Der Versicherungsfall, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992), 7; Knappmann Privatversicherungsrecht und Sozialrecht (Kranken- und Unfallversicherung): Unterschiede und Übereinstimmungen, RuS 2007 45; ders. Unfallversicherung: Kausalitäts- und Beweisfragen, NVersZ 2002 1; ders. Unfallversicherungsschutz bei medizinischen Behandlungen, FS Schirmer (2005), 269; R. Lehmann Kausalität und Mitwirkung aus versicherungsrechtlicher Sicht, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992), 47; Manthey Unfallbedingter Schock als Unfallereignis?, VersR 1974 225; ders. Versicherungsschutz in der privaten Unfallversicherung bei fehlgeschlagenen oder missglückten Selbstverletzungen, NVersZ 2000 161; Marlow Aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2005 357; ders. Aktuelle Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2004 353; ders. Aktuelles aus der Rechtsprechung und Praxis zur privaten Unfallversicherung (Teil I), RuS 2006 362; ders. Die private Unfallversicherung – Aktuelles aus Rechtsprechung, Praxis und VVG-Reform, RuS 2007 353; Moser/Sanders Selbstmord am Steuer aus juristischer und psychologischer Sicht, VersR 1976 418; Pürckhauer Das Merkmal der „Plötzlichkeit“ im Unfallbegriff, VersR 1983 11; Schubach Aktuelles aus der privaten Unfallversicherung, ZfS 2005 224; Schyma/Schyma Schussverletzungen – Mord, Suizid oder Unfall? VersMed 1997 112; Tändler/Schröter Besonderheiten der gutachtlichen Beurteilung für die private Unfallversicherung, MedSach 99 (2003) 115; Terno Die Rechtsprechung des BGH zur (Kraftfahrt-)Unfallversicherung, DAR 2005 314; Wagner Grenzfälle und Ausschlüsse in der privaten Unfallversicherung, ZVersWiss 1975 619; Weyer Zweifelsfragen zu §§ 180a, 181 n.F. VVG, VersR 1969 300; Yamashita Zum Begriff des Unfalls im Versicherungsvertragsrecht, VersR 1982 8; Zeiler Beweisfragen im Rahmen des § 180a Abs. 1 VVG, VersR 1990 461; Zopfs Der Beweis des Versicherungsfalls, VersR 1993 140.
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Leistung des Versicherers
§ 178
Übersicht Rn. A. I. II. III. B. C. I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzliches Leitbild . . . . . . . . . . . Legaldefinition des Versicherungsfalls . . Vermutungsregel für die Unfreiwilligkeit Leistungspflicht des VR . . . . . . . . . Unfallbegriff . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung des Unfallbegriffs . . . . 2. Auslegung des Unfallbegriffs . . . . . 3. Unfallbegriff und Versicherungsfall . . 4. Unfallbegriff und Unfallfolgen . . . . II. Unfallereignis . . . . . . . . . . . . . . 1. Ereignis . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen für die Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterlassungen . . . . . . . . . bb) Körperinnere Vorgänge . . . . cc) Mehraktige Vorgänge . . . . . 2. Einwirkung auf den Körper der versicherten Person . . . . . . . . . . . . a) Einwirkung . . . . . . . . . . . . b) Körperschäden . . . . . . . . . . . 3. Von außen wirkendes Ereignis . . . . a) Innerorganische Vorgänge . . . . . aa) Bedeutung . . . . . . . . . . . bb) Unerheblichkeit einer Mitwirkung . . . . . . . . . . . . cc) Veränderung der Druckverhältnisse oder der SauerstoffStickstoff-Konzentration . . . . b) Einwirkung durch die Außenwelt . aa) Unmittelbare Einwirkung . . . bb) Mittelbare Einwirkung . . . . . c) Eigenbewegungen der versicherten Person . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung . . . . . . . . . . . bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . 4. Plötzlich wirkendes Ereignis . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . b) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . bb) Zeitliches Element . . . . . . . cc) Subjektives Element . . . . . . c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . aa) Änderung der Temperatur-, Luft-, Sauerstoff- bzw. Wasserdruckverhältnisse . . . . . . . bb) Ärztliche und medizinische Behandlungen . . . . . . . . . . cc) Chemische Einwirkungen . . . dd) Eigenbewegungen . . . . . . . ee) Gaseinwirkungen . . . . . . . ff) Hinrichtungen . . . . . . . . . gg) Hoheitsakte . . . . . . . . . . hh) Infektionen . . . . . . . . . . . ii) Schüsse . . . . . . . . . . . . . jj) Sport . . . . . . . . . . . . . . kk) Strahlungen . . . . . . . . . . ll) Vergiftungen . . . . . . . . . .
1 2 4 6 7 8 9 10 14 17 20 23 24 25 27 28 29 31 32 33 35 38 39 40 42
43 44 45 48 63 64 66 81 82 85 86 96 99 102
103 106 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117
Rn. III. Unfallereignisfolgen . . . . . . . . . . . 1. Gesundheitsschädigung . . . . . . . . a) Abgrenzungen . . . . . . . . . . . b) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . 2. Unfreiwilligkeit . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . b) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . aa) Freiwilligkeit i.S.v. § 24 StGB . bb) Vorsatzerfordernis . . . . . . . cc) Unschädlichkeit von Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . aa) aberatio ictus . . . . . . . . . . bb) actio libera/illicita in causa . . . cc) Aufforderung zur Gesundheitsverletzung . . . . . . . . . . . dd) Geistes- oder Bewusstseinsstörung . . . . . . . . . . . . . ee) Rettungstaten . . . . . . . . . ff) Risikobereitschaft . . . . . . . gg) Schuldfähigkeit . . . . . . . . . hh) Vorsatzänderung . . . . . . . . IV. Kausalität zwischen dem Unfallereignis und der unfreiwilligen Gesundheitsschädigung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsursache . . . . . . . . . . . a) Unmittelbare Einwirkung . . . . . b) Mittelbare Einwirkung . . . . . . . 2. Beurteilungsmaßstab (Adäquanztheorie) 3. Mitwirkung unfallfremder Ursachen . D. Spezielle AVB . . . . . . . . . . . . . . I. Erweiterung des Unfallbegriffs . . . . . II. Abweichungen vom Unfallbegriff . . . . III. Regelung der Unfreiwilligkeitsvermutung E. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . I. Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . 1. Beweislast des VN . . . . . . . . . . 2. Beweislast des VR . . . . . . . . . . . II. Beweis des Unfalls . . . . . . . . . . . 1. Nachweis des Unfallereignisses . . . . a) Rückschluss von der Gesundheitsschädigung auf das Unfallereignis . b) Unerheblichkeit der Unfallursache . c) Unzulässiges Bestreiten durch den VR . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachweis der Gesundheitsschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachweis der anspruchsbegründenden Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . a) Beweismaßstab . . . . . . . . . . . b) Beweisführung . . . . . . . . . . . c) Ausschließliche Ursächlichkeit körperinnerer Vorgänge . . . . . . . . d) Mitursächlichkeit körperinnerer Vorgänge . . . . . . . . . . . . . . III. Vermutungsregel für die Unfreiwilligkeit 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . .
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118 120 121 123 126 127 129 130 131 133 134 135 138 139 140 141 143 146 147
148 149 150 152 153 156 160 161 162 165 166 167 168 171 172 173 174 177 179 180 181 182 183 186 190 191 192 193 194 195
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung Rn.
3. Inhalt der Vermutungsregel . . . . . a) Notwendigkeit des Strengbeweises b) Unzulässigkeit des Anscheinsbeweises . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit des Indizienbeweises aa) Beweiswürdigung . . . . . . bb) Indizien . . . . . . . . . . .
. .
197 198
. . . .
199 200 201 202
Rn. d) Fallgruppen . . . . . . aa) Selbstverstümmelung bb) Freitod . . . . . . . 4. Konkurrenzen . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
218 219 230 251
A. Einführung 1
Bisher waren die Verpflichtungen des VR und die dafür zu prüfenden Voraussetzungen nahezu ausschließlich in den AUB geregelt. Erstmals hat nun der Gesetzgeber mit § 178 für die Leistungsverpflichtung des VR einen Rahmen im VVG geschaffen. Ziel war es, ein (dispositives) gesetzliches Leitbild für die Unfallversicherung zu formulieren, ohne dadurch die Vertragsparteien einzuengen bzw. die Produktgestaltungsfreiheit der VR einzuschränken oder materiell-rechtliche Änderungen beim Unfallbegriff bzw. der Vermutung der Unfreiwilligkeit herbeizuführen. Änderungen für die Rechtspraxis ergeben sich aus der Schaffung des § 178 nicht. Insbesondere kommt § 178 nicht die Aufgabe zu, ein feststehendes gesetzliches Leitbild zu definieren, das im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu berücksichtigen wäre.1 Die Schaffung von „Standardverträgen“ hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt.2
I. Gesetzliches Leitbild 2
§ 178 Abs. 1 beschreibt in Konkretisierung zu § 1 S. 1 die wesentliche Verpflichtung des VR bei Abschluss einer Unfallversicherung, nämlich bei einem Unfall gemäß § 178 Abs. 2 S. 1 oder einem diesem gleichgestellten Ereignis die versprochenen Leistungen zu erbringen. Die Vorschrift legt damit zunächst einen Mindeststandard fest. Die Leistungspflicht des VR knüpft jedenfalls an das vom Gesetzgeber für die Unfallversicherung als typisch angesehene Risiko, den in § 178 Abs. 2 S. 1 definierten Versicherungsfall (den eigentlichen Unfallbegriff) an.3 Ist ein Unfall i.e.S. gegeben, so hat der VR die im Unfallversicherungsvertrag und den dazugehörigen AVB vereinbarten Leistungen zu erbringen, sofern die dort ggf. weiter vorgesehenen (spezifischen) Voraussetzungen erfüllt sind. Darüber hinaus eröffnet § 178 Abs. 1 den Vertragsparteien mit der Formulierung 3 „oder einem diesem gleichgestellten Ereignis“ ausdrücklich die Möglichkeit, (wie bisher) auch andere Ereignisse einem Unfall i.e.S. gleichzustellen und damit als Versicherungsfall zu definieren.4 Dies geschieht in den AUB typischerweise für die „erhöhte Kraftanstrengung“ (Ziff. 1.4 AUB 99/2008, § 1 Abs. 4 AUB 88/94, § 2 Nr. 2a AUB 61). Keinesfalls wollte der Gesetzgeber die Produktentwicklung durch die VR hemmen. Vielmehr sollte den VR für die Produktgestaltung genügend Raum belassen werden, um andere Geschehnisse in den Versicherungsschutz einzubeziehen oder nicht.5 I.E. enthält § 178 Abs. 1 im Vergleich zur bisherigen Rechtslage keine Änderungen. Es wird lediglich
1 2
van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 43. S. Begründung RegE zu den Neuregelungen in der Lebensversicherung, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 51.
60
3 4 5
Abschlussbericht S. 136. Begründung RegE zu § 178 Abs. 1, BTDrucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 107. Abschlussbericht S. 136.
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Leistung des Versicherers
§ 178
Selbstverständliches klargestellt. Folgerichtig hatte auch der Zwischenbericht der VVGExpertenkommission noch keine vergleichbare Regelung vorgesehen.
II. Legaldefinition des Versicherungsfalls Mehr Aussagekraft als § 178 Abs. 1 hat § 178 Abs. 2 S. 1. Ursprünglich hatte der 4 Gesetzgeber darauf verzichtet, den Unfallbegriff im VVG zu bestimmen, da er dies weder für ausführbar noch für erforderlich hielt. Stattdessen überließ er die Begriffsbestimmung bewusst dem Versicherungsvertrag, also vor allem den dem Vertrag zugrunde liegenden AVB.6 Von dieser Entscheidung ist der Gesetzgeber des neuen VVG nun abgewichen, indem er in § 178 Abs. 2 S. 1 den Unfallbegriff i.e.S. definiert. Die VVG-Expertenkommission begründete dies zum einen damit, dass der Verzicht auf eine gesetzliche Ausgestaltung der Unfallversicherung – vor allem des Begriffs des Unfallereignisses – ihrer erheblichen Bedeutung nicht gerecht werde. Unter Berücksichtigung der Vielzahl von Unfallversicherungsverträgen und der jährlichen Beitragseinnahmen sowie angesichts der in der forensischen Praxis immer wieder auftretenden Streitfragen zur Interpretation und Anwendung von AVB in der Unfallversicherung sei es notwendig, auch ohne gesetzliche Umschreibung eines festen Leitbildes einzelne immer wieder umstrittene Elemente des Inhalts eines Unfallversicherungsvertrages gesetzlich zu regeln. Es empfehle sich zum leichteren Verständnis des Verbrauchers, den Kernbereich des versicherten Risikos, nämlich den Unfallbegriff, in Übereinstimmung mit dem in den AUB und in der Rechtsprechung verwendeten Unfallbegriff zu umschreiben.7 Zwingend sind diese Erwägungen jedoch nicht. Sofern die Kommission das Ziel hatte, 5 größere Rechtssicherheit zu erreichen, wird dies mit der Schaffung einer Legaldefinition des Unfallbegriffs nicht erreicht. Die Umschreibung des Unfallbegriffs in § 178 Abs. 2 S. 2 übernimmt (bewusst) – ohne Konkretisierung oder Modifizierung des geltenden Rechts – eine seit Jahrzehnten etablierte (Rn. 10 ff.) Formulierung aus den AUB.8 Streitfragen zur genauen Bedeutung der einzelnen Merkmale des Unfallbegriffs werden demnach gesetzlich gerade nicht entschieden, sondern sind weiterhin der Auslegung durch die Gerichte zugänglich. Des Weiteren lässt sich der Begründung der VVG-Expertenkommission, eine Legaldefinition des Unfallbegriffs diene dem besseren Verständnis des Verbrauchers, relativierend entgegenhalten, dass sich der Versicherungskunde im konkreten Fall doch – wie bisher – mit den Einzelheiten seines Vertrages und den zugrunde liegenden AVB auseinandersetzen muss: § 178 Abs. 2 S. 1 ist nicht abschließend zu verstehen; ihm können andere Ereignisse vertraglich gleichgestellt sein (Rn. 161). Abweichungen sind möglich (Rn. 162). Fernerhin soll der Rahmencharakter der Vorschrift nicht ausschließen, Klarstellungen oder Risikoausschlussklauseln in AVB oder dem jeweiligen Individualvertrag vorzusehen (s.a. Rn. 163 f.).9 Der maßgebende Grund für den Vorschlag der VVG-Expertenkommission, den Unfallbegriff im VVG zu normieren, dürfte gewesen sein, für alle Versicherungssparten einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen und damit eine einheitliche Gesetzregelungstechnik durchzuhalten. Dem ist letztlich zuzustimmen.
6
7
Begründung zu § 179 VVG a.F., abgedruckt in Gerhard/Hagen S. 720; ferner Carus S. 2 f.; Wagner ZVersWiss 1975 619, 623 f. Abschlussbericht S. 135 f.
8 9
Abschlussbericht S. 401. Begründung RegE zu § 178 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 107; Abschlussbericht S. 401.
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
III. Vermutungsregel für die Unfreiwilligkeit 6
Die früher in § 180a Abs. 1 a.F. enthaltene Vermutungsregel für die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung ist nunmehr in § 178 Abs. 2 S. 2 übernommen. Für die Rechtspraxis ergeben sich dadurch keine Veränderungen (Rn. 192 ff.).
B. Leistungspflicht des VR 7
Die dispositive Vorschrift des § 178 definiert den Versicherungsfall in der Unfallversicherung. Anspruchsbegründende Voraussetzung für die Leistungspflicht des VR ist danach ein Unfall der versicherten Person oder ein vertraglich diesem gleichgestelltes Ereignis und Kausalität zwischen dem Unfallereignis und dem Unfallergebnis. Damit ist indes nur ein Teil der Leistungsprüfung durch das VU angesprochen. Ob ein VR gegenüber dem Anspruchsteller zur Leistung verpflichtet ist, hängt vornehmlich davon ab, welche AVB (AUB), Besondere Bedingungen, Zusatz- und Individualvereinbarungen usw. dem konkreten Vertrag zugrunde liegen und neben den gesetzlichen Regelungen zur Anwendung gelangen. Die Ermittlung der konkreten Vertragsgrundlagen ist deshalb wichtig, weil zwischen den verschiedenen Bedingungsgenerationen erhebliche inhaltliche Unterschiede bestehen können. Hinzu kommt, dass sich der Gestaltungsspielraum der VR seit der Deregulierung erheblich erweitert hat und deshalb z.B. auch gravierende Abweichungen zwischen den konkret vereinbarten Klauselwerken und den Musterbedingungen des GDV bestehen können. Gerade bei schon länger bestehenden „Altverträgen“ ist zu prüfen, welche Vertragsanpassungen die ursprünglich vereinbarten Vertragsregelungen in der Folgezeit erfahren haben (s. dazu auch Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 23 ff.). Stehen die Vertragsgrundlagen fest, so ist eine Reihe von Prüfungspunkten gedanklich durchzuspielen. Diese sind in dem folgenden (nicht abschließenden) Prüfungsschema skizziert:10 Prüfungsgegenstand
Stichworte (nicht abschließend)
Rechtsgrundlagen
1
Anspruchsbegründender Tatbestand
1.1
Anspruchsentstehung
1.1.1
Formelle Prüfung
Bestehender Unfallversicherungsvertrag
§ 179
1.1.1.1 Personenbezogen
• Richtiger Anspruchsteller (VN, Erbe, Bezugsberechtigter, sonstige Dritte wie Abtretungs- oder Pfändungsgläubiger bzw. Bevollmächtigte oder gesetzliche Vertreter) • Richtiger Anspruchsgegner (z.B. richtige Konzerngesellschaft) • Verletzte Person = Versicherte Person; Versicherungsfähigkeit
§§ 179, 185, Ziff. 4 und 12 AUB 2008
1.1.1.2 Gegenständlich
z.B. Ausschnittsdeckung
AUB, BB usw.
10
Checkliste für den Rechtsanwalt etwa bei Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 199 ff.;
62
Naumann/Brinkmann § 1 Rn. 10; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 217.
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§ 178
Leistung des Versicherers Prüfungsgegenstand
Stichworte (nicht abschließend)
Rechtsgrundlagen
1.1.1.3 Zeitlich
• Versicherungsbeginn • Versicherungsende (z.B. Vertragsablauf bzw. -verlängerung, Kündigung) • Prämienzahlung
Ziff. 10 und 11 AUB 2008
1.1.2
Materielle Prüfung
Eintritt des Versicherungsfalls • Unfallbegriff • erweiteter Unfallbegriff (z.B. Kraftanstrengung) • Haftungsbegründende Kausalität
§ 178, Ziff. 1 AUB 2008
1.2
Einwendungen des VR
• Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls durch widerrechtliche Handlung • Ausschlusstatbestände • Vorvertragliche Anzeigepflichtverletzungen • Obliegenheitsverletzungen nach Eintritt des Versicherungsfalls (z.B. unterlassene bzw. verspätete Unfallmeldung, fehlerhafte Schadenanzeige)
§ 183, Ziff. 5, 7, 8 und 13 AUB (s.a. Ziff. 14 AUB 2008 zur Klagefrist nach § 12 Abs. 3 a.F.)
1.3
Einreden des VR
Verjährung
Ziff. 15 AUB 2008
2
Anspruchsausfüllender Tatbestand
Ermittlung der in Betracht kommenden Leistungsarten
Ziff. 2 AUB 2008
2.1
Leistungsspezifische Voraussetzungen
Ggf. auch Summenanpassung bei Gefahränderung Beachte: Hinweispflichten des VR
§§ 181, 186, Ziff. 6 AUB 2008
2.1.1
Formelle Prüfung
• Fälligkeit • Fristen (z.B. bei Invalidität) • Zeitliche Beschränkung (z.B. beim Krankhaustagegeld, Genesungsgeld, Tagegeld)
§§ 178, 187, Ziff. 2, 9 AUB 2008
2.1.2
Inhaltliche Prüfung (Unfallfolgen)
• Invalidität, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsunfähigkeit; ggf. mit medizinischer Prüfung • Haftungsausfüllende Kausalität • Ggf. Neubemessung der Invalidität
§§ 180, 188, Ziff. 2, 9.4 AUB 2008
2.2
Leistungsminderung
Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen
§ 182, Ziff. 3 AUB 99/2008
Der Schwerpunkt in der Gerichtspraxis liegt bei folgenden Themenkreisen:11 • Voraussetzungen des Unfallbegriffs; • Ausschlüsse von der Leistungspflicht;
11
S.a. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 10.
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63
§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
• Einhaltung der Fristen für den Eintritt, die ärztliche Feststellung und die Geltendmachung der Invalidität; • Feststellung der Invalidität (insbesondere des Invaliditätsgrades) als kausaler Unfallfolge; • Leistungsminderung wegen der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen.
C. Unfallbegriff 8
Der Gesetzgeber strebte mit der Schaffung des § 178 Abs. 2 S. 1 keine Änderung der bisher in den AVB geregelten Rechtslage an (Rn. 5). Insofern kann bei der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Unfallbegriffs zwanglos auf die vorhandene umfangreiche Rechtsprechung und Literatur – insbesondere zu den AUB – zurückgegriffen werden.12
I. Allgemeines 9
Der seit langem in der privaten Unfallversicherung unverändert verwendete Unfallbegriff hat sich bewährt, auch wenn er nach wie vor Interpretationsspielräume eröffnet. Er definiert den Versicherungsfall, von dem die Unfallfolgen abzugrenzen sind. 1. Entwicklung des Unfallbegriffs
10
Mit der in § 178 Abs. 2 vorgenommenen Umschreibung des Unfallbegriffs hat der Gesetzgeber einen für die private Unfallversicherung seit Jahrzehnten in materiell unveränderter Form geltenden Tatbestand der AUB ins Gesetz übernommen. Er findet sich in gleich lautender oder ähnlicher Form auch in der Sachversicherung wieder (für die Kraftfahrt-Unfallversicherung s. z.B. § 18 Abs. 2 Nr. 1 AKB; vgl. auch Vorbem. § 178 Rn. 49). 11 Die Entwicklung des Unfallbegriffs geht weit zurück.13 Erstmalig findet sich die Definition des noch heute gültigen Unfallbegriffs in den vom Reichsaufsichtsamt genehmigten „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Einzel-Unfallversicherung (AVBfU)“ von 1920.14 Sie wurde nach Genehmigung durch das damalige Bundesaufsichtsamt in § 2 Nr. 1 AUB 61 übernommen.15 12 In § 1 Abs. 3 AUB 88/94 wurde an der Unfalldefinition unverändert festgehalten. Lediglich hinter „ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis“ wurde als Klarstellung der Klammerzusatz „Unfallereignis“ aufgenommen, ohne damit eine sachliche bzw. materiell-rechtliche Änderung anzustreben. Ziel war es, die Trennung zwischen dem Unfallereignis und den Unfallereignisfolgen (Rn. 18) deutlich zu machen:16 Zum einen sollte der in den AUB mehrfach verwendete Begriff „Unfallereignis“, der nicht mit dem Versicherungsfall identisch ist, i.S. einer „Legaldefinition“ festgeschrieben werden.
12 13
14
Zum Unfallbegriff aus rechtsvergleichender Sicht Yamashita VersR 1982 8 ff. Dazu etwa Grewing Unfallversicherung S. 31 ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 3; Wagner ZVersWiss 1975 619, 623 ff. VA 1920 92, 93 und 103; 1937 61; s.a. bereits VA 1910 183; zur (kasuistischen)
64
15 16
Fassung des Unfallbegriffs in § 1 der Fassung von 1904 siehe Gerhard/Hagen S. 731 ff. VerBAV 1961 211. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 16; ders. VW 1988 132; Riebesell S. 34; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 3; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 32.
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Zum anderen war beabsichtigt, eindeutig den Begriff „plötzlich“ dem „Ereignis“ und das Merkmal „unfreiwillig“ der „Gesundheitsschädigung“ zuzuordnen.17 Der Gesetzgeber hat diesen Klammerzusatz nicht in § 178 Abs. 2 S. 1 übernommen. Da er allerdings auch in § 1 Abs. 3 AUB 88/94 und Ziff. 1.3 AUB 99/2008 nur klarstellenden Charakter hatte, lassen sich aus dieser – in den Gesetzesmaterialien auch nicht erläuterten – Entscheidung keine rechtlichen Folgerungen ableiten. Darüber hinaus verzichteten die Bedingungen ab den AUB 88 erstmals darauf, wie in § 2 AUB 61 die sog. negativen und positiven Grenzfälle zu regeln. Sie waren nicht geeignet, den Unfallbegriff zu erläutern und zu ergänzen.18 Ziff. 1.3 AUB 99 hat die Unfalldefinition aus den AUB 88/94 wörtlich beibehalten. 13 Eine Präzisierung wurde zwar im Zusammenhang mit der angedachten Streichung bzw. Reduzierung des Ausschlusses „Unfälle durch Bewusstseinsstörungen, Schlaganfälle usw.“ (Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008) diskutiert, jedoch dann nicht weiter verfolgt.19 Die VVG-Reform 2008 machte keine Anpassung des Unfallbegriffs notwendig. Er wurde in Ziff. 1.3 AUB 2008 wortgleich aus den AUB 99 übernommen. 2. Auslegung des Unfallbegriffs In der Regel sind mit der Prüfung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Unfall- 14 begriffs keine größeren Probleme verbunden. Jedoch gibt es eine Reihe von Grenz- und Zweifelsfällen, die zu umfangreicher Rechtsprechung und Literatur geführt haben. Dies gilt etwa für die Tatbestandsmerkmale „von außen“ (Rn. 38 ff.), „plötzlich“ (Rn. 81 ff.) und „unfreiwillig“ (Rn. 126 ff.). Dort ist zunächst eine sorgfältige Sachverhaltsrecherche vorzunehmen. Gerade im Rahmen der Beweiswürdigung zu Eigenbewegungen (Rn. 176) sowie möglichen Selbstverstümmelungen (Rn. 219 ff.) oder Suiziden (Rn. 230 ff.) können Kleinigkeiten entscheidend für den Ausgang einer streitigen Auseinandersetzung sein. Des Weiteren sind jeweils Einzelfallbetrachtungen vorzunehmen. Schematische Bewer- 15 tungen verbieten sich. Mit der in den AUB seit Jahrzehnten vorgesehenen und vom Gesetzgeber jetzt übernommenen Unfalldefinition sollte kein „akademischer“ Tatbestand geschaffen, sondern an die Vorstellungen des Lebens angeknüpft werden. Maßgebend ist nicht die fachwissenschaftliche Terminologie (etwa der ärztlichen Wissenschaft), sondern die Sicht eines verständigen Laien, denn an diesen wendet sich der VR mit seinem Angebot (s.a. Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57). Die Vorstellungen des Laien sind von der allgemeinen Lebensauffassung und dem allgemeinen Sprachgebrauch (Umgangssprache) 20 geprägt.21 Dabei darf allerdings nicht der Wortsinn des Unfallbegriffs verlassen werden. Nicht gerechtfertigt ist es, den Unfallbegriff einfach (ergebnisorientiert oder politisch motiviert) ohne genaue juristische Begründung (z.B. teleologische Auslegung) einzu-
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Konen S. 9; Konen/Lehmann S. 8. Wagner ZVersWiss 1975 619, 625 f. und 630 ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 15 und G 23; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 17. Stockmeier/Huppenbauer S. 8 f. Zur Bedeutung des allgemeinen Sprachgebrauchs bei der Auslegung des Unfallbegriffs Yamashita VersR 1982 8, 9 f.
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So etwa zum Merkmal der: – Plötzlichkeit im Unfallbegriff: OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949; LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910; – Unfreiwilligkeit im Unfallbegriff: OLG Frankfurt 25.3.1998 NVersZ 1999 325, 326; – Vergiftung: BGH 13.6.1955 VersR 1955 385 = VerBAV 1955 222 Nr. 107.
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schränken oder zu erweitern, z.B. mit dem Ziel, den Unfall in tragischen Fällen mit einem Unglück oder mit Sachschäden gleichzusetzen.22 Trotz der nunmehr erfolgten gesetzlichen Regelung in § 178 Abs. 2 S. 1 darf davon 16 ausgegangen werden, dass es nach wie vor keinen allgemein gültigen Unfallbegriff als Rechtsbegriff gibt.23 Zwar wird spätestens jetzt aufgrund der vom Gesetzgeber geschaffenen Legaldefinition für das Privatversicherungsrecht (zumindest für die Personenversicherung) der Begriff des Unfalls einheitlich aufzufassen sein, sofern er nicht von den Vertragsparteien – was möglich ist (Rn. 162 ff.) – insbesondere zur näheren Bestimmung des vertragsmäßig übernommenen Risikos abweichend geregelt wird. Dies war jedoch schon in der Vergangenheit unter Rückbesinnung auf das allgemeine Verständnis zum Wort „Unfall“ als ein plötzliches, von außen auf den versicherten Gegenstand bzw. den Körper wirkendes Ereignis weitgehend so anerkannt.24 Umstritten war lediglich, ob ein Unfall (auch in der Sachversicherung) stets unfreiwillig sein müsse (Rn. 196). Jedoch kann die Definition in § 178 Abs. 2 S. 1 nicht ohne weiteres auf Unfallbegriffe anderer Rechtsbereiche als dem privaten Versicherungsrecht übertragen werden. Dort erschöpft sich die Gemeinsamkeit mit dem Unfallbegriff des § 178 Abs. 2 S. 1 in dem Bezug zum Lebenssprachgebrauch und der daraus folgenden Auslegung. Im Übrigen hängt die Auslegung der unterschiedlichen Gesetze von deren Regelungszusammenhang sowie dem jeweiligen Sinn und Zweck der maßgeblichen Vorschriften ab.25 Insofern ist „Unfall“ nicht gleich „Unfall“. So ist z.B. der „Unglücksfall“ in §§ 145 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1, 243 Abs. 1 Nr. 6, 315 Abs. 3 Nr. 1a oder § 323c StGB nicht mit dem Unfallbegriff gleichzusetzen. 3. Unfallbegriff und Versicherungsfall
17
Jede Versicherung bietet dem Anspruchsinhaber in der durch Gesetz oder die Versicherungsbedingungen festgesetzten Weise Schutz gegen die wirtschaftlichen Folgen ganz bestimmter ungewisser Ereignisse. Ein solches Ereignis wird, solange es noch nicht eingetreten ist, als „versicherte Gefahr“ und nach seinem Eintritt als „Versicherungsfall“ bezeichnet. Welche Versicherungsart vorliegt, richtet sich allein danach, welche Gefahr jeweils versichert ist.26 Für die Unfallversicherung bestimmt § 178 Abs. 1, dass ein Unfall (oder ein diesem von den Vertragsparteien gleichgestelltes Ereignis) versicherte Gefahr und alleinige Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls ist. Unfall und Versicherungsfall sind gleichbedeutend.27 In den neueren Versicherungsbedingungen wird zunehmend nur noch der Begriff „Unfall“ verwendet, da dieser für den VN anschaulicher ist als der rechtlich bzw. fachlich geprägte Begriff des „Versicherungsfalls“.28 Während in den AUB 61 noch die Begriffe „Versicherungsfall“ und Unfall wechselten, taucht das Wort „Versicherungsfall“ in den AUB 88/94 nur noch in der Überschrift zu
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Näher hierzu m.w.N. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 20. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 4 zu den AUB 61; s. bereits Wüstney § 2 Anm. 1. BGH 15.6.1970 VersR 1970 753 f. (zur „Flusskasko-Police“); RG 25.11.1924 RGZ 109 238 240 f. (zur Transportversicherung); Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 4; s. aber auch OLG Hamburg 9.11.1981 VersR
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1983 431, 433 (maßgebend sei vor allem der Sprachgebrauch der betreffenden Wirtschaftskreise). Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 4; Überblick bei Eichberger JuS 1996 1078 ff. BGH 18.12.1954 BGHZ 16 37, 42 = VerBAV 1955 211, 212 Nr. 101. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 8 und 14. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 1.
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§ 1 auf. In den AUB 99/2008 wurde dann auch hierauf verzichtet und ausschließlich von „Unfall“ gesprochen (Ziff. 1 AUB Rn. 9). Der Unfallbegriff setzt sich zusammen aus dem Unfallereignis, dem plötzlich von 18 außen auf den Körper der versicherten Person wirkenden Ereignis (Rn. 23 ff.), und der sog. Unfallereignisfolge, d.h. der unfreiwilligen Gesundheitsschädigung (Rn. 118 ff.). Beide Vorgänge können zeitlich auseinander fallen, so z.B., wenn die zunächst harmlos erscheinende Kopfverletzung zu einer Entzündung führt. Unfallereignis und Ereignisfolge können aber auch – wie häufig – zusammen treffen. Typischer Beispielsfall ist etwa der Beinbruch infolge der Kollision eines Fußgängers mit einem Radfahrer.29 Entscheidend für die Leistungspflicht des VR bei einem sog. gedehnten Versicherungs- 19 fall ist, dass der Beginn des Unfallereignisses in den Haftungszeitraum des Versicherungsvertrags fällt (Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 12 ff.); ein Fortwirken der Gesundheitsschädigung bzw. früherer Unfallfolgen bis in den versicherten Zeitraum hinein genügt dagegen nicht.30 Von einem gedehnten Versicherungsfall kann in unterschiedlichem Zusammenhang gesprochen werden:31 • Der Versicherungsfall kann nicht nur ein punktuelles Ereignis sein, sondern sich auch über einen längeren Zeitraum erstrecken. Das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ steht hier der Annahme eines Unfalls nicht von vornherein entgegen (Rn. 85 ff.). Der eine Leistungspflicht des VR begründende Versicherungsfall ist vielmehr in verschiedenen Varianten denkbar. So kann das Unfallereignis gedehnt sein, weil ein Ereignis über einen längeren Zeitraum auf die versicherte Person einwirkt (z.B. Rauch oder Gas nach Feuer oder Leitungsbruch auf den Schlafenden, Rn. 110). Ähnlich gelagert sind mehraktige Unfallereignisse, bei denen die versicherte Person unverletzt in eine hilflose Lage gerät (z.B. Sturz in eine Felsspalte), die sie zwingt weitere schädliche Einwirkungen auf ihren Körper (z.B. Kälte oder Hitze) zu erdulden (Rn. 31, 58 ff. und 83). • Die Unfallereignisfolgen (Gesundheitsbeeinträchtigung oder Tod) können dem Unfallereignis in deutlichem Abstand nachfolgen, so z.B. wenn eine zunächst als geringfügig angesehene Verletzung (z.B. am Kopf) nach einiger Zeit zu erheblichen Beschwerden führt. • Die Rechtsprechung bezeichnet als Wesensmerkmal eines gedehnten Versicherungsfalls nicht sein schrittweises Eintreten, sondern die Fortdauer des mit einem Eintritt geschaffenen Zustands (z.B. Invalidität) über einen – mehr oder weniger langen – Zeitraum, sofern diese Fortdauer nicht nur die Pflicht des VR zur Erbringung einer einmaligen Versicherungsleistung (z.B. Invaliditätsleistung), sondern deren Umfang im Einzelfall (z.B. Dauer der Unfallrente) bestimmt.32 In solchen Fällen kann eher von gedehnten Unfallfolgen gesprochen werden. Sofern die Vertragsparteien für sie laufende Versicherungsleistungen vereinbart haben, sind diese meist zeitlich begrenzt.
4. Unfallbegriff und Unfallfolgen Von dem Versicherungsfall bzw. dem Unfallbegriff ist die Unfallfolge zu unterschei- 20 den.33 Zu den Unfallfolgen zählen die im Gesetz, den AUB (Ziff. 2 AUB 99/2008, § 7 AUB 88/94, § 8 AUB 61) oder besonderen Bedingungen genannten Leistungstatbestände wie z.B. Invaliditäts- oder Todesfall-Leistung und Krankenhaustage- oder Genesungsgeld. Sie stellen ihrerseits bestimmte Voraussetzungen auf wie insbesondere die Invalidität (§ 180) oder den Tod, aber auch die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, Kranken-
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 6 und 82. BGH 22.2.1984 VersR 1984 630, 632. Näher hierzu Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 9–12. BGH 12.4.1989 NJW 1989 3019, 3020.
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Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 3; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 6; Terno DAR 2005 314; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 62; eingehend Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 7.
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hausbedürftigkeit, Rettungsbedürftigkeit, dauernde Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes der versicherten Person u.ä.34 Die Unfallfolge ist nicht Voraussetzung für den Versicherungsfall,35 muss aber hinzu21 treten, um die Leistungspflicht des VR auszulösen.36 Die Unfallfolgen bestimmen lediglich den Inhalt der Leistungspflicht des VR.37 Wenn z.B. die versicherte Person wegen Schneeglätte ausrutscht und zu Boden stürzt, dadurch eine schwere Beinverletzung erleidet, die eine Invalidität nach sich zieht, dann ist der Sturz und das Aufschlagen auf dem Boden das Unfallereignis, nämlich ein plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis. Die Beinverletzung stellt eine unfreiwillige Gesundheitsbeschädigung, die Ereignisfolge, dar. Die Invalidität ist dagegen als Unfallfolge zu werten. Sie ist notwendige Voraussetzung z.B. für die Zahlung einer Invaliditätsleistung durch den VR. Als Prüfungsreihenfolge ergibt sich damit: 22 • Unfallereignis (das plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkende Ereignis); • Unfallereignisfolgen (Erleiden einer unfreiwilligen Gesundheitsschädigung nebst Kausalität); • Unfallfolgen (Invalidität usw.).
Diesem logischen Folgeverhältnis kann auch die zeitliche Abfolge entsprechen, so z.B., wenn die versicherte Person von einem Fahrzeug angefahren wird und dabei eine Wirbelsäulenverletzung erleidet, die später zu dauerhaften Lähmungserscheinungen führt. Möglich ist aber auch, dass das Unfallereignis, die Gesundheitsschädigung und die Unfallfolgen zusammentreffen. Dies gilt etwa für den Fall, dass die durch eine Kollision bewirkte Verletzung sofort Arbeitsunfähigkeit nach sich zieht.38
II. Unfallereignis 23
Das Unfallereignis setzt ein plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis voraus. Unfreiwilligkeit ist dagegen nicht erforderlich. Dieses Merkmal bezieht sich nach dem Wortlaut des § 178 Abs. 2 S. 1 nicht auf das von außen wirkende Ereignis, sondern nur auf die dadurch verursachte Gesundheitsbeschädigung. 1. Ereignis
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Die isolierte Betrachtung des Tatbestandsmerkmals „Ereignis“ ist für die Rechtsanwendung unergiebig.
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a) Bedeutung. Unter Ereignis wird in der Unfallversicherung jeder tatsächliche Vorgang verstanden. Der Begriff ist weit zu fassen;39 denn nach seiner eigentlichen Wort-
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Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 16; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 34. BGH 24.3.1976 VersR 1976 85; BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 48. Grundlegend BGH 18.12.1954 BGHZ 16 37, 42 = VerBAV 1955 211, 212 Nr. 101; ferner BGH 23.9.1992 VersR 1992 1503, 1504; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2
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§ 47 Rn. 7; Riebesell S. 34; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 4; Terno DAR 2005 314, 315. Kessal-Wulf RuS 2008 313; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 8; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 36. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 68 und 82. OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842.
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bedeutung schließt er sämtliche Geschehensabläufe bzw. alles ein, was geschieht.40 Es reicht aus, dass sich ein bestehender Zustand verändert.41 Es muss lediglich eine zum Unfall führende Kausalreihe sichtbar werden, die sich von anderen gleichzeitig oder zeitlich verschieden ablaufenden Geschehensfolgen durch äußere Merkmale objektiv abgrenzen lässt.42 Der Begriff „Ereignis“ enthält damit ein dynamisches Moment und steht im Gegensatz zu dem Begriff des (statischen) Zustands.43 Unerheblich ist, ob das Ereignis (oder seine Ursache) 44 mechanischer, chemischer, thermischer oder elektrischer Art ist.45 In Betracht kommen sowohl Naturereignisse als auch menschliche Handlungen.46 Typische Beispiele sind Zusammenstöße der versicherten Person mit Gegenständen oder anderen Personen (Rn. 46). Während „Ereignis“ in der Umgangssprache häufig mit einem besonders auffälligen, 26 bemerkenswerten, spektakulärem Geschehen in Verbindung gebracht wird, ist dieser einschränkende Sprachgebrauch nicht maßgebend.47 Unabhängig davon, dass der Versuch einer Abgrenzung zwischen einem alltäglichen und besonderen Ereignis zu Rechtsunsicherheiten führen würde, ist für die Auslegung des Unfallbegriffs in den AUB, der vom Gesetz übernommen wurde, das Verständnis des durchschnittlichen VN maßgebend (Rn. 15). Dieser wird von der Unfallversicherung auch Schutz für weniger spektakuläre Geschehen erwarten dürfen. b) Konsequenzen für die Rechtsanwendung. I.E. handelt es sich bei dem Begriff 27 „Ereignis“ um ein farbloses Merkmal ohne Aussagewert, das erst im Zusammenhang mit den weiteren Voraussetzungen eines Unfallereignisses Bedeutung gewinnt.48 Dennoch werden vereinzelt allein aus diesem Begriff Rechtsfolgen abgeleitet. Zwingend ist dies indes nicht. aa) Unterlassungen. Gelegentlich werden menschliche Unterlassungen nicht als Ereig- 28 nisse gewertet. Vergesse etwa ein Arzt nach Heilung eines Bruches Drahtreste aus dem Körper zu entfernen, so sei das Vergessen kein Ereignis.49 Dem ist insofern zuzustimmen, als das Vergessen einer gebotenen Handlung als solches noch kein dynamisches Element enthält. Jedoch darf die Unterlassung nicht künstlich in Teilakte zerlegt werden. Spätestens dann, wenn die Unterlassung den weiteren Geschehensablauf verändert bzw. beeinflusst, macht sie sich bemerkbar. Dies reicht nach allgemeinem Sprachverständnis für ein „Ereignis“ aus (Rn. 25). Anderes wäre aus Sicht verständiger Vertragsparteien kaum verständlich. Es kann z.B. nicht einerseits ein fehlerhafter Schnitt des Arztes mit dem
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BGH 4.12.1980 VersR 1981 173, 174; OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36; OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136. Konen S. 9. OLG Stuttgart 1.3.1977 VersR 1977 1026; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 38. OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 46. OLG Köln 30.11.1989 RuS 1990 33, 34; Henke S. 27; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 8. OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 38; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 37.
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BGH 4.12.1980 VersR 1981 173, 174 (für die AHB). Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 22; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 38; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 8. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 38; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 54; a.A. LG Hamburg 22.5.1975 VersR 1976 455, 456, das ohne weitere Prüfung ein (Unfall-)Ereignis annimmt.
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Skalpell ein Ereignis sein, andererseits ein Ereignis verneint werden, wenn eine u.U. gebotene ärztliche Maßnahme unterlassen wird.
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bb) Körperinnere Vorgänge. Z.T. wird „Ereignis“ so ausgelegt, dass es (nur) die Vorgänge einschließe, deren schädliche Wirkung nicht auf Eigenschaften und Handlungsweisen des Betroffenen selbst beruhten, sondern ihn – unabhängig davon – in einer Weise träfen, die gleichsam jedermann widerfahren könnten. Deshalb fehle es an einem entschädigungspflichtigen Ereignis, wenn sich der Körper der versicherten Person der vorgegebenen Umgebung nicht anzupassen vermöge. So sei der Sauerstoffentzug nur dann ein Ereignis, wenn er ein dynamisches Element beinhalte, wie z.B. das Abklemmen des Sauerstoffschlauchs eines Tauchers.50 Dem ist indes nicht zu folgen.51 Nach allgemeinem Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung der Erwartungen eines verständigen VN ist ein Ereignis auch in dem Fall anzunehmen, dass ein Bergsteiger oder Taucher sich in sauerstoffarme Regionen begibt. Das dynamische Element liegt in der Bewegung der versicherten Person bzw. in der Veränderung seines Umfeldes. Ob dann ein Unfallereignis vorliegt, hängt von den Tatbestandsmerkmalen „von außen“ (Rn. 56) und „plötzlich“ (Rn. 105) ab. Aus ähnlichen Erwägungen ist ein Ereignis auch bei Eigenbewegungen anzunehmen,52 30 und zwar auch dann, wenn sie planmäßig und vollkommen willensgesteuert erfolgen. Dies ist indes streitig. So wird gelegentlich angenommen, das Anheben eines Gegenstandes sei kein einwirkendes Ereignis, wenn dabei weder eine Eigenbewegung des Gegenstandes noch eine ungewollte Eigenbewegung des Anhebenden vorliege.53 Dadurch wird der Begriff „Ereignis“ aber zu eng ausgelegt. Kommt es etwa durch eine Alltagsbewegung oder durch eine Kraftanstrengung zu einer Bandscheibenschädigung, so wird ein verständiger VN die Bewegung (z.B. das Anheben eines schweren Gegenstandes) als ein Ereignis werten. Bei solchen plan- und willensgemäß durchgeführten Eigenbewegungen fehlt es aber nach allgemeiner Ansicht an dem Tatbestandsmerkmal „von außen“ (Rn. 65).
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cc) Mehraktige Vorgänge. Ohne weiteres als Ereignis zu bewerten sind solche Geschehen, die konkret auf den Körper der versicherten Person wirken und damit unmittelbar die Gesundheitsschädigung herbeiführen (Rn. 46).54 Fraglich kann dagegen die Beurteilung von Fällen sein, in denen die versicherte Person zunächst – in einem ersten Akt – unversehrt in eine hilflose Lage gerät (z.B. Verhängen des Seils beim Bergsteigen) und anschließend – in einem zweiten Akt – die schädlichen Wirkungen (z.B. Kälte) auf ihren Körper hilflos erdulden muss. Hier besteht i.E. weitgehend Einigkeit, dass ein Ereignis vorliegt.55 Tritt die zum Tod des Bergsteigers führende Kälte infolge einer Wetterverschlechterung ein, so lässt sich nicht nur der erste Akt (das Geraten in eine hilflose Lage), sondern auch der zweite Akte (das Erdulden der eintretenden Kälte) zwanglos als „Ereignis“ ansehen (Rn. 25). Die Wetterverschlechterung weist ein dynamisches Element auf; ein bestehender Zustand (z.B. Normaltemperatur) verändert sich. Aber auch, wenn der Bergsteiger einer bereits beim Verhängen des Seils bestehenden Witterung weiterhin hilflos ausgesetzt ist, so ist ein Ereignis anzunehmen. Hiergegen ließe sich zwar anführen,
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OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137. So auch Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 8. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 8.
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Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 38. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 37. 55 Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 38; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 9. 54
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dass ein dynamisches Element nur im ersten Akt vorliege, während die versicherte Person im zweiten Akt einem Zustand ausgesetzt sei. Jedoch lässt sich dem Folgendes entgegen halten: Der Gesamtvorgang ist im Lebenssprachgebrauch als Unfall anzusehen (s.a. Rn. 58 ff.). Es wäre kaum verständlich, wenn nach Eintritt der hilflosen Lage nur die Wetterverschlechterung, nicht aber die Einwirkung auf die versicherte Person durch nach wie vor vorhandene widrige Umstände als Ereignis angesehen würde. 2. Einwirkung auf den Körper der versicherten Person Es gehört zum Wesen des Unfallbegriffs, dass die versicherte Person selbst von dem 32 Unfallereignis betroffen wurde.56 Dies ergibt sich unmissverständlich aus der Wendung „… auf ihren Körper …“ in § 178 Abs. 2 S. 1. a) Einwirkung. Um von einer Einwirkung auf den Körper der versicherten Person 33 sprechen zu können, ist erforderlich, dass es sich um einen tatsächlichen und nach außen deutlich werdenden bzw. von Dritten wahrnehmbaren 57 Vorgang handelt. Gedanken und Wünsche einer dritten Person oder bloße Gefahrenmomente reichen nicht.58 Die Art der Einwirkung ist – ebenso wie die Art des Ereignisses (Rn. 25) – beliebig.59 34 Sie kann etwa mechanischer (z.B. Schlag, Schnitt, Stoß, Quetschung), akustischer (z.B. Telefonknall), chemischer (z.B. Verätzung), thermischer (z.B. Verbrühung, Verbrennung) oder elektrischer Natur (z.B. Strom-, Blitzschlag) 60 sein.61 Ausreichend ist auch die Vorenthaltung bzw. der Entzug lebenswichtiger Stoffe (z.B. Sauerstoff, Nahrung; Rn. 55 ff.). Streitig ist, ob eine sinnliche Wahrnehmung ausreichend ist (Rn. 49 ff.). b) Körperschäden. Dadurch, dass das Ereignis auf den Körper der versicherten Per- 35 son wirken muss, wird deutlich, dass nur Körperschäden eine Leistungspflicht auslösen.62 Das Ereignis muss geeignet sein, zu einer Gesundheitsschädigung zu führen.63 Ob die Einwirkung äußere oder innere Gesundheitsschädigungen hervorruft, ist dabei gleichgültig (s.a. Rn. 123).64 Aus dem Umstand, dass das Ereignis von außen auf den Körper wirken muss, darf nicht gefolgert werden, die Gesundheitsschädigung müsse die Körperoberfläche betreffen. Insbesondere sollen durch das Tatbestandsmerkmal „von außen“ nicht per se innere Gesundheitsschädigungen, sondern vornehmlich rein innerorganische krankhafte oder degenerative Vorgänge ausgeschlossen werden (Rn. 40).65 Für die Unfallversicherung reicht es dagegen nicht aus, wenn ein Ereignis (z.B. Trauer- 36 botschaft, Beleidigung) ausschließlich eine psychisch-seelische Erkrankung hervorruft, da solche Einwirkungen nicht den Körper der versicherten Person treffen (s.a. Rn. 53).66 Zwar mag dagegen eingewendet werden, dass sich der Dualismus von Seele und Körper
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60 61
BGH 25.6.1986 VersR 1986 803, 804. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 23. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 6; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 37. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 6; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 36; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 46; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 46. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 52 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 66. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 27; Konen S. 9;
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Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 11; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 23; Wüstney § 2 Anm. 3. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 37. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 24. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 27 und 37; Henke S. 27; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 21. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 37; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 24. Henke S. 27.
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aus medizinischer Sicht bezweifeln oder auch ganz verneinen lässt. Jedoch ist für die Auslegung des Unfallbegriffs der allgemeine Sprachgebrauch des täglichen Lebens und nicht die fachwissenschaftliche Terminologie maßgebend (s. bereits Rn. 15).67 Der Laie bzw. durchschnittliche VN unterscheidet zwischen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen. Genauso wenig wie psychische Einwirkungen reichen weiterhin Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens durch Ärger, Aufregung, Belästigung durch Gerüche oder Geräusche aus.68 Von den Körperschäden sind Sachschäden abzugrenzen. Kein Versicherungsschutz 37 besteht für Schäden an Prothesen, Seh- und Hörhilfen, Herzschrittmachern usw.69 Anderes gilt dagegen für implantierte oder künstliche Körperersatzstücke, die fest mit dem Körper verbunden und normalerweise nur durch operativen ärztlichen Eingriff gelöst oder ausgetauscht werden können.70 Solche Körperersatzstücke sind feste Bestandteile des Körpers geworden und deshalb wie körpereigene Organe oder Glieder zu behandeln (s.a. Rn. 41). 3. Von außen wirkendes Ereignis
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Ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis liegt – in Abgrenzung zu innerorganischen Vorgängen – vor, wenn Kräfte auf den Körper der versicherten Person einwirken, die außerhalb des Einflussbereichs des eigenen Körpers liegen. Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung ergeben sich hier oftmals bei Eigenbewegungen der versicherten Person.
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a) Innerorganische Vorgänge. Bei der Beurteilung eines Unfallhergangs kommt es immer wieder zu Diskussionen, wenn Vorgänge im Körperinneren der versicherten Person das zur Gesundheitsschädigung führende Ereignis hervorgerufen bzw. (mit-)beeinflusst haben.
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aa) Bedeutung. Das Merkmal „von außen“ dient der Abgrenzung des Unfallbegriffs von rein inneren, organischen Vorgängen.71 Die Unfallversicherung soll nur für Vorgänge leisten, deren schädliche Wirkungen nicht auf Eigenschaften und Handlungsweisen des Betroffenen selbst beruhen, sondern ihn, unabhängig davon, in einer Weise treffen, die gleichsam jedermann widerfahren kann.72 Kein Unfall liegt deshalb vor, wenn die versicherte Person eine Gesundheitsbeschädigung erleidet, die (ausschließlich) auf einem Ereignis im Körperinneren (zumeist auch degenerativen oder krankhaften Vorgang des menschlichen Körpers) beruht.73 Folgen eines Herzinfarktes,74 einer Gehirnblutung,
67 68 69 70 71
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 24. So bereits Wüstney § 2 Anm. 3. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 37 und 48. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 59. OLG Düsseldorf 29.5.1935 VA 1935 240, 241 Nr. 2812; OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128; OLG Stuttgart 22.1.1987 VersR 1987 355; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 6; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 14; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 178 VVG Rn. 4; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 10; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 7; Wussow/
72
72 73
74
Pürckhauer 6 § 1 Rn. 44; Wüstney § 2 Anm. 3. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 25. BGH 15.2.1962 VersR 1962 341, 342 = VerBAV 1962 138; OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36; OLG Koblenz 25.2.2000 NVersZ 2000 379; vgl. auch BGH 6.2.1954 VersR 1954 113, 114 (für die AKB: Das von außen auf ein Fahrzeug wirkende Ereignis dürfe nicht auf einem inneren Betriebsvorgang beruhen); Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 29. OLG Hamm 13.2.1981 VersR 1981 830, 831.
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§ 178
eines Leistenbruches usw. werden deshalb vom Unfallbegriff nicht erfasst.75 Kein von außen kommendes Ereignis sind des Weiteren psychische Einwirkungen, die Ursache einer Erkrankung und damit einer Gesundheitsbeschädigung der versicherten Person sind,76 innerkörperliche Reaktionen infolge besonderer Kraftanstrengungen (Rn. 67 f.), Überarbeitung bzw. Überanstrengung 77 oder ungewohntes Leben.78 Auch Infektionskrankheiten, bei denen die Erreger nicht auf einem durch eine Verletzung eröffneten Weg in den Körper gelangt sind, werden nicht erfasst.79 Dies gilt etwa für Wurm- oder Viruserkrankungen, wenn die Würmer oder Viren mit Speisen oder Atemluft in den Körper gelangt sind.80 Die Abgrenzung zwischen einem rein inneren Vorgang und einem von außen wirkenden Ereignis kann im Einzelfall problematisch sein. So kann sich z.B. bei einem „plötzlichen“ Herztod (etwa im Zusammenhang mit Straßenverkehrsunfällen oder Kohlenmonoxid-Intoxikationen) die Frage stellen, ob er allein durch eine Herzerkrankung, allein durch einen Unfall oder durch eine Mitwirkung von Krankheiten an den Unfallfolgen herbeigeführt wurde.81 Hier kommt der Beweislastverteilung und dem anzulegenden Beweismaßstab eine besondere Bedeutung zu (Rn. 188). Noch nicht abschließend geklärt ist die Rechtslage, wenn körperfremde Stoffe im 41 Inneren des Körpers Gesundheitsschädigungen hervorrufen. Einigkeit besteht insoweit, als einerseits eine Einwirkung von außen vorliegt, wenn ein körperfremder Stoff auf dem Weg in den Körper (z.B. durch Körperöffnungen, Operationen) selbst unmittelbar innerkörperliche Reaktionen auslöst,82 z.B. beim Essen (Rn. 72 ff.). Andererseits ist weitgehend anerkannt, dass es an einem Unfallereignis fehlt, wenn ein künstliches Körperteil bricht, das eine Körperfunktion übernimmt oder unterstützt.83 Zwar werden künstliche Körperteile zunächst von außen in den Körper gebracht. Jedoch verlieren sie nach ihrer festen Verbindung mit dem Körper ihre Sacheigenschaft und sind wie ein natürlicher Körperteil anzusehen (s.a. Rn. 37).84 Kommt es dann zu einem Defekt bei dem künstlichen Körperteil, ohne weitere äußere Einflüsse auf die versicherte Person, so handelt es sich um einen rein inneren, organischen Vorgang.85 Fraglich ist indes, wie die Sachverhalte zu beurteilen sind, bei denen körperfremde Stoffe, die sich bereits einige Zeit im Körper befinden, auf die versicherte Person wirken (z.B. Entzündungen, Verschlüsse oder Verengungen von Gefäßen hervorrufen) oder bei denen Körperersatzstücke ihren Sachcharakter nicht verloren haben. Hier wird z.T. die Wirkung von außen verneint, es sei denn, die körperfremden Stoffe sind ihrerseits durch ein Unfallereignis in den Körper der versicherten Person gelangt.86 Der Gegensatz zu dem von außen wirkenden Ereignis sei nämlich ein Ereignis, welches sich im Inneren des menschlichen Körpers abspiele.87 Unabhängig davon, ob es überhaupt praktisch relevante Fälle gibt, in denen körperfremde Stoffe ohne ein Unfallereignis in den Körper der versicherten Person gelangen
75 76 77 78 79 80 81 82 83
OLG Köln 30.11.1989 RuS 1990 33, 34; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 30. BGH 27.9.1995 BGHZ 131 15, 16. Dazu KG 16.12.1933 VA 1933 415 Nr. 2636. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 48. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 13. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 65. Hierzu Janssen ZVersWiss 1983 121 ff. mit Beispielen auf S. 128 ff. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 44. OLG Stuttgart 22.1.1987 VersR 1987 355.
84 85 86 87
(zum Bruch einer implantierten Herzklappe; offen lassend die Revisionsentscheidung des BGH 21.9.1988 VersR 1988 1148, 1149); Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 29; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 6; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 6; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 7; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 46. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 46. OLG Stuttgart 22.1.1987 VersR 1987 355. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 44 Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 46.
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
können, ist dieser Auffassung nicht zu folgen. Das Tatbestandsmerkmal „von außen auf den Körper wirkendes Ereignis“ soll nur rein körperinterne, organische Vorgänge ausgrenzen (Rn. 40). Unerheblich ist dagegen, ob sich der Einfluss der Außenwelt auf der Körperoberfläche oder im Körperinneren der versicherten Person manifestiert (Rn. 35). Entscheidend ist, dass die körperfremden Stoffe von außen in den Körper der versicherten Person gelangt sind und diese Stoffe noch nicht Körperteilen bzw. körpereigenen Organen gleichgestellt werden können. Dem verständigen VN wird es kaum verständlich zu machen sein, warum etwa eine sofort eintretende Verletzung des Mund- und Rachenraums beim Schluckvorgang, nicht aber zeitlich verzögert auftretende Funktionsbeeinträchtigungen innerer Organe z.B. nach einem versehentlichen Verschlucken von Kleinteilen als von außen wirkendes Ereignis zu werten sein sollen.
42
bb) Unerheblichkeit einer Mitwirkung. Bei der Prüfung der Frage, ob eine äußere Einwirkung vorliegt, dürfen nicht das Ereignis und die Ursache (Unfallursache) vermengt werden.88 Der Annahme eines von außen wirkenden Ereignisses steht nicht entgegen, wenn körperinterne Ursachen am Unfallgeschehen lediglich mitgewirkt haben.89 Durch das Tatbestandsmerkmal „von außen“ werden nur solche Gesundheitsbeeinträchtigungen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, die unmittelbar und ausschließlich auf einem inneren, organischen Vorgang beruhen.90 Deshalb ist es z.B. bei einem Sturz, durch den die versicherte Person zu Lebzeiten eine Gesundheitsschädigung erleidet, unerheblich, wenn dieser auf einer vorausgehenden körperinternen Gesundheitsbeeinträchtigung wie z.B. einer Ohnmacht,91 Koordinationsstörungen oder einem (nicht tödlichen) Herzversagen92 beruht. Entscheidend ist, dass sich das Unfallereignis (hier der Sturz) noch auf die Gesundheitsschädigung ausgewirkt hat. Dies belegen systematische Erwägungen und die Berücksichtigung der Interessen des VN: • Würde ein von außen wirkendes Ereignis schon bei bloßer Mitwirkung körperinnerer Vorgänge zu verneinen sein, so hätte es der Schaffung von einigen Ausschlussgründen in den AUB (z.B. Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94) nicht bedurft.93 Darüber hinaus zeigen die gesetzlichen Wertungen in § 182 und die in den AUB (Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61) vorgesehenen Leistungseinschränkungen für Krankheiten und Gebrechen der versicherten Person, dass das Mitwirken innerorganische Vorgänge nicht den ersatzpflichtigen Unfall von vornherein ausschließen soll.94 Anderenfalls wären diese Regelungen obsolet.95 So ist z.B. der Wespenstich ein von außen wirkendes Ereignis, auch wenn der Tod der versicherten Person erst durch Hinzutreten einer allergischen Reaktion eingetreten ist.96 • Nur wenn die Mitwirkung körperinnerer Vorgänge für das Unfallereignis unschädlich ist, lässt sich eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem vom VN darzulegenden und ggf. zu beweisenden Unfallereignis (Rn. 168) einerseits und den das Unfallereignis auslösenden Faktoren andererseits
88 89
90
Marlow RuS 2005 357, 358; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 47. OLG Hamm 5.6.2002 RuS 2003 31; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 50; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 6; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 6; Rüffer/ Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 4; a.A. OLG Koblenz 25.2.2000 NVersZ 2000 379 (ablehnend Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 29; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 47, s. aber auch Rn. 53). OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1544, 1545 = RuS 2005 35, 36.
74
91 92 93 94 95 96
RG 29.5.1908 RGZ 69 17, 19; RG 3.10.1899 RGZ 44 149, 151 f. OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1544, 1545. LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76. BGH 19.4.1972 VersR 1972 582, 583. OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1544, 1545. OLG Braunschweig 15.3.1995 VersR 1995 823 f.; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 6; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 7.
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vornehmen.97 Letztere können Grundlage für einen Versicherungsausschluss bilden,98 den indes der VR darzulegen und zu beweisen hat (Rn. 171).99 Die Beweislastverteilung würde zum Nachteil des VN unterlaufen, wenn die Voraussetzungen des Ausschlusses (Unfallursachen) bereits bei der Prüfung des Versicherungsfalls zu berücksichtigen wären.100 • Selbst wenn unfallfremde Mitwirkungsfaktoren (wie häufig bei Bandscheibenschädigungen, Anh. § 178 Rn. 35 ff.) überwiegen, entfällt nicht die Kausalität des von außen wirkenden Ereignisses (Rn. 156 ff.).101 Anderenfalls hätte die Unfallversicherung für die meisten versicherten Personen keinen praktischen Wert.
cc) Veränderung der Druckverhältnisse oder der Sauerstoff-Stickstoff-Konzentration. 43 Die sog. Höhenkrankheiten, d.h. Gesundheitsschäden infolge der Überwindung von Höhen- und Druckunterschieden beim Bergsteigen, Segelfliegen u.ä., sind durch ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis verursacht.102 Entsprechendes gilt für Gesundheitsschäden beim Tauchen durch zu schnelles Auf- oder Abtauchen (sog. CaissonErkrankung).103 Die Krankheitssymptome entstehen zwar dadurch, dass z.B. beim Tauchen unter hohem Druck Atemgase in den Körpergeweben gelöst werden, die bei zu schnellem Auftauchen Gasbläschen im Gehirn, Nervengewebe, Gelenken und Blut freisetzen. Jedoch kann daraus noch kein rein innerorganischer Vorgang gefolgert werden. Das Tatbestandsmerkmal „von außen wirkendes Ereignis“ soll nur dazu dienen, Krankheiten und körperinnere degenerative Zustände vom Unfallversicherungsschutz auszunehmen (Rn. 40), nicht aber ein mögliches Fehlverhalten der versicherten Person. Falsches Verhalten beim Tauchen, Bergsteigen und Fliegen kann auch bei gesunden versicherten Personen zu Körperschäden führen.104 Eine andere Frage ist, ob in diesen Fällen auch das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ erfüllt ist (Rn. 105). b) Einwirkung durch die Außenwelt. Die Außenwelt (eine Person oder eine Sache) 44 wirkt typischerweise unmittelbar auf den Körper des Verletzten ein. Zwingend ist dies indes nicht. In Ausnahmefällen reicht auch eine mittelbare Einwirkung. aa) Unmittelbare Einwirkung. Als „unmittelbare Einwirkung“ lassen sich vornehm- 45 lich Zusammenstöße, aber auch Atmungsprozesse definieren. Unproblematisch als von außen wirkende Ereignisse sind direkte Zusammenstöße des 46 Körpers der versicherten Person mit einer Person, einem Tier oder einer Sache zu bewerten.105 Klassische Beispiele sind Stürze der versicherten Person (z.B. Ausrutschen infolge von Nässe, Eis- oder Schneeglätte),106 Zusammenstöße im Straßenverkehr 107 und Ver97 98 99 100 101 102
103
LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 80; van Bühren/Schubach4 Hdb. § 16 Rn. 47. Marlow RuS 2004 353, 354. OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1544, 1545. OLG Hamm 6.7.2001 VersR 2002 180. OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128; a.A. LG Mainz 26.10.1995 VersR 1996 1003, das allerdings vornehmlich auf die fehlende Plötzlichkeit abstellt. OLG Karlsruhe 16.5.1995 VersR 1996 364; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 18; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 7; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 77.
104 105
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OGH 30.3.2005 VersR 2006 819, 820; Grimm 2 § 1 Rd. 36. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 27; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 28 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 46. OLG Hamm 6.7.2001 VersR 2002 180; OLG Hamm 27.1.1984 VersR 1984 931 f.; OLG Köln 5.10.1989 RuS 1989 415 f.; ferner OLG Hamburg 24.5.1955 VersR 1957 106, 107. S. z.B. OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1544, 1545.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
letzungen durch herabstürzende Gegenstände.108 Gleiches gilt für Verätzungen oder Verbrennungen,109 aber auch Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte.110 Unfälle sind des Weiteren Bisse, Tritte, Kratzer, Nadelstiche 111 u.ä., aber auch Verletzungen durch Tiere, Spinnen- oder Insektenstiche.112 Für Infektionskrankheiten sind indes Ausschlusstatbestände zu beachten (Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008, § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94, § 2 Nr. 3c AUB 61). Das Einatmen von giftigem Gas bzw. Gasgemischen (z.B. Kohlenmonoxydvergiftung) 47 stellt ein von außen wirkendes Ereignis dar.113 Gleiches gilt für eine durch Rauchentwicklung verursachte Sauerstoffverknappung, die zu Atemnot führt (Rauchvergiftung). Dass hier nur eine innere Verletzung vorliegt, ist unerheblich (Rn. 35 und 123).114 Z.T. wird hiergegen zwar eingewandt, das Gas schädige den Körper des Verletzten von innen und nicht von außen, da es erst nach Eintritt in die Lunge wirke,115 doch wird dadurch der Unfallbegriff zu sehr eingeengt. Das Geschehen wird künstlich und für den VN kaum nachvollziehbar in seine Einzelteile zerlegt, ohne dass dies nach dem Sinn und Zweck der Unfallversicherung und den an den Unfallversicherungsschutz vernünftigerweise geknüpften Erwartungen geboten ist. Mit dem Merkmal „von außen“ sollen krankhafte oder degenerative Vorgänge im Körperinneren der versicherten Person vom Unfallversicherungsschutz ausgegrenzt werden (Rn. 40). So liegt der Fall hier aber nicht. Die innere Verletzung infolge einer Kollision (z.B. Zusammenprall im Straßenverkehr) unterscheidet sich kaum von der inneren Wirkung des Gases. In beiden Fällen resultiert die Gesundheitsschädigung nicht aus der schicksalhaft ererbten oder erworbenen Konstitution der versicherten Person, sondern hat ihren Anfang in einem außerhalb des Körpers der versicherten Person stattfindenden Ereignisses genommen.116
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bb) Mittelbare Einwirkung. Ein von außen wirkendes Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn kein Zusammenstoß die Gesundheitsschädigung bewirkt bzw. ein Ereignis den Körper der versicherten Person nicht unmittelbar in Mitleidenschaft zieht.117 Das Erfordernis der „Unmittelbarkeit“ bzw. eine dahingehende Notwendigkeit, dass das äußere Ereignis als letzte Ursache den Körper der versicherten Person getroffen haben
108 109
110 111 112
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S. z.B. BGH 27.9.1995 BGHZ 131 15, 16. BGH 13.6.1955 VersR 1955 385 = VerBAV 1955 222 f. Nr. 107; LG Hagen 6.7.1977 VersR 1980 234. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949. LG Osnabrück 25.5.1977 VersR 1978 275, 276. RG 23.3.1934 VA 1934 22 Nr. 2677; OLG Braunschweig 15.3.1995 VersR 1995 823 f. = RuS 1996 77; OLG Düsseldorf 17.5.1935 VA 1935 273 f. Nr. 2839; OLG Frankfurt/M. 18.4.1996 RuS 1996 421; OLG Hamm 3.7.1985 VersR 1987 253; OLG Hamm 23.2.2007 VersR 2008 342; OLG Hamm 21.11.1980 VersR 1981 673; LG Dortmund 8.12.2005 RuS 2006 254; LG Landshut 10.6.1987 VersR 1988 691, 692; AG Dortmund 22.8.2003 NJW-RR
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2003 1680; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 30 (s.a. G 127 und G 230 f.); ferner OGH 13.7.1994 VersR 1995 987, 988; s.a. RG 14.3.1922 VA 1922 42 Nr. 1267. OLG Hamm 25.9.1981 VersR 1982 946; OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128. OLG Düsseldorf 5.12.1995 RuS 1996 329; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 31; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 17. Wagner ZVersWiss 1975 619, 644; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 33. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 31. BGH 15.2.1962 VersR 1962 341, 342 = VerBAV 1962 138; OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36, 37; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 6.
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müsse, ist weder dem Gesetz noch den AUB zu entnehmen.118 Vielmehr reicht unter bestimmten Voraussetzungen auch eine mittelbare Einwirkung aus. Dies kommt in Betracht bei: • einer sinnlichen Wahrnehmung der versicherten Person von äußeren Geschehnissen (Schocksituationen), • einer Veränderung der natürlichen Lebensbedingungen der versicherten Person, • dem Eintritt widriger Umstände, die eine Hilflosigkeit- oder Bewegungsunfähigkeit der versicherten Person zur Folge haben, • Vermeidungsreflexen der versicherten Person.
(1) Sinnliche Wahrnehmung von äußeren Umständen. Umstritten ist, ob und unter 49 welchen Voraussetzungen es für die Annahme eines von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendem Ereignis ausreicht, dass die versicherte Person einen Geschehensablauf in ihrem Umfeld sinnlich wahrnimmt. Gemeint sind insbesondere die Fälle, in denen die versicherte Person (möglicherweise nur für sie) ungewöhnliche Vorgänge erlebt, die bei ihr zwar zu keinen äußeren Verletzungen führen, jedoch einen Schock, einen Schrecken bzw. eine Auf- oder Erregung hervorrufen. Unabhängig von der Streitentscheidung kommt im Falle schockbedingter Gesundheitsschäden bei Vereinbarung der neueren AUB-Generationen regelmäßig die Anwendung des Ausschlusstatbestandes „psychische Reaktionen“ in Betracht (Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008, § 2 Abs. 4 AUB 88/94, s.a. § 2 Nr. 3b und § 10 Nr. 5 AUB 61).119 Insofern wird eine eingehende Erörterung der unterschiedlichen Auffassungen in der praktischen Rechtsanwendung jedenfalls nur selten notwendig sein. In der neueren Rechtsprechung hat die Diskussion keine Bedeutung mehr erlangt. Führt ein Schockerlebnis bzw. -zustand zu einer Gesundheitsschädigung, so bejaht die 50 ständige Rechtsprechung den Unfall. Als für ein Unfallereignis begründende äußere Umstände reichen danach u.a. aus: • • • • •
Naturereignisse (z.B. Blitzschlag,120 Donner, Erdbeben, Sturm), (vermeintlich drohende) Gefahren,121 Stresssituationen (z.B. aufgrund eines Streitgesprächs 122 oder durch Lärm, Knallgeräusche usw.), Unglücksfälle, aber auch das Beobachten des Unfalls eines Angehörigen,123 ein ohne äußere Verletzungen gebliebener Sturz oder Zusammenstoß der versicherten Person mit einer anderen Person bzw. einem Gegenstand (z.B. im Straßenverkehr).124
118
119 120 121
OLG Saarbrücken 15.12.2004 VersR 2005 1276, 1277 = RuS 2005 344 = NJW-RR 2005 1271. So etwa im Fall des OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843. LG Landshut 9.12.1996 RuS 1998 129; s. bereits Gerhard/Hagen S. 734 f. OLG Düsseldorf 25.6.1963 VersR 1964 130, 131; OLG Hamburg 11.2.1938 VA 1938 232 Nr. 3080; OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842 f.
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OLG Stuttgart 30.4.1998 VersR 1999 1228 = RuS 1999 42. So beiläufig LG Köln 15.3.2000 RuS 2001 218. BGH 19.3.2003 VersR 2003 634; BGH 19.4.1972 VersR 1972 582 = VerBAV 1972 258 mit ablehnender Anm. Fußhoeller VersR 1972 1167 f.; ferner LG Aachen 30.6.2006 RuS 2006 429; s.a. OLG Hamburg 22.3.1932 VA 1932 253, 254 Nr. 2446.
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
In der Literatur hat die Rechtsprechung z.T. Zustimmung,125 z.T. aber auch erheblichen Widerspruch erfahren.126 Eine Ansicht fordert eine unmittelbare Einwirkung auf den Körper der versicherten Person.127 Demnach würden in der Nähe der versicherten Person stattfindende Ereignisse oder „psychische Einwirkungen“ 128 durch sinnliche Wahrnehmung nicht ausreichen.129 Eine weitere Auffassung verlangt, das äußere Ereignis müsse eine so außergewöhnliche Intensität aufweisen, dass es allgemein und nicht nur mit Rücksicht auf eine besondere individuelle (gesundheitliche) Veranlagung der versicherten Person geeignet sei, durch seine Einwirkung die Gesundheitsschädigung herbeizuführen.130 Zuzustimmen ist der Meinung, die nicht bereits jede sinnliche Wahrnehmung aus51 reichen lässt. Vielmehr ist zur rechtssicheren Ab- und Ausgrenzung von rein seelischen oder psychischen Vorgängen im Körperinneren erforderlich, dass ein äußeres Ereignis unmittelbar (zumindest mit) auf den Körper der versicherten Person gewirkt hat, also in der zur Gesundheitsschädigung führenden Kausalkette wenigstens ein Zusammenstoß der versicherten Person mit einem Gegenstand oder einer Person stattgefunden131 bzw. ein Ereignis vorgelegen hat, dass bei wertender Betrachtung (Analogiebildung) mit einem Zusammenstoß gleichzusetzen ist (z.B. zu Atemnot führende Rauchentwicklung, die eine Stresssituation der versicherten Person hervorruft,132 Rn. 47). Belanglos ist dabei, ob die äußere Einwirkung auf den Körper bereits eine Gesundheitsschädigung hervorgerufen hat; denn es geht bei dem Merkmal „von außen“ nur um die Frage der Ursache, nicht der Wirkung.133 Die Notwendigkeit einer unmittelbaren Einwirkung der Außenwelt auf den Körper 52 der versicherten Person ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 178 Abs. 2 S. 1 (bzw. der entsprechenden AUB).134 Der Unfallbegriff sieht u.a. vor, dass ein äußeres Ereignis „auf den Körper“ wirken muss. Dies ist nicht der Fall, wenn die versicherte Person in seinem Umfeld stattfindende Ereignisse lediglich hört, sieht oder riecht, ansonsten aber keine Berührung mit der Außenwelt stattfindet.135 Dem steht nicht entgegen, dass oftmals zwischen dem äußeren Ereignis (z.B. plötzlicher Sturm), dem Schreck (Angstzustand) und der körperlichen Reaktion (z.B. Herzinfarkt) ein starker unmittelbarer (adäquater) Zusammenhang besteht.136 Vielmehr hat das äußere (nur sinnlich wahrgenommene) Ereignis als erstes Glied in der Kausalkette außer Betracht zu bleiben; denn es
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Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 27; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 15; Manthey VersR 1974 225; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 16; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 4; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 11 und 14; Stockmeier/Huppenbauer S. 71; grundsätzlich auch Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 46 und 59, einschränkend Rn. 62 (s.a. § 2 Rn. 99 f.). Wagner ZVersWiss 1975 619, 637 ff.; ferner Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 255 ff.; neuerdings auch Abel/Winkens VersR 2009 30, 32. Grewing VersR 1973 8, 10; zumindest teilweise zustimmend Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 47.
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Krit. zum Begriff Wagner ZVersWiss 1975 619, 638, der bezweifelt, ob es außer im Fall der Hypnose eine psychische Einwirkung geben kann. Konen S. 9; s.a. Wüstney § 2 Anm. 14. Fußhoeller VersR 1972 1167; Henke S. 40 f. Wagner ZVersWiss 1975 619, 639. So der Fall des OLG Düsseldorf 5.12.1995 VersR 1997 174 = RuS 1996 329. Grewing VersR 1973 8, 10. Dies räumt auch Henke S. 40 ein. Insofern auch Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 62 und § 2 Rn. 99. Darauf stellt das OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843 entscheidend ab.
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hat überhaupt nicht auf den Körper der versicherten Person eingewirkt. Eine auf den Körper von außen wirkende seelische Einwirkung kann es nicht geben.137 Zwar kann dann argumentiert werden, die durch den Schreck oder Schock augenblicklich und unmittelbar hervorgerufene Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens, also die körperliche Reaktion auf den Schreck, stelle eine körperliche Einwirkung dar.138 Jedoch wird dann vernachlässigt, dass der Körper der versicherten Person erst und allein im zweiten Glied der Kausalkette durch die (u.U. krankhafte) Reaktion auf das Wahrgenommene bzw. Verarbeitung des Erlebten in Mitleidenschaft gezogen wird. Dieser seelische oder psychische Prozess bei der versicherten Person spielt sich ausschließlich im Körperinneren ab. Nicht überzeugend ist es weiterhin, wenn – ohne weitere Begründung – ein Einwirken auf den Körper damit definiert wird, dass es nicht wesentlich sei, ob der Körper wirklich getroffen werde, sondern es ausreichend sei, dass er getroffen und verletzt werden könnte, mithin die Zielrichtung gegen den Körper genüge.139 Damit wird der Wortsinn „auf den Körper wirkend“ überschritten. Es kommt darauf an, ob etwas „wirkt“ und nicht ob es „wirken kann“. Für hypothetische Überlegungen ist bei der Prüfung von Kausalitätsketten kein Raum (Rn. 158). Eine nachvollziehbare und sachlich begründete Grenzziehung zwischen Einwirkungen, die den Körper treffen können bzw. auf ihn gerichtet sind, und solchen, die die versicherte Person nicht treffen können bzw. nicht auf sie gerichtet sind, ist nicht oder jedenfalls nur mit erheblichen Rechtsunsicherheiten möglich. Würde bereits jede sinnliche Wahrnehmung für die Annahme eines potentiellen Unfall- 53 ereignisses ausreichen, so hätte dies weitreichende Konsequenzen, die einer interessengerechten Auslegung des § 178 Abs. 2 S. 1 entgegen stünden. Es widerspricht dem Sinn und Zweck der privaten Unfallversicherung, grundsätzlich für jedes Geschehen Versicherungsschutz vorzusehen, dass geeignet ist, auf die Seele eines Menschen einzuwirken. Der verständige VN wird nicht erwarten, dass der VR Leistungen erbringt, wenn die versicherte Person sich etwa über eine Trauernachricht,140 einen Sachschaden, eine Nachricht in der Zeitung, im Funk oder Fernsehen erregt oder sich über Äußerungen bzw. das Verhalten anderer Personen ärgert.141 Um solche Fälle „normaler und alltäglicher“ Aufoder Erregung vom Unfallversicherungsschutz auszugrenzen, reicht es auch nicht aus, eine außergewöhnliche Intensität des äußeren Geschehens zu verlangen.142 Zum einen ist eine dahingehende Beurteilung der Rechtssicherheit abträglich, da sie mit subjektiven Wertungen behaftet ist. Wann etwas „psychisch“ außergewöhnlich intensiv auf die versicherte Person einwirkt, werden der Betroffene und der Rechtsanwender unterschiedlich empfinden und bewerten. Zum anderen ist weder § 178 Abs. 2 noch den Unfalldefinitionen in den AUB zu entnehmen, dass Unfallereignisse den Stempel der allgemeingültigen Ungewöhnlichkeit tragen müssen. Vielmehr darf der VN erwarten, dass er auch Ver-
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Wagner ZVersWiss 1975 619, 638; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 255 f. Insofern auch OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843 („Der Schreck als psychisches Moment stellt selbst keine körperliche Einwirkung dar …“). OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843. OLG Düsseldorf 25.6.1963 VersR 1964 130, 131; ähnlich Henke S. 40 f., nach dem es ausreichend sein soll, wenn die Möglichkeit
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besteht, dass das Ereignis auch unmittelbar – körperlich – auf die versicherte Person eingewirkt hat oder dies wahrscheinlich ist. Das Unfallereignis ablehnend LG München I 22.6.1993 RuS 1993 479, 480. Wagner ZVersWiss 1975 619, 638 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 99; a.A. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 11. Fußhoeller VersR 1972 1167; Henke S. 41.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
sicherungsschutz für äußere Ereignisse erhält, die nur für ihn einen atypischen Verlauf nehmen. Entscheidend ist nur, dass nach objektiven Maßstäben ein Unfallereignis, also u.a. ein auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis, festgestellt werden kann. Es kann des Weiteren nicht danach differenziert werden, ob bei einem schockverur54 sachenden Ereignis (z.B. Überbringung einer Todesnachricht, Auffinden einer toten Person) der äußere Anlass in den Hintergrund tritt und die psychische Verarbeitung so dominierend ist, dass von einem inneren Vorgang ausgegangen werden muss.143 Hier erfolgt ebenfalls eine rein ergebnisorientierte Auslegung, die offen lässt, nach welchen objektiven Kriterien der Rechtsanwender beurteilen soll, welche äußeren Ereignisse den Unfallbegriff erfüllen bzw. unter welchen Voraussetzungen eine psychische Verarbeitung lediglich einen körperinneren Vorgang darstellt.
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(2) Veränderung des natürlichen Lebensumfeldes. Ein von außen wirkendes Ereignis liegt vor, wenn der versicherten Person lebensnotwendige Stoffe (Sauerstoff, Nahrung, Wärme) vorenthalten bzw. entzogen werden.144 Beispiele: Die Veränderung der Sauerstoffzusammensetzung kann als von außen wirkendes 56 Ereignis (Rn. 29) zu werten sein. Ein solches ist ohne weiteres anzunehmen, wenn (z.B. beim Tauchen) technische Mängel oder äußere Einflüsse die Sauerstoffzufuhr unterbrechen.145 Ausreichend ist aber auch das Fehlen einer ausreichenden Sauerstoffversorgung (Sauerstoffmangel).146 So liegt z.B. der Fall, wenn ein Segelflieger oder Bergsteiger in sauerstoffarme Höhenluft aufsteigt und dadurch eine Bewusstseinsstörung erleidet, die zum tödlichen Absturz führt. Zwar strömt in diesem Fall keine lebensfeindliche Substanz (z.B. ein tödliches Gas) in den Körper der versicherten Person (Rn. 47), sondern es unterbleibt die Zuführung eines lebensnotwendigen Stoffes zum Körper der versicherten Person. Jedoch können beide Vorgänge bei vernünftiger-, interessen- und zweckausgerichteter Auslegung des Begriffs „auf den Körper wirkendes Ereignis“ nicht unterschiedlich behandelt werden.147 Nach dem maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen VN macht es keinen Unterschied, ob dem Geschädigten von außen eine lebensfeindliche Substanz zugeführt oder ihm von außen ein lebensnotwendiger Stoff vorenthalten wird. Insbesondere Wetteränderungen bzw. -verschlechterungen z.B. durch eintretende Kälte, 57 Regen, Schnee und Eis sind Ereignisse, die von außen auf die versicherte Person einwirken können. Dies trifft etwa auf die Fälle zu, in denen eine witterungsbedingte Sichtverschlechterung den Bergsteiger oder Wanderer orientierungslos macht, so dass er seinen Weg nicht mehr fortsetzen kann und letztlich den Kältetod erleiden muss.148 Kein Unfall liegt dagegen vor, wenn sich ein Bergsteiger ohne äußeren Einfluss verläuft, ver-
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So aber Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 15; i.E. auch Henke S. 40. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 6; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 7. OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 77. OLG Köln 30.11.1989 RuS 1990 33, 34;
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Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 68; a.A. OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137, das das Tatbestandsmerkmal „Ereignis“ ablehnt. OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128. OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36, 37 und 38.
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steigt oder ermattet und sodann verhungert oder erfriert.149 Ein von außen wirkendes Ereignis liegt des Weiteren vor, wenn die versicherte Person in sonstiger Weise Naturelementen ausgesetzt ist. Dies trifft etwa auf die Fälle zu, in denen dem Körper der versicherten Person Wärme (z.B. durch Wasser beim Baden bzw. nach Nassspritzen beim Feuerwehreinsatz)150 oder Feuchtigkeit (z.B. durch Hitze, Wind, Sonnenstrahlen) entzogen wird. Ob dann i.E. ein entschädigungspflichtiger Unfall vorliegt, hängt hier vornehmlich von der Prüfung der „Plötzlichkeit“ (Rn. 81 ff.) und „Unfreiwilligkeit“ (Rn. 126 ff.) sowie von Ausschlussgründen ab (zum Tod durch Ertrinken Anh. § 178 Rn. 74 ff.). (3) Hilflosigkeit oder Bewegungsunfähigkeit. Versicherungsschutz kann nach allge- 58 meiner Auffassung auch für Ereignisse bestehen, die sich aus zwei Vorgängen zusammensetzen (Rn. 31).151 Der erste ist in solchen Fällen oftmals gekennzeichnet durch ein Geschehen, das die Bewegungsunfähigkeit der versicherten Person herbeiführt (z.B. Sturz im Gebirge ohne Rücksteigemöglichkeit, Einbruch in die Eisdecke, versehentliches Einsperren). Erst im zweiten Vorgang kommt es dann zu einer Gesundheitsschädigung bei der versicherten Person (etwa durch Temperatur, Witterung oder Nahrungsmangel). Problematisch bei der rechtlichen Prüfung ist hier, dass das Geschehen, das nach dem Lebenssprachgebrauch und der ihn bestimmenden Vorstellung als „Unfall“ gewertet wird, nicht mit demjenigen übereinstimmt, das die „Einwirkung auf den Körper“ ausmacht. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich, ob im Wege von Analogieüberlegungen angenommen werden kann, dass die versicherte Person einer Situation ausgesetzt ist, die mit einem Zusammenstoß (der nach allgemeinem Verständnis als von außen wirkendes Ereignis anzusehen ist) vergleichbar ist.152 Folgende Fallgruppen lassen sich unterscheiden: Ohne Weiteres vom Unfallbegriff erfasst sind mehraktige Geschehen, bei denen 59 bereits der erste Vorgang als Unfallereignis zu werten ist und nicht nur eine Hilflosigkeit, sondern auch bereits eine Gesundheitsschädigung der versicherten Person hervorruft (z.B. Bewegungsunfähigkeit nach Beinbruch durch einen Sturz).153 Auch wenn die Gesundheitsschädigung dann im weiteren Verlauf durch Kälte usw. verschärft wird, so stellt jedenfalls der erste Vorgang (im Beispiel der Sturz) ein plötzliches Ereignis der Außenwelt dar, das zumindest mitursächlich für die Gesundheitsschädigung ist. Vergleichbarkeit mit einem Zusammenstoß ist in den Fällen anzunehmen, in denen 60 äußere Umstände zwar zunächst nicht auf den Körper der versicherten Person einwirken, diese aber zwingen, die weiteren Folgen (wie z.B. Kälte oder Hitze) für die Gesundheit zu erdulden, weil sie einer Bedrohung nicht ausweichen kann bzw. völlig hilflos oder bewegungsunfähig ist.154 Typisches Beispiel ist das Erfrieren der versicherten Person, weil sich 149
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Henke S. 52; Bruck/Möller/Wagner Rn. G 56; s.a. OLG Stuttgart 29.9.1994 VersR 1997 176, 177, das beim Erfrieren als solches die Plötzlichkeit verneint; offen lassend OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36, 37; s.a. OLG Celle 27.2.1956 VersR 1956 414 (die genauen Ursachen für das Erfrieren der versicherten Person konnten nicht aufgeklärt werden). Henke S. 53 f. OLG Stuttgart 29.9.1994 VersR 1997 176, 177; Beckmann/Matusche-Beckmann/
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Mangen 2 § 47 Rn. 9; eingehend (allerdings noch zu § 2 AVBfU) Henke S. 50 ff. mit weiteren Beispielen. Ähnlich bereits Wagner ZVersWiss 1975 619, 627; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 55 und 86. Henke S. 51 f. Henke S. 51 f.; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 17; Wagner ZVersWiss 1975 619, 627; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 49 und 61; siehe auch BGH 24.9.2008 VersR 2008 1683 Rn. 7 = RuS 2008 521, 522.
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beim Bergsteigen ihr Kletterseil verhängt hat155 oder sie in einen tiefen Graben (ohne Rücksteigemöglichkeit) gestürzt ist.156 Solche Sachverhalte können nicht anders beurteilt werden als die, in denen die versicherte Person beim Klettern (z.B. durch abbröckelndes Gestein) den Halt verliert und abstürzt.157 Eine andere Auffassung würde den berechtigten Erwartungen des VN beim Abschluss einer Unfallversicherung widersprechen. Die Analogie158 ist zulässig, da der Gesamtvorgang einer am Lebenssprachgebrauch orientierten Vorstellung vom Unfall nahe kommt bzw. entspricht.159 Nicht ausreichend ist dagegen bereits jede Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit der versicherten Person durch den Ausfall eines Fortbewegungsmittels, mag die Beeinträchtigung auch dazu führen, dass die versicherte Person widrigen Witterungseinflüssen ausgesetzt wird. Hinzukommen muss vielmehr die Unentbehrlichkeit des Hilfsmittels,160 da nur dann von einer völligen Hilflosigkeit der versicherten Person gesprochen werden kann. Anderenfalls würde der Unfallbegriff überdehnt. Der verständige VN rechnet nicht damit, dass z.B. allein die Autopanne im Regen ein von außen wirkendes Ereignis i.S.d. Unfallversicherung darstellt. Des Weiteren fehlt es an einem von außen auf den Körper der versicherten Person wirkenden und zur Hilflosigkeit führenden Ereignis, wenn die versicherte Person lediglich einschläft und einer Sonneneinstrahlung ausgesetzt wird. Hier liegt ein innerer Vorgang vor.161 Ein von außen wirkendes Ereignis ist ferner dann gegeben, wenn die versicherte Per61 son verhungert oder erfriert, weil sie zuvor eingeschlossen worden ist oder sich selbst (z.B. durch ein Schnappschloss) versehentlich eingesperrt hat. Dieses Ergebnis ist indes nicht unstreitig.162 Z.T. wird das Unfallereignis verneint, da es in der Kausalkette an einem direkt auf den Körper der versicherten Person wirkenden Ereignisses fehle. „Mittelbare Schäden“ (z.B. Erfrierungstod) seien aber nur dann vom Unfallbegriff erfasst, wenn der erste Vorgang ein „echtes“ Unfallereignis darstelle, weil die versicherte Person z.B. gestürzt sei.163 Die Gegenauffassung hält es dagegen für unerheblich, wodurch die Bewegungsunfähigkeit ausgelöst wird.164 Dem ist zuzustimmen. Richtig ist zwar, dass auch bei mehraktigen Ereignissen (z.B. bei Schockschäden durch sinnliche Wahrnehmung, Rn. 49 ff.) grundsätzlich eine Einwirkung auf den Körper der versicherten Person zu verlangen ist. Jedoch erscheint innerhalb der Fallgruppe „Hilflosigkeit bzw. Bewegungslosigkeit“ eine Differenzierung zwischen „echten“ und „unechten“ Unfallereignissen unscharf. Ein griffiges Argument dafür, einerseits ein von außen wirkendes Ereignis zu bejahen, wenn die versicherte Person durch einen Sturz oder den Verlust eines unentbehrlichen Hilfsmittels (z.B. Verhängen des Kletterseils) hilflos wird, und andererseits Versicherungsschutz zu versagen, weil die versicherte Person durch Einsperren zur Passivität gezwungen wird, ist nicht ersichtlich. Eine unterschiedliche Behandlung der Fälle wäre für den VN nicht nachvollziehbar.
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BGH 15.2.1962 VersR 1962 341 f. = VerBAV 1962 138; OLG Stuttgart 29.9.1994 VersR 1997 176, 177; OLG München 25.10.1961 VersR 1962 53 f. OLG Karlsruhe 9.7.1999 VersR 2000 446. BGH 15.2.1962 VersR 1962 341, 342. Auch der BGH 15.2.1962 VersR 1962 341 spricht in diesen Fällen ausdrücklich davon, der Verlust der Bewegungsfähigkeit sei einer Einwirkung auf den Körper „gleichzustellen“.
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Wagner ZVersWiss 1975 619, 627. BGH 15.2.1962 VersR 1962 341, 342. BGH 24.9.2008 VersR 2008 1683 Rn. 8 = RuS 2008 521, 522. Offenlassend OLG Stuttgart 29.9.1994 VersR 1997 176, 177. Henke S. 52; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 6 und G 56. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 49.
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(4) Vermeidungsreflexe. Vermeidet die versicherte Person einen Zusammenprall mit 62 einem Gegenstand oder einer anderen Person durch eine Reflexbewegung bzw. durch eine willkürliche (nicht i.e.S. willensgesteuerte und nicht bloß ungeschickte) Bewegung und kommt es dann zu einer Verletzung, so ist ein Unfallereignis anzunehmen, obwohl es an einem äußeren Ereignis fehlt, das unmittelbar physisch oder mechanisch wirkt. Für den VN wäre es unverständlich, wenn einerseits Versicherungsschutz in dem Fall bestünde, dass die versicherte Person die drohende Kollision z.B. wegen einer Unaufmerksamkeit nicht vermeiden kann, andererseits aber das Unfallereignis in dem Fall zu verneinen wäre, dass die versicherte Person in einem in Sekundenbruchteilen ablaufenden Geschehen aufgrund ihrer guten Reflexe – „geistesgegenwärtig“ – ausweicht, zur Seite springt usw. und erst dabei eine Verletzung erleidet.165 Weniger maßgebend für die materiell-rechtliche Beurteilung ist dagegen, dass die Redlichkeit eines VN auf die Probe gestellt würde, würde er Versicherungsschutz genießen, wenn er nur – schwer widerlegbar – vortrüge, es hätte vor der Ausweichbewegung eine – wenn auch geringfügige – Kollision stattgefunden.166 Durch verfälschenden oder unterlassenen Vortrag kann der VN nahezu jede Eigenbewegung zu einem Unfallereignis machen, auch wenn es vollkommen willensgesteuert ist. Bei Vermeidungsreflexen kommt indes in Betracht, den Ausschluss für psychische Reaktionen zu thematisieren. Fehlt es am Anfang der Kausalkette an einer körperlichen Berührung, einem körperlichen Trauma oder mechanischen Ansatz, liegt das Eingreifen von Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 nahe.167 c) Eigenbewegungen der versicherten Person. Über die rechtliche Beurteilung von 63 Eigenbewegungen der versicherten Person besteht heute im Grundsatz weitgehend Einigkeit:168 „Reine“ Eigenbewegungen sind vom Versicherungsschutz nicht erfasst.169 Schwierigkeiten ergeben sich in der praktischen Rechtsanwendung allerdings dadurch, dass selbst kleine Sachverhaltsdetails entscheidend sein können und damit dem Tatsachenvortrag bzw. der Sachverhaltsermittlung große Bedeutung zukommt (Rn. 176). aa) Bedeutung. Maßgebend für die Subsumtion von Eigenbewegungen unter das Tat- 64 bestandsmerkmal „von außen“ ist, ob die Bewegung der versicherten Person zu einer in dieser Form nicht gewollten Kollision mit der Außenwelt geführt hat (dann Unfallereignis), oder die Bewegung und die Kollision zwar gewollt, die Folgen (Gesundheitsschädigung) jedoch nicht gewollt waren, in der Regel nicht einmal in Betracht gezogen worden sind (dann kein Unfallereignis).170 Ein Ereignis wirkt von außen auf den Körper der versicherten Person ein, wenn diese durch eigene Bewegung eine Kollision ihres Körpers mit der Außenwelt verursacht hat.171 Erforderlich, aber auch ausreichend ist dabei, dass die Eigenbewegung in ihrem Verlauf nicht vollständig willensgesteuert ist, programm- bzw.
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OLG Saarbrücken 15.12.2004 VersR 2005 1276 f. = RuS 2005 344 f. = NJW-RR 2005 1271 f. In diese Richtung auch LG Berlin 14.2.1989 VersR 1989 1186 f.; ferner Knappmann VersR 2009 1652. So aber OLG Saarbrücken 15.12.2004 VersR 2005 1276, 1277. Knappmann RuS 2007 45, 49. Umfangreicher Überblick zur älteren Recht-
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sprechung bei Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 48–51. OLG Saarbrücken 15.12.2004 VersR 2005 1276, 1277. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 44. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 30; Wagner ZVersWiss 1975 619, 628; Wüstney § 2 Anm. 3.
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plangemäß oder regulär verläuft,172 weil äußere Einflüsse den geplanten Bewegungsablauf stören oder behindern, die dann tatsächlich erfolgte Eigenbewegung bewirken bzw. provozieren173 oder zumindest mitwirken und den Geschehensablauf unbeherrschbar machen. Typische Fälle sind etwa der Stoß gegen ein (nicht oder zu spät gesehenes) Hindernis,174 der Sturz als Folge einer ungeschickten Bewegung 175 oder versehentlich sich selbst beigebrachte Verletzungen (z.B. Schnittwunde).176 Selbst wenn die Eigenbewegung der versicherten Person am Anfang willentlich in Gang gesetzt wurde, genügt es zur Annahme eines äußeren Ereignisses, wenn die Bewegung im weiteren Verlauf (etwa infolge einer Fehleinschätzung) nicht willensgesteuert abläuft und eine äußere Einwirkung dann zumindest mitursächlich (Rn. 156) für die Gesundheitsschädigung wird.177 So kann etwa das Verdrehen des Beines nach einem Stolpern genügen, ohne dass es zu einem Sturz kommen muss. Voraussetzung ist indes, dass das Stolpern durch eine Einwirkung von außen (z.B. Bodenunebenheit,178 Baumwurzel) veranlasst wurde.179 Eine Einwirkung von außen liegt dagegen nicht bei „Eigenbewegungen mit regulärem 65 Verlauf aber irregulären Folgen“ 180 vor, also in den Fällen, in denen die versicherte Person eine normale Bewegung (z.B. Alltagsbewegung) vollständig plan- und willensgemäß ausführt, aber ungewollt eine Gesundheitsbeeinträchtigung erleidet.181 Entsprechendes gilt, wenn lediglich eine ungeschickte Eigenbewegung bzw. Unachtsamkeit – ohne weitere äußere Umstände (wie z.B. einem Sturz, harter Aufprall, ungünstige Boden-
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BGH 23.11.1988 VersR 1989 73; OLG Frankfurt/M. 10.1.1996 VersR 1996 1355; OLG Koblenz 18.12.1998 NVersZ 1999 524; OLG Köln 20.12.2006 VersR 2007 1689 = RuS 2007 516 f.; OLG Köln 30.11.1989 RuS 1990 33, 34; Kloth Rn. E 10; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 39; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 19; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 6; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 47; krit. Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 8. OLG Hamm 17.8.1994 VersR 1995 1181; bestätigt durch OLG Hamm 18.6.1997 VersR 1998 708, 709. BGH 23.11.1988 VersR 1989 73; OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525. OLG Hamm 11.6.1975 VersR 1976 336, 337; eingehend Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 45. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 7. BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 493 Rn. 11 = NJW-RR 2009 679, 680 = RuS 2009 161 f.; BGH 23.11.1988 VersR 1989 73; OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525; OLG Köln 30.11.1989 RuS 1990 33, 34; OLG Koblenz 11.9.2003 VersR 2004 504, 505.
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S. z.B. OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693 = RuS 2010 29, 30. Dies wird aus den veröffentlichten Gründen des OLG Düsseldorf 3.6.2003 RuS 2005 300 nicht deutlich. Sollte das Gericht allein das Stolpern für ausreichend halten, ist der Kritik von Marlow RuS 2006 362, 364 zuzustimmen. Begriff nach Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 44. OLG Celle 15.1.2009 VersR 2009 1252 f. = RuS 2009 255 f. mit Anm. Hoenicke RuS 2009 344 f. und Knappmann VersR 2009 1652 (Umfallen eines erschrockenen Skiläufers nach einem Beinahezusammenprall mit einem anderen Skifahrer; i.E. aber zweifelhaft, da das von außen wirkende und letztlich zur Schulterverletzung führende Ereignis in dem Aufprall der versicherten Person auf der Piste lag); OLG Düsseldorf 27.11.1997 NVersZ 1999 524 f.; OLG Hamm 7.8.2002 VersR 2003 496, 497; LG Köln 13.1.1988 VersR 1988 462; Grimm4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 27 und 30; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 19; Kloth Rn. E 9; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 39.
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beschaffenheit) – eine Gesundheitsbeschädigung herbeiführt.182 Dies entspricht im Übrigen auch dem Verständnis eines durchschnittlichen VN bei einer dem Sinn und Zweck der Unfallversicherung würdigenden Lektüre des in den AUB (und jetzt auch in § 178 Abs. 2 S. 1) niedergelegten Unfallbegriffs.183 bb) Einzelfälle. Die Prüfung von Eigenbewegungen kann u.a. bei Bandscheiben- 66 vorfällen (Anh. § 178 Rn. 12) oder Vergiftungen durch Injektionen von Rauschgiften oder Medikamenten (Anh. § 178 Rn. 84), aber auch beim Geschlechtsakt (Anh. § 178 Rn. 89) Bedeutung erlangen. Weitere Beispiele sind: (1) Anstrengungen. Reine Anstrengungen, Kraftanstrengungen oder Überanstrengun- 67 gen bzw. Überlastungen, die allein – ohne weitere äußere Einflüsse – zu Gesundheitsschädigungen führen, stellen keine Einwirkungen von außen, sondern innere Vorgänge dar.184 Dies gilt – mit Ausnahme von Vermeidungsreflexen (Rn. 62) – selbst dann, wenn das Handeln der versicherten Person von außen motiviert wird, weil sie z.B. einer drohend bevorstehenden Einwirkung eines äußeren und plötzlichen Ereignisses entgehen will.185 Entscheidend für die Verneinung des Unfallereignisses i.e.S. ist allein, dass die Anstrengung als solche vollständig willensgesteuert verläuft. Dass Kraftanstrengungen nicht als von außen wirkendes Ereignis angesehen werden 68 können, folgt im übrigem bereits zwingend aus der Methodik des § 178 Abs. 1 (Ziff. 1.3 AUB 99/2008, § 1 Abs. 3 AUB 88/94) zu Ziff. 1.4 AUB 99/2008 bzw. § 1 Abs. 4 AUB 88/94. Kraftanstrengungen bräuchten als Eigenbewegungen bzw. etwas vom Menschen selbst Ausgehendes nicht mit Unfällen gleichgesetzt werden, wenn sie bereits als Unfälle anzusehen wären. Die Begriffe „von außen auf den Körper wirkendes Ereignis“ und die im Körper entwickelte „Kraftanstrengung“ schließen sich vielmehr gegenseitig aus.186 Ein von außen wirkendes Ereignis kann nur dann angenommen werden, wenn bei der Arbeit mit oder an einem Gegenstand (Rn. 69 f.) neben der Kraftanstrengung äußere Einflüsse wirken und deshalb der Kraftakt unkontrolliert verläuft.187 (2) Arbeit mit oder an einem Gegenstand. Die Arbeit mit oder an einem Gegenstand 69 begründet kein Unfallereignis, solange die Arbeit einen regulären bzw. selbst gesteuerten
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OLG Koblenz 12.12.2002 RuS 2003 429, 430; LG Freiburg 17.2.2000 RuS 2003 254, 255; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 7; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 19; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 8; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 6; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 10; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 48; Wüstney § 2 Anm. 3. OLG Saarbrücken 15.12.2004 VersR 2005 1276, 1277. OLG Hamm 26.11.1997 VersR 1999 44; LG Frankfurt/M. 6.5.1993 VersR 1994 588, 589; LG Hamburg 29.11.1951 VersR 1952 80 und AG Hamburg 18.4.1951 VersR 1952 80; Henke S. 28; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 8; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 10;
185 186
187
Stockmeier/Huppenbauer S. 9; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 49. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 82 f. OLG Frankfurt/M. 18.1.1960 VersR 1961 745; OLG Hamm 11.6.1975 VersR 1975 336, 337; LG Freiburg 17.2.2000 RuS 2003 254, 255; LG Heidelberg 15.3.1983 VersR 1984 651; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 30; Henke S. 37; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 47. A.A. LG Heidelberg 15.3.1983 VersR 1984 651 („... immer dann, wenn eine – bewusste – Kraftanstrengung des Geschädigten mitursächlich für die Gesundheitsschädigung ist“, kann „von einem Unfall begrifflich nicht mehr gesprochen werden ...“).
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Verlauf nimmt und der Gegenstand ausschließliches Objekt der Bemühungen bleibt.188 Dies ist z.B. der Fall, wenn die versicherte Person beim (planmäßigen) Aufrichten, (Anbzw. Hoch) Heben, Halten oder Tragen von (schweren) Lasten eine Gesundheitsschädigung davonträgt,189 insbesondere einen Bandscheibenvorfall erleidet (Anh. Rn. 21 ff.). Die bloße Schwerkraft des Gegenstandes ist kein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis.190 Sie allein führt nicht dazu, dass sich eine für die versicherte Person nicht beherrschte Dynamik entwickelt.191 Vielmehr resultiert in solchen Fällen der Schaden aus einer inneren Ursache.192 Entsprechendes gilt, wenn Arbeiten mit einem Werkzeug193 oder an einem Gegenstand 194 einen normalen Verlauf nehmen. Etwas anderes gilt dagegen, wenn die von der versicherten Person intendierte Eigen70 bewegung infolge des Mitwirkens äußerer Umstände außer Kontrolle gerät bzw. von außen gestört wird. Wird die zur Verletzung führende Bewegung durch einen Sturz, Umknicken, Straucheln, Ausrutschen usw. des Geschädigten,195 die Einwirkung einer anderen Person bzw. eines Gegenstandes verursacht oder entwickelt der Gegenstand der Bemühungen der versicherten Person eine Eigendynamik,196 ist ein von außen wirkendes Ereignis anzunehmen.197 Dies trifft etwa auf die Fälle zu, in denen ein Werkzeug bricht oder abrutscht.198 Entsprechendes gilt, wenn die versicherte Person gegenzusteuern versucht, weil ein (schwerer) Gegenstand oder eine Person aus dem Gleichgewicht zu geraten oder umzustürzen droht bzw. bereits in Bewegung ist.199 Voraussetzung hierfür ist 188
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190 191 192 193
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OLG Frankfurt/M. 27.3.2008 RuS 2009 32; OLG Koblenz 3.3.2005 VersR 2005 1425 = NJW-RR 2005 1390, 1391 = RuS 2006 297; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 7; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 50 f. Beispiele aus der Rechtsprechung: BGH 23.11.1988 VersR 1989 73; OLG Dresden 8.10.2007 RuS 2008 432, 433; OLG Frankfurt 12.1.2000 NVersZ 2000 477; OLG Hamm 29.3.1996 RuS 1996 330, 331; OLG Hamm 31.8.1994 VersR 1995 774, 775; OLG Koblenz 11.9.2003 VersR 2004 504, 505; OLG Koblenz 12.12.2002 RuS 2003 429, 430; OLG Koblenz 18.12.1998 NVersZ 1999 524; OLG München 14.9.1990 VersR 1991 802; OLG Oldenburg 18.1.1984 VersR 1985 35; LG Bayreuth 8.4.2008 VersR 2009 58 = RuS 2009 205 (LS); LG Dortmund 31.3.1955 VersR 1956 83; LG Frankfurt 6.12.1990 RuS 1991 286; LG Karlsruhe 29.8.1986 VersR 1988 242, 243; AG Stuttgart 19.1.1984 VersR 1984 841, 842; a.A. Berliner Kommentar/ Schwintowski § 179 Rn. 8. OLG Hamm 31.8.1994 VersR 1995 774, 775. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 20. OLG Hamm 29.3.1996 RuS 1996 330, 331. OLG Frankfurt/M. 10.1.1996 VersR 1996 1355; OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525.
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OLG Hamm 7.11.1986 VersR 1988 242. OLG Schleswig 30.6.1970 VersR 1970 1048; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 48. OLG Frankfurt/M. 27.3.2008 RuS 2009 32; OLG Hamm 29.3.1996 RuS 1996 330, 331; OLG Hamm 31.8.1994 VersR 1995 774, 775; OLG Koblenz 3.3.2005 VersR 2005 1425 = NJW-RR 2005 1390, 1391 = RuS 2006 297; ferner Kloth Rn. E 16; Marlow RuS 2007 353, 354; ders. RuS 2005 357, 358; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 20; Schubach ZfS 2005 224. OLG Hamm 7.11.1986 VersR 1988 242; OLG Frankfurt 12.1.2000 NVersZ 2000 477; OLG Koblenz 18.12.1998 NVersZ 1999 524. OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525; LG Traunstein 16.6.2000 RuS 2001 524; LG Nürnberg-Fürth 13.6.1988 RuS 1988 243. BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 493 Rn. 11 = NJW-RR 2009 679, 680 = RuS 2009 161 f.; OLG Frankfurt/M. 27.6.1990 VersR 1991 213 f.; OLG Nürnberg 3.8.2000 RuS 2001 217; LG Berlin 11.7.1996 RuS 1997 132; LG Berlin 14.2.1989 VersR 1989 1186; ferner ÖOGH 31.3.1993 VersR 1994 335, 336; ÖOGH 18.4.2001 VersR 2002 915; a.A. LG Heidelberg 15.3.1983 VersR 1984 651; AG Stuttgart 19.1.1984 VersR 1984 841 f.
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aber, dass die Eigendynamik des Gegenstandes nicht bereits abgeschlossen ist. Kein von außen wirkendes Ereignis liegt vor, wenn der Schaden beim Wiederaufrichten des Gegenstandes eintritt.200 (3) Ausweichbewegungen. Bewusste Ausweichbewegungen z.B. wegen entgegenkom- 71 mender Personen 201 oder Tiere 202 sind ohne Hinzutreten weiterer von außen wirkender Umstände kein Unfallereignis. Selbst wenn die versicherte Person einen schweren Koffer bei sich führt, so reicht zur Begründung des Unfalls nicht die (pauschale) Behauptung aus, der Koffer habe eine Art Eigendynamik entwickelt. Hinzutreten muss schon der substantiierte Vortrag eines Anrempelns mit nachfolgendem Verlust des Gleichgewichts (infolge Strauchelns oder Stürzens usw.).203 So ist z.B. ein Unfallereignis gegeben, wenn die versicherte Person einen 40 kg schweren Sack trägt, beim Ausweichen einer entgegenkommenden Person auf einen 30 bis 50 cm tiefer gelegenen Grünstreifen tritt, dabei ins Straucheln kommt und beim Versuch, die Last abzufangen bzw. abzustützen, zu Fall kommt.204 (4) Essen. Verletzungen und das Ersticken beim oder nach dem Essen haben die 72 Rechtsprechung wiederholt beschäftigt.205 Regelmäßig wurde hier ein Unfallereignis bejaht.206 Die Nahrungseinnahme geschieht von außen. Kommt es dabei zu Gesundheitsschädigungen, so ist bei dem zugrunde liegenden Ereignis regelmäßig auch das zeitliche und subjektive Element der Plötzlichkeit gegeben (Rn. 96 ff.).207 Klassische Beispiele für Unfallereignisse sind etwa Verbrennungen im Mund-Rachenbereich nach Verzehr von heißen Speisen oder Getränken, Verätzungen durch das versehentliche Trinken von Laugen oder Säuren,208 das Ersticken nach Verschlucken von Fischgräten, Knochenstücken oder Obstkernen und das Gelangen von Speiseresten in die Luftröhre.209 Auch der sog. Bolustod, d.h. der bei Verschlucken eines großen Bissens eintretende 73 Schocktod durch Kehlkopfreiz, ist ein von außen wirkendes Ereignis.210 Zwar ist die Todesursache (das Ersticken) ein Vorgang, der sich im Körperinneren abspielt. Jedoch kann der Körperschaden sowohl innen als auch außen auftreten (Rn. 35). Maßgebend ist, dass das Ereignis von außen – in Abgrenzung zu innerorganischen Vorgängen (Rn. 39 ff.) –
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OLG Hamm 31.8.1994 VersR 1995 774, 775; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 7; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 8; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 52. OLG Celle 15.1.2009 VersR 2009 1252, 1253 = RuS 2009 255, 256. OLG Hamm 18.6.1997 VersR 1998 708, 709. LG München I 15.3.1995 RuS 1995 318. BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 493 Rn. 11 = NJW-RR 2009 679, 680 = RuS 2009 161 f. Überblick zur älteren Rechtsprechung bei Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 34. Siehe auch GB BAV 1982 80 Nr. 8112. LG Flensburg 8.4.2005 VersR 2005 1418, 1419 = RuS 2006 32 verlangt für die „Plötzlichkeit“, dass die versicherte Person das, was sie tatsächlich zu sich nimmt, nicht
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oder nicht so nehmen will (so auch Kloth Rn. E 14). Nach der hier vertretenen Auffassung muss das subjektive Element der „Plötzlichkeit“ nicht gegeben sein. Es reicht (alternativ), dass das Ereignis in einem kurzen Zeitraum eintritt (Rn. 90 ff.). BGH 13.6.1955 VersR 1955 385 = VerBAV 1955 222 Nr. 107; OLG Karlsruhe 4.11.1953 VersR 1953 474; LG Heidelberg 11.6.1953 VersR 1953 283. LG Flensburg 8.4.2005 VersR 2005 1418, 1419; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 45; abw. Henke S. 27. OLG Düsseldorf 19.5.1935 VA 1935 240, 241 Nr. 2812; OLG Stuttgart 22.1.1987 VersR 1987 355; LG Freiburg i. Br. 13.9.1989 VersR 1990 39; a.A. K. Jannott S. 98; Wagner ZVersWiss 1975 619, 627 f.
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kommt. Dies ist hier der Fall, da die verschluckten Gegenstände von außen in den Körper gebracht werden.211 Des Weiteren liegt z.B. ein Unfall vor, wenn die versicherte Person infolge Stolperns versehentlich unzerkaute Speiseteile herunterschluckt und dadurch eine Gesundheitsschädigung erleidet.212 Das Hochwürgen von Nahrungsmitteln bzw. Erbrechen (insbesondere heftiges Auf74 stoßen) beim bzw. nach dem Essen oder Trinken z.B. infolge starken Kohlesäurengehalts des Getränks oder Verschluckens kann für das Merkmal „von außen“ ausreichen.213 Dies gilt indes nicht, wenn die Nahrung bestimmungsgemäß in den Magen gelangt und dort erst Reaktionen des Körpers auslöst, die eine Gesundheitsschädigung zur Folge haben, also die Ursache des Erbrechens in einem krankhaften inneren Körpervorgang gelegen hat (z.B. Ekel, Übelkeit, Herzanfall).214 Zweifel in den Fällen von Speiseaspiration gehen zu Lasten des Anspruchstellers (Rn. 173).215 So lässt sich allein aus der Tatsache, dass der Verstorbene kurz vor seinem Tod von einem Fischburger abgebissen haben könnte, noch nicht zwingend auf einen Erstickungstod schließen.216 Ein von außen wirkendes Ereignis liegt weiterhin vor, wenn die versicherte Person 75 Säuren oder Laugen verschluckt, die infolge chemischer Reaktionen nachteilige Wirkungen hervorbringen.217 Hier gilt das zum Einatmen giftiger Gase (Rn. 47) Gesagte entsprechend:218 Zwar erfolgt der gesundheitsschädigende Prozess im Körperinneren, die verhängnisvolle Kausalkette hat jedoch außerhalb des Körpers ihren Anfang genommen. Krankhafte oder degenerative Vorgänge sind nicht ausschließlich für die Gesundheitsschädigung verantwortlich.
76
(5) Reflexbewegungen. Vermeidungsreflexe bzw. unwillkürliche Bewegungen erfüllen das Merkmal eines „von außen wirkenden Ereignisses“ auch dann, wenn es zu keiner Kollision mit Gegenständen bzw. anderen Personen kommt (Rn. 62). Abzugrenzen sind willensgesteuerte Verhaltensweisen oder schlichte Ungeschicklichkeiten. Solche Eigenbewegungen sind nicht versichert (Rn. 65).219
77
(6) Selbstverstümmelung und Selbstmord.Gelegentlich wird in der Rechtsprechung problematisiert, ob bei (versuchten) Selbsttötungen oder Selbstverstümmelungen von einem plötzlich von außen wirkenden Ereignis gesprochen werden könne.220 Dagegen spricht
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OLG Stuttgart 22.1.1987 VersR 1987 355; einschränkend OLG Hamburg 7.12.1951 VersR 1952 19, 20 (Aspiration, d.h. das Eindringen flüssiger oder fester Stoffe in die Atemwege, durch bloßes Einatmen sei keine gewollte, allerdings nicht vollständig beherrschte eigene Bewegung, sondern ein vom Willen des Versicherten unabhängiger Prozess körperlich-interner Art). LG Lüneburg 22.6.1990 VersR 1991 916. OLG Hamburg 7.12.1951 VersR 1952 19, 20; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 70; a.A. Henke S. 27; Wagner ZVersWiss 1975 619, 627 f. LG Flensburg 8.4.2005 VersR 2005 1418, 1419; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 32; Kloth Rn. E 15; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 45 und 70.
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OLG Hamburg 7.12.1951 VersR 1952 19, 20. LG Flensburg 8.4.2005 VersR 2005 1418, 1419 (für eine Aspiration von Mageninhalt sprach auch der Autopsiereport); zustimmend Marlow RuS 2006 362, 364. BGH 13.6.1955 VersR 1955 385 = VerBAV 1955 222 Nr. 107 (ebenso die Vorinstanzen OLG Karlsruhe 4.11.1953 VersR 1953 474; LG Heidelberg 11.6.1953 VersR 1953 283); Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 17; a.A. Wagner ZVersWiss 1975 619, 627 f. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 32. OLG Saarbrücken 15.12.2004 VersR 2005 1276, 1277. OLG Karlsruhe 12.2.1975 VersR 1976 183, 185; zweifelnd auch LG Koblenz 14.1.1983 VersR 1983 1054.
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einerseits, dass in diesen Fällen das sich selbst schädigende Verhalten der versicherten Person (z.B. der Schnitt am Handgelenk, der Schuss in den Kopf) vollständig willensgesteuert, planmäßig und regulär abläuft. Dennoch ist – soweit ersichtlich – keine Entscheidung maßgeblich auf das fehlende Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „von außen“ gestützt worden. Vielmehr lag der Schwerpunkt der Prüfungen stets beim Nachweis der Unfreiwilligkeit (Rn. 191 ff.) oder bei der Erörterung des Vorliegens von Ausschlussgründen. Dem ist i.E. zuzustimmen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass es zu Beweislastverschiebungen kommt, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sein dürften. Bei Verdacht auf Selbstverstümmelung oder Suizid müsste der Anspruchsteller, der die Beweislast für das Unfallereignis trägt (Rn. 168), Beweis dafür antreten, dass die Eigenbewegung der versicherten Person nicht vollständig willensgesteuert verlaufen, sondern von äußeren – von ihm nicht kontrollierbaren – Umständen (mit-)beeinflusst worden ist. Dies könnte leicht darauf hinauslaufen, dass er die nicht vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls bzw. das fehlende Verschulden gegen sich selbst und die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung darlegen und beweisen müsste, obwohl es auf eine Verschuldensprüfung in der privaten Unfallversicherung grundsätzlich nicht ankommt und die Unfreiwilligkeit vermutet wird (§ 178 Abs. 2 S. 2). (7) Sport. Verletzungen beim Sport, die ausschließlich aus normalen Eigenbewegun- 78 gen oder ungeschickten Körperbewegungen resultieren, stellen keinen Unfall i.e.S. dar.221 Dies trifft etwa zu auf den Achillessehnenriss beim schnellen Antritt,222 den Meniskusschaden nach dem Aufrichten bzw. Hochschnellen aus der Hocke,223 die Sprunggelenksverletzung mit Außenbandruptur beim Aufwärmen vor einem Handballspiel,224 dem „Streckschaden“ nach einem Tennisschlag225 oder die Knieverletzung bei tanztypischen Ausfallschritten und Drehungen bzw. nach Abfangen des Gewichts des Tanzpartners bei lateinamerikanischen Tänzen.226 Allein der Umstand, dass die ausgeübte Sportart ein mehr oder minder schnelles Bewegungsspiel ist, durch hohe Dynamik gekennzeichnet ist oder extreme Bewegungsabläufe erfordert, ändert nichts daran, dass es sich grundsätzlich um kontrollierte und gewollte Handlungsabläufe handelt, die vergleichbar sind mit planmäßig durchgeführten Arbeiten an oder mit einem (schweren) Gegenstand (Rn. 69 f.).227 In Betracht kommt allerdings, solche Bewegungsabläufe als Kraftanstrengung zu werten und damit unter den erweiterten Unfallbegriff zu subsumieren (Ziff. 1.4 AUB 2008). Ein Unfall i.e.S. ist dagegen anzunehmen, wenn die willentlich in Gang gesetzte Eigenbewegung anders als geplant oder unkontrolliert verläuft (z.B. Abfangbewegung nach Stolpern beim Tennis oder Hängenbleiben an einer Baumwurzel beim Joggen),228 der Spielgegenstand direkt auf die versicherte Person einwirkt (z.B. Verletzung des Tennisspielers, der versehentlich den Tennisball direkt an den Kopf bekommt),229 Hilfsmittel schadhaft sind 230 oder eine Fremdeinwirkung (z.B. durch den Mitspieler) vorliegt 231 bzw. das Verhalten des Gegenspielers (z.B. Foulspiel, Pressschlag)
221
222
223 224
LG Düsseldorf 2.7.1997 RuS 1999 169; LG Köln 22.5.1996 VersR 1997 100; Henke S. 28. LG Dortmund 17.10.2008 NJW-RR 2009 389; ferner ÖOGH 23.1.2001 VersR 2002 779 f. OLG Hamm 18.6.1997 VersR 1998 708, 709. AG Darmstadt 21.8.2008 VersR 2009 1112.
225 226 227 228 229 230 231
LG Berlin 29.3.1990 RuS 1990 431 f. LG Köln 3.5.2000 RuS 2002 350. LG Berlin 29.3.1990 RuS 1990 431, 432. OGH 17.10.2007 VersR 2008 1563, 1564; OGH 14.2.1991 VersR 1991 1315, 1316. LG Berlin 29.3.1990 RuS 1990 431 f. AG Norderstedt 26.6.1986 VersR 1987, 304. AG Darmstadt 21.8.2008 VersR 2009 1112.
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mitgewirkt hat.232 Ein von außen wirkendes Ereignis ist weiterhin dann anzunehmen, wenn eine Bodenunebenheit (z.B. Kuhle auf dem Bolzplatz) 233 oder ungünstige Bodenbeschaffenheit (z.B. stumpfer Hallenboden) die Verletzung auslöst.234 Kennzeichnend ist hier, dass das Geschehen für die versicherte Person unbeherrschbar oder von einer Fehleinschätzung bestimmt ist.235
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(8) Sprünge. Ein Sprung oder eine größere Schrittbewegung rechtfertigt die Annahme eines Unfallereignisses, wenn die versicherte Person im Moment des Absprungs oder der Landung auf nassem oder sonst glattem Untergrund wegrutscht, da dann die Bewegung nicht mehr vollständig willensgesteuert verläuft, sondern teilweise von außen (den Bodenverhältnissen) bestimmt wird.236 Weiterhin liegt keine in vollem Umfang gesteuerte Eigenbewegung in dem Fall vor, in dem der Springende unerwartet heftig auf den Boden aufprallt oder gegen einen Gegenstand stößt und sein Körper stoßartig belastet wird.237 Entsprechendes gilt, wenn der Betroffene aufgrund einer offenbar verhängnisvollen Fehleinschätzung nach einem Sprung ungeschickt aufkommt.238
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(9) Umknicken. Das Umknicken des Fußes an einer Bordsteinkante239 oder infolge einer Bodenvertiefung240 stellt ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis dar; denn der normale Bewegungsablauf wird durch eine ungewollte bzw. unerwartete Kollision mit der Außenwelt gestört, weil der Fuß wegrutscht bzw. keinen festen Halt findet. Entsprechendes gilt, wenn das Umknicken Folge eines zu stumpfen Hallenbodens ist.241 Kein Unfall ist dagegen anzunehmen, wenn keine weiteren äußeren Umstände festzustellen sind,242 z.B. das Umknicken nicht auf ein unvorhergesehenes Hindernis oder eine extrem ungünstige Beschaffenheit des Bodens zurückzuführen ist.243 4. Plötzlich wirkendes Ereignis
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Um das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ ranken sich zahlreiche und z.T. umstrittene Auslegungsfragen.
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a) Anwendungsbereich. Das Merkmal „plötzlich“ bezieht sich vom Wortlaut des § 178 Abs. 2 S. 1 und den entsprechenden Regelungen in den AUB nur auf das von außen auf den Körper der versicherten Person wirkende Ereignis, nicht aber auf die durch die Einwirkung erzeugte Wirkung, also die Unfallereignisfolgen bzw. das Eintreten
232 233
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235 236 237
90
OGH 11.7.1991 VersR 1992 1247, 1248. OLG Hamm 15.8.2007 VersR 2008 249, 250 = NJW-RR 2008 279, 280 = RuS 2007 518. OLG München 20.5.1998 RuS 2000 39; krit. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 49. LG Berlin 29.3.1990 RuS 1990 431, 432. OLG Köln 20.12.2006 VersR 2007 1689 = RuS 2007 516 f. BGH 12.12.1984 VersR 1985 177 f.; OLG Hamm 17.8.1994 VersR 1995 1181; LG Bückeburg 29.6.1995 VersR 1996 365 (LS); Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 8; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 8.
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239 240 241 242 243
BGH 23.11.1988 VersR 1989 73; OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 19. OLG Hamm 11.6.1975 VersR 1976 336, 337. LG Göttingen 16.2.1990 VersR 1990 1347, 1348. OLG München 20.5.1998 RuS 2000 39. OLG Düsseldorf 27.11.1997 NVersZ 1999 524 f. LG Dortmund 14.2.2008 RuS 2009 206; LG Freiburg 17.2.2000 RuS 2003 254, 255.
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des Gesundheitsschadens (Rn. 118 ff.).244 Wann das Ereignis zu einer Gesundheitsschädigung führt, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend.245 Sie kann sich auch allmählich entwickeln,246 sofern noch ein zeitlicher Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis besteht (Rn. 148). Weder kann die Plötzlichkeit der Wirkung der Plötzlichkeit der Ursache gleichgesetzt werden, noch lässt das plötzliche Auftreten des Erfolges einen Rückschluss auf die Plötzlichkeit des Ursachenereignisses zu.247 Führt z.B. das Tauchtraining (Ereignis) erst am folgenden Tag zum Tod durch Kreislaufzusammenbruch (Gesundheitsschädigung), so ist Versicherungsschutz gegeben. Entscheidend ist, dass das Unfallereignis plötzlich eingetreten ist. Dass der Tod erst später eintrat, ist insofern irrelevant.248 Entsprechendes gilt u.a. für den Fall, dass zwischen der Injektion von Heroin und dem Todeseintritt eine erhebliche Zeitspanne lag; hier ist bei der Prüfung des Merkmals „plötzlich“ nicht auf den Todeseintritt, sondern allein auf die Injektion abzustellen (Anh. § 178 Rn. 85). Ein Ereignis verliert auch nicht dadurch den Charakter der Plötzlichkeit, dass nach 83 Eintritt der Wirkung diese noch längere Zeit anhält.249 Dies trifft insbesondere auf die Fälle zu, in denen die Wirkung des Ereignisses die versicherte Person hindert, sich gesundheitsschädigenden Einflüssen zu entziehen (mehraktiges Unfallereignis, Rn. 31).250 Entsprechendes gilt für den gedehnten Unfall bzw. Versicherungsfall (Rn. 19), bei dem ein Unfallereignis einige Zeit fortwirkt und die Gesundheitsschädigung erst im Verlaufe der Einwirkung eintritt, so z.B. bei einer Gasvergiftung nach Gasrohrbruch. Auch hier ist ein Unfallereignis anzunehmen.251 Entscheidend ist, dass der Beginn des Unfallereignisses plötzlich eingetreten ist.252 Genauso wenig wie das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ die Unfallereignisfolgen be- 84 trifft, sagt es etwas dazu aus, wann die Unfallfolgen (Rn. 20) vorliegen müssen. Unschädlich ist es mithin, wenn die für die einzelnen Versicherungsleistungen maßgeblichen Voraussetzungen wie Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) oder der Arbeitsfähigkeit (Tagegeld), Tod (Todesfall-Leistung), die stationäre Behandlungsbedürftigkeit (Krankenhaustagegeld) usw. erst in größerem zeitlichen Abstand oder aufgrund einer allmählichen Entwicklung eintreten bzw. nicht sofort
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245
OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; OLG Stuttgart 1.3.1977 VersR 1977 1026; Schwintoski/Brömmelmeyer § 178 Rn. 11; Büdenbender VersR 1974 211, 212; Konen S. 9; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 14; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 35; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 57; a.A. noch OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774 (Das „subjektive Element bezieht sich nicht auf das Ereignis selbst, sondern auf die Ereignisfolgen“). BGH 13.7.1988 VersR 1988 951, 952; ferner OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36, 37 und 38; LG Mainz 26.10.1995 VersR 1996 1003; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 10; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 44; Terno DAR 2005 314; a.A. ohne Begründung LG Köln 22.1.2003 VersR 2003 848, 849.
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OLG Stuttgart 1.3.1977 VersR 1977 1026; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 17 OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; OLG Nürnberg 27.2.1975 VersR 1975 897; Henke S. 29; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 14; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 9; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 43; Wüstney § 2 Anm. 2. OLG Köln 30.11.1989 RuS 1990 33, 34; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 20. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 11. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 38. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 10. OLG Hamburg 7.12.1951 VersR 1952 19, 20; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 62.
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nach außen hin in Erscheinung treten.253 Es genügt vielmehr, dass das (plötzliche) Unfallereignis den Keim für die Unfallfolgen legt.254 Anderenfalls würde der von der Unfallversicherung erwartete Schutz der versicherten Person in unbilliger Form eingeschränkt. Die meisten Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit leiten Entwicklungsvorgänge im oder am Körper der versicherten Person ein, die sich erst über einen längeren Zeitraum zu Unfallfolgen entwickeln bzw. solche deutlich machen. So bemerkt z.B. häufig die versicherte Person nach einem Sturz oder einer Kollision zwar den Schädelbruch oder die Rückgratsverletzung, die Gefährlichkeit dieser Verletzungen äußert sich aber u.U. erst deutlich später, wenn Hirnschädigungen festgestellt werden oder Lähmungserscheinungen auftreten.255
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b) Bedeutung. „Plötzlich“ birgt als unbestimmter Rechtsbegriff Interpretationsspielraum, so dass sich eine allgemein anerkannte Definition bis heute nicht durchgesetzt hat.256
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aa) Meinungsstand. Weitgehende Übereinstimmung besteht insofern, als zum einen „plötzlich“ nicht Zufälligkeit verlangt.257 Z.T. wird zwar in ausländischen Rechtsordnungen Plötzlichkeit als objektive Zufälligkeit bezeichnet.258 Jedoch spiegelt sich dieses Verständnis nicht in der deutschen Rechtspraxis wieder. In Deutschland wird mit Zufall ein Vorgang bezeichnet, der von keinem Beteiligten zu vertreten ist;259 auf ein Verschulden kommt es aber bei der Prüfung der Plötzlichkeit nicht an (Rn. 101). Vielmehr verlangt der Gedanke der (privaten) Unfallversicherung, dass der versicherten Person Schutz nicht nur gegen solche Schadensfälle gewährt wird, die auf einem reinen Zufall beruhen, sondern auch gegen solche Unfälle, die auf menschliche Schwäche (z.B. Müdigkeit, Erschöpfung) oder menschliches Versagen (z.B. Unaufmerksamkeit, Gedankenlosigkeit) und die daraus entstandenen Fehlhandlungen zurückzuführen sind.260 Zum anderen kann die Auslegung zum Unfallbegriff in der Sozialversicherung nicht in der privaten Unfallversicherung herangezogen werden (Vorbem. § 178 Rn. 58).
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(1) Auslegung der AUB vor der VVG-Reform 2008. Die überwiegende Rechtsprechung und Literatur haben zu den AUB zwischen einer objektiv zeitlichen und einer subjektiven Komponente unterschieden, also danach, ob das Ereignis in zeitlich kurzer Dauer auf den Körper eingewirkt hat (Rn. 96 ff.) und/oder ob es unerwartet, überraschend und deshalb für den Betroffenen unentrinnbar war (Rn. 99 ff.). Unterschiedliche Auffassungen bestanden allerdings darüber, welches Gewicht das jeweilige Element erhalten sollte.261 Während z.T. entweder allein auf das objektiv zeitliche Moment262
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OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1544, 1545; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 11; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 43. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 62. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 65. Pürckhauer VersR 1983 11. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 26; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 60. Yamashita VersR 1982 8, 12. Bruck/Möller/Wagner 8 G 60; zustimmend Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 26.
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KG 16.2.1956 MDR 1956 354. Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 10; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 10 hält es für müßig, darüber zu streiten, welches Gewicht den beiden Komponenten der Plötzlichkeit zukommt; offen lassend Terno DAR 2005 314. 262 OLG Stuttgart 29.9.1994 VersR 1997 176, 177; LG Mainz 26.10.1995 VersR 1996 1003; Pürckhauer VersR 1983 11, 13. 261
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oder ausschließlich auf subjektive Aspekte263 abgestellt wurde, legte eine andere Meinung ein alternativ zweigleisiges Verständnis zugrunde.264 Vertreten wurde aber auch, dass sowohl die zeitliche als auch die subjektive Komponente (kumulativ) gegeben sein müssten.265 Eine weitere Auffassung gab dem zeitlichen Element Vorrang gegenüber dem persönlichen.266 Dagegen sahen andere Gerichte und Autoren dies genau umgekehrt und stellten vornehmlich auf die subjektive Komponente der Plötzlichkeit ab.267 Die Diskussion befand sich in einem ständigen Fluss.268 Vereinzelt wurde auch die Auffassung vertreten, dass das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ aus dem Unfallbegriff zu eliminieren sei, da es mehrdeutig und damit nach AGB-rechtlichen Maßstäben unklar und intransparent sei. Weder sei eine eindeutige Subsumtion unter das zeitliche Element möglich, noch könne bei der Prüfung des subjektiven Elements eine präzise Grenze zwischen der Umschreibung „unerwartet, überraschend und deshalb unentrinnbar“ einerseits und Vorsatz und Fahrlässigkeit andererseits gezogen werden.269 (2) Auslegung nach der VVG-Reform 2008. Sowohl der Gesetzgeber als auch die 88 VVG-Expertenkommission haben zu diesem Streit in ihrem Abschlussbericht nur andeutungsweise Stellung genommen und zunächst mit der Übernahme des Wortes „plötzlich“ in die Unfalldefinition deutlich gemacht, dass an dem Tatbestandsmerkmal festzuhalten ist. Darüber hinaus kommt in den Materialien klar zum Ausdruck, dass in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung das zeitliche Element zwar nicht ganz
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So offenbar LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76; LG Freiburg i. Br. 13.9.1989 VersR 1990 39, das „Plötzlichkeit“ beim Bolustod (vgl. Rn. 73) verneint hat; LG Frankfurt/M. 6.5.1993 VersR 1994 588, 589. BGH 13.7.1988 VersR 1988 951, 952; BGH 12.12.1984 VersR 1985 177; BGH 5.2.1981 VersR 1981 450, 451; OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36, 37; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949 f.; LG Bayreuth 9.11.2005 VersR 2006 1252 = RuS 2007 338 (LS); Kloth Rn. E 4 ff.; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 15 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 10–12; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 178 VVG Rn. 8 f.; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 44. BGH 6.2.1954 VersR 1954 113, 114; OLG Frankfurt/M. 27.3.2008 RuS 2009 32; OLG Hamm 11.6.1975 VersR 1975 336, 337; OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842; OLG Köln 30.10.1974 VersR 1975 237; OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128; OLG Nürnberg 27.2.1975 VersR 1975 897; OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774; LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910; LG Köln 20.12.1973 VersR 1974 542 f.; Büdenbender VersR 1974 211 f.; Eichelmann VersR 1972 411, 412; Konen S. 9; Wüstney § 2 Anm. 2.
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OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; OLG Koblenz 17.4.1998 VersR 1999 436, 437; OLG Stuttgart 30.4.1998 VersR 1999 1228; LG Karlsruhe 25.2.1981 VersR 1981 1152; so wohl auch OLG Karlsruhe 23.1.1989 VersR 1990 772; ferner OLG Karlsruhe 16.5.1995 VersR 1996 364; Schwintoski/Brömmelmeyer § 178 Rn. 5; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 39 und 41. RG 21.11.1919 RGZ 97 189, 190; bestätigt durch RG 25.11.1924 RGZ 109 238 240; ferner OLG Düsseldorf 27.7.1936 VA 1936 238 Nr. 2914; OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128; OLG Stuttgart 1.3.1977 VersR 1977 1026; ÖOGH 30.3.2005 VersR 2006 819, 820; ÖOGH 11.7.1991 VersR 1992 1247, 1248; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 24; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 12; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 59 f. Zur Entwicklung der Rechtsprechung Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 21–24; zur älteren Rechtsprechung Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 61. Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 10 f.; abl. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 14; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 13.
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aufgeben, ihm aber keine vorrangige oder ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden solle.270
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(a) Beibehaltung des Erfordernisses der Plötzlichkeit. Es ist zu begrüßen, dass das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ nicht aufgegeben wird. Die dahingehenden Forderungen zum Unfallbegriff der AUB (Rn. 87) waren nicht überzeugend: Allein aus dem Umstand, dass ein Tatbestandsmerkmal auslegungsfähig, auch gelegentlich zu Auslegungsunterschieden in der Rechtsprechung oder Literatur führt und deshalb in der Rechtspraxis im Einzelfall schwierig zu handhaben ist, lässt sich nicht per se Unklarheit und Intransparenz (vgl. §§ 305c Abs. 2, 307 Abs. 1 BGB) ableiten.271 Wäre diese Pauschalaussage richtig, so müssten zahlreiche Gesetzesvorschriften mit interpretationsfähigen Begriffen (z.B. Sittenwidrigkeit, Treu und Glauben in §§ 138, 242 BGB) ebenfalls „eliminiert“ werden. Maßgebend für eine Anwendung des § 306 BGB ist vielmehr eine sorgfältige Auslegung und ggf. Inhaltskontrolle des Begriffs „plötzlich“. Eingehende Auseinandersetzungen mit der Plötzlichkeit im Unfallbegriff haben in der Vergangenheit mehrfach statt gefunden, ohne dass die Notwendigkeit, Transparenz oder Wirksamkeit des Merkmals „plötzlich“ von der höchstrichterlichen Rechtsprechung jemals in Zweifel gezogen worden ist. Dies liegt daran, dass das Tatbestandsmerkmal einer sinnvollen Auslegung zugänglich ist und in der Praxis nicht zu Unzuträglichkeiten geführt hat. Es handelt sich um einen im täglichen Sprachgebrauch geläufigen Begriff. Die juristische Auslegung misst dem allgemeinen Verständnis des Wortes „plötzlich“ entscheidende Bedeutung zu (Rn. 91), so dass der verständige VN durchaus in der Lage sein sollte, sich – zumindest in groben Zügen – unter „plötzlich“ das vorzustellen, was die Rechtspraxis mit dem Begriff verbindet.272
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(b) Zusammenspiel des objektiv zeitlichen und subjektiven Elements der Plötzlichkeit. Der VVG-Expertenkommission ist nur mit Vorbehalt bzw. einer Einschränkung zuzustimmen, soweit es um das zeitliche Element der Plötzlichkeit geht. Dieses sollte nicht aufgegeben oder vernachlässigt werden und weiterhin einen eigenständigen Wert behalten. Vielmehr erscheint es geboten, die objektive bzw. zeitliche als auch die subjektive Komponente der Plötzlichkeit gleichwertig nebeneinander bestehen zu lassen, wobei es grundsätzlich ausreicht, wenn ein Element gegeben ist (Alternativitätsverhältnis). Wird jedoch auf die subjektive Komponente abgestellt, so muss ein zeitliches Korrektiv möglich sein bzw. insofern ein zeitlicher Rahmen eingehalten werden, als noch eine – wenn auch mit Unsicherheiten behaftete – Abgrenzung zu allmählich eintretenden Ereignissen möglich bleibt.273 Würde allein oder vorrangig auf das subjektive Element der Plötzlichkeit abgestellt, so 91 widerspräche dies dem allgemeinen Verständnis des Wortes „plötzlich“. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird mit dem Begriff neben der Unerwartetheit vorrangig die Schnelligkeit eines Vorgangs verbunden.274 Darauf aufbauend darf der durchschnittliche VN ohne
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271 272
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Begründung RegE zu § 178 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 107; Begründung zum RefE vom 13.6.2006 S. 154; Abschlussbericht, S. 401. S. nur Römer/Langheid 2 Vor § 1 Rn. 14 ff., insbesondere Rn. 25. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 13.
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Ähnlich OLG Koblenz 17.4.1998 VersR 1999 436, 436 f.; LG Köln 15.3.2000 RuS 2001 218; Schwintoski/Brömmelmeyer § 178 Rn. 7; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 45. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 20.
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juristische Kenntnisse im Regelfall „plötzlich“ nicht nur mit unerwartet oder überraschend verbinden, sondern (alternativ) auch i.S.v. kurz, schnell, schlagartig, jäh etc. verstehen.275 Selbst wenn die versicherte Person eine – schnell eintretende – Situation trifft, auf die er sich zuvor gedanklich und willentlich eingestellt hat und die planmäßig verläuft, ist Plötzlichkeit zu bejahen.276 Das übliche Verständnis des Wortes „plötzlich“ zwingt nicht zu der Annahme, das objektive und subjektive Element müssten gleichzeitig vorliegen oder dem subjektiven Element sei Vorrang einzuräumen. Vielmehr erlaubt es weitgehend ein Alternativitätsverhältnis zwischen der zeitlichen und persönlichen Komponente. Unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs darf nur die Grenze zum Gegenbegriff „allmählich“ (Rn. 96) nicht überschritten werden.277 Auch aus dem Wort „erleidet“ im Unfallbegriff kann nicht gefolgert werden, die versicherte Person sei nach allgemeiner Lebensauffassung nicht schutzwürdig, wenn sie sich dem verhängnisvollen Geschehen nicht entzieht, obwohl sie ihm hätte ausweichen können.278 Unabhängig davon, dass hier in der praktischen Handhabung leicht Verschuldens- und Billigkeitsprüfungen in den verschuldensunabhängigen und objektiv zu ermittelnden Plötzlichkeitsbegriff einfließen können (Rn. 93), kann ein „Erleiden“ der versicherten Person auch gegeben sein, wenn sie ein Ereignis „sehenden Auges“ – u.U. aus altruistischen Gründen – auf sich zukommen lässt. Die Annahme eines Alternativitätsverhältnisses zwischen zeitlichem und subjektivem 92 Element, wobei das letztere nicht jeden zeitlichen Rahmen sprengen darf, lässt sich mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang bringen. Der BGH hat in seinen Entscheidungen durchaus die zeitliche Komponente des Wortes „plötzlich“ rekrutiert, ohne dessen Stellenwert für den Leser völlig zu vernachlässigen oder erkennbar zu relativieren.279 So hat er ausdrücklich ausgeführt, dass „plötzlich“ in erster Linie ein zeitliches Element des Unfallbegriffs darstelle oder es auf die Erwartungen und Vorstellungen des vom Geschehen Betroffenen nicht ankomme, wenn schon das zeitliche Element der Plötzlichkeit vorliege. Vielmehr sei ein Geschehen, dass sich innerhalb eines kurzen Zeitraums verwirkliche, stets plötzlich.280 Der Verzicht bzw. die Vernachlässigbarkeit des zeitlichen Elements hätte auch unan- 93 gemessene Ergebnisse zur Folge. Richtig ist zwar, dass das zeitliche Korrektiv in der praktischen Rechtsanwendung häufig nicht zu eindeutigen Ergebnissen führt (Rn. 96 ff.).281 Jedoch birgt eine Konzentration auf das persönliche Element leicht die Gefahr, in unzulässiger Weise Verschuldensfragen mit der Prüfung der Plötzlichkeit zu vermengen. So würde etwa bei einer in Betracht kommenden Selbstverstümmelung durch einen Beilhieb nicht bereits das in Bruchteilen einer Sekunde eintretende Ereignis ausreichen, son-
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OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949 f. A.A. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 24. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 43. So aber Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 60. Pürckhauer VersR 1983 11 f.; s. dagegen Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 11 (die Rechtsprechung habe das zeitliche Element in den Entscheidungen lediglich „mitgeschleppt“). BGH 13.7.1988 VersR 1988 951, 952; BGH 12.12.1984 VersR 1985 177; BGH 5.2.1981 VersR 1981 450, 451; ferner OLG Frankfurt
281
25.3.1998 NVersZ 1999 325, 326; OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn.14; Kloth Rn. E 4 und 6; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 14; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 10; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 8; a.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 41 f. (ohne dies näher zu begründen). Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 11; zustimmend Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 14; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 10.
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dern der VN die Unerwartetheit, die Unvorhersehbarkeit und Unentrinnbarkeit zu beweisen haben. Dadurch könnte bei „verdächtigen Sachverhalten“ leicht der vom VR zu führende Beweis der Unfreiwilligkeit mittelbar doch auf den VN verlagert werden. Dies widerspräche aber der Intention des § 178 Abs. 2 S. 2 (§ 180 a Abs. 1 a.F.).282 Das subjektive Moment der Plötzlichkeit sollte deshalb nur dann herangezogen werden, wenn das zeitliche Element nicht eindeutig bejaht werden kann. Darüber hinaus hätte das Abstellen auf das persönliche Moment zur Folge, dass der 94 Unfallbegriff überdehnt würde.283 So könnten schädliche Umwelteinflüsse, denen sich der Einzelne nicht entziehen kann, als Unfälle angesehen werden.284 Die Absicherung von (schleichenden) umweltbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen gehört aber – auch aus Sicht eines verständigen VN – nicht zu den Aufgaben der Unfallversicherung. Des Weiteren hätte ein Verzicht auf das zeitliche Element zur Folge, dass jede psychische oder seelische Reaktion auf Ereignisse der Umwelt als „plötzlich“ zu qualifizieren wäre, mag die Einwirkung auch über einen längeren Zeitraum erfolgen. Eine praktikable Abgrenzung zu krankhaften Entwicklungen ließe sich nicht mehr treffen,285 und zwar insbesondere dann nicht, wenn – entgegen der hier vertretenen Auffassung – mit der Rechtsprechung die sinnliche Wahrnehmung von Vorgängen stets als von außen wirkendes Ereignis angesehen wird (Rn. 49 ff.). Zusammenfassend ist Plötzlichkeit stets zu bejahen, wenn das Ereignis in sehr kurzer 95 Zeit auftritt. Dies trifft auf die meisten Fälle zu (z.B. Stürze, Zusammenstöße). Lässt sich das objektiv zeitliche Element der Plötzlichkeit nicht ohne Weiteres bejahen, so ist das subjektive Element zu rekrutieren. Sind dessen Voraussetzungen erfüllt, ist Plötzlichkeit gegeben, es sei denn, die Grenze zum „allmählichen Ereignis“ ist (eindeutig) überschritten.
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bb) Zeitliches Element. „Plötzlich“ bedeutet in zeitlicher Hinsicht, dass das Ereignis in verhältnismäßig kurzer Zeit bzw. in einem relativ kurzen, begrenzten und überschaubaren Zeitraum eintritt und wirkt.286 Das Tatbestandsmerkmal dient der Abgrenzung von schädigenden Ereignissen, die allmählich 287 (s. dazu auch § 4 AHB) 288 bzw. kontinuierlich über eine längere Dauer 289 oder in Wiederholung über einen längeren Zeitraum auf den Körper wirken.290 Ein dauerndes konstitutionelles Leiden kann deshalb niemals als Unfall bewertet werden.291 Entsprechendes gilt für Berufs- und Gewerbekrankheiten (vgl. Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 13).
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283 284 285
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Hansen Beweislast S. 198 f. und Kirsch S. 200 f., die allerdings eine Lösung über die Auslegung des Wortes „erleiden“ suchen. OLG Koblenz 17.4.1998 VersR 1999 436, 437. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 15. LG Köln 15.3.2000 RuS 2001 218 (die versicherte Person war während eines Telefonats Vorwürfen und Beschimpfungen ausgesetzt und erregte sich dabei so sehr, dass sie eine Hirnblutung erlitt). BGH 12.12.1984 VersR 1985 177; BGH 6.2.1954 VersR 1954 113, 114; RG 10.1.1928 RGZ 120 18, 19; RG 25.11.1924 RGZ 109 238 240; RG 21.11.1919 RGZ 97 189, 190; OLG Karlsruhe 16.5.1995 VersR
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1996 364; OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287; LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910. OLG Stuttgart 30.4.1998 VersR 1999 1228. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 14 und 16. BGH 12.12.1984 VersR 1985 177; BGH 5.2.1981 VersR 1981 450, 451; OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; LG Bayreuth 9.11.2005 VersR 2006 1252 = RuS 2007 338 (LS); LG Mainz 26.10.1995 VersR 1996 1003. OLG Karlsruhe 23.1.1989 VersR 1990 772; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 20; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 38. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 43.
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Eine allgemein anerkannte und genau bestimmte Zeitspanne dafür, was noch als 97 „plötzlich“ anzusehen ist, hat sich bisher nicht herauskristallisiert. Die Wertung kann wohl auch nicht generell, sondern nur im Einzelfall – mit der Gefahr von Rechtsunsicherheiten – erfolgen.292 Keine Probleme bereitet die Plötzlichkeit in den Fällen, in denen die Einwirkung auf die versicherte Person augenblicklich, momentan oder blitzartig erfolgt.293 Darüber hinaus besteht Einigkeit insofern, dass das Ereignis einerseits nicht in Sekundenschnelle einwirken muss,294 andererseits mehrere Tage einen zu langen Zeitraum darstellen.295 Zwischen diesen beiden Polen finden sich dann allerdings die unterschiedlichsten Zeitangaben.296 Als „plötzlich“ hat die Rechtsprechung297 einerseits noch die Dauer von mehreren Sekunden,298 einer Fallbö,299 die kurze Zeitspanne der heftigen Bewegungen beim Geschlechtsverkehr,300 eine Gaseinwirkung von ca. 4 Minuten,301 einen Zeitraum von 15 bis 20 Minuten,302 eine über das richtige Maß hinausgehende Bestrahlung von insgesamt 40 Minuten,303 aber auch eine Zeitspanne von zwei oder mehreren Stunden 304 anerkannt, wobei z.T. allerdings eingeschränkt wird, dass der Geschädigte den Schaden nicht erwartet haben dürfe.305 Dagegen wurde aber andererseits ein fünfminütiges Gehen auf heißen Steinplatten genauso wenig als plötzliches Ereignis gewertet306 wie der allmähliche Aufbau eines Erregungszustandes während einer streitigen Auseinandersetzung.307 Die aufzustellende zeitliche Grenze sei darüber hinaus bei einer Geräusch-Immission von über einer halben Stunde 308 oder einem Einwirkungszeitraum von einigen Stunden überschritten,309 jedenfalls wenn sich der Betroffene nicht in einer „Objektsituation“ völliger Hilflosigkeit befinde.310 Auch sei die zeitliche Komponente der Plötzlichkeit zweifelhaft, wenn die versicherte Person eineinhalb Stunden ohne angemessene Schutzbekleidung im frischen Beton gekniet und sich dabei Verätzungen zugezogen habe.311
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OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; LG Bayreuth 9.11.2005 VersR 2006 1252; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 20; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 34; Pürckhauer VersR 1983 11; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 39. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 11. RG 25.11.1924 RGZ 109 238 240; RG 21.11.1919 RGZ 97 189, 190; OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842; OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128; LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910; Henke S. 29. OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; zuvor bereits LG Mainz 26.10.1995 VersR 1996 1003; ferner Pürckhauer VersR 1983 11. S. u.a. LG Köln 15.3.2000 RuS 2001 218, das das plötzlich von außen wirkende Ereignis verneint für ein Telefonat (die Dauer des Gesprächs ist in der Fundstelle nicht angegeben). S.a. Büdenbender VersR 1974 211 (eine halbe Minute genügt).
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OLG Düsseldorf 29.5.1935 VA 1935 240, 241 Nr. 2812. OLG Nürnberg 27.2.1975 VersR 1975 897. OLG Düsseldorf 21.9.1999 VersR 2000 961. OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128. OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128. RG 21.11.1919 RGZ 97 189, 190. OLG Hamm 25.9.1981 VersR 1982 946; KG 11.6.1927 VA 1927 246 Nr. 1752; KG 20.12.1907 VA 1908 54 f. Nr. 385. RG 25.11.1924 RGZ 109 238 240 f.; OLG Karlsruhe 16.5.1995 VersR 1996 364. LG München I 26.1.1983 VersR 1984 1189. OLG Stuttgart 30.4.1998 VersR 1999 1228 (die Dauer des Gesprächs ergibt sich nicht aus der Fundstelle). Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 39. LG Karlsruhe 25.2.1981 VersR 1981 1152. OLG Koblenz 17.4.1998 VersR 1999 436, 437. LG Bayreuth 9.11.2005 VersR 2006 1252 = RuS 2007 338 (LS).
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Kapitel 7: Unfallversicherung
Eine Entscheidungshilfe bei der Beurteilung von längeren Geschehensabläufen kann sicherlich die Rückbesinnung auf den Zweck der Unfallversicherung sein. Sie dient vornehmlich dazu, die versicherte Person vor den Folgen von Ereignissen zu schützen, die – unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation – von außen innerhalb eines so kurzen Zeitraums auf ihn wirken, dass dieser zu kurz ist, um der Einwirkung auszuweichen oder ihr wirksam zu begegnen.312 Diese Betrachtung führt allerdings dazu, dass die Abgrenzung zwischen dem objektiv zeitlichen und dem subjektiven Element der Plötzlichkeit verwischt wird. Um nicht das Verständnis des Wortes „plötzlich“ i.S. von schnell usw. zu vernachlässigen (Rn. 91), dürfen nicht über subjektive Wertungen im zeitlichen Element der Plötzlichkeit noch Vorgänge, die sich über Tage erstrecken, i.E. als plötzlich angesehen werden. Es muss sich immer noch um einen verhältnismäßig kurzen, bestimmbaren Zeitraum handeln.313 Allmählich wirkende Ereignisse sind grundsätzlich auch dann auszuschließen, wenn die versicherte Person ihnen nicht ausweichen kann (Rn. 100).
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cc) Subjektives Element. Das subjektive Element der Plötzlichkeit ist nach ständiger Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn das Ereignis für den Betroffenen überraschend, unvorhergesehen bzw. unerwartet und unentrinnbar314 eingetreten ist.315 Dieses Verständnis hat auch der Gesetzgeber im Anschluss an die Empfehlungen der VVG-Expertenkommission zugrunde gelegt.316 Das subjektive Moment der Plötzlichkeit ist anhand eines objektiven Maßstabs und nicht etwa im Wege einer Verschuldensprüfung zu ermitteln. Bei der Beurteilung des sog. subjektiven Elements ist an die Sichtweise der versicher100 ten Person – was etwas irritierend ist 317 – ein objektiver Maßstab anzulegen.318 Auch durch den Begriff „unvorhersehbar“ tritt keine subjektive Färbung hinzu.319 Bei genauer Formulierung ist aus der Perspektive der versicherten Person ein „Unvorhergesehen“, nicht „Unvorhersehbarkeit“ zu verlangen.320 Das Schadenereignis muss nicht aus Sicht eines (unbeteiligten) Dritten allgemein, sondern aus der individuellen Sicht der versicherten Person (objektiv) unvermeidbar sein.321 Für die Annahme des subjektiven Elements
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OLG Stuttgart 30.4.1998 VersR 1999 1228; LG Bayreuth 9.11.2005 VersR 2006 1252; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 60; zust. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 20; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 15; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 10. Henke S. 29. Krit. Henke S. 29, der auf das Merkmal „unentrinnbar“ verzichten will. S. nur BGH 12.12.1984 VersR 1985 177; BGH 5.2.1981 VersR 1981 450, 451; BGH 6.2.1954 VersR 1954 113, 114; RG 21.11.1919 RGZ 97 189, 190; OLG Hamm 11.6.1975 VersR 1975 336, 337; OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36, 37; OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949; LG Bayreuth 9.11.2005 VersR 2006 1252 = RuS 2007 338 (LS);
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LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76; LG Freiburg i. Br. 13.9.1989 VersR 1990 39; LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910; LG Heidelberg 14.12.1995 VersR 1997 99. Begründung RegE zu § 178 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 107; Begründung zum RefE vom 13.6.2006 S. 154; Abschlussbericht S. 401. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 10. BGH 12.12.1984 VersR 1985 177; OLG Hamm 11.6.1975 VersR 1975 336, 337; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 13; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 12; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 9; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 60. OLG Nürnberg 27.2.1975 VersR 1975 897. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 22. OLG Köln 30.10.1974 VersR 1975 237; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 41.
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§ 178
der Plötzlichkeit genügt es deshalb, dass der Betroffene das auf den Körper wirkende Ereignis tatsächlich nicht vorhergesehen hat.322 M.a.W.: Die subjektive Komponente des Begriffs „plötzlich“ fehlt nur dann, wenn der Betroffene die Art, den Zeitpunkt und die Intensität der Einwirkung mit der damit verbundenen bevorstehenden Gesundheitsschädigung konkret erkannt hat und wenn er sich bei vollem Bewusstsein der drohenden Einwirkung noch hätte entziehen können, dies aber nicht getan hat.323 Dabei muss nicht der Geschehensablauf im Einzelnen, sondern nur die äußere Einwirkung ihrer Art nach, ergo nach ihren sie wesentlich charakterisierenden Merkmalen vorgesehen werden.324 Es genügt, dass die versicherte Person die dem bevorstehenden Ereignis generell innewohnende Gefährdung mit ihren mannigfaltigen Möglichkeiten der Schadenverursachung erkennt.325 So liegt z.B. der Fall, wenn die versicherte Person bei einem Arbeitsvorgang die fortgesetzten gesundheitsschädlichen Einwirkungen auf ihren Körper bemerkt hat und sich trotzdem entschließt, ihre Arbeit unverändert fortzusetzen.326 Typischerweise wird das Merkmal der Plötzlichkeit weiterhin bei Vorgängen zu verneinen sein, die erst in der Wiederholung nachteilige Folgen zeigen (z.B. Hautverletzungen durch Scheuern oder Kratzen, Laufen von Blasen).327 Ein Verschulden der versicherten Person (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) ist dagegen für 101 das Unfallereignis unerheblich.328 Ob die versicherte Person das äußere Ereignis vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat bzw. das auf ihren Körper wirkende Ereignis bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte voraussehen können oder müssen, ist hier ohne Belang.329 Dies ist seit langem anerkannt.330 Die Gewährung des Versicherungsschutzes kann nicht von der Vorstellungsfähigkeit und -kraft der versicherten Person abhängen.331 Anderenfalls wären der Pessimist und der Überängstliche, die sich ständig
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BGH 6.2.1954 VersR 1954 113, 114; OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128; OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128; LG Bayreuth 9.11.2005 VersR 2006 1252 = RuS 2007 338 (LS); LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910; Büdenbender VersR 1974 211, 212; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 25; a.A. wohl Marlow RuS 2007 353, 354, der auf die Beantwortung der folgenden hypothetischen Frage abstellt: „Hätte der Betroffene die Gefahr erkannt, hätte er ihr ausweichen können?“. OLG Frankfurt/M. 27.6.1990 VersR 1991 213; OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36, 37 f.; OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287; Pürckhauer VersR 1983 11, 12; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 9; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 41. OLG Stuttgart 1.3.1977 VersR 1977 1026. LG Köln 20.12.1973 VersR 1974 542, 543; LG Köln 12.6.1947 NJW 1947/48 304. OLG Karlsruhe 23.1.1989 VersR 1990 772, 773. K. Jannott S. 96. OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997
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1128; Schwintoski/Brömmelmeyer § 178 Rn. 10; Büdenbender VersR 1974 211, 212; Pürckhauer VersR 1983 11, 13; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 15; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 13; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 9; Weyer VersR 1969 300, 305 f. BGH 6.2.1954 VersR 1954 113, 114; OLG Karlsruhe 16.5.1995 VersR 1996 364; OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36, 37; OLG Köln 30.11.1989 RuS 1990 33, 34; OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 25; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 12; a.A. OLG Nürnberg 27.2.1975 VersR 1975 897, 898; LG Heidelberg 14.12.1995 VersR 1997 99 f.; LG Köln 15.3.2000 RuS 2001 218. S. bereits VA 1920 92, 93 (Der Ausschluss für Unfälle infolge grober Fahrlässigkeit wurde gestrichen). BGH 13.7.1988 VersR 1988 951, 952; BGH 12.12.1984 VersR 1985 177; OLG Frankfurt/M. 27.6.1990 VersR 1991 213; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 950.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
eines den Unfallbegriff erfüllenden Verhängnisses gegenwärtig sind, praktisch vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, was kaum einer sachgerechten Auslegung des Merkmals „plötzlich“ entsprechen kann.332 Vielmehr ist eine Verschuldensprüfung dem Wesen der Unfallversicherung grundsätzlich fremd.333 Das Gesetz enthält hierzu abschließende Regelungen, die durch eine restriktive Auslegung des Begriffs „Plötzlich“ unterlaufen würden:334 § 178 Abs. 2 S. 1 eröffnet in Übereinstimmung mit dem bisherigen Verständnis vom Unfallbegriff nur im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Freiwilligkeit Raum für subjektive Wertungen, wobei hier enge Grenzen gesetzt sind (Rn. 129 ff.) und erschwerte Beweislastbestimmungen für den VR gelten (Rn. 197 ff.). Darüber hinaus zeigt § 183 (früher § 181), dass die Leistungspflicht des VR nur bei vorsätzlicher, nicht aber bei fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls ausgeschlossen ist. Folglich wird derjenige, der den Eintritt eines schädigenden Ereignisses in Betracht zieht, aber darauf vertraut, es werde nicht eintreten („es wird schon nichts passieren“), nicht vom Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen, wenn das Ereignis unerwartet doch eintritt.335 Anderenfalls bestünde für viele Lebensbereiche wie z.B. gefährliche Sportarten, das Autofahren oder handwerkliche Arbeiten praktisch von vornherein keine Leistungspflicht des VR, obwohl häufig gerade diese Risiken vom Unfallversicherungsschutz erfasst werden sollen.336 Nach der allgemeinen Lebensauffassung, die für die Auslegung des Unfallbegriffs maßgebend ist (Rn. 15), wird von einem Unfall eben nicht nur bei „normalen“ beruflichen oder häuslichen Tätigkeiten gesprochen.337 Entsprechendes gilt, wenn der Eintritt des schädigenden Ereignisses bewusst in Kauf genommen, eine Gesundheitsschädigung aber nicht gewollt wird. Nur so kann ein Unfallereignis auch bei Personen angenommen werden, die unter bewusstem Einsatz ihrer Gesundheit Rettungsdienste leisten (z.B. Feuerwehr, technische Hilfsdienste) oder sich aus sportlichen, wissenschaftlichen oder sonstigen Gründen menschlichen Versuchen unterziehen, die zwar bis zur Grenze der Gesundheitsschädigung gehen, diese Grenze aber nicht überschreiten sollen (z.B. bei Testflügen oder beim Raumfahrttraining).338 Selbstverständlich bleibt es jedoch dem VR unbenommen, bestimmte Verhaltensweisen oder gefährliche Risiken einzugrenzen oder auszuschließen (Rn. 162 ff.). Für die Voraussetzungen dieser Tatbestände trägt dann allerdings nicht der VN, sondern der VR die Beweislast (Rn. 171).
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c) Einzelfälle. Die Kasuistik ist vielfältig. Neben Injektionen (Anh. § 178 Rn. 85) oder sadomasochistischen Handlungen (Anh. § 178 Rn. 90 ff.) sind etwa zu nennen:
103
aa) Änderung der Temperatur-, Luft-, Sauerstoff- bzw. Wasserdruckverhältnisse. Keine Probleme bereitet etwa der klassische Fall, dass ein Schwimmer erhitzt und schwitzend ins kalte Wasser springt, obwohl er genau weiß, dass dies zu einer Gesundheitsschädigung führen kann. Kommt es durch die Berührung mit dem kalten Wasser tatsächlich zu einem Herzschlag, so liegt bereits das zeitliche Element der Plötzlichkeit ohne Weiteres vor. Unabhängig davon ist auch das subjektive Element gegeben, wenn der Schwim-
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 60. OLG Nürnberg 23.5.1967 VersR 1969 275, 276 f.; Pürckhauer VersR 1983 11, 13. Büdenbender VersR 1974 211, 212. OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128; LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910, 911; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 12; Römer/Langheid 2
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§ 179 Rn. 13; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 41 f. BGH 12.12.1984 VersR 1985 177. OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128; LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910. Pürckhauer VersR 1983 11, 12.
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mer beim Sprung meinte, dass sich die Gefahr eines Herzschlages „hier und jetzt“ nicht realisieren werde (s.a. Anh. § 178 Rn. 72).339 Ähnlich wie beim Sprung in das kalte Wasser ist die Beurteilung der Frage vorzuneh- 104 men, ob Gesundheitsschädigungen beim Tauchen, Fliegen oder Bergsteigen auf einem plötzlich eintretenden Ereignis beruhen.340 Unstreitig ist die „Plötzlichkeit“, wenn ungewollte und ungeplante Umstände die versicherte Person stören oder sie dazu zwingen, Vorsichtsmaßnahmen außer Acht zu lassen.341 Typische Beispiele sind etwa, dass die Fensterscheibe eines in großer Höhe fliegenden Flugzeugs birst, der Flieger durch Turbulenzen unbeabsichtigt in sauerstoffarme Höhen gerät oder der Sauerstoffschlauch eines Tauchers abgeklemmt wird.342 Hier werden im Regelfall sowohl das zeitliche als auch das subjektive Element der Plötzlichkeit zu bejahen sein. Nicht so eindeutig ist die Rechtslage dagegen beim Fehlen solcher Einwirkungen von außen. Hier wird z.T. das Vorliegen eines Unfallereignisses verneint.343 Nicht erfasst wären demnach Gesundheitsschädigungen durch Sauerstoffmangel, die allein daraus entstehen, dass die versicherte Person zu lange unter Wasser bleibt 344 oder der Bergsteiger (tagelang) im Hochgebirge wandert.345 Entsprechendes wird angenommen im Fall der Caissonkrankheit (Gasembolie), die bei einem Taucher aufgrund seiner körperlichen Konstitution nach einem vorschriftsmäßigen Auftauchvorgang auftritt,346 beim Tiefenrausch, bei dem keine unerwartet auftretenden äußeren Geschehen die versicherte Person in die den Tiefenrausch verursachende Tiefe gebracht haben, oder bei Rekordversuchen (z.B. im Tief- oder Langtauchen), bei denen sich keine atypischen Gefahren realisiert haben.347 I.E. wird sich bei solchen Sachverhalten keine allgemeingültige Lösung finden lassen sondern zu differenzieren sein: Ein Abstellen auf die zeitliche Komponente der Plötzlichkeit hilft hier meist nicht, jedenfalls nicht eindeutig weiter; denn häufig treten bei den genannten Fällen die schädigenden Einwirkungen auf den Körper der versicherten Person nicht schlagartig auf. Großes Augenmerk ist deshalb auf das subjektive Element der Plötzlichkeit zu legen. Es kann nicht pauschal verneint werden. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Gesetzmäßigkeiten der Druckverhältnisse im Normalfall allgemein bekannt sind.348 Jedoch ist für die Prüfung des subjektiven Moments allein der – schwer zu ermittelnde – Umstand maßgebend, ob die jeweilige versicherte Person die Veränderung der Luft, Sauerstoff- bzw. Wasserdruckverhältnisse konkret erwartet hat (Rn. 100). Nur in diesem Fall ist Plötzlichkeit zu verneinen. Ein „Wissen müssen“ aufgrund allgemein verbreiteter Kenntnisse bzw. „allgemeiner Vorhersehbarkeit“ genügt dagegen nicht, da anderenfalls in unzulässiger Weise Verschuldensfragen in die Prüfung des Unfallbegriffs einfließen würden (Rn. 101).349 Eine Unterschätzung der Situation bzw. eine Überschätzung der eigenen Fähigkeiten 105 schadet selbst dann nicht, wenn die Fehleinschätzung ohne Weiteres vermeidbar gewesen
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OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 129. OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 129. Grimm 2 § 1 Rn. 36; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 77. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 68. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 36. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 77. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 68. OGH 30.3.2005 VersR 2006 819, 820. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 77.
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OGH 30.3.2005 VersR 2006 819, 820; Grimm 2 § 1 Rn. 36. Ähnlich OLG Karlsruhe 16.5.1995 VersR 1996 364, das zwar in erster Linie auf das zeitliche Moment der Plötzlichkeit abstellt, bei einem Zeitraum von zwei Stunden jedoch einschränkt, dass der Geschädigte den Schaden nicht erwartet haben darf. Ob das in dem vom Gericht zu beurteilenden Sachverhalt der Fall war, wird in der Fundstelle nicht deutlich.
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wäre. Ist vielmehr davon auszugehen, dass die versicherte Person tatsächlich darauf vertraute, aufgrund ihrer Konstitution, Erfahrung und ihres Könnens mit den äußeren Einflüssen umgehen und die gefährliche Situation beherrschen zu können, so ist die subjektive Komponente der Plötzlichkeit (grundsätzlich) zu bejahen.350 In solchen Fällen wird im Übrigen der durchschnittliche VN ohne juristische Kenntnisse den gesamten Vorgang als Unfall ansehen.351 Eine Ausnahme ist jedoch vorzunehmen, wenn das zeitliche Element des Begriffs „plötzlich“ überdehnt wird, da die Grenze zu „allmählich“ eindeutig überschritten ist. Plötzlichkeit ist deshalb abzulehnen bei Vorgängen, die sich nicht nur über Minuten, sondern mehrere Stunden oder gar Tagen erstrecken.352
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bb) Ärztliche und medizinische Behandlungen. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein operativer ärztlicher Eingriff ein Unfallereignis, insbesondere eine plötzliche Einwirkung begründet, wird unterschiedlich beurteilt.353 Unstreitig ist, dass eine plangemäß ablaufende Heilmaßnahme nicht den Unfallbegriff erfüllt.354 Es fehlt an dem Tatbestandsmerkmal der Plötzlichkeit, sofern allein auf das subjektive Element abgestellt wird. Wird das Vorliegen des objektiven Moments der Plötzlichkeit für ausreichend erachtet,355 so werden die durch den ärztlichen Eingriff erreichten Heilungen oder Linderungen nicht als Gesundheitsschädigung bezeichnet werden können. Verbesserungen des Gesundheitszustandes und Gesundheitsschädigung schließen einander aus. Die mit den medizinischen Maßnahmen zwangsläufig verbundenen Verletzungen und Gesundheitsschädigungen sind dagegen notwendige und unvermeidbare Unfallereignisfolgen, die von dem Patienten freiwillig erlitten werden.356 Streitig ist allerdings die Würdigung von ärztlichen Kunstfehlern. Z.T. wird bei 107 geplanten und freiwilligen Operationen die Plötzlichkeit generell verneint.357 Plötzlichkeit sei insbesondere dann nicht gegeben, wenn zwischen dem Eingriff und dem Eintritt der Komplikationen ein größerer Zeitabstand liege. Auch könne bei Behandlungsfehlern mangels Erfolgsbezogenheit des Behandlungsvertrages kein Unfall gegeben sein.358 Die Gegenauffassung nimmt ein Unfallereignis an, wenn die Gesundheitsschädigung durch eine plötzliche unvorhergesehene Abweichung vom geplanten Ablauf des Eingriffs hervorgerufen wird. In Betracht kommen hierbei u.a. das unrichtige Führen oder Ausgleiten von Instrumenten und die Verwechselung, falsche Anwendung oder Handhabung von Apparaten oder Heilmitteln.359 Dieser Meinung ist i.E. zu folgen. Für die Prüfung (Verneinung) des Merkmals „plötzlich“ ist nicht entscheidend, ob die Operation geplant war. Maßgebend ist vielmehr, ob die konkrete Einwirkung, die die Gesundheitsschädigung hervorgerufen hat (z.B. Abrutschen des Skalpells), kurzfristig und/oder unerwartet
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OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 128. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 36 im Anschluss an Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 12. Deshalb einen Unfall ablehnend LG Mainz 26.10.1995 VersR 1996 1003; bestätigt durch OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136, 1137; zust. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 36; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 16; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 18. Näher hierzu Knappmann FS Schirmer, S. 269 f. Konen/Lehmann S. 17 f.; Stockmeier/Hup-
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355 356 357
358 359
penbauer S. 62; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 71. So etwa Knappmann FS Schirmer, S. 269, 270. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 271. So wohl auch OLG München 12.3.2003 VersR 2005 261 f.; i.E. zustimmend Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 43 LG Köln 22.1.2003 VersR 2003 848, 849; krit. Marlow RuS 2004 353. OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 80; siehe auch KG 20.12.1907 VA 1908 54 f. Nr. 385.
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§ 178
erfolgte.360 Dies ist typischerweise bei Handlungen aus medizinischen Gründen (z.B. Operationen) immer der Fall, und zwar unabhängig davon, ob sie lege artis vorgenommen werden oder nicht.361 Ferner kommt es auch nicht auf die Freiwilligkeit der Operation an; denn das Merkmal der Unfreiwilligkeit bezieht sich allein auf die durch das Unfallereignis verursachte Gesundheitsschädigung (Rn. 127). Für Folgen fehlerhafter Behandlungen besteht natürlich kein Einverständnis.362 Unerheblich ist auch, wann nach einer Operation die Komplikationen eintreten bzw. die gesundheitliche Schädigung äußerlich erkennbar wird.363 Zwischen Einwirkung und Schadeneintritt muss kein kurzfristiger Zusammenhang bestehen (Rn. 82). Weiterhin hat der Behandlungsvertrag zwischen Patient und Arzt keinen Einfluss auf das Vertragsverhältnis zwischen VN und VR.364 Praktisch wirkt sich der Streit, ob der Behandlungsfehler als Unfallereignis gewertet werden kann, kaum aus; denn in jedem Fall ist der Ausschlusstatbestand „Gesundheitsschädigungen durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe“ zu beachten (Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008, § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 3 AUB 61). Bis auf reine Vorsorgeuntersuchungen oder Unfälle gelegentlich einer Heilmaßnahme bzw. ärztlichen Eingriffs erfasst dieser Ausschluss sämtliche medizinischen Behandlungen.365 Einzelheiten können der Kommentierung zu Ziff. 5.2.3 AUB 2008 entnommen werden. cc) Chemische Einwirkungen. Verätzungen durch die Einwirkung chemischer Substan- 108 zen unterliegen ähnlichen Beurteilungskriterien wie etwa Gaseinwirkungen (Rn. 110), Strahlungen (Rn. 116) oder Vergiftungen (Rn. 117). Unproblematisch ist das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ zu bejahen, wenn die versicherte Person dem schädlichen Einfluss nur kurze Zeit ausgesetzt und damit das objektiv zeitliche Element der Plötzlichkeit erfüllt ist. Bei längeren Zeiträumen ist maßgebend, ob das subjektive Element der Plötzlichkeit vorliegt, weil die versicherte Person z.B. die Möglichkeit der ätzenden Einwirkung auf ihren Körper nicht erkannt bzw. vorausgesehen hat. Aber auch bei solchen Konstellationen darf allerdings die Grenze vom Wort „plötzlich“ zum Gegenbegriff „allmählich“ nicht überschritten sein (Rn. 95, 96 und 98). Setzt sich die versicherte Person ohne angemessene Schutzkleidung für die Dauer von etwa eineinhalb Stunden durch ein Knien im frischen Beton der Einwirkung von chemischen Substanzen aus, so ist zumindest sehr zweifelhaft, ob für die dabei erlittenen Verätzungen (noch) Versicherungsschutz besteht.366 dd) Eigenbewegungen. Die Rechtsprechung hat Eigenbewegungen, die aufgrund einer 109 verhängnisvollen Fehleinschätzung zu einer Verletzung der versicherten Person geführt hatten, nicht nur als ein von außen wirkendes Ereignis (Rn. 64), sondern auch als plötzlich angesehen.367 Hiergegen lässt sich zwar anführen, dass das subjektive Element der Plötzlichkeit nicht vorliegt; denn wer seine eigene Bewegung in voller Beherrschung und entsprechend seiner Vorstellung ausführt, erfährt keine unerwartete, unvorgesehene oder unentrinnbare Einwirkung. Unerwartet und nicht vorhergesehen ist dann letztlich nur die
360 361 362 363
364
Marlow RuS 2005 357 f. (s.a. RuS 2006 362, 363), Knappmann FS Schirmer, S. 269, 270. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 271. OLG München 12.3.2003 VersR 2005 261, 262; LG Hamburg 22.5.1975 VersR 1976 455, 456. Marlow RuS 2004 353, 354.
365 366
367
Knappmann FS Schirmer, S. 269, 274. Bejaht von LG Bayreuth 9.11.2005 VersR 2006 1252 = RuS 2007 338 (LS); krit. etwa Schwintoski/Brömmelmeyer § 178 Rn. 7; Kloth Rn. E 6; Marlow RuS 2007 353, 354. BGH 23.11.1988 VersR 1989 73; BGH 12.12.1984 VersR 1985 177.
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Verletzungsfolge, auf die sich das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ indes nicht bezieht (Rn. 82).368 Plötzlichkeit ist jedoch deshalb zu bejahen, weil bei Eigenbewegungen das zeitliche Element regelmäßig zu bejahen ist;369 denn das die Gesundheitsschädigung hervorrufende Ereignis (z.B. das unglückliche Aufkommen nach einem Sprung) tritt regelmäßig blitzartig bzw. in Sekundenschnelle ein.
110
ee) Gaseinwirkungen. Plötzlichkeit ist unproblematisch zu bejahen, wenn die versicherte Person einem unvermuteten Gasaustritt (z.B. nächtlicher Gasrohrbruch) ausgesetzt ist und sich diesem nicht zu entziehen vermag, sei es, weil sie ihn (z.B. im Schlaf) nicht bemerkt hat, oder durch das Einatmen des Gases bewusstlos oder ohnmächtig geworden ist.370 Hat dagegen die versicherte Person sich längere Zeit hindurch wiederholt an einem gasvergifteten Ort aufgehalten oder an einem solchen Ort weitergearbeitet, obwohl sie die schädigende Wirkung des Gasaustritts erkannt hat, so ist kein Unfallereignis gegeben.371
111
ff) Hinrichtungen. Ob Hinrichtungen, Verstümmelungen oder Tod während der Haft, Kriegsgefangenenschaft oder der politischen Internierung (KZ) als Unfälle angesehen werden können, wurde gerade während und nach Ende des zweiten Weltkrieges diskutiert und oftmals mit der Begründung verneint,372 es fehle an der „Plötzlichkeit“ oder „Unfreiwilligkeit“.373 Die Frage hat heute glücklicherweise an praktischer Bedeutung verloren, kann aber u.U. z.B. noch bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, vor dem Hintergrund terroristischer Aktivitäten oder bei Todesurteilen im Ausland thematisiert werden. I.E. sind bei Hinrichtungen die Tatbestandsmerkmale „plötzlich“ (und „unfreiwillig“) zu bejahen. Selbst wenn bei einer (rechtmäßigen) Verurteilung die Kriterien „überraschend und unerwartet“ zu verneinen sein sollten, ist jedenfalls das zeitliche Element regelmäßig gegeben (z.B. bei Schussverletzungen, Rn. 114). Möglich ist aber, dass der Unfallversicherungsschutz aus anderen Gründen (z.B. Ausschluss von Gesundheitsschädigungen durch Witterungseinflüsse) 374 zu versagen ist.
112
gg) Hoheitsakte. Zwar kann kontrovers beurteilt werden, ob die versicherte Person bei der Flucht vor staatlichen Hoheitsorganen die Gefährlichkeit der Situation erkannt hat, eine Verletzung in Kauf nimmt und deshalb die subjektive Komponente der Plötzlichkeit und/oder Unfreiwilligkeit zu verneinen ist.375 Jedoch ist in solchen Fällen regelmäßig das zeitliche Element der Plötzlichkeit erfüllt,376 was nach der hier vertretenen Auffassung ausreichend ist (Rn. 90 ff.). Soll in der Flucht vor staatlichen Organen generell kein Unfallereignis gesehen werden, so ist dies über Ausschlusstatbestände zu
368 369 370
371
Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 24; Konen S. 9. So auch im Fall des BGH 12.12.1984 VersR 1985 177. RG 10.1.1928 RGZ 120 18, 19; zust. OLG Düsseldorf 21.4.1932 JR 1932 326, 327; ferner KG 11.6.1927 VA 1927 246 Nr. 1752; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 16; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 67; Wüstney § 2 Anm. 11; s.a. OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 67; a.A. offenbar OLG Hamm 25.9.1981 VersR 1982 946, das eine sich über mehrere Stunden
104
372
373 374 375
376
entwickelnde Gasvergiftung als Unfall bewertet. KG 3.4.1950 VersR 1950 99; zust. KG 11.6.1957 VersR 1957 792; ferner RAA VA 1938 83. Krit. bereits Henke S. 30 f.; ferner Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 20. KG 3.4.1950 VersR 1950 99. So LG Köln 12.6.1947 NJW 1947/48 304; a.A. OLG Düsseldorf 27.7.1936 VA 1936 238, 239 Nr. 2914. LG Köln 12.6.1947 NJW 1947/48 304.
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regeln.377 So ist an einen Anspruchsverlust aufgrund des „Begehen einer Straftat“ (z.B. Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 94) zu denken. hh) Infektionen. Z.T. wird bei Infektionskrankheiten die Plötzlichkeit verneint.378 113 Maßgebend ist aber nicht, wann die Krankheit ausbricht bzw. ob sie sich erst über einen längeren Zeitraum hinweg manifestiert. Entscheidend ist vielmehr, ob die Einwirkung auf den Körper der versicherten Person, durch die die Infektionskrankheit verursacht wurde, plötzlich erfolgte (Rn. 82) – mag dies auch schwierig feststellbar und zu beweisen sein. Zu beachten sind aber Versicherungsausschlüsse (z.B. Ziff. 5.2.4 AUB 99/2008, § 2 Abs. Nr. 3 AUB 88/94). ii) Schüsse. Schussverletzungen durch Dritte beruhen immer auf einem (plötzlichen) 114 Unfallereignis, und zwar nicht nur dann, wenn sie z.B. durch einen Räuber oder Geiselnehmer beigebracht werden, sondern auch dann, wenn die versicherte Person sich staatlichen Hoheitsakten entziehen will und dabei verletzt wird (Rn. 112).379 jj) Sport. Verletzungen, die sich die versicherte Person während der aktiven Ausübung 115 einer Sportart zuzieht, beruhen regelmäßig auf einem plötzlichen Ereignis, da etwa ein Sturz bzw. Ausrutschen der versicherten Person oder ein Zusammenprall mit Gegenständen (z.B. dem Sportgerät) bzw. dem Gegner (z.B. Pressschlag, Foul) regelmäßig typischerweise sowohl das objektive als auch das subjektive Element der Plötzlichkeit erfüllen. Dies muss indes nicht immer der Fall sein. Gerade bei risikoreichen (Kampf-)Sportarten wird über das Moment des Unvorhergesehenen, Unerwarteten oder Unentrinnbaren häufig zumindest diskutiert werden können (z.B. Hieb oder Tritt bei Kampfsportarten). So hat die Rechtsprechung die Kraftanstrengung beim Armdrücken innerhalb der Regeln des Wettbewerbs 380 und die Boxschläge während eines Meisterschaftsturniers,381 aber auch den Endspurt eines 75-Meter-Laufs 382 als nicht plötzlich wirkende Ereignisse angesehen. Wird dagegen – wie hier – grundsätzlich die Alternativität der objektiven und subjektiven Komponente der Plötzlichkeit zugelassen (Rn. 90 ff.), so kommt es auf das Vorliegen des subjektiven Elements nicht an. Es reicht vielmehr aus, dass es sich bei der Wettkampf- oder Trainingssituation um ein kurzes Geschehen handelt. I.E. ist allerdings in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen trotzdem der Unfall i.e.S. zu verneinen. Beim Armdrücken handelt es sich um eine Kraftanstrengung bzw. Eigenbewegung, die ein rein körperinnerer (nicht entschädigungspflichtiger) Vorgang und damit kein von außen wirkendes Ereignis ist,383 sofern nicht äußere Einflüsse (z.B. ein Abrutschen eines der Wettkampfteilnehmer) zumindest mitgewirkt haben. Entsprechendes gilt für den Sprint. Gesundheitsschädigungen im Rahmen der Ausübung des Boxsports werden oftmals nicht unfreiwillig sein (Rn. 143).384 377 378
379
380
Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 40. Henke S. 29 und 42 f. m.w.N. auf die ältere Literatur. S. z.B. OLG Hamburg 7.6.1913 VA 1913 113 f., Nr. 767; a.A. KG 22.3.1933 VA 1933 341, 342 Nr. 2581. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 11; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 40; a.A. OLG Düsseldorf 27.7.1936 VA 1936 238, 239 Nr. 2914. LG Frankfurt/M. 6.5.1993 VersR 1994 588 f.; zu Recht zweifelnd Beckmann/
381 382 383 384
Matusche-Beckmann/Mangen2 § 47 Rn. 12 Fn. 33, da mit einem Oberarmbruch beim Armdrücken nicht notwendig gerechnet werden muss. LG Köln 20.12.1973 VersR 1974 542 f. OLG Schleswig 24.3.1971 VersR 1973 50. LG Frankfurt/M. 6.5.1993 VersR 1994 588, 589. So im Fall des LG Köln 20.12.1973 VersR 1974 542, 543.
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kk) Strahlungen. In den meisten Fällen fehlt es an der Plötzlichkeit der Bestrahlung, so z.B. beim mehrstündigen Sonnenbad der versicherten Person, das zu Hautverbrennungen führt. Anderes gilt dagegen, wenn die versicherte Person Strahlen ausgesetzt ist, die unerwartet stark und in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum auf ihn einwirken.385 Hier ist der Versicherungsschutz indes ausgeschlossen (Ziff. 5.2.2 AUB 99/2008, § 2 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94).
117
ll) Vergiftungen. Bei langsam, allmählich bzw. schleichend wirkenden Vergiftungen wird z.T. das von außen wirkende Ereignis,386 insbesondere aber auch die Plötzlichkeit verneint.387 Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch seien Vergiftungen durch Nahrungsund Genussmittel (z.B. versehentliches Verzehren giftiger Pilze, Zuführung von Giftstoffen durch Dritte mit Speisen oder Getränken), durch Verwechselung oder Überdosierung von Arzneimitteln, durch chemische Mittel sowie Einspritzungen zur Heilbehandlung keine Unfallereignisse. Von einer unfallartigen Vergiftung könne nur gesprochen werden, wenn tierische Stoffe – etwa von Schlangen oder Skorpionen – durch Biss oder Stich in den Organismus eingeführt werden.388 Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Gegen die Differenzierung zwischen schleichend und sofort wirkenden Vergiftungen spricht, dass das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ nicht den schnellen Eintritt der Gesundheitsschädigung verlangt, sondern es allein auf das Ereignis bzw. die Einwirkung auf den Körper (Einspritzung, Schlangenbiss, Essen eines giftigen Pilzes etc.) ankommt (Rn. 82). Insofern ist die Rechtslage mit der bei Gaseinwirkungen (Rn. 110) vergleichbar. Es wäre unverständlich, warum z.B. für ein sofort tödlich, nicht aber für ein schleichend wirkendes Gift ein Unfallereignis angenommen werden sollte. Auch erscheint es willkürlich, bei Tierbissen bzw. -stichen Plötzlichkeit zu bejahen, dagegen bei menschlichen Einwirkungen (z.B. beim Geben einer Spritze) zu verneinen. Das Vorliegen des zeitlichen Elementes der Plötzlichkeit ist allerdings zu verneinen, wenn bei Malerarbeiten giftiger Tetrachlorkohlenstoff, dessen kurzfristiges, wenige Minuten dauerndes Einatmen unschädlich ist, über mehrere Stunden von der versicherten Person aufgenommen und in seinem Körper abgelagert wird.389 Hier entwickelt sich nicht nur die Gesundheitsschädigung langsam (Vergiftung durch langsam anwachsende Konzentration von Giftstoffen im Körper), sondern auch die Einwirkung auf den Körper (wiederholtes Einamten über Stunden) findet allmählich statt.
III. Unfallereignisfolgen 118
Die versicherte Person muss durch das Unfallereignis eine unfreiwillige Gesundheitsschädigung erlitten haben. Der Gesetzgeber hat damit den noch § 180a Abs. 1 a.F. vorgesehenen (antiquierten)390 Begriff „Gesundheitsbeschädigung“ durch „Gesundheitsschädigung“ ersetzt, ohne dass sich daraus materielle Änderungen ergeben. Bereits die Unfalldefinitionen der AUB 61/88/94/99 sprachen nicht von einer „Beschädigung“, sondern „Schädigung“ der Gesundheit. Da insbesondere bereits die AUB 61 den Begriff 385
386 387
Henke S. 55; s.a. RG 21.11.1919 RGZ 97 189 f. (Plötzlichkeit bejaht für Röntgenbestrahlung von 40 Minuten). K. Jannott S. 98. Henke S. 44; zust. Wagner ZVersWiss 1975 619, 644; s.a. OLG Nürnberg 10.5.1929 VA 1929 231, 232 Nr. 1998.
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388 389 390
Henke S. 44. LG Karlsruhe 25.2.1981 VersR 1981 1152. Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 2.
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„Gesundheitsschädigung“ zugrunde legten, überraschte es eher, dass abweichend davon in § 180 a Abs. 1 a.F. noch „Gesundheitsbeschädigung“ formuliert wurde.391 Möglich ist natürlich auch, dass das Unfallereignis – ohne Zwischenstadium – unmit- 119 telbar zum Tod der versicherten Person führt. Streng genommen müsste deshalb § 178 Abs. 2 noch wie folgt ergänzt werden: „… eine Gesundheitsschädigung oder den Tod erleidet“ bzw. „eine Gesundheitsschädigung erleidet oder stirbt“. Diese Korrektur war bereits zu den AUB 61 unbestritten.392 Sie ist wegen ihrer Selbstverständlichkeit auch der Legaldefinition in § 178 Abs. 2 gedanklich hinzuzufügen; zumal der Gesetzgeber den Unfallbegriff, so wie er sich seit Jahrzehnten in der Rechtspraxis bewährt hat, nicht materiell-rechtlich ändern wollte (Rn. 4 f.). 1. Gesundheitsschädigung Die Auslegung des Tatbestandmerkmals „Gesundheitsschädigung“ im Unfallbegriff 120 bereitet in der Regel keine Probleme. a) Abgrenzungen. In den AUB werden neben der Gesundheitsschädigung auch noch 121 weitere Ausdrücke wie z.B. Verrenkungen und Zerrungen (Ziff. 1.4 AUB 99/2008), Tollwut und Wundstarrkrampf (Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008), Bauch- oder Unterleibsbrüche (Ziff. 5.2.7 AUB 99/2008) verwendet. Sie dienen der Präzisierung des allgemeinen Begriffs Gesundheitsschädigung und der Modifizierung der Gefahrbeschreibung.393 Nicht mit der Gesundheitsschädigung als Bestandteil des Unfallbegriffs ist dagegen 122 die Unfallfolge zu verwechseln (Rn. 20 ff.).394 Abzugrenzen sind weiterhin Ereignisse, bei denen kein Personenschaden, sondern lediglich ein Sachschaden eingetreten ist. Sachschäden sind – wie bereits das Tatbestandsmerkmal „auf den Körper“ zeigt (Rn. 37) – vom Unfallversicherungsschutz ausgenommen.395 b) Bedeutung. Eine Gesundheitsschädigung setzt die Beeinträchtigung der körper- 123 lichen Unversehrtheit voraus.396 Darunter ist jede negative Änderung des normalen Gesundheitszustandes im Sinne der medizinischen Wissenschaft und der allgemeinen Volksauffassung zu verstehen.397 Der Wortlaut von § 178 Abs. 2 S. 1 beschränkt sich genauso wenig wie die Unfalldefinitionen in den AUB auf eine äußere Verletzung des Körpers der versicherten Person (Rn. 35). Zu unfallbedingten Gesundheitsschädigungen können folglich auch psychische und nervöse Störungen (z.B. Schreck oder Schock) und deren Folgen gehören.398 Für diese sind indes Ausschlusstatbestände (z.B. § 2 Abs. 4 AUB 94) und Leistungseinschränkungen (§ 10 Nr. 5 AUB 61) zu beachten (näher dazu Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 20 ff.). 391 392
393 394 395
396
Kirsch S. 8. Wagner ZVersWiss 1975 619, 625; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 66; zust. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 46. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 63. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 46; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 60. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 48; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 21; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 59; Wüstney § 2 Anm. 5 B. BGH 19.4.1972 VersR 1972 582 („Der Begriff … ist nicht zu ängstlich zu fassen“);
397 398
Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 46; Henke S. 31; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 64. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 59. OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 46; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 22; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 21; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 178 VVG Rn. 11; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 59; abweichend Henke S. 31 und Wüstney § 2 Anm. 5 A, die eine organische Veränderung in oder am Körper der versicherten Person verlangen.
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Bei der Prüfung, ob eine Gesundheitsschädigung vorliegt, ist ein objektiver Maßstab anzulegen.399 Von der versicherten Person subjektiv empfundene Beeinträchtigungen reichen – gerade für die Beweisführung (Rn. 180) – nicht aus. Auf den Grad der Körperschädigung kommt es nicht an. Er braucht nicht erheblich 125 zu sein. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn eine zunächst harmlose Verletzung die Voraussetzung für weitere auf den Verletzten einwirkende Ursachen (Wundinfektion) schafft.400 Der Begriff Schädigung setzt allerdings eine nachhaltige Beeinträchtigung voraus. So genügt z.B. ein bloßes körperliches oder seelisches Unwohlsein nicht.401 2. Unfreiwilligkeit
126
In den Materialien hat der Gesetzgeber im Anschluss an die VVG-Expertenkommission das Tatbestandsmerkmal „unfreiwillig“ mit den Worten umschrieben, dass die versicherte Person gegen oder ohne ihren Willen zwar nicht notwendigerweise von dem von außen wirkenden Ereignis, wohl aber von der dadurch verursachten physischen oder psychischen Einbuße getroffen werden müsse.402 Der Gesetzgeber hat damit in knappen Worten das bisher auch schon weitgehend in Rechtsprechung und Literatur herrschende Verständnis vom Anwendungsbereich und zur inhaltlichen Bedeutung des Tatbestandmerkmals übernommen.
127
a) Anwendungsbereich des Tatbestandsmerkmals. Aus dem Wortlaut des § 178 Abs. 2 S. 1 und den entsprechenden Regelungen in den Versicherungsbedingungen ergibt sich (unstreitig), dass sich das Merkmal der Unfreiwilligkeit nicht auf das Unfallereignis, d.h. das plötzlich von außen auf den Körper wirkende Ereignis, sondern nur auf die durch das Unfallereignis verursachte Gesundheitsschädigung bezieht.403 Deshalb lässt sich noch nicht (zwingend) auf eine freiwillige Gesundheitsschädigung schließen, wenn die versicherte Person das Unfallereignis grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich herbeigeführt haben sollte bzw. sich einer Gefahr (einem hohen Risiko, Rn. 143 ff.) bewusst ausgesetzt hat.404 Auch aus § 81 (§ 61 a.F.) ergibt sich nichts anderes; denn diese Vorschrift findet nur Anwendung im Bereich der Schadenversicherung, kann aber nicht im Rahmen der Unfallversicherung als Summenversicherung herangezogen werden.405 Führt allerdings
399
400 401 402
403
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 30; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 22; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 21. Henke S. 32; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 22. Henke S. 31; Konen S. 9. Begründung RegE zu § 178 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 107; Begründung zum RefE vom 13.6.2006 S. 154; Abschlussbericht S. 401. S. nur BGH 29.4.1998 VersR 1998 1231, 1232; BGH 12.12.1984 VersR 1985 177, 178; OLG Karlsruhe 16.5.1995 VersR 1996 364; LG Freiburg i. Br. 13.9.1989 VersR 1990 39; Henke S. 33; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 22; Kessal-Wulf RuS 2008 313; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 5 und 15 und § 180a Rn. 1; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 12
108
404
405
und § 180a Rn. 2; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 71; Weyer VersR 1969 300, 305; Wüstney § 2 Anm. 4 A. OLG Karlsruhe 3.3.2005 NJW-RR 2005 679 = RuS 2006 123; OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128, 1129; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 950; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 18; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 15; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 59 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 56. BGH 29.4.1998 VersR 1998 1231, 1232; OLG Celle 19.2.1998 VersR 1999 1403; OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 1041, 1042; OLG Hamm 10.10.1986 RuS 1987 33; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 39; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 25; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 23; Römer/Langheid 2 § 180a Rn. 3.
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der VN bei einer Fremdversicherung für eigene Rechnung (§ 179 Abs. 2) den Unfall der versicherten Person vorsätzlich herbei, sind Leistungen des VR nach § 183 Abs. 1 ausgeschlossen. Des Weiteren muss sich die Unfreiwilligkeit nicht auf die Unfallfolgen erstrecken.406 128 So muss die versicherte Person ihre unfallbedingte Invalidität nicht billigend in Kauf genommen haben. Der Vorsatz muss nur die konkret herbeigeführte Gesundheitsschädigung zumindest in groben Zügen umfassen (Rn. 132). Beurteilungsschwierigkeiten können sich in diesem Zusammenhang ergeben, wenn die Gesundheitsschädigung und die Unfallfolge (vornehmlich Tod der versicherten Person) in einem engen Zusammenhang stehen. Dies trifft etwa auf den Fall zu, dass sich die versicherte Person eine tödliche Dosis Heroin injiziert (Anh. § 178 Rn. 86). Wird allein auf die Vergiftung durch das Heroin abgestellt, reicht es zur Ablehnung von Versicherungsleistungen aus, wenn der VR beweist, dass der Verstorbene sich die Substanz freiwillig gespritzt hat. Der VR muss dagegen auch den Einschluss der Todesfolge in den Vorsatz der versicherten Person beweisen, wenn der Tod als Gesundheitsschädigung bzw. Unfallereignisfolge gewertet wird (Rn. 119). Im Regelfall wird sich der Tod bei Rauschmittelmissbrauch als wesentliche Abweichung vom geplanten Kausalverlauf darstellen (Rn. 137). b) Bedeutung des Tatbestandsmerkmals. Die Interpretation des Tatbestandsmerk- 129 mals „unfreiwillig“ steht in engen Zusammenhang mit der etwa aus dem Strafrecht bekannten Vorsatzprüfung. aa) Freiwilligkeit i.S. von § 24 StGB. Die Definition der „Unfreiwilligkeit“ im Unfall- 130 begriff kann in Anlehnung an den im Strafrecht beim Rücktritt vom Versuch geläufigen Begriff „Freiwilligkeit“ (§ 24 StGB) erfolgen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass sich im Strafrecht die (Un-)Freiwilligkeit auf eine Tat (Verbrechen, ggf. auch Vergehen) bezieht, während es bei der Unfallversicherung auf die (Un-)Freiwilligkeit des Schadens (Gesundheitsschädigung) ankommt. Für beide Rechtsbereiche gilt, dass die Freiwilligkeit subjektiv nach der Vorstellung des Täters bzw. der versicherten Person zu bestimmen ist. Auf den Beweggrund, das Motiv des Betreffenden kommt es nicht an. Ähnlich wie im Strafrecht kann im Versicherungsrecht bei der Prüfung der Freiwilligkeit die Kontrollfrage gestellt werden, ob auf die versicherte Person folgender Leitsatz zutrifft: „Ich (als versicherte Person) will den Eintritt der Gesundheitsschädigung nicht verhindern, selbst wenn ich es könnte.“407 bb) Vorsatzerfordernis. Unfreiwilligkeit deckt sich inhaltlich mit „nicht vorsätz- 131 lich“.408 Dagegen spricht nicht, dass im herkömmlichen Unfallbegriff das Wort „vorsätzlich“ gerade nicht verwendet worden ist. Hintergrund hierfür ist, dass der Freiwilligkeitsbegriff als neutraler empfunden wurde; denn der Vorsatzbegriff bezieht sich üblicher-
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OLG Hamm 12.3.1999 NVersZ 1999 380. Henke S. 32 Fn. 133. OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128, 1129; OLG Karlsruhe 12.2.1975 VersR 1976 183, 185; LG Regensburg VerBAV 1955 220, 221 Nr. 106; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 39; Henke S. 33; Wüstney § 2 Anm. 4 A; s. aber auch Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 69 und
Wagner ZVersWiss 1975 619, 624, der im Hinblick auf § 181 a.F. (jetzt § 183) von einem „vorsätzlich herbeigeführten Unfall“ nur dann spricht, wenn das den Versicherten betreffende, ihn schädigende Ereignis ihm von einem anderen bewusst und gewollt zugefügt worden ist. Der Betroffene selbst könne einen Unfall nicht herbeiführen, sondern allenfalls vortäuschen.
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weise auf das Verschulden für Tätigkeiten gegenüber anderen. Hier geht es aber um die Folgen eines Geschehens (die Gesundheitsschädigung) und um ein „Verschulden der versicherten Person gegen sich selbst“.409 Ausgehend vom Vorsatzbegriff ist Unfreiwilligkeit folglich anzunehmen, wenn die versicherte Person die Gesundheitsschädigung nicht gewollt hat 410 bzw. mit ihr nicht einverstanden war.411 Sie darf die Folgen des Ereignisses weder vorsätzlich noch bedingt vorsätzlich herbeigeführt haben bzw. der Schaden darf weder absichtlich, mit Wissen und Wollen der versicherten Person eingetreten noch von ihr billigend in Kauf genommen worden sein.412 Die Unfreiwilligkeit ist mithin u.a. dann zu verneinen, wenn die versicherte Person in die Verletzung durch einen Dritten einwilligt oder wenn sie sich selbst die Verletzung vorsätzlich beibringt.413 Freiwilligkeit bedeutet m.a.W., dass die versicherte Person den körperschädigenden 132 Einfluss des Ereignisses tatsächlich vorausgesehen und in ihren Willen aufgenommen haben muss.414 Die freiwillige Gesundheitsschädigung kann in einem Tun bzw. Handeln oder Unterlassen bzw. Geschehenlassen bestehen. Entweder muss die versicherte Person die Gesundheitsschädigung (aktiv) bewusst und gewollt herbeigeführt haben oder (passiv) ein Ereignis bewusst auf sich einwirken lassen und die Gesundheitsschädigung dulden, obwohl sie dem (für sie beherrschbaren) Ereignis hätte ausweichen können.415 Wie im Strafrecht reicht für die Annahme eines freiwilligen Verhaltens der versicherten Person neben dem direkten auch der bedingte Vorsatz aus, also dass die versicherte Person die als möglich erkannte Gesundheitsschädigung billigend in Kauf nimmt.416 Dabei muss die konkret verursachte Verletzung nicht in allen Einzelheiten gewollt sein. Ausreichend ist es, dass die Gesundheitsschädigung in dem nicht zu eng zu sehenden Rahmen der Vorstellung des Verletzten bleibt (s. auch Rn. 136).417 Unfreiwilligkeit ist dagegen gegeben, wenn die versicherte Person zwar infolge einer akuten tiefen Depression „Tod und Unglück“ willkommen sind, sie jedoch zur konkreten Gesundheitsschädigung überhaupt keine Vorstellungen hatte, sie z.B. völlig unvorgesehen vom Blitz erschlagen oder von einem Kfz überfahren wird.418
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cc) Unschädlichkeit von Fahrlässigkeit. Die Außerachtlassung der verkehrsüblichen Sorgfalt (einfache Fahrlässigkeit, § 276 Abs. 1 S. 2 BGB) oder die Verletzung der verkehrsüblichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße (grobe Fahrlässigkeit) hinsichtlich des Eintritts der Gesundheitsschädigung schließt die Unfreiwilligkeit dagegen ebenso wenig aus419 wie eine (grob) fahrlässige oder vorsätzliche Herbeiführung der äußeren
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Henke S. 33, insbesondere Fn. 140 RG 21.11.1919 RGZ 97 189. Konen S. 9. BGH 29.4.1998 VersR 1998 1231, 1232; BGH 5.2.1981 VersR 1981 450, 451; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 950. Henke S. 32. Grimm4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 39; zust. OLG Hamm 12.3.1999 NVersZ 1999 380; vgl. auch BGH 12.12.1984 VersR 1985 177, 178 (der Handelnde könne den Vorgang nur dann beherrschen, wenn er dessen Folgen kenne, sich zumindest der Gefährlichkeit seines Tuns hinreichend bewusst sei). Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 70;
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ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 39; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 18; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 58. OLG Hamm 12.3.1999 NVersZ 1999 380; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 39; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 29; Kloth Rn. E 24; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 23. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 19. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 70. BGH 29.4.1998 VersR 1998 1231, 1232; Henke S. 33; K. Jannott S. 98; Wüstney § 2 Anm. 4 A.
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Einwirkung (Rn. 127). Leichtsinnigkeit steht der Unfreiwilligkeit nicht entgegen.420 Sowohl unbewusste Fahrlässigkeit als auch bewusste Fahrlässigkeit421 schadet folglich nicht. Unerheblich ist zum einen, ob der Handelnde den möglichen Eintritt eines Schadens zwar nicht erkannt, ihn aber bei gehöriger Sorgfalt hätte voraussehen und verhindern können. Eine unfreiwillige Gesundheitsschädigung liegt demnach u.a. vor, wenn die versicherte Person eine Arbeit verrichtet, deren Gefährlichkeit allgemein bekannt ist, und dabei (z.B. bei mechanischen Routinetätigkeiten) infolge sinkenden Gefahrbewusstseins oder nachlassender Konzentration eine vorhersehbare Verletzung erleidet.422 Unfreiwilligkeit ist zum anderen auch dann anzunehmen, wenn die versicherte Person sich die Gesundheitsschädigung zwar als möglich vorgestellt bzw. mit ihr gerechnet hat, aber darauf vertraut hat, sie werde sich nicht verwirklichen.423 Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn die versicherte Person ihren Selbstmord mit dem Wunsch demonstriert, an der Durchführung gehindert oder gerettet zu werden.424 c) Einzelfälle. Anknüpfungspunkte für die Lösung von Zweifelsfragen bei der Prü- 134 fung der Unfreiwilligkeit bietet oftmals das Strafrecht. Es gibt dort eine Reihe von Parallelwertungen zum privaten Unfallversicherungsrecht. aa) aberratio ictus. Wie im Strafrecht ist zu unterscheiden, ob eine unwesentliche 135 oder wesentliche Abweichung vom geplanten Kausalverlauf gegeben ist: Liegt eine unwesentliche Abweichung vom geplanten Kausalverlauf vor, bleibt also 136 die erlittene Verletzung in einem nicht allzu eng abzusteckenden Rahmen gegenüber der gewollten Verletzung, so ändert dies nichts an der Freiwilligkeit.425 So liegt z.B. der Fall bei einer gewollten Selbstverstümmelung, wenn sich die versicherte Person den Daumen abhacken will, aber einen anderen Finger oder das Handgelenk trifft.426 Entsprechendes gilt beim fehlgeschlagenen Selbstmord.427 Unfreiwilligkeit ist z.B. zu verneinen, wenn die versicherte Person beim Versuch der Selbsttötung eine Querschnittslähmung erleidet;428 denn selbst schwerste Verletzungen sind als notwendiges Durchgangsstadium vom Vorsatz zur Selbsttötung mit umfasst. Dem entsprechend ist auch im Strafrecht anerkannt, dass der Tötungsvorsatz den Vorsatz zur Körperverletzung einschließt.429 Zwar könnte argumentiert werden, nur der Tod, nicht aber die verbleibende Invalidität sei von der versicherten Person gewollt gewesen. Jedoch ist dem entgegen zu halten, dass sich das Tat-
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Kloth Rn. E 24; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 21; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 60. OLG München 27.10.1983 VersR 1983 127, 128; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 39; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 18; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 23. OLG Hamm 21.2.1990 RuS 1990 395. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 950; OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287; Kloth Rn. E 20; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 42; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 178 VVG Rn. 13; a.A. LG Köln 12.6.1947 NJW 1947/48 304. OLG Hamm 9.12.1988 NJW-RR 1989 493.
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Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 40; Henke S. 33; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 62. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 71; ferner Kloth Rn. E 20. OLG Hamm 12.3.1999 NVersZ 1999 380; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 19; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 42; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 24; offen lassend BGH 29.4.1998 VersR 1998 887, 888. OLG Frankfurt/M. 25.3.1998 NVersZ 1999 325, 326; Manthey NVersZ 2000 161, 162; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 57. BGH 27.7.1988 NJW 1989 596, 597.
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bestandsmerkmal „unfreiwillig“ nur auf die Gesundheitsschädigung und nicht auf die späteren Unfallfolgen erstreckt (Rn. 128).430 Unfreiwilligkeit ist anzunehmen, wenn eine wesentliche Abweichung von der Vorstel137 lung des Verletzten vorliegt.431 Dies trifft auf die Fälle zu, in denen sich die versicherte Person in eine verletzungsgefährdende Situation begeben hat, ihr dabei der Geschehensablauf entgleitet und sie sich erheblich schwerer als beabsichtigt verletzt oder gar getötet wird.432 So ist z.B. Unfreiwilligkeit zu bejahen, wenn der Verletzte sich nicht nur die gewollte Fingerwunde, sondern auch bzw. stattdessen eine ungewollte Beinverletzung zufügt.433 Gleiches gilt, wenn die versicherte Person mit einer Gesundheitsschädigung – z.B. mit der Injektion von Heroin (Anh. § 178 Rn. 86) oder mit dem Würgen bzw. Einatmen eines Gasgemisches434 bei autoerotischen oder sadomasochistischen Handlungen (Anh. § 178 Rn. 95 f.) – einverstanden ist, nicht jedoch mit dem Tod.435 Zwar könnte argumentiert werden, dass in diesen Fällen die versicherte Person das von ihr in Gang gesetzte Geschehen nicht mehr beherrschte und sie deshalb für die unentrinnbare Gesundheitsschädigung einzustehen habe.436 Jedoch bliebe dann unbeachtet, dass für die Prüfung der Unfreiwilligkeit der Vorsatzbegriff maßgeblich ist. Die Unfreiwilligkeit bzw. der Vorsatz bezieht sich auf die Gesundheitsschädigung (Rn. 127 f.) und muss folglich die konkret verursachte Verletzung wenigstens in groben Umrissen umfassen (Rn. 132). Stellt sich die versicherte Person eine geringfügigere Gesundheitsschädigung als tatsächlich eingetreten vor, so mag ihr für die weiterreichenden Gesundheitsschädigungen der Vorwurf (grober) Fahrlässigkeit zu machen sein. Diese reicht indes für die Annahme der Unfreiwilligkeit nicht aus (Rn. 133).
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bb) actio libera/illicita in causa. In Anlehnung an die strafrechtliche actio libera in causa ist eine freiwillige Gesundheitsschädigung anzunehmen, wenn sich die versicherte Person in einen Rauschzustand versetzt, um eine Gesundheitsschädigung zu erleiden. Entsprechendes gilt – wie bei der actio illicita in causa im Strafrecht – für den Fall, dass die versicherte Person einen Dritten bewusst reizt, um von diesem verletzt zu werden.437
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cc) Aufforderung zur Gesundheitsverletzung. Freiwilligkeit ist anzunehmen, wenn die versicherte Person einen Dritten (ernsthaft und nicht nur spielerisch oder im Rahmen eines Rituals, s.a. Anh. § 178 Rn. 96) auffordert oder sonst veranlasst, sie zu verletzen. Dies gilt auch für den Fall, dass die tatsächlich eingetretene Körperschädigung nicht mit dem Willen der versicherten Person übereinstimmt. Um die Unfreiwilligkeit auszuschließen reicht der allgemeine Vorsatz aus, eine Gesundheitsschädigung herbeizuführen.438 Anderes gilt erst dann, wenn es zu einer wesentlichen Abweichung von den Vorstellungen des Verletzten kommt (Rn. 137).
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OLG Hamm 12.3.1999 NVersZ 1999 380; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 19; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 66. Henke S. 33. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 24. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 19; a.A. Manthey NVersZ 2000 161, 162; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 57; wohl auch Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 29.
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OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128, 1129. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 25; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 12. Manthey NVersZ 2000 161, 162 f. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 40; Henke S. 32 Fn. 133. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 57.
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dd) Geistes- oder Bewusstseinsstörung. Zwar ist Unfreiwilligkeit für Selbstmorde 140 oder Selbstverstümmelungen gegeben, die im Zustand einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung begangen werden.439 Jedoch ist der Versicherungsschutz dann regelmäßig ausgeschlossen (Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61),440 sofern der VR die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes beweisen kann. Insofern besteht eine Abweichung zur Lebensversicherung. Dort bleibt die Leistungsverpflichtung des VR bestehen, wenn (was der Anspruchsteller zu beweisen hat) 441 die Selbsttötung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist (§ 169 S. 2 a.F.). War die versicherte Person der Unfallversicherung nur eingeschränkt zurechnungsfähig, so ist Freiwilligkeit zu bejahen, wenn sie mit natürlichem Vorsatz handelte, d.h. von der gesundheitsschädlichen Wirkung der Handlung wusste.442 Versicherungsschutz besteht dagegen, wenn die versicherte Person die Selbstverstümmelung oder den Selbstmord in einem Zustand der Geistes- oder Bewusstseinsstörung begeht, der seinerseits Folge eines Unfallereignisses ist.443 Letzteres hat der Anspruchsteller zu beweisen.444 ee) Rettungstaten. Fraglich ist, wie Fälle zu behandeln sind, in denen die versicherte 141 Person die Möglichkeit einer Gesundheitsschädigung bewusst in Kauf nimmt, um schlimmere Folgen für sich oder andere zu verhüten, also ihre Gesundheit oder ihr Leben riskiert, um sich rechtmäßig zu verteidigen oder Menschenleben zu retten. Klassisches Beispiel ist etwa der Erwachsene, der in ein brennendes Haus rennt und dabei in vollem Bewusstsein Brandwunden in Kauf nimmt, um ein Kind zu retten. „An sich“ ist hier Freiwilligkeit zu bejahen, da bedingter Vorsatz gegeben ist.445 Solche Fälle sind indes selten. Meist wird der Retter auch bei riskanten oder gefährlichen Aktionen die Hoffnung haben, ohne Schäden davon zu kommen. Sollte tatsächlich einmal bedingter Vorsatz festgestellt werden können, so gelten Rettungstaten dennoch als „unfreiwillig“.446 Über dieses Ergebnis bestand bereits bei den Verfassern der AUB 61 Einigkeit, auch wenn sich hierzu kein Hinweis im Unfallbegriff findet.447 Statt einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung haben die VR eine entsprechende Verpflichtung aufgrund einer geschäftsplanmäßigen Erklärung übernommen,448 die zwar im Verhältnis VN und VR zivilrechtlich nicht einklagbar ist, jedoch vom VN mittelbar (aufsichtsrechtlich) über eine Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde durchgesetzt werden kann (näher Vorbem. § 178 Rn. 70 ff.).449 Damit wird i.E. das Ziel verfolgt, ein in höchstem Maße sozialadäquates Verhalten zu „belohnen“.450
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443
Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 56; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 9. OLG Karlsruhe 30.4.1993 VersR 1994 81; OLG Karlsruhe 12.2.1975 VersR 1976 183, 185; OLG Saarbrücken 25.11.1987 ZfS 1988 24, 25; LG Koblenz 14.1.1983 VersR 1983 1054, 1055; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 74. Hansen Beweislast S. 195. OLG Karlsruhe 12.2.1975 VersR 1976 183, 185; OLG Saarbrücken 25.11.1987 ZfS 1988 24, 25; LG Koblenz 14.1.1983 VersR 1983 1054 f.; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 40. RG 5.6.1934 JRPV 1934 197; Grimm § 1, Rn. 40; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 73.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 56. Bruck/Möller/Wagner8 Bd. VI 1 Anm. G 71; Henke S. 34; Manthey NVersZ 2000 161, 163. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 40; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 23; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 50; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 68. Grewing Entstehungsgeschichte S. 13. VerBAV 1958 235 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 35. Manthey NVersZ 2000 161, 163.
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Als „Rechtfertigung“ lässt sich zum einen – wenn auch nicht ganz zwingend – anführen, dass die versicherte Person in solchen Fällen regelmäßig unter einem moralischen oder seelischen Zwang steht.451 Zum anderen dient das Tatbestandsmerkmal „unfreiwillig“ dazu, die Fälle der Selbstverstümmelungen und Selbsttötungen vom Schutz der Unfallversicherung auszunehmen, bei denen die versicherte Person sich unberechtigt eine Gegenleistung des VR verschaffen will bzw. das Ziel verfolgt, sich (wenn nicht sogar betrügerisch und mit krimineller Energie) Versicherungsleistungen zu erschleichen. Eine solche Intention fehlt bei der versicherten Person, die sich rechtmäßig verteidigt oder Menschenleben retten will. Ihre Situation ist vielmehr vergleichbar mit dem Zustand der Notwehr bzw. des rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstandes gemäß §§ 32 ff. StGB. Zwar geht es im Strafrecht um den Schutz von fremden Rechtsgütern und nicht um selbstschädigendes Verhalten. Jedoch wird in §§ 32 ff. StGB einer Konfliktsituation des Täters Rechnung getragen, der auch die versicherte Person unterworfen ist, die im Interesse anderer Rechtsgüter eigene Gesundheitsschäden bewusst in Kauf nimmt. Bei solchen Ausnahmesachverhalten werden verständige Vertragsparteien unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebensauffassung (Rn. 15) den Unfall nicht aufgrund einer schematischen Betrachtung verneinen wollen. Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung. Nach dem allgemeinen zivilrechtlichen Begriffsverständnis entfällt der Vorsatz, wenn der Täter (hier die versicherte Person) die tatsächlichen Voraussetzungen des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes angenommen hat.452
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ff) Risikobereitschaft. Kontrovers lassen sich die Fälle diskutieren, in denen die versicherte Person sich bewusst und gewollt einem hohen Risiko aussetzt. Hier verläuft die Grenze zwischen (bedingtem) Vorsatz und (bewusster) Fahrlässigkeit fließend. Genauso wie im Strafrecht kann es hier zu schwierigen Wertungsfragen kommen. Eine Vermutung dafür, dass die versicherte Person die Gesundheitsschädigung angesichts einer erkennbar hohen Gefährlichkeit billigend in Kauf genommen hat, besteht nicht (Rn. 199).453 Anderenfalls würde die versicherte Person zum bedingten „Selbstverstümmler“ bzw. „Selbstmörder“ gestempelt. Vielmehr bleibt es der Bewertung des Einzelfalls überlassen, ob das Risiko so hoch war, dass den Angaben der versicherten Person kein Glauben mehr geschenkt werden kann, sie sei davon ausgegangen, die Gefahr meistern zu können.454 Zumindest wird eine Risikobereitschaft der versicherten Person die vom VR anzuführende Indizienkette für ein freiwilliges Verhalten untermauern können (Rn. 202 ff.). Je höher die objektive Unfallgefahr ist, umso leichter fällt die Annahme, dass die versicherte Person die Gefährlichkeit ihres Verhaltens erkannt und eine Gesundheitsbeschädigung allgemein in Kauf genommen hat.455 Dies gilt insbesondere dann, wenn das Ziel der bewusst und gewollt ausgeübten Tätigkeit die gewaltsame Auseinandersetzung ist, die Zufügung und Erduldung von Gesundheitsschäden der Aktivität der versicherten Person also geradezu immanent ist.456 I.E. ist es deshalb gerechtfertigt, z.B. Freiwilligkeit bei einer versicherten Person anzunehmen, die an organisierten Boxmeisterschaften teilnimmt. Wenn die versicherte Person trotz der Kenntnis von den Risiken für ihre Gesundheit den Boxkampf bestreitet, handelt sie zumindest mit bedingtem Vorsatz. Jeder Teilnehmer solcher Veranstaltungen muss zwangsläufig damit rechnen, dass auch er Hiebe
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Henke S. 34. BGH 14.1.1958 VersR 1958 361, 362. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 39; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 56.
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van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 61. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 18. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 57.
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vom Gegner erhalten wird.457 Entsprechendes gilt für sonstige Zweikämpfe bzw. Kampfsportarten.458 Unfreiwilligkeit ist weiterhin zu verneinen, wenn ein fechterfahrenes Mitglied einer schlagenden Verbindung eine Mensur schlägt und unter Einhaltung der Kommentregeln Verletzungen erleidet.459 Nicht ausreichend zur Begründung der Freiwilligkeit ist es, wenn die versicherte Per- 144 son (bewusst) fahrlässig handelt (Rn. 133). Dies gilt etwa für Sportler, die als Segelflieger oder Bergsteiger Höhenrekorde bzw. als Taucher Tiefenrekorde brechen wollen und darauf vertrauen, aufgrund ihrer körperlichen Konstitution, Leistungsfähigkeit, Erfahrung oder ihres Könnens die allgemein bekannten Risiken für ihre Gesundheit meistern zu können, mithin aufgrund einer (vermeidbaren) Fehlvorstellung davon ausgehen, eine Extremsituation bzw. Gefahrenlage beherrschen zu können (s.a. Rn. 105).460 Entsprechendes kommt für autoerotische Handlungen in Betracht (s.a. Anh. § 178 Rn. 95 f.).461 Der Versicherungsschutz ist in solchen Fällen nur dann gefährdet, wenn die versicherte Person die Gesundheitsschädigung bewusst herbeiführt oder zumindest billigend in Kauf nimmt.462 So liegt z.B. der Fall, wenn ein Wissenschaftler den Selbstversuch ständig steigert, um die Grenze der Gesundheitsschädigung herauszufinden.463 Hier kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass die versicherte Person eine Situation bloß unterschätzt bzw. seine Fähigkeiten überschätzt hat. Zweifelhaft ist dagegen, ob Freiwilligkeit angenommen werden kann, wenn die 145 versicherte Person auf der Flucht vor Hoheitsträgern verletzt oder getötet wird (s.a. Rn. 112). Der Fliehende wird in der Regel eine Verletzung nicht in Kauf nehmen, sondern darauf hoffen, unverletzt zu entkommen.464 gg) Schuldfähigkeit. Wird „unfreiwillig“ mit „nicht vorsätzlich“ gleichgesetzt 146 (Rn. 131), so ist – wie für jede Verschuldensform – auch Schuldfähigkeit notwendig. Neben Geistes- und Bewusstseinsstörungen (Rn. 140) ist auch an den Fall zu denken, dass ein Minderjähriger eine Selbstverstümmelung oder Selbsttötung begeht. Hier ist Unfreiwilligkeit nur dann anzunehmen, wenn der Jugendliche analog § 828 Abs. 3 BGB nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Dies hat der Anspruchsteller darzulegen und zu beweisen.465 hh) Vorsatzänderung. Fraglich ist, wie die Sachverhalte zu beurteilen sind, bei denen 147 anfängliche Freiwilligkeit feststeht, der Handelnde jedoch im weiteren Geschehensablauf seinen Entschluss zur Selbstverstümmelung oder Selbsttötung wieder aufgegeben hat, also „zurücktritt“. Hier ist zu differenzieren: Obwohl die versicherte Person während des 457
458 459 460
LG Köln 20.12.1973 VersR 1974 542, 543; Manthey NVersZ 2000 161, 163; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 57; a.A. Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 19; Rüffer/ Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 13; zweifelnd Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 39. S. bereits K. Jannott S. 97 („bedarf keiner besonderen Erwähnung“). LG Frankfurt/M. 12.9.2003 RuS 2004 473 f. OLG München 27.10.1983 VersR 1983 127, 128; zust. Prölss/Martin/Knapp-mann 27 § 1 AUB 94 Rn. 21; Manthey NVersZ 2000 161, 162 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 56.
461 462 463 464
465
LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910, 911. Konen S. 9. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 40; s.a. Kloth Rn. E 25. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 29; im Ansatz auch LG Köln 12.6.1947 NJW 1947/48 304, das aber i.E. trotzdem „Freiwilligkeit“ annimmt und offenbar bewusste Fahrlässigkeit ausreichen lässt; a.A. OLG Düsseldorf 27.7.1936 VA 1936 238, 239 Nr. 2914; Manthey NVersZ 2000 161, 163. OLG Koblenz 30.5.1996 RuS 1998 215.
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
Geschehensablaufs ihren Willen geändert hat, liegt Freiwilligkeit vor, wenn eine ursprünglich gewollte Gesundheitsschädigung unaufhaltsam bzw. unentrinnbar eintritt, also die versicherte Person sich dem in Gang gesetzten Geschehen nicht mehr entziehen kann, weil sie es nicht mehr zu beherrschen vermag.466 Das Risiko, die einmal freiwillig mit dem Vorsatz der Gesundheitsschädigung bzw. der Selbsttötung in Gang gesetzte Kausalkette später nicht mehr bremsen zu können, geht zu Lasten der versicherten Person.467 Der bloße Sinneswandel oder der „rein mental erklärte Rücktritt“ reicht nicht aus, Unfreiwilligkeit zu begründen.468 Zum einen hängt die Gewährung von Versicherungsschutz nicht von der Vorstellungskraft der versicherten Person ab (s.a. Rn. 101), zumal ansonsten die Gefahr bestünde, dass versicherte Personen nach fehlgeschlagenen Selbstmorden mit schweren Schädigungen versuchen würden, über eine behauptete Willensänderung eine Leistung des VR zu erreichen. Zum anderen wird kein verständiger VN erwarten, dass die Versichertengemeinschaft auch für Fälle einsteht, in denen die versicherte Person freiwillig eine unabänderliche Gefahrensituation für sich herbeigeführt hat, mag sie ihren Entschluss auch während des unaufhaltsamen Geschehensablaufs geändert haben.469 Hat die versicherte Person dagegen eine noch vorhandene Möglichkeit genutzt, die verhängnisvolle Kausalkette zu unterbrechen, und tritt der Gesundheitsschaden dann aus anderen, nicht beeinflussbaren Ursachen ein, so ist Unfreiwilligkeit anzunehmen.470 Dies gilt z.B. für den Fall, dass die versicherte Person sich in Selbstmordabsicht auf Bahngleise legt, es sich im letzten Moment anders überlegt, aufspringt, aber dann doch überfahren wird, weil sich etwa der Fuß verklemmt hat.471
IV. Kausalität zwischen dem Unfallereignis und der unfreiwilligen Gesundheitsschädigung 148
Zwischen dem plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkenden Ereignis und der unfreiwilligen Gesundheitsschädigung muss ein logisch naturwissenschaftlicher, grundsätzlich unmittelbar zeitlicher 472 (nicht „plötzlicher“, Rn. 82) und rechtlich erheblicher Kausalzusammenhang bestehen.473 Dieser Zusammenhang, der hier als anspruchs- bzw. haftungsbegründende Kausalität bezeichnet wird,474 ist abzugrenzen von der haftungsausfüllenden Kausalität, d.h. dem Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und den Unfallfolgen (§ 180 Rn. 28 ff.).475
466 467 468
469 470
KG 19.5.2000 VersR 2001 1416, 1417; Schubach ZfS 2005 224, 225. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 40; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 24. OLG Frankfurt/M. 25.3.1998 NVersZ 1999 325, 326; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 24; Manthey NVersZ 2000 161, 162. OLG Frankfurt/M. 25.3.1998 NVersZ 1999 325, 326. Schwintowski/ Brömmelmeyer § 178 VVG Rn. 38; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 140; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 24; Römer/Langheid 2 § 180a Rn. 2; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 66.
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471 472 473 474 475
KG 19.5.2000 VersR 2001 1416, 1417. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 6; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 62. OLG Celle 20.7.1978 VersR 1979 51. So auch die Begriffsbestimmung durch das OLG Koblenz 9.10.1998 VersR 2000 218. Andere Begriffsbildung bei Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 85 und 88, der mit dem Wort „einwirken“ im Unfallbegriff die haftungsbegründende Kausalität verbindet und den Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung oder Tod als haftungsausfüllende Kausalität definiert.
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§ 178
1. Ausgangsursache Die für den Unfallbegriff maßgebliche Kausalkette beginnt mit der unmittelbarn oder 149 mittelbaren Einwirkung auf den Körper der versicherten Person. a) Unmittelbare Einwirkung. Maßgebende „Ausgangsursache“ ist (grundsätzlich) das- 150 jenige Ereignis, das den Schaden unmittelbar ausgelöst hat.476 Liegt ein mehraktiger Unfall vor, d.h. wirken mehrere Unfallereignisse zeitlich nebeneinander oder kurz hintereinander zusammen und lösen die Gesundheitsschädigung aus, so handelt es sich nur um einen Unfall.477 Kausalität ist ohne Weiteres zu bejahen. Beispiele hierfür sind Gesundheitsschädigungen durch mehrere Schläge oder durch kurz nacheinander folgendes Überfahrenwerden. Davon zu trennen sind die im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes zu prüfenden Fälle, in denen ein Erstunfall abgeschlossen ist und es später zu einem zweiten Unfall kommt, der zu einer Verschlimmerung der Unfallfolgen (Invalidität) führt. Hier stellt sich die Frage, ob die Folgen des Zweitunfalls dem Erstunfall zuzurechnen sind (§ 180 Rn. 30 ff.). Unerheblich für die Kausalitätsprüfung innerhalb des Unfallbegriffs sind die Fakto- 151 ren, die das Unfallereignis ausgelöst haben, die sog. Unfallursachen. Sie können nur im Rahmen der Prüfung von Versicherungsausschlüssen Bedeutung erlangen. Wären sämtliche zur Gesundheitsschädigung führenden Umstände bereits in die Prüfung des Unfallereignisses einzubeziehen, so wäre der ausdrückliche und detaillierte Ausschluss bestimmter Geschehensabläufe in den AUB unnötig.478 Die Beweislast würde darüber hinaus in unzulässiger Weise vom VR auf den VN verlagert (Rn. 177). Beginnt z.B. ein Fußgänger über die Straße zu laufen, weil sich ihm Fahrzeuge nähern, und stolpert er dann über die Bordsteinkante, wodurch er sich eine Fußverletzung zuzieht, so sind nicht die herannahenden Fahrzeuge, sondern ist das Umknicken an der Bordsteinkante die entscheidende Ursache für die Verletzung.479 Entsprechendes gilt u.a. beim Tod durch Ertrinken, wenn der entkräftete Schwimmer im Wasser versinkt, weil sich die Außenverhältnisse (Wind, Wellengang) überraschend verändern (Anh. § 178 Rn. 62). Ist etwa Alkoholeinfluss zu vermuten, so ist dies ausschließlich im Rahmen eines Ausschlussgrundes zu berücksichtigen. b) Mittelbare Einwirkung. Aufgrund wertender Betrachtung kann es in bestimmten 152 Fällen auch ausreichen, wenn die Gesundheitsschädigung mittelbar herbeigeführt wird (s. bereits Rn. 48 ff.).480 So ist Kausalität gegeben, wenn in einer mehrgliedrigen Kausalkette zunächst ein äußeres – allerdings auf den Körper und nicht nur auf das Umfeld der versicherten Person wirkendes – Ereignis (Rn. 49 ff.) eine unfallbedingte Erregung (Schock) hervorgerufen hat und anschließend diese psychische oder seelische Belastung zu einer Gesundheitsschädigung führt.481 Erforderlich und ausreichend ist, dass zwischen
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477 478 479
BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 80; OLG Hamm 11.6.1975 VersR 1976 336; OLG Stuttgart 22.1.1987 VersR 1987 355; LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76; LG Heidelberg 15.3.1983 VersR 1984 651; Eichelmann VersR 1972 411, 412; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 6. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 62. Eichelmann VersR 1972 411, 413. OLG Hamm 11.6.1975 VersR 1976 336 f.
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481
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 23; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 13. BGH 19.4.1972 VersR 1972 582 f. (zust. OLG Hamm 23.1.1991 RuS 1991 286, 287); OLG Düsseldorf 25.6.1963 VersR 1964 130, 131; OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843; ferner BGH 24.3.1976 VersR 1976 851, 852; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 21.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
den Teilakten Unfallereignis, Schock und Gesundheitsschädigung jeweils Kausalität gegeben ist. Dafür spricht u.a. eine unmittelbare zeitliche Aufeinanderfolge.482 In Betracht kommt bei solchen Fallgestaltungen indes die Anwendung eines Ausschlusstatbestandes (Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008, § 2 Abs. 4 AUB 88). Des Weiteren sind Gesundheitsschäden kausal, bei denen zwar in einem ersten Akt der Körper der versicherten Person nicht geschädigt, diese aber in eine so hilflose Lage gebracht wird, dass sie in einem zweiten Akt körperschädigenden Einflüssen ohne Ausweichmöglichkeit ausgesetzt ist (Rn. 58 ff.). 2. Beurteilungsmaßstab (Adäquanztheorie)
153
Die anspruchsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Unfallergebnis ist nach einhelliger Meinung anhand der Adäquanztheorie zu ermitteln,483 d.h., das Unfallereignis muss im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sein, die Gesundheitsschädigung herbeizuführen.484 Im Wege einer nachträglichen Prognose sind neben den der versicherten Person bekannten Umständen alle einem optimalen Betrachter bzw. Idealbeobachter im Moment des Unfalls erkennbaren Gegebenheiten zu berücksichtigen.485 Darüber hinaus muss zum Zeitpunkt der Beurteilung das gesamte zur Verfügung stehende Erfahrungswissen herangezogen werden.486 Der Kausalzusammenhang entfällt nicht bereits dadurch, dass sich die Gesundheitsschädigung erst geraume Zeit nach dem Ereignis bemerkbar macht (Rn. 84).487 Auch Spätfolgen können selbst dann entschädigungspflichtig sein, wenn die versicherte Person bereits scheinbar wieder genesen war.488 Umgekehrt kann allein aus einem zeitlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung nicht auf einen Kausalzusammenhang geschlossen werden.489 Die Adäquanz fehlt bei der Unfallneurose (s.a. Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 5). Bei ihr 154 führt ein objektiv harmloses Ereignis ohne Schädigung wegen der subjektiven Fehlverarbeitung durch die versicherte Person und wegen deren Einbildung zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung.490 Eine soziale Adäquanz ist dagegen nicht erforderlich. Es spielt also keine Rolle, ob 155 das Verhalten, das zu der Gesundheitsschädigung geführt hat, von der Allgemeinheit, einer Mehrheit oder nur einer Minderheit der Menschen praktiziert oder gebilligt wird. Kausalität ist folglich auch z.B. bei riskanten autoerotischen oder masochistisch-autoerotischen Handlungen gegeben (Anh. § 178 Rn. 97). 482
483
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OLG Düsseldorf 25.6.1963 VersR 1964 130, 131; OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843. S. nur OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1694 = RuS 2010 29, 30; OLG Hamburg 7.12.1951 VersR 1952 19, 20; LG Berlin 18.6.2002 RuS 2005 343; ferner OGH 17.10.2007 VersR 2008 1563, 1564; Schwintowski/ Brömmelmeyer § 178 VVG Rn. 26; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 18; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 70; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 82 und 88. BGH 14.3.1985 NJW 1986 1329, 1331 (zum Zurechnungszusammenhang zwischen
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485 486
487 488 489 490
Amtspflichtverletzung und Schaden); KG 19.12.2003 RuS 2005 33, 34; OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1544, 1545; Kloth Rn. E 33; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 28. OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774. BGH 15.10.1971 VersR 1972 67, 69 (zur Prüfung eines Schadensersatzanspruchs); Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 49. Henke S. 35. Wüstney § 2 Anm. 5 C. OLG Köln 1.2.1990 RuS 1991 356. Henke S. 35; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 23.
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§ 178
3. Mitwirkung unfallfremder Ursachen Nach allgemeiner Auffassung genügt (adäquate) Mitursächlichkeit.491 Die Mitwir- 156 kung unfallfremder Umstände lässt m.a.W. die Kausalität nicht entfallen.492 Dies gilt insbesondere für körperliche Anlagen, Gebrechen oder Krankheiten, die die unfreiwillige Gesundheitsschädigung zusammen mit einer von außen kommenden Einwirkung beeinflusst, beschleunigt oder gar erst ermöglicht haben (Rn. 42). In Betracht kommt in solchen Fällen aber, dass der Mitwirkungstatbestand in den AUB (s.a. § 182) eingreift. Die rechtliche und medizinische Beurteilung, ob haftungsbegründende Kausalität gegeben ist und – wenn wenigstens Mitursächlichkeit des Unfallereignis für die Gesundheitsschädigung zu bejahen ist – welcher Anteil an der Gesundheitsschädigung und der Unfallfolge unfallbedingt oder unfallfremd ist, bereitet oftmals erhebliche Schwierigkeiten.493 Der Kausalzusammenhang wird häufig verneint, wenn und soweit die äußere Einwir- 157 kung als sog. Gelegenheitsursache zu bewerten ist.494 Praktisch relevant werden kann dies z.B. bei Bandscheibenschäden (Anh. § 178 Rn. 18), Rotatorenmanschettenrupturen oder Meniskus- und Achillessehnenrissen nach degenerativen Veränderungen (Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 3). Dem Ausschluss der Gelegenheitsursache ist zuzustimmen, sofern diese mit einem Geschehen definiert wird, das lediglich eine bereits (vollständig) bestehende Gesundheitsschädigung sichtbar werden lässt.495 Steht fest, dass die Gesundheitsschädigung ausschließlich auf ein degeneratives Grundleiden zurückzuführen ist bzw. der Unfall lediglich den bereits vollständig latent vorbestehenden Gesundheitsschaden klinisch manifestiert, so ist die Kausalität zu verneinen.496 Soll aber mit dem aus dem Sozialversicherungsrecht stammenden Begriff „Gelegenheitsursache“ (Vorbem. § 178 Rn. 59) auch ein Unfallereignis umschrieben werden, das eine vorhandene (u.U. sogar ganz erhebliche) Beeinträchtigung vollendet,497 so ist dies abzulehnen, und zwar selbst dann, wenn jede andere beliebige Ursache den Schaden ebenfalls hätte hervorrufen können bzw. die Schädigung durch innerkörperliche Vorgänge vorprogrammiert war und der Schaden durch ein Unfallereignis nur „zufällig“ schon früher eingetreten ist. Hypothetische Kausalität schadet der versicherten Person nicht (Rn. 158). Mitursächlichkeit i.S.d. Adäquanzlehre ist vielmehr auch dann zu bejahen ist, wenn ein Unfallereignis lediglich der Tropfen ist, der das randvoll gefüllte Fass zum überlaufen bringt.498 In welchem Umfang das Unfallereignis die Gesundheitsschädigung hervorgerufen haben muss, ob es überwiegend, prägend, bedeutend sein muss oder nur minimal sein kann, wird im Unfall-
491
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493 494
S. nur OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1694 = RuS 2010 29, 30; OGH 17.10.2007 VersR 2008 1563, 1564; Hoenicke RuS 2009 206, 207; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 31; Kloth Rn. E 32; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 28; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 178 VVG Rn. 18; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 70. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 50; Henke S. 34; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 45; Wüstney § 2 Anm. 6 C. S. dazu die eingehend erörterten Fallbeispiele bei Gaidzik S. 54 ff. S. etwa OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1694 = RuS 2010 29, 30;
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OLG Frankfurt/M. 24.11.1993 RuS 1995 199; OLG Köln 1.2.1990 RuS 1991 356; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 18. BGH 24.3.1976 VersR 1976 851, 852. KG 22.6.2001 RuS 2002 525; LG Berlin 17.8.1999 RuS 2002 525; s.a. LG Heidelberg 5.9.2008 RuS 2009 517, 519; AG Gladbeck 27.11.2004 RuS 2009 477. So etwa OLG Dresden 8.10.2007 RuS 2008 432, 433; LG Kiel 18.8.2007 RuS 2007 517, 518; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 50; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 29. Lehmann S. 49; Reichenbach S. 133.
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begriff nicht geregelt. Das Verhältnis zwischen (degenerativer) Vorerkrankung und Unfall wird in den AUB an anderer Stelle, nämlich bei der Einschränkung der Leistungspflicht (Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61; s.a. § 182) festgelegt. In der praktischen Anwendung kann die Entscheidung des Meinungsstreits indes häufig offen bleiben; denn in Grenzfällen kann die Mitwirkungsklausel zu einer Leistungskürzung um 100 % führen.499 Hypothetische Kausalverläufe haben auf die Kausalitätsprüfung keinen Einfluss.500 158 Für die versicherte Person ist es unschädlich, wenn auch andere Umstände früher oder später zum gleichen Schaden geführt hätten (sog. Reserveursachen, überholende Kausalität).501 Wird z.B. ein Schwerstkranker von einem PKW angefahren und dabei getötet, so ist es für die Leistungsverpflichtung des VR unerheblich, dass der Verletzte am nächsten Tag ohnehin an der unheilbaren Krankheit verstorben wäre. Die Unfallversicherung ist eine Summen- und keine Schadenversicherung (Vorbem. § 178 Rn. 36 ff.). Folglich hat die Auszahlung auch dann zu erfolgen, wenn ein Vermögensschaden des VN durch den Unfall nicht eingetreten ist.502 Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheits159 schädigung ist dann zu verneinen sein, wenn die Gesundheitsschädigung der versicherten Person allein von unfallfremden Umständen abhängig ist, die nach dem Unfallereignis eingetreten sind und es zu einer Unterbrechung des unfallbedingten Kausalzusammenhangs gekommen ist. Fälle, in denen wenigstens eine Mitursächlichkeit des Unfallereignisses ausscheidet, werden indes selten zu Auseinandersetzungen zwischen den Vertragspartnern führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Begriff Gelegenheitsursache (Rn. 157) eng ausgelegt wird und Reserveursachen im Rahmen der anspruchsbegründenden Kausalität für unbeachtlich gehalten werden (Rn. 158). So führen etwa ärztliche Kunstfehler bei der Behandlung des Unfallverletzten grundsätzlich nicht zu einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, mögen sie auch noch so gravierend sein.503 Anderes gilt erst dann, wenn der Arzt sämtliche Regeln der ärztlichen Kunst in einem Maße außer Acht gelassen hat, dass der eingetretene Schaden seinem Handeln bei wertender Betrachtung allein zugeordnet werden muss.504 Ansonsten ist für den Versicherungsschutz das Eingreifen von Ausschlusstatbeständen bedeutsam (Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008). Ähnliches gilt, wenn die versicherte Person ihre Heilung vorsätzlich verhindert oder verzögert.505 Hier entfällt nicht der Kausalzusammenhang, wohl kann aber eine Obliegenheitsverletzung gegeben sein (Ziff. 7.1 AUB 99/2008) bzw. die allgemeine Schadensminderungspflicht aus § 242 BGB eingreifen.
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500 501
So in den Fällen des OLG Köln 20.12.2006 VersR 2007 1689 = RuS 2007 516 517 oder LG Kiel 18.8.2007 RuS 2007 517, 518. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 28. OLG München 28.12.1984 VersR 1986 910 (zur haftungsausfüllenden Kausalität); Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 50; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 31; Kloth Rn. E 34; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1
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AUB 94 Rn. 24; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 94; a.A. Wüstney § 2 Anm. 5 C. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 63. So beiläufig OGH 17.10.2007 VersR 2008 1563, 1564; a.A. Wüstney § 2 Anm. 5 C. Kloth Rn. E 35; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 30. A.A. Wüstney § 2 Anm. 5 C.
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D. Spezielle AVB Der Unfallbegriff ist mit Ausnahme der Unfreiwilligkeitsvermutung dispositiv (s.a. 160 Rn. 3 und 5).
I. Erweiterung des Unfallbegriffs § 178 Abs. 1 eröffnet den Vertragsparteien ausdrücklich die Möglichkeit, auch andere 161 Ereignisse einem Unfall gleich zu stellen. Für die Rechtspraxis ergeben sich daraus keine Veränderungen. Dem VR stand es selbstverständlich auch schon vor der VVG-Reform 2008 frei, neben der Unfallgefahr weitere Risiken zu decken.506 So enthalten die Bedingungen traditionell schon mit Ziff. 1.4 AUB 99/2008, § 1 Abs. 4 AUB 88/94, § 2 Nr. 2 AUB 61 einen erweiterten Unfallbegriff bzw. eine Unfallfiktion. Ein weiteres Beispiel bilden die „Besonderen Bedingungen für die Versicherung von tauchtypischen Gesundheitsschäden in der Unfallversicherung (BB Tauchunfälle 99)“.507
II. Abweichungen vom Unfallbegriff Des Weiteren sind abweichende Vereinbarungen zu § 178 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 162 möglich. § 191 steht dem nicht entgegen, da dort halbzwingendes Recht nur für § 178 Abs. 2 S. 2 vorgesehen ist. Danach ist es den Vertragsparteien unbenommen, den Unfallbegriff je nach Art der Versicherung zu ergänzen oder abzuändern. Es können weitere Tatbestandsmerkmale aufgenommen oder auch gestrichen werden. So war u.a. die Unfreiwilligkeit nach bisherigem Recht nicht zwingende Voraussetzung für den Unfallbegriff.508 Darüber hinaus können in den Vertragsregelungen Klarstellungen, d.h. Erläuterungen 163 der primären Risikobeschreibungen, aufgenommen werden. Sie sind allerdings ein problematisches Instrument der Gefahrbeschreibung. Drücken sie z.B. etwas zu Selbstverständliches aus, so kann die Folge sein, dass die „gut gemeinte“ Klarstellung zu einer ihrem Zweck zuwiderlaufenden, den Gefahrenbereich verändernden Auslegung herausfordert.509 Dies war auch ein Grund dafür, die in den AUB 61 vorgesehenen Grenzfälle nicht in den AUB 88 beizubehalten (Rn. 12). Wie bisher ist es auch weiterhin möglich, Risikoausschlüsse in den AVB oder dem 164 jeweiligen Individualvertrag vorzusehen (s.a. Ziff. 5 AUB Rn. 22 und 30),510 auch wenn die in solchen Klauseln bezeichneten Vorgänge alle Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllen. Voraussetzung für die Verwendung von vorformulierten Klauseltexten, die der VR den VN für eine Vielzahl von Verträgen stellen möchte, ist natürlich, dass die Vor-
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 16. Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 148. BGH 5.2.1981 VersR 1981 450, 451 (zu § 12 Abs. 1 II 3 AKB); BGH 15.6.1970 VersR 1970 753 (für die „FlusskaskoPolice“); Hansen Beweislast S. 200; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 6;
509 510
Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 2; a.A. OLG Hamburg 9.11.1981 VersR 1983 431, 433 f. (zu den AVB für Wassersportfahrzeuge – AVBW). Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 19. Begründung RegE zu § 178 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 107; Abschlussbericht S. 401.
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gaben des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen gewahrt werden. Die Rechtsprechung ist hier streng und setzt hohe Maßstäbe an (Vorbem. Ziff. 1 AUB Rn. 82 ff.).
III. Regelung der Unfreiwilligkeitsvermutung 165
Unzulässig ist es, die Vermutung für die Freiwilligkeit in § 178 Abs. 2 S. 2 zum Nachteil des VN oder der versicherten Person zu regeln (§ 191). Den Gesetzesmaterialien ist zwar zu entnehmen, dass § 191 die Vorgängervorschrift des § 180 a Abs. 2 a.F. unverändert übernehmen sollte.511 Eine Abweichung besteht jetzt jedoch insofern, als es noch in § 180 Abs. 2 a.F. „Betroffener“ und nicht wie in § 191 „VN oder versicherte Person“ heißt. Diese Neuformulierung hat materiell-rechtliche Auswirkungen: Mit „Betroffener“ in § 180a Abs. 2 a.F. war die Gefahrperson gemeint.512 Nachteilige Regelungen sind gegenüber der versicherten Person nur möglich, wenn sie Rechte aus dem Unfallversicherungsvertrag ableiten kann. Dies ist indes nur bei der Fremdversicherung für fremde Rechung (§ 179 Abs. 1 S. 2 n.F., § 179 Abs. 2 a.F.) der Fall,513 nicht aber bei der Fremdversicherung für eigene Rechnung (§ 179 Abs. 2 n.F., § 179 Abs. 3 a.F.). Hatte also der VN die Unfallversicherung auf die Person eines anderen für eigene Rechnung abgeschlossen, so war § 180a Abs. 2 a.F. abdingbar.514 Diese Möglichkeit verwehrt die Neuformulierung in § 191 jetzt dadurch, dass nachteilige Vereinbarungen nicht nur gegenüber der versicherten Person (dem „Betroffenen“), sondern auch gegenüber dem VN ausgeschlossen sind.
E. Verfahrensfragen 166
Es gelten grundsätzlich die allgemeinen prozessualen Regeln. Eine Besonderheit ergibt sich für die Unfallversicherung aus § 178 Abs. 2 S. 2. Diese Vorschrift, die § 180a Abs. 1 a.F. unverändert übernimmt, enthält eine gesetzliche Vermutung für die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung.
I. Beweislastverteilung 167
Mit Ausnahme des Kriteriums der „Unfreiwilligkeit“ hat der VN den Unfall (Unfallereignis und die daraus resultierenden Unfallereignisfolgen) sowie die Unfallfolgen nebst Kausalität darzulegen und zu beweisen. 1. Beweislast des VN
168
Wer einen Anspruch aus dem Unfallversicherungsvertrag geltend macht, hat grundsätzlich die Tatbestandsmerkmale zu beweisen, die Voraussetzungen des Anspruchs sind. Es gilt auch in Versicherungsangelegenheiten der feststehende Grundsatz, dass der
511 512 513
Abschlussbericht, S. 406. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 17. A.A. offenbar Römer/Langheid 2 § 180a Rn. 8, der Abdingbarkeit bei allen Versicherungsverträgen annimmt, bei denen der VN nicht auch versicherte Person ist.
122
514
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 17; a.A. Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 19 unter Berufung auf den Sinn und Zweck des § 180 a Abs. 1 a.F.
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§ 178
Anspruchserhebende die rechtserzeugenden Tatsachen zu beweisen hat, soweit ihm nicht das Gesetz durch Aufstellung von Vermutungen oder der Gegner durch ein Geständnis entgegenkommt.515 Der Anspruchssteller (der VN bzw. dessen Rechtsnachfolger, ebenso der Bezugsberechtigte) ist folglich beweisbelastet für den Eintritt des Versicherungsfalls, d.h. dafür, dass ein Unfallereignis (das plötzlich von außen wirkende Ereignis) – während der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages bzw. im versicherten Zeitraum – stattgefunden hat, die Ereignisfolgen (die unfreiwillige Gesundheitsschädigung) eingetreten sind, wobei Unfreiwilligkeit vermutet wird (Rn. 191 ff.), und zwischen Unfallereignis und der unfreiwilligen Gesundheitsschädigung anspruchsbegründende Kausalität gegeben ist.516 Darüber hinaus hat er zu beweisen, dass die Unfallfolgen (z.B. Tod oder Invalidität) vorliegen, ggf. welches Ausmaß die Unfallfolgen haben (z.B. welcher Invaliditätsgrad anzunehmen ist) und dass der Versicherungsfall die Unfallfolgen herbeigeführt hat (haftungsausfüllende Kausalität, § 180 Rn. 51 ff.). Für den Eintritt des Versicherungsfalls sowie das Vorliegen der Unfallfolgen als 169 solche, ihre Ausgestaltung und ihre Dauerhaftigkeit (§ 180 Rn. 44 ff.) hat der Anspruchsteller den Vollbeweis (§ 286 ZPO) anzutreten. Die haftungsausfüllende Kausalität ist dagegen nach allgemeiner Meinung nach § 287 Abs. 1 ZPO zu beurteilen (§ 180 Rn. 53 ff.). Weiterhin kommt die Beweiserleichterung des § 287 ZPO für die Beurteilung des Ausmaßes der Unfallfolgen (insbesondere die Höhe des anzusetzenden Invaliditätsgrades) zur Anwendung (§ 180 Rn. 50). Über die Beweiserleichterung des § 287 ZPO und die Beweislastumkehr nach § 178 170 Abs. 2 S. 2 hinaus kommen dem Anspruchsteller keine weiteren Beweiserleichterungen zugute.517 Das Gesetz sieht für ihn keine weiteren Erleichterungen vor. Einen Anscheinsbeweis oder tatsächliche Vermutungen gibt es für den Nachweis der einzelnen Unfallmerkmale (jedenfalls grundsätzlich) nicht.518 Dieses Ergebnis verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben519 oder § 307 BGB.520 Zwar kann die Art des Versicherungszweigs nahe legen, dass die Vertragsparteien nach ihrer Interessenlage eine Verschiebung des Eintrittsrisikos zugunsten des VN wollten und bedingungsgemäß vereinbart haben, so dass daraus – wie für Entwendungsfälle in der Sachversicherung (Einbruchdiebstahl- und Kraftfahrversicherung) – Beweiserleichterungen resultieren. In der Unfallversicherung gibt es jedoch für eine solche Betrachtung keinen Anlass. Anders als beim Entwendungsgeschehen ist der Anspruchsteller in der Regel bei einem Unfallgeschehen nicht von vornherein und unabwendbar in Beweisnot. Selbst bei einem Unfalltod kann durch eine
515 516
So bereits RG 3.10.1899 RGZ 44 149, 151. S. nur BGH 23.9.1992 VersR 1992 1503, 1504 = NJW 1993 201; BGH 19.12.1990 NJW-RR 1991 539 = RuS 1991 143 (LS); BGH 18.2.1987 VersR 1987 1007; BGH 22.6.1977 VersR 1977 736; OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1694 = RuS 2010 29, 30; OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1228; OLG Frankfurt/M. 27.3.2008 RuS 2009 32; OLG Karlsruhe 21.10.2004 DAR 2005 29, 30; OLG Koblenz 3.3.2005 VersR 2005 1425 = NJW-RR 2005 1390, 1391 = RuS 2006 297; OLG Köln 12.6.1995 VersR 1996 620; OLG Saarbrücken 8.10.2003 NJW-RR 2004
517
518 519 520
186, 187; OLG Stuttgart 30.4.1998 VersR 1999 1228; ferner OGH 17.10.2007 VersR 2008 1563, 1564; Schwintowski/ Brömmelmeyer § 178 VVG Rn. 29 und 41; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 9; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 235; Römer/Langheid 2 § 180a Rn. 1. BGH 18.2.1987 VersR 1987 1007; OLG Stuttgart 21.12.1990 VersR 1992 306; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 45; Römer/Langheid 2 § 179, Rd. 18; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 55. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 33. RG 3.10.1899 RGZ 44 149, 150 f. OLG Karlsruhe 5.9.1996 RuS 1997 85.
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
Obduktion hinreichende Klärung gebracht werden.521 In Betracht kommt lediglich, dass die Parteien (ausnahmsweise) eine Beweiserleichterung für den Anspruchsteller vereinbaren. Die AUB geben hierfür indes keinen Anhaltspunkt.522 2. Beweislast des VR
171
Der VR hat ggf. die Vermutungsregel des § 178 Abs. 2 S. 2 zu entkräften. Darüber hinaus hat er die Voraussetzungen eines Risikoausschlusses, einer Vorinvalidität bzw. einer Leistungseinschränkung zu beweisen (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32, Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 332 und § 182).
II. Beweis des Unfalls 172
Der Anspruchsteller hat nicht nur den Nachweis für den Eintritt des Versicherungsfalls, also das Vorliegen eines Unfallereignisses und einer Gesundheitsschädigung sowie des haftungsbegründenden Kausalzusammenhang, sondern auch den Nachweis dafür zu erbringen, dass der Unfall während der Wirksamkeit des Vertrages bzw. materiellen Versicherungsdauer eingetreten ist.523 Daran fehlt es u.a., wenn der Tod der versicherten Person bereits vor dem Unfallereignis eingetreten ist, also z.B. die versicherte Person vor ihrem Sturz an vorhandenen Organveränderungen gestorben ist.524 Diese Frage tritt häufig in Zusammenhang mit den Fällen auf, in denen unklar ist, ob ausschließlich körperinnere Umstände die Gesundheitsschädigung hervorgerufen haben oder von außen auf den Körper der versicherten Person wirkende Ereignisse zumindest mitursächlich waren (Rn. 188). Für den Beweis des Unfalls gilt der Maßstab des § 286 ZPO; zu fordern ist mithin der Vollbeweis.525 1. Nachweis des Unfallereignisses
173
Der Anspruchsteller ist darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen eines Unfalls, d.h. eines Ereignisses, das plötzlich von außen auf den Körper des Versicherten einwirkt.526 Kann der Anspruchsteller seiner Beweislast nicht nachkommen, so ergeht eine Entscheidung zu seinen Ungunsten. Die vom Anspruchsteller zu nehmenden Hürden sind indes im Allgemeinen nicht sehr hoch.527
521 522 523
524 525
BGH 18.2.1987 VersR 1987 1007. So i.E. für die AUB 88 OLG Karlsruhe 5.9.1996 RuS 1997 85. BGH 30.4.2008 VersR 2008 905, 906 Rn. 23 = NJW-RR 2008 1062, 1064 = RuS 2008 336, 338; RG 25.5.1937 RGZ 155 103, 105 = VA 1937 189 f. Nr. 2997. S. etwa OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1545. S. nur BGH 23.9.1992 VersR 1992 1503, 1504 = NJW 1993 201; OLG Hamm 15.8.2007 VersR 2008 249, 250 = NJW-RR 2008 279, 280 = RuS 2007 518; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 314.
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526
527
OLG Dresden 15.6.1933 VA 1933 356 f. Nr. 2594; OLG Düsseldorf 27.11.1997 NVersZ 1999 524; OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525; OLG Oldenburg RuS 2000 304; OLG Stuttgart 29.9.1994 VersR 1997 176; OLG Zweibrücken 11.6.1982 VersR 1984 578; Knappmann NVersZ 2002 1; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 25; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 33. RG 23.3.1934 VA 1934 22 f. Nr. 2677; OLG Karlsruhe 23.1.1989 VersR 1990 772; LG Flensburg 8.4.2005 VersR 2005 1418, 1419 = RuS 2006 32; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 45.
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§ 178
a) Rückschluss von der Gesundheitsschädigung auf das Unfallereignis. Regelmäßig 174 gelingt dem Anspruchsteller der Nachweis dafür, ob überhaupt ein Unfallereignis statt gefunden hat, ohne größere Schwierigkeiten, da sich das Unfallereignis in den meisten Fällen bereits schlüssig und zwanglos aus dem Verletzungsbild ergibt bzw. erklären lässt (zum Tod durch Ertrinken Anh. § 178 Rn. 66 ff.).528 Häufig genügen die nachvollziehbare („schlüssige“) Schilderung des Ablaufs und die Darstellung der diagnostizierten Verletzungen bzw. des Verletzungsmusters; die einzelnen Ursachen und der genaue Verlauf des Unfalls brauchen dagegen nicht bewiesen zu sein (Rn. 177 f.). Lässt sich allerdings – bei objektiver Betrachtung (subjektive Wahrnehmungen der 175 versicherten Person sind ungenügend) – aus der Art und Weise der Gesundheitsschädigung der versicherten Person nicht schlüssig das Unfallereignis ableiten, so muss der Anspruchsteller die erforderlichen Nachweise anderweitig beibringen.529 Dazu ist es zunächst notwendig, dass der Anspruchsteller das Unfallereignis als solches (z.B. den Sturz, Aufprall oder Zusammenstoß) genau bezeichnet; denn nur dann wird der VR in die Lage versetzt, sich zum Vorliegen des Versicherungsfalls sachgerecht zu äußern und ggf. das Unfallereignis substantiiert zu bestreiten. Des Weiteren ist im Streitfall der Strengbeweis gemäß § 286 ZPO (Rn. 169 f.) zu erbringen. Der Beweis eines irgendwie gearteten äußeren Bildes reicht nicht aus.530 So gibt es keinen Anscheinsbeweis dafür, dass derjenige, der auf dem Boden liegend aufgefunden wird, zuvor gestürzt ist.531 Genauso wenig erlaubt z.B. allein eine Platzwunde am Kopf – ohne weitere erkennbare Verletzungen – noch nicht die Schlussfolgerung, die versicherte Person sei vom Fahrrad gestürzt.532 Ferner kann nicht von einem Treppensturz ausgegangen werden, wenn die versicherte Person ohne weitere äußere Verletzungszeichen (z.B. Hämatome oder Abschürfungen) bewusstlos am Fuße der Treppe liegend vorgefunden wird.533 Gerade bei Eigenbewegungen (Rn. 63 ff.) reichen verkürzte Schilderungen des Unfall- 176 verlaufs nicht aus, das Unfallereignis schlüssig zu begründen. Hier darf der VR eine sorgfältige Dokumentation erwarten; denn oftmals entscheiden winzige Details darüber, ob ein versicherter Unfall vorliegt oder das Unfallereignis zu verneinen ist.534 Überspitzt kann formuliert werden: Durch geschickten Vortrag lässt sich die rechtliche Bewertung des Ereignisses als Unfall manipulieren.535 Dem VR ist deshalb zu empfehlen, frühzeitig eine ausführliche Unfallschilderung einzufordern, um gegen spätere „Nachbesserungen“ des Anspruchstellers gewappnet zu sein.536 Hat z.B. der Anspruchsteller in seiner ersten Schadenanzeige zunächst eine bloße Eigenbewegung der versicherten Person geschildert (Aufwärm- bzw. Laufbewegung beim Handball) und behauptet er erst nach entsprechendem rechtlichen Hinweis des VR eine Fremdeinwirkung (Behinderung der versicherten Person durch Mitspielerin beim Sprungwurf), so muss er sich an seiner ersten Sachverhaltsdarstellung festhalten lassen, wenn er die spätere Vortragsänderung nicht überzeugen erklären kann.537 Für die Beweisführung des Anspruchstellers reicht es aus, wenn sich die Verletzung nur durch eine Einwirkung von außen plausibel erklären lässt und alternative Geschehensabläufe ausscheiden, z.B. weil es aus sachverständiger Sicht keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Umknicken der versicherten Person beim Fußballspie-
528 529 530 531 532 533
Appl/Müller VersR 2000 427, 428. LG Lüneburg 22.6.1990 VersR 1991 916. Knappmann NVersZ 2002 1. LG Heidelberg 22.2.1995 RuS 1995 356. LG Hamburg 13.7.1995 RuS 1997 393 (LS). LG Paderborn 3.3.1994 RuS 1994 317.
534 535 536 537
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 21 mit Beispielen; Schubach ZfS 2005 224. Wagner ZVersWiss 1975 619, 629. Knappmann RuS 2007 45, 47; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 41. AG Darmstadt 21.8.2008 VersR 2009 1112.
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len (ohne Berücksichtigung der vom Anspruchsteller behaupteten Unebenheit des Bolzplatzes) nur auf einer inneren Ursache beruhen kann.538
177
b) Unerheblichkeit der Unfallursache. Der Anspruchsteller muss weder die Ursache des Unfallereignisses (Unfallursächlichkeit) 539 noch den konkreten Unfallverlauf darlegen bzw. beweisen540 oder gar Beweis dafür antreten, dass bestimmte Ausschlusstatbestände nicht vorliegen.541 Die Frage, worauf das die Gesundheitsschädigung auslösende Ereignis (Unfallursache) zurückzuführen ist, kann zwar für die einzelnen Ausschlüsse bedeutsam sein. Für deren Vorliegen ist jedoch der VR beweispflichtig (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32). Steht z.B. fest, dass der Versicherte infolge eines Sturzes einen Beinbruch erlitten hat, und streiten die Parteien über die Ursachen des Sturzes (Trunkenheit), so ist der Versicherte seiner Darlegungs- und Beweislast für den Sturz und den dadurch verursachten Beinbruch nachgekommen. Der VR ist dagegen für das Vorliegen der Trunkenheit beweispflichtig.542 Will der VN sich allerdings nicht dem Vorwurf einer Aufklärungspflichtverletzung 178 aussetzen, so muss er plausibel erklären, weshalb er keine näheren Angaben zum Unfallhergang machen kann.543 Kann der VR nachweisen, dass der Versicherte entgegen seinen Angaben Kenntnis von dem Unfallgeschehen hat, so verliert der Versicherte wegen Obliegenheitsverletzung seinen Anspruch.544
179
c) Unzulässiges Bestreiten durch den VR. Das Bestreiten des Unfallereignisses durch den VR kann unter bestimmten Voraussetzungen unbeachtlich sein. Nach dem auch im Prozessrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ist ein Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium anzunehmen, wenn der VR einerseits vorprozessual auf die vom Anspruchsteller angebotene Beweiserhebung (z.B. Autopsie zum Nachweis des Unfalltodes) verzichtet, andererseits aber prozessual das Vorliegen eines Unfallereignisses bestreitet. Ein solches Verhalten kann darüber hinaus als Beweisvereitelung mit der Folge zu werten sein, dass für den Anspruchsteller zumindest eine Beweiserleichterung gilt. Darüber hinaus kann die Beweisvereitelung aber auch eine Umkehrung der Beweislast nach sich ziehen, so dass analog § 178 Abs. 2 S. 2 zugunsten des Anspruchstellers bis zum Beweis des Gegenteils durch den VR von einem Unfallereignis auszugehen ist.545
538
539
540
OLG Hamm 15.8.2007 VersR 2008 249, 250 = NJW-RR 2008 279, 280 = RuS 2007 518. OLG Köln 12.6.1995 VersR 1996 620; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 25. RG 19.4.1932 VA 1932 245 Nr. 2439; RG 17.12.1912 VA 1913 55, 56 Nr. 737; OLG Düsseldorf 27.11.1997 NVersZ 1999 524; LG Flensburg 8.4.2005 VersR 2005 1418, 1419; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 45; a.A. OLG Düsseldorf 4.12.1956 VersR 1957 282, 283; Wussow WI 1998 173 f.
126
541
542 543 544 545
BGH 22.6.1977 VersR 1977 736; OLG Köln 5.10.1989 RuS 1989 415, 416; Knappmann NVersZ 2002 1. OLG Köln 12.6.1995 VersR 1996 620. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 25. Knappmann NVersZ 2002 1 m.w.N. LG Bautzen 20.10.1994 VersR 1996 366, 367; ferner Kloth Rn. H 15; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 40 und 188; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 10.
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2. Nachweis der Gesundheitsschädigung Das Vorliegen der Gesundheitsschädigung bedarf des vollen Beweises gemäß § 286 180 ZPO durch den Anspruchsteller (Rn. 169).546 Hierzu sind objektiv (Rn. 124) medizinische Feststellungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst notwendig.547 Unproblematisch ist der Beweis geführt, wenn sich bei objektiver Betrachtung positive Befunde erheben lassen. Fehlen solche, so kann ein Gutachter ggf. nur aufgrund allgemeiner medizinischer Erfahrungssätze die Gesundheitsschädigung begründen. Allgemeine Annahmen erlangen aber nur dann Beweiswert, wenn sie auf anerkannten und herrschenden Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft beruhen.548 Ansonsten geht die Nichtbeweisbarkeit des Körperschadens zu Lasten des Anspruchstellers. Eine Beweislastentscheidung gegen ihn ergeht auch dann, wenn die versicherte Person sich gesundheitlich geschädigt fühlt (denn maßgebend ist, ob sie es ist)549 oder nach dem Unfall subjektiv über Beschwerden oder Schmerzen klagt, die vor dem Unfall nicht vorhanden waren.550 Solche Konstellationen treten häufig bei einem HWS-Schleudertrauma nach einem Verkehrsunfall auf. Hier wird darüber hinaus der Beweis der Ursächlichkeit des Unfallereignisses (der Muskelanspannungen und Kopfdrehungen) für die Gesundheitsschädigung (die HWS-Distorsion) 551 und die Dauerschädigung (insbesondere Invalidität als Unfallfolge) 552 sowie der Ausschlusstatbestand der „psychischen Reaktionen“ zu thematisieren sein (Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 51). 3. Nachweis der anspruchsbegründenden Kausalität Die Beweislast für den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis 181 und der Unfallereignisfolge (Gesundheitsschädigung) trägt der Anspruchsteller.553 Steht nach der Beweisaufnahme fest, dass das vom Geschädigten geschilderte oder vermutete Geschehen für die konkret eingetretene Gesundheitsschädigung nicht kausal sein kann, so ergeht eine Entscheidung gegen den beweisbelasteten Anspruchsteller.554 Ebenso zu
546
547
548 549 550
551
OLG Düsseldorf 3.6.2003 RuS 2005 300; KG 19.12.2003 RuS 2005 33; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 45; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 44. KG 19.12.2003 RuS 2005 33, 34; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 46; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 22; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 21; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 69. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 45. KG 19.12.2003 RuS 2005 33, 34; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 22. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 45 und 46; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 21. Eingehend zur Beweisführung mit medizinischen sowie unfallanalytischen und biomechanischen Gutachten (u.a. auch zur Bedeutung der medizinischen Erstuntersuchung nach einem Verkehrsunfall und Frage der „Harmlosigkeitsgrenze“ bei
552 553
554
geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen) s. etwa BGH 8.7.2008 RuS 2008 397, 398 f. Rn. 8 ff. mit Anm. Lemcke; BGH 3.6.2008 NJW-RR 2008 1380 f. Rn. 11 ff. = RuS 2008 395, 396 mit Anm. Lemcke; Jaeger VersR 2006 1611 ff. m.w.N. S. z.B. LG Augsburg 6.10.2005 RuS 2007 72, 73. OLG Dresden 16.6.2008 RuS 2008 433, 434; OLG Dresden 8.10.2007 RuS 2008 432, 433; LG Berlin 18.6.2002 RuS 2005 343. Beispielsfälle bei OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1228 f.; KG Berlin 4.3.2003 RuS 2004 210, 211; OLG Koblenz 19.4.2004 RuS 2005 37; OLG Köln 11.12.1995 RuS 1997 130; OLG Köln 1.2.1990 RuS 1991 356; LG Bochum 3.3.2004 RuS 2005 37; LG Essen 1.6.2003 RuS 2004 164 f.
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entscheiden ist, wenn im Rahmen der Beweiswürdigung offen bleibt, welche von mehreren möglichen Ursachen letztlich für die Gesundheitsschädigung verantwortlich ist und wenigstens eine der verbleibenden Alternativen den VR nicht verpflichten würde.555 So ist z.B. die Behauptung des VN, durch einen dicht an seinem Ohr explodierenden Feuerwerkskörper ein Knalltrauma mit der Folge eines vollständigen Gehörverlustes erlitten zu haben, nicht nachgewiesen, wenn der Schalldruckpegel einer Knallkörperexplosion nach sachverständiger Auskunft nicht ausreicht, ein Knalltrauma auszulösen, die typischen Symptome eines Knalltraumas wie ein kurzer stechender Ohrenschmerz, ein starkes kontinuierliches Ohrgeräusch i.S.e. Tinnitus, eine Schwerhörigkeit fehlen sowie charakteristische anatomisch nachweisbare Veränderungen nicht objektivierbar sind. Es kommen dann für den totalen Hörverlust auch andere Ursachen als das Knalltrauma (z.B. Durchblutungsstörungen, Infektionen und Stoffwechselerkrankungen) in Betracht.556 Der Anspruchsteller hat dagegen den Kausalitätsbeweis geführt, wenn zur Überzeugung des Tatrichters (Rn. 182) feststeht, dass als Ursache für die Gesundheitsschädigung nur solche Geschehensabläufe ernsthaft in Betracht kommen, die den Unfallbegriff erfüllen bzw. andere denkbare Ursachen als ein Unfallereignis ausscheiden.557 Ausreichend ist es, wenn das Unfallereignis neben unfallfremden Umständen zumindest mitursächlich war.
182
a) Beweismaßstab. Anders als bei der haftungsbegründenden Kausalität findet § 287 ZPO auf die anspruchsbegründende Kausalität keine Anwendung. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und Unfallereignisfolge (Gesundheitsschädigung) genügt nicht.558 Vielmehr muss der Anspruchsteller im Streitfall den Vollbeweis gemäß § 286 ZPO dafür erbringen, dass die Gesundheitsschädigung (bzw. der Tod) auf das Unfallereignis zurückzuführen ist (Rn. 169 f.).559 Wie auch sonst bei der Anwendung des § 286 ZPO ist zwar keine an Sicherheit grenzende, absolute oder unumstößliche Wahrscheinlichkeit für die Ursächlichkeit erforderlich, sondern es genügt bereits ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet.560 Diese Gewissheit kann jedoch nicht bereits angenommen werden, wenn der medizinische Sachverständige die Wahrscheinlichkeit eines unfallbedingten Schlaganfalls mit (nur) 70 % und die eines spontanen Schlaganfalls mit 30 % ansetzt.561 Im Rahmen der nach § 287 ZPO zu prüfenden haftungsausfüllenden Kausalität mag diese Quote ausreichen, sie genügt aber nicht, (Rest-) Zweifel im Rahmen des § 286 ZPO auszuräumen. Wird in der praktischen Anwendung auch die haftungsbegründende Kausalität (unter Umgehung des § 286 ZPO) i.E. nach § 287 ZPO beurteilt, so führt dies eine nicht gerechtfertigte und unangemessene Beweiserleichterung zu Lasten der VR für den Anspruchsteller herbei (vgl. Rn. 170).
555 556 557
558 559
S. etwa KG 19.12.2003 RuS 2005 33, 34 f. LG Amberg 17.12.2007 RuS 2009 345 f. BGH 22.6.1977 VersR 1977 736; LG Neubrandenburg 5.6.1997 RuS 1998 304; Knappmann NVersZ 2002 1; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 25; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 18. OLG Frankfurt/N. 7.8.2002 RuS 2004 79 (zust. Marlow RuS 2004 353, 360 f.). S. nur OLG Koblenz 11.9.2003 VersR 2004 504, 505; OLG Koblenz 12.12.2002 RuS 2003 429, 430; OLG Koblenz 9.10.1998
128
560
561
VersR 2000 218; LG Freiburg 20.5.1996 RuS 1997, 85 f. BGH 8.7.2008 RuS 2008 397, 398 Rn. 7; BGH 3.6.2008 NJW-RR 2008 1380 Rn. 7 f. = RuS 2008 395; OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1694 = RuS 2010 29, 30; OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230; OLG Koblenz 10.5.2002 VersR 2002 1412, 1413; Marlow RuS 2005 357, 363; ders. RuS 2004 353, 359 f. So aber OLG Koblenz 13.11.1998 VersR 2000 219, 220.
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§ 178
b) Beweisführung. Für die Beweisführung reicht es nicht aus, dass überhaupt ein 183 Unfallereignis und eine Gesundheitsschädigung vorliegen; denn allein aus diesen Umständen lässt sich nicht folgern, die Gesundheitsschädigung sei durch das Unfallereignis verursacht. Es kommt durchaus häufiger vor, dass Unfallgeschehen (z.B. Sturz von einer Treppe und Anstoß des Hinterkopfes gegen einen Heizkörper) Hand in Hand mit dem Versagen innerer Körperfunktionen auftreten562 oder innere Vorgänge (Herzinfarkte, Schlaganfälle usw.) Ereignisse provozieren, die den Anschein eines Unfalls erwecken (Rn. 188 ff.).563 Erforderlich ist vielmehr der Vortrag von konkreten Tatsachen, aus denen sich der Kausalzusammenhang ergibt; Mutmaßungen genügen nicht.564 Im Streitfall ist der Ursachenzusammenhang positiv festzustellen, was in der Praxis regelmäßig durch Sachverständigengutachten geschieht. Der Erfolg der Beweisführung wird hier oftmals von einer möglichst frühzeitigen Sicherung der Diagnose abhängen.565 So können abschließende Feststellungen zu einer Todesursache oftmals nur durch eine Obduktion getroffen werden.566 Besondere Probleme ergeben sich fernerhin, wenn eine Primärverletzung übersehen wurde. Hier müssen folgende Indizien geprüft und festgestellt werden: • Ein entsprechender Vorschaden muss hinreichend sicher ausgeschlossen werden können (unbelastete Altanamnese). • Der Unfallhergang muss die Verursachung der geklagten Verletzung prinzipiell möglich erscheinen lassen (Eignung des Ereignisses). • Das Nichterkennen der Primärverletzung muss plausibel begründbar sein. • Eine spätere Schädigung (z.B. durch ein weiteres – nicht versichertes – Unfallereignis) muss ausgeschlossen sein.567
Ein Anscheinsbeweis kann (ausnahmsweise bzw. theoretisch) die Beweisführung des 184 Anspruchstellers erleichtern. Dazu ist jedoch nach allgemeinen Grundsätzen erforderlich, dass ein Tatbestand vorliegt, bei dem der vom Anspruchsteller behauptete Ursachenzusammenhang typischerweise gegeben bzw. die ausschließliche Ursächlichkeit körperinnerer Vorgänge zu verneinen ist (s.a. Rn. 199).568 Dahingehende allgemeine Erfahrungssätze sind kaum vorstellbar und dürften zumindest selten sein. So besteht kein Erfahrungswert dafür, dass • cerebrale Blutungen aus Gefäßmissbildungen durch ein Trauma verursacht werden. • eine Gehirnblutung typische Folge des Aufpralls eines herunterfallenden Truhendeckels auf den Kopf der versicherten Person sein muss. Konnte die versicherte Person nach dem Zusammenstoss noch im Wesentlichen schmerzfrei Rasenmähen und Spazierengehen, ist eine spontane Gehirnblutung nicht mit der nötigen Gewissheit auszuschließen.569 • ein in Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall erlittener Herzinfarkt nur auf eine besondere mit extremen Stress verbundene Verkehrssituation zurückzuführen ist, die eine erhöhte Hormonausschüttung bewirkt hat.570 Auch besteht kein Anscheinsbeweis dafür, dass der 20 Minuten nach einem Auffahrunfall infolge Herzinfarkts eingetretene Tod auf einen Unfallschock zurückzuführen ist.571
562 563 564 565 566 567
S. z.B. OLG Koblenz 25.2.2000 NVersZ 2000 379. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 45. LG Berlin 18.6.2002 RuS 2005 343, 344. Janssen ZVersWiss 1983 121, 131 (zum plötzlichen Herztod). OLG Frankfurt/M. 7.8.2002 RuS 2004 79; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 40. Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115, 116 f.
568 569 570 571
OLG Hamm 23.1.1991 RuS 1991 286 f.; OLG Köln 1.12.1988 RuS 1989 100, 101. LG Dortmund, Urt. v. 22.1.2009 – 2 O 255/06. LG Aachen 30.6.2006 RuS 2006 429; zust. Marlow RuS 2007 353, 354. OLG Köln 1.12.1988 RuS 1989 100 (LS).
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
• der Fahrer bei einem Aufprall seines Pkw gegen ein Hindernis (z.B. Baum) noch gelebt haben muss und erst der Aufprall zu seinem Tod geführt hat; denn es sind auch Fälle denkbar, in denen der Fahrer durch einen Infarkt bereits zum Zeitpunkt des Aufpralls tot gewesen ist und der Aufprall gerade darauf zurückzuführen ist, dass die versicherte Person naturgemäß die Herrschaft über das Fahrzeug verloren hat.572 • ein Hirninfarkt typischerweise als Folge äußerer Gewalteinwirkung auftritt.573
Vielmehr wird das Fehlen äußerer Verletzungen wie Hämatome oder Prellungen eher gegen die Kausalität des Unfallereignisses für die Gesundheitsschädigung sprechen.574 Selbst wenn eine Möglichkeit wahrscheinlicher ist als die andere, reicht dies nicht aus, um Kausalität im Wege des Anscheinsbeweises anzunehmen.575 185 Gibt es keine Anhaltspunkte für die Ursache eines Verkehrsunfalls (z.B. fehlende Bremsspuren), so spricht dies ebenfalls eher für unfallfremde (körperinnere) Einflüsse.576 Bei Schlussfolgerungen aus Unfallursachen ist allerdings Vorsicht geboten. Unterlassener bzw. lückenhafter Vortrag zu den Unfallursachen bzw. fehlende Nachweismöglichkeiten der Unfallursachen gehen grundsätzlich nicht zu Lasten des dafür nicht beweisbelasteten Anspruchstellers (Rn. 177 f.). Kommen aber als Ursache für eine Gesundheitsschädigung sowohl unfallfremde Umstände als auch ein Unfallereignis in Betracht, so können im Rahmen einer Gesamtwürdigung vorhandene Erkenntnisse zu den Unfallursachen zur Abrundung bzw. im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle herangezogen werden.
186
c) Ausschließliche Ursächlichkeit körperinnerer Vorgänge. Kein Anspruch aus der Unfallversicherung besteht, wenn für die Gesundheitsschädigung mehrere Ursachen, d.h. neben dem Unfallereignis alternativ auch rein unfallfremde Umstände (körperinnere Vorgänge) in Betracht kommen.577 Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit oder dergleichen für ein von außen wirkendes Geschehen reicht nicht aus, um die alternativ mögliche Kausalität einer Krankheit auszuschließen (s.a. Rn. 170).578 Mangelnde Aufklärbarkeit des Geschehens bzw. fehlende Nachweisbarkeit der Kausalität (z.B. infolge einer unterlassenen Obduktion) geht zu Lasten des Anspruchstellers.579 Entsprechendes gilt, wenn der VN sich in unauflösbare Widersprüche verstrickt.580 Folgende (nicht abschließende) Fallgruppen lassen sich unterscheiden: 187 Eigenbewegung der versicherten Person: Der Anspruchsteller ist seiner Beweislast nicht nachgekommen, wenn im Rechtsstreit offen bleibt, ob eine äußere Einwirkung (z.B. Sturz) oder lediglich eine gewollte bzw. ungeschickte Eigenbewegung (z.B. Kraftanstrengung) die Gesundheitsschädigung hervorgerufen hat.581 Für die Beweisführung kann es ausreichen, wenn die Gegebenheiten des Unfallortes auf ein Unfallereignis hindeuten und sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von inneren Umständen als Ursache für die Verletzung ergeben. So ist z.B. der Beweis dafür, dass die versicherte Person beim
572 573 574 575
576 577
OLG Frankfurt/M. 7.8.2002 RuS 2004 79. OLG Stuttgart 21.12.1990 VersR 1992 306. LG Freiburg 20.5.1996 RuS 1997, 85 f.; LG Paderborn 3.3.1994 RuS 1994 317. OLG Hamm 23.1.1991 RuS 1991 286, 287; OLG Köln 1.12.1988 RuS 1989 100, 101; LG Dortmund, Urt. v. 22.1.2009 – 2 O 255/06. OLG Hamm 23.1.1991 RuS 1991 286, 287. OLG Braunschweig 15.3.1995 VersR 1995 823, 824; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99
130
578 579 580 581
Rn. 45; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 25. Beispiele: OLG Hamburg 7.12.1951 VersR 1952 19 f.; OLG Köln 30.11.1989 RuS 1990 33, 34; LG Augsburg 19.3.1992 RuS 1993 156 f. Zopfs VersR 1993 140, 143. OLG Hamburg 7.12.1951 VersR 1952 19, 20; LG Aachen 19.3.1986 RuS 1986 266 f. LG Trier 25.4.1996 RuS 1997 436. OLG Koblenz 12.12.2002 RuS 2003 429, 430.
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Fußballspiel wegen einer Bodenunebenheit umgeknickt ist, geführt, wenn die Verletzung beim Spiel auf einem „Bolzplatz“ mit Unebenheiten geschah und nach sachverständiger Beratung keine Umstände festgestellt wurden, die das Umknicken (ohne Bodenunebenheit) mit dem Vorliegen einer inneren Ursache erklären können.582 Gesundheitsschaden der versicherten Person als Folge oder Ursache des Unfallereig- 188 nisses: Besonders kritisch für den Anspruchsteller sind die Sachverhalte, in denen die Gesundheitsschädigung bzw. der Tod nicht nur als Folge, sondern auch als Ursache des Unfallereignisses in Betracht kommt, bzw. in denen der Gesundheitsschaden (Tod) entweder nach oder aber auch – aufgrund eines ausschließlich körperinneren Vorgangs – vor dem Unfallereignis eingetreten sein kann. Im letzteren Fall fehlt es an dem vom Unfallbegriff vorausgesetzten „von außen“ wirkenden Ereignis. War die versicherte Person vor dem Unfallereignis bereits allein aufgrund innerer Umstände gestorben, so ist ihr der Unfall darüber hinaus nicht während der Wirksamkeit des Vertrages zugestoßen (Rn. 172). Lässt sich die Abfolge der Ereignisse nicht mehr aufklären bzw. bleibt offen, ob das Unfallereignis überhaupt noch für die Gesundheitsschädigung kausal geworden ist, so geht dies zu Lasten des Anspruchstellers.583 Typische Beispielsfälle sind Unfälle im Straßenverkehr, bei denen nicht aufgeklärt werden kann, ob der Tod (die Verletzung) der versicherten Person auf einem Zusammen- oder Aufprall bzw. Sturz der versicherten Person beruht oder – ausschließlich – vor dem Unfallereignis durch einen unfallfremden Vorgang (Herzinfarkt, Herzversagen, Hirnblutung, Schlaganfall, Embolie usw.) hervorgerufen wurde.584 Ähnliche – im Zweifel gegen den Anspruchsteller zu entscheidende – Kausalitätsfragen können sich bei sonstigen Stürzen, Stößen usw. der versicherten Person ergeben. Auch bei ihnen bleibt oftmals unklar, ob das Unfallereignis die Gesundheitsschädigung (mit-)verursacht hat oder ob es dem körperinneren Vorgang lediglich ohne weitere Auswirkungen nachfolgte bzw. es ausschließlich Resultat eines rein innerorganischen Vorgangs sein kann.585 So führt es etwa zur Klageabweisung, wenn nicht ausgeschlossen werden kann bzw. sogar mit erheblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die versicherte Person zunächst eine spontane Blutung in die Hirnwasserräume erlitten hatte, bevor sie sich durch den Stoß mit dem Hinterkopf gegen einen Gegenstand ein (Bagatell-)Trauma zugezogen hat. Nicht ausreichend für den Beweis nach § 286 ZPO ist es, dass die Schädelprellung als Alternativursache bzw. ebenfalls als Auslöser der Blutung in Betracht kommt.586 Bagatellverletzung der versicherten Person: Für den Anspruchsteller ergeben sich 189 Beweisprobleme, wenn die behauptete Bagatellverletzung (siehe auch Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 33) zu weit reichenden Folgen geführt haben soll, für deren Verursachung aber 582
583
584
OLG Hamm 15.8.2007 VersR 2008 249, 250 = NJW-RR 2008 279, 280 = RuS 2007 518. OLG Schleswig 13.7.1990 RuS 1991 356 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 28; a.A. noch OLG Karlsruhe 22.11.1934 VA 1935 19 Nr. 2767. BGH 9.10.1991 VersR 1991 1365, 1366 = RuS 1992 68 f.; OLG Frankfurt/M. 7.8.2002 RuS 2004 79; OLG Hamm 23.1.1991 RuS 1991 286 f.; OLG Karlsruhe 5.9.1996 RuS 1997 85 (zuvor bereits LG Freiburg 20.5.1996 RuS 1997 85 f.); OLG Köln 1.12.1988 RuS 1989 100, 101;
585
586
OLG Stuttgart 21.12.1990 VersR 1992 306 f.; LG Aachen 30.6.2006 RuS 2006 429 (zust. Marlow RuS 2007 353, 354); LG Berlin 18.6.2002 RuS 2005 343 f.; LG Hamburg 13.7.1995 RuS 1997 393 (LS). BGH 19.12.1990 NJW-RR 1991 539 = RuS 1991 143 (LS); RG 3.10.1899 RGZ 44 149, 151 f.; OLG Köln 12.6.1995 VersR 1996 620 f.; OLG Köln 29.10.1992 RuS 1993 157 f.; LG Bonn 19.9.1994 RuS 1995 280; LG Heidelberg 22.2.1995 RuS 1995 356; LG Paderborn 3.3.1994 RuS 1994 317. OLG Koblenz 9.10.1998 VersR 2000 218.
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
auch andere Umstände, insbesondere unfallunabhängige Erkrankungen des Versicherten, in Betracht kommen.587 So ist etwa ein Unfall nicht bewiesen, wenn bei der schwer zuckerkranken versicherten Person ein Geschwür, das schließlich zu einer Amputation führt, auch ohne oder wenigsten geringfügige Mitwirkung der Bagatellverletzung entstanden sein kann.588 Der Gutachter wird den Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung nur ausreichend belegen können, wenn die Verletzungsmöglichkeit unfallmechanisch plausibel erscheint, die Erstuntersuchung ein passendes subjektives Beschwerdebild mit Provokation durch Druck und Bewegung ergab und der nachfolgende Regelverlauf zeitgerecht zur Ausheilung führte.589
190
d) Mitursächlichkeit körperinnerer Vorgänge. Nicht erforderlich ist der Nachweis dafür, dass ausschließlich das Unfallereignis die Gesundheitsschädigung bzw. den Tod herbeigeführt hat; denn die Mitwirkung anderer Umstände ist für den Unfallbegriff unerheblich (Rn. 42 und 156 ff.). Vielmehr genügt der Beweis der Mitursächlichkeit des Unfallereignisses.590 Der Beweis ist geführt, wenn andere unfallfremde Umstände als (alleinige) Ursache ausscheiden.591 Steht für das Gericht fest, dass neben den unfallfremden Umständen (insbesondere einer Vorerkrankung der versicherten Person) ein Unfallereignis kausal gewesen ist, so muss der VR den Gegenbeweis dafür erbringen, dass allein die unfallfremden Umstände die Gesundheitsschädigung herbeigeführt haben.592 Solche Konstellationen kommen etwa bei Bandscheibenschädigungen (Anh. § 178 Rn. 18) oder Rotatorenmanschettenrupturen (§ 182 Rn. 18 und Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 3) in Betracht. Medizinische Erkenntnisse belegen hier, dass isolierte Gesundheitsschädigungen (ohne Begleitverletzungen) durch äußere Einwirkungen oder Kraftanstrengungen in aller Regel auszuschließen sind. Liegen indes überhaupt keine Umstände vor, die bei einem Unfallgeschehen auf einen typischen Verletzungsmechanismus schließen lassen, so ist eine traumatisch bedingte Gesundheitsschädigung nicht nachgewiesen. So setzt z.B. die Ruptur der Rotatorenmanschette typischerweise eine starke Verdrehung der Schulter bzw. Spreizung des Armes oder erhebliche Zugwirkung auf den Arm voraus.593 Folgerichtig kann diese Gesundheitsschädigung nicht etwa mit einem Sturz beim Aussteigen aus der Badewanne auf einen nicht ausgestreckten bzw. nicht angewickelten Arm erklärt werden.594 Der Umstand, dass sich die versicherte Person vor dem Unfall beschwerdefrei gefühlt hat, reicht für den Nachweis der Kausalität nicht aus.595 In einem solchen Fall kann eine allein degenerative Veränderung des Gesundheitszustandes der versicherten Person nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden.
587 588 589 590 591
S. etwa den Fall des OLG Oldenburg 18.9.2008 RuS 2008 524. OLG Frankfurt 24.11.1993 RuS 1995 199. Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115, 116. OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1544, 1545. OLG Braunschweig 15.3.1995 VersR 1995 823; OLG Hamm 17.8.1994 VersR 1995 1181.
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592 593
594 595
BGH 19.4.1972 VersR 1972 582, 583. LG Bochum 4.7.2007 RuS 2008 434; LG Heidelberg 5.9.2008 RuS 2009 517, 518; LG München 2.6.2007 RuS 2009 519; AG Nordhausen 21.12.2004 RuS 2009 519. LG Kiel 18.8.2007 RuS 2007 517. LG Bochum 4.7.2007 RuS 2008 434; LG Heidelberg 5.9.2008 RuS 2009 517, 518; LG Kiel 18.8.2007 RuS 2007 517 f.
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§ 178
III. Vermutungsregel für die Unfreiwilligkeit Nach § 178 Abs. 2 S. 2 wird die Unfreiwilligkeit des Unfalls bis zum Beweis des 191 Gegenteils vermutet. Diese Vermutungsregelung hat die Praxis wiederholt beschäftigt. 1. Allgemeines Den Beweis für die Unfreiwilligkeit bzw. Freiwilligkeit einer Gesundheitsschädigung zu 192 erbringen, ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, und zwar unabhängig davon, ob der Anspruchsteller oder der VR die Beweislast trägt. In der Geschichte der Unfallversicherung haben die Rechtsprechung und die VR verschiedenste Ansätze erprobt, um angemessene Lösungen zu finden.596 Die Diskussion hat der Gesetzgeber mit der Anordnung einer Beweislastumkehr in § 180a Abs. 1 a.F. und Beibehaltung dieser (zwingenden) Regelung in § 178 Abs. 2 S. 2 zu Lasten der VR beendet. a) Entstehungsgeschichte. Nach allgemeinen Grundsätzen hätte der Anspruchsteller die 193 Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung als anspruchsbegründende Voraussetzung zu beweisen. Dies entsprach auch der Rechtslage bis zum Inkrafttreten des § 180a Abs. 1 a.F. am 5.8.1967.597 Mit dieser Vorschrift wurde erstmals zugunsten des Anspruchstellers die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung (ein bis zur Schaffung des § 178 Abs. 2 S. 1 nicht gesetzlich, sondern nur in den AUB vorgesehenes Tatbestandsmerkmal) bis zum Beweis des Gegenteils durch den VR gesetzlich vermutet.598 Die Norm verlagerte damit die Beweislast für die Unfreiwilligkeit des Unfalls auf den VR.599 Ziel war es, den Beweisnotstand zu beseitigen, der sich für die versicherte Person oder ihre Hinterbliebenen daraus ergeben konnte, dass ein negatives subjektives Tatbestandsmerkmal (das Fehlen der Freiwilligkeit) bewiesen werden musste. Es wurde unter menschlichen und sozialen Gesichtspunkten als unerwünschtes Prozessergebnis angesehen, dass sich in ungeklärten Fällen mit zweifelhaftem äußeren und inneren Geschehensablauf Nachteile für den Anspruchsteller ergaben, weil die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung nicht bewiesen werden konnte. Fälle des non liquet sollten nicht mehr zu Lasten des Versicherten, sondern des VR gehen.600 Durch die – damals durchaus rechtspolitisch umstrittene 601 – Umkehr der Beweislast baute der Gesetzgeber zugunsten des VN eine hohe Beweishürde für den VR auf.602 Diese bleibt weiterhin bestehen. Der VR trägt nach
596 597
598 599 600
Kirsch S. 1 f. S. etwa BGH 4.11.1965 VersR 1966 29; BGH 8.7.1965 VersR 1965 797; RG 20.10.1936 VA 1936 277 f. Nr. 2937; RG 5.11.1935 VA 1936 176 f. Nr. 2870; RG 21.5.1935 VA 1935 232, 233 Nr. 2806; RG 12.5.1933 VA 1933 336 f. Nr. 2578; Hansen Beweislast S. 196; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 68 und 74. Eingehend zur Rechtslage und Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des § 180a a.F. Kirsch S. 15 ff., 85 ff., 92 ff. und 150 ff. Krit. zum Begriff der Vermutung Kirsch S. 7. Weyer VersR 1969 300, 301. Eingehend Kirsch S. 4 und 50 ff. m.w.N.; s.a. Fleischmann VW 1967 626.
601
602
Kirsch S. 5; ferner Fleischmann VW 1967 626; jeweils mit Hinweisen auf die Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der gesetzlichen Regelung, die von der Bundesregierung, dem damaligen BAV (GB BAV 1967 81) und der Versicherungswirtschaft geltend gemacht worden waren. Eingehend zu den rechtspolitischen Argumenten Kirsch S. 47 ff., 55 ff. und 64 ff., der i.E. meint, § 180a VVG hätte es bei konsequenter Anwendung AGB-rechtlicher Grundsätze nicht bedurft (S. 190 ff.) Kirsch S. 195 f.; Manthey NVersZ 2000 161, 162; eingehend bereits Weyer VersR 1969 300, 304–306.
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wie vor die Beweislast für die Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung; denn § 178 Abs. 2 S. 2 hat § 180 a Abs. 1 a.F. unverändert übernommen. I.E. entspricht damit die Rechtslage in der Unfallversicherung der bei der Lebensversicherung (§ 161 n.F., § 169 a.F.). Auch in der Lebensversicherung trug und trägt der VR die Beweislast für einen Selbstmord des Versicherten.603 Für die praktische Rechtsanwendung bedeutet dies, dass die umfangreiche Rechtsprechung und Literatur zu § 180a Abs. 1 a.F. (und § 161 bzw. § 169 a.F.) weiterhin herangezogen werden können.
194
b) Bewertung. § 178 Abs. 2 S. 2 löst nicht die seit Geltung des § 180a Abs. 1 a.F. vorhandenen Schwierigkeit in der Rechtspraxis. Vereinzelte Rufe nach einem klärenden Wort des Gesetzgebers sind im neuen VVG ungehört verhallt. Dem ist zuzustimmen. Die Ansicht, zu der Frage des Suizid- bzw. Selbstverstümmelungsnachweises bestehe eine kaum erträgliche Rechtsunsicherheit,604 ist in dieser Schärfe übertrieben.605 Richtig ist einerseits, dass § 178 Abs. 2 S. 2 auch zukünftig für Schwierigkeiten in der praktischen Anwendung sorgen wird. Der Ausgang von Rechtsstreitigkeiten zu Fällen, in denen der Verdacht auf Selbstverstümmelung oder (versuchte) Selbsttötung besteht, ist für die Parteien (insbesondere aber für den beweisbelasteten VR) kaum kalkulierbar. Dies wird belegt durch die umfangreiche Kasuistik in der Rechtsprechung, die sich kaum bzw. nur schwer typologisieren lässt. Die Rechtsunsicherheit liegt zunächst darin begründet, dass – unabhängig von der Vielzahl denkbarer Sachverhalte – nicht vorhersehbar ist, ob und inwieweit eine zunächst schlüssig erscheinende Indizienkette des VR für eine Freiwilligkeit im Prozessverlauf bestritten und ggf. nach der Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht Bestand haben wird. Im Rahmen der Prüfung des § 178 Abs. 2 S. 2 kommt darüber hinaus erschwerend hinzu, dass sich die Gerichte – verständlicherweise – schwer tun, dem Versicherten eine „Selbstschädigungsabsicht“ zu attestieren. Bei der Analyse der Gerichtspraxis ist gerade bei der Würdigung des Indizienbeweises festzustellen, dass die von den jeweiligen Richtern angelegte Meßlatte, verbleibenden Zweifeln Schweigen zu gebieten, (naturgemäß) unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Oftmals bedarf es für die Annahme der Freiwilligkeit einer mutigen Beweiswürdigung,606 die dann leichter angreifbar erscheinen mag als die Rekrutierung der Fiktion des § 178 Abs. 2 S. 2. Werden jedoch die Anforderungen an den VR überspitzt, so entsteht für diesen leicht der Eindruck, das Gericht wolle dem Anspruchsteller „verbraucherfreundlich helfen“ oder sei „lebensfremd“. Andererseits sind Unwägbarkeiten in der Prozessführung jedem Rechtsstreit immanent.607 Sie stehen u.a. bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder bei jeder Beweiswürdigung, z.B. beim Nachweis von Obliegenheitsverletzungen durch Zeugenvernehmungen (insbesondere Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch fehlerhafte oder unvollständige Beantwortung von Gesundheitsfragen bei der Antragsaufnahme) regelmäßig auf der Tagesordnung. Insbesondere im Strafrecht ist die schwierige Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit vergleichbar mit der Unfreiwilligkeit bzw. Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung. Solche Wertungsfragen lassen sich nicht ohne Folgeprobleme abschließend durch den Gesetzgeber allgemeingültig lösen. Entscheidend für § 178 Abs. 2 S. 2 ist, dass die Beweisführung des VR nicht – faktisch – unmöglich gemacht wird. Eine solche Tendenz ist in
603 604 605
Hansen Beweislast S. 195; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 169 Rn. 5. Zeller VersR 1990 461, 464. Hansen VersR 1991 282, 283; Zopfs VersR 1993 140.
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606 607
van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 63. Hansen VersR 1991 282, 283.
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der Rechtsprechung nicht zu erkennen. Insbesondere wird die Beweissituation dadurch „erträglicher“, dass neue Erkenntnisse der Forschung die Möglichkeiten der technischen, medizinischen, kriminologischen und psychologischen Sachverständigen zunehmend verbessern, Geschehensabläufe zuverlässig zu rekonstruieren bzw. Unfallschilderungen zu überprüfen. 2. Anwendungsbereich § 178 Abs. 2 S. 2 findet Anwendung für alle privaten Unfallversicherungen.608 Erfasst 195 ist auch die Unfallzusatzversicherung bei der Lebensversicherung609 und die Insassenunfallversicherung sowie alle sonstigen Sparten der privaten Unfallversicherung, für die sich die Grenzen der Privatautonomie aus §§ 178 bis 191 (§§ 179 bis 185 a.F.) ergeben.610 Die Vorschrift gilt dagegen nicht für Unfälle in der Sachversicherung.611 Dort ist die 196 Verteilung der Beweislast nach allgemeinen Regeln zu prüfen: Es ist gerechtfertigt, die Anforderungen an den zu erbringenden Beweis in der Unfall- und Sachversicherung unterschiedlich hoch anzusetzen. Für Eingriffe in die eigene körperliche Integrität ist eine ganz andere Energie und Bereitschaft zur Selbstaufgabe erforderlich als bei der Zerstörung von Sachwerten. Bei Sachversicherungen (gerade Neuwertversicherungen) besteht im Vergleich zur Unfallversicherung vielmehr eine größere Versuchung, den versicherten Gegenstand selbst zu beseitigen oder zu zerstören, um (unberechtigt) in den Genuss der Versicherungssumme zu gelangen; denn dem Täter werden keine eigenen Opfer abverlangt.612 Für die Entscheidung über die Beweislastverteilung in der Sachversicherung ist es notwendig, anhand der konkret anzuwendenden AVB zu ermitteln, ob die Unfreiwilligkeit Tatbestandsmerkmal des jeweiligen Unfallbegriffs ist;613 denn sie ist dem Unfallbegriff nicht zwingend immanent.614 Die Parteien des Versicherungsvertrages können vielmehr auch in der privaten Unfallversicherung von der Definition des § 178 Abs. 2 S. 1 abweichen (Rn. 160 ff.), zumal § 191 zwingendes Recht nur für § 178 Abs. 2 S. 2 vorsieht. Ergibt die Auslegung, dass die Unfreiwilligkeit ein Tatbestandsmerkmal ist, so handelt es sich um eine anspruchsbegründende Tatsache, für die den Anspruchsteller die Beweislast trifft.615 Ist die Unfreiwilligkeit dagegen nicht vom Unfallbegriff der Sachversicherung erfasst, so begründet sie einen Leistungsausschluss bzw. eine Leistungskürzung nach § 81, für die der VR beweisbelastet ist.616 3. Inhalt der Vermutungsregel Dem VR wird es aufgebürdet, die Freiwilligkeit (d.h. die vorsätzliche Herbeiführung, 197 Rn. 131 f.) der Gesundheitsschädigung zu beweisen; ist die Unfreiwilligkeit streitig, muss 608 609
610 611
Schwintowski/ Brömmelmeyer § 178 VVG Rn. 28; Kirsch S. 10 f. OLG Hamm 14.10.1981 VersR 1982 870, 871; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 1; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 2. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 76. OLG Hamburg 9.11.1981 VersR 1983 431, 433 f. (zu den AVB für Wassersportfahrzeuge – AVBW); eine analoge Anwendung erwägt Hansen Beweislast S. 199 f., allerdings ohne abschließendes Ergebnis.
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OLG Hamburg 9.11.1981 VersR 1983 431, 434. Einzelheiten bei Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 1–7. OLG Saarbrücken 6.10.2004 RuS 2005 12 m.w.N. BGH 5.2.1981 VersR 1981 450, 451; OLG Hamburg 9.11.1981 VersR 1983 431, 433. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 1.
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er die Vermutung widerlegen.617 Hierzu ist das Führen eines Strengbeweises erforderlich (Rn. 198), was in der Praxis oftmals mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist (Rn. 194). Eine Beweiserleichterung in Form des Anscheinsbeweises ist dagegen nicht zugelassen. Möglich ist es allerdings, im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO Erfahrungssätze und Indizien heranzuziehen.
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a) Notwendigkeit des Strengbeweises. Voll- oder Strengbeweis bedeutet, dass der VR in einem förmlichen Beweisverfahren mit den Beweismitteln der ZPO (Sachverständige, Zeugen, Urkunden, Augenschein, Parteivernehmung) den Richter nach Maßgabe der §§ 355 ff. ZPO von der Wahrheit der Behauptung überzeugen muss, die versicherte Person habe die Gesundheitsschädigung freiwillig herbeiführt. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO muss keine unumstößliche Gewissheit der Freiwilligkeit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gegeben sein. Die zu beweisende Tatsache muss nicht mit Absolutheit, d.h. nach naturwissenschaftlichen Maßstäben feststehen, die über jeden denkbaren Zweifel erhaben sind. Für die Annahme der Freiwilligkeit ist vielmehr ein für das praktische Leben brauchbares Maß an Gewissheit erforderlich und genügend, so dass den restlichen Zweifeln Schweigen geboten ist, ohne sie völlig auszuschließen (s.a. Rn. 182).618 Mutmaßungen des VR oder bloße Verdachtsmomente des VR bzw. die nicht weiter mit objektiv feststehenden Fakten belegbare Erkenntnis, dass der Versicherte freiwillig gehandelt haben kann (aber nicht muss), reichen für den Strengbeweis indes keinesfalls aus.619 Eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ genügt ebenfalls nicht. Das Gericht darf i.E. keine vernünftigen Zweifel an der Unrichtigkeit der Sachverhaltsdarstellung des Anspruchstellers haben.620 Dies ist der Fall, wenn die Möglichkeit eines anderen als freiwilligen Geschehensablaufs ausgeschlossen ist 621 oder sich alles andere als ein freiwilliger Vorgang nur durch eine Kette von Ungereimtheiten erklären lässt, die in solcher Art und Häufung nur höchst theoretisch und so fern liegend denkbar sind, dass sie außer Betracht zu bleiben haben.622 Nicht erforderlich ist dagegen, dass der VR den („absolut“) positiven Nachweis einer freiwilligen Gesundheitsverletzung führt.623 Anderenfalls würden die Beweisanforderungen an den VR überspannt.624 Kommt der Richter allerdings bei seiner Überzeugungsbildung zu dem Ergebnis, dass bei zwei oder mehreren realistischerweise in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten auch nur in einem Falle Unfreiwilligkeit festzustellen ist, bleibt es
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BGH 5.2.1981 VersR 1981 450, 451; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 41. Std. Rspr.; s. nur BGH 9.5.1989 VersR 1989 758, 759; BGH 18.3.1987 BGHZ 100 214, 217; OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996 837, 838; OLG Hamm 27.4.1994 VersR 1995 33; KG 19.5.2000 VersR 2001 1416; OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290; OLG Köln 26.2.2003 VersR 2004 1042; OLG München 9.7.1985 RuS 1987 82; OLG Saarbrücken 26.3.2003 RuS 2005 120; LG Dortmund 28.2.2008 VersR 2008 1639, 1640 = RuS 2009 31. OLG Köln 2.3.1989 RuS 1989 235 f. OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229, 230.
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So z.B. im Fall des OLG Frankfurt 10.3.1988 RuS 1989 133; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 41. OLG Hamm 27.4.1994 VersR 1995 33, 34; OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290; OLG Koblenz 20.3.1992 VersR 1993 874, 875; OLG Oldenburg 28.11.1990 VersR 1991 985; LG Memmingen 17.7.2002 VersR 2003 1525, 1526; ähnlich OLG Karlsruhe 12.2.1975 VersR 1976 183, 185. OLG Frankfurt 18.12.1986 RuS 1988 28. OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229, 230.
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bei der Vermutungsregel.625 Die Leistungspflicht des VR kann dann nur wegen anderer Umstände (z.B. Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes) zu verneinen sein.626 b) Unzulässigkeit des Anscheinsbeweises. Ob die gesetzliche Vermutung der Unfrei- 199 willigkeit mit einem Anscheinsbeweis bzw. Prima-Facie-Beweis entkräftet werden kann, war früher umstritten,627 wird inzwischen aber einhellig abgelehnt.628 Die für die Annahme eines Anscheinsbeweises notwendigen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Ein Beweis des ersten Anscheins kommt nur dann in Betracht, wenn dem jeweils zu beurteilenden Sachverhalt ein typischer Geschehensablauf zugrunde liegt, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und so sehr das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen trägt, dass die besonderen individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktreten.629 Eine solche Annahme verbietet sich für menschliche, willensgesteuerte Verhaltensweisen und ihre Begleitumstände.630 Eine durch die Lebenserfahrung gesicherte generalisierende Betrachtung menschlichen Verhaltens scheitert daran, dass der Entschluss der versicherten Person, einen Versicherungsfall vorzutäuschen, und diesen Entschluss in die Tat umzusetzen, auf zu unterschiedlichen und unübersehbaren sowie vielgestaltigen und vielschichtigen Motiven beruhen kann.631 Dies gilt angesichts des menschlichen Selbsterhaltungstriebes gerade für Selbstverstümmelungen und insbesondere den Freitod.632 Die Beweggründe desjenigen, der etwa Selbstmord begeht oder sich selbst verstümmelt, lassen sich nicht typisieren. Sie sind abhängig von den besonderen
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 1; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 137. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 138; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 8. Bejahend noch BGH 10.1.1955 VersR 1955 99, 100; OLG Frankfurt/M. 30.1.1986 VersR 1987 759; OLG Frankfurt/M. 2.12.1977 VersR 1978 1110; OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945; OLG München 22.5.1985 RuS 1987 83; K. Jannott S. 102; Kirsch S. 131 ff. (insbesondere S. 141); Moser/Sanders VersR 1976 418, 419; offen lassend BGH 19.2.1981 VersR 1981 452; OLG München 26.4.1983 VersR 1984 576. Grundlegend BGH 18.3.1987 BGHZ 100 214, 216; ferner etwa BGH 19.1.1967 VersR 1967 269; BGH 8.7.1965 VersR 1965 797; OLG Frankfurt 26.9.1985 ZfS 1986 122; OLG Hamm 9.12.1988 NJW-RR 1989 493; OLG Köln 9.11.1989 RuS 1990 68; LG Dortmund 28.2.2008 VersR 2008 1639, 1640 = RuS 2009 31; Schwintowski/Brömmelmeyer § 178 VVG Rn. 31; Fleischmann VW 1967 626, 627; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 41; Hansen Beweislast S. 197; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 34; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 314; Knappmann NVersZ 2002 1, 2; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 180a Rn. 10; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 135; Beckmann/Matusche-
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Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 26; Römer/ Langheid 2 § 180a Rn. 5; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 178 VVG Rn. 15; van Bühren/Schubach4 Hdb. § 16 Rn. 57; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 4; Weyer VersR 1969 300, 304 f.; Zopfs VersR 1993 140; zur vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 61 VVG a.F. BGH 13.4.2005 NJW-RR 2005 1051. BGH 18.3.1987 BGHZ 100 214, 216; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378. BGH 7.10.1980 VersR 1981 1153 (zur Kenntnisnahme des Absenders vom Inhalts eines Schreibens, das er selbst unterzeichnet hat); BGH 4.11.1965 VersR 1966 29 (zum Nachweis der Unfreiwilligkeit durch den Versicherten vor Einführung des § 180a VVG a.F.); BGH 28.4.1958 VersR 1958 361 (zum Ausschluss für vorsätzliche Tötungen in den AHB); LG Dortmund 28.2.2008 VersR 2008 1639, 1640 = RuS 2009 31 (zum Negativbeweis der Unfreiwilligkeit i.S.v. § 180a Abs. 1 VVG a.F.); a.A. Moser/Sanders VersR 1976 418, 419; einschränkend auch Kirsch S. 132 ff. OLG Koblenz 20.3.1992 VersR 1993 874, 875; OLG Köln 2.3.1989 RuS 1989 235; OLG Oldenburg RuS 2000 304, 305. BGH 19.1.1967 VersR 1967 269.
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Lebensumständen der versicherten Person, ihrer Persönlichkeitsstruktur bzw. ihren Anlagen, Charaktereigenschaften und sittlichen Einstellungen, ihrer augenblicklichen Gemütslage, ihrer persönlichen Einschätzung der jeweiligen Situation oder auch irrationalen Momenten sowie von mannigfaltigen inneren und äußeren Antrieben.633 Für die Rechtspraxis sollte es sich nicht auswirken, dass dem VR die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises versagt wird.634 In den meisten Fällen, in denen ein Anscheinsbeweis geführt werden kann, wird auch der Strengbeweis zu entsprechenden Ergebnissen führen;635 denn der Tatrichter braucht – wie ausgeführt (Rn. 198) – keine unumstößliche, sondern nur einen brauchbaren Grad von Gewissheit, um eine Selbstverstümmelung oder einen Freitod annehmen zu können. Diese Überzeugungsbildung des Gerichts muss der VR durch akribische außergerichtliche Recherchen636 und Ausführungen in seinen Schriftsätzen „erarbeiten“.637
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c) Zulässigkeit des Indizienbeweises. Zur Widerlegung der Vermutungsregel genügt nach ganz überwiegender Meinung der Indizienbeweis.638 Indizien sollen als Hilfstatsachen ein Tatbestandsmerkmal nicht selbst ausfüllen, sondern dem Gericht den wertenden Schluss auf die Wahrheit einer Haupttatsache ermöglichen. Vereinzelt wird eingewandt, zwischen Anscheins- und Indizienbeweis bestehe kein struktureller oder sachlicher Unterschied.639 Diese Auffassung ist indes abzulehnen. Während der Anscheinsbeweis eine Schlussfolgerung auf der Basis typischer, nicht individuell gestalteter Sachverhalte erlaubt, ist dies beim Indizienbeweis nicht möglich. Vielmehr müssen beim Indizienbeweis einfache Erfahrungstatsachen in einer Gesamtschau aufgrund einer sehr intensiven Sachverhaltsanalyse ausgewertet werden. Der Zwang zur Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles ist bei ihm größer als beim Anscheinsbeweis.640
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aa) Beweiswürdigung. Es kann ausreichen, dass der VR Indizien darlegt, die auf ein freiwilliges Unfallereignis schließen lassen. Bei der Beurteilung hat das Gericht dann im Wege der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) Erfahrungssätze und Hilfstatsachen zu verwerten und kann so zu der Überzeugung gelangen, die Vermutung der Unfreiwilligkeit sei widerlegt.641 Die Überzeugungsbildung des Gerichts muss das Ergebnis einer Gesamtschau unter Einbeziehung aller (objektiven und erkennbaren subjektiven) Umstände
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BGH 18.3.1987 BGHZ 100 214, 216 f.; OLG Hamm 9.12.1988 NJW-RR 1989 493; OLG Oldenburg 28.11.1990 VersR 1991 985; s.a. OLG München 26.4.1983 VersR 1984 576. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 53. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 41. Zu Selbstverstümmelungsfällen s. Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 112 ff. mit Checkliste auf S. 116 f. R. Johannsen VersR 1988 1021. S. nur OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996 837, 838; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378; OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290; OLG Köln 26.2.2003 VersR 2004 1042; OLG Nürnberg 4.7.1987 RuS 1988 280; OLG Oldenburg RuS 2000 304, 305; OLG Zwei-
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brücken 10.2.1984 VersR 1986 339; LG Dortmund 28.2.2008 VersR 2008 1639, 1640 = RuS 2009 31; Schwintowski/ Brömmelmeyer § 178 VVG Rn. 32; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 34; Römer/Langheid 2 § 180a Rn. 6; Rüffer/ Halbach/Schimikowski § 178 VVG Rn. 15; van Bühren/Schubach4 Hdb. § 16 Rn. 57; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 4; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 54; Zopfs VersR 1993 140. Zeller VersR 1990 461, 462 f. Hansen VersR 1991 282 f. OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996 837, 838; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378; Grimm4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 41; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 10; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 5.
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sein.642 Die isolierte Würdigung einzelner Umstände genügt nicht; denn auch wenn einzelne Hilfstatsachen jeweils für sich genommen nicht ausreichen, den Schluss auf die vom VR behauptete Haupttatsache (die Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung) zu begründen, können doch mehrere von ihnen in ihrer Gesamtheit und ggf. in Verbindung mit dem übrigen Prozessstoff eine tragfähige Grundlage für die Überzeugungsbildung des Richters sein, die Haupttasche sei gegeben.643 Der Tatrichter ist grundsätzlich darin frei, welche Beweiskraft er den Indizien im einzelnen und in ihrer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst. Er muss jedoch alle Umstände vollständig berücksichtigen und darf nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstoßen.644 Um eine dahingehende Überprüfung zu ermöglichen, hat der Tatrichter die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugsbildung darzulegen (§ 286 Abs. 1 S. 2 ZPO).645 bb) Indizien. Verdachtsmomente können sich aus dem Verhalten des Verletzten vor, 202 während und nach dem Unfall bzw. den Umständen ergeben, welche dem Unfallhergang vorausgingen, ihn begleiteten und ihm nachfolgten.646 Dabei kommt der Unfalldarstellung des Verletzten bzw. des Anspruchstellers zum Unfallort, zur Unfallzeit, zum Tatwerkzeug und zum Unfallhergang die größte Bedeutung zu. Selbst wenn aus verletzungsmechanischer Sicht eine unfreiwillige Gesundheitsschädigung nicht (ganz) auszuschließen ist, kann in einer sachlichen und realitätsbezogenen Gesamtschau das Zusammentreffen von Indizien, die jeweils für sich allein noch mit einem ungewöhnlichen Zufall zu erklären sind, zu der Überzeugung führen, dass die Verletzung das Ergebnis einer gezielten und gewollten Gesundheitsschädigung ist.647 Einzelne Indizien reichen indes für sich allein betrachtet selten aus, die Vermutungsregel des § 178 Abs. 2 S. 2 zu widerlegen. Insbesondere genügen wenig lebensnahe oder theoretische Überlegungen nicht, die Freiwilligkeit zu begründen.648 Anders kann dies jedoch sein, wenn der VR in der Lage ist, ein Motiv der versicherten Person für ein bewusstes und gewolltes Verhalten plausibel zu machen und eine überzeugende Indizienkette zu entwickeln. Hierfür ist eine sorgfältige Sachverhaltsermittlung – ggf. unter Hinzuziehung (gerichts-)medizinischen, kriminologischen und psychologischen Sachverstandes – wichtig. (1) Verhalten der versicherten Person vor dem Unfallereignis. Folgende (vor dem Ein- 203 tritt des Versicherungsfalls liegende) Sachverhaltspunkte können für die Bewertung der „Unfreiwilligkeit“ relevant werden: Zunächst ist bedeutsam, ob die versicherte Person ein Motiv für eine freiwillige 204 Gesundheitsschädigung hat. Hierzu ist zu ermitteln, welchen Stellenwert für die versicherte Person die Erlangung persönlicher Vorteile hat. Zwar genügt in dubiosen Fällen nicht der generelle Verdacht, die versicherte Person wolle sich oder ihre Angehörigen
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OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378 und 379; OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290; OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229, 230; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 10; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 136 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 26. BGH 15.6.1994 VersR 1994 1054, 1055; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 41; Römer/
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Langheid 2 § 180a Rn. 6; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 7. BGH 15.6.1994 VersR 1994 1054, 1055. BGH 22.1.1991 VersR 1991 566. OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945; OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 1530, 1531; Knappmann NVersZ 2002 1, 2. KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378; OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379 f. OLG Karlsruhe 9.7.1999 VersR 2000 446.
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wirtschaftlich sanieren. Selbst wenn das Interesse der versicherten Person an Versicherungsleistungen hoch anzusiedeln ist, so spricht das für sich allein – gerade in Tötungsfällen (Rn. 231 ff.) – noch nicht für eine Freiwilligkeit.649 Jedoch kann ein plausibles Motiv bzw. wirtschaftliches Interesse des Geschädigten bei Vorliegen weiterer Indizien das Bild zumindest abrunden.650 Großes Augenmerk ist in diesem Zusammenhang auf die persönlichen, familiären, gesundheitlichen, sozialen, beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der versicherten Person zu legen. Anhaltspunkte für eine Freiwilligkeit können sich insbesondere aus einer angespannten finanziellen Situation der versicherten Person ergeben.651 Für den Gegenbeweis nach § 178 Abs. 2 S. 2 ist es umgekehrt allerdings auch nicht zwingend erforderlich, dass die richterliche Überzeugungsbildung ergibt, das Verhalten der versicherten Person sei aufgrund finanzieller oder sonstiger Probleme motiviert.652 Ferner können die Regelungen der versicherten Person zu ihrem Unfallversicherungs205 schutz Argwohn erregen, weil – ohne einleuchtende Begründung des Anspruchstellers – • ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Abschluss 653 bzw. Ablauf 654 des Vertrages und dem Unfallereignis gegeben ist. Entsprechendes gilt, wenn die bestehende Versicherung erst kurze Zeit vor dem Unfallereignis (deutlich) erhöht wird.655 Untermauert wird der Verdacht auf Freiwilligkeit in diesen Fällen noch, wenn die versicherte Person zunächst überhaupt nicht (oder jedenfalls lange Zeit nicht) gegen Unfälle versichert war und erst unmittelbar vor dem Unfallereignis (erstmals) hohen Unfallversicherungsschutz für sich begründet 656 oder wenn kurz vor dem Unfallereignis nicht nur ein hoher eigener Unfallversicherungsschutzes vereinbart wird, sondern gleichzeitig auch Versicherungssummen für nahe Angehörige ohne besonderen Grund reduziert werden.657 • eine (ungewöhnliche) Vielzahl von Versicherungsverträgen abgeschlossen wurde,658 • mehrere Unfallversicherungen bei verschiedenen Gesellschaften bestehen,659
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OLG Köln 3.5.1990 VersR 1990 1346, 1347. OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996 837 f.; OLG Frankfurt 18.12.1986 RuS 1988 28; OLG Hamburg 1.8.1989 VersR 1991 763, 764; OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945, 946; OLG Saarbrücken 26.3.2003 RuS 2005 120, 121. OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975 f.; OLG Frankfurt 10.3.1988 RuS 1989 133, 134; OLG Saarbrücken 31.1.1990 VersR 1990 968, 969; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 10; s. aber auch OLG München 4.3.1988 VersR 1988 1020, 1021 („Schulden des Verstorbenen … sprechen weder eindeutig für einen Unfall noch eindeutig für einen Selbstmord. Sie können als Indiz für die eine oder andere Fallgestaltung herangezogen werden“). KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378. OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1230; OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996 837 f.; OLG Hamburg 1.8.1989 VersR 1991 763, 764; OLG Koblenz 21.9.1990
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VersR 1992 229, 230; LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130, 131. BGH 15.6.1994 VersR 1994 1054, 1055; OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975. OLG Bamberg 27.2.1980 VersR 1981 73, 74; OLG Frankfurt 18.12.1986 RuS 1988 28; OLG Oldenburg 5.6.1974 VersR 1976 657, 658. LG Köln 20.4.1988 VersR 1989 1039. OLG Frankfurt 10.3.1988 RuS 1989 133, 134. OLG Celle 17.6.1993 RuS 1995 198, 199; OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996 837; OLG Hamburg 1.8.1989 VersR 1991 763; OLG Karlsruhe 24.8.1989 VersR 1990 967, 968; OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229; OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 1530, 1531. OLG Frankfurt/M. 22.2.1995 VersR 1996 701; OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229; OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379, 380.
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§ 178
• ein auffällig bzw. unverhältnismäßig hoher Unfallversicherungsschutz vereinbart ist,660 der eindeutig keinem ökonomisch sinnvollen Vorsorgebedürfnis entspricht, weil etwa die im Fall eines Unfalls zur Auszahlung kommenden Versicherungsleistungen dem VN Einkünfte bescheren würden, die seine eigenen Erwerbsperspektiven weit übersteigen würden, oder neben den außergewöhnlich hohen Unfallversicherungssummen andere sinnvolle Vorsorgemaßnahmen (z.B. Altersvorsorge durch Lebensversicherungen) gar nicht getroffen bzw. nur in einem Umfang vereinbart sind, der deutlich hinter den zu erwartenden Unfallversicherungsleistungen zurückbleibt.661 Eine „Überversicherung“ ist allerdings dann kein schlagkräftiges Indiz für eine Freiwilligkeit, wenn der Abschluss der Unfallversicherung schon längere Zeit vor dem Unfall auf Vorschlag des Agenten des VR erfolgt ist.662 • ein unwirtschaftliches Verhältnis zwischen versicherten Summen und Prämie einerseits sowie Lebens- und Einkommensverhältnissen der versicherten Person andererseits vorliegt 663 (z.B. die Beitragsverpflichtungen im Verhältnis zum Einkommen drückend sind).664
Weitere Verdachtsmomente können sich aus einem auffälligen Verhalten des VN vor 206 oder bei Vertragsschluss ergeben, z.B. weil der VN • bei Vertragsschluss andere Versicherungen nicht bzw. nicht vollständig angegeben hat (s.a. Rn. 254),665 • sich intensiv nach der Gliedertaxe erkundigt,666 • versucht, weitere Versicherungsverträge abzuschließen 667 bzw. bestehenden Versicherungsschutz – etwa durch Vereinbarung höherer Versicherungssummen oder den Einschluss einer Progression – auszubauen 668 oder kurz vor dem Unfallereignis vorläufige Deckungszusagen einzuholen,669 • die Prämienzahlung am Tag des Unfalls erfolgt 670 oder die Vierteljahresprämie bei Beantragung der Versicherung in bar übergeben wird, obwohl der VR die Prämie noch gar nicht gefordert hat.671
Aus dem sonstigen Verhalten der versicherten Person vor dem Unfallereignis können 207 Indizien für eine freiwillige Gesundheitsschädigung abzuleiten sein. Verdachtsmomente können sich etwa aus Äußerungen des Verletzten gegenüber Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten ergeben (z.B. aus der Ankündigung, demnächst viel Geld zu erhalten).672 Bedeutsam kann weiterhin sein, aus welchem Anlass es zum Unfall gekommen ist. So spricht es gegen den Anspruchsteller, wenn nicht nachvollziehbar ist, warum die versicherte Person die zur Gesundheitsschädigung führende Handlung überhaupt vorge-
660
661 662 663
664
BGH 15.6.1994 VersR 1994 1054, 1055; OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1230; OLG Frankfurt 18.12.1986 RuS 1988 28; OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229, 230; OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 1530, 1531; OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379, 380; LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130, 131. OLG Hamburg 1.8.1989 VersR 1991 763 f. OLG Nürnberg 4.7.1987 RuS 1988 280; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 54. OLG Celle 17.6.1993 RuS 1995 198, 199; OLG Frankfurt 10.3.1988 RuS 1989 133, 134; OLG München 9.7.1985 RuS 1987 82 f.; OLG München 22.5.1985 RuS 1987 83. OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945, 946.
665
666 667 668 669 670 671 672
OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1230; OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945, 946; OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229 f. OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 1530, 1531. BGH 15.6.1994 VersR 1994 1054, 1055. OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1230. OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945, 946. OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945, 946. OLG München 22.5.1985 RuS 1987 83. OLG Frankfurt/M. 10.3.1988 RuS 1989 133, 134; OLG Oldenburg 5.6.1974 VersR 1976 657, 658 („der Rubel müsse rollen“).
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Kapitel 7: Unfallversicherung
nommen hat.673 Dagegen mag für eine Unfreiwilligkeit des Unfalls auf erste Sicht sprechen, wenn vor Eintritt des Unfallereignisses keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich waren, dass die versicherte Person beabsichtigte, ihr Leben bzw. ihr Umfeld zukünftig anders zu gestalten als bisher. Dies gilt insbesondere, wenn die versicherte Person konkrete Zukunftspläne hatte, die sich nur bei unveränderter Gesundheit realisieren lassen. So spricht etwa gegen eine Verzweiflungstat, wenn die versicherte Person private oder berufliche Termine für die Zeit nach dem Unfallgeschehen bereits (ernsthaft) vereinbart hatte.674 Ein weiterer Anhaltspunkt für eine Unfreiwilligkeit mag sich ergeben, wenn die versicherte Person bereits begonnen hatte, mit großem Zeit- oder Kostenaufwand die Umsetzung ihrer Zukunftspläne vorzubereiten und das Unfallereignis diese Arbeiten zunichte macht. Für sich allein genommen sind diese Verhaltensweisen indes nicht zwingend und haben allenfalls geringen Aussagewert. Zum einen schließen sie nicht Kurzschlussreaktionen aus (Rn. 234). Zum anderen wird die „raffiniert“ planende versicherte Person ihr Verhalten vor dem Unfallereignis so ausrichten, dass es keinen Argwohn erregt.
208
(2) Unfalldarstellung. Eine nachweisbar unrichtige, bewusst unvollständige oder wechselnde Schadenschilderung bzw. Sachverhaltsdarstellung kann bei einem Streit über die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung entscheidende Bedeutung erlangen. Der VR sollte deshalb in Zweifelsfällen möglichst bald nach der Meldung des Unfalls eine detaillierte Unfalldarstellung des Verletzten einholen und diese sorgfältig protokollieren. Die frühzeitige Dokumentation ist insbesondere deshalb empfehlenswert, weil der freiwillig sich selbst schädigende Versicherte versuchen wird, den Unfallhergang so zu schildern, dass er mit der medizinischen Bewertung des Verletzungsbildes übereinstimmt. Dazu ist er aber erst in der Lage, wenn im weiteren Verlauf der Leistungsprüfung durch den VR Sachverständigengutachten eingeholt und diese dem Anspruchsteller zur Verfügung gestellt worden sind.
209
(a) Falsche Angaben. Der von dem Verletzten geschilderte Geschehensablauf ist darauf zu überprüfen, ob er naturwissenschaftlich so möglich und psychologisch so vorstellbar sowie mit den objektiven Befunden über die Folgen (dem Verletzungsbild) vereinbar ist.675 Ggf. ist die Hilfe eines Gutachters in Anspruch zu nehmen. Stellt sich als Ergebnis der Prüfung mit hinreichender Gewissheit heraus, dass die Unfallschilderung der verletzten versicherten Person nicht zutreffen kann, weil sie in wesentlichen Punkten nicht mit der Realität oder mit ärztlichen Befunden über das Verletzungsbild übereinstimmt, so ist fraglich, welche Konsequenzen daraus abzuleiten sind. Überwiegend wird die Vermutung der Unfreiwilligkeit als widerlegt angesehen.676 Z.T. wird der falschen
673
674
675
OLG Köln 26.2.2003 VersR 2004 1042, 1043; OLG Bamberg 27.2.1980 VersR 1981 73, 74. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 950; a.A. OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290, 291. BGH 10.7.1985 VersR 1985 940; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 10; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 5.
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BGH 17.4.1991 RuS 1991 285; BGH 10.7.1985 VersR 1985 940; OLG Bamberg 27.2.1980 VersR 1981 73, 74; OLG Braunschweig 4.12.1987 VersR 1988 907, 909; OLG Frankfurt 10.3.1988 RuS 1989 133, 134; OLG Frankfurt 18.12.1986 RuS 1988 28; OLG Hamburg 1.8.1989 VersR 1991 763, 765; OLG Hamm 1.12.1989 VersR 1990 966, 967; OLG Hamm 27.10.1971 VersR 1973 416, 417; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378; OLG Koblenz 8.6.1979
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Unfallschilderung aber auch lediglich der Wert eines Verdachtsmomentes beigemessen.677 Dem ist indes in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Richtig ist, dass wegen der physischen und psychischen Belastung des Verletzten gerade im Zeitpunkt eines schweren Unfalls nicht jeder lückenhafte Vortrag die Unfreiwilligkeit entfallen lässt (Rn. 211). Hat sich aber im weiteren Zeitablauf nach dem Unfallereignis die Situation für den Verletzten wieder etwas normalisiert und inzwischen der VR sogar auf mögliche Ungereimtheiten hingewiesen, so darf vom redlichen Anspruchsteller erwartet werden, dass er Ungenauigkeiten, Unterstellungen, Annahmen oder Fehler in seiner Darstellung klarstellt bzw. korrigiert. Nutzt er diese Möglichkeit (ohne nachvollziehbare Entschuldigung) bis zur Beweisaufnahme nicht und stellt sich dann u.U. Monate nach dem Unfallereignis heraus, dass das vom Verletzten Geschilderte sich nicht zugetragen haben kann, so steht die Freiwilligkeit fest; denn dann erklärt nur die Annahme der freiwilligen Gesundheitsschädigung plausibel, warum der Anspruchsteller in einem Punkt, der für die Entschädigungspflicht des VR von wesentlicher Bedeutung ist, eine (bewusst) unrichtige Darstellung gibt und bei ihr verbleibt.678 Selbstverständlich können in einem solchen Fall noch weitere Indizien zur Abrundung bzw. Absicherung des Ergebnisses herangezogen werden. Der VR würde jedenfalls überfordert, müsste er jede nur denkbare Möglichkeit für den Eintritt einer freiwilligen Gesundheitsschädigung ausschließen, insbesondere auch einen Verlauf, auf den sich der Versicherte gar nicht substantiiert berufen hat 679 oder der in Widerspruch zu seiner eigenen Darstellung steht.680 Der durch Widerlegung der Unfalldarstellung geführte Beweis der Freiwilligkeit wird nicht dadurch erschüttert, dass es dem Verletzten persönlich technisch unmöglich gewesen ist, sich die Verletzung selbst beizubringen. Ausreichend ist es, dass ein anderer die Verletzung mit Wissen und Wollen des Verletzten herbeigeführt hat.681 Führt die Analyse und Bewertung der Unfallschilderung zur Annahme der Freiwilligkeit, so lässt ferner allein die Tatsache eines sehr guten Einkommens des Verletzten und das Vorhandensein entsprechender Vermögenswerte die Freiwilligkeitsvermutung nicht wieder aufleben (s.a. Rn. 204).682 Für den Nachweis der Freiwilligkeit kann es ausreichen, wenn es (extrem) unwahr- 210 scheinlich erscheint bzw. nur durch eine Häufung von (abnormen) Besonderheiten erklärbar ist, dass das vom Anspruchsteller behauptete Unfallereignis zu der eingetretenen Verletzung geführt hat.683 Hinzutreten müssen dann allerdings noch weitere Indizien, die es erlauben, mögliche Restzweifel zu vernachlässigen.684
677
VersR 1980 819, 820; OLG Köln 30.6.1994 RuS 1995 37, 38; OLG Saarbrücken 31.1.1990 VersR 1990 968, 969; OLG Saarbrücken 18.6.1985 VersR 1987 98, 99; LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130; LG Hamburg 15.7.1991 VersR 1992 864, 865; LG Lüneburg 14.1.1972 VersR 1973 180 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer § 178 VVG Rn. 33; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 53; wohl auch OLG Köln 26.2.2003 VersR 2004 1042 f. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 10; zust. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 42; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 6; wohl auch Zopfs VersR 1993 140.
678
679 680 681 682 683
684
OLG Hamm 27.10.1971 VersR 1973 416, 417; LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130. Hansen Beweislast S. 197. BGH 17.4.1991 RuS 1991 285; OLG Hamm 27.10.1971 VersR 1973 416, 417. OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1230. BGH 10.7.1985 VersR 1985 940. OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1230; OLG Saarbrücken 31.1.1990 VersR 1990 968, 969. OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975; OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229, 230; OLG München 9.7.1985 RuS 1987 82.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
211
(b) Unvollständige oder ungenaue Angaben. Nicht jede beliebige Lücke oder Ungenauigkeit in der Unfallschilderung des Verletzten genügt für den Beweis der Freiwilligkeit des Geschehens.685 Je nach Zeitpunkt der Unfallschilderung werden unterschiedliche Maßstäbe an die Genauigkeit der Angaben zu stellen sein. Unfalldarstellungen können vom Anspruchsteller sowohl mit der Unfallschadenanzeige, während der Leistungsprüfung des VR und nach der Leistungsablehnung durch den VR im gerichtlichen Verfahren erfolgen. Je enger der Zeitabstand der Äußerungen zu dem u.U. dramatischen Unfallgeschehen ist und je weniger für den Anspruchsteller die Bedeutung seiner Schilderung auf der Hand liegt, desto eher sind Oberflächlichkeiten verständlich. So werden bei der Bewertung knappe und unverhältnismäßig ungenaue Angaben in der Unfallschadenanzeige kurz nach dem Unfallereignis kein so großes Gewicht erlangen wie die Angaben, die die versicherte Person gegenüber der von dem VR zur Prüfung des Erstattungsantrags berufenen sachverständigen Person macht, um ihrer Obliegenheit zur Erteilung aller weiter verlangten sachdienlichen Auskünfte nachzukommen.686 Darüber hinaus ist bei Schilderungen des unmittelbar Betroffenen zu Einzelheiten des Ablaufs zu berücksichtigen, dass diese – auch bei „redlichen Versicherten“ – naturgemäß zu unzuverlässig sind, um allein daraus tragfähige Schlussfolgerungen herleiten zu können. Eine exakte Rekonstruktion kann nicht erwartet werden.687 Anderenfalls würde man der besonderen physischen und psychischen Belastung des Verletzten gerade im Zeitpunkt eines schweren Unfalls nicht gerecht.688 Der Verletzungsvorgang stellt regelmäßig ein rasch – in Sekundenschnelle – ablaufendes und für den Betroffenen unerwartetes Ereignis dar, so dass sich dem Verletzten Einzelheiten nicht zuverlässig eingeprägt haben oder nicht einmal zu Bewusstsein gekommen sein mögen. Entscheidend für den Wahrheitsgehalt der Unfallschilderung ist, ob der Kern des Geschehens bei verschiedenen Gelegenheiten widersprüchlich oder falsch dargestellt wurde.689 Eine höhere Detailtreue ist dagegen für die Situation zu verlangen, die dem Unfall unmittelbar vorausgeht.690 Auch wenn nachvollziehbar ist, dass sich die versicherte Person nicht an alle Einzelheiten erinnert, so darf doch erwartet werden, dass sie zumindest den groben Handlungsablauf schildert.691 Hält sich der Anspruchsteller dagegen in seiner Darstellung zur Entwicklung des schädigenden Ereignisses stets (auffällig) bedeckt, so spricht dies gegen seine Glaubwürdigkeit.692
212
(c) Wechselhafte oder widersprüchliche Angaben. Ändert bzw. wechselt die versicherte Person ihre Sachverhaltsdarstellung im Laufe des Rechtsstreits, so kann dies die Annahme begründen, die Gesundheitsschädigung sei nicht unfreiwillig eingetreten.693 Zwar kann nicht jeder neue Vortrag pauschal unberücksichtigt gelassen werden; denn möglich ist, dass der Anspruchsteller bei seiner falschen oder fehlerhaften Schilderung des Geschehensablaufs einem entschuldbaren Irrtum unterlag.694 Jedoch sind widersprüchliche Angaben starkes Indiz für eine Freiwilligkeit des Unfalls.695 685 686
687 688 689 690
BGH 17.4.1991 RuS 1991 285; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 42. OLG Braunschweig 4.12.1987 VersR 1988 907, 908; OLG Hamm 27.10.1971 VersR 1973 416. OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 10. OLG Nürnberg 4.7.1987 RuS 1988 280. BGH 17.4.1991 RuS 1991 285; OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975.
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691 692 693
694 695
OLG Hamm 8.2.1989 RuS 1989 373, 374. OLG Hamm 22.9.1995 RuS 1996 117, 118. BGH 15.6.1994 VersR 1994 1054, 1055; OLG Hamm 22.9.1995 RuS 1996 117 f.; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378; OLG München 22.5.1985 RuS 1987 83. Hansen Beweislast S. 197. OLG Karlsruhe 24.8.1989 VersR 1990 967, 968; OLG Oldenburg 5.6.1974 VersR 1976 657, 658 f.
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Zweifel sind etwa in den Fällen von Sachverhaltsanpassungen angebracht, bei denen der Anspruchsteller neuen und/oder ergänzenden Sachvortrag (zögerlich) erst dann bringt, nachdem die ursprüngliche Unfalldarstellung gutachterlich mit einem für ihn ungünstigen Ergebnis überprüft worden ist.696 Noch stärkere Anhaltspunkte für eine Freiwilligkeit sind gegeben, wenn der Anspruchsteller im Laufe einer Auseinandersetzung mit dem VR mehrfach seine Schilderung des Verletzungsgeschehens im Detail gerade soweit anpasst oder ergänzt, dass er die jeweils erhobenen Bedenken ausräumt, der von ihm zuvor beschriebene Vorgang könne sich aus technischen und/oder anatomischen Gründen so nicht abgespielt haben.697 Der Verdacht gegen den Verletzten, einen Versicherungsfall vorgetäuscht zu haben, 213 erhärtet sich insbesondere, wenn auch spätere „Ersatzschilderungen“ widerlegt werden können.698 Selbst wenn nicht bereits erwiesene Falschangaben in den ersten Stellungnahmen des Anspruchsstellers ausreichen sollten, die Unfreiwilligkeitsvermutung zu entkräften (Rn. 209), so ist spätestens dann von Freiwilligkeit auszugehen.699 Gegen die Glaubwürdigkeit des Anspruchstellers spricht es des Weiteren, wenn er 214 während des Prozesses seine konkreten Erinnerungen an den Geschehensablauf immer mehr verliert und bislang so nie in den Raum gestellte Abläufe als jedenfalls nicht ausgeschlossen darstellt. Immer weniger präzise Sachverhaltsdarstellungen deuten auf Sachverhaltsverschleierung hin und erwecken den Eindruck, dass dem Anspruchsteller weniger an einer Aufklärung liegt, sondern er die Überprüfung des Ablaufs durch einen Sachverständigen dadurch, dass er sich möglichst viele Alternativen offen hält, bewusst erschweren will.700 Unabhängig von der Prüfung der Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung ist die Frage zu beurteilen, ob aus dem Widerspruch zwischen den Darstellungen des Verletzten eine Obliegenheitsverletzung wegen falscher Angaben und daraus Leistungsfreiheit resultiert (Ziff. 7 und 8 AUB 2008; s.a. Rn. 254).701 (3) Weiteres Verhalten der versicherten Person nach dem Unfallereignis. Auch wenn 215 keine wissenschaftlich abschließend abgesicherten Erfahrungssätze über das typische Verhalten eines Selbstverletzers oder eines „gescheiterten Selbstmörders“ nach vollbrachter bzw. versuchter Tat vorliegen,702 so gibt es dennoch – auch in der Phase nach dem Unfallereignis – Indizien, die mit geeignet sein können, die Vermutung der Unfreiwilligkeit auszuräumen: Zunächst können Äußerungen nach dem Unfallgeschehen Indizien für eine freiwillige 216 Gesundheitsschädigung begründen. Verdächtig ist es z.B., wenn der Verletzte noch im Rettungswagen angibt, er habe aus dem Leben scheiden wollen, weil er Schulden habe und er deshalb zu seinem Schutz in die Psychiatrie eingewiesen wird.703 Für Freiwilligkeit kann weiterhin anzuführen sein, dass der Anspruchsteller ihm bekannte Tatsachen verschweigt, z.B. es in der Schadenanzeige unterlässt, sämtliche Unfallversicherungen anzugeben (s.a. Rn. 211).704 696 697 698 699
OLG Braunschweig 4.12.1987 VersR 1988 907, 909. OLG Hamburg 1.8.1989 VersR 1991 763, 765. OLG Celle 17.6.1993 RuS 1995 198 f. Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 6; so wohl auch Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 10.
700 701 702 703 704
OLG Köln 26.2.2003 VersR 2004 1042 f. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180a Rn. 10. OLG Braunschweig 4.12.1987 VersR 1988 907, 909. OLG Karlsruhe 6.12.1990 ZfS 1991 102, 103. OLG Saarbrücken 18.6.1985 VersR 1987 98, 99.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
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Auffällig ist fernerhin, wenn wertvolle Beweisstücke verschwinden. Der Anspruchsteller muss damit rechnen, dass diese Gegenstände für eine Rekonstruktion von erheblicher Bedeutung sein können. Verschwinden die Beweismittel ohne plausible Erklärung, rechtfertigt sich der Verdacht, dass der Anspruchsteller möglichst viel im Ungewissen lassen will, um eine zuverlässige Rekonstruktion nach Möglichkeit zu erschweren.705
218
d) Fallgruppen. Zu den „allgemeinen Verdachtsmomenten“ (Rn. 202 ff.), die von der Art der Verletzung unabhängig sind, können je nach Fallgruppe weitere „besondere Umstände“ hinzutreten, die im Rahmen einer Gesamtschau (Rn. 201) zu würdigen sind.
219
aa) Selbstverstümmelung. Die Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit häufig mit Sachverhalten befasst, in denen der Verdacht auf Selbstverstümmelung bestand.706 Meist ging es um die Amputation des Daumens707 und/oder eines Fingers708 oder mehrerer Finger709 bzw. eines Daumen-710 und/oder Fingergliedes,711 da sich diese Verletzungen leichter durch die versicherte Person selbst herbeiführen lassen. Ausgeschlossen ist es aber nicht, dass die versicherte Person auch an anderen Gliedmaßen (z.B. der Hand,712 am Fuß) 713 Selbstbeschädigungen herbeiführt, sei es durch eine traumatische Amputation, sei es, dass die Schwere der zunächst selbst beigefügten Verletzung eine Erhaltung des betroffenen Glieds nicht gestattet und eine Amputation durch den Arzt erfolgen muss. Die praktische Relevanz solcher Fälle ist indes im Vergleich zu Selbstschädigungen im Finger- und Handbereich geringer, da ihre technische Durchführung größere Schwierigkeiten birgt. „Selbstschädiger“ finden sich in allen Berufs- und Gesellschaftsschichten. Auffällig ist allerdings der verhältnismäßig hohe Anteil von „Akademikern“ (insbesondere Ärzten).714 Die Motive für eine Selbstverstümmelung können vielschichtig sein, z.B.
705 706
707
708
OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975. Umfangreiche Fallsammlung bei Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 118 ff. und 129 ff.; zur älteren Rechtsprechung Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 74 und 76a. BGH 17.4.1991 RuS 1991, 285; BGH 10.7.1985 VersR 1985 940; OLG Bamberg 27.2.1980 VersR 1981 73; OLG Braunschweig 4.12.1987 VersR 1988 907; OLG Frankfurt 18.12.1986 RuS 1988 28; OLG Hamburg 1.8.1989 VersR 1991 763; OLG Hamm 21.2.1990 RuS 1990 395; OLG Hamm 8.2.1989 RuS 1989 373; OLG Hamm 27.10.1971 VersR 1973 416; OLG Karlsruhe 24.8.1989 VersR 1990 967, 968; OLG Koblenz 8.6.1979 VersR 1980 819; OLG Köln 30.6.1994 RuS 1995 37; OLG Oldenburg 5.6.1974 VersR 1976 657; OLG Saarbrücken 31.1.1990 VersR 1990 968; LG Lüneburg 14.1.1972 VersR 1973 180. BGH 15.6.1994 VersR 1994 1054; OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974; OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996
146
709
710 711
712 713 714
837; OLG Hamm VersR 1990 1.12.1989 VersR 1990 966; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378; OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229; OLG Köln 26.2.2003 VersR 2004 1042; OLG München 9.7.1985 RuS 1987 82; OLG München 22.5.1985 RuS 1987 83; OLG Nürnberg 4.7.1987 RuS 1988 280; OLG Oldenburg 20.3.1996 RuS 1997 522 (LS); LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130; LG Hamburg 15.7.1991 VersR 1992 864. OLG Celle 17.6.1993 RuS 1995 198; OLG Frankfurt 10.3.1988 RuS 1989 133; OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945; OLG Hamm 1.12.1989 VersR 1990 966. OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 1530. S.a. Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 75 f. und 107 f. m.w.H. auf rechtsmedizinische Auswertungen. OLG Saarbrücken 18.6.1985 VersR 1987 98, 99. OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1230. Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 94 ff. und 110.
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§ 178
auch religiöse oder politische Gründe haben. In der privaten Unfallversicherung steht typischerweise die persönliche Bereicherung im Vordergrund.715 (1) Verhalten der versicherten Person vor dem Unfallereignis. Anhaltspunkte für eine 220 freiwillige Selbstverstümmelung können insbesondere aus dem (ungewöhnlichen) Zustandekommen und Umfang des Versicherungsschutzes resultieren (Rn. 205 f.). Indiz für eine Freiwilligkeit kann u.a. sein, dass der VN und VR spezielle Vereinbarungen zur Erhöhung von Versicherungsleistungen für Verletzungen getroffen haben, die bei Zugrundelegung der „normalen“ Regelungen (AUB) deutlich geringer zu entschädigen wären.716 Solche Fallgestaltungen waren insbesondere zu beobachten als aufgrund der Einführung der Besonderen Vereinbarungen zur Unfallversicherung für Ärzte im Jahre 1988 erhebliche Versicherungssummen für Fingerverletzungen festgelegt werden konnten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Finger der Gebrauchs- oder Nichtgebrauchshand handelte. Bemerkenswert ist, dass die Zahl der (vermuteten) Selbstverstümmelungen an der Nichtgebrauchshand von Ärzten (vornehmlich Chirurgen) rapide zurückging, als die Versicherungsbedingungen in den 90iger Jahren geändert wurden.717 Auch heute bleibt es aber weiterhin auffällig, wenn ein Arzt kurz vor dem Verlust eines Fingers durch ein vermeintliches Unfallereignis (bei mehreren Gesellschaften mit jeweils erheblichen Versicherungssummen) eine Erhöhung der Gliedertaxe durch Vereinbarung der Besonderen Bedingungen für Heilberufe herbeiführt.718 Dagegen stehen Persönlichkeitsbesonderheiten nur ganz ausnahmsweise einer Selbstverstümmelung entgegen. Jedenfalls bei Vorliegen zahlreicher Indizien für eine Selbstverstümmelung ist es auch unerheblich, ob dritte Personen nach ihrer individuellen Auffassung der versicherten Person eine Selbstverstümmelungsabsicht nicht zutrauen.719 Entscheidender ist vielmehr, welchen Stellenwert die Erlangung persönlicher Vorteile bei der versicherten Person einnimmt (Rn. 204).720 (2) Unfalldarstellung. Größte Bedeutung kommt der Darstellung des Verletzten zum 221 eigentlichen Unfallhergang zu. Eine Selbstverstümmelung lässt sich in diesem Zusammenhang typischerweise daraus ableiten, dass die Behauptungen des Verletzten entweder von ihrem Verlauf unrealistisch oder mit den ärztlichen Befunden über das Verletzungsbild nicht vereinbar sind (Rn. 209).721 Regelmäßig kann dies nur mit Hilfe von Gutachtern ermittelt722 und (z.B. durch experimentelle Rekonstruktionen des Geschehens)723 nachgewiesen werden. Die Rechtsmedizin kann dazu auf mannigfaltige Erfahrungen und Ergebnisse aus dokumentierten Versuchsreihen zurückgreifen.724 Zur Rekonstruktion eines Geschehensablaufs kann u.U. das Spurenbild am Ereignisort sowie insbesondere an den beteiligten Gegenständen und Werkzeugen entscheidend beitragen.725
715 716 717 718 719 720
Näher Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 102 ff. OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975. Hildebrand/Hitzer/Püschel VersMed 2006 29. LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130, 131. OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379, 380. OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996 837.
721 722
723
724 725
Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 42. Zur Praxis der rechtsmedizinischen Begutachtung vgl. Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 87 ff. LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130, 131; LG Hamburg 15.7.1991 VersR 1992 864. Eingehend hierzu Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 77 ff. Näher zu spurenkundlichen Untersuchungen Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 84 ff.
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147
§ 178 222
Kapitel 7: Unfallversicherung
Aus den Umständen zum Unfallort und zur Unfallzeit (einschließlich Witterungsbedingungen) können sich etwa Indizien ableiten lassen, so etwa wenn • das Unfallereignis an einem einsamen Ort bzw. menschenleeren Raum statt gefunden hat; denn Zeugen sind bei Selbstverstümmelungen aus verständlichen Gründen unerwünscht;726 • die Unfallzeit so lag, dass mit „Störungen“ durch Dritte nicht zu rechnen ist (z.B. Nachtzeit, Büroräume am Wochenende).727
Zur Ermittlung des tatsächlichen Handlungsablaufs sind zu berücksichtigen728
223
• die körperlichen Eigenschaften der versicherten Person (Körpergröße und -gewicht, Konstitution, Allgemeinzustand, Händigkeit, Armlänge, Vorerkrankungen, Einnahme von Medikamenten oder Drogen, Befindlichkeit vor und nach dem Vorfall wie z.B. „Schock“), • die Bekleidung der versicherten Person (z.B. Schutzkleidung), • die Art, Beschaffenheit und Funktionsweise des „Tatwerkzeugs“ (z.B. Fabrikat, biologische und technische Spuren am Werkzeug), • die Art und Beschaffenheit des „Objekts der Bemühungen“ (Eigenschaften des Materials wie z.B. Art und Alter des zu bearbeitenden Holzstückes, Abmessungen, Spuren am Material), • die Art und Beschaffenheit der Wunde und des Amputats (z.B. Verletzungsrichtung, Wundart und -tiefe, Beschaffenheit, Schmutz- und Spurenanhaftungen), • der Geschehensablauf im Detail, • die zeitliche Abfolge (Reaktionszeiten, benötigte Zeit für die Herbeiführung der konkreten Verletzung mit dem jeweiligen Werkzeug),729 • die Erfahrungswerte zu typischen (freiwilligen und unfreiwilligen) Verhaltens- und Verletzungsmustern, • die üblichen Regeln für ein sicheres Arbeiten und • die Vorkenntnisse und Erfahrungen der versicherten Person (z.B. Verletzung im Rahmen erstmaliger bzw. amateurhafter oder routinemäßiger bzw. professioneller Ausübung der zur Verletzung führenden Handlung).
Dabei spielen die Primärbefunde (z.B. Fotos, Röntgenaufnahmen) eine wesentliche Rolle. Sie müssen den ärztlichen Unterlagen der Erstbehandler entnommen werden.730 Unter sorgfältiger Berücksichtigung des vom Verletzten geschilderten Handlungs224 ablaufs (z.B. der Art der Tätigkeit, Halten des „Verletzungswerkzeugs“ und des „Objekts der Bemühungen“, der Schlag- bzw. Arbeitsmechanik) ist bei der Begutachtung ein besonderes Augenmerk auf die Art und Beschaffenheit sowie die Funktionsweise des die Verletzung (vermeintlich) herbeiführenden Gegenstandes zu legen. Typische „Tatwerkzeuge“,731 die in der Rechtsprechung wiederholt eine Rolle gespielt haben, sind herunterfallende (schwere) Gegenstände wie z.B. Stahl- bzw. Gehwegplatten oder Eisenbleche,732 Säge, Kreissäge oder Bandsägemaschine733 und Beil, Axt, Knochenspalter
726 727 728 729 730 731 732
OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379. OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379. Checkliste etwa bei Hildebrand/Hitzer/ Püschel S. 88 f. Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 77 f. Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 79. S.a. die Auswertungen bei Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 92 f. OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996 837; OLG Saarbrücken 18.6.1985 VersR 1987 98, 99; LG Hamburg 15.7.1991 VersR 1992 864.
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733
BGH 10.7.1985 VersR 1985 940 f.; OLG Celle 17.6.1993 RuS 1995 198 f.; OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975; OLG Frankfurt 18.12.1986 RuS 1988 28; OLG Hamburg 1.8.1989 VersR 1991 763, 764 f.; OLG Hamm 21.2.1990 RuS 1990 395; OLG Hamm 1.12.1989 VersR 1990 966, 967; OLG München 9.7.1985 RuS 1987 82; OLG Nürnberg 4.7.1987 RuS 1988 280, 281; OLG Saarbrücken 31.1.1990 VersR 1990 968, 969.
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§ 178
bzw. Küchenbeil,734 aber auch Kreiselmäher,735 Gewehr,736 LKW737 oder ein Schlittschuh.738 Für eine Selbstverstümmelung spricht es etwa, wenn 225 • das vom Versicherten genannte Werkzeug, dass die Verletzung angeblich verursacht hat, überhaupt nicht eingesetzt worden ist bzw. die bestehenden Verletzungen (z.B. aufgrund der Wundbeschaffenheit)739 überhaupt nicht hervorrufen kann,740 • sich das Verletzungsbild (z.B. glattrandige Verletzungen, glatte Durchtrennung von Knochen, Fehlen von Knochenabsplitterungen) nicht durch eine übliche oder normale Arbeitshaltung bzw. typischen Arbeitsvorgang, sondern nur durch eine „Exekutionshaltung“ des Verletzten (z.B. längeres Stillhalten unter großen Schmerzen) oder eine unnatürliche, ungewöhnliche oder zweckwidrige Körper- bzw. Zwangshaltung des Verletzten oder des verletzten Körperteils erklären lässt (z.B. zu Verkrampfungen führende Arbeitshaltung, unbequeme Griffhaltung, extremes Abspreizen des verletzten Daumens oder Fingers,741 bewusstes Auflegen des Daumens bzw. Fingers auf eine harte Oberfläche),742 • die von der versicherten Person geschilderten Bewegungsabläufe nicht in Einklang zueinander stehen,743 weil z.B. natürliche Selbstschutzinstinkte und Reflexe versagt haben müssten744 oder • die Rekonstruktion des Geschehens ergibt, dass die behauptete Handlungsweise nicht geeignet ist, die vorliegenden Verletzungen herbeizuführen,745 so z.B. die isolierte Abtrennung eines Fingers im Grundglied durch eine Kreissäge ohne Verletzung der umliegenden Handpartie746 oder die Amputation des Daumens mit nur einem einzigen Beilhieb.747
Weitere Indizien für eine Freiwilligkeit können sich daraus ergeben, dass
226
• die versicherte Person gegen die Regeln sicheren Arbeitens verstößt, die ihr aufgrund ihrer Erfahrungen und Kenntnisse bekannt sind,748
734
735 736
737 738 739
740
OLG Bamberg 27.2.1980 VersR 1981 73, 74; OLG Braunschweig 4.12.1987 VersR 1988 907; OLG Celle 17.6.1993 RuS 1995 198 f.; OLG Frankfurt/M. 10.3.1988 RuS 1989 133; OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945; OLG Hamm 8.2.1989 RuS 1989 373; OLG Hamm 27.10.1971 VersR 1973 416; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 379; OLG Karlsruhe 24.8.1989 VersR 1990 967, 968; OLG Koblenz 8.6.1979 VersR 1980 819; OLG Köln 26.2.2003 VersR 2004 1042; OLG Köln 30.6.1994 RuS 1995 37; LG Lüneburg 14.1.1972 VersR 1973 180. OLG Koblenz 21.9.1990 VersR 1992 229 f. OLG Oldenburg 20.3.1996 RuS 1997 522 (LS); OLG Oldenburg 5.6.1974 VersR 1976 657. OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1230. LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130. OLG Frankfurt/M. 23.6.1994 VersR 1996 837, 838; OLG Saarbrücken 31.1.1990 VersR 1990 968, 969; OLG Saarbrücken 18.6.1985 VersR 1987 98, 99; LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130 f.; LG Hamburg 15.7.1991 VersR 1992 864. Z.B. Amputation des Daumens mit einer
741 742
743 744 745
746 747 748
Kettensäge: BGH 17.4.1991 RuS 1991 285; OLG Frankfurt 18.12.1986 RuS 1988 28. LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130, 131. OLG Bamberg 27.2.1980 VersR 1981 73, 74; OLG Celle 17.6.1993 RuS 1995 198; OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975; OLG Hamm 8.2.1989 RuS 1989 373 f.; OLG Hamm 27.10.1971 VersR 1973 416, 417; OLG Karlsruhe 24.8.1989 VersR 1990 967, 968; OLG Koblenz 8.6.1979 VersR 1980 819, 820; OLG Köln 30.6.1994 RuS 1995 37, 38 f.; OLG München 9.7.1985 RuS 1987 82. BGH 10.7.1985 VersR 1985 940 f. OLG Saarbrücken 31.1.1990 VersR 1990 968, 969. OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975; OLG Köln 26.2.2003 VersR 2004 1042 f. OLG München 22.5.1985 RuS 1987 83. OLG Braunschweig 4.12.1987 VersR 1988 907, 908. OLG Bamberg 27.2.1980 VersR 1981 73, 74; ferner KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 379; LG Lüneburg 14.1.1972 VersR 1973 180, 181.
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§ 178 • • • •
Kapitel 7: Unfallversicherung
die versicherte Person eine für sie völlig untypische Arbeit vornimmt,749 ein für die ausgeübte (vorher geplante) Tätigkeit ungeeignetes Werkzeug verwendet wird,750 mehrere Schnitte parallel zur Amputationswunde i.S.v. „Probierschnitten“ vorliegen751 oder nicht die Gebrauchshand (also etwa die linke Hand beim Rechtshänder) verletzt wird;752 denn oftmals ist die „Nichtarbeitshand“ bevorzugtes Objekt der Selbstverstümmelung.753
227
(3) Weiteres Verhalten der versicherten Person nach dem Unfallereignis. Nach Eintritt des Unfallereignisses können folgende Sachverhaltsumstände für die Beurteilung des Tatbestandsmerkmals „Unfreiwilligkeit“ Bedeutung erlangen: Die Schilderung des Verletzten zu seinem Verhalten nach dem Ereignis kann Ver228 dachtsmomente begründen, weil es Widersprüchlichkeiten oder ungewöhnliche Verhaltensmuster aufweist,754 z.B. der Verletzte nicht nach dem behaupteten Unfallgeschehen unverzüglich (nahe liegende) medizinische Hilfe in Anspruch nimmt755 bzw. schnellstmöglich einen Arzt oder das nächstliegende Krankenhaus aufsucht.756 Für Freiwilligkeit spricht weiterhin, wenn der Versicherte die mögliche Replantation verweigert757 oder das Amputat von vornherein nicht mit ins Krankenhaus nimmt, weil er angeblich nicht registriert hat, dass der Daumen abgetrennt war.758 Als Indiz zur Widerlegung der Unfreiwilligkeitsvermutung kann weiterhin der Um229 stand dienen, dass das Amputat nicht sichergestellt wurde bzw. später (trotz eingehender Suche) nicht mehr auffindbar ist759 und die Begründung des Verletzten hierfür konstruiert oder ungewöhnlich erscheint (Rn. 210), z.B. ein Tier (Katze, Hund) das abgetrennte Gliedmaß verschleppt bzw. gefressen haben soll760 oder die (schwer blutende) versicherte Person das Amputat versehentlich verloren bzw. vernichtet haben will.761 Gerade wenn eine Retransplantation in Betracht kommt, liegt in solchen Fällen der Verdacht nahe, dass das Amputat beseitigt worden ist, um die Versicherungsansprüche zu erhalten.762 Ähnliches gilt, wenn die bei der Amputation genutzten Hilfsmittel wie z.B. Arbeitshandschuhe und Werkzeug oder der Werkgegenstand nicht aufbewahrt werden bzw. (auf unerklärliche Weise) verschwunden sind.763 Auch hier kann leicht der Eindruck entstehen, dass eine Rekonstruktion des Geschehens verhindert werden soll, indem wichtige Beweisgegenstände einer Begutachtung entzogen werden.
749 750 751 752 753
754 755 756
757
OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379, 380. OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379. OLG Köln 20.3.1996 VersR 1996 1530, 1531. OLG Saarbrücken 31.1.1990 VersR 1990 968, 969. OLG Frankfurt 18.12.1986 RuS 1988 28; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378; OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 54. Kasuistik bei Hildebrand/Hitzer/Püschel S. 100 f. LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130, 131. OLG Düsseldorf 9.6.1998 VersR 2000 1227, 1230; OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379, 380. OLG Hamburg 28.11.1988 VersR 1989 945,
150
758 759
760
761
762 763
946; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180a Rn. 6. OLG Hamm 8.2.1989 RuS 1989 373, 374. OLG München 22.5.1985 RuS 1987 83; ferner LG Frankfurt/M. 5.10.1995 RuS 1998 130, 131. BGH 15.6.1994 VersR 1994 1054, 1055; BGH 10.7.1985 VersR 1985 940, 941; KG 25.9.1995 RuS 1996 377, 378. OLG Frankfurt 10.3.1988 RuS 1989 133, 134 ; OLG München 27.6.1984 VersR 1986 379, 380. OLG Saarbrücken 31.1.1990 VersR 1990 968, 969. BGH 15.6.1994 VersR 1994 1054, 1055; BGH 10.7.1985 VersR 1985 940, 941; OLG Düsseldorf 11.5.1999 VersR 2001 974, 975.
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§ 178
bb) Freitod. Die Dunkelziffer dürfte hier recht hoch sein;764 denn für den VR ist die 230 Beweisführung in Fällen möglicher Selbsttötungen bzw. versuchter Selbsttötungen oftmals schwierig. Zum einen ist das Handeln des Verstorbenen in der Regel nicht zwingend materiell motiviert. Zum anderen gibt es (ausgenommen bei fehlgeschlagenen Suizidversuchen) keine Unfallschilderung der versicherten Person, die auf Plausibilität untersucht werden kann. Letztlich entscheidend für die Annahme einer Unfreiwilligkeit ist, dass nach den Gesamtumständen andere versicherte Todesarten wie z.B. ein Verbrechen (Mord, Totschlag usw.) oder ein Unglücksfall als geradezu unvorstellbar ausscheiden, also im Wege eines Ausschlussverfahrens allein die Möglichkeit des Suizids als Todesursache übrig bleibt.765 (1) Verhalten der versicherten Person vor dem Unfallereignis. Während bei der 231 Selbstverstümmelung eher finanzielle Aspekte für die versicherte Person im Vordergrund stehen (Rn. 204), ist der Freitod häufig auch bzw. zusätzlich von anderen Umständen motiviert. Besonderes Augenmerk ist auf die Beantwortung der Frage zu legen, ob für die versicherte Person nach ihrer inneren Lebenseinstellung und ihren ganzen Lebensumständen (z.B. Ehe- oder Beziehungskrise, Schicksalsschläge, gesundheitliche Verfassung, finanzielle Sorgen, berufliche Rückschläge) zum Zeitpunkt seines Todes bzw. des Suizidversuchs ein Selbstmord („Bilanzselbstmord“) wahrscheinlich oder unwahrscheinlich erscheint.766 Aus dem Verhalten der versicherten Person vor dem tödlichen Ereignis können indes nur ungenügende bzw. nur in engen Grenzen Anhaltspunkte für eine Selbsttötung abgeleitet werden. Aus der persönlichen Situation der versicherten Person lässt sich regelmäßig – ohne weitere Indizien – weder auf noch gegen einen Freitod schließen.767 (a) Vorhandenes Motiv. Ein Suizidmotiv der versicherten Person kann die Beweis- 232 führung des VR abrunden. So wird eine gegen Unfreiwilligkeit sprechende Indizienkette erhärtet, wenn z.B. wirtschaftliche Probleme der versicherten Person darauf hindeuten, dass sie mit ihrem Handeln ihre Familie finanziell absichern wollte768 oder dass sie sich in einer psychischen Ausnahmesituation befand (Ehekrise, Scheidungsverfahren769 usw.). Ein Anhaltspunkt für eine Freiwilligkeit ist insbesondere dann gegeben, wenn eine Kurzschlussreaktion oder Verzweiflungstat nahe liegt („Spontansuizid“), weil z.B. zwischen den Nachrichten und Ereignissen, die für die versicherte Person niederschmetternd sind, oder zu den gegenüber nahe stehenden Personen geäußerten Selbstmordabsichten und dem Unfallgeschehen ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht.770 Alleinige Grundlage für die Begründung der Freiwilligkeit werden solche Indizien 233 aber in den allerseltensten Fällen sein. Dies gilt zunächst für wirtschaftlich begründete Motive. So ist z.B. eine abgesprochene Selbsttötung zum Zweck der finanziellen Absicherung der Hinterbliebenen – schon allein aufgrund des Selbsterhaltungstriebes des Men-
764
765
766
Für Autofahrer-Suizide: Harbort VersR 1994 1400, 1401; Moser/Sanders VersR 1976 418, 421. OLG Düsseldorf 27.8.2002 VersR 2003 1388, 1389; zust. Marlow RuS 2004 353, 354. Moser/Sanders VersR 1976 418, 419; s.a. OLG Saarbrücken 30.5.2007 NJW-RR 2008 275.
767
768 769 770
OLG Koblenz 30.5.1996 RuS 1998 215; OLG Oldenburg 28.11.1990 VersR 1991 985, 986. OLG Saarbrücken 26.3.2003 RuS 2005 120, 121. LG Berlin 27.5.1986 VersR 1987 67, 68. OLG Hamm 7.12.1988 VersR 1989 695, 696; OLG Zweibrücken 10.2.1984 VersR 1986 339, 440.
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
schen – ein atypischer Ausnahmefall, der nur angenommen werden kann, wenn der VR ganz massive und vernünftige Anhaltspunkte nachweisen kann.771 Aber auch bei sonstigen Beweggründen ist bei der Schlussfolgerung auf Freiwilligkeit Zurückhaltung und größte Vorsicht geboten: Zwar ist die Tendenz zu einer Selbsttötung bei einem Menschen, der sich in einem psychisch labilen Zustand befindet, sicherlich größer als bei einem psychisch stabilen Menschen. So ist die Suizidgefahr bei einem Versicherten nahe liegend, der zu (manischen) Depressionen neigte bzw. einen von erheblichen Schwankungen gekennzeichneten Gemütszustand aufwies und sich deshalb möglicherweise sogar einer stationären Behandlung unterzogen hatte.772 Jedoch ist hier einschränkend zu beachten, dass auch das Unfallrisiko bei einem psychisch „angeschlagenen“ Menschen höher zu bewerten ist als bei einem Menschen, der psychisch voll auf der Höhe ist. Der „normale Mensch“ ist aufmerksamer und vorsichtiger als derjenige, der aufgrund von Sorgen, Ärger, Erregung usw. besonders psychisch belastet ist.773 Des Weiteren gibt es keine typischen Verhaltensmuster, die zwingend auf einen Freitod schließen lassen; denn der Freitod eines Menschen ist im Allgemeinen sehr von seiner augenblicklichen Gemütslage und der subjektiven Sicht seiner Situation abhängig, die wiederum von irrationalen Momenten beeinflusst sein kann (s.a. Rn. 199).774 Darüber hinaus geht es bei der Selbsttötung um einen individuellen – meist plötzlichen bzw. spontanen – Willensentschluss,775 der häufig innerhalb weniger Stunden realisiert wird.776 Er steht oftmals nicht in Einklang mit einem vorher zum Ausdruck gekommenen Plan oder Verhalten.777 Wird deshalb der Freitod (lange vorher) durch einen Abschiedsbrief bzw. verbale Bekundungen der versicherten Person778 angekündigt oder gab es bereits Depressionen oder Selbstmordversuche, so begründet dies sicherlich erhebliche Verdachtsmomente,779 die im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der tödliche Geschehensablauf exakt der Vorgehensweise entspricht, von der die versicherte Person zuvor (wiederholt und über einen längeren Zeitraum) gesprochen hat.780 Jedoch können solche Indizien regelmäßig nicht allein die Annahme der Freiwilligkeit begründen. Dies gilt etwa, wenn die versicherte Person ihren Lebensüberdruss unter Alkoholeinfluss äußert.781
234
(b) Fehlendes Motiv. Für eine unfreiwillige Gesundheitsschädigung kann sprechen, dass für die versicherte Person aufgrund ihrer allgemeinen Lebenssituation kein Selbsttötungsmotiv ersichtlich ist, weil sie noch jung ist, sich guter Gesundheit erfreut bzw. an keinen schweren oder unheilbaren Krankheiten leidet, ein intaktes familiäres, soziales und berufliches Umfeld aufweist, sich nicht in einer desolaten bzw. existenzbedrohenden finanziellen bzw. wirtschaftlichen Situation befindet und dem Unfall keine depressiven Verhaltensweisen vorausgegangen sind.782 Jedoch begründet dahingehender (auch unbe-
771 772
773 774
775
OLG Köln 3.5.1990 VersR 1990 1346, 1347. OLG Hamm 16.2.1979 VersR 1982 64; KG 19.5.2000 VersR 2001 1416; KG 10.2.1987 VersR 1987 777, 778; OLG Saarbrücken 25.11.1987 ZfS 1988 24, 25. Moser/Sanders VersR 1976 418 (für Teilnehmer am Straßenverkehr). OLG Koblenz 30.5.1996 RuS 1998 215; OLG Oldenburg 28.11.1990 VersR 1991 985, 986. OLG Koblenz 20.3.1992 VersR 1993 874, 875.
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776 777 778
779 780 781 782
OLG Frankfurt 26.9.1985 ZfS 1986 122. OLG Frankfurt 26.9.1985 ZfS 1986 122. OLG Hamm 7.12.1988 VersR 1989 695, 696; KG 19.5.2000 VersR 2001 1416; OLG Karlsruhe 12.2.1975 VersR 1976 183, 184. OLG Köln 2.5.1991 VersR 1992 562; ferner OLG Köln 9.11.1989 RuS 1990 68. KG 19.5.2000 VersR 2001 1416. BGH 19.1.1967 VersR 1967 269. OLG Köln 3.5.1990 VersR 1990 1346, 1347.
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§ 178
strittener oder als wahr unterstellter) Sachvertrag des Anspruchstellers oder entsprechende Feststellungen während der Beweisaufnahme – aus den genannten Gründen (vgl. Rn. 199) – nicht zwingend die Unwiderlegbarkeit der Vermutungsregel in § 178 Abs. 2 S. 2. Menschliches Verhalten lässt sich nicht typisieren i.d.S., dass anhand des „normalen“ Verhaltens der versicherten Person im Alltag sicher vorhersehbar ist, wie sie in einer konkreten (u.U. unerwarteten oder extremen) Situation reagieren wird.783 Vielmehr kommt die Annahme der Freiwilligkeit durchaus auch dann in Betracht, wenn für den Suizid kein nachvollziehbarer Beweggrund erkennbar, vorgetragen oder nachgewiesen ist.784 Steht bereits die Freiwilligkeit aufgrund anderer Indizien zur Überzeugung des Gerichts fest, so bedarf es nicht einmal einer Beweiserhebung zum (vermeintlich) fehlenden Motiv des Versicherten, eine Selbsttötung zu unternehmen.785 So steht einer Selbsttötungsabsicht nicht entgegen, dass die Motivation der versicherten Person für ihre Angehörigen – und möglicherweise nach einem fehlgeschlagenen Versuch auch für die versicherte Person selbst – nicht verständlich erscheint, da er sich nicht in einer objektiv aussichtslosen Situation befand, seine Lebensverhältnisse geordnet waren und er sogar noch Zukunftspläne geschmiedet hatte (Rn. 204). Ausreichend für die Annahme der Freiwilligkeit kann es dann (in Verbund mit anderen Indizien) vielmehr sein, dass eine Kurzschlussreaktion nicht völlig ausgeschlossen ist.786 Des Weiteren mag das Fehlen eines Abschiedsbriefs zwar für einen nicht geplanten 235 Tod sprechen,787 zwingend ist dies indes nicht.788 Will z.B. der Verstorbene seinen Suizid verschleiern, um seine Hinterbliebenen zu versorgen, so muss er damit rechnen, dass sein Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist, wenn er einen Abschiedsbrief hinterlässt.789 (2) Unfallhergang. Nur selten sind die Todesumstände so eindeutig, dass der Schluss 236 von ihnen auf einen Freitod naheliegend oder zwingend ist (z.B. Harakiri).790 Vielmehr ist regelmäßig eine sorgfältige Recherche und Gesamtwürdigung notwendig. Wie bei den Selbstverstümmelungsfällen sind die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen • zum Unfallort. In der Gesamtwürdigung kann mit einfließen, dass der Unfallort aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit kein ungewöhnlicher Ort für die Ausführung eines Selbstmordes ist. Auffällig ist es fernerhin, wenn die versicherte Person eine längere Anfahrt zum Unfallort auf sich genommen hat, ohne dass es hierfür einen plausiblen Anlass gab.791 • zur Unfallzeit. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass ein Selbstmord im öffentlichen Verkehrsraum eher in der Dämmerung bzw. Nacht als am helllichten Tag ausgeführt wird, da der fest zum Selbstmord Entschlossene sich typischerweise nicht der Gefahr aussetzen will, im letzten Moment von Passanten am Freitod gehindert zu werden.792
783 784
785
786
OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290 f. OLG Düsseldorf 27.8.2002 VersR 2003 1388, 1389; OLG Hamm 7.12.1988 VersR 1989 695, 696; OLG Koblenz 20.3.1992 VersR 1993 874, 875; OLG München 4.3.1988 VersR 1988 1020, 1021; OLG Oldenburg 28.11.1990 VersR 1991 985, 986; LG Köln 20.4.1988 VersR 1989 1039. OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290; OLG Koblenz 30.5.1996 RuS 1998 215. OLG Hamm 12.3.1999 NVersZ 1999 380,
787 788
789 790 791 792
381; OLG Hamm 27.4.1994 VersR 1995 33, 34; OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290, 291. Moser/Sanders VersR 1976 418. KG 19.5.2000 VersR 2001 1416; OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290, 291. OLG Frankfurt 26.9.1985 ZfS 1986 122. BGH 18.3.1987 BGHZ 100 214, 217. OLG Saarbrücken 26.3.2003 RuS 2005 120, 121. OLG Saarbrücken 26.3.2003 RuS 2005 120, 121.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
• zu den Unfallwerkzeugen, z.B. Mechanik und Funktionsweise der „Tatwaffen“. • zum Unfallhergang. Vornehmlich aus den näheren Umständen des Geschehensablaufs, insbesondere aus der Art der Verletzung können sich Indizien für eine Freiwilligkeit ableiten lassen (Beispiele Rn. 238 ff.).
237
(3) Verhalten der versicherten Person nach dem Unfallereignis. Indizien für einen Suizidversuch können Äußerungen des Verletzten nach dem Unfallereignis – dem gescheiterten Selbstmordversuch – bilden (Rn. 216). Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die versicherte Person ihr Vorbringen im Prozess wechselt (Rn. 212 ff.) und offenbar selbst nicht in der Lage ist, eine plausible Erklärung für den Geschehensablauf zu geben, die dem Verdacht der versuchten Selbsttötung entgegengesetzt werden könnte.793 Dem Verhalten unmittelbar nach dem Ereignis wird indes oftmals nur untergeordnete Bedeutung beizumessen sein, da sich widersprüchliche Angaben oder Erinnerungsverlust zu diesem Zeitpunkt auch damit nachvollziehbar erklären lassen, dass sich die versicherte Person in einem starken Erregungszustand befindet (Rn. 211).794 Allerdings spricht es auch nicht gegen einen Suizidversuch, wenn die versicherte Person nach dem Geschehen zu Verwandten, Freunden, Bekannten oder Arbeitskollegen nichts gesagt hat, was auf eine Selbsttötungsabsicht hinweisen könnte. Dadurch würde sie nur ihre Versicherungsansprüche gefährden. Schweigt die versicherte Person gegenüber ihrem Umfeld zu den Umständen des Geschehens, so ist dies eher auffällig; denn hätte tatsächlich ein Unfall vorgelegen, so liegt es näher, dies auch in Gesprächen mitzuteilen.795
238
(4) Einzelfälle. Eine Vielzahl von Sachverhalten hat die Rechtsprechung bisher beschäftigt. Neben dem Tod durch Ertrinken (Anh. § 178 Rn. 73), Schädigungen durch Injektionen von Rauschmitteln bzw. Medikamenten (Anh. § 178 Rn. 86) oder dem Tod bei autoerotischen oder saldo-masochistischen Handlungen (Anh. § 178 Rn. 94 ff.) können insbesondere folgende Beispiele genannt werden:
239
(a) Bahngleise. Für die Beweiswürdigung erlangen zunächst Unfallort und Unfallzeit Bedeutung. Für eine freiwillige Selbsttötung spricht es, wenn sich die Unfallstelle nicht nur etwa 500 m vom Bahnhof, sondern gänzlich außerhalb der Ortslage und zumindest 200 m von jeder Straße entfernt befand sowie die Bahnstrecke an der Unfallstelle nach beiden Seiten hin einen geraden Verlauf hat und gut einsehbar ist, sodass ein herannahender Zug nicht nur akustisch, sondern auch optisch gut wahrnehmbar war.796 Des Weiteren ist die Rekonstruktion des Unfallgeschehens entscheidungserheblich. Der Nachweis der Selbsttötung ist nach den Regeln des Strengbeweises erbracht, wenn die Halsseite des Versicherten zum Zeitpunkt der Kollision mit dem herannahenden Zug unmittelbar auf einem Gleisstrang aufgelegen hat und keinerlei Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden oder einen Schwächeanfall vorliegen. Bei dieser exponierten Lage handelt es sich um eine für Selbsttötungen durch Zugkollision charakteristische Position.797 Nicht ausreichend für die Annahme eines Suizidversuchs ist es dagegen, wenn der VN in hilfloser Lage mit schweren Kopfverletzungen direkt neben dem Gleiskörper einer Bahnstrecke aufgefunden worden ist, die Umstände jedoch, unter denen es zu den Verletzun-
793 794 795
LG Berlin 27.5.1986 VersR 1987 67, 68. OLG Karlsruhe 12.2.1975 VersR 1976 183, 184. OLG Hamm 22.9.1995 RuS 1996 117, 118.
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OLG Koblenz 31.8.2006 VersR 2008 67 = RuS 2009 290. OLG Hamm 27.4.1994 VersR 1995 33 f.
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§ 178
gen gekommen ist, völlig im Dunkeln liegen.798 Freiwilligkeit ist des Weiteren nicht nachgewiesen, wenn als einzige Auffälligkeit festzustellen ist, dass sich die versicherte Person in der Dunkelheit entfernt hat und auf den Gleisen von einem Triebwagen erfasst worden ist, im Übrigen aber der genaue Geschehensablauf (z.B. Laufen bzw. Entgegengehen gegenüber dem Triebwagens trotz vorhandener Ausweichmöglichkeit) unklar bleibt.799 Vorhandene Restzweifel oder Unklarheiten über die Todesursache können dann nur mit weiteren Indizien (z.B. zur Motivation oder Persönlichkeit der versicherten Person, vgl. Rn. 231 ff.) beseitigt werden.800 (b) Schnittverletzungen. Wichtiger Anhaltspunkt ist die Art der Schnittwunde. Auf- 240 grund medizinischer Erfahrung gibt es typische „Selbstmörderschnitte“. So darf auf Unfreiwilligkeit geschlossen werden, wenn beim Rechtshänder eine glattrandige Schnittwunde am linken Unterarm bzw. am Handgelenk ein tödlicher „klassischer Pulsaderschnitt“ (längere klaffende Wunde am linken Handgelenkt in Längsrichtung) festgestellt wird und keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden oder andere Unfallursachen vorhanden sind.801 (c) Schussverletzungen. Wichtige Kriterien zur Beurteilung der Frage, ob die tödliche 241 Verletzung durch einen Schuss mit einem Gewehr, einer Pistole, einem Bolzenschussapparat usw.802 unfreiwillig oder freiwillig war, sind die Feststellungen der Ermittlungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft), Rechts- bzw. Gerichtsmediziner oder anderer Sachverständiger etwa • zum Unfallort und Unfallzeit (z.B. öffentlicher oder einsam gelegener Platz, Zugänglichkeit für Dritte, Abriegeln der Wohnung oder des Raumes durch den Versicherten). Wird die versicherte Person z.B. in ihrer Wohnung aufgefunden, in der sämtliche Türen und Fenster von innen verriegelt waren, so kann eine Dritteinwirkung zwar nicht ausgeschlossen, jedoch vernachlässigt werden, da es gänzlich unwahrscheinlich ist, dass ein Täter, nachdem er durch einen in weitem Umkreis nicht zu überhörenden Schuss eine Person getötet hat, mit Hilfe zeitaufwendiger Manipulationen den Eindruck zu erwecken versucht, die Verschlussvorrichtungen seien von innen betätigt worden.803 • zu der Art der Verletzungen (Obduktion); • zur Art und Funktionsweise der Tatwaffe (z.B. mögliche Defekte, typische Gebrauchsweise, Abzugsmechanismus). Aus der waffentechnischen Untersuchung können Rückschlüsse gezogen werden, ob sich z.B. der Schuss versehentlich (etwa wegen des geringen Druckpunktes der Waffe) beim Zerlegen oder Reinigen der Waffen gelöst haben kann.804 Gegen einen Selbstmord spricht nicht, dass der Verstorbene eine Lang- und nicht eine (möglicherweise auch vorhandene) Kurzwaffe benutzt hat 805
798 799 800 801
802
OLG Oldenburg 14.7.1999 VersR 2000 1231 (LS) = RuS 2000 304, 305. OLG Köln 9.11.1989 RuS 1990 68. KG 19.5.2000 VersR 2001 1416. OLG Celle 22.6.1988 VersR 1989 944, 945; OLG Karlsruhe 12.2.1975 VersR 1976 183, 184 f. Beispielsfälle bei BGH 18.3.1987 BGHZ 100 214; BGH 19.2.1981 VersR 1981 452; BGH 10.1.1955 VersR 1955 99; OLG Frankfurt/M. 30.1.1986 VersR 1987 759;
803 804 805
OLG München 4.3.1988 VersR 1988 1020 mit Anm. R. Johannsen; OLG Oldenburg 28.11.1990 VersR 1991 985; vgl. auch OLG Oldenburg 20.3.1996 RuS 1997 522; OLG Oldenburg 5.6.1974 VersR 1976 657. OLG Oldenburg 28.11.1990 VersR 1991 985. OLG Frankfurt/M. 30.1.1986 VersR 1987 759, 760. OLG München 4.3.1988 VersR 1988 1020, 1021.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
• zur Lage des Opfers und der Tatwaffe beim Auffinden und (nach Rekonstruktion des Geschehens) zum Zeitpunkt der Schussabgabe. Daraus kann z.B. abgeleitetet werden, ob der tödliche Schuss sich aufgrund eines Sturzes bzw. Strauchelns der versicherten Person etwa beim Reinigen der Waffe (versehentlich) gelöst oder die versicherte Person die tödliche Verletzung in einer von ihr kontrollierten Position (Sitzen, Liegen usw.) erlitten hat;806 • zur genauen Haltung der Waffe (z.B. Gebrauchshand am Abzug); • zu Schmauchspuren an der Gebrauchshand der versicherten Person. Liegen sie vor und fehlt es an Spuren, die auf ein Fremdverschulden hindeuten, weist dies deutlich darauf hin, dass der Verstorbene selbst geschossen hat.807 • zur Entfernung des Schusses. Wichtiges Kriterium zur Feststellung, ob die Gesundheitsschädigung freiwillig oder unfreiwillig beigebracht wurde, ist die Feststellung, ob es sich um einen aufgesetzten oder um einen Distanzschuss handelt. Ein aufgesetzter Schuss spricht entscheidend dafür, dass die versicherte Person in suizidaler Absicht handelte.808 Ein aufgesetzter Schuss lässt sich durch Sachverständige (z.B. aufgrund der Auswertung einer Computertomographie) belegen, wenn die dafür typischen Zerfetzungen im Einschussbereich und Schmauchspuren vorliegen. Selbst wenn der Sachverständige nur typische Wunden im Einschussbereich und keine Schmauchspuren ermitteln kann, so ist der Beweis der freiwilligen Gesundheitsschädigung dadurch jedenfalls dann nicht erschüttert, wenn weder die Polizei noch die behandelnden Ärzten eine umfassende Dokumentation der Verletzungen zur Beweissicherung vorgenommen haben, da aufgrund der Umstände des Falles von vornherein von einem Selbstmord(versuch) ausgegangen werden konnte.809 • zu den Erfahrungen und Kenntnisse der versicherten Person zum Umgang mit Waffen (z.B. Ableisten der Bundeswehrzeit durch die versicherte Person als Wehrpflichtiger oder Zeitsoldat, Mitglied in einem Schützenverein 810 oder vorheriger Besitz von Waffen).
Aufgrund dieser Umstände kann versucht werden, das Geschehen nach zu stellen und darauf aufbauend Rückschlüsse zu ziehen, ob Unfreiwilligkeit anzunehmen ist, da ein leichtsinniges oder neugieriges Hantieren oder Spielen mit der Waffe, ein tragischer Handlungsablauf, ein Defekt der Waffe bzw. ein Verbrechen ernsthaft in Betracht kommen oder nur ein Freitod eine vernünftige Erklärung für die Umstände des Geschehens geben kann. Maßgebend für die Beweisführung des VR ist, dass die Gesamtschau ergibt, dass neben dem Suizid alle anderen vom Anspruchsteller vorgetragenen Geschehensabläufe außer Betracht bleiben müssen, da sie entweder positiv ausgeschlossen werden können oder lediglich als solche theoretischen Möglichkeiten heranzuziehen sind, die das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vernachlässigen darf (Rn. 198).
242
(d) Strangulation. Tod durch Erhängen ist eine Todesart, bei der der Schluss auf einen Selbstmord besonders nahe liegt und sich aufdrängt.811 Freiwilligkeit ist anzunehmen, wenn keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung (kaschiertes
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807 808
OLG München 4.3.1988 VersR 1988 1020 f.; OLG Saarbrücken 30.5.2007 NJW-RR 2008 275. OLG Saarbrücken 30.5.2007 NJW-RR 2008 275. BGH 10.1.1955 VersR 1955 99, 100 und OLG Frankfurt/M. 30.1.1986 VersR 1987 759; s. aber auch BGH 18.3.1987 BGHZ 100 214 (der aufgesetzte Schuss allein reichte dem Gericht – wegen des geringen
156
809
810 811
Druckpunktes der Waffe – nicht zur Widerlegung der Unfreiwilligkeitsvermutung). OLG Hamm 22.9.1995 VersR 1996 1134 (LS) = RuS 1996 117; noch weiter gehend OLG Frankfurt/M. 30.1.1986 VersR 1987 759 f. OLG Saarbrücken 30.5.2007 NJW-RR 2008 275. BGH 18.3.1987 BGHZ 100 214, 217; OLG Hamm 9.12.1988 NJW-RR 1989 493.
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Verbrechen) oder ein Unfallgeschehen (z.B. Selbstmorddemonstration812 oder autoerotische Handlung, Anh. § 178 Rn. 94 ff.) gegeben sind bzw. ein irgendwie gearteter Unglücksfall fernab jeglicher Realität liegt. Dies kann auch der Fall sein, wenn der im Umgang mit Seilen und Knoten vertraute Verstorbene neben einem von der Decke oder Obergeschoss usw. herunterhängenden Seil aufgefunden wird und das freie Ende des Seils keine Schlinge aufweist.813 (e) Straßenverkehr. Der Selbstmordverdacht im Straßenverkehr hat die Rechtspre- 243 chung schon öfters beschäftigt. Die Fallgestaltungen sind vielfältig. Neben dem Leiten von Auspuffgasen ins Wageninnere (s.a. Rn. 249) kommt es vor, dass der Lebensmüde vor ein Kfz läuft 814 bzw. sich davor wirft 815 oder selbst als Führer eines Kfz bzw. Motorrades gegen ein Hindernis (einen Baum, Brückenpfeiler oder eine Mauer usw.),816 gegen einen anderen entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer 817 bzw. in einen Abgrund fährt.818 Wichtige Indizien für die Beurteilung, ob ein Fußgänger in Selbsttötungsabsicht han- 244 delte, ergeben sich u.a. aus den Feststellungen der Ermittlungsbehörden und der Sachverständigen sowie den Angaben von Zeugen zum • Tatort. Bedeutsam kann sein, ob zur Unfallzeit klare und gute Sichtverhältnisse herrschten oder das Ereignis trotz gerader und übersichtlicher Streckenführung eintrat. • Tathergang. Aufschlussreich können Feststellungen sein – zur Blickrichtung der versicherten Person (z.B. Blick in Richtung des nahenden PKW bzw. LKW); – zur Laufrichtung der versicherten Person (z.B. Entgegen- bzw. „Rein-“Laufen in das Fahrzeug); – zur Körperhaltung der versicherten Person vor und bei dem Zusammenstoß. Ein ganz starkes Indiz für eine Selbsttötung liegt z.B. vor, wenn die versicherte Person vor dem Fahrzeug (mit erhobenen Händen) stehen bleibt, obwohl sie noch ausweichen könnte,819 oder sich die versicherte Person wie mit einem Hechtspruch bzw. wie von einem Startblock beim Schwimmen auf die Straße wirft oder sich beim Anstoß nicht in normaler Körperhaltung, sondern in Stoßstangenhöhe dicht über der Fahrbahn befunden hat;820 – zu den Fahrzeugeigenschaften und zu Reaktionsmöglichkeiten des PKW- bzw. LKW-Führers. Für Suizidabsicht spricht es insbesondere, wenn ein Fußgänger solange wartet, dass ein Ausweichen oder Bremsen des sich ihm nähernden Fahrzeugs unmöglich ist und er dann „gezielt“ auf die Fahrbahn direkt vor das Fahrzeug „spurtet“;821 – zum Ausschluss von technischen Defekten des Fahrzeugs; – zu einem möglichen Fehlverhalten des PKW- bzw. LKW-Führers (z.B. Einhaltung der Verkehrsregeln); – zur Mitwirkung und Beteiligung Dritter (z.B. Stoßen der versicherten Person auf die Fahrbahn).
Maßgebend ist dann in der Gesamtschau aller Indizien, ob ein Unglücksfall aufgrund bloßer Unachtsamkeit der versicherten Persom, eines Fehlverhaltens oder Fahrfehlers des
812 813
814 815 816
OLG Hamm 9.12.1988 NJW-RR 1989 493 f. OLG Düsseldorf 27.8.2002 VersR 2003 1388 f.; zust. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 41. OLG Hamm 12.3.1999 NVersZ 1999 380; LG Köln 20.4.1988 VersR 1989 1039. OLG Köln 11.6.1997 RuS 1998 81; vgl. auch BGH 19.1.1967 VersR 1967 269. OLG Hamm 7.12.1988 VersR 1989 695; OLG Köln 2.5.1991 VersR 1992 562 = RuS
817 818 819 820 821
1992 33; OLG Zweibrücken 10.2.1984 VersR 1986 339; Harbort VersR 1994 1400. OLG Köln 3.5.1990 VersR 1990 1346; OLG Köln 2.3.1989 RuS 1989 235. Moser/Sanders VersR 1976 418. LG Köln 20.4.1988 VersR 1989 1039. OLG Köln 11.6.1997 RuS 1998 81 = VersR 1998 883 (LS). OLG Hamm 12.3.1999 NVersZ 1999 380, 381.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
Fahrzeugführers oder eine Einwirkung Dritter ausgeschlossen werden kann und sich das Ereignis letztlich nur durch Selbsttötungsabsicht erklären lässt. Für den Nachweis eines Autoselbstmordes stehen dem VR – neben auffälligen Verhal245 tensmustern der versicherten Person vor dem Unfallereignis (Rn. 203 ff.) – verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.822 Zunächst kann die Tatortbefundaufnahme durch die Polizei den Verdacht für einen Autofahrersuizid begründen. Indikatoren für einen in suizidaler Absicht herbeigeführten Verkehrsunfall sind etwa: • Befahren einer geraden bzw. kurvenarmen Strecke (Schnellstraße, Autobahn); • Aufprall auf ein massives Hindernis; • Zusammenstoß mit einem Schwerfahrzeug (Lastzug, Omnibus).
Weiterhin kann der technische Sachverständige im Rahmen der Spurenanalyse folgende Informationen liefern: • Ausschluss technischer Mängel am Kfz als Unfallursache; • Ausschluss von Mängeln der Straßenführung und Fahrbahnbeschaffenheit als Unfallursache; • Einfluss von äußeren Bedingungen, insbesondere von Witterungsverhältnissen wie Regen, Schnee, Eis, Glätte und Staub; • Einfluss von Sichtverhältnissen (z.B. blendende Sonne, gute Sichtbarkeit von Geschwindigkeitsbegrenzungsschildern); • Nachweis bzw. Ausschluss von Brems- und Schleuderspuren (bei Nässe meist nicht möglich). Gerade das Fehlen von Brems- und Schleuderspuren auf trockener Fahrbahn sowie bei gerader und übersichtlicher Streckenführung ist ein starkes (wenn auch für sich allein noch nicht ausreichendes) Indiz für einen Suizid;823 • Entfernungen (z.B. zwischen Straße und Hindernis) und Bremswege; • Ermittlung der Fahrgeschwindigkeit mit Toleranzgrenzen; • Ermittlung der Fahrtrichtung (z.B. frontales Auffahren auf ein Hindernis ohne Versuch einer Richtungsänderung); • Ermittlung der Gurtbenutzung; • Hinweise auf Fremdverschulden.
Der medizinische Sachverständige hat (aufgrund einer Obduktion) folgende Nachweismöglichkeiten: • Ausschluss unvorhersehbarer Zwischenfälle wie z.B. Herzinfarkt; • Feststellungen zum Einfluss von Medikamenten (z.B. Beruhigungsmittel), Drogen bzw. von Rauschgifteinfluss oder zur Blutalkoholkonzentration.
Kriminalisten und Psychologen können zur Sachverhaltsklärung beitragen durch • Erhebung der biographischen Daten (z.B. psychische Störungen und Belastungen, frühere Selbstmordversuche); • Aufdecken verheimlichter Indizien und Hinweise durch die Hinterbliebenen.
Weitere Zeugen können z.B. Auskunft dazu geben, • welche Erfahrung die versicherte Person im Umgang mit dem Kfz hatte (Fahrpraxis); • in welcher körperlichen Verfassung die versicherte Person das Kfz genutzt hat. So können sich u.U. Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Fahrer infolge Übermüdung am Steuer eingeschlafen ist; • zur Fahrweise der versicherten Person vor dem Unfall; • zu der Verkehrssituation vor dem Unfallereignis (z.B. Bremslichter, Blendlichter, Gegenverkehr).
822
Dazu Harbort VersR 1994 1400, 1403; Moser/Sanders VersR 1976 418, 420.
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OLG Hamm 7.12.1988 VersR 1989 695 f.
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Für den Beweis der Selbsttötung ist es nicht zwingend erforderlich, dass alle vorstehenden Nachweismöglichkeiten ausgeschöpft sind. Dies ist in vielen Fällen auch gar nicht möglich, da im konkreten Fall vor Ort nicht immer eine idealtypische Untersuchung mit genauer Protokollierung durchgeführt wird bzw. stattfinden kann. Entscheidend für die erfolgreiche Beweisführung des VR ist, ob für den Tatrichter genügend überzeugende Anhaltspunkte verbleiben, eine Selbsttötung anzunehmen. Dann schadet z.B. eine unterlassene technische Überprüfung des Fahrzeugs oder das Fehlen exakter Feststellungen zur Geschwindigkeit bzw. zur Befestigung des Gurtes nicht.824 Auch wenn es kein zweifelsfreies eindeutiges äußeres Bild eines Selbstmordes im Straßenverkehr gibt,825 so kann – zumindest im Zusammenhang mit weiteren Indizien (Rn. 201) – auf Selbsttötungsabsicht geschlossen werden, wenn eine Fahrweise festgestellt werden kann, die von äußeren Einflüssen völlig unbeeinflusst ist und jedem vernünftigen Verkehrsverhalten zuwider läuft.826 Dagegen ist die Unfreiwilligkeitsvermutung nicht widerlegt, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung aller Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass etwa eine kurze Unaufmerksamkeit oder Ablenkung, ein Erschrecken bzw. Lähmung in der Gefahrensituation oder eine verminderte Reaktionsfähigkeit der versicherten Person Ursache für den tödlichen Verkehrsunfall war.827 Gleiches gilt, wenn ein plötzliches Unwohlsein der gesundheitlich angeschlagenen versicherten Person Grund für ihr objektiv grob verkehrswidriges Verhalten sein konnte.828 Bei Motorradfahrern stehen entsprechende Nachweismöglichkeiten wie bei Auto- 246 fahrern zur Verfügung (Rn. 245). So können das Fahren ohne Helm mit hoher Geschwindigkeit, das Fehlen von Hinweisen auf ein Fremdverschulden, das ungebremste Einfahren in eine Straßenmündung mit hoher Geschwindigkeit trotz vorhandener Ortskenntnisse, der ungebremste Aufprall auf ein Hindernis trotz technisch einwandfreier Bremsen oder eine trockene Fahrbahn zwar Indizien für eine Selbsttötung geben. Sie allein reichen aber nicht aus, einen Unglücksfall auszuschließen, da ein lediglich leichtsinniges Verhalten oder ein Fremdverschulden weiterhin möglich sind, insbesondere dann, wenn kein überzeugendes Motiv für einen Suizid feststellbar ist.829 Unfreiwilligkeit ist anzunehmen, wenn die Beweisaufnahme zum Ergebnis hat, dass kein selbstmörderischer Aufprall, sondern ein „Geschwindigkeitsunfall“ vorliegt.830 (f) Stromschlag. Die Vermutung der Freiwilligkeit ist widerlegt, wenn die versicherte 247 Person nachts unter Überwindung mehrerer Sicherungsvorrichtungen (Zaun und Tor) in eine Umspannungsanlage unbefugt eindringt und dort mit einer zuvor beschafften 2 m langen metallenen Stange den mit einem weiteren Zaun gegen zufälligen Kontakt abgesicherten Transformator (drei 110.000 kW-Volt-Leitungen) berührt. Gegen die Verneinung der Unfreiwilligkeit spricht es dann auch nicht, dass die versicherte Person (bei winterlichen Temperaturen) Handschuhe mit Isolierband und Moonboots getragen hat.831
824 825 826 827
OLG Köln 2.5.1991 VersR 1992 562 f. OLG Hamm 7.12.1988 VersR 1989 695, 696. OLG Zweibrücken 10.2.1984 VersR 1986 339, 340. OLG Köln 3.5.1990 VersR 1990 1346, 1347.
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OLG Köln 2.3.1989 RuS 1989 235. Versicherungsombudsmann 14.8.2003 RuS 2004 515 f. LG Offenburg 8.12.1981 VersR 1982 946. OLG Koblenz 30.5.1996 RuS 1998 215.
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§ 178 248
Kapitel 7: Unfallversicherung
(g) Stürze in die Tiefe. Die Rechtsprechung hat sich bereits mehrfach mit Stürzen oder Sprüngen aus großer Höhe (Balkon, Fenster, Dach, Brücken usw.) befasst.832 Hier sind u.a. zu würdigen die • Motive für das Verhalten der versicherten Person (Rn. 204 und 231 ff.). Für eine Unfreiwilligkeit spricht es etwa, wenn außer der Suizidabsicht kein plausibler Grund dafür ersichtlich ist, warum die versicherte Person den Ort des Absturzes aufgesucht hat, also z.B. der Wunsch, die Aussicht zu genießen bei vernünftiger Betrachtung ausscheiden muss, weil es bereits dämmerte.833 • Eigenschaften des Verstorbenen, insbesondere seine Größe. • Lage des Verstorbenen nach dem Aufprall. So kann die Entfernung der Leiche von der Hauswand (bzw. des Balkons) Aufschluss darüber geben, ob die versicherte Person bewusst abgesprungen sein muss.834 • Beschaffenheit des Fensters oder Balkons (z.B. Höhe der Brüstung). Insbesondere aus dem Verhältnis der Brüstung zur Größe des Verstorbenen kann geschlossen werden, ob der Versicherte das Hindernis gewollt überwunden haben muss oder aufgrund unglücklicher Umstände das Gleichgewicht verloren haben könnte. Starkes Indiz für eine Selbsttötung bzw. Selbsttötungsabsicht ist, wenn nach den jeweiligen Umständen die versicherte Person auf bzw. über die Brüstung „geklettert“ sein 835 oder eine ca. 40 cm hohe Querstrebe bestiegen 836 bzw. eine Steighilfe benutzt haben muss.837 • weiteren Besonderheiten des Unfallortes (z.B. weit heruntergelassene Rollläden). Für einen Freitod spricht weiterhin, wenn der Aufenthalt an dem Unfallort von vernünftig handelnden Menschen (z.B. auf einer 130 m hohen Autobahnbrücke) als gefährlich und bedrohlich empfunden wird. Zwar gibt es Menschen, die an große Höhe gewöhnt sind oder Höhenerfahrung besitzen. Damit dieser Umstand Berücksichtigung in der Beweiswürdigung erlangt, muss jedoch zunächst der Anspruchsteller substantiiert vortragen, dass die versicherte Person zu diesem Personenkreis gehörte und sie in der konkreten Situation Anlass hatte, eine Höhengewöhnung bzw. -erfahrung trotz des auch dann verbleibenden Risikos einzusetzen.838 • Art der Verletzungen. So ist z.B. im Fall eines unfreiwilligen Sturzes über einen Balkon bei normaler Reaktionsfähigkeit zu erwarten, dass die versicherte Person den Sturz mit den Händen auffängt und sich Verletzungen an den oberen Extremitäten zuzieht.839 • Rekonstruktion des Sturzes (z.B. Körperhaltung des Verstorbenen, Unterdrücken instinktiver Abwehrreaktionen, Griffspuren an Geländern usw.).
Der Beweis der freiwilligen Gesundheitsverletzung ist geführt, wenn aufgrund der Art der Verletzungen und der äußeren Bedingungen mangels irgendwelcher Anhaltspunkte eine andere Möglichkeit der Schädigung als die mittels eines vom Versicherten gewollten Sturzes ausscheidet.840 Es muss ausgeschlossen werden können, dass der Sturz in die
832
833 834 835
OLG Hamm 16.2.1979 VersR 1982 64; KG 10.2.1987 VersR 1987 777; OLG Koblenz 20.3.1992 VersR 1993 874; OLG Saarbrücken 26.3.2003 RuS 2003 120; LG Berlin 27.5.1986 VersR 1987 67; LG Dortmund 28.2.2008 VersR 2008 1639, 1640 = RuS 2009 31; LG Köln 3.2.1987 NJW-RR 1987 1174; LG Memmingen 17.7.2002 VersR 2002 1525; LG Osnabrück 6.10.2004 RuS 2005 121. OLG Saarbrücken 26.3.2003 RuS 2005 120, 121. OLG Hamm 16.2.1979 VersR 1982 64. OLG Hamm 16.2.1979 VersR 1982 64;
160
836 837 838 839 840
LG Berlin 27.5.1986 VersR 1987 67, 68; LG Köln 3.2.1987 NJW-RR 1987 1174; LG Memmingen 17.7.2002 VersR 2002 1525, 1526; LG Osnabrück 6.10.2004 RuS 2005 121. OLG Saarbrücken 26.3.2003 RuS 2005 120. LG Dortmund 28.2.2008 VersR 2008 1639, 1640 = RuS 2009 31. OLG Saarbrücken 26.3.2003 RuS 2005 120, 121. LG Dortmund 28.2.2008 VersR 2008 1639, 1640 = RuS 2009 31. KG 10.2.1987 VersR 1987 777, 778.
Kent Leverenz
Leistung des Versicherers
§ 178
Tiefe gegen den Willen des Verstorbenen (etwa durch Verlust des Gleichgewichts, aufgrund eines Schwindelanfalls oder durch Fremdeinwirkung) erfolgte.841 (h) Vergiftungen. Bei Selbstmorden durch Kohlenmonoxyd-Vergiftung (Einatmen von 249 Autoabgasen) muss für jeden Einzelfall auch kleinsten Details Beachtung gegeben, zudem müssen nach Möglichkeit kriminologische, medizinische und psychologische Erkenntnisse ausgeschöpft werden. So sind u.a. zu berücksichtigen: • Kenntnisse der versicherten Person (z.B. Berufsfahrer oder Fahranfänger), • die persönliche Situation der versicherten Person und die Vorgeschichte zur Vergiftung (z.B. Streit, Depressionen, Lebensfreude, Familienbindung, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch), • Einzelheiten zum Tatort und zur Tatzeit (z.B. Möglichkeit der Entdeckung bzw. zur Heimlichkeit) sowie • zum Tathergang (z.B. abgeschlossene oder unversperrte Garage, Autotüren und -fenster, Einstellungen des Autositzes, Sitzposition und Fußhaltung des Versicherten).
Starkes Indiz für einen Suizid durch Kohlenmonoxyd-Vergiftung ist es etwa, wenn die 250 versicherte Person das Garagentor vollständig oder bis auf einen kleinen Spalt geschlossen und bei laufendem Motor auf dem Fahrersitz Platz genommen hat. Jedem Kraftfahrer ist bekannt, dass bei einer solchen Konstellation die Vergiftungsgefahr extrem hoch ist.842 Auch bei größter Übermüdung ist es kaum vorstellbar, dass die versicherte Person zwar noch in der Lage ist, aus dem Fahrzeug auszusteigen und das Garagentor zu schließen, es dann aber unterlässt, den Motor auszuschalten.843 Verstärkt wird der Indizienbeweis, wenn die versicherte Person darüber hinaus entgegen steter Übung rückwärts in die Garage fuhr.844 Die Freiwilligkeit wird dann auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die versicherte Person keinen Schlauch in den Auspuff eingelegt und von dort in den Wagen hineingeführt hat; denn dann wäre der Versuch einer Verschleierung der Selbsttötung und damit die Aussicht der Hinterbliebenen, Versicherungsleistungen zu erhalten, von vornherein aussichtslos.845 Unfreiwilligkeit mag dagegen anzunehmen sein, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die versicherte Person, deren familiärer, beruflicher oder wirtschaftlicher Hintergrund keinen Anhaltspunkt für eine Selbsttötungsabsicht gibt, in einer kalten Jahreszeit den Motor möglicherweise lediglich zum Aufwärmen des Autos anschaltete, aus Gedankenlosigkeit anließ und dann bewusstlos wurde.846 4. Konkurrenzen Die vorsätzliche Schädigung der eigenen Gesundheit in krimineller Absicht kann für 251 die versicherte Person ein strafrechtliches Nachspiel haben. Dient die Selbstverstümmelung dazu, durch falsche Sachverhaltsdarstellungen oder unterlassene Angaben unberechtigt Versicherungsleistungen vom VR zu erhalten, so ist dies insbesondere als vollendeter oder versuchter Betrug gemäß § 263 StGB zu werten. Für mitwirkende Dritte kommt eine Strafbarkeit als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in Betracht. Neben dem umgangssprachlich als „Versicherungsbetrug“ 847 bezeichneten Betrug zu Lasten des VR können 841 842
843
OLG Koblenz 20.3.1992 VersR 1993 874, 875. OLG Frankfurt 26.9.1985 ZfS 1986 122; OLG Frankfurt/M. 2.12.1977 VersR 1978 1110 f.; zweifelnd OLG München 26.4.1983 VersR 1984 576. OLG Frankfurt/M. 2.12.1977 VersR 1978 1110.
844 845 846 847
OLG Frankfurt 26.9.1985 ZfS 1986 122. OLG Frankfurt 26.9.1985 ZfS 1986 122. OLG München 26.4.1983 VersR 1984 576. Eingehend aus Medizinersicht Hildebrand/ Hitzer/Püschel S. 73 ff.
Kent Leverenz
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§ 178
Kapitel 7: Unfallversicherung
aber auch noch andere Delikte zu bejahen sein. So ist z.B. das Ausstellen von Falschbzw. Gefälligkeitsattesten genauso strafbar wie der Gebrauch eines solchen Attestes (§§ 278, 279 StGB). Sollte der VR aufgrund solcher Manipulationen Versicherungsleistungen erbracht haben, können sich allgemein zivilrechtliche Rückforderungs- und Schadensersatzansprüche des VR aus §§ 812 ff., 826, 823 Abs. 2 BGB ergeben. Ist es noch zu keinen Zahlungen oder nur zu Teilleistungen gekommen, so ist bei Verdacht auf eine freiwillige Gesundheitsschädigung aus unfallversicherungsrechtlicher Sicht neben der Frage, ob überhaupt der Unfallbegriff erfüllt ist, auch zu prüfen, ob Ausschlusstatbestände eingreifen oder Obliegenheitsverletzungen vorliegen. Beide Alternativen können auf die Beweisführung des VR zur Freiwilligkeit Einfluss erlangen: Es kann vorkommen, dass ungeklärt bleibt, ob eine unfreiwillige Gesundheitsschädi252 gung (Selbstmord oder Selbstverstümmelung) vorliegt oder die versicherte Person in einem Zustand von Geistes- oder Bewusstseinsstörung (s.a. Rn. 240) handelte, also entweder das Unfallereignis zu verneinen ist oder ein Ausschlusstatbestand der AUB (z.B. Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 94) eingreift. Einigkeit besteht bei der Beurteilung solcher Fälle, dass die Klage gegen den VR abzuweisen ist.848 Die Begründungen hierfür sind indes unterschiedlich: Z.T. wird – in Anlehnung an das Strafrecht – eine Art Wahlfeststellung zugelassen.849 Z.T. soll eine Umkehr der Beweislastregel des § 178 Abs. 2 S. 1 erfolgen mit der Folge, dass derjenige, der Ansprüche auf Versicherungsleistung geltend macht, die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung zu beweisen hat.850 Vorzugswürdig ist die erste Auffassung. Sie kann auf ein aus dem Strafrecht bekanntes Institut zurückgreifen, ohne sich über den Wortlaut des § 178 Abs. 2 S. 1 hinwegsetzten zu müssen. Parallelen zwischen Zivil- und Strafrecht bestehen insofern, als der Sachverhalt nicht weiter aufklärbar und in jeder Fallkonstellation der Unfallversicherungsschutz zu versagen, also das wirtschaftliche Ergebnis für den Anspruchsteller dasselbe ist. Die Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten (Ziff. 7 AUB 2008) kann den VR nicht 253 nur berechtigen, die Leistung zu versagen oder zu kürzen (Ziff. 8 AUB 2008), sondern auch im Rahmen des § 178 Abs. 2 S. 2 Bedeutung erlangen. So fragt z.B. der VR den VN in den Versicherungsanträgen und Schadensanzeigen regelmäßig u.a. nach dem Bestehen weiterer Unfallversicherungen. Hierbei handelt es sich um erhebliche und sachdienliche Fragen (vgl. Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 96 ff.). Das Bestehen mehrerer Unfallversicherungsverträge kann ein Motiv dafür sein, eine Gesundheitsschädigung bewusst herbeizuführen oder schwerere Folgen und einen längeren Heilungsverlauf vorzutäuschen. • Gibt der VN andere Versicherungen an, so kann dies den Entschluss des VR herbeiführen, das vom VN behauptete Unfallgeschehen näher aufzuklären und zu untersuchen. Je mehr Unfallversicherungen ein VN hat und je unklarer der Unfallhergang und seine Folgen sind, desto eher begründet sich der Verdacht für den VR, dass der VN unberechtigt Versicherungsleistungen fordert.851 • Verschweigt der VN weitere Versicherungen und findet der VR dies heraus, so kann dies im Rahmen der Beweiswürdigung gegen die Glaubwürdigkeit des VN sprechen und damit Indiz für eine freiwillige Gesundheitsschädigung sein (Rn. 205).
848 849
850
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 135. OLG Karlsruhe 30.4.1993 VersR 1994 81; LG Dortmund 28.2.2008 VersR 2008 1639, 1640 = RuS 2009 31 (mit Anm. Kloth jurisPR-VersR 1/2009 Anm. 2); LG Osnabrück 6.10.2004 RuS 2005 121. OLG Frankfurt/M. 2.12.1977 VersR 1978
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851
1110 f.; LG Memmingen 17.7.2002 VersR 2003 1525, 1526; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 57; kritisch Marlow RuS 2004 353, 354 (Fn. 11). OLG Frankfurt/M. 22.2.1995 VersR 1996 701 f.
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Einzelne Unfallgeschehen
§ 178 Anh
Anhang zu § 178 Einzelne Unfallgeschehen Übersicht Rn. I. A. B. I. II. III.
IV.
V. VI. VII.
C. I. II.
Grundlagen Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . Bandscheibenschädigungen . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versicherungsfall . . . . . . . . . . . . . 1. Unfall i.e.S. . . . . . . . . . . . . . . . a) Materiellrechtliche Beurteilung . . . aa) Äußeres Ereignis . . . . . . . . bb) Plötzlichkeit . . . . . . . . . . . cc) Haftungsbegründende Kausalität b) Beweisrechtliche Beurteilung . . . . 2. Erweiterung des Unfallbegriffs . . . . . a) AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . aa) Materiellrechtliche Beurteilung . bb) Beweisrechtliche Beurteilung . . b) AUB 88/94/99/2008 . . . . . . . . . Ausschluss der Leistungspflicht . . . . . 1. Materiellrechtliche Beurteilung . . . . a) Überwiegen des Unfallereignisses . . b) Entscheidungskriterien . . . . . . . 2. Beweisrechtliche Beurteilung . . . . . . Unfallfolgen . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsausfüllende Kausalität . . . . . Einschränkung der Leistungspflicht (Vorschädigung) . . . . . . . . . . . . . 1. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . . 2. AUB 88/94/99/2008 . . . . . . . . . . Badetod . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 2 3 7 8 9 10 13 14 19 21 22 23 27 28 29 30 31 32 35 38 39 40 41 45 46 46 47
Rn. III. Unfallbegriff . . . . . . . . . . . . . . 1. Von außen wirkendes Ereignis . . . . a) Materiellrechtliche Beurteilung . . aa) Mehraktiges Unfallereignis . . bb) Herztod . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenwirken äußerer und innerer Ursachen . . . . . . . b) Beweisrechtliche Beurteilung . . . 2. Plötzliches Ereignis . . . . . . . . . 3. Unfreiwillige Gesundheitsschädigung IV. Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . 1. Temperatur- und Witterungseinflüsse 2. Schlag- oder Krampfanfall, Geistesoder Bewusstseinsstörung . . . . . . a) Materiellrechtliche Beurteilung . . b) Beweisrechtliche Beurteilung . . . V. Anspruchsminderung . . . . . . . . . . D. Rauschmittel- und Medikamentenmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . E. „Sexunfälle“ . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . II. Unfallbegriff . . . . . . . . . . . . . . 1. Von außen wirkendes Ereignis . . . . 2. Plötzliches Ereignis . . . . . . . . . 3. Unfreiwillige Gesundheitsschädigung 4. Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung . . . . . . . III. Ausschlüsse . . . . . . . . . . . . . . 1. AUB 61/88/94 . . . . . . . . . . . . 2. AUB 99/2008 . . . . . . . . . . . .
. . . . .
49 50 51 52 54
. . . . . .
56 57 63 64 65 66
. . . .
67 68 70 72
. . . . . . .
73 77 77 78 79 80 84
. . . .
85 86 87 91
A. Übersicht Es gibt eine Reihe von Fallgestaltungen, bei denen die Prüfung mehrerer Tatbestands- 1 merkmale des Unfallbegriffs sowie die Anwendung verschiedener Ausschlussklauseln und Regelungen zur Leistungseinschränkung bzw. -minderung problematisch ist. Einige Beispiele, die in der Rechtsprechung eine große praktische Bedeutung und/oder in der versicherungsrechtlichen Literatur besondere Aufmerksamkeit erlangt haben, sollen im Folgenden zur besseren Übersichtlichkeit zusammenhängend unter materiell- und beweisrechtlichen Gesichtspunkten erörtert werden.
B. Bandscheibenschädigungen Schrifttum Ernestus/Gärtner Isolierte traumatische Bandscheibenvorfälle in der privaten Unfallversicherung, VersR 1996 419; Herget/Adler Die Bandscheibe in Anatomie und Pathologie VersM 2000 179; Knappmann Unfallversicherung: Kausalitäts- und Beweisfragen NVersZ 2002 1; R. Lehmann Kau-
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§ 178 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
salität und Mitwirkung aus versicherungsrechtlicher Sicht, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992), 47; Ludolph/ Tabertshofer Die Bandscheibenschädigung aus ärztlicher Sicht, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Marlow Aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2005 357; Rehberger Bandscheibenvorfall und Hexenschuss in der Unfallversicherung, ZfV 1959 666; Schmidt/Lohsträter Unfallchirurgische Begutachtung der HWS-Distorsion, VersM 2003 118; Schürmann Die Bandscheibenschädigung aus versicherungsrechtlicher Sicht, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Tändler/Schröter Besonderheiten der gutachtlichen Beurteilung für die private Unfallversicherung, MedSach 99 (2003) 115.
I. Einleitung 2
Bandscheibenerkrankungen haben eine außerordentliche Verbreitung1 und führen deshalb in der gerichtlichen Praxis immer wieder unter verschiedenen (versicherungsrechtlichen und medizinischen) Gesichtspunkten zu Auseinandersetzungen. Neben den Fragen, ob überhaupt der Versicherungsfall eingetreten ist, also ein Unfall i.e.S. nach § 178 Abs. 2 S. 1 vorliegt oder eine Erweiterung des Unfallbegriffs (vgl. § 178 Abs. 1) in Betracht kommt, kann auch Streit darüber bestehen, ob ein Ausschlusstatbestand eingreift oder eine Mitwirkung anspruchsmindernd zu berücksichtigen ist. Die Prüfung wird maßgebend davon beeinflusst, wann der Versicherungsvertrag zwischen VN und VR geschlossen wurde bzw. welche AUB-Generation dem Vertrag zugrunde liegt. Die AUB 61 einerseits und die AUB 88/94/99/2008 andererseits enthalten z.T. Abweichungen voneinander, die streitentscheidend sein können. Insbesondere sind in den AUB 61 Schädigungen an den Bandscheiben im Gegensatz zu den nachfolgenden Bedingungswerken nicht von vornherein ausgeschlossen.
II. Begriffe Die Bandscheiben sind schmale, elastische Gewebeplatten, die wie Stoßdämpfer zwischen den 24 Wirbelknochen eingebettet sind und die Wirbelkörper miteinander verbinden. Sie wirken wie Gelenke und Puffer zugleich und ermöglichen durch die Muskeln Bewegungen in alle Richtungen. Die Bandscheiben bestehen aus einem gallertartigen Kern (Nucleus pulposus), der sich bei jeder Bewegung der Wirbelsäule verformt und verschiebt. Der Kern wird durch eine feste äußere Hülle, den Bandscheiben-Faserring (Annulus fibrosus) umlaufend gehalten. Bänder und Muskeln sorgen für Halt, Festigkeit und Abdämpfung von Erschütterungen.2 Die Bandscheiben unterliegen typischerweise bereits von früher Kindheit an Verände4 rungen, die mit einer Verminderung der Blutgefäßversorgung einhergehen und damit zu einer Mangelernährung, Wasserverlust bzw. Austrocknung,3 Bildung von zunächst mikroskopisch kleinen Einrissen im Verband der einzelnen Schichten des Faserknorpels, Fragmentation und innerer Sequestration, späterer Anhebung des Längsbandes und ggf.
3
1 2
Schürmann S. 13; Stockmeier/Huppenbauer S. 56. Zur Anatomie der Bandscheiben s. etwa Herget/Adler VersM 2000 179 f.; Ludolph/
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3
Tabertshofer S. 19–21; ferner Rehberger ZfV 1959 666. OLG Frankfurt/M. 20.7.2005 VersR 2006 1118 f. = RuS 2006 165.
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Einzelne Unfallgeschehen
§ 178 Anh
Perforation des Bandscheibengewebes führen.4 Im Alterungsprozess und in der Degeneration eilen die Bandscheiben den benachbarten Strukturen deutlich voraus.5 Jeder, der älter als 20 Jahre ist, hat einen vorgeschädigten Faserring, weil dieser durch die Drehbewegung der Wirbelsäule in der Vertikalachse permanent beansprucht und allmählich zermürbt wird, was dann auch zu – in der Regel nicht traumatisch bedingten – Rissen führen kann.6 Wird der Bandscheiben-Faserring geschwächt und gibt er in seiner Gesamtheit nach, 5 so dass er sich nach außen wölbt, wird von einer Bandscheibenvorwölbung (Protrusion) gesprochen. Ein Bandscheibenvorfall (Discusprolaps) ist dagegen das Austreten des gallertartigen Kerns der Bandscheibe in den Wirbelkanal, nachdem zuvor der Faserring gerissen oder brüchig geworden ist.7 Zur Verschiebung des Gallertkerns sind keine wesentlichen Kräfte oder gar äußere Gewalteinwirkungen erforderlich. Bereits belanglose Gelegenheitsbewegungen bzw. normale Anstrengungen wie das Heben, Tragen oder Verladen von schweren Gegenständen können den Bandscheibenvorfall mit seinen entsprechenden Auswirkungen auslösen.8 Der Alterungs- und Degenerationsprozess verläuft häufig zunächst – bis zum Unfall- 6 ereignis – ohne Symptome („klinisch stumm“).9 Der beschwerdefreie Zustand kann über viele Jahre fortdauern, obwohl sich der Bandscheibenschaden in bildgebenden Verfahren als (gravierend) darstellt. Die Manifestation des Beschwerdebildes bzw. der Eintritt von Schmerzen ist folglich kein Indiz dafür, dass die dafür ursächlichen Bandscheibenschäden erst zu diesem Zeitpunkt entstanden sind.10 Der Bandscheibenschaden kann aber auch (sofort) erhebliche Beschwerden bereiten. Im Zentrum der Wirbelsäule, dem Rückenmarkskanal, verlaufen Nervenstränge, die zwischen den knöchernen Wirbelkörpern austreten und die Muskulatur mit Informationen versorgen. Drückt nun nach einer Bandscheibenvorwölbung oder einem Bandscheibenvorfall ein Teil der Bandscheiben auf diese Nerven, so kann es zu starken ausstrahlenden Schmerzen kommen, die mit Taubheitsgefühlen, Sensibilitätsstörungen, Kribbeln („Ameisenlaufen“), Verspannungen der Rückenmuskulatur und bis zu Lähmungen der von diesem Nerv versorgten Muskulatur einher gehen können.11
III. Versicherungsfall Bandscheibenschäden werden selten allein durch ein von außen wirkendes Ereignis 7 hervorgerufen, sondern sind oftmals schon durch eine Vorschädigung der Wirbelsäule angelegt (Rn. 4). Sie treten dann häufig als Ergebnis eines (ausschließlich) inneren Vorgangs anlässlich einer beliebigen Bewegung 12 („Gelegenheitsursache“; s. dazu auch Vor-
4
5
6 7
8
OLG Frankfurt/M. 10.1.1996 VersR 1996 1355, 1356; Herget/Adler VersM 2000 179, 180 f.; Ludolph/Tabertshofer S. 24. OLG Koblenz 30.1.1998 NVersZ 1999 28, 29; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 63; Ludolph/ Tabertshofer S. 21. OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525, 526. OLG Karlsruhe 16.4.1987 RuS 1987 268, 269; ferner Herget/Adler VersM 2000 179, 181; Pschyrembel unter „Bandscheibenvorfall“; Reichenbach S. 80 f. Rehberger ZfV 1959 666.
9
10 11 12
OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 461, 462 = RuS 2004 209, 210; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 151; Ludolph/Tabertshofer S. 21; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 99. OLG Koblenz 30.1.1998 NVersZ 1999 28, 29; Ludolph/Tabertshofer S. 23. Herget/Adler VersM 2000 179, 181. OLG Köln VersR 22.5.2002 VersR 2003 1120, 1121; LG Köln 27.3.2002 RuS 2002 481; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 63.
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§ 178 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
bem. § 178 Rn. 59) oder infolge einer Kraftanstrengung der versicherten Person zu Tage. In diesem Fall ist der Unfallbegriff i.e.S. nicht erfüllt. Möglich ist aber, dass dennoch der Versicherungsfall aufgrund einer Erweiterung des Unfallbegriffs in den AUB 61 anzunehmen ist. 1. Unfall i.e.S.
8
Ob ein Bandscheibenschaden einen Unfall i.e.S. darstellt, ist nach allen Bedingungswerken gleich zu beurteilen. Die Unfalldefinitionen in § 2 Nr. 1 AUB 61, § 1 Abs. 3 AUB 88/94 und Ziff. 1.3 AUB 99/2008 entsprechen der in § 178 Abs. 2 S. 1.
9
a) Materiellrechtliche Beurteilung. Diskutiert werden im Zusammenhang mit Bandscheibenverletzungen vorwiegend die Merkmale „von außen auf den Körper wirkend“ und „plötzlich“ sowie die (haftungsbegründende) Kausalität zwischen Unfall und Bandscheibenverletzung.
10
aa) Äußeres Ereignis. Allein aus dem Umstand, dass sich im Anschluss an einen Bewegungsvorgang eine Bandscheibenschädigung manifestiert und die damit verbundenen Beschwerden von der versicherten Person subjektiv als Unfall erfahren werden, lässt sich noch nicht auf ein äußeres Ereignis schließen. Die bereits in der Kindheit beginnenden Veränderungen der Bandscheiben verlaufen in vielen Fällen zunächst klinisch stumm (Rn. 6), d.h. sie werden subjektiv nicht wahrgenommen, solange kein Nervengewebe verdrängt wird und das Bewegungssegment stabil bleibt.13 Zur Annahme einer äußeren Einwirkung müssen vielmehr noch weitere Umstände hinzutreten. Im Wesentlichen lassen sich zwei Fallgruppen unterscheiden: Ein von außen wirkendes Ereignis ist unproblematisch anzunehmen, wenn die ver11 sicherte Person mit Gegenständen oder Personen zusammenstößt bzw. äußere Geschehensabläufe auf den Rücken der versicherten Person einwirken. Typisches Beispiel ist der Sturz der versicherten Person,14 weil sie stolpert oder ausrutscht. Zu nennen sind weiterhin die Fälle, in denen die versicherte Person gegen Hindernisse stößt oder ihm Gegenstände auf den Rücken fallen. Kommt es zu Schädigungen der Bandscheiben durch Arbeiten der versicherten Person 12 an oder mit einem Gegenstand, so ist zu differenzieren, ob es sich um eine vollständig willensgesteuerte Eigenbewegung handelt oder um eine Eigenbewegung, bei der ein von außen wirkendes Ereignis den geplanten Bewegungsablauf verändert (§ 178 Rn. 63 ff.). • Bei einem Bandscheibenvorfall infolge eines (vollständig) willensgesteuerten Verhaltens liegt kein Unfall vor.15 Das ist etwa der Fall bei planmäßig durchgeführten Bewegungen16 oder Kraftanstrengungen,17 insbesondere beim gezielten Aufrichten, Anheben, Hochheben, Halten oder Tragen von (schweren) Lasten.18 Kein Unfall ist des Weiteren anzunehmen, wenn eine Bandschei-
13
14
OLG Frankfurt/M. 18.2.2003 RuS 2004 431, 432; OLG Köln 22.5.2002 VersR 2003 1120, 1121; LG Dortmund 31.3.1955 VersR 1956 83; LG Göttingen 3.11.2000 RuS 2002 350; LG Köln 27.3.2002 RuS 2002 481; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 63. OLG Koblenz 27.10.2000 VersR 2002 181 (LS) = RuS 2002 130; OLG Schleswig 12.1.1995 VersR 1995 825 = RuS 1995 199; LG Regensburg 6.11.2003 RuS 2004 430.
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15 16 17 18
OLG Nürnberg 3.8.2000 RuS 2001 217; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 63. LG München I 15.3.1995 RuS 1995 318. OLG Hamm 26.11.1997 VersR 1999 44. BGH 23.11.1988 VersR 1989 73; OLG Hamm 31.8.1994 VersR 1995 774, 775; OLG Karlsruhe 19.5.1994 VersR 1995 775 (LS); OLG Koblenz 11.9.2003 VersR 2004 504, 505; OLG Koblenz 18.12.1998 NVersZ 1999 524 = VersR 2000 45 (LS);
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Einzelne Unfallgeschehen
§ 178 Anh
benschädigung beim gewollten und steuerungsgemäßen Gebrauch von Werkzeugen oder Arbeiten an einem Gegenstand auftritt.19 • Wird dagegen eine willensgesteuerte bzw. willentlich in Gang gesetzte Bewegung durch einen von außen dazukommenden Umstand unvorhergesehen verändert, liegt ein Unfallereignis vor.20 So liegt etwa der Fall, wenn die versicherte Person beim Heben eines Gegenstandes ausrutscht bzw. abrutscht,21 stolpert bzw. strauchelt,22 umknickt, stürzt oder gestoßen wird. Entsprechendes gilt, wenn der Gegenstand der Bemühungen der versicherten Person eine unerwartete Eigendynamik entwickelt, z.B. umzukippen oder umzustürzen droht.23 Ein von außen wirkendes Ereignis ist ebenfalls zu bejahen, wenn ein Hilfsmittel oder Werkzeug abrutscht, versagt oder einen Defekt aufweist und dadurch die Handlung der versicherten Person anders als geplant verläuft.24 Gleiches gilt bei reflexartigen Ausgleich- oder Abwehrbewegungen, mit denen die versicherte Person instinktiv auf eine unerwartete Situation reagiert. Denkbar ist auch ein Unfallereignis in dem Fall, dass Zugkräfte abrupt auf den Körper der versicherten Person einwirken.25
bb) Plötzlichkeit. Das Tatbestandsmerkmal der Plötzlichkeit (§ 178 Rn. 81 ff.) be- 13 reitet bei Bandscheibenvorfällen in der Regel keine Probleme.26 Liegt eine „stoßweise Überbelastung der Bandscheiben oder eine „schlagartige Übertragung der Bewegungsenergie“ vor, ist die objektiv zeitliche Komponente der Plötzlichkeit ohne weiteres erfüllt.27 Des Weiteren ist regelmäßig auch das subjektive Element der Plötzlichkeit gegeben. Dies gilt etwa typischerweise für den Fall, dass ein Gegenstand ruckartig über Arme und Schultern die Wirbelsäule belastet, ohne dass die Armmuskulatur darauf eingestellt oder kräftemäßig in der Lage ist, den Gegenstand unter Kontrolle zu bringen.28 cc) Haftungsbegründende Kausalität. Zwischen dem plötzlich von außen wirkenden 14 Ereignis und der Gesundheitsschädigung (Bandscheibenverletzung) muss Kausalität bestehen. Kein Versicherungsfall liegt vor, wenn die Bandscheibenschädigung ausschließlich auf einer Vorerkrankung beruht.29 Maßgeblich und gleichermaßen wichtig für das Herausfinden der wahren Ursachen einer nach äußerer Gewalteinwirkung eintretenden Gesundheitsschädigung sind der Schadenhergang, die Beschwerdesymptomatik, der Erstbefund, der Verlauf der Behandlung, der feingewebliche Untersuchungsbefund sowie die Vorerkrankungen und die Vorbehandlungen.30 Voraussetzung für einen (mit-)ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis 15 und Bandscheibenschädigung ist zunächst, dass der anzunehmende Unfallablauf grundsätzlich geeignet ist, die geschilderten Beschwerden bei der versicherten Person hervorzu-
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OLG Köln 27.7.1995 VersR 1997 443 (LS); OLG München 14.9.1990 VersR 1991 802; LG Aurich 7.6.1996 RuS 1996 465; LG Dortmund 31.3.1955 VersR 1956 83; LG Karlsruhe 29.8.1986 VersR 1988 242, 243; a.A. – soweit ersichtlich – nur Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 8. OLG Frankfurt/M. 10.1.1996 VersR 1996 1355; OLG Hamm 7.11.1986 VersR 1988 242; OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 8. OLG Koblenz 11.9.2003 VersR 2004 504, 505; OLG Koblenz 18.12.1998 NVersZ 1999 524; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 63. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 48. BGH 23.11.1988 VersR 1989 73;
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OLG Hamm 6.7.2001 VersR 2002 180; OLG Schleswig 30.6.1970 VersR 1970 1048. OLG Koblenz 3.3.2005 VersR 2005 1425 = NJW-RR 2005 1390, 1391 = RuS 2006 297; OLG Nürnberg 3.8.2000 RuS 2001 217; LG Berlin 11.7.1996 RuS 1997 132; ferner ÖOGH 31.3.1993 VersR 1994 335, 336. LG Traunstein 16.6.2000 RuS 2001 524; AG Norderstedt 26.6.1986 VersR 1987, 304. AG Mülheim 30.8.1995 RuS 1997 349. S. etwa LG Traunstein 16.6.2000 RuS 2001 524. BGH 12.12.1984 VersR 1985 177. OLG Schleswig 30.6.1970 VersR 1970 1048. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 55. Schürmann S. 13.
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§ 178 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
rufen.31 So kann ein Sturztrauma grundsätzlich nur unter ganz besonderen Ausnahmebedingungen geeignet sein, einen Bandscheibenvorfall auszulösen.32 Darüber hinaus ist regelmäßig ein in tatsächlicher und medizinischer Hinsicht eindrucksvolles und dramatisches Geschehen zu verlangen.33 In tatsächlicher Hinsicht kommen als adäquate Traumen z.B. Sprünge aus großer 16 Höhe, Stürze, insbesondere beim Tragen von Lasten, und Auffahrunfälle mit großer Geschwindigkeit in Betracht.34 Bandscheibenvorwölbungen oder Bandscheibenvorfälle sind nach einer unvermuteten und unkoordinierten maximalen Kraftanstrengung häufig Grenzfälle.35 Aus medizinischer Sicht lässt sich auf ein Unfallgeschehen als Auslöser für die Schädi17 gung schließen, wenn es nach dem Ereignis zu starken (stechenden) Schmerzen kommt 36 und die versicherte Person bewegungsunfähig bzw. nicht in der Lage ist, sich selbst zu erheben;37 denn normalerweise treten bei traumatischen Bandscheibenvorfällen sofort die maximalen Symptome auf. Bei einer langsam über Wochen und Monate zunehmenden und wechselnden Symptomatik sind traumatische Ursachen dagegen eher unwahrscheinlich.38 Zur Annahme der haftungsbegründenden Kausalität ist der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Schmerzeintritt indes nicht zwingende Voraussetzung, sofern die Kausalität durch andere Anhaltspunkte (sachverständige Stellungnahmen) belegbar ist. Die Rechtsprechung hat in einem solchen Fall aufgrund von Sachverständigenangaben für die Annahme eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen Unfall und Beschwerdeeintritt auch einen Zeitraum von sieben bis zehn Tagen als nicht zu lang bewertet.39 Nicht fehlen dürfen allerdings Hinweise auf eine (Gewalt-)Einwirkung von außen, z.B. eine Schädigung des den Bandscheiben vorgelagerten Knochen- und Bandapparats oder Verletzungszeichen in Form von Weichteilschwellungen und Blutergussverfärbungen.40 Unschädlich ist es, wenn zwar eine Erkrankung vorliegt, der Bandscheibenvorfall 18 jedoch durch ein Unfallgeschehen zumindest ausgelöst wird.41 Hier ist der Versicherungsfall zu bejahen; denn die Mitursächlichkeit körperinterner Vorgänge ist für den anspruchsbegründenden Tatbestand unerheblich. Vielmehr genügt für den Unfallbegriff i.e.S. bereits „geringste“ Mitkausalität des Unfallereignisses (§ 178 Rn. 42 und 157).42 Daher dürfen die Anforderungen beim Prüfungspunkt „anspruchsbegründende Kausalität“ nicht überspannt werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität mit den erst im Ausschlusstatbestand (AUB 88/94/99/
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OLG Koblenz 27.10.2000 RuS 2002 130; LG Kleve 13.3.1998 RuS 2000 86. Marlow RuS 2005 357, 359. LG Köln 26.6.1985 VersR 1987 198; LG München 1.3.1990 RuS 1992 36; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 50 und 5 AUB 99 Rn. 63; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 99; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 35; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 55. Ernestus/Gärtner VersR 1996 419 f. LG Kleve 13.3.1998 RuS 2000 86. OLG Hamm 14.6.2000 RuS 2001 303; OLG München 14.9.1990 VersR 1991 802, 803; OLG Schleswig 30.6.1970 VersR 1970 1048.
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LG Köln 26.6.1985 VersR 1987 198; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 50. OLG Koblenz 3.3.2005 VersR 2005 1425, 1426 = RuS 2006 297. OLG Hamm 6.7.2001 VersR 2002 180. LG Köln 26.6.1985 VersR 1987 198; LG München 1.3.1990 RuS 1992 36; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 63; Ludolph/ Tabertshofer S. 25; Marlow RuS 2005 357, 359. OLG Hamm 6.7.2001 VersR 2002 180; OLG Schleswig 30.6.1970 VersR 1970 1048; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94, Rn. 12. Reichenbach S. 81.
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§ 178 Anh
2008) bzw. bei der Leistungskürzung (AUB 61,88/94/99/2008) zu klärenden Fragen vermengt wird, ob das Unfallereignis überwiegende Ursache ist (Rn. 35) und in welcher Höhe Krankheiten oder Gebrechen zu berücksichtigen sind (Rn. 46 ff.). Dem entsprechend lassen die Gerichte oftmals offen, ob sie bereits den Unfallbegriff als solchen, also jede Kausalität des Unfallereignisses ablehnen oder den Unfall lediglich als nicht überwiegende Ursache für die Bandscheibenschädigung ansehen und damit einen Ausschlussgrund annehmen.43 b) Beweisrechtliche Beurteilung. Die Beweislast für den Unfall trägt der VN (§ 179 19 Rn. 168). Er hat zu beweisen, dass ein Unfallereignis und eine Gesundheitsschädigung vorliegen und das Unfallereignis für die Gesundheitsschädigung kausal war.44 Dies setzt zunächst einen schlüssigen Vortrag voraus. Macht der Anspruchsteller widersprüchliche Angaben zur Entstehung des Bandscheibenvorfalls und bleibt der Geschehensablauf auch in der mündlichen Verhandlung unklar, so ist – unabhängig von einer etwaigen Obliegenheitsverletzung (Ziff. 7 und 8 AUB 2008) – der Beweis für ein Unfallereignis (z.B. dafür, dass der Gegenstand der Einwirkung eine Eigendynamik entwickelte) nicht erbracht.45 Hat der VR den Anspruchsteller bereits auf die Widersprüchlichkeiten in dessen Unfallschilderungen hingewiesen, so bedarf es keines weiteren Hinweises des Gerichts.46 Des Weiteren reicht für den Beweis des Unfallereignisses die Äußerung von Beschwer- 20 den nicht aus. Entscheidend ist vielmehr, ob der Ursachenzusammenhang zwischen der Bandscheibenschädigung und dem Unfallereignis durch einen in medizinischer Hinsicht objektivierbaren Tatsachenkomplex festgestellt werden kann.47 M.a.W.: Es muss ein objektiv abnormer Befund vorliegen, der z.B. durch eine histologische Untersuchung, aufgrund von Arztberichten oder Krankenversicherungsunterlagen einschließlich Röntgenunterlagen belegt ist.48 Besteht Streit über das Vorliegen oder die Ursache einer Bandscheibenschädigung, ist regelmäßig ein medizinisches Gutachten einzuholen.49 Zu klären ist insbesondere, ob das vom Anspruchsteller geschilderte Unfallereignis (z.B. die Sturzmechanik) geeignet ist, die vorhandene Bandscheibenverletzung hervorzurufen.50 So ist z.B. die Kausalität zu verneinen, wenn ein Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule (C 5/6) nach medizinischer Erfahrung nicht durch das vom Anspruchsteller behauptete Unfallgeschehen – nämlich durch Aufschlagen des Kopfes auf einen Gegenstand nach einem Sturz –, sondern nur durch eine vorherige Kopf-Dreh-Bewegung ausgelöst worden sein kann.51
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So z.B. OLG Koblenz 11.9.2003 VersR 2004 504, 505 („Der … Hebevorgang war keine Ursache, insbesondere keine überwiegende Ursache für eine Bandscheibenschädigung …“); zust. Marlow RuS 2005 357, 358. OLG Koblenz 3.3.2005 VersR 2005 1425 = RuS 2006 297; OLG Koblenz 11.9.2003 VersR 2004 504, 505. LG Münster 16.12.1993 VersR 1994 1056 (LS). LG München 1.3.1990 RuS 1992 36 (es blieb offen, ob der Bandscheibenvorfall Folge eines Unfallereignisses oder Folge einer Kraftanstrengung am Folgetag war).
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OLG Koblenz 30.1.1998 NVersZ 1999 28, 29. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 63. Zur unfallchirurgischen Begutachtung der HWS-Distorsion Schmidt/Lohsträter VersM 2003 118 ff. LG Köln 26.6.1985 VersR 1987 198; LG Regensburg 6.11.2003 RuS 2004 430, 431. OLG Karlsruhe 16.4.1987 RuS 1987 268 f.; ferner Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 63.
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§ 178 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
2. Erweiterung des Unfallbegriffs
21
Häufig werden Bandscheibenschäden erst nach einer Kraftanstrengung sichtbar. Bei der rechtlichen Beurteilung ist zu unterscheiden, ob die AUB 61 oder jüngere AUB-Generationen zugrunde zu legen sind.
22
a) AUB 61. Nach § 2 Nr. 2a AUB 61 fallen unter den Versicherungsschutz auch durch Kraftanstrengung der versicherten Person hervorgerufene Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen an Gliedmaßen und der Wirbelsäule.
23
aa) Materiellrechtliche Beurteilung. Einigkeit besteht darüber, dass weder ein Bandscheibenvorfall noch eine Bandscheibenvorwölbung eine Verrenkung (an) der Wirbelsäule darstellen. Eine Verrenkung setzt eine über die Normallage hinausgehende Verschiebung zweier durch Gelenk verbundener Knochenenden zueinander voraus (Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 43). Weder ein Bandscheibenvorfall noch eine Bandscheibenvorwölbung verändert aber die Lage der von der jeweiligen Bandscheibe getrennten knöchernen Wirbelsäulensegmente. Eine Zerrung ist ebenfalls nicht gegeben, da diese Folge einer Überdehnung des Bandapparats sein muss oder zumindest eine Überbeanspruchung von Muskeln und Sehnen verlangt (Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 44).52 In Betracht kommt allerdings, Bandscheibenschäden als eine durch Kraftanstrengung hervorgerufene Zerreißung (an) der Wirbelsäule zu bewerten. Für die Beurteilung der Frage, ob eine „Zerreißung“ vorliegt, kann zwischen dem 24 Bandscheibenvorfall und der Bandscheibenverwölbung differenziert werden: • Die Rechtsprechung53 und das Schrifttum54 hatten es zunächst abgelehnt, einen Bandscheibenvorfall (Rn. 5) als Zerreißung der Wirbelsäule anzusehen. Eine Zerreißung setze voraus, dass ein Teil des menschlichen Körpers durch auseinanderstrebende Zugkräfte getrennt werde. Dies sei bei Bandscheibenverletzungen nicht der Fall.55 Ein Bandscheibenvorfall entstehe aus medizinischer Sicht vielmehr dadurch, dass bei übermäßiger Belastung der Wirbelsäule die Bandscheibe zerdrückt werde, so dass Teile von ihr hervortreten und mit den umliegenden Nerven kollidierten.56 Dieser Ansicht ist indes der BGH mit einer ausschließlich rechtlichen Argumentation entgegen getreten.57 Die einengende Auslegung werde dem Verständnis des durchschnittlichen VN, das für die Auslegung von AVB unstreitig maßgebend ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57), nicht gerecht. Versicherungsschutz bestehe vielmehr nach den Vorstellungen medizinischer Laien auch dann, wenn der Bandscheibenvorfall mit einem traumatisch bedingten Riss der Bandscheibe oder ihres Bestandteils, des Faserringes, einhergehe. Der BGH stellt entscheidend darauf ab, dass in den AUB 61 von Zerreißen „an der“ und nicht einfach „der“ Wirbelsäule die Rede ist. Folglich könnten nicht die Wirbelsäule, sondern nur deren einzelne Teile gemeint sein. Des Weiteren sei das Wort „Zerreißen“ auf die nicht knöchernen Bestandteile der Wirbelsäule zu beziehen. Für eine zerstörende Beschädigung eines Knochenteils rechne der VN mit der Bezeichnung „Bruch“ oder „brechen“. Zu den nicht knöchernen Bestandteilen zähle der Laie aber vor allem die Knorpelteile zwischen den Wirbelkörpern, eben die Bandscheiben. Da es Zerreißung „an“ der Wirbelsäule heiße, werde der VN nicht eine völlige Abtrennung von Teilen für erforderlich halten, sondern erwarten, dass auch eine Rissbildung oder ein Einreißen ausreiche.58 Den Vorgaben des
52
LG Karlsruhe 29.8.1986 VersR 1988 242, 243; a.A. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 152. 53 LG Dortmund 22.11.1984 VersR 1986 482 (LS); a.A. AG Norderstedt 26.6.1986 VersR 1987, 304; offen lassend OLG Hamm 7.5.1986 RuS 1986 322.
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Rehberger ZfV 1959 666 f.; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 116. LG Karlsruhe 29.8.1986 VersR 1988 242, 243; Schürmann S. 13. Ludolph/Tabertshofer S. 25 f. BGH 23.11.1988 VersR 1989 73 f. BGH 23.11.1988 VersR 1989 73, 74.
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Einzelne Unfallgeschehen
§ 178 Anh
BGH sind die neuere Rechtsprechung59 und das neuere Schrifttum60 gefolgt. Die VR haben durch eine Änderung der AUB reagiert (Rn. 32).61 • Nicht ausreichend für eine Zerreißung ist dagegen eine einfache Verlagerung von Bandscheibengewebe (Bandscheibenverwölbung, Rn. 5). War ein Riss bereits vorhanden und tritt infolge der Kraftanstrengung lediglich das Bandscheibenmaterial bzw. Teile des inneren Gallertkerns der Bandscheibe (nucleus pulposus) aus, ist kein Versicherungsschutz gegeben.62
Die Kraftanstrengung muss über den mit der normalen körperlichen Bewegung ver- 25 bundenen Kraftaufwand hinausgehen. Dies gilt ohne weiteres für das Anheben schwerer Gegenstände,63 nicht aber für normale bzw. schlichte Bewegungsabläufe64 wie z.B. das Aufstehen aus kniender Haltung.65 Z.T. wird die Auffassung vertreten, von einer Kraftanstrengung könne grundsätzlich nur dann gesprochen werden, wenn Körperkräfte zur Bewegung anderer „Massen“ als des eigenen Körpers eingesetzt würden (näher hierzu Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 23).66 Die Zerreißung muss infolge einer Kraftanstrengung eingetreten sein. Dieser Ursachen- 26 zusammenhang ist kaum zu begründen. Im Allgemeinen sind auch ganz erhebliche Kraftanstrengungen nicht geeignet, eine Zerreißung bei intakten, ungeschädigten Bandscheiben zu verursachen.67 Dagegen bedarf es zur Verlagerung von degenerativ verändertem Bandscheibengewebes keiner besonderen (Kraft-)Anstrengung,68 sondern es genügt bereits jede Alltagsbewegung (Rn. 5). • Die Kausalität der Kraftanstrengung kann insbesondere zu verneinen sein, wenn die Schädigung nicht Folge einer traumatischen Einwirkung, sondern lediglich bei Gelegenheit (als Gelegenheitsursache, § 178 Rn. 157) der Kraftanstrengung aufgetreten ist und sichtbar wird.69 Traumatische Bandscheibenvorfälle sind selten und können im Regelfall nur auf einer Gewalteinwirkung auf die Wirbelsäule beruhen (Rn. 40). So sind lumbale (die Lendengegend betreffende) Bandscheibenvorfälle meist das Ergebnis einer degenerativen Veränderung, nämlich einer Bandscheibenzermürbung im Bereich der Lendenwirbelsäule. Sie können sich bei jeder alltagsüblichen Tätigkeit, selbst durch das Bücken nach einem Stück Papier, manifestieren.70 • In Zweifelsfällen ist maßgebend, ob die Vorschädigung ausschließlich für den Bandscheibenvorfall verantwortlich ist. Trifft dies zu, sind die Voraussetzungen des erweiterten Unfallbegriffs nicht erfüllt; es fehlt an dem erforderlichen Kausalzusammenhang. Ist dagegen die Kraftanstrengung zumindest mitursächlich für den Bandscheibenvorfall, was ausreichend ist (§ 178 Rn. 156), so kann die Vorerkrankung nur im Rahmen von § 10 Nr. 1 AUB 61 berücksichtigt werden.
59
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61 62
OLG Frankfurt/M. 10.1.1996 VersR 1996 1355, 1356; OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525, 526; LG München 1.3.1990 RuS 1992 36; LG Nürnberg 21.1.1991 RuS 1991 431, 432; i.E. auch LG Fulda 11.11.1992 VersR 1993 1140 = RuS 1993 277 f. Ernestus/Gärtner VersR 1996 419, 421; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 3; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 88. Konen/Lehmann S. 21; Stockmeier/Huppenbauer, S. 55. OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525, 526; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 52; Knappmann NVersZ 2002 1, 4 Fn. 40; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 3; Lehmann/Ludolph 2 S. 68.
63 64 65 66 67 68 69
70
LG Fulda 11.11.1992 VersR 1993 1140 = RuS 1993 277. OLG Celle 9.1.1991 VersR 1991 1165 = RuS 1991 357. LG Köln 13.1.1988 VersR 1988 462. OLG Celle 9.1.1991 VersR 1991 1165. Konen/Lehmann S. 9; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 88. Ludolph/Tabertshofer S. 26. OLG Frankfurt/M. 10.1.1996 VersR 1996 1355, 1356; OLG München 14.9.1990 VersR 1991 802, 803. OLG Frankfurt/M. 10.1.1996 VersR 1996 1355, 1356.
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§ 178 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
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bb) Beweisrechtliche Beurteilung. Der VN hat den Beweis für den Eintritt des Versicherungsfalls zu führen (§ 178 Rn. 168). Damit trägt er die Beweislast für die Zerreißung der Wirbelsäule infolge einer Kraftanstrengung.71 Bleibt offen, ob das behauptete Ereignis den Bandscheibenvorfall hervorgerufen hat, so ergeht eine Entscheidung zu Lasten des Anspruchstellers.72 Allein das erstmalige Auftreten von Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule nach einer Kraftanstrengung reicht zur Beweisführung nicht aus; denn auch bereits vorhandene Bandscheibenschäden können zunächst klinisch stumm verlaufen (Rn. 6).73
28
b) AUB 88/94/99/2008. Als Unfall gilt nach § 1 Abs. 4 AUB 88/94 und Ziff. 1.4 AUB 99/2008 auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden. Von dieser – im Vergleich zu § 2 Nr. 2a AUB 61 neu gefassten – Erweiterung werden Bandscheibenverletzungen (wie etwa die Zerreißung der Bandscheibe [prolaps])74 nicht erfasst.75 Während die AUB 61 eine „Kraftanstrengung“ ausreichen ließen, verlangen die neueren AUB ausdrücklich eine „erhöhte Kraftanstrengung“. Spätestens aus der mit dem Wort „erhöht“ angestrebten Klarstellung (Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 17) ergibt sich, dass normale alltagsübliche Bewegungsabläufe, aber auch beruflich gewohnte Kraftanstrengungen nicht von der Erweiterung des Unfallbegriffs erfasst sind.76 Insbesondere sind aber eine Bandscheibe und ihre Bestandteile anatomisch/physiologisch betrachtet – auch nach laienhafter Vorstellung – weder ein Muskel, eine Sehne, ein Band oder eine Kapsel noch ein Gelenk.77 Für eine erweiternde Auslegung bzw. analoge Anwendung besteht kein Raum (Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 58).
IV. Ausschluss der Leistungspflicht 29
Die AUB 88/94/99/2008 enthalten – anders als die AUB 61 – einen speziellen Ausschluss für Bandscheibenschäden. Damit wird dem Erfahrungssatz Rechnung getragen, dass rein traumatisch bedingte Bandscheibenvorfälle äußerst selten sind und sich solche in der Regel auf einer bereits vorhandenen degenerativen Basis abspielen.78 Der Ausschluss ist wirksam und verstößt nicht gegen AGB-Recht (Ziff. 5.2.1 AUB 2008 Rn. 17). 71
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73 74 75
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OLG Frankfurt/M. 10.1.1996 VersR 1996 1355, 1356; OLG München 14.9.1990 VersR 1991 802, 803. OLG München 14.9.1990 VersR 1991 802, 803; LG Nürnberg 21.1.1991 RuS 1991 431, 432. OLG Karlsruhe 4.2.1999 RuS 1999 525, 526. OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969. OLG Köln 27.7.1995 VersR 1997 443 (LS); LG Münster 16.12.1993 VersR 1994 1056 (LS); Römer/Langheid 2 § 179, Rn. 2; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 88. Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115. OLG Hamm 26.11.1997 VersR 1999 44; OLG Hamm 31.8.1994 VersR 1995 774, 775; OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969; OLG Karlsruhe 19.5.1994 VersR 1995
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775 (LS); Ernestus/Gärtner VersR 1996 419, 421; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 63; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 23 und 152; Knappmann NVersZ 2002 1, 4; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 27; Konen/Lehmann, S. 9 und 21; Lehmann/ Ludolph 2 S. 67; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 47 und 122; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 36; Reichenbach S. 80; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 75; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 19; Stockmeier/Huppenbauer, S. 10 und 55; Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115; s.a. OLG Köln 27.7.1995 VersR 1997 443 (LS). OLG Nürnberg 30.3.2000 NVersZ 2000 376, 377.
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Einzelne Unfallgeschehen
§ 178 Anh
1. Materiellrechtliche Beurteilung Nach Ziff 5.2.1 AUB 99/2008 und § 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94 sind Schädigungen an 30 Bandscheiben grundsätzlich von der Ersatzpflicht ausgeschlossen. Der Ausschluss „Schädigung an Bandscheiben“ erfasst auch durch diese Gesundheitsschädigung ausgelöste weitere Gesundheitsstörungen wie z.B. Lähmungen (Ziff. 5.2.1 AUB 2008 Rn. 8). Ausnahmsweise besteht jedoch Versicherungsschutz, wenn ein Unfallereignis i.e.S. (§ 1 Abs. 3 AUB 88/94 bzw. Ziff. 1.3 AUB 99/2008, die inhaltlich § 178 Abs. 2 S. 1 entsprechen) die überwiegende Ursache ist. Irrelevant für den Wiedereinschluss der Bandscheibenschädigung ist dagegen nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Ausschlussbestimmung, ob eine (erhöhte) Kraftanstrengung als „überwiegend“ gewertet werden kann.79 a) Überwiegen des Unfallereignisses. Selbst wenn die Bandscheibenschädigung auf 31 ein Unfallereignis (mit) zurückzuführen ist (Rn. 18 und 30), erfolgt eine Ersatzpflicht nur, wenn das Unfallereignis überwiegend, d.h. zu mehr als 50 % für den Bandscheibenschaden verantwortlich ist.80 Einfache Mitkausalität des Unfalls (selbst in Höhe von genau 50 %)81 genügt m.a.W. nicht und führt auch nicht zu einer Teilentschädigung nach § 8 AUB 88/94 (Ziff. 5.2.1 AUB 2008 Rn. 14). Bagatelltraumen besitzen – im Vergleich zu den AUB 61 – keine Anspruchschance mehr.82 Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind demnach regelmäßig Vorwölbungen (protusio) und Zerreißungen (prolaps) der Bandscheibe ohne Begleitverletzungen, da hier nach übereinstimmender Auffassung der Unfallchirurgen und Orthopäden fast immer vorher schon vorhandene Verschleißerscheinungen mitwirken, hinter denen zumindest sehr häufig die Auswirkungen des Unfalls zurücktreten.83 Eine Entschädigung kommt selbst bei mittleren Traumen nur noch selten in Betracht.84 b) Entscheidungskriterien. Für die Beurteilung, ob die Bandscheibenverletzung über- 32 wiegend unfallbedingt ist oder ob der Unfall lediglich eine (unbeachtliche) auslösende Ursache darstellt, die die von den Bandscheiben ausgehenden Beschwerden hat akut werden lassen, spielen ähnliche Überlegungen eine Rolle wie bei der Prüfung der Kausalität im Unfallbegriff (Rn. 14 ff.). Maßgebend sind zum einen die Vorschäden und zum anderen die Schwere des Traumas.85 Unerheblich ist allerdings, dass die versicherte Person vor dem Unfall beschwerdefrei war und die Bandscheibenschädigung erst durch den Unfall symptomatisch geworden ist (Rn. 6);86 denn entscheidend ist, wie die Verursachungsanteile von Vorschäden und Verletzungshandlungen zu bewerten sind, die zu den Bandscheibenschmerzen geführt haben.87
79 80
81
82 83
OLG Celle 9.1.1991 VersR 1991 1165; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 131. OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969, 970 = RuS 2006 296; Ernestus/Gärtner VersR 1996 419, 421; Kloth Rn. K 70; Reichenbach S. 94. OLG Düsseldorf 26.2.2008 RuS 2008 525; LG Traunstein 16.6.2000 RuS 2001 524, 525; AG Köln 17.3.1997 RuS 2000 40, 41. Schürmann S. 17. LG Köln 27.3.2002 RuS 2002 481 f.; Knappmann NVersZ 2002 1, 3; Ludolph/Taberts-
84 85
86 87
hofer S. 24. Beispiele: AG Krefeld 11.6.1996 RuS 1997 481; AG Mülheim 30.8.1995 RuS 1997 349. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 121. OLG Koblenz 5.6.2003 VersR 2004 462, 463 = RuS 2003 517 f.; LG Regensburg 6.11.2003 RuS 2004 430, 431; AG Köln 29.3.1999 RuS 2000 86, 87. OLG Hamm 24.1.2003 RuS 2003, 255; OLG Oldenburg 21.8.1996 VersR 1997 821. OLG Frankfurt/M. 20.7.2005 VersR 2006 1118, 1119 = RuS 2006 165.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
33
Liegt eine (schwere) Vorschädigung der Bandscheiben vor, so kann eine überwiegende Ursächlichkeit eines Unfalls nur bei einem erheblichen Trauma, das in aller Regel mit äußeren (zusätzlichen) Verletzungen einhergeht, angenommen werden.88 Dagegen kann etwa die Anspannung der Muskulatur das Bandscheibengewebe nur beschädigen, wenn es ohnehin derart mürbe ist, dass schon kleinste Belastungen zu einem entsprechenden Vorfall führen können.89 Eine vorgeschädigte Wirbelsäule ist der Normalfall (Rn. 4). Für eine Vorschädigung spricht es des Weiteren, wenn z.B. die Sichtung der Krankenversicherungsakten oder die Analyse bereits regulierter Schadenfälle durch den Unfallversicherer ergibt, dass bei der versicherten Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Bandscheibenvorfälle aufgetreten oder gar Bandscheibenoperationen durchgeführt worden sind. Weiterhin sind – anders als bei der Leistungskürzung nach § 10 Abs. 1 AUB 61, § 8 AUB 88/94, Ziff. 3 AUB 99/2008 (Rn. 46 ff.) – neben den Vorschäden, die sich in einem den Altersdurchschnitt der versicherten Person übersteigenden Ausmaß bewegen, auch altersgerechte Verschleißerscheinungen in die Überlegungen mit einzubeziehen.90 Bei Fehlen von Anzeichen akuter traumatischer Schädigung ist ein Überwiegen des Unfallereignisses jedenfalls dann abzulehnen, wenn der Vorschaden in der Vergangenheit genau in dem Segment der Wirbelsäule diagnostiziert worden ist, in dem der zu entschädigende Bandscheibenvorfall später eingetreten ist.91 Die Schwere der Einwirkung und der Verletzung erlauben Rückschlüsse zur Kausa34 litätsbewertung. • Das Auftreten eines Bandscheibenvorfalls bei einer gesunden, nicht vorgeschädigten Bandscheibe als direkte Unfallfolge ist zunächst nur im Rahmen einer erheblichen Einwirkung auf die versicherte Person zu erwarten (z.B. schwerer Autounfall oder Sturz aus großer Höhe).92 Ausschließlich oder im Wesentlichen traumatisch bedingte Bandscheibenschäden können nur durch eine axial einwirkende Kraft auf die Wirbelsäule bei gleichzeitiger Drehung (Rotation der Wirbelkörper gegeneinander) entstehen.93 Nicht ausreichend sind dagegen – jedenfalls bei einem Trauma mit nur geringer Intensität – solche Bandscheibenschädigungen, die als Gelegenheitsursache zu werten bzw. nur bei Gelegenheit eines äußeren Ereignisses eingetreten sind, etwa bei einem Zusammenstoß 94 oder einem Sturz 95 im Alltagsleben, einer besonderen Kraftanstrengung oder bei dem Versuch, sich bzw. einen in Bewegung geratenen schweren Gegenstand festzuhalten oder ab- bzw. aufzufangen.96 So führt ein Ausrutschen mit Fallen auf das Gesäß allenfalls zu einer Stauchung der Wirbelsäule.97 In diesen Fällen ist der Unfall vielmehr nur als letzter Anstoß mitursächlich für das Entstehen des Bandscheibenvorfalls.98 88 89 90
91 92 93 94
OLG Hamm 26.11.1997 VersR 1999 44; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 151. LG Aurich 7.6.1996 RuS 1996 465, 466. BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 493 Rn. 14 = NJW-RR 2009 679, 681 = RuS 2009 161, 162; OLG Hamm 1.2.2006 RuS 2006 467; OLG Köln 22.5.2002 VersR 2003 1120, 1121; LG Köln 19.9.1999 RuS 2000 40, 41; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 151; Knappmann NVersZ 2002 1, 4; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 121. OLG Koblenz 25.8.2000 RuS 2002 172; AG Köln 17.3.1997 RuS 2000 40, 41. OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969, 970. AG Mülheim 30.8.1995 RuS 1997 349. OLG Hamm 13.2.2001 RuS 2001 439; LG Fulda 20.12.2004 RuS 2005 391.
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OLG Koblenz 25.8.2000 RuS 2002 172; OLG Koblenz 5.6.2003 VersR 2004 462, 463; OLG Köln 22.5.2002 VersR 2003 1120, 1121; LG Aurich 7.6.1996 RuS 1996 465, 466. OLG Frankfurt/M. 18.2.2003 RuS 2004 431 f.; OLG Frankfurt/M. 18.1.1994 VersR 1994 1055= RuS 1994 223; OLG Hamm 24.1.2003 RuS 2003, 255; OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969, 970; OLG Koblenz 9.11.2001 RuS 2002 481; OLG Nürnberg 3.8.2000 RuS 2001 217; LG Berlin 11.7.1996 RuS 1997 132; LG Göttingen 3.11.2000 RuS 2002 350. OLG Koblenz 5.6.2003 VersR 2004 462 f. OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969, 970.
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• Des Weiteren ist eine gewisse Schwere der Verletzung erforderlich, um eine überwiegende Unfallursache bejahen zu können.99 Das Trauma muss von starker Intensität sein 100 bzw. zu heftigen Schmerzen führen 101 und die Bandscheibenschädigung mit knöchernen 102 oder ligamentären Verletzungsbildern einhergehen 103 bzw. als Begleitbefund bei Wirbelbrüchen auftreten. Ein Anzeichen für eine überwiegende Beteiligung einer traumatischen Einwirkung kann vornehmlich dann angenommen werden, wenn der Bereich der Wirbelsäule, in dem die Bandscheiben geschädigt wurden, deutliche Spuren äußerer (Gewalt-)Einwirkung, d.h. insbesondere eine Schädigung des vorgelagerten Knochens und/oder Bandapparates,104 aufweist (z.B. Knochenmarködem);105 denn traumatisch bedingte Bandscheibenvorfälle (ohne wesentliche Mitwirkung degenerativer Vorschäden an den Bandscheiben bzw. an der Wirbelsäule) setzen nach heutigen medizinischen Erkenntnissen in aller Regel eine unmittelbare Gewalteinwirkung auf den betroffenen Körperbereich voraus, die dort auch zu weiteren Verletzungen wie etwa Frakturen führt.106 Der isoliert auftretende Bandscheibenvorfall bzw. eine Zerreißung des Bandscheibenfaserringes ohne Begleitverletzung kann unfallbedingt dagegen nicht entstehen.107 Bagatelltraumen reichen nicht aus. Dies ist anatomisch begründet. Die Bandscheibe sitzt tief eingebettet mehrere Zentimeter von der Körperoberfläche entfernt geschützt zwischen zwei Wirbelkörpern.108 So genügt z.B. eine Platzwunde am Kopf und eine Stauchung der Halswirbelsäule (ohne traumatische Veränderung an Knochen, Bindegeweben und nervalen Strukturen des Halses) nach einem Aufschlagen des Kopfes bei einem Sprung in ein Wasserbecken nicht aus, um eine überwiegende Ursache des Unfalls zu begründen.109
2. Beweisrechtliche Beurteilung Die Einschätzung der Verursachungsbeiträge von Unfall und Vorschäden bedarf einer 35 zuverlässigen und gesicherten Grundlage. Der Tatrichter hat darauf hinzuwirken, etwaige Unvollständigkeiten, Unklarheiten und Zweifel an ärztlichen Stellungnahmen aufklären und Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger sorgfältig und kritisch zu würden.110 Ggf. ist ein weiteres Gutachten einzuholen (näher Anh. Ziff. 16 AUB 2008 Rn. 14 ff.). Zur Beweislastverteilung und Beweisführung gelten folgende Grundsätze: Da der Beweis der überwiegenden Ursächlichkeit nur sehr schwer zu führen ist,111 36 kommt der Beweislastverteilung eine erhebliche Bedeutung zu. Unstreitig ist, dass der VR die Voraussetzungen eines Ausschlusstatbestandes – hier die Schädigung an den Bandscheiben 112 – beweisen muss (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32). Deshalb wird gelegentlich – ohne nähere Begründung – die Auffassung vertreten, der VR sei auch beweispflichtig dafür, dass der Unfall nicht die überwiegende Ursache für die Schädigung der Band-
99 100 101 102
103 104 105 106 107
OLG Hamm 24.1.2003 RuS 2003, 255. OLG Hamm 13.2.2001 RuS 2001 439. LG Regensburg 6.11.2003 RuS 2004 430, 431. OLG Köln 22.5.2002 VersR 2003 1120, 1121; LG Berlin 11.7.1996 RuS 1997 132; LG Köln 27.3.2002 RuS 2002 481 f. Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115, 116. OLG Hamm 13.2.2001 RuS 2001 439. OLG Koblenz 27.10.2000 RuS 2002 130. OLG Frankfurt/M. 18.2.2003 RuS 2004 431 f. OLG Koblenz 5.6.2003 VersR 2004 462,
108 109 110
111
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463; Lehmann/Ludolph 2 S. 67; Tändler/ Schröter MedSach 99 (2003) 115, 116. LG Göttingen 3.11.2000 RuS 2002 350. LG Fulda 20.12.2004 RuS 2005 391 f. (LS). BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 494 Rn. 18 = NJW-RR 2009 679, 681 = RuS 2009 161, 162. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 122; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 37. OLG Hamm 13.2.2001 RuS 2001 439; OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969, 970 = RuS 2006 296.
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scheibe ist.113 Diese Ansicht hat sich indes nicht durchgesetzt. Zutreffend ist es mit der inzwischen allgemein vertretenen Meinung, dem Anspruchsteller die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass der Unfall die überwiegende Ursache für die Bandscheibenverletzung ist.114 Zweifel bzw. nicht aufklärbare Kausalzusammenhänge gehen folglich zu Lasten des Anspruchstellers aus. Bei § 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94 und Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 handelt es sich um einen „Ausschlusstatbestand mit Ausnahmeregelung“ bzw. „Ausschluss mit Wiedereinschluss“ (Ziff. 5.2.1 AUB 2008 Rn. 21). Der Wiedereinschluss des „an sich“ vom Versicherungsschutz ausgeschlossenen Bandscheibenschadens ist eine für den VN günstige Tatsache, für die dieser wie auch sonst im Zivilprozessrecht beweispflichtig ist. Anders wäre nur dann zu urteilen, wenn die AUB 88/94/99 die anfängliche Zusage enthielten, auch für Bandscheibenschäden einstehen zu wollen, und diesen grundsätzlich eingeräumten Versicherungsschutz anschließend wieder zurücknähmen (so etwa in § 10 Nr. 2 AUB 61, dazu Ziff. 5.2.1 AUB 2008 Rn. 20). Das Regelungskonzept ist hier aber genau umgekehrt. In den Bedingungen werden Bandscheiben vom Unfallversicherungsschutz generell ausgenommen und nur ausnahmsweise wieder eingeschlossen.115 Der Anspruchsteller hat vornehmlich den (schwierigen) Beweis dafür zu führen, dass 37 der anzunehmende Unfallmechanismus den Bandscheibenschaden ausnahmsweise verursacht haben kann und mit einer gewaltsamen äußeren Schädigung des betroffenen Wirbelsäulenbereichs einherging. Für Letzteres ist grundsätzlich der röntgenologische Nachweis knöcherner Verletzungen an den Wirbelkörpern zu erbringen.116 Ist allerdings eine aufprallbedingte Bewegungsenergie von 6,3 bis 7,2 g bewiesen, kann im Einzelfall auch ohne dokumentierte Begleitverletzungen die überwiegende Unfallversuchung eines Bandscheibenvorfalls in Betracht kommen.117 Nicht ausreichend ist die Behauptung, der Unfall habe erstmals Schmerzen verursacht (Rn. 6) oder die versicherte Person habe bis zum Unfall schwere körperliche Tätigkeiten beschwerdefrei ausüben können.118 Des Weiteren genügt es nicht, dass der Anspruchsteller Röntgenuntersuchungen vorlegt, aus denen sich keine Hinweise dafür ergeben, dass vor dem Unfallereignis degenerative oder unfallbedingte Bandscheibenschäden vorgelegen haben; denn Röntgenuntersuchungen enthalten keine Aussage über den Zustand der Bandscheibe, insbesondere hinsichtlich des Fortschritts der zwangsläufigen degenerativen Veränderung aufgrund eines Absinkens des Wassergehalts der Bandscheibe.119 Hat der Anspruchsteller seiner Beweislast genügt, so kann der Gegenbeweis, dass der Unfall nicht überwiegende Ursache ist, nicht
113
114
OLG Koblenz 9.11.2001 RuS 2002 481 mit abl. Anm. Hoenicke; inzwischen auch aufgegeben durch OLG Koblenz 3.3.2005 VersR 2005 1425, 1426 = NJW-RR 2005 1390, 1391 = RuS 2006 297, 298. S. nur BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 494 Rn. 12 = NJW-RR 2009 679, 680 f. = RuS 2009 161, 162; OLG Düsseldorf 26.2.2008 RuS 2008 525 f.; OLG Frankfurt/M. 20.7.2005 VersR 2006 1118 = RuS 2006 165; OLG Frankfurt/M. 18.2.2003 RuS 2004 431, 432; OLG Hamburg 15.5.2007 RuS 2008 32; OLG Hamm 1.2.2006 RuS 2006 467; OLG Hamm 24.1.2003 RuS 2003 255; OLG Hamm 13.2.2001 RuS 2001 439; OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969, 970 = RuS 2006
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296; OLG Koblenz 25.8.2000 RuS 2002 172; OLG Köln 22.5.2002 VersR 2003 1120, 1121; OLG Nürnberg 3.8.2000 RuS 2001 217; LG Regensburg 6.11.2003 RuS 2004 430 f.; jetzt auch Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 40 in Abweichung zur Vorauflage § 2 AUB 88 Rn. 39; wohl auch Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 122. Knappmann NVersZ 2002 1, 3 f. LG Köln 27.3.2002 RuS 2002 481, 482. So OLG Koblenz 11.4.2008 VersR 2008 1683, 1684 f. = RuS 2009 254 f. OLG Hamm 1.2.2006 RuS 2006 467. OLG Frankfurt/M. 20.7.2005 VersR 2006 1118 f.
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Einzelne Unfallgeschehen
§ 178 Anh
ohne konkrete Feststellungen zu Vorschädigungen der versicherten Person und allein auf allgemeine Erfahrungstatsachen zur Bandscheibendegeneration gestützt werden.120
V. Unfallfolgen Bandscheibenschäden können eine Invalidität nach sich ziehen.121 Der Bandscheiben- 38 vorfall oder die Bandscheibenvorwölbung kann darüber hinaus auch bei der Geltendmachung von Krankenhaustagegeld, Genesungsgeld und Krankengeld relevant werden.122
VI. Haftungsausfüllende Kausalität Zwischen dem Unfall und den Unfallfolgen (insbesondere Invalidität) muss ein Kau- 39 salzusammenhang bestehen. Die Mitwirkung unfallfremder Ursachen ist hier wie bei der haftungsbegründenden Kausalität unerheblich (§ 180 Rn. 40 ff.). Sog. Gelegenheitsursachen sind deshalb nur dann zu vernachlässigen, wenn sich die Beschwerden (der Dauerschaden) aufgrund der Degeneration in derselben Weise und Schnelligkeit auch ohne den Unfall fortentwickelt hätte. Die Beweislast für den haftungsausfüllenden Kausalzusammenhang trägt der VN. Es gilt die Beweiserleichterung des § 287 ZPO. Maßgebend ist damit, ob im Rahmen einer Gesamtschau eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Geschehensabläufen dafür festgestellt werden kann, dass die Unfallfolge in adäquatem kausalem Zusammenhang mit dem Unfallereignis steht (§ 180 Rn. 52 ff.). Bei der Ermittlung, ob die Invalidität Folge der Bandscheibenschädigung ist, sind aus medizinischer Sicht folgende Gesichtspunkte bedeutsam: • die Schwere des Traumas, für deren Einschätzung die exakte Kenntnis des Unfallhergangs notwendig ist; • das Zeitintervall zwischen Unfall und Beginn der Symptomatik; denn umso enger der zeitlichen Zusammenhang zwischen der äußeren Gewalteinwirkung und dem Eintreten der Beschwerden ist, je eher ist haftungsausfüllende Kausalität anzunehmen (s.a. Rn. 17).123 • der intraoperative Befund; • das Ausmaß der degenerativen Vorschädigung.124
VII. Einschränkung der Leistungspflicht (Vorschädigung) Für die Anwendung der Mitwirkungsklausel ist zwischen den verschiedenen AUB- 40 Generationen zu unterscheiden:
120 121
122
OLG Koblenz 27.10.2000 RuS 2002 130 f. ÖOGH 31.3.1993 VersR 1994 335, 336; LG Fulda 11.11.1992 VersR 1993 1140 = RuS 1993 277. OLG Hamm 6.7.2001 VersR 2002 180; OLG Schleswig 30.6.1970 VersR 1970 1048; AG Norderstedt 26.6.1986 VersR 1987, 304.
123 124
OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 461, 462 = RuS 2004 209, 210. Ernestus/Gärtner VersR 1996 419 f.; ferner OLG Koblenz 5.6.2003 VersR 2004 462, 463.
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1. AUB 61
41
Liegen die AUB 61 dem Unfallversicherungsvertrag zugrunde, so kann gemäß § 10 Nr. 1 AUB 61 eine Kürzung der Ersatzpflicht vorgenommen werden, sofern Gebrechen und Krankheiten von über 25 % bei den Unfallfolgen mitgewirkt haben.125 Streitig ist, ob – anders als bei den neueren Bedingungswerken (Ziff. 3 S. 2 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94) – Vorerkrankungen insofern außer Betracht bleiben, als sie nur bei der unfallbedingten Gesundheitsschädigung, den Unfallereignisfolgen (hier: Bandscheibenschädigung), mitgewirkt haben. Dies ist indes mit der h.M. zu verneinen (Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 5). Krankheit i.S.d. § 10 AUB 61 ist ein regelwidriger Körperzustand, der eine ärztliche 42 Behandlung erfordert. Unter Gebrechen werden dauernde abnorme Gesundheitszustände verstanden, die eine einwandfreie Ausübung der normalen Körperfunktionen nicht mehr zulassen (§ 182 Rn. 6) Altersbedingter normaler Verschleiß- und Schwächezustände finden hier ebenso wenig Berücksichtigung wie Zustände, die noch innerhalb der medizinischen Norm liegen. Verschleißerscheinungen können vielmehr nur dann zu einer Kürzung führen, sofern sie über das altersgerechte bzw. altersbedingte Normalmaß hinausgehen (§ 182 Rn. 7). Im Einzelfall ist mithin zu klären, mit welchem Anteil der bei der versicherten Person bestehende „normale“ Verschleißschaden an der Wirbelsäule (Bandscheibendegeneration) zusammen mit dem Unfallereignis den Bandscheibenvorfall und die sich daraus ergebenden weiteren Folgen ausgelöst hat. Abzugrenzen sind von § 10 Nr. 1 AUB 61 erfasste fortgeschrittene Degenerationen, die nicht mehr altersgemäß sind.126 Die fehlende Berücksichtigung des altersgerechten Verschleißes kann dazu führen, dass selbst bei hohen Mitverursachungsanteilen eine Anspruchsminderung oft nicht in Betracht kommt.127 Maßgebend für die Ermittlung der Mitwirkung eventueller Krankheiten oder Ge43 brechen bei den Unfallfolgen sind objektive (z.B. röntgenologische und histologische) Befunde. Für die Beurteilung des Zusammenwirkens des Unfalls mit Vorerkrankungen sind aus medizinischer Sicht insbesondere mögliche vorhandene Vorschäden zu beachten. Daher finden beispielsweise operative Eingriffe oder frühere Bandscheibenverletzungen große Beachtung. Dagegen sind Schilderungen der versicherten Person zum Auftreten und Umfang von Schmerzen vor oder nach dem Unfallereignis hier unbedeutend (Rn. 20).128 Kommt dem Bandscheibenvorfall gegenüber degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule hinsichtlich eines Traumas nur die Bedeutung einer auslösenden Ursache (Gelegenheitsursache) zu, so hat die Rechtsprechung den Grad der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen mit 80 % bewertet.129 Da es zu einem Prolaps nach Krafteinsatz regelmäßig aber nur bei wesentlichen Vorschäden kommen kann, ist es durchaus auch möglich, einen unfallfremden Verursachungsanteil von 90 % und mehr anzunehmen.130 Die Beweislast für die Mitursächlichkeit von Gebrechen oder Krankheiten gemäß 44 § 10 Nr. 1 AUB 61 trägt der VR.131 Dies ist inzwischen in § 182 ausdrücklich geregelt.
125
126
S. nur BGH 23.11.1988 VersR 1989 73, 74; OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 461, 462 = RuS 2004 209, 210; OLG Stuttgart 28.6.2001 VersR 2002 50 f.; LG Fulda 11.11.1992 VersR 1993 1140 f. = RuS 1993 277, 278 OLG Schleswig 12.1.1995 VersR 1995 825 f.
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127 128 129 130 131
Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 120. OLG Schleswig 12.1.1995 VersR 1995 825; Lehmann S. 51. OLG Celle 2.8.1989 VersR 1990 39 (LS). Schürmann S. 16. S. etwa OLG Hamm 6.7.2001 VersR 2002 180, 181; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 120.
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§ 178 Anh
Der Mitwirkungsanteil ist mit sachverständiger Hilfe gemäß § 287 ZPO zu schätzen. Bei einem Schätzungsrahmen ist die Minderung entsprechend der Beweislast eher an der unteren Grenze auszurichten (§ 182 Rn. 19). 2. AUB 88/94/99/2008 Ähnliches wie für die AUB 61 gilt bei Anwendung der AUB 88/94/99/2008. Steht 45 nach diesen Bedingungswerken fest, dass die Bandscheibenverletzung überwiegend auf den Unfall zurückzuführen ist, kann gemäß Ziff. 3 S. 2 AUB 99/2008 bzw. § 8 AUB 88/94 die daraufhin eintretende Ersatzpflicht wie bei Verwendung der AUB 61 einer Kürzung unterliegen, sofern Krankheiten und Gebrechen von mehr als 25 % an der Bandscheibenverletzung oder deren Folgen mitgewirkt haben.132 Diese Kürzungsmöglichkeit spielt in der gerichtlichen Praxis allerdings kaum noch eine Rolle, da bereits oftmals der Unfall nicht die überwiegende Ursache darstellt. Für die Kürzung ist der VR – wie bei den AUB 61 (Rn. 50) – nach § 182 und nach allgemeinen Regeln beweispflichtig. Dies gilt auch für den Beweis, dass die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule das alterstypische Maß überschreiten (s. § 182 Rn 19).133
C. Ertrinkungs- oder Badetod Schrifttum Brinkmann/Püschel Die differentialdiagnostische Bewertung von Ertrinken und Badetod in der privaten Unfallversicherung, ZVersWiss 1983 135; Eichelmann Der Tod beim Baden im Rahmen der Unfallversicherung, VersR 1972 411; Klotzbach/Püschel Verdeckte und scheinbare Unfalltodesfälle (I), VersMed 2001 109; H. Möller Der Tod im Wasser und die Unfallversicherung, VersPrax 1936 59; Perret Der Tod im Wasser aus versicherungsmedizinischer Sicht, Lebensversicherungsmedizin 1977 102; Reh Der Ertrinkungstod in der Lebensversicherungsmedizin, Lebensversicherungsmedizin 1977 89; Stumpfe Ist der Badetod ein Unfall im Sinne der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB)? Lebensversicherungsmedizin 1977 98; Theda Der Ertrinkungstod in der Unfallversicherung, VersPrax 1969 117.
I. Einleitung Der Tod im Wasser, der Tod durch Ertrinken bzw. der Badetod sind in der Rechtspre- 46 chung und versicherungsrechtlichen Literatur134 wiederholt unter verschiedenen Gesichtspunkten behandelt worden.135 Im Rahmen der Prüfung des Unfallbegriffs nach § 178 Abs. 2 S. 1 standen – vorbehaltlich der Vereinbarung vorrangiger Regelungen wie z.B.
132 133 134
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 9; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 97. OLG Frankfurt/M. 20.6.2007 VersR 2008 248, 249. Zu rechtsmedizinischen Aspekten Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 140 – 146; Klotzmann/Püschel VersMed 2001 109, 112 ff.; Reh Lebensversicherungsmedizin 1977 89 ff.; s.a. Stumpfe Lebensversicherungsmedizin 1977 98 ff. (der zu dem
135
Ergebnis kommt, dass der Badetod stets ein Unfall i.S.d. AUB sei); gegen ihn Perret Lebensversicherungsmedizin 1977 102. Jeweils m.w.N. Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135 – 140; Eichelmann VersR 1972 411–414; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 33–35; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 35–G 43; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 71–79.
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§ 178 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
der „Besonderen Bedingungen für die Versicherung von tauchtypischen Gesundheitsschäden in der Unfallversicherung (BB Tauchunfälle 99)“ – die Tatbestandsmerkmale „von außen wirkendes“ und „plötzliches Ereignis“ im Vordergrund. Gelegentlich können auch Anhaltspunkte für einen Freitod gegeben sein. Des Weiteren kommen bei einem Tod durch Ertrinken das Eingreifen von Ausschlussgründen und/oder Leistungseinschränkungen in Betracht. Neben der materiellrechtlichen Prüfung ist häufig die Beurteilung beweisrechtlicher Fragen problematisch.
II. Begriffe 47
Beim unmittelbaren Ertrinken („echter Ertrinkungstod“) handelt es sich um eine Unterart des Todes durch Ersticken,136 nämlich um eine äußere Erstickung durch Aspiration (Ansaugung). Die Ertrinkungsflüssigkeit gelangt bis in die Lungenbläschen (Alveolen) und wird dort relativ schnell wieder resorbiert.137 Todesursache ist allein das in die Luftröhre eindringende Wasser.138 Abzugrenzen sind die Todesfälle außerhalb des Wassers, bei denen die versicherte Person nach Todeseintritt ins Wasser gelangt (z.B. natürliche Todesfälle mit darauf folgendem Sturz ins Wasser oder Tötungsdelikte mit anschließendem Verbringen des Leichnams ins Wasser).139 Von einem Badetod wird in der medizinischen Literatur dann gesprochen, wenn dem 48 Tod eine innere Ursache oder Trunkenheit zugrunde liegt.140 Umfasst sind sowohl plötzliche natürliche Todesfälle im Wasser, mittelbares Ertrinken auf Grund internistischneurologischer, toxischer oder thermischer Dysregulation („unechter Ertrinkungstod“) sowie der „klassische Badetod“ i.S. eines wasserinduzierten Reflextodes.141 Als typische Symptomatik wird angesehen, dass der Betroffene ohne Hinweis auf einen Kampf oder Erregungszustand lautlos versinkt.142 Im alltäglichen Sprachgebrauch dürfte dagegen der Begriff des Badetodes weiter gefasst sein und mit jedem Todesfall in Verbindung gebracht werden, der sich im Wasser oder anderen Flüssigkeiten ereignet, sei es beim Schwimmen, Tauchen oder Planschen, sei es beim Aufenthalt in der Badewanne usw.
III. Unfallbegriff 49
Zu thematisieren sind das „von außen wirkende Ereignis“, die „Plötzlichkeit“ und die „Unfreiwilligkeit“. 1. Von außen wirkendes Ereignis
50
Stirbt die versicherte Person bei einem Aufenthalt im Wasser, so stellt sich oftmals die Frage, ob der Tod auf einem (grundsätzlich den Versicherungsschutz auslösenden) von außen wirkenden Ereignis beruht oder Folge eines (von der Unfallversicherung nicht gedeckten) körperinneren Vorgangs ist.
136 137 138 139 140
Möller VersPrax 1936 59, 60. Reh Lebensversicherungsmedizin 1977 89. Theda VersPrax 1969 117. Klotzmann/Püschel VersMed 2001 109, 112. Reh Lebensversicherungsmedizin 1977 89 und 94; s.a. Perret S. 9.
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Klotzmann/Püschel VersMed 2001 109, 112. Stumpfe Lebensversicherungsmedizin 1977 98, 100 (der den Badetod als Folge einer psychogenen Ohnmacht ansieht).
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Einzelne Unfallgeschehen
§ 178 Anh
a) Materiellrechtliche Beurteilung. Ein Unfallereignis i.S. von § 178 Abs. 2 S. 1 liegt 51 nach allgemeiner Meinung bei einem (unfreiwilligen) Tod durch – „echtes/unmittelbares“ – Ertrinken (Rn. 54) vor.143 Das äußere Ereignis ist das Eindringen von Wasser in den Kehlkopf.144 Jedoch kann nicht jede Wasseraspiration mit Ertrinken und Unfall gleichgesetzt werden, da sich die Erkenntnis herausgebildet hat, dass nahezu jeder Tod im Wasser – also auch der Tod durch körperinnere Vorgänge – mit einer Ertrinkungsphase einhergeht.145 Im Bereich des sog. Badetodes (Rn. 55) ist in Abgrenzung zum Herztod letztlich maßgebend, ob die versicherte Person noch gelebt hat, als sie unterging und damit das Eindringen von Wasser in den Kehlkopf zumindest mitursächlich für ihren Tod war. aa) Mehraktiges Unfallereignis. Unproblematisch ist das von außen wirkende Ereig- 52 nis in den Fällen anzunehmen, in denen die verhängnisvolle Kausalkette mit einem Geschehen außerhalb des Körpers der versicherten Person begonnen hat. Typisches Beispiel für ein von außen wirkendes Ereignis ist, dass ein Nichtschwimmer aufgrund eines Zusammenpralls mit Personen bzw. Gegenständen oder einer Veränderung seines Umfeldes in tiefes Wasser gerät und ertrinkt.146 Es lassen sich zwei Fallgruppen unterscheiden: • Ein von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis liegt zum einen vor, wenn die versicherte Person unfreiwillig ins Wasser gerät, also dem Ertrinken ein Sturz des Verunglückten ins Wasser (z.B. infolge einer eigenen Ungeschicklichkeit wie einem Fehltritt usw.) oder Einwirkungen Dritter (z.B. Stöße ins Wasser, Untertauchen) vorausgegangen ist.147 Dabei ist gleichgültig, ob der Tod sofort oder später eintritt.148 Oft kann sich die versicherte Person vor Beginn des Ertrinkungsvorgangs noch mehr oder minder lange über Wasser halten.149 Für den Unfallbegriff ist aber nicht maßgebend, dass die Gesundheitsschädigung (Tod), sondern das von außen wirkende Ereignis (Sturz der versicherten Person usw.) plötzlich eintritt (§ 178 Rn. 82). • Zum anderen reicht es aus, dass die versicherte Person freiwillig ins Wasser geht und der Tod durch ungünstige äußere Bedingungen (z.B. hoher Wellengang, Strömungen) bedingt war. Hier kann das Geschehen auch durch Umstände geprägt sein, die die versicherte Person zunächst in eine hilflose Lage gebracht haben (z.B. Festhalten durch Schlingpflanzen, Einsetzen der Flut bzw. unvermutet ansteigendes Wasser, Kentern des Bootes, Schiffbruch), in deren weiterer Folge sie entkräftet ertrinkt. Trotz Fehlens eines Zusammenstoßes genügen – im Wege der Analogie – solche Situationen, um ein von außen wirkendes Ereignis zu bejahen (§ 178 Rn. 58 ff.).150
Aber auch dann, wenn außer dem Eindringen des Wassers in den Kehlkopf keine wei- 53 teren Umstände vorgetragen sind, ermittelt wurden oder festgestellt werden können, ist ein von außen wirkendes Ereignis gegeben; denn letztlich ist allein bzw. vorrangig auf
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BGH 22.6.1977 VersR 1977 736, 737; Henke S. 54; Möller VersPrax 1936 59, 60. OLG Frankfurt/M. 29.9.1967 VersR 1968 194; OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242, 243; OLG Stuttgart 27.7.2006 VersR 2007 1363, 1364 = RuS 2007 165; LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76; Eichelmann VersR 1972 411, 412 f.; Henke S. 27; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 22; Kloth Rn. E 17; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 9; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 17; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 73; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 36. Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 136, 138 und 146; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99
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Rn. 33; Reh Lebensversicherungsmedizin 1977 89, 90. Eichelmann VersR 1972 411, 412. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 33; Bruck/ Möller/Wagner 8 Rn. G 37; Kasuistik bei Reh Lebensversicherungsmedizin 1977 89, 90 f. Theda VersPrax 1969 117, 118; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 72. Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 140 f. OLG Frankfurt/M. 29.9.1967 VersR 1968 194; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 33; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 72; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 37.
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§ 178 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
das unmittelbar den Tod herbeiführende Ereignis abzustellen (§ 178 Rn. 150).151 Auf die vorangegangen Ursachen des Untersinkens (sog. Unfallursache) kommt es nicht an (§ 178 Rn. 151).152 Ertrinkt etwa ein entkräfteter Schwimmer, weil zuvor Wind und dadurch Wellengang aufgekommen ist oder er das erwartete Rettungsboot verfehlt hat, so begründet allein das Eindringen von Wasser in den Kehlkopf den Unfall. Die widrigen Umstände (Wellengang usw.) sind dagegen – streng genommen – für die Annahme des Unfallereignisses ohne Belang.153 Die Ursachen des Ertrinkens sind vielmehr nur für die Prüfung von Ausschlusstatbeständen bedeutsam,154 so z.B. wenn beim Badetod – wie häufig155 – eine Bewusstseinsstörung infolge Alkoholgenusses festgestellt werden kann. Wird das von außen auf den Körper wirkende Ereignis (das Eindringen von Wasser in den Kehlkopf) durch innerkörperliche Vorgänge ausgelöst, für die die AUB keinen Ausschlusstatbestand enthalten (z.B. Wadenkrampf, Entkräftung, Müdigkeit, Übelkeit, Herzschwäche, die nicht als Bewusstseinsstörung anzusehen sind), so besteht Versicherungsschutz.156
54
bb) Herztod. Unstreitig ist, dass kein äußeres Ereignis anzunehmen ist, wenn die versicherte Person ausschließlich an einer inneren Ursache157 verstorben ist, insbesondere einen Sekundentod (plötzliches Herzversagen) zu einem Zeitpunkt erleidet, als sie sich zufällig im Wasser befindet, ohne dass dieser Aufenthalt irgendeinen Einfluss auf den Herztod hat.158 Es handelt sich dann um einen körperinternen Vorgang, der durch das Tatbestandsmerkmal „von außen“ ausgeschlossen wird (§ 178 Rn. 40). Auch eine eventuelle Mitverursachung des Herztodes durch Überanstrengung beim Schwimmen infolge einer Überschätzung der eigenen Kräfte führt zu keiner anderen Beurteilung.159 Bereits aus der Systematik der AUB ergibt sich, dass eigene Kraftanstrengungen nicht unter den Unfallbegriff i.e.S. fallen (Rn. § 178 Rn. 68).160 Ein Unfallereignis liegt dagegen vor, wenn das tödliche Herzversagen im Wasser 55 durch ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis verursacht wurde. Typisches Beispiel ist der Sprung des erhitzten Sportlers in kaltes Wasser.161 Das kalte 151 152
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A.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 37. So u.a. BGH 22.6.1977 VersR 1977 736 f.; LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 79; s.a. bereits RG 22.9.1914 JW 1914 1084 f. Insofern sind die Prüfungen des OLG Frankfurt/M. 29.9.1967 VersR 1968 194 (s.a. Theda VersPrax 1969 117 f.) zu den Umständen des Ertrinkens überflüssig, nachdem es zuvor festgestellt hatte, dass der VN beim Untergehen noch lebte; zu Recht abl. Eichelmann VersR 1972 411, 413; auch Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 55. OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242, 243; OLG Stuttgart 27.7.2006 VersR 2007 1363, 1364 = RuS 2007 165; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 33; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 9; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 17; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 73. Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 143.
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OLG Celle 2.2.1934 VA 1934 33, 34 Nr. 2687; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 74 und 75. Kasuistik bei Reh Lebensversicherungsmedizin 1977 89, 91 ff. OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960; LG Neubrandenburg 5.6.1997 RuS 1998 304; Eichelmann VersR 1972 411, 412; Henke S. 54; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 37; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 17; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 76 und 79; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 37. Theda VersPrax 1969 117; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 76; ferner Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 22; a.A. OLG Königsberg 6.4.1937 VA 1937 159 Nr. 2977. Eichelmann VersR 1972 411, 412. OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 129; Henke S. 54.
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Einzelne Unfallgeschehen
§ 178 Anh
Wasser führt dann dazu, dass der Blutkreislauf durch Zusammenziehung der Blutgefäße an der Körperoberfläche des Badenden erschwert wird.162 In solchen Fällen wird indes bei Geltung der AUB 61 der Ausschluss des § 2 Nr. 3c eingreifen (Rn. 75). Ein Unfallereignis ist des Weiteren nach h.M. anzunehmen, wenn etwa die hohe Bugwelle eines in der Nähe vorüber fahrenden Schiffes oder die den Schwimmenden erfassende Strömung einen Schock auslöst, der zum Herztod führt (§ 178 Rn. 49 ff.). Bei solchen „Schockschäden“ kommt dann allerdings neben dem Ausschlussgrund „Bewusstseinsstörung“ (Rn. 76 ff.)163 – der Ausschluss in Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 bzw. des § 2 Abs. 4 AUB 88/94 in Betracht.164 cc) Zusammenwirken äußerer und innerer Ursachen. Schwieriger wird die Beurtei- 56 lung, wenn ein Zusammenwirken äußerer Umstände (Eindringen des Wassers in den Kehlkopf) und körperinterner Vorgänge (z.B. Ohnmacht, Schock oder Herzversagen) festgestellt wird. Hier ist zunächst zu beachten, dass die bloße Mitwirkung von innerorganischen Vorgängen nicht ausreicht, um das äußere Ereignis zu verneinen (§ 178 Rn. 156 ff.).165 Vielmehr ist grundsätzlich auf das Ereignis abzustellen, das den Schaden unmittelbar ausgelöst hat, nicht aber auf dessen einzelne Ursachen, die nur im Rahmen der Ausschlussklauseln eine Rolle spielen können (§ 178 Rn. 150 f.).166 Ertrinkt also der Schwimmer, nachdem ihn zuvor die Kräfte verlassen haben, er einen Waden- oder Bauchmuskelkrampf erlitten oder sein Herz versagt hat, so liegt ein deckungspflichtiges Unfallereignis vor,167 sofern die versicherte Person noch gelebt hat, als sie unterging; denn dann ist das Eindringen des Wassers in den Kehlkopf die zum Tod führende Ursache.168 Ein deckungspflichtiges Unfallereignis liegt des Weiteren bei Ertrinken infolge eines Larynx-Schocks (Kehlkopfkrampf oder Stimmritzenkrampf) oder eines Glottiskrampfes vor,169 der nach einem unerwarteten Verschlucken von Wasser auftreten kann.170 b) Beweisrechtliche Beurteilung. Die Beweisführung bei einem Tod der versicherten 57 Person im Wasser kann sowohl für den Anspruchsteller, der das Unfallereignis zu beweisen hat , als auch für den VR, der die Beweislast für das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes trägt, mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet sein. Dies liegt auf der Hand, wenn die Leiche (noch) nicht gefunden wurde. Aber auch wenn eine Untersuchung des Verstorbenen möglich ist, ist stets für die Feststellung eines Unfallereignisses und die Ermittlung der u.U. zu einem Ausschluss führenden Unfallursachen eine eingehende Klärung sowohl der äußeren als auch der inneren Umstände der Todesumstände notwendig. Daran fehlt es aber häufig, sei es, weil keine Zeugen das Geschehen beobachtet haben, sich deren Aussagen widersprechen oder der Wahrheitsgehalt der Zeugenangaben zweifelhaft ist oder sei es, weil wichtige Umstände zum Ort des Geschehens (z.B. zu
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Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 39. Bejahend Eichelmann VersR 1972 411, 414 (mit Ausnahme des Larynx-Schocks); abl. Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 40. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 76 und 79. A.A. offenbar Theda VersPrax 1969 117, der nur beim echten Ertrinkungstod (Eindringen von Wasser in die Luftröhre als einzige Todesursache) einen Unfall annimmt. OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242, 243; LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76; Eichelmann VersR 1972 411, 412; a.A.
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OLG Dresden 15.6.1933 VA 1933 356, 357 Nr. 2594. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 17; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 40. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 34. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 33; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 75. Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 142; Eichelmann VersR 1972 411, 414; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 40.
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§ 178 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
Wassertemperaturen, Untiefen, Strömungen) oder zur Person der versicherten Person (z.B. Blutalkohol, Verhalten vor dem Ereignis) nicht dokumentiert wurden bzw. nicht mehr rekonstruiert werden können.171 Hinzukommen kann, dass der Ort, an dem der Verstorbene ins Wasser gelangt ist, z.B. aufgrund von Strömungen nicht immer sicher feststellbar ist oder die Obduktion durch Fäulniserscheinungen, Tierfraß u.ä. erschwert wird.172 Die Beweislast für das Unfallereignis trägt nach allgemeinen Regeln der VN bzw. der 58 Anspruchsteller (§ 178 Rn. 168 ff.).173 Er muss zur Verurteilung des VR beweisen, dass nur solche Geschehen in Betracht kommen, die den Unfallbegriff erfüllen. Können unfallfremde Todesursachen (insbesondere Sekundentod) nicht ausgeschlossen werden, so ist der VR leistungsfrei. Kein Anspruch auf Versicherungsleistung besteht deshalb, wenn im Streitfall über die Todesursache keine Obduktion des Verstorbenen erfolgt ist und auch sonst der Anspruchsteller weder für ein Ertrinken noch für einen Herztod, der durch ein von außen wirkendes Ereignis verursacht wurde, eindeutige Anhaltspunkte mit Beweisangebot vorgetragen hat.174 Entsprechendes gilt, wenn die Beweisaufnahme (in der Regel im Wege des Sachverständigenbeweises) kein hinreichend eindeutiges Ergebnis ergibt.175 Dagegen muss der Anspruchsteller nicht die Ursachen und den Verlauf des Unfalls beweisen (§ 178 Rn. 177).176 Für den Anspruchsteller kann ein Anscheinsbeweis streiten.177 Dieser setzt einen typi59 schen Geschehensablauf voraus, der nach der Lebenserfahrung auf eine ganz bestimmte Tatsache hinweist (§ 178 Rn. 184).178 So besteht ein erster Anschein für den Tod durch Ertrinken, wenn trotz der Einnahme von Beruhigungsmitteln nach dem Obduktionsergebnis der Tod der versicherten Person nur auf Ertrinken zurückgeführt werden kann, weil das Beruhigungsmittel zwar die Handlungsfähigkeit der versicherten Person beeinträchtigt hat, jedoch feststeht, dass der Vergiftungstod durch den Ertrinkungstod „überholt“ worden ist.179 Dagegen reicht für die Annahme des Anscheinsbeweises allein der Umstand nicht aus, dass der Tod im Wasser nach medizinischen Auswertungen überwiegend auf Ertrinken und nicht auf Herzversagen zurückzuführen ist.180 Die ältere Rechtsprechung ließ weiterhin auch „Wahrscheinlichkeitsmomente von großer Erheblichkeit“, nämlich Gesundheit und Nüchternheit der versicherten Person – für den Beweis des Unfallereignisses genügen.181 Allein solche Indizien dürften allerdings heute – schon aufgrund der medizinischen Fortschritte bei der Ermittlung der Todesursache – nicht mehr ausreichen. Oberflächliche Untersuchungen des Toten aufgrund seiner Färbung (graue Färbung 60 bei echtem Ertrinkungstod, blaue Färbung bei Herztod) können zwar Indizien begrün-
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Perret Lebensversicherungsmedizin 1977 102. Klotzmann/Püschel VersMed 2001 109, 113 f. S. nur BGH 22.6.1977 VersR 1977 736; RG 13.3.1908 VA 1908 56, 57 Nr. 386; OLG Stuttgart 27.7.2006 VersR 2007 1363, 1364 = RuS 2007 165; OLG Zweibrücken 11.6.1982 VersR 1984 578; LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76; Theda VersPrax 1969 117, 119. BGH 23.4.1965 VersR 1965 713, 714; Eichelmann VersR 1972 411, 413 Fn. 22.
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LG Neubrandenburg 5.6.1997 RuS 1998 304; Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 139; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 42. OLG Stuttgart 27.7.2006 VersR 2007 1363, 1364 = RuS 2007 165; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 35. KG 1.6.1935 VA 1935 234 Nr. 2807 S. etwa Möller VersPrax 1936 59, 60 und 61. OLG Köln 15.9.1988 RuS 1988 348. BGH 23.4.1965 VersR 1965 713, 714; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 78. RG 13.3.1908 VA 1908 56, 57 Nr. 386.
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Einzelne Unfallgeschehen
§ 178 Anh
den, sind aber für sich allein nicht zuverlässig genug, um „gerichtsfeste“ Rückschlüsse ziehen zu können.182 Die Todesursache beim Tod durch Ertrinken kann allerdings in der Regel durch eine Obduktion zuverlässig geklärt werden (zur Obduktion und Exhumierung s.a. Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 161 ff.).183 Der Mediziner kann auf verschiedenen Wegen erkennen, ob ein postmortales Eindringen des Wassers anzunehmen ist.184 Der Sachverständigenbeweis aufgrund einer rechtsmedizinischen Untersuchung ist damit das wichtigste Beweismittel. Ergibt der Befund „Tod durch Ertrinken“, so ist bewiesen, dass ein Unfallereignis Ursache des Todes war.185 Indes gelingt diese Feststellung nicht immer mit der erforderlichen Sicherheit.186 Des Weiteren kann aus dem Verhalten der versicherten Person vor ihrem Tode (Rn. 71) und aus den Beobachtungen bei und nach der Bergung (Schaumpilz, Wasserfluss aus Mund oder Nase; Rn. 70) – ggf. mit Hilfe des Anscheinsbeweises – ein beweiskräftiger Schluss auf die Todesursache gezogen werden.187 Ein wichtiges Kriterium ist, ob sich beim Verstorbenen ein Schaumpilz in Mund und 61 Nase gebildet hat. Kann kein Schaumpilz festgestellt werden, so spricht dies für einen plötzlichen Herztod und damit gegen ein Unfallgeschehen;188 denn beim Sekundentod dringt kein Wasser in Kehlkopf und Lunge, ergo erfolgt auch keine Schaumpilzbildung.189 Schwieriger ist dagegen die Beurteilung, wenn die Leiche Schaumpilz aufweist. Ursache hierfür können sowohl eine tödliche Intoxikation (allmähliches Herz-Kreislaufversagen infolge hochgradiger Alkoholisierung oder anderer Vergiftungen) als auch Tod durch Ertrinken sein. Eine Intoxikation kann von sich aus zu einem Lungenödem und damit zu einer Schaumpilzbildung führen. Beim Tod durch Ertrinken dringt dagegen Wasser in die Lungen ein und führt zu einem Lungenödem, das wiederum unmittelbar nach Bergung der Leiche zu einer Schaumpilzbildung um Mund und Nase führt. Ein Schaumpilz vor dem Mund der geborgenen Leiche spricht also nur dann entscheidend für einen Ertrinkungs-/Unfalltod, wenn die möglichen Alternativursachen (Intoxikation) für eine Schaumpilzbildung zuverlässig ausscheiden.190 Sollen aus dem Verhalten der versicherten Person beim Untergehen Rückschlüsse 62 gezogen werden, so muss zwischen Schwimmern und Nichtschwimmern unterschieden werden: • Für Ertrinkungs- und gegen Herztod spricht es, wenn ein Nichtschwimmer oder (fast) schwimmunfähiger Badender in tiefem Wasser versinkt.191 • Der Anspruchsteller kann sich dagegen nicht auf einen Anscheinsbeweis für einen Ertrinkungstod und gegen Herztod (Badetod) berufen, wenn der (schlechte) Schwimmer in tiefem Wasser untergeht. Insoweit gibt es keine typischen Geschehensabläufe.192 Hinzutreten müssen dann noch weitere Umstände. So kann ein Ertrinken mit Gegenwehr für ein Unfallereignis sprechen. Hier versucht der Ertrinkende sich mit großer Anstrengung und Gewalt zu retten. Kennzeichen sind mehrmaliges Wiederauftauchen, heftige Abwehrbewegungen mit den Extremitäten, Hilferufe
182 183
184 185 186 187 188
Theda VersPrax 1969 117, 118. OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242, 243; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 9; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 43. Möller VersPrax 1936 59, 60. Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 42. Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 146. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 35. BGH 23.4.1965 VersR 1965 713, 714; LG Stuttgart 8.1.1986 VersR 1986 1236 = ZfS 1987 59 (LS).
189 190
191 192
OLG Zweibrücken 11.6.1982 VersR 1984 578. OLG Stuttgart 27.7.2006 VersR 2007 1363, 1364 = RuS 2007 165; LG Stuttgart 8.1.1986 VersR 1986 1236. BGH 3.2.1954 VersR 1954 148. S. etwa Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 35; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94, Rn. 9.
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§ 178 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
etc.193 Die Feststellung, dass die versicherte Person ein paar instinktive, reflektorische Bewegungen („Hundstappser“) gemacht und einen Hilferuf ausgestoßen hat, reicht – ohne Beobachtung eines nennenswerten Wasserausflusses (Rn. 70) – für die Annahme eines Abwehrkampfes indes nicht aus.194
Gelingt dem Anspruchsteller der „prima-facie-Beweis“, so kann der VR diesen nur durch den Nachweis von Tatsachen ausräumen, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs (z.B. krankhafte Veranlagung des Ertrunkenen) ergeben. Vermutungen genügen nicht.195 Allein ein lautloses Absinken des Nichtschwimmers an einer gefährlichen Stelle reicht nicht für die Annahme, der Tod beruhe ausschließlich auf körperinneren Ursachen bzw. die Wassertiefe sei für den Tod ursächlich.196 Vielmehr muss der VR beweisen, dass der Ertrunkene in einem ruhigen Gewässer mit normaler Wassertemperatur ohne äußere Einflüsse plötzlich und ohne Abwehrkampf unterging.197 2. Plötzliches Ereignis
63
Das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ bereitet beim Tod durch Ertrinken in der Regel keine Probleme. In den meisten Fällen sind sowohl das zeitliche als auch das persönliche Element gegeben.198 In der älteren Literatur wurde zwar z.T. die Auffassung vertreten, es fehle an dem Tatbestandsmerkmal der Plötzlichkeit, wenn jemand sich freiwillig (absichtlich) ins Wasser begibt und ihn dort der Tod ohne von außen hinzutretende Momente trifft, also z.B. ein Schwimmer seine Kräfte überschätzt und nach einer gewissen Zeit ertrinkt. Diese Meinung hat sich indes nicht durchgesetzt.199 Für das subjektive Element der Plötzlichkeit ist allein maßgebend, ob die versicherte Person das Unfallereignis tatsächlich vorhergesehen bzw. erwartet hat. Normalerweise rechnet aber derjenige, der schwimmen will oder in die Badewanne steigt, nicht damit, dass ihm etwas zustoßen werde.200 Ein Verschulden (z.B. fahrlässige Fehleinschätzung der drohenden Gefahr) spielt für die „Plötzlichkeit“ keine Rolle (§ 178 Rn. 101). 3. Unfreiwillige Gesundheitsschädigung
64
Gelegentlich kann sich die Frage stellen, ob die im Wasser versunkene versicherte Person den Freitod gewählt hat. Hier gelten die allgemeinen Regeln. Insbesondere hat der VR die Vermutung der Unfreiwilligkeit zu entkräften, also den Freitod zu beweisen (§ 178 Rn. 197 ff.).201 Die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung kann nicht allein deshalb verneint werden, weil die versicherte Person freiwillig ins Wasser gegangen 202 und sich dadurch möglicherweise (grob) fahrlässig einer Gefahr ausgesetzt hat. Dies gilt selbst dann, wenn die versicherte Person die Gefahr erkannt hat, aber glaubte, diese meistern und den Eintritt des tödlichen Ereignisses vermeiden zu können.203 Unerheblich ist des Weiteren, ob sich die versicherte Person bei objektiver Betrachtung noch hätte retten
193 194 195 196 197 198
Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 140 f. BGH 23.4.1965 VersR 1965 713, 714. KG 1.6.1935 VA 1935 234 Nr. 2807 BGH 3.2.1954 VersR 1954 148. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 35; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 78. Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 137; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 73.
186
199 200 201 202 203
LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76; Eichelmann VersR 1972 411, 412 m.w.N. OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 129. Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 42 f. RG 22.9.1914 JW 1914 1084, 1085. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 74.
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können.204 Die Indizien für einen Freitod können mannigfaltig sein (§ 178 Rn. 202 ff.). Auffällig ist etwa das für jeden zufällig Vorbeikommenden leicht ersichtliche Zurücklassen von Wertgegenständen am Ufer.205 Umgekehrt kann zugunsten des Anspruchstellers zu berücksichtigen sein, dass ein Schwimmer den Tod im Wasser regelmäßig nicht freiwillig erleiden kann, es sei denn, dass er durch ohne weiteres ersichtliche Mittel wie Belastung durch Steine oder Fesselung sein Untersinken bewirkt hat; denn bei Nichtanwendung solcher Mittel wird auch der entschlossene Selbstmörder unwillkürlich Rettungsmaßnahmen ergreifen.206
IV. Ausschlussgründe Abhängig davon, welche AUB dem Unfallversicherungsvertrag zugrunde liegen, kom- 65 men beim Tod durch Ertrinken mehrere Ausschlussgründe in Betracht. Zu nennen sind hier vornehmlich der Ausschluss wegen Temperatur- und Witterungseinflüsse (§ 2 Nr. 3c AUB 61), wenn der Sprung ins kalte Wasser wegen der Kälte zum Herztod führt, und der Ausschluss wegen Geistes- oder Bewusstseinsstörungen sowie Schlaganfällen (s. etwa Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 oder § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94).207 1. Temperatur- und Witterungseinflüsse Nach § 2 Ziff. 3c AUB 61 (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 14) fallen Gesundheitsschädigungen 66 durch Temperatur- und Witterungseinflüsse nicht unter den Versicherungsschutz, es sei denn, es handelt sich um Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses. Kein Unfallversicherungsschutz besteht deshalb beim Sprung ins kalte Wasser, der bei der versicherten Person durch die Kältewirkung sofort zu einem tödlichen Herzschlag führt;208 denn § 2 Nr. 3c AUB 61 lässt bereits nach seinem Wortlaut den Versicherungsschutz nicht nur bei langsam wirkenden Temperatur- und Witterungseinflüssen entfallen.209 Versicherungsschutz ist des Weiteren ausgeschlossen, wenn die versicherte Person infolge einer selbst herbeigeführten Überhitzung des Badewassers einen Kreislaufkollaps mit tödlichen Folgen erleidet.210 Hat dagegen der Temperatureinfluss des Wassers nur eine Ohnmacht zur Folge und führt erst der Ertrinkungsvorgang zum Tode, so findet § 2 Ziff. 3c AUB 61 keine Anwendung. Diese Regelung soll nur die unmittelbar durch Temperatur- und Witterungseinflüsse hervorgerufenen Schädigungen vom Versicherungsschutz ausschließen.211 2. Schlag- oder Krampfanfall, Geistes- oder Bewusstseinsstörung Häufig stellt sich beim Tod durch Ertrinken bzw. Badetod die Frage, ob der Versiche- 67 rungsschutz wegen einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung oder wegen eines Schlaganfalls, epileptischen Anfalls oder anderer Krampfanfälle, die den ganzen Körper der
204 205 206 207 208
Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 78. OLG Saarbrücken 25.11.1987 ZfS 1988 24, 25. Möller VersPrax 1936 59, 60. Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 139 f. S. etwa Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 34.
209
210 211
LG Stuttgart 8.1.1986 VersR 1986 1236: Eichelmann VersR 1972 411, 413; Bruck/ Möller/Wagner 8 Rn. G 39 und 245; a.A. Theda VersPrax 1969 117, 118. OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960. RGZ 69 17, 20; Eichelmann VersR 1972 411, 413, Fn. 17.
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versicherten Person ergreifen, ausgeschlossen ist (Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61).212
68
a) Materiellrechtliche Beurteilung. Zur Konkretisierung des Anwendungsbereichs des Ausschlusstatbestands kann unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Unfallversicherung zwischen den Fällen des unmittelbaren und mittelbaren Ertrinkens unterschieden werden. Unfallversicherungsschutz besteht regelmäßig bei einem „unmittelbaren Ertrinken“ (Rn. 54). Von einem unmittelbaren Ertrinken wird bei einem Schwimmer gesprochen, wenn äußere Umstände (z.B. Wasserstrudel, starker Wellengang, Schlingpflanzen usw.) oder Wadenkrämpfe die Ursache dafür sind, dass die versicherte Person unter Wasser gerät und schließlich ertrinkt. Gewöhnlich sind solche Sachverhalte von einem längeren Abwehrkampf des Ertrinkenden geprägt. Für den Nichtschwimmer ist ein unmittelbares Ertrinken dann anzunehmen, wenn er etwa aufgrund widriger Umstände (z.B. Einsetzen der Flut, Sogwirkung) in tiefes Wasser gerät (Rn. 71). Gemeinsam ist diesen Geschehen, dass sie jedermann bei normaler körperlicher und geistiger Verfassung zustoßen können; für sie will die Unfallversicherung Versicherungsschutz bieten.213 Anders ist dies dagegen bei einem mittelbaren Ertrinken (Rn. 55). Dieses soll keine 69 Deckung durch die Unfallversicherung erfahren. Er handelt sich um Sachverhalte, bei denen dem Untersinken ein inneres Geschehen vorausgeht, das zu einer krankhaften Beeinträchtigung der Abwehrfunktionen bzw. Sinnestätigkeiten der versicherten Person führt.214 Dies trifft auf eine Ohnmacht,215 einen nicht sofort tödlich verlaufenden Herzbzw. Schlaganfall 216 bzw. Herzrhythmusstörung 217 oder andere zu Bewusstseinstörungen führende innere Leiden zu (Ziff. 5.1.1 AUB 2008 Rn. 69). Grund für den Ausschluss ist, dass der VR nur für solche Unfälle Deckung gewähren will, die jedermann bei normaler körperlicher oder geistiger Verfassung zustoßen können, nicht aber für Gefahren, die durch eine krankhafte Beeinträchtigung der Abwehrfunktion der versicherten Person selbst herbeigeführt werden oder sich auswirken können.218 Nicht ausreichend für eine Ablehnung der Leistung durch den VR sind dagegen Teilkrämpfe (z.B. Wadenkrampf des Schwimmers).219 Sie sind bewusst in den AUB nicht als Ausschluss aufgenommen worden (Ziff. 5.1.1 AUB 2008 Rn. 85).220
70
b) Beweisrechtliche Beurteilung. Den Ausschlusstatbestand hat der VR zu beweisen (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32).221 Dabei muss er dem Gericht keine absolute, über jeden Zweifel erhabene Gewissheit verschaffen. Vielmehr genügt im Rahmen der nach § 286 ZPO vorzunehmenden Beweiswürdigung eine Gewissheit für die Überzeugungsbildung des Gerichts, die vernünftigen Zweifel Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszu212 213 214 215 216 217 218
S. etwa LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76. Eichelmann VersR 1972 411, 414. Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135, 136. Eichelmann VersR 1972 411, 414; a.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 38. OLG Dresden 15.6.1933 VA 1933 356 f. Nr. 2594. OLG Stuttgart 27.7.2006 VersR 2007 1363, 1364 = RuS 2007 165. LG Berlin 2.12.1999 RuS 2003 75, 76; Eichelmann VersR 1972 411, 414.
188
219 220 221
Eichelmann VersR 1972 411, 414, Fn. 27; Möller VersPrax 1936 59, 60. Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 40. BGH 22.6.1977 VersR 1977 736, 737; OLG Zweibrücken 11.6.1982 VersR 1984 578; Möller VersPrax 1936 59, 61; Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 43; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 75 und 78; a.A. OLG Dresden 15.6.1933 VA 1933 356 f. Nr. 2594.
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schließen.222 In Betracht kommt ein Ausschlussverfahren, mit dem unter Würdigung aller ernsthaft in Betracht kommender Geschehensabläufe nachgewiesen wird, dass die Gesundheitsschädigung nur mittels Eingreifens des Ausschlusstatbestandes erklärt werden kann. Wichtigstes Beweismittel sind medizinische Stellungnahmen, insbesondere die Obduktion des Ertrunkenen (Rn. 69). Notwendig ist, dass der Sachverständige zur vollen Überzeugung des Gerichts belegen kann, dass die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes erfüllt sind. Dies kann sich schwierig gestalten, wenn die Ermittlungen und Feststellungen zum Unfallhergang nicht mit der notwendigen Akribie erfolgt sind.223 Ist etwa die vermutete Ohnmacht des Ertrunkenen infolge übermäßigen Alkoholgenusses nach der Beweisaufnahme nur eine von mehreren möglichen Ursachen, weil z.B. weder der Grad der Alkoholisierung (Blutalkoholkonzentration) noch die Wassertemperatur feststeht, so hat der VR den ihm obliegenden Beweis nicht geführt.224 Nach der Rechtsprechung reicht des Weiteren bei Schwimmern eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,29 ‰ für sich allein – ohne Hinzutreten weiterer Umstände wie z.B. durch Zeugenaussagen belegte Ausfallerscheinungen – nicht aus, um eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung als erwiesen anzusehen. Zwar genüge bei Fußgängern eine Blutalkoholkonzentration von ca. 2,0 ‰ (1,94 ‰ können schon reichen), um den Ausschlusstatbestand zu bejahen (Ziff. 5.1.1 Rn. 48 ff.). Jedoch seien an Schwimmer (z.B. in einem entlegenen Baggersee) geringere Anforderungen als an Fußgänger im Straßenverkehr zu stellen.225 Diese Abstufung bzw. Differenzierung zwischen Fußgängern und Schwimmern erscheint indes zweifelhaft. In Betracht kommt aber auch ein Anscheinsbeweis. Auf ein mittelbares Ertrinken und 71 damit auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach den AUB (z.B. Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008) lässt sich nach gerichtsmedizinischer Erfahrung schließen, wenn ein Schwimmer in ruhigem und normal temperiertem Wasser ohne äußere Einflüsse plötzlich und ohne Abwehrkampf (z.B. Hilferufe) untergeht (Rn. 71).226 Des Weiteren spricht der erste Anschein für eine unfallursächliche Bewusstseinsstörung, wenn bei der versicherten Person, die des Schwimmens kundig ist, eine erhebliche Überdosis eines Beruhigungsmedikaments festgestellt wird und außer der Bewusstseinsstörung keine andere Sachverhaltsvariante für den Ertrinkungstod ernsthaft in Frage kommt.227 Bei Nichtschwimmern kann ebenfalls der „prima-facie-Beweis“ ausreichen, so z.B. in dem Fall, dass die versicherte Person ohne äußere Einflüsse in flachem Wasser ertrinkt.228 Den zur Annahme des Anscheinsbeweises berechtigenden typischen Sachverhalt, den der Anspruchsteller widerlegen kann, hat der VR darzulegen und zu beweisen. Hierzu ist er in der Regel auf Zeugenaussagen angewiesen. Stehen dem VR keine Zeugen oder andere geeignete Beweismittel zur Verfügung, so hat er seiner Beweislast für das Eingreifen des Ausschlusstatbestandes nicht entsprochen und muss Versicherungsschutz gewähren.229 Hat der VR den Anscheinsbeweis für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes geführt, so muss der
222 223 224 225 226
S. nur OLG Stuttgart 27.7.2006 VersR 2007 1363, 1364 = RuS 2007 165. Eichelmann VersR 1972 411, 413. OLG Zweibrücken 11.6.1982 VersR 1984 578. OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242, 243. Eichelmann VersR 1972 411, 414; s.a. OLG Stuttgart 27.7.2006 VersR 2007 1363,
227 228 229
1364 f. = RuS 2007 165, 166; a.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 43; offen lassend OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242, 243. OLG Köln 15.9.1988 RuS 1988 348. Eichelmann VersR 1972 411, 414 Fn. 23 OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242, 243.
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Anspruchsteller diesen entkräften 230 und den Nachweis führen, dass kein inneres Geschehen für den Tod der versicherten Person ursächlich war.
V. Anspruchsminderung 72
Ob und unter welchen Voraussetzungen beim Tod durch Ertrinken eine Anspruchsminderung gemäß § 10 Nr. 1 AUB 61, § 8 AUB 88/94 bzw. Ziff. 3 AUB 99/2008 (s.a. § 182) in Betracht kommt,231 ist nicht abschließend geklärt. Die Frage erlangt Bedeutung, wenn für das Untersinken im Wasser körperinnere Vorgänge (Erkrankung, Schwäche, Herzversagen, Wadenkrampf) mitursächlich waren. Z.T. wird hier eine Leistungsminderung erwogen, wenn ein äußeres Ereignis (z.B. Stoß der versicherten Person durch einen Dritten) am Beginn der Kausalkette gestanden hat und somit zweifelsfrei feststeht, dass ein Unfall vorliegt (Rn. 52).232 Wird jedoch – wie hier – konsequent auf das Eindringen von Wasser in den Kehlkopf als Unfallereignis abgestellt (Rn. 53), so bleibt auch in diesen Fällen für eine Leistungsminderung kein Raum. Die entsprechenden AUB-Vorschriften sind nur bei einer Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen an den Unfallereignisfolgen (unfreiwillige Gesundheitsschädigung; § 178 Rn. 18) bzw. Unfallfolgen (§ 178 Rn. 20) heranzuziehen, regeln aber nicht die konkurrierende Kausalität zwischen Krankheiten und Gebrechen einerseits und dem Unfallereignis andererseits, um die es hier geht.233
D. Rauschmittel- und Medikamentenmissbrauch Schrifttum Marlow Aktuelles aus der Rechtsprechung und Praxis zur privaten Unfallversicherung (Teil I), RuS 2006 362.
Bei der Einnahme, Verabreichung bzw. Injektion von Rauschmitteln (z.B. Heroin) oder Medikamenten können bei der Prüfung des Unfallbegriffs die Tatbestandsmerkmale „von außen“, „plötzlich“ und „unfreiwillig“ problematisiert werden. Letztlich ist hier der Versicherungsfall zu bejahen. Für die Leistungsverpflichtung des VR deshalb i.E. entscheidend, ob der vom VR zu beweisenden Ausschlusstatbestand „Eingriffe am Körper der versicherten Person“ (Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008, § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 3 S. 1 AUB 61) erfüllt ist. Folgende Fallgruppen lassen sich bei der Prüfung des „von außen wirkenden Ereignis74 ses“ unterscheiden:
73
• Fraglich ist, ob ein von außen wirkendes Ereignis vorliegt, wenn die versicherte Person (z.B. infolge Drogenabhängigkeit oder Medikamentensucht) sich selbst eine Injektion verabreicht. Entscheidend für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals „von außen“ ist hier, ob darauf abgestellt wird, dass ein vollständig willensgesteuertes und beherrschtes Eigenverhalten der versicherten Per-
230 231
OLG Stuttgart 27.7.2006 VersR 2007 1363, 1365; Eichelmann VersR 1972 411, 414. Bejahend (jeweils ohne Begründung) KG 1.6.1935 VA 1935 234, 235 Nr. 2807; Brinkmann/Püschel ZVersWiss 1983 135,
190
232 233
138; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94, Rn. 9. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 34. Bruck/Möller/Wagner 8 Rn. G 40; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 75.
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son vorliegt (dann ist der Versicherungsschutz zu verneinen; vgl. § 178 Rn. 65),234 oder die Funktion des Merkmals „von außen“ darauf begrenzt wird, rein körperinterne Vorgänge vom Unfallbegriff auszunehmen (dann ist ein Unfall zu bejahen; vgl. § 178 Rn. 40).235 Zuzustimmen ist der zweiten Alternative. Der durchschnittliche VN, an den sich die Verwender der AUB, aber auch der Gesetzgeber richtet, wird bei der Auslegung weniger auf subjektive Momente (den nicht immer feststellbaren Willen der versicherten Person) abstellen, sondern vorrangig einen objektiv Maßstab anlegen. Danach ist maßgebend, dass die Einwirkung auf den Körper bei einer Injektion nicht ausschließlich von den Körperfunktionen der versicherten Person abhängt, sondern die gesundheitsschädliche Substanz mittels eines körperfremden Hilfsmittels (Injektionsnadel, Spritze) von außen in den Körper gebracht wird. Ob i.E. Versicherungsansprüche durchgreifen, ist damit davon abhängig, ob ein – vom VR zu beweisender – Ausschlusstatbestand eingreift. • Ein von außen wirkendes Ereignis liegt unstreitig vor, wenn der Anspruchsteller beweisen kann, dass die Injektion von einem Dritten ohne oder gegen den Willen der versicherten Person verabreicht wurde.236 • Noch nicht gerichtlich entschieden ist die Sachverhaltskonstellation, in der eine Verwechselung der verabreichten Mittel vorliegt oder die versicherte Person einem Irrtum über die tatsächliche Dosierung unterliegt.237 Auch hier wird ein von außen wirkendes Ereignis zu bejahen sein. Unabhängig von den Vorstellungen der versicherten Person liegt bei objektiver Betrachtung kein reiner körperinterner Vorgang vor. Die Zufuhr des Medikaments usw. kommt von außen.
Das zeitliche Moment der Plötzlichkeit ist gegeben. Unschädlich ist insofern, dass 75 zwischen der Injektion von Heroin und dem Todeseintritt eine erhebliche Zeitspanne liegen kann; denn bei der Prüfung des Merkmals „plötzlich“ ist nicht auf den Todeseintritt (die Gesundheitsschädigung), sondern allein auf die Injektion (das Unfallereignis) abzustellen.238 Die Rechtsprechung hat für eine mit Willen der versicherten Person vorgenommene Injektion von Rauschmitteln oder Medikamenten die Plötzlichkeit allerdings mit der Begründung verneint, es fehle nach allgemeinem Verständnis an dem Element des Unerwarteten, Überraschenden und Unentrinnbaren.239 Dem ist indes dann nicht zu folgen, wenn – wie hier – für die Bejahung der Plötzlichkeit zwischen dem objektiven und subjektiven Moment ein Alternativitätsverhältnis angenommen wird (§ 178 Rn. 90 ff.). Verstirbt die versicherte Person aufgrund einer Mischintoxikation (Vergiftung) durch 76 Heroin und Alkohol, so ist der Schluss zulässig, dass sich der Verstorbene das Heroin nach vorherigem Alkoholgenuss freiwillig selbst injiziert hat oder injizieren ließ, wenn es an jeglichen äußeren Anhaltspunkten für eine Fremdeinwirkung fehlt, z.B. weil im Rahmen der kriminalpolizeilichen Ermittlungen (Obduktion) bei dem Verstorbenen keinerlei Abwehrverletzungen, insbesondere im Einstichbereich keinerlei Hämatome festgestellt werden konnten. In einem solchen Fall wird die Freiwilligkeit auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Verstorbene Linkshänder ist und die Injektion in den linken Arm erfolgte.240 Aus der Freiwilligkeit der Injektion kann indes nicht zwangsläufig auf die Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung geschlossen werden; denn im Regelfall wird die versicherte Person auf einen glimpflichen Ausgang des Drogenkonsums hoffen, so dass es
234 235 236 237
OLG Karlsruhe 3.3.2005 NJW-RR 2005 679 = RuS 2006 123 f. Marlow RuS 2006 362, 363 f. OLG Karlsruhe 3.3.2005 NJW-RR 2005 679, 680. I.E. offen lassend OLG Karlsruhe 3.3.2005 NJW-RR 2005 679, 680.
238
239
240
OLG Karlsruhe 3.3.2005 NJW-RR 2005 679 = RuS 2006 123; zust. Marlow RuS 2006 362, 363. OLG Karlsruhe 3.3.2005 NJW-RR 2005 679; ferner Schwintoski/Brömmelmeyer § 178 Rn. 9. AG Lübeck 9.8.1995 VersR 1996 745 f.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
am erforderlichen (bedingten) Vorsatz bezüglich der Todesfolge fehlt.241 Vielmehr liegt eine wesentliche Abweichung von der Vorstellung der versicherten Person vor, die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung begründet (§ 178 Rn. 137).
E. „Sexunfälle“ Schrifttum Trompetter Der Unfall im Rahmen einer (auto)erotischen Handlung, VersR 1998 685.
I. Einleitung 77
Die hier schlagwortartig mit „Sexunfälle“ bezeichneten Sachverhalte gehören nicht zum Alltagsgeschäft der Leistungsregulierung. Sie haben in der Vergangenheit aber immer wieder nicht nur wegen ihrer Eignung zur Darstellung in der Sensationspresse, sondern auch aus rechtlichen Gründen in der Rechtsprechung für Aufmerksamkeit gesorgt. Gemeint sind Geschehensabläufe, bei denen es in der Intimsphäre eines Menschen zu Verletzungen oder sogar Tod kommt. Zu nennen sind hier vornehmlich autoerotische Handlungen oder besondere (sadomasochistische) Sexualpraktiken, bei denen die versicherte Person zur Steigerung ihrer Lust bewusst Risiken für seine Gesundheit eingeht. So führt die versicherte Person bei autoerotischen Handlungen eine Drosselung der Sauerstoffzufuhr z.B. durch Strangulation oder Überziehen einer Plastiktüte herbei, um ihr Orgasmusempfinden zu steigern.242 Die juristische Würdigung solcher „Sexunfälle“ kann bei verschiedenen Tatbestandsmerkmalen des Unfallbegriffs (Rn. 88 ff.) und von Ausschlusstatbeständen (Rn. 98 ff.) Schwierigkeiten bereiten. In der praktischen Abwicklung solcher Fälle werden allerdings zukünftig regelmäßig längere Prüfungen zum Unfallbegriff entbehrlich sein, da jedenfalls – unter Zugrundelegung der neueren BGH-Rechtsprechung – der Versicherungsschutz ausgeschlossen sein wird.
II. Unfallbegriff 78
Ob Gesundheitsschädigungen bei sexueller Betätigung der versicherten Person einen Unfall i.S.v. § 178 Abs. 2 S. 1 darstellen, kann insbesondere anhand der Tatbestandsmerkmale von außen, plötzlich, unfreiwillig und der Kausalität diskutiert werden. I.E. wird in der Rechtsprechung der Versicherungsfall regelmäßig bejaht. 1. Von außen wirkendes Ereignis
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Die Frage, ob ein von außen wirkendes Ereignis vorliegt (§ 178 Rn. 38 ff.), bereitet bei „Sexunfällen“ in aller Regel keine Probleme. Die Rechtsprechung hat dieses Tatbestandsmerkmal z.B. ohne Weiteres für den Geschlechtsakt bejaht, bei dem es aufgrund
241
OLG Karlsruhe 3.3.2005 NJW-RR 2005 679 = RuS 2006 123 (zust. Marlow RuS 2006 362, 364); insofern auch AG Lübeck 9.8.1995 VersR 1996 745, 746, das i.E. jedoch trotzdem Freiwilligkeit annimmt und
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242
dazu die soziale Inadäquanz des Eingriffs rekrutiert. Dieser Begründung ist nicht zu folgen (Rn. 97). BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228.
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der heftigen Bewegungen des Partners bei der versicherten Person zu starken Blutungen kommt. Aufgrund des Kontakts mit dem Partner und dessen Bewegungen handelt es sich nicht um eine bloße (gesteuerte) Eigenbewegung des Verletzten.243 2. Plötzliches Ereignis Das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ des Unfallbegriffs setzt sich aus einem objektiv 80 zeitlichen und einem subjektiven Element zusammen. Kontrovers wird dabei beurteilt, in welchem Verhältnis diese beiden Komponenten der Plötzlichkeit zueinander stehen (§ 178 Rn. 85 ff.). Dieser Streit kann sich auch auf die Beurteilung von Gesundheitsschädigungen beim Geschlechtsakt, autorerotischen oder sadomasochistischen Handlungen auswirken, sofern nicht von vornherein beide Merkmale der Plötzlichkeit festgestellt werden können. Wird mit der hier vertretenen Auffassung (§ 178 Rn. 90 ff.) ein alternatives Verständnis zugrunde gelegt, so ist Plötzlichkeit in aller Regel zu bejahen; denn unabhängig davon, ob das Ereignis für die versicherte Person unerwartet, unvorhergesehen und unentrinnbar war, ist bei der schädigenden Handlung in der Intimsphäre der versicherten Person typischerweise das zeitliche Element („Schnelligkeit“ des Ereignisses; § 178 Rn. 96 ff.) gegeben.244 Schwieriger wird die Beurteilung dagegen, wenn neben dem objektiven Element kumulativ das Vorliegen des subjektiven Elements verlangt oder diesem jedenfalls Vorrang eingeräumt wird. Spätestens dann ist eine genaue Betrachtung des Einzelfalls notwendig. Führt die Würdigung des konkreten Sachverhalts dazu, das Merkmal des Unerwarteten, Unvorhergesehenen und Unentrinnbaren (§ 178 Rn. 99 ff.) zu verneinen, so kommt es auf eine rechtliche Streitentscheidung (§ 178 Rn. 90 ff.) zu den Anforderungen an die Plötzlichkeit an. Wird dann die Auffassung vertreten, dem Zeitmoment sei keine oder nur eine geringe Bedeutung beizumessen, so wäre konsequenterweise die Plötzlichkeit zu verneinen. Kommt es beim Geschlechtsakt als solchem durch heftige Bewegungen des Partners 81 zu Verletzungen bei der versicherten Person, so ist die Plötzlichkeit typischerweise unproblematisch zu bejahen. Der Geschlechtsverkehr insgesamt und insbesondere die zur Verletzung führenden heftigen Stöße konzentrieren sich auf eine kurze Zeitspanne; das Geschehen verläuft jedenfalls nicht allmählich.245 Des Weiteren darf grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das subjektive Element der Plötzlichkeit vorliegt. Ohne Weiteres ist dies anzunehmen, wenn der versicherten Person gegen ihren Willen Gewalt angetan (es z.B. Opfer einer strafbaren Handlung wie Vergewaltigung) wird. Aber auch beim (einvernehmlichen) Geschlechtsverkehr wird die versicherte Person normalerweise keine konkreten gesundheitsschädlichen Handlungen erwarten bzw. vorhersehen. Bei autoerotischen Handlungen, die auf eine luststeigernde Gewalteinwirkung, nicht 82 aber auf (dauerhafte) Gesundheitsschädigungen ausgerichtet sind, wird i.E. häufig nicht nur das objektive, sondern auch das subjektive Element der Plötzlichkeit zu bejahen sein. Zwingend ist dies aber nicht.246 Richtig ist zwar, dass das zeitliche Moment der Plötzlichkeit typischerweise vorliegt. So liegt etwa der Fall, wenn es bei der Strangulation zu einem Tod durch Ersticken oder durch Genickbruch kommt.247 Entsprechendes gilt, wenn der Tod durch Ersticken aufgrund der Sauerstoffverminderung durch eine über243 244 245 246
OLG Düsseldorf 21.9.1999 VersR 2000 961. Trompetter VersR 1998 685, 686. OLG Düsseldorf 21.9.1999 VersR 2000 961. S. aber Trompetter VersR 1998 685, 687, der stets Plötzlichkeit bejaht.
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OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287.
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gestülpte Plastiktüte eintritt.248 Jedoch ist bei der Prüfung des objektiven Elements der Plötzlichkeit zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen zu differenzieren: Einerseits ist zu berücksichtigten, dass selbst dann, wenn die versicherte Person erkennbare und vermeidbare Risken eingeht und gefährliche Handlungen vornimmt, der Eintritt des konkreten Unfallereignisses (z.B. das – unaufhaltsame, nicht mehr abwendbare – Zuziehen der selbst um den Hals gelegten Schlinge) für sie erwartungswidrig, unvorhergesehen und völlig überraschend sein kann.249 Die Vorhersehbarkeit der sich realisierenden (u.U. tödlichen) Gefahr schadet nicht, da selbst grobe oder bewusste Fahrlässigkeit nicht zur Verneinung der Plötzlichkeit genügt (Rn. 101).250 Maßgebend ist allein, dass die zur Gesundheitsschädigung führende Kausalkette einen anderen Verlauf nimmt, als ihn die versicherte Person angenommen hat. Andererseits gibt es aber auch Fälle, in denen sich der zur Gesundheitsschädigung führende Handlungsverlauf in etwa so abspielt, wie es sich die versicherte Person vorgestellt hat, sie allerdings die Folgen bzw. das Ausmaß des gefährlichen Verhaltens falsch eingeschätzt bzw. unterschätzt hat. Hier ist das objektive Moment der Plötzlichkeit nicht gegeben; denn unvorhergesehen, unerwartet und unentrinnbar muss nur das Unfallereignis, nicht aber der Eintritt der Gesundheitsfolgen sein (§ 178 Rn. 82). So liegt z.B. der Fall, wenn sich der VN eine Tüte überzieht und diese verschnürt, um einen Sauerstoffmangel herbeizuführen. Hier läuft die Einwirkung von außen auf den Körper (Sauerstoffverknappung) wie beabsichtigt ab. Dass der Tod nach Bewusstlosigkeit riskiert wird, mag der VN nicht erkannt haben. Dies ist indes für die Prüfung der Plötzlichkeit des Unfallereignisses irrelevant.251 Auf die subjektive Komponente der Plötzlichkeit ließe sich nur abstellen, wenn in der zur Gesundheitsschädigung führenden Kausalkette ein unerwartetes Moment eintritt, sich z.B. die Schnur um die Tüte wider Erwarten verknotet. Ist eine solche Abweichung im geplanten Geschehensablauf nicht gegeben, so kann das Unfallereignis nur bejaht werden, wenn die zeitliche Komponente der Plötzlichkeit für ausreichend erachtet wird. Etwas anders als bei autoerotischen Handlungen sind die Sachverhalte bei sado83 masochistischen Praktiken gelagert, die von vornherein auf Gewalteinwirkung und Gesundheitsschädigungen ausgerichtet sind. Bei ihnen wird von einigen Gerichten die Plötzlichkeit mit der Begründung verneint, dass es an dem subjektiven Element fehle.252 Fordere bzw. stachele z.B. das versicherte Opfer den Täter auf, ihn zu würgen, so sei die objektiv gefährliche Gewalteinwirkung als solche gewollt und damit in ihrem Wesen vorhergesehen. Dass die Unfallereignisfolgen oder die Unfallfolgen (z.B. Grad der Verletzung oder Tod) nicht von der Vorstellung der versicherten Person erfasst seien, spiele keine Rolle.253 Diesen Ausführungen ist inhaltlich, nicht aber i.E. zuzustimmen. Einerseits ist zunächst richtig, dass sich das Merkmal „plötzlich“ nur auf das Unfallereignis, nicht aber auf die Gesundheitsschädigung bezieht (Rn. 82). Des Weiteren ist bei sadomasochistischen Handlungen das subjektive Element der Plötzlichkeit oftmals zu verneinen. Hält sich der Täter mit seinem schädigenden Verhalten im Rahmen dessen, wozu ihn das Opfer ausdrücklich aufgefordert hat, so kann von einem „Nichtvorhersehen“ der versicherten Person kaum gesprochen werden. Anderes kommt nur dann in Betracht, wenn die Aufforderung der versicherten Person, ihr Gewalt anzutun, für den anderen erkenn-
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LG München 22.9.1988 RuS 1991 35, 36. So der Fall des LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910. OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287; a.A. LG Heidelberg 14.12.1995 VersR 1997 99 f.
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LG Köln 21.3.1988 VersR 1988 1265. OLG Stuttgart 1.3.1977 VersR 1977 1026; LG Heidelberg 14.12.1995 VersR 1997 99. OLG Stuttgart 1.3.1977 VersR 1977 1026.
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Einzelne Unfallgeschehen
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bar nicht ernst oder spielerisch gemeint war. Entsprechendes gilt, wenn der Täter den mit der versicherten Person verabredeten Ablauf verlässt oder die gemeinsam gezogenen Grenzen überschreitet. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass in den meisten Fällen (z.B. beim Würgen, Schlagen) das objektiv zeitliche Element der Plötzlichkeit unproblematisch gegeben ist. Das reicht zur Annahme des Tatbestandsmerkmals „plötzlich“ im Unfallbegriff aus.254 Die gegenteilige Ansicht widerspricht dem Wortverständnis des Wortes „plötzlich“, ist nur schwer mit der BGH-Rechtsprechung vereinbar und kann zu unangemessenen Ergebnissen führen (§ 178 Rn. 90 ff.). Will der VR für bestimmte Sexualpraktiken der versicherten Person nicht einstehen, so muss er dies ggf. über eindeutige Ausschlussbestimmungen regeln. 3. Unfreiwillige Gesundheitsschädigung
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Für die Anwendung des § 178 Abs. 2 S. 2 gelten u.a. folgende Besonderheiten: • Kommt es im Rahmen von autoerotischen Handlungen zum Tod der versicherten Person, so ist die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung noch nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil die versicherte Person sich selbst bewusst einer gefährlichen Situation ausgesetzt oder willentlich alle äußeren Rahmenbedingungen gesetzt hat.255 Erforderlich ist vielmehr, dass die versicherte Person die Gesundheitsschädigung billigend in Kauf genommen hat (§ 178 Rn. 131). Bei autoerotischen Handlungen ist dies regelmäßig zu verneinen.256 • Der Nachweis für die Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung obliegt gemäß § 178 Abs. 2 S. 2 dem VR. Dies ist regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. So lässt sich bei einer sadomasochistischen sexuellen Betätigung der versicherten Person ein Freitod nur selten nachweisen. Notwendig ist eine genaue Analyse der Persönlichkeit der versicherten Person, der Vorgeschichte und des Tatgeschehens (§ 178 Rn. 202 ff.). Hat das Opfer eine mit der jetzt zum Tod führenden Situation in der Vergangenheit schon häufiger erlebt, ohne sie als außergewöhnlich, gefährlich, risikoreich oder lebensgefährlich zu empfinden, so spricht dies dagegen, dass sich die versicherte Person bewusst einer Gefahr aussetzte und die schädigenden Folgen des Ereignisses voraussah und zumindest billigend in Kauf nahm. Selbst verbalisierte Todessehnsüchte (das Opfer äußert z.B. wiederholt und antreibend die Worte „kill me“) lassen nicht ohne Weiteres auf ein ernsthaftes Todesverlangen schließen, wenn es Bestandteil von ritualisierten sadomasochistischen Praktiken ist und keine Anzeichen dafür ersichtlich sind, dass das Opfer diese Aufforderung anders als in der Vergangenheit verstanden wissen wollte.257
4. Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung Der Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung 85 ist nach der Adäquanztheorie zu beurteilen (§ 178 Rn. 153 ff.). Eine soziale Adäquanz ist dagegen nicht erforderlich.258 Es spielt also keine Rolle, ob das Verhalten, das zu der Gesundheitsschädigung geführt hat, von der Allgemeinheit, einer Mehrheit oder nur einer Minderheit der Menschen praktiziert oder gebilligt wird. Kausalität ist folglich
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OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949. OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287, 288; LG Heidelberg 14.12.1995 VersR 1997 99. Trompetter VersR 1998 685, 686; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 25.
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OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 950. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 28; Manthey NVersZ 2000 161, 163.
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auch bei riskanten autoerotischen 259 oder masochistisch-autoerotischen Handlungen 260 gegeben. Zwar könnte argumentiert werden, dass es nicht dem Sinn und Zweck der Unfallversicherung entspreche, Versicherungsschutz zu bieten für Fälle, in denen die versicherte Person eigenverantwortlich risikoimmanente und sozialinadäquate Handlungen vornimmt, die nicht nur das allgemeine Unfallrisiko, sondern auch das konkrete Todesrisiko in unverhältnismäßiger Weise steigern. Jedoch ist dem entgegenzuhalten, dass der Wortlaut der Unfalldefinition in § 178 Abs. 1 bzw. in den AUB das Korrektiv der Sozialadäquanz nicht vorsieht.261 Vielmehr will die Unfallversicherung den finanziellen Ausgleich von Nachteilen bei unfreiwilligen Gesundheitsschäden ohne Wertung oder Unwerturteile sicherstellen. Bestimmte Verhaltensweisen werden lediglich über ausdrücklich vereinbarte und eng auszulegende (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 5) Ausschlusstatbestände ausgegrenzt.262
III. Ausschlüsse 86
Da in vielen Fällen der Versicherungsfall auch bei autoerotischen und sadomasochistischen Handlungen zu bejahen ist, kommt der Prüfung von Ausschlusstatbeständen, deren Tatbestandsvoraussetzungen der VR zu beweisen hat (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32), eine große Bedeutung zu. Hier ist vor allem an § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94 und § 3 Nr. 3 AUB 61 (Rn. 99 f.) sowie an Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 (Rn. 103) zu denken („Eingriffe am Körper der versicherten Person“). Darüber hinaus kann bei Einfluss von Alkohol oder Drogen eine Bewusstseinsstörung i.S.v. Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) in Betracht kommen.263 Außerdem kann die Anwendung von Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61 („Unfälle bei Begehung von Straftaten“) erwogen werden, wenn im Zusammenhang mit Drogenoder Alkoholkonsum vorsätzliche Straftaten ausgeführt oder versucht werden.264 1. AUB 61/88/94
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Es war lange umstritten, ob autoerotische oder sadomasochistische Handlungen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 AUB 88/94 oder § 3 Nr. 3 AUB 61 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind.265 Bei der Beurteilung darf es richtigerweise nicht um die Bewertung erotischer, autoerotischer oder sonstiger Motive gehen.266 Vielmehr sind die Voraussetzungen des jeweiligen Klauseltextes anhand des Wortlauts unter Berücksichtigung des für den VN erkennbaren Zwecks des Ausschlusses zu prüfen. Der BGH hat auf dieser Grundlage die Anwendung des Ausschlusstatbestandes – zutreffend – in einer neueren
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261 262
OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128, 1129; LG Hamburg 2.5.1986 NJWRR 1986 910; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 20; a.A. LG Heidelberg 14.12.1995 VersR 1997 99, 100. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 950; a.A. OLG Stuttgart 1.3.1977 VersR 1977 1026, 1027. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 49. OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128, 1129; OLG Saarbrücken 18.12.1996
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VersR 1997 949, 950; LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910. OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287, 288. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951 f. (i.E. verneint) Dazu Trompetter VersR 1998 685, 687 f.; offen lassend OLG Stuttgart 1.3.1977 VersR 1977 1026, 1027. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 80.
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Entscheidung für autoerotische Handlungen bejaht,267 so dass für die Praxis die kontroverse Diskussion beendet sein dürfte. Z.T. wurde das Eingreifen des Tatbestandsmerkmals „Eingreifen“ in § 2 Abs. 2 Nr. 2 88 AUB 88/94, § 3 Nr. 3 AUB 61 mit der Begründung verneint, dass es nur Anwendung finde, wenn es sich um Heilmaßnahmen bzw. medizinische oder kosmetische Heilbehandlungen handele. Deshalb fielen etwa autoerotische Handlungen nicht unter den Ausschlusstatbestand.268 Die Gegenauffassung hat dagegen – mit unterschiedlichen Differenzierungen – unter den Begriff „Eingriff“ jede äußere physische Einwirkung auf die Integrität des Körpers mit der Folge gefasst, dass der VR für autoerotische Handlungen Versicherungsschutz versagen konnte.269 Dieser Meinung ist der BGH im Wesentlichen gefolgt. Das Gericht hat entschieden, dass Eingriffe am Körper solche gewollten Handlungen sind, die zu einer Substanzverletzung des Körpers führen, oder Einwirkungen von außen sind, die eine Beeinträchtigung körperlicher Funktionen bezwecken.270 Dem ist zuzustimmen (näher Ziff. 5.2.3 AUB 2008 Rn. 24 ff.). Vereinzelt hat die Rechtsprechung angenommen, dass es bei sadomasochistischen 89 Handlungen an dem Tatbestandsmerkmal „vornehmen lässt“ fehle, wenn der Dritte sich nicht an das mit der versicherten Person verabredete Vorgehen halte, z.B. der versicherten Person statt ungefährlicher Schnittverletzungen einen tödlichen Messerstich zufüge.271 I.E. führt dieses Verständnis dazu, dass die versicherte Person den Eingriff (das Unfallereignis, z.B. den „Exzess eines Dritten“) und die damit verbundenen Gesundheitsschäden in allen wesentlichen Einzelheiten vorhersehen und billigen muss. Diese Auslegung ist abzulehnen. Ausreichend ist vielmehr, dass die versicherte Person den Eingriff veranlasst hat (näher Ziff. 5.2.3 AUB 2008 Rn. 7 ff.). Die Gegenauffassung steht im Widerspruch zum Wortlaut der Klausel. Die weit gefasste Formulierung „vornehmen lässt“ kann nicht mit „freiwillig erdulden“ bzw. „Verschulden bzw. Vorsatz gegen sich selbst“ gleichgesetzt oder mit Analogien zur strafrechtlichen Zurechnung mittäterschaftlichen Verhaltens verbunden werden. Wäre dies der Fall, so würde der Ausschluss weitgehend leer laufen, da bei einer Billigung der Gesundheitsschädigung durch die versicherte Person bereits der Unfallbegriff nicht erfüllt wäre; es läge Freiwilligkeit vor. Darüber hinaus sind auch bei medizinischen Eingriffen mit unerwarteten Komplikationen oder bei ärztlichen Kunstfehlern, die die versicherte Person selbstverständlich nicht billigt, Leistungen aus der Unfallversicherung ausgeschlossen (Ziff. 5.2.3 AUB Rn. 14). Es besteht kein Grund, bei sadomasochistischen Handlungen mit planwidrigem Verlauf einen strengeren Maßstab anzulegen. Ferner wird der verständige VN der Klausel den Sinn entnehmen können, dass es nicht Aufgabe der Unfallversicherung ist, für Gesundheitsschäden zu leisten, bei denen sich riskante Kausalverläufe realisieren, die die versicherte Person selbst in Gang gesetzt hat und in deren Verlauf sie die Kontrolle verliert. Mit ihrer Einwilligung in eine – wenn auch geringfügigere Verletzung – hat sie selbst die Gefahr
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BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228. OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128, 1129; i.E. auch LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910, 911. OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287, 288; LG Heidelberg 14.12.1995 VersR 1997 99, 100; LG Magdeburg 13.6.1995 ZfS 1997 183 = RuS 1997 216; LG München 22.9.1988 RuS 1991 35, 36; Prölss/Martin/
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Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 35; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 78. BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228; ferner etwa Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 158; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 42. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951.
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eröffnet, dass das weitere Geschehen planwidrig verläuft und ungewollte Gesundheitsschäden eintreten. Das Eingreifen des Ausschlusses in § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 3 AUB 61 90 kann nicht unter Kausalitätsgesichtspunkten mit der Begründung verneint werden, dass die autoerotischen oder sadomasochistischen Handlungen oftmals zu unbeabsichtigten Gesundheitsschäden führen. Der Kausalzusammenhang zwischen Eingriff und Gesundheitsschaden ist anhand der Adäquanztheorie zu beurteilen (Ziff. 5.2.3 AUB 2008 Rn. 33). Der adäquate Ursachenzusammenhang wird nicht dadurch unterbrochen, dass die bezweckte Beeinträchtigung körperlicher Funktionen (z.B. die Drosselung der Sauerstoffzufuhr bei autoerotischen Handlungen) zu ungewollten Gesundheitsschäden oder gar Tod (statt „nur“ Sauerstoffmangel“) führt;272 denn für einen neutralen Ex-postBeobachter liegt es durchaus noch im normalen Ablauf der Geschehnisse, dass Strangulationseinwirkungen zum Tod – sei es durch Ersticken oder durch Genickbruch – führen können. Wie die Gerichtspraxis zeigt, treten solche Fälle immer wieder auf.273 Mit dem Tod durch Strangulation realisiert sich ein Risiko, dass der angewandten autoerotischen Praktik eigentümlich ist. Die rein theoretische Möglichkeit, dass die Strangulation durch Einwirken eines Dritten oder eines Tieres während der autoerotischen Manipulationen den Kausalverlauf beeinflusst haben könnte, führt nicht dazu, den vom VR zu beweisenden Ursachenzusammenhang zu verneinen.274 Entsprechendes gilt bei sadomasochistischen Handlungen, bei denen der Täter schlimmere Verletzungen als verabredet zufügt. Die maßgebliche Kontrollfrage lautet, ob sich ein dem Eingriff typisches Risiko realisiert hat oder die Gesundheitsschädigung lediglich bei Gelegenheit der sexuellen Aktivität eingetreten ist (Ziff. 5.2.3 AUB 2008 Rn. 33 f.). Der Ausschluss greift z.B. dann nicht ein, wenn sich während der sadomasochistischen Handlung ein Alltagsrisiko realisiert, etwa weil die versicherte Person oder ihr Partner ausrutscht. 2. AUB 99/2008
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Liegen dem Versicherungsvertrag die AUB 99/2008 zugrunde, so gilt weitgehend das zu den AUB 61/88/94 Gesagte entsprechend. Die Rechtslage ist insofern noch klarer geworden, als in der Neufassung (Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008) auf die Wendung „vornehmen lässt“ bewusst verzichtet worden ist, um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden (Ziff. 5.2.3 AUB 2008 Rn. 15). Die Diskussion zu den AUB 61/88/94, inwieweit bei sadomasochistischen Sexpraktiken der versicherten Person den Eingriff und dessen schädliche Gesundheitsfolgen vorhergesehen haben muss, stellt sich damit nicht mehr.
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BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228; LG München 22.9.1988 RuS 1991 35, 36; ferner LG Magdeburg 13.6.1995 ZfS 1997 183.
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OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287, 288. OLG München 14.4.1989 RuS 1991 35, 36.
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Versicherte Person
§ 179
§ 179 Versicherte Person (1) Die Unfallversicherung kann für den Eintritt eines Unfalls des Versicherungsnehmers oder eines anderen genommen werden. Eine Versicherung gegen Unfälle eines anderen gilt im Zweifel als für Rechnung des anderen genommen. (2) Wird die Versicherung gegen Unfälle eines anderen von dem Versicherungsnehmer für eigene Rechnung genommen, so ist zur Wirksamkeit des Vertrags die schriftliche Einwilligung des anderen erforderlich. Ist der andere geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt oder ist für ihn ein Betreuer bestellt und steht die Vertretung in den seine Person betreffenden Angelegenheiten dem Versicherungsnehmer zu, so kann dieser den anderen bei der Erteilung der Einwilligung nicht vertreten. (3) Soweit im Falle des Absatzes 2 nach dem Gesetz die Kenntnis und das Verhalten des Versicherungsnehmers von rechtlicher Bedeutung sind, ist auch die Kenntnis und das Verhalten des anderen zu berücksichtigen.
Schrifttum Armbrüster Das allgemeine Widerrufsrecht im neuen VVG, RuS 2008 493; Baumann Die Stellung der privaten Unfallversicherung in der Haftpflicht- und Sozialrechtsordnung, JZ 1979 81; ders. Ein zusätzliches Vertragsabschlussmodell für das neue VVG, FS für Klaus Adomeit (2008) S. 41; ders. Es gibt den dritten Weg – Ein zusätzliches Vertragsmodell für das neue VVG, VW 2007 1955; Baumann/Beenken Das neue Versicherungsvertragsrecht in der Praxis, 2. Aufl. (2008); Bayer Lebensversicherung, Minderjährigenschutz und Bereicherungsausgleich, VersR 1991 129; Blankenburg Verzicht auf Beratung und Informationsrechte nach dem neuen VVG, VersR 2008 1446; Brömmelmeyer Vorvertragliche Informationspflichten des Versicherers – insbesondere in der Lebensversicherung, VersR 2009 584; Christina Bruns Ist Wissen Macht? – Die Zurechnung von Wissen und Wissenserklärungen im Privatversicherungsrecht, ZVersWiss 2007 485; Bundschuh Versicherung im Wandel, ZVersWiss 1993 39; Cyrus Repräsentantenhaftung des Versicherungsnehmers (1998); Dörner/Staudinger Kritische Bemerkungen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, WM 2006 1710; Drews Die Zustimmung des Versicherten in der Lebensversicherung, VersR 1987 634; Eppe § 153 VVG 2008: Neues zur Rechtsnatur des Versicherungsvertrags? VersR 2008 1316; Franz Das Versicherungsvertragsrecht im neuen Gewand, VersR 2008 298; ders. Informationspflichten gegenüber Versicherten bei Gruppenversicherungsverträgen – ein weißer Fleck auf der Landkarte des VVG? VersR 2008 1565; Fricke Die teleologische Reduktion des § 48 VVG bei Streitigkeiten aus Versicherungsverträgen, die im Internet abgeschlossen wurden, VersR 2001 925; A. Fuchs Die Gefahrperson im Versicherungsrecht, Diss. Berlin 1973; Funck Ausgewählte Fragen aus dem Allgemeinen Teil zum neuen VVG aus der Sicht einer Rechtsabteilung, VersR 2008 163; Ganster Die Prämienzahlung im Versicherungsrecht (2008), zugleich Diss. Frankfurt/M. 2008; Gaul Zum Abschluss des Versicherungsvertrags, VersR 2007 21; Goll/Gilberg/Steinhaus Handbuch der Lebensversicherung, 11. Aufl. (1992); Grote/Schneider VVG 2008: Das neue Versicherungsvertragsrecht, BB 2007 2689; Hartwig/Möhrle Der Versicherungsvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Treuhandcharakter auf dienstvertraglicher Grundlage? VersR 2001 35; Haymann Beiträge zur Versicherung für fremde Rechnung, insbesondere die ausschließliche Machtbefugnis des Versicherungsnehmers zur Wahrung der Rechte des Versicherten nach den AVB der Kraftfahrzeug- und Unfallversicherung, VersArch 1937 119; Hilbert Versicherungsverträge und Vormundschaftsgericht, VersR 1986 948; Hoeren Unterschriftenpad und Schriftform, FS für Heinz Holzhauer, Recht als Erbe und Aufgabe (2005); Hoeren/Sieber Handbuch Multimediarecht (2006); Hoeren/Spindler Versicherungen im Internet – Rechtliche Rahmenbedingungen (2002); E. Hofmann Die Rechtsstellung des Verletzten in der Insassenunfallversicherung für fremde Rechnung, VersR 1960 97; Honsel Vertreterdirekteingabe nach Abschaffung des Policenmodells, VW 2007 359 ff.; Hülsmann Fremdlebensversicherung: Interesse des VN am Nichteintritt des Versicherungsfalls als
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
Wirksamkeitserfordernis? VersR 1995 501; ders. Zum Einwilligungserfordernis nach § 159 VVG im Lichte der Rechtsprechung, NVersZ 1999 550; Knappmann Privatversicherungsrecht und Sozialrecht (Kranken- und Unfallversicherung): Unterschiede und Übereinstimmungen, RuS 2007 45; ders. Zurechnung des Verhaltens Dritter zu Lasten des VN, VersR 1997 261; Leverenz Auswirkungen des „Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr“ auf die Versicherungswirtschaft, VersR 2002 1318; ders. Rechtliche Aspekte zum Versicherungsgeschäft im Internet (2001); ders. Vertragsschluss nach der VVG-Reform (2008); ders. Wann ist die Vertragsinformation „rechtzeitig“? VW 2008 392; ders. Zu den Einwänden gegen die Prämiengestaltung in der Unfallversicherung, VersR 1997 652; Looschelders Die Haftung des VN für seinen Repräsentanten – eine gelungene Rechtsfortbildung? VersR 1999 666; W. Lücke Versicherungsbetrug in der Sachversicherung, VersR 1996 785; Marschall v. Bieberstein Reflexschäden und Regressrechte (1967); Medicus Probleme der Wissenszurechnung, Karlsruher Forum 1994 – Beilage zu VersR, 4; Millauer Der Gruppenvertrag in der Unfall-, Haftpflicht- und Sachversicherung, VersR 1966 421; ders. Rechtsgrundsätze der Gruppenversicherung, 2. Aufl. (1966); Möhrle Die Luftfahrt-Unfallversicherung (2003); H. Möller Rechtsprobleme der Kraftfahrtversicherung, DAR 1954 250; Klaus Müller Die Einwilligung des Versicherten zum Lebensversicherungsvertrag, NVersZ 2000 454; Neuhaus Das Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers im neuen VVG, ZAP 2008 335 Fach 10; Nießen Die Rechtswirkungen der Versicherung für fremde Rechnung unter besonderer Berücksichtigung des Innenverhältnisses zwischen Versichertem und Versicherungsnehmer (2004); Orlowski Rechtsfragen der Insassenversicherung, VersR 1954 45; Pannenbecker Die Private Krankenversicherung (Krankentagegeld- und Krankheitskostenversicherung) des Interesses Dritter als Versicherung für fremde Rechnung nach §§ 74 ff. VVG oder als „schlichter“ Vertrag zugunsten Dritter gem. §§ 328 ff. BGB? VersR 1998 1322; Pauge Vorteilsausgleich bei Sach- und Personenschäden, VersR 2007 569; Pauly Das Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für das Fehlverhalten Dritter, ZfS 1996 281; Präve Die VVG-Informationspflichtenverordnung, VersR 2008 151; Richardi Die Wissensvertretung AcP 169 (1969) 385; Rixecker VVG 2008 – Eine Einführung, ZfS 2007 495; Roesch Die Rechtsbeziehungen bei der Gruppenunfallversicherung, JR 1948 100; Rohles Versicherung für fremde Rechnung, VW 1983 1234; Schimikowski Abschluss des Versicherungsvertrags nach neuem Recht, RuS 2006 441; ders. Informationspflichten des Versicherers bei echten Gruppenversicherungen und Kollektivversicherungen, in FS Wälder: Versicherung, Recht und Schaden (2009), S. 51; ders. Vertragsabschluss nach der Invitatio-Lösung und das neue VVG, RuS 2007 715; ders. VVG-Reform: Die vorvertraglichen Informationspflichten des Versicherers und das Rechtzeitigkeitserfordernis, RuS 2007 133; Schirmer Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum allgemeinen Versicherungsvertragsrecht – Ein Überblick, ZVersWiss 1992 381; Schirmer/Sandkühler VVG-Reform: Vertragsschlussmodelle und ihre Bedeutung für das Maklergeschäft, ZfV 2007 771; Christian Schneider Keine Musterbelehrungen in Sicht, VW 2008 1168; Schubach Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), AnwBl. 2008 27; Senz Die Anrechenbarkeit von Ansprüchen aus der Insassen-Unfallversicherung bei Verletzung oder Tötung von Insassen und gleichzeitigem Verschulden des Versicherungsnehmers auf Haftpflichtansprüche des verletzten Insassen, insbesondere bei Überschreiten der Haftpflichtdeckungssumme, VersR 1973 14; Schlossareck Ansprüche des Versicherungsnehmers aus culpa in contrahendo (1995); Sieg Private Unfallversicherung im Visier des Verbraucherschutzes, VersR 1990 1215; Stockmeier Das Vertragsschlussverfahren nach neuem VVG, VersR 2008 717; A. Surminski Unfallentschädigung für Dritte, VP 1973 100; Thiel Die Unfallfremdversicherung als unabhängiges Rechtsinstitut, VersR 1955 726; Thiele Gedanken zur Vorteilsausgleichung AcP 167 193; Trautmann Das Innenverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem bei der Versicherung für fremde Rechnung, Diss. Hamburg 1971; v.d. Thüsen Rechts- und Steuerprobleme der Insassen-Unfallversicherung, VW 1953 434; von Hippel Kein Schutz des Versicherungsnehmers vor Wucher, BB 1997 218; ders. Private Unfallversicherung und Verbraucherschutz, JZ 1991, 452; ders. Wucher und wucherähnliche Geschäfte zwischen Unfallversicherungsunternehmen und Versicherungskunden, BB 1998 1606; Waltermann Zur Wissenszurechnung – am Beispiel der juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, AcP 192 (1992) 181; Wandt/Ganster Die Rechtsfolgen des Widerrufs eines Versicherungsvertrags gem. § 9 VVG 2008, VersR 2008 425; H. W. Weber Insassenunfallversicherung für eigene und fremde Rechnung, VersR 1954 523; Wendt/Jularic Die Einbeziehung des Arztes in das Versicherungsgeschäft, VersR 2008 41; Winter Erfordernis vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung bei
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Versicherte Person
§ 179
Lebensversicherungsverträgen Minderjähriger? ZVersWiss 1977 145; Wussow Unfallversicherungsleistung und Haftpflichtanspruch, VersR 1964 459.
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vergleich mit der bisherigen Rechtslage . II. Bewertung der Vorschrift . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Zulässigkeit der Fremdversicherung für eigene Rechnung . . . 2. Fiktion der Fremdversicherung für fremde Rechnung . . . . . . . . . . . 3. Erfordernis der schriftlichen Einwilligung in die Fremdversicherung für eigene Rechnung . . . . . . . . . . . . 4. Einheit von VN und versicherter Person bei der Fremdversicherung für eigene Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Lückenhaftigkeit der Regelung . . . . . B. Vertragsbeteiligte . . . . . . . . . . . . . I. VR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. VN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . a) Geschäftsunfähige . . . . . . . . . b) Minderjährige . . . . . . . . . . . . aa) Zustimmung des gesetzlichen ertreters . . . . . . . . . . . . . bb) Vertragsverhältnisse nach Volljährigkeit des VN . . . . . . . . c) Betreute . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertretung des VN . . . . . . . . . . . a) Gesetzlicher Vertreter . . . . . . . . b) Rechtsgeschäftlich bevollmächtigter Vertreter . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenz des VN . . . . . . . . . . . 5. Tod des VN . . . . . . . . . . . . . . III. Versicherte Person . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmbarkeit der versicherten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 3. Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . 4. Versicherungsfähigkeit . . . . . . . . . 5. Insolvenz der versicherten Person . . . 6. Tod der versicherten Person . . . . . . IV. Weitere Personen . . . . . . . . . . . . . 1. Repräsentant . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Unfallversicherung . . . . . . . . . 2. Wissenserklärungsvertreter . . . . . . 3. Wissensvertreter . . . . . . . . . . . . C. Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . I. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . II. Zustandekommen des Vertrages . . . . . 1. Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . 2. Beratung und Information . . . . . . . a) Vor Vertragsschluss . . . . . . . . . aa) Adressat . . . . . . . . . . . . . bb) Vertragsinformationen . . . . . cc) Form . . . . . . . . . . . . . .
Rn.
1 2 3 4 5
6
8 9 10 11 14 15 16 17 18 19 21 33 36 37
III.
IV. V. VI. VII. D. I. II.
40 41 44 46 III. 48 50 51 52 53 54 57 58 59 65 68 76 79 80 81 82 85 86 87 89 90
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dd) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . b) Nach Vertragsschluss . . . . . . . . 3. Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . a) Rechtzeitige Vertragsinformation . . b) Vertragsschlussverfahren . . . . . . aa) Modifiziertes Antragsverfahren . bb) Anfrageverfahren (Invitatiomodell) . . . . . . . . . . . . . cc) Verzichtsverfahren . . . . . . . dd) Modell der bedingten Annahme . ee) Abwägung . . . . . . . . . . . c) Formvorschriften . . . . . . . . . . 4. Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . Wirksamkeit des Vertrages . . . . . . . . 1. Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbotsgesetz . . . . . . . . . . . . . 4. Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . Änderung des Vertrages . . . . . . . . . Ruhen des Vertrages . . . . . . . . . . . Beendigung des Vertrags . . . . . . . . . Besonderheiten bei der vorläufigen Deckung . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdversicherung . . . . . . . . . . . . Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . 2. Zweifelsregelung . . . . . . . . . . . . 3. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitgeberversicherung . . . . . . b) Familienversicherung . . . . . . . . c) Insassen-Unfallversicherung . . . . . Fremdversicherung für fremde Rechnung 1. Rechtsverhältnis zwischen VN und VR . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechte des VN . . . . . . . . . . . b) Pflichten des VN . . . . . . . . . . c) Rechte des VR . . . . . . . . . . . d) Pflichten des VR . . . . . . . . . . 2. Rechtsverhältnis zwischen versicherter Person und VR . . . . . . . . . . . . . a) Rechte der versicherten Person . . . aa) Grundsatz der fehlenden Verfügungs- und Klagebefugnis der versicherten Person . . . . . . . bb) Zustimmung des VN . . . . . . cc) Rechte an und aus dem Versicherungsschein . . . . . . . . . . b) Pflichten der versicherten Person . . c) Rechte des VR . . . . . . . . . . . d) Pflichten des VR . . . . . . . . . . 3. Rechtsverhältnis zwischen versicherter Person und VN . . . . . . . . . . . . a) Rechte der versicherten Person . . .
91 92 93 94 95 96 103 104 105 106 107 108 112 113 119 122 123 124 125 126 127 129 130 131 133 134 136 137 138 140 141 142 143 144 149 150 151 152 153
154 157 158 160 163 165 166 167
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung Rn.
aa) Anspruch der versicherten Person auf die Unfallversicherungsleistung . . . . . . . . . . . . . bb) Anspruch der versicherten Person auf Durchsetzung des Versicherungsanspruchs gegen den VR durch den VN . . . . . . . . . . cc) Anspruch auf Auskunft . . . . . dd) Anspruch auf Schadensersatz . . b) Rechte des VN . . . . . . . . . . . aa) Aufwendungsersatzanspruch . . bb) Aufrechnung . . . . . . . . . . cc) Anrechnung . . . . . . . . . . . 4. Abweichende Regelungen in den AUB . IV. Fremdversicherung für eigene Rechnung . 1. Rechtsverhältnis zwischen VN und VR (Erfordernis der Einwilligung der versicherten Person) . . . . . . . . . . . . a) Zweck des Einwilligungserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . . . . aa) Vertragsbegründung . . . . . . . bb) Vertragsänderung . . . . . . . . cc) Ausnahmetatbestände . . . . . . c) Erklärender . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Vertretung . . . . . bb) Rechtsgeschäftliche Vertretung . cc) Rechtsfolgen bei fehlender Vertretungsmacht . . . . . . . . . .
Rn. d) e) f) g)
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170 174 175 178 179 180 181 188 189
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E.
191 192 193 197 201 203 204 208
I. II.
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F. G. I. II.
Empfänger der Einwilligung . . . Inhalt der Einwilligung . . . . . . Zeitpunkt der Einwilligung . . . . Form der Einwilligung . . . . . . aa) Art und Weise der Einwilligung bb) Schriftlichkeit . . . . . . . . . cc) Rechtsfolgen bei Formverstößen h) Widerruf der Einwilligung . . . . i) Anfechtung der Einwilligung . . . k) Fehlende Einwilligung . . . . . . aa) Umdeutung des Vertrages . . . bb) Teilnichtigkeit des Vertrages . cc) Neuvornahme . . . . . . . . . 2. Rechtsverhältnis zwischen versicherter Person und VR . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsverhältnis zwischen versicherter Person und VN . . . . . . . . . . . Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche des VR . . . . . . . . . . . Ansprüche des VN . . . . . . . . . . . 1. Ansprüche auf Versicherungsschutz . 2. Ansprüche auf Schadensersatz . . . . 3. Ansprüche auf Rückabwicklung . . . 4. Sonstige Ansprüche . . . . . . . . . Spezielle AVB . . . . . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . Beweislastverteilung . . . . . . . . . . Beweisführung . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
210 211 213 215 216 217 223 224 225 226 227 231 233
. 234 . 237 . . . . . . . . . . .
238 239 240 241 242 244 245 247 248 249 254
A. Einführung 1
Der Unfallversicherungsvertrag kann verschiedenen Zwecken dienen. Zum einen ist es möglich, Vorsorge für die wirtschaftlichen Folgen eines Unfalls zu treffen, der dem VN in eigener Person zustößt. Zum anderen kann der Vertrag Unfallrisiken eines Dritten, der sog. versicherten Person, zum Gegenstand haben (§ 179 Abs. 1 S. 1). § 179 regelt vornehmlich den Fall der Fremdversicherung. Zunächst wird im Hinblick auf den Vertragsschluss danach unterschieden, wer von einem etwaigen Unfall der versicherten Person profitiert. Im Zweifel soll die Fremdversicherung für fremde Rechnung (also zugunsten der versicherten Person als dem „Unfallopfer“) genommen sein (§ 179 Abs. 1 S. 2). Liegt ausnahmsweise eine Fremdversicherung für eigene Rechnung (zugunsten des VN) vor, bedarf es für einen wirksamen Vertragsschluss der schriftlichen Einwilligung der versicherten Person (§ 179 Abs. 2). Des Weiteren wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es bei einer Fremdversicherung auf Wunsch des VN zu einem Dreiecksverhältnis kommt. Deshalb werden Kenntnisse und Verhalten der versicherten Person dem VN zugerechnet, soweit sie nach dem Gesetz rechtlich relevant sind.
I. Vergleich mit der bisherigen Rechtslage 2
§ 179 entspricht inhaltlich und nahezu wortgleich § 179 a.F. Die einzige inhaltliche Änderung besteht darin, dass der früher in § 179 Abs. 2 S. 2 enthaltene – durchaus kriti-
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sierte 1 – Anwendungshinweis auf die Vorschriften der §§ 75 bis 79 a.F. zur Versicherung für fremde Rechnung entfallen ist. Er ist entbehrlich, da diese – inzwischen in §§ 45 bis 49 enthaltenen – Normen künftig auf alle Versicherungszweige unmittelbar anzuwenden sind.2 Im Übrigen ist es lediglich zu redaktionellen Umstellungen gekommen.
II. Bewertung der Vorschrift Die in der Vergangenheit vereinzelt geäußerten Bedenken gegen § 179 a.F. haben den 3 Gesetzgeber nicht veranlasst, inhaltliche Änderungen in der neuen Fassung der Vorschrift vorzunehmen: 1. Grundsätzliche Zulässigkeit der Fremdversicherung für eigene Rechnung Der erste Halbsatz des § 179 Abs. 1 S. 1 hat keinen besonderen Regelungsgehalt und 4 wird nur der Vollständigkeit wegen mit aufgeführt; denn das die Unfallversicherung gegen Unfälle genommen werden kann, die dem VN selbst zustoßen, ist etwas Selbstverständliches. Bedeutung erlangt § 179 Abs. 1 S. 1 durch seinen zweiten Halbsatz. Es kann als „anstößig“ oder gar „sittenwidrig“ empfunden werden, dass VR und VN als Vertragspartner Regelungen über einen Unfall treffen, den ein Dritter (die versicherte Person) erleidet. Solche Vereinbarungen gehen in die Richtung eines Spiel- oder Wettvertrages (§ 762 BGB).3 Insbesondere können sie Anreize für den VN schaffen, den Versicherungsfall herbeizuführen bzw. dem Unfallereignis „nachzuhelfen“.4 Der Missbrauchsgefahr wirkt der Gesetzgeber in den nachfolgenden Regelungen in § 179 – insbesondere mit dem Erfordernis der schriftlichen Einwilligung in die Fremdversicherung für eigene Rechnung – entgegen. Da der Gesetzgeber die Fremdversicherung auch für die Lebens- und Unfallversicherung ausdrücklich zulässt, kann sie nicht per se als unwirksam angesehen werden.5 2. Fiktion der Fremdversicherung für fremde Rechnung An der Zweifelsregelung in § 179 Abs. 2 S. 1 a.F. ist vereinzelt Kritik geäußert wor- 5 den. Ihr fehle die hinreichende Rechtfertigung. Bleibe die vorrangige Vertragsauslegung ohne Ergebnis, dürfe nicht im Zweifel eine Fremdversicherung für fremde Rechnung angenommen, sondern müsse das Zustandekommen des Vertrages auf der Grundlage kongruenter Willenserklärungen verneint werden (versteckter Dissens). § 179 Abs. 2 S. 1 schaffe insofern gegenüber §§ 155, 157 BGB eine lex specialis.6 Die in Rechtsprechung und Schrifttum kontroverse Auslegung des § 179 Abs. 2 S. 1 belege den verfehlten Gehalt der Regelung.7 Der Gesetzgeber hat sich – soweit ersichtlich – mit den rechtspolitischen Bedenken an § 179 Abs. 2 S. 1 a.F. nicht auseinandergesetzt und die Regelung ohne weitere Begründung in § 179 Abs. 1 S. 2 beibehalten. Dem ist zuzustimmen. Zwar
1 2
3
Thiel VersR 1955 726, 727 ff.; Bruck/Möller/ Wagner8 Bd. VI 1 Anm. H 45 ff. Begründung RegE zu § 179 Abs. 2, BTDrucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 107; Abschlussbericht S. 400 f. S.a. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. B 99 und H 3.
4 5
6 7
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 2. OLG Celle 4.11.1993 VersR 1995 405, 406 zu § 159 a.F. (die Revision hat der BGB mit Beschluss vom 5.10.1994 nicht angenommen). Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 29 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 4.
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hat die Anwendung der Zweifelsregelung in der Vergangenheit zu Auseinandersetzungen, jedoch keinesfalls zu einer „Prozesswelle“ geführt; denn § 179 Abs. 1 S. 2 dürfte eine tatsächliche Vermutung für einen entsprechenden Willen des VN zugrunde liegen. Vielmehr ist es der Rechtsprechung gelungen, angemessene Ergebnisse zu entwickeln; denn würden mangels feststellbaren hypothetischen Parteiwillens in der (ergänzenden) Vertragsauslegung Verträge u.U. Jahre später – insbesondere aus Anlass eines Leistungsfalls – rückabgewickelt werden, so wäre zu befürchten, dass dadurch der Rechtsfrieden stärker beeinträchtigt würde. Sollte § 179 Abs. 1 S. 2 tatsächlich dazu führen, dass ein von den Kontrahenten nicht gewollter Vertragsinhalt als vereinbart gilt, so besteht immer noch die Möglichkeit, den Vertrag nach allgemeinen Regeln (wegen eines Inhaltsirrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB) anzufechten. 3. Erfordernis der schriftlichen Einwilligung in die Fremdversicherung für eigene Rechnung
6
Am Regelungsgehalt des nur für die Unfallversicherung für eigene Rechnung geltenden § 179 Abs. 3 a.F., hat der Gesetzgeber keine Änderungen vorgenommen. Der Gesetzeswortlaut verzichtet mit § 179 Abs. 2 weiterhin auf den Nachweis eines schutzwürdigen (persönlichen oder wirtschaftlichen) Interesses des VN an dieser Vertragsgestaltung und begnügt sich – in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung8 und h.M. im Schrifttum 9 – mit der (u.U. nur formalen) Erfüllung der schriftlichen Einwilligung durch die versicherte Person. Das Gesetz hat keine (weiteren) objektiven Schutzkriterien aufgestellt, sondern überlässt die Entscheidung, ob die Risiken einer Fremdversicherung für eigene Rechnung eingegangen werden können, dem Selbstbestimmungsrecht der versicherten Person.10 Bereits bei Schaffung des VVG a.F. war der Gesetzgeber der Auffassung, dass bei Vorliegen des Einverständnisses „immerhin eine Gewähr dafür gegeben“ sei, „dass keine unlauteren Absichten verfolgt werden.“ 11 Völlig selbstverständlich ist die Beibehaltung des – in der Vergangenheit mehrfach kritisierten – reinen „Zustimmungsprinzips“ allerdings nicht.12 Die versicherte Person kann allein durch ihre Einwilligung, deren Tragweite sie u.U. nicht übersieht, zum Spekulationsobjekt des VN werden, ohne dass damit eine abstrakte oder konkrete Bedarfsdeckung beim VN verbunden sein muss. Der VN erlangt ähnlich wie bei der Lotterie, dem Spiel oder der Wette bei Eintritt des Versicherungsfalls einen Vermögensvorteil, der keinen vorher eingetretenen – eigenen – Schaden voraussetzt. Sein Interesse ist möglicherweise entgegen dem grundlegenden Versicherungsgedanken nicht auf Vermeidung, sondern gerade auf Eintritt des Versicherungsfalls ausgerichtet.13 Diese Bedenken sind indes zu relativieren. Fälle, in denen der VN aus Gewinnstreben die in die Versicherung für eigene Rechnung einwilligende Person tatsächlich zu einem Spekulationsobjekt gemacht hat, sind auf Extremsituationen begrenzt und in neuerer Zeit nicht bekannt geworden.14 Der „Versicherungsbetrug“ in der 8
9
10
Jeweils zu § 159 a.F. BGH 5.10.1994 VersR 1995 405, 406; OLG Celle 4.11.1993 VersR 1995 405, 406; OLG Frankfurt/M. 31.7.1996 VersR 1997 478 (LS). S. etwa Goll/Gilbert/Steinhaus S. 23; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 5; Klaus Müller NVersZ 2000 454, 455; Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 15; Berliner Kommentar/ Schwintowski § 159 Rn. 1, 4 und 7. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 5.
204
11 12 13
14
Motive zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 159 S. 639. So bereits Gerhard/Hagen § 159 Anm. 1. Eingehend Hülsmann VersR 1995 501 ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 17 sowie H 5, H 20 ff. und H 42; Bruck/Möller/ Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 5–7 m.w.N. S. aber Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. B 101 mit einem Beispiel aus dem Zweiten Weltkrieg.
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privaten Unfallversicherung konzentriert sich vielmehr auf die Selbstverstümmelungen (§ 178 Rn. 219 ff.).15 Oftmals dienen auch Fremdversicherungen für eigene Rechnung dazu, (zumindest mittelbar) beim VN eintretende Vermögensnachteile auszugleichen. Sollte der VN doch aus dem „Unglück“ der versicherten Person Vorteile ohne „rechtfertigendes Eigeninteresse“ ziehen, so wird die Rechtsordnung unbillige Ergebnisse durch andere Rechtsinstitute (§§ 138, 242, 823 Abs. 2, 826 BGB u.ä.) verhindern können.16 Würde dennoch ein Interesse des VN am Nichteintritt des Versicherungsfalls als zwingende Voraussetzung für den Abschluss einer Fremdversicherung für eigene Rechnung verlangt, so hätte dies auch praktisch kaum lösbare Folgen, wenn man dieses Institut überhaupt beibehalten will. Der VR, der Rechtssicherheit anstrebt und Auseinandersetzungen vermeiden will, müsste bereits beim Vertragsschluss mit dem VN prüfen, ob dieser mit der Fremdversicherung für eigene Rechnung billigenswerte Motive verfolgt oder Spekulationsgewinne anstrebt. Dahingehende Feststellungen sind zuverlässig weder möglich noch gegenüber dem VN durchführbar.17 Im Übrigen hat die versicherte Person auch Eigenverantwortung zu übernehmen. Es ist ihre Entscheidung, ob sie – möglicherweise voreilig – in eine Fremdversicherung für eigene Rechnung einwilligt, ohne sich zuvor über die Bedeutung ihrer Unterschrift ausreichend Gedanken zu machen. Für die Zukunft wird man davon ausgehen können, dass der Auslegungsstreit zu der Frage entschieden ist, ob bei einer Fremdversicherung für eigene Rechnung neben der Einwilligung der versicherten Person ein Interesse des VN am Nichteintritt des Versicherungsfalls als Wirksamkeitserfordernis zu verlangen ist. Ausreichend ist der Formalakt der Einwilligung; denn es ist anzunehmen, dass dem Gesetzgeber bei den Reformarbeiten die kontroverse Diskussion zu §§ 159, 179 a.F. bekannt war. Hätte er die Rechtsprechung korrigieren wollen, so wäre eine Klarstellung im Gesetz (§§ 150, 179) oder zumindest ein Hinweis in der Gesetzesbegründung nahe liegend gewesen. Erwogen werden könnte, die Rechtsposition der versicherten Person dadurch zu stär- 7 ken, dass ihr gegenüber dem VN durch gesetzliche Regelung ein direktes Forderungsrecht auf Durchsetzung etwaiger Versicherungsansprüche gegen den VR und Auskehrung erhaltender Versicherungsleistungen gegeben wird, wenn sie ihre Einwilligung in die Unfallfremdversicherung des VN nicht (wirksam) gegeben haben sollte.18 Rechtspolitisch zwingend notwendig ist dies indes nicht. Entscheidend ist, dass der VN nicht ohne Einwilligung der versicherten Person aus deren „Unglück“ wirtschaftlich profitieren darf. Dies gebietet nicht zugleich, dass der versicherten Person bei unzulässigen Spekulationen mit ihrer Gesundheit gesetzlich normierte Ansprüche gegen den VN einzuräumen sind. Der notwendige Schutz der versicherten Person kann vielmehr auch durch Anordnung der Vertragsnichtigkeit erreicht werden. Für den Regelfall eröffnet im Übrigen bereits die bestehende Rechtslage Anspruchsmöglichkeiten für die versicherte Person: • Bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung hat die versicherte Person gegen den VN Ansprüche auf Herausgabe der Versicherungsleistung, die aus einem gesetzlichen Treuhandverhältnis abgeleitet werden (Rn. 168 f.). Eine entsprechende gesetzliche Verankerung würde also nur eine bereits bestehende Rechtslage deklaratorisch klarstellen. • Die Fremdversicherung für eigene Rechnung kommt in der Praxis – nicht zuletzt wegen der Zweifelsregelung des § 179 Abs. 1 S. 2 – nur relativ selten vor. Ist sie ausnahmsweise vereinbart, so wird sie bei Fehlen der erforderlichen Einwilligung der versicherten Person von der h.M. (in aller
15 16
Insofern auch Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 17. Ähnliche Bruck/Möller/Baumann § 1 Rn. 78 f. und 159.
17 18
Ähnlich Goll/Gilbert/Steinhaus S. 23; insofern auch Hülsmann VersR 1995 501, 505. In diese Richtung Fuchs S. 149.
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Regel) in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung umgedeutet (Rn. 227 ff.), so dass wiederum Ansprüche aus dem gesetzlichen Treuhandverhältnis zwischen VN und versicherter Person bestehen. Fälle, in denen der Vertrag nichtig und rückabzuwickeln ist und demzufolge die versicherte Person bei Eintritt des Versicherungsfalls keine materiellen Rechte an der Versicherungsleistung hat, stellen mithin die seltene Ausnahme dar.
4. Einheit von VN und versicherter Person bei der Fremdversicherung für eigene Rechnung
8
§ 179 Abs. 3 dient – ebenso wie die Vorgängervorschrift in § 179 Abs. 4 a.F. – lediglich als Klarstellung einer Selbstverständlichkeit. Die Vorschrift weist dem VN der Fremdversicherung für eigene Rechnung das Risiko zu, das sich aus der „Rollenspaltung“ des VN als Vertragspartner einerseits und der versicherten Person als Objekt der versicherten Gefahr ergibt.19 Aus systematischen Erwägungen kann auf § 179 Abs. 3 nicht verzichtet werden, da § 47 Abs. 1 nur für die Fremdversicherung für fremde Rechnung Anwendung findet.20 5. Lückenhaftigkeit der Regelung
9
Der Gesetzgeber hat auf die vereinzelt geäußerte Kritik im älteren Schrifttum nicht reagiert, § 179 a.F. weise insofern eine unbefriedigende Gesetzeslücke auf, als offen bleibe, was geschehen soll, wenn die Vertragsparteien eine Fremdversicherung für eigene Rechnung des VN vereinbaren wollen, aber es – wie bei der Insassen-Unfallversicherung – unmöglich sei, die schriftliche Einwilligung der versicherten Person einzuholen.21 Der Forderung, das gesetzliche Einwilligungserfordernis müsse in solchen Fällen außer Betracht bleiben,22 ist zwar in den Gesetzesmaterialien keine ausdrückliche Absage erteilt worden. Jedoch ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber keinen Anpassungsbedarf für die Insassen-Unfallversicherung gesehen hat. Eine Ergänzung des Gesetzestextes ist schon deshalb nicht zwingend notwendig, weil sich in den letzten Jahrzehnten kaum noch Entscheidungen zur Insassen-Unfallversicherung finden. Die Rechtsprechung hat offenbar die Rechtslage für die Praxis zufriedenstellend geklärt. Mit den vorhandenen Instrumenten lassen sich sachgerechte Lösungen finden. Einzuräumen ist allerdings, dass i.E. eine rechtswirksame Insassen-Unfallversicherung für eigene Rechnung faktisch ausgeschlossen bzw. nur stark eingeschränkt möglich ist: • Die erforderliche Einwilligung aller in Betracht kommenden Insassen kann der VN vor Vertragsschluss nicht einholen, es sei denn, er legt sich für die Dauer des Vertrages auf einen bestimmten Kreis von nutzungsberechtigten bzw. mitfahrberechtigten Personen fest. Nur von einem ständigen Benutzerkreis des Fahrzeugs, der im Voraus (namentlich) bekannt ist, kann eine – den Anforderungen des § 179 Abs. 2 gerecht werdende – schriftliche Einwilligung in eine Fremdversicherung für Rechnung des VN praktisch eingeholt werden. Solche Beschränkungen, die sich im täglichen Leben kaum durchhalten lassen, entsprechen aber nicht dem üblichen Versicherungsbedürfnis eines VN (z.B. dem des Taxifahrers mit ständig wechselnden Fahrgästen) oder dem Interesse der Parteien an einem unkomplizierten Vertragsschluss.
19 20
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 3 und H 40. Begründung RegE zu § 43, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 72 f.; s.a. Begründung RegE zu § 156, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 98.
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21 22
v.d. Thüsen VW 1953 434; H. J. Weber VersR 1954 523 ff. H. J. Weber VersR 1954 523, 524.
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• Schließt der VN ohne Einwilligung der versicherten Person eine theoretisch mögliche InsassenUnfallversicherung auf eigene Rechnung ab, so ist diese nach § 179 Abs. 2 nichtig, sofern nicht eine Umdeutung in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung in Betracht kommt.
Das Ergebnis, dass bei der Insassen-Unfallversicherung eine uneingeschränkte Fremdversicherung für eigene Rechnung nicht vereinbart werden kann, ist rechtspolitisch gut zu rechtfertigen. Spekulationen mit der Gesundheit der Insassen, die nicht in die Versicherung eingewilligt haben, werden im Keim erstickt. Unzumutbare Härten für den VN der Art, dass die Insassen „über Gebühr“ von den Unfallversicherungsleistungen profitieren, lassen sich durch eine Anrechnungsbefugnis des VN vermeiden (Rn. 181 ff.). Im Übrigen würden gesetzliche Sonderregelungen für die Insassen-Unfallversicherung, für die es – soweit ersichtlich – keine konkreten Formulierungsvorschläge in der Literatur gibt, die Vorschrift des § 179 unnötig verkomplizieren.
B. Vertragsbeteiligte Der Unfallversicherungsvertrag kommt zwischen dem VN und dem VR – bzw. deren 10 gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Stellvertretern – als Vertragsparteien zustande.23 Die Person, gegen deren Unfälle wirtschaftlich Vorsorge getroffen werden soll, wird im Gesetz als „versicherte Person“ bezeichnet. Der VN kann einseitig bestimmen, wer etwaige Versicherungsleistungen als Bezugsberechtiger erhalten soll (§ 185). Im Zusammenhang mit der Erfüllung von Vertragspflichten und Obliegenheiten können neben den Vertragsbeteiligten auch weitere Hilfspersonen verantwortlich sein.
I. VR Der VR bietet als Vertragspartner des VN den Versicherungsschutz. In den neueren 11 Vertragsunterlagen (insbesondere den AUB 99, aber auch Antragsformularen oder Policenbegleitschreiben) wird er mit „Wir“ u.ä. umschrieben. So heißt es etwa in Ziff. 1.1 AUB 99 „Wir bieten Versicherungsschutz …“. VR können nur Aktiengesellschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts werden (§ 7 Abs. 1 VAG). Sie bedürfen zum Betrieb der Unfallversicherung die Erlaubnis der BaFin (§§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 2 VAG i.V.m. Anlage Nr. 1 zum VAG). Auf VR-Seite können ein oder mehrere Unternehmen stehen. Regelmäßig ist in der 12 privaten Unfallversicherung ein Alleinversicherer Vertragspartner des VN. In Betracht kommt aber auch, dass mehrere VR auf Grundlage eines Konsortialvertrages in Form offener Mitversicherung auftreten. Sie ist indes nur bei Großrisiken üblich und kommt bei Gruppenunfallversicherungsverträgen in Betracht. Im Zweifel haften die Mitversicherer zwar als Gesamtschuldner (§ 427 BGB), jedoch ergibt meist die ausdrückliche vertragliche Regelung oder deren Auslegung, dass es sich um Verträge über Teilschulden handelt.24 Regelmäßig findet sich eine sog. Führungsklausel, nach der der führende VR (Konsortialführer) als bevollmächtigt gilt, für den anderen VR Anzeigen und Willenserklärungen entgegenzunehmen und Schadensfälle zu regulieren.25
23 24
Allgemein hierzu Bruck/Möller/Baumann § 1 Rn. 178 ff. Prölss/Martin/Kollhosser 27 Vor § 58 Rn. 3.
25
Näher etwa Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 6 f.
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Soweit es darum geht, für den VR vertragliche Vereinbarungen abzuschließen, hat der Versicherungsvertreter kraft Gesetzes (§§ 69, 71 und §§ 43, 45 a.F.) lediglich die Vollmacht, die auf Abschluss einer Vereinbarung gerichteten Anträge entgegenzunehmen. Die Vertretungsmacht, Verträge abzuschließen, kann dagegen (auch bei einem Generalagenten) nur auf eine durch den VR erteilte, rechtsgeschäftliche Vollmacht, Duldungs- oder Anscheinsvollmacht gegründet werden.26
II. VN 14
Vertragspartner des VR ist der VN. In den neueren Vertragsunterlagen wird er meist direkt mit Formulierungen wie „Sie“, „Ihr“, „Ihnen“ etc. angesprochen. So lautet z.B. Ziff. 10.3 AUB 99/2008 zur Kündigung des Versicherungsvertrages „Den Vertrag können Sie … beenden“ oder Ziff. 11.1 AUB 99/2008 zur Beitragszahlung „… die Sie … zu entrichten haben“. Der VN kann, muss aber nicht personenidentisch mit der versicherten Person (der Gefahrperson) und/oder dem Bezugsberechtigten und/oder dem Beitragszahler sein. 1. Rechtsfähigkeit des VN
15
Eine Vertragsbeziehung zum VR kann nur aufnehmen, wer rechtsfähig ist, also Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Dies trifft auf natürliche und juristische Personen zu. In der Regel ist der VN eine natürliche Person, da überwiegend der VN auch zugleich versicherte Person bzw. Gefahrperson sein soll. Häufig schließen aber auch juristische Personen (eingetragene Vereine, Stiftungen, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften oder Genossenschaften) für andere (natürliche) Personen Fremdversicherungen für eigene oder fremde Rechnung ab (insbesondere Gruppen-Unfallversicherungsverträge). VN können weiterhin auch Personenmehrheiten wie Personenhandelsgesellschaften und Gesamthandsgemeinschaften sein (z.B. oHG, KG oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts).27 2. Geschäftsfähigkeit des VN
16
Um sich wirksam verpflichten zu können, muss der VN voll geschäftsfähig sein. Ist er es nicht, so müssen an seiner Stelle seine gesetzlichen Vertreter handeln. Sie sind auch für die Erklärungen des VR empfangszuständig (§ 131 BGB). Von der (beschränkten) Geschäftsfähigkeit ist die Einsichtsfähigkeit zu unterscheiden. Sie ist für die datenschutzrechtliche Einwilligung und die Entbindung von der Schweigepflicht maßgeblich.
17
a) Geschäftsunfähige. Willenserklärungen von Geschäftsunfähigen sind nichtig (§ 105 Abs.1 BGB). Zu den Geschäftsunfähigen gehören • Kinder, die das 7. Lebensjahr nicht vollendet haben (§ 104 Nr. 1 BGB). Sie können auf keinen Fall allein einen wirksamen Versicherungsvertrag schließen, sondern müssen sich dafür vertreten lassen. Grundsätzlich vertreten beide Elternteile als gesetzliche Vertreter das Kind gemeinschaftlich (§ 1629 Abs. 1 S. 2 BGB). Ein Elternteil kann das Kind nur dann allein vertreten (vgl. § 1629 Abs. 1 S. 3 und 4 BGB), wenn ihn der andere Elternteil hierzu bevollmächtigt hat, ihm das alleinige
26 27
KG 27.6.2008 VersR 2009 343. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 4; näher Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 15 f.
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Sorgerecht zusteht (Einzelheiten s. insbesondere in §§ 1626a ff., 1671, 1680 Abs. 1 BGB) oder Gefahr im Verzug ist. Handeln die Eltern gegenüber dem VR nicht gemeinsam, so empfiehlt es sich für den VR, einen Nachweis für die Alleinvertretungsbefugnis zu verlangen. Zu beachten ist ferner, dass die Vertretungsbefugnis der Eltern ausgeschlossen sein (§ 1629 Abs. 2, 1795 BGB) oder der Genehmigung des Familiengerichts bedürfen kann (§ 1643 BGB; näher dazu Rn. 21 ff.). • Personen in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit, sofern der Zustand nicht vorübergehender Natur ist (§ 104 Nr. 2 BGB).
b) Minderjährige. Willenserklärungen eines Minderjährigen über 7 Jahren sind nicht 18 von vornherein unwirksam. Nur für Willenserklärungen, durch die der Minderjährige nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, ist eine anfängliche oder nachträgliche Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters erforderlich. Besonderheiten gelten für Vertragsverhältnisse, die nach Volljährigkeit des VN fortdauern. aa) Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Unfallversicherungsverträge mit minder- 19 jährigen VN sind grundsätzlich schwebend unwirksam, wenn die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters fehlt (§§ 108 Abs. 1, 107 BGB); denn der Minderjährige erlangt aus dem Vertrag aufgrund der Prämienzahlungsverpflichtung nicht nur einen rechtlichen Vorteil. Gesetzlicher Vertreter sind in der Regel beide Eltern gemeinsam (§ 1629 Abs. 1 BGB). Liegt die Einwilligung vor Vertragsschluss nicht vor, kann der gesetzliche Vertreter den Vertrag nachträglich genehmigen (§ 108 Abs. 1 BGB). Bis zur Genehmigung ist der Vertrag schwebend unwirksam. Erklärt der gesetzliche Vertreter, dass er die Genehmigung verweigert oder antwortet er auf die Aufforderung des Vertragsgegners (VR), den Vertrag zu genehmigen, bis zum Ablauf von zwei Wochen nicht, wird der Vertrag rückwirkend unwirksam. Ausnahmsweise ist die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht erforderlich, 20 wenn die Voraussetzungen der §§ 110, 112, 113 BGB erfüllt sind. • Ein von einem Minderjährigen geschlossener Vertrag (auch ein Versicherungsvertrag) gilt nach § 110 BGB („Taschengeldparagraph“) als von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die ihm obliegende Leistung mit Mitteln in bar oder bargeldlos bewirkt, die ihm von seinem gesetzlichen Vertreter zur freien Verfügung überlassen worden sind.28 Für die Praxis nutzt diese Vorschrift wenig. Die Anwendung des § 110 BGB auf Versicherungsverträge ist mit Rechtsunsicherheiten verbunden. Zum einen tritt die Wirksamkeit des gesamten Vertrags nicht schon mit Abschluss, sondern erst mit Erfüllung des Vertrags ein. Zum anderen ist für den VR kaum verlässlich zu ermitteln, ob die einzelnen Voraussetzungen des § 110 BGB vorliegen.29 • Unter den Voraussetzungen des § 112 BGB kann der Minderjährige im Rahmen eines selbständigen Betriebes eines Erwerbsgeschäfts eine Gruppen-Unfallversicherung zugunsten seiner Arbeitnehmer abschließen. Darüber hinaus kann der selbstständige Betrieb eines Erwerbsgeschäfts auch den Abschluss einer Unfallversicherung für den Minderjährigen als Gefahrperson nahe legen (z.B. Insassen-Unfallversicherung für einen selbständigen reisenden Handelsvertreter).30 • Die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter zum Abschluss des Unfallversicherungsvertrages ist nach § 113 BGB überflüssig, wenn dieser Vertragsschluss in untrennbarem Zusammenhang mit der Eingehung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses oder mit der Erfüllung der sich aus einem solchen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen steht und der Minderjährige zur Eingehung eines solchen Dienst- oder Arbeitsverhältnisses ermächtigt worden ist. Relevant kann dies für den
28
LG Bochum 5.5.1969 VerBAV 1969 345, 346; näher dazu etwa Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 5 und Bruck/Möller/ Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 7 f.
29 30
Goll/Gilbert/Steinhaus S. 21. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 5.
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Abschluss eines bzw. Beitritt zu einem Unfallversicherungsvertrag im Rahmen einer betrieblichen Gruppen-Unfallversicherung werden.31
Die mögliche Anwendung von § 110, 112, 113 BGB bedeutet indes nicht, dass § 1822 Nr. 5 BGB außer Betracht bleiben darf (Rn. 22).
21
bb) Vertragsverhältnisse nach Volljährigkeit des VN. Selbst wenn die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorliegt oder diese nicht erforderlich ist, ist gemäß §§ 1822 Nr. 5, 1643 Abs. 1 BGB eine Genehmigung des Familiengerichts für den Vertragsschluss erforderlich, wenn das Vertragsverhältnis länger als ein Jahr nach Eintritt der Volljährigkeit fortdauern soll. Diese Thematik ist in der Vergangenheit insbesondere für Lebensversicherungsverträge relevant geworden, die typischerweise von einer langen Vertragslaufzeit geprägt sind. Auch Unfallversicherungsverträge können durch §§ 1822 Nr. 5, 1643 Abs. 1 BGB betroffen sein. Dies traf insbesondere auf die Verträge zu, die noch Zehnjahreslaufzeiten vorsahen. Die gesetzliche Regelung kann aber auch bei kürzeren Laufzeitvereinbarungen von z.B. drei oder fünf Jahren (vgl. § 11 Abs. 4, § 8 Abs. 3 a.F.) heranzuziehen sein, zumal wenn typischerweise vereinbart ist, dass sich der Unfallversicherungsvertrag stillschweigend um ein Jahr verlängert, falls er nicht rechtzeitig gekündigt wird (vgl. § 11 Abs. 1, § 8 Abs. 1 a.F., Ziff. 10.2 AUB 99/2008).
22
(1) Genehmigung durch das Familiengericht. Versicherungsverträge mit entsprechender Dauer und der Verpflichtung zu wiederkehrenden Leistungen fallen unter das Genehmigungserfordernis des § 1822 Nr. 5 BGB.32 Es gilt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 110 BGB gegeben sind; denn bei der Genehmigung durch das Familiengericht für die in §§ 1821, 1822 BGB genannten Rechtsgeschäfte handelt es sich um ein zusätzliches Erfordernis, das zu der nach §§ 107 ff. BGB nötigen Zustimmung des gesetzlichen Vertreters hinzutreten muss.33 Weiterhin kommt eine Differenzierung nach der Art der Versicherung bzw. der Höhe der jeweiligen Prämien nicht in Betracht, da bei einem Abstellen auf die wirtschaftliche Bedeutung des Versicherungsvertrages eine klare Grenzziehung zwischen genehmigungsbedürftigen und nicht genehmigungsbedürftigen Verträgen unmöglich und deshalb im Interesse der Rechtssicherheit eine formale Betrachtungsweise anzulegen ist.34 Hinzu kommt, dass es nach dem Wortlaut und dem Schutzzweck des § 1822 Nr. 5 BGB nicht auf die Vermeidung besonderer wirtschaftlicher Nachteile ankommt, sondern eine Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Minderjährigen über längere Zeit vermieden werden soll.35Auch kann nicht darauf abgestellt werden, ob der VN den Vertrag nach Eintritt der Volljährigkeit so kündigen kann, dass die Vertragspflichten vor Ablauf eines Jahres enden; 36 denn die bloße Kündigungsmög-
31 32
33
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 5. BGH 30.6.1958 BGHZ 28 79, 80 = NJW 1958 1393, 1394; OLG Koblenz 18.5.1990 VersR 1991 209; LG Aachen 14.3.1986 VersR 1987 978 (LS); LG Frankfurt/M. 13.4.1999 NJW 1999 3566; LG Hamburg 11.6.1987 NJW 1988 215; LG Offenburg 8.7.1987 VersR 1987 980 (LS). AG Hamburg 9.11.1993 NJW-RR 1994 721, 722; AG Hamburg 13.8.1984 VersR 1985 683, 684; AG Waldshut-Tiengen 7.12.1984 VersR 1985 937, 938; Hilbert VersR 1986 948, 949 f.
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34 35 36
AG Waldshut-Tiengen 7.12.1984 VersR 1985 937, 938; Bayer VersR 1991 129, 130. AG Hamburg 9.11.1993 NJW-RR 1994 721; Winter ZVersWiss 1977 145, 156 und 160. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 17; Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 21; a.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 5 und insbesondere Winter ZVersWiss 1977 145, 150 ff.; ferner Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 12 ff.
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lichkeit beseitigt noch nicht die längerfristige Vertragsbindung des VN, auf die es nach dem Wortlaut von § 1822 Nr. 5 BGB allein ankommt. Hinzutreten muss die Abgabe und der Zugang einer besonderen Gestaltungserklärung, nämlich die Ausübung des Kündigungsrechts, von dem der VN aber nicht zwingend Kenntnis haben muss.37 Nicht von § 1822 Nr. 5 BGB erfasst sind dagegen Versicherungsverträge, für die eine Einmalprämie zu entrichten ist, ein Beitragsdepot für die gesamte Vertragsdauer besteht oder die bei laufender Prämienzahlung gemäß vertraglicher Vereinbarung vor Vollendung des 19. Lebensjahres enden.38 Ist die familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, so wird sie in der Praxis so gut 23 wie nie eingeholt.39 Ein ohne Genehmigung geschlossener Vertrag ist nicht nichtig, sondern schwebend unwirksam.40 Endgültige Unwirksamkeit tritt dann zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Genehmigung verweigert wird.41 Sind mehrere Versicherungsverträge mit dem minderjährigen VN ohne die erforderliche Genehmigung abgeschlossen worden, so kann die schwebende Unwirksamkeit des einen Vertrages die schwebende Unwirksamkeit der anderen Verträge nach sich ziehen (§ 139 BGB analog). Eine untrennbare Einheit zwischen einem Lebens- und einem Unfallversicherungsvertrag lässt sich allerdings noch nicht allein aus dem Umstand folgern, dass sie zeitgleich mit einem gemeinsamen Formular beantragt wurden;42 denn beide Verträge sind völlig selbständig und verfolgen eine voneinander unabhängige Risikovorsorge. Gesamtunwirksamkeit kann vielmehr nur angenommen werden, wenn – unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls – nach dem (vermuteten) Parteiwillen beiden Verträgen ein in sich geschlossenes Versorgungskonzept zugrunde liegen sollte. (2) Genehmigung durch den volljährigen VN. Der VN kann bei Erreichen der Voll- 24 jährigkeit den Vertrag genehmigen (§ 1829 Abs. 3 BGB). Will der VR sich Klarheit über die Wirksamkeit des Vertrages verschaffen, kann er den VN zur Mitteilung über die Genehmigung auffordern (§ 1829 Abs. 2 BGB). (a) Voraussetzungen. Der VN kann die Genehmigung ausdrücklich oder konkludent 25 erteilen, wobei umstritten ist, ob eine Genehmigung nur vor oder auch nach dem Eintritt des Versicherungsfalls (ggf. durch den Rechtsnachfolger bzw. die Erben des VN) erfolgen kann.43 Der Maßstab für eine stillschweigende Genehmigung wird unterschiedlich hoch angelegt.44 Notwendig ist, dass der VN die schwebende Unwirksamkeit des Vertrages gekannt oder zumindest mit ihr gerechnet hat und gegenüber dem VR als Erklärungsempfänger ein objektiv eindeutiges Verhalten zeigt, das auf seinen Willen schließen lässt, den Vertrag aufrecht zu erhalten.45
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38 39 40
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OLG Hamm 3.4.1992 NJW-RR 1992 1186, 1187; AG Hamburg 9.11.1993 NJW-RR 1994 721; krit. Winter ZVersWiss 1977 145, 152 f. Winter ZVersWiss 1977 145, 146. Hilbert VersR 1986 948; s.a. Winter ZVersWiss 1977 145, 148 ff. LG Frankfurt/M. 26.11.1997 RuS 1998 270; AG Waldshut-Tiengen 7.12.1984 VersR 1985 937, 938. OLG Hamm 3.4.1992 NJW-RR 1992 1186; AG Hamburg 13.8.1984 VersR 1985 683, 684.
42 43 44 45
So aber offenbar AG Hamburg 9.11.1993 NJW-RR 1994 721, 722. Bejahend Bayer VersR 1991 129, 131 f.; zweifelnd Goll/Gilbert/Steinhaus S. 22. Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 36. OLG Koblenz 18.5.1990 VersR 1991 209; LG Hamburg 11.6.1987 NJW 1988 215, 216; LG München I 14.10.1981 VerBAV 1982 123, 124 (Bestätigung von AG München 30.4.1981 VerBAV 1982 123); LG Offenburg 8.7.1987 VersR 1987 980 (LS); Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 18; Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 22.
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Als problematisch erweist sich häufig der Nachweis dafür, dass der VN Kenntnis von dem Versicherungsvertrag und darüber hinaus seine Nichtigkeit in Betracht gezogen hat. Zwar ist nach der gesicherten Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ein Minderjähriger, der den Vertrag mit unterschrieben hat, die Existenz der Versicherung kennt und deshalb unter Beweis stellen muss, er habe bei Unterzeichnung die Bedeutung der Verträge nicht erkannt. Jedoch muss der VR immer noch darlegen und beweisen, dass der VN mit dem Zeitpunkt seiner Volljährigkeit die Genehmigungsbedürftigkeit des Vertrages kannte bzw. zumindest mit ihr rechnete.46 Dies ist in der Praxis bei Fehlen besonderer Umstände (insbesondere bei Fehlen eines dokumentierten Hinweises des VR auf die Genehmigungsbedürftigkeit) kaum möglich. So bedeutet die bloße Abwicklung des Vertrages wie z.B. die (langjährige) Zahlung von Versicherungsbeiträgen – auch aus Sicht des VR – noch nicht, dass der volljährige VN mit der bisherigen schwebenden Unwirksamkeit gerechnet hat oder sich gar der daraus ergebenden Rechtsfolgen bewusst war.47 Entsprechendes gilt für andere Handlungen des volljährig gewordenen VN (z.B. Abtretung oder Verpfändung des Versicherungsanspruchs, Entgegennahme von Versicherungsleistungen, Durchführung von Vertragsänderungen).48 Typischerweise kennt ein VN, der über keine einschlägigen Fachkenntnisse verfügt und keinen entsprechenden Hinweis vom VR erhalten hat, nicht das Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung für von Minderjährigen abgeschlossene Versicherungsverträge.49 Fraglich ist weiterhin, ob folgende Umstände (allein) für die Annahme einer Geneh27 migungserklärung ausreichend sind: • Langjährige Zahlung der Prämien bzw. die widerspruchslose Duldung ihrer Abbuchung;50 • Unterlassene Ausübung eines möglichen Kündigungsrechts.51 • Beitragszahlung für 15 Monate durch die Unterhaltssicherungsbehörde nach Antrag des VN.52
Auf einen Genehmigungswillen des VN lässt sich (eher) schließen, wenn er sich mit dem Inhalt des Vertrages auseinandergesetzt hat, weil er Vertragsanpassungen bzw. -änderungen aktiv durchgeführt, begehrt oder abgelehnt hat, z.B das Bezugsrecht geändert53 oder Dynamikanpassungen widersprochen hat.54 Die Schwierigkeiten bei der Annahme stillschweigender Genehmigungen dürften sich 28 inzwischen deutlich relativiert haben. Die VR haben sich durch eine geschäftsplanmäßige Erklärung gegenüber dem Aufsichtsamt verpflichtet, minderjährige VN nach Erreichen der Volljährigkeit über die schwebende Unwirksamkeit und die Genehmigungsbedürftig-
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LG Hamburg 11.6.1987 NJW 1988 215, 216; AG Hamburg 13.8.1984 VersR 1985 683, 684; AG München 30.4.1981 VerBAV 1982 123, 124. LG Aachen 14.3.1986 VersR 1987 978 (LS); LG Frankfurt/M. 13.4.1999 NJW 1999 3566; LG Hildesheim 17.10.1984 VerBAV 1985 141; LG Waldshut-Tiengen 14.3.1985 VersR 1985 937, 939; LG Offenburg 8.7.1987 VersR 1987 980 (LS); Bayer VersR 1991 129, 131; Hilbert VersR 1986 948, 950; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 14; ferner VerBAV 1990 129; s.a. GB BAV 1983, 37 und 1981 55. OLG Hamm 3.4.1992 NJW-RR 1992 1186, 1187; AG Hamburg 9.11.1993 NJW-RR
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1994 721, 723; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 19; Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 22. LG Frankfurt/M. 26.11.1997 RuS 1998 270. Ablehnend etwa LG Freiburg i. Br. 7.3.1997 VersR 1998 41; AG Hamburg 9.11.1993 NJW-RR 1994 721, 722 f.; s.a. GB BAV 1985 79 Nr. 9.2.3. LG Hildesheim 17.10.1984 VerBAV 1985 141. LG Kaiserslautern 16.10.1990 VersR 1991 539. LG Arnsberg 30.5.1988 VersR 1989 391 (LS). OLG Koblenz 18.5.1990 VersR 1991 209.
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Versicherte Person
§ 179
keit zu informieren.55 Unabhängig vom versicherungsaufsichtsrechtlichen Verhältnis zwischen VR und der BAFin kommt aber auch im zivilrechtlichen Verhältnis zwischen VN und VR in Betracht, für den VR (bzw. dessen Versicherungsvermittler) bereits bei Vertragsschluss oder spätestens mit Eintritt der Volljährigkeit eine entsprechende Beratungsbzw. Hinweispflicht anzunehmen (§§ 6, 61 und §§ 280, 242 BGB). Dafür spricht einerseits, dass die Wirksamkeit des Vertrags generell von großer Bedeutung ist. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass bei einem Unterlassen der Information weder Rechtsgüter des Kunden bedroht werden noch die Gefahr besteht, dass der VR bei Eintritt des Versicherungsfalls keine Leistung erbringt. Letztlich handelt es sich um eine Wertungsfrage, die noch nicht abschließend geklärt ist. Zur Vermeidung späterer Auseinandersetzungen empfiehlt es sich von vornherein, mit Minderjährigen nur längerfristige Verträge abzuschließen, die bis zu deren 19. Lebensjahr dauern.56 Die Verweigerung der Genehmigung durch den VN kann eine unzulässige Rechts- 29 ausübung nach § 242 BGB darstellen. So liegt z.B. der Fall, in dem der VN über mehr als zehn Jahre nach Eintritt der Volljährigkeit die Abbuchung der Prämie widerspruchslos geduldet und Dispositionen (z.B. Abtretungen, Einverständnis zu Dynamikerhöhungen) getroffen hat.57 Dem wird indes z.T. entgegengehalten, dass es für den VR ein leichtes ist, etwaige Rechtsunsicherheiten aufzuklären und den VN ausdrücklich zur Genehmigung des schwebend unwirksamen Vertrages aufzufordern (§§ 1643 Abs. 3, 1829 Abs. 2 und 3 BGB).58 (b) Rechtsfolgen bei fehlender Genehmigung. Ist der Vertrag mangels Genehmigung 30 schwebend unwirksam, so kann sich der VR deshalb bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht seiner Leistungspflicht entziehen. Er muss sich zur Vermeidung des Vorwurfs rechtsmissbräuchlichen Verhaltens so behandeln lassen, als ob der Vertrag voll wirksam wäre; denn er hat trotz Kenntnis der Rechtslage die Prämien des VN entgegengenommen.59 Hat der volljährige VN die Genehmigung in zulässiger Weise verweigert, wird der 31 Vertrag von Anfang an unwirksam. Der ungenehmigte Vertrag kann allerdings nach §§ 139, 140 BGB in einen wirksamen Vertrag bis zum erlaubten Stichtag, d.h. den Tag an dem der VN sein 19. Lebensjahr vollendet hat, umgedeutet werden, wenn er auch mit der kürzeren Laufzeit abgeschlossen worden wäre. Die Umdeutung kann angenommen werden, wenn der übrige Vertragsinhalt unverändert bleibt, insbesondere die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung nicht gestört wird.60 Eine solche Äquivalenzstörung ist bei der allgemeinen Unfallversicherung als reine Risikoversicherung regelmäßig nicht anzunehmen.61 Anders liegt der Fall bei der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr. Bei
55 56 57
58
VerBAV 1990 129. VerBAV 1990 129. LG Frankfurt/M. 26.11.1997 RuS 1998 270 f.; Freiburg i. Br. 7.3.1997 VersR 1998 41 f.; LG Verden 7.5.1997 VersR 1998 42; Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 36. OLG Hamm 3.4.1992 NJW-RR 1992 1186, 1187 f.; LG Frankfurt/M. 13.4.1999 NJW 1999 3566, 3567; AG Hamburg 9.11.1993 NJW-RR 1994 721, 724; AG WaldshutTiengen 7.12.1984 VersR 1985 937, 938;
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Hilbert VersR 1986 948, 950 f.; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 19; Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 24. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 14; ferner VerBAV 1990 129. BGH 30.6.1958 BGHZ 28 79, 83 f. = NJW 1958 1393, 1395. Bayer VersR 1991 129; a.A. AG Hamburg 13.8.1984 VersR 1985 683, 684; s.a. Hilbert VersR 1986 948 950 und 951 (Einzelfallentscheidung).
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§ 179
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ihr steht – ähnlich wie bei der Lebensversicherung für den Erlebens- und Todesfall 62 – die Prämienhöhe in einem festen inneren Zusammenhang mit der Vertragsdauer.63 Ist der Vertrag von Anfang an nichtig, so hat der VR die während der Unwirksamkeit 32 des Vertrages ohne rechtlichen Grund gezahlten Beiträge dem VN nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zurück zu erstatten.64 Umstritten ist, ob der VR seine Leistungsverpflichtung nach der Saldotheorie des § 818 Abs. 1 BGB um den Prämienanteil für den bereits gewährten Versicherungsschutz, der wertmäßig der gezahlten Risikoprämie entspricht, – jedenfalls bei Risikoversicherungen bis ein Jahr nach Vollendung des 18. Lebensjahres 65 – mindern kann 66 oder der Minderjährigenschutz Vorrang vor der Saldotheorie mit der Folge genießt,67 dass der VR entweder die bis zum Eintritt der Volljährigkeit erhaltenen Versicherungsbeiträge 68 oder sogar alle empfangenen Prämien zurückzuzahlen hat,69 selbst wenn sie von einem Dritten gemäß § 267 BGB entrichtet wurden.70
33
c) Betreute. Die Betreuung hat die Regelungen zur Vormundschaft über Erwachsene abgelöst. Während das Mündel nicht geschäftsfähig war, bleibt der Betreute in seiner Geschäftsfähigkeit unbeeinträchtigt. Nur wenn das Betreuungsgericht für bestimmte Bereiche zum Schutz des Betreuten einen Einwilligungsvorbehalt anordnet, bedarf er für derartige Rechtsgeschäfte der Einwilligung seines Betreuers (§ 1903 BGB). Es gelten dann die bei Minderjährigen über 7 Jahre zu beachtenden Vorschriften der §§ 108 bis 113 BGB entsprechend. In allen anderen Bereichen ist der Betreute voll geschäftsfähig. Für den Abschluss von Versicherungsverträgen durch den Betreuten kommt es ent34 scheidend darauf an, ob eine Betreuung für die Vermögenssorge angeordnet ist: • Personen unter Betreuung ohne Einwilligungsvorbehalt sind voll geschäftsfähig. Sie können ohne weiteres nach allgemeinen Regeln einen Unfallversicherungsvertrag abschließen. • Personen unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt sind in ihrer Geschäftsfähigkeit nur in dem Bereich eingeschränkt, für den der Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist (§ 1903 BGB). Besteht also der Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge, so muss der Betreuer mitwirken. Erfasst dagegen der Einwilligungsvorbehalt nicht den Abschluss des Versicherungsvertrages, bedarf der betreute VN nicht der Mitwirkung des Betreuers.
35
Der Betreuer ist in dem ihm übertragenen Aufgabenkreis gesetzlicher Vertreter des Betreuten (§ 1902 BGB). Er kann aber nur sehr eingeschränkt Rechtsgeschäfte mit Wirkung für und gegen den Betreuten schließen. Folgende Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen: • Der Betreuer muss innerhalb des vom Betreuungssgericht bestimmten Aufgabenkreis handeln (§ 1903 Abs. 1 S. 1 BGB). Zum Abschluss von Unfallversicherungsverträgen ist erforderlich, dass
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65 66
Dazu etwa AG Hamburg 9.11.1993 NJW-RR 1994 721, 722; Bayer VersR 1991 129, 131. Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 36. LG Frankfurt/M. 13.4.1999 NJW 1999 3566; AG München 30.4.1981 VerBAV 1982 123; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 14. In diese Richtung Hilbert VersR 1986 948, 951. LG Hildesheim 17.10.1984 VerBAV 1985 141, 142; LG Offenburg 8.7.1987 VersR 1987 980 (LS); AG Hamburg 13.8.1984 VersR 1985 683, 684; Bayer VersR 1991 129, 132.
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67
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LG Aachen 14.3.1986 VersR 1987 978 (LS); LG Hamburg 11.6.1987 NJW 1988 215, 216; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 4; Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 23. LG Waldshut-Tiengen 14.3.1985 VersR 1985 937, 939. AG Hamburg 9.11.1993 NJW-RR 1994 721, 723; wohl auch GB BAV 1985 79 Nr. 9.2.3. LG Frankfurt/M. 13.4.1999 NJW 1999 3566, 3567; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 20.
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§ 179
eine Betreuung für die Vermögenssorge angeordnet ist. Als Nachweis dient die Urkunde, die der Betreuer vom Betreuungssgericht über seine Bestellung erhält. Den Betreuerausweis hat er dem VR vorzulegen, damit dieser ersehen kann, für welche Bereiche der Betreuer den Betreuten vertreten darf. • Der Betreute darf nicht länger als 4 Jahre zu wiederkehrenden Leistungen aus einem Vertrag verpflichtet werden. Anderenfalls bedarf es der Zustimmung des Betreuungsgerichts (§ 1907 Abs. 3 BGB). Dies trifft etwa auf Unfallversicherungsverträge mit einer Laufzeit von fünf Jahren zu, die unter Geltung des § 8 Abs. 3 a.F. lange Zeit üblich waren. • Der Betreuer kann den Betreuten nicht (allein) vertreten, wenn der Betreute ein Bezugsrecht zugunsten des Betreuers aussprechen soll (§ 1908i Abs. 1 BGB i.V.m. § 1812 Abs. 1 BGB).
3. Vertretung des VN Der Vertragsschluss kann auf Seiten des VN auch durch einen gesetzlichen oder 36 rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln erfolgen. a) Gesetzlicher Vertreter. Fälle notwendiger Stellvertretung ergeben sich bei einer 37 Vertragsbeteiligung von juristischen Personen, Handelsgesellschaften i.S.v. §§ 105 ff. HGB oder Minderjährigen, die noch nicht das 7. Lebensjahr vollendet haben sowie sonstigen Geschäftsunfähigen. Weiterhin ist an die Fälle zu denken, in denen Minderjährige, die das 7., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben (beschränkt Geschäftsfähige) oder betreute Menschen VN werden sollen. Insofern ist zunächst auf die obigen Ausführungen zu verweisen (Rn. 16 ff.). Ergänzend gilt: Die gesetzlichen Vertreter geschäftsunfähiger oder beschränkt geschäftsfähiger VN 38 können den Unfallversicherungsvertrag kraft ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht allein, d.h. ohne Mitwirkung des Vertretenen, in dessen Namen abschließen. Zu beachten sind dabei allerdings die aus §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 5 BGB resultierenden Beschränkungen (Rn. 21 ff.). Auslegungsschwierigkeiten (z.B. beim Abschluss einer Familienversicherung) zu der Frage, ob der gesetzliche Vertreter im eigenen Namen für den geschäftsunfähigen oder beschränkt geschäftsfähigen VN gehandelt oder (zugleich) den Vertrag in dessen Namen als Vertreter abgeschlossen hat, sollten aufgrund der in der Praxis üblicherweise verwendeten Formulare, die zwischen Angaben zur Person des VN und der versicherten Person unterscheiden, nicht auftreten.71 Im Zweifel hat der gesetzliche Vertreter im eigenen Namen gehandelt und dabei – soweit es um eine andere Gefahrperson geht – eine Fremdversicherung für fremde Rechnung abgeschlossen (§ 179 Abs. 1 S. 2). Bei einem Abschluss eines Unfallversicherungsvertrages durch einen Ehegatten kann 39 sich die Frage nach der Anwendbarkeit des § 1357 BGB stellen. Die sog. Schlüsselgewalt räumt dem handelnden Ehepartner zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie eine gesetzliche Verpflichtungsermächtigung bzw. eine Rechtsmacht sui generis mit Anklängen an eine gesetzliche Vertretungsmacht ein.72 Übt ein Ehepartner seine Schlüsselgewalt aus, so werden beide Ehepartner aus dem getätigten Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet (§ 1357 Abs. 1 S. 2 BGB). Der Abschluss einer Unfallversicherung gehört – anders etwa als der Abschluss eines zahnärztlichen Behandlungsvertrages 73 – nicht „zur angemessen Deckung des Lebensbedarfs der Familie“ i.S.v. § 1357 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Tatbestand verlangt, dass das zu tätigende Geschäft einen Bezug zur familiären
71
Anders noch Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 8.
72 73
Leverenz JR 1997 45, 47 m.w.N. LG Koblenz 19.2.1981 NJW 1981 1324.
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Konsumgemeinschaft aufweist, der Bedarfsdeckung der Familie dient und unter Berücksichtigung seines Ausmaßes, Umfangs und seiner Dringlichkeit keine Abstimmung notwendig erscheinen lässt sowie zu dem beabsichtigten Vertragsschluss eine Abstimmung zwischen den Eheleuten regelmäßig auch nicht stattfindet.74 Diese Voraussetzungen sind beim Abschluss von Versicherungsverträgen nicht erfüllt. Lediglich für den Abschluss einer Hausratversicherung wird eine Anwendung des § 1357 BGB erwogen, da sie dem Erhalt des ehelichen Hausrats dient, die Sicherung des Hausrats nicht anders als die (Ersatz-)Beschaffung von Einrichtungsgegenständen behandelt werden kann und die jährliche Versicherungsprämie einer solchen Hausratversicherung typischerweise verhältnismäßig gering ist.75 Anders verhält es sich indes bei Personenversicherungen (Lebens-, Kranken- oder Unfallversicherungen).76 Sie betreffen die Gesundheit und das Leben sowie die vermögensrechtliche Sphäre eines Ehegatten. Vor Abschluss solcher Verträge ist eine Absprache zwischen den Ehegatten üblich und regelmäßig auch möglich. Unabhängig von der Frage, ob und in welchem Umfang der Abschluss einer Unfall-Versicherung (noch) der „angemessen Deckung des Lebensbedarfs der Familie“ dient, kann aus der Berechtigung beider Eheleute am Vertrag ein Konflikt zu § 179 Abs. 2 auftreten. Dieser ist zugunsten des spezielleren Versicherungsrechts mit der Folge zu lösen, dass § 1357 BGB für die Unfallversicherung nicht anwendbar ist.77 Folgende Fallkonstellationen lassen sich unterscheiden: • Der eine Ehepartner schließt für sich selbst als Gefahrperson eine Unfallversicherung ab. „An sich“ führt dieser Vertragsschluss unproblematisch zu einer (wirksamen) Eigenversicherung. Bei einer Anwendung des § 1357 Abs. 1 S. 2 BGB würde dagegen auch der andere (nicht kontrahierende) Ehegatte an der Versicherung berechtigt sein. Eine solche Vertragsgestaltung stünde wertungsmäßig einer Unfallversicherung für eigene Rechnung gleich, zu deren Wirksamkeit die schriftliche Einwilligung der versicherten Person notwendig ist. Zwar könnte argumentiert werden, dass der im Rahmen der Schlüsselgewalt handelnde Ehegatte den Vertrag für sich selbst als Gefahrperson unterzeichnet hat. Jedoch reicht diese Erklärung nicht aus, um dem Schutzzweck des § 179 Abs. 2 ausreichend Rechnung zu tragen, der Spekulationen zu Lasten der Gesundheit der versicherten Person verhindern soll; denn die Berechtigung des nicht kontrahierenden Ehepartners könnte für diesen einen Anreiz zur Herbeiführung des Versicherungsfalls schaffen. Dieses Risiko muss der handelnde Ehepartner bei Vertragsabschluss kennen.78 • Der eine Ehepartner schließt für den anderen Ehepartner als Gefahrperson eine Unfallversicherung ab. Ohne Anwendung des § 1357 BGB ist diese Unfallversicherung im Zweifel als Fremdversicherung für fremde Rechnung anzusehen. Sollte der handelnde Ehepartner eine Fremdversicherung für eigene Rechnung anstreben, ist nach § 179 Abs. 2 die schriftliche Einwilligung des nicht kontrahierenden Ehepartners notwendig. Bei dieser Rechtslage muss es bleiben. Könnte der handelnde Ehepartner nach § 1357 BGB aus der Versicherung berechtigt sein, könnte er – entgegen dem Schutzzweck des § 179 Abs. 2 – eine Versicherung für eigene Rechnung begründen, ohne dass der andere Ehepartner hiervon überhaupt Kenntnis erlangt hat.
74 75
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Palandt/Brudermüller 67 § 1357 Rn. 1. AG Karlshafen 3.2.1965 VersR 1965 871; Staudinger/Hübner BGB13 (2000) § 1357 Rn. 64; Münchener Kommentar/Wacke BGB4 (2000), § 1357 Rn. 23; s.a. AG Eschwege 14.7.1959 VersR 1959 1038 (Verlängerung einer bestehenden Hausratversicherung). So allgemein für Versicherungsverträge gleich welcher Art Gernhuber/Coester-Waltjen Lehrbuch des Familienrechts 5 (2005) § 19 IV
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S. 199; Soergel/Lange BGB 13 § 1357 Rn. 15; s.a. für die (Verlängerung einer) Feuerversicherung LG Siegen 2.2.1951 VersR 1951 168 (entgegen AG Siegen 13.10.1950 VersR 1951 167). Näher Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 6 und C 8 sowie E 14, ebenso für die Lebensversicherung Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 17. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 7.
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Versicherte Person
§ 179
b) Rechtsgeschäftlich bevollmächtigter Vertreter. Die zum Vertragsschluss führende 40 Willenserklärung des (späteren) VN kann durch einen rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter abgegeben werden. Für die Unfallversicherung sind hier keine Besonderheiten zu beachten. Dies gilt etwa für den Umfang der Vollmacht. So enthält eine Vollmacht zum Abschluss einer Unfallversicherung nicht stets zugleich die Bevollmächtigung, alle weiteren Folgegeschäfte im Zusammenhang mit der Unfallversicherung zu tätigen. Einen dahingehenden Erfahrungssatz gibt es nicht. Ob der Abschlussvertreter z.B. auch zur Abtretung von Ansprüchen aus dem Vertrag berechtigt ist, muss im Wege der Auslegung aufgrund konkreter Umstände geprüft werden.79 4. Insolvenz des VN Die Insolvenzeröffnung hat insbesondere nachstehende Rechtsfolgen:80
41
• Alle Ansprüche und Rechte des VN aus dem Versicherungsvertrag fallen grundsätzlich gemäß §§ 35, 36 InsO in die Masse. Leistet der VR nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den VN, so tritt Erfüllung nur dann ein, wenn er beweisen kann, dass er die Insolvenzeröffnung nicht kannte (§ 82 InsO). • Der VN verliert sein Verfügungsrecht aus dem Versicherungsvertrag. Die Verfügungsbefugnis steht fortan dem Insolvenzverwalter zu. Trotzdem vorgenommene Rechtshandlungen des VN sind den Insolvenzgläubigern gegenüber unwirksam (§ 81 Abs. 1 InsO). Der VR muss seine Rechtshandlungen gegenüber dem Insolvenzverwalter ausüben. • Bei einem laufenden Versicherungsvertrag steht dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht zu (§ 103 Abs. 1 InsO). Verlangt er Erfüllung, so werden die Prämienansprüche des VR vom Insolvenzverwalter einzufordernde Masseschulden (§ 35 InsO). Lehnt der Insolvenzverwalter dagegen die Erfüllung ab, erlöschen die beiderseitigen Ansprüche. Der VN bleibt weiterhin neben dem Insolvenzverwalter für die Erfüllung der Obliegenheiten verantwortlich (s.a. Ziff. 12.2 AUB 99/2008, § 12 Abs. 2 AUB 88/94, § 16 Nr. 2 AUB 61).
Nach § 14 Abs. 1 a.F. konnte sich der VR das Recht ausbedingen, im Fall der Eröff- 42 nung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN das Versicherungsverhältnis mit einer Frist von einem Monat zu kündigen. Diese Möglichkeit ist im VVG 2008 nicht mehr vorgesehen. Der Gesetzgeber sah für eine Kündigungsbefugnis des VR kein hinreichendes Bedürfnis.81 Maßgebend für die Gläubigerstellung der versicherten Person im Fall einer Fremd- 43 versicherung für fremde Rechnung ist, ob die Versicherungsleistung vor oder nach Insolvenzeröffnung eingezogen worden ist: 82 • Tritt die Insolvenz des VN ein, bevor er die Leistung des VR erhalten hat, so steht der versicherten Person ein Aussonderungsrecht zu (§ 47 InsO). Auch kann eine Ersatzaussonderung in Betracht kommen, wenn der Insolvenzverwalter die Leistung des VR noch unterscheidbar eingezogen hat (§ 48 S. 2 KO). • Die versicherte Person ist Insolvenzgläubiger, wenn der VN insolvent wird, nachdem er die Versicherungsleistung eingezogen hat. Sie hat kein Ersatzaussonderungsrecht.
79 80 81
BGH 13.5.1992 RuS 1992 285, 286. Kurzübersicht etwa bei Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 5. Begründung zu § 16 RegE, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 64.
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Kurzübersicht etwa bei Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 6.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
5. Tod des VN
44
Sofern der VN zugleich – alleinige – versicherte Person war (Eigenversicherung), entfällt das versicherte Risiko und der Versicherungsvertrag erlischt (s.a. Rn. 54).83 Eventuell entstandene Versicherungsansprüche (z.B. Todesfallleistung bei Unfalltod des VN oder in der Person des Erblassers vor seinem Tod begründete Ansprüche auf Tagegelder bzw. Invaliditätsleistungen) gehören bei Fehlen einer Bezugsrechtseinräumung zum Vermögen des VN und fallen in seinen Nachlass. Die Erben erwerben die Versicherungsforderungen kraft Erbgangs und nicht – unabhängig vom Erbgang – kraft eigenen Rechts, es sei denn, sie sind vom verstorbenen VN als Bezugsberechtigte bezeichnet worden. Die Sicherheit des Rechtsverkehrs lässt es ebenso wenig wie bei der Lebensversicherung zu, den Erben per se aufgrund von Billigkeitserwägungen oder unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Zwecks der Unfallversicherung dieselbe Rechtsstellung wie einem Bezugsberechtigten einzuräumen.84 Aufgrund der Universalsukzession sind die Erben berechtigt, in der Person des VN als versicherte Person begründete Versicherungsleistungen an den Bezugsberechtigten bzw. – wenn kein Bezugsrecht vorgesehen ist – an sich selbst (den Nachlass) zu fordern.85 Besteht eine Bezugsberechtigung für dritte Personen, können die Erben dies nicht mehr ändern, und zwar unabhängig davon, ob das Bezugsrecht unwiderruflich oder widerruflich ist (näher § 185 Rn. 22 ff.). Ist der verstorbene VN nicht zugleich versicherte Person (Fremdversicherung) oder 45 nicht alleinige versicherte Person so gehen die Rechte und Pflichten aus dem Unfallversicherungsvertrag im Wege der Universalrechtsnachfolge auf die Erben über.86 Mit ihnen wird der Vertrag fortgeführt. Ist die versicherte Person Alleinerbe der auf sie geschlossenen Fremdversicherung, so wandelt sich die Fremdversicherung in eine Eigenversicherung.87 Schlägt der Erbe die Erbschaft aus, so kann er Versicherungsleistungen nur beanspruchen, wenn er im Versicherungsvertrag als Bezugsberechtigter benannt ist.88
III. Versicherte Person 46
Der VR leistet Versicherungsschutz für Versicherungsfälle der versicherten Person. Versicherte Person ist die natürliche Person, in deren Leben oder Gesundheit sich die Unfallgefahr verwirklicht. Sie ist häufig mit dem VN identisch (sog. Eigenversicherung), muss dies jedoch nicht notwendigerweise sein. Fallen VN und versicherte Person auseinander, wird von einer Fremdversicherung gesprochen (Rn. 131). Häufig wird neben dem Begriff der „versicherten Person“ auch der der „Gefahrperson“ benutzt bzw. der Bezeichnung „Gefahrperson“ der Vorzug gegeben.89 Beide Begriffe werden im Folgenden synonym gebraucht. Z.T. wird aber auch eine Differenzierung vorgeschlagen:90
83 84
85
Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 19. BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 46 ff. (insbesondere 48) = VersR 1960 339 f. (mit zustimmender Anm. Prölss) = NJW 1960 912 f. = VerBAV 1960 169 f.; OLG Hamburg 10.9.1957 VersR 1957 679 (Bestätigung vom LG Hamburg 5.8.1957 VersR 1957 677, 678). Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 20.
218
86 87 88 89
90
S.a. GB BAV 1978 75. Fuchs S. 146. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 19. So etwa Bruck/Möller/Winter 8 Anm. C 23 f. und H 2; s.a. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 17. Eingehend hierzu (auch zur geschichtlichen Entwicklung) Fuchs S. 15 und 29 ff.
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Versicherte Person
§ 179
• „Gefahrperson“ sei danach die Person, bei der das versicherungsrelevante Risiko eintreten kann, ohne dass diese Person Inhaberin der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ist. „Gefahrperson“ entspreche mithin im Bereich der Personenversicherung dem, was in der Sachversicherung als „versicherte Sache“ umschrieben werde.91 • Als „versicherte Person“ bzw. „Versicherter“ oder „Versicherte“ sei dagegen die Person zu bezeichnen, die Inhaberin der vertraglichen Rechte sei.92
Eine solch unterschiedliche Begriffsbildung ist für die Unfallversicherung93 indes weder dem Gesetz (§§ 178 ff.) noch den Vertragsregelungen (insbesondere den AUB) zu entnehmen. Dort werden als Vertragsbeteiligte neben dem VR und dem VN nur die versicherte Person und der Bezugsberechtigte genannt. Über einen Versicherungsvertrag können eine oder mehrere versicherte Personen ver- 47 sichert werden. Mehrere versicherte Personen finden sich typischerweise bei GruppenUnfallversicherungsverträgen, die der VN für seine Familie, der Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer oder Vereine, Körperschaften bzw. andere Organisationen für ihre Mitglieder abschließen (Vorbem. § 178 Rn. 46). 1. Bestimmbarkeit der versicherten Person In vielen Fällen wird die versicherte Person namentlich bezeichnet. Es werden dann 48 die wichtigsten Daten zur versicherten Person (etwa Name, Anschrift, Geburtsdatum, Beruf, ggf. auch Gesundheitszustand) im Versicherungsantrag aufgenommen. Es sind aber auch (bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung) allgemeinere Bezeichnungen des versicherten Personenkreises zulässig. Es genügt, dass die versicherte Person in sonstiger Weise (aufgrund der im Vertrag genannten Umstände) individualisierbar oder wenigstens bestimmbar ist.94 Diese Möglichkeit erlangt etwa Bedeutung bei der Gruppen-Unfallversicherung ohne Namensnennung oder der Insassen-Unfallversicherung. Dass eine Namensnennung oder sonstige Bezeichnung der Individualität nicht erforderlich ist, ergibt sich aus § 48 (§ 80 Abs. 2 a.F.), in dem die „Versicherung, für wen es angeht“ normiert ist. Die Vorschrift findet ebenso wie §§ 43 bis 47 nunmehr auch für die Unfallversicherung direkte Anwendung. Bis zur VVG-Reform 2008 war dies nicht eindeutig geregelt, da § 179 Abs. 2 S. 2 nur auf §§ 75 bis 79 a.F., nicht aber auf § 80 Abs. 2 VVG a.F. verwies. § 80 Abs. 2 a.F. wurde indes auch schon nach altem Recht entsprechend für die (Insassen-)Unfallversicherung herangezogen.95 Weitere Erkenntnisse lassen sich aus § 48 für die Unfallversicherung dagegen nicht ableiten. Die Begriffe „eigenes oder fremdes Interesse“ entstammen der Schadensversicherung.96 Existiert die versicherte Person in Wirklichkeit nicht, so ist die Fremdversicherung auf 49 eine anfängliche, objektive und dauernde Unmöglichkeit gerichtet, so dass schon deshalb Nichtigkeit nach § 306 BGB eintritt; denn der Versicherungsfall kann nicht eintreten.97
91 92 93 94
95
Fuchs S. 46. Fuchs S. 49 S. insofern auch Fuchs S. 51. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 6, H 28 und H 50; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 26. Nießen S. 38; Orlowski VersR 1954 45;
96 97
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 13 und 30, H 6 und H 44; H. J. Weber VersR 1954 523, 525. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 52. BGH 7.5.1997 VersR 1997 1213; 1214; Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 6.
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
2. Rechtsfähigkeit der versicherten Person
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Die versicherte Person muss eine natürliche Person sein.98 Nur in ihr kann sich eine Unfallgefahr realisieren; eine juristische Person kann tatsächlich keinen Unfall i.S.v. § 178 erleiden.99 Versicherungsschutz kann für natürliche Personen von Geburt an vereinbart werden. Anders als in der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. Vorbem. § 178 Rn. 56) genießt dagegen das ungeborene Leben (nasciturus) in der privaten Unfallversicherung weder unmittelbar als versicherte Person noch mittelbar über die versicherte Mutter Versicherungsschutz.100 3. Geschäftsfähigkeit der versicherten Person
51
Grundsätzlich gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen, die beim Vertragsschluss mit geschäftsunfähigen, minderjährigen oder betreuten VN zu beachten sind (Rn. 16 ff.). Besonderheiten ergeben sich aus dem Einwilligungserfordernis in § 179 Abs. 2: • Fremdversicherung für fremde Rechnung: Bei ihr ist die Einwilligung der versicherten Person (z.B. des Minderjährigen) entbehrlich. • Fremdversicherung für eigene Rechnung: Bei ihr muss die versicherte Person einwilligen. Die gesetzlichen Vertreter der versicherten Person (z.B. die Eltern des minderjährigen Kindes) unterliegen Beschränkungen (Rn. 204 ff.).
4. Versicherungsfähigkeit der versicherten Person
52
Zur Versicherungsfähigkeit der versicherten Person s. die Kommentierung zu Ziff. 4 AUB 2008. Berücksichtigt der VR persönliche Merkmale der versicherten Person (wie z.B. das Alter oder das Geschlecht) in seiner Tarifkalkulation und Risiko- bzw. Annahmeprüfung, so ist insbesondere den Vorgaben des AGG Rechnung zu tragen (Vorbem. § 178 Rn. 96 ff.). 5. Insolvenz der versicherten Person
53
Die Insolvenz der versicherten Person hat keine Auswirkungen auf den Versicherungsvertrag. Insbesondere ist der VN bei der Fremdversicherung weiterhin befugt, die Versicherungsleistung vom VR einzuziehen (Ziff. 12.1 S. 1 AUB 99/2008, § 12 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94, § 16 Nr. 1 S. 2 AUB 61). Besteht eine Fremdversicherung und ist der Versicherungsfall eingetreten, so ist zu differenzieren, ob der VN oder der Insolvenzverwalter der versicherten Person die Leistung eingezogen hat:101 • Grundsätzlich ist der VN im Fall der Fremdversicherung für fremde Rechnung aufgrund des mit der versicherten Person bestehenden Treuhandverhältnisses verpflichtet (Rn. 168 f.), die Versicherungsleistung an den Insolvenzverwalter der versicherten Person auszukehren. Eine Besonderheit ergibt sich hier indes aus § 46 (§ 77 a.F.). Diese Vorschrift erlaubt es dem VN, sich vor der versicherten Person und deren Gläubigern zu befriedigen, vorausgesetzt dem VN stehen gegen der versicherten Person aus dem zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnis („in Bezug auf die versicherte Sache“) Ansprüche zu. Er hat dann nur den seine Ansprüche übersteigenden Betrag an den Insolvenzverwalter abzuführen.
98 99
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 28; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 26. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 13.
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100 101
Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 4. Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 8.
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Versicherte Person
§ 179
• Hat der Insolvenzverwalter der versicherten Person die Versicherungsleistung eingezogen, steht dem VN (im Fall der Fremdversicherung für eigene Rechnung) ein Anspruch gegen die Insolvenzmasse zu.
6. Tod der versicherten Person Mit dem Tod der versicherten Person (Gefahrperson) wird die Gefahrtragung des VR 54 unmöglich. Dabei ist es im Grundsatz unerheblich, ob der VN mit der versicherten Person identisch ist oder nicht, also eine Eigen- oder Fremdversicherung vorliegt. Der Wegfall des versicherten Interesses führt zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses.102 Rechtsgrundlage hierfür sind nicht die allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts, sondern die versicherungsrechtliche Spezialregelung in § 80 Abs. 2, die mit dem bisherigen § 68 Abs. 2 a.F. übereinstimmt. § 80 betrifft zwar nach der für ihn geltenden Kapitelüberschrift nur die Schadensversicherung, jedoch lässt sich die Wertung der Norm auf die Unfallversicherung unabhängig davon übertragen, ob sie als Schadens- oder Summenversicherung ausgestaltet ist. Dies war schon zu § 68 Abs. 2 a.F anerkannt.103 Der Grundsatz von der Beendigung des Versicherungsvertrags bei Tod der versicherten Person erfährt für die Unfallfremdversicherung für fremde Rechnung dann eine Ausnahme, wenn die versicherte Person nach Sinn und Inhalt des Vertrages austauschbar ist. So führt der Fortfall einer versicherten Person in der Gruppen-Unfallversicherung nur zu einer Inhaltsänderung des Vertrages.104 Erlischt der Versicherungsvertrag, so hat der VN die Prämie pro rata temporis zu 55 zahlen, so dass dem VR nur der Teil der Prämie gebührt, der der abgelaufenen Vertragszeit entspricht. Entgegen der Regelung des § 80 Abs. 2 kommt es jedoch nicht auf die Kenntnis des VR, sondern auf den objektiven Tatbestand (Tod der Gefahrperson) an.105 Die AUB (vgl. Ziff. 11.6 AUB 99/2008, § 5 Abs. 3 AUB 88/94, § 7 Abs. 3 AUB 61) enthalten keine der Regelung des § 80 Abs. 2 entsprechende Einschränkung. Die Rechte der versicherten Person aus der Fremdversicherung für fremde Rechnung 56 bilden einen Bestandteil ihres Vermögens und fallen damit bei ihrem Tod in ihren Nachlass.106 Ein unmittelbarer Rechtserwerb zugunsten der Erben oder Hinterbliebenen der versicherten Person erfolgt nicht. Die Erben sind nicht (zugleich mit der Gefahrperson) versicherte Personen, sondern können in die Rechtsstellung der Gefahrperson (versicherte Person) nur im Wege der – gewillkürten oder gesetzlichen – Rechtsnachfolge einrücken.107 Sofern der verstorbenen versicherten Person Versicherungsansprüche zustehen, unterliegen sie folgerichtig der Erbschaftsteuer.108
102
103 104 105 106
Begründung RegE zu § 80 Abs. 2 VVG-E, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 79. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. D 26. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 59. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. D 26. BGH 13.1.1981 VersR 1981 447, 448 = NJW 1981 1613, 1614; BGH 4.4.1973 VersR 1973 634, 635 = NJW 1973 1368, 1368; BGH 24.10.1961 VersR 1962 84, 85; BFH
107
108
28.9.1993 RuS 1995 317; Roesch JR 1948 100, 101. BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 49 f. = VersR 1960 339, 340 = NJW 1960 912, 913 = VerBAV 1960 169, 170; ferner BGH 14.12.1994 RuS 1995 117. BFH 28.9.1993 RuS 1995 317 f.; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 11; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 29; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 24.
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
IV. Weitere Personen 57
Neben den eigentlichen Vertragsbeteiligten i.w.S. – VN und VR –, aber auch der versicherten Person, dem Beitragszahler und der bezugsberechtigten Person (§ 185), können sowohl bei der Vertragsbegründung als auch der Vertragsdurchführung auf beiden Vertragsseiten weitere Personen zu berücksichtigen sein. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. So kann es etwa aufgrund von „Zwischenfällen des täglichen Lebens“ (wie Tod, Erkrankung, Insolvenz, finanzielle Not usw.) zur Verschiebung von Rechtspositionen kommen Des Weiteren kann es aufgrund der gesellschaftstypischen Arbeitsteilung zur Aufteilung von Zuständigkeiten kommen. Auf Vertriebsseite kommt den Versicherungsvertretern, Versicherungsmaklern oder Versicherungsberatern besondere Bedeutung zu. Weiterhin kann durch Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge der Kreis der Vertragsbeteiligten i.w.S. vergrößert werden. Auf Kundenseite können z.B. Erbfolge oder rechtsgeschäftliche Verfügungen Rechtsnachfolger des VN (vgl. Ziff. 12 AUB 99/2008), der versicherten Person oder des Bezugsberechtigten zu berücksichtigen sein. Fernerhin können nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln auf beiden Vertragsseiten Hilfspersonen während der Vertragsbegründung, -durchführung, -abwicklung oder -beendigung auftreten (Organe, Stellvertreter, Boten, Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen usw.). Zu nennen sind etwa der gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Stellvertreter des VN, der versicherten Person oder des Bezugsberechtigten. Für die Verhaltens-, Wissens- und Verschuldenszurechnung im Obliegenheitenrecht (vgl. insbesondere Ziff. 7, 8 und 13 AUB 2008) erlangen der Repräsentant, Wissenserklärungsvertreter und Wissensvertreter Bedeutung. 1. Repräsentant
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Die Grundsätze der Repräsentantenhaftung werden vornehmlich für die Sachversicherung erörtert. Die Rechtsfigur kommt in der Praxis der Unfallversicherung kaum vor.
a) Allgemeines. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH 109 hat der VN für das Verhalten seines Repräsentanten wie für eigenes Verhalten einzustehen. Die seit langem bekannte Rechtsfigur der Repräsentantenhaftung 110 hat auch nach Inkrafttreten des novellierten VVG weiterhin Bedeutung. Die Entscheidung über die Zuordnung des Repräsentantenverhaltens soll nach dem Willen des Gesetzgebers – wie bisher – der Rechtsprechung überlassen bleiben.111 Repräsentant im versicherungsrechtlichen Sinn ist derjenige, der ganz allgemein in 60 dem Geschäftsbereich des VN, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder eines ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des VN getreten ist.112 Die Repräsentantenhaftung resultiert aus dem Gebot der Billigkeit (§ 242 BGB).113 Der Grund der Haftungszurechnung liegt darin, dass es dem VN nicht freistehen darf, den
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S. etwa BGH 14.3.2007 VersR 2007 673, 674 Rn. 8 = NJW 2007 2038 mit Anm. A. Staudinger. Zur historischen Entwicklung eingehend Cyrus Rn. 10 ff. und 53 ff.; Looschelders VersR 1999 666, 667 f. Begründung RegE zu § 81 VVG-E, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 79. S. nur BGH 21.4.1993 BGHZ 122 250,
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252 f. = VersR 1993 828, 829 = NJW 1993 1862, 1864; BGH 14.4.1971 VersR 1971 538, 539; BGH 27.2.1964 VersR 1964 475; BGH 13.6.1957 BGHZ 24 378, 385 f.; BGH 25.10.1952 VersR 1952 428; OLG Köln 29.3.1990 VersR 1990 1226, 1227; OLG Nürnberg 26.11.1981 VersR 1982 695; näher Cyrus Rn. 204 ff. A. Staudinger NJW 2007 2040.
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Versicherte Person
§ 179
VR dadurch schlechter und sich besser zu stellen, dass er einen Dritten an seine Stelle hat treten lassen.114 Dem VN soll die Einbindung Dritter nicht gestattet sein, ohne dafür die Verantwortung und ggf. die Haftung zu übernehmen.115 Umgekehrt darf die richterliche Schöpfung der Zurechnung von Repräsentantenverhalten nicht zu einer Privilegierung des VR führen.116 Die Zurechnung kann nur in dem Bereich erfolgen, in dem der VN auch Verantwortlichkeit auf einen Dritten übertragen hat. Unterschieden wird zwischen der Risiko- bzw. Gefahrverwaltung und der Vertragsverwaltung: Die Zurechnung des Repräsentantenverhaltens im Rahmen der Risiko- bzw. Gefahr- 61 verwaltung setzt voraus, dass zwischen VN und Repräsentanten ein Vertretungsverhältnis besteht und der Repräsentant befugt ist, selbstständig in nicht ganz unbedeutendem Umfang für den VN zu handeln bzw. auch dessen Rechte und Pflichten wahrzunehmen.117 Der Repräsentant tritt risikotechnisch an die Stelle des VN. Ihm ist – nicht nur vorübergehend, sondern für längere Zeit – die vollständige bzw. alleinige Obhut und eigenverantwortliche Sorge über den Umgang mit dem versicherten Risiko überlassen;118 der VN hat sich der Verantwortlichkeit völlig entledigt. Die Mitobhut oder auch kurzfristig überlassene Alleinobhut über das versicherte Risiko genügt nicht.119 Nicht erforderlich ist dagegen, dass zu der Übernahme der Risikoverwaltung zusätzlich die Berechtigung zur Verwaltung des Versicherungsvertrages hinzutritt.120 Das Verhalten des Repräsentanten wird insbesondere bei Fragen im Zusammenhang mit der Herbeiführung des Versicherungsfalls relevant. Bei der Vertragsverwaltung hat der VN einem Dritten die eigenverantwortliche Ver- 62 waltung des Versicherungsvertrages bzw. die selbständige Wahrnehmung von Rechten und Pflichten aus dem Vertrag übertragen, so dass der Dritte in nicht unbedeutendem Umfang in die Lage versetzt wird, für den VN zu handeln.121 Durch diese Verlagerung darf das vertraglich oder gesetzlich geschützte Interesse des VR an der Einhaltung von Obliegenheiten nicht beeinträchtigt werden. Der VN kann sich nicht von seinen Obliegenheiten befreien, sondern muss sich das Verhalten seines Repräsentanten zurechnen lassen.122 Repräsentation kraft Vertragsverwaltung ist nach umstrittener Auffassung sowohl vor als auch nach Eintritt des Versicherungsfalls möglich.123 So treffen den VN auch vor Eintritt des Versicherungsfalls Anzeige- und sonstige Obliegenheiten, deren Verletzung nachteilige Rechtsfolgen für ihn nach sich ziehen können.124 Für eine Vertragsverwaltung spricht etwa der Umstand, dass der Dritte
114
115 116 117
118
BGH 14.3.2007 VersR 2007 673 f. Rn. 8; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 146; s.a. Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 61 (der eine Analogie zu § 278 BGB vorschlägt). BGH 21.4.1993 VersR 1993 830, 831 = RuS 1993 308. Bundschuh ZVersWiss 1993 39, 46. BGH 21.4.1993 VersR 1993 828, 829; BGH 27.2.1964 VersR 1964 475; OLG Hamm 23.11.1994 VersR 1995 1437, 1438; OLG Karlsruhe 16.3.1995 RuS 1995 442 f.; OLG Köln 12.5.1998 RuS 1998 399, 401; OLG Köln 29.3.1990 VersR 1990 1226, 1227. BGH 10.2.1999 VersR 1999 1004, 1006; BGH 21.4.1993 VersR 1993 830, 831 = RuS 1993 308; LG Paderborn 9.5.2007
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RuS 2008 65, 66; abw. u.a. Pauly ZfS 1996 281, 282 f. BGH 16.6.1993 VersR 1994 45, 48. BGH 21.4.1993 BGHZ 122 250, 253 = VersR 1993 828, 829 = NJW 1993 1862, 1864; OLG Karlsruhe 16.3.1995 RuS 1995 442; Langheid/Müller-Frank NJW 1993 2652, 2653; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 147 ff. BGH 21.4.1993 BGHZ 122 250, 254 = VersR 1993 828, 829 = NJW 1993 1862, 1864; krit. Lücke VersR 1996 785, 796. BGH 14.3.2007 VersR 2007 673, 674 Rn. 8. A.A. etwa Bruck/Möller/Johannsen/Johannsen 8 Bd. 3 Anm. G 49. BGH 14.3.2007 VersR 2007 673, 674 Rn. 8; zust. A. Staudinger NJW 2007 2040.
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223
§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
• sämtliche Versicherungsangelegenheiten bezüglich des versicherten Risikos übertragen erhalten hat.125 • die Verhandlungen mit dem VR allein oder fast ausschließlich führt, z.B. die Schadenanzeige ausfüllt und unterschreibt.126 • verpflichtet ist, den Versicherungsfall anzuzeigen oder Auskünfte zu erteilen. • berechtigt ist, die Versicherungssumme auf ein eigenes Konto einzufordern.127
Die Fälle zur Repräsentantenhaftung lassen sich typologisieren.128 Hier seien nur einige Beispiele genannt: Allein die Eigenschaft als Ehepartner oder Lebensgefährte des VN begründet weder in der Risiko- noch in der Vertragsverwaltung eine Repräsentantenstellung.129 Es müssen weitere besondere Umstände hinzutreten. Entsprechendes gilt etwa für Mitarbeiter in leitender Stellung oder Arbeitnehmer.130 Des Weiteren ist der Rechtsanwalt in aller Regel kein Repräsentant.131 Der VN hat für das – selbst vorsätzliche – Verhalten seines Repräsentanten wie für 64 eigenes Verhalten einzustehen.132 Eine Zurechnung des Repräsentantenverhaltens erfolgt indes nur insoweit, als der VN den Dritten an seine Stelle hat treten lassen. Überträgt er dem Dritten die selbständige Wahrnehmung seiner Befugnisse nur in einem bestimmten, abgrenzbaren Geschäftsbereich, so ist die Zurechnung darauf beschränkt und kann nicht auf andere Tätigkeitsbereiche ausgedehnt werden. Im Fall der Vertragsverwaltung muss sich der VN ein Fehlverhalten des Repräsentanten nur in Vertragsangelegenheiten zurechnen lassen. Dies betrifft Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls, sowie die Anzeige von Gefahrerhöhungen und Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls. Dagegen braucht sich der VN das Verhalten des Vertragsverwalters, das zum Eintritt des Versicherungsfalls führt, nicht zurechnen lassen, sofern ihm nicht auch die Gefahrverwaltung übertragen ist.133
63
65
b) Unfallversicherung. Die Repräsentantenhaftung spielt – anders als in der Schadenversicherung – in der Unfallversicherung keine nennenswerte Rolle.134 In der Rechtsprechung und Literatur wird sie für diesen Versicherungszweig kaum angesprochen. Lediglich für die Kraftfahrt-Unfallversicherung wird ihr eine gewisse praktische Bedeutung zugemessen.135 Dies liegt an Folgendem: Die Risiko- bzw. Gefahrverwaltung durch einen Repräsentanten ist in der Unfallver66 sicherung nicht relevant. Die Begründung hierfür findet sich sowohl in systematischen als auch allgemeinen Erwägungen. • Die Risikoverwaltung durch den Repräsentanten wird typischerweise im Zusammenhang mit § 81 (Nachfolgeregelung von § 61 a.F.) diskutiert. Die dort geregelte schuldhafte – insbesondere die grob fahrlässige – Herbeiführung des Versicherungsfalls findet indes in der Schadenversicherung eine andere Behandlung als in der Unfallversicherung. Für die Unfallversicherung gelten mit §§ 178 Abs. 2, 183 Sonderbestimmungen, während § 81 – wie sich aus der Kapitelüberschrift ergibt – nur für die Schaden-, nicht aber für die Unfallversicherung anwendbar ist. Vielmehr sind
125 126 127 128 129
OLG Bremen 29.7.1997 VersR 1998 1149. BGH 14.3.2007 VersR 2007 673, 674 Rn. 12 f. BGH 21.4.1993 BGHZ 122 250, 254 f. Cyrus Rn. 84 ff. BGH 4.5.1994 RuS 1994 284, 285; BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 465; OLG Koblenz 28.3.1980 VersR 1980 916, 917.
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130 131
132 133 134 135
Schirmer ZVersWiss 1992 381, 405 ff. BGH 8.1.1981 VersR 1981 321; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 155; s.a. Cyrus Rn. 183 ff. BGH 14.3.2007 VersR 2007 673 Rn. 8. BGH 14.3.2007 VersR 2007 673, 674 Rn. 9. Wüstney § 10 Anm. 1. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 6 und 11.
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Versicherte Person
§ 179
in der Unfallversicherung auch die Körperverletzung oder Tötung der versicherten Person durch beliebige Dritte – einschließlich durch Familienangehörige, Freunde usw. – deckungspflichtig, wenn zugleich die übrigen Voraussetzungen des Unfallbegriffs (§ 178 Abs. 2) erfüllt sind.136 „Vertragswidrige Verhaltensweisen“ des VN, der versicherten Person oder sonstiger Dritter vor oder bei Eintritt des Unfalls (z.B. Selbstverstümmelung) sind auf Tatbestandsebene (z.B. Nachweis der freiwilligen Gesundheitsschädigung durch den VR) oder mit Hilfe von Ausschlusstatbeständen (z.B. Nachweis einer Bewusstseinsstörung der versicherten Person durch den VR) zu lösen. • In der Unfallversicherung passen die für die Repräsentantenhaftung maßgeblichen Zurechnungserwägungen nicht. Es ist ausgeschlossen, dass ein Repräsentant im Rahmen einer Risikoverwaltung an die Stelle des versicherten VN tritt, für diesen in nicht ganz unbedeutendem Umfang handelt und die Verantwortung für den Erhalt des körperlichen Wohlbefindens der versicherten Person übernimmt. Bei der Sachversicherung sind die klassische Obhut über Gegenstände und die Verkehrssicherungspflicht Anknüpfungspunkt für die Zurechnung. Für die Unfallversicherung spielen diese Faktoren keine Rolle. Der VN kann die Sorge und Obhut für die Unversehrtheit der eigenen Gesundheit nicht bzw. jedenfalls nicht in dem Maß wie bei einer Sache auf einen Dritten übertragen.
Im Rahmen der Vertragsverwaltung besteht in der Unfallversicherung nur wenig Raum 67 für eine Repräsentantenhaftung. Sofern es zu Obliegenheitsverletzungen kommt, besteht regelmäßig keine Notwendigkeit dazu, eine Repräsentation des VN durch Dritte zu prüfen: • Nach § 179 Abs. 3 ist im Fall der Fremdversicherung auch die Kenntnis und das Verhalten der versicherten Person zu berücksichtigen (s.a. Ziff. 12.1 Satz 2 AUB 99/2008). • Ziff. 12.2 AUB 99/2008 sieht vor, dass alle für den VN geltenden Bestimmungen auf seinen Rechtsnachfolger und sonstige Anspruchsteller entsprechend anzuwenden sind.
Denkbar ist ein Rückgriff auf die Repräsentantenhaftung etwa dann, wenn der VN nach Eintritt eines (vermeintlichen) Unfalls einer am Vertrag unbeteiligten Person die eigenständige Korrespondenz mit dem VR überlässt und es dabei zu einer Verletzung von Unterrichtungs-, Anzeige- bzw. Mitteilungspflichten kommt.137 In solchen Fällen wird indes regelmäßig der Dritte bereits als Wissenserklärungsvertreter oder Wissensvertreter anzusehen sein (dazu sogleich). Ob insofern der Repräsentation durch bloße Vertragsverwaltung neben der Wissenserklärungsvertretung eine eigenständige Bedeutung zuzumessen ist, kann bezweifelt werden.138 2. Wissenserklärungsvertreter Der VN muss sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH falsche Angaben dritter 68 Personen in entsprechender Anwendung des § 166 BGB zurechnen lassen, wenn er diese Personen zur Erfüllung seiner Aufklärungsobliegenheit beauftragt bzw. betraut hat und sie dann die Auskünfte an seiner Stelle aus eigenem Wissen geben.139 Die analoge Anwendung des § 166 BGB erklärt sich aus dem Umstand, dass es bei der Erfüllung von Obliegenheiten häufig nicht um die Abgabe von Willens-, sondern Wissenserklärungen handelt.140 Bei der Haftung handelt es sich um keinen Anwendungsfall der Repräsentan136 137 138 139
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 6. OLG Hamm 27.6.1986 RuS 1986 267. Looschelders VersR 1999 666, 671 f.; Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 62. S. nur BGH 14.12.1994 BGHZ 128 167, 169 = VersR 1995 281 = RuS 1995 81; BGH 30.4.1981 VersR 1981 948, 950 = NJW 1981 1952, 1953; BGH 14.12.1967 VersR 1968 185, 186; BGH 25.10.1952
140
VersR 1952 428; OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 1254, 1255. RG 28.6.1904 RGZ 58 342, 346; Lücke VersR 1996 785, 801; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 160; krit. etwa Bruns ZVersWiss 2007 485, 488 f., die § 164 Abs. 1 BGB als Zurechnungsgrundlage heranzieht (S. 490 ff.); Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 52.
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
tenhaftung, sondern um eine Haftung kraft eigenen Zurechnungsgrundes.141 Im Gegensatz zum Wissensvertreter (Rn. 76), der Vertreter in der Kenntniserlangung ist, gibt der Wissenserklärungsvertreter Kenntnisse weiter.142 Wissenserklärungsvertreter ist nicht nur, wer vom VN zu dessen rechtsgeschäftlichem 69 Vertreter bestellt ist. Es genügt, dass der VN den Dritten mit der Erfüllung seiner Obliegenheiten gegenüber dem VR – generell oder für den Einzelfall – betraut hat und dass der Dritte die Erklärungen selbständig anstelle des VN abgibt.143 Dabei steht das pflichtwidrige Unterlassen einer gebotenen Mitteilung der Falschangabe gleich. Des Weiteren ist § 180 BGB entsprechend anwendbar. Eine Zurechnung kommt also auch in Betracht, wenn der VN die Erklärung des Dritten nachträglich inhaltlich genehmigt.144 Erst in der Übertragung bestimmter Aufgaben – wenn zu ihnen die Abgabe von 70 Erklärungen gegenüber dem VR gehört – liegt der Grund, weshalb es gerechtfertigt ist, diese Erklärungen des Dritten dem VN zuzurechnen.145 Der VN soll sich der Verantwortung für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufklärungsobliegenheit nicht einfach entledigen können, indem er diese Obliegenheit einen anderen wahrnehmen lässt.146 Lässt der VN den anderen für sich handeln, so muss er vielmehr in Kauf nehmen, dass dieses Handeln wie sein eigenes gewertet wird.147 Der Dritte muss die Erklärung anstelle des VN abgegeben, also namens des VN 71 unterschrieben haben.148 Kein Fall der Zurechnung des Verhaltens eines Wissenserklärungsvertreters, sondern Haftung für eigenes Handeln liegt vor, wenn der Dritte • als bloße Schreibhilfe fungiert. So liegt etwa der Fall, in dem der VN beim Ausfüllen des Schadenformulars die Hilfe des Versicherungsvertreters in Anspruch nimmt, selbst die vom Vermittler festgehaltenen Angaben macht und dann die Erklärung prüft sowie in eigener Person durch Unterzeichnung des Schadenberichts abgibt. • Ausfüllgehilfe ist. Ein solcher Sachverhalt liegt vor, wenn der VN das von einem Dritten nach seinen Informationen ausgefüllte Frage- oder Schadenformular ungelesen unterschreibt,149 ein Dritter das Formular aus eigenem Wissen ausfüllt und der VN das ausgefüllte Formular anschließend (ungeprüft) unterschreibt 150 oder der VN das Formular zunächst blanko unterschreibt und es dann ohne abschließende Überprüfung von einem Dritten (eigenverantwortlich oder nach seinen Informationen) ausfüllen lässt.151
In allen vorstehenden Fällen macht der Unterzeichnende aus Sicht des Erklärungsempfängers die Erklärung durch seine Unterschrift zu einer eigenen.152
141 142 143 144 145 146 147 148 149 150
BGH 2.6.1993 BGHZ 122 388, 389 = VersR 1993 960, 961 = NJW 1993 2112, 2113. Richardi AcP 169 (1969) 385, 386. OLG Frankfurt/M. 21.1.1999 RuS 2002 37; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 159. Lücke VersR 1996 785, 802. BGH 2.6.1993 BGHZ 122 388, 389 = VersR 1993 960, 961 = NJW 1993 2112, 2113. OLG Köln 26.11.1979 VersR 1981 66 f. BGH 14.12.1967 VersR 1968 185, 186. Lücke VersR 1996 785, 801. BGH 14.12.1967 VersR 1968 185, 186. BGH 14.12.1994 BGHZ 128 167, 169 =
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VersR 1995 281 = RuS 1995 81; OLG Hamm 24.7.1998 RuS 1999 10, 11; OLG Hamm 2.10.1996 RuS 1997 1. OLG Frankfurt/M. 13.5.1992 VersR 1993 344; OLG Hamm 1.12.1999 VersR 2000 1135; OLG Hamm 29.9.1993VersR 1994 802, 804; Lücke VersR 1996 785, 801; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 162; a.A. OLG Frankfurt/M. 21.1.1999 RuS 2002 37; OLG Köln 10.11.1986 RuS 1987 82. BGH 14.12.1994 BGHZ 128 167, 169; OLG Hamm 22.6.1998 RuS 1998 363, 364; OLG Köln 12.5.1998 RuS 1998 399, 401.
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Versicherte Person
§ 179 72
Als Wissenserklärungsvertreter kommen etwa in Betracht der • Angestellte, wenn der VN ihn umfassend mit der Bearbeitung der Versicherungssache betraut hat.153 • Arbeitgeber, wenn er auf Wunsch des VN Bescheinigungen ausstellt.154 • Arzt, vorausgesetzt der VN – nicht der VR – hat diesen mit der Beantwortung der Gesundheitsfragen beauftragt.155 Diese Konstellation ist selten, da in der Regel der VR den Arzt im Rahmen der Risiko- oder Leistungsprüfung um Auskunft bittet. • (vom VN ausgewählte) Rechtsanwalt, der die Korrespondenz mit dem VR führt156 bzw. der mit der Abwicklung des Schadens und damit auch mit der Abgabe der notwendigen Erklärungen betraut ist. Das Wissen und Verhalten des Anwalts (Falschangaben bzw. pflichtwidriges Unterlassen gebotener Mitteilungen) muss sich der VN dann zurechnen lassen.157
Kein Wissenserklärungsvertreter ist etwa der
73
• Bote, der die Erklärung eines anderen lediglich zu übermitteln hat. Bei einem Fehlverhalten des Boten haftet der VN nur für das Auswahlverschulden.158 • Sachverständige, der dem aus eigener Anschauung nicht unterrichteten VN als „Wissensquelle“ dient. • Zeuge, der z.B. Angaben des VN bestätigt.159
Diese Personen treten bei ihrer Auskunftserteilung nicht an die Stelle des VN. Ein Ehegatte oder Lebensgefährte – genauso der Sohn/die Tochter – ist nicht ohne 74 weiteres als Wissenserklärungsvertreter anzusehen.160 Eine analoge Anwendung des § 166 BGB scheidet von vornherein aus, wenn bei Erstattung der Schadensanzeige bereits die Scheidungsklage erhoben war.161 Aber auch bei Bestehen einer ungestörten ehelichen Lebensgemeinschaft kann allein die Ehegatteneigenschaft nicht schon die Annahme begründen, der Ehegatte sei stets Wissenserklärungsvertreter. Für die Zurechnung der Erklärungen des Ehegatten ist erforderlich, dass der VN ihn mit der Abgabe von Erklärungen gegenüber dem VR betraut hat.162 Dazu müssen konkrete Anhaltspunkte festzustellen sein. Die häusliche Lebensgemeinschaft lässt nicht schon den Schluss zu, der Ehegatte solle berechtigt sein, für den VN Wissenserklärungen abzugeben. Aus § 1357 BGB ergibt sich nichts anderes. Vielmehr muss sich aus den Umständen ausdrücklich oder konkludent ergeben, dass der VN seinen Ehegatten schon vor oder nach dem Versicherungsfall generell damit betraut hat, für ihn die notwendigen Angelegenheiten mit dem VR zu regeln und die erforderlichen Erklärungen abzugeben. Das Bestehen eines besonderen Vertrauens zwischen den Ehepartnern oder die Mitarbeit des Ehegatten im Betrieb des VN reicht allein nicht aus. Wissenserklärungsvertreter ist der mitarbeitende Ehegatte nur dann, wenn das Vertrauen des VN zu einer Tätigkeit und zu Befugnissen geführt hat,
153
154 155 156 157
158
OLG Köln 21.9.1989 VersR 1990 1225; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 166; krit. Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 55. Grimm 4 Ziff. 13 AUB 99 Rn. 4. S. etwa Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 166; Wendt/Jularic VersR 2008 41 f. und 45. OLG Nürnberg 26.11.1981 VersR 1982 695. OLG Celle 5.7.1989 VersR 1990 376; OLG Hamm 31.5.1996 NJW-RR 1997 91, 92; OLG Köln 15.4.1997 VersR 1997 1394; OLG Köln 26.11.1979 VersR 1981 669 f.; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 165. Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 163.
159 160
161
162
Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 53. OLG Koblenz 28.3.1980 VersR 1980 916, 917; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 10 AUB 94 Rn. 5; Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 54; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 164; a.A. wohl OLG Stuttgart 24.6.1975 VersR 1979 366, 367. BGH 2.6.1993 BGHZ 122 388, 390 = VersR 1993 960, 961 = NJW 1993 2112, 2113; BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 465. S. etwa OLG Stuttgart 7.2.1991 RuS 1992 331, 333; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 164.
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227
§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
die den Schluss erlauben, dass der VN seinen Ehegatten auch damit betraut hat, Erklärungen für ihn abzugeben.163 Lag der VN nach dem Unfall längere Zeit in ständiger Bewusstlosigkeit bzw. im Koma im Krankenhaus, so scheidet während dieser Zeit eine Beauftragung des Ehegatten aus.164 Gibt der Ehegatte für den Verletzten dennoch Erklärungen (z.B. mit dem Zusatz „i.A.“), so ist er als Vertreter ohne Vertretungsmacht zu qualifizieren.165 Liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer Wissenserklärungsvertreterschaft 75 vor, so muss sich der VN das Verhalten des Dritten bzw. dessen Erkenntnisse und Erklärungen zurechnen lassen.166 Bei der Prüfung von Obliegenheitsverletzungen ist das Verschulden des Dritten entscheidend; der VN kann sich nicht auf fehlendes eigenes Verschulden berufen.167 Unerheblich für die Zurechnung ist es, ob der Wissenserklärungsvertreter die Erklärungen aus eigenem Wissen abgibt oder das Wissen des VN bzw. eines Dritten weitergibt.168 3. Wissensvertreter
76
Die Frage nach einem Wissensvertreter kann einerseits Bedeutung erlangen, wenn es darum geht, ob der VN Kenntnis von Umständen (z.B. im Rahmen von Anzeige-, Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheiten, aber auch im Zusammenhang mit der Rückwärtsversicherung nach § 2 Abs. 2 S. 2) hat, deren Missachtung dem VR Reaktionsmöglichkeiten (insbesondere die Befugnis, das Vertragsverhältnis durch Ausübung einseitiger Gestaltungsmacht zu beenden bzw. zu ändern oder Leistungen abzulehnen) eröffnen. Hat der VN keine eigene Kenntnis, ist entscheidend, ob ein Dritter die Kenntnis hat und sich der VN diese Kenntnis zurechnen lassen muss. Andererseits kann die Figur des Wissensvertreters auch relevant werden, wenn es um die Zuordnung von Kenntnissen im Organisationsbereich des VR geht (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 15 ff.). Hat ein Wissensvertreter des VR bestimmte Kenntnisse erlangt, so kann dem VR die Ausübung bestimmter Gestaltungsrechte (z.B. infolge von Verletzungen vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten durch den VN) verwehrt sein.169 Anders als der Bevollmächtigte oder Wissenserklärungsvertreter (Rn. 68 ff.) geben 77 Wissensvertreter selbst keine Willens- oder Wissenserklärungen für den Geschäftsherrn ab. Es geht nicht um Vertretung in der Kenntnisweitergabe, sondern in der Kenntniserlangung.170 Wissensvertreter ist vielmehr derjenige, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn in nicht ganz untergeordneter Stelle zumindest in einem Teilbereich damit tatsächlich (nicht unbedingt förmlich) betraut ist, an Stelle des Geschäftsherrn für das Versicherungsverhältnis rechtserhebliche Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen und ggf. weiterzuleiten.171 Die bloße Übertragung bzw. faktische Arbeitsteilung genügt, sofern sie
163 164
165 166 167 168
BGH 2.6.1993 BGHZ 122 388, 390 f. S.a. BGH 2.6.1993 BGHZ 122 388, 390 = VersR 1993 960, 961 = NJW 1993 2112, 2113. OLG Düsseldorf 23.3.1999 VersR 2000 310, 311 = NVersZ 2000 572. OLG Köln 20.1.1994 VersR 1994 1419; OLG Köln 29.10.1990 VersR 1991 95, 96. OLG Stuttgart 7.2.1991 RuS 1992 331, 333. Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 161; Prölss/ Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 53.
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169 170 171
S. z.B. OLG Hamm 15.6.1953 VA 1953 267, 271 Nr. 55. Richardi AcP 169 (1969) 385, 386 S. nur BGH 21.6.2000 VersR 2000 1133, 1134; BGH 24.1.1992 BGHZ 117 104, 106 f.; BGH 14.4.1971 VersR 1971 538, 539; OLG Frankfurt/M. 22.11.2001 NVerZ 2002 523, 524; OLG Hamm 23.11.1994 VersR 1995 1437, 1438; Prölss/Martin/ Prölss 27 § 6 Rn. 79; Waltermann AcP 192 (1992) 181, 198 ff.
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Versicherte Person
§ 179
auf dem Wissen und Wollen des Geschäftsherrn beruht.172 Eine rechtsgeschäftliche Vertretung ist nicht erforderlich.173 Die Befugnis zur Gefahrverwaltung oder bestehende Vertretungsmacht schaden aber natürlich auch nicht.174 Die Rechtsgrundlage wird in einer Analogie zu § 166 BGB als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens gesehen.175 Wissensvertreter des VN kann z.B. der Versicherungsmakler sein, den der VN mit der Weiterleitung seines Antrags an den VR betraut hat.176 Ist der Dritte als Wissensvertreter anzusehen, so kann sich der Geschäftsherr nicht 78 darauf berufen, selbst keine Kenntnis erlangt zu haben.177 Das fremde Wissen ist auf den Geschäftsherrn zu projizieren. Er muss sich so behandeln lassen, als habe er mit den betreffenden Kenntnissen des Dritten gehandelt.178
C. Versicherungsvertrag Die Beurteilung des Unfallversicherungsvertrags unterliegt keinen besonderen Rechts- 79 regeln. Seine Rechtsnatur, sein Zustandekommen, seine Wirksamkeit, seine Veränderung und Beendigung usw. unterliegt dem allgemeinen Versicherungsvertrags- und Zivilrecht.
I. Rechtsnatur Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass der Unfall-Versicherungsvertrag privat-recht- 80 licher Natur ist und den Charakter eines Dauerschuldverhältnisses aufweist.179 Es handelt sich um einen gegenseitigen schuldrechtlichen Vertrag sui generis, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der VN Prämien als Entgelt für die Pflicht des VR zahlt, bei Eintritt des Versicherungsfalls die vertraglich zugesagten Leistungen für Unfallfolgen zu erbringen (§ 1).180 Die Verpflichtung des VN zur Prämienzahlung steht entweder mit der Verpflichtung des VR zur Gefahrentragung (sog. Anwartschafts-, Gefahr- bzw. Risikotragungstheorie) oder mit der durch den Eintritt des Versicherungsfalls aufschiebend bedingten (§ 158 Abs. 1 BGB) Zahlungspflicht des VR (sog. Geldleistungstheorie) in einem Synallagma.181 Die gegenteilige Auffassung, die das Leistungsverhalten des VR in Dienstleistungs-, Geschäftsbesorgungs- und Treuhandelemente aufteilt und der Versichertengemeinschaft das Risiko zuweist, wenn der Versicherungsfall eintritt, hat sich weder im alten Recht 182 noch in der rechtspolitischen Diskussion durchsetzen können. Das Treuhandmodell, nach dem die allein entgeltfähige Leistung des VR in der Verwaltung des
172 173
174 175
Reiff RuS 1998 133, 137. RG 8.3.1921 RGZ 101 402, 403; Richardi AcP 169 (1969) 385, 398; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 167. Lücke VersR 1996 785, 802. Eingehend Richardi AcP 169 (1969) 385, 387 ff. (zusammenfassend 403); Waltermann AcP 192 (1992) 181, 185 ff. (insbesondere 189 ff., 194 ff.; zusammenfassend 225 f.); krit. Bruns ZVersWiss 2007 485, 493 ff., die § 164 Abs. 3 BGB als Zurechnungsgrundlage heranzieht; Prölss/Martin/ Prölss 27 § 6 Rn. 80 ff.; s.a. Medicus Probleme der Wissenszurechnung S. 4, 8 ff.
176 177 178 179 180 181
182
BGH 21.6.2000 VersR 2000 1133, 1134 f. Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 167. Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 81. Siehe nur Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 11; Hartwig/Möhrle VersR 2001 35. Näher Bruck/Möller/Baumann § 1 Rn. 190 ff. So u.a. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 25; eingehend u.a. Eppe VersR 2008 1316, 1317 ff.; Leverenz VersR 1997 652, 655 f. m.w.N. Näher dazu etwa Hartwig/Möhrle VersR 2001 35, 36 ff.; Möhrle S. 31 ff.
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
ihm zu diesem Zweck von dem VN treuhänderisch zur Verfügung gestellten Geldes besteht,183 findet weder in den gängigen Vertragsregelungen (z.B. den AUB 88) 184 noch im Gesetz eine Stütze.185 Sie ist auch verfassungsrechtlich zur Wahrung des Grundrechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG (Privatautonomie) oder Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) nicht geboten.186 Die Prämienzahlung geht vielmehr vollständig in das unternehmerische Eigentum über.187 Folgerichtig hat der Gesetzgeber keinen Handlungsbedarf gesehen, mit der VVG-Reform 2008 an der schon bisher geltenden Rechtslage Änderungen vorzunehmen. Die Gesetzesmaterialien bringen zum Ausdruck, dass das Konstrukt eines Geschäftsbesorgungsvertrages nicht mit der bisherigen Versicherungsorganisation in Einklang stehe, sondern nur als Option für die Zukunft in Betracht komme.188
II. Zustandekommen des Vertrages 81
Der Unfallversicherungsvertrag kommt gemäß den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln (§§ 116 ff., 145 ff. BGB), ergänzt durch die Spezialvorschriften des VVG, durch Angebot und Annahme zustande. Beim Vertragsschluss bestehen gegenüber anderen Versicherungsverträgen – bis auf das Einwilligungserfordernis der versicherten Person bei der Unfallfremdversicherung für eigene Rechnung (Rn. 190 ff.) – keine Besonderheiten. 1. Vertragsfreiheit
82
Zwischen den Beteiligten des Unfall-Versicherungsvertrages herrscht der Grundsatz der Vertragsfreiheit.189 Dies bedeutet zum einen, dass sowohl für den VN als auch den VR kein Kontrahierungszwang besteht. Anderes gilt auch dann nicht, wenn eine Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung, für die gemäß § 5 Abs. 2 und 4 PflVersG Kontrahierungszwang des Haftpflichtversicherers besteht, gleichzeitig – auf einem Formular – mit einer Kraftfahrt-Unfallversicherung beantragt wird.190 Voraussetzung für eine Vertragsabschlusspflicht des VR wäre die Unentbehrlichkeit der privaten Unfallversicherung als monopolistisches Gut für das Gemeinwohl und die durch ihr Vorenthalten bedingte Gefährdung notwendiger Lebensbedürfnisse oder Belange des Einzelnen und der Allgemeinheit. Eine so grundlegende Bedeutung für die Lebensgestaltung des Einzelnen kommt der Unfallversicherung jedoch nicht zu, zumal der Gesetzgeber auch im Rahmen der Neuregelung des VVG einen Kontrahierungszwang nicht vorgesehen hat. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist hinzunehmen.191 Eine Pflicht des VN, eine Unfallversicherung abzuschließen, kann sich ausnahmsweise aus dem Gesetz (zur Pflichtversicherung s. § 190) oder seinem Rechtsverhältnis mit der versicherten Person ergeben.192 So kann der Gesetzgeber z.B.
183 184 185 186
187 188
So OLG Nürnberg 23.5.1991 VuR 1991 274, 277 f. (für die UBR). BVerfG 29.5.2006 VersR 2006 961, 963 Rn. 30. Leverenz VersR 1997 652 656 f.; so auch Knappmann RuS 2007 45, 46. So ganz deutlich BVerfG 29.5.2006 VersR 2006 961, 963 = RuS 2006 426 Rn. 29 und 31 f. BVerfG 26.7.2005 VersR 2005 1127, 1131. Begründung RegE zu § 1, BT-Drucksache
230
189 190
191 192
16/3945 vom 20.12.2006 S. 56; ferner Abschlussbericht S. 9; s.a. Eppe VersR 2008 1316, 1320 f. Allgemein hierzu Bruck/Möller/Baumann § 1 Rn. 213 ff. BGH 23.2.1973 VersR 1973 409 = NJW 1973 751; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 3. OLG Karlsruhe 18.12.2007 VersR 2008 522 = RuS 2009 74 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 3.
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Versicherte Person
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eine obligatorische Passagier-Unfallversicherung vorsehen (s. den inzwischen aufgehobenen § 50 S. 1 LuftVG a.F.). Weiterhin kommt es gelegentlich vor, dass die versicherte Person vertraglich verpflichtet wird, einer bestehenden Unfallversicherung „beizutreten“. Eine derartige Verpflichtung kann sich etwa aus dem Arbeitsvertrag zwischen dem VN (Arbeitgeber) und der versicherten Person (Arbeitnehmer) ergeben. Allerdings kann der VR nicht (willkürlich) nach sachfremden Kriterien Versicherungs- 83 schutz versagen. Vielmehr setzt das Gesetz vornehmlich mit dem VAG und AGG Grenzen (Vorbem. § 178 Rn. 96 ff.). Schon das BAV ist Bestrebungen der Versicherungswirtschaft entgegen getreten, bestimmte Bevölkerungsgruppen von der Möglichkeit privater Unfallvorsorge auszuschließen. So hat es sich dagegen ausgesprochen, die Versicherbarkeit von HIV-Infizierten generell zu verneinen. Der Gefahr, dass eine Aids-Erkrankung bzw. die mit der Infektion verbundene Immunschwäche als unfallabhängige Ursache zu einem schlechteren Heilungsverlauf und damit zunächst zu Leistungserweiterungen führen könne, sei mit Hilfe der Mitwirkungsklausel Rechnung zu tragen.193 Zum anderen kann der Vertragsgegenstand grundsätzlich frei vereinbart werden 84 (Inhaltsfreiheit).194 Trotz Schaffung eines gesetzlichen Leitbildes für die Unfallversicherung in §§ 178 ff. hat der Gesetzgeber explizit nicht angestrebt, die Freiräume für die Gestaltung von Unfallversicherungsprodukten einzuschränken. Im Rahmen der allgemeinen zivilrechtlichen Grenzen können Art und Umfang weiterhin frei bestimmt werden (§ 178 Rn. 1 ff.). Insbesondere bleibt es nach wie vor den Vertragsparteien überlassen, den Versicherungsfall zu definieren (§ 178 Rn. 160 ff.). Die Gestaltungsfreiheit des VR kann allerdings durch aufsichtsrechtliche Regelungen eingeschränkt sein. Zu denken ist hierbei insbesondere an das Begünstigungsverbot (Vorbem. § 178 Rn. 78). 2. Beratung und Information Das Gesetz ist bestrebt, dem Versicherungskunden eine informierte Entscheidung dazu 85 zu ermöglich, ob und mit welchem Inhalt er den Versicherungsvertrag mit dem VR schließt. Um dies zu gewährleisten, sieht das VVG 2008 mannigfaltige Informations-, Hinweis-, Beratungs- und Dokumentationspflichten für den VR und den Vermittler vor.195 a) Vor Vertragsschluss. Zunächst hat dem Vertragsschluss eine Befragung und Bera- 86 tung des VN durch den VR und/oder dem Vermittler voranzugehen, für die eine dem VN auszuhändigende Dokumentation zu erstellen ist (§§ 6, 59 ff.). Im Rahmen der Beratung zu einer Unfallversicherung empfiehlt es sich grundsätzlich, u.a. folgende Daten beim Kunden zu erfragen:196 • Abzusicherndes Risiko (zur Ermittlung der in Betracht kommenden Versicherungssparten); • gewünschte Leistungen (zur Bestimmung der in Betracht kommenden Leistungsarten und Festlegung der Versicherungssummen); • bestehender Unfallversicherungsschutz für die versicherte Person (zur Ermittlung möglicher Deckungslücken und Vermeidung einer etwaigen „Überversicherung“);
193 194
195
GB BAV 1991 88 Nr. 9.2.6. S. etwa BGH 21.3.1990 BGHZ 111 29, 33 = VersR 1990 618, 619; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 11 und 32. Übersicht bei Leverenz Vertragsschluss S. 219 ff.
196
S. z.B. http://www.charta.info/cms/cms_files/ unfall_risikoanalyse_182be0c5.doc; ferner Kloth Rn. C 54.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
• Alter des VN und der versicherten Person (zur Prüfung des wirksamen Vertragsschlusses sowie Ermittlung besonderer Zielgruppenprodukte und spezieller Versicherungsleistungen); • Beruf der versicherten Person (zur Bestimmung der Gefahrengruppe und zum Vorstellen besonderer Versicherungsleistungen etwa für Mediziner); • besondere Risiken der versicherten Person, insbesondere bestehende Krankheiten, Gebrechen oder Beschwerden, bereits erlittene Unfälle (ggf. Vorinvalidität), Ausübung von Extremsportarten oder besondere Fehlsichtigkeit, um ggf. Risikoausschlüsse und Leistungsbegrenzungen zu bestimmen und hierfür Möglichkeiten zur Vereinbarung von speziellem Versicherungsschutz sowie Einschlüsse über Besondere Bedingungen zu ermitteln; • persönliche Verhältnisse (ggf. zur Ermittlung weiterer versicherter Personen); • verfügbare Mittel des Beitragszahlers für die Prämienzahlung (zur Vermeidung einer finanziellen Überforderung des Kunden).
Des Weiteren sind dem VN eine Vielzahl von Informationen rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung in Textform auszuhändigen (§ 7 i.V.m. der VVG-InfoV).197 Zu bezweifeln ist, dass der Versicherungskunde die Flut an (spröden) Informationen tatsächlich zur Kenntnis nehmen, verstehen und in seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen wird.198 aa) Adressat. Kontrovers wird diskutiert, wer vom VR informiert werden muss. So ist streitig, ob in dem Fall, dass VN und versicherte Person nicht identisch sind, der VR nur den VN 199 oder (unter bestimmten Voraussetzungen) auch die versicherte Person 200 zu informieren hat. Diese Frage wird etwa bei Fremdversicherungen oder GruppenUnfallversicherungen relevant, bei denen die versicherte Person wirtschaftlich gesehen Prämienzahler und Empfänger etwaiger Versicherungsleistungen sein soll. Es lässt sich – abhängig von der jeweiligen Vertragsausgestaltung – argumentieren, dass bei (unechten) Gruppenversicherungen oder Sammelversicherungen (Rahmenverträgen) nicht die bloße Bezeichnung der Beteiligten als versicherte Person oder VN (z.B. im Antrag) für die Erteilung der Vertragsinformationen entscheidend sein und insbesondere der versicherten Person nicht der Status als informationsbedürftiger VN genommen werden dürfe (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).201 An die Frage, „ob“ und in welchen Konstellationen die als versicherte Person bezeichnete Person Vertragsinformationen erhalten muss, schließt sich die Diskussion an, wer die Informationspflicht zu erfüllen hat, insbesondere ob und inwieweit gerade bei Gruppenversicherungsverträgen den VN (als „Gruppenspitze“) gegenüber der versicherten Person Informationspflichten treffen können.202 Wird dies bejaht, kommt wiederum in Betracht, dass der VN den VR wegen mangelhafter Beratung in Anspruch nimmt, wenn der VR den VN nicht auf dessen Informationspflichten gegenüber der versicherten Person hingewiesen hat. Des Weiteren ist noch ungeklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen es bei Ein88 schaltung eines Versicherungsmaklers durch den VN zulässig ist, die Vertragsinformatio-
87
197
198 199
Allgemein hierzu Bruck/Möller/Hermann § 7 Rn. 9 ff.; Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/1 ff.; Präve VersR 2008 151 ff. Brömmelmeyer VersR 2009 584, 586; Schubach AnwBl. 2008 27 f. So OLG Frankfurt 9.10.2002 VersR 2003 361, 362 = RuS 2004 78; Franz VersR 2008 1565, 1572 ff.; ders. VersR 2008 298, 300; Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/6 ff.
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So Marlow/Spuhl 3 S. 15 f.; Reinicke RdA 2009 13, 18 f. (für den Fall der Entgeltumwandlung in der bAV); Schimikowski FS Wälder S. 51, 52 ff., zusammenfassend S. 65 (insbesondere für die Restschuldversicherung). Schimikowski FS Wälder S. 51, 60 ff. und 64 f. Dazu Franz VersR 2008 1565, 1569 ff.
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nen nur dem Makler und nicht dem VN zukommen zu lassen (sog. Stellvertretermodell). Maßgebend ist hier, ob der Versicherungsmakler ausreichend legitimiert ist, für den Kunden Informationen entgegen zu nehmen.203 bb) Vertragsinformationen. Die vom VR zu erteilenden Vertragsinformationen setzen 89 sich zusammen aus • dem Produktinformationsblatt (§ 4 VVG-InfoV), das als eine Art Leitfaden den Vertragsinformationen voranzustellen ist und dem Verbraucher einen kurzen, prägnanten und verständlichen (nicht notwendigerweise abschließenden) Überblick über die wesentlichen Punkte des Vertrags verschaffen soll. Der GDV hat seinen Mitgliedsunternehmen u.a. für die Unfallversicherung eine Reihe von Mustern zur Verfügung gestellt.204 • den allgemeinen – spartenübergreifenden – Vertragsinformationen (§ 1 VVG-InfoV). • den besonderen – für einzelne Versicherungssparten geltenden – Vertragsinformationen (§ 2 VVGInfoV). Sie sind u.a. für die Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr relevant (§ 2 Abs. 4 VVGInfoV). • den Versicherungsbedingungen. • dem Versicherungsschein.
Die Vertragsinformationen entsprechen im Wesentlichen den bisherigen Verbraucherinformationen. Der rechtspolitisch heftig umstrittene Kostenausweis 205 in Eurobeträgen erlangt für die Unfallversicherung bzw. Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr keine Bedeutung. cc) Form. Die Vertragsinformationen sind in Textform zu erteilen.206 Die Übersen- 90 dung per E-Mail bzw. die Übergabe einer CD-Rom oder eines USB-Sticks u.ä. kann genügen. Voraussetzung ist, dass • der Kunde die Daten auch lesbar machen (speichern und ausdrucken) kann.207 • die Mitteilungen in einer dem eingesetzten Kommunikationsmittel entsprechenden Weise klar und verständlich übermittelt werden (§ 7 Abs. 1 S. 2). Die Informationen müssen transparent und leicht aufzufinden sein. Bedenklich ist es, wenn sich der Kunde die für ihn maßgeblichen Informationen mühsam z.B. aus einer Vielzahl von (für ihn irrelevanten) Dateien zusammen suchen muss. In diese Richtung hat der BGH bereits im Zusammenhang mit den Belehrungserfordernissen nach § 39 a.F. entschieden (Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 77).
Ungenügend ist die Einräumung einer Downloadmöglichkeit z.B. auf der Homepage des VR.208 Besonderheiten sind für Telefongespräche zu beachten.209 Die praxistaugliche Erfüllung der in § 5 VVG-InfoV genannten Informationspflichten dürfte mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein.210
203
204 205 206 207 208
Näher Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/11 ff.; Schirmer/Sandkühler ZfV 2007 771, 773 f.; auch Baumann/Beenken S. 47 ff. Abrufbar unter www.gdv.de. S. etwa Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/39 ff. Näher Bruck/Möller/Hermann § 7 Rn. 58; Stockmeier VersR 2008 717, 718 f. Brömmelmeyer VersR 2009 584, 585; Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/66 f. Brömmelmeyer VersR 2009 584, 585; Franz
209
210
VersR 2008 298, 301; Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/67; a.A. Funck VersR 2008 163, 164. Dazu etwa Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/44; Stockmeier VersR 2008 717, 720 ff. S. dazu auch das von Baumann/Beenken S. 65 ff. gebildete Beispiel für ein Telefongespräch.
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dd) Rechtsfolgen. Verstöße gegen die Informationspflichten aus § 7 begründen zivil-, aufsichts- und wettbewerbsrechtliche Konsequenzen.211 Insbesondere kann für den VN ein „ewiges“ Widerrufsrecht bestehen. Des Weiteren kommen u.a. Schadensersatzansprüche des VN gegen den VR in Betracht. Einzelheiten sind z.Z. noch ungeklärt. So ist offen, • welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Vertragsinformationen nicht (bzw. nicht nachweisbar) erteilt wurden, nicht rechtzeitig waren, aber nachgeholt werden, oder sich später ihre Unvollständigkeit, Unrichtigkeit oder Intransparenz herausstellt. Fraglich ist in solchen Fällen u.a., ob der VN stets ein „ewiges Widerrufsrecht“ mit der Folge hat, dass der VR sämtliche Prämien von Anfang an zurückzuzahlen hat.212 Jedenfalls kann der VR seine Informationsverpflichtung nachholen und damit den Beginn der Widerrufsfrist auslösen.213 • wie das Verhältnis zwischen dem Widerrufsrecht und Schadensersatzansprüchen des VN aus Verschulden bei Vertragsschluss zu bewerten ist. Denkbar ist, dass § 9 eine Sperrwirkung zukommt.214
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b) Nach Vertragsschluss. Vornehmlich für den VR bestehen auch nach Vertragsschluss Beratungs-, Hinweis-, Belehrungs- und Informationspflichten. Beratungspflichten des VR während der Vertragslaufzeit ergeben sich vornehmlich aus § 6 Abs. 4. Informationspflichten nach Vertragsschluss sehen § 6 Abs. 1 VVG-InfoV, §§ 7 Abs. 3, 155 vor. So betrifft die Pflicht zur rechtzeitigen Information nach § 7 Abs. 1 S. 1 nicht nur Neuabschlüsse, sondern auch Vertragsänderungen. Streitig ist u.a., ob und in welchen Fällen der VR den VN bei einer Änderung oder Neueinführung von AVB informieren muss (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 51 ff.). 3. Vertragsschluss
93
Das Zustandekommen des Versicherungsvertrages unterliegt grundsätzlich den Regeln des allgemeinen Zivilrechts (§§ 116 ff., 145 ff. BGB). Erforderlich sind insbesondere zwei korrespondierende Willenserklärungen, nämlich Angebot und Annahme, die ausdrücklich oder konkludent sowie im Grundsatz formlos erklärt werden können. In einem Schweigen kann dagegen regelmäßig keine Zustimmung in einen Vertragsschluss gesehen werden (zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages s. auch Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 23).215 Besonderheiten ergeben sich aus versicherungspezifischen Regeln (insbesondere § 7).
94
a) Rechtzeitige Vertragsinformation. Bis zur VVG-Reform 2008 wurde zwischen dem sog. Antrags- und Policenverfahren unterschieden.216 • Kennzeichnend für das Antragsverfahren war, dass der Kunde die im VAG näher bestimmten Verbraucherinformationen vor Antragstellung erhielt. Nach Antragstellung hatte der VN ein Widerrufs- oder Rücktrittsrecht (§ 8 Abs. 4 und 5 a.F.). • Im Policenverfahren wurde dem Kunden die Verbraucherinformation erst nach Antragsstellung meist zusammen mit dem Versicherungsschein zugesandt. An den Vertragsschluss knüpfte sich ein Widerspruchsrecht des VN an (§ 5a a.F.).
211
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Näher etwa Bruck/Möller/Hermann § 7 Rn. 74 ff.; Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/79 ff.; ferner u.a. Schimikowski FS Wälder S. 51, 62 ff. Dazu etwa Marlow/Spuhl 3 S. 33 f. und 36. Armbrüster RuS 2008 493, 496 f.; Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/85.
234
214
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Bejahend Funck VersR 2008 163, 164; differenzierend Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/89. BGH 26.2.1969 VersR 1969 415. Kurzüberblick Leverenz Vertragsschluss Rn. 2/1 ff. m.w.N.
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§ 179
Diese Unterscheidung ist durch die Einführung von § 7 hinfällig geworden. Die gesetzliche Vorgabe, dass der VR dem VN „rechtzeitig“ vor dessen Vertragserklärung umfangreiche Vertragsinformationen (Informationen nach der VVG-InfoV einschließlich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) in Textform mitzuteilen hat,217 führt dazu, dass das sog. Policenmodell (§ 5a a.F.) abgeschafft ist und das herkömmliche Antragsverfahren mit seinem bisherigen Ablauf nicht uneingeschränkt beibehalten werden kann.218 Der Grund hierfür liegt darin, dass es nicht mehr ausreicht, dem Kunden die Vertragsinformationen erst mit der Annahmeerklärung des VR (Versicherungsschein) zuzusenden. Weiterhin reicht es auch nicht ohne weiteres aus, dem Kunden die Vertragsinformationen kurz vor seiner Antragstellung auszuhändigen. Vielmehr muss die Informationserteilung „rechtzeitig“ vor der Vertragserklärung des Kunden erfolgen. Der dabei einzuhaltende Zeitraum lässt sich nicht fest bestimmen, sondern ist vom Einzelfall abhängig.219 Einerseits ist keine Mindestbedenkfrist erforderlich.220 Andererseits kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass stets ein Kundenbesuch ausreichend ist.221 Entscheidend sind vielmehr die Umstände in der Person des Kunden und die Besonderheiten bzw. die Komplexität des Versicherungsprodukts222 bzw. der Vertragsmodalitäten.223 Für eine standardisierte Unfallversicherung wird häufig ein Kundenbesuch bzw. die Übergabe vor Unterzeichnung der Vertragserklärung ausreichen,224 während dagegen für eine Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr eher eine zeitliche Zäsur zu wahren ist.225 b) Vertragsschlussverfahren. Konsequenz des mit der VVG-Reform 2008 geänderten 95 Rechtsrahmens ist, dass nunmehr die nachstehend skizzierten Vertragsschlussverfahren in Betracht kommen.226 Der VR hat den VN nach § 1 Abs. 1 Nr. 12 VVG-InfoV darüber zu informieren, wie der Vertrag zustande kommt. aa) Modifiziertes Antragsverfahren. Das VVG 2008 ist auf das Antragsverfahren 96 ausgerichtet. Schematisch lässt es sich wie folgt darstellen:227 Beratung des Kunden → Aushändigung der Vertragsinformationen nach § 7 → ggf. Überlegungsfrist (Wahrung des Kriteriums „rechtzeitig“) → Antragstellung durch den Kunden (= Angebot) → Risiko-/Annahmeprüfung des VR → Zugang des Versicherungsscheins beim Kunden (= Annahme des VR) → Widerrufsrecht des VN (§ 8) → Ablauf der Widerrufsfrist → Prämienfälligkeit (§ 33).
Problematisch ist beim Antragsverfahren u.a. die Frage, wie der Zugangsnachweis des Versicherungsscheins beim VN sichergestellt werden kann. Verzichtet der VR auf eine Empfangsbestätigung o.ä., droht ein „ewiges Widerrufsrecht“ des VN, da er relativ ein-
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220 221 222 223
Näher Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/1 ff. Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/48 ff. Näher Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/51 ff.; Leverenz VW 2008 392 ff.; Schimikowski RuS 2007 133, 134 ff.; Schimikowski RuS 2006 441, 442; ferner Brömmelmeyer VersR 2009 584, 586 f.; Marlow/Spuhl 3 S. 18 f. Grote/Schneider BB 2007 2689, 2691. A.A. Funck VersR 2008 163 f. Schimikowski/Höra S. 111. Näher Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/57 ff.; Leverenz VW 2008 392, 393 f.; Schimikowski RuS 2007 133, 135 f.; s. ferner etwa
224 225 226
227
Franz VersR 2008 298, 303; Gaul VersR 2007 21, 22; Rixecker ZfS 2007 495. So auch Kloth Rn. C 77. Leverenz Vertragsschluss S. 69 (Tabelle 4); strenger etwa Marlow/Spuhl 3 S. 19. Näher Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/1 ff.; s.a. Franz VersR 2008 298, 301 ff.; Rüffer/ Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1 VVG Rn. 45 ff. Eingehend Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/3 ff.; ähnlich das „Vorschlagsmodell“, s. dazu Honsel VW 2007 359 ff. (krit. dazu Stockmeier VersR 2008 717, 719).
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
fach bestreiten kann, den Versicherungsschein im normalen Postverkehr erhalten zu haben.
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(1) Antrag. Der Antrag ist eine Willenserklärung, für die die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen Anwendung finden. Dies gilt etwa für die Auslegung des Antrags oder seinen Zugang (§ 130 BGB). Vom Antrag sind zugleich abgegebene sog. Wissenserklärungen abzugrenzen. Sie sind Gegenstand von Auskünften bzw. Anzeigen, die dem VR die Beurteilung des übernommenen Wagnisses ermöglichen. Falschangaben können eine Obliegenheitsverletzung begründen (§§ 19 ff., Ziff. 13 AUB 99/2008). Üblicherweise stellt der (zukünftige) VN den Antrag. Zwingend ist dies indes nicht. Das Vertragsschlussverfahren kann auch so ausgestaltet werden bzw. der Einzelfall so liegen, dass der VR dem VN den Antrag unterbreitet (zum Anfrageverfahren s. Rn. 103). Der Antrag muss alle Elemente eines Unfallversicherungsvertrages enthalten. Er muss 98 so detailliert sein, dass der Vertragspartner ihn durch eine einfache bejahende Erklärung annehmen kann. Üblicherweise enthält das vom VR vorbereitete Antragsformular folgende Angaben: • Namen und Sitz des Versicherungsunternehmens sowie – bei Aktiengesellschaften – Angaben nach § 80 AktG. • persönliche Daten des Antragstellers und der versicherten Person (Anschrift, Geburtstag, Berufstätigkeit). Die Berufstätigkeit der versicherten Person ist bedeutsam für die Einordnung in die richtige Gefahrengruppe (vgl. § 181, Ziff. 6 AUB 99/2008). • Erklärung des Kunden, dass er eine bindende Willenserklärung – nämlich einen Antrag – abgibt; ggf. mit Vereinbarung einer Antragsbindefrist. Über die Dauer der Frist ist der Antragsteller zu informieren (§ 1 Abs. 1 Nr. 12 VVG-InfoV). • Bezeichnung des beantragten Versicherungsschutzes (Leistungsarten, Versicherungssummen, Versicherungsbeiträge). • Versicherungsdauer (Beginn und Ende). • Fragen zum Gesundheitszustand der versicherten Person. Die Gesundheitsprüfung ist relevant für die Einschätzung des übernommenen Risikos, ggf. die Vereinbarung von Leistungsbeschränkungen bzw. -ausschlüssen und spätestens im Leistungsfall für die Beurteilung der Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten (vgl. §§ 19 ff., Ziff. 13 AUB 2008). • Fragen nach dem Abschluss oder der Beantragung weiterer Unfallversicherungen und deren Beendigung oder Ablehnung sowie Fragen zu früheren Unfällen und deren Regulierung. Auch diese Fragen sind für die Beurteilung der übernommenen Gefahr relevant. • Bezugsberechtigung (vgl. § 185). • Zahlweise, ggf. Lastschriftermächtigung (vgl. Ziff. 11 AUB 2008). • Wichtige Erklärungen (insbesondere die Erklärung nach dem Bundesdatenschutzgesetz und die Entbindung von der Schweigepflicht; dazu Ziff. 7.4 AUB 99/2008). • Belehrungen und Hinweise (z.B. gemäß §§ 8, 19 Abs. 5). So empfiehlt es sich, die Widerrufsbelehrung im Antrag abzudrucken.228 • Felder für Unterschriften des VN und der versicherten Person bzw. deren (gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher) Vertreter. • ggf. eine Empfangsbekenntnis des Antragstellers für den Erhalt der Beratungsdokumentation sowie der Informationen nach § 7 i.V.m. der VVG-InfoV (Produktinformationsblatt, Informationen nach § 1 und (bei der Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr) 2 VVG-InfoV, AUB und ggf. weitere Versicherungsbedingungen).229 • Feld für die Gegenzeichnung durch den Vermittler.
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Funck VersR 2008 163, 165.
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Näher Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/17.
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Darüber hinaus empfiehlt es sich, auch nach der Deregulierung die Hinweise des BAV 99 (heute BaFin) zur Antragsgestaltung sowie dazu in der Vergangenheit abgegebene geschäftsplanmäßige Erklärungen (Vorbem. § 178 Rn. 69) – soweit möglich – weiterhin einzuhalten. So ist der Antrag übersichtlich und gut lesbar zu gestalten.230 In Betracht kommt fernerhin, im Antrag Platz für die Beratungsdokumentation vorzusehen. Unwirksam sind u.a. Klauseln, • mit denen der Antragsteller auf dem Antragsformular bestätigt, er habe eine Antragsdurchschrift ausgehändigt erhalten. Sie verstoßen gegen § 309 Nr. 12b BGB (§ 11 Nr. 15b AGBG). • die zu einer Beschränkung der Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters führen (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 6).
Der Antrag auf Abschluss eines Unfallversicherungsvertrages ist formlos wirksam. 100 Etwaige Schriftformklauseln in den AVB des VR stehen dem nicht entgegen.231 Sie können dem Kunden vor Vertragsschluss nicht entgegen gehalten werden (§§ 68 Abs. 1, 71; näher Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 10). Ähnliches gilt für Wünsche des Antragstellers, die dieser anlässlich der Verhandlungen mit dem Versicherungsvermittler oder dem VR äußert und nicht in seinen schriftlichen Antrag aufgenommen werden. Auch solche mündlichen Nebenabreden sind dem VR gegenüber abgegeben.232 (2) Annahme. Für die ausdrückliche oder konkludente Annahme des Antrags gelten 101 die Vorschriften des BGB (§§ 145 ff. BGB). Besonderheiten für die Unfallversicherung bestehen nicht.233 In der Praxis erfolgt die Annahme des Antrags des VN durch den VR regelmäßig dadurch, dass dieser dem VN den Versicherungsschein zusendet. Für Inhalt und Ausgestaltung der Versicherungspolice gelten die allgemeinen Regeln. Die vor der Deregulierung in geschäftsplanmäßigen Erklärungen festgehaltenen Vorgaben (Vorbem. § 178 Rn. 69) sollten weiterhin möglichst eingehalten werden. Ein Verzicht des VN auf den Zugang der Annahmeerklärung des VR i.S.v. § 151 S. 1 BGB kann nicht in der Vorauszahlung der Erstprämie gesehen werden.234 Haben die Parteien eine Antragsbindefrist vereinbart, so muss der Zugang der An- 102 nahme innerhalb der Frist erfolgen. Von dem Zugangserfordernis kann nicht abgesehen werden. Des Weiteren können auch geringfügige Fristüberschreitungen nicht toleriert werden. Die Fristabrede verfolgt nämlich den Zweck, im Interesse des VN klare Rechtsverhältnisse zu schaffen. Er soll wissen, dass er nach Ablauf der Frist einen anderen Versicherungsantrag stellen kann, ohne der Gefahr einer doppelten Prämienzahlung ausgesetzt zu sein. Erfolgt die Übersendung verspätet, ist im Allgemeinen im Zugang des Versicherungsscheins ein erneutes Vertragsangebot zu sehen (§ 150 Abs. 1 BGB).235 Hier lässt sich kontrovers diskutieren, ob der VN erneut über sein Widerrufsrecht zu belehren ist. Dies ist sicherlich kundenfreundlich, rechtlich aber nicht zwingend geboten, wenn die ordnungsgemäße Belehrung bereits im (Ursprungs-)Antrag enthalten ist.236 Das erneute Vertragsangebot des VR bedarf der ausdrücklichen oder wenigstens stillschweigenden Annahme durch den VN.237
230 231 232 233
S. nur VerBAV 1971 236, 238 (R 5/71 unter VI. zur Krankenversicherung). So bereits u.a. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 10. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 13. Näher Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 15 ff.; ferner etwa Kloth Rn. C 16 ff.
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BGH 31.1.1951 VersR 1951 114 = NJW 1951 313. BGH 19.2.1992 VersR 1992 484 = NJW 1992 1505. Funck VersR 2008 163, 165. BGH 31.1.1951 VersR 1951 114, 115 mit kritischer Anm. Ebel = NJW 1951 313.
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§ 179 103
Kapitel 7: Unfallversicherung
bb) Anfrageverfahren (Invitatiomodell). Die gesetzlichen Regelungen, die das Antragsverfahren zugrunde legen, passen zwar nicht uneingeschränkt auf das Anfrageverfahren,238 dennoch ist das Anfrageverfahren grundsätzlich zulässig;239 die mit dem Invitatiomodell verbundenen Auslegungs- und Anwendungsschwierigkeiten sind lösbar.240 Sein Ablauf kann (vereinfacht) wie folgt umschrieben werden:241 Beratung des Kunden → Anfrage des Kunden → Risikoprüfung des VR → Zugang eines Angebots des VR beim VR nebst Aushändigung der Vertragsinformationen nach § 7 → ggf. Überlegungsfrist (Wahrung des Kriteriums „rechtzeitig“) → Zugang der Annahmeerklärung des VN beim VR → Widerrufsrecht des VN (§ 8) → Ablauf der Widerrufsfrist → Prämienfälligkeit (§ 33).
Aus Vertriebssicht liegt die Schwäche des Verfahrens darin, dass zur „Einholung“ der Annahmeerklärung häufig ein zweiter Kundenbesuch erforderlich wird. Schweigen des VN reicht für eine rechtlich bindende Annahmeerklärung nicht aus.
104
cc) Verzichtsverfahren. Das rechtspolitisch sehr umstrittene Verzichtsverfahren ist gemäß § 7 Abs. 1 S. 3 grundsätzlich möglich. Es ähnelt dem Policenverfahren:242 Beratung des Kunden → Verzicht des Kunden auf die Vertragsinformationen nach § 7 → Antragstellung durch den Kunden (= Angebot) → Risiko-/Annahmeprüfung des VR → Zugang des Versicherungsscheins nebst Vertragsinformationen nach § 7 beim Kunden (= Annahme des VR) → Widerrufsrecht des VN (§ 8) → Ablauf der Widerrufsfrist → Prämienfälligkeit (§ 33).
Die Einzelheiten zu den Anforderungen an die Verzichtserklärung sind noch nicht abschließend geklärt:243 • Ebenso wie beim Beratungsverzicht ist im Rahmen von § 7 Abs. 1 S. 3 streitig, ob der Verzicht des VN auf einem gesonderten Blatt bzw. in einem eigenen Dokument erfolgen muss 244 oder eine deutlich hervorgehobene Erklärung reicht, die von anderen Textbestandteilen signifikant abgetrennt ist.245 • Z.T. wird ein Verzicht nur aufgrund einer Individualerklärung zugelassen.246 Richtigerweise wird auch ein vom VR vorformulierter Text ausreichen können.247 Werden dem VN in der vorformulierten Verzichtserklärung Ankreuzfelder oder Streichalternativen angeboten, wird z.T. angenommen, dass ohnehin keine AGB, sondern eine Individualvereinbarung i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB vorliege.248
105
dd) Modell der bedingten Annahme. Das Modell der bedingten Annahme249 ähnelt dem Verzichtsverfahren.250 Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass
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So etwa Schubach AnwBl. 2008 27. So u.a. auch Schimikowski/Höra S. 111. Schimikowski VW 2007 715, 716 ff.; ders. RuS 2006 441, 443 f. und 446; krit. dagegen Schirmer/Sandkühler ZfV 2007 771, 774 ff.; s.a. Baumann/Beenken S. 46. Eingehend Gaul VersR 2007 21, 24 ff.; Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/42 ff.; ferner Kloth Rn. C 7 ff.; Marlow/Spuhl 3 S. 10 ff. Eingehend Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/72 ff. und 4/115 ff.; ferner etwa Marlow/Spuhl 3 S. 19 f. Näher etwa Gaul VersR 2007 21, 23 f.
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So etwa Blankenburg VersR 2008 1446, 1447; Marlow/Spuhl 3 S. 28. So etwa Leverenz VersR 2008 709 ff.; ders. Vertragsschluss Rn. 3/75. Meixner/Steinbeck § 1 Rn. 71. Gaul VersR 2007 21, 23; Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/77. Näher Blankenburg VersR 2008 1446, 1447 ff. Baumann VW 2007 1955 ff.; ders. FS Adomeit S. 41, 42 ff. S.a. Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/115.
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der VR zweimal Vertragsunterlagen an den VN versendet, nämlich im ersten Schritt die Vertragsinformationen und in einem zweiten Schritt die Vertragsannahme: Beratung des Kunden → Einverständnis des Kunden mit späterer Vertragsinformation durch den VR analog § 7 Abs. 1 S. 3 → Antragstellung durch den Kunden (= Angebot) unter der aufschiebenden Bedingung, dass ihm die Vertragsinformationen in einer bestimmten Frist zur Verfügung gestellt werden und er den Antrag (wiederum in einer bestimmten Frist) nicht widerruft → Risiko-/Annahmeprüfung des VR → Zugang der Vertragsinformationen nach § 7 (= Bedingungseintritt mit der Folge, dass der Antrag bindend wird) → Zugang des Versicherungsscheins (= Annahme des VR) → Widerrufsrecht des VN (§ 8) → Ablauf der Widerrufsfrist → Prämienfälligkeit (§ 33).
ee) Abwägung. Welches Vertragsschlussverfahren für die Unfallversicherung zu empfeh- 106 len ist, lässt sich nicht allgemein beantworten. Die Verzichtsvariante sollte jedenfalls auf seltene Ausnahmen begrenzt bleiben,251 etwa auf Fälle, in denen die Initiative auf den Verzicht vom VN ausgeht oder in dessen Interesse liegt.252 Das Verzichtsmodell unterliegt europa-,253 zivil-254 sowie aufsichts-255 und wettbewerbsrechtlichen,256 aber auch prozessualen Bedenken, die noch nicht abschließend geklärt sind. So ist z.B. offen, wie die Rechtsprechung Vorwürfe materiell-rechtlich und im Hinblick auf die Beweislast behandeln wird, der VR bzw. Vermittler habe dem VN einen Verzicht routinemäßig aufgedrängt. Auch das Modell der bedingten Annahme empfiehlt sich nicht.257 Es ist genauso wie das Verzichtsverfahren dem Vorwurf ausgesetzt, das Policenverfahren „durch die Hintertür“ wieder einzuführen.258 Dagegen sind für den Abschluss des Unfallversicherungsvertrages sowohl das Antrags- als auch das Anfrageverfahren einsetzbar.259 Da etwa im Vergleich zur Lebensversicherung (aber auch Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr) in der allgemeinen Unfallversicherung weniger individuelle Vertragsinformationen zu erstellen sind, wird es dem VR (technisch) leichter fallen, den Kunden bereits beim ersten Beratungsgespräch mit den notwendigen Vertragsinformationen zu versorgen. Dies deutet darauf hin, dass die Unfall-VR voraussichtlich eher das Antragsverfahren wählen werden. c) Formvorschriften. Auch wenn die Schriftform des Versicherungsvertrages aus 107 Beweisgründen üblich ist, kann er im Grundsatz mündlich oder fernmündlich abgeschlossen werden. Für den Abschluss eines Versicherungsvertrages ist „an sich“ keine Form vorgeschrieben. Selbst wenn der VR den Vermittler angewiesen hat, schriftliche Formularverträge aufzunehmen und vom Kunden unterzeichnen zu lassen, steht dies einem Vertragsschluss nicht entgegen.260 Indes ist der Grundsatz der Formfreiheit des Versicherungsvertrags in vielerlei Hinsicht durchbrochen. Dies liegt zum einen daran,
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Schimikowski/Höra S. 112; Stockmeier VersR 2008 717, 723. Brömmelmeyer VersR 2009 584, 588. Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1712; a.A. Brömmelmeyer VersR 2009 584, 587 f. (aber restriktive Auslegung sei notwendig). Die zivilrechtliche Zulässigkeit massenhaft verwendeter Verzichtserklärungen bejaht Blankenburg VersR 2008 1446, 1450 f.; a.A. etwa Schimikowski/Höra S. 112. Schimikowski RuS 2006 441, 443. Schimikowski RuS 2007 133, 136 f.
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260
Rüffer/Halbach/Schimikowski/Brömmelmeyer § 1 VVG Rn. 52; Stockmeier VersR 2008 717, 720; a.A. Bruck/Möller/Hermann § 7 Rn. 72 f. Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/115 und 4/117. Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/116 ff.; vergleichender Überblick zu den beiden Verfahren bei Leverenz VW 2008 392, 394; nach Stockmeier VersR 2008 717, 718 birgt das Invitatiomodell erhebliche Probleme. BGH 25.3.1987 NJW 1987 60, 61.
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dass die Verwendung von „Papier“ der Beweissicherheit dient. Zum anderen sieht das Gesetz an mehren Stellen Schrift- oder Textform vor.261 So unterliegen die Einwilligung der versicherten Person in eine Fremdversicherung für eigene Rechnung (Rn. 217 ff.), die Einwilligung nach dem BDSG, die Schweigepflichtentbindungserklärung (Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 144 f.) sowie die Einzugsermächtigung der Schriftform. Ferner bedürfen die Risikofragen des VR an den VN der Textform (§ 19 Abs. 1 S. 1, Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 52 ff.). Gleiches gilt für bestimmte Hinweise, die der VR dem VN zu geben hat (§ 19 Abs. 5 S. 1, Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 117).
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4. Vertragsinhalt. Mit dem Versicherungsschein (z.T. auch Versicherungsurkunde genannt) wird der Inhalt des Unfallversicherungsvertrages verbrieft. Beim Versicherungsschein, dessen Inhalt bewusst in § 3 Abs. 1 nicht festgelegt wird, handelt es sich um eine bloße Beweisurkunde. Für sie spricht eine widerlegbare Richtigkeitsvermutung. Die Parteien haben mithin die Möglichkeit, die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Versicherungsscheins unter Beweis zu stellen.262 Da der Informationszweck des Versicherungsscheins überwiegt, kann er nach der VVG-Reform 2008 dem VN auch in Textform zur Verfügung gestellt werden.263 Der Versicherungsschein sollte seinem Sinn und Zweck entsprechend über alle wesentlichen Vertragspunkte Auskunft geben. Festzuhalten sind die vertragsschließenden Personen, ggf. die Gefahrperson (versicherte Person), die versicherte Gefahr, Art und Höhe der Entschädigungsleistung und die vom VN zu zahlende Prämie. Soweit sich der Vertragsinhalt aus den AVB ergibt, brauchen diese nicht in den Versicherungsschein aufgenommen zu werden. Es genügt eine Verweisung.264 Eine Sonderform des Versicherungsscheins sind sog. Blockpolicen. Sie finden in der 109 Praxis (relativ selten) in der Kleinunfallversicherung (§ 211 Abs. 1 Nr. 4, § 189 Abs. 1 Nr. 3 a.F.),265 vornehmlich der Reise-Unfallversicherung,266 Anwendung. Solche Blockpolicen werden typischerweise dem Kunden im Interesse eines schnellen und unkomplizierten Vertragsschlusses nach erfolgter Antragsaufnahme direkt und sofort vom Vermittler (ohne Risikoprüfung durch den VR) gegen Zahlung des Einlösungsbeitrags ausgehändigt. Die Blockpolice gibt den Inhalt des Versicherungsscheins weitgehend standardisiert wieder und erlaubt regelmäßig nur die Auswahl aus einigen wenigen vorgedruckten Deckungsmöglichkeiten. Der Einsatz von Blockpolicen in der Allgemeinen Unfallversicherung unterlag lange Zeit (seit 1960) aufsichtsrechtlichen Beschränkungen. Das damalige BAV hatte verlangt, dass die zu vereinbarenden Versicherungssummen bestimmte Höchstbeträge nicht überschreiten durften. Ferner sollten zur Feststellung der Versicherungsfähigkeit bestimmte Gesundheitsfragen aufgenommen werden.267 Nachdem die Höchstversicherungssummen im Laufe der Jahre mehrfach erhöht wurden,268 hob das BAV 1992 die für die Blockpolicen geltenden Beschränkungen hinsichtlich der Versicherungssummen und Gesundheitsfragen auf.269 Missbräuche hatte das Amt nicht verzeich-
261
262 263
264
Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/13; eingehend m.w.N. ders. VersR 2002 1318, 1321 f.; ders. Rechtliche Aspekte zum Versicherungsgeschäft im Internet S. 97 ff. ÖOGH 8.3.2007 VersR 2007 1587, 1588. Begründung zum RegE zu § 3 VVG, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 57. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 40.
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VerBAV 1992 143. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 39. VerBAV 1960 153 f.; GB BAV 1960 49. VerBAV 1991 60; VerBAV 1985 442; VerBAV 1980 310; VerBAV 1978 5; VerBAV 1971 149; VerBAV 1969 117; s.a. GB BAV 1985 79 Nr. 9.2.2; GB BAV 1978 73 f. Nr. 814; GB BAV 1971 84. VerBAV 1992 143.
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net.270 Des Weiteren ging es davon aus, dass die VR auch ohne aufsichtsrechtliche Vorgaben ein Interesse an angemessener Risikoprüfung und dementsprechender Kontrolle des Außendienstes haben würden.271 Abzugrenzen vom Versicherungsschein ist der sog. Versicherungsausweis, der in der 110 Gruppen-Unfallversicherung gebräuchlich ist. Es handelt sich um eine Information für die versicherte Person über den Versicherungsschutz, den der VN für sie mit dem VR vereinbart hat.272 Für den Vertragsinhalt ist wegen § 5 Abs. 2 und 3 letztlich vorrangig der Antrag ent- 111 scheidend. Nur bei entsprechender Belehrung ist aufgrund der sog. Billigungsklausel der vom Antrag abweichende Versicherungsschein maßgebend.
III. Wirksamkeit des Vertrages Die Wirksamkeit des Unfallversicherungsvertrages kann aus vielfältigen Gründen in 112 Frage gestellt werden. In Betracht kommt etwa nach versicherungsrechtlichen und allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen, dass die schriftliche Einwilligung der versicherten Person bei der Fremdversicherung für eigene Rechnung nach § 179 Abs. 2 fehlt, der VN nach § 8 widerruft, der VN nicht geschäftsfähig ist oder der gesetzliche Vertreter eines beschränkt geschäftsfähigen VN die erforderliche Einwilligung verweigert, der Abschluss des Unfallversicherungsvertrages gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (§ 134 BGB), der VN oder der VR die Anfechtung gemäß §§ 119 ff. BGB erklärt oder der Vertrag gemäß § 138 BGB wucherisch oder sittenwidrig ist. 1. Widerruf Dem VN steht gemäß § 8 ein allgemeines Widerrufsrecht zu, das auch als „Reue- 113 recht“ bezeichnet werden kann. Die Rechtsfolgen des Widerrufs werden in § 9 (partiell) geregelt. Die gesetzlichen Vorgaben bergen für den Rechtsanwender mannigfaltige Auslegungsprobleme.273 Für die Unfallversicherung bestehen im Vergleich zu anderen Versicherungssparten keine Besonderheiten. Grundsätzlich kann jeder Unfallversicherungsvertrag widerrufen werden. Der Anwen- 114 dungsbereich wird lediglich durch § 8 Abs. 3 beschränkt. Fraglich ist, ob das Widerrufsrecht nur für Neuabschlüsse 274 oder auch für Vertragsänderungen zur Anwendung kommt.275 Relevant werden kann diese Frage etwa für Bestands- oder Anpassungsaktionen. Der Widerruf ist in Textform (§ 126 b BGB) gegenüber dem VR zu erklären und 115 muss keine Begründung enthalten (§ 8 Abs. 1 S. 2).276 Notwendig ist, dass der VN für einen verständigen Empfänger erkennen lässt, dass er sich von dem geschlossenen Vertrag lösen möchte. Ggf. ist die Erklärung nach §§ 133, 157 BGB auszulegen. 270 271 272 273
GB BAV 1985 79 Nr. 9.2.2; GB BAV 1978 73, 74 Nr. 814. VerBAV 1992 143, 144 (dazu auch GB BAV 1991 87 f. Nr. 9.2.5). Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 40. S. etwa Bruck/Möller/Knops §§ 8, 9; ferner u.a. Armbrüster RuS 2008 493 ff.; s.a. Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/20 ff.
274 275 276
So Neuhaus ZAP Fach 10 2008 335 (ohne Begründung). Differenzierend Armbrüster RuS 2008 493, 494. Dazu auch Bruck/Möller/Knops § 8 Rn. 14 ff.
Kent Leverenz
241
§ 179 116
Kapitel 7: Unfallversicherung
Die Widerrufsfrist beträgt für die Unfallversicherung, aber auch die Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr zwei Wochen (§ 8 Abs. 1 S. 1). Die Fristberechnung erfolgt nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.277 Die Widerrufsfrist beginnt im Antragsverfahren 278 zu dem Zeitpunkt, zu dem folgende Unterlagen dem VN zugegangen sind:279 • Versicherungsschein. • Vertragsbestimmungen einschließlich der AVB sowie die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2. Dem Fristbeginn steht nicht entgegen, wenn der VR dem VN (einzelne) intransparente oder sonst nach AGB-Recht unwirksame Klauseln übermittelt. In solchen Fällen wird der VN ausreichend durch §§ 307 ff. BGB geschützt.280 Kontrovers werden die Rechtsfolgen diskutiert, wenn der VR dem VN die Informationen unvollständig oder inhaltlich unrichtig übermittelt.281 Die Annahme eines Widerrufsrechts liegt nahe, es sei denn, es handelt sich um bloße Schreibfehler oder redaktionelle Ungenauigkeiten.282 In Betracht kommt aber auch, danach zu entscheiden, ob der Fehler aus Sicht eines verständigen VN für seine Entschließung über die Bindung bedeutsam sein kann oder nicht.283 Durch die dann erforderliche wertende Differenzierung entstehen allerdings Rechtsunsicherheiten. • Widerrufsbelehrung. Sie muss den Vorgaben des § 8 Abs. 2 Nr. 2 entsprechen. Ein Belehrungsmuster hat das BMJ bis zum Inkrafttreten der VVG-Reform 2008 nicht veröffentlicht und damit der Rechtspraxis einige Rechtsunsicherheiten beschert.284 Erst mit Art. 10 des „Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht“ wird eine Veränderung des VVG verknüpft.285 Die in dem Gesetzesvorhaben enthaltene Regelung zur Widerrufsbelehrung wird zum 11.6.2010 in Kraft treten. Danach wird den VR eine standardisierte Musterbelehrung zur Verfügung gestellt, die den Rang eines formellen Gesetzes innehat. Übernimmt der VR das Muster, so wird gesetzlich fingiert, dass sie den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Texte, die vom Muster abweichen, sind deshalb nicht schon unwirksam. Vielmehr ist dann im Einzelfall zu prüfen, ob die inhaltlichen und gestalterischen Vorgaben des § 8 eingehalten sind.286 Ergibt die Prüfung, dass die Belehrung unvollständig oder fehlerhaft ist, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen.287 Will der VR in einem solchen Fall die Frist doch noch in Gang setzen, muss er die korrekte Belehrung nachschieben.288
Streitig ist, welcher Zeitpunkt im Anfrageverfahren für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist. Während eine Auffassung auf den Zugang der Annahmeerklärung beim VR abstellt,289 kommt es nach der Gegenansicht auf die Abgabe der Annahmeerklärung durch den VN an.290 Weiterhin ist im elektronischen Geschäftsverkehr für den Fristbeginn die Erfüllung der in § 312e Abs. 1 BGB geregelten Pflichten291 erforderlich (§ 8 Abs. 4). Praktisch bedeutsam ist, dass das Widerrufsrecht nicht mehr ein Jahr nach Zahlung 117 der Erstprämie (so noch § 5a Abs. 2 S. 4 a.F.) erlischt, sondern zeitlich unbegrenzt währen kann, wenn der VR seinen Informationsverpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachkommt. Das ewige Widerrufsrecht birgt Missbrauchsgefahren in den Fällen, in denen der VR den Zugang der Vertragsunterlagen und der Widerrufsbelehrung beim VN
277 278 279 280 281 282 283 284
BR-Drucksache 848/08 vom 7.11.2008 S. 253. Zum Anfrageverfahren s. Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/108 ff. Näher Bruck/Möller/Knops § 8 Rn. 20 ff. Armbrüster RuS 2008 493, 495; Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/85. Näher Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/83 ff. Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/85. Armbrüster RuS 2008 493, 495 f. Christian Schneider VW 2008 1168 ff.
242
285 286 287 288 289 290 291
BR-Drucksache 848/08 vom 7.11.2008 S. 65 f., 95 f., 246 ff. und 253 ff. BR-Drucksache 848/08 vom 7.11.2008 S. 247 f. Neuhaus ZAP Fach 10 2008 335, 337. Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/85. Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/108. So z.B. Kloth Rn. C 15 und 83; Neuhaus ZAP Fach 10 2008 335, 337. Dazu Leverenz VersR 2003 698 ff.
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Versicherte Person
§ 179
nicht beweisen kann.292 Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs an den VR (§ 8 Abs. 1 S. 2). Auf den Zugang beim VR kommt es mithin nicht an. Erklärungen gegenüber dem Versicherungsmakler genügen dagegen nicht. Der Makler kann allerdings aufgrund des Maklervertrages mit dem VN verpflichtet sein, den Widerruf unverzüglich an den VR weiterzuleiten. Verletzt der Makler seine Weiterleitungspflicht, haftet er dem VN aus § 280 BGB. Ein verspäteter Widerruf kann in eine Kündigung zum nächst möglichen Termin umzudeuten sein.293 Die Rechtsfolgen des Widerrufs werden in der komplizierten Vorschrift des § 9 (par- 118 tiell) geregelt.294 Die Richtlinienkonformität der Vorschrift ist bestritten.295 Ihr konkreter Inhalt wirft zahlreiche Auslegungsfragen auf.296 Grundsätzlich führt der Widerruf dazu, dass sich das zunächst wirksame (nicht etwa schwebend unwirksame) Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umwandelt 297 und die empfangenen Leistungen nach Maßgabe der Sondervorschrift des § 9 (subsidiär nach §§ 357, 346, 312d Abs. 6 BGB) zurückzugewähren sind. 2. Anfechtung Grundsätzlich kann jeder am Unfallversicherungsvertrag Beteiligte seine zum Vertrags- 119 schluss führende Willenserklärung nach allgemeinem Zivilrecht wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung anfechten (§§ 119, 120, 123 BGB). Die Anfechtung kann nicht nur bei der Begründung des Versicherungsverhältnisses, sondern auch im Zusammenhang mit späteren Vereinbarungen zum Versicherungsvertrag relevant werden. So kann z.B. ein im Rahmen der Leistungsregulierung geschlossener Vergleich anfechtbar sein. Für den Anfechtungserfolg reicht es indes nicht aus, dass die schadensregulierende Stelle des VR bei Abschluss und Erfüllung des Vergleichs infolge unzulänglicher Informationen durch die Verwaltung des VR nichts von der bereits eingetretenen Leistungsfreiheit des VR nach § 38 Abs. 2 (§ 39 Abs. 2 a.F.) gewusst hat.298 Ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB 120 kann für beide Kontrahenten vorliegen, wenn die Auslegungsregel des § 179 Abs. 1 S. 2 zu einem Vertragsschluss führt, den eine oder beide Vertragsparteien nicht gewollt haben, also die angestrebte Fremdversicherung für eigene Rechnung nach objektiven Maßstäben nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen ist und in Anwendung des § 179 Abs. 1 S. 2 eine Fremdversicherung für fremde Rechnung – entgegen dem wahren (unerkannt gebliebenen) Parteiwillen – „unterstellt“ wird.299 Unterliegt der VR bei Vertragsschluss einem Inhalts- oder Eigenschaftsirrtum (§§ 119 Abs. 1 Alt. 1, § 119 Abs. 2 BGB), weil der VN seine Anzeigepflicht nach §§ 19 ff. verletzt hat, so ist das Anfechtungsrecht ausgeschlossen (Umkehrschluss aus § 22, Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 220 f.).
292 293 294 295 296
Dazu etwa Armbrüster RuS 2008 493, 498 f. Neuhaus ZAP Fach 10 2008 335, 336. Näher Bruck/Möller/Knops § 9 Rn. 1 ff. Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1713 f.; s.a. Wandt/Ganster VersR 2008 425 ff. S. etwa Armbrüster RuS 2008 493, 500 ff.; Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/29 ff.; Neuhaus ZAP Fach 10 2008 335, 337 f.;
297 298 299
Christian Schneider VW 2008 1168, 1170 f.; Wandt/Ganster VersR 2008 425, 429 ff.; insbesondere auch BR-Drucksache 848/08 vom 7.11.2008 S. 254 f. Neuhaus ZAP Fach 10 2008 335, 337. BGH 18.2.1965 VerBAV 1966 104 ff. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 31 und H 53.
Kent Leverenz
243
§ 179 121
Kapitel 7: Unfallversicherung
Der Versicherungsvertrag kann infolge einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nichtig sein: • Die Anfechtung des Versicherungsvertrags durch den VN steht häufig im Zusammenhang mit Falschberatungsvorwürfen. Arglistiges Verhalten des Versicherungsvertreters muss der VR grundsätzlich gegen sich gelten lassen. • Der VR kann den Vertrag anfechten, wenn eine Täuschung des VR durch den VN (§ 123 Abs. 1 BGB) oder die versicherte Person vorliegt bzw. ein Außenstehender getäuscht hat und die Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BGB erfüllt sind. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung erlangt praktische Relevanz, wenn der VN die (vorvertragliche) Anzeigepflicht nach § 19 verletzt hat (näher Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 202 ff.).
Eine Anfechtung wegen Drohung ist praktisch ohne Bedeutung.300 3. Verbotsgesetz
122
§ 134 BGB gilt auch für das Versicherungsvertragsrecht. Als Verbotsgesetz ist etwa § 3 Abs. 2 S. 2 BeamtenVG zu nennen. In der Versicherungspraxis kommt § 134 BGB indes keine besondere Bedeutung zu. Beispiele: • § 2 Abs. 2 enthält als nicht zwingende Vorschrift (vgl. § 18) kein ausdrückliches gesetzliches Verbot. • Das VAG enthält nur Ordnungsvorschriften im Verhältnis zwischen dem VR und der Aufsichtsbehörde. Es verfolgt Zwecke der Gewerbeaufsicht und ist deshalb kein Verbotsgesetz. Ein Verstoß gegen das VAG kann m.a.W. die zivilrechtliche Gültigkeit des vereinbarten Vertrags nicht berühren.301 Gleiches gilt im Fall der Missachtung des Begünstigungsverbots.
4. Wucher
123
Der Unfallversicherungsvertrag kann in seltenen Ausnahmefällen als Wuchergeschäft gemäß § 138 Abs. 2 BGB nichtig sein. Dies ist u.a. (theoretisch) denkbar, wenn der Vertrag dadurch zustande gekommen ist, dass der VR bzw. sein Außendienst in unlauterer Weise auf den – geschäftlich unerfahrenen – VN eingewirkt und diesen dadurch in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt (z.B. massiv von der Einholung von Auskünften abgehalten) hat.302 Indes sind in aller Regel die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB nicht erfüllt.303 Die bloße (pauschale) Behauptung „aggressiver Werbemethoden“ oder eines „strukturellen Verhandlungsungleichgewichts“ zwischen VR und VN infolge vermeintlicher „Informationsdefizite“ des VN reicht jedenfalls zur Tatbestandsbegründung nicht aus.304 5. Sittenwidrigkeit
124
Die Sittenwidrigkeit eines Unfallversicherungsvertrages kann nur nach einer Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Gesamtumstände nach den z.Z. des Vertragsschlusses maßgebenden Anschauungen in Erwägung gezogen werden. Bei Vereinbarung eines marktüblichen Versicherungsschutzes ist das Nichtigkeitspostulat nach § 138 300 301 302 303
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. D 26. BGH 21.3.1990 BGHZ 111 29, 33 = VersR 1990 618, 619. BVerfG 29.5.2006 VersR 2006 961, 963 = RuS 2006 426 Rn. 33. Leverenz VersR 1997 652, 653.
244
304
LG Hamburg 10.12.1997 VersR 1998 225 f. = NJWE-VHR 1998 73 f. mit ablehnender Anm. von Hippel BB 1998 1605 f. (dazu „A.S.“ ZfV 1998 537 f.; Leverenz BB 1999 S. VI „Leserecho“); AG Hamburg 7.8.1996 VersR 1996 1134, 1135.
Kent Leverenz
Versicherte Person
§ 179
Abs. 1 BGB kaum vorstellbar,305 zumal der VR dann mit einer Missstandsaufsicht durch die BAFin rechnen muss. Die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB kann etwa in dem Ausnahmefall in Betracht gezogen werden, dass ein wucherähnliches Geschäft vorliegt. Entscheidendes Indiz ist – in Anlehnung an die Rechtsprechung zu Darlehens- bzw. Ratenkredit- oder Finanzierungsleasingverträgen –, ob die vom VN konkret zu erbringende Versicherungsprämie in etwa doppelt so hoch ist, wie sie üblicherweise für vergleichbaren Versicherungsschutz am Markt erhoben wird; hier kann eine „Äquivalenzstörung“ zwischen den Leistungen der Vertragsparteien vorliegen.306 Nicht ausreichend zur Begründung der Sittenwidrigkeit ist dagegen der (pauschale) Vortrag, • einige andere VR hätten ein (deutlich) geringeres Prämienniveau als der vom VN konkret ausgewählte Vertragspartner.307 Solche Einzelvergleiche lassen keinen Rückschluss auf das verkehrsübliche Äquivalent für Leistungen aus der Unfallversicherung zu.308 So lassen sich z.B. Direktversicherer nicht mit Serviceversicherern vergleichen. • der VR wende nur ca. ein Drittel der Prämienleistungen für die Regulierung von Versicherungsfällen auf, während der Rest im Unternehmen verbleibe.309 Unabhängig davon, dass das angenommene Verhältnis von 1/3 zu 2/3 schon deshalb unzutreffend ist, da es Schwankungen unterliegt,310 berücksichtigt diese Argumentation nicht, dass es keinen „objektiv gerechten Preis“, „Maximalpreis“ bzw. eine „Prämienobergrenze“ geben kann, sondern die Prämienhöhe in der Marktwirtschaft grundsätzlich durch „Angebot und Nachfrage“ bestimmt wird.311 Hinzu kommt, dass eine aufsichtsrechtlich – zur dauerhaften Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge geforderte – vorsichtige Beitragskalkulation für bei Vertragsschluss unabsehbare Risiken („worst-case-Szenario“) zivilrechtlich nicht das Verdikt der Sittenwidrigkeit erlangen kann.312 • es bestehe eine intransparente Prämienkalkulation. Gegen die damit verbundene Forderung, der VR müsse gegenüber dem VN die Risiko-, Verwaltungs- und Gewinnanteile der Prämie aufsplitten, spricht bereits der Umkehrschluss zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 sowie § 4 Abs. 4 VVGInfo. Fernerhin ist der VR nicht zur Offenlegung seiner internen Rechnungsgrundlagen verpflichtet (Rn. 245). Hinzu kommt, dass sich der VN auch ohne Aufschlüsselung der Prämienanteile u.a. durch Lektüre allgemein zugänglicher Literatur, in der Presse oder im Internet, durch das Stellen mehrer Versicherungsanfragen bei verschiedenen VR oder mit Hilfe von Verbrauchschutzorganisationen Leistungs- und Prämienvergleiche durchführen kann, mag dies auch wegen der Leistungsvielfalt nicht immer ganz einfach sein.313 Dem Versicherungsinteressierten ist – wie auch sonst im Geschäftsleben – ein gewisses Maß an Eigeninitiative und Eigenverantwortung ohne weiteres zuzumuten.314 Die vom BVerfG für die Lebensversicherung getroffenen Feststellungen über Defizite der Funktionsfähigkeit der Versicherungsmärkte 315 lassen sich nicht auf die Unfallversicherung übertragen. Die vom Gericht beanstandete Intransparenz der Leistungsbedingungen (namentlich der Überschussbeteiligungsregelungen) besteht in dieser Form nicht bei der Unfallversicherung. Des Weiteren ist die Bindung des VN bei einer Lebensversicherung im Normalfall erheblich länger als bei einer Unfallversicherung. Ferner hat die Unfallversicherung nach Auffassung des BVerfG nicht den gleichen Stellenwert für die Existenzsicherung der Bürger wie die kapitalbildende Lebensversicherung.316 305
306 307 308 309
Eingehend m.w.N. Leverenz VersR 1997 652 ff.; i.E. auch Sieg VersR 1990 1215; a.A. von Hippel BB 1997 218, 219 f.; ders. JZ 1991 452, 453. LG Hamburg 10.12.1997 VersR 1998 225, 226 = NJWE-VHR 1998 73, 74. So von Hippel BB 1997 218, 219; ders. BB 1997 218, 219. LG Hamburg 10.12.1997 VersR 1998 225, 226. So von Hippel BB 1998 1605, 1606; ders. JZ 1991 452, 453.
310 311 312 313 314 315 316
„A.S.“ ZfV 1998 537. BVerfG 29.5.2006 VersR 2006 961, 963 Rn. 35; Leverenz VersR 1997 652, 654. LG Hamburg 10.12.1997 VersR 1998 225, 227. Leverenz VersR 1997 652, 657 und 659 f. BVerfG 29.5.2006 VersR 2006 961, 963 Rn. 36. BVerfG 26.7.2005 VersR 2005 1127, 1132. BVerfG 29.5.2006 VersR 2006 961, 963 Rn. 37.
Kent Leverenz
245
§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
• es fehle an einem funktionierenden Wettbewerb zwischen den Unfallversicherern. Diese Behauptung ist bereits tatsächlich nicht zutreffend.317 Aufgrund des vorhandenen und zunehmenden Konkurrenzkampfes bestehen durchaus Prämienunterschiede, die wie vom VN mit überschaubarem Aufwand recherchiert werden können.
IV. Änderung des Vertrages 125
Für Vertragsänderungen (zur Abgrenzung zwischen Neu- und Altverträgen vgl. Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 23) finden ebenfalls die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts Anwendung. Es gelten für Änderungen des Unfallversicherungsvertrages keine Besonderheiten gegenüber sonstigen Vertragsänderungen.318 Erforderlich ist die erneute Vereinbarung gemäß § 305 BGB zwischen den Parteien. Unterbreitet der VR dem VN (z.B. im Rahmen von Erhöhungs-319 bzw. Anpassungsaktionen) ein Änderungsangebot, so muss dieses so eindeutig gestaltet sein, dass der VN es annehmen oder ablehnen kann. Es muss als annahmebedürftiges Angebot gekennzeichnet sein und darf bei dem VN nicht den irrtümlichen Eindruck entstehen lassen, er hätte den geänderten Vertrag hinzunehmen.320 Des Weiteren sind nicht nur bei Neuverträgen, sondern auch bei Vertragsänderungen Beratungs- und Informationspflichten nach §§ 6, 7 zu beachten.321 Die Informationspflichten bestehen allerdings nicht bei einer Vertragsverlängerung aufgrund einer Fortsetzungsklausel (Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 22). Des Weiteren kommt § 7 nicht zur Anwendung, wenn es um einseitige Gestaltungsrechtsausübungen des VN geht (z.B. Bezugsrechtsänderungen). Besteht eine Informationspflicht des VR, so brauchen dem VN nur die Informationen erteilt werden, die sich im Vergleich zum Ausgangsvertrag geändert haben.
V. Ruhen des Vertrages 126
Der Versicherungsvertrag kann durch Parteivereinbarung in seinem Inhalt mit der Wirkung verändert werden, dass die sich aus ihm ergebenden Rechte und Pflichten vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Solche Veränderungsvereinbarungen liegen nahe, wenn es zu einem „zeitlichen partiellen Interessemangel“ kommt. Trotz formellen Fortbestandes des Vertrages entfällt für die vereinbarte Dauer der materielle Versicherungsschutz.322 Einzelheiten hierzu sind für die Allgemeine Unfallversicherung in Ziff. 10.4 AUB 99/2008 geregelt.
VI. Beendigung des Vertrags 127
Der Unfallversicherungsvertrag kann aus mehreren Gründen beendet werden, nämlich durch Zeitablauf, Abschluss eines Aufhebungsvertrags, Insolvenz des VR (§ 16), Versicherungsunfähigkeit der versicherten Person (vgl. Ziff. 4 AUB 2008), Tod der versicher317 318 319
Leverenz VersR 1997 652, 658; s.a. A. Huber ZfV 1986 153. Näher hierzu Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 29 f. Zur einmaligen Erhöhungsaktion mit vereinfachter Gesundheitsprüfung VerBAV 1985 111 f.
246
320 321 322
VerBAV 1981 121 f.; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 35. Näher hierzu Leverenz Vertragsschluss Rn. 4/120 ff. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 33.
Kent Leverenz
§ 179
Versicherte Person
ten Person (Rn. 54) oder Ausübung einseitiger Gestaltungsmacht durch den VR oder VN (Widerruf, Anfechtung, Rücktritt, ordentliche oder außerordentliche Kündigung). Dem VR und VN stehen folgende vertragsbeendende Gestaltungsrechte zu: Gestaltungserklärung
Sachverhalt und gesetzliche Rechtsgrundlage
Anmerkungen
Anfechtung
Arglistige Täuschung (§ 22) Irrtumsanfechtung, wenn und soweit nicht Tatbestände der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung (§§ 19 ff.) Vorrang haben.
Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 202 ff.
Kündigung
Versicherungsverhältnis auf unbestimmte Zeit (§ 11 Abs. 2)
Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 24 ff.
Kündigung
Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheit (§ 19 Abs. 3)
Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 175 ff.
Kündigung
Gefahrerhöhung (§§ 24, 181)
§ 181 Rn. 14, Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 36 und 41
Kündigung
Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit (§ 28 Abs. 1)
In den AUB nicht vorgesehen
Kündigung
Zahlungsverzug mit Folgeprämie (§ 38 Abs. 3)
Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 83 ff.
Kündigung
Kündigung nach Eintritt des Versicherungsfalles (vgl. § 92)
Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 44 ff.
Kündigung
Kündigung aus wichtigem Grund
Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 58 ff.
Rücktritt
Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit (§ 19 Abs. 2)
Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 112 ff.
Rücktritt
Zahlungsverzug mit Erstprämie (§ 37 Abs. 1)
Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 56 ff.
Anfechtung
Irrtumsanfechtung, arglistige Täuschung oder Drohung (§§ 119 ff. BGB)
Rn. 119 ff.
Kündigung
Versicherungsverhältnis auf unbestimmte Zeit (§ 11 Abs. 2)
Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 24 ff.
Kündigung
Versicherungsvertrag mit einer Dauer von mehr als drei Jahren (§ 11 Abs. 3)
Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 24 ff.
Kündigung
Prämienerhöhung nach Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit (§ 19 Abs. 6)
Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 198 ff.
Kündigung
Kündigung aus wichtigem Grund
Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 58 ff.
Widerruf
Widerruf der Vertragserklärung des VN (§§ 8, 9)
Rn. 113 ff.
Vertragsbeendigung durch den VR
Vertragsbeendigung durch den VN
Kent Leverenz
247
§ 179 128
Kapitel 7: Unfallversicherung
Eine Vertragspartei kann sich ggf. auf mehrere Gestaltungsrechte zur Beendigung des Versicherungsvertrags stützen. So kann z.B. der VR ein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung (§ 22, § 123 BGB) neben einem Rücktrittsrecht wegen der Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten (§ 19) zustehen. Entsprechendes gilt für Gestaltungsrechte des VN. Keines der Gestaltungsrechte entfaltet Spezialität in dem Sinne, dass es die Ausübung eines anderen ausschließt.323 Denkbar ist auch, dass sich Gestaltungsrechte des VR (z.B. Kündigung wegen Zahlungsverzugs mit einer Folgeprämie) und des VN (z.B. ordentliche Kündigung des Unfallversicherungsvertrages) überschneiden (Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 69).
VII. Besonderheiten bei der vorläufigen Deckung 129
Die Zusage vorläufiger Deckung durch den VR hat in der allgemeinen Unfallversicherung keine besonders große Bedeutung.324 Vorläufiger Versicherungsschutz (§§ 49 ff.) kann in der privaten Unfallversicherung zwar vorgesehen werden (s.a. Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 17), kommt jedoch in der Praxis typischerweise nur in der Kraftfahrt-Unfallversicherung vor.325
D. Fremdversicherung 130
Die Fremdversicherung für fremde und eigene Rechnung unterliegen unterschiedlichen Rechtsregeln, so dass ihre Abgrenzung für die korrekte Weichenstellung bei ihrer Beurteilung wichtig ist. § 179 Abs. 2 spricht sich im Zweifel für eine Fremdversicherung für fremde Rechnung aus.
I. Begriffe 131
Versicherte Person und VN müssen nicht personenidentisch sein. § 179 Abs. 1 S. 1 sieht ausdrücklich vor, dass die Unfallversicherung für den Eintritt eines Unfalls „des VN oder eines anderen“ abgeschlossen werden kann. Wird das Unfallrisiko „eines anderen“ in den Vertrag zwischen VN und VR einbezogen, so wird üblicherweise von einer „Fremdversicherung“ gesprochen (so auch Ziff. 12.1 S. 1 AUB 99/2008, § 12 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94; § 16 Nr. 1 S. 1 AUB 61), während der BGH vor der VVG-Reform 2008 mit Hinweis auf die nicht unmittelbar anwendbaren §§ 75 bis 79 a.F. (s. § 179 Abs. 2 S. 2 a.F.) die Auffassung vertrat, es handele sich um eine Versicherung im Interesse eines anderen.326 Praktische Folgerungen ergaben sich aus den unterschiedlichen Deutungen nicht.327 Für unterschiedliche Begriffsbildungen besteht nach der VVG-Reform 2008 kein Anlass mehr. Der Begriff „Fremdversicherung“ kann ohne weiteres benutzt werden, da die Vorschriften über die Fremdversicherung in §§ 43 ff. nunmehr im allgemeinen Teil des VVG normiert sind und damit unmittelbar auch für die Unfallversicherung gelten (Rn. 142).
323 324 325 326
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. D 48. Grimm 4 Ziff. 10 AUB 99 Rn. 3. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 24. BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 49 = VersR
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327
1960 339, 340 = NJW 1960 912, 913 = VerBAV 1960 169, 170. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 5; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 11 und § 12 Rn. 3.
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Versicherte Person
§ 179
§ 179 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 unterscheiden zwischen der Fremdversicherung für eigene 132 Rechnung und der Fremdversicherung für fremde Rechnung. Z.T. wird auch – ungenau verkürzend – von „Eigenversicherung“ und „Fremdversicherung“ gesprochen.328 • Eine Fremdversicherung für fremde Rechnung liegt nach der Legaldefinition des § 43 Abs. 1 (entspricht § 74 Abs. 1 a.F.) vor, wenn der VN den Versicherungsvertrag im eigenen Namen (und nicht etwa als Stellvertreter) für einen anderen – mit oder ohne namentlicher Nennung der versicherten Person – schließt. Es handelt sich dabei um einen besonderen Vertrag zugunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB.329 Es finden – sofern keine vorrangigen Vertragsabsprachen vorliegen – die Vorschriften der §§ 43 ff. (§§ 74 ff. a.F.) Anwendung. Sie modifizieren §§ 328 ff. BGB. Von den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen sind §§ 333, 334 BGB, nicht aber §§ 329, 335 BGB anwendbar.330 • Von einer Unfallfremdversicherung für eigene Rechnung wird gesprochen, wenn der VN die Versicherung im eigenen Namen für sich als den materiell Berechtigten des Vertrages gegen Unfälle nimmt, die einem anderen zustoßen.331
II. Abgrenzung Ob eine Unfallversicherung für eigene oder fremde Rechnung vorliegt, ist einzelfall- 133 bezogen zunächst durch Auslegung und erst anschließend (hilfsweise) mit Hilfe von § 179 Abs. 1 S. 2 zu ermitteln. Die konkrete Vertragsauslegung hat Vorrang gegenüber der gesetzlichen Auslegungs- bzw. Zweifelsregelung.332 Aufgrund der Zweifelsregelung in § 179 Abs. 1 S. 2 muss sich indes der Charakter der Fremdversicherung für eigene Rechnung hinreichend deutlich aus dem Versicherungsvertrag ergeben.333 1. Vertragsauslegung Möglich ist eine ausdrückliche Regelung zum Charakter der Fremdversicherung. Fehlt 134 eine solche, kommt eine konkludente Bestimmung in Betracht. Für die Entscheidungsfindung ist der Vertrag nach allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts (§§ 133, 157 BGB) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszulegen.334 Dabei sind die Gegebenheiten der Vertragsanbahnung anhand eines objektiven Maßstabes unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu analysieren. Besonderes Gewicht kommt den – nach außen deutlich werdenden und damit den für den VR als Erklärungsempfänger – erkennbaren – wirtschaftlichen Interessen des VN zu.335 Weniger entscheidend für die Abgrenzung ist, • ob eine schriftliche Einwilligung der versicherten Person vorliegt oder nicht. Hat die versicherte Person in den Vertragsschluss eingewilligt, so folgt daraus noch nicht zwingend, dass eine Fremdversicherung für eigene Rechnung gegeben ist; denn die Unterschrift der versicherten Person kann – auch wenn sie an sich nicht erforderlich ist – der Form halber eingeholt worden sein. Umgekehrt
328 329
330 331
S. etwa H. J. Weber VersR 1954 523. BAG 30.1.1958 VersR 1958 360; Nießen S. 1; Pannenbecker VersR 1998 1322, 1323; Prölss/Martin/Prölss 27 § 75 Rn. 1; Rohles VW 1983 1234; Trautmann S. 15 ff.; a.A. Hofmann VersR 1960 97, 99. Näher Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 44. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 7.
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333 334 335
Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 6; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 28; Millauer S. 81 f.; ders. VersR 1966 421, 423. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 7; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 29. OLG Stuttgart 18.4.1906 VA 1908 16 f. Nr. 358. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 8.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
kann aus dem Fehlen der Unterschrift der versicherten Person nicht sogleich auf eine Fremdversicherung für fremde Versicherung geschlossen werden.336 Entscheidend ist vielmehr, ob aus dem Fehlen der Einwilligungserklärung Rückschlüsse auf den Parteiwillen gezogen werden können.337 So kann die unterlassene Einholung der Unterschrift auf Unkenntnis oder Nachlässigkeit beruhen, obwohl der VN bei Eintritt des Versicherungsfalls wirtschaftlich selbst von der Versicherung profitieren wollte. Es kann sogar gerade in der Absicht des VN gelegen haben, das Einwilligungserfordernis zu umgehen, um mit der Gesundheit der versicherten Person zu spekulieren. Zur Begründung der Annahme, die Parteien hätten trotz Fehlens einer schriftlichen Einwilligung der versicherten Person eine u.U. unwirksame Fremdversicherung für eigene Rechnung angestrebt, müssen indes schon besondere Anhaltspunkte vorliegen; denn es ist zu berücksichtigen, dass sich die Vertragsparteien im Normalfall rechtskonform verhalten wollen. • der vermeintliche Wille bzw. die Vorstellungen des VN bei oder nach Vertragsschluss.338 Auf die einem Beweis kaum zugängliche innere Motivation des VN kann es nicht ankommen, da anderenfalls der VN das Auslegungsergebnis einseitig steuern könnte. Anhaltspunkte für die Abgrenzung kann die Absicht des VN nur geben, wenn sie sich bei Vertragsschluss manifestiert hat und nach außen gegenüber dem VR als Vertragspartner zum Ausdruck gekommen ist. Ist dies unter Zugrundelegung eines objektiv-neutralen Maßstabes der Fall, so kann allerdings der Wille des VN nicht unbeachtlich sein, mag er auch dazu führen, dass die Versicherung unwirksam ist. Sollte also der VN explizit oder deutlich erkennbar eine Fremdversicherung für eigene Rechnung gewollt haben, so kann nicht gesagt werden, dass für diesen Willen des VN rechtlich gar kein Raum vorhanden sei.339 Vielmehr ist dann das Vorliegen der Voraussetzungen des § 179 Abs. 2 zu prüfen. Sind sie nicht gegeben, kommt Nichtigkeit des Vertrages oder eine Umdeutung in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung in Betracht (Rn. 227 ff.). • ob der VN die Prämien zahlt. Allein dieser Umstand widerlegt nicht die Vermutung für eine Fremdversicherung für fremde Rechnung;340 denn die Prämienzahlung lässt nicht zwingend darauf schließen, dass der VN ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgt. Zahlt dagegen die versicherte Person die Versicherungsbeiträge, so ist ein Rückschluss auf eine Fremdversicherung für eigene Rechnung des VN praktisch ausgeschlossen.
135
Im Massengeschäft wird bei der vorzunehmenden Auslegung vornehmlich auf die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung des VN abzustellen sein. Diese ist typischerweise im Antrag abgebildet.341 Rückschlüsse kann aber auch die – rechtlich unverbindliche – Versicherungsanfrage des Kunden geben, auf die der VR mit einer Angebotserstellung reagiert und die der VN „ohne weiteren Kommentar“ annimmt. Weiterhin kann die Beratungsdokumentation Aufschluss darüber geben, was der VN angestrebt hat. Entsprechendes gilt für sonstige Zusatzerklärungen, mit denen der VN seine zum Vertragsschluss führende Erklärung ergänzt hat. Da es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt, kann die Korrespondenz zwischen VN und VR während der Vertragslaufzeit grundsätzlich nur Indizien dafür liefern, was die Parteien in der Vertragsanbahnungsphase gewollt haben. Möglich ist zwar, dass der VN in einer laufenden Vertragsbeziehung mit dem VR die ursprünglich als für fremde Rechnung genommene Fremdversicherung in eine Fremdversicherung für eigene Rechnung wandeln möchte, insbesondere weil er erstmals ein Bezugsrecht für sich vorsieht. Jedoch stellt sich dann die Frage, ob die Vertragspartner eine Vertragsänderung bzw. einen Neuabschluss mit all seinen Konsequenzen (z.B. neues Widerrufsrecht des VN) gewollt haben – was regelmäßig zu verneinen sein dürfte – oder die Wirksamkeit der Bezugsrechtseinräumung in
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So aber Thiel VersR 1955 726, 730. Millauer S. 82; ders. VersR 1966 421, 423 Hofmann VersR 1960 97 f.; so offenbar auch ArbG Mönchengladbach 20.11.1997 ZfS 1999 25.
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339 340 341
So aber BGH 21.10.1965 VersR 1965 1166. Haymann VersArch 1937 119, 120 Fn. 2. Auf ihn stellt Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 29 maßgeblich ab.
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§ 179
analoger Anwendung des § 179 Abs. 2 S. 1 von der schriftlichen Einwilligung der versicherten Person abhängig ist und bis zu deren Vorliegen der ursprüngliche Charakter der Unfallversicherung für fremde Rechnung erhalten bleibt. 2. Zweifelsregelung Erst wenn der Vertrag überhaupt auslegungsfähig und -bedürftig ist sowie die Aus- 136 legung zu keinem klaren Ergebnis führt, greift die Zweifelsregelung des § 179 Abs. 1 S. 2 (subsidiär) ein.342 Danach gilt eine Versicherung gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, als Versicherung, die für Rechnung des anderen genommen ist. Bis zur VVGReform 2008 stellte diese Vorschrift für die Unfallversicherung als Summenversicherung (Vorbem. § 178 Rn. 38 ff.) eine Ausnahme gegenüber § 80 Abs. 1 a.F. dar, der für die Schadensversicherung die – schwache und leicht widerlegbare 343 – Vermutung vorsah, dass die Versicherung als für eigene Rechnung genommen gilt, wenn sich aus den Umständen nicht ergibt, dass die Versicherung für einen anderen genommen werden soll. § 80 Abs. 1 a.F. ist in seiner Nachfolgeregelung nicht mehr enthalten; § 48, der nur § 80 Abs. 2 a.F. übernommen hat, findet aufgrund der geänderten Kapitelüberschrift („Vorschriften für alle Versicherungszweige“) für alle Versicherungen Anwendungen und konnte deshalb zur Vermeidung von Widersprüchen zu § 179 Abs. 1 S. 2 den Regelungsgehalt von § 80 Abs. 1 a.F. nicht beibehalten. Der Hintergrund des § 179 Abs. 1 S. 2 beruht auch nach der VVG-Reform 2008 einerseits darauf, dass der VR die Ausgestaltung des Innenverhältnisses zwischen VN und versicherter Person meist nicht kennt und auch nicht kennen muss. Die (internen und nicht nach außen tretenden) Vorstellungen des VN sind für den VR typischerweise Vorstellungen des Geschäftspartners, über die bei Vertragsschluss nicht gesprochen wird und die den VR auch nicht interessieren, weil er darauf bedacht ist, eine Vielzahl von Verträgen standardmäßig in gleicher Weise abzuschließen.344 Andererseits soll sich der VR ohne besonderen gegenteiligen Nachweis nicht darauf berufen können, es liege eine nach § 179 Abs. 2 S. 1 verbotene und nichtige Eigenrechnungsversicherung vor.345 Anderenfalls könnte der VR versuchen, sich z.B. bei Eintritt eines folgenschweren Versicherungsfalls seiner Leistungsverpflichtung zu entziehen. In der praktischen Rechtsanwendung führt die Zweifelsregelung des § 179 Abs. 1 S. 2 dazu, dass die Nichtigkeitsfolge bei einer Fremdversicherung für eigene Rechnung, für die keine schriftliche Einwilligung der versicherten Person nach § 179 Abs. 2 S. 1 vorliegt, kaum eintritt.346 Selbst in den Fällen, in denen ausnahmsweise der Vertrag unwirksam ist, kommt im Übrigen noch eine Umdeutung in Betracht (Rn. 227 ff.). 3. Einzelfälle Gruppen-Unfallversicherungen z.B. für Sportveranstaltungen, Sportvereine, Jugend- 137 gruppen und Firmen sind im Regelfall Versicherungen für fremde Rechnungen. Weitere Beispiele: a) Arbeitgeberversicherung. Eine Fremdversicherung für eigene Rechnung liegt nahe, 138 wenn der Arbeitgeber als VN eigene – besondere – Verpflichtungen (Versorgungspflich-
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Millauer S. 81 f.; ders. VersR 1966 421, 423; krit. Thiel VersR 1955 726, 730. BGH 12.6.1991 VersR 1994 1101 = NJW 1991 3031 = RuS 1991 346, 347.
344 345 346
Hofmann VersR 1960 97 f. BAG 30.1.1958 VersR 1958 360, 361. Hofmann VersR 1960 97, 98; Nießen S. 39.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
ten) gegenüber der versicherten Person treffen möchte, die dieser durch den Unfallversicherungsvertrag absichern will.347 Solche Fälle kommen in Betracht bei der • Filmausfallversicherung.348 Sie stellt eine Versicherung für eigene Rechnung dar, da der Hersteller sich gegen eigene Vermögensschäden versichert, die u.a. durch den unfallbedingten Ausfall der Mitwirkenden entstehen.349 • Versicherung der Gesellschafter durch die Gesellschaft.350 Eine Fremdversicherung für eigene Rechnung kommt z.B. in Betracht, wenn eine GmbH ihre Anteilseigner gegen Unfälle versichert.351
Regelmäßig wird jedoch bei Fehlen einer Einwilligung der versicherten Person eine Unfallfremdversicherung für fremde Rechnung vorliegen.352 Für die Annahme einer Ausnahme, also einer Fremdversicherung für eigene Rechnung bedarf es aufgrund der Zweifelsregelung des § 179 Abs. 1 S. 2 besonderer Anhaltspunkte, die dem VR auch bekannt sein müssen. Daran wird es typischerweise fehlen. Rein interne Erwägungen des Arbeitgebers können im Rechtsverhältnis zum VR keine Bedeutung erlangen (Rn. 134). Unberücksichtigt bleiben muss deshalb etwa das in den Vertragsverhandlungen mit dem VR nicht zum Ausdruck gekommene Interesse des Arbeitgebers, durch den Abschluss einer Unfallversicherung den wirtschaftlichen Schaden zu kompensieren, der durch den unfallbedingten Ausfall von Fachkräften entstehen kann (z.B. für Anwerbung, Ausbildung oder Vergütung einer Ersatzkraft). Vielmehr wird häufig aus den Vereinbarungen zwischen VN und VR auf die Vereinbarung einer Fremdversicherung für fremde Rechnung zu schließen sein. 139 Ob sich die versicherte Person wegen der Geltendmachung der Versicherungsleistung an den VN halten muss oder direkt den VR in Anspruch nehmen darf, hängt bei Arbeitgeberversicherungen vornehmlich von steuerlichen Überlegungen des VN ab. Die zunächst von der Finanzverwaltung gemachten Vorgaben353 sind inzwischen aufgrund neuer Vorgaben des BFH354 zur lohnsteuerlichen Behandlung der Leistungen aus Gruppen-Unfallversicherungen überholt. • Der BFH geht abweichend von der Finanzverwaltung davon aus, dass der Arbeitgeber mit der Finanzierung des Versicherungsschutzes die Beiträge und nicht die bei Eintritt des Versicherungsfalls zu gewährende Versicherungsleistung zuwendet. Die als Voraussetzung für den steuerrelevanten Zufluss von Arbeitslohn geltende Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Zuwendung erfolgt für einen Arbeitnehmer ohne eigenen Rechtsanspruch erst bei Eintritt des Versicherungsfalles und Bezug von Versicherungsleistungen. Erst zu dem Zeitpunkt, in dem die Versicherungsleistungen durch den Arbeitgeber als VN weitergeleitet oder durch den VR auf Weisung des VN unmittelbar an den Arbeitnehmer als versicherter Person ausgezahlt werden, wird der in den Versicherungsbeiträgen liegende Vorteil konkretisiert und – soweit die versicherte Person gegenüber dem VR nicht benannt ist – individualisiert. • Das BFH-Urteil kann für den VR Anlass geben, bestehende und zukünftige Verträge zu GruppenUnfallversicherungen einer Überprüfung zu unterziehen. Der Interessenlage wird es typischerweise entsprechen, für den Arbeitnehmer zukünftig keinen unentziehbaren Rechtsanspruch mehr ein-
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348 349
350 351
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 8; Pannenbecker VersR 1998 1322, 1323 (zur Krankenversicherung). VerBAV 1985 165 ff.; VerBAV 1975 221; VerBAV 1968 74; VerBAV 1965 74 ff. Knappmann RuS 2007 45 f.; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 26; ferner Schwintowski/Brömmelmeyer § 179 Rn. 5. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 8 OLG Hamm 28.11.1975 VersR 1977 1124
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352 353
354
(LS); zweifelnd Rüffer/Halbach/Schimikowski § 179 VVG Rn. 3. S. etwa BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 560 Rn. 33 = DB 2007 2319, 2320. Näher BMF-Schreiben vom 17.7.2000 – IV C 5 – S 2332 – 67/00; ferner Riehl VW 2001 265. BFH 11.12.2008 – VI R 9/05 Rn. 9 ff. mit zustimmender Anmerkung von von Bornhaupt BB 2009 763 f.
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zuräumen.355 Anstatt im Falle des unentziehbaren Rechtsanspruchs jede Beitragszahlung dem individuellen Lohnsteuerabzug (und ggf. der Sozialversicherungspflicht) zu unterwerfen, könnten die Beiträge für die Arbeitnehmer steuerfrei mit der Folge belassen werden, dass nur in den Fällen, in denen es tatsächlich zur Auszahlung einer Versicherungsleistung kommt, eine nachträgliche Besteuerung der Beiträge (mit hälftigem Werbungskostenabzug und bei Invalidität ggf. mit niedrigerem Steuersatz als während des aktiven Erwerbslebens) erfolgt. Für Arbeitnehmer, bei denen kein Versicherungsfall eintritt, käme es zu keinerlei Besteuerung.
Derzeit ist indes noch nicht abschließend geklärt, wie die Finanzverwaltung auf das Urteil des BFH reagieren wird. In Betracht kommt die Veröffentlichung eines überarbeiteten BMF-Schreibens. b) Familienversicherung. Bei der Familienversicherung ist im Regelfall der eine Ehe- 140 partner VN und versicherte Person, während der andere Ehepartner und die Kinder (nur) versicherte Personen sind.356 Eine Fremdversicherung für eigene Rechnung des VN ist nur dann ohne weiteres anzunehmen, wenn die volljährige versicherte Person eine Einwilligung gegeben hat, die den Anforderungen des § 179 Abs. 2 S. 1 (Rn. 189 ff.) entspricht. Sind die versicherten Kinder dagegen minderjährig, wird typischerweise eine Fremdversicherung für fremde Rechnung vorliegen. Hierfür spricht, dass der VN als gesetzlicher Vertreter nicht die notwendige Einwilligung erklären kann (§ 179 Abs. 2 S. 2, Rn. 205) und im Normalfall davon auszugehen ist, dass der VN sich rechtskonform verhalten will. Entsprechendes gilt, wenn volljährige Kinder oder der Ehegatte keine Zustimmung gemäß § 179 Abs. 2 S. 1 erteilt haben. Gibt es keine eindeutigen Anhaltspunkte für den Wunsch des VN, eine Fremdversicherung für eigene Rechnung abzuschließen, greift im Übrigen die Zweifelsregelung des § 179 Abs. 1 S. 2 ein. Nicht ausreichend für die Annahme, der VN wolle entgegen der gesetzlichen Fiktion eine Fremdversicherung für eigene Rechnung abschließen, ist der Umstand, dass er aufgrund seiner Unterhaltspflichten generell ein wirtschaftliches Interesse an der Versicherung seiner Familienangehörigen haben kann; denn auch wenn der VN z.B. beträchtliche Krankenhauskosten für das unfallverletzte Kind zu tragen hat, kann er dennoch darüber hinaus anstreben, dass eine Invaliditätsleistung der versicherten Person zugute komme, um etwa Rücklagen für das Kind nach Eintritt seiner Volljährigkeit zu bilden. In der Praxis braucht die Frage, ob eine Fremdversicherung für eigene oder fremde Rechnung gewollt ist, meist nicht weiter geklärt werden, da insofern Streitigkeiten im Familienverband kaum vorkommen.357 c) Insassen-Unfallversicherung. Eine Fremdversicherung für fremde Rechnung liegt in 141 aller Regel bei der Insassen-Unfallversicherung (A.4 AKB 2008, §§ 16 bis 23 AKB) vor,358 wenn der Insasse nicht zugleich VN ist. Nur wenn VN und Insasse identisch sind, stellt sie zugleich eine Eigenversicherung dar. Die Besonderheit der Insassen-Unfallversicherung gegenüber der sonstigen Unfallversicherung besteht darin, dass sich bei ihr erst nach Eintritt des Versicherungsfalls ergibt, wer versicherte Person gewesen ist; bis dahin herrscht Ungewissheit über die Person der Insassen, da diese ständig wechseln können.359
355 356 357 358
Paus EStB 2009 146. OGH 28.3.2007 VersR 2008 1283, 1284. Surminski VP 1973 100, 102. BGH 23.4.1963 VersR 1963 521, 522; OLG Hamburg 1.3.1960 VersR 1960 1132, 1133; KG 29.7.1954 VersR 1954 454; Terbille/Hormuth MAH § 23 Rn. 8; H. Möller DAR 1954 250, 255; Berliner
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Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 28; s.a. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 44 (Versicherung, für wen es angeht). BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 50; = VersR 1960 339, 340 = NJW 1960 912, 913 = VerBAV 1960 169, 170; BFH 28.9.1993 RuS 1995 317.
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Eine schriftliche Einwilligung der versicherten Person in den Abschluss der InsassenUnfallversicherung ist deshalb im Normalfall praktisch unmöglich (Rn. 9) und in der Praxis folgerichtig nicht üblich, so dass der VN sie sinnvollerweise nur für fremde Rechnung anstreben wird. Hinzu kommt, dass der VR kein Interesse daran haben kann, Rechtsunsicherheiten ausgesetzt zu sein, die mit der Prüfung verbunden sein können, ob eine Unfallversicherung für bei Vertragsschluss unbekannte Insassen als Fremdversicherung für eigene Rechnung rechtswirksam vereinbart werden kann.360 Bestätigt wird die Annahme des Charakters der Insassen-Unfallversicherung als Fremdversicherung für fremde Rechnung durch die AKB. Würde es sich bei der Insassen-Versicherung um eine Unfallversicherung für eigene Rechnung handeln, so wäre es nicht verständlich, dass bei der namentlichen Versicherung die versicherte Person gemäß Ziff. A.4.2.6 S. 2 AKB 2008 ihre Ansprüche selbstständig gegen den VR geltend machen und der VN nach A.4.9.7 AKB 2008 die Auszahlung der auf eine mitversicherte Person entfallenden Versicherungsleistung nur mit deren Zustimmung verlangen kann.361 Absolut zwingend ist die Annahme einer Fremdversicherung für fremde Rechnung bei fehlender Personenidentität von VN und versicherte Person indes nicht.362 Die Auslegung kann in seltenen Ausnahmefällen auch zu einem anderen Ergebnis – nämlich zu einer Fremdversicherung für eigene Rechnung – führen. Ein dahingehender – deutlich zum Ausdruck kommender – Parteiwille darf nicht unbeachtet bleiben (Rn. 133 ff.). Folge eines solchen Parteiwillens ist indes die Nichtigkeit des Vertrages (Rn. 226).
III. Fremdversicherung für fremde Rechnung 142
Die Fremdversicherung für fremde Rechnung führt zur Anwendung der im Allgemeinen Teil des VVG geregelten §§ 43 bis 48. Vor der VVG-Reform 2008 war hierzu noch eine Bezugnahme durch § 179 Abs. 2 S. 2 a.F. auf §§ 75 bis 79 a.F. notwendig, da die Vorschriften zur Versicherung für fremde Rechnung nicht allgemein, sondern unmittelbar nur für die Schadenversicherung zur Anwendung gelangten. Kennzeichnend für die Fremdversicherung für fremde Rechnung ist – vorbehaltlich besonderer vertraglicher Regelungen – die Trennung zwischen der materiellen Rechtszuständigkeit bzw. Inhaberschaft und der formellen Geltendmachung der Rechte an den Leistungen des VR; die versicherte Person ist zwar materiell Berechtigter, die Verfügungsbefugnis steht jedoch prinzipiell dem VN zu.363 Es kommt zu einer Aufspaltung der Verfügungsbefugnis und der Gläubigerstellung. Dadurch entsteht ein „Dreiecksverhältnis besonderer Art“.364 Zu unterscheiden sind das Rechtsverhältnis zwischen VN und VR (sog. Deckungsverhältnis), versicherter Person und VR (sog. Zuwendungsverhältnis) sowie zwischen VN und versicherter Person (sog. Valutaverhältnis).
360 361 362
S. dazu H. J. Weber VersR 1954 523, 526. S.a. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 58. So aber etwa Orlowski VersR 1954 45; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 41 und B 58.
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363
364
BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 261 f.; BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 560 Rn. 34; Baumann JZ 1978 81, 82; Haymann VersArch 1937 119, 121; Prölss/Martin/ Prölss 27 § 75 Rn. 1. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 55.
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§ 179
1. Rechtsverhältnis zwischen VN und VR Das Rechtsverhältnis zwischen dem VN und dem VR bestimmt sich ausschließlich 143 nach dem zwischen beiden bestehenden Versicherungsvertrag. Obwohl der Versicherungsanspruch nach § 44 Abs. 1 S. 1 (§ 75 Abs. 1 S. 1 a.F.) materiell-rechtlich der versicherten Person zusteht, bleibt der VN formell Vertragspartner des VR. Daraus folgt, dass – sofern die Vertragspartner nichts Abweichendes vereinbart haben – der VN im Grundsatz Inhaber der Rechte und Träger der Pflichten aus dem Versicherungsvertrag ist. a) Rechte des VN. Der VN kann nach § 44 Abs. 1 S. 1 (§ 76 Abs. 1 a.F.) über die 144 Rechte, die der versicherten Person aus dem Versicherungsvertrag zustehen, im eigenen Namen verfügen. Er gibt die für den Vertrag relevanten Erklärungen gegenüber dem VR ab und ist zum Empfang aller Willenserklärungen legitimiert.365 Grund hierfür ist zum einen, dass sich der VR im Versicherungsfall aus Gründen der Rechtssicherheit und der zweckmäßigen Abwicklung des Vertrages nur mit einer ihm bekannten Person (dem VN) und nicht mit der – u.U. nicht namentlich benannten – versicherten Person auseinandersetzen müssen soll.366 Dieses Interesse des VR ist schutzwürdig, da die Rollenspaltung zwischen VN und versicherter Person dem Wunsch seines Vertragspartners entspricht.367 Zum anderen soll die Position des VN für den Fall geschützt werden, dass er noch eigene bestehende Ansprüche gegen die versicherte Person durchsetzen möchte.368 Die Verfügungsbefugnis des VN 369 ist als solche weder abtretbar noch pfändbar,370 145 wohl kann sie aber der Ausübung durch den Insolvenzverwalter des VN unterliegen.371 Auch geht sie mit dem Tod des VN auf seinen Gesamtnachfolger über.372 Die Verfügungsbefugnis beinhaltet im Wesentlichen, dass (nur) der VN • die vertraglichen Gestaltungsrechte wie die Kündigung oder Anfechtung, aber auch den Widerspruch nach § 5373 oder Widerruf gemäß § 8 gegenüber dem VR ausüben darf.374 • Vertragsänderungen und -abwicklungen mit dem VR durchführen darf.375 Er kann etwa den VR mahnen, ihn in Verzug setzen, ihm die Leistung stunden, Zahlungsmodalitäten ändern, Einwendungen und Einreden des VR akzeptieren, Verhandlungen führen oder Vergleiche schließen.376 • berechtigt ist, die Versicherungsforderung (unentgeltlich) an einen Dritten abzutreten, allerdings mit der Gefahr, sich infolge der Abtretung gegenüber der versicherten Person schadensersatzpflichtig zu machen377 Gleiches gilt für die Verpfändung oder Einräumung bzw. Änderung eines Bezugsrechts.378 Insofern ähnelt die Rechtslage der beim Verzicht (Rn. 148). • (im Grundsatz) die Klagebefugnis (nebst Zwangsvollstreckungsbefugnis) inne hat, also Versicherungsforderungen gegenüber dem VR gerichtlich geltend machen kann.379
365 366
367 368
369 370
Roesch JR 1948 100, 101; Trautmann S. 24; Wüstney § 16 Anm. 2. BGH 4.5.1964 BGHZ 41 327, 329 = VersR 1964 709; Rüffer/Halbach/Muschner § 44 VVG Rn. 1; Prölss/Martin/Prölss 27 § 75 Rn. 1; ferner OGH 28.3.2007 VersR 2008 1283, 1284. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 55. Motive zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen §§ 75, 76 S. 351; Nießen S. 8; Trautmann S. 3 ff. Zur Rechtsnatur Nießen S. 70 ff.; Trautmann S. 29 ff. Trautmann S. 47 f.
371 372 373 374
375 376 377 378 379
Trautmann S. 50 ff. Haymann VersArch 1937 119, 123. Trautmann S. 7 und 25. S. nur OGH 28.3.2007 VersR 2008 1283, 1284; Prölss/Martin/Prölss 27 § 74 Rn. 8 und § 76 Rn. 1; Trautmann S. 8 und 25. Wüstney § 16 Anm. 2. Trautmann S. 24 f. Haymann VersArch 1937 119, 126. OGH 28.3.2007 VersR 2008 1283, 1284. Nießen S. 53 ff., 61 f. und 64 ff.; Prölss/ Martin/Prölss 27 § 76 Rn. 1; Trautmann S. 24; Wüstney § 16 Anm. 2.
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146
Konsequenterweise bleibt der VN auch gegenüber dem VR forderungs- bzw. einziehungsberechtigt.380 Der VR darf nur gemäß der Anweisung des VN – entweder an den VN oder an die versicherte Person – auszahlen. Die Zahlungsanordnung des VN ist ein echter Verfügungsakt.381 Verlangt der VN – in zulässiger Abweichung zu § 335 BGB 382 – Zahlung an sich selbst, so erlischt mit der Zahlung an den VN der Versicherungsanspruch.383 Es tritt m.a.W. Erfüllung für den VR ein, auch wenn er nicht an die versicherte Person geleistet hat; die Leistung an den VN ist auch Erfüllung gegenüber der versicherten Person.384 Ist ein Versicherungsschein ausgestellt, so ist der VN ohne Zustimmung der versicher147 ten Person zur Annahme der Leistung des VR und zur Übertragung (Abtretung, Verpfändung) der Rechte der versicherten Person nur befugt, wenn er im Besitz des Versicherungsscheins ist (§ 45 Abs. 2, § 76 Abs. 2 a.F.).385 Von diesem durch gesetzliche Regelung aufgestellten Grundsatz weichen indes die AVB üblicherweise ab, indem sie dem VN eine Ausschließlichkeitsbefugnis einräumen (Rn. 188). Weiterhin ist der VR zur Leistung an den VN nur verpflichtet, wenn dieser nachweist, dass die versicherte Person ihre Zustimmung zu der Versicherung erteilt hat (§ 45 Abs. 3, § 76 Abs. 3 a.F.).386 Streitig ist, ob der VN auch nach Eintritt des Versicherungsfalls gegenüber dem VR – 148 vollständig oder teilweise – auf die Versicherungsleistung verzichten bzw. diesem die Schuld erlassen kann, z.B. wenn die versicherte Person sich im Innenverhältnis zum VN weigert, einer Anrechung der Leistung aus der Unfallversicherung auf Haftpflichtansprüche der versicherten Person gegen den VN zuzustimmen. Z.T. wird eine Verzichtsbefugnis des VN verneint. Die Anwendung des § 45 Abs. 1 (§ 76 a.F.) sei verfehlt, da diese Norm auf die Schadensversicherung, nicht aber auf die Unfallversicherung (bzw. Personenversicherung) zugeschnitten sei sowie i.E. dazu führe, dass die versicherte Person das Insolvenzrisiko des VN trage. Dem VN stehe deshalb nur das Recht zur Einziehung der Versicherungsleistung, nicht aber deren Verweigerung zu.387 Die wohl h.M. schränkt dagegen im Einklang mit dem Wortlaut des § 45 Abs. 1 die Rechtsposition des VN gegenüber dem VR grundsätzlich nicht ein.388 Allerdings kann der Verzicht des VN (gegenüber der versicherten Person) im Einzelfall treuwidrig und damit eine unzulässige Rechtsausübung darstellen (§ 242 BGB) oder als sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) zu bewerten sein,389 so dass Schadensersatzansprüche für die versicherte Person gegen den VN in Betracht kommen (Rn. 175 ff.).
380
381 382 383
384
385
Motive zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 179 S. 720; BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 262. BGH 13.1.1981 VersR 1981 447, 449 = NJW 1981 1613, 1615. Nießen S. 8. BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 50 f. = VersR 1960 339, 340 = NJW 1960 912, 913; Grimm4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 6; Haymann VersArch 1937 119, 124; A. Surminski VP 1973 100; Trautmann S. 53. BGH 12.6.1991 VersR 1994 1101, 1102 = NJW 1991 3031, 3032 = RuS 1991 346, 347; Roesch JR 1948 100, 101. Näher hierzu etwa Nießen S. 75 ff.; Trautmann S. 28 f.
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386 387
388
389
Dazu etwa Nießen S. 47 ff. Eingehend Thiel VersR 1955 726, 727 ff.; ferner Pannenbecker VersR 1998 1322, 1325 ff. (für die Krankheitskostenversicherung; dagegen passten die Bedenken nicht für die Krankenhaus-Tagegeldversicherung, S. 1328 ff.). BGH 13.1.1981 VersR 1981 447, 449 = NJW 1981 1613, 1615; BGH 23.4.1963 VersR 1963 521, 522; OLG Hamburg 1.3.1960 VersR 1960 1132; Nießen S. 80 f.; Trautmann S. 26 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 6; Wüstney § 16 Anm. 2. OLG Hamburg 1.3.1960 VersR 1960 1132; KG 29.7.1954 VersR 1954 454; Prölss/Martin/Prölss 27 § 76 Rn. 1
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Versicherte Person
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b) Pflichten des VN. Der VN (und nicht etwa die versicherte Person, Rn. 160) einer 149 Fremdversicherung für fremde Rechte hat alle Pflichten, die sich aus dem Versicherungsvertrag ergeben, zu erfüllen.390 Insbesondere ist er zur Prämienzahlung verpflichtet, obwohl die Vorteile aus dem Vertrag allein der versicherten Person zukommen.391 Weiterhin muss er die Obliegenheiten erfüllen.392 Es gilt nichts anderes als bei der Versicherung für eigene Rechnung.393 Erfüllt der VN die Rechtsverbindlichkeiten oder Obliegenheiten nicht, so treten etwaige Rechtsfolgen auch gegenüber der versicherten Person ein. c) Rechte des VR. Hat der VR eine Versicherungsleistung vollständig oder teilweise 150 rechtsgrundlos an den VN ausgezahlt, so richtet sich der bereicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch („Kondiktion wegen Bereicherung in sonstiger Weise“) des VR vor Auskehrung der Versicherungsleistung durch den VN an die versicherte Person nach allgemeiner Ansicht gegen den VN.394 Problematisch ist dagegen die Bewertung nach Weiterleitung der Versicherungsleistung durch den VN an die versicherte Person. Fraglich kann dann sein, ob eine Entreicherung beim VN gegeben ist und ein Durchgriff nach § 822 BGB bei der versicherten Person in Betracht kommt.395 d) Pflichten des VR. Der VR hat seine der Durchführung, Beendigung und Abwick- 151 lung dienenden Willenserklärungen wie z.B. Kündigung, Rücktritt, Anfechtung und Mahnung an den VN zu richten.396 Die versicherte Person ist bei Fehlen besonderer Zurechnungsgründe nicht empfangszuständig. 2. Rechtsverhältnis zwischen versicherter Person und VR Für die Rechtsbeziehung zwischen der versicherten Person und dem VR gilt Folgen- 152 des: a) Rechte der versicherten Person. Die versicherte Person hat direkt gegenüber dem 153 VR keine eigenen Vertragsrechte, da sie nicht Vertragspartei ist. So besteht z.B. kein Recht auf wirtschaftliche Kontrolle des Verhaltens des VN.397 Aus der (unmittelbaren) Anwendung der §§ 45 ff. (75 ff. a.F.) auf die Unfallversicherung für fremde Rechnung folgt: aa) Grundsatz der fehlenden Verfügungs- und Klagebefugnis der versicherten Person. 154 Der versicherten Person „stehen“ zwar – in Übereinstimmung mit § 328 Abs. 1 BGB – „die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu“(§ 44 Abs. 1 S. 1, § 75 Abs. 1 S. 1 a.F.). Jedoch lässt sich aus dieser – zu weit gefassten 398 – Gesetzesformulierung nicht ableiten, dass sie (vollständig) in die Stellung des VN einrückt. Vielmehr ist die versicherte Person
390 391
392 393
Roesch JR 1948 100, 101. Motive zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 179 S. 720 (siehe auch §§ 75, 76 S. 350); ferner OGH 28.3.2007 VersR 2008 1283, 1284; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 18. Prölss/Martin/Prölss 27 § 74 Rn. 8; Rohles VW 1983 1234. BGH 19.1.1967 VersR 1967 343, 344.
394 395 396 397 398
Nießen S. 122 f.; Prölss/Martin/Prölss 27 § 75 Rn. 13. Näher Nießen S. 123 f.; Prölss/Martin/ Prölss 27 § 75 Rn. 13. Prölss/Martin/Prölss 27 § 74 Rn. 8; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 55. OLG Celle 19.9.2008 VersR 2008 1532, 1537. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 59.
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bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung materiell Berechtigter,399 während der VN formeller Träger der Versicherungsrechte ist.400 Die versicherte Person ist weder aktiv zur Vornahme von Rechtshandlungen gegenüber dem VR noch passiv zur Entgegennahme von Erklärungen des VR befugt.401 Der versicherten Person gebührt im Versicherungsfall zwar die Versicherungsleistung. Allerdings kann sie diese – im Gegensatz zu § 328 Abs. 1 BGB – gegenüber dem VR nicht (gerichtlich) geltend machen bzw. durchsetzen,402 es sei denn, die Vertragsparteien haben ein Forderungsrecht für die versicherte Person vereinbart (z.B. A.4.2.6 AKB 2008). Leistet der VR ohne Zustimmung des VN an die versicherte Person, so ist diese i.S.d. § 812 BGB gegenüber dem VR unmittelbar bereichert.403 Des Weiteren ist die versicherte Person grundsätzlich nicht autorisiert, auf den Vertrag durch Gestaltungserklärungen einzuwirken404 bzw. die Einflussnahme auf den Vertrag durch den VN zu verhindern, den Eintritt in den Vertrag als VN zu erzwingen oder Willenserklärungen des VR für den VN entgegenzunehmen.405 Die versicherte Person kann ihr materielles Recht durch einseitige rechtsgestaltende Willenserklärung (formlos) gegenüber dem VR zurückweisen (§ 333 BGB).406 Eine Legitimation der versicherten Person unmittelbar gegen den VR (Leistungs-) 155 Klage einzureichen, kann nur in Ausnahmefällen bejaht werden. Voraussetzung ist, dass sich das Berufen des VR auf die fehlende Klagebefugnis der versicherten Person als Rechtsmissbrauch darstellt.407 Ein treuwidriges Verhalten des VR kommt unter Abwägung der Interessen des VR und der versicherten Person in Betracht, wenn • das grundsätzlich schützenswerte Interesse des VR, sich im Schadensfall nur mit dem ihm bekannten Vertragspartner (dem VN) und nicht mit einer unbestimmte Vielzahl unbekannter Personen (versicherte Person) auseinandersetzen zu müssen (Rn. 144), für den konkreten Sachverhalt nicht gegeben ist. Dies ist der Fall, wenn der VR die versicherte Person und die sonstigen, für die Beurteilung des Versicherungsanspruchs wesentlichen Umstände kennt und (neben dem VN) nur mit einem einzigen Verhandlungs- und Prozesspartner zu rechnen ist.408 • die versicherte Person ein schützenswertes Interesse daran hat, direkt gegen den VR vorgehen zu können, weil der VN den Anspruch gegen den VR nicht geltend machen will oder die finanzielle Lage des VN befürchten lässt, dass die Durchsetzung des Anspruchs gegen den VR gefährdet ist.409
Liegen diese Voraussetzungen vor, steht auch Ziff. 12.1 AUB 99/2008 (§ 12 Abs. 1 AUB 88/94, § 16 Nr. 1 AUB 61) einer Inanspruchnahme des VR durch die versicherte Person nicht entgegen. Ein Berufen des VR auf die AUB-Bestimmungen wäre rechtsmissbräuchlich (Ziff. 12 AUB 2008 Rn. 7).
399 400
401 402
403 404
BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 49 f.; Trautmann S. 6. BAG 17.6.1997 RuS 1999 390 = BB 1998 751 = NZA 1998 376, 377; OGH 29.11.2006 VersR 2008 283. Roesch JR 1948 100, 101; Trautmann S. 11. BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 262; LG Dortmund 22.3.2007 NJW-RR 2007 1040; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 4; Roesch JR 1948 100, 101. OLG Frankfurt/M. 30.3.1977 VersR 1978 169, 170; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 4. Prölss/Martin/Prölss 27 § 75 Rn. 5; Roesch JR 1948 100, 101.
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405 406 407
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Nießen S. 56 f. Haymann VersArch 1937 119, 122; näher Nießen S. 49 ff. Grundlegend BGH 4.5.1964 BGHZ 41 327, 329 ff. = VersR 1964 709 f.; näher auch Nießen S. 88 ff. BGH 4.5.1983 VersR 1983 823, 824; BGH 4.5.1964 BGHZ 41 327, 329 f. = VersR 1964 709 f. BGH 14.12.1994 RuS 1995 117; BGH 4.5.1964 BGHZ 41 327, 331 ff.
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Versicherte Person
§ 179
Z.T. wird die Auffassung vertreten, dem Feststellungsinteresse bei einer Feststellungs- 156 klage der versicherten Person gegen den VR nach § 256 ZPO stünde nicht entgegen, dass die versicherte Person im Regelfall keinen unmittelbaren Anspruch gegen den VR habe bzw. im Fall einer Leistungsklage nicht aktivlegitimiert sei. Das Feststellungsinteresse setze nicht zwingend voraus, dass das festzustellende Rechtsverhältnis gerade zwischen den Parteien (versicherter Person und VR) bestehe. Es könne sich auch auf das Rechtsverhältnis zwischen einer Partei und einem Dritten beziehen, wenn dieses Rechtsverhältnis zugleich für die Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander von Bedeutung sei. Dies sei im Verhältnis zwischen versicherter Person und VR anzunehmen; denn für die Frage, ob die versicherte Person bei einer Fremdversicherung für fremde Rechnung die Versicherungsleistung i.E. erhalten könne, sei maßgebend, ob der VR gegenüber dem VN zur Leistung verpflichtet sei.410 Dem ist in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Könnte die versicherte Person statt einer Leistungsklage – schrankenlos – eine Feststellungsklage erheben, so würde damit das schützenswerte Interesse des VR vereitelt, sich nur mit seinem Vertragspartner (dem VN) auseinandersetzen zu müssen. Es kann nicht von der u.U. zufällig bestimmten Klageart abhängen, ob die versicherte Person direkt gegen den VR prozessieren kann. Vielmehr kann eine Klage der versicherten Person auf Feststellung von Versicherungsschutz ebenso wie bei der Leistungsklage nur in Ausnahmefällen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben in Betracht kommen. bb) Zustimmung des VN. Aus § 44 Abs. 2 (§ 75 Abs. 2 a.F.) ergibt sich, dass die ver- 157 sicherte Person über ihre Rechte verfügen und diese gerichtlich geltend machen kann, wenn eine ausdrückliche oder konkludente Zustimmung des VN vorliegt. Die Zustimmung beurteilt sich nach §§ 182 ff. BGB. Sie kann sowohl gegenüber der versicherten Person als auch dem VR erklärt werden. Beispielsweise können der VN (Arbeitgeber der versicherten Person) und VR (aus lohnsteuerlichen Gründen) – insbesondere bei Gruppen-Unfallversicherungen – folgende Vereinbarung treffen: „Die versicherte Person kann Leistungen aus der Unfallversicherung ohne ihre Zustimmung unmittelbar bei dem VR geltend machen. Dieser leistet direkt an die versicherte Person.“ 411
Solche Abreden gehen auch Ziff. 12.1 S. 1 AUB 99/2008 (§ 12 Abs. 1 AUB 88/94) vor.412 cc) Rechte an und aus dem Versicherungsschein. Nicht die versicherte Person, son- 158 dern nur der VN kann die Übermittlung eines Versicherungsscheins verlangen (§ 44 Abs. 1 S. 2, § 75 Abs. 1 S. 2 a.F.).413 In Betracht kommt aber ein Anspruch der versicherten Person gegen den VR auf Einsichtnahme in den Versicherungsschein nach § 810 BGB.414 Die versicherte Person kann ohne Zustimmung des VN nur dann über ihre Rechte 159 verfügen und diese geltend machen, wenn sie im Besitz des Versicherungsscheins ist (§ 44 Abs. 2, § 75 Abs. 2 a.F.).415 Hat der VR eine Unfallleistung entgegen § 45 Abs. 3 (§ 76 Abs. 3 a.F.) ohne Zustimmung der versicherten Person an den VN ausgezahlt, so verschafft dies der versicherten Person nicht automatisch die Berechtigung, die Leistung
410 411 412 413
LG Saarbrücken 21.11.2005 ZfS 2006 279. BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 560 Rn. 36. BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 560 Rn. 37. Zur Frage, ob die versicherte Person die
414 415
Ausstellung einer Ersatzurkunde vom VR verlangen kann Nießen S. 61. Nießen S. 60 f. Dazu Nießen S. 81 f. und 85 ff.; Trautmann S. 9 f. und 12.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
nunmehr gegen den VR einzuklagen.416 Im Grundsatz hat der Ausgleich auch in diesen Fällen zwischen der versicherten Person und dem VN stattzufinden.417 Allerdings kann die Weigerung des VR, an die versicherte Person erneut zu leisten, bzw. das Berufen des VR auf die fehlende Klagebefugnis der versicherten Person rechtsmissbräuchlich sein (Rn. 155).
160
b) Pflichten der versicherten Person. Die versicherte Person kann gegenüber dem VR nicht mit sog. echten Rechtspflichten, d.h. mit Pflichten belastet werden, die zwangsweise durchgesetzt werden können und in die Rechtsposition der versicherten Person eingreifen. Dies liegt zum einen bereits darin begründet, dass die versicherte Person nicht am Versicherungsvertrag als Vertragspartei beteiligt ist. Vertragliche Pflichten gegenüber dem VR treffen die versicherte Person nur dann, wenn sie Entsprechendes mit dem VR vereinbart hat. Solche selbständigen Verpflichtungen können allerdings nicht über das hinausgehen, was von dem VN bei einer Eigenversicherung verlangt werden kann.418 Zum anderen können der versicherten Person (ohne ihre Zustimmung) keine Rechtspflichten durch ein Zusammenwirken zwischen VN und VR auferlegt werden, da das Zivilrecht keinen Vertrag zu Lasten Dritter kennt.419 Folgerichtig lässt sich ableiten: • Da die versicherte Person keine Verfügungsbefugnis hat, kann ihr umgekehrt gegenüber dem VR insbesondere auch keine Pflicht zur Prämienzahlung auferlegt werden.420 Das Gesetz nimmt jedoch insofern Rücksicht auf den Umstand, dass die versicherte Person nach § 44 Abs. 1 S. 1 in den Genuss der Versicherungsleistung kommt, ohne ihrerseits etwas geleistet zu haben, als § 35 (§ 35b a.F.) dem VR für ihm zustehende fällige Prämien oder sonstige Forderungen aus dem Vertrag gegen den VN ein Aufrechnungsrecht gegenüber dem Anspruch der versicherten Person auf Versicherungsleistung eröffnet. • Die versicherte Person kann weder zu einer Gesundheitsuntersuchung, zu Auskünften oder Anzeigen gezwungen werden.421
Die versicherte Person ist in Bezug auf die Vertragspflichten im Grundsatz auch nicht Erfüllungsgehilfe des VN i.S.v. § 278 BGB.422 Neben dem VN ist bei der Unfallfremdversicherung für fremde Rechnung auch die 161 versicherte Person mit den sich aus Vertrag oder Gesetz ergebenden Obliegenheiten belastet.423 Dies folgt bereits aus der allgemeinen Erwägung, dass der VN und die versicherte Person in einer Art Interessengemeinschaft stehen. Beide müssen dafür sorgen, dass durch Erfüllung der Obliegenheiten ein dem Gedanken der Gefahrengemeinschaft entsprechendes Verhalten gewahrt wird.424 Die Rollenspaltung zwischen VN und versicherter Person soll dem VR nicht zum Nachteil gereichen, gerade weil oftmals nur die versicherte Person die gefahrerheblichen Umstände kennt, als Erste vom Versicherungsfall erfährt und die Möglichkeit hat, den Schaden abzuwenden, aufzuklären bzw. gering zu halten.425 Folgerichtig bringt auch das Gesetz zum Ausdruck: Kenntnisse und Verhalten der ver162 sicherten Person sind dem Verhalten des VN nach Maßgabe des § 47 (entspricht § 79 a.F.) gleichgestellt. Dies bedeutet, dass überall dort, wo dem VR aus einer Kenntnis oder
416
BGH 14.12.1994 RuS 1995 117. Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 23. 418 Fuchs S. 108 f. 419 S. nur Fuchs S. 104; Wüstney § 16 Anm. 3. 420 Prölss/Martin/Prölss 27 § 75 Rn. 6; Nießen S. 41; Roesch JR 1948 100, 101; s.a. Motive 417
260
421 422 423 424 425
zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/ Hagen §§ 75, 76 S. 351. Fuchs S. 104 f. Fuchs S. 105. Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 30. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 57. Nießen S. 43.
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Versicherte Person
§ 179
aus einem Verhalten des VN Einwendungen erwachsen, auch Kenntnisse und das Verhalten der versicherten Person zu berücksichtigen sind.426 Dies kann etwa bei der Rückwärtsversicherung,427 insbesondere aber auch bei den Obliegenheiten Bedeutung (Ziff. 12 AUB 2008 Rn. 11 ff.) erlangen. Eine mit § 47 vergleichbare Regelung enthält § 179 Abs. 3 für die Fremdversicherung für eigene Rechnung (Rn. 8 und 270). c) Rechte des VR. § 334 BGB findet Anwendung. Folge des Akzessorietätsgrund- 163 satzes ist, dass der Rechtserwerb der versicherten Person mit den Einwendungen und Einreden aus dem Rechtsverhältnis zwischen VN und VR behaftet ist.428 Der VR kann sich demnach z.B. auf die Unwirksamkeit des Vertrages (etwa aufgrund einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, Nichtzahlung der Erst- oder Folgeprämie oder Verjährung usw. berufen, sofern die Vertragsparteien keine abweichenden Vereinbarungen getroffen haben.429 Hat der VR bei einer Fremdversicherung für fremde Rechnung (z.B. infolge einer 164 Anfechtung wegen arglistiger Täuschung) rechtsgrundlos eine Versicherungsleistung an die versicherte Person ausgezahlt, so stellt sich die Frage, ob die Leistung bzw. der nicht geschuldete Leistungsteil von der versicherten Person oder vom VN zu kondizieren ist. Die Rechtslage zum Bereicherungsausgleich ist umstritten. Schuldner des bereicherungsrechtlichen Anspruchs dürfte wohl nicht die versicherte Person,430 sondern nur der VN sein.431 d) Pflichten des VR. Der VR hat spätestens bei der Regulierung von Schäden die ver- 165 sicherte Person bzw. deren Erben über das Bestehen der Fremdversicherung für fremde Rechnung zu informieren. Anderenfalls könnte der VN kraft seiner Einziehungsbefugnis Versicherungsleistungen vereinnahmen, ohne dass die versicherte Person hiervon Kenntnis erhielte. Dadurch erhielte die Unfallfremdversicherung für fremde Rechnung den Charakter einer Versicherung für eigene Rechnung i.S.v. § 179 Abs. 2, für die eine schriftliche Einwilligung der versicherten Person erforderlich gewesen wäre. Kommt der VR seiner Aufklärungspflicht nicht nach, nimmt das Aufsichtsamt einen Missstand an.432 3. Rechtsverhältnis zwischen versicherter Person und VN Bis auf die §§ 46 f. (§§ 77, 79 a.F.) enthält das Gesetz keine ausdrücklichen Regelun- 166 gen über das Rechtsverhältnis zwischen der versicherten Person und dem VN.433 • §§ 44 f. befassen sich mit den Rechten der versicherten Person gegen den VR (§ 44) und den Rechten des VN in Bezug auf die Forderung der versicherten Person gegen den VR (§ 45). Für das Innenverhältnis zwischen versicherter Person und VN lassen sie keine Rückschlüsse zu.434 • § 179 Abs. 1 S. 2 (§ 179 Abs. 2 a.F.) besagt ebenfalls nichts über die nähere Ausgestaltung des Innenverhältnisses zwischen der versicherten Person und dem VN;435 die Vorschrift gibt lediglich
426 427 428
429 430 431
Näher Nießen S. 105 ff. Rohles VW 1983 1234, 1235. BGH 19.1.1967 VersR 1967 343, 344; OLG Köln 19.8.1997 VersR 1998 1104, 1107; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 4; Roesch JR 1948 100, 101. Nießen S. 96 ff. So aber Prölss/Martin/Prölss 27 § 75 Rn. 14. So etwa Haymann VersArch 1937 119, 125; Einzelheiten bei Nießen S. 114 ff.
432 433
434 435
GB BAV 1981 94 Nr. 813. Zur Stellung der Beteiligten in der Zwangsvollstreckung und Insolvenz s. Nießen S. 210 ff.; Trautmann S. 21 f. und 96 ff. Trautmann S. 54 f. KG 27.3.1936 VA 1936 192, 193 Nr. 2880; Hofmann VersR 1960 97, 100.
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eine Auslegungsregel im Verhältnis zwischen VN und VR (Rn. 136). Entsprechendes gilt für § 179 Abs. 2 (§ 179 Abs. 3 a.F.).436 • Auch aus dem Charakter der Fremdversicherung für fremde Rechnung als Vertrag zugunsten Dritter lassen sich keine allgemeinen Rückschlüsse ziehen; denn Verträge zugunsten Dritter regeln nur die Rechtsbeziehungen zwischen dem Versprechenden (VR) und dem Versprechensempfänger (VN) und geben darüber hinaus dem durch das Versprechen bedachten Dritten (versicherte Person) einen Anspruch gegen den Versprechenden (VR).437 Sie sagen aber nichts über die Rechtsbeziehungen im Innenverhältnis zwischen Versprechensempfänger (VN) und dem bedachten Dritten aus (versicherte Person).438
Entscheidend dafür, ob und in welchem Umfang sowie unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen die versicherte Person von dem VN Zahlung der Versicherungssumme verlangen und ob der VN wegen der Eingehung und Aufrechterhaltung der für Rechnung der versicherten Person geschlossenen Versicherung und für die Auszahlung der Versicherungssumme seinerseits Forderungen bzw. Einwendungen gegen die versicherte Person erheben kann, ist folglich, welche – ggf. durch Auslegung zu ermittelnde – Rechtsbeziehungen im Innenverhältnis zwischen den Parteien (VN und versicherter Person) bestehen.439 Nur sie können Aufschluss darüber geben, in welchem Verhältnis die Verfügungsbefugnis des VN zur materiellen Rechtsinhaberschaft der versicherten Person steht. Versicherungsrechtlich ist das Innenverhältnis zwischen dem VN und der versicherten Person bedeutungslos.440
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a) Rechte der versicherten Person. Zu unterscheiden sind zwei Sachverhaltskonstellationen: Hat der VR bereits an den VN ausgezahlt, ist zum einen zu prüfen, ob die versicherte Person vom VN Auskehrung der erhaltenen Versicherungsleistung an sich verlangen kann. Ist die Versicherungsleistung noch nicht an den VN geflossen, kann sich zum anderen die Frage stellen, ob die versicherte Person vom VN verlangen kann, die Versicherungsleistung beim VR geltend zu machen. Weiterhin kommen im Rechtsverhältnis zwischen der versicherten Person und dem VN Ansprüche auf Auskunft u.ä. in Betracht.
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aa) Anspruch der versicherten Person auf die Unfallversicherungsleistung. Ob, in welcher Höhe und an wen der VN die eingezogene Versicherungssumme auszukehren hat, ist anhand des Innenverhältnisses zwischen VN und versicherter Person zu beurteilen.441 Das Zuwendungsverhältnis kann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein und auf den unterschiedlichsten (z.B. familiären, fürsorglichen, sozialen, wirtschaftlichen, eigennützigen) Motiven beruhen.442 Der Abschluss der Unfallversicherung kann z.B. die Gegenleistung des VN an die versicherte Person aus einem Kaufvertrag darstellen oder
436 437 438 439
Roesch JR 1948 100, 101; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 61. S.a. OGH Br. Z. 19.1.1950 VersR 1950 81 mit Anm. H. Möller. BAG 30.1.1958 VersR 1958 360; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 63. BAG 30.1.1958 VersR 1958 360; OLG Hamburg 1.3.1960 VersR 1960 1132; KG 27.3.1936 VA 1936 192, 193 Nr. 2880; Nießen S. 125 f.; Trautmann S. 56 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 9; Wüstney § 16 Anm. 1 B.
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440 441
442
Roesch JR 1948 100. BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 51 = VersR 1960 339, 340 = NJW 1960 912, 914 = VerBAV 1960 169, 170; BGH 23.10.1958 VersR 1958 797; BAG 17.6.1997 RuS 1999 390, 391 = BB 1998 751 = NZA 1998 376, 377; BAG 21.2.1990 NZA 1990 701, 702; BAG 18.2.1971 VersR 1971 542. S. etwa Hofmann VersR 1960 97 zur Insassen-Unfallversicherung; allgemein Nießen S. 126 ff.
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Versicherte Person
§ 179
auf einer Schenkung 443 beruhen. Praktisch relevanter dürften die Fälle sein, in denen die Unfallversicherung im Kontext zu einem Arbeitsvertrag, einer betrieblichen Übung, einem Gesellschaftsvertrag, einem Auftrags- bzw. Geschäftsbesorgungsverhältnis steht.444 Beruht der Abschluss des Versicherungsvertrages auf einem Vertrag zwischen VN und versicherter Person, so ist mittels Vertragsauslegung zu prüfen, was mit der eingezogenen Versicherungssumme zu geschehen hat.445 So ist es z.B. bei Bestehen eines Arbeitsvertrages regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers unvereinbar, wenn er einen Betrag einbehält, auf den nach den Vorschriften des Versicherungsvertragsrechts allein der Arbeitnehmer (versicherte Person) Anspruch hat.446 Der Fürsorgegedanke überwiegt das u.U. vorhandene (berechtigte) Interesse des Arbeitgebers, sich vor wirtschaftlichen Nachteilen durch den Unfall eines Arbeitnehmers zu schützen (z.B. infolge des Ausfalls wichtiger, gut eingearbeiteter Arbeitskräfte).447 Existieren keine (ausdrücklichen oder stillschweigenden) vertraglichen Abmachungen, die sichere Rückschlüsse über die Verwendung der vom VN eingezogenen Versicherungssumme zulassen, so herrscht heute i.E. weitgehende Einigkeit darüber, dass der VN der versicherten Person die Versicherungsleistung auszukehren hat.448 Die dogmatische Begründung war in der Vergangenheit umstritten.449 Neben möglichen Einwendungen der versicherten Person gegen den VN aus §§ 242, 138 BGB für den Fall, dass sich der VN gegenüber der versicherten Person auf die Rechtsgrundlosigkeit der Drittversicherung berufen sollte,450 haben die ältere Rechtsprechung und Literatur gesetzliche Schuldverhältnisse herangezogen und • eine Geschäftsführung ohne Auftrag durch den VN bejaht. Der VN, der die Gefahrperson ohne deren Einwilligung gegen Unfälle versichere, greife in deren Geschäftsbereich ein, ohne ihr gegenüber dazu berechtigt zu sein. Folge sei, dass der VN der versicherten Person (bzw. deren Nachlassverwalter) die eingezogene Versicherungssumme nach §§ 681 S. 2, 667 BGB herauszugeben habe.451 Auf das Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag kann indes regelmäßig nicht zurückgegriffen werden.452 Der VN will – jedenfalls mit der Insassen-Unfallversicherung – kein fremdes Geschäft besorgen und in den Geschäftsbereich der künftigen Insassen eingreifen, sondern – im eigenen Interesse bzw. aus eigenen Beweggründen – seinen eigenen Kraftwagen über die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung hinaus mit einem zusätzlichen Versicherungsschutz gegen die mit dem Gebrauch verbundenen Gefahren ausstatten.453 Darüber hinaus strebt der VN – 443 444 445
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Dazu näher Trautmann S. 59 ff.; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 79. S.a. BAG 30.1.1958 VersR 1958 360, 361. Einzelheiten etwa bei Trautmann S. 57 ff. BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 51; Millauer S. 81; ders. VersR 1966 421, 423; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 73. BAG 21.2.1990 NZA 1990 701, 702; BAG 18.2.1971 VersR 1971 542; Senz VersR 1973 14, 15; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 9; näher Trautmann S. 61 ff. A. Surminski VP 1973 100, 102 LAG Hessen 6.7.1999 NVersZ 2000 177; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 11; A. Surminski VP 1973 100; v. d. Thüsen VW 1953 434, 435; s.a. GB BAV 1981 94 (813): Missstand, wenn der versicherten Person die Versicherungsleistung vorenthalten wird; a.A. noch für die Insassen-Unfallversicherung Hofmann VersR 1960 97, 99 ff. und 108; H. J. Weber VersR 1954 523, 525.
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Eingehend Nießen S. 140 ff. BAG 30.1.1958 VersR 1958 360, 361 mit Verweis auf KG 29.7.1954 VersR 1954 454. BGH 21.10.1965 VersR 1965 1166; BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 51 f. = VersR 1960 339, 340 = NJW 1960 912, 914 = VerBAV 1960 169 f.; OLG Hamburg 1.3.1960 VersR 1960 1132, 1133; LG Berlin 18.1.1955 VersR 1955 166 f.; OLG Oldenburg 2.12.1964 VersR 1965 78; H. Möller VersR 1950 81, 82; Prölss VersR 1960 341, 342; Senz VersR 1973 14, 15; im Grundsatz auch Trautmann S. 64 ff.; offen lassend BGH 4.4.1973 VersR 1973 634, 635 = NJW 1973 1368, 1368 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 66 und 77; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 10 f. S.a. Hofmann VersR 1960 97, 102 f.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
von besonderen Zusicherungen abgesehen – typischerweise weder an, gegenüber der versicherten Person Sorgfaltspflichten im Rahmen der Vertragsverwaltung (z.B. im Hinblick auf pünktliche Prämienzahlung usw.) zu übernehmen, noch den Versicherungsschutz entsprechend dem mutmaßlichen Willen der versicherten Person aufrecht erhalten zu müssen.454 Auch die Nebenpflicht, dem Geschäftsherrn Anzeige zu machen und dessen Entschließung abzuwarten (§ 681 S. 1 BGB), widerspricht im Normalfall der Interessenlage des VN. Bestätigt wird die Annahme eines Eigeninteresses des VN an der Versicherung, wenn er keinen Ersatz seiner Aufwendungen (Prämienzahlungen) von der versicherten Person verlangt.455 • Ansprüche der versicherten Person gegen den VN aus Bereicherungsrecht (§ 816 Abs. 2 BGB) in Erwägung gezogen bzw. bejaht.456 Gegen die uneingeschränkte Anwendung des Bereicherungsrechts spricht jedoch, dass sich – bei Fehlen abweichender Vertragsabreden – aus § 45 ein Einziehungsrecht des VN ergibt und er somit kein „Nichtberechtigter“ i.S.v. § 816 Abs. 2 BGB sein kann.457
Inzwischen entspricht es der nahezu allgemeinen Auffassung – mangels besonderer Abreden (auf Grundlage der §§ 44 f., 179 bzw. §§ 74 ff., 179 a.F.) – von einem gesetzlichen Treuhandverhältnis auszugehen.458 Danach besteht zwischen dem VN und der versicherten Person ein Treueverhältnis, das den VN – als „Durchgangsperson“ – verpflichtet, die Versicherungsleistungen an die versicherte Person herauszugeben.459 Das Treuhandverhältnis zwischen dem VN und der versicherten Person berechtigt m.a.W. die versicherte Person, den von dem VR an den VN gezahlten Betrag vom VN herauszuverlangen.460 Durch diese Annahme soll jeder Anreiz zur Spekulation mit der Gesundheit eines Dritten hinter dessen Rücken verhindert werden.461 Dem VN einer Fremdversicherung für fremde Rechnung soll es verwehrt sein, nach Eintritt des Versicherungsfalls aufgrund seiner formellen Verfügungsmacht den Entschluss zu fassen, die Versicherungsleistung für sich zu behalten. Anderenfalls würde nicht nur das materielle Recht der versicherten Person an der Versicherungsleistung entwertet, sondern insbesondere auch die Fremdversicherung für fremde Rechnung in eine Fremdversicherung für eigene Rechnung umgewandelt, obwohl die dafür zwingend erforderliche schriftliche Einwilligung der versicherten Person bei Vertragsbegründung nicht vorlag.462 454 455 456
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Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 22. BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 262 ff. BAG 30.1.1958 VersR 1958 360, 361; H. Möller VersR 1950 81, 82; ders. DAR 1954 250, 255; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 66; ferner Millauer S. 81; ders. VersR 1966 421, 423; s.a. OGH Br. Z. 19.1.1950 VersR 1950 81. Näher zum Ganzen Trautmann S. 74 ff. Haymann VersArch 1937 119, 124 und 127 (der statt dessen – S. 124 – § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB rekrutiert); Hofmann VersR 1960 97, 100 f.; Nießen S. 165 ff.; Trautmann S. 80 BGH 12.6.1991 VersR 1994 1101, 1102 = NJW 1991 3031, 3032 = RuS 1991 346, 347; BFH 28.9.1993 RuS 1995 317; Schwintowski/Brömmelmeyer § 179 Rn. 15; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 3 f.; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 11; Möhrle S. 24 ff.; Prölss/Martin/Prölss 27 § 77 Rn. 1;
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Rohles VW 1983 1234, 1235; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 179 VVG Rn. 2; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 19; Stiefel/Hofmann 17 § 16 AKB Rn. 8; Wussow/Pürckhauer6 § 12 Rn. 11; ferner OGH 29.11.2006 VersR 2008 283; a.A. Trautmann S. 83 ff. (insbesondere S. 95); Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 62. BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 264 f.; BGH 4.4.1973 VersR 1973 634, 635 = NJW 1973 1368, 1368 f.; BAG 21.2.1990 NZA 1990 701, 702; OLG Hamm 28.11.1975 VersR 1977 1124 (LS); OLG Oldenburg 2.12.1964 VersR 1965 78 f.; ArbG Mönchengladbach 20.11.1997 ZfS 1999 25; Terbille/Hormuth MAH § 23 Rn. 7; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 29; s.a. OGH 5.8.2003 VersR 2005 1267, 1268. OGH 5.8.2003 VersR 2005 1267, 1268. BAG 17.6.1997 RuS 1999 390, 391 = BB 1998 751 = NZA 1998 376, 377. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 12.
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Versicherte Person
§ 179
Die Herausgabepflicht trifft den VN. Bei einer Gruppen-Unfallversicherung ist der 169 Arbeitgeber allerdings auch dann zur Herausgabe verpflichtet, wenn er nicht selbst, sondern die ausländische Konzernmutter VN ist.463 Die Herausgabepflicht des VN erstreckt sich auf die vertraglich vereinbarten Leistungen des VR. Erfasst sind aber auch Kulanzleistungen.464 bb) Anspruch der versicherten Person auf Durchsetzung des Versicherungsanspruchs 170 gegen den VR durch den VN. Im Normalfall wird der verfügungsberechtigte VN Versicherungsansprüche, die der versicherten Person materiell-rechtlich zustehen, auch gegenüber dem VR geltend machen. Fraglich ist jedoch, wie zu verfahren ist, wenn der VN dies ausnahmsweise nicht tut, weil er dadurch eine Schwächung seiner eigenen Rechtsposition befürchtet oder die versicherte Person nicht in den Genuss der Versicherungsleistung bringen möchte.465 Für diesen Fall hält das Gesetz keine ausdrücklichen Anspruchsgrundlagen bereit. Bis auf §§ 44 bis 46 (§§ 75 bis 77 a.F.) ist das Rechtsverhältnis zwischen der ver- 171 sicherten Person und dem VN nicht durch versicherungsrechtliche Bestimmungen geregelt. Daraus folgt, dass die versicherte Person vom VN grundsätzlich nicht die Geltendmachung und Durchsetzung ihres materiellen Anspruchs gegen den VR auf die Versicherungsleistung verlangen kann, auch wenn ihr dies selbst verwehrt ist. Anderes kann nur dann angenommen werden, wenn sich dies aus einem besonderen Innenverhältnis zwischen versicherter Person und VN ableiten lässt.466 • Ein besonderes Innenverhältnis, das den VN zur Geltendmachung von Unfallversicherungsansprüchen gegenüber dem VR verpflichtet, kann sich aus den Vertragsbeziehungen zwischen dem VN und der versicherten Person (z.B. aus arbeitsvertraglichen Regelungen oder Zusicherungen) ergeben. War der VN gegenüber der versicherten Person nach zivilrechtlichen Vorschriften zur Versicherungsnahme verpflichtet, so folgt daraus die nebenvertragliche Verpflichtung des VN zur Geltendmachung des Versicherungsanspruchs gegenüber dem VR. Entsprechendes gilt, wenn für den VN öffentlich-rechtliche Versicherungspflichten bestehen.467 Bei einer Insassen-Unfallversicherung zwischen VN und versicherten Fahrzeuginsassen wird dagegen eine Geltendmachungspflicht regelmäßig nicht bestehen. So lassen sich aus einem Beförderungsvertrag zwischen VN und versicherter Person keine versicherungsrechtlichen Verhaltenspflichten des VN folgern.468 • Besteht für den VN gegenüber der versicherten Person keine rechtliche Verpflichtung zum Abschluss der Unfallversicherung und hat er sie folglich freiwillig mit dem VR vereinbart, so kann sich eine Pflicht des VN gegenüber der versicherten Person zur Geltendmachung etwaiger Versicherungsleistungen beim VR aus § 242 BGB ergeben. Entscheidend hierfür ist die Beurteilung der Frage, ob die Weigerung des VN, den Unfall-VR in Anspruch zu nehmen, nach den Gesamtumständen als treuwidrig zu bewerten ist.469 Dies kann nur im Rahmen einer Gesamtabwägung der Interessen der Beteiligten und dem Grad ihrer Schutzbedürftigkeit entschieden werden. Maßgebliche Kriterien sind die Motivation zur Versicherungsnahme (z.B. Gefälligkeitsverhältnis), der konkrete Zweck der Versicherung (z.B. liberale Zuwendung des VN an Angehörige, Freunde, Angestellte oder Geschäftsfreunde), die Kenntnis der versicherten Person von der Versicherung, das Vertrauen der versicherten Person in den Bestand der Versicherung vor und nach Eintritt des
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BAG 17.6.1997 RuS 1999 390 = BB 1998 751 = NZA 1998 376; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 179 Rn. 11. BGH 21.10.1965 VersR 1965 1166; OGH 5.8.2003 VersR 2005 1267, 1268; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 11; Prölss/Martin/Prölss 27 § 77 Rn. 1. Eingehend hierzu Nießen S. 155 ff.
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BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 262; RG 11.7.1939 RGZ 161 94, 100; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 3 f. Nießen S. 160. BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 262 und 267 f. Rohles VW 1983 1234.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
Versicherungsfalls, die Sozialbindung zwischen dem VN und der versicherten Person (z.B. grober Undank der versicherten Person i.S.v. § 530 BGB), anderweitige Ersatzmöglichkeiten, wirtschaftliche Aspekte oder auch die Verantwortlichkeit für den Eintritt des Unfallereignisses.470 So ist ein Rechtsmissbrauch des VN zu verneinen, wenn er eine Insassen-Unfallversicherung freiwillig als zusätzliche Absicherung abgeschlossen hat und der verletzte Insasse einen sicheren Anspruch auf volle Entschädigung hat, sei es gegenüber dem Haftpflicht-VR des VN, sei es gegenüber einem Dritten.471 Der VN hat dann ein berechtigtes Interesse daran, das Unfallversicherungsverhältnis nur mit Schäden zu belasten, deren Deckung nicht anderweitig erfolgen kann. Anderenfalls läuft der VN bei jedem gegenüber dem Unfall-VR geltend gemachten Schaden Gefahr, dass der VR von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht und eine Erneuerung des Unfallversicherungsvertrages nicht oder nur zu erhöhten Beiträgen möglich ist.472 Hat die versicherte Person dagegen keinen sicheren Anspruch gegen den VN oder einen Dritten, so kann die Weigerung des VN, den Anspruch geltend zu machen, rechtsmissbräuchlich sein.473 Dies gilt auch dann, wenn die versicherte Person selbst eine (weitere, eigene) Unfallversicherung abgeschossen hat, und zwar unabhängig davon, ob die versicherte Person die Versicherung in Anspruch nimmt oder nicht.474 • Eine Pflicht des VN zur Geltendmachung des Versicherungsanspruchs besteht dann, wenn sich die Weigerung als sittenwidrige Schädigung der versicherten Person i.S.v. §§ 138, 826 BGB darstellt.475
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Der VN hat verschiedene Möglichkeiten, seiner im Innenverhältnis zur versicherten Person bestehenden Pflicht zur Durchsetzung des Versicherungsanspruchs gegenüber dem VR nachzukommen. Ist der Versicherungsanspruch im Verhältnis zwischen dem VN und dem VR unstreitig, so kommt der VN gegenüber der versicherten Person seiner Herausgabepflicht nach, wenn er den VR anweist, die Versicherungssumme unmittelbar an die versicherte Person auszuzahlen.476 Mit einer solchen Zahlungsanweisung ist der versicherten Person allerdings noch nicht gedient, wenn der Versicherungsanspruch dem Grunde oder der Höhe nach im Rechtsverhältnis zwischen VN und VR ungeklärt bzw. umstritten ist. Der VN ist in solchen Fällen – bei Fehlen eines entsprechenden vertraglichen Innenverhältnisses – gegenüber der versicherten Person nicht gezwungen, auf eigene Kosten gegen den VR zu prozessieren.477 Dies gilt insbesondere dann, wenn der VN den Prozess für aussichtslos hält. In diesem Fall ist es ihm nicht zumuten, das gesamte Kostenrisiko ohne einen ausreichenden Vorschuss durch die versicherte Person zu übernehmen.478 Der VN kann deshalb seine Herausgabe- bzw. Durchsetzungspflicht auch dadurch erfüllen, dass er den (vermeintlichen) Versicherungsanspruch an die versicherte Person abtritt 479 bzw. sein Verfügungsrecht auf die versicherte Person überträgt.480 Zu beachten ist dabei indes, dass grundsätzlich der bei der versicherten Person gegebene Mangel der Verfügungsbefugnis – jedenfalls vor Fälligkeit der Versicherungsansprüche – nicht gegen den Willen des VR durch Abtretung oder Einräumung einer Einzugsermächtigung im Verhältnis zwischen VN und versicherter Person ausgeräumt werden kann;481 denn die AUB (Ziff. 12.3 AUB 99/2008, § 12 Abs. 3 AUB 88/94, § 16 Nr. 3 AUB 61)
470 471 472 473
474 475
Nießen S. 160 ff. Prölss/Martin/Prölss 27 § 77 Rn. 9. BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 268. S.a. – für das Rechtsverhältnis zwischen VR und versicherter Person – BGH 14.12.1994 RuS 1995 117; BGH 4.5.1983 VersR 1983 823, 824; BGH 4.5.1964 BGHZ 41 327, 329 ff. = VersR 1964 709 f. Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 21. Nießen S. 160.
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476 477 478 479 480 481
ÖOGH 15.12.1959 VersR 1961 45. A.A. (beiläufig) H. Möller DAR 1954 250, 255. OLG Nürnberg 1.2.1965 VersR 1965 1145. OLG Hamm 28.11.1975 VersR 1977 1124 (LS); Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 9. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 11; Nießen S. 165; Trautmann S. 49. Rohles VW 1983 1234; s.a. Haymann VersArch 1937 119, 127.
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Versicherte Person
§ 179
sehen ein zulässiges Abtretungsverbot i.S.v. § 399 BGB vor. U.U. stellt sich aber das Berufen des VR auf Ziff. 12.1 und 12.3 AUB 99/2008 bzw. die Verweigerung des VR zur Zustimmung in die Abtretung als unbeachtlicher Rechtsmissbrauch dar (Ziff. 12 AUB 2008 Rn. 22). Fraglich ist, ob die versicherte Person vom VN ein bestimmtes Verhalten gegenüber 173 dem VR verlangen kann, sie also z.B. gegen den VN Anspruch darauf hat, dass er den VR anweist, direkt an die versicherte Person zu zahlen.482 Dies erscheint zweifelhaft. Wie der VN seiner Herausgabe- und Durchsetzungspflicht nachkommt, ist bei Fehlen besonderer Vereinbarungen im Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person grundsätzlich dem VN als Verfügungsberechtigtem überlassen. Er kann demnach auch gegenüber dem VR Zahlung an sich verlangen. Entscheidend ist im wirtschaftlichen Ergebnis, dass die Versicherungsleistung unverzüglich an die versicherte Person gelangt. Einschränkungen bei der Wahl der Erfüllungsmöglichkeiten können sich lediglich aus Treu und Glauben ergeben. So kommt ein Anspruch der versicherten Person gegen den VN auf Erteilung einer Zahlungsanweisung an den VR in Betracht, wenn gegebene Umstände es wahrscheinlich machen, dass durch das Verhalten des VN der Empfang der Versicherungssumme durch die versicherte Person vereitelt oder erschwert wird.483 cc) Anspruch auf Auskunft. Die versicherte Person hat ein berechtigtes Interesse 174 daran, die Existenz und den Inhalt der Fremdversicherung sowie ggf. die Höhe gezahlter Versicherungsleistungen prüfen zu können. Deshalb können sich für sie entsprechende Ansprüche gegen den VN auf Auskunft oder Einsichtnahme in den Versicherungsschein aus vertraglichen Vereinbarungen, speziellen gesetzlichen Bestimmungen (z.B. § 666 BGB) oder aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben.484 Zur Sicherung des Herausgabeanspruchs kann insbesondere das gesetzliche Treuhandverhältnis zwischen VN und versicherter Person (Rn. 168) dem nicht verfügungsberechtigten Inhaber der Versicherungsleistung (versicherte Person) gegenüber dem verfügungsberechtigten VN als Grundlage für einen Auskunftsanspruch dienen.485 Darüber hinaus kommen etwa nach Abschluss einer Gruppen-Unfallversicherung arbeitsvertragliche Aufklärungspflichten des VN als Arbeitgeber gegenüber der versicherten Person als Arbeitnehmer in Betracht. Voraussetzung und Umfang der Hinweis- und Aufklärungspflichten ergeben sich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben und sind das Ergebnis einer nach den besonderen Umständen des Einzelfalls vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung. Das erkennbare Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits sind zu beachten und gegenüber zu stellen. Je größer das erkennbare Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers und je leichter dem Arbeitgeber die entsprechende Information möglich ist, desto eher ergeben sich Auskunfts- und Hinweispflichten des Arbeitgebers. Eine Auskunftspflichtverletzung liegt z.B. vor, wenn der VN mit dem VR einen Direktanspruch der versicherten Person vereinbart hat und der versicherten Person auch nach Eintritt des Versicherungsfalls keinen Hinweis dazu gibt, dass sie gegenüber dem VR eine Obliegenheit zur Anzeige trifft und sie zur Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen eine Ausschlussfrist einzuhalten hat.486 482 483 484
Bejaht von ÖOGH 15.12.1959 VersR 1961 45 (LS); a.A. Wahle VersR 1961 46 f. OLG Oldenburg 2.12.1964 VersR 1965 78, 79. Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 4; Prölss/Martin/Prölss 27 § 77 Rn. 3; näher dazu Nießen S. 171 ff.
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BGH 12.6.1991 VersR 1994 1101, 1102 = NJW 1991 3031, 3032 = RuS 1991 346, 347. BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 559 f. Rn. 28 ff. = DB 2007 2319 f.
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dd) Anspruch auf Schadensersatz. Als Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch der versicherten Person gegen den VN kommt vornehmlich § 280 Abs. 1 BGB bzw. eine positive Vertragsverletzung (insbesondere des im Innenverhältnis bestehenden Treuhandverhältnisses) in Betracht. Der Anspruch setzt zunächst ein vertrags- bzw. treuwidriges Verhalten des VN gegenüber der versicherten Person voraus. Dies kann in Erwägung gezogen werden, wenn der VN den Versicherungsvertrag kündigt, die Leistungsfreiheit des VR herbeiführt,487 indem er z.B. die Prämie nicht zahlt, Obliegenheiten verletzt 488 oder einen Ausschlusstatbestand verwirklicht, auf sein Verfügungsrecht oder auf die Versicherungsleistung verzichtet,489 den Versicherungsanspruch nicht geltend macht, obwohl er hierzu verpflichtet ist (Rn. 170 ff.), die vom VR erhaltene Versicherungsleistung pflichtwidrig nicht an die versicherte Person auskehrt (Rn. 168 f.) oder seiner Auskunftspflicht gegenüber der versicherten Person (Rn. 174) nicht nachkommt.490 So liegt etwa der Fall, in dem der Arbeitgeber (trotz entsprechender Verpflichtung gegenüber dem VR im Gruppen-Unfallversicherungsvertrag) den versicherten Arbeitnehmer darüber im Unklaren lässt, dass er als versicherte Person aufgrund einer Absprache zwischen VR und VN dazu berechtigt ist, Versicherungsansprüche direkt gegenüber dem VR geltend zu machen.491 Weiterhin ist zur Begründung des Schadensersatzanspruchs ein – nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vermutendes – Verschulden des VN erforderlich. Grundsätzlich reicht jede Fahrlässigkeit aus (§ 276 BGB). Hat der VN z.B. besondere Zusicherungen gemacht, so muss er hierfür – wie bei jeder anderen Vertragsverletzung – auch für einfache Fahrlässigkeit einstehen.492 Eine Haftungsbegrenzung auf die eigenübliche Sorgfalt (§ 277 BGB) kann im Einzelfall aus den Umständen des Einzelfalls geboten sein,493 so z.B. im Rahmen der freiwilligen Mitversicherung von Familienangehörigen.494 Ferner hat der BGH eine Analogie zu § 521 BGB mit der Folge der Beschränkung des Haftungsmaßstabes auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit bejaht, wenn der VN keinen Ersatz für die gezahlten Prämien oder für seine sonstigen Aufwendungen erhält.495 § 521 BGB findet indes keine Anwendung auf Gruppen-Unfallversicherungsverträge, die ein Arbeitgeber freiwillig zugunsten seiner Arbeitnehmer im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis und die geleistete Arbeit abschließt. Solche Zusatzleistungen stellen kein Schenkungsversprechen dar, da sie als Entgelt für geleistete Arbeit oder als Belohnung für die Betriebstreue des Arbeitnehmers und nicht als Geschenk anzusehen sind.496 § 826 BGB greift im praktischen Ergebnis wegen seiner strengen Tatbestandsvoraus176 setzungen nur selten ein.497 Eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung der versicherten Person durch den VN kommt etwa in Betracht, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalles ergibt, dass der VN die materiell-rechtliche Position der versicherten Person durch einen Verzicht auf die Versicherungsleistung zunichte macht, ohne dass sein schä487 488
489
490 491
LAG Schleswig-Holstein 27.4.1965 DB 1965 1050. Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 4; Prölss/ Martin/Prölss 27 § 77 Rn. 5; abl. Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 22; zweifelnd auch Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 11. BGH 23.4.1963 VersR 1963 521, 522; KG 29.7.1954 VersR 1954 454; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 4. Nießen S. 175 f. BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 559 ff. Rn. 26 ff.
268
492
493 494 495 496 497
Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 22; a.A. LAG Schleswig-Holstein 27.4.1965 DB 1965 1050, 1051. Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 22. Nießen S. 176. BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 52 = VersR 1960 339, 341 (für die GoA). BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 560 f. Rn. 41. Nießen S. 177 ff.
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Versicherte Person
§ 179
digendes Verhalten im Innenverhältnis zur versicherten Person sachlich begründet oder nachvollziehbar ist.498 Gemäß § 254 BGB kann der Schadensersatzanspruch gegen den VN um ein Mitver- 177 schulden der versicherten Person zu kürzen sein. Die Einwendung des Mitverschuldens ist von Amts wegen zu berücksichtigen, sofern eine Partei die entsprechenden Tatsachen vorträgt oder diese unstreitig sind.499 Die Anwendung von § 254 BGB kommt u.a. dann in Betracht, wenn die versicherte Person als Geschädigte eine sie treffende Schadensabwendungs- bzw. Schadensminderungspflicht verletzt hat. So kann die versicherte Person z.B. gehalten sein, Rechtsmittel gegen den VR einzulegen und Klage einzureichen, wenn diese Maßnahmen Aussicht auf Erfolg versprechen und der versicherten Person zumutbar sind.500 Führt die versicherte Person aufgrund von Ansprüchen aus einem Gruppenunfallversicherungsvertrag einen Rechtsstreit mit dem VR, so ist ihr ein Vergleichsabschluss im Verhältnis zum VN nicht vorzuwerfen, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die Erfolgsaussicht der Klage gering ist.501 b) Rechte des VN. Die Rechte des VN gegen die versicherte Person ergeben sich 178 zunächst aus § 46 (§ 77 a.F.).502 Nach dieser Vorschrift steht dem VN zur Sicherung seiner Ansprüche in Bezug auf die versicherte Sache bzw. des versicherten Interesses gegenüber der versicherten Person ein Zurückbehaltungsrecht am Versicherungsschein zu (§ 46 S. 1). Diese Regelung erlangt indes in der Praxis wegen der in den AVB regelmäßig vorgesehenen ausschließlichen Einziehungsbefugnis des VN keine nennenswerte Bedeutung.503 Weiterhin kann sich der VN vorzugsweise aus der Versicherungsforderung bzw. nach deren Einziehung aus der Versicherungsleistung vor der versicherten Person und deren Gläubigern befriedigen (§ 46 S. 2). Im Übrigen kommt es auf die vertragliche Ausgestaltung zwischen dem VN und der versicherten Person an. aa) Aufwendungsersatzanspruch. Fraglich ist, ob der VN von der versicherten Person 179 Ersatz der gezahlten Prämien oder sonstiger Aufwendungen (z.B. für die Geltendmachung der Versicherungsforderung) verlangen kann. Im Rahmen von Pflichtversicherungen wird dies abzulehnen sein. Bei freiwilligen Versicherungen kommt ein Aufwendungsersatzanspruch im Rahmen des gesetzlichen Treuhandverhältnisses analog § 670 BGB in Betracht.504 bb) Aufrechnung. Ob der VN Einwendungen gegen die versicherte Person geltend 180 machen, insbesondere eigene Ansprüche gegen die versicherte Person mit der auszukehrenden Versicherungsleistung verrechnen kann, beurteilt sich ebenfalls nach dem Innenverhältnis zwischen VN und versicherter Person.505 Zunächst muss die Aufrechnungslage gegeben sein. Des Weiteren darf die Aufrechnung nicht Treu und Glauben widersprechen. Hier ist zu differenzieren, ob der Anspruch des VN gegen die versicherte Person aus dem Unfall oder aus einer anderen Rechtsbeziehung herrührt: • Der VN darf nach Treu und Glauben gegen den Anspruch der versicherten Person auf Herausgabe der Versicherungsleistung nicht aufrechnen, wenn die versicherte Person mit der unverzüglichen Abführung des Erlangten rechnen durfte. Dies ist in der Regel der Fall, da die verletzte ver-
498 499 500 501
KG 29.7.1954 VersR 1954 454. BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 561 Rn. 44. BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 561 Rn. 44. BAG 26.7.2007 VersR 2008 558, 561 Rn. 45 ff.
502 503 504 505
Näher dazu etwa Nießen S. 181 ff.; Trautmann S. 113 ff. Nießen S. 182. Nießen S. 189 f. Rohles VW 1983 1234, 1235.
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
sicherte Person nach dem Zweck der Unfallversicherung eine rasche Hilfe nach Eintritt des Versicherungsfalls erwarten darf. Der VN würde seine Stellung als Treuhänder treuwidrig ausnutzen, wenn er den Unfall zum Anlass nimmt, eigene Forderungen aus anderen Rechtsverhältnissen gegenüber der versicherten Person zu befriedigen.506 Fernerhin ließe sich eine Aufrechnung mit Ansprüchen, die nicht aus demselben Unfallereignis, sondern aus einer anderen rechtsgeschäftlichen Beziehung zur versicherten Person resultieren, nicht mit dem Schutzzweck des § 179 Abs. 2 in Einklang bringen.507 • Der VN kann gegen den Anspruch des verletzten Fahrzeuginsassen (der versicherten Person) auf Auskehrung der Versicherungsleistung aus der Insassen-Unfallversicherung mit Schadensersatzansprüchen aus demselben Unfallereignis gegen die versicherte Person aufrechnen.508 So liegt z.B. der Fall, in dem der versicherte Fahrer das Kfz des VN beschädigt hat.509 Die versicherte Person wird durch die Aufrechnung nicht treuwidrig benachteiligt, da die versicherte Person in einem solchen Fall nach Treu und Glauben nicht erwarten kann, dass z.B. Ansprüche des VN gegen die versicherte Person aus unerlaubter Handlung hinter den Anspruch der versicherten Person gegen den VN auf Auskehrung der Unfallversicherungsleistung zurücktreten. Ferner findet keine Umgehung des § 179 Abs. 2 statt. Die Aufrechnung führt nicht dazu, dass sich die Fremdversicherung in eine Versicherung für eigene Rechnung verwandelt. Vielmehr erkennt der VN gerade an, dass die Versicherungsleistung der versicherten Person zusteht.510 Die Gefahr, dass der VN ein vermögenswertes Interesse an der Verletzung der versicherten Person erlangt, besteht ebenfalls nicht. Zwar kann das Interesse des VN an der Aufrechnung bei Vermögenslosigkeit des Aufrechnungsgegners (der versicherten Person) einen wirtschaftlichen Gewinn bis zur Höhe der Versicherungsleistung bewirken. Jedoch haben die zur Aufrechnung stehenden Forderungen des VN und der versicherten Person beide ihre Ursache in dem Unfallereignis. Sie stehen damit in einem so engen Zusammenhang, dass Spekulationen auf die Gesundheit der versicherten Person ausgeschlossen sind.511
181
Besteht ein Arbeitsvertrag, so kann in Ausnahmefällen eine Aufrechnungs- oder Anrechungsbefugnis etwa aus einer ausdrücklichen Vereinbarung oder einer betrieblichen Übung folgen.512 Zweifelhaft ist in einem solchen Fall indes, ob dann noch eine Fremdversicherung für fremde Rechnung gegeben ist. Die Fremdversicherung für fremde Rechnung wird dann zumindest teilweise in eine Fremdversicherung für eigene Rechnung umgewidmet und damit zweckentfremdet. Allgemeine Billigkeitserwägungen aus Treu und Glauben rechtfertigen jedenfalls keine Verrechnungsbefugnis des Arbeitgebers, und zwar auch dann nicht, wenn die versicherte Person einen Freizeitunfall erlitten hat. So ist etwa eine Minderung der Versicherungssumme um die Kosten, die dem Arbeitgeber infolge einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall der versicherten Person entstanden sind, nicht möglich. Für einen allgemeinen „Vorteilsausgleich“ besteht keine Grundlage.513
182
cc) Anrechnung. Ein Unfallereignis kann dazu führen, dass der verletzten versicherten Person neben den Forderungen aus einer Unfallversicherung auch Haftpflichtansprüche (z.B. aus §§ 823 ff. BGB, §§ 7 ff. StVG) gegen den VN oder einen Dritten
506 507 508
BGH 4.4.1973 VersR 1973 634, 635 = NJW 1973 1368, 1369. Nießen S. 199 und 200. BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 265; BGH 30.11.1973 VersR 1974 125; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 11; Nießen S. 198; Prölss/Martin/Prölss 27 § 77 Rn. 7; Rohles VW 1983 1234, 1235; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 20; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 12.
270
509 510 511 512
513
A.A. OLG Oldenburg 2.12.1964 VersR 1965 78 f. BGH 4.4.1973 VersR 1973 634, 635 = NJW 1973 1368, 1369. BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 265 f. In den Fällen des BAG 17.6.1997 RuS 1999 390, 391 = BB 1998 751 f. = NZA 1998 376, 377 und BAG 21.2.1990 NZA 1990 701, 702 verneint. BAG 17.6.1997 RuS 1999 390, 391.
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Versicherte Person
§ 179
zustehen. Bei solchen Sachverhaltskonstellationen kann die private Unfallversicherung für das Haftungsrecht in zweierlei Hinsicht Bedeutung erlangen: Zum einen ist es denkbar, dass die Unfallversicherung Ersatzansprüche gegen den Schädiger dem Grunde nach ausschließt. So stellt sich im Rahmen der Haftung für Amtspflichtverletzungen die Frage, ob die Unfallversicherungsleistung als „anderweitige Ersatzmöglichkeit“ i.S.d. § 839 Abs. 1 S. 2 BGB zu werten ist.514 Dies war früher umstritten. Heute besteht Einigkeit darüber, dass nicht nur Ansprüche aus der Sozialversicherung bzw. der gesetzlichen Kranken- 515 und Unfallversicherung,516 sondern auch privatrechtliche Versicherungsleistungen generell keine anderweitige Ersatzmöglichkeiten darstellen, die den Anspruch aus § 839 BGB entfallen lassen;517 denn es gibt keinen überzeugenden Grund dafür, die vom VN durch eigene Prämienleistung für sich erkaufte Versicherungsleistung dem für einen Schaden seines Amtsträgers verantwortlichen Staat zugute kommen zu lassen. Der Gedanke der fehlenden Zweckbindung gilt auch für Leistungen aus der privaten Unfallversicherung; sie sind ihrer Natur nach nicht dazu bestimmt, dem Schädiger der versicherten Person zugute zu kommen.518 Zum anderen kann die – hier näher zu erläuternde – Situation eintreten, dass der Schaden der versicherten Person bei einem Zusammentreffen von Haftpflichtansprüchen und Ansprüchen auf Unfallversicherungsleistungen überkompensiert wird. Grundsätzlich soll aber das Prinzip der Vorteilsausgleichung im Haftungsrecht verhindern, dass der Geschädigte unter Berücksichtigung der Ersatzleistung des Schädigers günstiger gestellt wird, als er ohne Eintritt des Schadensereignisses stehen würde.519 Fraglich ist deshalb, ob sich der Schadensersatzanspruch des Verletzten im Wege des Vorteilsausgleichs aufgrund der Leistung aus dem Unfallversicherungsvertrag mindert.520 Ein dahingehendes Begehren des VN, das einem Erfüllungseinwand gleichkommt, setzt eine „Anrechnungsbefugnis“ und eine „Anrechnungserklärung“ voraus. (1) Anrechnungsbefugnis. Die Frage der Vorteilsausgleichung und der Anrechnungs- 183 befugnis des VN stellt sich von vornherein nicht, soweit die Unfallversicherungsleistung (ausnahmsweise) nach dem Prinzip der Schadensversicherung erfolgt (z.B. Erstattung von Heilungs-, Beerdigungs- oder Kurkosten auf Grundlage der AUB 61). Hier geht der Anspruch des Geschädigten (der versicherten Person) gemäß § 86 Abs. 1 (§ 67 Abs. 1 a.F.) auf den Unfall-VR über.521 Liegt der Regelfall vor, in dem es um Leistungen der Unfallversicherung als Summenversicherung geht, so sind verschiedene Fallkonstellationen zu unterscheiden.522 Zu prüfen ist jeweils, welchen Zweck das Rechtsverhältnis verfolgt, aus dem sich die Leistungspflicht ergibt, insbesondere ob der VN durch die Leistung des VR gegenüber der versicherten Person entlastet werden soll oder der versicherten
514 515 516 517
So noch RG 14.7.1936 VA 1936 274 f. Nr. 2935. BGH 20.11.1980 BGHZ 79 26 ff. = NJW 1981 623 ff. BGH 10.11.1977 BGHZ 70 7, 8 ff.; ferner BGH 17.3.1983 NJW 1983 2191, 2192. BGH 28.10.1982 BGHZ 85 230 232 f. (Kaskoversicherung); BGH 20.11.1980 BGHZ 79 35, 36 f. (private Krankenversicherung); BGH 24.2.1983 VersR 1983 462 f. (Feuerversicherung); BGH 2.4.1987 NJW 1987 2664, 2666 (Feuerversicherung); Münchener Kommentar/Papier 4 § 839 Rn. 309; Palandt/Sprau 65 § 839 Rn. 61;
518 519
520 521 522
a.A. für die Kfz-Haftpflichtversicherung BGH 5.4.1984 BGHZ 91 48, 54 = NJW 1984 2097, 2098. Näher Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 49. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 50; allgemein zum Vorteilsausgleich etwa Palandt/Heinrichs 65 Vorb. v. § 249 Rn. 119 ff.; Thiele AcP 167 193 ff. Näher dazu Nießen S. 191 ff. Palandt/Heinrichs 65 Vorb. v. § 249 Rn. 132; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 53. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 48.
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
Person ein von anderweitigen Ansprüchen oder Leistungen unabhängiger Vermögenszuwachs zu gewähren ist. Fehlt es an einer ausdrücklichen und eindeutigen Zweckbestimmung, so kann unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auf eine ergänzende Vertragsauslegung zurückgegriffen werden.523 Hat der Verletzte selbst als VN eine Unfallversicherung (für eigene Rechnung) genom184 men, so berührt die Auszahlung der Leistung aus der Unfallversicherung an ihn dessen Haftpflichtanspruch gegen einen Dritten nach allgemeiner Ansicht nicht.524 Ein Vorteilsausgleich findet nicht statt. Eine Anrechnung von Leistungen aus Risikoversicherungen würde dem Zweck der vom Geschädigten (VN) getroffenen Vorsorge widersprechen. Es wäre nicht nachvollziehbar, freiwillige Prämienaufwendungen des Verletzten zur Minderung der wirtschaftlichen Folgen nach einem Unfall dem Schädiger in irgendeiner Weise zugute kommen zu lassen.525 Sinn und Zweck der Unfallvorsorge als Summenversicherung (Vorbem. § 178 Rn. 38 ff.) ist es vielmehr, bei dem – nur als möglich vorgestellten – Eintritt des Versicherungsfalls die im Voraus summenmäßig festgelegten Beträge ohne Rücksicht darauf zu erhalten, wie hoch der Schaden tatsächlich ist und ob ein Dritter Ersatz zu leisten hat.526 Entsprechendes gilt, wenn ein am Unfall unbeteiligter Dritter für Rechnung des Verletzten eine Unfallversicherung abgeschlossen hat. Auch hier behält die verletzte versicherte Person trotz Auszahlung der Unfallversicherungsleistung ihren Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger.527 Hat der haftpflichtige Dritte selbst als VN eine Unfallversicherung für fremde Rech185 nung zugunsten des Verletzten (versicherte Person) abgeschlossen, so kann die Anrechnungsbefugnis des VN in der Insassen-Unfallversicherung praktische Relevanz erlangen. Der mit dem Haftpflichtschuldner identische VN kann ein Interesse daran haben, die von ihm – wenn auch zugunsten des Verletzten – genommene und bezahlte Unfallversicherung dazu zu verwenden, den gegen ihn gerichteten Haftpflichtanspruch der versicherten Person in Höhe der Versicherungsleistung zu tilgen. Eine solche Anrechnungs- (nicht etwa Aufrechnungs-)befugnis des VN, deren Behandlung in der Rechtsprechung und Literatur zunächst mit einigen Schwankungen und Unsicherheiten behaftet war,528 wird inzwischen allgemein anerkannt;529 denn wenn sich der VN im Grundsatz sogar dafür 523 524
525 526 527 528 529
Thiele AcP 167 193, 227 f. BGH 15.2.1968 VerBAV 1969 102, 103; BGH 19.4.1963 BGHZ 39 249, 250 ff.; BGH 31.5.1954 VerBAV 1955 69; Marschall v. Bieberstein S. 250 f.; Palandt/Heinrichs 65 Vorb. v. § 249 Rn. 133; Senz VersR 1973 14; Stiefel/Hofmann 17 § 16 AKB Rn. 7; Thiele AcP 167 193, 230; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 48; Wussow VersR 1964 459. Stiefel/Hofmann 17 § 16 AKB Rn. 7. BGH 15.2.1968 VerBAV 1969 102, 103; BGH 19.4.1963 BGHZ 39 249, 251. BGH 15.2.1968 VerBAV 1969 102, 103; Thiele AcP 167 193, 230. Kurze Übersicht etwa bei Baumann JZ 1978 81, 82; Senz VersR 1973 14 f. BGH 13.1.1981 VersR 1981 447, 449 = NJW 1981 1613, 1614; BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 266 (unter Aufgabe der abweichenden Auffassung von BGH
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19.11.1955 BGHZ 19 94, 97 ff., die noch bestätigt wurde in: BGH 23.4.1963 VersR 1963 521, 522 f. und BGH 24.10.1961 VersR 1962 84, 85); ferner BFH 28.9.1993 RuS 1995 317, 318; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 19; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 11; Marschall v. Bieberstein S. 251 ff. (insbesondere S. 253 f.); Nießen S. 192 ff.; Prölss/Martin/Prölss 27 § 77 Rn. 8; Pauge VersR 2007 569, 576; Rohles VW 1983 1234, 1235; Berliner Kommentar/ Schwintowski § 179 Rn. 20; Senz VersR 1973 14, 16; Stiefel/Hofmann 17 § 16 AKB Rn. 8 ff.; Thiele AcP 167 193, 230 f.; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 67 ff. (insbesondere B 69); Wussow VersR 1964 459 ff.; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 52 ff.; a.A. Orlowski VersR 1954 45 (Fn. 5); s.a. OLG Hamburg 1.3.1960 VersR 1960 1132, 1133.
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Versicherte Person
§ 179
entscheiden kann, die Zahlung der Versicherungssumme der versicherten Person (durch Verzicht) vorzuenthalten (Rn. 148), so muss er sie auch mit einer besonderen Zweckbestimmung (Verrechnung auf den Schadensersatzanspruch des Verletzten) versehen können. Die Frage, welche Anforderungen an den „Anrechnungsgrund“ konkret zu stellen bzw. welche Wertungen vorzunehmen sind, ist eng verknüpft mit umfassenden allgemeinen – einzelfallgeprägten – zivilrechtlichen Erwägungen zum Vorteilsausgleich.530 Folgende Voraussetzungen müssen nach herrschender Rechtsprechung und Lehre erfüllt sein, um eine Anrechung der Unfallversicherungsleistung des VR auf Schadensersatzansprüche der versicherten Person gegen den VN annehmen zu dürfen: • Die Leistung aus der Unfallfremdversicherung des VN für die verletzte versicherte Person und die Schadensersatz- bzw. Haftpflichtansprüche der versicherten Person gegen den VN beruhen auf demselben Unfallereignis. Hintergrund für dieses Erfordernis ist, dass das allgemeine Anrechnungsprinzip zwischen den in der Sphäre des Verletzten entstandenen Vor- und Nachteilen eine „Rechnungseinheit“ verlangt, also die Vor- und Nachteile des Geschädigten eine gemeinsame Wurzel haben. Nur wenn die Unfallversicherungsleistung und die Haftungsverpflichtung auf einem haftungsbegründenden Ereignis (Unfall) beruhen, kann von einem solch unlösbarem inneren – sachlich notwendigen – Zusammenhang zwischen dem Vorteil (Unfallversicherungsleistung) und dem Nachteil (unfallbedingter Gesundheitsschaden der versicherten Person) gesprochen werden.531 • Der VN hat an der Anrechnung ein anzuerkennendes Interesse.532 Erwirbt der VN aus eigenen Beweggründen eine Insassen-Unfallversicherung auf seine Kosten, um sich selbst bei Unfällen – ohne Spekulationsgefahr für die versicherte Person – wirtschaftlich zu entlasten bzw. Eigenvorsorge gegen Belastungen seines Vermögens zu treffen, so muss ihm die Möglichkeit belassen werden, den Zweck und die Grenzen seiner Liberalität in vertretbarem Umfang selbst zu bestimmen. Der verletzte Insasse erhält den ihm gebührenden Schadensersatz; weitergehende Ansprüche kann er nicht geltend machen.533 • Der Anrechnung durch den VN stehen keine abweichenden Zusagen des VN gegenüber der versicherten Person entgegen. Sie darf auch nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen.
Ist der VN der Unfallversicherung für fremde Rechnung nicht Haftpflichtschuldner, 186 so ist zunächst zwischen den Rechtsverhältnissen der Beteiligten zu differenzieren: • Der Schädiger kann im Haftpflichtverhältnis zur versicherten Person keine Vorteilsausgleichung begehren. War der VN im Verhältnis zur verletzten versicherten Person verpflichtet, sie gegen Unfall zu versichern, so ist eine Vorteilsausgleichung zugunsten des Schädigers ausgeschlossen. Leistungen, die der Geschädigte aufgrund eines Vertrages von Dritten erhält, werden nicht im Wege der Vorteilsausgleichung angerechnet. Entsprechendes gilt, wenn sich die Prämien für die Unfallversicherung als fürsorgliche (freigiebige) Zuwendungen des VN darstellen. Sie kommen dem Schädiger grundsätzlich nicht zugute, sofern dies nicht der Zweckbestimmung des leistenden Dritten – dem VN – gemäß §§ 267, 366 BGB widerspricht.534 • Im Rechtsverhältnis zwischen dem VN und versicherter Person kann es auf die Anrechnungsbefugnis des VN ankommen. Die Frage stellt sich, wenn der mit dem Haftpflichtschuldner nicht identische VN die Leistung aus der Unfallversicherung einsetzen will, um die Haftpflichtverbindlichkeit eines Dritten gegenüber der verletzten versicherten Person in Höhe der Versicherungsleistung zu mindern bzw. zu tilgen.
Bei der Frage, ob der VN die Versicherungsleistung auf die Haftpflichtschuld des Dritten anrechnen kann, ist zu differenzieren:535
530 531 532
Eingehend Thiele AcP 167 193, 194 ff. Thiele AcP 167 193, 201. Marschall v. Bieberstein S. 252 und 257 f.
533 534 535
BGH 7.5.1975 BGHZ 64 260, 266 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 52. Nießen S. 194 ff.
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§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
• Eine Anrechnungsmöglichkeit kommt in Betracht, wenn der berechtigte Fahrer des Unfallfahrzeugs, in dem sich der verletzte Insasse befunden hat, Haftpflichtschuldner ist. Dies ist zumindest in dem Fall zu bejahen, in dem der VN am Schutz des schädigenden Dritten z.B. aufgrund einer engen bzw. familiären Bindung ein berechtigtes Interesse hat.536 • Noch nicht entschieden ist die Sachverhaltskonstellation, in der der Fahrer bzw. Halter des zweiten am Unfall beteiligten Fahrzeugs Haftpflichtschuldner ist. Die Rechtslage ist umstritten. Entscheidend ist auch hier, ob der VN der Insassen-Unfallversicherung ein berechtigtes Interesse daran hat, den Schädiger zu entlasten.537
187
(2) Anrechnungserklärung. Den Zahlungszweck für die Versicherungsleistung hat allein der VN zu bestimmen. Dem VR steht kein (Mit-)Bestimmungsrecht zu.538 Die Anrechnungserklärung oder wenigstens der Anrechnungsvorbehalt ist durch den VN spätestens zum Zeitpunkt der Auszahlung der Versicherungsleistung durch den VR gegenüber der versicherten Person abzugeben.539 Hätte der VN die Befugnis, noch späterhin Anrechnungsanordnungen zu treffen, so wäre die versicherte Person auf kaum begrenzbare Zeit der Gefahr ausgesetzt, dass der VN ihr im praktischen Ergebnis den Wert erhaltener Versicherungsleistungen nachträglich wieder entziehen könnte.540 Als Rechtsgrundlage kann eine Analogie zu § 366 Abs. 1 BGB dienen. Die Vorschrift ist nur entsprechend anzuwenden, weil der VN nicht Schuldner der Versicherungsleistung ist, sondern lediglich auf sie Einfluss nehmen kann.541 4. Abweichende Regelungen in den AUB
188
Die materielle Anspruchsberechtigung der versicherten Person in § 44 Abs. 1 ist nach h.M. zwingend.542 §§ 44 Abs. 2 und 45 Abs. 2 (§§ 75 Abs. 2, 76 Abs. 2 a.F.) sind dagegen abdingbar.543 Von dieser Möglichkeit haben Ziff. 12 AUB 99/2008, § 12 AUB 88/94, § 16 AUB 61 – in rechtlich zulässiger Weise – Gebrauch gemacht. Danach steht die Ausübung der Rechte aus dem Vertrag nicht der versicherten Person, sondern ausschließlich dem VN zu, und zwar auch dann, wenn er nicht im Besitz eines Versicherungsscheins ist (sog. Ausschließlichkeitsklausel, Ziff. 12 AUB 2008 Rn. 6). Klagt die versicherte Person dennoch, so ist ihre Klage mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig.544 Durch eine solche vertragliche Vereinbarung steigern bzw. verschärfen die Parteien die bereits im Gesetz angelegte Spaltung zwischen dem materiellen Recht der versicherten Person und der Verfügungsbefugnis des VN. Zwar geht mit der Ausschließlichkeitsklausel die Gefahr einher, dass die Handhabung der Versicherung nicht im Interesse der versicherten Person, sondern im eigennützigen Interesse des VN erfolgt.545 Relativierend ist allerdings zu berücksichtigen, dass die AUB-Regelungen nichts an dem Treueverhältnis zwischen VN und versicherter Person ändern.
536
537 538 539
BGH 13.1.1981 VersR 1981 447, 449 = NJW 1981 1613, 1614; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 179 Rn. 11; Nießen S. 195; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 20. Nießen S. 195. BGH 13.1.1981 VersR 1981 447, 449 = NJW 1981 1613, 1615. Nießen S. 196; Prölss/Martin/Prölss 27 § 77 Rn. 8; Thiele AcP 167 193, 231; ein-
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540 541 542 543 544 545
gehend Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 71 f. m.w.N.; a.A. Marschall v. Bieberstein S. 255. BGH 13.1.1981 VersR 1981 447, 449 = NJW 1981 1613, 1615. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 72. Nießen S. 44 f. Rohles VW 1983 1234 f. OLG Celle 8.10.1982 VersR 1986 1099. Haymann VersArch 1937 119, 132.
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Versicherte Person
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IV. Fremdversicherung für eigene Rechnung Bei einer rechtswirksamen Fremdversicherung für eigene Rechnung, die eine schrift- 189 liche Einwilligung der versicherten Person voraussetzt, kommt es nicht zu einer Spaltung zwischen der materieller Berechtigung der versicherten Person und der Verfügungsbefugnis des VN. Im Grundsatz stellt sich die Rechtslage so dar, als ob der VN die Versicherung für sich selbst als Gefahrperson abgeschlossen hätte. Kommt es zum Versicherungsfall, so kann der VN sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis frei über die Versicherungsleistung disponieren. Er kann sie etwa an die versicherte Person „durchreichen“, er kann sie aber auch für sich behalten oder ohne weiteres zur Anrechnung auf einen Haftpflichtanspruch nutzen. Entsprechend schwach sind die Rechte und Pflichten im Rechtsverhältnis zwischen versicherter Person und VR sowie zwischen versicherter Person und VN ausgeprägt. 1. Rechtsverhältnis zwischen VN und VR (Erfordernis der Einwilligung der versicherten Person) Nimmt der VN die Versicherung auf eine andere Person für eigene Rechnung, so ist 190 zu ihrer rechtsgültigen Vereinbarung gemäß § 179 Abs. 2 S. 1 die schriftliche Einwilligung der versicherten Person erforderlich. Unerheblich ist dabei (genauso wie beim Vertragsschluss mit minderjährigen VN, Rn. 22), welche Höhe die zwischen VN und VR vereinbarten Versicherungssummen aufweisen. So ist die schriftliche Einwilligung der versicherten Person auch für den Fall notwendig, dass die Todesfallsumme den Betrag der gewöhnlichen Beerdigungskosten nicht übersteigt; denn für die Unfallversicherung bestehen keine mit § 150 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 vergleichbare Regelungen. Neben dem Einwilligungserfordernis stellt das Gesetz keine weiteren Voraussetzungen auf. So muss der VN kein eigenes Interesse am Nichteintritt des Versicherungsfalls haben oder dokumentieren (Rn. 6). Nicht erforderlich ist weiterhin, dass die versicherte Person für ihre Einwilligung einen Rechtsgrund hat. Die Einwilligung wirkt für sich; sie ist ein abstraktes Rechtsgeschäft.546 a) Zweck des Einwilligungserfordernisses. § 179 Abs. 2 S. 1 hat „rechtspolizeilichen 191 bzw. kriminalpolitischen Charakter“.547 Die Norm verfolgt den gleichen Regelungszweck wie § 150 Abs. 2 S. 1 (§ 159 Abs. 2 S. 1 a.F.): Das Erfordernis der schriftlichen Einwilligung dient dem – umfassenden – Schutz der versicherten Person vor Missbräuchen (Verbrechen gegen ihr Leben oder ihre Gesundheit);548 denn die Aussicht auf die Versicherungssumme kann für den VN oder einen sonstigen Beteiligten (den Bezugsberechtigten, den Erben oder sonstigen Erwerber der Versicherungsforderung) Anlass zur Herbeiführung des Versicherungsfalles bieten.549 Die Rechtsordnung kann und darf aber Spekulationen mit dem Leben oder Gesundheit eines anderen hinter dessen Rücken nicht
546 547 548
Drews VersR 1987 634, 641. Drews VersR 1987 634; Hülsmann VersR 1995 501, 503. BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 170 = VersR 1999 347, 348 = NVersZ 1999 258, 259 und BGH 5.10.1994 VersR 1995 405, 406 (jeweils zu § 159 VVG a.F.); Drews
549
VersR 1987 634, 636; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 8; Klaus Müller NVersZ 2000 454; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 12. Motive zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 159 S. 639; ferner Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 5.
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zulassen.550 Die versicherte Person soll vielmehr über die für sie bestehenden Risiken informiert sein und entscheiden können, ob sie die Gefährdung auf sich nehmen will.551 Da der abstrakten Gefährdung der Gefahrperson begegnet werden soll, besteht kein Raum für Differenzierungen. Auf die Art und Schwere der möglichen Gefährdung der versicherten Person kommt es nicht an.552 Ausnahmen vom Erfordernis der schriftlichen Einwilligung bei der Fremdversicherung für eigene Rechnung lässt der Gesetzeszweck nach allgemeiner Meinung nicht zu. Dies gilt auch für den Fall, in dem der VN durch die Folgen des Unfalls der Gefahrperson (der versicherten Person) wirtschaftlich in Mitleidenschaft gezogen wird, etwa weil die Gefahrperson oder ein Dritter gegen ihn aus Anlass des Unfalls Ansprüche auf Schadenersatz bzw. Lohnfortzahlung erheben oder der VN nicht auf die Arbeitskraft bzw. Dienste der versicherten Person zurückgreifen kann. Ein wirtschaftliches Eigeninteresse des VN an der körperlichen Unversehrtheit des versicherten Dritten ersetzt nicht dessen Zustimmung.553 Der VN kann sich gegen die wirtschaftlichen Verluste durch den Abschluss entsprechender Schadenversicherungen schützen.554
192
b) Anwendungsbereich. Die Vorschrift des § 179 Abs. 2 ist stets anwendbar, wenn durch die Gestaltung des Vertrages bei Abschluss oder die Umgestaltung des bestehenden Vertragsverhältnisses eine Gefährdung der versicherten Person deshalb zu befürchten ist, weil eine andere Person (der VN oder ein Dritter) Interesse am Eintritt des Versicherungsfalls und den damit verbundenen Versicherungsleistungen haben könnte.
193
aa) Vertragsbegründung. Der Geltungsbereich des § 179 Abs. 2 ist ohne weiteres eröffnet, wenn der VN die Fremdversicherung auf eigene Rechnung, also für sich als materiell Begünstigten abschließt. So liegt der Fall, in dem • für den VN ein (alleiniges) widerrufliches oder unwiderrufliches Bezugsrecht begründet ist.555 Die Einräumung eines Bezugsrechts ist in der Einzel-Unfallversicherung typischerweise nur für die Todesfallleistung, nicht aber z.B. für den Invaliditätsanspruch oder das Krankenhaus-Tagegeld vorgesehen. • die versicherte Person vor dem Versicherungsfall mit dem VN eine Abtretung über ihren künftigen Anspruch vereinbart hat.556 Dies setzt allerdings die Mitwirkung des VR voraus (Ziff. 12.3 AUB 99/2008) und kommt deshalb in der Praxis kaum vor. • der VN zwar „die Erben der versicherten Person“ als Bezugsberechtigte bestimmt hat, der VN aber Alleinerbe ist.557 Nach anderer Auffassung sollen bei einer Bezugsberechtigung für die „Erben des Kindes“ § 179 Abs. 2 S. 2 – trotz § 1925 BGB – nicht (analog) gelten.558
550
551
BGH 7.5.1997 VersR 1997 1213; 1214; BGH 8.2.1989 VersR 1989 465, 466; BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 49 = VersR 1960 339, 340 = NJW 1960 912, 913 = VerBAV 1960 169, 170; BGH 19.11.1955 BGHZ 19 94, 100; OLG Frankfurt/M. 31.7.1996 RuS 1998 126 = VersR 1997 478 (LS); OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer § 179 Rn. 6; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 9; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 15; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 179 VVG Rn. 3; Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 2. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 41.
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552 553 554
555
556
557 558
Hülsmann NVersZ 1999 550 f. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 10. BAG 18.2.1971 VersR 1971 542; ArbG Mönchengladbach 20.11.1997 ZfS 1999 25, 26. S. nur BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 49 f. = VersR 1960 339, 340 = NJW 1960 912, 913; Schwintowski/Brömmelmeyer § 179 Rn. 6; Fuchs S. 80 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 36. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 9; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 27. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 7. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 6.
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§ 179 Abs. 2 S. 2 ist dagegen nicht heranzuziehen, wenn • der gesetzliche Vertreter des VN selbst Gefahrperson ist. Der VN (das Kind) wird gegen unzweckmäßige oder zu langfristige Prämienschulden durch §§ 1643, 1822 Nr. 5 BGB (Rn. 21 ff.) und §§ 1664 ff. BGB geschützt.559 • bei der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr ohne Einwilligung der versicherten Person vereinbart wird, dass die Zahlung der Prämienrückgewähr im Erlebensfall und/oder im Fall des Todes der Gefahrperson (infolge eines Unfalls oder aus anderen Ursachen) an den VN zu erfolgen hat. Für den VN besteht bei einer solchen Konstellation kein Anreiz zur Herbeiführung des Versicherungsfalls,560 da er die Prämien nur unverzinst zurückerhält. Selbst wenn der Versicherungsfall kurz nach Vertragsschluss eintreten sollte, steht der VN nicht besser als ohne Vertragsschluss. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Vertrag neben einer Invaliditätssumme auch eine Todesfallleistung vorsieht und ob diese vom VR an die Erben der Gefahrperson zu zahlen ist oder nicht; denn die Unfallleistung hat auf den Prämienrückgewähranspruch keinen Einfluss.561 Während der Prämienrückgewähranspruch aus dem Kapital der gezahlten Versicherungsbeiträge resultiert, finanzieren die aus den Versicherungsbeiträgen erwirtschafteten Zinsen die Unfallleistung (Vorbem. § 178 Rn. 48).
§ 179 Abs. 2 setzt vom Wortlaut – genauso wie § 150 Abs. 2 S. 1 (§ 159 Abs. 2 S. 1 195 a.F.) für die Lebensversicherung 562 – die Beteiligung von zwei (nicht identischen) Personen voraus. Der eine Beteiligte ist der VN, der zugleich wirtschaftlich Berechtigter und ggf. Vertreter der versicherten Person ist; der andere Beteiligte ist die versicherte Person. Die Vorschrift ist analog anzuwenden, wenn die Gefahrperson durch eine entsprechende Vertragsgestaltung im tatsächlichen und rechtlichen Sinne gefährdet wird.563 Dies trifft auf Eigenversicherungen zu, bei denen der Bezugsberechtigte als (gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher) Vertreter den Vertrag für den VN, der zugleich versicherte Person sein soll, mit dem VR abschließt. Hier besteht zwar Personenidentität zwischen VN und versicherter Person, so dass § 179 Abs. 2 S. 2 vom Wortlaut nicht eingreift. Jedoch gebietet der Schutzzweck der Norm eine Analogiebildung. Beispiele: • Die Eltern schließen namens des zu versichernden Kindes den Vertrag ab, wobei die Versicherung des Kindes für Rechnung der Eltern genommen bzw. eine Bezugsberechtigung zugunsten der Eltern vorgesehen wird.564 Die Wirksamkeit des Vertrages setzt hier die Bestellung eines Ergänzungspflegers voraus (Rn. 205). • Der Bezugsberechtigte (z.B. Ehemann) schließt als rechtsgeschäftlicher Stellvertreter für den zu versichernden VN (z.B. Ehefrau) eine Eigenversicherung für fremde Rechnung ab.565 Hier ist aufgrund des Schutzzwecks der Norm eine schriftlich erteilte Vollmacht unerlässlich, an deren Inhalt hohe Anforderungen zu stellen sind (Rn. 208). • Die Eigenversicherung für den zu versichernden VN ist – z.B. aufgrund der Einräumung eines Bezugsrechts für einen Dritten – für fremde Rechnung genommen und der VN hat für den Versicherungsantrag lediglich eine Blankounterschrift geleistet. Überlässt der VN das Ausfüllen des
559 560 561 562
563
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 6. Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 27. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 10. BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 170 = VersR 1999 347, 348 = NVersZ 1999 258, 259. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 11; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 36.
564 565
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 6; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 36. BGH 8.2.1989 VersR 1989 465, 466; bestätigt durch BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 169 = VersR 1999 347, 348 = NVersZ 1999 258, 259; Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 15; Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 12.
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Antrags einem anderen, so ist er der Gefahr ausgesetzt, dass Dritte eigenmächtig Einfluss auf den Vertragsinhalt nehmen.566
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Der Regelzweck des § 179 Abs. 2 passt weiterhin, wenn eine Fremdversicherung für Rechnung eines Dritten vorgesehen wird. Insbesondere kann der Dritte auch Strohmann des VN sein.567 Eine solche Konstellation liegt vor, wenn der VN bei oder nach Vertragsbegründung (vor Eintritt des Versicherungsfalls) den Dritten als widerruflichen oder unwiderruflichen Bezugsberechtigten einsetzt oder einen Versicherungsanspruch an einen Dritten abtritt. Auch in diesen Fällen ist § 179 Abs. 2 analog heranzuziehen. Ein Verzicht auf die Einwilligung der versicherten Person kommt allerdings dann in Betracht, wenn der VN lediglich seine Verfügungsbefugnis überträgt.568 Sowohl für die Abtretung als auch die Übertragung der Verfügungsbefugnis bedarf es indes der Zustimmung des VR (Ziff. 12.3 AUB 99/2008).
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bb) Vertragsänderung. Ähnlich wie bei der Anwendung von § 150 Abs. 2 S. 1 (§ 159 Abs. 2 S. 1 a.F.), ist im Unfallversicherungsrecht umstritten, ob und in welchen Fällen § 179 Abs. 2 auch dann anwendbar ist, wenn es um die Änderung eines bestehenden Versicherungsvertrages geht. Grundsätzlich kann der VN zwar als Vertragspartei frei gegenüber dem VR disponieren, soweit es sein Rechtsverhältnis zum VR zulässt. Einschränkungen können sich jedoch für den VN ergeben, wenn die angestrebten Vertragsänderungen zwischen VN und VR Auswirkungen auf die versicherte Person haben können. In solchen Fällen kann der Schutzzweck des § 179 Abs. 2 eine Einwilligung der versicherten Person gebieten. Entscheidende Frage ist dann, ob die Vertragsänderung zugleich die Gefahrlage der versicherten Person ändert, in die sie bei Vertragsbegründung eingewilligt hat. Als Faustformel gilt, dass in allen Fällen, in denen für die Begründung des Vertrages die schriftliche Einwilligung der versicherten Person in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 179 Abs. 2 notwendig ist, Gleiches für spätere einvernehmliche Änderungsverträge zwischen VN und VR bzw. einseitige Änderungen des Vertragsinhalts durch den VN gilt, wenn und soweit diese inhaltlich nicht bereits durch die bei Vertragsbegründung gegebene Einwilligung bzw. Ausfüllermächtigung der versicherten Person gedeckt sind. Nicht erforderlich ist, dass die Einwilligung zur Vertragsänderung umfassend ist, also inhaltlich die bei Vertragsbegründung gegebene Einwilligung vollumfänglich bestätigt. Ausreichend, aber auch notwendig ist, dass sich die Einwilligung auf die wesentlichen, das Risiko der versicherten Person berührenden Punkte der angestrebten Vertragsänderung bezieht.569 Erfolgt etwa eine Bezugsrechtsänderung, so muss sich die Einwilligung nur auf diese beziehen. Sie muss sich dagegen nicht auf unverändert gebliebene Versicherungssummen o.ä. erstrecken. Mehrere Fallgruppen lassen sich unterscheiden: Für Verfügungen des VN mit dem Inhalt, dass im wirtschaftlichen Ergebnis eine 198 andere als ursprünglich bei Vertragsbegründung vorgesehene Person etwaige Versicherungsleistungen nach Eintritt des Versicherungsfalls beanspruchen kann, ist entscheidend, ob die Änderung der materiellen Forderungsberechtigung von der bei Vertrags-
566
BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 170 = VersR 1999 347, 348 f. = NVersZ 1999 258, 259 (mit zustimmender Anm. Wandt VersR 1999 350); Hülsmann NVersZ 1999 550, 551 (zu § 159 VVG); Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 15; Klaus Müller NVersZ 2000 454, 457 f.
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568 569
Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 8; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 9; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 27. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 12 AUB 94 Rn. 4. OLG Hamm 25.9.2002 VersR 2003 446, 448.
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schluss erteilten schriftlichen Einwilligung der versicherten Person (noch) gedeckt ist. Nur dann ist eine erneute Mitwirkung der versicherten Person entbehrlich. Eine weitere schriftliche Einwilligung der versicherten Person ist dagegen erforderlich, wenn die erste Einwilligung die geplante Änderung nicht in den wesentlichen Einzelheiten mit umfasst hat.570 Über dieses Ergebnis besteht indes keinesfalls Einigkeit. Z.T. werden für Fremdversicherungen für fremde Rechnung Bezugsrechtsänderungen, Abtretungen oder Verpfändungen durch den VN – vorbehaltlich speziellerer AVB-Regelungen (Ziff. 12.3 AUB 99/2008) – auch ohne Einwilligung der versicherten Person für zulässig gehalten,571 da sich die bei Vertragsschluss einwilligende versicherte Person darüber im Klaren sein müsse, dass Begünstigungen sich während der Vertragslaufzeit ändern könnten, und ihr Schutz (insbesondere im Bereich der Lebensversicherung) zugunsten einer besseren Verkehrseignung, Kredit- und Zirkulationsfähigkeit des Versicherungsvertrages eingeschränkt sei.572 Dieser Argumentation ist indes nicht zu folgen. Sie vernachlässigt, dass § 179 Abs. 2 jede Spekulation mit der Gesundheit der versicherten Person ohne deren Einwilligung strikt verhindern will. Der Austausch des Berechtigten an der Versicherungsleistung ist von zentraler Bedeutung für die versicherte Person.573 So mag sie z.B. eingewilligt haben, dass ein Familienmitglied bei einem Unfalltod die Todesfallleistung erhält. Ein entsprechendes Vertrauen der versicherten Person kann aber nicht gegenüber anderen Personen unterstellt werden, die der versicherten Person u.U. völlig unbekannt sind. Daraus folgt: • Lag ursprünglich eine Fremdversicherung für fremde Rechnung vor und soll ihr Charakter während der Vertragslaufzeit in eine Fremdversicherung für eigene Rechnung umgewandelt werden, so bedarf dies der schriftlichen Einwilligung der versicherten Person. So liegt z.B. der Fall, in dem der VN während der Vertragslaufzeit erstmals für sich oder einen Dritten ein (widerrufliches oder unwiderrufliches) Bezugsrecht einräumen oder das für die versicherte Person bestehende (widerrufliche) Bezugsrecht zugunsten einer anderen Person ändern will. • Haben die Vertragsparteien eine Fremdversicherung für eigene Rechnung wirksam (mit Einwilligung der versicherten Person) begründet und soll später der Begünstigte durch Bezugsrechtsänderung, Abtretung oder Verpfändung (s. aber auch Ziff. 12.3 AUB 99/2008) geändert werden, so ist entscheidend, ob dies von der bei Vertragsschluss erteilten schriftlichen Einwilligung der versicherten Person (noch) gedeckt ist. Regelmäßig wird dies zu verneinen sein, so dass die versicherte Person in die Verfügung des VN einwilligen muss. Fehlt es an der Einwilligung, so ist die Verfügung nichtig.
Möchte der VN zu einer bestehenden Unfallfremdversicherung für fremde Rechnung 199 Vertragsmodalitäten inhaltlich ändern, so ist zunächst zu prüfen, ob die Änderung (z.B. Wechsel des VN) von der bereits erteilten Einwilligung der versicherten Person gedeckt ist.574 Trifft dies nicht zu, so ist zu differenzieren: • Ergibt die Auslegung, dass die Vertragsänderung zu einem Neuabschluss führt, so ist die Einwilligung der versicherten Person einzuholen. • Wird der bestehende Vertrag durch die Vertragsänderung als solche nicht angetastet, so ist maßgebend, ob die angestrebten Änderungen Einfluss auf die Gefahrensituation der versicherten Person haben. Dies ist etwa bei Änderungen zur Zahlungsweise der Prämie 575 (z.B. jährlich statt monatlich, Beitragsüberbrückungen bzw. -stundungen) oder der Herabsetzung der Versicherungssumme zu verneinen. Dagegen kann das Interesse wachsen, den Versicherungsfall herbeizuführen,
570 571 572
Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 12. Hülsmann NVersZ 1999 550, 552; Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 17. Fuchs S. 83 f. und 113 f. (s.a. S. 141 ff.); ferner Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 36.
573 574 575
Klaus Müller NVersZ 2000 454, 458. Bejaht im Fall des OLG Hamm 25.9.2002 VersR 2003 446, 448. OLG Hamm 25.9.2002 VersR 2003 446, 448.
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wenn etwa die bestehenden Versicherungssummen angehoben oder weitere Leistungsarten vereinbart werden sollen und dies in den ursprünglichen Vereinbarungen (z.B. mittels Dynamikvereinbarungen) nicht vorgesehen war. Nachträgliche Änderungen wesentlicher Vertragsbestandteile durch die Vertragsparteien bedürfen der Einwilligung der versicherten Person.576
200
Die einvernehmliche Vertragsaufhebung oder Vertragsbeendigung durch Ausübung von Gestaltungsrechten wie Widerruf, Anfechtung oder Kündigung 577 bedürfen keiner Einwilligung durch die versicherte Person. Die für sie bestehende Gefahrensituation wird nicht verändert oder verschärft, sondern beseitigt.
201
cc) Ausnahmetatbestände. Es entspricht inzwischen allgemeiner Meinung, dass die Gruppen-Unfallversicherung für eigene Rechnung (theoretisch) möglich ist 578 und – wenn sie tatsächlich angestrebt ist – dem Einwilligungserfordernis des § 179 Abs. 2 unterliegt.579 Aus dem Schutzzweck der Vorschrift folgt, dass eine Gruppen-Unfallversicherung ohne Namensangabe nicht als Versicherung für eigene Rechnung zugunsten des VN vereinbart werden kann. Um Spekulationen zu Lasten der Gesundheit der versicherten Person zu vermeiden, muss diese eingewilligt haben. Die Versicherung für eigene Rechnung ist nur bei der Gruppen-Unfallversicherung mit Namensangabe möglich.580 Ausnahmen von dem Einwilligungserfordernis kommen auch unter Berücksichtigung des neuen – für die Lebensversicherung geltenden – § 150 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 nicht in Betracht: • Unter der Geltung des VVG a.F. bestand weitgehende Einigkeit darüber, dass auch für Gruppenversicherungsverträge in der Lebensversicherung die schriftliche Einwilligung der versicherten Person zwingend vorliegen muss. Zwar mag bei ihnen das Gefährdungspotential typischerweise geringer als bei Einzelverträgen sein, gerade wenn der versicherten Person (z.B. als unwiderruflich Bezugsberechtigter) ein unmittelbarer Anspruch auf die Versicherungsleistung zustehen sollte. Jedoch kann eine Spekulation mit dem Leben und der Gesundheit der versicherten Person nicht mit völliger Sicherheit ausgeschlossen werden.581 Von dieser Wertung weicht nunmehr § 150 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ab. Diese Vorschrift sieht vor, dass zur Wirksamkeit des Vertrags die schriftliche Einwilligung der versicherten Person nicht erforderlich ist, wenn es sich um eine Kollektivlebensversicherung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung handelt. Bei solchen Verträgen fehlt es nach Auffassung des Gesetzgebers an dem für das Einwilligungserfordernis maßgeblichen Schutzbedürfnis der versicherten Person.582 • Für die Unfallversicherung galt bisher – ebenso wie in der Lebensversicherung –, dass GruppenUnfallversicherungen für eigene Rechnung des VN ausnahmslos der Einwilligung der versicherten Person bedürfen.583 Daran hat sich durch Einführung des § 150 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 nichts geändert. Eine Analogie kommt nicht in Betracht. Zum einen dürfte es an der erforderlichen Regelungslücke fehlen. Zwar gibt die Gesetzesbegründung keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die Ergänzung des § 150 auf die Lebensversicherung beschränken wollte. Jedoch kann wohl
576 577
578 579 580 581
Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 11. OLG Köln 4.6.1992 VersR 1992 1337; Hülsmann NVersZ 1999 550, 552; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 12. A.A. Roesch JR 1948 100; s.a. OLG Stuttgart 18.4.1906 VA 1908 16 f. Nr. 358. Millauer S. 78; ders. VersR 1966 421. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 8. BGH 7.5.1997 VersR 1997 1213; 1214; OLG Frankfurt/M. 31.7.1996 VersR 1997 478 (LS); näher Drews VersR 1987 634, 636 ff.; Fuchs S. 99 f.; Prölss/Martin/Koll-
280
582 583
hosser 27 § 159 Rn. 14; Bruck/Möller/ Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 35; ferner Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 16; Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 13. Begründung zu § 150 Abs. 2 RegE, BTDrucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 95. Siehe aber auch Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 66, der unter Berufung auf VA 1928 166 f. auch die nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) genügen lassen will.
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nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber einerseits für die Lebensversicherung in § 150 einen Ausnahmetatbestand aufnimmt und andererseits die für die Unfallversicherung ganz ähnliche Vorschrift des § 179 „vergisst“. Zum anderen ist eine Übertragung des in § 150 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens auf die Unfallversicherung nicht geboten. Die neue Regelung ist dem Umstand geschuldet, dass im Bereich der Lebensversicherung nicht zwischen Fremdversicherungen für eigene oder fremde Rechnung unterschieden wird und damit bei jeder Art von Fremdversicherung eine Einwilligung der versicherten Person notwendig ist. Diesen Grundsatz schränkt der Gesetzgeber nun mit der Ergänzung des § 150 für Kollektivversicherungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ein. Diese Gruppenversicherungen werden typischerweise für Rechnung der versicherten Person abgeschlossen. Im Bereich der Unfallversicherung ist dagegen für solche Verträge, die Unfallfremdversicherung für fremde Rechnung darstellen, eine Einwilligung von vornherein nicht erforderlich. Einer tatbestandsmäßigen Einschränkung des § 179 Abs. 2 bedarf es nicht, da diese Norm nur für Fremdversicherungen für eigene Rechnung zur Anwendung gelangt.
Eine Ausnahme vom Einwilligungserfordernis besteht nicht für die Insassen-Unfall- 202 versicherung.584 Sie lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass die Einwilligung der versicherten Person in vielen Fällen nicht im Voraus eingeholt werden kann (Rn. 9). Die gesetzliche Regelung des § 179 Abs. 2 ist eindeutig. Eine einschränkende Auslegung i.S. eines Verzichts auf das Einwilligungserfordernis lässt sich nicht rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat offenbar keinen Anpassungsbedarf für die Insassen-Unfallversicherung gesehen. Weiterhin ist eine Ausnahme unter Berücksichtigung des Schutzzweckes der Norm (Rn. 191) nicht zwingend geboten. c) Erklärender. Im Normalfall erklärt die versicherte Person selbst die Einwilligung. 203 Wie der Umkehrschluss zu § 179 Abs. 2 S. 2 zeigt, genügt jedoch grundsätzlich auch die Einwilligung durch einen gesetzlichen oder rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter. In jedem Fall muss die Versicherung für eine namentlich bezeichnete Person genommen werden (s.a. Rn. 48), da anderenfalls eine schriftliche Einverständniserklärung nicht möglich ist.585 Deshalb genügt eine bloße Bestimmbarkeit der versicherten Person nicht. Sie muss vielmehr individualisierbar sein.586 aa) Gesetzliche Vertretung. Ist die versicherte Person geschäftsunfähig (§ 104 BGB), 204 beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB) oder steht sie unter Betreuung (§ 1896 ff. BGB), so gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln, die auch bei der Vertretung des VN zu beachten sind (Rn. 36 ff.). Besonderheiten ergeben sich aus § 179 Abs. 2 S. 1 für die Einwilligung. Steht dem VN die Vertretung der Gefahrperson „in den seine Person betreffenden 205 Angelegenheiten“ 587 zu, so darf er kraft Gesetzes – zur Vermeidung von Interessenkollisionen – die versicherte Person nicht bei der Erteilung der Einwilligung vertreten. § 179 Abs. 2 S. 2 verschärft m.a.W. die Regelung des § 181 BGB, der für die vorliegende Sachverhaltskonstellation weder direkt noch analog anwendbar ist,588 und entzieht dem VN 584 585 586 587
A.A. H. J. Weber VersR 1954 523, 524 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 12 und § 12 Rn. 2. Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 28. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 34 folgert aus dieser Wendung, dass § 179 Abs. 2 S. 2 VVG (§ 179 Abs. 3 S. 2 VVG a.F.) nur denjenigen gesetzlichen Vertreter
588
betriff, der neben der Vertretungsmacht auch das Personensorgerecht (§ 1631 BGB) zusteht. Zugleich kritisiert er die Differenzierung zwischen sorgeberechtigten und sonstigen gesetzlichen Vertretern. Näher Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 34 und Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C. 29.
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für die Erteilung der Einwilligung die Vertretungsmacht.589 Solche Fallkonstellationen treten insbesondere dann auf, wenn Eltern eine Unfallversicherung auf eigene Rechnung mit ihren minderjährigen Kindern als Gefahrperson abschließen wollen. Die gesetzliche Vertretungsmacht aus § 1629 Abs. 1 BGB reicht dann nicht aus. Zur Erteilung der Einwilligung muss vielmehr ein Ergänzungspfleger (§ 1909 BGB) oder ein zweiter Betreuer (§ 1899 Abs. 4 BGB) bestellt werden. In der Praxis geschieht dies äußerst selten. Kommt es zu einer Bestellung und verweigert der Ergänzungspfleger bzw. der zweite Betreuer die Einwilligung, so ist der Vertrag ungültig, wenn er nur für eigene Rechnung des VN gewollt war (Rn. 226) und eine Umdeutung in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung (Rn. 227 ff.) nicht in Betracht kommt.590 Ist der gesetzliche Vertreter der versicherten Person nicht zugleich VN, so kann er 206 grundsätzlich an Stelle der versicherten Person die Einwilligung erklären, sofern dies von seiner Vertretungsbefugnis (bzw. seinem Aufgabenkreis als Betreuer) gedeckt ist. Dies ergibt der Umkehrschluss aus § 179 Abs. 2 S. 2. Solche Fälle dürften indes in der Praxis äußerst selten vorkommen. Darüber hinaus wird die Frage zu prüfen sein, ob der Schutzzweck der Norm (Rn. 191) eine analoge Anwendung des § 179 Abs. 2 S. 2 gebietet und zwar mit der Folge, dass der gesetzliche Vertreter nicht für die versicherte Person einwilligen darf. Dies kommt etwa in Betracht, wenn ein Bezugsrecht für den gesetzlichen Vertreter der versicherten Person vorgesehen ist. Der Vertreter ist dann einer Interessenkollision ausgesetzt, die zu Spekulationen mit der Gesundheit der versicherten Person „verführen“ kann. Weiterhin kann der VN zur Umgehung einer direkten Anwendung des § 179 Abs. 2 S. 2 als Strohmann des gesetzlichen Vertreters den Vertragsschluss herbeigeführt haben. Auch dann, wenn die beschränkt geschäftsfähige Gefahrperson die Einwilligung 207 selbst erklärt, ist darüber hinaus die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters notwendig. Folge ist, dass die Erklärung des Vertreters dem VR vor der Einwilligung der versicherten Person zugehen muss. • § 107 BGB ist nicht anwendbar. Zwar erwachsen der versicherten Person durch die Einwilligung im Verhältnis zum VR keine rechtlichen Nachteile, da sie weder Prämienschuldner (Rn. 235) noch sonst im rechtlichen Sinne belastet wird. Vielmehr stellt die Einwilligung des beschränkt Geschäftsfähigen ein neutrales Rechtsgeschäft dar, da sie für die versicherte Person auch keine Vorteile birgt, so dass „an sich“ eine Zustimmung der Eltern entbehrlich ist.591 Jedoch kann der versicherten Person eine tatsächliche Benachteiligung erwachsen, da sie „Spekulationsobjekt“ werden kann. Insofern gebietet der Regelungszweck des § 179 Abs. 2 (Rn. 191) einen besonderen Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen, nämlich die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters.592 • Der VR wird vor Ungewissheiten über die Wirksamkeit der Einwilligung durch § 111 BGB geschützt. Nach dieser Vorschrift ist die Einwilligungserklärung der beschränkt geschäftsfähigen Gefahrperson als einseitige Willenserklärung nichtig, wenn ihr der gesetzliche Vertreter nicht vorher zugestimmt hat oder wenn die Gefahrperson nicht zugleich mit ihrer Einwilligungserklärung die schriftliche Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters vorlegt und der Erklärungsempfänger sie deshalb zurückweist.
589 590 591
Schwintowski/Brömmelmeyer § 179 Rn. 12. Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 33. So Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 28; zust. Goll/Gilbert/Steinhaus S. 24 f.
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Drews VersR 1987 634, 642; Prölss/Martin/ Kollhosser 27 § 159 Rn. 8; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 33.
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Versicherte Person
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bb) Rechtsgeschäftliche Vertretung. Es gelten grundsätzlich die allgemeinen zivilrecht- 208 lichen Regeln in §§ 164 ff. BGB. Eine rechtsgeschäftliche Stellvertretung ist für die Einwilligung nicht ausgeschlossen, da das Gesetz kein höchstpersönliches Handeln oder eigenhändiges Unterschreiben der versicherten Person fordert.593 Indes sind folgende Einschränkungen vorzunehmen: • Die Vollmacht muss deutlich erkennen lassen, dass die versicherte Person als Vollmachtgeber genaue Kenntnis vom wesentlichen Vertragsinhalt (Rn. 211) hat 594 oder zumindest dem Bevollmächtigten zu den wesentlichen Vertragsdaten eine „Ausfüllungsermächtigung“ bzw. konkreten (inhaltlichen) Handlungsrahmen einräumt.595 Entscheidend ist, dass die versicherte Person in die Lage versetzt wird, das mit der Einwilligung verbundene Risiko abzuwägen. Dies setzt Kenntnis der Art der Versicherung, der Person des VN (und des widerruflich oder unwiderruflich Bezugsberechtigten), der Dauer der Versicherung und der Höhe der Versicherungssumme voraus.596 Eine allgemeine Handlungsvollmacht oder Generalvollmacht genügt nicht.597 Die Generalvollmacht verhindert, dass die versicherte Person sich für jeden Einzelfall über das Risiko und die Gefährdung klar wird, die mit dem Abschluss der Unfallversicherung verbunden sind. Würde sie als ausreichend angesehen, so bestünde die Gefahr einer Umgehung des mit § 179 Abs. 2 bezweckten Schutzes der versicherten Person.598 Der Vertreter könnte ohne Kenntnis und damit hinter dem Rücken des Vollmachtgebers beim Abschluss der Fremdversicherung für eigene Rechnung von der Generalvollmacht Gebrauch machen und damit mit der Gesundheit der versicherten Person spekulieren.599 • § 167 Abs. 2 BGB sieht „an sich“ vor, dass die Vollmacht nicht der Form bedarf, welche für das Rechtsgeschäft erforderlich ist, auf die sich die Vollmacht bezieht. Danach bedürfte die Vollmacht zur Vertretung der versicherten Person bei der Einwilligung nach § 179 Abs. 2 S. 1 keiner Schriftform.600 Dennoch ist von dieser Regel abzuweichen und – zur Vermeidung einer Umgehung der Formvorschrift des § 179 Abs. 2 S. 1 – für die Bevollmächtigung des Erklärenden durch die versicherte Person Schriftform zu fordern.601 Sie dient nicht nur der Rechtsklarheit,602 sondern vor allem dem Schutzinteresse des Vollmachtgebers,603 insbesondere dem Übereilungsschutz.604
cc) Rechtsfolgen bei fehlender Vertretungsmacht. Wird die Einwilligung von einem 209 Vertreter ohne Vertretungsmacht für die versicherte Person erklärt, so ergeben sich die Rechtsfolgen aus § 180 BGB. Die Einwilligung ist als einseitiges Rechtsgeschäft unzulässig (§ 180 S. 1 BGB). Sie bleibt schwebend unwirksam, wenn der VR als Erklärungs-
593 594 595 596
597
598
OLG Hamburg 24.5.1955 VersR 1957 106 (zu § 159 Abs. 2 a.F.). Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 8. Klaus Müller NVersZ 2000 454, 456 und 457; Wandt VersR 1999 350. BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 171 f. = VersR 1999 347, 349 = NVersZ 1999 258, 260; Fuchs S. 80; Hülsmann NVersZ 1999 550, 551; Klaus Müller NVersZ 2000 454, 457; Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 11; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 35; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 30. Drews VersR 1987 634, 641; Fuchs S. 79; Goll/Gilbert/Steinhaus S. 19 f. und 24; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 11; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 30. OLG Hamburg 24.5.1955 VersR 1957 106 (zu § 159 Abs. 2 a.F.); Grimm 4 Ziff. 1 AUB
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601
602 603 604
99 Rn. 8; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 30; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 35. Hülsmann NVersZ 1999 550, 551. So folgerichtig Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 30 (s. aber auch § 159 Rn. 11); offenbar auch OLG Hamburg 24.5.1955 VersR 1957 106, 107. OLG Frankfurt/M. 31.7.1996 RuS 1998 126 = VersR 1997 478 (LS); Hülsmann NVersZ 1999 550, 551; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 9; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 11; Klaus Müller NVersZ 2000 454, 456 und 458; Römer/ Langheid 2 § 159 Rn. 18; Bruck/Möller/ Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 30. Drews VersR 1987 634, 641. Grimm 4 1 AUB 99 Rn. 8. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 35.
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gegner die behauptete Vertretungsmacht nicht beanstandet oder mit dem Handeln ohne Vertretungsmacht einverstanden ist (§ 180 S. 2 BGB). Stirbt die versicherte Person, so entfällt der Schwebezustand. Der Vertrag ist dann von Anfang an ungültig.605
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d) Empfänger der Einwilligung. Aus § 182 Abs. 1 BGB ergibt sich, dass die Einwilligung sowohl gegenüber dem VR als auch dem VN erklärt werden kann. Der VR muss bei Vertragsabschluss nicht zwingend Kenntnis von der Einwilligungserklärung der versicherten Person haben.606 In der Praxis wird aber der VR bei einer Fremdversicherung für eigene Rechnung die Vorlage der Einwilligung der versicherten Person verlangen, um Gewissheit über die Wirksamkeit des Vertrages zu haben.607 Eine gegenüber Dritten abgegebene Einwilligung, die dem VN oder dem VR zugeleitet oder sonst wie bekannt wird, reicht nur aus, wenn die versicherte Person mit der Weiterleitung ihrer Zustimmung rechnen musste und ihr vermutlicher Wille der Weiterleitung nicht entgegenstand.608
211
e) Inhalt der Einwilligung. Die Einwilligung muss – ähnlich wie bei der rechtfertigenden Einwilligung in Eingriffe in die personale Rechtsgütersphäre – eindeutig sein. Notwendig ist unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 179 Abs. 2, dass die Einwilligung sämtliche Regelungspunkte erfasst, die für den Unfallversicherungsvertrag wesentlich sind und das Risiko der versicherten Person bestimmen können. Nur dann kann davon ausgegangen werden, dass die versicherte Person in der Lage war, sich der mit der Versicherung verbundenen Gefährdung bewusst zu werden und das mit der Einwilligung verbundene Risiko abzuwiegen. Zu den wesentlichen Vertragsumständen zählen die Vertragsparteien, die Höhe der vereinbarten Versicherungssummen, die Dauer der Versicherung, die Person des Bezugsberechtigten und die Ausgestaltung seiner Rechtsposition.609 Insbesondere muss die versicherte Person unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass sie Kenntnis von ihrer Gefährdungssituation hat und damit einverstanden ist, zwar Gefahrperson zu sein, jedoch keine Ansprüche auf die Versicherungsleistung erheben zu können.610 Durch die Notwendigkeit, dass die versicherte Person den wesentlichen Vertraginhalt kennen und billigen muss („Gefahrakzeptanz“),611 erlangt sie die Möglichkeit, auf die Vertragsmodalitäten Einfluss zu nehmen. Sie kann die Einwilligung versagen, wenn ihr die Höhe der Versicherungssumme, die angestrebte Vertragsdauer oder die vorgesehene Person des Bezugsberechtigten nicht zusagen.612 Die versicherte Person kann ihre Einwilligung grundsätzlich mit Bedingungen ver212 sehen.613 So ist es z.B. denkbar, dass die versicherte Person ihre Einwilligung davon abhängig macht, dass eine bestimmte Person (unwiderruflich) Bezugsberechtigter wird. Stimmt der Versicherungsantrag dann nicht mit den Vorgaben der Einwilligung überein, so kommt der Vertrag nicht wirksam zustande. Zulässig ist eine aufschiebende Bedingung. Eine aufhebende Bedingung ist dagegen ausgeschlossen, da sie in den Rechtskreis dritter Personen bzw. bereits begründete Rechtspositionen eingreifen würde. Eine Ein605 606 607 608 609
Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 33. OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681. Fuchs S. 78 (Fn. 247) Drews VersR 1987 634, 641. OLG Hamm 25.9.2002 VersR 2003 446, 448; Fuchs S. 80; Klaus Müller NVersZ 2000 454, 455 f.
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Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 8; A. Surminski VP 1973 100; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 2. Ausdruck nach Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 6. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 27. Fuchs S. 113 f.
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willigung unter unzulässigen Bedingungen ist als Verweigerung der Zustimmung zu werten.614 f) Zeitpunkt der Einwilligung. Nach der Legaldefinition des § 183 S. 1 BGB, die auch 213 für die Terminologie des acht Jahre nach Inkrafttreten des BGB im VVG normierten Versicherungsrechts heranzuziehen ist,615 verlangt die Einwilligung nach § 179 Abs. 2 S. 1 die Zustimmung vor Vertragsschluss. Sie kann nicht nach Vertragsbeginn – etwa erst kurz vor Eintritt des Versicherungsfalls – nachgeholt werden. Das Fehlen einer (vorherigen) Einwilligung kann m.a.W. nicht durch eine (nachträglich erklärte) Genehmigung der versicherten Person (bzw. ihrer Erben) 616 gemäß § 184 BGB geheilt werden.617 Der Vertrag ist vielmehr nichtig.618 Wäre die Genehmigung entgegen der Legaldefinition des Wortes „Einwilligung“ in § 183 S. 1 BGB möglich, so bestünde die Gefahr, dass der Regelungszweck des § 179 Abs. 2 ausgehebelt werden könnte. So könnten bei einem tödlichen Unfall die Erben der versicherten Person die Wirksamkeit des Vertrages herbeiführen, wodurch geradezu Anreize geschaffen würden, der Gesundheit der versicherten Person zuwider zu handeln.619 Daraus folgt indes nicht, dass die Einwilligung stets beim formellen Vertragsschluss gegeben sein muss.620 Entscheidend ist vielmehr der materielle Versicherungsbeginn. So reicht es bei einer Gruppen-Unfallversicherung aus, wenn die Einwilligung der versicherten Person bei der Anmeldung des einzelnen Risikos oder beim Beginn der Gruppenzugehörigkeit vorliegt.621 Ein Vertragsabschluss unter der aufschiebenden Bedingung der schriftlichen Einwilli- 214 gung der versicherten Person ist nicht möglich.622 Die rechtliche Beurteilung stellt sich nicht anders als bei der Genehmigung dar. Es macht i.E. keinen Unterschied, ob der Vertrag durch eine nachträgliche Zustimmung zum schwebend unwirksamen Vertrag oder durch eine Einwilligung i.S.d. Eintritts einer aufschiebenden Bedingung nachträglich nach dem Abschluss des Vertrages wirksam gemacht werden soll.623 g) Form der Einwilligung. Die praktische Umsetzung des Einwilligungserfordernisses 215 bereitet mitunter einige Schwierigkeiten. aa) Art und Weise der Einwilligung. Die Einwilligung kann ausdrücklich oder kon- 216 kludent zum Ausdruck kommen.624 Nicht zwingend ist es, dass die Einwilligung im Versicherungsvertrag selbst erteilt wird (arg. § 126 Abs. 2 BGB). Es genügt auch eine äußer614 615
616 617
Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 27. In den Motive zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 159 S. 639 wird ausdrücklich auf die Legaldefinition des § 183 BGB verwiesen; ferner BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 172 = VersR 1999 347, 349 = NVersZ 1999 258, 260. BGH 8.2.1989 VersR 1989 465, 466. BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 172 = VersR 1999 347, 349 = NVersZ 1999 258, 260; OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681; Drews VersR 1987 634, 641; Gerhard/Hagen § 159 Anm. 4 S. 644; Hülsmann NVersZ 1999 550, 552; Prölss/ Martin/Knappmann27 § 179 Rn. 9; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 29 (s. aber auch § 159 Rn. 15); A. Surminski VP 1973 100; Bruck/Möller/
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Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 32; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 31; unklar Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 18 („kann auch später erteilt werden“). Fuchs S. 79. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 7; Klaus Müller NVersZ 2000 454, 457. So aber etwa Goll/Gilbert/Steinhaus S. 23. Millauer S. 78; ders. VersR 1966 421, 422; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 8. OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681; Fuchs S. 91; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 7; a.A. Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 7 und § 179 Rn. 31. Klaus Müller NVersZ 2000 454, 457. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 6.
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lich getrennte Erklärung.625 Erforderlich ist dann allerdings, dass die gesonderte Urkunde entweder den vollen Erklärungsinhalt aufweist, der für den Unfallversicherungsvertrag wesentlich ist, oder die Erklärung auf den beigefügten Antrags- oder Vertragstext verweist und beide Dokumente zu einer einheitlichen Urkunde zusammengefasst sind; denn nur dann kann der Zweck der Erwilligung erfüllt werden, der versicherten Person das für sie möglicherweise bestehende Gefährdungspotential inhaltlich umfassend deutlich zu machen. Entscheidend ist letztlich, dass sich die Einwilligung inhaltlich auf alle wesentlichen Vertragsbestandteile erstreckt (Rn. 211). Eine Blankoerklärung stellt keine ausreichende Einwilligung dar; sie ist ohne rechtliche Relevanz.626 Im Normalfall wird die Einwilligung durch eine Unterschrift der versicherten Person auf dem Antragsformular eingeholt. Das Unterschriftenfeld findet sich typischerweise am Antragsabschluss im Zusammenhang mit der Unterschriftenzeile für den Antragsteller und ist mit „Unterschrift der versicherten Person(en)“ gekennzeichnet. Der Charakter der Fremdversicherung für eigene Rechnung dürfte der versicherten Person deutlich werden, wenn z.B. klar geregelt ist, dass dem VN ein Bezugsrecht zustehen soll. Wichtig ist, dass im Zeitpunkt der Unterzeichnung durch die versicherte Person der Antrag (zumindest in den für den Vertrag wesentlichen Teilen) ausgefüllt ist. Eine nachträgliche Ergänzung des Antrags ist nur gedeckt, wenn eine entsprechende – schriftliche – Ermächtigung der versicherten Person vorliegt, die den Inhalt der Ergänzung, zu der ermächtigt wird, konkret aufführt. Eine modifizierte Antragsannahme wird regelmäßig nicht von der bei Antragstellung erteilten Einwilligung umfasst sein.627
217
bb) Schriftlichkeit. § 179 Abs. 2 S. 1 verlangt die schriftliche Einwilligung der versicherten Person. Ziel des Schriftlichkeitsgebotes ist es, dass die versicherte Person ihre Einwilligung in voller Erkenntnis der ihr möglicherweise drohenden Gefahren abgibt. Die Tragweite und Bedeutung der Einwilligung soll ihr möglichst eindringlich vor Augen geführt werden.628 Das Schriftlichkeitsgebot dient damit vornehmlich der Warn- und Kontrollfunktion.629 Die Bedeutung des Wortes „schriftlich“ bestimmt sich nach § 126 BGB.630 Danach 218 ist es erforderlich, dass die Erklärung von der versicherten Person eigenhändig durch Namensunterschrift oder – was in der Praxis kaum vorkommt – mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sein muss. Textform genügt mithin nicht. Die versicherte Person kann z.B. nicht per Fax oder auf telegrafischem Weg einwilligen.631 Ebenso wenig reicht eine „Anklicklösung“ bei Internetabschlüssen 632 oder eine „normale“ E-Mail. Bei Nutzung moderner (elektronischer) Antragswege kommt alternativ zur herkömm219 lichen papiernen Form gemäß § 126a BGB in Betracht, dass die versicherte Person ihrer Erklärung ihren Namen hinzufügt und das elektronische Dokument mit einer sog. qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versieht.633 Z.T. wird dies
625 626 627 628 629
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 32; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 27. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 6. Klaus Müller NVersZ 2000 454, 456. Fuchs S. 79. BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 171 = VersR 1999 347, 349 = NVersZ 1999 258, 260; Fricke VersR 2001 925, 928; Bruck/ Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 27.
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630
BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 171 = VersR 1999 347, 349 = NVersZ 1999 258, 260. 631 Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 27. 632 Fricke VersR 2001 925, 928; Leverenz Internetgeschäft S. 97; Hoeren/Sieber/Vomhof Kap. 13.6 Rn. 55. 633 Hoeren/Spindler S. 30; ferner Schwintowski/ Brömmelmeyer § 179 Rn. 9.
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abgelehnt, da Schriftform die Verkörperung des Textes erfordere.634 Überzeugend ist dies nicht. § 126 Abs. 3 BGB stellt die qualifizierte elektronische Unterschrift ausdrücklich der herkömmlichen Schriftform gleich. Mit ihr kann die von § 179 Abs. 2 S. 1 angestrebte Warnfunktion bei Erteilung der Einwilligung ebenso wie mit einer papiernen Unterschrift gewahrt werden. Da die qualifizierten elektronischen Signaturen jedenfalls bei Verbrauchern bisher keine Verbreitung gefunden haben, kommen solche Einwilligungserklärungen in der Praxis freilich nicht vor. Üblicherweise wird Schriftlichkeit i.S.v. § 179 Abs. 2 S. 1 ausschließlich mit §§ 126, 220 126a BGB gleichgesetzt.635 Im Interesse eines möglichst papierarmen Antragsverfahrens bzw. Vertragsschlusses kommt allerdings in Betracht, unter bestimmten Voraussetzungen eine Einwilligung der versicherten Person auf sog. Unterschriftenpads des Versicherungsmaklers oder -vertreters zuzulassen. Solche Schreibtabletts erlauben es zusammen mit der dazugehörigen Software, Unterschriften in einen per PC, Notebook etc. erstellten Antrag an der vorgesehenen Stelle einzufügen. Ob solche technischen Verfahren den Anforderungen des § 179 Abs. 2 S. 1 genügen, ist noch nicht abschließend geklärt.636 Eine entsprechende Annahme ist jedenfalls mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden, da auch die technisch ausgereiften Unterschriftpadverfahren streng genommen weder der klassischen Schriftform noch den Anforderungen an die qualifizierte elektronische Signatur genügen. Entsprechendes gilt für die Überwindung sonstiger „Formhindernisse“ im Versicherungsrecht wie z.B. die datenschutzrechtliche Einwilligung oder die Schweigepflichtentbindung. Zunächst erfüllt die mit einem Unterschriftenpad geleistete Unterschrift nicht die Voraussetzungen des § 126 BGB. So dürfte einerseits das unterzeichnete elektronische Dokument (der Antrag) nicht dem Urkundenbegriff entsprechen. Unabhängig davon, ob es sich bei dem elektronischen Dokument um eine verkörperte Gedankenerklärung handelt, wahrt sie jedenfalls nicht das Schriftlichkeitsgebot, da eine Urkunde der unmittelbaren menschlichen Wahrnehmung zugänglich sein muss. Dies ist bei digitalen Dokumenten grundsätzlich nicht der Fall, da ihr Inhalt nicht aus sich heraus wahrnehmbar ist, sondern erst mit technischer Hilfe lesbar gemacht wird. Andererseits stellt der Ausdruck des unterzeichneten elektronischen Dokuments zwar eine schriftlich verkörperte Gedankenerklärung dar, jedoch handelt es sich bei dem Ausdruck der Unterschrift nicht um eine eigenhändige Unterzeichnung, sondern um eine Reproduktion. Weiterhin erfüllt die Signatur per Unterschriftenpad nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 126a BGB. Die in § 2 Nr. 3 SigG bestimmten Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur sind nicht gegeben, da dem Unterschriftenpad-System eine andere Technologie zugrunde liegt, als sie im Signaturgesetz vorgesehen ist. Die Frage, ob der Einsatz von Unterschriftensurrogaten im Versicherungsrecht trotz 221 des Abweichens der jeweils in §§ 126, 126a BGB aufgestellten Anforderungen zulässig ist, wird sich nicht allgemein, sondern nur in Kenntnis des genauen Ablaufs der Antragsaufnahme und der dabei verwandten technischen Hilfsmittel beurteilen lassen. Entscheidend ist i.E., ob die mit Hilfe eines Schreibtabletts erstellte Unterschrift ein funktionsgleiches Äquivalent zur gesetzlichen Schriftform darstellt. Dies verlangt, dass die Funktionen einer herkömmlichen Unterschrift auf Papier u.ä. gleichwertig abgebildet werden. Dies trifft einerseits auf eine Unterschrift in Textform i.S.v. § 126b BGB (z.B. Angabe des Namens in Druckbuchstaben) eindeutig nicht zu. Andererseits können „elektronische 634
Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 15; Römer/Langheid 2 § 159 Rn. 15 und § 179 Rn. 31; Hoeren/Sieber/Vomhof Kap. 13.6 Rn. 55.
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Leverenz VersR 2002 1318, 1321. Näher hierzu Hoeren FS Holzhauer S. 538 ff.
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Unterschriften“ mit Hilfe modernster Signatur- und Verschlüsselungstechniken einer Unterzeichnung per Hand auf einem papiernen Antrag so nahe angeglichen werden, dass eine unterschiedliche rechtliche Behandlung auch unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks von § 179 Abs. 2 nicht zwingend geboten ist. Sicherzustellen ist, dass die versicherte Person nicht voreilig, sondern in Kenntnis des wesentlichen Vertragsinhalts und der Bedeutung ihrer Unterschrift eine überlegte Einwilligung erklärt. Gerade der Warnfunktion kommt im Rahmen der Anwendung von § 179 Abs. 2 (ent222 sprechendes gilt für § 150 Abs. 2) eine besondere Bedeutung zu. Sie ist gewahrt, wenn der versicherten Person die Bedeutung ihrer Unterschrift auf dem Pad – z.B. aufgrund der Menüführung, der visuellen Unterstützung auf dem Monitor sowie der Art und Weise der Unterschriftenaufnahme – genauso (unmissverständlich) bewusst ist wie bei einer Unterzeichnung eines Papierantrages. Unter diesen Voraussetzungen ist die Unterzeichnung eines auf dem Bildschirm für die versicherte Person sichtbaren Dokuments mittels Schreibtabletts kein routinemäßiger „Flüchtigkeitsvorgang“, sondern erzeugt eine geschäftsmäßige Stimmung, die zu Sorgfalt und Prüfung herausfordert. Die Warnfunktion kann noch dadurch unterstützt werden, dass die versicherte Person ihre „elektronische Unterschrift“ mit einem „ok-Mausklick“ elektronisch bestätigen muss.
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cc) Rechtsfolgen bei Formverstößen. Einwilligungen in Fremdversicherungen auf eigene Rechnung sind nichtig, wenn sie nicht in der von § 179 geforderten Form abgegeben sind. Dies ergibt sich aus § 125 BGB.637 Ein Vertrag, der aufgrund einer formunwirksamen Einwilligung geschlossen wurde, ist – u.U. auch noch Jahre nach Abschluss – rückabzuwickeln, sofern nicht eine Umdeutung in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung in Betracht kommt (Rn. 227 ff.). So kann der VN Rückerstattung der ohne rechtlichen Grund geleisteten Prämien aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB geltend machen. Die Berufung auf einen Formmangel ist nur in Ausnahmefällen nach § 242 BGB ausgeschlossen; denn gesetzliche Formvorschriften können nicht aus allgemeinen Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden. Eine Durchbrechung der Formnichtigkeit kommt aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit nur dann in Betracht, wenn das Ergebnis für die betroffene Partei schlechthin untragbar ist, weil sie etwa in ihrer Existenz gefährdet oder zumindest erheblich beeinträchtigt wäre. Dazu ist substantiierter Vortrag und der Nachweis des drohenden Schadens erforderlich.638
224
h) Widerruf der Einwilligung. Die Einwilligung ist gemäß § 183 S. 1 BGB widerruflich, soweit sich nicht aus dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis anderes ergibt. Ein Ausschluss der freien Widerruflichkeit ist in der Praxis indes unüblich.639 Der Widerruf kann sowohl gegenüber dem VN als auch dem VR erklärt werden (§ 183 S. 2 BGB).640 Da der Widerruf keine Gefahr für die versicherte Person herbeiführt, ist er formfrei 641 – z.B. per Telefon, Fax oder E-Mail 642 – und bis zum wirksamen Abschluss des Versicherungsvertrages ohne jede Einschränkung möglich.643 Nach Wirksamwerden
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639 640
Fuchs S. 79. BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 173 f. = VersR 1999 347, 349 f. = NVersZ 1999 258, 260 f. Drews VersR 1987 634, 641. S. aber Fuchs S. 79 und Bruck/Möller/ Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 27 (Abgabe des Widerrufs gegenüber dem Empfänger der Einwilligungserklärung).
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Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 8; Klaus Müller NVersZ 2000 454, 457. Berliner Kommentar/Schwintowski § 159 Rn. 8; ferner Hoeren/Spindler S. 30; Leverenz Internetgeschäft S. 97. Goll/Gilbert/Steinhaus S. 23; Klaus Müller NVersZ 2000 454, 457.
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des Vertrages ist ein Widerruf ausgeschlossen.644 Maßgebend ist der formelle, nicht der materielle Vertragsbeginn.645 Es findet § 130 Abs. 1 S. 2 BGB Anwendung. Danach ist auf den Zugangszeitpunkt des Widerrufs abzustellen. i) Anfechtung der Einwilligung. Die schriftlich erteilte Einwilligung kann als Willens- 225 erklärung nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln wegen Irrtums (§§ 119 ff. BGB) oder arglistiger Täuschung (§§ 123 f. BGB) angefochten werden. Sie ist dann von Anfang an nichtig (§ 142 BGB). k) Fehlende Einwilligung. Der Vertrag ist unwirksam bzw. absolut (unheilbar) nich- 226 tig, wenn die ordnungsgemäße Einwilligung der versicherten Person gemäß § 179 Abs. 2 als unabdingbare Voraussetzung für den Abschluss der Fremdversicherung für eigene Rechnung fehlt.646 Der Vertrag ist zwischen den Vertragsparteien nach §§ 812 ff. BGB rückabzuwickeln.647 Hat die versicherte Person die Prämien gemäß § 267 BGB für den VN gezahlt, kann sie sich nicht an den VR, sondern nur an den VN halten.648 Zur Vermeidung der Nichtigkeitsfolge kommt lediglich in Betracht, den Vertrag in eine Versicherung für fremde Rechnung gemäß § 140 BGB umzudeuten, Teilnichtigkeit gemäß § 139 BGB anzunehmen oder eine Bestätigung des nichtigen Rechtsgeschäfts nach § 141 BGB zu erwägen. aa) Umdeutung des Vertrages. Z.T. wird die Umdeutungsmöglichkeit generell ver- 227 neint. Führe die Auslegung zu dem Ergebnis, dass eine Unfallfremdversicherung für eigene Rechnung gewollt sei, so fehle jeder Anhaltspunkt für die Annahme, die Parteien hätten eine Fremdversicherung für fremde Rechnung bei Kenntnis der Nichtigkeit angestrebt.649 Dem Willen der Vertragsparteien würde mit einer Umdeutung geradezu Gewalt angetan.650 Die h.M. bejaht dagegen bei Fehlen einer rechtswirksamen (schriftlichen) Einwilligung der versicherten Person grundsätzlich – mit mehr oder weniger deutlichem Hinweis auf § 179 Abs. 1 S. 2 und den Schutzzweck des § 179 Abs. 2 S. 1 (Rn. 191) – eine Fremdversicherung für fremde Rechnung,651 mit der Folge, dass die Versicherungssumme der versicherten Person materiell-rechtlich zusteht (Rn. 168 f.). Andere nehmen Nichtigkeit nur dann an, wenn entweder durch den Unfallversicherungsvertrag ausschließlich Todesfallleistungen bedungen sind oder eine Fremdversicherung durch den Vertragsinhalt ausgeschlossen ist.652 Richtig ist es, eine differenzierte Betrachtung anzustellen bzw. einzelfallorientierte Prüfung vorzunehmen.653 644 645 646
647 648 649 650 651
Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 27. Fuchs S. 79. OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681; Fuchs S. 78; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 10; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 9; Thiel VersR 1955 726; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 37; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 31; a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer § 179 Rn. 10. BGH 7.5.1997 VersR 1997 1213; 1214. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 159 Rn. 10. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 37. H. J. Weber VersR 1954 523. BGH 21.10.1965 VersR 1965 1166; BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 49 = VersR 1960
652
653
339, 340 = NJW 1960 912, 913; BFH 28.9.1993 RuS 1995 317; OLG Hamm 28.11.1975 VersR 1977 1124 (LS); Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 31; A. Surminski VP 1973 100; Thiel VersR 1955 726, 731; i.E. auch Schwintowski/Brömmelmeyer § 179 Rn. 10 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 179 VVG Rn. 4. ArbG Mönchengladbach 20.11.1997 ZfS 1999 25; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 10; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 31. OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 10; Millauer S. 80; ders. VersR 1966 421, 422.
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• Die Auslegungsregel des § 179 Abs. 1 S. 2 kann nicht zur Beurteilung der Frage herangezogen werden, ob eine Umdeutung möglich ist. Die Vorschrift betrifft auf der Tatbestandsseite den Fall, dass trotz Auslegung unklar bleibt, ob eine Fremdversicherung für eigene oder fremde Rechnung gewollt war (Rn. 136). Sie trifft keine Aussagen darüber, wie auf der Rechtsfolgenseite zu verfahren ist, wenn die Auslegung ergeben hat, dass eine Fremdversicherung für eigene Rechnung angestrebt war, diese aber mangels ordnungsgemäßer Einwilligung der versicherten Person unwirksam ist. Hätte der Gesetzgeber tatsächlich gewollt, dass eine unwirksame Fremdversicherung für eigene Rechnung stets als Fremdversicherung für fremde Rechnung zu deuten wäre, so hätte er dies sicherlich durch einen geeigneten Zusatz in § 179 Abs. 2 klargestellt. Weiterhin könnte bei einer generellen Umdeutung in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung die Nichtigkeitsfolge des § 179 Abs. 2 S. 1 nie eintreten. • Der Schutzzweck des § 179 Abs. 2 wird nicht ausgehöhlt, wenn nicht per se eine Umdeutung der Fremdversicherung für eigene Rechnung in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung angenommen wird. Zwar steht der versicherten Person bei Ablehnung einer Umdeutung die Versicherungsleistung nicht materiell-rechtlich zu. Jedoch zahlt sich der Vertragsschluss für den VN auch nicht aus, da der Vertrag im Fall der fehlenden Einwilligung der versicherten Person von Anfang an nichtig ist. Der VN kann keine Versicherungsleistung, sondern allenfalls die Rückzahlung der Versicherungsprämien beanspruchen. Im Übrigen ist eine Missbrauchsgefahr auch dann nicht ausgeschlossen, wenn man stets eine Umdeutung in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung annimmt. So ist es durchaus möglich, dass der im Besitz des Versicherungsscheins befindliche VN über die Rechte aus der Versicherung im eigenen Namen verfügt und die Entschädigung annimmt, ohne dass die versicherte Person oder ihre Erben von ihrer materiellen Berechtigung an der Versicherungsleistung Kenntnis erlangen bzw. ihren Herausgabeanspruch gegen den VN durchsetzen können. • Die vorbehaltlose Umdeutung einer Fremdversicherung für eigene Rechnung in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung vernachlässigt den Parteiwillen. Wenn der VN den Anspruch unter allen Umständen nur selbst erlangen will, so ist dieser Wille zu respektieren. Ein anderes Ergebnis widerspräche der Vertragsfreiheit.654
228
Maßgebend ist, ob – im jeweiligen Einzelfall – die Voraussetzungen des § 140 BGB vorliegen. • Zunächst muss ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen (wirksamen) Ersatzgeschäfts entsprechen. Dies trifft auf die unwirksame Fremdversicherung für eigene Rechnung zu. Wird die fehlende Einwilligung der versicherten Person weggedacht, so kann der Vertrag als Fremdversicherung für fremde Rechnung Bestand haben. Eine Ausnahme gilt, sofern in dem Unfallversicherungsvertrag ausschließlich Todesfallleistungen vorgesehen sind. Hier ist Nichtigkeit des Vertrages anzunehmen. Eine Umdeutung ist nicht möglich. Vielmehr sind die Wertungen des § 150 heranzuziehen, da es sich wirtschaftlich gesehen nicht mehr um eine Unfall-, sondern um eine Lebensversicherung handelt.655 • Weiterhin ist zu ermitteln, was die Parteien nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) im Fall der Kenntnis von der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts vereinbart hätten. Kann ausnahmsweise der wirkliche Parteiwille festgestellt werden, so hat dieser Vorrang; denn gegen den eindeutigen Willen der Parteien ist eine Umdeutung unzulässig. Weiterhin ist eine Umdeutung ausgeschlossen, wenn beide Parteien die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts kennen.656 Erst wenn der wirkliche Wille der Vertragsparteien nicht festgestellt werden kann, kommt es auf den mutmaßlichen Willen an. Entscheidend ist dann, ob der VN und der VR bei Kenntnis der Nichtigkeit der Fremdversicherung für eigene Rechnung eine Fremdversicherung für fremde
654 655
Millauer S. 83; ders VersR 1966 421, 422 und 424. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 10;
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Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 31. Palandt/Heinrichs 65 § 140 Rn. 8.
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Rechnung vernünftigerweise gewollt hätten. Dies kann nicht per se verneint werden.657 Allein der Umstand, dass die Vertragsparteien zunächst eine Fremdversicherung für eigene Rechnung vereinbaren wollten, schließt nicht aus, dass sie in Kenntnis der drohenden Nichtigkeit des Vertrages in der Vertragsanbahnungsphase doch noch auf eine rechtsgültige Fremdversicherung für fremde Rechnung umgeschwenkt wären („Na gut, dann eben doch für Rechnung der versicherten Person“). Bei der Prüfung des hypothetischen Parteiwillens sind neben dem Wortsinn des Vertrages auch die außerhalb des Vertrages liegenden Begleitumstände zu berücksichtigen.658 Augenmerk ist insbesondere auch auf die Interessenlage und den mit dem Rechtsgeschäft verfolgten Zweck zu legen. Soll Versicherungsschutz (vorrangig) im Interesse der versicherten Person geschaffen werden, so liegt die Annahme nahe, dass die Konstruktion der Fremdversicherung für eigene oder fremde Rechnung keine Bedeutung für den VN hat. Dies wird häufig bei einer Familienversicherung anzunehmen sein. Hat etwa ein Elternteil für ein Kind eine Unfallversicherung als VN abgeschlossen, so kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass der VN mit der Versicherung nicht nur eigene – gesteigerte – Unterhaltspflichten abdecken, sondern altruistisch etwaige Versicherungsleistungen verwenden will, um die wirtschaftlichen Folgen eines Unfalls beim Kind zu mildern. Gegen eine Umdeutung spricht, wenn der VN ausschließlich eigene wirtschaftliche Interessen mit der Versicherung verfolgt, also gerade nicht beabsichtigt oder zumindest erwogen hat, Leistungen des VR an die versicherte Person „durchzureichen“, bzw. die Leistungen des VR benötigt, um bei sich selbst auftretende wirtschaftliche Folgen des Unfalls abzumildern. Dies wird typischerweise in dem Fall anzunehmen sein, in dem der VN ausdrücklich die Versicherungsleistung an sich selbst vorbehalten hat.659 • Führt die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis und bestehen noch Zweifel darüber, was die Vertragsparteien im Fall der Kenntnis von der Unwirksamkeit des Vertrages gewollt hätten, so ist Nichtigkeit des Vertrages anzunehmen.
Fraglich ist, wie zu verfahren ist, wenn bei einer Gruppen-Unfallversicherung für 229 eigene Rechnung des VN (z.B. Betrieb oder Verein) die Einwilligungserklärung einzelner oder aller versicherter Personen fehlt. Häufig wird angenommen, dass eine wirksame Fremdversicherung für eigene Rechnung nur für die Gefahrpersonen vorliege, die eingewilligt hätten, und im Übrigen eine Fremdversicherung für fremde Rechnung gegeben sei.660 Zweifelhaft ist indes, ob diese Schlussfolgerung in ihrer Allgemeinheit zutreffend ist. Einerseits ist zu berücksichtigen, dass das konkrete Schutzbedürfnis der versicherten Person häufig weniger schwer wiegt, weil regelmäßig der wirtschaftliche Zweck und Anlass für den Abschluss des Gruppen-Unfallversicherungsvertrags den Anreiz des VN ausschließt, den Eintritt des Versicherungsfalls zum Nachteil der versicherten Person zu beeinflussen. Im Gegenteil: Der VN hat in vielen Fällen ein Interesse am Nichteintritt des Versicherungsfalls.661 Andererseits ist eine Umdeutung nicht ohne weiteres möglich, wenn der VN z.B. die Gruppen-Unfallversicherung mit dem klar ersichtlichen Ziel abgeschlossen hat, eigene bestehende (rechtliche, soziale) Verpflichtungen gegenüber der versicherten Person (Zusage von unfallbedingten Invaliditätsleistungen gegenüber Arbeitnehmern usw.) „rückzudecken“. Hier mögen Zweifel bestehen bleiben, ob die Umdeutung dem mutmaßlichen Willen des VN entspricht. Hinzukommt, dass bei Anwendung des § 140 BGB die versicherte Person, die keine Einwilligung erteilt haben, ungerechtfertigt bevorzugt würden.662 Sie wären sowohl aus der Unfallversicherung des VN materiell berechtigt als auch aus der im Verhältnis zum VN getroffenen Abrede,
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A.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 37. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 10. OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 10.
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661 662
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 10; Nießen S. 40; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 32; a.A. Millauer S. 79 f.; ders. VersR 1966 421, 422. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 66. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 10.
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während die „loyalen Gruppenmitglieder“, die erwartungsgemäß ihre Einwilligung erklärt haben, keine Leistungen aus der Unfallversicherung beanspruchen könnten.663 I.E. bleibt es bei der schwierigen Wertungsfrage, ob anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Berücksichtigung des einzelnen versicherten Risikos Nichtigkeit eintritt oder im Wege der Umdeutung eine Fremdversicherung für fremde Rechnung angenommen werden kann. Ähnlich wie der Gruppen-Unfallversicherung stellt sich die Rechtslage dar, wenn bei 230 einer Insassen-Unfallversicherung von einigen Insassen die Einwilligung nach § 179 Abs. 2 vorliegt und von anderen Insassen nicht. Bei einer konsequenten Anwendung des § 179 Abs. 2 kann es bei dieser eher theoretischen Fallkonstellation (Rn. 141) zu dem unbefriedigenden Ergebnis kommen, dass die einwilligenden versicherte Person keine Versicherungsleistungen erhalten, während die Insassen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannt waren, materiell anspruchsberechtigt sind. Dennoch wird bei einer solchen Sachverhaltskonstellation nicht einfach Wirksamkeit des Vertrages für sämtliche Insassen angenommen werden können, nur weil überhaupt eine der in Betracht kommenden Gefahrpersonen eingewilligt hat.664 Anderenfalls könnten die nicht einwilligenden versicherten Personen – entgegen dem gesetzlichen Regelungszweck (Rn. 191) – zum Spekulationsobjekt werden (s.a. Rn. 6). Vielmehr ist für das einzelne Versicherungsrisiko zu prüfen, ob eine Umdeutung in eine Fremdversicherung für fremde Rechnung in Betracht kommt.
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bb) Teilnichtigkeit des Vertrages. Ist der Vertrag als Fremdversicherung für eigene Rechnung anzusehen, weil ein Bezugsrecht des VN als Vertretungsberechtigtem für die versicherte Person vorgesehen ist, so ist die Bezugsrechtseinräumung nichtig, wenn es an einer ordnungsgemäßen Einwilligung der versicherten Person (insbesondere Vertretung durch einen Ergänzungspfleger) fehlt. Der Versicherungsvertrag wird dadurch nicht berührt. § 139 BGB greift im Regelfall nicht ein.665 Bei Fehlen einer besonderen Vereinbarung wird normalerweise davon ausgegangen werden können, dass der Versicherungsvertrag auch ohne die nichtige Bezugsrechtserklärung vorgenommen sein würde. Fehlt die Einwilligung einer bzw. einzelner versicherter Personen bei einer Gruppen232 Unfallversicherung für eigene Rechnung des VN, so ist ebenfalls keine Nichtigkeit des Gesamtvertrages anzunehmen, da das Einwilligungserfordernis nur für die Mitversicherung des einzelnen Risikos zu erfüllen ist und sich folgerichtig dessen Verletzung auch lediglich auf dieses Risiko auswirken kann. Insoweit ist die Vermutung des § 139 BGB widerlegt.666
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cc) Neuvornahme. Eine Bestätigung des nichtigen Rechtsgeschäfts ist unter den Voraussetzungen des § 141 BGB theoretisch denkbar, wird praktisch aber kaum vorkommen; denn die Neuvornahme der Fremdversicherung für eigene Rechnung setzt voraus, dass alle Voraussetzungen des zu bestätigenden Rechtsgeschäfts erfüllt sind. Erforderlich ist, dass der jeweils Bestätigende • die Bestätigung in der Form des nichtigen Rechtsgeschäfts zum Ausdruck bringt. Die versicherte Person muss mithin schriftlich in die Neuvornahme einwilligen.667 Allein die Prämienzahlung
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Millauer S. 83; ders. VersR 1966 421 424. So aber H. J. Weber VersR 1954 523, 524. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 6. Millauer S. 79; ders. VersR 1966 421, 422;
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 66; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 36. Fuchs S. 90 f.
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durch die versicherte Person reicht hierfür nicht aus. Sie genügt nicht dem Schriftlichkeitsgebot.668 • Kenntnis von der möglichen Fehlerhaftigkeit des Geschäfts hat oder zumindest Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Vertrages haben muss.669 Wenn das Bewusstsein der Nichtigkeit fehlt, kann eine Handlung, die auf den Willen schließen lässt, an dem Vertrag festzuhalten, nicht schon als Bestätigung aufgefasst werden; denn das Festhalten an einem Geschäft, das der Handelnde als gültig ansieht, ist selbstverständlich.670 • trotz Kenntnis der Nichtigkeit den Bestätigungswillen äußert. Für eine solche Äußerung genügt es nicht, dass der VR Handlungen nach dem Zeitpunkt ausführt, in dem er von dem Eintritt des Versicherungsfalls Kenntnis erlangt hat. Es fehlt dann an der Bestätigungsabsicht, da die Wesenserfordernisse aller Versicherungen, nämlich ein übernehmbares Risiko und eine (noch) bestehende Gefahr, nicht gegeben sind.671
2. Rechtsverhältnis zwischen versicherter Person und VR Anders als bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung greifen bei der Fremdver- 234 sicherung für eigene Rechnung die Vorschriften der §§ 43 ff. nicht zugunsten der versicherten Person ein. Es kommt zu keiner Aufspaltung von materieller Berechtigung (versicherte Person) und Verfügungsbefugnis (VN). Vielmehr ist allein der VN materiell Berechtigter und Verfügungsberechtigter; der versicherten Person stehen keine Rechte aus dem Versicherungsvertrag gegen den VR zu.672 Die versicherte Person steht außerhalb des Vertragsverhältnisses. Ihre Zustimmung 235 zum Vertragsschluss dient nur ihrem Schutz, begründet aber keine Verpflichtungen. Dies gilt auch dann, wenn die versicherte Person die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung des VN als „versicherte Person“ (mit) unterschreibt.673 Daraus folgt, dass die Pflicht zur Prämienzahlung bzw. Prämienschuld allein beim VN liegt.674 Bei der Unfallversicherung für eigene Rechnung treffen Obliegenheiten nur den VN. 236 Die versicherte Person ist lediglich „Bezugsobjekt“ des Vertrages i.d.S., dass sich in ihr das Unfallrisiko realisieren kann. Da sie selbst nicht Vertragspartner ist, können ihr aber keine Verhaltensnormen auferlegt werden, deren Verletzung für sie selbst Bedeutung erlangen könnten. Allerdings trifft den VN eine „Gewährleistungspflicht“ für das vertragsgerechte Verhalten der Gefahrperson.675 § 179 Abs. 3 (§ 179 Abs. 4 a.F.) bestimmt, dass auch die Kenntnis und das Verhalten der versicherten Person zu berücksichtigen sind, soweit die Kenntnis und das Verhalten des VN im Fall der Fremdversicherung für eigene Rechnung nach § 179 Abs. 2 von rechtlicher Bedeutung sind. Insofern werden VN und versicherte Person – anders als im Vertretungsrecht (§ 166 Abs. 1 BGB) – als eine rechtliche Einheit aufgefasst.676 Damit überträgt das Gesetz – genauso wie § 156 für die Lebensversicherung – die für die Fremdversicherung geltende Vorschrift des § 47 Abs. 1
668
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670 671 672
BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 173 = VersR 1999 347, 349 = NVersZ 1999 258, 260. BGH 9.12.1998 BGHZ 140 167, 173 = VersR 1999 347, 349 = NVersZ 1999 258, 260. OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681. OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681. Pannenbecker VersR 1998 1322, 1323.
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 38. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 39 (auch zur Frage der Rückzahlung von Prämien, die die versicherte Person geleistet hat). Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 40. Schwintowski/Brömmelmeyer § 179 Rn. 13; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 34; s.a. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 8 („Zurechnungsnorm, die Elemente der §§ 166 und 278 BGB in sich vereint“).
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auf die Unfallversicherung, die für eigene Rechnung des VN auf die Person eines anderen genommen wird. Auf die Kenntnisse der versicherten Person kann es ankommen, wenn • es um Umstände geht, die für die Übernahme der Gefahr nach § 19 bedeutsam sind. • eine Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung durch die versicherte Person im Raum steht (§ 22 i.V.m. § 123 BGB). Die Formulierung in § 179 „nach diesem Gesetz“ darf nicht dahingehend ausgelegt werden, dass § 123 BGB als Vorschrift außerhalb des VVG unberücksichtigt bleiben müsse.677
Die Berücksichtigung des Verhaltens der versicherten Person kommt in Betracht bei Obliegenheitsverletzungen (Ziff. 7, 8 und 13 AUB 2008) oder Gefahrerhöhungen (Ziff. 6 AUB 2008). Das Wissen anderer Personen ist dem VN bzw. der versicherten Person nur dann zuzurechnen, wenn es sich um Wissens- oder Wissenserklärungsvertreter handelt, die mit der Erfüllung von Obliegenheiten und der Abgabe von Erklärungen anstelle des VN oder der versicherten Person betraut worden sind (Rn. 68 ff.). 3. Rechtsverhältnis zwischen versicherter Person und VN
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Die Versicherungsleistung steht dem VN zu. Er muss sie nicht an die versicherte Person weiterleiten. Anderenfalls bestünde eine Fremdversicherung für fremde Rechnung.
E. Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis 238
Im Vordergrund stehen die vertraglich vereinbarten Ansprüche des VN auf Versicherungsschutz und des VR auf Zahlung der Versicherungsprämie. Kommt es zu einem vertrags- oder gesetzeswidrigen Verhalten einer Partei, kann der Kontrahent daraus nach allgemeinem Zivilrecht Rechtsfolgen ableiten, wobei das VVG eine Reihe von Spezialvorschriften vorsieht. Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass das Versicherungsverhältnis vielfach und in besonderem Maße von Treu und Glauben beherrscht wird, wobei dieser Grundsatz nicht nur für den VR, sondern auch für den VN gilt; denn jede Vertragspartei ist auf die Unterstützung der anderen angewiesen. Der VN verfügt z.B. allein über Kenntnis wesentlicher Umstände für den Vertragsschluss und die Schadenabwicklung. Der VR ist dem VN durch die Beherrschung der Versicherungstechnik, seine Geschäftskunde, seine umfangreichen Erfahrungen und wegen der Sachverständigen, derer er sich bedienen kann, überlegen. Folge ist, dass Treu und Glauben ergänzende Leistungs- oder Verhaltenspflichten schaffen.678
I. Ansprüche des VR 239
Der VR kann von dem VN die pünktliche und vollständige Zahlung der vereinbarten Prämie verlangen (vgl. Ziff. 11 AUB 99/2008). Verletzt der VN seine vor- oder nebenvertraglichen Pflichten, stehen dem VR grundsätzlich die Ansprüche nach allgemeinem Zivilrecht zur Verfügung. Indes bestehen zahlreiche versicherungsrechtliche Besonderheiten, die vorrangig zu beachten sind. Die Spezialregelungen resultieren insbesondere aus den gesetzlichen Vorschriften zu den vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten (näher 677 678
Fuchs S. 107 f. OGH 20.12.2006 VersR 2007 1395 f.; Prölss/Martin/Prölss 27 Vorbem. II Rn. 6 ff.
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Ziff. 13 AUB 2008) und den Obliegenheiten vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls (näher Ziff. 7 und 8 AUB 2008).
II. Ansprüche des VN Dem VN können gegen den VR und den Versicherungsvertreter aus verschiedensten 240 Gründen Ansprüche zustehen, die ihre Grundlage im Versicherungsvertrag finden. 1. Ansprüche auf Versicherungsschutz Im Vordergrund stehen die Ansprüche des VN gegen den VR auf Erbringung der ver- 241 einbarten Versicherungsleistungen. Anspruchsgrundlage hierfür ist der Versicherungsvertrag. Unter bestimmten Voraussetzungen können sich Leistungsansprüche darüber hinaus aus den Grundsätzen der Erfüllungshaftung ableiten lassen. 2. Ansprüche auf Schadensersatz Schadensersatzansprüche des VN gegen den VR können auf mehreren Anspruchs- 242 grundlagen beruhen. Die wichtigsten basieren auf der Verletzung vorvertraglicher oder nebenvertraglicher Pflichten, also auf den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) oder der positiven Forderungsverletzung (§ 280 BGB). Seltener kommen in der Praxis Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB) vor. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass Schadensersatzpflichten aufgrund Verletzungen der Beratungs- und Dokumentationspflichten (§§ 6 Abs. 5, 63) große praktische Bedeutung erlangen und die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsinstitute verdrängen werden. Der VR kann nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo wegen verzögerter 243 Antragsbearbeitung von Neu- oder Abänderungsanträgen zu Schadensersatz verpflichtet sein.679 Dies wird vornehmlich relevant, wenn die versicherte Person einen Unfall in der Zeit erleidet, in der der VR den Vertragsschluss schuldhaft verzögert hat. Fernerhin kommen Schadensersatzansprüche des VN gegen den VR in Betracht, wenn der VR oder sein Vertreter vertragliche Nebenpflichten im Rahmen der Vertragsanbahnung oder – bei bestehendem Vertragsverhältnis – im Rahmen angestrebter Vertragsänderungen verletzt und diese Pflichtverletzung zur Folge hat, dass der Vertrag bzw. die Vertragsänderung scheitert.680 3. Ansprüche auf Rückabwicklung Ansprüche auf Rückabwicklung des Versicherungsvertrages (z.B. auf Rückzahlung 244 sämtlicher Prämien ab Vertragsbeginn) können auf Schadensersatzansprüchen oder auf Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) beruhen. Eine typische Fallkonstellation ist etwa, dass der VN den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anficht und/oder eine Falschberatung durch den VR bzw. seinen Vertreter geltend macht.
679
S. etwa OLG München 1.2.1965 VersR 1965 373; LG Hamburg 20.2.1951 VA 1951 126; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 39;
680
eingehend Prölss/Martin/Prölss 27 § 3 Rn. 31 ff.; Schlossareck S. 47 ff. KG 27.6.2008 VersR 2009 343 f.
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4. Sonstige Ansprüche
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Die versicherte Person kann von dem VR die Möglichkeit zur Einsichtnahme in (medizinische) Gutachten verlangen, die der VR über sie hat erstellen lassen (s. Anh. § 189). Dagegen hat der VN gegen den VR keinen allgemeinen Anspruch auf Angabe der Kosten- und Gewinnanteile der Versicherungsprämie; der VR ist nicht verpflichtet, seine Prämienkalkulation und damit Betriebsgeheimnisse offen zu legen.681 Eine dahingehende vertragliche oder gesetzliche Anspruchsgrundlage auf Auskunftserteilung existiert nicht.682 §§ 675, 666 BGB greifen nicht ein, da es sich bei der Unfallversicherung nicht um einen Geschäftsbesorgungsvertrag handelt (Rn. 80 und 168); im Übrigen begründet auch der Geschäftsbesorgungsvertrag keine allgemeinen Auskunftspflichten. § 242 BGB greift nicht ein, da nicht ersichtlich ist, welcher Zahlungsanspruch aufgrund der Kenntnis der Prämienkalkulation begründet werden soll;683 ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung von Prämien wegen vermeintlicher Nichtigkeit des Vertrages nach § 138 BGB lässt sich mit der Kenntnis der Risiko-, Verwaltungs- und Gewinnanteile der Prämie nicht begründen (Rn. 124). Die konkrete Festlegung des Invaliditätsgrades erfolgt in der Praxis aufgrund medizi246 nischer Gutachten, die in der Regel der VR einholt. Eine Verpflichtung des VR, eine Invaliditätsbemessung durch einen Facharzt vornehmen zu lassen, besteht nicht, wenn er keinen Anlass dafür hat, an der Fachkunde des zugezogenen Arztes zu zweifeln. So gibt es keine Regel, dass der VR zur Beurteilung eines Nervenschadens in jedem Fall einen Facharzt für Neurologie und Neurochirurgie zuziehen müsste. Dies gilt insbesondere dann, wenn die versicherte Person einen solchen Facharzt selbst nicht aufgesucht hat und der VR keinen Anlass hatte, an der Fachkunde des behandelnden Arztes zu zweifeln, dessen Kurzgutachten der Invaliditätsbemessung zugrunde liegt.684
F. Spezielle AVB 247
§ 191 nennt § 179 nicht. Dennoch ist davon auszugehen, dass § 179 Abs. 2 685 und 3 aufgrund ihres Schutzzwecks (Rn. 191) zwingendes Recht enthalten und lediglich § 179 Abs. 1 abdingbar ist. Dies entspricht der bis zur VVG-Reform 2008 geltenden Rechtslage. Auch § 179 Abs. 3 a.F.686 (jetzt § 179 Abs. 2) war zwingend, während § 179 Abs. 1 und 2 a.F. (jetzt § 179 Abs. 1) – ebenso wie § 179 Abs. 4 a.F. (jetzt § 179 Abs. 3) 687 – der Parteidisposition unterlag.688 Entsprechendes galt nach allgemeiner Ansicht für die ähnlich gestaltete Vorschrift des § 159 Abs. 2 a.F.689 (jetzt § 150 Abs. 2). Die Parteien können folglich weder von dem Erfordernis der schriftlichen Einwilligung der versicher-
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Eingehend Leverenz VersR 1997 652, 654 ff. LG Hamburg 10.12.1997 VersR 1998 225, 227 f. = NJWE-VHR 1998 73, 75 f.; AG Hamburg 7.8.1996 VersR 1996 1134, 1135; Leverenz VersR 1997 652, 656 LG Hamburg 10.12.1997 VersR 1998 225, 228. OLG Hamm 12.7.1989 VersR 1990 965, 966. Schwintowski/Brömmelmeyer § 179 Rn. 16. Motive zum VVG a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 179 S. 721; ferner
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687 688
689
OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681; Fuchs S. 91; Gerhard/Hagen § 179 Anm. 3 S. 722; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 41. Fuchs S. 106. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 179 Rn. 13; Berliner Kommentar/Schwintowski § 179 Rn. 36. Gerhard/Hagen § 159 Anm. 5 S. 645; Hülsmann NVersZ 1999 550; Prölss/Martin/ Kollhosser 27 § 159 Rn. 22.
Kent Leverenz
Versicherte Person
§ 179
ten Person in die Fremdversicherung für eigene Rechnung abweichen noch auf die Einhaltung der zwingenden Gültigkeitsvoraussetzungen verzichten.690 So können bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung der VR und der VN der versicherten Person nicht den materiellen Anspruch auf die Versicherungsleistung entziehen,691 da anderenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis eine Fremdversicherung für eigene Rechnung entsteht, die zu ihrer Wirksamkeit die Einwilligung der versicherten Person bedarf.
G. Verfahrensfragen In prozessualer Hinsicht gelten für das Vertragsrecht der Unfallversicherung keine 248 Besonderheiten. Es gelten die allgemeinen Rechtsregeln.
I. Beweislastverteilung Die Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Vertrags- 249 schlusses trägt nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln derjenige, der Rechte aus dem Vertrag herleitet.692 Behauptet der VN eine mündliche Antragsergänzung, so muss er diese beweisen. Dem stehen die Grundsätze der Wissenszurechnung nach der „Augeund-Ohr-Rechtsprechung“ (vgl. Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 8 und 10) nicht entgegen.693 Die Beweislast für den Zugang der Vertragsinformationen gemäß § 7 Abs. 1 und 2 250 sowie der Widerrufsbelehrung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 trägt der VR (§ 8 Abs. 2 S. 3). Für den Zugangsbeweis gelten die allgemeinen Regeln (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 55 ff.). So kommen dem VR für den Beweis des Zugangs des Versicherungsscheins keine Beweiserleichterungen zugute.694 Insbesondere kann er sich nicht auf einen Anscheinsbeweis stützen, dass Postsendungen nach einer bestimmten Frist den Empfänger zu erreichen pflegen (Ziff. 17 AUB Rn. 55). Selbst wenn ein Mitarbeiter der VR bestätigt, dass der Versicherungsschein mit der Post abgeschickt worden sei, so wäre damit nicht der Zugang beim VN bewiesen.695 Noch nicht abschließend geklärt ist, wer die „Rechtzeitigkeit“ der Informationserteilung i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 3 zu beweisen hat. Während eine Auffassung den VR als beweisbelastet ansieht,696 nimmt die Gegenauffassung eine differenzierte Betrachtung vor: Die Abgabe der Vertragserklärung durch den Kunden begründe eine tatsächliche Vermutung für die Rechtzeitigkeit, wenn ihm die Vertragsinformationen im Zeitpunkt seiner Vertragserklärung vollständig vorgelegen haben. Der VN könne die tatsächliche Vermutung widerlegen, wenn er z.B. vortrage und im Bestreitensfalle beweise, dass er durch Überrumpelung oder Täuschung zur Abgabe der Vertragserklärung veranlasst worden sei.697
690
691 692
OLG Hamburg 19.1.1966 VersR 1966 680, 681; Drews VersR 1987 634, 641; Fuchs S. 91; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. C 32. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 9 und H 48. S. etwa Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 21.
693 694 695 696 697
Näher OLG Celle 26.2.2009 VersR 2009 914, 916. BGH 13.12.1995 VersR 1996 445, 446. OLG Köln 19.8.1997 VersR 1998 1104, 1107. Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/57 und 3/79. So Römer Vortrag auf dem „Versicherungsforum“ in Köln am 9.10.2008.
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297
§ 179
Kapitel 7: Unfallversicherung
251
Die Voraussetzungen für eine Fremdversicherung für eigene Rechnung hat der VN zu beweisen.698 Derjenige, der sich auf das Vorliegen einer Fremdversicherung für eigene Rechnung beruft, muss die gesetzliche Vermutung in § 179 Abs. 1 S. 2 (§ 179 Abs. 2) widerlegen.699 Die Voraussetzungen des rückwirkenden Wegfalls der vorläufigen Deckung hat der 252 VR darzulegen und ggf. zu beweisen, da es sich hierbei um eine auflösende Bedingung handelt.700 Im Rückforderungsprozess, in dem der VR bereits erbrachte Zahlungen zurückver253 langt, hat der VR darzutun und zu beweisen, dass es für seine Leistungen keinen rechtlichen Grund gab. Beweiserleichterungen kann er nicht in Anspruch nehmen (§ 187 Rn. 67). Behauptet der VR z.B., der Versicherungsfall habe nicht vorgelegen, muss er dies beweisen. Entsprechendes gilt u.a., wenn der VR Rückforderungen geltend macht, weil er infolge einer Obliegenheitsverletzung des VN gezahlt habe (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 132).
II. Beweisführung 254
Im Regelfall wird der Vertragsschluss und -inhalt durch die Vorlage der entsprechenden Vertragsunterlagen geführt. Geht es um die Echtheit von Unterschriften (des VN, der versicherten Person, des Beitragszahlers bei der Lastschriftermächtigung), so ist zu beachten, dass im Regelfall nur Originalschriftstücke eine verlässliche Grundlage für einen Schriftvergleich bieten. Die Qualität von kopierten Mikrofilm-Rückvergrößerungen ist dagegen oft zu schlecht, um die Urheberschaft der Unterschrift durch einen Sachverständigen entscheiden zu lassen. Risiken bei der Beweisführung infolge des Fehlens der dem VR eingereichten Originale durch Mikroverfilmung trägt der VR. So liegt etwa der Fall, in dem darüber gestritten wird, ob der Unfallversicherungsantrag vom verstorbenen VN unterzeichnet worden ist. Lehnt der VR Versicherungsleistungen mit der Begründung ab, es sei kein Versicherungsvertrag zustande gekommen, so müssen grundsätzlich die die Leistung begehrenden Erben des VN den Vertragsschluss beweisen. Wird die Beweisführung indes unmöglich, weil der Originalversicherungsantrag durch den VR vernichtet worden ist, geht dies zu Lasten des VR. Er ist bei Vorliegen der übrigen Leistungsvoraussetzungen zur Leistung verpflichtet. Zwar liegt kein Pflichtverstoß des VR vor, wenn er aus bürotechnischen Rationalisierungsgründen die Originale der Versicherungsanträge nach Mikroverfilmung vernichtet. Jedoch darf der VR sich die durch die Vernichtung entstandene Unmöglichkeit des Beweises für die Echtheit der Unterschrift des VN nicht zunutze machen. Es stellt ein widersprüchliches Verhalten dar (§ 242 BGB), wenn der VR, der das Verfahren der Verfilmung und Vernichtung zu seinem (Rationalisierungs-) Vorteil eingeführt hat, die durch dieses Verfahren erzeugten Beweisnachteile auf den VN abwälzen will. Auf Beweisschwierigkeiten des VN, die aus dem Fehlen des Originals herrühren, darf der VR sich deshalb nicht berufen.701
698 699 700
A. Surminski VP 1973 100. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 2. BGH 13.12.1995 VersR 1996 445.
298
701
BGH 21.6.2000 VersR 2000 1133, 1134; ferner BGH 30.1.2008 NJW-RR 2008 696 Rn. 4.
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Invalidität
§ 180
§ 180 Invalidität Der Versicherer schuldet die für den Fall der Invalidität versprochenen Leistungen im vereinbarten Umfang, wenn die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person unfallbedingt dauerhaft beeinträchtigt ist. Eine Beeinträchtigung ist dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung dieses Zustandes nicht erwartet werden kann.
Schrifttum Bihr Die Invaliditätsabwicklung im Wandel, VW 1993 264; Conradi Die versicherungsrechtlichen Grundlagen, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 –, 1992; Knappmann Privatversicherungsrecht und Sozialrecht (Kranken- und Unfallversicherung): Unterschiede und Übereinstimmungen, RuS 2007 45; ders. Unfallversicherung: Kausalitäts- und Beweisfragen, NVersZ 2002 1; R. Lehmann Der Invaliditätsbegriff in der Allgemeinen Unfallversicherung, VW 1987 1370; Marlow Aktuelle Rechtsprechung zur privaten Unfallersicherung, RuS 2004 353.
Übersicht Rn. A. I. II. B. I. II. III.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . Zweck der Regelung . . . . . . . . . . . Regelungszusammenhang . . . . . . . . . Invaliditätsbegriff . . . . . . . . . . . . . Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . 1. Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person . . . . . . . . . . . . . a) Objektive (medizinische) Beurteilung b) Leistungsfähigkeit eines „Durchschnittsmenschen“ als Vergleichsmaßstab . . 2. Dauerhafte Beeinträchtigung . . . . . . a) Dauerschaden . . . . . . . . . . . . b) Dreijahreszeitraum . . . . . . . . . . c) Spätere Verschlechterungen und Verbesserungen des Gesundheitszustandes . . . . . . . . . . . . . . d) Ärztliche Prognose . . . . . . . . . . 3. Fehlerhafte Prognosen . . . . . . . . .
1 2 4 5 6 7 8
9 10 13 17 18 19
20 23 25
Rn. C. Haftungsausfüllende Kausalität . . . . . I. Beurteilungsmaßstab . . . . . . . . . . II. Mehrere Unfälle . . . . . . . . . . . . . 1. Kausalzusammenhang zwischen Erstund Zweitunfall . . . . . . . . . . . 2. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . III. Mitursächlichkeit . . . . . . . . . . . . IV. Hypothetische Kausalität . . . . . . . . D. Invaliditätsleistungen . . . . . . . . . . E. Speziellere Regelungen . . . . . . . . . F. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . I. Nachweis des Vorliegens von Unfallfolgen II. Nachweis des Ausmaßes der Unfallfolgen III. Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beweismaßstab . . . . . . . . . . . . 2. Beweisgegenstand, insbesondere Mitursächlichkeit . . . . . . . . . . . . . 3. Beweismittel . . . . . . . . . . . . .
. 26 . 27 . 28 . . . . . . .
29 33 37 40 41 42 43 44 . 47
. 48 . 49 . 54 . 55
A. Einführung Der Gesetzgeber hat mit der Legaldefinition der Invalidität in § 180 die Empfehlun- 1 gen der VVG-Expertenkommission 1 nahezu wortgleich übernommen. Positiv ist, dass im Gegensatz zum Abschlussbericht noch das Wort „unfallbedingt“ vor „dauerhaft“ in § 180 Abs. 1 S. 1 aufgenommen worden ist. Dadurch erfolgte die sinnvolle – wenn auch 1
Abschlussbericht S. 401 f.
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§ 180
Kapitel 7: Unfallversicherung
selbstverständliche – Klarstellung, dass nicht „jede“ Invalidität Leistungsansprüche begründet, sondern ein haftungsausfüllender Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall (Versicherungsfall) und der Unfallfolge (Invalidität) gegeben sein muss.
I. Zweck der Regelung 2
Mit § 180 verfolgt der Gesetzgeber i.E. „lediglich“ das Ziel, die wesentlichen Kernelemente im VVG zu regeln. Die neue Vorschrift führt keine inhaltlichen Änderungen im Unfallversicherungsrecht herbei. Insbesondere wird kein gesetzliches Leitbild geschaffen, das im Rahmen der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu berücksichtigen wäre.2 Vielmehr ist zu erwarten, dass die dispositive und nachrangige Legaldefinition der Invalidität in § 180 voraussichtlich kaum eigenständige praktische Bedeutung erlangen wird.3 Typischerweise enthalten die vorrangigen AVB (vornehmlich die AUB) konkrete Absprachen dazu, an welche Voraussetzungen bzw. Begriffe Versicherungsleistungen geknüpft sind. • Zum einen enthält § 180 kein zwingendes Recht, sondern nur eine dispositive Auslegungs- bzw. Auffangregel, die nicht bezweckt, die Produktgestaltungsfreiheit der VR einzuschränken, auf dem Markt vorhandene Produkte zu verdrängen bzw. zu belasten oder sogar Leistungsvoraussetzungen mit Wirkung für bestehende Verträge zu verändern. Vielmehr findet die Vorschrift erst dann Anwendung, wenn zwischen den Vertragsparteien für den Fall der Invalidität Leistungen vereinbart sind und der Versicherungsvertrag (ausnahmsweise) keine näheren Regelungen enthält. Von § 180 abweichende vertragliche Regelungen haben m.a.W. Vorrang. Werden Leistungen etwa an einen bestimmten Grad der Behinderung geknüpft oder sind sie von einer dauerhaften Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit abhängig, so findet § 180 keine Anwendung.4 • Zum anderen greift der Gesetzgeber mit § 180 S. 1 eine in den AUB (Ziff. 2.1.2.2.2 S. 1 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94) bereits vorhandene Definition der Invalidität auf,5 deren Praktikabilität bereits vor Einführung der AUB 88 medizinische Unfallgutachter bestätigt haben.6 Des Weiteren soll die in § 180 S. 2 wiedergegebene Definition des Begriffs der Dauerhaftigkeit der Invalidität dem bereits zu den AUB in Rechtsprechung und Lehre vertretenen Rechtsverständnis entsprechen.7 Diese Annahme ist indes etwas ungenau,8 da es zu den AUB 88/94/99 umstritten ist, ob die Invalidität „wenigstens“ oder „länger als“ drei Jahre bestehen muss (Rn. 17).
Ein Rückgriff auf § 180 kommt in Betracht, wenn marktunübliche Invaliditätsbegriffe in den AVB aufgenommen werden und diese einer Kontrolle nach dem AGB-Recht nicht standhalten sollten.9 Gegen Inhalt und Intention des § 180 lassen sich keine gravierenden Einwände er3 heben. Wünschenswert wäre es lediglich, wenn der Gesetzgeber • klargestellt hätte, dass die Leistungsfähigkeit der versicherten Person nach dem Unfall nicht mit ihrer individuellen Leistungsfähigkeit vor dem Unfall (unter Berücksichtigung etwaiger besonderer Fähigkeiten), sondern mit der Leistungsfähigkeit eines „Normalmenschens“ gleichen Alters und Geschlechts ohne unfallbedingte Gesundheitsschädigung zu vergleichen ist. Diesen zu den
2 3 4
5 6
van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 18. Schwintowski/Brömmelmeyer § 180 VVG Rn. 2. Begründung RegE zu § 180, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006, S. 108; Abschlussbericht S. 401 f. Abschlussbericht S. 136. Riebesell S. 61.
300
7
8 9
Begründung RegE zu § 180, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006, S. 108; Abschlussbericht S. 402. Schwintowski/Brömmelmeyer § 180 VVG Rn. 4; Marlow/Spuhl 3 S. 263 Schwintowski/Brömmelmeyer § 180 VVG Rn. 2.
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Invalidität
§ 180
AUB bestehenden Streit hat der Gesetzgeber nicht entschieden (Rn. 13 ff.). Es ist den VR anzuraten, ggf. für entsprechende Klarstellungen in den AVB Sorge zu tragen. • in Anlehnung an Ziff. 2.1.2.2.2 S. 2 AUB 99/2008 bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94 in § 180 ergänzt hätte, dass die Invalidität unter ausschließlicher Berücksichtigung medizinischer Gesichtspunkte zu beurteilen ist (sofern die Vertragsparteien keine vorrangigen Regelungen wie z.B. die Gliedertaxe vereinbart haben, Rn. 10 ff.). • bestimmt hätte, welcher Zeitpunkt für den Beginn der in § 180 S. 2 genannten Dreijahresfrist maßgebend ist. Es wird nicht explizit gesagt, ob auf den Unfalltag oder den Abschluss der ärztlichen Behandlung abzustellen ist (Rn. 19).
II. Regelungszusammenhang § 180 ist im Kontext zu § 188 zu sehen. Während § 180 eine dispositive Legaldefini- 4 tion beinhaltet und die Frage beantwortet, was bei Fehlen vorrangiger Regelungen unter einer Invalidität dem Grunde nach zu verstehen ist, enthält § 188 Abs. 1 halbzwingendes Recht (§ 191), in dem die endgültige Bemessung des Invaliditätsgrades normiert wird. § 180 wird insbesondere durch Ziff. 2.1 AUB 99/2008 näher ausgestaltet.
B. Invaliditätsbegriff Bei der Interpretation und Abgrenzung des Invaliditätsbegriffs sowie der Auslegung 5 der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 180 stellt sich regelmäßig die Frage, wie die Rechtslage bisher auf Grundlage der AUB geregelt war und ob Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Gesetzgeber von dem tradierten Unfallversicherungsrecht abweichen wollte. Sofern sich kein ausdrücklicher Hinweis auf eine Korrekturabsicht des Gesetzgebers findet, darf davon ausgegangen werden, dass § 180 nur die bisherige Rechtslage wiedergibt.
I. Auslegung Der vom Gesetzgeber übernommene Invaliditätsbegriff prägt die Unfallversicherung 6 seit der Einführung der AUB 88. Zur Auslegung des Begriffs der „Invalidität“ i.S.d. privaten Unfallversicherung dürfen nicht die Vorschriften der Sozialversicherung, des Versorgungsrechts oder des Schwerbehindertenrechts herangezogen werden.10 So ist etwa die „Minderung der Erwerbstätigkeit“ (MdE) oder der „Grad der Behinderung“ (GdB) grundsätzlich irrelevant (Vorbem. § 178 Rn. 60). Entscheidend sind allein die zwischen den Vertragsparteien getroffenen Regelungen und der von dem VVG und dem Zivilrecht geprägte privatversicherungsrechtliche Rahmen. Verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des VR, da er im Regelfall die Bedingungen vorgibt und deshalb dafür sorgen muss, dass sie keine Veranlassung zu Zweifeln geben (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 81).11
10
RG 19.1.1934 VA 1934 15, 16 Nr. 2672; OLG Celle 13.9.2007 VersR 2007 1688, 1689 = NJW-RR 2008 345, 346 f. = RuS 2008 254, 255; OLG Celle 5.5.1959 VersR 1959 784; OLG Celle 18.2.1957 VersR 1957
11
211, 212; LG Berlin 7.8.2001 RuS 2003 380; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 5 und 34. So bereits RG 19.1.1934 VA 1934 15, 16 Nr. 2672.
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§ 180
Kapitel 7: Unfallversicherung
II. Abgrenzung 7
Von der Invaliditätsdefinition in § 180 und in den AUB 88/94/99/2008 sind folgende Begriffe abzugrenzen, auch wenn es durchaus zu Schnittmengen bzw. Überschneidungen mit der Invalidität i.S.d. der privaten Unfallversicherung kommen kann: • Arbeitsunfähigkeit i.S.d. privaten Unfallversicherung. Die Arbeitsfähigkeit war noch bei Vereinbarung der AUB 61 das Herzstück der Unfallversicherung (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 5 ff.). In den neueren Bedingungswerken erlangt sie nur noch Bedeutung beim Tagegeld (Ziff. 2.3.1 AUB 99/2008, § 7 Abs. 3 Nr. 1 AUB 88/94). Die AUB 88/94/99/2008 bauen im Übrigen auf den in § 180 zugrunde gelegten Invaliditätsbegriff auf. Die Begriffe der Arbeits- und der Leistungsfähigkeit können, müssen aber nicht stets übereinstimmen: Nicht jede Minderung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt auch die Arbeitsfähigkeit.12 So betrifft z.B. eine unfallbedingte Stimmbandschädigung zwar die Leistungsfähigkeit der versicherten Person. Ob jedoch die Beeinträchtigung auch dauerhaft auf die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person Auswirkungen entfaltet, ist von dem jeweiligen Beruf der versicherten Person abhängig. Umgekehrt stellt jede Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit der versicherten Person zugleich eine Minderung ihrer Leistungsfähigkeit dar.13 • Arbeitsunfähigkeit i.S.d. Krankenversicherung. In den Bedingungen der privaten Krankenversicherer wird Arbeitsunfähigkeit üblicherweise angenommen, „wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht“ (§ 1 Nr. 3 MB/KT 94/2009). Nach der Definition der gesetzlichen Krankenversicherung liegt dagegen Arbeitsunfähigkeit vor, „wenn der Versicherte wegen seiner Krankheit nicht oder nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen.“ Ein wesentlicher Unterschied gegenüber dem Invaliditätsbegriff der privaten Unfallversicherung liegt darin, dass die Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht dauerhaft sein muss 14 bzw. keinen zeitlichen Vorgaben unterliegt. Sie kann schon für einen Tag bestehen. • Behinderung. Der Begriff der Behinderung wird in der privaten Unfallversicherung gar nicht benutzt.15 • Berufsunfähigkeit. Sie liegt nach den vom GDV unverbindlich empfohlenen Musterbedingungen vor,16 „wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich auf Dauer (alternativ: mindestens … Monate/Jahre) ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, nicht mehr ausüben kann oder außerstande ist, eine andere Tätigkeit auszuüben, zu der sie aufgrund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht“ (§ 2 Nr. 1 BUV; vgl. auch § 172). Der Invaliditätsbegriff unterscheidet sich von dem der Berufsunfähigkeit schon dadurch, dass in der Unfallversicherung die Folgen für den ausgeübten Beruf keine Bedeutung haben;17 dahingehende Anhaltspunkte enthalten weder die Definition der Invalidität im VVG noch in den AUB. Hinzu kommt, dass die Berufsunfähigkeit häufig „nur“ für mehrere Monate bestehen muss, während für die Invalidität auf einen Zeitraum von mindestens drei Jahren abzustellen ist. • Erwerbsunfähigkeit. In der gesetzlichen Krankenversicherung wurde der Begriff Erwerbsunfähigkeit zum 1.1.2001 abgelöst. Bis dahin wurde ein Versicherter als erwerbsunfähig angesehen, wenn er wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit nicht in der Lage war, eine
12 13 14 15
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 3. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 8. Reichenbach S. 115. OLG Celle 13.9.2007 VersR 2007 1688,
302
16 17
1689 = NJW-RR 2008 345, 347 = RuS 2008 254, 255. Abrufbar unter www.gdv.de. OLG Hamm 6.11.2002 VersR 2003 586 = NJW-RR 2003 322, 323.
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Invalidität
§ 180
Erwerbstätigkeit regelmäßig auszuüben oder daraus ein bestimmtes Arbeitsentgelt zu erzielen. Die privaten VR verwenden eine ähnliche Definition. Der Unterschied zum Invaliditätsbegriff in der privaten Unfallversicherung begründet sich dadurch, dass eine versicherte Person durchaus invalide und trotzdem erwerbsfähig sein kann. Umgekehrt führt eine Erwerbsunfähigkeit nicht zwingend zu einem Invaliditätsgrad.18
III. Tatbestandsmerkmale Die Annahme von Invalidität setzt zweierlei voraus, nämlich eine Beeinträchtigung 8 der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person und die Dauerhaftigkeit dieser Beeinträchtigung. Diese Voraussetzungen finden sich auch in den AUB 88/94/99, so dass i.E. bei der Anwendung des § 180 auf die zu den AUB ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden darf. 1. Beeinträchtigung der körperliche oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person Die Formulierung „Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähig- 9 keit der versicherten Person“ umfasst sämtliche Beeinträchtigungen des menschlichen Organismus.19 Invalidität liegt vor, wenn Körperteile oder Sinnesorgane nicht mehr ordnungsgemäß funktionieren, d.h. diese ihre biologisch bestimmten Aufgaben nicht mehr oder nur noch eingeschränkt erfüllen können.20 Abzustellen ist darauf, • ob und inwieweit die Funktionen einzelner Glieder und/oder Organe der versicherten Person nach objektiv-medizinischen Kriterien im Vergleich zu voll funktionsfähigen („normalen“, gesunden) Körperteilen gleicher Art eines „Durchschnittsmenschens“ beeinträchtigt sind bzw. ein Defizit aufweisen sowie • welchen quantitativen und qualitativen Anteil die von der Verletzung betroffene Funktion an der gesamten geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit eines unversehrten Menschen hat.
Nicht vom Invaliditätsbegriff erfasst sind dagegen kosmetische Aspekte.21 a) Objektive (medizinische) Beurteilung. § 180 S. 1 legt zwar – anders als Ziff. 2.1.2.2.2 10 S. 2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94 – nicht ausdrücklich fest, welcher Beurteilungsmaßstab für die Feststellung einer „Beeinträchtigung der versicherten Person“ anzulegen ist. Jedoch ist davon auszugehen, dass das Vorliegen von Invalidität und die Höhe des Invaliditätsgrades abstrakt nach ausschließlich objektiven und medizinisch feststellbaren Gesichtspunkten festzustellen ist. Ein Grund dafür, von der bestehenden Praxis im Rahmen der Auslegung des § 180 abzuweichen, besteht nicht. Auf Grundlage der AUB 88/94/99 ist nach allgemeiner Ansicht nicht nur bei der Inva- 11 liditätsbewertung nach der Gliedertaxe (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 185 ff.), sondern auch bei der Bemessung der Invalidität außerhalb der Gliedertaxe ein abstrakt-genereller Maßstab anzulegen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 227). Dies bedeutet, dass es auf individuelle bzw. außerhalb der Norm liegende Besonderheiten, Fähigkeiten, Begabungen, Bedürfnisse oder Empfindungen der versicherten Person sowie sonstige außermedizinische Umstände
18 19
OLG Celle 5.5.1959 VersR 1959 784. Konen/Lehmann S. 40; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 3; einschränkend Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 42.
20 21
OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 957 = RuS 1996 507. AG Mannheim 4.5.1993 VersR 1993 1389, 1390.
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§ 180
Kapitel 7: Unfallversicherung
nicht ankommt.22 Unerheblich sind damit die Ausbildung der versicherten Person, der (erlernte oder ausgeübte) Beruf der versicherten Person, die (früher oder zuletzt ausgeübte) Beschäftigung der versicherten Person, die Besonderheiten des Arbeitsplatzes und die Auswirkungen der Beeinträchtigung auf den Arbeitsplatz der versicherten Person, insbesondere die Art und der Umfang der dort jeweils konkret zu verrichtenden Tätigkeit (z.B. häufiges Arbeiten in gebückter Haltung),23 der Arbeitswille der versicherten Person, die (herrschende oder zukünftig zu erwartende) Arbeitsmarktsituation bzw. für die versicherte Person bestehende Arbeits- bzw. Erwerbsmöglichkeiten, das soziale Umfeld (z.B. Wohnverhältnisse, familiäre Bindungen) der versicherten Person, das subjektive Befinden der versicherten Person („krank fühlen“) 24 oder die Hobbys der versicherten Person. So finden Teile der normalen körperlichen Leistungsfähigkeit, die im konkreten Beruf besonders gefordert werden, keine erhöhte Berücksichtigung. Dahingehende Erwartungen erweckt die Invaliditätsdefinition der AUB bei verständigem Lesen nicht.25 Vielmehr ist die Invalidität ausschließlich anhand medizinischer Gesichtspunkte unmittelbar aus dem Funktionsausfall ohne Berücksichtigung des Funktionszwecks zu bestimmen.26 Hilfsweise sind jedoch Erwägungen darüber zulässig, zu welchen Verrichtungen die beeinträchtigte Funktion benötigt wird, welchen Lebensbereichen diese Verrichtungen zuzuordnen sind und welche Bedeutung diese Lebensbereiche für die gesamte Lebensqualität haben.27 Nach dem Wortlaut des § 180 S. 1 ist allein maßgebend, dass die körperliche oder 12 geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person betroffen ist. Funktionen einzelner Körperglieder oder Organe der versicherten Person müssen (aus medizinischer Sicht) beeinträchtigt sein. Unerheblich ist dagegen, zu welchem Zweck die Körperteile oder Sinnesorgane einsetzt werden. Auf die Ausbildung, den Beruf, den Arbeitsplatz, die Arbeitsmarktsituation usw. kommt es – wie schon auf Grundlage der AUB 88/94/99/2008 – nicht an. Vielmehr sind Arbeits-, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit einerseits und Invalidität andererseits von einander abzugrenzen. Diese Begriffe sind jeweils an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft und überschneiden sich lediglich in Teilbereichen (Rn. 7). Ein Hinweis darauf, dass abweichend von den AUB außermedizinische Tatbestände für die Invaliditätsbemessung nach § 180 Geltung erlangen sollen, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sich – soweit möglich – an die bestehende Rechtsprechung und aktuelle Bedingungspraxis angelehnt hat und ggf. beabsichtigte Abweichungen deutlich kenntlich gemacht hätte. Eine Anlehnung an die – zu kritisierende – Rechtsprechung zu § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61, die u.a. die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigte (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 21), wäre auch verfehlt. Die Einbeziehung von Bewertungen und Empfindungen des Verletz-
22
So u.a. OLG Celle 13.9.2007 VersR 2007 1688 = NJW-RR 2008 345, 346 = RuS 2008 254; OLG Hamm 9.5.2007 VersR 2008 389 = RuS 2007 468; OLG Hamm 15.2.2002 RuS 2002 525 (LS); Conradi S. 127, 129; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 3, 36 und 37; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 76 f.; Kloth Rn. G 99; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 3 und 29; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 60; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 193; Reichenbach S. 124; Riebesell S. 62; Stiefel/
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Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 17; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 42. OLG Hamm 6.11.2002 VersR 2003 586. OLG Karlsruhe 29.8.2002 VersR 2003 1524, 1524. OLG Hamm 6.11.2002 VersR 2003 586 f. Bihr VW 1993 264, 266; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 36; Lehmann VW 1987 1370, 1373. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 959 = RuS 1996 507, 508.
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Invalidität
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ten würde ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit nach sich ziehen. Solche Unwägbarkeiten, die nur schwer überprüfbar sind und einem Beweis kaum zugänglich sind, liegen nicht im Interesse verständiger Vertragspartner. Die Leistungsregulierung würde erschwert und damit verzögert. b) Leistungsfähigkeit eines „Durchschnittsmenschen“ als Vergleichsmaßstab. Bereits 13 zu den AUB und vor Inkrafttreten des § 180 wurde kontrovers diskutiert, welcher Vergleichsmaßstab im Rahmen der Invaliditätsprüfung heranzuziehen ist, also von welchem „Sollzustand“ der „Istzustand“ der versicherten Person abweichen muss, um Invalidität annehmen zu können. Der Gesetzgeber hat diesen Streit nicht entschieden. Das Gesetz sagt ebenso wenig wie die AUB explizit etwas zu der Frage, ob die Leistungsfähigkeit der versicherten Person nach dem Unfall zu vergleichen ist • mit der „normalen“ Leistungsfähigkeit eines gesunden „Durchschnittsmenschens“ gleichen Alters und Geschlechts28 oder • (wenigstens auch hilfsweise bzw. eingeschränkt) mit der Leistungsfähigkeit der versicherten Person vor dem Unfall.29
Die erste Variante hätte im Gegensatz zur zweiten Alternative zur Folge, dass im Einzelfall besondere Begabungen und Fähigkeiten der versicherten Person keine Berücksichtigung finden könnten. Dieser Auffassung ist weniger aufgrund einer Auslegung des Wortlauts, sondern mehr aus systematischen und teleologischen Erwägungen zuzustimmen. Dabei sind allerdings sachgemäße Vergleichsgruppen zu bilden. So kann z.B. nicht die körperliche Leistungsfähigkeit eines Seniors mit einem jungen Erwachsenen ins Verhältnis gesetzt werden. Anderenfalls wäre der Versicherungsschutz des älteren VN allein wegen seines Alters erheblich gemindert, was jedoch kaum gewollt sein kann und für den VN auch nicht nachvollziehbar wäre.30 Der Wortlaut des § 180 erlaubt keine eindeutige Entscheidung zu der Frage, welcher 14 Vergleichsmaßstab für die Invaliditätsfeststellung maßgebend sein soll. Dies gilt auch für die fast wortgleichen Regelungen in Ziff. 2.1.1.1 S. 1 AUB 99/2008 und § 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 AUB 88/94.31 Einerseits nehmen die Invaliditätsdefinitionen die versicherte Person als Individuum in Bezug; denn es heißt „Leistungsfähigkeit der versicherten Person“ und nicht etwa „Leistungsfähigkeit der versicherten Person im Vergleich zu einem Durchschnittsmenschen“. Andererseits schließen die Regelungen einen Vergleich zwischen dem „Istzustand“ der versicherten Person nach dem Unfall mit dem „Sollzustand“ eines „nor-
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So OLG Celle 13.9.2007 VersR 2007 1688 = NJW-RR 2008 345, 346 = RuS 2008 254; OLG Hamm 9.5.2007 VersR 2008 389 = RuS 2007 468; OLG Hamm 6.11.2002 VersR 2003 586 = NJW-RR 2003 322, 323; OLG Hamm 15.2.2002 RuS 2002 525 (LS); OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070 = ZfS 2005 304; OLG Karlsruhe 29.8.2002 VersR 2003 1524, 1524; AG Mannheim 4.5.1993 VersR 1993 1389, 1390; Conradi S. 127, 129 f.; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 76; Kloth Rn. G 99; Konen/ Lehmann S. 43; Lehmann VW 1987 1370, 1373; Lehmann/Ludolph 2 S. 64; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 60; Beckmann/Matusche-
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Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 156 und 193; Marlow RuS 2007 353, 360 f.; Reichenbach S. 124; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 29; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 41; s.a. Riebesell S. 62. So Bihr VW 1993 264, 267; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 37; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 29; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 1. OLG München 21.3.2006 VersR 2006 1397, 1398 = NJW-RR 2006 1326, 1327 = RuS 2007 32, 33 = ZfS 2006 337. S.a. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 37; Prölss/Martin/Knappmann27 § 7 AUB 94 Rn. 29.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
malen“ Menschens gleichen Alters und Geschlechts ohne unfallbedingte Gesundheitsschädigung nicht aus. Für einen Vergleich der Leistungsfähigkeit der versicherten Person nach dem Unfall 15 mit der Leistungsfähigkeit eines „Durchschnittsmenschen“ ohne Unfall spricht indes der systematische Zusammenhang in den AUB 88/94/99/2008:32 So steht der Invaliditätsbegriff (Ziff. 2.1.1.1 S. 1 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 AUB 88/94) im Kontext zu der Gliedertaxe (Ziff. 2.1.2.2.1 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2a AUB 88/94), bei der anerkanntermaßen ein abstrakt genereller Maßstab zugrunde gelegt ist, der keinen Raum für individuelle Besonderheiten der versicherten Person lässt. Weiterhin kommt es nach Ziff. 2.1.2.2.2 AUB 99 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94) auf die „normale“ körperliche oder geistige und nicht auf die persönliche individuelle Leistungsfähigkeit an (anders noch § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61: „die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und die ihm … zugemutet werden kann“). Vielmehr werden Besonderheiten der versicherten Person im Leistungskatalog der AUB lediglich beim Tagegeld berücksichtigt. Dort ist aber die Leistung des VR gerade nicht – wie in § 180 (Ziff. 2.1 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 AUB 88/94) vorausgesetzt – an die Invalidität der versicherten Person, sondern an die von der Invalidität abzugrenzende Arbeitsfähigkeit (Rn. 7) geknüpft. Nur im Zusammenhang mit dem Tagegeld wird also bei Vereinbarung der neueren AUB-Generationen die zum Unfallzeitpunkt ausgeübte oder beabsichtigte Tätigkeit der versicherten Person berücksichtigt. Daraus ist im Umkehrschluss zu folgern, dass berufliche Besonderheiten im Rahmen der Invaliditätsfeststellung außer Betracht zu bleiben haben. Zwar kann die Systematik der AUB nicht ohne weiteres für die Auslegung der gesetzlichen Regelung in § 180 herangezogen werden. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit den neuen Regelungen zur Unfallversicherung in erster Linie die in der Rechtsprechung und Bedingungspraxis üblichen Kernelemente fixieren wollte. Sofern Änderungen der Rechtslage angestrebt waren, wurde dies zumindest in den Motiven deutlich gemacht. Dass der Gesetzgeber gegenüber Ziff. 2.1 AUB 99 oder § 7 Abs. 1 AUB 88/94 Änderungsbedarf sah, ist nicht ersichtlich. Die Orientierung an einem „Durchschnittsmenschen“ hat zwar zur Folge, dass der 16 überdurchschnittlich Befähigte, der besondere individuelle Begabungen und Fähigkeiten besitzt, gegenüber dem Minderbegabten benachteiligt wird.33 Jedoch ist diese in Einzelfällen auftretende Härte hinzunehmen. Ein individueller Vergleichsmaßstab würde zu Rechtsunsicherheiten und Beweisschwierigkeiten führen; denn es ist unklar, ob und welche besonderen Fähigkeiten der versicherten Person auf welche Art festgestellt, nachgewiesen und gewichtet werden sollen. Die Fähigkeiten eines Menschen können breit gefächert und in unterschiedlichster Art und Weise ausgeprägt sein. Sie können auf beruflichem Gebiet, aber auch im sportlichen, künstlerischen, musikalischen oder im sozialen Bereich usw. liegen. Darüber hinaus werden Fähigkeiten von dem Betroffenen und Außenstehenden unterschiedlich empfunden und wahrgenommen. Die Grenze zwischen der erforderlichen objektiv-medizinischen Bewertung der Invalidität zu subjektiven – nicht überprüfbaren und u.U. von „Wunschdenken“ geprägten – Vorstellungen der versicherten Person wäre kaum noch zu ziehen. Die Invaliditätsfeststellung für den VR wäre deutlich erschwert, die Leistungsregulierung würde sich verzögern und gerichtliche Verfahren voraussichtlich mit weiteren schwierigen Beweisaufnahmen belastet. Wird dagegen auf die durchschnittliche Leistungsfähigkeit eines Menschen als Vergleichsmaß-
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OLG Hamm 6.11.2002 VersR 2003 586 f. Bihr VW 1993 264, 267; Grimm 4 Ziff. 2
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AUB 99 Rn. 37; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 29.
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stab abgestellt, so werden dadurch zwar nicht alle diskussionsfähigen Variablen eindeutig definiert, jedoch kann bei der medizinischen Bewertung der Invalidität der versicherten Person stärker auf Erfahrungswerte, Statistiken u.ä. abgestellt werden, die einer (gerichtlichen) Überprüfung leichter zugänglich sind. 2. Dauerhafte Beeinträchtigung Eine Beeinträchtigung muss nach § 180 S. 1 „dauerhaft“ sein. Dies bedeutet nach all- 17 täglichem Sprachverständnis „an sich“, dass die Feststellung oder Erwartung zu verlangen ist, die Beeinträchtigung werde lebenslang („immer“, „bleibend“, „unveränderlich“, „ohne Ende“) andauern.34 Ein solches Verständnis entspräche jedoch nicht der sinnvollen Regelung von Unfallversicherungsansprüchen, da diese nicht während unbegrenzter Zeiträume in der Schwebe bleiben können, sondern eine zeitliche Abgrenzung („Stichtagsregelung“) erfordern.35 Folgerichtig relativiert die Legaldefinition von „dauerhaft“ in § 180 S. 2 das Alltagsverständnis dieses Wortes. Danach ist die Beeinträchtigung dauerhaft, „wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung dieses Zustandes nicht erwartet werden kann.“ Diese Legaldefinition entspricht dem herrschenden Verständnis in Rechtsprechung und Lehre von der „Dauerhaftigkeit“ der Invalidität i.S.d. AUB 99/2008 und AUB 88/94 bzw. Arbeitsunfähigkeit i.S.d. AUB 61 (Ziff. 2.1 AUB 99 Rn. 9). Auch auf Grundlage der AUB wird ein Dauerschaden erst dann angenommen, wenn aufgrund einer ärztlichen Prognose entweder mit einem bleibenden Schaden oder mit einer Fortdauer der Beschwerden für einen langen Zeitraum zu rechnen ist. Der Zeitraum wird mit mindestens drei Jahren bemessen.36 Zusätzlich erforderlich ist (nach umstrittener Auffassung), dass das Ende der Invalidität nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann37 bzw. berechtigter Grund zur Annahme besteht, die Invalidität werde erheblich länger als drei Jahre fortdauern, ohne dass ihr Ende abzusehen ist.38 Die Begründung für den notwendigen Zeitraum von drei Jahren im Invaliditätsbegriff ergibt sich aus der in den jeweiligen AUB-Generationen vorgesehenen Dreijahresfrist zur Neubemessung der Invalidität (Ziff. 9.4 AUB 99, § 11 Abs. 4 S. 1 AUB 88/94, § 13 Nr. 3 AUB 61; s. nunmehr auch § 188 Abs. 1).39 a) Dauerschaden. Anders als bei der Feststellung der körperlichen oder geistigen 18 Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit (Rn. 13 ff.) hat sich die Prognose zum Tatbestandsmerkmal „dauerhaft“ an den konkreten Verhältnissen der versicherten Person auszurichten. So darf nicht allein auf allgemeine Erfahrungen mit dem Ausheilen von Unfallfolgen abgestellt werden, wenn bei der versicherten Person eine Disposition vorliegt, die einen ungünstigen Verlauf erwarten lässt.40 Ein Dauerschaden kommt auch dann in
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Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 5. So bereits RG 28.7.1939 RGZ 161 184, 187. BGH 1.4.1965 VersR 1965 505, 506; OLG Hamm 29.12.1986 VersR 1988 513, 514 = ZfS 1988 222 (LS); Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 5. Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 17. RG 28.7.1939 RGZ 161 184, 188 f.; OLG Hamm 19.5.1982 VersR 1983 530 = VerBAV 1982 458, 459; OLG Nürnberg 6.2.1998
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VersR 1998 446; LG Berlin 3.12.1985 VersR 1987 608 f.; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 61; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 13; ferner OGH 28.11.2007 VersR 2009 138, 139 f. OLG Hamm 19.1.2001 VersR 2002 49, 50; OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070, 1071; s.a. BGH 13.5.2009 VersR 2009 1213, 1215 Rn. 18 = NJW-RR 2009 1193, 1195. OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397 = RuS 2007 71, 72.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
Betracht, wenn zwar zunächst eine günstige Prognose für eine folgenlose Ausheilung in absehbarer Zeit besteht, jedoch abweichend vom zu erwartenden Verlauf die Beeinträchtigung chronisch wird.41
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b) Dreijahreszeitraum. Der Gesetzgeber hat den Beginn der Dreijahresfrist nicht ausdrücklich festgelegt. Bereits zu den verschiedenen AUB-Generationen war dies umstritten. Schon bei der Beurteilung der „dauerhaften Arbeitsunfähigkeit“ (AUB 61) standen sich zwei Ansichten gegenüber. Während eine Auffassung auf den Unfalltag abstellte,42 war für die Gegenmeinung der Abschluss der ärztlichen Behandlung (zum Begriff Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 4) maßgebend.43 Diese Kontroverse wurde auch bei Geltung der jüngeren AUB nicht abschließend geklärt.44 Zutreffend ist es, sowohl bei Vereinbarung der AUB 61 als auch der AUB 88/94/99/2008 die Dreijahresfrist mit dem Unfall beginnen zu lassen. Dies ergibt sich aus den Regelungen in Ziff. 9.4 AUB 99/2008, § 11 Abs. 4 AUB 88/94, § 13 Nr. 3a AUB 61, die übereinstimmend mit nur kleinen redaktionellen Abweichungen voneinander festlegen, dass der Grad der dauernden Arbeitsunfähigkeit „längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall“ neu festgestellt werden darf. Die Gegenauffassung beruht auf einem Auslegungsergebnis, dass das RG zu heute längst nicht mehr gebräuchlichen AVBfU gefunden hatte, die den Beginn der Dreijahresfrist noch vom Abschluss der ärztlichen Behandlung abhängig machten.45 Sofern auch § 13 Nr. 3a AUB 61 noch auf den Abschluss der ärztlichen Behandlung abstellt, bezieht sich dies nicht auf den Beginn des Dreijahreszeitraum, sondern vornehmlich auf die Bestimmung des Zeitpunktes, zu dem der VN oder VR das erste Mal eine Neubemessung hätte verlangen können. Von dem zu den AUB gefundenen Auslegungsergebnis sollte bei Anwendung des § 180 nicht abgewichen werden. Auch § 188 Abs. 1 S. 1 stellt auf den „Eintritt des Unfalles“ ab. Das Abstellen auf den Unfalltag erlaubt eine klare Stichtagsregelung. Wäre der Abschluss der ärztlichen Behandlung maßgebend, könnten Unsicherheiten die Rechtsanwendung belasten. Die Fristberechnung wäre von einer Variablen abhängig, die auslegungsfähig ist und den Beteiligten nicht bewusst bzw. klar sein muss.
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c) Spätere Verschlechterungen und Verbesserungen des Gesundheitszustandes. Für die Frage, ob und bis zu welchem Grad eine Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit dauerhaft vorliegt, ist eine Prognose maßgebend, die auf den Gesundheitszustand der versicherten Person abstellt, wie er sich drei Jahre nach dem Unfall darstellt.46 Ungewisse tatsächliche Verschlechterungen oder Verbesserungen des Gesundheitszustandes nach Ablauf der Dreijahresfrist dürfen auf Grundlage der AUB 61/88/94/99/2008 – sowohl bei der Feststellung der Invalidität dem Grunde nach bzw. bei der erstmaligen Bestimmung des Invaliditätsgrades als auch bei einer späteren Neube-
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LG Berlin 3.12.1985 VersR 1987 608. BGH 23.9.1992 VersR 1992 1503, 1504 = NJW 1993 201; OLG Hamm 9.6.1999 VersR 2000 43, 44; OLG Köln 2.11.1991 RuS 1992 105; OLG Köln 21.3.1991 VersR 1992 176 = RuS 1992 35; OLG Köln 27.10.1988 RuS 1989 100. RG 28.7.1939 RGZ 161 184, 188; RG 19.1.1934 VA 1934 15 Nr. 2672; OLG Hamm 19.5.1982 VersR 1983 530; OLG Hamm 25.4.1978 VersR 1978 1039;
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OLG Köln 23.2.1989 VersR 1989 1036; LG Berlin 3.12.1985 VersR 1987 608. Auf den Abschluss der ärztlichen Behandlung abstellend KG 4.3.2003 RuS 2004 210; OLG Nürnberg 6.2.1998 VersR 1998 446; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 17; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 13 (ohne Begründung). S.a. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6. KG 4.3.2003 RuS 2004 210.
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messung (§ 188 Rn. 21) – nicht berücksichtigt werden.47 Der Zeitpunkt „drei Jahre nach dem Unfall“ ist der absolute Endzeitpunkt, der für die Befunderhebung maßgebend sowie der (medizinischen und rechtlichen) Beurteilung zugrunde zu legen ist.48 Diese Aussage darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass in der im Dreijahreszeitraum erfolgenden Beurteilung der Invalidität nur der bis zum Ende der Dreijahresfrist eingetretene Endzustand der versicherten Person berücksichtigt werden darf.49 Vielmehr ist darauf abzustellen, welcher Sachverhalt spätestens am Ende der Dreijahresfrist erkennbar ist bzw. welche weiteren (zukünftigen) Entwicklungen aufgrund des innerhalb der Frist festgestellten bzw. feststellbaren Sachverhaltes prognostiziert werden können und müssen.50 Unter diesen Voraussetzungen dürfen folglich relevante Gesundheitsumstände in die ärztliche Prognose einfließen, die erst nach dem Zeitpunkt der Beurteilung bzw. nach Ablauf des Dreijahreszeitraums eintreten. Unbeachtlich sind m.a.W. nur die nach Ablauf des Dreijahreszeitraums tatsächlich auftretenden Verbesserungen oder Verschlechterungen im Gesundheitszustand der versicherten Person, die innerhalb des Dreijahreszeitraums nicht vorhersehbar waren.51 Nach Ablauf der Dreijahresfrist gewonnene Fakten bzw. Befunde eines späteren oder gegenwärtigen Gesundheitszustands der versicherten Person dürfen nicht verwertet werden und sind auch in einem Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich.52 Anderenfalls könnte jeder Beteiligte durch die Führung eines Rechtsstreits die auf drei Jahre bestimmte Nachbemessungsfrist entgegen ihrem Sinn und Zweck, Schwebezustände im Interesse der Rechtssicherheit zu vermeiden (§ 188 Rn. 2), auf unbestimmte Zeit verlängern. Es würde ein unerwünschter Anreiz zur Führung von Prozessen geschaffen werden.53 47
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BGH 20.4.2005 VersR 2005 927, 928 = NJW-RR 2005 974, 976; BGH 28.2.1990 VersR 1990 478, 479; OLG Brandenburg 27.10.2005 VersR 2006 1251, 1252; OLG Hamm 15.2.2008 NJW-RR 2008 1481, 1482; OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397; OLG Karlsruhe 14.10.2005 VersR 2006 104; OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070, 1071; OLG Karlsruhe 1.2.1990 VersR 1990 773, 774; OLG Köln 27.10.1988 RuS 1989 100; LG Berlin 3.12.1985 VersR 1987 608, 609; Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 5; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6; Kloth Rn. G 6; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 15. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 98; Lehmann/Ludolph 2 S. 7. Reichenbach S. 116 f. BGH 20.4.2005 VersR 2005 927, 928; BGH 13.4.1988 VersR 1988 798 = NJW-RR 1988 987; OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388; OLG Frankfurt/M. 30.11.2005 VersR 2006 1488 = NJW-RR 2006 533 = RuS 2006 467, 468; OLG Frankfurt 24.9.2003 VersR 2005 779, 780; OLG Hamm 8.11.1996 RuS 1997 262; OLG Karlsruhe 19.7.2001 VersR 2002 1549; OLG Köln 30.1.1992 RuS 1993 199, 200 =
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ZfS 1993 165; OLG Köln 19.1.1989 RuS 1989 134, 135; OLG Nürnberg 21.3.2002 VersR 2003 846, 847 = ZfS 2003 304, 305; OLG Saarbrücken 10.5.2000 VersR 2001 1271, 1272; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 9; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 65; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 18; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 31; beiläufig auch OLG Hamm 9.6.1999 VersR 2000 43, 44 = NVersZ 1999 566. BGH 3.12.1997 BGHZ 137 247, 252 = VersR 1998 308, 309 = VerBAV 1999 138, 139; BGH 23.9.1992 VersR 1992 1503, 1504 = NJW 1993 201, 202; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 227; Stockmeier/Huppenbauer S. 93; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 39. BGH 17.10.2001 VersR 2001 1547, 1549 = NJW-RR 2002 166, 168 = NVersZ 2002 65, 66; BGH 13.4.1988 VersR 1988 798 = NJW-RR 1988 987; OLG Frankfurt/M. 16.10.2003 RuS 2004 338; OLG Koblenz 26.5.2000 VersR 2001 1150 (LS); OLG Köln 28.7.2004 VersR 2005 679; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 10; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 184. BGH 8.7.1961 VersR 1981 1151, 1152; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 26.
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Die Notwendigkeit der zeitlichen Begrenzung schließt nicht aus, dass nach Ablauf der Dreijahresfrist noch ein Sachverständiger mit der Beurteilung der Invalidität beauftragt wird.54 Das von ihm verwertbare Datenmaterial ist jedoch beschränkt (§ 188 Rn. 51). Dies kann i.E. dazu führen, dass der nach Ablauf der Dreijahresfrist eingeschaltete Sachverständige den Gesundheitszustand der versicherten Person möglicherweise nur auf der Grundlage von Fremduntersuchungen begutachten kann, die ihrerseits (u.U. von anderen Personen) innerhalb der Dreijahresfrist vorgenommen wurden.55 Insbesondere ist es nicht Aufgabe des VR, dafür Sorge zu tragen, dass zum Ende der dreijährigen Frist aktuelle Untersuchungen durchgeführt werden. Das Neubemessungsrecht nach § 188 muss jede Partei eigenverantwortlich ausüben.56 Ist vor Ablauf der Dreijahresfrist eine Heilbehandlung eingeleitet worden und ist 22 diese zum Stichtag noch nicht abgeschlossen, so hat ein nur zeitweise eingetretener Erfolg keinen Einfluss auf die Bewertung der Invalidität. Der angestrebte Erfolg einer Heilbehandlung ist fernerhin auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn die ärztliche Prognose – unter Bewertung aller bis zum Ablauf der Dreijahresfrist erkennbar gewordenen Tatsachen – dahin geht, es lasse sich noch nicht feststellen, ob die Heilmaßnahme mit einem dauerhaftem Erfolg oder Teilerfolg durchgeführt worden sei.57 Demgegenüber ist eine mit der Heilbehandlung notwendigerweise verbundene, vor Ablauf der Dreijahresfrist eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustandes der versicherten Person zu berücksichtigen.58 Beispiel: 21.6.1995: Unfall (Oberschenkelhalsbruch mit Knieverletzung) 31.7.1996: Ärztliche Feststellung einer unfallbedingten Dauerschädigung 19.11.1996: Gutachten stellt Funktionsbeeinträchtigung des Beins i.H.v. 2/3 fest 31.7.1997: Transplantation eines menschlichen Kniegelenks 10.2.1998: Operateur stellt Funktionsbeeinträchtigung des Beins von z.Z. 1/3 fest; der Endzustand könne sich je nach Heilungsverlauf u.U. noch auf 1/4 verbessern Ab 1998: Eintritt von Komplikationen 28.3.2000: Beinamputation
Für die Invaliditätsbemessung ist nicht die ärztliche Feststellung aus November 1996 maßgebend (2/3 Beinwert).59 Auch ist nicht auf die Ausführungen des Operateurs vom 10.2.1998 abzustellen, da diese einen zeitweiligen „Ist-Zustand“ (1/3 Beinwert) und keinen Dauerzustand beschreiben bzw. eine unverbindliche Entwicklung (1/4 Beinwert) und keine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Heilungserfolg enthalten. Entscheidend ist vielmehr der voraussichtliche Endzustand der versicherten Person, wie er zum Ende der Dreijahresfrist im Sommer 1998 prognostizierbar war. Zu dieser Zeit war das Bein der versicherten Person durch den Verlust des ursprünglichen Knies völlig funktionsunfähig, so dass der VR für den vollen Beinwert zu zahlen hat.60
54 55 56 57
S. etwa OLG Brandenburg 27.10.2005 VersR 2006 1251, 1252. Marlow RuS 2005 357, 363. OLG Frankfurt/M. 16.10.2003 RuS 2004 338. BGH 28.2.1990 VersR 1990 478, 479 f.; ferner BGH 17.10.1991 VersR 1991 57, 58; OLG Frankfurt 24.9.2003 VersR 2005 779, 780; Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 5.
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58
59 60
BGH 20.4.2005 VersR 2005 927, 929 = NJW-RR 2005 974, 976; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 320. So aber OLG Frankfurt 24.9.2003 VersR 2005 779, 780 f. BGH 20.4.2005 VersR 2005 927, 929 = NJW-RR 2005 974, 976.
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Invalidität
§ 180
d) Ärztliche Prognose. Aus der Formulierung „voraussichtlich“ und „erwartet wer- 23 den kann“ in § 180 S. 2 ergibt sich, dass die dauerhafte Beeinträchtigung nicht mit (absoluter) Gewissheit feststehen muss, sondern – aufgrund einer sorgfältigen Befunderhebung – eine Prognose bzw. ein wertendes Wahrscheinlichkeitsurteil ausreicht (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 102 ff.). Einerseits reicht für eine solche Prognose nicht irgendeine (vage) Möglichkeit oder eine bloße Wahrscheinlichkeit aus;61 vielmehr muss die Invalidität mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit von Dauer sein.62 Andererseits schließen verbleibende Restzweifel die Invaliditätsleistung nicht aus.63 Der Annahme eines Dauerschadens steht es – wie bisher auf Grundlage der AUB – nicht entgegen, wenn • der Dauerschaden nur mit Mitteln beseitigt werden kann, deren Anwendung der versicherten Person nicht zumutbar sind. An der Zumutbarkeit fehlt es z.B. bei einer nicht duldungspflichtigen Operation (s.a. Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 46).64 • die bloße Möglichkeit einer Besserung oder sogar vollständigen Heilung bzw. Wiederherstellung der versicherten Person nach Ablauf der Dreijahresfrist in Betracht kommt.65 • dauernde akute Lebensgefahr für die versicherte Person besteht.66 Zwar zwingt der Zustand der Lebensgefahr nicht zur Annahme einer dauerhaften Beeinträchtigung, da eine zuverlässige Prognose im Regelfall erst abgegeben werden kann, wenn sich der Gesundheitszustand der versicherten Person stabilisiert hat. Zumindest wird unter Berücksichtigung der Wertung in Ziff. 2.1.1.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 6 AUB 61), Ziff. 2.6.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 6 AUB 88/94, § 8 Abs. 1 AUB 61) und Ziff. 9.3 S. 2 AUB 99/2008 (§ 11 Abs. 2 S. 2 AUB 88/94, § 13 Nr. 1 S. 3 AUB 61) bei Verletzungen, bei denen während des ersten Unfalljahres noch Lebensgefahr besteht, grundsätzlich noch nicht von Invalidität gesprochen werden können.67 Jedoch sind durchaus Sachverhaltskonstellationen denkbar, bei denen jedenfalls nach Ablauf eines Jahres nach dem Unfall trotz weiterhin bestehender Lebensgefahr für den Patienten eine dauerhafte Beeinträchtigung der versicherten Person mit (hoher) Sicherheit angenommen werden kann (z.B. bei Querschnittslähmungen68 sowie beim Verlust von Gliedmaßen und Sinnesorganen).69 Würde auch in solchen Fällen der Invaliditätsanspruch verneint, hätte dies Leistungsfreiheit des VR zur Folge, da er weder die Todesfall- noch die Invaliditätsleistung zahlen müsste. Ein solches Ergebnis ist nicht nur unverständlich, es widerspricht insbesondere auch den erkennbaren und schutzwürdigen Erwartungen des durchschnittlichen VN.70 Keine Invalidität ist dagegen anzunehmen, wenn die versicherte Person an den Unfallfolgen (innerhalb oder nach dem ersten Unfalljahr) stirbt, ohne dass vor dem Todeseintritt ein Dauerzustand erkennbar wurde.71
Die Prognose muss dem ärztlichen Wissensstand z.Z. der Beurteilung entsprechen. Ge- 24 nauso wie bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der versicherten Person (Rn. 10 ff.) ist bei der Frage der Dauerhaftigkeit auf die besonderen Sachkenntnisse und Erfahrungen eines Mediziners abzustellen. Zwar ist dies in § 180 nicht ausdrücklich vorgesehen.
61
62
63 64 65
66
OLG Hamm 20.8.1999 RuS 2000 38; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 157. OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397 = RuS 2007 71, 72; Reichenbach S. 117 f. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 5. Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 19. RG 28.7.1939 RGZ 161 184, 188 f.; RG 19.1.1934 VA 1934 15, 16 Nr. 2672; LG Berlin 3.12.1985 VersR 1987 608, 609; Reichenbach S. 117. OLG Hamm 19.5.1982 VersR 1983 530 f. =
67 68 69 70 71
VerBAV 1982 458, 459; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 5; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 12; a.A. etwa noch OLG Hamm 19.9.1932 VA 1932 317 Nr. 2497. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 12, s.a. OLG Hamm 19.5.1982 VersR 1983 530, 531. So der Fall des OLG Hamm 19.5.1982 VersR 1983 530; s.a. GB BAV 1982 80 Nr. 812. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6; Kloth Rn. G 6. OLG Hamm 19.5.1982 VersR 1983 530. Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 18.
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Jedoch entspricht das Erfordernis einer objektiv medizinischen Beurteilung nicht nur dem Bewertungsmaßstab der Dauerhaftigkeit bei Anwendung der üblichen AUB,72 die deshalb auch eine ärztliche Invaliditätsfeststellung ausdrücklich verlangen (näher dazu Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 85 ff.), sondern es ist auch im Interesse des Rechtsfriedens sachgerecht. Würde auf Einschätzungen von medizinischen Laien abgestellt, könnten u.U. nicht sachgerechte oder subjektiv gefärbte und nicht überprüfbare Erwägungen einfließen, so dass Streitigkeiten zwischen VR und VN vorprogrammiert wären. 3. Fehlerhafte Prognosen
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Stellt sich nachträglich heraus, dass die ärztliche Prognose zur Invalidität der versicherten Person falsch ist, so knüpft § 180 hieran keine (ausdrücklich genannten) Rechtsfolgen. Es gilt die bisher schon geltende Rechtslage: Erweist sich die ärztliche Prognose als fehlerhaft, so hat der Fehler grundsätzlich keine Auswirkungen, sofern die zwischen VN und VR getroffenen Vereinbarungen keine Abweichung vorsehen; denn es liegt in der Natur einer jeden Prognose, dass sie den weiteren Gesundheitsprozess nicht in jedem Fall korrekt vorhersagen kann.73 Mithin kann weder der VN bei einer unvorhersehbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der versicherten Person eine zusätzliche, dem Grad der Verschlechterung entsprechende Leistung verlangen, noch muss er bei einer unvorhersehbaren Gesundheitsbesserung der versicherten Person einen Teil der Versicherungsleistung zurückzahlen.74 Indes ist das Recht zur Nachbemessung zu beachten (§ 188, Ziff. 9.4 AUB 99, § 11 Abs. 4 AUB 88/94). Danach können noch Änderungen im Gesundheitszustand der versicherten Person innerhalb der Dreijahresfrist berücksichtigt werden.
C. Haftungsausfüllende Kausalität 26
Zwischen dem Unfallereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung geführt hat, und den Unfallfolgen, insbesondere einer Invalidität, muss ein Kausalzusammenhang (sog. haftungsausfüllende Kausalität) 75 bestehen.
I. Beurteilungsmaßstab 27
Wie bei der haftungsbegründenden Kausalität (§ 178 Rn. 153) ist die Adäquanztheorie zugrunde zu legen.76 Danach ist ein Unfall für die späteren Folgen dann kausal, wenn er nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Folgen entfielen oder sich in ihrem Ausmaß verringerten.77 Der Ursachenzusammenhang fehlt m.a.W. nur in dem Fall, in dem ausgeschlossen werden kann, dass die versicherte Person auch unabhängig von dem
72 73 74
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6; ferner OGH 28.11.2007 VersR 2009 138, 139. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 6. OLG Köln 19.1.1989 RuS 1989 134; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308 S. 484; ferner OGH 30.11.1989 VersR 1990 1140; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6.
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75 76 77
Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 158; Marlow RuS 2005 357, 363. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 2. Knappmann NVersZ 2002 1, 2.
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Unfall an den gleichen Beschwerden leiden würde.78 Adäquate Kausalität ist in den Fällen zu bejahen, in denen die Unfallfolge nicht nur durch besonders eigenartige, ganz unwahrscheinliche und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassende Umstände herbeigeführt worden ist.79 So ist ein adäquater Kausalzusammenhang z.B. dann anzunehmen, wenn • bei einem chronischen Alkoholiker, der wegen einer an sich harmlosen Gesundheitsschädigung (Oberarmbruch nach einem Sturz) in ein Krankenhaus eingeliefert worden ist, Entzugserscheinungen auftreten, die zur Bettlägerigkeit führen und sodann die Immobilisation wiederum eine tödliche Lungenembolie nach sich zieht.80 • der VN durch einen Sturz eine Kniegelenkstorsion erlitten hat und es bei einer nachfolgenden Arthroskopie zu einer invaliditätsbegründenden Infektion im Knie kommt. Die bei der Operation auftretenden Folgekomplikationen (Infektion) stehen in einem adäquat kausalen Zusammenhang mit dem Unfall (Sturz). Dies gilt auch in dem Fall, dass degenerative Veränderungen im Knie des bis zum Unfall beschwerdefreien VN bei der Operation diagnostiziert und mitbehandelt worden sind. Die bei einer unfallbedingten Operation mitbehandelte bzw. sogar hauptsächlich behandelte (nicht unfallbedingte) Anomalie reicht nicht aus, den adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfall zu widerlegen, mag sie auch ein erhöhtes Infektionsrisiko bergen. Nur dann, wenn die Unfallfolge auf einer Komplikation beruht, die ausschließlich auf einem nicht unfallbedingten Eingriff beruht, kann die haftungsausfüllende Kausalität verneint werden;81 denn Mitursächlichkeit des Unfalls genügt (Rn. 40).
II. Mehrere Unfälle Kommt es nach dem Vertragsabschluss zu einem Unfall und später zu einem weiteren 28 Unfall, so sind grundsätzlich beide Unfälle getrennt zu beurteilen und abzurechnen.82 Stehen jedoch Erst- und Zweitunfall in einem adäquaten Kausalzusammenhang, so ist fraglich, ob die Folgen des Zweitunfalls (z.B. Verschlimmerung der Invalidität) dem Erstunfall hinzurechnen sind. Dies kann bei sachgerechter Auslegung der AUB nicht pauschal verneint werden, sondern ist differenziert zu beurteilen. Ähnliches gilt für gedehnte Versicherungsfälle (Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 41). 1. Kausalzusammenhang zwischen Erst- und Zweitunfall Jedenfalls bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen Erst- 29 und Zweitunfall sind auch die weiteren Folgen regelmäßig von dem Versicherungsschutz des Vertrages umfasst. Es gelten die allgemeinen Kausalitätserwägungen. Wenn die VR einen Ausschluss der Leistungspflicht für Unfallfolgen eines Zweitunfalls, der in adäquatem Kausalzusammenhang mit einem Erstunfall steht, generell vermeiden wollten, so müssten sie dies unmissverständlich regeln. Eine dahingehende Intention der Bedingungsgeber bestand indes nicht.83 Beruht ein später eingetretener zweiter Unfall auf der bei einem früheren Unfall er- 30 littenen Gesundheitsschädigung, so ist eine einheitliche, wenn auch zeitlich verzögerte
78 79 80 81
van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 21. BGH 3.12.1997 BGHZ 137 247, 251 = VersR 1998 308, 309. OLG Karlsruhe 15.1.1987 RuS 1987 326, 327; Gaidzik S. 111. OLG Düsseldorf 3.6.2003 RuS 2005 300 f.
82
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OLG Frankfurt/M. 2.5.2001 VersR 2002 48; KG 9.5.2006 RuS 2007 208; OLG Köln 23.2.1989 VersR 1989 1036; LG Flensburg 10.7.2007 RuS 2008 346; ferner OGH 20.12.2006 VersR 2007 1295, 1296. Stockmeier/Huppenbauer S. 12.
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Kausalkette anzunehmen. Dies mit der Folge, dass grundsätzlich die beiden Unfälle zusammen abzurechnen sind.84 Die Kausalkette lässt sich wie folgt skizzieren: Unfallereignis 1 → Gesundheitsschädigung 1 → Unfallfolge 1 (Invalidität) → Unfallereignis 2 → Gesundheitsschädigung 2 → Unfallfolge 2 (Invaliditätserhöhung) ➜ Gemeinsame Abrechnung der Unfallfolgen 1 und 2 durch den VR
Eine entschädigungspflichtige Kausalkette liegt auch dann vor, wenn noch nicht das erste, sondern erst das zweite Unfallereignis die den VR zur Leistung verpflichtende Unfallfolge auslöst. Dies trifft etwa auf den Fall zu, dass die versicherte Person zunächst am Meeresstrand durch einen Sturz einen Beinbruch erleidet, der vollständig heilbar ist und damit keine dauernden schädlichen Folgen (Invalidität) nach sich zieht, anschließend die versicherte Person aber durch Einwirken des kalten Wassers nach Einsetzen der Flut verstirbt.85 Die Kausalkette stellt sich wie folgt dar: Unfallereignis 1 → Gesundheitsschädigung 1 → Unfallereignis 2 → Gesundheitsschädigung 2 → Unfallfolge 1 ➜ Abrechnung der Unfallfolge 1 durch den VR
31
Abzugrenzen sind die Fälle, in denen es zu einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs gekommen ist. Es bestehen dann zwei voneinander unabhängige Kausalketten: Unfallereignis 1 → Gesundheitsschädigung 1 → Unfallfolge: Invalidität 1 → Ende der Kausalkette/Beginn einer neuen Kausalkette: Unfallereignis 2 → Gesundheitsschädigung 2 → Unfallfolge 2: Invaliditätserhöhung ➜ Getrennte Abrechnung der Unfallfolgen 1 und 2 durch den VR
Maßgebend für die Grenzziehung zwischen Vorliegen und Unterbrechen der Kausalkette ist eine wertende Betrachtung. Ergibt sie, dass sich zum Zeitpunkt des zweiten Geschehens nicht mehr das Schadensrisiko des Ersteingriffs verwirklicht, dieses Risiko vielmehr schon gänzlich abgeklungen war und deshalb zwischen beiden Ereignissen nur ein „äußerlicher“, gleichsam „zufälliger“ Zusammenhang bestand, so ist Kausalität zu verneinen.86 Solche Wertungsfragen ergeben sich vornehmlich bei der Beurteilung von ärztlichen 32 Behandlungs- oder Kunstfehlern, die zu Gesundheitsschäden bei der Behandlung einer durch einen Unfall erlittenen Verletzung auftreten. Sie sind in der Regel adäquat kausal. Eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs ist nur dann anzunehmen, wenn der Arzt alle ärztlichen Regeln derart außer Acht gelassen und jede berechtigte Erwartung auf ein vernünftiges und gewissenhaftes Verfahren derart getäuscht hat, dass der Misserfolg im rechtlichen Sinne allein auf diese ungewöhnlichen Umstände zurückzuführen ist.87 Beispiele: Unfallereignis 1: Verkehrsunfall → Gesundheitsschädigung 1: Beinbruch → Unfallereignis 2: Abrutschen des Skalpells bei der Operation → Gesundheitsschädigung: Beinamputation → Unfallfolge 1: Invalidität ➜ Leistungspflicht des VR für die Unfallfolge 1 Unfallereignis 1: Verkehrsunfall → Gesundheitsschädigung 1: Beinbruch → Ende der Kausalkette/Beginn einer neuen Kausalkette aufgrund eines Verhaltens des Arztes entgegen allen Regeln: Unfallereignis 2: Abrutschen des Skalpells bei der Operation → Gesundheitsschädigung 2:
84
85 86
OLG Frankfurt/M. 2.5.2001 VersR 2002 48 f. (zur Übergangsleistung; s.a. Ziff. 2.2 AUB 2008 Rn. 17); van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 70. Henke S. 51. BGH 20.9.1988 NJW 1989 767, 768 zur haf-
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tungsausfüllenden Kausalität (Zurechnungszusammenhang) im Arzthaftungsprozess mit Anm. Deutsch. BGH 20.9.1988 NJW 1989 767, 768; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 24.
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Invalidität
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Beinamputation → Unfallfolge 1: Invalidität ➜ Kein Versicherungsschutz: Zum Unfallereignis 1 sind keine dauerhaften Unfallfolgen eingetreten. Zum Unfallereingis 2 greift der Ausschluss in Ziff. 5.2.6 AUB 99 (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94) ein; der dort vorgesehene Wiedereinschlusstatbestand ist nicht erfüllt.
2. Fallgruppen Schwierigkeiten kann die Beurteilung von Kausalketten insbesondere dann bereiten, 33 wenn • der VN vor dem Zweitunfall erstmalig eine Unfallversicherung abgeschlossen hat; • zwischen Erst- und Zweitunfall eine Summenerhöhung vereinbart wurde; • zwischen Erst- und Zweitunfall ein VR-Wechsel stattgefunden hat.88
Typischerweise ist bei solchen Sachverhalten der zeitliche Zusammenhang gestreckt. Folgende Sachverhaltskonstellationen lassen sich unterscheiden:89 Zweitunfall innerhalb eines Jahres nach dem Erstunfall: Ist der Erstunfall adäquat 34 kausal für den Zweitunfall, so ist für die daraus folgende Invalidität bzw. Erhöhung des Invaliditätsgrades der für den Erstunfall zuständige VR leistungspflichtig, wenn die in Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99/2008 vorgesehenen Fristen für den Eintritt der Invalidität (12 Monate) sowie die ärztliche Feststellung und die Geltendmachung der Invalidität (15 Monate) gewahrt sind.90 Unerheblich ist dabei, ob der Erstunfall zu Dauerschäden oder nur zu vorübergehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen geführt hat.91 Beispiele: Vertragsschluss mit VR 1 → Unfallereignis 1: Verkehrsunfall → Gesundheitsschädigung 1: Beinverletzung → Keine Invalidität (Gehbehinderung ist nicht dauerhaft) → Vertragskündigung mit VR 1 → Unfallereignis 2 innerhalb der Jahresfrist: Sturz infolge der Gehbehinderung → Gesundheitsschädigung 2: Weitere Beinverletzung → Invalidität: Dauerhafte Gehbehinderung ➔ Leistungspflicht des VR 1 Vertragsschluss mit VR 1 → Unfallereignis 1: Verkehrsunfall → Gesundheitsschädigung 1: Beinverletzung → Invalidität: Leichte Gehbehinderung → Vertragskündigung mit VR 1 → Vertragsschluss mit VR 2 → Unfallereignis 2 innerhalb der Jahresfrist: Sturz infolge der Gehbehinderung → Gesundheitsschädigung 2: Weitere Beinverletzung → Invalidität 2 (Invaliditätserhöhung): Schwere Gehbehinderung ➔ Leistungspflicht des VR 1 für Invalidität 1 und 2 (keine Doppelzahlung,92 sondern Abrechnung des erhöhten Invaliditätsgrades); Leistungspflicht des VR 2 für Invalidität 2 unter Abzug der Invalidität 1
Zweitunfall innerhalb von drei Jahren nach dem Erstunfall: Kommt es adäquat kausal 35 nach dem Erstunfall zu einem weiteren Unfall, der vor Ablauf des dritten Jahres nach dem Erstunfall eintritt, so fällt die daraus folgende Erhöhung des Invaliditätsgrades in den Pflichtenbereich des für den Erstunfall zuständigen VR. Maßgebend ist mithin, ob durch den Erstunfall innerhalb der Jahresfrist (Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 2008) Dauerfolgen eingetreten sind, durch den Zweitunfall die Dauerfolgen des Erstunfalls verschlimmert
88 89
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Stockmeier/Huppenbauer S. 12. Die Darstellung folgt den Ausführungen des BGH 3.12.1997 BGHZ 137 247, 253 ff. = VersR 1998 308, 309 f. = VerBAV 1999 138, 139 f. und von Stockmeier/Huppenbauer S. 11. OLG Frankfurt/M. 28.4.1999 NVersZ 2000
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170, 171; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 8 und 9; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 10. So u.a. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 161. S.a. Ausführungen des Berufungsgerichts in BGH 3.12.1997 BGHZ 137 247, 250.
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werden und für den Erstunfall (noch) die Möglichkeit der Neufeststellung besteht (§ 188, Ziff. 9.4. AUB 99/2008).93 Beispiel: Vertragsschluss mit VR 1 → Unfallereignis 1: Verkehrsunfall → Gesundheitsschädigung 1: Verletzung des linken Beines → Invalidität: Funktionsbeeinträchtigung des linken Beines → Vertragskündigung mit VR 1 → Unfallereignis 2 tritt zwei Jahre nach dem Erstunfall ein: Sturz infolge der Gehbehinderung → Gesundheitsschädigung 2: Weitere Verletzung des linken Beines → Invaliditätserhöhung: Verschlimmerung der Funktionsbeeinträchtigung des linken Beines ➔ Leistungspflicht des VR 1
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Keine Leistungspflicht des VR des Erstunfalls: Erst- und Zweitunfall müssen getrennt geprüft werden, wenn nach Ablauf der Jahresfrist (Ziff. 2.1.1.1 S. 1 AUB 2008) ein Zweitunfall mit neuen Dauerfolgen eintritt.94 Entsprechendes gilt für Verschlimmerungen durch einen Zweitunfall, wenn eine neue Feststellung nicht mehr verlangt werden kann.95 Beispiele: Vertragsschluss mit VR 1 → Unfallereignis 1: Verkehrsunfall → Gesundheitsschädigung 1: Beinverletzung → Invalidität 1: Dauerhafte Gehbehinderung → Vertragskündigung mit VR 1 → Unfallereignis 2 nach Jahresfrist: Sturz aufgrund der Gehbehinderung → Gesundheitsschädigung 2: Armverletzung → Invalidität 2: Dauerhafte Unbeweglichkeit des Armes ➔ Leistungspflicht des VR 1 nur für Invalidität 1 (Invalidität 2 ist nicht innerhalb der in Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 92008 vorgesehenen Jahresfrist eingetreten) Vertragsschluss mit VR 1 → Unfallereignis 1: Verkehrsunfall → Gesundheitsschädigung 1: Beinverletzung → Invalidität 1: Dauerhafte leichte Gehbehinderung → Vertragskündigung mit VR 1 → Unfallereignis 2 tritt vier Jahre nach dem Erstunfall ein: Sturz infolge der Gehbehinderung → Gesundheitsschädigung 2: Weitere Beinverletzung → Invaliditätserhöhung: Dauerhafte schwere Gehbehinderung ➔ Leistungspflicht des VR 1 nur für Invalidität 1 (Invalidität 2 ist nach der in Ziff. 9.4 AUB 99/2008 vorgesehenen Dreijahresfrist eingetreten).
III. Mitursächlichkeit Mitursächlichkeit des Versicherungsfalles reicht grundsätzlich aus.96 Ebenso wie bei der haftungsbegründenden Kausalität schadet das Mitwirken von unfallfremden Faktoren (Vorerkrankungen) nicht. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die AUB (Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94, § 10 Abs. 1 AUB 61) bei einer Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen keinen Ausschluss, sondern nur eine Anspruchsminderung entsprechend dem beiderseitigen Verhältnis vorsehen. Folgerichtig ist es in der privaten Unfallversicherung – anders als im Sozialrecht – nicht erforderlich, dass der Unfall eine „wesentliche“ Bedingung für die Unfallfolgen sein muss (Vorbem. § 178 Rn. 59). Hat der Unfall nicht wesentlich zum Eintritt der Unfallfolgen beigetragen, so lässt sich daraus nur schließen, dass unfallfremde Faktoren überwiegen und eine (vom VR zu beweisende) Leistungskürzung in Betracht kommt.97 Entsprechendes gilt, wenn der Unfall lediglich eine „Gelegenheitsursache“ i.S.d. Sozial38 rechts ist (s.a. § 178 Rn. 157), also zwar conditio sine qua non für die Unfallfolgen ist, aber im Rahmen der Abwägung von Bedeutung und Tragweite der einzelnen Kausalket-
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93
94 95
So u.a. auch Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 8; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 75; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 162. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 8. So u.a. auch OLG Frankfurt/M. 28.4.1999
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NVersZ 2000 170, 171; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 163. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 159. Knappmann NVersZ 2002 1, 2 f.
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ten die entschädigungsunabhängigen Faktoren für den geklagten Zustand so eindeutig überwiegen, dass sie die allein wesentlichen Ursachen des Gesundheitsschadens sind. Auch dann ist nur eine überwiegende Kausalität unfallfremder Ursachen festgestellt, ohne dass die Mitursächlichkeit des Unfalls entfällt.98 Krankheitserscheinungen sind m.a.W. selbst dann Folge des Unfalls, wenn sie durch den Unfall nur deshalb ausgelöst worden sind, weil die Anlage zu der Krankheit bereits im Körper der versicherten Person vorhanden war.99 Eine unerhebliche Gelegenheitsursache kann nur dann angenommen werden, wenn feststeht, dass sich die degenerativen Erscheinungen in derselben Weise und derselben Schnelligkeit auch ohne den Unfall fortentwickelt hätten.100 So wird die Ursache einer Körperverletzung für den Tod der versicherten Person nicht durch eine den Eintritt der Unfallfolge begünstigende krankhafte Anlage des Verletzten ausgeschlossen, es sei denn, dass die Krankheit auch ohne den Unfall mit Sicherheit den Tod der versicherten Person (zum Unfallzeitpunkt) herbeigeführt hätte.101 Lediglich dann, wenn die AUB ausdrücklich eine überwiegende Kausalität des Unfall- 39 ereignisses einfordern, reicht allein die Feststellung der Mitursächlichkeit nicht aus, um die Invaliditätsleistung zu begründen. Dies ist zu beachten, wenn die Invalidität mit einer Schädigung von Bandscheiben, Blutungen aus inneren Organen oder Gehirnblutungen begründet wird. Überwiegt hier nicht die unfallbedingte Beeinträchtigung der versicherten Person, kann der Versicherungsschutz ausgeschlossen sein (Ziff. 5.2.1 AUB 2008 Rn. 14).
IV. Hypothetische Kausalität Ein hypothetischer Kausalverlauf bleibt für die haftungsausfüllende – wie auch für die 40 haftungsbegründende (§ 178 Rn. 158) – Kausalität außer Betracht.102 Insofern weicht das Privatversicherungsrecht vom Haftungsrecht ab, in dem die überholende Kausalität zum Wegfall der Entschädigungspflicht führt, wenn der Schädiger beweist, dass der Verletzte ohne seine Handlung im Beurteilungszeitraum die gleichen Beschwerden gehabt hätte.103
D. Invaliditätsleistungen Mit der Formulierung „Der Versicherer schuldet die für den Fall der Invalidität ver- 41 sprochenen Leistungen im vereinbarten Umfang“ umschreibt der Gesetzgeber die Rechtsfolgen, wenn unfallbedingte Invalidität feststeht. Diese Rechtsfolgen sind nicht im VVG, sondern im Versicherungsvertrag geregelt. Insbesondere aus der Versicherungspolice und den jeweils vereinbarten Individualabreden (selten) oder AVB (Regelfall) ergibt sich welche Leistungen der VR in welchem Umfang im Falle der Invalidität der versicherten Person zu erbringen hat. Die Höhe der vom VR zu erbringenden Leistung bestimmt sich typischerweise aus dem Verhältnis der Versicherungssumme zum Invaliditätsgrad. Wäh-
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Knappmann NVersZ 2002 1, 3; Reichenbach S. 133; a.A. offenbar OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54. RG 29.4.1942 RGZ 169 117, 119 f. OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 461, 462 = RuS 2004 209, 210.
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OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774. OLG Schleswig 28.12.1984 VersR 1986 910. Knappmann NVersZ 2002 1, 3.
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rend die Versicherungssumme in der Versicherungspolice dokumentiert wird, ist der Invaliditätsgrad regelmäßig auf Grundlage der AUB (insbesondere der Gliedertaxe) zu ermitteln (Ziff. 2.1 Rn. 175 ff.).
E. Speziellere Regelungen 42
Der Umkehrschluss zu § 191 ergibt, dass § 180 als Auslegungsregel dispositiv ist, d.h. die Parteien einen abweichenden Invaliditätsbegriff vereinbaren können.104 Dies ist z.B. für die Kinder-Invaliditäts-Zusatzversicherung geschehen (Ziff. 2.1 KIZ 2008/II). Dort wird neben dem Unfall auch die Krankheit als Versicherungsfall erfasst. Insofern können z.B. auch die Folgen von Krebs, Kinderlähmung oder HIV-Infektionen vom Versicherungsschutz erfasst sein.
F. Verfahrensfragen 43
Der VN trägt die Beweislast dafür, dass die Unfallfolgen (die dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, Tod usw.) vorliegen, welches Ausmaß die Unfallfolgen haben (welcher Invaliditätsgrad anzunehmen ist) und dass der Versicherungsfall die Unfallfolgen herbeigeführt hat (haftungsausfüllende Kausalität). Für das Vorliegen der Unfallfolgen als solche, ihre Ausgestaltung und ihre Dauerhaftigkeit hat der Anspruchsteller den Vollbeweis (§ 286 ZPO) anzutreten. Die haftungsausfüllende Kausalität ist dagegen nach allgemeiner Meinung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu beurteilen. Weiterhin kommt die Beweiserleichterung des § 287 ZPO für die Beurteilung des Ausmaßes der Unfallfolgen (insbesondere die Höhe des anzusetzenden Invaliditätsgrades) zur Anwendung.
I. Nachweis des Vorliegens von Unfallfolgen 44
Die Invalidität, d.h. die dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, hat der Anspruchsteller schlüssig vorzutragen und ggf. im Streitfall zu beweisen; ihm obliegt die Darlegungs- und Beweislast.105 Fehlt es an einem schlüssigen Sachvortrag, so kann die Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens nicht verlangt werden. Eine diesbezügliche Beweiserhebung würde auf eine unzulässige Ausforschung der Tatbestandsmerkmale des § 180 hinauslaufen.106 Eintritt, Ausgestaltung und Dauerhaftigkeit der Invalidität sind vom Anspruchsteller 45 zu beweisen.107 Es gilt uneingeschränkt der Maßstab des § 286 ZPO;108 die Erleichterun-
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105 106
Zur „Vollinvalidität“ eines Berufsfußballspielers in der Marktwertversicherung s. etwa BGH 16.9.2009 NJW-RR 2010 99 ff. = RuS 2009 497 ff. (Vorinstanz OLG Bamberg 2.10.2008 VersR 2009 827 f.). LG Berlin 7.8.2001 RuS 2003 380. OLG Frankfurt/M. 22.5.1992 VersR 1993 1139, 1140 zu § 8 Abs. 2 Nr. 1 AUB 61.
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BGH 28.1.2009 NJW-RR 2009 679, 682 Rn. 22 = RuS 2009 161, 163; OLG Koblenz 13.12.1996 VersR 1997 1136; OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602; LG Hannover 25.11.1987 ZfS 1988 185, 186; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 5; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 62;
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gen des § 287 ZPO greifen nicht ein (§ 178 Rn. 170). Welches Beweismaß erfüllt sein muss, ist Sache der persönlichen Gewissheit des Tatrichters. § 286 ZPO verlangt keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit oder unumstößliche Gewissheit.109 Nicht ausreichend ist es, wenn die versicherte Person nach Abschluss der Heilmaßnahmen subjektiv über Gesundheitsstörungen klagt, die vor dem Unfall nicht bestanden hätten, der Arzt jedoch keine Dauerfolgen objektiv feststellen kann. Steht der Dauerschaden zwar fest, kommen aber noch ärztliche Behandlungen bzw. 46 medizinische Maßnahmen oder Heilerfolge in Betracht (z.B. eine Hüftgelenksimplantation), so hat der VR zu beweisen, dass der an sich gegebene Dauerschaden nicht nur zeitweise, sondern auf Dauer wieder behoben oder gebessert werden kann.110 Das Risiko, ob einer einmal eingetretenen Invalidität i.S.d. AUB mit neuartigen Heilmethoden auf Dauer wirksam begegnet werden kann, liegt beim VR.111
II. Nachweis des Ausmaßes der Unfallfolgen Der Anspruchsteller hat das Ausmaß der Invalidität (den Invaliditätsgrad) zu bewei- 47 sen.112 Dies wird vor allem bedeutsam, wenn die Gliedertaxe nicht anwendbar ist.113 Der Beweismaßstab ergibt sich aus § 287 ZPO.114 Danach ist auch eine gerichtliche Schätzung des Invaliditätsgrades zulässig.115 Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten. Die Bemessung des Invaliditätsgrades erfolgt meist auf der Grundlage von Feststellungen, die besonderer medizinischer Sachkunde bedürfen. Die Schätzung gemäß § 287 ZPO darf deshalb nicht die gebotene Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ersetzen, sofern das Gericht nicht ausnahmsweise über eigene Sachkunde verfügt, die in den Entscheidungsgründen auszuweisen ist (näher Anh. Ziff. 16 AUB 2008 Rn. 40).116 Kommt es zum Streit über die Höhe der Invalidität, hat der VR in der Regel bereits außerprozessual eine Invaliditätsentschädigung auf Grundlage eines Privatgutachtens gezahlt. Der Anspruchsteller macht dann in dem Rechtsstreit eine höhere Leistung geltend, weil er seine Invalidität höher einschätzt. Sind die Einwendungen des VN gegen das vom VR vorgelegte Privatgutachten erheblich, so holt das Gericht in aller Regel ein unabhängiges Gerichtsgutachten ein (Anh. Ziff. 16 AUB 2008 Rn. 19 ff.).
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beiläufig auch OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070, 1071 = ZfS 2005 304, 305. BGH 17.10.2001 VersR 2001 1547, 1548 = NJW-RR 2002 166, 168 = NVersZ 2002 65, 66; BGH 12.11.1997 RuS 1998 80; OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397 = RuS 2007 71; OLG Saarbrücken 8.10.2003 NJW-RR 2004 186, 187; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 7; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 314; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 18; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 19; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 20. OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230; OLG Karlsruhe 21.10.2004 DAR 2005 29, 30. BGH 20.4.2005 VersR 2005 927, 929 =
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NJW-RR 2005 974, 976; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6. BGH 28.2.1990 VersR 1990 478, 479 f. S. etwa BGH 4.5.1994 VersR 1994 971, 972 = RuS 1994 356, 357. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 2. BGH 24.5.2006 VersR 2006 1117, 1118; OLG Düsseldorf 1.7.1998 VersR 1999 880, 881= NVersZ 1999 379; OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230; OLG Köln 28.7.2004 VersR 2005 679; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 19. OLG Düsseldorf 4.12.2001 VersR 2003 1294; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 2; s. auch OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065, 1066. OLG Köln 28.7.2004 VersR 2005 679 f.
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III. Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität 48
Für die Behauptung, die Unfallfolgen seien auf das Unfallereignis zurückzuführen, ist der Anspruchsteller beweispflichtig.117 Schwierigkeiten können sich für den Anspruchsteller insbesondere dann ergeben, wenn sich aus Bagatelltraumen erhebliche Folgen entwickeln, weil bei der versicherten Person vorhandene – oft noch gar nicht bemerkte – Leiden akut werden, die neben dem Unfall ebenfalls Ursache der nun geklagten Beschwerden sein können.118 1. Beweismaßstab
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Während der Anspruchsteller für die haftungsbegründende Kausalität den Strengbeweis zu führen hat (§ 179 Rn. 182), greift für den Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität die Beweiserleichterung des § 287 ZPO ein. Dieser Unterschied kann sich in der Beweisführung gravierend auswirken und damit oftmals streitentscheidende Bedeutung haben.119 Bei der Prüfung ist deshalb sehr genau zu unterscheiden, ob der VR im zeitlichen Ablauf tatsächlich erst die Kausalität zwischen Unfallereignisfolge (Gesundheitsschädigung) und Unfallfolge (Invalidität) oder nicht (auch) schon den Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und -folge bestreitet. Insbesondere darf auch nicht einfach die Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität durch Bejahung der haftungsausfüllenden Kausalität „übersprungen“ werden. Der Anspruchsteller muss vielmehr die Kausalkette „Unfallereignis – Unfallereignisfolge (Gesundheitsschädigung) – Unfallfolge (Invalidität)“ im Streitfall vollständig beweisen, auch wenn für den jeweiligen Ursachenzusammenhang ein unterschiedlicher Beweismaßstab gilt. Kommt es etwa nach einem Autounfall erst nach einiger Zeit zu Veränderungen an der Halswirbelsäule (HWS-Schäden), die Invalidität begründen,120 so kann keine haftungsausfüllende Kausalität nach § 287 ZPO angenommen werden, solange ungeklärt bleibt, ob überhaupt eine haftungsbegründende Kausalität gemäß § 286 ZPO vorliegt, also der Unfall nach strengen Maßstäben mit der erforderlichen Sicherheit zu einer Gesundheitsschädigung der Halswirbelsäule geführt hat.121 Die haftungsausfüllende Kausalität ist nach allgemeiner Meinung gemäß § 287 ZPO 50 zu beweisen.122 Dadurch werden die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung herabgesetzt. Zur Annahme der haftungsausfüllenden Kausalität reicht eine
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OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; OLG München 28.12.1984 VersR 1986 910; ferner OGH 17.10.2007 VersR 2008 1563, 1564; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 17. Knappmann NVersZ 2002 1, 2. Marlow RuS 2004 353, 360 f. (mit Beispielen). Der Nachweis des unfallbedingten „HWSDauerschadens“ kann mit Schwierigkeiten verbunden sein; z.B. LG Augsburg 6.10.2005 RuS 2007 72, 73. So aber OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 461, 462 = RuS 2004 209 f.; zu Recht krit. Marlow RuS 2004 353, 361. S. nur BGH 13.5.2009 VersR 2009 1213,
320
1214 f. Rn. 19 = NJW-RR 2009 1193, 1195; BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449, 1450; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1041; BGH 12.11.1997 RuS 1998 80; BGH 6.11.1996 RuS 1997 84, 85 = NJW-RR 1997 277, 278; BGH 27.9.1995 BGHZ 131 15, 17; BGH 23.9.1992 VersR 1992 1503, 1504 = NJW 1993 201; BGH 1.12.1961 VersR 1962 281 f.; OLG Düsseldorf 28.12.2006 RuS 2008 80; OLG Frankfurt/M. 20.6.2007 VersR 2008 248, 249; OLG Hamm 5.6.2002 RuS 2003 31; OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397 = RuS 2007 71; LG Regensburg 6.11.2003 RuS 2004 430; Zopfs VersR 1993 140, 143.
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überwiegende und auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Geschehensabläufen aus, dass der Dauerschaden in kausalem Zusammenhang mit dem Unfallereignis steht.123 Folge der Anwendung des § 287 ZPO ist, dass die Wahrheitsüberzeugung des § 286 ZPO durch ein Wahrscheinlichkeitsurteil ersetzt werden kann. Es erfolgt eine Beweisentlastung bzw. -erleichterung zugunsten des Anspruchstellers,124 die sich auch auf seine Darlegungslast auswirkt. Es genügt, dass er Tatsachen vorträgt und unter Beweis stellt, die für eine Beurteilung nach § 287 ZPO ausreichend greifbare Anhaltspunkte bieten.125 Welche Anforderungen konkret an das Wahrscheinlichkeitsurteil nach § 287 ZPO zu stellen sind, umschreibt die höchstrichterliche Rechtsprechung mit unterschiedlichen Wendungen. So heißt es etwa, es genüge „eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit“ 126 oder „eine je nach Lage der Dinge höhere oder deutlich höhere, jedenfalls aber überwiegende Wahrscheinlichkeit“ 127 bzw. „der Tatrichter könne sich mit einer deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit begnügen“128. Zwar weichen diese interpretationsfähigen Formulierungen leicht voneinander ab, jedoch erlauben sie es, dem Einzelfall gerecht zu werden. I.E. kann gefolgert werden, dass bei mehreren Möglichkeiten die Ursächlichkeit des Unfalls jedenfalls eindeutig die wahrscheinlichere sein muss.129 Ausreichend mag eine Wahrscheinlichkeit von 70 % sein,130 wohingegen die bloße Möglichkeit nicht genügt.131 Halten sich unfallbedingte und unfallfremde (unfallunabhängige bzw. „schicksalsbedingte“) Ursachen die Waage und ist darüber hinaus nicht deutlich wahrscheinlicher, dass der Unfall den geklagten Zustand der versicherten Person hervorgerufen hat, so ist der Beweis für die haftungsausfüllende Kausalität nicht geführt. Unklare Beweisergebnisse gehen zu Lasten des Anspruchstellers.132 Sehr zweifelhaft ist es deshalb, ob eine vom gerichtlichen Sachverständigen geschätzte Wahrscheinlichkeit für einen Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und Unfallfolge von deutlich unter 50 %, Kausalität zu begründen vermag.133 Bedenklich ist es weiterhin, Kausalität anzunehmen, wenn der VN sowohl wegen einer unfallbedingten Verletzung als auch wegen unfallfremder degenerativer Schädigungen operiert wird und die aus einem bei der Operation auftretenden Infektionsvorgang resultierende Invalidität des VN nicht nur Folge der operativen Behandlung der unfallbedingten Verletzung, sondern auch ausschließliche Folge der Behandlung unfallfremder Schäden sein kann.134 Überwiegt hier nicht die Wahrscheinlichkeit, dass die Folgekomplikation auf der Behandlung der unfallbedingten Verletzung beruht, so ist der Anspruchsteller beweisfällig. Auf
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BGH 17.10.2001 VersR 2001 1547, 1548 = NJW-RR 2002 166, 167 = NVersZ 2002 65; BGH 3.12.1999 VersR 2001 246; OLG Düsseldorf 3.6.2003 RuS 2005 300; OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 461, 462 = RuS 2004 209; OLG Hamm 8.1.1997 RuS 1997 262; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 62; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 158; Römer/Langheid 2 § 179, Rn. 18. Knappmann NVersZ 2002 1, 2. BGH 3.12.1999 VersR 2001 246. BGH 22.9.1992 VersR 1993 55, 56 = NJW 1992 3298, 3299; OLG Koblenz 9.2.2001 VersR 2001 1417 = NVersZ 2001 269; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 2.
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BGH 17.1.1995 NJW 1995 1023. BGH 7.3.1996 NJW-RR 1996 781. Knappmann NVersZ 2002 1, 2. So OLG Koblenz 13.11.1998 VersR 2000 219, 220 (allerdings für die haftungsbegründende Kausalität); Knappmann NVersZ 2002 1, 2 Fn. 15. OLG Koblenz 9.2.2001 VersR 2001 1417 = NVersZ 2001 269; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 2. OLG Düsseldorf 28.12.2006 RuS 2008 80. So aber OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 461, 462 = RuS 2004 209, 210; kritisch Marlow RuS 2004 353, 361. So aber OLG Düsseldorf 3.6.2003 RuS 2005 300, 301.
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die Frage der vom VR zu beweisenden Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen kommt es dann gar nicht an. Der Anspruchsteller kommt seiner Beweislast des Weiteren nicht nach, wenn nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschossen werden kann, dass die versicherte Person ihr Leiden nur simuliert.135 Die Ausübung des durch § 287 ZPO eingeräumten, grundsätzlich freien tatrichter51 lichen Ermessens ist einer revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglich. Ermessensfehler liegen vor, wenn die Überzeugungsbildung des Gerichts auf nicht hinreichend gesicherter Grundlage beruht, mit unrichtigen Maßstäben gearbeitet oder wesentlicher Tatsachenvortrag außer Acht gelassen wird.136 Grundsätzlich hat der Anspruchsteller die haftungsausfüllende Kausalität nach objek52 tiven Kriterien nachzuweisen. Allerdings gibt es Fälle, in denen die Unfallursächlichkeit für die geltend gemachte Invalidität (z.B. Geschmacksverlust) auch unter Einbindung sachverständiger Hilfe nicht mit objektiv wissenschaftlichen Methoden geführt werden kann. Solche Schwierigkeiten müssen einerseits bei der Bestimmung des erforderlichen Beweismaßes Berücksichtigung finden, da anderenfalls der VN Gefahr liefe, den im Grundsatz materiell-rechtlich bestehenden Versicherungsschutz auf der Ebene des Prozessrechtes zu verlieren. Andererseits ist es nicht interessengerecht, die Überzeugungsbildung des Gerichts allein auf die subjektive Schilderung der versicherten Person zu stützen. Entscheidend ist deshalb, ob konkrete Umstände Zweifel an der Schilderung der versicherten Person wecken, die dieser nicht entkräften kann. So geht es etwa zu Lasten des Anspruchstellers, wenn die versicherte Person keine plausible Kausalkette begründen kann oder sich in Widersprüche verwickelt.137 Ein bloßer zeitlicher Zusammenhang zwischen einer Verletzung und einer dauerhaf53 ten Beeinträchtigung der versicherten Person reicht nicht aus, Kausalität zu begründen.138 Z.T. wird allerdings eine Vermutung für die Mitursächlichkeit angenommen, wenn nach dem Unfallereignis erstmals fortdauernde gesundheitliche Beschwerden bei der versicherten Person auftreten.139 Umgekehrt ist ein unfallbedingter Zusammenhang z.B. nicht nachgewiesen, wenn (ohne weitere Darlegungen des Anspruchstellers) erst ein Jahr nach dem Unfall Schmerzen im HWS-Bereich auftreten, die der Sachverständige als degenerativ einschätzt.140 2. Beweisgegenstand, insbesondere Mitursächlichkeit
54
Der Anspruchsteller muss nicht die Ursache des Unfalls beweisen. Erforderlich und ausreichend ist der Nachweis dafür, dass die Unfallfolge nur durch das Unfallereignis eingetreten sein kann. Zu beweisen sind mithin Tatsachen, die eine andere Ursache für die Unfallfolgen ausschließen.141 Haben neben dem Unfallereignis auch unfallfremde Ursachen (insbesondere Vorerkrankungen) beim Eintritt der Unfallfolgen mitgewirkt, so
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OLG Düsseldorf 4.12.2001 VersR 2003 1294, 1295. BGH 17.10.2001 VersR 2001 1547, 1548 = NJW-RR 2002 166, 167 = NVersZ 2002 65, 65. OLG Saarbrücken 8.10.2003 NJW-RR 2004 186, 187. OLG Düsseldorf 6.12.1994 VersR 1996 494; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 6. Knappmann RuS 2007 45, 50; ders. NVersZ
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2002 1, 2; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 2; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 159; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 21; s.a. OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 461, 462 = RuS 2004 209, 210. KG 4.3.2003 RuS 2004 210, 211. OLG Hamm 5.6.2002 RuS 2003 31 (zum Tod durch ein Unfallereignis).
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gilt das zur Beweislage bei der anspruchsbegründenden Kausalität Ausgeführte (§ 178 Rn. 181 ff.) entsprechend. Da eine Mitwirkung unfallfremder Ursachen auf Grundlage der Adäquanztheorie der haftungsausfüllenden Kausalität nicht entgegensteht (§ 178 Rn. 156 ff.), hat der Anspruchsteller nur die Mitursächlichkeit des Unfallereignisses an den Unfallfolgen zu beweisen. Keinen Beweis muss er dafür antreten, dass die Unfallfolgen ausschließlich aus dem Unfallereignis resultieren. Selbst wenn schwerste Verschleißerscheinungen nach objektiven Befunden vorliegen, so ist Mitursächlichkeit des Unfalls an den geklagten Beschwerden nicht ausgeschlossen. Zwar ist es durchaus möglich, dass bisher latente Krankheiten und Degenerationen, die klinisch stumm waren, nur zufällig zum gleichen Zeitpunkt wie der Unfall akut werden und nunmehr Beschwerden bereiten (z.B. Bandscheibenschäden, näher Anh. § 178 Rn. 2 ff.). Jedoch ist dies nicht zwingend; denn es entspricht medizinischer Erfahrung, dass solche Vorschäden, mögen sie auch erheblich sein, nicht klinisch relevant werden müssen.142 Führt die Würdigung der Gesamtumstände zu der Annahme, dass die Unfallfolgen sowohl Folge des Unfallereignisses als auch unfallfremder Umstände gewesen sind, so hat vielmehr der VR zu beweisen, dass allein die unfallfremden Umstände die Gesundheitsschädigung herbeigeführt haben (§ 182, Ziff. 3 AUB 99, § 8 AUB 88/94).143 Ist allerdings nach der Beweisaufnahme die Mitursächlichkeit des Unfalls an der Invalidität ausgeschlossen oder bleibt der Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Invalidität unklar, so geht dies zu Lasten des beweispflichtigen Anspruchstellers. So liegt etwa der Fall, wenn das Gericht zu der Überzeugung kommt, dass allein ein Anlageleiden die geklagte Funktionsbeeinträchtigung eines Körperglieds verursacht hat.144 3. Beweismittel Als Beweismittel kommen neben medizinischen Gutachten u.a. auch Zeugenaussagen 55 und die Parteivernehmung in Betracht (näher Anh. Ziff. 16 AUB 2008 Rn. 47 ff.).145 Im Regelfall zieht das Gericht im Rahmen der Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens zu Leistungsfällen in der Unfallversicherung einen Sachverständigen hinzu,146 insbesondere zu medizinischen Fachfragen. Der vom Gericht bestellte Gutachter (Arzt) beantwortet dann typischerweise die Beweisfragen, indem er vorhandene ärztliche Stellungnahmen und Bildbefunde auswertet sowie ggf. die versicherte Person persönlich untersucht. Neben medizinischen Stellungnahmen können aber auch Gutachten zu anderen Fachgebieten Bedeutung erlangen. So holen Gerichte z.B. zum Nachweis der Kausalität zwischen einer HWS-Verletzung und einem Auffahrunfall oftmals zunächst biomechanische Gutachten ein, um die Geschwindigkeitsänderung zum Zeitpunkt der Kollision festzustellen. Die gewonnenen Erkenntnisse können anschließend einem medizinischen Sachverständigen Anhaltspunkte für die biomechanische Belastung der Gewebe- und Knochenstrukturen während des Unfallereignisses geben. Der Schluss auf eine biomechanische Belastung kann dann wiederum begleitend das Ergebnis der medizinischen Feststellungen unterstützen.147
142 143 144
Knappmann NVersZ 2002 1, 2; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 2. BGH 19.4.1972 VersR 1972 582, 583. KG 22.6.2001 RuS 2002 525; LG Berlin 17.8.1999 RuS 2002 525; so offenbar auch im Fall des OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54.
145 146 147
Knappmann RuS 2007 45, 49 f. S. etwa BGH 28.1.2009 NJW-RR 2009 679, 682 Rn. 24 = RuS 2009 161, 163. Näher WI 2006 82.
Kent Leverenz
323
§ 181 56
Kapitel 7: Unfallversicherung
Die Aus- und Bewertung von medizinischen Gutachten kann – wegen der gelegentlich unterschiedlichen Denkansätze von Medizinern und Juristen 148 – bei der Leistungsregulierung durch den VR und in der gerichtlichen Praxis Schwierigkeiten bereiten. Dies liegt vor allem daran, dass viele medizinische Gutachter die sozialrechtliche Kausalitätslehre zugrunde legen, während für die private Unfallversicherung die Adäquanztheorie gilt (s.a. Vorbem. § 178 Rn. 59). Der Annahme einer – ausreichenden – Mitkausalität steht nicht ohne weiteres entgegen, dass der Gutachter feststellt, die anfänglich unfallbedingten Beschwerden hätten nach einer gewissen Zeit einen anlagebedingten schicksalhaften Verlauf genommen.149 Soll damit gesagt werden, dass der Unfall nur zufällig der Auslöser der Beschwerden war und ebenso gut ein anderes (Bagatell-)Ereignis in der Folgezeit den gleichen Krankheitszustand hätte bewirken können, so ist dennoch Mitkausalität gegeben, da der Unfall „als letzter Tropfen das Fass zum Überlaufen brachte“.150 Krankheiten und nicht mehr altersgerechter Verschleiß sind dann im Rahmen der Leistungsminderung zu berücksichtigen. Eine hypothetische (überholende) Kausalität bleibt im Privatversicherungsrecht unbeachtlich (Rn. 40). Ist die Feststellung des Sachverständigen dagegen so zu verstehen, dass die Beschwerden der versicherten Person nach dem Unfall nur vorübergehend eine Unfallfolge waren und nach einer gewissen Zeit auf einem unabhängig vom Unfall bestehenden Leiden beruhten, so ist die Kausalität für die Invalidität zu verneinen, wenn keine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ohne den Unfall die Beschwerden nicht zumindest geringer wären.151
§ 181 Gefahrerhöhung (1) Als Erhöhung der Gefahr gilt nur eine solche Änderung der Umstände, die nach ausdrücklicher Vereinbarung als Gefahrerhöhung angesehen werden soll; die Vereinbarung bedarf der Textform. (2) Ergeben sich im Falle einer erhöhten Gefahr nach dem geltenden Tarif des Versicherers bei unveränderter Prämie niedrigere Versicherungsleistungen, so gelten diese mit Ablauf eines Monats nach Eintritt der Gefahrerhöhung als vereinbart. Weitergehende Rechte kann der Versicherer nur geltend machen, wenn der Versicherungsnehmer die Gefahrerhöhung arglistig nicht angezeigt hat.
Schrifttum Felsch Neuregelung von Obliegenheiten und Gefahrerhöhung, RuS 2007 485; Loacker Die Gefahrerhöhung nach der VVG-Reform, VersR 2008 1285.
148 149
Ernestus/Gärtner VersR 1996 419 422. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 2.
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150 151
Knappmann NVersZ 2002 1, 3. Knappmann NVersZ 2002 1, 3.
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Gefahrerhöhung
§ 181
Übersicht A. B. C. D. I. II.
Rn.
Rn.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . 3 Voraussetzungen der Gefahrerhöhung . . . 5 Rechtsfolgen der Gefahrerhöhung . . . . . 9 Summenanpassung . . . . . . . . . . . . 10 Nicht versicherbarer Beruf oder Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
III. Arglistiges Nichtanzeigen der Gefahrerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 E. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . . 17 F. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . 18
A. Einführung Die mit der VVG-Reform 2008 neu eingefügte Vorschrift des § 181 lehnt sich bewusst 1 an die für die Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung geltenden Regelungen der §§ 158, 176 (§ 164 a.F.; s.a. § 164a a.F.) an. Auch § 158 Abs. 1 sieht vor, dass als Erhöhung der Gefahr nur eine solche Änderung der Gefahrumstände gilt, die nach ausdrücklicher Vereinbarung (in Textform) als Gefahrerhöhung angesehen werden soll. Genauso wie § 158 ändert § 181 die allgemeinen Bestimmungen zur Gefahrerhöhung in §§ 23 bis 25 und 27 teilweise ab.1 Da auch die §§ 23 ff. einige Modifizierungen gegenüber den §§ 23 ff. a.F. enthalten,2 ergeben sich nach der VVG-Reform 2008 bedeutsame Veränderungen im Vergleich zum bisherigen Recht. Die allgemeinen Vorschriften in §§ 23 ff. über die Gefahrerhöhung dienen dazu, das 2 Gleichgewicht zwischen dem vom VR übernommenen Risiko und der vereinbarten Prämie zu erhalten. Der VR soll nicht gezwungen sein, am Versicherungsvertrag festzuhalten, obwohl das Verhältnis zwischen Prämie und Risiko nicht mehr der Risikolage entspricht, die der VR bei Abschluss des Versicherungsvertrags voraussetzen durfte. Entscheidend hierfür ist, ob der VR den Abschluss des Versicherungsvertrags abgelehnt oder von der Zahlung einer höheren Prämie abhängig gemacht hätte. Dabei ist eine ganzheitliche Betrachtungsweise geboten. Unerheblich ist, ob einzelne neue Gefahrenquellen entstanden sind. Vielmehr kommt es darauf an, ob sich die Risikolage insgesamt gesehen erhöht hat.3 § 181 führt im Vergleich zu den allgemeinen Vorschriften in §§ 23 ff. zu einer Verbesserung für den VN: • § 181 Abs. 1 stellt höhere Anforderungen an die Gefahrerhöhung als § 23; denn als erhöhte Gefahr gilt nur eine Änderung der Umstände, die nach ausdrücklicher Vereinbarung als Gefahrerhöhung angesehen werden sollen. Durch diese gesetzliche Vorgabe soll berücksichtigt werden, dass es für die Unfallversicherung – ebenso wie für die Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung, aber auch die Krankenversicherung – „an sich“ charakteristisch ist, das Risiko des nachträglichen Eintritts von Wechselfällen des täglichen Lebens wie Krankheiten oder Unfällen zu übernehmen, die sogar den Tod der versicherten Person herbeiführen können.4 Die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Gefahrerhöhungsvereinbarung trägt dazu bei, größere Klarheit darüber zu schaffen, welche Veränderungen der Lebensumstände nach Vertragsschluss „noch normal“ sind bzw. zur übernommenen Versicherungsgefahr gehören oder das ursprünglich angenommene „Prämien-/Leistungsverhältnis“ signifikant beeinflussen, so dass nachjustiert werden muss.
1 2 3
Begründung RegE zu § 181, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 108. Dazu etwa Felsch RuS 2007 485, 486 ff.; Loacker VersR 2008 1285 ff. BGH 6.6.1990 VersR 1990 881, 882; BGH 11.12.1980 BGHZ 79 156, 158 f. = VersR 1981 245, 246.
4
Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 164 Rn. 1; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V/2 Anm. F 173; ferner Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 177; Rüffer/Halbach/Schimikowski/ Orbach § 158 Rn. 1; s. auch Motive zu § 164 a.F., abgedruckt Gerhard/Hagen S. 653.
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§ 181
Kapitel 7: Unfallversicherung
• Rechtsfolge einer Gefahränderung ist eine Summenanpassung (§ 181 Abs. 2 S. 1). Weitergehende Rechte (z.B. das Kündigungsrecht gemäß § 24 oder Leistungsfreiheit nach § 26) bestehen für den VR nach § 181 Abs. 2 S. 2 nur dann, wenn der VN die Gefahrerhöhung arglistig nicht angezeigt hat.
B. Anwendungsbereich § 181 regelt nur die Gefahrerhöhung, nicht aber die Gefahrminderung. Im Unfallversicherungsrecht besteht – anders als bei der Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung – keine besondere Regelung für den Fall einer verminderten Gefahr. Während §§ 158 Abs. 3, 176 (unter Aufgabe des § 164a a.F.) für die Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung vorsehen, dass die allgemeine Vorschrift des § 41 mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass eine Herabsetzung der Prämie nur wegen einer solchen Minderung der Gefahrumstände verlangt werden kann, die nach ausdrücklicher Vereinbarung als Gefahrminderung angesehen werden sollen, findet § 41 für die Unfallversicherung uneingeschränkt Anwendung. Danach kann der VN fordern, dass die Prämie ab Zugang des Verlangens beim VR angemessen herabgesetzt wird, wenn wegen bestimmter gefahrerhöhender Umstände eine höhere Prämie vereinbart ist und diese Umstände nach Antragstellung des VN oder nach Vertragsschluss weggefallen oder bedeutungslos geworden sind. Erweiternd hierzu sehen die AUB vor, dass ein gefahrmindernder Berufswechsel das Recht des VN begründet, bei unverändertem Beitrag höhere Versicherungssummen oder die bisherige Versicherungssumme bei gesenktem Beitrag zu wählen. Diese von § 41 abweichende Vertragsgestaltung verstößt nicht gegen § 42. Die AUB-Regelungen sind für den VN nicht nachteilig und sollen deshalb nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers erhalten bleiben.5 Die Neuregelung in § 181 und die Modifizierungen der subsidiären Vorschriften der 4 §§ 23 ff. führen im Vergleich zum bisherigen Recht, das in den AUB abschließend geregelt war (Ziff. 6 AUB 99), zu Änderungen in der rechtlichen Beurteilung. Für die Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs der Norm ist deshalb eine differenzierte Betrachtung erforderlich (s.a. Vorbem. § 178 Rn. 20 ff.):
3
1
Fallgruppe
Anzuwendendes Recht
Anmerkungen
Neuverträge: Vertragsabschluss ab 1.1.2008
§ 181 ist anzuwenden; subsidiär gelten §§ 23 ff.
Art. 1 Abs. 1 EGVVG
1.1 Weiterverwendung der alten AUB
Es ist davon auszugehen, dass die VR ihre Vertragsunterlagen bis zum Inkrafttreten der Reform den neuen Vorschriften angepasst haben. Anderenfalls gilt 2.1.
1.2 Verwendung neuer AUB bzw. Vertragsunterlagen
Sofern die Parteien eine ausdrückliche Vereinbarung zur Gefahrerhöhung i.S.v. § 181 Abs. 1 getroffen haben, können die schon in Ziff. 6.2 AUB 99 geregelten Rechtsfolgen weiterhin vorgesehen werden.
5
Begründung RegE zu § 181 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 108.
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Gefahrerhöhung
2
Fallgruppe
Anzuwendendes Recht
Anmerkungen
Altverträge: Vertragsabschluss bis 1.1.2008
• Bis 31.12.2008 galt das VVG a.F. fort • Ab 1.1.2009 ist § 181 anzuwenden; subsidiär gelten §§ 23 ff. • Trat bis zum 31.12.2008 ein Versicherungsfall ein, ist das alte VVG weiter anzuwenden
Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG
§ 181
2.1 VR hat die AUB zum 1.1.2009 nicht geändert
Die AUB 61/88/94/99 berücksichtigen das neue Recht nur unzureichend. Insbesondere fehlt es typischerweise an einer ausdrücklichen Vereinbarung zur Gefahränderung i.S.v. § 181 Abs. 1. Die in den AUB vorgesehenen Rechtsfolgen einer Gefahrerhöhung kommen deshalb i.E. nicht zur Anwendung. Höhere Risiken gehen zu Lasten der Versichertengemeinschaft.6
2.2 VR hat die AUB zum 1.1.2009 geändert
• Es ist eine ausdrückliche Vereinbarung zur Änderung von Umständen erforderlich, die als Gefahrerhöhung angesehen werden sollen (§ 181 Abs. 1). • Die Änderung der bisherigen AUB hat der VR dem VN unter Kenntlichmachung der Unterschiede spätestens bis zum 30.11.2008 in Textform mitgeteilt (Art. 1 Abs. 3 EGVVG; Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 38).
C. Voraussetzungen der Gefahrerhöhung Anders als in der Lebensversicherung ist für die Unfallversicherung keine Ausschluss- 5 frist für die Geltendmachung einer Gefahrerhöhung vorgesehen. Während § 158 Abs. 2 bestimmt, dass der VR eine Erhöhung nicht mehr geltend machen kann, wenn seit der Erhöhung fünf Jahre verstrichen sind (bei Vorsatz oder Arglist des VN gilt eine Frist von 10 Jahren), ist Entsprechendes für die Unfallversicherung in § 181 nicht normiert. § 181 Abs. 1 ordnet im Grundsatz an, dass Rechtsfolgen aus einer Gefahrerhöhung immer dann abgeleitet werden können, wenn die Änderung bestimmter Gefahrumstände ausdrücklich und in Textform als Gefahrerhöhung vereinbart worden ist. Ein Verschulden des VN ist nicht vorausgesetzt.7 Auch besteht für den VR keine generelle Belehrungspflicht. Der Begriff der Gefahrerhöhung ist im Gesetz weder allgemein noch konkret für die 6 Unfallversicherung definiert.
6 7
Dies beanstanden Schimikowski/Höra S. 201. So ausdrücklich Begründung RegE zu § 181
Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 108.
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§ 181
Kapitel 7: Unfallversicherung
• Gefahrerhöhungen begründen sich nach der Rechtsprechung des BGH nur aus solchen Gefährdungsvorgängen, die neue Zustände erhöhter Gefahr schaffen. Diese müssen ihrer Natur und Dauer nach so gestaltet sein, dass sie die Grundlage eines neuen Gefahrenverlaufs bilden können und damit den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern geeignet sind.8 In ihren Wirkungen nicht fortdauernde Schwankungen der Gefahrenlage (vorübergehende oder kurzfristige Gefahrensteigerungen) reichen dagegen nicht aus, eine Gefahrerhöhung bzw. eine neue Gefahrenlage auf einem höheren Niveau zu begründen. Insbesondere erfüllen einmalige Gefährdungshandlungen nicht die Voraussetzungen für eine Gefahrenerhöhung. Bei ihnen steht von vornherein fest, dass sie den bestehenden Gefahrenzustand nicht durch einen neuen ersetzen, sondern nur für die absehbare kurze Zeit ihrer Vornahme in Form einer Gefahrensteigerung unterbrechen. Kurzfristige Gefährdungsvorgänge sind nicht geeignet, das Gleichgewicht zwischen Prämie und bei Vertragsschluss kalkulierter Gefahrenlage dauerhaft zu beseitigen und damit die Geschäftsgrundlage zu stören. Sie rechtfertigen es folgerichtig nicht, den Vertrag durch eine Summen- oder Prämienanpassung auf neue Füße zu stellen. Anderenfalls würde der Versicherungsschutz in weitem Umfang illusorisch. Zugleich würden die Vorschriften über die Herbeiführung des Versicherungsfalls, die die Leistungsfreiheit des VR an strenge Voraussetzungen knüpfen (§ 183), in vielen Fällen bedeutungslos werden. • In den AUB werden als Gefahrerhöhung lediglich Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung in Betracht gezogen (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 29 ff). Angesprochen ist etwa der Wechsel von einer verwaltenden Bürotätigkeit zu risikobehafteter Handwerkstätigkeit oder die Aufnahme eines gefährlichen Leistungssports. Keine Gefahrerhöhung i.S.d. Unfallversicherung sind (im Umkehrschluss zu Ziff. 6.2 AUB 99/2008, § 6 AUB 88/94 oder § 4 AUB 61) Veränderungen anderer Risikoverhältnisse wie z.B. Alterungsprozesse oder Gesundheitsänderungen der versicherten Person.
7
Die Gefahrerhöhungsabrede kann als Individualvereinbarung oder durch AGB erfolgen. Sie kann fernerhin sowohl als eigenständige bzw. gesonderte Vereinbarung vorgesehen, als auch in vorhandene Vertragsdruckstücke (z.B. Antrags- bzw. Anfrageformulare oder AUB) integriert werden. Der Umkehrschluss zu § 181 Abs. 1 ergibt, dass alle nicht ausdrücklich genannten Gefahrumstände außer Betracht bleiben,9 mag die Gefahränderung auch eindeutig sein.10 Mit dem Erfordernis der „Ausdrücklichkeit“ wird für den VR eine erhebliche Hürde aufgebaut; denn daraus folgt, dass stillschweigend oder konkludent vereinbarte bzw. im Wege einer verständigen Vertragsauslegung ermittelte Gefahrumstände außen vor bleiben. Die maßgeblichen Gefahrumstände müssen vielmehr näher bezeichnet werden. Dem (verständigen) VN ist eine Grundlage an die Hand zu geben, mit der er unschwer erkennen kann, ob in Ansehung eines Gefahrumstandes eine Gefahrerhöhung in Betracht kommt. Von ihm darf nur eine Tatsachenfeststellung, jedoch kein Werturteil verlangt werden.11 Rein beispielhafte Aufzählungen oder globale Vereinbarungen reichen deshalb nicht aus. So bestehen Zweifel, ob etwa Formulierungen genügen wie etwa „Zur Gefahrengruppe A gehören z.B. die Berufe …“ oder „Als Gefahrerhöhung kann ein bestimmter nachträglicher Berufswechsel in Betracht kommen.“12 Zulässig dürfte dagegen das abstrakte Umschreiben von Risikoumständen sein, die möglichst genau definiert und ggf. mit Beispielen erläutert sind („Zur Gefahrengruppe A gehören alle Tätigkeiten, die … wie z.B. …“); denn vom VR kann nichts Unmögliches verlangt werden. Anderenfalls gingen bei Vertragsschluss nicht vorhersehbare Entwicklungen in der Zukunft stets zu Lasten des VR und es würden von ihm – überspitzt for-
8 9
BGH 27.1.1999 VersR 1999 484; BGH 18.10.1952 BGHZ 7 311, 317 ff. Begründung RegE zu § 158 Abs. 1 und 3, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006, S. 98.
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10 11 12
Kloth Rn. L 5. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V/2 Anm. F 177. So aber Marlow/Spuhl 3 S. 263 f.; kritisch Schwintowski/Brömmelmeyer § 181 VVG Rn. 3.
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Gefahrerhöhung
§ 181
muliert – prophetische Fähigkeiten verlangt. So ist etwa eine lückenlose und zukunftssichere Erfassung aller Berufe in der Gefahrengruppeneinteilung nicht zu leisten.13 Es können sich während der Vertragslaufzeit Lebensumstände (z.B. durch Umwelteinflüsse) verändern, sich neue Berufsfelder entwickeln, sich Berufsbezeichnungen wandeln usw. Es muss in solchen Fällen die sachgerechte Prüfung möglich bleiben, ob bei Vertragsschluss ungenannte oder unbekannte Berufe bzw. Beschäftigungen, die die versicherte Person zu einem späteren Zeitpunkt ausübt, in gleiche oder ähnliche Risikoverhältnisse einzuordnen sind, wie sie bei Vertragsschluss abstrakt definiert und ggf. beispielhaft durch nicht abschließende Berufsangaben illustriert wurden. Für den praktisch wichtigsten Fall des Berufswechsels bedeutet § 181 Abs. 1 nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, dass der VR dem VN sein geltendes Berufsgruppenverzeichnis in Textform zu übermitteln hat.14 • Im Berufsgruppenverzeichnis muss der VR nach der hier vertretenen Auffassung nicht sämtliche Berufe abschließend von „A–Z“ bezeichnen. Es genügt eine verständliche und transparente Bezeichnung von Risikoumständen (z.B. Hantieren mit gefährlichen Stoffen, Kraftanstrengungen), die für die Einordnung in eine bestimmte Gefahrengruppe maßgebend sind. Sie kann mit einem umfassenden Beispielkatalog verdeutlicht werden. In der praktischen Umsetzung ist indes jede Verkürzung oder Verallgemeinerung mit beträchtlichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten verbunden, da sämtliche Unklarheiten zu Lasten des VR gehen werden. • Sinnvoll ist es, dem VN – soweit möglich – nicht versicherbare Berufe aufzulisten.15
Auch wenn bereits § 4 Abs. 2 Nr. 6 VVG-InfoV eine Informationspflicht des VR für während der Vertragslaufzeit zu beachtende Obliegenheiten vorsieht, ist es empfehlenswert, die Vereinbarung nach § 181 Abs. 1 mit dem Hinweis zu ergänzen, dass • der Wechsel in eine risikoreichere Berufs- bzw. Beschäftigungsgruppe als Gefahrerhöhung gilt 16 und eine Gefahränderung eine Meldeobliegenheit des VN auslöst. • der (unverbindlichen) Bitte zu versehen, bei etwaigen Unklarheiten den VR unverzüglich zu kontaktieren.17
Die Vereinbarung über die Umstände, die als Gefahrerhöhung angesehen werden sol- 8 len, bedarf der Textform i.S.v. § 126b BGB. Möglich ist z.B. der Austausch von E-Mails. Mündliche Abreden genügen dagegen nicht. Auch ist es unzureichend, lediglich eine Web-Adresse mitzuteilen, damit der VN sich das Berufsgruppenverzeichnis des VR selbst „downloaden“ kann.
D. Rechtsfolgen der Gefahrerhöhung Genauso wie Ziff. 6.2.2 AUB 99/2008 geht das Gesetz vom Grundsatz der Beitrags- 9 stabilität aus. Ausnahmen kommen lediglich in den Fällen nicht versicherbarer Berufe und bei Arglist des VN in Betracht.
I. Summenanpassung § 181 Abs. 2 S. 1 bestimmt, dass im Fall einer erhöhten Gefahr i.S.d. § 181 Abs. 1 mit 10 Ablauf eines Monats nach Eintritt der Gefahrerhöhung (unabhängig von einer Gefahr-
13 14
Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 28. So ausdrücklich Begründung RegE zu § 181 Abs. 1, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 108.
15 16 17
Kloth Rn. L 5. Rüffer/Halbach/Schimikowski § 181 Rn. 1. Kloth Rn. L 4.
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§ 181
Kapitel 7: Unfallversicherung
erhöhungsanzeige des VN) bei unveränderter Prämie niedrigere Versicherungsleistungen gelten, wenn sich dies aus dem geltenden Tarif des VR ergibt. Der Gesetzgeber hat sich bei Schaffung dieser gesetzlichen Vorschrift ganz bewusst an den schon bisher üblicherweise verwendeten AUB-Regelungen zum Berufsgruppenwechsel orientiert.18 Auch diese sehen typischerweise die tarifliche Herabsetzung der Versicherungssummen vor und regeln als Rechtsfolge einer objektiv vorliegenden Gefahrerhöhung die tarifliche Reduktion der Versicherungsleistungen bei konstanter Prämie. Der Unfalltarif besteht typischerweise aus dem eigentlichen Tarif als Preisverzeichnis 11 und einem Allgemeinen Teil mit Erläuterungen zu seiner Anwendung sowie einer Gefahrgruppeneinteilung für Unfälle innerhalb und außerhalb des Berufs mit den Gefahrengruppen A (risikoarme Berufe) und B (risikoreiche Berufe). Für die Frage, in welche Gefahrengruppe die versicherte Person einzuordnen ist, bestehen weder gesetzliche noch aufsichtsbehördliche oder allgemein gültige Regeln.19 Nicht ganz eindeutig ist geklärt, auf welchen Tarif abzustellen ist, also ob die Umstel12 lung nach dem z.Z. der Gefahränderung aktuellen oder den bei Vertragsschluss gültigen Tarif erfolgen soll. Diese Frage war bereits vor der VVG-Reform 2008 im Rahmen der Auslegung zu den AUB 88/94 umstritten (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 40). Aus dem Wort „geltenden“ in § 181 Abs. 2 S. 1 wird abgeleitet werden dürfen, dass auf einen in der Gegenwart „bestehenden“ und nicht etwa auf einen in der Vergangenheit (zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses) gültigen und in der Zwischenzeit geschlossenen oder modifizierten Tarif abzustellen ist. Eine deutlichere Klarstellung durch den Gesetzgeber wäre indes wünschenswert gewesen. So hätte etwa in Anlehnung an Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99/2008 formuliert werden können: „… nach dem zum Zeitpunkt der Änderung geltenden Tarif …“ Ein Abstellen auf den z.Z. der Gefahränderung gültigen Tarif führt im Übrigen nicht per se zu einer Benachteiligung des VN. Tarifänderungen erfolgen nicht willkürlich, sondern tragen einer geänderten Risikolage Rechnung. Damit können – auch aufgrund der Wettbewerbssituation – durchaus Vorteile für den VN verbunden sein. So können Verbesserungen der Arbeitssicherheit dazu führen, dass weniger Berufe der Gefahrengruppe B zuzuordnen sind.
II. Nicht versicherbarer Beruf oder Beschäftigung 13
Trotz zunehmender Technologisierung, Verschärfung von Sicherheits- und Ausbildungsvorschriften usw. gibt es nach wie vor Berufe und Beschäftigungen, die extreme Risiken bzw. besonders erhöhte Gefahren für die versicherte Person bergen. Zu denken ist etwa an Berufe wie Artisten, Tierbändiger, Berufssportler, Taucher, Spreng- und Räumpersonal für explosives Material. Hier kann es für den VR sinnvoll sein, den Vertragsschluss entweder von einer gesonderten Prüfung abhängig zu machen,20 nur mit der Vereinbarung eines (erheblichen) Prämienzuschlags bzw. von speziellen Ausschlüssen vorzusehen oder ganz abzulehnen.21 Regelmäßig versichern die VR aber auch extrem unfallträchtige Risiken. Es kommt praktisch kaum vor, dass der Tarif eines VR keinen Unfallschutz für einen bestimmten Beruf oder eine Beschäftigung erlaubt. Dementsprechend sehen Ziff. 6 AUB 99/2008 auch ganz bewusst davon ab, besondere Regelungen zu nicht versicher-
18
Begründung RegE zu § 181 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006, S. 108.
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19 20 21
Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 28. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 32. Stockmeier/Huppenbauer S. 83.
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Gefahrerhöhung
§ 181
baren Berufen oder Beschäftigungen vorzusehen (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 12). Anders war dies allerdings noch in den älteren AUB-Generationen: In § 4 Nr. 1 S. 1 AUB 61 wird zumindest beiläufig als Voraussetzung für den Fortbestand des Versicherungsschutzes verlangt, dass der VR für die neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung überhaupt Versicherungsschutz gewährt (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 5). Eine detaillierte Regelung findet sich weiterhin (abweichend von den AUB 88) in § 6 Abs. 2 Nr. 3a AUB 94. Diese Klausel war vornehmlich der Deregulierung geschuldet (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 9). Kommt es tatsächlich (ausnahmsweise) zu einem Wechsel des VN in einen bei dem VR nicht versicherbaren Beruf, greift § 181 Abs. 2 S. 1 nicht ein. Die Fiktion („gelten … als vereinbart“) geht ins Leere. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich vielmehr, dass der Versicherungsschutz entfällt.22 Nach welchen Regeln dies geschehen soll, lässt der Gesetzgeber indes offen. Vor der VVG-Reform 2008 stand dem VR ein Kündigungsrecht zur Seite (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 41). Durch die Einführung des neuen § 181 und die Modifizierung der §§ 23 ff. haben sich nunmehr Änderungen der Rechtslage ergeben. Der VR kann nicht mehr kündigen, sondern hat ein Recht zum Ausschluss der Gefahrerhöhung. Die Rechtslage ist allerdings noch ungeklärt.23 Ein Kündigungsrecht des VR nach § 24 Abs. 1 besteht nicht, da Gefahränderungen 14 nach den gängigen AUB nicht vom VR nach § 23 Abs. 1 zu gestatten sind, sondern für diese eine Generaleinwilligung des VR vorliegt (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 20). Des Weiteren greift das Kündigungsrecht nach § 24 Abs. 2 nicht durch. Es setzt die nachträgliche Erkenntnis des VN voraus, dass er ohne Einwilligung des VR eine Gefahrerhöhung vorgenommen oder gestattet hat. Z.T. wird erwogen, dem VR ein Kündigungsrecht nach § 313 Abs. 3 S. 2 BGB einzuräumen.24 Für einen Rückgriff auf das allgemeine Zivilrecht besteht indes bei Fragen zur Beurteilung von Gefahränderungen im Allgemeinen kein Raum (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 23). Der VR kann an Stelle einer Kündigung ab dem Zeitpunkt der Gefahrerhöhung nach 15 der mit der VVG-Reform 2008 neu geschaffenen Vorschrift des § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 „die Absicherung der höheren Gefahr ausschließen“. Der Gefahrenausschluss wird indes nur dann in Betracht kommen, wenn eine ausdrückliche Vereinbarung zur Gefahränderung i.S. des § 181 Abs. 1 vorliegt. • Für das Erlöschen des Ausschlussrechts des VR gilt § 24 Abs. 3 entsprechend (§ 25 Abs. 1 S. 2). Das Recht auf Ausschluss der Absicherung ist folglich innerhalb eines Monats ab Kenntnis des VR von der Erhöhung der Gefahr auszuüben. Es erlischt, wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Gefahrerhöhung existierte, etwa weil die versicherte Person ihre gefährliche und vom VR nicht versicherte Tätigkeit wieder aufgegeben hat. • Ist es zu einem Ausschluss der höheren Gefahr wegen eines Wechsels der Berufstätigkeit oder Beschäftigung gekommen, so ist § 25 Abs. 1 wohl so zu verstehen, dass einerseits für Unfälle bei Ausübung des neuen Berufs oder der neuen Beschäftigung kein Versicherungsschutz und andererseits für Unfälle außerhalb des neuen Berufs bzw. der neuen Beschäftigung der vor der Gefahrerhöhung vereinbarte Versicherungsschutz weiter besteht. Wechselt also etwa die versicherte Person aus ihrem Beruf mit rein kaufmännischen Aufgaben in ein extrem gefährliches Tätigkeitsfeld wie die Entschärfung von Bomben, für das der VR nach seinem Tarif keinen Versicherungsschutz
22
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Begründung RegE zu § 181 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006, S. 108; krit. Schimikowski/Höra S. 201. S. Schwintowski/Brömmelmeyer § 181 VVG Rn. 6; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 182; Beckmann/Matusche-Beckmann/
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Mangen 2 § 47 Rn. 132; Marlow/Spuhl 3 S. 264 f. Marlow/Spuhl 3 S. 264 f.; zust. Schwintowski/ Brömmelmeyer § 181 VVG Rn. 6; ähnlich Schimikowski/Höra S. 201.
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§ 181
Kapitel 7: Unfallversicherung
vorsieht, so sind Unfälle während der Berufsausübung (z.B. Explosion eines Sprengsatzes) im Gegensatz zu Unfällen in der Freizeit (z.B. beim Sport) nicht versichert. • Der VN kann auf den Ausschluss der höheren Gefahr reagieren, indem er den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des VR ohne Einhaltung einer Frist kündigt (§ 25 Abs. 2 S. 1). Der VR hat den VN auf dieses Recht hinzuweisen (§ 25 Abs. 2 S. 2).
III. Arglistiges Nichtanzeigen der Gefahrerhöhung 16
Weitergehende Rechte als die in § 181 Abs. 2 S. 1 vorgesehenen kann der VR nur geltend machen, wenn der VN die Gefahrerhöhung arglistig nicht angezeigt hat (§ 181 Abs. 2 S. 2). • Voraussetzung für die Ausübung weitergehender Rechte ist, dass eine wirksam und ausdrücklich getroffene Gefahrerhöhungsvereinbarung vorliegt. Ist eine solche nicht getroffen worden, schadet dem VN eine unterbliebene Anzeige auch dann nicht, wenn die Gefahrerhöhung offensichtlich ist oder sich der VN arglistig verhalten hat.25 • Welche „weitergehenden Rechte“ der VR haben soll, ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Die Gesetzesbegründung verweist lediglich auf § 24.26 Diese Einschränkung ist indes dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen. Die Kündigungsmöglichkeit des VR als einzige Rechtsfolge einer arglistigen Anzeigeobliegenheitsverletzung vorzusehen, erscheint auch nicht angemessen.27 Richtig ist es deshalb, alle in §§ 23 ff. geregelten Rechte in Betracht zu ziehen.28 Neben der Kündigung nach § 24 kommt folgerichtig auch Leistungsfreiheit nach § 26 in Betracht.29 In der praktischen Rechtsanwendung wird allerdings ein Rückgriff auf §§ 23 ff. kaum relevant werden. Zum einen ist die Arglist nur schwer zu beweisen. Zum anderen sehen die AUB für den Fall von Gefahrerhöhungen kein Recht zur Kündigung oder Leistungskürzung vor. Insofern ist fraglich, ob die VR die Rechte aus §§ 23 ff. ausüben werden. Möglicherweise wird Ziff. 6 AUB 99/2008 von den VR – entgegen der hier vertretenen Auffassung (Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 21) – in der Praxis auch in Fällen der Arglist als vertraglich vorrangige Vertragsabrede mit abschließendem Regelungscharakter zugunsten des VN angewandt.
E. Speziellere AVB 17
Von § 181 kann nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden (§ 191). Ein weitgehend abschließendes Regelungskonzept zur Gefahränderung in der Unfallversicherung findet sich in Ziff. 6 AUB 2008.
F. Verfahrensfragen 18
Es gelten die allgemeinen zivilprozessualen Grundsätze. Jede Partei hat die ihr günstigen Umstände darzulegen und zu beweisen. So ist etwa der VR beweispflichtig für den Tatbestand der Gefahrerhöhung30 oder die Arglist des VN i.S.v. § 181 Abs. 2 S. 2.
25 26 27 28
Kloth Rn. L 14. Begründung RegE zu § 181, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006, S. 108. Marlow/Spuhl 3 S. 265. Kloth Rn. L 15; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 181 Rn. 3.
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29 30
Schwintowski/Brömmelmeyer § 181 VVG Rn. 8. BGH 11.12.1980 BGHZ 79 156, 159 = VersR 1981 245, 246.
Kent Leverenz
Mitwirkende Ursachen
§ 182
§ 182 Mitwirkende Ursachen Ist vereinbart, dass der Anspruch auf die versprochenen Leistungen entfällt oder sich mindert, wenn Krankheiten oder Gebrechen bei der durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt haben, so hat der Versicherer die Voraussetzungen des Wegfalles oder der Minderung des Anspruchs nachzuweisen.
Schrifttum Appl/Müller Rotatorenmanschettenruptur – Degeneration oder Unfallfolge, VersR 2000 427; R. Lehmann Kausalität und Mitwirkung aus versicherungsrechtlicher Sicht, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Ludolph Diskussion, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Rompe Kausalität und Mitwirkung aus ärztlicher Sicht, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Tändler/Schröter Besonderheiten der gutachtlichen Beurteilung für die private Unfallversicherung, MedSach 99 (2003) 115.
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . B. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . C. Vereinbarung zur Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen . . . . . . . . . . I. Krankheiten und Gebrechen . . . . . . . II. Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . .
. .
Rn.
1 2
1. Zusammentreffen unfallbedingter und unfallfremder Ursachen . . . . . . . . 2. Abgrenzung zwischen unfallbedingten und unfallfremden Ursachen . . . . . D. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . E. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . .
. 3 . 4 . 11
. 12 . 15 . 19 . 21
A. Einführung Die mit der VVG-Reform 2008 neu eingefügte Vorschrift des § 182 entspricht sowohl 1 vom Wortlaut als auch von der Begründung her den Empfehlungen der VVG-Expertenkommission in ihrem Abschlussbericht.1 Mit der neuen Vorschrift will der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, dass der VN typischerweise Schwierigkeiten dabei haben wird, das Mitwirken von vor dem Unfall bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei der unfallbedingten Gesundheitsschädigung und den Unfallfolgen sowohl dem Grunde als auch dem Umfang nach darzulegen und nachzuweisen. Es sei daher sachgerecht, diese Beweisführung dem (sachkundigeren) VR zu überlassen. In der praktischen Rechtsanwendung führen diese gesetzlichen Vorgaben zu keinen Änderungen bzw. Neuerungen; denn letztlich hat der Gesetzgeber (bewusst) nur die Beweislast i.d.S. festgeschrieben, wie sie schon bisher auf Grundlage der AUB (Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 16) allgemein anerkannt war (Rn. 19).2
1
Abschlussbericht S. 263 (Gesetzestext, dort noch § 174 VVG-E) und S. 403 (Begründung).
2
Begründung BReg zu § 182, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 108.
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§ 182
Kapitel 7: Unfallversicherung
B. Anwendungsbereich 2
§ 182 ist nicht entsprechend auf andere Tatbestände anzuwenden, die zu einer Verminderung der Versicherungsleistung führen.3 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, der sich nur auf Krankheiten oder Gebrechen bezieht. Indes wird bei anderen als den in § 182 angesprochenen Leistungsminderungen der VR nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast tragen. Dies gilt etwa für den Vorinvaliditätsabzug (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 272) oder Leistungsausschlüsse (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32).
C. Vereinbarung zu Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen 3
Die private Unfallversicherung dient dazu, einen wirtschaftlichen Ausgleich für Gesundheitsschädigungen oder deren Folgen zu schaffen, die ihre Ursache in einem Unfallereignis oder einem diesem gleichgestellten Ereignis (§ 178) haben. Um eine Abgrenzung zu unfallfremden Gesundheitsschädigungen herbeizuführen, die nicht in der privaten Unfallversicherung, sondern etwa der Krankenversicherung anzusiedeln sind, sehen die Vertragsparteien üblicherweise Leistungsminderungen vor, wenn Krankheiten oder Gebrechen bei der durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt haben. Zu nennen sind hier etwa Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94, §10 Nr. 1 AUB 61 und § 21 AKB. Diese Regelungen weisen Tatbestandsmerkmale auf, die nahezu wortgleich zu § 182 sind. Insofern können die zu den AUB durch Rechtsprechung und Literatur gewonnenen Auslegungsergebnisse auf § 182 übertragen werden.
I. Krankheiten und Gebrechen 4
Abnorme Reaktionen der versicherten Person können unterschiedliche Ursachen haben. Als Wirkungsfaktoren kommen Krankheitsbereitschaft, Krankheitspotential, Disposition, Konstitution, Alter, Anlage, Geschlecht u.v.m. in Betracht. Von diesen in der Versicherungsmedizin oft unter dem Begriff „Vorzustand“ zusammengefassten Umständen 4 können nach den AUB nur Krankheiten und Gebrechen, die nach objektiven Kriterien zu bestimmen sind, eine Leistungskürzung bewirken. Von ihnen abzugrenzen sind normale Alters-, Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen. Es gilt ein objektiver Maßstab. Subjektive Gesichtspunkte (z.B. Verschulden oder 5 Kenntnisse) haben für die Frage der Mitverursachung keine Bedeutung.5 Unerheblich für die Anwendung der Mitwirkungsregelung ist grundsätzlich, ob die Krankheiten oder Gebrechen • bereits bei Abschluss des Vertrages vorhanden waren oder erst später entstanden sind.6 • dem VR bei Abschluss des Vertrages bekannt waren oder später zur Kenntnis gelangt sind.7 Bei einer wahrheitswidrigen Beantwortung der Gesundheitsfragen kann allerdings eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zu prüfen sein.8
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Begründung BReg zu § 182, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 108. Perret S. 12 f.; Reichenbach S. 133. Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 5. OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 461, 462.
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7 8
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 5. Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 3.
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Mitwirkende Ursachen
§ 182
• bereits vor dem Unfall vorhanden waren. • bereits vor dem Unfall zu – objektiv oder subjektiv wahrnehmbaren – Beschwerden oder Funktionseinbußen geführt haben9 bzw. der VN oder die versicherte Person Kenntnis von dem krankhaften Zustand hatte oder sich krank fühlte.10 M.a.W. schließt eine völlige Beschwerdefreiheit der versicherten Person bis zum Unfall die Anwendung der Mitwirkungsregel nicht aus. Die sog. klinisch stummen Vorschädigungen sind vielmehr mit in die Leistungsprüfung einzubeziehen. Dies ist der versicherten Person oft nicht verständlich und nur schwer vermittelbar (s.a. Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 3).11 • unfallunabhängig nach dem Unfall aufgetreten sind.12 • ihrerseits auf Unfällen beruhen.13
Im letzteren Fall sind folgende Kausalketten denkbar: • Unfall 1 → Krankheit/Gebrechen → Vertragsschluss/materieller Versicherungsbeginn → Unfall 2 ➔ Leistungspflicht des VR für Unfall 2 gekürzt um die Krankheiten bzw. Gebrechen aus Unfall 114 • Vertragsschluss/materieller Versicherungsbeginn → Unfall 1 → Krankheit/Gebrechen → Unfall 2 ➔ Leistungspflicht des VR für Unfall 2 gekürzt um die Krankheiten bzw. Gebrechen aus Unfall 115
Die Leistungskürzung im zweiten Fall für Unfall 2 gilt auch dann, wenn der Unfall 1 zu keiner Entschädigung des VN geführt hat, etwa weil er die anspruchsbegründenden Fristen gemäß Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008 versäumt hat. Anderenfalls müsste der VR doch noch Leistungen für den Unfall 1 erbringen, obwohl er hierzu aufgrund der z.Z. der Regulierung des Erstunfalls bestehenden Vertragsverhältnisse nicht verpflichtet war.16 Beide Unfälle sind vielmehr grundsätzlich getrennt abzurechnen (§ 180 Rn. 30 ff.). Die Begriffe Krankheiten und Gebrechen lassen sich nicht scharf voneinander ab- 6 grenzen und schließen sich nicht gegenseitig aus.17 Folgende Definitionen haben sich etabliert:18 • Krankheit ist ein regelwidriger (in der Regel heilbarer) Körper- oder Geisteszustand von einer gewissen (eher vorübergehenden) zeitlichen Dauer,19 der eine ärztliche Behandlung erfordert. Die Krankheit ist nach objektiv medizinischen Gesichtspunkten, d.h. von einem Arzt zu bestimmen
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Lehmann/Ludolph 2 S. 85. OLG Düsseldorf 18.1.1994 VersR 1994 1218, 1219. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 100. Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 3; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 4. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 3; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 176. OLG Koblenz 26.5.2000 VersR 2001 1150 (LS). Näher BGH 8.7.2009 VersR 2009 1525, 1526 Rn. 16 ff. = NJW-RR 2010 39, 40 = RuS 2009 423 f. LG Flensburg 10.7.2007 RuS 2008 346; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 3; Kloth Rn. J 10. S. nur OLG Düsseldorf 18.1.1994 VersR 1994 1218, 1219; Schwintowski/Brömmelmeyer § 182 VVG Rn. 6; Kloth Rn. J 7; Perret S. 13. BGH 8.7.2009 VersR 2009 1525, 1526
19
Rn. 14 = NJW-RR 2010 39,40 = RuS 2009 423; OLG Braunschweig 15.3.1995 VersR 1995 823, 824; OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1694 = RuS 2010 29, 32; OLG Düsseldorf 3.6.2003 RuS 2005 300, 301; OLG Koblenz 20.10.2000 RuS 2001 348, 349; OLG Saarbrücken 28.12.2001 NVersZ 2002 216, 218; OLG Schleswig 12.1.1995 VersR 1995 825; Schwintowski/Brömmelmeyer § 182 VVG Rn. 4; Grimm4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 2; Hofmann S. 62; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 186; Kloth Rn. J 5 f.; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 4; Lehmann/Ludolph 2 S. 85; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 99; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 213; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 3; Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 4. S. bereits KG 3.11.1934 VA 1935 13, 15 Nr. 2762.
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§ 182
Kapitel 7: Unfallversicherung
(sog. objektiver Krankheitsbegriff).20 Unerheblich ist dabei, ob die versicherte Person Kenntnis von dem krankhaften Zustand hat oder sich subjektiv krank fühlt.21 • Gebrechen sind nach dem Sprachgebrauch dauernde abnorme Gesundheitszustände, die eine einwandfreie Ausübung der normalen Körperfunktionen (wenigstens teilweise) nicht mehr zulassen.22 Hierzu zählen etwa Taubheit und Blindheit.23
Krankheiten und Gebrechen können eine Vorinvalidität begründen, müssen es aber nicht (vgl. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 238).24 Von Krankheiten und Gebrechen sind bloße konstitutionelle Schwächen bzw. Körper7 dispositionen oder eine erhöhte Empfänglichkeit bzw. Veranlagung für gesundheitliche Störungen abzugrenzen.25 Insbesondere altersbedingte Veränderungen des Körpers, geringere Widerstandsfähigkeit als bei jüngeren Menschen oder normale Abnutzungs-, Verschleiß- oder Schwächeerscheinungen, die innerhalb der medizinischen Norm liegen, führen nicht zu einer Leistungskürzung.26 Von der Mitwirkungsregel sind m.a.W. nur Degenerationen i.S. eines Verschleißes erfasst, der außergewöhnlich ist und über die altersgerechten bzw. altersbedingten Veränderungen hinausgeht.27 Maßstab für den regelwidrigen Körperzustand ist damit der altersbedingte Normalzustand, nicht jedoch ein abstrakter Idealzustand.28 Die häufig anzutreffende Formulierung „altersbedingte Degenerationen“ ist deshalb in sich nicht stimmig und sollte nicht verwendet werden.29 Weiterhin handelt es sich bei sozialen Umständen nicht um Krankheiten oder Gebrechen. Trägt z.B. die berufliche Situation der versicherten Person neben unfallbedingten Depressionen zu ihrem Freitod bei, so kann keine Leistungskürzung erfolgen.30 Die Rechtsprechung hat Krankheiten oder Gebrechen i.S.d. von § 182 bzw. der AUB 8 u.a. in folgenden Fällen angenommen: • Arteriosklerose bzw. Arterien- oder Aderverkalkung, wenn sie das dem Alter entsprechend gewöhnliche Maß überschreitet;31 • chronischer Alkoholismus;32
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BGH 21.9.2005 VersR 2005 1673 = NJW 2005 3783 = RuS 2005 512, 513; BGH 17.12.1986 BGHZ 99 228, 230; LG Köln 5.10.1981 VersR 1983 388. S. nur OLG Köln 11.12.1936 VA 1936 291, 292 Nr. 2946; Manthey VersR 1995 825; Perret S. 13. RG 5.6.1934 VA 1934 224 Nr. 2722; OLG Hamm 25.1.2006 VersR 2006 1394, 1395; Hofmann S. 62. Ludolph S. 59, 61. Reichenbach S. 134. S. nur RG 5.6.1934 VA 1934 224 (Nr. 2722); RG 10.11.1911 VA 1912 A 27, 28 (Nr. 650); RG 13.11.1908 VA 1909 A 23, 24 (Nr. 435); OLG Braunschweig 15.3.1995 VersR 1995 823, 824; OLG Nürnberg 2.2.1995 RuS 1995 200; Schwintowski/Brömmelmeyer § 182 VVG Rn. 7; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 2 f. So u.a. OLG Hamm 25.1.2006 VersR 2006 1394, 1395; OLG Köln 11.4.1994 RuS 1996 202, 203; OLG Saarbrücken 3.12.1997
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VersR 1998 836, 837; OLG Schleswig 12.1.1995 VersR 1995 825; LG Essen 25.7.1991 ZfS 1992 238; LG Köln 19.6.1985 VersR 1986 84 (LS); s.a. bereits RG 24.3.1908 VA 1908 57, 58 Nr. 387. OLG Schleswig 30.6.1970 VersR 1970 1048; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 99. OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1694 = RuS 2010 29, 32; OLG Hamm 6.7.2001 VersR 2002 180 = RuS 2002 84, 85 = NVersZ 2002 18, 19; Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 4. Lehmann/Ludolph 2 S. 85. LG Dortmund 11.8.2005 NJW-RR 2005 320, 321. KG 3.11.1934 VA 1935 13, 15 Nr. 2762; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 3. S.a. OLG Düsseldorf 16.3.1954 VersR 1954 317, 318 und OLG Köln 11.12.1936 VA 1936 291, 292 (Nr. 2946). OLG Karlsruhe 15.1.1987 RuS 1987 326, 327.
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Mitwirkende Ursachen
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• • • • •
Bandscheibenschädigungen (Anh. § 178 Rn. 46 ff.); erhebliche Schlaffheit der Bauchdecke mit ausgedehnten Operationsnarben;33 Herzerkrankungen;34 latente Infektionen, die im Zusammenhang mit oder nach dem Unfall akut werden;35 behandlungsbedürftige Überempfindlichkeit (Hypersensibilisierung) gegen Insektengift. Es handelt sich um einen objektiv regelwidrigen Körperzustand.36 Dies zeigt z.B. der Fall, in dem eine versicherte Person auf einen Wespenstich mit einem anaphylaktischen Schock reagiert und einen tödlichen Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet. Eine „normal“ veranlagte versicherte Person stirbt nicht an einem Wespenstich, so dass ein Abzug von der Todesfallsumme selbst dann vorzunehmen ist, wenn der versicherten Person ihre allergische Reaktionsbereitschaft unbekannt war;37 • Kreuzbandriss.38
Keine zur Leistungskürzung berechtigende Krankheiten oder Gebrechen sind u.a.:
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• Falten im Gesicht.39 • altersbedingte Schwächung des Rotatorenmanschettenapparates.40 • von Geburt an dünne Schädeldecke oder Knochen, die schon bei einer geringen Gewalteinwirkung eine schwere Gesundheitsschädigung ermöglichen. Entsprechendes gilt für schwache innere Organe. Voraussetzung für die Nichtanwendung der Mitwirkungsregel ist indes, dass die Schwächung innerhalb der medizinischen Norm liegt.41 • Trainingsrückstand bei einem Sportler.42
Streitig ist, ob die Behandlung mit Marcumar einer Krankheit oder einem Gebrechen 10 gleichzusetzen ist.43 Einerseits verändert eine Blutverdünnung zur Behandlung oder Vorbeugung schwerwiegender Erkrankungen die Beschaffenheit des Blutes in einer Weise, die zu Risiken für die Gesundheit führt und geeignet ist, eventuelle Unfallfolgen erheblich zu verschlimmern. Andererseits wird der VN zwischen dem Vorliegen einer Krankheit und der Behandlung der Krankheit (Therapie) sowie der vorbeugenden Behandlung der Krankheit (Prophylaxe) unterscheiden.44
II. Mitwirkung Eine Mitwirkung i.S.v. § 182 (Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94) liegt vor, wenn 11 Krankheiten oder Gebrechen, die nicht unmittelbar oder mittelbar durch den Unfall neu
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KG 10.7.1937 VA 1937 192 f. Nr. 2999. OLG Düsseldorf 25.6.1963 VersR 1964 130, 131; OLG Hamm 25.9.1981 VersR 1982 946. OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774; OLG Saarbrücken 28.12.2001 NVersZ 2002 216, 218. OLG Braunschweig 15.3.1995 VersR 1995 823, 824 f.; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 2; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 3. Manthey VersR 1995 825; a.A. OLG Nürnberg 2.2.1995 RuS 1995 200 = VersR 1995 825 (LS). BGH 8.7.2009 VersR 2009 1525, 1526 Rn. 15 = NJW-RR 2010 39, 40 = RuS 2009 423.
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LG Köln 5.10.1981 VersR 1983 388. OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1694 = RuS 2010 29, 32; LG Essen 25.7.1991 ZfS 1992 238; s. aber auch LG Heidelberg 5.9.2008 RuS 2009 517, 519. Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 2; Wussow/ Pürckhauer 6 § 8 Rn. 4; ferner Kloth Rn. J 6. OLG Saarbrücken 28.12.2001 NVersZ 2002 216, 217 f. So OLG Koblenz 16.3.2007 VersR 2008 67, 69 = RuS 2008 303, 304; krit. Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 186; Kloth Rn. J 5 Fn. 8 (anders dagegen in Rn. K 76); van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 176. Schwintowski/Brömmelmeyer § 182 VVG Rn. 5.
Kent Leverenz
337
§ 182
Kapitel 7: Unfallversicherung
entstanden sind,45 zusammen mit dem Unfallereignis die Gesundheitsschädigung (Verletzung) oder deren Folgen verursacht haben und keine der beiden Ursachen das eingetretene Ereignis allein herbeigeführt hat.46 Erfasst sind damit nur folgende Kausalketten: • Ohne Krankheit oder Gebrechen hätte allein das Unfallereignis eine Gesundheitsschädigung nicht hervorgerufen: Unfallereignis → Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen → Gesundheitsschädigung → Unfallfolge ➔ Leistungskürzung. Beispiele: Achillessehnenruptur bei erheblichem Sehnenverschleiß, Meniskusschädigung bei vorbestehender Meniskusdegeneration oder Oberschenkelfraktur bei bestehendem Knochentumor.47 • Das Unfallereignis hat zwar allein eine Gesundheitsschädigung hervorgerufen, jedoch sind die Unfallfolgen (z.B. Invalidität, Dauer des Krankenhausaufenthalts) durch Hinzutreten einer Krankheit oder eines Gebrechens erheblich verschlimmert oder gar fast ausschließlich verursacht worden: Unfallereignis → Gesundheitsschädigung → Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen → Unfallfolge ➔ Leistungskürzung. Beispiele: Unterschenkelamputation oder Fußleiden nach geringfügiger Zehenverletzung bei Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)48 bzw. Tod nach leichter Brustkorbprellung bei schwerer Herzsuffizienz.49 • Die vorstehenden Kausalreihen sind miteinander kombiniert, weil Krankheiten oder Gebrechen sowohl bei der Gesundheitsschädigung als auch den Unfallfolgen mitwirken: Unfallereignis → Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen → Gesundheitsschädigung → Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen → Unfallfolge ➔ Leistungskürzung. Beispiel: Anormale Degeneration im Rissbereich der Sehne begünstigt die Verletzung; die insulinpflichtige Diabetes der versicherten Person führt zu Wundheilungsstörungen während des Heilverlaufs, so dass das Behandlungsergebnis unbefriedigend bleibt.50
Genauso wenig wie Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94 und § 10 Nr. 1 AUB 61 findet dagegen § 182 auf den Fall Anwendung, dass Krankheiten oder Gebrechen für den Eintritt des Versicherungsfalls bzw. des Unfalls (mit-)ursächlich geworden sind.51 Der Wortlaut dieser Bestimmungen lässt eine andere Interpretation nicht zu. Die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen wird dort mit der „Gesundheitsschädigung oder deren Folgen“, nicht aber mit der Unfallursache in Kontext gesetzt: Wirkung von Krankheiten oder Gebrechen → Unfallereignis → Gesundheitsschädigung → Unfallfolge ➔ Keine Leistungskürzung. Stürzt z.B. eine versicherte Person infolge ihrer Blindheit oder Gehbehinderung, so führt dies nicht zu einer Leistungsminderung.52 Denkbar ist in solchen Fällen indes das Vorliegen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung oder das Eingreifen von Ausschlusstatbeständen (etwa bei Alkohol- oder Drogenkonsum, Ziff. 5.11 AUB 99/2008).
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Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 7. OLG Saarbrücken 3.12.1997 VersR 1998 836, 837; OLG Schleswig 12.1.1995 VersR 1995 825; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 4; Hofmann S. 62; Kloth Rn. J 9; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 214; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 4. Lehmann/Ludolph 2 S. 83; Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 2. RG 24.3.1908 VA 1908 57, 58 Nr. 387. R. Lehmann S. 47, 52; Lehmann/Ludolph 2 S. 83; Reichenbach S. 136 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 3. Reichenbach S. 138.
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BGH 15.12.1999 VersR 2000 444, 445= RuS 2000 171, 172; BGH 19.12.1990 NJW-RR 1991 539, 540; BGH 7.6.1989 VersR 1989 902, 903; OLG Frankfurt 2.5.2001 VersR 2002 48, 49; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 6; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 3; R. Lehmann S. 47, 51; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 98; Ludolph S. 59 (mit Hinweis auf R. Lehmann); Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 214; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 2. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 184; Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 9.
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Mitwirkende Ursachen
§ 182
1. Zusammenwirken unfallbedingter und unfallfremder Ursachen Sowohl § 182 als auch Ziff. 3 AUB 99/2008 und § 8 AUB 88/94 unterscheiden expli- 12 zit zwischen der Mitwirkung am Eintritt der Verletzung (Gesundheitsschädigung) und der Mitwirkung an den Folgen eines Unfalls (Invalidität, Tod, Notwendigkeit des Krankenhausaufenthalts usw.). Dies ist insbesondere vom ärztlichen Gutachter zu beachten.53 Je nachdem an welcher Stelle in der Kausalkette die Mitwirkung zu verzeichnen ist, können sich unterschiedliche Rechtsfolgen entfalten: Hat nur ein Zusammenwirken unfallbedingter und unfallfremder Ursachen über- 13 haupt den Eintritt der Gesundheitsschädigung ermöglicht, so ist der VR nur für den Teil leistungspflichtig, der auf den von außen auf den Körper der versicherten Person wirkenden Teil zurückzuführen ist, vorausgesetzt, die Grenze für den bedingungsgemäß vorgesehenen unfallfremden Mitwirkungsteil (in der Regel 25 %) ist erreicht.54 Beispiele: • Für sämtliche Leistungsarten wie Invaliditätsleistung, Tagegeld, Krankenhaustagegeld usw. ist eine Kürzung um 50 % vorzunehmen, wenn eine (anormale) Meniskusdegeneration und eine äußere Einwirkung im Verhältnis von „50 : 50“ am Meniskusriss beteiligt sind.55 • Ist zwar der Krankheitserreger bereits latent im Körper der versicherten Person vorhanden, kommt jedoch die Krankheit erst (und ausschließlich) durch das Unfallereignis zum Ausbruch, so liegt keine Mitwirkung einer Krankheit vor.56
Während die Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen beim Eintritt der Verlet- 14 zung (vorbehaltlich speziellerer Regelungen) zur Kürzung bei allen Leistungsarten führt, ist dies bei einer Mitwirkung an den Unfallfolgen nicht zwingend der Fall. Vielmehr ist die Beurteilung abhängig von der jeweiligen Leistungsart. So kommt etwa in Betracht, dass Krankheiten oder Gebrechen (Diabetes bzw. Zuckerkrankheit) den stationären Aufenthalt verlängern, nicht aber zugleich das Ergebnis des Heilverfahrens und die Höhe des Invaliditätsgrades, beeinflussen. Umgekehrt können aber auch Krankheiten oder Gebrechen zur Kürzung der Invaliditätsleistung führen, während sie sich bei der Dauer der stationären Behandlung nicht auswirken. Entscheidend ist letztlich, ob sich die Mitwirkung an den Unfallfolgen auf die Leistungshöhe auswirkt. Beispiele: • Von einer zur Kürzung berechtigenden Mitwirkung kann von vornherein nicht gesprochen werden, wenn sich die versicherte Person infolge ihrer altersbedingten Konstitution während der durch den Unfall verursachten Liegezeit (neue) Krankheiten oder Gebrechen zuzieht, die an den Unfallfolgen mitwirken. Diese Folgen sind (ausschließlich) adäquate Folgen des Unfallereignisses.57 • War die versicherte Person z.B. statt 12 Monaten wegen mitwirkender Krankheiten oder Gebrechen 15 Monate arbeitsunfähig, so ist das Tagegeld (Ziff. 2.3 AUB 99/2008) nicht zu kürzen; die unfallfremden Ursachen wirken sich auf die Leistungshöhe nicht aus, da das Tagegeld längstens ein Jahr gezahlt wird.58 • Bei einer Brustwand- bzw. Thoraxhernie, d.h. einer Überdehnung der Muskulatur des Brustkorbes infolge eines Rippenbruchs, wirkt sich ein Übergewicht der versicherten Person nicht auf die Dauer des Heilungserfolges und damit das Krankenhaustagegeld aus.59 Anderes kommt für die Lungen- oder Bauchwandhernie in Betracht.
53 54 55 56 57
Reichenbach S. 136. Konen/Lehmann S. 49. Konen/Lehmann S. 49; Reichenbach S. 136. OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 3. LG Köln 19.6.1985 VersR 1986 84 (LS); zust.
58 59
OLG Frankfurt 2.5.2001 VersR 2002 48, 49; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 3; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 4. Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 9. OLG Koblenz 20.10.2000 RuS 2001 348 f.
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§ 182
Kapitel 7: Unfallversicherung
2. Abgrenzung zwischen unfallbedingten und unfallfremden Ursachen
15
Nur der auf das Unfallereignis zurückzuführende Anteil am Gesundheitsschaden und der Unfallfolge soll eine Leistungspflicht des VR auslösen und für die Bemessung der Leistung herangezogen werden. Unfallbedingte und unfallfremde Ursachen sind mithin – im Wege einer ex post Betrachtung 60 – so weit und so genau wie möglich voneinander abzugrenzen.61 Dabei ist unerheblich, ob ein Unfall einen Gesundheitsschaden bzw. eine Unfallfolge verursacht hat, den Gebrechen oder Krankheiten zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls verursacht hätten.62 Hypothetische Kausalität schadet der versicherten Person nicht (§ 178 Rn. 158 und § 180 Rn. 43). In der Praxis zeigt sich, dass sich die Schätzung und Beurteilung eines Sachverhalts durch verschiedene medizinische Sachverständige erheblich unterscheiden kann.63 16 Die Abgrenzung zwischen unfallbedingten und unfallfremden Ursachen kann nicht exakt erfolgen, sondern nur geschätzt werden.64 Die Angabe der jeweiligen Mitwirkungsanteile (sog. Partialkausalität) kann nur anhand eines größeren Maßstabes (mindest in 5 %-Schritten) 65 erfolgen. Feingliedrige Abgrenzungen täuschen eine wissenschaftlich nicht begründbare Genauigkeit der Schätzung vor. Es wird die Abgrenzung zwischen folgenden Mitwirkungsgraden empfohlen:66 • 0 bis 25%; sie bleiben i.E. außer Betracht, da die AUB (Ziff. 3 S. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94, § 10 AUB 61) geringgradige unfallfremde Mitwirkungsfaktoren mit einem Anteil von weniger als 25 % nicht berücksichtigen. • Geringgradige Mitwirkungsanteile von 25 bis 30 % (bzw. 33 %). • Mittelgradige Mitwirkungsanteile um 50 %. • Hohe Mitwirkungsanteile zwischen 75 bis 90 %. • Höchstgradige Mitwirkungsanteile von 95 bis 99 %.
Tragen der Unfall und die Vorschädigung vergleichbar zur Invalidität bei, kann der Anteil der Mitwirkung auf 50 % geschätzt werden.67 Möglich ist auch eine Minderung auf „0“. Voraussetzung hierfür ist, dass die Unfallfolgen allein auf den Krankheiten oder Gebrechen beruhen und der Unfall letztlich nur eine auswechselbare Gelegenheitsursache (s.a. § 178 Rn. 157) war.68 Es muss m.a.W. positiv feststehen, dass die versicherte Person ohne das Unfallereignis in gleicher Weise beeinträchtigt wäre.69 17 Bei der Abwägung unfallbedingter und unfallfremder Mitwirkungsanteile können einerseits die Art und Schwere des Unfalls (des Traumas bzw. der äußeren Einwirkung) und andererseits die Diagnose, der Befund, der Krankheitsverlauf und die Schwere des unfallunabhängigen Leidens herangezogen werden.70 Bedurfte es wegen der bei der versicherten Person zu verzeichnenden Krankheiten oder Gebrechen nur noch einer geringen Unfalleinwirkung, so entfällt auf die unfallfremde Ursache der überwiegende Anteil. Da-
60 61 62 63 64 65 66
Bruck/Möller/Wagner 8 Anm. G 89. Reichenbach S. 133. Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 4. S. den von Gaidzik S. 136 ff. untersuchten Testfall. Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115, 117; Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 8. Kloth Rn. J 9. Lehmann/Ludolph 2 S. 86; Perret S. 14; Reichenbach S. 134; Rompe S. 55, 57; ferner Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 4.
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67 68 69 70
OLG Hamm 25.1.2006 VersR 2006 1394, 1395. Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 7. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 3. R. Lehmann S. 47, 50; s.a. Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 4; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 100.
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Mitwirkende Ursachen
§ 182
gegen kommt dem Unfall die ausschlaggebende Bedeutung zu, je schwerer er auf den Körper einwirkt und geeignet ist, schwere Gesundheitsschäden zu bewirken.71 Weiterhin kann versucht werden, die Mitwirkungsanteile durch einen Vergleich der versicherten Person mit einem gesunden „Durchschnittsmenschen“ gleichen Alters und Geschlechts zu ermitteln (vgl. auch § 180 Rn. 13 ff.). Möglicherweise lässt sich bei der Bestimmung der Invaliditäts-, Tagegeld- oder Krankenhaustagegeldleistung in einem ersten Schritt anhand von Erfahrungswerten ermitteln, wie sich der Unfall auf die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit, die Arbeitsfähigkeit oder die Notwendigkeit einer stationären Behandlung bei der abstrakt gedachten Vergleichsperson ausgewirkt hätte. Sodann können die gewonnenen Werte in einem zweiten Schritt ins Verhältnis zu den tatsächlichen (konkreten) Auswirkungen des Unfalls bei der versicherten Person gesetzt werden.72 Die Kasuistik ist vielfältig; Beispiele: 18 • Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang Krankheiten oder Gebrechen an der Gesundheitsschädigung oder der Unfallfolge mitgewirkt haben, ist insbesondere dann schwierig, wenn es um degenerative Veränderung im Stütz- und Bewegungsapparat geht, die z.B. Sehnenzerreißungen, Bandscheibenschädigungen, Meniskusschäden hervorgerufen haben.73 • Bandscheibenschädigungen (insbesondere Bandscheibenvorfall): S. Anh. § 178 Rn. 49. • Der Anlageschaden ist bei der Rotatorenmanschettenruptur die Regel. Eine isolierte Schädigung ohne Begleitverletzung durch äußere Einwirkung stellt vielmehr nach medizinischen Erkenntnissen ebenso wie eine Rotatorenmanschettenschädigung infolge einer erhöhten Kraftanstrengung die seltene Ausnahme dar. Für eine unfallbedingte Ursache sprechen u.a. direkte Gewalteinwirkungen (Sturz gegen harte Gegenstände, Aufprall mit der Schulter auf den Boden usw.), „überfallartige Belastungen“ der muskulär gespannten Struktur (Verrenkungsmechanismus) oder Einblutungen.74 • Beim Tod der versicherten Person wird z.T. – bei Vereinbarung der AUB 61/88/94 (nicht dagegen auf Grundlage der AUB 99/2008, vgl. Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 8) – die Auffassung vertreten, dass sich die Mitursächlichkeit mehrerer Faktoren quantitativ nicht bestimmen lasse. Daraus werden unterschiedliche Schlüsse gezogen. Nach einer Ansicht kommt eine Kürzung der Todesfallleistung von vornherein nicht in Betracht.75 Nach einer anderen Meinung rechtfertigten das Unfallereignis und das Altleiden als gleichwertige Ursachen eine Kürzung der Todesfallentschädigung um 50 %.76 Die h.M. sieht dies – zutreffend – anders.77 Die Mitwirkung muss – soweit möglich – quantitativ bestimmt werden.78 Auch beim Tod der versicherten Person lassen sich unfallbedingte und unfallfremde Ursachen in der Regel durch einen erfahrenen Gutachter abgrenzen und in einem für die Praxis ausreichend sachgerechtem Maße einschätzen, ohne dass dies den Vorwurf der Willkür begründet.79 Dazu kann sich ein Vergleich zwischen der versicherten Person mit der vorzeitigen Sterbewahrscheinlichkeit eines gesunden Gleichaltrigen anbieten.80 Hat z.B. die versicherte Person vor dem Unfall als Gesunder eine (statistische) Lebenserwartung von noch 30 Jah-
71 72 73
74 75 76 77
OLG Düsseldorf 18.1.1994 VersR 1994 1218, 1219 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 8. Reichenbach S. 135; ferner Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 5; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 98. Näher Appl/Müller VersR 2000 427, 428 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Anm. G 89 und G 306 S. 477 f. OLG Frankfurt/M. 30.5.1990 VersR 1991 762, 763 = RuS 1992 103. Hofmann S. 62; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 32; R. Lehmann S. 47, 50
78
79 80
und 52; Stockmeier/Huppenbauer S. 34; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 79 und § 8 Rn. 8; offen lassend LG Dortmund 11.8.2005 NJW-RR 2005 320, 321; Grimm 4 1 AUB 99 Rn. 50 und Ziff. 3 AUB 99 Rn. 4. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 6; R. Lehmann S. 47, 52. Beispiele etwa bei OLG Düsseldorf 25.6.1963 VersR 1964 130, 131; OLG Karlsruhe 15.1.1987 RuS 1987 326, 327. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 79. Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 8.
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§ 182
Kapitel 7: Unfallversicherung
ren gehabt, hat sich diese Lebenserwartung aber aufgrund eines Herzleidens um 10 Jahre verringert, dann mindert sich die Todesfallleistung um 33 1/3 %; denn der Unfall hat das Leben der versicherten Person um (mutmaßlich) 20 Jahre von (voraussichtlich) 30 Jahren verkürzt.81
D. Rechtsfolgen 19
Grundsätzlich hat der VN die unfallbedingte Gesundheitsschädigung und ihre Folgen darzulegen und zu beweisen. Dazu reicht es indes aus, dass der VN geringste Mitursächlichkeit vorträgt und beweist (§ 178 Rn. 190). Will der VR eine Leistungskürzung vornehmen, weil er von einer Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen ausgeht, so trägt er hierfür nach der ausdrücklichen Regelung des § 182 die Beweislast. Eine Änderung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage ergibt sich durch diese – letztlich lediglich klarstellende – Neuregelung nicht (Rn. 1). Schon vor der VVG-Reform 2008 trug der VR nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen von Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94 bzw. § 10 Nr. 1 AUB 61.82 Der VR muss folgerichtig vortragen und im Streitfall ggf. beweisen, • dass überhaupt eine Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen vorliegt. • dass der ggf. zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Schwellenwert – typischerweise die 25 % Grenze (Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61) – erreicht und/oder überschritten ist, • in welchem Ausmaß bzw. in welchem Umfang eine Leistungskürzung bzw. -minderung konkret erfolgen soll.
Insbesondere muss der VR auch nachweisen, dass unfallunabhängige Verschleißerscheinungen, die der VR leistungskürzend berücksichtigen will, über das altersentsprechende Maß hinausgehen.83 Kann der Arzt lediglich eine Mitwirkung unfallfremder Ursachen, nicht jedoch ihren Umfang bestimmen, so ist der Beweis nicht geführt.84 Unklarheiten gehen zu Lasten des beweispflichtigen VR. Eine Leistungskürzung scheidet demnach aus, wenn nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellbar ist, dass der zwischen den Parteien vereinbarte Schwellenwert bzw. die 25 %-Grenze erreicht ist. So liegen etwa die Fälle, in denen der Gutachter für die Höhe der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen nur eine Bandbreite angeben kann und der untere Wert die 25 %Grenze nicht erreicht oder die Privat- und Gerichtsgutachter den Mitwirkungsanteil unterschiedlich zwischen 10 und 50 % schätzen 85 und eine weitere Aufklärung (z.B.
81 82
Beispiel nach Bruck/Möller/Wagner 8 Anm. G 306 S. 478. S. nur OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1694 = RuS 2010 29, 32; OLG Düsseldorf 15.6.2004 RuS 2005 168, 169 = NJWRR 2004 1613, 1614; OLG Düsseldorf 3.6.2003 RuS 2005 300, 301; OLG Frankfurt/M. 30.5.1990 VersR 1991 762, 763; OLG Hamm 10.5.2002 VersR 2002 1412, 1413; OLG Koblenz 20.10.2000 RuS 2001 348 f. = VersR 2002 473 (LS); OLG Köln 5.10.1989 RuS 1989 415, 416; OLG Saarbrücken 28.12.2001 VersR 2002 1096, 1097 = NVersZ 2001 216, 217; van Bühren/ Schubach4 Hdb. § 16 Rn. 175; ab-
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schwächend noch RG 28.2.1908 RGZ 68 67, 69. So etwa OLG Frankfurt/M. 20.6.2007 VersR 2008 248, 249; OLG Hamm 6.7.2001 VersR 2002 180 = RuS 2002 84, 85 = NVersZ 2002 18, 19; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 186; Lehmann/Ludolph 2 S. 85; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 6. OLG Hamburg 22.9.1937 VA 1937 241, 242 (Nr. 3032); ferner Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 7; Kloth Rn. J 11; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 101; Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 12. OLG Düsseldorf 21.8.2001 VersR 2002 883 (LS).
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Herbeiführung des Versicherungsfalles
§ 183
durch ein Obergutachten) nicht möglich ist. Ähnliches gilt, wenn zwar der Mindestwert von 25 % erreicht ist, die medizinische Bewertung aber Spielräume zulässt, die nicht weiter einzuengen sind. Bei einem Schätzungsrahmen ist die Minderung entsprechend der Beweislast eher an der unteren Grenze auszurichten.86 Der VR muss den Beweis dafür, dass überhaupt unfallunabhängige Faktoren mitge- 20 wirkt haben, nach den Strengbeweisregeln (§ 286 ZPO) führen.87 Die Behauptung, die versicherte Person sei bis zum Unfall völlig beschwerdefrei gewesen, steht einer Leistungskürzung nicht entgegen. Es gibt keinen dahingehenden Erfahrungssatz, dass wegen fehlender Beschwerden eine Vorschädigung ausgeschlossen bzw. für die versicherte Person ein Normalzustand zu attestieren sei.88 Die Höhe des Mitwirkungsanteils ist dagegen (ggf. mit sachverständiger Hilfe) gemäß § 287 ZPO zu schätzen.89 Die Gegenauffassung legt dagegen auch bei der Frage, in welchem Umfang eine Vorerkrankung (z.B. am Tod der versicherten Person) mitgewirkt hat, § 286 ZPO zugrunde.90 Aber auch dann setzt die Beweisführung nicht den Ausschluss letzter Zweifel, sondern lediglich ein für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit voraus.91
E. Speziellere AVB § 182 gehört nicht zu den halbzwingenden Vorschriften, die in § 191 aufgelistet sind. 21 Abweichende Vereinbarungen sind demnach möglich. Insbesondere die Grenzen des AGB-Rechts sind indes zu beachten.
§ 183 Herbeiführung des Versicherungsfalles (1) Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn im Falle des § 179 Abs. 2 der Versicherungsnehmer vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung den Versicherungsfall herbeiführt. (2) Ist ein Dritter als Bezugsberechtigter bezeichnet, so gilt die Bezeichnung als nicht erfolgt, wenn der Dritte vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung den Versicherungsfall herbeiführt.
Schrifttum Flore Zur Geltung der Schuld- oder Vorsatztheorie im Versicherungsrecht, VersR 1989 131; A. Fuchs Die Gefahrperson im Versicherungsrecht, Diss. Berlin (1973); Manthey Kann ein Versicherungsnehmer dem „Dritten“ im Sinne des § 181 Abs. 2 VVG im Wege der analogen Anwendung dieser Vorschrift gleichgestellt werden? VersR 1973 803.
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Knappmann NVersZ 2002 1, 4; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 6. OLG Koblenz 20.10.2000 RuS 2001 348, 349; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 7; Zopfs VersR 1993 140, 143. Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 2. OLG Düsseldorf VersR 1997 174, 175; OLG Düsseldorf 18.1.1994 VersR 1994 1218,
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1219; OLG Hamm 25.9.1981 VersR 1982 946; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 6; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 101. So offenbar OLG Düsseldorf 21.8.2001 VersR 2002 883 (LS). OLG München 15.5.1996 RuS 1996 465 (LS).
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§ 183
Kapitel 7: Unfallversicherung
Übersicht Rn. A. I. II. B. C.
Rn.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Zweck der Vorschrift . . . . . . . . . . . 2 Entwicklung der Vorschrift . . . . . . . . 3 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . 4 Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den VN einer Fremdversicherung für eigene Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
D. Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Bezugsberechtigten . . . . . . . . . . E. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . F. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . . G. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . .
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A. Einführung 1
§ 183 ist genauso wie seine Vorgängervorschrift in § 181 a.F. bewusst an die Rechtslage zur Lebensversicherung angelehnt.1 Inhaltlich entspricht § 183 (wie bereits § 181 a.F.) der Vorschrift in § 162 (§ 170 a.F.) zur Tötung der versicherten Person durch einen Leistungsberechtigten. §183 stellt eine Sonderregelung zu § 81 dar, der auf die Unfallversicherung nicht anzuwenden ist, und zwar unabhängig davon, ob die Unfallversicherung als Summen- oder Schadenversicherung betrieben wird.2
I. Zweck der Vorschrift 2
Ziel der Vorschrift ist es vor allem, Leben und körperliche Integrität der versicherten Person zu schützen.3 Personen, die die versicherte Person vorsätzlich und widerrechtlich geschädigt haben, sollen keine Versicherungsleistungen beanspruchen können. § 183 enthält deshalb Tatbestände, in denen die Anspruchsberechtigung bestimmter Personen als nicht schutzwürdig angesehen wird. Dem betroffenen VN bzw. Bezugsberechtigten wird konsequenterweise seine „an sich“ gegebene Rechtsposition aus Billigkeitserwägungen gesetzlich entzogen: • Ist zwischen VN und VR eine Unfallversicherung in der Art vereinbart, dass bei einem Unfall, der einem anderen zustößt, der Anspruch auf die Versicherungsleistung dem VN selbst zustehen soll (Unfallfremdversicherung für eigene Rechnung, § 179 Abs. 2), so darf der VN aus dem Versicherungsschutz selbstverständlich nicht profitieren, wenn er vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung den Versicherungsfall herbeiführt. Der VN, der selbst den Versicherungsfall herbeiführt, ist nicht schutzwürdig.4 Das Gesetz bestimmt daher in § 183 Abs. 1, dass in diesem Fall der VR von der Verpflichtung zur Leistung frei ist.5 Dadurch wird dem Missbrauch des Versicherungsverhältnisses zur Spekulation mit der Gesundheit und dem Leben eines anderen vorgebeugt.6 • Genauso wie der VN einer Fremdversicherung für eigene Rechnung sollen nach § 183 Abs. 2 auch einem als Bezugsberechtigten bezeichneten Dritten keine Ansprüche gegen den VR für den Fall erwachsen, dass er vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung den Unfall der versicherten Person herbeiführt. Die Rechtsposition des Bezugsberechtigten ist dann nicht schutzwürdig. Bei einer solchen Sachlage gilt die Bezeichnung des Dritten folgerichtig als nicht erfolgt. Die
1 2 3
Motive zu § 181 Abs. 2 a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 181 S. 723. Begründung RegE zu § 183, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006, S. 108. Schwintowski/Brömmelmeyer § 183 VVG Rn. 1.
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4 5 6
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 221. Motive, abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 181 S. 723. LG Berlin 13.11.1984 VersR 1986 282.
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Herbeiführung des Versicherungsfalles
§ 183
gesetzliche Fiktion bezweckt den Schutz der versicherten Person gegen Gefährdung durch den dritten Begünstigten.7
II. Entwicklung der Vorschrift § 181 Abs. 1 a.F. sah in der Ursprungsfassung vor, dass der VR nicht nur von der 3 Leistungsverpflichtung frei ist, wenn im Fall der Fremdversicherung für eigene Rechnung der VN den Unfall vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung herbeigeführt hat (§ 181 Abs. 1 S. 2 a.F.). Leistungsfreiheit war vielmehr darüber hinaus auch für den Fall normiert, dass der von dem Unfall Betroffene (die versicherte Person) den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat (§ 181 Abs. 1 S. 1 a.F.), wobei gleichgültig war, ob es sich um eine Versicherung gegen eigene Unfälle oder Unfälle Dritter, um eine Versicherung für eigene oder fremde Rechnung oder um die Bezeichnung eines dritten Bezugsberechtigten handelte.8 Die Beschränkung auf Vorsatz war im Rahmen der Vorarbeiten zur Schaffung des VVG von 1908 durchaus umstritten.9 Diskutiert wurde, ob in Anlehnung an den für die Schadenversicherung geltenden § 61 a.F. Leistungsfreiheit des VR auch bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch die versicherte Person vorzusehen sei. Der Gesetzgeber entschied sich letztlich gegen eine so weitgehende Einschränkung der Leistungspflicht des VR. Maßgebend war die Erwägung, dass das natürliche Interesse des Einzelnen an der Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit die Gewähr dafür bietet, dass er gegenüber der Gefahr eines Unfalls wenigstens die einfachsten Gebote der Vorsicht befolgen wird. Weiterhin wurde es als unbillig empfunden, den Unfallversicherungsschutz zu versagen, wenn ein Unfall gleichwohl durch grobe Fahrlässigkeit des Verletzten herbeigeführt worden war.10 Diese Ursprungsregelung in § 181 Abs. 1 S. 1 a.F. zur Leistungsfreiheit infolge vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls durch die versicherte Person wurde 1967 mit Einführung des § 180a a.F. (s. heute § 180 Abs. 2 S. 2) ersatzlos gestrichen. § 180a a.F. baute auf den herkömmlichen, nunmehr in § 179 Abs. 2 S. 1 übernommenen Unfallbegriff auf. Nach dessen Definition war der Sprachgebrauch des § 181 Abs. 1 S. 1 („Leistungsfreiheit bei vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls durch den Betroffenen“) überholt. Eine Gesundheitsschädigung, die sich die versicherte Person selbst beifügt, kann allenfalls als „scheinbarer Unfall“ bezeichnet werden.11 Freiwillige Verletzungen der versicherten Person lassen nicht erst Versicherungsansprüche entfallen, sondern stehen bereits ihrer Entstehung entgegen. Seit 1967 hat die Regelung zur Herbeiführung des Versicherungsfalls keine inhaltlichen Änderungen mehr erfahren. § 181 a.F. blieb in der Folgezeit unverändert. § 183 entspricht materiell-rechtlich dieser Norm. Der Gesetzgeber hat im Vergleich zu § 181 a.F. lediglich kleine redaktionelle Änderungen und Anpassungen vorgenommen.
B. Anwendungsbereich § 183 betrifft nach seinem Wortlaut nur das Verhalten durch den VN einer Unfall- 4 fremdversicherung für eigene Rechnung (Abs. 1) oder den Bezugsberechtigten, der nicht
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Gerhard/Hagen § 181 Anm. 2 S. 725; auch Motive zu § 170 a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 170 S. 679. Gerhard/Hagen § 181 Anm. 2 S. 725.
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Gerhard/Hagen § 181 Anm. 1 S. 724. Motive, abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 181 S. 723. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 221.
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§ 183
Kapitel 7: Unfallversicherung
zugleich VN oder versicherten Person ist (Abs. 2). Andere Fälle unterliegen nicht dem unmittelbaren Anwendungsbereich der Norm. Bei ihnen stellt sich vielmehr die Frage einer analogen Anwendung des § 183. Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den VN einer Fremdversicherung für 5 eigene Rechnung: § 183 Abs. 1 setzt ausdrücklich voraus, dass die Vertragsparteien eine Fremdversicherung für eigene Rechnung i.S.v. § 179 Abs. 2 vereinbart haben, also der VN – aufgrund einer schriftlichen Einwilligung der versicherten Person – materiell Berechtigter an der Versicherungsleistung ist. Erfasst sind von § 183 Abs. 1 weiterhin die Fremdversicherungen, auf die § 179 Abs. 2 entsprechende Anwendung findet (dazu § 179 Rn. 192 ff.).12 Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den VN einer Fremdversicherung für 6 fremde Rechnung: Nicht anwendbar ist § 183 Abs. 1 auf den Fall, dass VN und VR eine Unfallfremdversicherung für fremde Rechnung mit der Folge vereinbart haben, dass der VN zwar Verfügungsberechtigter, materiell-rechtlicher Inhaber des Versicherungsanspruchs aber die versicherte Person ist (vgl. § 179 Rn. 152 ff.). Führt bei einer solchen Sachverhaltskonstellation der VN den Versicherungsfall durch eine vorsätzlich widerrechtliche Handlung herbei, so stellt sich die Frage, ob der Versicherungsanspruch entfällt. Z.T. wird dies mit der Begründung bejaht, dass der VN nach allgemeinen Regeln eine Vertragsverletzung begehe.13 Die Gegenauffassung lässt dagegen den Versicherungsschutz fortbestehen.14 Materiell Berechtigter des Versicherungsanspruchs ist die versicherte Person; bei ihrem Tod fällt die Versicherungsleistung in ihren Nachlass.15 Der letzt genannten Ansicht ist aufgrund des eindeutigen Wortlautes von § 183 zu folgen. Die Voraussetzungen für eine Analogiebildung liegen nicht vor. Weder ist eine Gesetzeslücke eindeutig gegeben, noch ist es gerechtfertigt, die in § 183 explizit genannte Fremdversicherung für eigene Rechnung mit der Fremdversicherung für fremde Rechnung gleichzusetzen: • Für die Annahme, dass bei einer Fremdversicherung für fremde Rechnung die materiellen Rechte der versicherten Person nicht beschnitten werden, spricht der Umkehrschluss zu § 183. Der ausdrückliche Verweis in § 183 Abs. 1 auf § 179 Abs. 2 wäre sinnlos, wenn jeder Fall der Fremdversicherung erfasst sein soll. Dann hätte es nahe gelegen, etwa wie folgt zu formulieren: „Der VR ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn die Unfallversicherung für den Eintritt eines Unfalls eines anderen genommen wurde und der VN vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung den Versicherungsfall herbeiführt.“ Zwar kann argumentiert werden, dass § 183 nur zur größeren Sicherheit und Deutlichkeit den Fall der Fremdversicherung für eigene Rechnung hervorgehoben habe.16 Jedoch wird damit dem Gesetzgeber unterstellt, dass er unpräzise arbeitet. Dass § 183 Abs. 1 für die Fremdversicherung für eigene Rechnung eine allgemein für jede Fremdversicherung geltende Feststellung klarstellen wollte, wird weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesbegründungen deutlich. Der für die Fremdversicherung für fremde Rechnung nahe liegende Umkehrschluss ist weder bei der Neufassung der Vorschrift des § 181 a.F. im Jahr 1967 noch durch die VVG-Reform 2008 beseitigt worden. Allerdings ist einzuräumen, dass den Materialien auch nicht zwingend zu entnehmen ist, dass § 183 Abs. 1 als abschließende Entscheidung des Gesetzgebers zu verstehen ist. • Entscheidend ist deshalb, dass es im Fall einer Fremdversicherung für fremde Rechnung nicht zwingend geboten ist, den Versicherungsschutz zu versagen, wenn der Versicherungsfall durch den
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 181 Rn. 1. Gerhard/Hagen § 181 Anm. 2 S. 725; offenbar auch Römer/Langheid 2 § 181, der die Regelung generell auf alle Fälle bezieht, in denen ein Dritter versicherte Person ist. Schwintowski/Brömmelmeyer § 183 VVG
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Rn. 4; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 181 Rn. 1. Rüffer/Halbach/Schimikowski § 183 Rn. 1; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 221. Gerhard/Hagen § 181 Anm. 2 S. 725.
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Herbeiführung des Versicherungsfalles
§ 183
VN vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung herbeigeführt wird. Sollte die versicherte Person die Gesundheitsschädigung freiwillig erlitten haben, so ist bereits der Unfall zu verneinen (§ 179 Abs. 2). Hat der VN der versicherten Person gegen bzw. ohne ihren Willen die Verletzung beigefügt, so ist zunächst zu berücksichtigen, dass solche Fälle selten sein dürften; denn von der Versicherungsleistung profitiert bei der Unfallfremdversicherung für fremde Rechnung die versicherte Person und nicht der VN. Der VN kann also typischerweise kein Interesse an der Schädigung der versicherten Person haben. Des Weiteren ist es ein Unterschied, ob dem VN oder der versicherten Person die Versicherungsleistung versagt wird. Liegt eine Fremdversicherung für eigene Rechnung vor, so kann sich der VN aufgrund seines eigenen Verhaltens nicht beklagen, wenn er keine Leistungen vom VR erhält. Bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung ist die Interessenlage dagegen eine andere. Hier würde bei einer analogen Anwendung des § 183 nicht die Rechtsposition des unrechtmäßig Handelnden (VN), sondern die des „Opfers“ (der geschädigten versicherten Person) tangiert. Die versicherte Person wird typischerweise kein Verständnis dafür aufbringen, dass ihr der Versicherungsschutz entzogen wird. Hätte z.B. ein am Vertrag Unbeteiligter der versicherten Person eine Köperverletzung mit bleibenden Schäden zugefügt, so wären Versicherungsansprüche gegeben. Warum anderes gelten soll, wenn der VN die Körperverletzung begeht, liegt nicht ohne weiteres auf der Hand. Dies wird besonders augenfällig, wenn die versicherte Person auch Beitragszahler sein sollte.
Auch wenn sich der VR bei Fremdversicherungen für fremde Rechnungen nicht auf § 183 Abs. 1 stützen kann, ist er dem Verhalten des VN nicht „wehrlos“ ausgesetzt. Zum einen kommt es in Betracht, dass er den VN nach der Leistungsregulierung in Regress nimmt (vgl. auch Rn. 16). Zum anderen bleibt es dem VR unbenommen, bei Vertragsbegründung den Versicherungsschutz für alle Fälle der Fremdversicherung auszuschließen, in denen der VN den Versicherungsfall vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung herbeiführt. Herbeiführung durch den VN einer Eigenversicherung: Ist die versicherte Person selbst VN, so genießt sie bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalls durch sich selbst keinen Versicherungsschutz. Sie hat dann nicht i.S.d. § 178 Abs. 2 S. 1 (und den entsprechenden Definitionen in den AUB zum Unfallbegriff) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erlitten. Für eine analoge Anwendung des § 183 Abs. 1 besteht kein Bedürfnis. Herbeiführung des Versicherungsfalls durch die versicherte Person: Führt die versicherte Person einer Fremd- oder Eigenversicherung den Versicherungsfall vorsätzlich herbei, bedarf es keines Rückgriffs auf § 183 Abs. 1 oder 2. Die Gesundheitsschädigung ist dann nicht unfreiwillig i.S.v. § 178 Abs. 2 herbeigeführt, so dass der Unfallbegriff nicht erfüllt ist. Der VR ist leistungsfrei. Herbeiführung des Versicherungsfalls durch einen bezugsberechtigten Dritten: § 183 Abs. 2 betrifft nur den Fall der Bezeichnung eines Dritten als Bezugsberechtigtem. Dieser kann folglich nach dem Gesetzeswortlaut nicht identisch mit dem VN oder der versicherten Person sein. Unerheblich für die Anwendung des § 183 Abs. 2 ist es, ob eine Fremdversicherung für fremde bzw. eigene Rechnung oder eine Eigenversicherung vorliegt. Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den bezugsberechtigten VN: Einigkeit besteht darüber, dass § 183 Abs. 2 (analoge) Anwendung findet, wenn der VN einer Fremdversicherung für eigene oder fremde Rechnung zugleich Bezugsberechtigter ist.17 Die Bezugsberechtigung gilt damit auch dann als nicht angeordnet, wenn der bezugsbe17
Schwintowski/Brömmelmeyer § 183 VVG Rn. 7; Fuchs S. 93; Gerhard/Hagen § 170 Anm. 1 S. 680, 679; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 181 Rn. 3; Manthey VersR 1973
803 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 221, der die Frage der direkten oder analogen Anwendung offen lässt.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
rechtigte VN den Versicherungsfall vorsätzlich herbeiführt. Der Versicherungsanspruch steht der versicherten Person zu bzw. fällt in deren Nachlass.18 Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Rechtsnachfolger des VN: 11 • § 183 Abs. 1 ist vom Wortlaut unanwendbar, wenn der Rechtsnachfolger des VN einer Fremdversicherung für eigene Rechnung (z.B. ein Zessionar oder Pfandgläubiger) den Versicherungsfall vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt hat. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet aus.19 Zweifelhaft ist bereits, ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt; denn der Gesetzgeber hat bewusst „von einer besonderen Regelung der Frage“ abgesehen, „welchen Einfluss es auf den Anspruch aus der Versicherung hat, wenn der Todesfall von einem Berechtigten herbeigeführt wird, der nicht als Bezugsberechtigter von dem VN bezeichnet war, sondern seinen Anspruch auf einen anderen Rechtsgrund stützt.“20 Bedenklich ist weiterhin, ob eine erweiternde Anwendung des § 183 Abs. 1 sachlich gerechtfertigt ist. Zum einen ist die Analogiebildung entbehrlich, wenn es andere Instrumentarien geben sollte, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden. Dies ist – allerdings nur sehr eingeschränkt – der Fall. Bereits der Gesetzgeber zu § 170 a.F. verwies auf die Vorschriften über die Erbunwürdigkeit, wenn der Täter den Anspruch als Erbe oder als Vermächtnisnehmer erlangt. Im Übrigen sei der VR nicht gehindert, in den AVB zu bestimmen, dass die Rechte aus der Versicherung erlöschen, wenn der Todesfall durch den Berechtigten herbeigeführt werde. Beide Alternativen helfen allerdings dem VR in der Praxis nicht weiter. Die Vorschriften über die Erbunwürdigkeit (§§ 2339 ff. BGB) geben dem VR keinen Einwand.21 §§ 2339 Nr. 1, 2341 BGB reichen insofern nicht aus, als der VR keine Anfechtungsklage erheben kann.22 Eine besondere Abrede für weitere Fälle der vorsätzlichen und widerrechtlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls sehen die VR wegen der Seltenheit solcher Sachverhaltskonstellationen typischerweise nicht vor.23 Zum anderen muss die Analogiebildung zu einem angemessenen Interessenausgleich führen. Zwar ist der Rechtsnachfolger nicht schutzwürdig (s.a. § 162 Abs. 2 BGB), jedoch erscheint es nicht angemessen, den VR vollständig aus seiner Leistungspflicht zu entlassen. Die analoge Anwendung des § 183 Abs. 1 ginge zu weit, da dann trotz Beitragszahlung auch diejenigen keine Versicherungsleistung in Anspruch nehmen könnten, die an der Herbeiführung des Versicherungsfalls unbeteiligt sind und die Versicherungsleistung dem Vertragszweck entsprechend einsetzen wollen. Dem Schutzzweck der Norm – nämlich Vermeidung einer Gefährdung der versicherten Person (Rn. 2) – entspricht es, § 183 Abs. 2 analog mit der Folge anzuwenden, dass der Rechtserwerb des Dritten als nicht erfolgt gilt.24 Der VR ist dann gegenüber dem „Täter“ leistungsfrei, muss aber an den VN (bzw. dessen Erben, sofern diese nicht „Täter“ sind) die Versicherungsleistung erbringen. • Handelt es sich um eine Fremdversicherung für fremde Rechnung oder Eigenversicherung des VN ist § 183 Abs. 1 weder direkt noch analog anwendbar. Jedoch ist § 183 Abs. 2 nach seinem Schutzzweck dann heranzuziehen, wenn der „Täter“ als Rechtsnachfolger des VN von der Versicherungsleistung profitiert,25 weil er z.B. zugleich Bezugsberechtigter der Fremdversicherung für fremde Rechnung ist oder ihm im Fall einer Eigenversicherung die Leistungsansprüche des VN abgetreten bzw. verpfändet sind.
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Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Rechtsnachfolger der versicherten Person: • Handelt es sich um eine Eigenversicherung, gibt es keine Abweichung zur Fallgruppe „Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Rechtsnachfolger des VN“ (Rn. 11); denn VN und versicherte Person sind identisch. 18 19
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 221. I.E. auch Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 170 Rn. 4; a.A. Gerhard/Hagen § 170 Anm. 3 S. 681. Motive zu § 170 a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 170 S. 679. Gerhard/Hagen § 181 Anm. 3 S. 726. OLG Hamm 27.5.1987 VersR 1988 458, 460.
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So schon Gerhard/Hagen § 181 Anm. 3 S. 726. Fuchs S. 94; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 170 Rn. 4; Römer/Langheid 2 § 170 Rn. 2; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 147. I.E. auch RG 24.10.1933 VA 1933 412 Nr. 2630.
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Herbeiführung des Versicherungsfalles
§ 183
• Bei einer Fremdversicherung für eigene Rechnung des VN, findet § 183 Abs. 1 weder direkt noch analog Anwendung. Anderes gilt nur dann, wenn der Rechtsnachfolger der versicherten Person identisch ist mit dem VN (Rn. 5). § 183 Abs. 2 ist unanwendbar, es sei denn, der Rechtsnachfolger der versicherten Person ist zugleich Bezugsberechtigter (Rn. 9 f.). In allen anderen Fällen kann derjenige, der den Versicherungsfall vorsätzlich und widerrechtlich herbeiführt, mangels Aktivlegitimation nicht von seiner „Tat“ profitieren. • Führt im Fall einer Fremdversicherung für fremde Rechnung ein Erbe oder Vermächtnisnehmer oder sonstiger Rechtsnachfolger (z.B. Abtretungsgläubiger, Pfändungsgläubiger) der versicherten Person den Versicherungsfall vorsätzlich und widerrechtlich herbei, kann der VR seiner Leistungsverpflichtung aufgrund des Wortlauts des § 183 Abs. 1 und 2 zunächst wenig entgegen halten. In Betracht kommt aber eine analoge Anwendung. Die Analogiebildung gewährleistet zum einen den wünschenswerten Schutz der versicherten Person vor Manipulationen; sie beseitigt das wirtschaftliche Interesse des Rechtsnachfolgers, die versicherte Person zu schädigen. Zum anderen ist der Rechtsnachfolger nicht schutzwürdig. Indes erscheint es nicht angemessen, wenn der VR insgesamt analog § 183 Abs. 1 leistungsfrei würde.26 § 183 dient weniger dem Schutz des VR, sondern vornehmlich dem Schutz der versicherten Person, indem Anreize für die Herbeiführung des Versicherungsfalls verhindert werden (Rn. 2). Die Interessenlage ist daher eher mit der in § 183 Abs. 2 zugrunde gelegten vergleichbar. Folge der anlogen Anwendung des § 183 Abs. 2 ist, dass der zur Rechtsnachfolge führende Tatbestand so angesehen wird, als ob er nicht bestünde. Führt z.B. ein Miterbe der versicherten Person den tödlichen Unfall herbei, so können nur die übrigen Miterben die Versicherungsleistung beanspruchen. Hat ein Abtretungs- oder Pfändungsgläubiger der versicherten Person einer Fremdversicherung für fremde Rechnung den Versicherungsfall herbeigeführt, so steht der materielle Versicherungsanspruch der versicherten Person bzw. deren Nachlass zu.
Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Rechtsnachfolger des Bezugsberech- 13 tigten: Wenn der Rechtsnachfolger des Bezugsberechtigten den Versicherungsfall vorsätzlich und widerrechtlich herbeiführt, ist § 183 Abs. 2 analog mit der Folge anzuwenden, dass der Rechtserwerb als nicht erfolgt gilt. Der Bezugsberechtigte kann die Leistung so beanspruchen, als wäre der Rechtsübergang nicht erfolgt. So kann z.B. der Gläubiger eines unwiderruflich Bezugsberechtigten, der dessen Rechte gepfändet hat, keine Leistung beanspruchen, wenn er den Versicherungsfall herbeiführt hat. Vielmehr ist das Bezugsrecht so zu behandeln, wie es ohne die Pfändung bestünde.27
C. Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den VN einer Fremdversicherung für eigene Rechnung Der vorsätzlich durch widerrechtliche Handlung des VN herbeigeführte Versiche- 14 rungsfall führt gemäß § 183 Abs. 1 zur Leistungsfreiheit des VR. • Zunächst muss der Versicherungsfall i.S.v. § 178 (Ziff. 1 AUB 99/2008) eingetreten sein. • Die Herbeiführung des Versicherungsfalls erfordert ein entsprechend zielgerichtetes Verhalten, das in einem Tun oder Unterlassen bestehen kann.28 Mittäterschaft, Beihilfe oder Anstiftung genügen.29 • Vorsatz ist das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges. Eventualvorsatz reicht aus.30 Der Vorsatz muss sich auf den Versicherungsfall, d.h. den Unfall i.S.v. § 178 Abs. 2 S. 1 beziehen. Der
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I.E. auch Prölss/Martin/Knappmann 27 § 181 Rn. 2. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 170 Rn. 4; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 147. Fuchs S. 92.
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Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 170 Rn. 1; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 139. Schwintowski/Brömmelmeyer § 183 VVG Rn. 5.
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§ 183
Kapitel 7: Unfallversicherung
VN muss m.a.W. zumindest billigend in Kauf nehmen, dass die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Der Vorsatz muss dagegen nicht die Unfallfolgen (z.B. Invalidität oder Tod der versicherten Person) umfassen. Grobe oder einfache Fahrlässigkeit genügt nicht. Sollen solche Fälle erfasst werden, müssen entsprechende Regelungen zwischen den Vertragsparteien vereinbart werden. • Keine Widerrechtlichkeit liegt vor, wenn die Herbeiführung des Versicherungsfalls gerechtfertigt ist, weil z.B. der Tatbestand der Notwehr (§ 227 BGB), des Notstands oder der Selbsthilfe gegeben ist.31 • Keine Anwendung findet § 183 nach wohl h.M., wenn der VN nicht schuldfähig ist bzw. ein Schuldausschließungsgrund vorliegt.32 Die Schuldfähigkeit beurteilt sich nach allgemeinen Vorschriften (vgl. §§ 827, 828, 276 Abs. 1 S. 3 BGB).
D. Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Bezugsberechtigten 15
§ 183 Abs. 2 setzt tatbestandlich voraus, dass ein Bezugsrecht für einen Dritten bestellt worden ist (§ 185), der Versicherungsfall eingetreten ist (§ 178) und der Bezugsberechtigte den Versicherungsfall vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt hat (Rn. 14). Ist dies der Fall, so ändert § 183 Abs. 2 auf der Rechtsfolgenseite nichts an der Leistungspflicht des VR.33 Die Vorschrift führt aber dazu, dass der Bezugsberechtigte nicht Nutznießer seines Tuns werden kann: • § 183 Abs. 2 bestimmt, dass die Bezugsberechtigung als nicht erfolgt gilt. Im Wege einer Fiktion wird mithin die Bezugsrechtseinräumung quasi beseitigt. Der Begünstigte bzw. sein Rechtsnachfolger können keine Ansprüche gegen den VR geltend machen. • Anders als § 183 Abs. 1 führt § 183 Abs. 2 nicht dazu, dass der VR gegenüber dem VN einen Einwand ableiten kann, der den Versicherungsanspruch als solchen entfallen lässt.34 Der Verfall des Versicherungsanspruchs könnte nur durch eine besondere Abrede bedungen werden.35 Ohne vertragliche Regelung bleibt der Anspruch vielmehr für denjenigen bestehen, der ohne Einsetzung des Bezugsberechtigten Anspruchsinhaber wäre.36 Grundsätzlich gilt: Der Versicherungsanspruch steht materiell-rechtlich bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung bzw. Eigenversicherung der versicherten Person zu. Bei Tod der versicherten Person fällt die Versicherungsleistung in den Nachlass.37 Liegt eine Fremdversicherung für eigene Rechnung vor, so kann der VN die Versicherungsleistung beanspruchen.
E. Konkurrenzen 16
Wird der Versicherungsfall vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung herbeigeführt, sind Schadensersatzansprüche des VR gegen den „Täter“ denkbar. Zu denken ist
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Fuchs S. 93; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 170 Rn. 2; s.a. Gerhard/Hagen § 170 Anm. 1 S. 680. LG Berlin 13.11.1984 VersR 1986 282; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 170 Rn. 1; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 139; a.A. Flore VersR 1989 131, 132. Zumindest missverständlich OLG Düsseldorf 7.6.1984 VersR 1985 347 f. Offen lassend OLG Nürnberg 13.3.1931 VA 1931 32, 33 Nr. 2260.
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Gerhard/Hagen § 181 Anm. 3 S. 725. Römer/Langheid 2 § 170 Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 183 Rn. 2. OLG Hamm 27.5.1987 VersR 1988 458, 460; Schwintowski/Brömmelmeyer § 183 VVG Rn. 6; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 181 Rn. 3; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 221.
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Abwendung und Minderung des Schadens
§ 184
etwa an eine nebenvertragliche Pflichtverletzung oder unerlaubte Handlung.38 Wenn und soweit sich der VR auf § 183 berufen kann, wird es indes an einem kausalen Schaden fehlen. Weiterhin genügt Fahrlässigkeit nicht, da anderenfalls die vorrangigen Regelungen bzw. speziellen Wertungen in §§ 178 Abs. 2, 183 entwertet würden.
F. Speziellere AVB § 183 enthält dispositives Recht. Allerdings kann der Schutz der versicherten Person 17 nicht eingeschränkt werden: Einerseits steht § 191 abweichenden Vereinbarungen – auch zum Nachteil des VN – nicht entgegen. Der VR ist daher nicht gehindert, seiner Haftung für besonders schwere Fälle engere Grenzen zu ziehen.39 So kann er z.B. in seinen AVB bestimmen, dass die Rechte aus der Versicherung erlöschen, wenn der Todesfall durch einen Berechtigten, der nicht Bezugsberechtigter ist, herbeigeführt wird.40 Des Weiteren kann der VR auch seine Leistungsfreiheit auf Fälle leichteren Verschuldens wie grobe Fahrlässigkeit ausdehnen.41 Andererseits ist der Schutz der versicherten Person zwingend. Unzulässig wären Vereinbarungen, die dem VN oder Bezugsberechtigten Ansprüche bei einer vorsätzlichen Schädigung der versicherten Person einräumen. Solche Abreden wären sittenwidrig.42
G. Verfahrensfragen Zur Beweislastverteilung gelten keine Besonderheiten. Will der VR Leistungsfreiheit 18 geltend machen, muss er die Tatbestandsvoraussetzungen von § 183 Abs. 1 darlegen und beweisen.43 Die Beweislast für eine etwaige Unzurechnungsfähigkeit des Täters trägt der Anspruchsteller.44
§ 184 Abwendung und Minderung des Schadens Die §§ 82 und 83 sind auf die Unfallversicherung nicht anzuwenden. Übersicht Rn. A. Einführung B. Tatbestand
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Die Anwendung von § 826 zieht Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 148 m.w.N. in Betracht. Einen Anspruch aus culpa in contrahendo i.V.m. § 278 BGB verneint OLG Hamm 27.5.1987 VersR 1988 458, 460. Motive zu § 181 a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 181 S. 723. Motive zu § 170 a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 170 S. 679.
C. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . .
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Fuchs S. 94. Motive zu § 170 a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 170 S. 679; ferner Schwintowski/Brömmelmeyer § 183 VVG Rn. 9; Gerhard/Hagen § 170 Anm. 4 S. 681. Benkel/Hirschberg § 8 ALB Rn. 32; Schwintowski/Brömmelmeyer § 183 VVG Rn. 8. LG Berlin 13.11.1984 VersR 1986 282, 283.
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§ 184
Kapitel 7: Unfallversicherung
A. Einführung 1
§ 184 ersetzt die bisherige Regelung in § 183 a.F. Der Gesetzgeber ist damit den Empfehlungen im Abschlussbericht der VVG-Expertenkommission1 uneingeschränkt gefolgt. • Auf Grundlage des alten VVG bestand einerseits eine Rettungs- und Schadensminderungspflicht des VN und andererseits ein Anspruch des VN gegen den VR auf Erstattung der Rettungskosten nach §§ 62, 63 a.F., soweit die Unfallversicherung als Schadensversicherung betrieben wurde. § 183 S. 1 a.F. weitete als halbzwingende Vorschrift (lex specialis) die Rettungspflicht des VN auf die als Summenversicherung betriebene Unfallversicherung aus, ohne dabei in Anlehnung an § 63 a.F. eine Kostenerstattungspflicht des VR (zwingend) vorzusehen. Allerdings wurde die Rettungspflicht in § 183 a.F. ausdrücklich auf die Unfallfolgen beschränkt. Weiterhin durfte dem VN nichts Unbilliges zugemutet werden;2 abweichenden Vereinbarungen zum Nachteil des VN war insofern die Anerkennung entzogen (§ 183 S. 2 a.F.). Bei einer Verletzung des § 183 S. 1 a.F. konnte – vorbehaltlich speziellerer Vereinbarungen zwischen VN und VR – der Leistungsanspruch des VN nur durch aufrechenbare Schadensersatzansprüche des VR gemindert sein; denn für die Summenversicherung fehlte eine dem § 62 Abs. 2 a.F. entsprechende Regelung.3 • Nach der VVG-Reform 2008 verzichtet das Gesetz auf eine dem § 183 a.F. entsprechende Regelung. Darüber hinaus ordnet § 184 an, dass die §§ 82 und 83 n.F. nicht auf die Unfallversicherung anzuwenden sind. Dem Gesetzgeber erschienen die allgemeinen Vorschriften über die Rettungsobliegenheit für die Unfallversicherung nicht angemessen zu sein.4 Der Gesetzesbegründung ist indes nicht zu entnehmen, welche Gründe im Einzelnen zum Urteil der „fehlenden Angemessenheit“ geführt haben. Diese Annahme ist nicht selbstverständlich und auch nicht überzeugend; denn § 183 a.F. kann als Ausfluss eines allgemeinen, das gesamte Versicherungsrecht beherrschenden, für die Schadensversicherung in § 62 a.F. noch besonders ausgedrückten Gedankens beschrieben werden.5 Nach Eintritt eines Unfalls ist die Sachlage ähnlich wie nach Eintritt eines Schadensfalls.6
B. Tatbestand 2
§ 184 erfüllt zwei Funktionen: Zum einen kommt der Vorschrift eine lediglich klarstellende Bedeutung zu, sofern die Unfallversicherung nicht als Schadens-, sondern als Summenversicherung (Vorbem. § 178 Rn. 33 ff.) betrieben wird. Dann können die nur für Schadensversicherung geltenden §§ 82 und 83 ohnehin keine (unmittelbare) Anwendung auf die Unfallversicherung finden. Einer expliziten Regelung hätte es insofern nicht bedurft. Zum anderen ist der Vorschrift insofern ein eigener materieller Gehalt zuzumessen, als sie die Anwendung der §§ 82 und 83 auch auf die als Schadensversicherung betriebene Unfallversicherung ausschließt. Eine nähere Begründung für diese Entscheidung gibt der Gesetzgeber nicht.7
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Abschlussbericht S. 263 (§ 176 VVG-E) und 403 f. (Begründung). Zu den Hintergründen im Gesetzgebungsverfahren zu § 183 a.F. Gerhard/Hagen § 183 Anm. 2. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 183 Rn. 1.
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Begründung RegE zu § 184, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 108. Gerhard/Hagen § 183 Anm. 1. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5. Begründung RegE zu § 184, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 108.
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Bezugsberechtigung
§ 185
C. Speziellere AVB § 184 hindert den VR nicht, Obliegenheiten zur Verminderung der Unfallfolgen ver- 3 traglich zu vereinbaren; denn die Norm ist voll dispositiv (Umkehrschluss zu § 191). Bei der Klauselerstellung sind die allgemeinen zivilrechtlichen Grenzen (vornehmlich das AGB-Recht) zu beachten. Wie bisher auch (vgl. § 183 S. 1 a.F.: „soweit ihm nicht etwas Unbilliges zugemutet wird“) ist insbesondere der Rahmen der Zumutbarkeit einzuhalten.8 Insofern kann auf die zu § 254 Abs. 2 BGB entwickelten Regeln zurückgegriffen werden.9 Eine Kostenzusage des VR weitet den Bereich des Zumutbaren aus.10 Insgesamt ist ein angemessener Interessenausgleich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu finden. Das Interesse des VR, mit seinen Erfahrungen auf eine rasche und möglichst vollständige Beseitigung der Folgen des Unfalls hinzuwirken, ist mit den schützenswerten Interessen des Betroffenen und seiner Familie abzuwägen.11 Obliegenheiten, die nach einem Unfall zu beachten sind, enthalten alle AUB-Genera- 4 tionen (Ziff. 7.1 und 7.3 AUB 99/2008, § 9 Abs. 1 und 4 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 3 und 6a AUB 61). In ihnen wird die Rettungspflicht näher umschrieben, vom VN auf die versicherte Person und die Rechtsnachfolger ausgedehnt sowie als Obliegenheit ausgestaltet. Insofern ist auf die Kommentierung zu Ziff. 7 AUB 2008 zu verweisen. Die Regelungen in den bisherigen AUB zu den Folgen, die eine Nichtbeachtung von Obliegenheiten nach sich ziehen, können aufgrund der geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht beibehalten werden. Insbesondere die Regelungen zu grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen sind zu ändern (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 9 f.).
§ 185 Bezugsberechtigung Ist als Leistung des Versicherers die Zahlung eines Kapitals vereinbart, sind die §§ 159 und 160 entsprechend anzuwenden.
Schrifttum Finger Lebensversicherung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe und § 2077 BGB, VersR 1990 229; Glauber Widerruf der Bezugsberechtigung und § 130 Abs. 2 BGB – ein Scheinproblem, VersR 1993 938; Goll/Gilberg/Steinhaus Handbuch der Lebensversicherung, 11. Aufl. (1992); Hasse Das Valutaverhältnis bei der Todesfalllebensversicherung zugunsten Dritter, VersR 2009 41; ders. Zur „kondiktionsfesten“ Anspruchszuwendung bei der Todesfalllebensversicherung zugunsten Dritter durch eine sachgerechte Konstruktion des Valutaverhältnisses, VersR 2008 590; Heilmann Die Begünstigung in der Kapitallebensversicherung, VersR 1972 997; Helmers Sittenwidrige Begünstigungen in der Lebensversicherung, VersR 1967 1123; Liebl-Wachsmuth Das Schicksal der Ehegatten-Bezugsberechtigung gemäß § 166 VVG nach Ehescheidung, VersR 1983 1004; Reinicke Lebensversicherung und Nachlassgläubiger, NJW 1956 1053; A. Roth Probleme des postmortalen Zugangs von Willenserklärungen – Ein Beitrag zum Anwendungsbereich des § 130 II BGB, NJW 1992 791; Sieg Kritische Betrachtungen zum Recht der Zwangsvollstreckung in Lebensversiche-
8 9
Begründung RegE zu § 184, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 108. Römer/Langheid 2 § 183.
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 183 Rn. 2. Motive zu § 183 a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen § 183 S. 727.
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§ 185
Kapitel 7: Unfallversicherung
rungsforderungen, FS Klingmüller (1974) 447; Theda Das Bezugsrecht der Ehefrau in der Lebensversicherung, VW 1970 260; Völkel Bereicherungsanspruch gegen einen bezugsberechtigten Ehegatten aus einer Kapitallebensversicherung nach Scheidung und Tod des Versicherungsnehmers unter Berücksichtigung der Probleme des Widerrufs durch Testament und der Wirkung der §§ 12, 13 ALB 81, VersR 1982 539.
Übersicht Rn. A. B. C. I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . Vereinbarung einer Kapitalzahlung . . Bezugsrecht . . . . . . . . . . . . . . Rechtsverhältnis zwischen VN und VR 1. Entstehung des Bezugsrechts . . . . a) Allgemeine Voraussetzungen . . . aa) Erklärender . . . . . . . . . bb) Erklärungsempfänger . . . . cc) Inhalt der Erklärung . . . . . dd) Form der Erklärung . . . . . ee) Zeitpunkt der Erklärung . . . b) Zeitpunkt des Rechtserwerbs . . aa) Widerrufliches Bezugsrecht . bb) Unwiderrufliches Bezugsrecht 2. Widerruf des Bezugsrechts . . . . . a) Erklärender . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
Rn.
1 4 8 9 10 11 12 15 16 20 21 22 23 25 28 29
II. III.
IV. V. D. E.
b) Empfänger . . . . . . . . . . . . . . c) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . d) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nichterwerb des Bezugsrechts . . . . . Rechtsbeziehung zwischen VN und Bezugsberechtigtem . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbeziehung zwischen Bezugsberechtigtem und VR . . . . . . . . . . . . . . 1. Forderungsrecht des Bezugsberechtigten 2. Sonstige Rechte und Pflichten . . . . . . Rechtsbeziehung zwischen VN und sonstigen Dritten . . . . . . . . . . . . . Rechtsbeziehung zwischen Bezugsberechtigtem und sonstigen Dritten . . . . . . . Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . .
31 33 34 35 36 40 41 44 47 52 57 58
A. Einführung Der VN kann durch einen Vertrag zugunsten Dritter einem Dritten (dem sog. Bezugsberechtigten bzw. Begünstigten) gegenüber dem VR das Recht auf die Versicherungsleistung (Kapitalzahlung) einräumen. Bereits § 180 a.F. eröffnete dem VN in Anlehnung an die Vorschriften zur Lebensversicherung (§§ 166 bis 168 a.F.) eine solche Möglichkeit auch für die Unfallversicherung. Insoweit entsprechen sich die Interessen der Beteiligten in der Lebens- und Unfallversicherung, so dass der Gesetzgeber sich mit einer Verweisungsregelung begnügen konnte. Ziel war es, die Frage (dispositiv) zu regeln, in welchem Umfang der VN über das Recht aus dem Vertrag verfügen kann und welche Tragweite den von ihm in dieser Hinsicht getroffenen Bestimmungen zukommt.1 Eine Änderung der Rechtslage erfolgte durch die VVG-Reform 2008 nicht. § 185 übernimmt inhaltlich – bis auf kleine redaktionelle Umformulierungen – die Regelung in § 180 a.F. In der Praxis der Unfallversicherung haben die Vorschriften des VVG zur Bezugsbe2 rechtigung – anders als in der Lebensversicherung – keine große Bedeutung erlangt. Die Zahl der Gerichtsentscheidungen ist gering.2 Entsprechendes gilt für die Abtretung und Verpfändung des Versicherungsanspruchs durch den VN (Ziff. 12.3 AUB 2008 Rn. 17). Dies liegt daran, dass – anders als in der Lebensversicherung – Ansprüche des VN gegen den VR aus dem Unfallversicherungsvertrag und damit auch das (widerrufliche und unwiderrufliche) Bezugsrecht als Kreditsicherheit für einen Gläubiger des VN oder Bezugsberechtigten vor Eintritt des Versicherungsfalls ungeeignet sind.3 Konsequenter-
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Motive zu § 180 a.F., abgedruckt bei Gerhard/Hagen S. 720. Sieg FS Klingmüller, S. 447, 462 f.; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 60.
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S.a. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 13.
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Bezugsberechtigung
§ 185
weise hat auch das damalige BAV Bedenken geäußert, eine Unfallversicherung als Restkreditversicherung zu genehmigen.4 • Bei der allgemeinen Unfallversicherung handelt es sich um eine reine Risikoversicherung, bei der bis zum Eintritt des Versicherungsfalls ungewiss bleibt, ob überhaupt und ggf. in welcher Höhe ein Anspruch gegen den VR entstehen wird. Ein solches Vorsorgeinstrument ist nicht vergleichbar mit Handelsgütern (wie z.B. Wertgegenständen, Grundstücken oder schon vorhandenen bzw. sicher entstehenden Forderungen), die typischerweise einer Beleihung zugrunde liegen. • Ähnlichkeiten mit der Lebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall, die häufig als Kreditsicherheit dient, ergeben sich am ehesten bei der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr, wenn sich das Bezugsrecht auch auf die Prämienrückgewähr und den Rückkaufswert erstreckt.5
Das Bezugsrecht ist in der Unfallversicherung vornehmlich ein Instrument zur Versor- 3 gung von Angehörigen oder sonstigen Personen im Todesfall der versicherten Person. Darüber hinaus trägt die Einräumung eines Bezugsrechtes im Interesse aller Beteiligten zur einfacheren, schnellen, reibungslosen, richtigen und rechtssicheren Leistungsabwicklung durch den VR bei.6 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Bezugsberechtigte eindeutig und unmissverständlich bezeichnet ist.7 Der VR weiß, an wen er die Versicherungssumme (Todesfallleistung) berechtigt auszahlen darf. Er wird (z.B. bei Erbstreitigkeiten) nicht mit der Klärung von Rechtsfragen darüber belastet, wem die Summe i.E. gebührt.8
B. Vereinbarung einer Kapitalzahlung Die entsprechende Anwendbarkeit der §§ 159, 160 setzt voraus, dass die Parteien des 4 Unfallversicherungsvertrags die Zahlung eines Kapitals vereinbart haben. Kapitalzahlungen sind in der Unfallversicherung für zahlreiche Leistungsarten vorgesehen. Die Einräumung eines Bezugsrechts wird vor allem bei der Todesfallleistung praktisch 5 relevant.9 Die Möglichkeit, ein Bezugsrecht für Todesfallleistungen vorzusehen, sollte der VN (ggf. in Abstimmung mit der versicherten Person, Rn. 14) in Erwägung ziehen, um die Unfallversicherung zum Zwecke der Versorgung naher Angehöriger nutzbar zu machen; denn die vom VR aufgrund einer bestehenden Bezugsberechtigung gezahlte Leistung zählt selbst dann nicht zum Nachlass des VN,10 wenn einer der Erben oder die Erben (widerruflich oder unwiderruflich) bezugsberechtigt sind.11 • Der widerruflich berechtigte Dritte erwirbt das Recht – „mit“ und nicht „nach“ dem Tod 12 – unmittelbar und originär vom VN aus dem Vertrag.13 Er kann dann frei über den Versicherungs-
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GB BAV 1979 87 Nr. 816. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 26. OLG Bremen 11.11.1958 VersR 1959 689, 690. OLG Frankfurt/M. VersR 1997 1216 = RuS 1998 388. BGH 14.7.1993 VersR 1993 1219, 1220 = NJW 1993 3133, 3135. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 23. BGH 23.10.2003 VersR 2004 93, 94; BGH 8.5.1996 VersR 1996 877; RG 25.2.1930 RGZ 127 269, 271; s.a. BGH 18.10.1989 BGHZ 109 67, 72. OLG Köln 22.10.1974 VersR 1975 221, 223; Glauber VersR 1993 938, 939; Goll/Gilberg/
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Steinhaus S. 187; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 22; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 60; abw. Sieg FS Klingmüller, S. 447, 455 ff. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 166 Rn. 4 und § 13 ALB 86 Rn. 12. BGH 8.5.1954 BGHZ 13 227, 232; OLG Nürnberg 27.9.1968 VersR 1968 608; LG Bonn 5.5.1959 VersR 1960 265 (mit zustimmender Anm. von Krebs); Glauber VersR 1993 938, 939; Berliner Kommentar/ Schwintowski § 180 Rn. 6; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 24 und 43; krit., i.E. aber genauso Reinicke NJW 1956 1054 ff.
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§ 185
Kapitel 7: Unfallversicherung
anspruch verfügen.14 Er haftet weder den Nachlassgläubigern noch den Erben oder Pflichtteilsberechtigten auf Grund der ihm zufließenden Versicherungsleistung.15 • Beim unwiderruflichen Bezugsrecht geht das Recht auf die Versicherungsleistung sofort vom Vermögen des VN in das des unwiderruflich Begünstigten über (Rn. 26).
Ist dagegen keine Bezugsberechtigung vorgesehen oder im Zeitpunkt des Erbfalls außer Kraft gesetzt worden, so fällt bei der Unfallversicherung für den Todesfall die Versicherungsleistung in den Nachlass des VN (s.a. § 179 Rn. 44 f.),16 so dass z.B. die Leistung dem Zugriff der Erben des VN oder von etwaigen Nachlassgläubigern unterliegt.17 Weiterhin kommt die Einräumung einer Bezugsberechtigung bei der Unfallversiche6 rung mit Prämienrückgewähr nicht nur hinsichtlich der Unfallleistungen, die Kapitalzahlungen vorsehen, sondern insbesondere auch hinsichtlich des Anspruchs auf Rückgewähr der bezahlten Prämien bzw. den Rückkaufswert der Versicherung in Betracht.18 Dadurch kann die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr – ähnlich wie die kapitalbildende Lebensversicherung – als Kreditsicherheit dienen (Rn. 2). Der Wortlaut des § 185 erfasst nur die Kapitalzahlung. Die Vorschrift ist ihrem Rege7 lungszweck entsprechend auf Rentenleistungen anzuwenden. Auch § 166 Abs. 1 a.F., der nach seinem Wortlaut auf die Kapitalversicherung beschränkt war, wurde – nach umstrittener Ansicht – in der Vergangenheit für die Rentenversicherung herangezogen.19 Seine Nachfolgevorschrift (§ 159) ist inzwischen offener formuliert und erstreckt sich auf alle Lebensversicherungen.20 Warum anderes für die Unfallversicherung gelten soll, ist nicht ersichtlich. So kann z.B. der VN für den Fall seines unfallbedingten Todes ein Interesse daran haben, dass sein als Bezugsberechtigter eingesetzter Angehöriger die Todesfallleistung nicht in einer Summe, sondern in mehreren Beträgen ausgezahlt bekommt.
C. Bezugsrecht 8
Die Bezugsberechtigung bezieht sich auf die schuldrechtlichen Ansprüche des VN gegen den VR.21 Die Einräumung des Bezugsrechts ist als Abschluss eines Vertrags zugunsten Dritter zu werten, wobei die Regelungen in §§ 328 ff. BGB durch §§ 185, 159 modifiziert werden. In dem Dreiecksverhältnis zu unterscheiden sind die Rechtsbeziehung zwischen dem VN und VR aufgrund des Versicherungsvertrages – die „Zuwendung“ (sog. Deckungsverhältnis), die Rechtsbeziehung zwischen dem VN und dem Bezugsberechtigten – der „Rechtsgrund“ (sog. Valutaverhältnis) 22 – sowie die Rechtsbeziehung zwischen dem Bezugsberechtigten und dem VR (sog. Vollzugsverhältnis).23 Deckungs- und Valutaverhältnis sind rechtlich voneinander unabhängig.24 Eventuelle
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17
Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 11. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 28; eingehend Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 130 ff. BGH 8.2.1960 BGHZ 32 44, 48 = VersR 1960 339, 340; BAG 5.3.1981 VerBAV 1982 273, 274; OLG Hamburg 10.9.1957 VersR 1957 677, 678; OLG Hamm 29.1.1975 VersR 1976 142, 143; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 166 Rn. 9; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180 Rn. 1; Römer/Langheid 2 § 180. BGH 8.5.1996 VersR 1996 877, 878.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 23. Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 1; a.A. Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 4 und § 167 Rn. 4. Begründung RegE zu § 159 Abs. 1, BTDrucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 98. Näher Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 42. S.a. BGH 21.5.2008 VersR 2008 1054, 1055 Rn. 19 = NJW 2008 2702, 2703 = RuS 2008 384. S. etwa Hasse VersR 2008 590. Hasse VersR 2008 590, 599 f.
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Bezugsberechtigung
§ 185
Mängel des Valutaverhältnisses lassen das Deckungsverhältnis unberührt. Der VR kann deshalb an die im Deckungsverhältnis bezeichnete Person leisten, ohne sich Rückgriffsoder Schadensersatzansprüchen des VN bzw. seiner Erben auszusetzen. Im Regelfall ist der VR nicht gehalten, Rechtsfragen zu entscheiden, die das Rechtsverhältnis zwischen Bezugsberechtigten und Erben des VN betreffen und sich damit typischerweise einer Beurteilung durch den VR entziehen.25 Ergänzend ist noch auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem VN und sonstigen Dritten, die Auswirkungen auf das Bezugsrecht haben können, und die Rechtsbeziehungen zwischen dem Bezugsberechtigten und sonstigen Dritten hinzuweisen.
I. Rechtsverhältnis zwischen VN und VR Ausschließlich in dem Deckungsverhältnis zwischen VN und VR (dem Versicherungs- 9 vertrag) wird der Umfang und die rechtliche Ausgestaltung der Zuwendung an den Bezugsberechtigten vertraglich festgelegt. Im Zweifel hat der VN gegenüber dem VR gemäß §§ 185, 159 Abs. 1 ein einseitiges Bestimmungs- und Widerrufsrecht. 1. Entstehung des Bezugsrechts Die das Bezugsrecht begründende Erklärung ist nicht Bestandteil des Versicherungs- 10 vertrages, sondern hat selbständigen Charakter.26 Zwar hat die Unwirksamkeit des Versicherungsvertrages notwendiger Weise zur Folge, dass das Bezugsrecht hinfällig ist. Jedoch begründen etwaige Mängel oder eine Unwirksamkeit des Bezugsrechts nicht die Unwirksamkeit des Versicherungsvertrages. § 139 BGB greift nicht durch. Folgerichtig unterfallen auch Änderungsversuche des VR nicht der Billigungsklausel des § 5; die Vorschrift gilt nicht für ungültige, rechtsgestaltende Willenserklärungen des VN.27 a) Allgemeine Voraussetzungen. Während nach bürgerlichem Recht zur Begründung 11 eines Vertrages zugunsten Dritter eine vertragliche Einigung im Deckungsverhältnis zwischen den Hauptparteien des Vertrages notwendig ist (§ 328 Abs. 1 BGB), ermöglichen es §§ 185, 159 Abs. 1 dem VN, ohne Willensübereinstimmung mit dem VR durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem VR dem Dritten einen unmittelbaren Anspruch gegen den VR einzuräumen.28 Dem VN wird in Bezug auf den Versicherungsvertrag einseitige Rechtsmacht, d.h. ein Gestaltungsrecht mit Verfügungscharakter 29 gegenüber dem VR eröffnet.30 Zur Wirksamkeit der Bezugsberechtigung
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OLG Karlsruhe 20.3.1997 VersR 1998 219, 220 = RuS 1998 126, 127 (LS); OLG Köln 14.6.1993 VersR 1993 1133 f. = RuS 1993 318; Goll/Gilberg/Steinhaus S. 196. RG 23.2.1937 RGZ 154 99, 104 ff.; Heilmann VersR 1972 997, 999; Bruck/Möller/ Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 39. OLG Frankfurt/M. 31.3.1999 VersR 1999 1353, 1354 = RuS 2000 171 = NVersZ 1999 468, 469; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 166 Rn. 3 und § 13 ALB 86 Rn. 4; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 6.
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BGH 14.2.2007 VersR 2007 784 Rn. 9 = NJW-RR 2007 976; BGH 12.12.2001 VersR 2002 218, 219; BGH 8.6.1967 VersR 1967 795; OLG Hamm 29.1.1975 VersR 1976 142, 143; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 166 Rn. 3 und § 167 Rn. 1; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 24. S. etwa BGH 29.5.1984 BGHZ 91 288, 289. Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 11; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 4; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 61.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
bedarf es keiner Annahme- oder Bestätigungserklärung des VR.31 Auch muss der Begünstigte das Bezugsrecht nicht annehmen (Umkehrschluss zu § 333 BGB).32 Er braucht nicht einmal Kenntnis von dem Bezugsrecht zu haben.33
12
aa) Erklärender. Grundsätzlich ist ausschließlich der VN – bzw. sein Rechtsnachfolger oder sein Stellvertreter34 – als Vertragspartner des VR oder eine vom VN ausreichend legitimierte Person berechtigt, ein Bezugsrecht nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln einzuräumen, zu ändern oder dieses zu widerrufen. Die versicherte Person einer Fremdversicherung hat dagegen – bei Fehlen entsprechender vertraglicher Regelungen oder Legitimationen durch den VN – gegenüber dem VR keine Gestaltungsmacht. Allerdings ist ihre schriftliche Einwilligung notwendig. Überhaupt kein „Mitspracherecht“ bei der Begründung des Bezugsrechts haben selbstverständlich völlig unbeteiligte Dritte. Niemand kann ohne Mitwirkung des VN ein Bezugsrecht für sich gegenüber dem VR erwirken. Will der vom VN zum Bezugsberechtigten bestimmte Dritte das Recht nicht, greift § 333 BGB ein. Der VN muss rechts- und geschäftsfähig 35 sowie verfügungsbefugt sein. 13 • Ist der VN beschränkt geschäftsfähig, so bedarf er zur Benennung eines Bezugsberechtigten grundsätzlich der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters (§ 179 Rn. 18 ff.).36 Anderenfalls ist seine Erklärung unwirksam (§ 111 S. 1 BGB). Da die Einräumung des Bezugsrechts als selbständiger Rechtsakt ein einseitiges Rechtsgeschäft ist, können gesetzliche Vertreter sie an Stelle eines minderjährigen Kindes nur mit Genehmigung des Familiengerichts vornehmen (§§ 1831, 1643 Abs. 3, 1915 BGB). • Da der VN einem Dritten nicht mehr Rechte einräumen kann, als ihm selbst zustehen, ist der VN zur Bezeichnung eines Bezugsberechtigten nur befugt, wenn und soweit er seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag nicht abgetreten oder verpfändet hat. bzw. die Rechte gepfändet sind.37 So geht die Bestellung eines Bezugsrechts ins Leere, wenn und soweit eine Abtretung vorrangig zu beachten ist.38 Umgekehrt sind im Umfang der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung der Zessionar, Pfändungsgläubiger oder Vollstreckungsgläubiger berechtigt, ein Bezugsrecht einzuräumen, zu ändern oder zu widerrufen;39 denn das Bestimmungsrecht ist kein höchstpersönliches Recht.40 Entsprechendes gilt für den Insolvenzverwalter.41 Besonderheiten gelten bei einer Sicherungsabtretung (vgl. auch Rn. 48). Hier lässt sich vertreten, dass das Recht, ein Bezugsrecht zu begründen oder zu ändern, insoweit beim VN verblieben ist, als der Sicherungszweck unberührt bleibt.42 31
32 33 34
35 36 37
RG 23.2.1937 RGZ 154 99, 105 f.; OLG Bremen 11.11.1958 VersR 1959 689; OLG Frankfurt/M. 31.3.1999 VersR 1999 1353, 1354 = RuS 2000 171 = NVersZ 1999 468, 469; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 6; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 8; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 39 f. und 43 Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 7; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 43. Goll/Gilberg/Steinhaus S. 186; Bruck/ Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 44. So im Fall des OLG Stuttgart 29.5.1987 NJW-RR 1988 1180 (Bevollmächtigung der Ehefrau des VN). BGH 18.12.2002 VersR 2003 229, 230. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 41. Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 11.
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OLG Koblenz 1.2.2007 VersR 2007 1257, 1259 = RuS 2008 299, 300. OLG Hamm 6.1.1971 VersR 1971 246, 247; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 11; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 2. BGH 29.5.1984 BGHZ 91 288, 289; RG 25.2.1930 RGZ 127 269, 270 f.; Bruck/ Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 40. LG Stade 24.10.1953 VersR 1954 457; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 41. OLG Hamm 19.11.1996 VersR 1997 1386; OLG Köln 29.3.1990 VersR 1990 1338, 1339; Bayer VersR 1994 1053 f.; Römer/ Langheid 2 § 166 Rn. 18; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 29; offen lassend OLG Hamm 1.7.1994 VersR 1994 1053 („vertretbar“).
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Bezugsberechtigung
§ 185
Sowohl der VN als auch die versicherte Person können ein Interesse daran haben, den 14 Empfänger der Versicherungsleistung festzulegen. Für einen angemessenen Interessenausgleich sorgt hierbei § 179 Abs. 2. Die direkte bzw. entsprechende Anwendung dieser Vorschrift hat zur Folge, dass der VN ein Bezugsrecht nur bei der Eigenversicherung ohne spezialgesetzliche Einschränkung vorsehen kann. Liegt dagegen eine Fremdversicherung vor, so bedarf die Begründung der Bezugsberechtigung für den VN oder einen mit der versicherten Person nicht identischen Dritten stets der schriftlichen Einwilligung der versicherten Person (§ 179 Rn. 192 ff.).43 • Bei der Eigenversicherung ist der VN zugleich versicherte Person. Aufgrund der Personenidentität ist der VN konsequenterweise nicht nur Verfügungsberechtigter, sondern auch materiell-rechtlicher Inhaber des Versicherungsanspruchs. Er allein hat daher ein eigenes Interesse an der Festlegung, wer bei seinem unfallbedingten Tod versorgt und deshalb verfügungs- sowie anspruchsberechtigt sein soll. Folgerichtig kann der VN das Bezugsrecht an der Todesfallleistung bei Vertragsschluss oder während der Versicherungsdauer völlig frei einem Dritten – ganz oder teilweise – widerruflich oder unwiderruflich einräumen. • Bei der Fremdversicherung für eigene Rechnung ist der VN ebenfalls sowohl verfügungsbefugt als auch materiell Berechtigter des Versicherungsanspruchs (§ 179 Rn. 234 ff.). Da hier aber die Gesundheit und das Leben eines anderen Menschen (der versicherten Person) Gegenstand der Versicherung sind, empfiehlt sich eine Abstimmung zwischen VN und versicherter Person bei der Bestimmung, wer von einer etwaigen Unfall-Todesfallleistung profitieren soll. Einerseits ist zwar die versicherte Person in das Leistungsverhältnis zwischen VR und VN nicht direkt involviert. Andererseits ist jedoch die schriftliche Einwilligung der versicherten Person nach der Wertung des § 179 Abs. 2 zu allen wesentlichen Vertragsbestandteilen notwendig, damit sie nicht ohne ihr Wissen zum „Spekulationsobjekt“ werden kann. Ganz entscheidender Vertragsinhalt ist aber, wer beim unfallbedingten Tod der versicherten Person die Todesfallleistung beanspruchen und erhalten soll. Wird ohne Einwilligung der versicherten Person ein Bezugsrecht für den VN oder einen sonstigen Dritten vorgesehen, so droht die Nichtigkeit des Vertrages. • Bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung ist der VN Verfügungsberechtigter, während der versicherten Person die Versicherungsansprüche materiell-rechtlich zustehen. Hier wird vornehmlich die versicherte Person ein Bedürfnis an der Klärung der Frage haben, wer bei ihrem etwaigen Unfalltod die Todesfallleistung bekommen soll. Da der VN indes weiterhin Vertragspartner des VR und allein zur Ausübung der Rechte aus dem Vertrag befugt ist (§ 179 Rn. 143 ff.; s.a. z.B. Ziff. 12.1 S. 1 AUB 2008), ist eine aus Sicht der versicherten Person interessengerechte Festlegung des Bezugsberechtigten von der „richtigen“ Umsetzung des VN abhängig. Gegen den Willen der versicherten Person ist jedenfalls – auch nach Vertragsbegründung – die Einräumung eines Bezugsrechts für den VN oder einen Dritten ausgeschlossen. Um spätere Streitigkeiten darüber zu vermeiden, ob eine unwirksame Fremdversicherung für eigene Rechnung vorliegt, sollte sowohl die Einräumung als auch jede Änderung des Bezugsrechts durch den VN nur nach schriftlicher Einwilligung der versicherten Person erfolgen.
bb) Erklärungsempfänger. Die Erklärung des VN muss als empfangsbedürftige Wil- 15 lenserklärung i.S.d. § 130 BGB dem VR zugehen.44 Auch wenn der VR einseitiger Rechtsmacht des VN ausgesetzt ist (§ 159 Abs. 1), folgt daraus nicht, dass die Erklärung des VN ihm nicht auch zur Kenntnis gebracht werden braucht. Anderenfalls bestünde keine Rechtsklarheit sowie Rechtssicherheit.45 Streitig ist, ob die Begünstigungserklärung auch noch wirksam werden kann, wenn sie dem VR erst nach dem Tod des VN zu-
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Schwintowski/Brömmelmeyer § 185 VVG Rn. 5; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180 Rn. 2; Römer/Langheid 2 § 180.
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S. nur BGH 8.6.1967 VersR 1967 795 f. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 45 m.w.N.
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§ 185
Kapitel 7: Unfallversicherung
geht (§ 130 Abs. 2 BGB; s.a. Rn. 31).46 Im Übrigen sind die in den AUB enthaltenen (Soll-)Regelungen für Mitteilungen an den VR zu beachten (Ziff. 17.1 AUB 99/2008, § 13 Abs. 1 AUB 88/94).
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cc) Inhalt der Erklärung. Einzelheiten zum Bezugsrecht (z.B. zur Person des Berechtigten, zum Zeitpunkt der Entstehung, zur Dauer, zum Umfang des Rechts, zur Widerruflichkeit, zum Verhältnis zu Rechten anderer Personen) kann der VN beliebig bestimmen. Bestimmte Formulierungen sind nicht vorgeschrieben. So ist z.B. nicht die namentliche Bezeichnung des Bezugsberechtigten erforderlich, wenn der Dritte wenigstens z.B. aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zum VN bestimmbar ist. Entscheidend ist, dass sich der Wille des VN eindeutig ermitteln lässt und der VR bei Fälligkeit der Leistung feststellen kann, an wen welche Leistung zu erbringen ist.47 Gelingt es nicht, Zweifel am Inhalt der Erklärung des VN im Wege der Auslegung nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen bzw. mit Hilfe gesetzlicher Auslegungsregeln zu beseitigen, ist der VR berechtigt, seine geschuldete Leistung gemäß §§ 372 ff. BGB zu hinterlegen.48 Bei Zweifeln ist die Erklärung zur Benennung des Bezugsberechtigten vorrangig 17 gemäß §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auszulegen. Entscheidend für die Auslegung ist der Wille des VN z.Z. der Bezugsrechtsbestimmung, wie er gegenüber dem VR als Vertragspartner und Empfänger der Erklärung bei objektiver Betrachtung zum Ausdruck gekommen ist.49 Für die Ermittlung des objektiven Erklärungswerts der Bezugsrechtsbestimmung kommt es wesentlich auf den Wortlaut der Bezugsrechtsbenennung und darauf an, wie die Erklärung aus Sicht des verständigen VR unter Einbeziehung sämtlicher ihm bekannter Umstände des Einzelfalls zu verstehen ist.50 Nachträgliche Überlegungen oder Absichtserklärungen des VN bleiben außer Betracht, es sei denn, sie sind dem VR so mitgeteilt worden, dass der Inhalt einer etwaigen Bezugsrechtsänderung hinreichend deutlich wird.51 Unzulässig ist es, bei Fehlen hinreichender Anhaltspunkte eine Bezugsrechtsbenennung in den Versicherungsvertrag hinein zu interpretieren. So reicht es für die Begründung eines Bezugsrechts der Ehefrau und der Kinder nicht aus, wenn die Unfallkapitalversicherung als „Familienversicherung“ bezeichnet wird und diese in der Regel den Zweck verfolgt, den Angehörigen die Mittel zum Ausgleich der beim Tod des VN entstehenden Kosten zu verschaffen.52 Für die Beurteilung von Bezugsrecht enthalten zum einen §§ 328 ff. BGB gesetzliche 18 Auslegungsregeln. Zum anderen kommt der für die Lebensversicherung geltende § 160 über § 185 auch für die Unfallversicherung zur Anwendung. Die Vorschrift des § 160 entspricht inhaltlich §§ 167, 168 a.F. Die gesetzlichen Auslegungsregeln kommen erst dann zur Anwendung, wenn die Auslegung auf anderem Weg nicht möglich ist.53
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Ablehnend Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 57; bejahend Goll/Gilberg/Steinhaus S. 193 f. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 49. Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 13; Bruck/ Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 58. S. nur BGH 14.2.2007 VersR 2007 784, 785 Rn. 10 = NJW-RR 2007 976 = RuS 2007 332; BGH 8.6.2005 VersR 2005 1134, 1135; BGH 17.9.1975 VersR 1975 1020 = NJW 1976 290, 291; OLG Hamm 29.1.1975 VersR 1976 142, 143; OLG Karlsruhe
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20.3.1997 VersR 1998 219; LG Saarbrücken 30.4.1982 NJW 1983 180. BGH 1.4.1987 VersR 1987 659, 660 = NJW 1987 3131; OLG Frankfurt/M. 21.11.1996 VersR 1997 1216 = RuS 1998 388. OLG Frankfurt 12.10.1994 VersR 1996 358, 359 = RuS 1996 326, 327; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 1. OLG Hamburg 10.9.1957 VersR 1957 677, 678. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 58.
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Bezugsberechtigung
§ 185
• Mehrere Bezugsberechtigte: Dem VN steht aufgrund seines uneingeschränkten Verfügungsrechts die Möglichkeit offen, die Anteile an dem Bezugsrecht auf mehrere Personen – zu gleichen oder unterschiedlichen Teilen – beliebig zu verteilen. Trifft er zwischen mehreren Personen keine Anordnung, so sind sie im Zweifel zu gleichen Teilen bezugsberechtigt (§ 160 Abs. 1 S. 1, entspricht § 167 Abs. 1 Halbs. 1 a.F.). So liegt z.B. der Fall, in dem der VN „die Kinder“ als Bezugsberechtigte benennt.54 Dies gilt unabhängig davon, ob die Bestimmung gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgt ist bzw. der VN zunächst nur einen Bezugsberechtigten bestimmt und spätere weitere Berechtigte nachbenennt.55 Der von einem Bezugsberechtigten nicht erworbene Anteil wächst – bei Fehlen entgegenstehender Anordnungen des VN bzw. eindeutiger Auslegungsergebnisse – den übrigen Bezugsberechtigten zu (§ 160 Abs. 1 S. 2; entspricht § 167 Abs. 1 Halbs. 2 a.F.).56 • Erben als Bezugsberechtigte: Soll die Leistung des VR nach dem Tod des VN – ohne nähere Bestimmung – an dessen Erben erfolgen, sind im Zweifel diejenigen, welche z.Z. des Todes als Erben – im Wege der gewillkürten oder gesetzlichen Erbfolge – berufen sind, nach dem Verhältnis ihrer Erbteile bezugsberechtigt.57 Eine Ausschlagung der Erbschaft nach §§ 1942 ff. BGB hat auf die Berechtigung keinen Einfluss (§ 160 Abs. 2; entspricht § 167 Abs. 2 a.F.). Voraussetzung ist indes, dass die Erben auch tatsächlich als Bezugsberechtigte benannt worden sind.58 Die Erben erwerben dann durch ihr Bezugsrecht die Leistung direkt aus dem Versicherungsvertrag; sie fällt nicht in den Nachlass des VN (Rn. 5). Ist der Fiskus als Erbe berufen, steht ihm ein Bezugsrecht i.S.d. § 160 Abs. 2 S. 1 nicht zu (§ 160 Abs. 4; entspricht § 167 Abs. 3); denn der Wille des Erblassers ist in aller Regel nicht darauf gerichtet, das Bezugsrecht dem Fiskus zuzuwenden. Ist allerdings ein Bezugsrecht nicht vorgesehen und sind keine leiblichen Erben vorhanden, fällt der Anspruch auf die Leistung an den Fiskus als Erben.59 • Recht des VN auf die Versicherungsleistung: Wird das Recht auf die Leistung des VR von dem bezugsberechtigten Dritten nicht erworben (vgl. Rn. 35), steht es dem VN zu (§ 160 Abs. 3; entspricht § 168 a.F.). § 160 Abs. 3 findet nur Anwendung, wenn entweder nur ein Bezugsberechtigter vorhanden ist oder bei mehreren Berechtigten alle nicht erwerben (anderenfalls gilt § 160 Abs. 1 S. 2). Stirbt z.B. der als bezugsberechtigt bezeichnete Ehegatte der versicherten Person vor Eintritt des Versicherungsfalls, so geht das Bezugsrecht auf den VN über. Hat jedoch der VN bei der Bezugsrechtseinräumung den Ehegatten der versicherten Person ohne weitere individuelle Kennzeichnung angegeben, so lebt das Bezugsrecht nach dem Tod der ersten Ehefrau im Fall einer Wiederverheiratung zu Gunsten der neuen Ehefrau wieder auf.60
Die Rechtsprechung hat sich – vornehmlich zur Lebensversicherung – mit einer Viel- 19 zahl von Auslegungsfragen beschäftigt.61 Beispiele: • Setzt der VN die „Ehefrau“ bzw. den „Ehemann“ oder seinen „Ehegatten“ ohne weitere individuelle Kennzeichnung als Bezugsberechtigte ein, so hat der VR dies grundsätzlich so auszulegen, dass die bei Abschluss des Versicherungsvertrags mit dem VN verheiratete Ehefrau berechtigt sein soll.62 Entsprechendes gilt für die Erklärung des VN in einem Versicherungsantrag, im Fall seines Todes solle „der Ehegatte der versicherten Person“ Bezugsberechtigter der Versicherungsleistung sein. Die Auslegung ergibt regelmäßig, dass der zum Zeitpunkt der Festlegung des Bezugsrechts
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Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 47. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 42. Näher zur Auslegung OLG Saarbrücken 7.2.2007 NJW-RR 2008 47, 48 f. = RuS 2008 301 f. Einzelheiten etwa bei Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 60 ff. OLG Hamburg 10.9.1957 VersR 1957 677, 678 in Bestätigung zu LG Hamburg 5.8.1957 VersR 1957 677. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 44.
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OLG Frankfurt/M. 21.11.1996 VersR 1997 1216 f. = RuS 1998 388 f.; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 14. Übersicht etwa bei Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 167 Rn. 4; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 67 ff. OLG Frankfurt/M. 21.11.1996 VersR 1997 1216 = RuS 1998 388; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 13; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180 Rn. 4.
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§ 185
Kapitel 7: Unfallversicherung
verheirate Ehegatte auch im Fall einer späteren Scheidung der Ehe regelmäßig begünstigt sein soll.63 Die „schlichte“ Einsetzung des Ehegatten des VN als Bezugsberechtigten – mit oder ohne Namensangabe – ist regelmäßig nicht auflösend bedingt durch die Scheidung vor Eintritt des Versicherungsfalls.64 Notwendig ist, dass ein dahingehender Wille des VN auch erkennbar gegenüber dem VR zum Ausdruck gelangt. Zwar sieht § 2077 BGB vor, dass eine letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht hat, unwirksam ist, wenn die Ehe vor dem Tode des Erblassers aufgelöst worden ist. Jedoch wird von der h.M. eine analoge Anwendung auf den Fall der Bezugsrechtseinräumung für einen Ehegatten und damit auf Rechtsgeschäfte unter Lebenden – aus Gründen der Rechtssicherheit – abgelehnt.65 Dem ist sowohl für die Lebens- als auch die Unfallversicherung zuzustimmen.66 Unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters des § 2077 BGB ist bereits zweifelhaft, ob von einer Regelungslücke im Gesetz ausgegangen werden kann. Eine Analogie zu § 2077 BGB wäre aber auch nicht interessengerecht. Zum einen gibt es keine tatsächliche Vermutung dahingehend, dass der VN den Ehegatten nur für den Fall des Fortbestehens der Ehe begünstigt wissen will, zumal der VN im Zeitpunkt der Begünstigung in aller Regel nicht an eine etwaige spätere Scheidung denkt. Vielmehr ist es gerade nicht ausgeschlossen, dass der VN gegenüber seiner früheren Ehefrau weiterhin Versorgungsgedanken verfolgt. Zum anderen ist zum Schutze des Vertragspartners (des VR) auf den Wortlaut der Erklärung und darauf abzustellen, wie sie aus seiner (verständigen) Sicht zu verstehen ist. Würde der VR in Auslegungsfragen hineingezogen werden, die mit einer entsprechenden Anwendung des § 2077 BGB verbunden sind, so stünde dies (etwa durch den Zwang zur Hinterlegung) einer schnellen und reibungslosen Leistungsabwicklung entgegen. Es kommt grundsätzlich auch nicht darauf an, ob sich der VN nach der Scheidung wieder verheiratet hat oder z.Z. des Eintritts des Versicherungsfalls keine Ehe bestand. Der geschiedene Ehepartner kann folglich – bei Fehlen anders lautender Anhaltspunkte – die im Deckungsverhältnis zwischen VN und VR vereinbarte Leistung erlangen. Ausnahmsweise ist nach einer Scheidung der bei Eintritt des Versicherungsfalls mit dem VN verheiratete Ehepartner bezugsberechtigt, wenn sich im Auslegungswege (§§ 133, 157 BGB) für die Annahme einer auflösenden Bedingung i.S.v. § 158 Abs. 2 BGB konkrete Anhaltspunkte aus den Willenserklärungen des VN ergeben.67 So liegt z.B. der Fall, in dem der Arbeitgeber des VN für seine Arbeitnehmer eine Versicherung zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung abschließt und
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BGH 14.2.2007 VersR 2007 784, 785 Rn. 11 ff. = NJW-RR 2007 976 f. = RuS 2007 332 f. BGH 20.5.1992 BGHZ 118 242, 244 f.; BGH 1.4.1987 VersR 1987 659, 660 = NJW 1987 3131; BGH 29.1.1981 BGHZ 79 295, 298 = VersR 1981 326, 327 = NJW 1981 984, 985; BGH 17.9.1975 VersR 1975 1020 = NJW 1976 290 f.; OLG Bremen 11.11.1958 VersR 1959 689, 690 (mit zustimmender Anm. von Haidinger VersR 1959 691); OLG Frankfurt/M. 16.9.1971 VersR 1973 413 (LS); OLG Hamm 24.9.1980 VersR 1981 228, 229; OLG Hamm 29.1.1975 VersR 1976 142, 143; OLG Karlsruhe 20.3.1997 VersR 1998 219 = RuS 1998 126 (LS); OLG Köln 14.6.1993 VersR 1993 1133= RuS 1993 318; OLG Köln 17.2.1983 VersR 1983 1181, 1182. BGH 14.2.2007 VersR 2007 784, 785 Rn. 15; BGH 17.9.1975 VersR 1975 1020; OLG Bremen 11.11.1958 VersR 1959 689,
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690; OLG Hamm 24.9.1980 VersR 1981 228, 229; OLG Hamm 29.1.1975 VersR 1976 142, 143 f.; OLG Köln 14.6.1993 VersR 1993 1133 = RuS 1993 318; OLG Köln 17.2.1983 VersR 1983 1181, 1182; LG Saarbrücken 30.4.1982 NJW 1983 180, 181 (mit kritischer Anm. Liebl-Wachsmut VersR 1983 1004 ff.); Goll/Gilberg/ Steinhaus S. 188 f.; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 14; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 167 Rn. 4; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 24 und § 167 Rn. 3; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 21; Völkel VersR 1992 539, 540 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 62; a.A. mit eingehender Begründung Finger VersR 1990 229 ff.; auch Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 71; Theda VW 1970 260, 261. A.A. OLG Stuttgart 29.5.1987 NJW-RR 1988 1180. Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 22 und § 180 Rn. 4.
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Bezugsberechtigung
§ 185
in den Vertragsbestimmungen erkennbar vorgesehen ist, dass die bei Eintritt des Versicherungsfalls mit dem VN verheiratete Ehefrau unwiderruflich Bezugsberechtigte sein soll.68 • Die bereits mit der Bezeichnung „Ehefrau“ als begünstigt eingesetzte Verlobte gilt auch als Bezugsberechtigte, wenn bei einer Eigenversicherung der VN vor der Eheschließung stirbt. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der VN die Bezugsberechtigung bewusst und ausdrücklich an die aufschiebende Bedingung einer späteren Eheschließung geknüpft hat.69 • Bestimmt der VN als Bezugsberechtigte „meine Kinder“, so sind nicht nur die bei Vertragsschluss lebenden Kinder begünstigt. Vielmehr werden auch nachgeborene Kinder erfasst, und zwar auch dann, wenn die bei Vertragsschluss lebenden Kinder vor Eintritt des Versicherungsfalls sterben.70 Nennt der VN „Ehefrau oder Kinder“ als Bezugsberechtigte, so ist ein alleiniges Bezugsrecht für die Ehefrau anzunehmen. Erst mit ihrem Tod treten die Kinder an ihre Stelle als Bezugsberechtigte.71
dd) Form der Erklärung. Die Bestimmung des Bezugsberechtigten ist formfrei mög- 20 lich (z.B. mündlich durch Erklärung gegenüber dem Versicherungsvertreter), sofern VN und VR nicht etwas anderes (Schriftform) wirksam vereinbart haben. Für die Unfallversicherung ergab sich für die Zeit nach Vertragsschluss das Schriftlichkeitsgebot aus Ziff. 17.1 AUB 99 und § 13 Abs. 1 AUB 88/94. Es blieb indes dem VR überlassen, ob er sich auf Formverstöße berufen wollte.72 Inzwischen ist im Zuge der Umsetzung der VVG-Reform in den neuen AUB das Schriftformerfordernis entfallen (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 10). ee) Zeitpunkt der Erklärung. Der VN kann das Bezugsrecht bis zum Eintritt des Ver- 21 sicherungsfalls jederzeit bei Vertragsabschluss oder während der Vertragslaufzeit begründen.73 Häufig sehen bereits die Antragsformulare des VR entsprechende Verfügungsmöglichkeiten für den VN vor. Der VN kann aber auch später noch Anordnungen gegenüber dem VR treffen. Entscheidend ist, dass die Begünstigungserklärung dem VR vor dem Versicherungsfall zugeht.74 b) Zeitpunkt des Rechtserwerbs. Der Zeitpunkt des Rechtserwerbs bzw. die Stärke 22 der Rechtsposition des Dritten ist davon abhängig, ob ein widerrufliches oder unwiderrufliches Bezugsrecht vorgesehen wird. Über die – normalerweise gegebene – Widerruflichkeit des Bezugsrechts entscheidet nur der Wille des VN, der gemäß § 328 Abs. 2 BGB zu ermitteln ist.75 Zu berücksichtigen sind die gewählten Formulierungen, der Sinn und Zweck des Versicherungsvertrags76 und die sonstigen (für den VR) erkennbaren Umstände im Zeitpunkt der Bestimmung. Im Zweifel wird ein widerrufliches Bezugsrecht anzunehmen sein (s.a. § 159 Abs. 1 bzw. § 166 Abs. 1: „sowie an die Stelle des so bezeichneten Dritten einen anderen zu setzen“).
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BGH 29.1.1981 BGHZ 79 295, 298 ff. = VersR 1981 326, 327 = NJW 1981 984, 985. LG Bremen 19.1.1962 VersR 1962 413. OLG Frankfurt/M. VersR 1997 1216 = RuS 1998 388. Zur Auslegung der Bezugsrechtsbestimmung „die ehelichen und die ihnen gleichgestellten Kinder“ OLG Hamm 18.3.1983 VersR 1983 1181 (LS) = NJW 1983 1567 (LS).
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LG Saarbrücken 30.4.1982 NJW 1983 180 = VersR 1983 361 (LS). BGH 8.6.1967 VersR 1967 795, 796. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 25 Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 57. Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 11. KG 10.2.2006 RuS 2007 254.
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§ 185 23
Kapitel 7: Unfallversicherung
aa) Widerrufliches Bezugsrecht. Der Eintritt des Versicherungsfalls ist für die rechtliche Position des widerruflich Begünstigten entscheidend: • Vor Eintritt des Versicherungsfalls steht der Versicherungsvertrag voll zur Disposition des VN. Der als bezugsberechtigt Bezeichnete hat – ähnlich dem Erben oder dem Vermächtnisnehmer vor Eintritt des Erbfalls – folglich nur eine schwache Rechtsposition inne. Er hat kein Recht gegenüber dem VR (Anspruch aus dem Versicherungsvertrag oder sonstige gesicherte Rechtsposition), sondern lediglich eine „ungesicherte Hoffnung“ bzw. „mehr oder weniger starke tatsächliche Erwerbsaussicht“ auf die später einmal fällig werdende Leistung.77 Sein Recht kann als „ziemlich schwache“,78 „wesenslose“ 79 bzw. „zerbrechliche“ Anwartschaft auf die Versicherungssumme bezeichnet werden.80 Sie ist für den Bezugsberechtigten (noch) nicht wirtschaftlich verwertbar. Das Bezugsrecht ist weder vererblich noch verfügbar, kann – als Vollrecht – weder abgetreten, gepfändet noch verpfändet werden (s.a. Rn. 52 ff.).81 Das Bezugsrecht erlischt, wenn der Bezugsberechtigte vor dem Eintritt des Versicherungsfalls stirbt und wächst entweder anderen Bezugsberechtigten zu (§ 160 Abs. 1 S. 2) oder fällt an den VN zurück (§ 160 Abs. 3); es geht nicht auf die Rechtsnachfolger des Bezugsberechtigten über. • § 159 Abs. 2 sieht – vorbehaltlich abweichender Bestimmungen des VN – vor, dass ein widerruflich Bezugsberechtigter das Recht auf die Versicherungsleistung erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalls erwirbt. Zu diesem Zeitpunkt erstarkt die schwache Anwartschaft zum Vollrecht.82 Der Bezugsberechtigte kann nun über den Anspruch verfügen und ihn ggf. gegenüber dem VR einklagen.83 Der Anspruch auf die Versicherungsleistung spaltet sich aus dem Vermögen des VN ab und wächst dem Bezugsberechtigten endgültig und unwiderruflich zu.84 Er fällt nicht in den Nachlass des VN (Rn. 5). • Aus dem Wort „Versicherungsfall“ in § 159 Abs. 2 lässt sich ableiten, dass der Bezugsberechte den Anspruch auf die Todesfallleistung bereits mit dem Unfall i.S.v. § 178 Abs. 2 S. 1 – dem Unfallzeitpunkt – erwirbt. Nach anderer (zutreffender) Auffassung ist indes auf den Eintritt der konkreten Unfallfolge (z.B. Todeszeitpunkt) und nicht auf den eventuell früher eingetretenen Unfall abzustellen.85 Für sie spricht die in § 331 Abs. 1 BGB getroffene Wertung („… erwirbt der Dritte das Recht auf die Leistung im Zweifel mit dem Tod des Versprechensempfängers“).
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Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls stehen die Vertragsrechte (z.B. Anfechtungsoder Kündigungsrecht) und -pflichten (z.B. zur Prämienzahlung, Erfüllung von Obliegenheiten) ausschließlich dem VN zu.86 Er kann weiterhin über die einzelnen Rechte z.B. durch Abtretung und Verpfändung disponieren und bleibt empfangszuständig für alle Erklärungen des VR.87 Auch mit Eintritt des Versicherungsfalls bleibt die Rechts-
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BGH 23.10.2003 VersR 2004 93, 94; BGH 4.3.1999 VersR 1993 689, 690; OLG Koblenz 1.2.2007 VersR 2007 1257, 1258 und 1259; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 166 Rn. 4; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 10; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 18. So etwa OLG Frankfurt 21.9.1983 VersR 1984 755. So z.B. Heilmann VersR 1972 997, 1000. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 99; ferner etwa Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 61. Goll/Gilberg/Steinhaus S. 195; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 11; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 11; Bruck/ Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 32 und H 100 ff.
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BGH 24.2.1999 VersR 1999 700, 702 = NVersZ 1999 365, 366 = RuS 1999 257; Goll/Gilberg/Steinhaus S. 196; Bruck/Möller/ Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 110. BGH 25.6.1986 VersR 1986 803, 804. Glauber VersR 1993 938, 940; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 12. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 180 Rn. 1; Berliner Kommentar/Schwintowski § 180 Rn. 3; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 27; ferner Schwintowski/Brömmelmeyer § 185 VVG Rn. 4. BGH 4.3.1999 VersR 1993 689, 690; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 18. Heilmann VersR 1972 997, 999 und 1000; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 10; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 33.
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Bezugsberechtigung
§ 185
position des VN (bzw. seiner Rechtsnachfolger) weitestgehend unverändert. Er bleibt weiterhin Träger aller Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag. Indes kann er Leistung nur noch an den Bezugsberechtigten fordern (§ 335 BGB). Ein Widerruf des Bezugsrechts ist nicht mehr möglich. bb) Unwiderrufliches Bezugsrecht. Das unwiderrufliche Bezugsrecht kann – ebenso 25 wie das widerrufliche Bezugsrecht – • gegenüber dem VR oder dem Bezugsberechtigten angeordnet werden. Nur im ersten Fall entfaltet es allerdings dingliche Wirkung. Ist dagegen das unwiderrufliche Bezugsrecht nur im Verhältnis zwischen dem VN und dem Bezugsberechtigten vereinbart, so hat es nur schuldrechtliche Natur und löst Rechte und Pflichten auch nur innerhalb des Valutaverhältnisses, nicht aber im Rechtsverhältnis gegenüber dem VR aus.88 • bereits bei Vertragsschluss oder später eingeräumt werden. • ausdrücklich oder konkludent angeordnet werden. So kann der Verzicht auf das Recht zum Widerruf einer einfachen Bezugsberechtigung ausreichen.89
Nach §§ 185, 159 Abs. 3 erwirbt – soweit nicht etwas anderes vereinbart ist (vgl. 26 § 171) – ein unwiderruflich als bezugsberechtigt bezeichneter Dritter das Recht auf die Leistung des VR bereits mit der Bezeichnung als Bezugsberechtigter (mit dinglicher Wirkung).90 Ein Widerruf oder eine Änderung ist ohne Zustimmung des Bezugsberechtigten nicht mehr möglich. Das Recht ist sofort vererblich, verfügbar (durch Abtretung und Verpfändung) und für Vollstreckungsgläubiger des Bezugsberechtigten pfändbar (s.a. Rn. 52 ff.).91 Der sofortige Rechtserwerb war in § 166 Abs. 2 a.F. ebenso wenig wie in § 331 Abs. 1 BGB explizit vorgesehen, entspricht aber dem schon bisher üblichen Verständnis in der Lebensversicherung;92 denn ein Recht, das dem Berechtigten nicht mehr entzogen werden kann, muss ein bestehendes Recht sein, mag es auch befristet oder bedingt sein. Der Verzicht auf den Widerruf offenbart weiterhin eine uneigennützige Fürsorge für den Begünstigten. Dieser Zweck lässt sich nur wirklich erreichen, wenn das Recht auf die Versicherungsleistung von dem Begünstigten sofort erworben wird und damit nicht mehr dem Zugriff der Gläubiger des VN unterliegt. Eine bloße unwiderrufliche Anwartschaft wäre praktisch wertlos. Besonderheiten gelten für das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht, das im Rahmen einer Direktversicherung zur betrieblichen Altersversorgung verbreitet ist. Dort wird die grundsätzliche Unwiderruflichkeit dadurch eingeschränkt, dass der VN das Recht erhält, die Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, sollte das Arbeitsverhältnis zur bezugsberechtigten versicherten Person vor Eintritt des Versicherungsfalls und der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen nach dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG) enden.93
88 89 90 91
92
BGH 19.6.1996 VersR 1996 1089 = NJW 1996 2731, 2732. Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 45. BGH 8.5.1954 BGHZ 13 227, 232. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 22; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 119 ff. BGH 19.6.1996 VersR 1996 1089 = NJW 1996 2731, 2732; BGH 25.4.1975 VersR 1975 706 = NJW 1975 1360; BGH 17.2.1966 BGHZ 45 162, 164 ff. = VersR 1966 359 f. =
93
NJW 1966 1071, 1072; OLG Frankfurt/M. 14.9.2000 VersR 2002 219, 220 = NJW-RR 2001 676 = NVersZ 2001 159, 160; KG 10.2.2006 RuS 2007 254, 255; OLG Koblenz 1.2.2007 VersR 2007 1257, 1259; Prölss/Martin/Kollhosser27 § 166 Rn. 7 und § 13 ALB 86 Rn. 21; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 11; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 34. Näher BGH 8.6.2005 VersR 2005 1134, 1135 f.
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§ 185 27
Kapitel 7: Unfallversicherung
Das unwiderrufliche Bezugsrecht ändert nichts daran, dass der VN Vertragspartner des VR bleibt. Er kann weiterhin über den Vertrag disponieren,94 also z.B. Gestaltungsrechte wie die Kündigung ausüben (um sich etwa von der Prämienzahlungsverpflichtung zu befreien).95 Auch ist er berechtigt, Vertragsänderungen vorzunehmen, z.B. einvernehmlich mit dem VR eine Vertragsaufhebung, eine Änderung der Vertragslaufzeit oder eine Herabsetzung der Versicherungssummen zu vereinbaren. Weiterhin bleibt der VN – vorbehaltlich spezieller Vertragsregelungen – Empfänger für Erklärungen des VR.96 Allerdings kann der VN – ohne Zustimmung des Bezugsberechtigten – nicht mehr über die von der Bezugsberechtigung erfassten Ansprüche auf die Versicherungsleistung verfügen,97 sie z.B. abtreten oder verpfänden. Auch können die Gläubiger des VN auf den Versicherungsanspruch nicht mehr zugreifen (vgl. Rn. 47 ff.). Die Versicherungsleistungen gebühren vielmehr dem unwiderruflich Begünstigten, und zwar auch dann, wenn sie vorzeitig fällig werden (z.B. Anspruch auf den Rückkaufswert in der Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr).98 Insofern kann der VN nicht mehr Leistung an sich, sondern nur noch an den Bezugsberechtigten verlangen.99 2. Widerruf des Bezugsrechts
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Sofern der Widerruf zulässig ist – was sich allein nach dem Versicherungsvertrag bestimmt – wird das Bezugsrecht ebenso beendet wie es begründet wurde. Das widerrufliche Bezugsrecht kann der VN durch Ausübung rechtsändernder Gestaltungsmacht mit Verfügungscharakter100 jederzeit, aber nur bis zum Eintritt des Versicherungsfalls, mittels einseitiger empfangsbedürftiger Willenserklärung gegenüber dem VR (schriftlich) beenden oder abändern.101
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a) Erklärender. Der Widerruf erfolgt typischerweise durch den VN. Der Widerruf eines Geschäftsunfähigen ist nichtig (§§ 104, 105 BGB). Ein beschränkt geschäftsfähiger VN bedarf zum Widerruf einer getroffenen Bezugsberechtigung nicht der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, weil er sich mit dem Widerruf lediglich einen rechtlichen Vor-
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Goll/Gilberg/Steinhaus S. 200. BGH 20.5.1992 BGHZ 118 242, 247 f.; BGH 17.2.1966 BGHZ 45 162, 167 = VersR 1966 359 = NJW 1966 1071, 1072; RG 9.3.1937 RGZ 154 155, 159; OLG Frankfurt/M. 14.9.2000 VersR 2002 219, 220 = NJW-RR 2001 676 = NVersZ 2001 159, 160; OLG Koblenz 1.2.2007 VersR 2007 1257, 1259. OLG Stuttgart 20.5.1981 VersR 1982 797; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 20; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 44 und 46; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 42 und 118. BGH 19.6.1996 VersR 1996 1089 f. = NJW 1996 2731, 2732. BGH 20.5.1992 BGHZ 118 242, 247; BGH 17.2.1966 BGHZ 45 162, 167; OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1215; OLG Hamm 19.11.1996 VersR 1997 1386, 1387;
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KG 10.2.2006 RuS 2007 254, 255; OLG Koblenz 1.2.2007 VersR 2007 1257, 1259. RG 9.3.1937 RGZ 154 155, 159; s.a. OLG Frankfurt/M. 14.9.2000 VersR 2002 219, 220 = NJW-RR 2001 676 = NVersZ 2001 159, 160 (für Überschussanteile, die schon vor Beendigung des Versicherungsvertrags auszuzahlen sind). BGH 28.9.1988 VersR 1988 1236, 1237. BGH 14.2.2007 VersR 2007 784 Rn. 9 = NJW-RR 2007 976; BGH 23.10.2003 VersR 2004 93, 94; BGH 12.12.2001 VersR 2002 218, 219; RG 22.12.1941 RGZ 168 177, 186; OLG Bremen 11.11.1958 VersR 1959 689, 690; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 11; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 13; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 12; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 25; eingehend Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 147 ff.
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Bezugsberechtigung
§ 185
teil verschafft (§ 107 BGB).102 Auch ein unter Betreuung stehender VN kann widerrufen, es sei denn, es ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet (§ 1903 Abs. 1 BGB). Der VN kann nur insoweit widerrufen, als ihm noch die Verfügungsmacht zusteht. Ist die Forderung z.B. endgültig an einen Dritten abgetreten, so kann der VN nicht mehr an Stelle des Zessionars in das Bezugsrecht eingreifen. Anders ist dies allerdings bei der Sicherungsabtretung (Rn. 48). Bei ihr kann der VN auch nachträglich das Bezugsrecht widerrufen oder eine Auswechselung des Bezugsberechtigten vornehmen (Rn. 13). Wollen Dritte ein Bezugsrecht widerrufen oder ändern, ist ihre Verfügungsbefugnis zu 30 prüfen. So bedarf die Verfügung des Vermögenspflegers der familiengerichtlichen Genehmigung (§§ 1915, 1831, 1812 BGB).103 Soweit die Gläubigerstellung des VN gegenüber dem VR auf eine andere Person übergeht, geht auch das Widerrufsrecht auf den Rechtsnachfolger über. Vor Eintritt des Versicherungsfalls können daher z.B. die Erben des VN den Widerruf erklären. Der Widerruf kann des Weiteren auch von einem Gläubiger des VN wirksam abgegeben werden, der dessen Versicherungsanspruch gepfändet hat.104 Entsprechendes gilt für den Abtretungsgläubiger oder den Insolvenzverwalter.105 Der Widerruf der Bezugsberechtigung durch einen bloßen Arrestgläubiger ist dagegen nicht möglich, da dies mit dem Wesen der Arrestpfändung, als vorläufige Maßnahme die Zwangsvollstreckung zu sichern, nicht zu vereinbaren ist.106 Er muss den Hauptprozess beschleunigt betreiben, damit er sein Pfandrecht nicht mit Eintritt des Versicherungsfalls verliert.107 b) Empfänger. Der Widerruf der Bezugsberechtigung bedarf nach § 130 Abs. 1 BGB 31 grundsätzlich des Zugangs beim VR 108 vor Eintritt des Versicherungsfalls 109 (genauer gesagt: vor Eintritt der den Leistungsanspruch auslösenden Unfallfolge; s. bereits Rn. 23).110 • Geht die Erklärung dem VR nicht vor dem Tod des VN (bzw. vor Eintritt der den Leistungsanspruch auslösenden Unfallfolge) zu, so entfaltet sie keine Rechtsfolgen mehr.111 Der Widerruf geht „ins Leere“, da der Bezugsberechtigte das Recht an der Versicherungsleistung mit Eintritt des Versicherungsfalls endgültig erworben hat. Zahlt der VR dennoch an eine andere Person als den Bezugsberechtigten aus, so wird er nicht leistungsfrei.112 Eine Anwendung des § 130 Abs. 2 BGB kommt nicht in Betracht.113 Diese Vorschrift dient dem Schutz des Erklärungsempfängers, der sich möglicherweise schon auf den Zugang einer Willenserklärung eingerichtet hat; denn sie geht
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Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 11; Bruck/ Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 41. BGH 28.9.1988 VersR 1988 1236, 1237. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 62; zur Frage, ob das Widerrufsrecht neben dem Anspruch auf die Versicherungsleistung gesondert gepfändet und überwiesen werden muss Heilmann VersR 1972 997, 1000. RG 13.2.1914 VA 14 A 78 Nr. 871; LG Stade 24.10.1953 VersR 1954 457; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 7; Bruck/ Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 151; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 37. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 40. Heilmann VersR 1972 997, 1000. BGH 28.9.1988 VersR 1988 1236 f.; RG 12.1.1937 VA 1937 129, 130. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 15.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 36. OLG Koblenz 15.1.1998 VersR 1999 830, 831 = RuS 1999 522, 523. BGH 24.2.1999 VersR 1999 700, 701 = NVersZ 1999 365 (in RuS 1999 257 nicht vollständig abgedruckt). S. nur BGH 10.2.1994 VersR 1994 586 = RuS 1994 360; BGH 14.7.1993 VersR 1993 1219, 1220 = NJW 1993 3133, 3135; OLG Frankfurt 22.5.1992 VersR 1993 171; OLG Hamm 24.9.1980 VersR 1981 228, 229; OLG Hamm 14.11.1979 VersR 1980 739, 740; LG Detmold 17.2.1995 VersR 1996 615, 616; Goll/Gilberg/Steinhaus S. 195 f.; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 15; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 154; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 25; a.A. Roth NJW 1992 791, 793 ff.; krit. auch Glauber VersR 1993 938, 940 ff.
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§ 185
Kapitel 7: Unfallversicherung
von dem Regelfall aus, dass sich die Willenserklärung beim Tod des Erklärenden auf dem Weg zu Adressaten befindet und die Zustellung alsbald erfolgt. Dieser Schutzgedanke entfällt, wenn sich die Willenserklärung beim Tod des Erklärenden nicht auf dem Weg zum Erklärungsempfänger befunden hat, weil zu diesem Zeitpunkt niemand an die Zustellung der Erklärung dachte.114 § 130 Abs. 2 BGB bestimmt darüber hinaus aber auch nicht, dass eine Erklärung als zu Lebzeiten des Erklärenden zugegangen gilt, wenn er nach ihrer Abgabe, aber vor dem Zugehen, gestorben ist.115 Die Norm verfolgt nicht den Zweck, gesetzlich oder vertraglich festgelegte Zugangsfristen zu verlängern.116 Anderenfalls entstünden nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheiten, da der VR den Ansprüchen mehrerer Bezugsberechtigter ausgesetzt sein könnte.117 Vielmehr verliert der VN (bzw. sein Rechtsnachfolger) mit Eintritt des Versicherungsfalls die Verfügungsbefugnis. Stattdessen erwirbt der bis dahin Bezugsberechtigte ein unentziehbares Recht auf die Versicherungsleistung, das nicht nachträglich durch Zugang einer Änderungsverfügung entwertet werden kann.118 • Von der Empfangsbedürftigkeit des Widerrufs macht § 332 BGB eine Ausnahme. Nach dieser Vorschrift hat der VN „im Zweifel“ die Möglichkeit, den (widerruflich) Bezugsberechtigten auch durch eine Verfügung von Todes wegen auszutauschen. Diese Auslegungsregelung greift aufgrund fehlender vorrangiger Vertragsbestimmungen in der Unfallversicherung – anders als in der Lebensversicherung 119 – ein. Im Gegensatz z.B. zu § 13 Abs. 4 ALB 86 oder § 14 Abs. 4 ALB 94 enthalten die AUB keine ausdrückliche Regelung dazu, dass die Einräumung und der Widerruf eines widerruflichen Bezugsrechts gegenüber dem VR „nur“ und „erst dann“ wirksam ist, wenn sie dem VR vom bisherigen Berechtigten schriftlich angezeigt worden ist. Es ist lediglich ganz allgemein angeordnet (z.B. Ziff. 17.1 AUB 99/2008), dass Mitteilungen des VN an den VR zu richten sind. Dies reicht aber nicht aus, Zweifel darüber ausreichend zu beseitigen, ob die Bezugsberechtigung nicht auch durch ein dem VR nicht zugehendes Testament wirksam geändert werden kann.120 Wollen die VR für die Unfallversicherung eine Anwendung des § 332 BGB ausschließen, empfiehlt es sich etwa in Ziff. 12 AUB 99/2008 eine mit § 14 Abs. 4 ALB 94 vergleichbare Regelung aufzunehmen. Ob hierfür eine praktische Notwendigkeit besteht, ist zweifelhaft; denn der VR wird durch eine entsprechende Anwendung des §§ 407, 409 BGB geschützt.121
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Die Erklärung des Widerrufs gegenüber anderen Personen als dem VR ist weder ausreichend noch erforderlich. Insbesondere sind interne Überlegungen oder Absichtserklärungen des VN unerheblich.122 Gleiches gilt für den Widerruf gegenüber dem Bezugsberechtigten, wenn der VR hiervon keine Kenntnis erlangt hat.123 Auch Erklärungen gegenüber sonstigen anderen (nicht empfangsberechtigten) Personen genügen nicht.124 Des Weiteren reicht es nicht aus, wenn der VN lediglich auf dem Versicherungsschein die Bezugsberechtigung streicht oder einen anderen einsetzt.125
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BGH 14.7.1993 VersR 1993 1219, 1220. BGH 10.2.1994 VersR 1994 586. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 16; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 13. OLG Zweibrücken 19.6.2006 NJW-RR 2007 1039, 1040; OLG Zweibrücken 31.5.2006 VersR 2007 195, 196 = RuS 2007 515, 516. BGH 21.5.2008 VersR 2008 1054, 1055 Rn. 20 = NJW 2008 2702, 2703 = RuS 2008 384. BGH 1.7.1981 BGHZ 81 95, 98 f. = VersR 1981 926, 927 und 1033 = NJW 1981 2245; Glauber VersR 1993 938, 939 f.; Prölss/
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Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 17; Völkel VersR 1992 539, 542 BGH 14.7.1993 VersR 1993 1219 = NJW 1993 3133, 3134. RG 22.12.1941 RGZ 168 177, 187; Heilmann VersR 1972 997, 1000. OLG Frankfurt 12.10.1994 VersR 1996 358, 359 = RuS 1996 326, 327. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 25. OLG Frankfurt 12.10.1994 VersR 1996 358, 359 = RuS 1996 326, 327; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 36. BGH 28.9.1988 VersR 1988 1236; Römer/ Langheid 2 § 166 Rn. 13.
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Bezugsberechtigung
§ 185
c) Inhalt. Der Widerruf kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden; das 33 Wort „Widerruf“ muss in der Erklärung nicht benutzt werden. Ausreichend ist es, wenn der Widerruf aus Erklärungen des VN gegenüber dem VR im Auslegungswege (§§ 133, 157 BGB) entnommen werden kann.126 Der Verfügungscharakter der ändernden Willenserklärung gebietet es allerdings, dass sie hinreichend deutlich ist und klar erkennen lässt, ob und in welcher Weise das bestehende Bezugsrecht geändert werden soll.127 Bloßes Schweigen des VN auf eine Anfrage des VR zum Bezugsrecht reicht für eine ändernde Verfügung nicht aus.128 Im Zweifel genügt für die Annahme eines Widerrufs des bisherigen Bezugsrechts, dass der VN einen neuen Bezugsberechtigten gegenüber dem VR einsetzt.129 Weiterhin liegt in der Kündigung des Versicherungsvertrages durch den VN oder Insolvenzverwalter konkludent der Widerruf des Bezugsrechts.130 Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der VN deutlich zum Ausdruck bringt, dass etwaige Leistungen des VR an ihn (und nicht mehr an den Bezugsberechtigten) zu erbringen sind. Der Widerruf erlangt häufig praktische Bedeutung, wenn Dritte Verfügungsgewalt über die Versicherungsansprüche erlangen: • Tritt der VN seine Rechte aus der Versicherung ab, so liegt darin nicht zugleich auch („automatisch“) der konkludente Widerruf einer etwaigen Bezugsberechtigung.131 Fehlt es an einem ausdrücklichen Widerruf, ist der wirkliche Wille des VN durch Auslegung unter Berücksichtigung des mit der Abtretung verfolgten Zwecks und der Interessenlage der Parteien zu ermitteln.132 Regelmäßig ist das Fortbestehen des Bezugsrechts mit der Rechtsstellung des Zessionars unvereinbar. Der Zessionar kann jedenfalls bei einer endgültigen Abtretung (zur Sicherungsabtretung Rn. 48) für den an ihn abgetretenen Anspruch ein neues Bezugsrecht anordnen (Rn. 13). Entsprechendes wie bei der Abtretung gilt für die Verpfändung. • Im Fall der Pfändung durch einen Gläubiger des VN muss dieser das Widerrufsrecht seinerseits ausüben;133 denn das Pfändungsrecht ergreift das Recht des VN in dem z.Z. der Pfändung bestehenden Umfang. Die Pfändung bewirkt nicht „automatisch“ eine Änderung des Bezugsrechts.134 Nicht erforderlich ist indes, dass der Pfändungsgläubiger den Widerruf ausdrücklich erklärt, indem er etwa Begriffe wie „Widerruf“ und „Bezugsberechtigung“ verwendet. Ausreichend ist vielmehr auch ein konkludenter Widerruf. Entscheidend ist, dass der Gläubiger gegenüber dem VR als Empfänger der Erklärung den Widerruf hinreichend klar und deutlich zum Ausdruck bringt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Gläubiger (z.B. das Finanzamt in der Einziehungsverfügung) Zahlung an sich verlangt.135 • Mit der Insolvenz des VN wird das Bezugsrecht nicht ohne weiteres hinfällig. Die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses beseitigt noch nicht die Begünstigung. Der Insolvenzverwalter muss noch gegenüber dem VR den Widerruf zum Ausdruck bringen.136
d) Form. Das Gesetz schreibt für den Widerruf keine Form vor. Der Widerruf bedurfte 34 nach den älteren AUB der Schriftform (Ziff. 17.1 AUB 99, § 13 Abs. 1 AUB 88/94). Erforderlich war demnach u.a. eine eigenhändige Unterschrift des VN i.S.d. §§ 127, 126
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Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 14; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 36. OLG Frankfurt 12.10.1994 VersR 1996 358, 359 = RuS 1996 326, 327; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 13. BGH 12.12.2001 VersR 2002 218, 219; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 13. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 155; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 36. BGH 4.3.1993 VersR 1993 689, 690; LG Stade 24.10.1953 VersR 1954 457.
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Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 11; a.A. offenbar Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 36. RG 12.1.1937 VA 1937 129, 130; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 27; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 155 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 36; a.A. Heilmann VersR 1972 997, 1000; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 14. RG 25.2.1930 RGZ 127 269, 271. OLG Köln 1.10.2001 VersR 2002 1544 f. Heilmann VersR 1972 997, 1000.
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§ 185
Kapitel 7: Unfallversicherung
BGB. Ein Formmangel führte zur Unwirksamkeit der Willenserklärung (§ 125 S. 2 BGB).137 Das Schriftformerfordernis ist in Ziff. 17.1 AUB 2008 infolge der VVG-Reform 2008 entfallen, so dass nunmehr auch ein mündlicher Widerruf oder die Textform genügt. 3. Nichterwerb des Bezugsrechts
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„Nicht erworben“ (s.a. § 160 Abs. 1 S. 2, Rn. 18) wird ein Bezugsrecht bzw. Bezugsrechtsanteil, wenn138 • der Bezugsberechtigte das Recht durch eine einseitig empfangsbedürftige Gestaltungserklärung gegenüber dem VN zurückweist (§ 333 BGB).139 Der VR ist im Zweifel empfangsbevollmächtigt.140 Die Zurückweisung durch einen gesetzlichen Vertreter des Bezugsberechtigten bedarf der familiengerichtlichen Genehmigung (§§ 1831, 1643 Abs. 3, 1915 BGB). Da beim unwiderruflichen Bezugsrecht der Rechtserwerb abgeschlossen ist, kann die Zurückweisung vor, mit oder nach dem Versicherungsfall erfolgen. Streitig ist, ob beim widerruflichen Bezugsrecht der Dritte den Rechtserwerb erst mit Eintritt des Versicherungsfalls (nicht jedoch davor) zurückweisen darf.141 Jedenfalls können verfrühte Zurückweisungen in die vertragliche Verpflichtung umgedeutet werden, vom (widerruflichen) Bezugsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen. • die Auslegung ergibt (vgl. § 328 Abs. 2 BGB), dass die vom VN in seinem erklärten Willen vorausgesetzten Umstände nicht eingetreten oder bei Eintritt des Versicherungsfalls wieder weggefallen sind. Das Forderungsrecht gegenüber dem VR steht dann wieder dem VN zu (§ 160 Abs. 3). • der (widerruflich) Bezugsberechtigte vor dem Versicherungsfall oder gleichzeitig mit dem VN stirbt.142 Bei Tod des widerruflich Begünstigten erlischt das Bezugsrecht.143 Das widerrufliche Bezugsrecht steht unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Bezugsberechtigte die Gefahrperson überlebt.144 Ist dies nicht der Fall fällt der Versicherungsanspruch in den Nachlass des VN, sofern kein neues Bezugsrecht besteht.145 • die Bezeichnung der Bezugsberechtigung nichtig ist. So kann die Bezugsberechtigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sittenwidrig i.S.v. § 138 BGB sein. Solche Fälle haben in der Vergangenheit für die Lebensversicherung Bedeutung erlangt, wenn der (verheiratete) VN zum Nachteil seiner Familie Bezugsberechtigungen aussprach (z.B. statt der Ehefrau eine andere Frau – Geliebte bzw. außereheliche Lebensgefährtin – benannte).146 Verfügungen dieser Art wurden früher häufig als unwirksam angesehen. Aus heutiger Sicht ist der inzwischen eingetretene Wandel in der Anschauung zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für die Bewertung kann die BGH-Rechtsprechung zum sog. Geliebten-Testament geben.147 Nichtigkeit nach § 138 BGB darf nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen angenommen werden, etwa weil die Zuwendung – gemessen an den Verhältnissen zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung148 – (aus-
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LG Essen 22.11.2006 RuS 2007 406 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 48 ff.; siehe auch Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 12. Näher dazu Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 168 Rn. 1; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 136 ff.; ferner etwa Heilmann VersR 1972 997, 999. Berliner Kommentar/Schwintowski § 168 Rn. 2; s. auch OLG Karlsruhe 20.3.1997 VersR 1998 219, 220. So etwa Berliner Kommentar/Schwintowski § 168 Rn. 3; wohl auch RG 11.2.1921 RGZ 101 304, 306.
370
142 143 144 145 146
147 148
OLG Saarbrücken 7.2.2007 NJW-RR 2008 47, 48 = RuS 2008 301. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 32. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 96. BGH 8.6.1967 VersR 1967 795; OLG Karlsruhe 20.3.1997 VersR 1998 219. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 62; eingehend Helmers VersR 1967 1123 ff.; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 81 ff.; Beispielsfall u.a. OLG Bremen 11.11.1958 VersR 1959 689. Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 9. BGH 15.2.1956 BGHZ 20 71, 73 ff.
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Bezugsberechtigung
§ 185
schließlich) 149 als Entgelt für die Begründung oder Fortsetzung geschlechtlicher (ehebrecherischer) Beziehungen zu werten ist 150 oder – wenn neben den sexuellen Motiven auch andere achtenswerte oder wertneutrale Beweggründe mitwirken – weil sonstige Umstände (insbesondere gravierende Auswirkungen des Rechtsgeschäfts auf Dritte wie nahe Angehörige) das Postulat der Sittenwidrigkeit rechtfertigen.151 Insofern hat das Thema „Mätressentestament“ erheblich an praktischer Bedeutung verloren. Ist ausnahmsweise eine Nichtigkeit der Bezugsrechtseinräumung anzunehmen, so bleibt die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages davon unberührt, da beide Rechtsakte voneinander unabhängig sind (Rn. 10). Der VR, der die Sittenwidrigkeit der Verfügung des VN regelmäßig nicht überprüfen kann, wird vor einer unberechtigten mehrfachen Inanspruchnahme durch die analoge Anwendung von §§ 407, 409 BGB geschützt.152 • die Bezugsrechtseinräumung infolge Anfechtung nichtig ist. Für die Anfechtung einer Bezugsrechtseinräumung gelten keine Besonderheiten. Die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages bleibt von ihr unberührt.153 • der Dritte vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung den Unfall herbeiführt, so dass seine Bezeichnung als nicht erfolgt gilt (§ 183 Abs. 2).
II. Rechtsbeziehung zwischen VN und Bezugsberechtigtem Das Rechtsverhältnis zwischen dem zuwendenden VN und den als Bezugsberechtig- 36 ten benannten Personen (Valutaverhältnis) kann auf einem Arbeitsvertrag, einer Schenkung,154 einer familienrechtlichen Verpflichtung,155 einem Gütertrennungsvertrag 156 oder einem beliebigen anderen Vertrag beruhen, den der VN und der Bezugsberechtigte abgeschlossen haben.157 Der Vertrag ist maßgebend für den Inhalt, den Umfang und die Beständigkeit der Zuwendung.158 Bei unentgeltlichen Zuwendungen ist regelmäßig von einer lebzeitigen Schenkung auszugehen.159 Die das Valutaverhältnis begründende Rechtsbeziehung unterliegt dem Schuldrecht; 37 erbrechtliche Bestimmungen finden keine Anwendung. So kommt etwa eine Schenkung durch Angebot und Annahme zustande. Problematisch können hier die Fälle werden, in denen der Bezugsberechtigte nichts von der Verfügung des VN gegenüber dem VR weiß und der VN verstorben ist. Die rechtliche Konstruktion des postmortalen Zustandekommens eines Schenkungsvertrages ist umstritten: Der BGH wertet die Erklärung des VN zur Einräumung des Bezugsrechts gegenüber dem VR zugleich als konkludenten Auftrag des VN gegenüber dem VR, dem Bezugsberechtigten nach Eintritt des Versicherungsfalls das Schenkungsangebot des VN als dessen Bote zu überbringen.160 Diesen Übermittlungsauftrag erfülle der VR in der Regel durch Auszahlung der Versicherungssumme an den Begünstigten, weil darin konkludent das Schenkungsangebot des VN zum Ausdruck 149 150 151 152
153 154
A.A. noch RG 23.2.1937 RGZ 154 99, 101 f. BGH 15.2.1956 BGHZ 20 71, 72; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 27. BGH 12.1.1984 NJW 1984 2150, 2151; BGH 10.11.1982 NJW 1983 674, 675 f. RG 23.2.1937 RGZ 154 99, 109; Goll/ Gilberg/Steinhaus S. 190; Prölss/Martin/ Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 27. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 91. So etwa der Fall des BGH 21.5.2008 VersR 2008 1054, 1055 Rn. 21 = NJW 2008 2702, 2703 = RuS 2008 384 f.; BGH 29.5.1984 BGHZ 91 288, 290 f.
155 156 157
158 159 160
Völkel VersR 1992 539, 543. So etwa der Fall des OLG Hamm 19.11.1996 VersR 1997 1386. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 32; eingehend Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 166 ff. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 25. Näher m.w.N. Hasse VersR 2008 590 ff. BGH 21.5.2008 VersR 2008 1054, 1055 Rn. 21 ff. = NJW 2008 2702, 2703 = RuS 2008 384 f.
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§ 185
Kapitel 7: Unfallversicherung
komme. Dieses Angebot könne der Begünstigte durch Annahme des Geldes konkludent annehmen. Ist es noch zu keiner Auszahlung gekommen und hat der VR auch nicht anderweitig das Angebot des VN übermittelt, wofür die Anforderung von Unterlagen nicht genügen soll, hat diese Auffassung einerseits zur Konsequenz, dass der VN (bzw. dessen Rechtsnachfolger) den Auftrag zur Übermittlung des Angebots gegenüber dem VR widerrufen kann (§ 671 Abs. 1 BGB). Alternativ kommt ein Widerruf z.B. durch die Erben des VN gegenüber dem Begünstigten bis zum Zugang des vom VR zu übermittelnden Angebots in Betracht (§ 130 Abs. 1 S. 2 BGB). Andererseits kommt bei nicht rechtzeitiger Übermittlung des Schenkungsangebots durch den VR ein verschuldensabhängiger Schadensersatzanspruch des Begünstigten gegen den VR in Betracht.161 Die Annahmen des BGH sind auf Kritik gestoßen.162 Sie führe zu einem Wettlauf zwischen Erben und Beschenktem bzw. Begünstigtem, der dem Will des Schenkers bzw. VN (Erblassers) widerspreche, und dessen Ausgang vom Zufall abhänge, nämlich davon, ob der Rechtsnachfolger des VN oder der Begünstigte zuerst von dem Bezugsrecht erfahre. Es müssten deshalb andere (zielführendere) Alternativen entwickelt werden. U.a. wird für die Annahme eines Schenkungsvertrags als lebzeitiges Insichgeschäft plädiert. Danach ist die Begünstigtenbezeichnung durch den VN als Angebot zum Abschluss einer Handschenkung zu werten, durch die der VN für sich als Schenker das Schenkungsangebot unterbreite, das er zugleich als Vertreter ohne Vertretungsmacht für den Begünstigten als Beschenkten annehme. Diese zunächst schwebend unwirksame Schenkung (§ 177 Abs. 1 BGB) könne der Begünstigte nach Eintritt des Versicherungsfalls rückwirkend genehmigen § 184 Abs. 1 BGB). Ein Widerruf nach §§ 671 Abs. 1 bzw. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB scheidet nach dieser Ansicht aus. Aus den zwischen VN und Bezugsberechtigten getroffenen Vereinbarungen ergibt 38 sich, ob und inwieweit der Bezugsberechtigte vom VN bestimmte Inhalte zum Versicherungsvertrag bzw. Verhaltensweisen gegenüber dem VR beanspruchen kann. So können u.a. Absprachen dazu bestehen, wann und mit welchem Inhalt der VN ein Bezugsrecht gegenüber dem VR vorzusehen hat, dass und in welchem Umfang der VN die Versicherung aufrechterhält oder Prämien bezahlt,163 dass der VN die Bezugsberechtigung unangetastet lässt164 und wie der VN über die Versicherungsleistung verfügen darf.165 Das Valutaverhältnis zwischen VN und Bezugsberechtigtem ist maßgebend dafür, ob 39 der Bezugsberechtigte die Leistung des VR behalten darf.166 Ist das Valutaverhältnis gestört bzw. fehlt es, so muss der Bezugsberechtigte die Leistung nach Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) an den VN bzw. dessen Rechtsnachfolger – und nicht etwa an nachrangig als Bezugsberechtigte benannte Personen167 – herausgeben.168 Zentraler Punkt der Prüfung ist hier – neben einem etwaigen Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) –,
161 162 163 164 165 166
Näher Hasse VersR 2009 41, 44 f. S. etwa Hasse VersR 2009 41, 42 ff.; zuvor schon Hasse VersR 2008 590, 592 ff. Dazu z.B. OLG Braunschweig 19.10.1961 VersR 1962 701 f. Dazu z.B. OLG Hamm 19.11.1996 VersR 1997 1386. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 32. BGH 21.5.2008 VersR 2008 1054, 1055 Rn. 21 = NJW 2008 2702, 2703 = RuS 2008 384; BGH 29.5.1984 BGHZ 91 288, 290.
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167
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BGH 30.11.1994 BGHZ 128 125, 133 = VersR 1995 282, 284 = NJW 1995 1082, 1084 = RuS 1995 116. BGH 1.4.1987 VersR 1987 659, 660 = NJW 1987 3131, 3132; OLG Hamm 24.9.1980 VersR 1981 228, 229; OLG Koblenz 15.1.1998 VersR 1999 830, 831 = RuS 1999 522, 523; Finger VersR 1990 229, 230; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 28; Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 20.
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Bezugsberechtigung
§ 185
ob das Bezugsrecht einen Rechtsgrund hat bzw. dieser nachträglich wieder weggefallen ist. Beispiele: • Die Frage, ob im Fall einer Scheidung der frühere Ehepartner die vom VR erhaltene Versicherungsleistung (vgl. Rn. 19) auch im Verhältnis zum VN (bzw. dessen Erben) behalten darf, ist regelmäßig zu verneinen. In dem Scheitern der Ehe ist nach der Rechtsprechung des BGH häufig ein Wegfall der Geschäftsgrundlage des Kausalgeschäfts zwischen VN und – widerruflich oder unwiderruflich169 – Bezugsberechtigtem zu sehen.170 Ein rechtlicher Grund für die Vermögensverschiebung ist jedoch anzunehmen, wenn die Bezugsberechtigung im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung bei der Scheidung vereinbart worden oder sie Resultat einer Vereinbarung über den Ausgleich des Zugewinns i.S.v. § 1378 Abs. 3 S. 2 BGB ist.171 • Wird der Anspruch aus der Bezugsberechtigung dem Dritten schenkungsweise zugewendet,172 so bedarf dies der notariellen Form (§ 518 Abs. 1 BGB). Der Formmangel des regelmäßig formlos geschlossenen Schenkungsvertrages wird für die ganze Versicherungssumme nur durch die vollzogene Schenkung (§ 518 Abs. 2 BGB), d.h. durch den endgültigen (unentziehbaren) Rechtserwerb des Bezugsberechtigten geheilt. Das setzt voraus, dass die Bezugsberechtigung unwiderruflich gegenüber dem VR erklärt worden oder das widerrufliche Bezugsrecht durch Eintritt des Versicherungsfalls zum Vollrecht erstarkt ist.173 Vorher tritt eine Heilung des Formmangels nur für die jeweils bezahlte Prämie ein.174 Die Schenkung kann vom VN bzw. seinen Rechtsnachfolgern nach Maßgabe der §§ 530 f. BGB widerrufen werden.175 Streitig ist, ob § 2078 Abs. 2 BGB anwendbar ist.176
III. Rechtsbeziehung zwischen Bezugsberechtigtem und VR Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls bestehen zwischen Bezugsberechtigtem und 40 VR keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen. VR und Bezugsberechtigter haben sich erst im Leistungsfall miteinander auseinanderzusetzen. 1. Forderungsrecht des Bezugsberechtigten Nach § 328 Abs. 1 BGB kann der Dritte (Bezugsberechtigte) unmittelbar das Recht 41 erwerben, vom VR die Leistung zu fordern. Für die Lebensversicherung ist nach § 330 S. 1 BGB im Zweifel ein echter Vertrag zugunsten Dritter anzunehmen. Aufgrund des allgemeinen Verweises in § 185 auf die versicherungsrechtlichen Bestimmungen zur Lebensversicherung gilt entsprechendes in der Unfallversicherung mit der Folge, dass nicht nur der VN als Versprechensempfänger vom VR Leistung an den Dritten (sog. unechter Vertrag zugunsten Dritter), sondern auch der Bezugsberechtigte Leistung an sich selbst ver-
169
170
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BGH 20.5.1992 BGHZ 118 242, 245 lässt i.E. offen, ob bei einem unwiderruflichen Bezugsrecht ein Wegfall der Geschäftsgrundlage für die Zuwendung des Bezugsrechts ausscheidet. BGH 8.7.1982 BGHZ 84 361, 368; OLG Karlsruhe 20.3.1997 VersR 1998 219, 220 = RuS 1998 126, 127 (LS); näher hierzu Finger VersR 1990 229, 230 ff.; Völkel VersR 1992 539, 543 ff. BGH 1.4.1987 VersR 1987 659, 661 = NJW 1987 3131, 3132; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 14.
172
173
174 175 176
Näher Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 29 ff.; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 168 ff. BGH 25.4.1975 VersR 1975 706 f. = NJW 1975 1360 f.; OLG Koblenz 15.1.1998 VersR 1999 830, 831 = RuS 1999 522, 523; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 62; s.a. BGH 29.5.1984 BGHZ 91 288, 291. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 32. Hasse VersR 2009 41, 43. Dazu etwa Hasse VersR 2009 41, 43 (bejahend).
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§ 185
Kapitel 7: Unfallversicherung
langen kann. Durch das Forderungsrecht des Bezugsberechtigten verliert der VN im Zweifel nicht sein eigenes Forderungsrecht. Er kann gemäß § 335 BGB, sofern nicht ein anderer Wille der Parteien des Versicherungsvertrages anzunehmen ist, die Leistung neben dem Bezugsberechtigten, allerdings nur an den Bezugsberechtigten verlangen. Umgekehrt kann der VR nicht – ohne Zustimmung des Bezugsberechtigten – mit befreiender Wirkung fällige Versicherungsansprüche gegenüber dem VN erfüllen.177 Ob und unter welchen Bedingungen der Dritte das Recht erwerben soll, hängt von 42 den zwischen dem VN und dem VR getroffenen Vereinbarungen und bei Fehlen ausdrücklicher Regelungen von den Umständen, insbesondere dem Zweck des Vertrags ab (§ 328 Abs. 2 BGB). Geschäftsfähigkeit oder Kenntnis des Begünstigten vom Bezugsrecht sind nicht erforderlich. Soweit der VN einem Dritten gegenüber dem VR wirksam ein Bezugsrecht einge43 räumt hat, erlangt der Dritte das Recht, einen Anspruch auf die Versicherungsleistung anstelle des VN oder dessen Rechtsnachfolger in eigenem Namen unmittelbar gegen den VR geltend zu machen.178 Da der Bezugsberechtigte sein Recht aus der Rechtsposition des VN ableitet, können ihm nicht mehr Rechte zustehen als dem VN. Insbesondere wirken vertragliche Einwendungen des VR gegen den Anspruch des VN auch gegenüber dem Bezugsberechtigten § 334 BGB).179 Eine Leistungsverpflichtung des VR gegenüber dem Bezugsberechtigten setzt somit voraus, dass ein deckungspflichtiger Versicherungsfall eintreten ist, die Unfallfolgen von dem zwischen VN und VR vereinbarten Vertrag umfasst sind, der fällige Leistungsanspruch vom Bezugsrecht erfasst ist und das Bezugsrecht zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls noch bestand. Beispiele: • Verwendet der VR Gewinnanteile in der Unfallversicherung (mit oder ohne Prämienrückgewähr) vertragsgemäß zur Erhöhung der Versicherungsleistungen, steht auch die erhöhte Leistung dem Bezugsberechtigten zu;180 denn die Begünstigungserklärung ist in der Regel so zu verstehen, dass das Recht der Bezugsberechtigung sämtliche aus dem Versicherungsvertrag fällig werdenden Ansprüche umfassen soll.181 • Prämienrückzahlungen – auch (Schluss-)Dividenden – stehen im Zweifel dem VN bzw. seinen Erben (Nachlass) und nicht dem Bezugsberechtigten zu.182 Es handelt sich um Leistungen des VR, mit denen wirtschaftlich korrigiert wird, dass der VR dem VN zu viel Prämie abverlangt hat.183
2. Sonstige Rechte und Pflichten
44
Bis zu seinem Rechtserwerb steht der Bezugsberechtigte in keinen unmittelbaren (vertraglichen) Rechtsbeziehungen zu dem VR. Erst in dem Moment, in dem die den Leistungsanspruch auslösende Unfallfolge eingetreten ist, wird der Bezugsberechtigte Gläubiger des VR. Denkbar ist indes, dass den VR gegenüber dem Bezugsberechtigten vor- oder nebenvertragliche Schutzpflichten treffen. So mus der VR z.B. auf Schadensersatz haften, wenn er den Antrag zögerlich bearbeitet hat und der VN vor der Annahme stirbt.184
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178 179 180 181
BGH 19.6.1996 VersR 1996 1089 = NJW 1996 2731, 2732; OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1215. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 23. Näher Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 141 ff. OLG Nürnberg 27.9.1968 VersR 1969 608; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 29. OLG Frankfurt/M. 14.9.2000 VersR 2002
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182 183 184
219, 220 = NJW-RR 2001 676 = NVersZ 2001 159, 160; näher Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 42 und H 112. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 32. OLG Nürnberg 27.9.1968 VersR 1969 608; LG München I 18.1.1962 VersR 1963 965. Dazu etwa Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 166 Rn. 10 f.; Berliner Kommentar/ Schwintowski § 166 Rn. 24.
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Bezugsberechtigung
§ 185
Gleiches kommt in dem Fall in Betracht, in dem der VR oder sein Vertreter eine gegenüber dem VN zugesagte Mitwirkung an einer Bezugsrechtseinräumung oder- änderung vor Eintritt des Versicherungsfalls schuldhaft versäumen.185 Ansonsten finden Vertragsbegründung und -durchführung grundsätzlich allein im Rechtsverhältnis zwischen VN und VR statt. Der VN ist in seinen vertraglichen Dispositionsmöglichkeiten weder eingeschränkt noch (mit Ausnahme der Aufhebung des unwiderruflichen Bezugsrechts) auf die Mitwirkung des Bezugsberechtigten angewiesen. Das Bezugsrecht räumt dem Berechtigten keinen Einfluss auf die sonstigen Vertrags- 45 rechte ein. Ohne entsprechende Legitimation durch den VN ist er nicht etwa zu Vertragsänderungen (z.B. Anpassung von Versicherungssummen), Vertragsaufhebungen oder Ausübung von Gestaltungsrechten (z.B. Kündigung) berechtigt, selbst wenn der VR seinem – nicht vom VN autorisierten – Verhalten zustimmen sollte. Der Bezugsberechtigte hat auch keinen Einfluss auf den Widerruf oder die Änderung des Bezugsrechts. Weiterhin hat der Bezugsberechtigte – außer den vom Bezugsrecht erfassten Ansprüchen – keine Ansprüche gegen den VR. Beispiele: • Der Bezugsberechtigte kann nicht verlangen, dass der VR ihm über einen etwaigen Zahlungsverzug des VN Mitteilung macht.186 • Der Bezugsberechtigte kann nicht Auskunft vom VR über den Versicherungsvertrag oder zur Fälligkeit verlangen.187 Anderes gilt allenfalls dann, wenn er sich diese Informationen nicht anderweitig (z.B. beim VN) beschaffen kann und deshalb auf eine Mitteilung des VR angewiesen ist.188
Umgekehrt wird der Bezugsberechtigte aber auch keinen besonderen Vertragspflich- 46 ten unterworfen. So trifft ihn nicht etwa eine Prämienzahlungspflicht. Anderenfalls läge ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter vor. Eine sog. Führungsklausel, nach der der VN bei mehreren verbundenen VR nur einen in Anspruch zu nehmen hat, findet keine Anwendung auf den Bezugsberechtigten.189 Allerdings ist der Bezugsberechtigte, der ein Recht auf die Leistung des VR erworben hat (in der Regel also nur der unwiderruflich, nicht der widerruflich Bezugsberechtigte) berechtigt, die Prämie an den VR zu zahlen, um dadurch – zur Vermeidung einer Vertragsbeendigung durch den VR – mit befreiender Wirkung die Prämienschuld des VN zu erfüllen. Insofern trifft den VR nach § 34 (§ 35a a.F.) die Obliegenheit, die Zahlung anzunehmen, auch wenn er sie nach den Vorschriften des BGB zurückweisen könnte.190
IV. Rechtsbeziehung zwischen VN und sonstigen Dritten Das Rechtsverhältnis des VN zu dritten Personen (seinen Gläubigern) kann Einfluss 47 auf das Bezugsrecht gewinnen. Zu unterscheiden ist zunächst, ob der Versicherungsfall eingetreten ist oder nicht. Haben sich deckungspflichtige Unfallfolgen realisiert, sind Dispositionen zu Lasten des Bezugsberechtigten ausgeschlossen (Rn. 22 ff.). Abtretung, Verpfändung, Pfändung und Insolvenz auf Seiten des VN können nur vor Eintritt des Versicherungsfalls das Bezugsrecht tangieren. Weiterhin ist zu differenzieren, ob ein widerrufliches oder unwiderrufliches Bezugsrecht vorgesehen ist. Das unwiderrufliche Bezugs-
185 186 187 188
OLG Hamm 14.1.2009 NJW 2009 1409 f. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 127. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 108; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 30. BVerfG 14.12.2001 NJW 2002 2164, 2165; OLG Köln 7.12.1989 VersR 1990 1261,
189 190
1264; AG Karlsruhe 3.1.1959 VersR 1959 884 f.; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 166 Rn. 11; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 5. OLG Oldenburg 28.4.1999 VersR 2000 617; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 5. BGH 12.3.1964 VersR 1964 497, 500.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
recht ist im Gegensatz zur widerruflichen Bezugsberechtigung weitgehend dem Zugriff von Gläubigern des VN entzogen.191 Das widerrufliche Bezugsrecht hindert den VN nicht, (vor Eintritt des Versicherungs48 falls) Rechte aus dem Versicherungsvertrag – auch sicherungshalber – abzutreten.192 • Einerseits wird der Abtretungsgläubiger durch die Abtretung Inhaber des Anspruchs (§ 398 BGB) und nicht lediglich Bezugsberechtigter.193 Andererseits fällt für den Fall, dass der VN mit einem Darlehensgeber die Sicherungsabtretung seiner Rechte aus dem Unfallversicherungsvertrag vereinbart hat, das widerrufliche Bezugsrecht im Allgemeinen durch den formularmäßig vereinbarten (oder zumindest konkludent erklärten) Widerruf nicht (vollständig) weg. Der üblicherweise formularmäßig vorgesehene „Widerruf, soweit es den Rechten der Bank/Sparkasse entgegensteht“ gilt nach der Auslegung des BGH nur für die Dauer der Abtretung und in dem Umfang wie es der Sicherungszweck erfordert.194 Dies gilt mit der Maßgabe, dass das Bezugsrecht im Rang hinter die Rechte des Sicherungsnehmers zurücktritt und im Übrigen voll wirksam bleibt.195 Voraussetzung für die Begründung eines Rangverhältnisses zu einem Sicherungszessionar ist freilich, dass der Sicherungszweck, der den Bezugsberechtigungen vorgehen soll, inhaltlich klar festliegt und der Höhe nach bestimmbar ist. Dies ist bei den banküblichen Sicherungsabreden der Fall.196 Sobald und soweit der Sicherungszweck entfällt, hat der Bezugsberechtigte nach Eintritt des Versicherungsfalls Anspruch auf die Versicherungsleistung, ohne dass es weiterer Rechtshandlungen (einer Rückabtretung des Bezugsrechts) durch den Sicherungsnehmer bedarf.197 Selbstverständlich ist die Annahme eines solchen „eingeschränkten Widerrufs“ nicht: Es lässt sich auch vertreten, dass das Bezugsrecht solange nicht besteht, wie der Darlehensgeber die Freigabe nicht erklärt hat.198 Tritt der Darlehensgeber die Ansprüche erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalls zurück an den VN ab, würde folglich die Bezugsberechtigung nicht wieder aufleben.199 • Der VN kann das Bezugsrecht sowohl nachträglich als auch bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrags so ausgestalten, dass es von vornherein gegenüber einer schon erfolgten oder noch vorzunehmenden Sicherungsabtretung nachrangig ist. Maßgebend ist, wie die dem VR gegenüber abzugebenden einseitigen Erklärungen des VN über die Begründung des Bezugsrechts und die Abtretungsanzeige nach § 133 BGB auszulegen sind. Ergibt die Auslegung, dass das Bezugsrecht von vornherein nur in einem durch Zweck der Sicherungsabtretung an einen bestimmten Gläubiger eingeschränkten Umfang begründet worden ist, bedarf es bei einer nachfolgenden Sicherungsabtretung zur Begründung des Vorrangs des Sicherungsnehmers keines Widerrufs des Bezugsrechts mehr.200
Liegt ein unwiderrufliches Bezugsrecht vor, ist der VN zu einer Rechtsübertragung nicht mehr befugt.201 Der Anspruch steht dem unwiderruflich Begünstigten zu.
191 192 193 194 195
Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 34. BGH 23.10.2003 VersR 2004 93, 94. BGH 25.4.2001 VersR 2001 883, 884 = RuS 2001 342, 343 = NVersZ 2001 352, 353. S.a. OLG Koblenz 1.2.2007 VersR 2007 1257, 1258 f. BGH 12.12.2001 VersR 2002 218, 219; BGH 25.4.2001 VersR 2001 883, 884 = RuS 2001 342, 343 = NVersZ 2001 352, 353; BGH 8.5.1996 VersR 1996 877; BGH 18.10.1989 BGHZ 109 67, 69 ff. = VersR 1989 1289; OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1215; OLG Hamm 19.11.1996 VersR 1997 1386; OLG Saarbrücken 25.3.1992 VersR 1992 1209, 1210; Bayer VersR 1994 1053.
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196 197 198 199 200 201
BGH 18.10.1989 BGHZ 109 67, 71 f. = VersR 1989 1289, 1290. BGH 3.3.1993 VersR 1993 553, 555; Römer/Langheid 2 § 166 Rn. 17. So noch OLG Stuttgart 20.5.1981 VersR 1982 797, 798. So noch OLG Frankfurt 21.9.1983 VersR 1984 755; Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 15. BGH 25.4.2001 VersR 2001 883, 884 = RuS 2001 342, 343 = NVersZ 2001 352, 353. OLG Koblenz 1.2.2007 VersR 2007 1257, 1259; Goll/Gilberg/Steinhaus S. 199 und 207.
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Bezugsberechtigung
§ 185
Sofern ein widerrufliches Bezugsrecht vorgesehen ist, kann der VN seine Versiche- 49 rungsansprüche (vor Eintritt der Unfallfolgen) verpfänden (§ 1273 i.V.m. §§ 398 ff. BGB). Ob in der Verpfändungsanzeige zugleich ein Widerruf der Begünstigung zu sehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Die Auswirkungen für das Bezugsrecht sind typischerweise vergleichbar mit denen bei einer Sicherungsabtretung: Das Bezugsrecht tritt (nur) im Rang hinter den vereinbarten Sicherungszweck zurück.202 Besteht dagegen ein unwiderrufliches Bezugsrecht, so ist eine Verpfändung durch den VN ausgeschlossen. Er hat insofern keine Verfügungsbefugnis mehr. Ist nach Einräumung einer Bezugsberechtigung durch den VN und vor Eintritt des 50 Versicherungsfalls der Versicherungsanspruch des VN gegen den VR, auf den sich das Bezugsrecht erstreckt, von einem Gläubiger des VN gepfändet und diesem zur Einziehung überwiesen, so geht das Widerrufsrecht auf den pfändenden Gläubiger über;203 denn das Recht zum Widerruf einer Bezugsberechtigung ist kein höchstpersönliches, der Abtretung oder Pfändung nicht unterliegendes Recht. Der Fortbestand der Rechtsposition des Bezugsberechtigten hängt von der Disposition des Pfändungsgläubigers ab: • Widerruft der Pfändungsgläubiger das Bezugsrecht ausdrücklich oder konkludent (Rn. 33), kann der Bezugsberechtigte im Leistungsfall Leistungen vom VR nur insoweit beanspruchen, als sie nicht zur Befriedigung des Pfändungsgläubigers erforderlich sind (§ 1282 Abs. 1 S. 2 BGB). Bei einem Austausch der Bezugsberechtigten durch den Gläubiger erwirbt derjenige das Forderungsrecht gegen den VR, den der Pfändungsgläubiger vor Eintritt des Versicherungsfalls gegenüber dem VR für die gepfändete Forderung als Bezugsberechtigten bezeichnet hat. • Macht der Pfändungsgläubiger bis zum Eintritt des Versicherungsfalls keinen Gebrauch von dem Widerrufsrecht, erwirbt der Bezugsberechtigte im Leistungsfall den Anspruch auf die Versicherungssumme, ohne durch das Pfandrecht beschränkt zu sein.204 An die Stelle des mit einem Pfandrecht belasteten Versicherungsanspruchs des VN tritt ein neuer (vom Pfandrecht unbeschwerter) Forderungsanspruch des Bezugsberechtigten.205
Der Pfändungsgläubiger des VN hat keine Zugriffsmöglichkeit auf das unwiderrufliche Bezugsrecht.206 Hat der VN ein widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt, so sind bei seiner Insolvenz 51 zwei Fälle zu unterscheiden: • Ist der Anspruch auf die Versicherungsleistung vor Insolvenzeröffnung entstanden, so gehört er nicht mehr in das Vermögen des VN und kann folglich auch nicht in die Insolvenzmasse fallen. Der Insolvenzverwalter hat keine Gestaltungsmöglichkeit mehr. Vielmehr fällt der konkrete Leistungsanspruch dem Bezugsberechtigten unmittelbar aus dem Vermögen des VR zu.207 Denkbar ist allerdings eine Anfechtung der Bezugsrechtseinräumung.208 • Ist der Versicherungsfall noch nicht eingetreten, so kann der Insolvenzverwalter das Bezugsrecht bis zum Entstehen des konkreten Leistungsanspruchs widerrufen. Einer Anfechtung bedarf es nicht.209
Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis mit unwiderruflichem Bezugsrecht gehören nicht zur Insolvenzmasse des VN,210 vorausgesetzt das Bezugsrecht ist vor Insol202 203 204 205 206
Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 32. RG 25.2.1930 RGZ 127 269, 270 f.; OLG Köln 1.10.2001 VersR 2002 1544. S. nur Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 12. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 35. Goll/Gilberg/Steinhaus S. 199; Sieg FS Klingmüller, S. 447, 458.
207 208
209 210
Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 44; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 38. Näher BGH 23.10.2003 VersR 2004 93, 94; ferner Berliner Kommentar/Schwintowski § 166 Rn. 42. Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 7; Wussow/ Pürckhauer 6 § 12 Rn. 38. Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 7; Sieg FS Klingmüller, S. 447, 459.
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§ 185
Kapitel 7: Unfallversicherung
venzeröffnung unwiderruflich geworden.211 Grundsätzlich hat der Insolvenzverwalter des VN keine Möglichkeit, das unwiderrufliche Bezugsrecht wieder zu beseitigen. In Betracht kommt lediglich eine Anfechtung gemäß § 134 InsO (s.a. § 3 Abs. 1 AnfG).212
V. Rechtsbeziehung zwischen Bezugsberechtigtem und sonstigen Dritten 52
Fälle, in denen das Bezugsrecht Gegenstand von Verfügungen zwischen dem Bezugsberechtigten und Dritten (seinen Gläubigern) wird, sind im Rahmen der Unfallversicherung eher theoretischer Natur. Das widerrufliche 213 und das unwiderrufliche Bezugsrecht sind abtretbar. Zwar setzt 53 die Abtretung nach § 398 BGB einen bestehenden Anspruch als Regelfall voraus. Danach kommt sie erst nach Eintritt des Versicherungsfalls in Betracht (§ 159 Abs. 2), da der widerrufliche Bezugsberechtigte vorher nur eine Art tatsächlicher Anwartschaft innehat (Rn. 23). Selbst bei einem unwiderruflichen Bezugsrecht ist die Rechtsposition des Berechtigten nur unwesentlich stärker ausgeprägt: Das Recht ist ihm einerseits unentziehbar zugewiesen (§ 159 Abs. 3). Andererseits ist (bei der Risikoversicherung) die Anspruchsentstehung auch hier völlig ungewiss. Jedoch ist die Abtretbarkeit sowohl beim unwiderruflichen als auch beim widerruflichen Bezugsrecht schon deshalb gegeben, weil auch über ein (nur) künftiges Recht – Anwartschaft – verfügt werden kann.214 Der widerruflich Begünstigte kann eine aufschiebend bedingte Abtretung des künftigen Versicherungsanspruchs für den Fall vornehmen, dass er ihn selbst aufgrund des Bezugsrechts im Versicherungsfall erwirbt (§ 158 Abs. 1 BGB).215 Eine solche Vorausabtretung verschafft indes dem Abtretungsempfänger nur eine Rechtsposition, die mit den gleichen Unsicherheiten behaftet ist, denen der abtretende Begünstige ausgesetzt ist.216 Streitig ist, ob das in den AUB vorgesehene Abtretungsverbot (Ziff. 12.3 AUB 99/2008, § 12 Abs. 3 AUB 88/94) auch für den Fall der Abtretung eines Bezugsrechts eingreift (Rn. 57). Eine Verpfändung des Bezugsrechts ist denkbar. Die Einschränkungen in den AUB für 54 die Verpfändung von Ansprüchen durch den VN (Ziff. 12.3 AUB 2008) gelten nicht für die Verpfändung durch den Bezugsberechtigten (vgl. Rn. 57).217 Allerdings bedarf es gemäß § 1280 BGB der Anzeige des Bezugsberechtigten an den VR.218 Das Bezugsrecht ist – vorbehaltlich des Bestehens etwaiger Pfändungsschutzvorschrif55 ten 219 – grundsätzlich pfändbar.220 • Der Gläubiger des widerruflich Bezugsberechtigten kann von diesem nicht mehr pfänden, als der Bezugsberechtigte selbst an Rechten innehat. Die Pfändung eines Forderungsrechts des widerruflich Bezugsberechtigten kommt folglich erst nach Eintritt des Versicherungsfalls in Betracht. Vorher steht dem Bezugsberechtigten nur ein Anwartschaftsrecht zu, so dass auch nur dieses Gegen-
211 212 213
214 215
BGH 4.3.1999 VersR 1993 689, 690. Sieg FS Klingmüller, S. 447, 461 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 38. OLG Karlsruhe 1.6.2006 VersR 2007 341, 342 = RuS 2007 161 (zur Lebensversicherung). Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 11; Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 29. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 13 ALB 86 Rn. 11; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. H 104.
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216 217 218 219 220
LG Berlin 31.10.1950 VersR 1951 157; Goll/Gilberg/Steinhaus S. 195. A.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 35. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 14. S. etwa KG 20.12.1963 VersR 1964 326 zur Lebensversicherung. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 39.
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Bezugsberechtigung
§ 185
stand einer Übertragung und damit einer Pfändung sein kann. Kommt es tatsächlich zu einer Pfändung der schwachen Rechtsposition des Bezugsberechtigten gegen den VR, so erlangt die Pfändung nur Wirksamkeit, wenn der Bezugsberechtigte später das Recht aus dem Versicherungsvertrag auch tatsächlich erwirbt. Hat vor Eintritt des Versicherungsfalls ein Gläubiger des VN bei diesem die Versicherungsforderung gepfändet, ist zu prüfen, oder der Gläubiger des VN das Bezugsrecht ausdrücklich oder konkludent widerrufen hat (Rn. 33). Nur wenn kein Widerruf erfolgt ist, kann die Pfändung durch den Gläubiger des widerruflich Bezugsberechtigten nach Eintritt der Unfallfolgen noch Bedeutung erlangen.221 • Der Anspruch auf die Versicherungsleistung unterliegt dem Zugriff der Gläubiger des unwiderruflich Bezugsberechtigten. Vor Eintritt des Versicherungsfalls können die Gläubiger den Versicherungsanspruch allerdings mangels Fälligkeit nicht verwerten.222 Sie können auch bei der Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr nicht die Fälligkeit des Anspruchs auf den Rückkaufswert herbeiführen, da der Bezugsberechtigte kein Kündigungsrecht hat.
Fällt der Bezugsberechtigte in die Insolvenz, so gelten die allgemeinen Regeln. Rechte, 56 die der Bezugsberechtigte vor Insolvenzeröffnung erworben hat, fallen in die Insolvenzmasse.
D. Speziellere AVB § 185 ist genauso wie §§ 159, 160 dispositiv (Umkehrschluss zu §§ 191, 171). Nicht 57 abdingbar ist aber § 333 BGB.223 Die AUB enthalten anders als die – wirksamen 224 – AVB für die Lebensversicherung (z.B. § 13 ALB 86, § 14 ALB 94) – keine Regelungen, die das Bezugsrecht ausdrücklich nennen. Allerdings spricht Ziff. 12.2 AUB 99/2008 (§ 12 Abs. 2 AUB 88/94, § 16 Nr. 2 AUB 61) „sonstige Anspruchsteller“ an, zu denen insbesondere Bezugsberechtigte zählen. Damit ist im Grundsatz der Bezugsberechtigte allen für den VN geltenden Bestimmungen entsprechend unterworfen (Ziff. 12 AUB 2008 Rn. 14 ff.). • Das Abtretungsverbot in den AUB (Ziff. 12.3 AUB 99/2008, § 12 Abs. 3 AUB 88/94, § 16 Nr. 3 AUB 61) gilt nicht für die Einräumung (bzw. Änderung) eines Bezugsrechts.225 Die Regelungen sprechen zunächst nur von der „Übertragung“ und „Verpfändung“ von Ansprüchen, nennen aber nicht ausdrücklich das Bezugsrecht. Da ein Bezugsrecht in der Unfallversicherung allenfalls für die Todesfallleistung praktisch bedeutsam ist (Rn. 2), erfasst auch der Sinn des Abtretungsverbotes diesen Fall nicht: Der VR wird in der Regulierung keinen nennenswert größeren Schwierigkeiten ausgesetzt, wenn ihm anstelle des verstorbenen VN dessen Erben, die ggf. noch zu ermitteln sind, oder ein (namentlich benannter) Bezugsberechtigter gegenüberstehen.226 • Das in den AUB vorgesehene Abtretungsverbot (Ziff. 12.3 AUB 99/2008, § 12 Abs. 3 AUB 88/94, § 16 Nr. 3 AUB 61) greift für sich genommen nicht in dem (seltenen) Fall ein, dass ein Bezugsberechtigter seine Ansprüche abtritt.227 Eine dahingehende Auslegung ist dem Wortlaut von Ziff. 12.3 AUB 99/2008 nicht eindeutig zu entnehmen. Die AUB richten sich an den VN als Vertragspartner des VR. Soll der Bezugsberechtigte in seiner Verfügungsbefugnis zugunsten des VR
221 222 223 224
Abw. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 33 f. Sieg FS Klingmüller, S. 447, 459. Berliner Kommentar/Schwintowski § 168 Rn. 8 und § 180 Rn. 7. S. etwa OLG Koblenz 1.2.2007 VersR 2007 1257, 1260 = RuS 2008 299, 301; OLG Zweibrücken 19.6.2006 NJW-RR 2007 1039 f. und 31.5.2006 VersR 2007 195, 196 = RuS 2007 515, 516.
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226 227
Grimm 4 Ziff. 12 AUB 99 Rn. 16; Wussow/ Pürckhauer 6 § 12 Rn. 23; offen lassend BGH 11.2.1960 VersR 1960 300, 301. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 11. Wohl auch Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. H 11; a.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 29.
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§ 186
Kapitel 7: Unfallversicherung
beschränkt werden, so muss dies auch für einen Versicherungslaien klar zum Ausdruck kommen.228 Zwar kann unter Hinweis auf Ziff. 12.2 AUB 99/2008 (§ 12 Abs. 2 AUB 88/94, § 16 Nr. 2 AUB 61) argumentiert werden, dass alle für den VN geltenden Bestimmungen wie z.B. das Abtretungsverbot entsprechend für den Bezugsberechtigten zur Anwendung gelangen. Dem steht jedoch folgende Erwägung entgegen: Betrifft das Abtretungsverbot der AUB schon die Bezugsrechtseinräumung als solche nicht, so kann es auch nicht auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Bezugsberechtigten als Zedenten und dem Zessionar ausstrahlen.
E. Verfahrensfragen 58
Die Beweislast folgt den allgemeinen zivilprozessualen Regeln: • Die Beweislast für den Zugang des Widerrufs beim VR trägt derjenige, der das Widerrufsrecht nicht gegen sich gelten lassen will.229 • Die Voraussetzungen einer Rückabwicklung im Valutaverhältnis zwischen VN (bzw. dessen Rechtsnachfolgern) und der versicherten Person muss derjenige beweisen, der das Bezugsrecht nicht gelten lassen will. Er muss u.a. die Störung des Valutaverhältnisses darlegen und beweisen.230 Nimmt z.B. der Rechtsnachfolger des verstorbenen VN die ursprünglich als Bezugsberechtigte eingesetzte Ehefrau des VN in Anspruch und ist streitig, ob der VN mit der Einräumung des Bezugsrechts seinen auch in einem Scheidungsverfahren fortbestehenden Unterhaltspflichten Rechnung tragen wollte, so muss der Rechtsnachfolger beweisen, dass das Fortbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft Geschäftsgrundlage für die Zuwendung des Bezugsrechts war.231
Die Beweisregel des § 416 ZPO für Privaturkunden gilt auch für das Inverkehrbringen einer schriftlichen Bestimmung des Bezugsberechtigten.232
§ 186 Hinweispflicht des Versicherers Zeigt der Versicherungsnehmer einen Versicherungsfall an, so hat der Versicherer ihn auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen in Textform hinzuweisen. Unterbleibt dieser Hinweis, so kann sich der Versicherer auf Fristversäumnis nicht berufen.
Schrifttum Fausten Auskunfts- und Aufklärungspflichten des Versicherers im Leistungsfall und bei der Schadenregulierung, VersPrax 2007 126; Kloth Wie weist der Unfallversicherer zukünftig den Weg? – Ein kritischer Beitrag zur neuen Hinweispflicht des Unfallversicherers nach § 186 VVGE, RuS 2007 397; Knappmann Der Eintritt des Versicherungsfalls und die Rechte und Pflichten der
228 229 230
Vgl. OLG Karlsruhe 1.6.2006 VersR 2007 341, 342 = RuS 2007 161, 162 OLG Zweibrücken 19.6.2006 NJW-RR 2007 1039, 1040. BGH 28.9.1988 VersR 1988 1236, 1237; OLG Koblenz 15.1.1998 VersR 1999 830, 831 = RuS 1999 522, 523.
380
231
232
BGH 30.11.1994 BGHZ 128 125, 134 = VersR 1995 282, 284 = NJW 1995 1082, 1085 = RuS 1995 116. BGH 18.12.2002 VersR 2003 229; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 166 Rn. 3.
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Hinweispflicht des Versicherers
§ 186
Vertragsbeteiligten, RuS 2002 485; Manthey Wann ist dem Unfallversicherer die Berufung auf die formellen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AUB 88 (§ 8 Abs. 2 AUB 71) verwehrt? NVersZ 2001 55; Marlow Aktuelle Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2004 353; Rixecker VVG 2008 – Eine Einführung, ZfS 2007 619.
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . I. Zweck der Vorschrift . . . . . . . . . II. Bewertung der Vorschrift . . . . . . . 1. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . 2. Regelungstechnik . . . . . . . . . . B. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . C. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . D. Erfüllung der Hinweis- und Belehrungsobliegenheiten . . . . . . . . . . . . . I. Normadressat . . . . . . . . . . . . . II. Empfänger des Hinweises . . . . . . . III. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . V. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . VII. Zugang . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. 1 . 2 . 3 . 4 . 9 . 10 . 17
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Rn. E. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . F. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . I. Hinweis- und Beratungspflicht des VR . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . a) Fehlvorstellung des VN . . . . . . . aa) Belehrungsbedürftigkeit des VN . bb) Belehrungsanlass für den VR . . . cc) Verschulden des VR . . . . . . . b) Schaffung von Vertrauenstatbeständen durch den VR . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . II. Hinweis- und Beratungspflicht Dritter . . . G. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . . H. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . .
30 34 35 36 37 38 40 43 46 49 50 51 52
A. Einführung Der Gesetzgeber ist mit der erstmaligen Schaffung einer allgemeinen Hinweisobliegen- 1 heit des VR auf Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen den Vorschlägen der VVG-Expertenkommission 1 sowohl bei der Formulierung des Gesetzestextes als auch der Gesetzesbegründung nahezu vollständig (bis auf kleine redaktionelle Abweichungen) gefolgt. Die gegen die neue Regelung des § 186 geäußerte Kritik (insbesondere des GDV) fand im Gesetzgebungsverfahren kein Gehör. Die neue Vorschrift des § 186 bezweckt eine Verbesserung der Rechtsposition des VN. Sie ist rechtspolitisch keinesfalls zwingend und in ihrer Ausgestaltung zu kritisieren.
I. Zweck der Vorschrift Die Vorschrift des § 186 zielt darauf ab, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und den 2 VN vor einem Anspruchsverlust zu schützen, weil er Anspruchs- oder Fälligkeitsvoraussetzungen bzw. einzuhaltende Fristen übersieht. Hintergrund der Regelung ist, dass es auf Grundlage der AUB bei Invaliditätsleistungen zu zahlreichen Streitigkeiten zwischen VN und VR gekommen war, nachdem der VN es versäumt hatte, die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall ärztlich feststellen zu lassen und beim VR geltend zu machen. Allein die Nichteinhaltung dieser formellen Anspruchsvoraussetzungen führte dazu, dass der VN keine Invaliditätsleistung beanspruchen konnte, es sei denn, dem VR konnte ein Treueverstoß vorgeworfen werden, der es ihm nach § 242 BGB verwehrte, sich auf die verstrichenen Fristen zu berufen. Es entwickelten sich zahlreiche – z.T.
1
Abschlussbericht S. 137, 264 und 404.
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§ 186
Kapitel 7: Unfallversicherung
umstrittene – Fallgruppen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 133 ff.). Diese komplexe und sicherlich nicht immer einfach zu beurteilende Rechtslage wird nunmehr entschärft, indem dem VR eine allgemeine Informationsobliegenheit auferlegt wird. Sie wird damit begründet, die VN gingen nicht von vornherein davon aus, dass die Anspruchsrealisierung von der Wahrung zeitlicher Voraussetzungen abhängig sein könnte. Auch zögen sich die ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen nach einem Unfallereignis häufig längere Zeit hin, ohne dass der versicherten Person die ärztliche Prognose zu einem bestimmten Zeitpunkt erkennbar sein müsse.2
II. Bewertung der Vorschrift 3
Mit § 186 verallgemeinert der Gesetzgeber die bisherige Rechtsprechung, die auf Grundlage der AUB keine allgemeine, sondern lediglich einzelfallbezogene Hinweisobliegenheiten des VR angenommen hatte (Rn. 35 ff.). Darüber hinaus setzt sich der Gesetzgeber über eine Entscheidung der Verfasser der AUB 99 hinweg, die bewusst davon abgesehen hatten, eine Pflicht des VR einzuführen, auf die Fristen in Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99 hinzuweisen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 57). Dagegen kann als solches selbstverständlich nichts eingewandt werden. Rechtspolitisch ist die Regelung aber durchaus zu hinterfragen. Jedenfalls ist ihre Ausgestaltung nicht geglückt. 1. Regelungsinhalt
4
Das mit der Schaffung einer generellen Hinweisobliegenheit verfolgte rechtspolitische Ziel ist zwar nicht zwingend geboten, jedoch keinesfalls sachfremd.3 Insbesondere sind die für den VR geschaffenen Belastungen nicht unverhältnismäßig. Allerdings ist der möglicherweise erhoffte Nutzen der Norm für den VN mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Die Vielzahl der Entscheidungen, die zu den Fristenregelungen in den AUB 5 61/88/94/99 mit ihren Regelungen zum Eintritt, der Feststellung und Geltendmachung der Invalidität ergangen sind, belegen, dass in der Praxis tatsächlich häufig – aus welchen Gründen auch immer – Informationsdefizite beim VN bestehen. Insofern wird § 186 dazu beitragen, den VN vor einem Anspruchsverlust aufgrund von Fristversäumnissen zu schützen. Das vom Gesetzgeber angenommene Schutzbedürfnis des VN ist indes in zweierlei Hinsicht zu relativieren. Zum einen sind die Fälle, in denen sich der VR auf Fristversäumnisse des VN beruft, im Vergleich zu der Vielzahl von „reibungslos abgewickelten Unfallschäden“ die Ausnahme. Zum anderen ist fraglich, ob der VN in dem Maße schutzbedürftig ist, wie es der Gesetzgeber offenbar annimmt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: • Die neue Regelung ist ein Fremdkörper im Zivilrecht und führt in der Unfallversicherung zu einer Privilegierung des VN. Für die anderen Versicherungssparten fehlt eine Obliegenheit des VR, den VN auf Anspruchs-, Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen hinweisen zu müssen. Auch andere versicherungsfremde Bereiche sehen – soweit ersichtlich – nicht vor, dass eine Vertragspartei die andere umfassend darauf aufmerksam machen muss, wie sie ihre (vermeintlichen) Ansprüche erfolgreich durchsetzen kann. Normalerweise hat sich jede Partei selbst darum zu
2
Begründung des RegE zu § 186, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109; Abschlussbericht S. 137.
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3
S.a. Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 4 („berechtigtes Anliegen“).
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Hinweispflicht des Versicherers
§ 186
kümmern, ob, wie und wann sie ihre Rechtspositionen wahrnimmt. Dem (vermeintlich) stärkeren Partner obliegt es – jedenfalls bei Fehlen eines erkennbaren Anlasses – nicht, Rechtsunkenntnis des anderen zu beseitigen. Jedem Vertragspartner kann zugemutet werden, sein Vertragswerk sorgfältig zu studieren und sich ggf. sachkundige Hilfe zu suchen. Einem „mündigen“ VN muss die Lektüre der Vertragsbedingungen nicht erspart werden. Dies gilt umso mehr, wenn der Versicherungsfall eingetreten ist und der VN Leistungen vom VR verlangt. Durch § 186 wird der VN i.E. seiner eigenen Verantwortung enthoben. Die Ausnahme der Belehrungspflicht wird zum Grundsatz. • Die VVG-Reform 2008 hat bereits nachvertragliche Beratungspflichten geschaffen, die über das von der EU-Vermittlerrichtlinie geforderte Maß hinausgehen (vgl. § 6 Abs. 4). Der Verschärfung durch § 186 bedarf es nicht. • Eine weitere Besonderheit des § 186 gegenüber der bisherigen Rechtslage liegt darin, dass die Belehrungs- und Hinweisobliegenheiten unabhängig davon bestehen, ob der VN überhaupt (für den VR erkennbar) schutzwürdig ist. Der VR muss „sicherheitshalber“ unabhängig davon belehren, ob der VN die Anspruchsvoraussetzungen usw. positiv kennt oder sie (grob) fahrlässig nicht kennt, ob er zu erkennen gibt, dass er einer Fehlvorstellung oder einem Missverständnis unterliegt, ob er Verbraucher oder Unternehmer ist, Spezialkenntnisse hat oder nicht, von einem Rechtskundigen oder einem Versicherungsexperten vertreten wird (Rechtsanwalt, Makler, Versicherungsberater). Die Regelung schießt damit insofern über das Ziel hinaus, als Hinweise und Belehrungen auch gegenüber Personen erfolgen müssen, die dieser gar nicht bedürfen. Unterbleibt in solchen Fällen die „Zwangsberatung“, können selbst nicht belehrungsbedürftige Personen aus reinem Formalismus ihnen bekannte Anspruchsvoraussetzungen und Fristen missachten. Ihnen könnte allenfalls Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden, wenn sie sich trotz Kenntnis der Anspruchsvoraussetzungen, Fristenregelungen u.ä. auf § 186 S. 2 berufen. In der Praxis dürfte dies für den VR indes kaum beweisbar sein.
Die Schaffung zusätzlicher Hinweisobliegenheiten führt im Vergleich zur bisherigen 6 Rechtslage zu einem zusätzlichen Arbeits- und Kostenaufwand, den i.E. die Versichertengemeinschaft zu tragen hat; denn § 186 bewirkt eine bisher für den VR neuartige Informationsobliegenheit mit entsprechender Beweisbelastung. Während bisher der VN die Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie die Einhaltung von Fristen zu beweisen hatte, muss zukünftig der VR den Nachweis dafür führen, dass er seinen Hinweisobliegenheiten in Textform nachgekommen ist, z.B. entsprechende Schreiben dem VN zugegangen sind. Will der VR eventuellen Missbrauch des VN – wahrheitswidriges Bestreiten des Erhalts der gesetzlich geforderten Hinweise – ausschließen, muss er den Zugang beim Anspruchsteller beweiskräftig dokumentieren. Praktisch ist dies nicht unproblematisch (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 55 ff.). Unwiderlegbares (wahrheitswidriges) Bestreiten durch den VN wird letztlich die Versichertengemeinschaft tragen müssen. Allerdings sind die praktischen Umsetzungsschwierigkeiten zu relativieren. Zum einen belehren die VR den VN bereits heute standardmäßig über die zu beachtenden Fristen bei Invaliditätsansprüchen. Zukünftig müssen diese Hinweise (ggf.) „nur“ für andere Anspruchs-, Fälligkeitsvoraussetzungen und sonstige Fristerfordernisse ergänzt werden. Zum anderen ist (wohl eher theoretisch) denkbar, dass der VR vom VN eine gesondert zu unterzeichnende Bestätigung für den Erhalt bestimmter Dokumente (Hinweise) einfordert. Alternativ kommt im Interesse einer möglichst unbürokratischen Handhabung aber auch in Betracht, dass der VR die Informationen auf der Schadenanzeige abdruckt. Füllt der VN die Anzeige im Original aus und sendet er sie unterschrieben an den VR zurück, so kann der VR eindeutig dokumentieren, dass er dem VN die geforderten Hinweise übermittelt hat. Ähnliches gilt typischerweise auch dann, wenn der VN dem VR mit einem gesonderten Schreiben antwortet. Indem er auf eine Aufforderung des VR reagiert, die mit den von § 186 S. 1 geforderten Hinweisen verbunden ist, bringt er zumindest konkludent zum Ausdruck, dass er die Informationen des VR erhalten hat.
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§ 186 7
Kapitel 7: Unfallversicherung
Der Gesetzgeber hat die mehr oder weniger deutlich angesprochene Erwartung, dass sich in der Rechtspraxis die „leidige“ Diskussion von formalen Rechts- bzw. Fristfragen reduzieren und insofern mehr Rechtssicherheit eintreten wird, da eine Korrektur über den Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr oder nur noch selten nötig ist. Für diese Annahme spricht auf erste Sicht, dass auf formaler Ebene schwer prognostizierbare Wertungen abgebaut und durch eine wenn auch „ungewohnte“ Hinweisobliegenheit des VR ersetzt werden, deren Erfüllung sich auf erste Sicht relativ leicht überprüfen lässt. Die Hoffnung, dass sich durch Einführung des § 186 die Zahl der Rechtsstreitigkeiten signifikant senken und die Gerichte bzw. streitschlichtenden Stellen entlastet werden, bleibt indes bei näherer Betrachtung trügerisch. • Die Anwendung des § 186 in der Praxis wirft durch unscharfe Formulierungen nicht gerade wenige Auslegungsfragen auf (Rn. 9), deren Klärung durch die höchstrichterliche Rechsprechung auf sich warten lassen wird. Bereits die Gerichtspraxis z.B. zu § 5a Abs. 2 S. 1, 8 Abs. 4 S. 3, 8 Abs. 5 S. 3 oder auch § 12 Abs. 3 S. 2 a.F. belegt die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von gesetzlichen Belehrungserfordernissen. • Die rechtlichen Prüfungen werden sich mehr von der formellen Fristenkontrolle in den materiellrechtlichen Bereich verlagern. Streitfragen zwischen den Parteien werden vermutlich das Unfallereignis, die Kausalität, Mitwirkung von unfallfremden Umständen usw. noch mehr in den Vordergrund der gerichtlichen Betrachtung rücken. Dies mag eher der Erwartungshaltung des Anspruchstellers entsprechen. Jedoch ist zweifelhaft, ob dadurch Gerichtsverfahren verkürzt werden können. Kommt es zu Diskussionen zwischen den Parteien über die Einhaltung der Fristenregelungen, so handelt es sich häufig um bloße Hilfsargumentationen, weil andere Fragen in der Leistungsregulierung (z.B. die Unfallkausalität oder das Eingreifen von Ausschlussgründen) zwischen den Vertragsparteien ebenfalls streitig sind. Diese „an sich“ streitigen Themen konnten dann in der Vergangenheit letztlich unentschieden bleiben, weil die formalen Fristenfragen leichter zu klären waren. Sofern der VR seiner Informationsobliegenheit nicht nachkommt, wird diese prozessökonomische Vorgehensweise in der Zukunft nicht mehr möglich sein. Offene Fragen zur materiell-rechtlichen Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs werden ggf. nach weiteren kosten- und zeitintensiven Beweisaufnahmen (z.B. Einholung von Sachverständigengutachten) aufgeklärt und entschieden werden müssen.
8
§ 186 stellt einen Eingriff in die Vertragsfreiheit dar und schränkt die bisher insbesondere für den VR bestehenden Dispositionsmöglichkeiten ein, da im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage Verteidigungsoptionen (z.B. Leistungsablehnung wegen Ablauf vertraglich vereinbarter Fristen) von der Einhaltung einer Informationsobliegenheit abhängig gemacht werden. Eine echte Notwendigkeit hierfür besteht nicht. Nimmt der Verwender von AVB in unzulässiger Weise einseitige Gestaltungsmacht in Anspruch, wird der Vertragspartner ausreichend über die allgemeinen zivilrechtlichen Institute (AGBRecht, Treu und Glauben) geschützt. Dies war auch bei der bisherigen Rechtslage zu den AUB durch die Rechtsprechung gewährleistet. Die neue Vorgabe des Gesetzgebers ist insbesondere deshalb überraschend, weil die höchstrichterliche Rechtsprechung die Fristenregelungen in den AUB ausdrücklich für wirksam befunden hat; also eine Vereinbarkeit mit dem AGB-Recht sowohl unter Gesichtspunkten der inhaltlichen Angemessenheit als auch nach Transparenzerwägungen – ohne eine generelle Hinweis- und Aufklärungspflicht des VR – festgestellt hatte (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 163 ff.). Wie bei vielen Punkten der VVG-Reform 2008 kommt auch in § 186 zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber sich über sein ursprünglich gesetztes Ziel, nur notwendige Änderungen anhand der Rechtsprechung vorzunehmen, hinweggesetzt hat und stattdessen den Verbraucherschutz zu Lasten des VR stärken wollte. I.E. ist hiergegen nichts Gravierendes einzuwenden, sofern § 186 sachgerecht ausgelegt wird. Die Obliegenheit des Unfall-VR, auf Anspruchsund Fälligkeitsvoraussetzungen hinweisen zu müssen, ist zwar ein Fremdkörper, wird jedoch den VR in der praktischen Umsetzung voraussichtlich nicht übermäßig belasten,
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Kent Leverenz
Hinweispflicht des Versicherers
§ 186
da sie von vielen VR auch schon vor der VVG-Reform 2008 gepflegt worden ist, sich voraussichtlich in bestehende Regulierungsprozesse „beweiskräftig“ integrieren lässt und damit unter dem Strich lediglich „mehr Papier“ schafft. Allerdings darf der praktische Nutzen des § 186 für den VN nicht zu hoch veranschlagt werden. Zum einen kann die Umsetzung der Vorschrift auch leicht zu einem „Informationsverdruss“ des VN führen. Will der VR seiner Informationsobliegenheit nachkommen, wird der VR zu allen in Betracht kommenden Leistungsarten sämtliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen mitteilen. Ein großer Teil der dem VN ohnehin bereits vorliegenden AVB müssen ihm erneut mitgeteilt werden. Es kommt zu Doppelungen gegenüber der Verbraucher- bzw. Vertragsinformation gemäß § 7 und VVG-InfoV. Auch ist zu berücksichtigen, dass schon in der Vergangenheit viele VN die Fristenregelungen übersehen haben, obwohl der VR – mitunter mehrfach – auf sie hingewiesen hatte.4 Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die VR die Einhaltung der Anspruchsvoraussetzungen zukünftig genau prüfen werden. Wenn sie den VN schon umfassend belehren müssen, haben sie zukünftig keinen Anlass mehr, bei „an sich“ leistungsausschließenden Versäumnissen des VN, die nach der bisherigen Rechtslage noch als „verständlich“ angesehen wurden (z.B. geringfügigen Fristversäumnissen), oder bei Bagatellschäden kulant zu regulieren. Nennenswerte Beschleunigen in der Leistungsregulierung oder Entlastungseffekte in streitigen Verfahren sind nicht zu erwarten. 2. Regelungstechnik Der Gesetzgeber hat sich entschieden, dass unterstellte Informationsgefälle zwischen 9 VR und VN bzgl. der Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen in der Unfallversicherung mit einer Hinweisobliegenheit des VR auszugleichen. In ähnlicher Form hat das Gesetz in § 12 Abs. 3 S. 2 a.F. auf die häufig bestehende Unkenntnis des VN über die im alten Recht bestehende sechsmonatige Klagefrist reagiert. Auch hier schien es geboten, den VN wegen der weit reichenden Folgen der Versäumung einer Ausschlussfrist besonders zu belehren. Systematik und Formulierung des § 186 unterliegen jedoch Bedenken: • Es handelt sich um eine Obliegenheit und nicht um eine Rechtspflicht des VR. Insofern ist die Überschrift des Tatbestandes mit „Hinweispflicht“ ungenau. • § 186 schafft eine spezielle Informationsobliegenheit für die Unfallversicherung, die im Kontext zu § 6 Abs. 4 und § 7 Abs. 3 i.V.m. § 6 VVG-InfoV zu sehen ist. Es stellt sich die Frage, ob die Hinweisobliegenheit auf Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen in der Unfallversicherung einer eigenen speziellen Norm bedarf oder eine Regelung in § 6 VVG-InfoV nicht systemgerechter gewesen wäre. • Der Informationsadressat ist zu eng gefasst.5 Neben dem VN kann insbesondere auch die versicherte Person zu berücksichtigen sein (Rn. 20). • Der Wortlaut des § 186 S. 1 ist einerseits im Hinblick auf die Informationsgegenstände („Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen“) zu weit gefasst und geht über das vom Gesetzgeber Gewollte hinaus.6 Durch eine präzisere Fassung hätten sich Rechtsunsicherheiten vermeiden lassen können.7 So ist eine telelogische Reduktion notwendig (Rn. 13). Andererseits überzeugt die Begrenzung auf „vertragliche“ Regelungen nicht. Die Ausklammerung von „gesetzlichen“ Fälligkeitsvoraussetzungen führt zu Zufallsergebnissen (Rn. 14).
4 5
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 43; van Bühren/Schubach 3 Hdb. § 16 Rn. 170. Marlow/Spuhl 3 S. 267; ferner Schwintowski/ Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 4.
6 7
Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 4. So auch Kloth RuS 2007 397, 400.
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§ 186
Kapitel 7: Unfallversicherung
• Die Formulierung „nicht berufen“ ist nicht (immer) korrekt. Bei den AUB-Fristen (Eintritt Invalidität und ärztliche Invaliditätsfeststellung) handelt es sich um Anspruchsvoraussetzungen. Auf diese „beruft“ sich der VR nicht, sondern sie sind von Amts wegen zu prüfen. Liegen die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor bzw. sind sie nicht schlüssig vorgetragen, ist die Klage abweisungsreif (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 263 ff.). Es geht also nicht darum, dem VR Einwendungen oder Einreden abzuschneiden, sondern es ist i.E. beabsichtigt, dem VN die Wahrung vertraglicher Anspruchsvoraussetzungen abzunehmen. Es müsste demnach etwa heißen: „Verletzt der VR seine Hinweisobliegenheit, so schadet dem VN eine Fristversäumnis nicht.“
B. Anwendungsbereich Die Belehrungsobliegenheit besteht generell und ist unabhängig davon, ob der VN eines Hinweise bedarf bzw. informationsbedürftig ist, Verbraucher oder Unternehmer ist, selbst den Unfall anzeigt oder durch einen Rechtsanwalt bzw. Versicherungsmakler vertreten wird. Kein Hinweis muss indes im Fall der Arglist des VN erfolgen. Dies ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, entspricht aber der Auslegung zu anderen – insofern vergleichbaren – Vorschriften. So entfällt die Hinweisobliegenheit des VR nach § 19 Abs. 5 S. 1 und § 28 Abs. 4, wenn der VN arglistig agiert (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 45 und Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 115). Auch im Fall des § 186 ist der arglistige VN demnach nicht schutzbedürftig. Neben dem in § 186 ausdrücklich angesprochenen VN sind auch sonstige materiell berechtigte Anspruchsinhaber (versicherte Person oder Bezugsberechtigte) schutzwürdig. Sie sind ebenfalls zu belehren (Rn. 20). Die Anwendung des § 186 ist davon unabhängig, welche Versicherungssummen im 11 Streit stehen. Die Hinweisobliegenheit auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen besteht – für alle Leistungsarten – sowohl bei „Bagatell-“ als auch bei „Großschäden“. Eine Einschränkung auf die Invaliditätsleistung ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen. Auch wenn der Gesetzgeber die als unbefriedigend empfundene Rechtslage zu den formellen Anspruchsvoraussetzungen der Invaliditätsleistung zum Anlass nahm, die Informationsobliegenheit für den VR zu begründen, wird in den Materialien explizit klargestellt, dass die Hinweisobliegenheit auch für die Fälle gilt, in denen der VR außerhalb der Invalidität spezielle Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen für seine Leistungspflicht vorsieht.8 Im Unfallversicherungsrecht bestehen eine Reihe von unterschiedlichen Fristen, auf 12 die der Anspruchsteller zu achten hat, wenn er Rechtsnachteile vermeiden will. Auf einige dieser Fristen hat der VR nach §§ 186, 188 hinzuweisen:
10
8
Begründung des RegE zu § 186, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109.
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§ 186
Hinweispflicht des Versicherers Stichwort
Fristbeginn
Fristdauer
Regelung
Belehrungsobliegenheit des VR?
Unverzüglich
§ 181, 6.2.1 AUB 99/2008
Nein, da Obliegenheit des VN
Nach Abschluss des Versicherungsvertrags und vor Eintritt des Versicherungssicherungsfalls Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person
Gefahränderung
Nach Eintritt des Versicherungsfalls Meldung des Unfalltodes
Unfallbedingter Tod der versicherten Person
48 Stunden
Ziff. 7.5 AUB 99/2008
Nein, da Obliegenheit des VN
Hinzuziehung eines Arztes
Unfall
Unverzüglich
Ziff. 7.1 AUB 99/2008
Nein, da Obliegenheit des VN
Unterrichtung des VR
Unfall
Unverzüglich
Ziff. 7.1 AUB 99/2008
Nein, da Obliegenheit des VN
Rücksendung der Unfallschadenanzeige an den VR
Zugang der Unfallschadenanzeige des VR beim VN
Unverzüglich
Ziff. 7.2 AUB 99/2008
Nein, da Obliegenheit des VN
Übergangsleistung: Unfalltag Ununterbrochene Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zu mehr als 50 %
Sechs Monate
Ziff. 2.2.1 AUB 99/2008
Nein, da verhaltensunabhängige Anspruchsvoraussetzung
Übergangsleistung: Geltendmachung der Leistung
Unfall
Sieben Monate Ziff. 2.2.1 AUB 99/2008
Ja, da Ausschlussfrist
Todesfallleistung: Unfallbedingter Tod der versicherten Person
Unfall
Ein Jahr
Ziff. 2.6.1 AUB 99/2008
Nein, da verhaltensunabhängige Anspruchsvoraussetzung
Invaliditätsleistung: Eintritt der Invalidität
Unfall
Ein Jahr
Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008
Nein, da verhaltensunabhängige Anspruchsvoraussetzung
Invaliditätsleistung: Ärztliche Feststellung der Invalidität
Unfall
Fünfzehn Monate
Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008
Ja, da Anspruchsvoraussetzung
Invaliditätsleistung: Geltendmachung der Leistung
Unfall
Fünfzehn Monate
Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008
Ja, da Ausschlussfrist
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387
§ 186 Stichwort
Kapitel 7: Unfallversicherung Fristbeginn
Fristdauer
Regelung
Belehrungsobliegenheit des VR?
Invaliditätsleistung: Eintritt des Unfalls Ausübung des Rechts auf Neubemessung (durch VN)
Jährlich, längstens bis zu drei Jahre
§ 188, Ziff. 9.4 AUB 99/2008
Ja, da Ausschlussfrist
Invaliditätsleistung: Letztmöglicherer Zeitpunkt der Bemessung
Drei Jahre
§ 188, Ziff. 9.4 AUB 99/2008
Ja, da Ausschlussfrist
Invaliditätsleistung: Zusammen mit Ausübung des Leistungserklärung Rechts auf Neubemessung (durch VR)
Sofort
§ 188, Ziff. 9,4 AUB 99/2008
Nein, aber § 188 Abs. 2 findet Anwendung
Gerichtliche Geltendmachung
Belehrung des VR
Sechs Monate
§ 12 Nein, da Regelung Abs. 3 a.F., inzwischen aufgeZiff. 14 hoben ist AUB 99
Verjährung
Zeitpunkt, ab welchem Leistung verlangt werden kann
Drei Jahre
§ 195 BGB Nein
Unverzüglich
Ziff. 9.5 AUB 99/2008
Nach Erklärung des VR zu seiner Leistungspflicht
Eintritt des Unfalls
Nach Leistungsbeginn durch den VR Vorlage einer Anforderung durch Lebensbescheinigung den VR
13
Nein, da Obliegenheit des VN
Mit „Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltenden Fristen“ in § 186 S. 1 sind die von einem fristgemäßen Verhalten des VN abhängigen besonderen bzw. speziellen Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen gemeint.9 Dies ergibt sich zunächst aus dem Kontext zu § 186 S. 2, der die „Fristversäumung“ anspricht. Des Weiteren spricht die Gesetzesbegründung von „bestimmten zeitlichen Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen“ und „solchen speziellen Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen“.10 Die Hinweisobliegenheit des VR nach § 186 S. 1 betrifft z.B. die für die • Invaliditätsleistung (Ziff. 2.1 AUB 99/2008) erforderliche ärztliche Feststellung der Invalidität und ihre Geltendmachung.11
9
10
Kloth Rn. G 46; ders. RuS 2007 397, 398; Marlow/Spuhl 3 S. 267; Rixecker ZfS 2007 619, 620; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 186 VVG Rn. 4; Schimikowski/Höra S. 203. Begründung des RegE zu § 186, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109.
388
11
Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 9; Kloth Rn. G 46; ders. RuS 2007 397, 398; Marlow/Spuhl 3 S. 267 und 268; Rixecker ZfS 2007 619, 620; Schimikowski/Höra S. 203.
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Hinweispflicht des Versicherers
§ 186
• Übergangsleistung (Ziff. 2.2 AUB 00/2008) erforderliche Geltendmachung unter Vorlage eines ärztlichen Attestes12 • Anerkennung der Leistung durch den VR erforderliche Beibringung von Unterlagen (Ziff. 9.1 AUB 99/2008).13
Die Norm erfasst nicht die • allgemeinen, in jedem Versicherungszweig bestehenden Voraussetzungen eines Anspruchs. Der VR muss also nicht darauf hinweisen, dass der Anspruch des VN gegen ihn einen bestehenden Unfallversicherungsvertrag, den Eintritt des Versicherungsfalls während der materiellen Versicherungsdauer oder die Fälligkeit der Leistung voraussetzt.14 • Fristen, auf die der VN keinen Einfluss hat. Insbesondere braucht der VR nicht darüber zu unterrichten, dass er eine Invaliditätssumme (regelmäßig) nur dann leistet, wenn die Invalidität während eines Jahres nach dem Unfall eingetreten ist.15 Die Wahrung dieser Frist hängt von keinem Verhalten des VN ab. Den VR wird aber zu empfehlen sein, zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten „vorsichtshalber“ auch über die Jahresfrist zu informieren.16 • Kommentierungen zu den Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen. Der VR muss nicht auf Auslegungen durch die Rechtsprechung oder einzuhaltende Mindestanforderungen hinweisen.17 Eine dahingehende Annahme ist vom Wortlaut des § 186 nicht gedeckt. Der VN ist ausreichend geschützt, da den VR bei erkennbarem Anlass unabhängig von § 186 eine Beratungspflicht trifft (§ 6 Abs. 4).
§ 186 S. 1 erstreckt sich ausdrücklich nur auf „vertragliche“ Anspruchs- und Fällig- 14 keitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen. Auf gesetzliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen (z.B. §§ 187, 14) muss folglich nicht hingewiesen werden, sofern nicht die AVB entsprechende Regelungen enthalten.18 Damit wird der Gegenstand der Hinweisobliegenheit nach § 186 von dem u.U. zufälligen Umstand bestimmt, welche im Gesetz normierten Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen der VR in seine AVB übernommen hat. Sinnvoll erscheint diese Differenzierung nicht.19 15 Aus § 186 folgt keine Hinweisobliegenheit des VR zu • Obliegenheiten des VN. Für diese bestehen spezielle Informations- und Belehrungspflichten des VR (§§ 19 Abs. 5, 28 Abs. 4, § 4 Abs. 4 Nr. 5 bis 7 VVG-InfoV). Fernerhin handelt es sich bei Obliegenheiten nicht um Anspruchs- oder Fälligkeitsvoraussetzungen. Sofern bei der Beachtung von Obliegenheiten Fristen einzuhalten sind, stehen Versäumnisse der Anspruchsentstehung noch nicht entgegen, sondern können – unter bestimmten Voraussetzungen (Verschulden und Kausalität, vgl. Ziff. 8 AUB 2008) – für den VR Gegenrechte begründen. Der VR hat deshalb den VN nicht nach § 186 über die Obliegenheit der Unfalltodesfallmeldung nach Ziff. 7.5 AUB 2008 zu unterrichten.20 • Verjährungsfragen. Weder muss der VR den VN darauf hinweisen, dass der VN bei Leistungsansprüchen gegen den VR die laufende Verjährungsfrist beachten muss, noch muss er im Fall der Verfolgung von Ansprüchen gegen den VN dafür Sorge tragen, dass der VN Kenntnis von einer möglichen Verjährungseinrede gegen den VR erlangt. Zwar nennt § 186 allgemein „einzuhaltende Fristen“. Jedoch beziehen sich diese Worte erkennbar auf Anspruchs- und Fälligkeitsvoraus-
12 13 14 15
Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 40. Kloth RuS 2007 397, 398; Marlow/Spuhl 3 S. 268. Marlow/Spuhl 3 S. 267; Rixecker ZfS 2007 619, 620. Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 10; Kloth Rn. G 46; ders. RuS 2007 397, 398; Marlow/Spuhl 3 S. 267; Rixecker ZfS 2007 619, 620.
16 17
18 19 20
Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 11. A.A. Kloth Rn. G 48 ff.; ders. RuS 2007 397, 398 f.; auch Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 13. Kloth Rn. G 47; ders. RuS 2007 397, 398. Marlow/Spuhl 3 S. 268. A.A. Kloth Rn. G 56; ders. RuS 2007 397, 400; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 49.
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§ 186
Kapitel 7: Unfallversicherung
setzungen und nicht auf Einwendungen oder Einreden einer Vertragspartei. Weiterhin entspricht es der bisherigen Rechtslage, dass der VR grundsätzlich nicht arglistig oder treuwidrig handelt, wenn er sich auf Verjährung beruft. Eine allgemeine Hinweispflicht für den VR hat die Rechtsprechung bisher ausdrücklich verneint (Ziff. 15 AUB 99 Rn. 37 ff.). Aus den Materialien zu § 186 ist nicht ersichtlich, dass für die Zukunft anderes gelten soll. Im Übrigen greift der Schutzzweck des § 186 nicht für die Verjährungseinrede. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass der VN häufig in Unkenntnis formeller Anspruchsvoraussetzungen (insbesondere der Jahres- und 15-Monatsfrist beim Invaliditätsanspruch) einen Anspruchsverlust erleidet. Der Beginn der Verjährungsfrist ist dagegen von der Fälligkeit des Versicherungsanspruchs abhängig. Versäumt der VN es drei Jahre, nachdem er die Leistung vom VR verlangen kann, diese (gerichtlich) einzufordern, so ist der VN genauso wenig schutzwürdig wie andere Gläubiger, die es versäumen, ihre Ansprüche rechtzeitig (gerichtlich) geltend zu machen
16
Die Hinweisobliegenheit des VR nach § 186 S. 1 knüpft an den Eintritt des Versicherungsfalls an. Sie besteht somit nicht bei Vertragsschluss, sondern während der laufenden Vertragsbeziehung. Dies schließt natürlich nicht aus, dass der VR dem VN bereits bei Vertragsschluss ein Merkblatt bzw. eine Checkliste an die Hand gibt, die Informationen zu einem sachgerechten Verhalten nach Eintritt des Versicherungsfalls enthalten.21 Eine solche Aufstellung kann indes den Hinweis nach Anzeige des Versicherungsfalls nicht ersetzen.22 Die Hinweisobliegenheit ist weiterhin nicht gegeben, wenn Ansprüche aus Unfällen hergeleitet werden, die außerhalb der materiellen Versicherungsdauer eingetreten sind.
C. Tatbestandsvoraussetzungen 17
Bei der Hinweisobliegenheit des VR handelt es sich um eine Informationsobliegenheit.23 Sie setzt voraus, dass der VN den Versicherungsfall angezeigt hat. • Die Unfallanzeige hat nach dem Wortlaut von § 186 S. 1 vom VN (bzw. dessen Stellvertreter oder Rechtsnachfolger) zu erfolgen. Diese Formulierung dürfte zu eng gefasst sein. Da die Obliegenheit zur unverzüglichen Unfallanzeige nicht nur den VN, sondern z.B. bei Fremdversicherungen auch die versicherte Person treffen kann (Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 50 und 62), erscheint es konsequent, wenn die Hinweisobliegenheit des VR immer dann ausgelöst wird, wenn die Unfallanzeige durch Personen erfolgt, für die die AUB eine entsprechende Obliegenheit aufstellen. • Da das Gesetz keine weiteren Anforderungen an die Anzeige stellt, wird die Hinweisobliegenheit unabhängig davon ausgelöst, ob die Anzeige ausdrücklich oder konkludent bzw. schriftlich oder mündlich erfolgt.
Weitere Anlässe zu einer Informationserteilung sieht § 186 S. 1 nicht vor.24 Allerdings kann sich für den VR nach allgemeinen Grundsätzen (Treu und Glauben) und den Gesamtumständen des Einzelfalls die Notwendigkeit ergeben, den VN ein weiteres Mal gemäß § 186 S. 1 oder § 242 BGB zu informieren oder nach § 6 Abs. 4 zu beraten (Rn. 35 ff.). Neben der Anzeige des Versicherungsfalls stellt § 186 S. 1 keine weiteren Voraussetzungen für die Begründung der Hinweisobliegenheit des VR auf. So ist z.B. keine erkennbare Schutzbedürftigkeit des VN oder ein Verschulden des VR gefordert (Rn. 5).
21 22 23
So die Anregung von Kloth Rn. G 56; ders. RuS 2007 397, 400. Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 7. Begründung des RegE zu § 186, BT-Druck-
390
24
sache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109; Abschlussbericht S. 137. Kloth Rn. G 52; s.a. ders. RuS 2007 397, 399.
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Hinweispflicht des Versicherers
§ 186
D. Erfüllung der Hinweis- und Belehrungsobliegenheiten Bei der Prüfung der Frage, ob der VR seine Hinweisobliegenheit ordnungsgemäß er- 18 füllt hat, bietet sich eine Orientierung an der Rechtsprechung zu § 12 Abs. 3 a.F. an. Letztlich ist entscheidend, ob die Würdigung der Gesamtumstände ergibt, dass der VR alles getan hat, was von ihm gefordert werden kann und ihm zumutbar ist.
I. Normadressat Die spezialgesetzliche Hinweisobliegenheit nach § 186 besteht für den VR, nicht für 19 den Versicherungsvertreter, -makler oder -berater. Allerdings kann sich der VR Dritter zur Erfüllung seiner Obliegenheit nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln bedienen. Etwaige Hinweise müssen dem VR zugerechnet werden können. Liegt ein Zurechnungsgrund vor, muss der VR für etwaiges Fehlverhalten Dritter einstehen. Keine Erfüllung tritt ein, wenn der Rechtsanwalt des VN oder der von ihm beauftragte Versicherungsmakler dem VN die nach § 186 S. 1 geforderten Hinweise erteilt. In solchen Fällen kann nur erwogen werden, ob der VN arglistig handelt, wenn er sich auf § 186 S. 2 beruft.
II. Empfänger des Hinweises Die Hinweisobliegenheit hat der VR gegenüber dem VN bzw. seinem Vertreter oder 20 Rechtsnachfolger (Erben) zu erfüllen. Andere Adressaten für die Hinweise sind in § 186 nicht genannt. Streitig ist, ob die Norm über ihren Wortlaut hinaus anzuwenden ist. Eine Auffassung argumentiert, dass es dem Informations- und Schutzzweck des § 186 S. 1 entspreche, wenn der VR auch Personen Hinweise zu den Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen geben müsse, die von einem Anspruchsverlust wegen Fristversäumnis betroffen sein könnten bzw. deren Informationsinteresse mindestens genauso groß wie das des VN sei. Dies könne auf die versicherte Person einer Fremdversicherung auf fremde Rechnung 25 oder den Bezugsberechtigten zutreffen.26 Die Gegenansicht lehnt eine Obliegenheit des VR zur pauschalen Doppelinformation ab. Die Belehrung müsse nur gegenüber der Person erfolgen, der im konkreten Schadenfall die Rechte aus dem Vertrag zustünden.27 Dieser Meinung ist zu folgen. Einerseits ist eine Regelungslücke im Gesetz fern liegend; denn der Umstand, dass neben dem VN auch andere Anspruchssteller in Betracht kommen, ist nichts Ungewöhnliches (vgl. z.B. § 44) und wird der Gesetzgeber nicht übersehen haben. Andererseits gebietet es der Normzweck, dass derjenige die Information erhält, der tatsächlich der Gefahr ausgesetzt ist, aus Unwissenheit eigene Ansprüche gegen den VR zu verlieren. Steht aus Sicht des VR (z.B. aufgrund von Bezugsrechts- oder Abtretungserklärungen) fest, wer materiell-rechtlich Anspruchsinhaber und Verfügungsberechtigter ist, so ist es ihm zumutbar, diesem die notwendigen Hinweise zu geben. Einer Zusatzinformation gegenüber dem (in diesem Fall nicht anspruchsberechtigten) VN bedarf es dann nicht. Ist jedoch z.B. im Fall einer Fremdversicherung für fremde
25
Marlow/Spuhl 3 S. 267; ferner Schwintowski/ Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 5; Rüffer/ Halbach/Schimikowski § 186 VVG Rn. 3; i.E. auch Kloth Rn. G 44; ders. RuS 2007 397, 398.
26 27
Schimikowski/Höra S. 202 f. Naumann/Brinkmann § 10 Rn. 11 f.
Kent Leverenz
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§ 186
Kapitel 7: Unfallversicherung
Rechte unklar, ob der VN seine Verfügungsbefugnis zugunsten der materiell berechtigten versicherten Person aufgegeben hat, so reicht der Hinweis an den VN aus; die versicherte Person ist nicht zusätzlich zu belehren.
III. Inhalt 21
Entscheidend ist, dass die Hinweise und Belehrungen des VR unmissverständlich und vollständig formuliert sowie inhaltlich zutreffend sind. Zu beachten ist, dass der den Grundsatz von Treu und Glauben konkretisierende und ausweitende § 186 nicht nur für das „ob“ der Hinweisobliegenheit des VR maßgebend ist. Der Schutzzweck der Vorschrift einschließlich des Grundsatzes aus § 242 BGB ist auch Maßstab für den Inhalt etwaiger Belehrungen, also für das „wie“. Es ist sinn- und treuwidrig, wenn der VR den VN mit seinen Belehrungsschreiben „Steine statt Brot gibt“ und dadurch davon abhält, seine Rechtsposition angemessen zu wahren. Maßgebend ist der objektive Belehrungsinhalt. Auf das individuelle juristische Wissen des VN oder seiner Vertreter kommt es dagegen nicht an; denn es wäre der Rechtssicherheit abträglich, wenn von Fall zu Fall (und meist nachträglich) zu entscheiden wäre, ob eine unvollständige oder irreführende Belehrung zu beachtende Fristen dennoch in Lauf gesetzt haben könnte oder nicht.28 Abzustellen ist nicht nur auf den Wortlaut, sondern auch den Gesamtzusammenhang der Belehrung.29 Zunächst hat der VR dem VN Hinweise zur Anspruchsbegründung zu geben 22 (Rn. 13). Grundsätzlich reicht es hierfür aus, den Bedingungswortlaut für den Hinweis zu verwenden, gerade wenn die entsprechenden Klauseln von der Rechtsprechung als konform mit dem AGB-Recht bestätigt worden sein sollten. Selbständige Formulierungen reichen indes ebenfalls aus, sofern sie verständlich, vollständig und zutreffend sind.30 Der Zweck der Vorschrift wird weiterhin gefördert, wenn der VR typische Missverständnisse oder Versäumnisse des VN durch beispielhafte Erläuterungen der AUB verdeutlicht. Zwingend ist dies indes nicht. Sollte die Rechtsprechung für die Begründung der Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen seitens des VN besondere Anforderungen aufgestellt haben, die in den AVB nicht zum Ausdruck kommen, mag es sich für den VR darüber hinaus anbieten, diese zusätzlich in die Hinweise einfließen zu lassen, um von vornherein etwaige Rechtsnachteile nach § 186 S. 2 oder § 242 BGB auszuschließen.31 Solche Fallkonstellationen sind allerdings schwer vorstellbar; denn sollten die AVB unvollständig, unklar oder intransparent sein, können sie dem Anspruch des VN von vornherein nicht entgegenstehen. Im Übrigen trifft den VR bei erkennbarem Anlass eine Beratungspflicht gegenüber dem VN (§ 6 Abs. 4). Der VR schuldet schließlich nur „abstrakte“ Hinweise über die Rechtslage. Er ist nicht verpflichtet, dem VN konkrete Formulierungen oder Mustertextbausteine an die Hand zu geben. Einer Prüfung durch die Rechtsprechung haben (unter Geltung des VVG a.F.) z.B. für die Invaliditätsleistung folgende Textbausteine standgehalten:
28
29
So zu § 12 Abs. 3 a.F. BGH 11.1.2006 VersR 2006 533 Rn. 3; OGH 17.1.1979 VersR 1981 95, 96; OGH 12.7.1972 VersR 1973 143, 144. OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1217.
392
30 31
ÖOGH 14.11.1991 ZfS 1992 130 (zu § 12 Abs. 3 VVG a.F.). So Kloth Rn. G 48 ff.; ders. RuS 2007 397, 398 f.
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§ 186
• „Bitte beachten Sie …: Die Invalidität muss von einem Arzt (möglichst einem Facharzt) festgestellt werden … Wenn infolge des Unfalls mit einem Dauerschaden zu rechnen ist, bitten wir Sie … den beigefügten Vordruck … vom … und dem zuletzt behandelnden Arzt ausgefüllt und unterschrieben, zurückzureichen … Bitte beachten Sie, dass eine Invalidität spätestens vor Ablauf von … Monaten vom Unfalltag an gerechnet bei uns geltend gemacht werden muss. Ggf. bitten wir Sie daher, den … Schlussbericht mit den Angaben des … Arztes rechtzeitig vor Ablauf der Frist einzureichen.“32 • „Ihre Unfallversicherung sieht Leistungen im Invaliditätsfall vor. Dieser ist gegeben, wenn innerhalb eines Jahres nach dem Unfall ein Dauerschaden als Unfallfolge eingetreten ist. Dieser Dauerschaden muss dann innerhalb weiterer drei Monate ärztlich festgestellt und uns gegenüber geltend gemacht werden. Bitte beachten Sie diese Fristen, damit Ihnen keine Nachteile entstehen.“ 33
Der GDV hat für seine Mitgliedsunternehmen ein unverbindliches Muster zur Verfügung gestellt. Der Wortlaut von § 186 S. 1 sieht nicht vor, dass der VR den VN auch über die 23 Rechtsfolgen zu informieren hat, wenn die Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie Fristen nicht eingehalten werden. Fraglich ist, ob dies zu kurz gegriffen ist.34 Dagegen spricht einerseits, dass der Gesetzgeber an anderen Stellen ausdrücklich vorgegeben hat, wenn nicht nur Informationen zu Verhaltensnormen, sondern auch zu den Rechtsfolgen einer Missachtung dieser Vorgaben zu erteilen sind (s. z.B. §§ 19 Abs. 5 S. 1, 28 Abs. 4 , § 4 Abs. 2 Nr. 5 bis 7 VVG-InfoV oder auch § 12 Abs. 3 S. 2 a.F.). Des Weiteren ergibt sich die Rechtsfolge aus dem Gesetz – nämlich § 186 S. 2. Auch sollte dem VN klar sein, dass die Missachtung von Hinweisen des VR für ihn nachteilige Rechtsfolgen haben kann. Andererseits dürfte es der Intention der Norm entsprechen, dem VN klar vor Augen zu halten, dass bereits Fristversäumnisse zu einem Anspruchsverlust führen können, selbst wenn der Anspruch ansonsten begründet sein sollte. Unterlässt der VR – dieses leicht umzusetzende – „Warnsignal“, bleibt der Hinweistext mit dem angestrebten Verbraucherschutz „auf halbem Weg stehen“. Folgerichtig wurde bereits vor Inkrafttreten der VVG-Reform 2008 gefordert, in der Belehrung deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass bei Fristversäumnis ein Anspruchsverlust droht.35 Dies ist den VR auch nach der VVG-Reform 2008 zur Vermeidung von Rechtsrisiken zu empfehlen.36
IV. Zeitpunkt Die Hinweisobliegenheit des VR ist an den Zugang der Unfallanzeige geknüpft. Wei- 24 tere Vorgaben macht § 186 S. 1 nicht. Üblicherweise versendeten die VR bereits vor der VVG-Reform 2008 nach jeder Unfallanzeige (z.B. zusammen mit dem Schadenmeldeformular oder auf sonstigen Formschreiben) Belehrungen und Hinweise zu den von dem VN einzuhaltenden Fristen, aus denen sich u.a. ergibt, dass allein mit der Erfüllung der Meldeobliegenheiten bzw. dem Zusenden der Schadenanzeige noch keine Invaliditäts-
32 33 34 35
OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385. OLG Hamm 19.1.2001 VersR 2002 49. S.a. Marlow/Spuhl 3 S. 269; ihm zust. Rüffer/Halbach/Schimikowski § 186 VVG Rn. 5. Manthey NVersZ 2001 55, 60; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 29; auch Knappmann
36
RuS 2002 485, 489; andeutungsweise OLG Hamm 2.12.1998 NVersZ 1999 567, 568; offen lassend OLG Hamm 19.11.2004 VersR 2005 1069 = RuS 2006 83 = ZfS 2005 254 = NJW-RR 2005 539, 540. Kloth Rn. G 53; ders. RuS 2007 397, 399 f.
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§ 186
Kapitel 7: Unfallversicherung
ansprüche geltend gemacht sind.37 Diese Praxis kann auch unter Geltung des neuen VVG beibehalten werden. Der Normzweck des § 186 S. 1 legt es nahe, ein unverzügliches Handeln des VR zu 25 fordern;38 denn nur dann ist gewährleistet, dass der Anspruchsteller sein Verhalten entsprechend ausrichten und sachgemäße Entscheidungen treffen kann. Jedenfalls dürfen Verzögerungen auf Seiten des VR nicht die Anspruchsverfolgung des VN erschweren. Kommt der VR seiner Belehrungs- und Hinweisobliegenheit durch Absendung eines entsprechenden Schreibens an die richtige Anschrift des VN nach, so handelt er allerdings nicht schon deshalb pflicht- oder treuwidrig, wenn er den Versand erst kurz vor Ablauf der 15-Monatsfrist vornimmt.39 Ein Pflichtenverstoß bzw. treuwidriges Verhalten kommt erst dann in Betracht, wenn der VR durch verzögerte Bearbeitung versucht, es dem VN zu erschweren, in der verbleibenden Fristspanne die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen (z.B. die ärztliche Bescheinigung einzuholen). Fraglich ist, ob es stets ausreicht, dem VN einmal die erforderlichen Hinweise zu 26 geben, oder darüber hinaus zu fordern ist, dass der VR auch nach Reaktion auf die Unfallanzeige ein weiteres Mal (ggf. auch wiederholt) aktiv werden muss und den VN über die Fristenregelungen in den AUB zu informieren hat. Wiederholte Belehrungen sind i.E. grundsätzlich nicht erforderlich,40 auch wenn dem VR gesonderte Hinweise zur Vermeidung späterer Auseinandersetzungen zu empfehlen sind. Für eine zeitnahe, ggf. auch doppelte Hinweisobliegenheit des VR könnte zwar angeführt werden, dass das Bewusstsein des VN in einem frühen Stadium der Leistungsregulierung noch nicht für die Bedeutung der Fristenregelungen geschärft ist, wenn er nach seiner Unfallanzeige ein Formschreiben des VR erhält, dass neben den Belehrungen zu den einzuhaltenden Fristen auch andere Fragen und Hinweise enthält. Jedoch dürfen die Anforderungen an den VR auch nicht überspannt werden. Es ist dem VN zuzumuten, Schreiben des VR sorgfältig und aufmerksam durchzulesen und ggf. auch Fristen zu notieren. Aus dem Wortlaut von § 186 ergibt sich kein strengerer Maßstab. Die Vorschrift fordert nur, dass der VR den VN nach der Anzeige des Versicherungsfalls auf die Anspruchsvoraussetzungen und Fristenregelungen hinzuweisen hat. Wann dieser Hinweis erfolgen muss, bleibt offen. Vom Wortlaut gedeckt ist auch ein zeitnahes Handeln des VR nach Zugang der Unfallanzeige. Das Gesetz verlangt jedenfalls kein mehrmaliges Belehren. Allerdings sind Ausnahmen nach Treu und Glauben denkbar (Rn. 35 ff.).
V. Form 27
Vor Inkrafttreten des § 186 war auf Grundlage von § 242 BGB die Verwendung von Schreiben mit umfassenden Belehrungstexten durch den VR nicht zwingend. Er konnte seinen Hinweis- und Belehrungspflichten auch mündlich nachkommen.41 Dies wird sich nach der VVG-Reform nicht weiter vertreten lassen: § 186 verlangt die Textform (§ 126b
37 38
39
Grimm 3 § 7 Rn. 16. Ähnlich Kloth Rn. G 53; ders. RuS 2007 397, 400; Schimikowski/Höra S. 203; s.a. Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 7; Marlow/Spuhl 3 S. 268. OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 451 = RuS 2001 390, 392.
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40
41
Manthey NVersZ 2001 55, 60; weitergehend wohl Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen § 47 Rn. 174 f. A.A. Kloth Rn. G 42.
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§ 186
BGB). Zur Wahrung der Textform genügen z.B. Briefe, Fax oder E-Mail, nicht dagegen die bloße Download-Möglichkeit (vgl. auch § 179 Rn. 97).42
VI. Gestaltung Typischerweise kommt der VR seinen Hinweis- und Belehrungsobliegenheiten schrift- 28 lich nach. Er kann dazu AGB-mäßige Vordrucke und Textbausteine, aber auch individuelle Schreiben wählen. Eine drucktechnische Hervorhebung (z.B. Fettdruck oder Einrahmung) wird von § 186 S. 1 nicht vorgeschrieben und ist daher nicht zwingend zu verlangen.43 Sie empfiehlt sich aber.44 Jedenfalls muss eine Wahrnehmung in zumutbarer Weise gewährleistet sein. Als Orientierung kann die Rechtsprechung zu Widerspruchsbzw. Widerrufsbelehrungen oder auch zu § 12 Abs. 3 S. 2 a.F. dienen. Die Verwendung eines gesonderten oder separaten Druckstücks ist etwa im Gegensatz zu § 28 Abs. 4 nicht gefordert. Keinesfalls darf der Hinweis aber versteckt sein.45 Ausreichend ist es, wenn die Belehrung am Ende des Schreibens steht; denn der Leser schenkt Texten mit dieser Platzierung eine höhere Aufmerksamkeit.46 Unzureichend ist es dagegen, die Belehrung erst auf der Rückseite des Hinweisschreibens aufzunehmen; denn dann kann der VN sie als lediglich formalen Anhang des auf der Vorderseite mit der Unterschrift abgeschlossenen Schreibens ansehen.47 Auch bei Ausländern genügt die Abfassung der Hinweise in deutscher Sprache.48 Eine Übersetzung in die Muttersprache wird auch im anderen Zusammenhang nicht gefordert wie z.B. bei der Erteilung der Vertragsinformationen nach § 7 und VVG-InfoV, den Hinweisen nach § 19 Abs. 5 S. 1 oder § 28 Abs. 4 und dem Ablehnungsschreiben nach § 12 Abs. 3 a.F.
VII. Zugang Kontrovers lässt sich die Frage beurteilen, ob der VR seiner Hinweisobliegenheit 29 genügt, wenn er sein Schreiben an die richtige Anschrift des VN absendet, so dass es unschädlich ist, wenn der VN den Hinweis tatsächlich nicht erhalten hat,49 oder der VR darüber hinaus auch den Zugang zu gewährleisten und im Streitfall zu beweisen hat (Rn. 52). Letzteres ist zutreffend. Der Hinweis des VR ist empfangsbedürftig (vgl. § 130 BGB). Für die Erfüllung seiner (gesetzlichen) Informationspflichten ist der VR auch sonst
42 43
44
S. etwa Kloth Rn. G 57; ders. RuS 2007 397, 400. Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 6; Marlow/Spuhl 3 S. 269; Rüffer/ Halbach/Schimikowski § 186 VVG Rn. 5. So auch zu § 12 Abs. 3 a.F. OLG Köln 26.2.2007 VersR 2007 1210; OLG Oldenburg 19.5.2006 VersR 2007 233 f.; Mertens VersR 2007 825, 826; a.A. wohl OLG Koblenz 17.11.2005 RuS 2007 51 Kloth Rn. G 58; ders. RuS 2007 397, 400; Manthey NVersZ 2001 55, 60; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 43; offen lassend OLG Hamm 19.11.2004 VersR 2005 1069.
45 46 47 48
49
Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 6. So zu § 12 Abs. 3 a.F. OLG Köln 26.2.2007 VersR 2007 1210. So zu § 12 Abs. 3 a.F. KG 2.7.2002 RuS 2003 314. So zu § 12 Abs. 3 a.F. KG 28.6.1983 VersR 1984 977; siehe auch OGH 14.11.1991 ZfS 1992 130; OGH 17.1.1979 VersR 1981 95, 96; ferner jeweils Prölss/Martin/Prölss 27 § 12 Rn. 36; Römer/Langheid 2 § 12 Rn. 76. So Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 173.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
beweispflichtig (§ 179 Rn. 286). Die Absendung einer Belehrung genügt nur, um den Vorwurf treuwidrigen Verhaltens auszuräumen (Rn. 53). Unberührt bleibt die Anwendung des § 13 (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 42 ff.).
E. Rechtsfolgen 30
§ 186 S. 2 regelt vom Wortlaut her nur den unterbliebenen Hinweis. Die Sanktion gegen den VR tritt aber nach dem Sinn und Zweck der Norm auch dann ein, wenn er seine Informationsobliegenheit dadurch verletzt, dass er dem VN unvollständige oder fehlerhafte Hinweise gibt. Da der Gesetzeswortlaut von § 186 S. 2 ausdrücklich nur die „Fristversäumnis“ an31 spricht, haben folgerichtig auch nur unterlassene Hinweise auf fristabhängige Anspruchsund Fälligkeitsvoraussetzungen Sanktionen für den VR zur Folge. Im Falle einer Verletzung der Informationsobliegenheit kann er sich nach dem – „unglücklichen“ (Rn. 9) – Gesetzeswortlaut auf die verspätete Darlegung der Anspruchs- oder Fälligkeitsvoraussetzung nicht „berufen“. Dies bedeutet m.a.W., dass bei solchen Sachverhaltskonstellationen verspäteter Vortrag für den VN unschädlich ist, mag sich auch aus dem Vertrag „an sich“ etwas anderes ergeben. Fristunabhängige Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen verlieren dagegen nicht ihre Bedeutung. Sie werden bei einer Verletzung der Informationsobliegenheit nicht etwa zugunsten des Anspruchstellers fingiert. Vielmehr ist das Vorliegen der Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen weiterhin zur Anspruchsbegründung erforderlich (s.a. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 153). Der Versicherungsfall, Unfallfolgen und Kausalität sind vom Anspruchsteller nach allgemeinen Regeln darzulegen und zu beweisen. Ist etwa eine ärztliche Feststellung der Invalidität zu keinem Zeitpunkt erfolgt und hat der VR die von ihm versprochene Leistung von ihr abhängig gemacht, so führt § 186 S. 2 nicht zu einer Veränderung der bisherigen Rechtslage.50 Der Anspruch des VN ist trotz der Verletzung der Informationsobliegenheit durch den VR unbegründet und abweisungsreif.51 Die Unschädlichkeit der Fristversäumnis gilt im Übrigen nicht schrankenlos. Zeitliche Grenzen setzen die Verjährung und Verwirkung.52 Die Rechtsfolge des § 186 S. 2 beschränkt sich nur auf die Leistungsart, zu der der 32 VR nicht auf die Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie die einzuhaltenden Fristen hingewiesen hat. Hat der VR z.B. ordnungsgemäße Hinweise zur Invaliditätsleistung, nicht aber zu Assistance-Leistungen gegeben, so bleibt die Fristversäumnis des VN nur für die Assistance-Leistung folgenlos. Ist der VR seiner Hinweisobliegenheit ordnungsgemäß nachgekommen, so kann dem 33 Anspruchsteller allein wegen einer Fristversäumnis die Unfallleistung zu versagen sein. Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn der VR auf sein Recht verzichtet hat oder ihm trotz Erfüllung des § 186 ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorgeworfen werden kann (Rn. 35 ff. sowie Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 133 ff. und 14 AUB 2008 Rn. 31 ff.).
50
Begründung des RegE zu § 186, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109; Abschlussbericht S. 404.
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51 52
Kloth Rn. G 46 und 59; ders. RuS 2007 397, 398 und 400. Marlow/Spuhl 3 S. 269.
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F. Konkurrenzen Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber § 186 abschließenden Charakter zuge- 34 messen hat. Ein Rückgriff auf § 242 BGB und die zu den AUB von der Rechtsprechung entwickelte Rechtslage wird deshalb weiterhin möglich sein. Unberührt von § 186 bleiben weiterhin die laufenden Informationspflichten des VR nach § 6 Abs. 1 VVG-InfoV. Darüber hinaus kommen für dritte Personen (insbesondere Rechtsanwälte und Versicherungsmakler bzw. -berater) eigene Hinweis- und Beratungspflichten in Betracht, die in ihrem jeweiligen (vom Versicherungsvertrag abzugrenzenden) Rechtsverhältnis zum VN begründet sind.
I. Hinweis- und Beratungspflicht des VR Neben § 186 bleibt die anlassbezogene und verschuldensabhängige Beratungspflicht 35 des VR nach § 6 Abs. 4 und den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung (§ 280 BGB) bestehen.53 Sie wird allerdings angesichts der ausdrücklichen Gesetzesregelung in § 186 an praktischer Bedeutung verlieren. Die allgemeinen Grundsätze werden nach der VVG-Reform 2008 nur noch dann heranzuziehen sein, wenn sich § 186 als lückenhaft erweisen sollte, etwa weil der VR Anlass zu der Annahme hat, dass es beim Anspruchsteller zu Missverständnissen oder Fehlvorstellungen gekommen ist (§ 6 Abs. 4) 54 oder seinen ursprünglich gegebenen Hinweis nach § 186 durch sein (irritierendes oder treuwidriges) Verhalten entwertet hat. So liegt z.B. Rechtsmissbrauch nahe, wenn der VR den VN über Fristen verwirrt, weil er einen unterschiedlichen Kenntnisstand des VN und seiner Bevollmächtigten herbeiführt.55 Umgekehrt handelt der VR nicht treuwidrig, wenn er – auch aufgrund eigener Überprüfung – immer wieder gegenüber dem Anspruchsteller deutlich gemacht hat, dass die bisher vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nicht ausreichen, den Dauerschaden festzustellen. Der VR muss dann den Anspruchsteller bzw. den Arzt nicht noch ausdrücklich darauf hinweisen, dass die ärztliche Angabe der „Möglichkeit“ einer Invalidität unzureichend ist und wie eine passende Formulierung aussehen könnte.56 1. Voraussetzungen Für den VR (und den für ihn auftretenden Versicherungsvertreter, typischerweise 36 jedoch nicht für den vom VR beauftragten Arzt) 57 kann im Einzelfall eine Hinweis- und Belehrungspflicht gegenüber dem VN gemäß § 242 BGB bestehen. Diese folgt indes noch nicht daraus, dass die an den VN zu stellenden Anforderungen in den AUB vermeintlich versteckt oder intransparent geregelt sein könnten und der VN schon deshalb schutzwürdig erscheine.58 Unabhängig davon, dass die AUB-Fristen einer Kontrolle nach dem AGB-Recht standhalten (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 163 ff.), ist der VN im Regelfall jeden-
53 54
55
Dazu auch Fausten VersPrax 2007 126 ff. Siehe auch OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 201 = NJW-RR 2008 837, 840. BGH 8.6.2005 VersR 2005 1226, 1227 = RuS 2005 451, 452 = NJW-RR 2005 1341, 1342 zu § 12 Abs. 3 a.F.
56 57 58
OLG Celle 27.9.2001 RuS 2002 260. Knappmann VersR 2005 199, 200. So aber Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 18.
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falls dann nicht mehr schutzwürdig, wenn der VR den Vorgaben des § 186 routinemäßig nachkommt. Entscheidend ist vielmehr, ob unter Abwägung der Interessen der Vertragsparteien Treu und Glauben ein (erneutes) Tätigwerden des VR gebietet. Einerseits trägt jede Vertragspartei selbst die Verantwortung für ihr rechtsgeschäftliches Verhalten. Es ist also zunächst grundsätzlich Sache des VN, im eigenen Interesse drohende Fristabläufe zu vermeiden und in eigenen Angelegenheiten die nötige Sorgfalt zu wahren.59 Insbesondere ist es ihm zuzumuten, – gerade nach Eintritt des Versicherungsfalls – die Versicherungsbedingungen sorgfältig zu lesen und sich über den Vertragsinhalt sowie dessen Fristen zu informieren.60 Die in Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 AUB 61) AUB vorgesehene Frist von 15 Monaten bietet ihm auch ausreichend Gelegenheit, erforderlichenfalls Rechtsrat einzuholen.61 Hilfestellungen durch den VR oder durch den die Unfallverletzungen behandelnden Arzt kann er deshalb nicht per se erwarten. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die leicht vermeidbare Versäumung der Fristen in den AUB für den VN weit reichende Folgen entfalten können. Hinzu kommt, dass der VR regelmäßig in versicherungsrechtlichen Fragen die kundigere Partei ist 62 und ihn deshalb jedenfalls gegenüber Verbrauchern gesteigerte Hinweis- und Belehrungspflichten treffen können, zumal er durch sein Auftreten am Markt typischerweise Sach- und Fachkompetenz, Kundennähe und Servicebereitschaft gegenüber dem VN zum Ausdruck bringt. In Fällen, in denen für den VR eine Belehrungsbedürftigkeit bzw. irrige Vorstellung des VN deutlich erkennbar zum Ausdruck kommt, wäre es unverständlich, wenn sich der VR „zurücklehnt“ und den VN „sehenden Auges ins offene Messer“ laufen ließe; der VR könnte wissentlich die Unkenntnis des VN von den anspruchsbegründenden Förmlichkeiten ausnutzen, um ein klageabweisendes Urteil zu erstreiten. Zusammenfassend empfiehlt es sich aus Sicht des VR, den VN im Rahmen der Leistungsregulierung eher einmal zuviel als zuwenig auf die einzuhaltenden Fristen aufmerksam zu machen. Dies kann zwar zu „an sich“ unnötigem Verwaltungsaufwand und Formalismus führen, verringert jedoch das Streitpotential in späteren gerichtlichen Auseinandersetzungen mit dem VN.
37
a) Fehlvorstellung des VN. Der Hauptanwendungsfall, für den Hinweis- und Belehrungspflichten des VR nach § 242 BGB zu den AUB-Fristen in Betracht kommen, liegt dann vor, wenn der VN rechtzeitig (vor Fristablauf) – ausdrücklich oder konkludent – Invalidität geltend gemacht oder wenigstens Invaliditätsleistungen begehrt hat, ohne eine ordnungsgemäße ärztliche Feststellung beizufügen, die Invalidität aber auch aus Sicht des VR (erkennbar) nahe liegt. Voraussetzung für einen Rechtsmissbrauch des VR ist hier indes, dass nach dem Inhalt der Unfall- oder Schadenanzeige, aus den dem VR (fristgerecht) vorgelegten ärztlichen Attesten oder Befunden, die der nach AUB geforderten Invaliditätsfeststellung „an sich“ nicht genügen, oder aus sonstigen dem VR bekannten Umständen sich der Eintritt eines unfallbedingten Dauerschadens aufdrängt oder dieser jedenfalls nicht fern liegt.63 Entsprechendes gilt, wenn für den VR Grund zu der An59 60
61 62
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 8. OLG München 1.2.1998 NVersZ 2000 176; LG Stuttgart 10.10.2003 RuS 2004 473; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 174; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 28. OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 620. R. Fischer VersR 1965 197, 199.
398
63
S. nur BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 8 = NJW 2006 911; BGH 23.2.2005 VersR 2005 639, 640; OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 672 = RuS 2009 122, 123; OLG Düsseldorf 21.11.1996 RuS 1997 129, 130; OLG Frankfurt/M. 20.6.2007 VersR 2008 248, 249, 620; OLG Hamm 2.12.1998 NVersZ 1999 567; OLG Köln 5.5.1994 VersR 1995 907 = RuS 1994 396; OLG Köln
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nahme besteht, dass mit weitergehenderen Dauerbeeinträchtigungen zu rechnen ist, als sie innerhalb der Frist vom Anspruchsteller selbst gemeldet bzw. in den vom VR eingeholten Gutachten festgestellt worden waren.64 Allerdings ist einerseits dem VR nur Zumutbares abzuverlangen. Der Grundsatz von Treu und Glauben darf andererseits nicht dazu genutzt werden, den VN jeder Eigenverantwortlichkeit zu entheben. Eine Belehrungs- oder Hinweispflicht besteht mithin für den VR, wenn • die versicherte Person belehrungs- bzw. schutzbedürftig ist, weil sie keine oder eine irrige Vorstellungen über die Voraussetzungen des Invaliditätsanspruchs oder seine Geltendmachung hat und deshalb (trotz des Hinweises nach § 186) Gefahr läuft, die Frist zu versäumen, • ein Belehrungsanlass besteht, weil allein wegen der Fristversäumnis ein Rechtsverlust droht, d.h. der VR Leistungen versagen könnte, obwohl aufgrund einer wertenden Gesamtschau die Anspruchsvoraussetzungen für eine Invaliditätsleistung wahrscheinlich vorliegen, sowie • den VR ein Verschulden tritt, weil er die vorstehenden Umstände aufgrund der ihm bereits vorliegenden Unterlagen positiv erkannt hat oder zumindest hätte erkennen müssen bzw. können.65
aa) Belehrungsbedürftigkeit des VN. Keine Belehrungsbedürftigkeit des VN besteht, 38 wenn er die Fristenregelung kennt. Es wäre überflüssig, den VN über eine ihm geläufige Rechtslage (erneut) zu belehren. Von einer Kenntnis darf – jedenfalls bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte, die für den VR evident ersichtlich sein müssen – ausgegangen werden, wenn der VN selbst oder der von ihm beauftragte Bevollmächtigte versicherungsrechtliche Fachkenntnisse hat oder haben muss. So ist eine Belehrungspflicht – entgegen dem BGH 66 – zumindest zweifelhaft, wenn der VN vor Fristablauf bereits anwaltlich vertreten wird. Es fehlt typischerweise an einem „erkennbaren Beratungsanlass“. Von einem Rechtsanwalt muss der VR erwarten können, dass dieser die Rechtsberatung des VN professionell vornimmt, d.h. die AUB vollständig liest und dabei die Fristenregelung zur Kenntnis nimmt sowie die notwendigen rechtlichen Folgerungen zieht.67 Insbesondere ist der Anwalt verpflichtet, seinen Mandanten auf die laufenden und noch einzuhaltenden AUB-Fristen hinzuweisen.68 Unterläuft dem Rechtsanwalt hier ein Fehler, so kann dieses Versäumnis Ansprüche im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant begründen, nicht aber dem VR zur Last gelegt werden. Zwar lässt sich einerseits argumentieren, dass das Rechtsverhältnis zwischen VN und Rechtsanwalt sowie das Rechtsverhältnis zwischen VN und VR unabhängig voneinander zu beurteilen ist, also ein Fehlverhalten des Rechtsanwalts gegenüber dem VN nicht den VR gegenüber dem
64
14.1.1988 RuS 1989 30, 31; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 201 = NJW-RR 2008 837, 839; OLG Saarbrücken 18.10.2006 RuS 2008 30; ÖOGH 17.9.1992 ZfS 1993 130, 131; ÖOGH 15.11.1990 VersR 1991 835, 836; ÖOGH 27.4.1989 VersR 1990 406, 407; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 22; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 57 und 59; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 174; Manthey NVersZ 2001 55, 57 f.; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 169; a.A. OLG Koblenz 28.6.1991 VersR 1992 347 = RuS 1992 322 = ZfS 1992 238. OLG Hamm 2.2.2001 NVersZ 2001 315, 316.
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OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 451 = RuS 2001 390, 391; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 16. BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 9 = NJW 2006 911 (ohne nähere Begründung; zust. Marlow RuS 2006 397, 401); ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 319; Kloth Rn. G 39; beiläufig auch OLG Oldenburg 17.1.1996 NJW-RR 1996 1116. OLG Köln 14.1.1988 RuS 1989 30, 31. Terno DAR 2005 314, 315.
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§ 186
Kapitel 7: Unfallversicherung
VN per se „exkulpieren“ kann. Weiterhin ist zur Vermeidung von zufälligen Ergebnissen zu berücksichtigen, dass der anwaltlich vertretene VN im Grundsatz nicht schlechter stehen darf als der VN, der keinen Rechtsanwalt mit der Abwicklung der Unfallregulierung beauftragt hat. Andererseits darf Folgendes nicht außer Acht gelassen werden: • Die Ursache für eine etwaige Fristversäumnis hat nicht der VR, sondern der Rechtsanwalt gesetzt, der die maßgeblichen AVB (und den Hinweis des VR nach § 186) nicht gesichtet hat. Diese grob fahrlässige Nachlässigkeit des Rechtsanwalts ist nicht dem VR, sondern dem VN anzulasten. Nicht nur die besonderen Rechtsfiguren der Repräsentantenhaftung 69 und der Wissensvertretung (§ 179 Rn. 62 ff. und 84), sondern auch die gesetzlichen Zurechnungsnormen bringen an mehreren Stellen zum Ausdruck, dass derjenige, der einen anderen in seine Rechtsangelegenheiten mit einbezieht, sich dessen Verhalten, Kenntnisse, Kennenmüssen von Umständen oder Verschulden zurechnen lassen muss. So bestimmt etwa § 166 Abs. 1 BGB, dass – soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden – nicht die Person des Vertretenen (VN), sondern die des Vertreters (Rechtsanwalt) in Betracht kommen. Weiterhin ist der Rechtsanwalt Erfüllungsgehilfe des VN. Dieser muss sich ein Verschulden des Rechtsanwalts bei der Erfüllung einer Verbindlichkeit zurechnen lassen (§ 278 BGB). Zwar handelt es sich bei dem Lesen von AVB durch den Rechtsanwalt wohl nicht um eine (nebenvertragliche) Verbindlichkeit des VN gegenüber dem VR, sondern um eine nachlässige Pflichtausübung des Rechtsanwalts gegenüber dem VN. Jedoch bringt auch § 278 BGB zum Ausdruck, dass Versäumnisse des Rechtsanwalts in die Sphäre des VN und nicht des VR fallen. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch § 85 Abs. 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. • Würde für den VR eine Belehrungspflicht auch gegenüber einem durch anwaltlich vertretenen VN statuiert, so käme es zu nicht ganz nachvollziehbaren Ungleichbehandlungen der Vertragsparteien. Nimmt der Rechtsanwalt gegenüber dem VN eine Beratung zu den AUB-Fristen fehlerhaft, nicht oder unvollständig vor, so muss sich der VN dies im Grundsatz genauso zurechnen lassen wie ein VR dafür einzustehen hat, dass etwa ein Versicherungsangestellter oder -vertreter es (u.U. trotz umfassender Ausbildung oder intensiver Schulungen durch den VR) unterlässt, Rechte des VR fristgerecht zu wahren. Es besteht kein Anlass bei Versäumnissen in der Sphäre einer Vertragspartei, den anwaltlich beratenen VN per se besser zu stellen als den VR, für den „an sich“ sachkundige Personen auftreten. Im Fall, dass nicht dem Rechtsanwalt des VN, sondern einem Angestellten bzw. Versicherungsvermittler des VR ein Bearbeitungsfehler unterläuft, der sich etwa wegen Versäumnis einer gegenüber dem VN einzuhaltenden Frist zum Nachteil des VR auswirkt, würde auch nicht ernsthaft zur Diskussion stehen, für den VN eine Hinweispflicht zu konstruieren, selbst wenn dieser die dem VR drohende Fristversäumnis erkannt hat oder sie hätte erkennen müssen. • Die Anwendung von § 242 BGB ist von einer gegenseitigen Interessenabwägung geprägt. Zur Begründung einer Hinweispflicht des VR (Pflicht des VR zu einem aktiven Tun) ist es notwendig, die Kernfrage zu bejahen, ob bei objektiver Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls dem VR ein treuwidriges Verhalten vorzuwerfen ist, wenn er sich gegenüber einem anwaltlich vertretenen Anspruchsteller passiv verhält. Dies ist zu verneinen. Die Annahme, die gegenüber dem VN überlegene Sachkunde des VR gebiete nach Treu und Glauben gesteigerte Hinweis- oder Rücksichtnahmepflichten des VR, ist nicht mehr gerechtfertigt, wenn der VN die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch nimmt. Das häufig bestehende Ungleichgewicht zwischen Verbraucher und VR ist dann wieder ausgeglichen. Es ist nicht „anstößig“, wenn der VR dem anwaltlich vertretenen VN Kenntnisse zurechnet, die ein durchschnittlich sorgfältig arbeitender Rechtsanwalt haben sollte, und deshalb keine weitere Schutzvorkehrungen für eventuelle Nachlässigkeiten trifft. Kernaufgabe eines Rechtsanwalts, der ein versicherungsrechtliches Mandat übernimmt, ist es, die zugrunde
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Zur Repräsentantenstellung des Rechtsanwalts s. OLG Hamm 13.5.1983 VersR 1984 31, 32.
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Hinweispflicht des Versicherers
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liegenden Geschäftsbedingungen – gerade nach Eintritt eines Leistungsfalls – zu lesen und dort aufgestellte Fristerfordernisse zu wahren. Mit der Verletzung dieser grundlegenden anwaltlichen Verpflichtung braucht der VR nicht zu rechnen. Vielmehr darf er darauf vertrauen, dass der Rechtsanwalt sich sachgerecht (in Kenntnis der AUB-Fristen) verhält. Anderenfalls würde von dem VR verlangt werden, einem von dem VN eingeschalteten „Rechtsprofi“ unaufgefordert und u.U. ungebeten Rechtsrat zu erteilen. • Unklar ist auch, wo und wie die Grenze für vermeintlicher Belehrungspflichten des VR gegenüber einem anwaltlich vertretenen VN zu ziehen ist. So hat der BGH entschieden, dass den Schuldner – auch wenn er ein VR ist – keine Verpflichtung trifft, den Gläubiger (VN) über die drohende Verjährung aufzuklären (Ziff. 15 AUB 2008 Rn. 38). Dabei führt der BGH explizit aus: „Schon gar nicht kann aber der VR als nach Treu und Glauben zu einem solchen Hinweis verpflichtet angesehen werden, wenn der VN … durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, der die Rechtsgrundsätze über die Verjährung und ihre Unterbrechung mindestens genauso gut kennen muss wie der VR selbst.“70 Es ist nicht nachvollziehbar, warum der VR bei den AUB-Fristen strengeren Anforderungen als bei der Verjährung unterliegen soll.
Entsprechendes wie einem Rechtsanwalt gilt, wenn ein Versicherungsmakler für den 39 VN tätig wird. Auch hier darf der VR davon ausgehen, dass der Makler als Sachwalter des VN aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit die seit Jahrzehnten bestehenden Fristenregelungen der AUB kennt und beachtet. bb) Belehrungsanlass für den VR. Der Dauerschaden muss zum Zeitpunkt, zu dem 40 den VR gegenüber dem VN eine Belehrungs- oder Hinweispflicht treffen könnte, aufgrund der vorliegenden Befunde zumindest nahe liegen und ernsthaft in Betracht kommen. Anderenfalls besteht für den VR kein Belehrungsanlass. An den Beurteilungsmaßstab sind zwar keine allzu strengen Anforderungen zu stellen; ist jedoch nach objektiven Gesichtspunkten und/oder nach den dem VR bekannten Umständen eine Invalidität ausgeschlossen oder fern liegend, so wäre es mangels sachlichen Grundes bloße „Förmelei“, von dem VR eine „vorsorgliche“ (erneute) Belehrung des VN zu verlangen. Von dem VR darf allerdings erwartet werden, dass er die ihm vorliegenden Befunde sorgfältig sichtet und bewertet. Keine Belehrungspflicht besteht für den VR u.a. in den Fällen, in denen 41 • der VN selbst davon ausgeht, dass seine Beschwerden innerhalb eines absehbaren Zeitraums behandelt bzw. ausgeheilt oder abgeklungen sind. • in den vorgelegten Befunden die behandelnden Ärzte deutlich zum Ausdruck bringen, dass mit keinem Dauerschaden zu rechnen ist, z.B. im ärztlichen Unfallbericht die Frage nach einer dauernden Invalidität ausdrücklich mit „nein“ beantwortet haben.71 • die angezeigten Gesundheitsschäden bzw. Beschwerden nach medizinischer Erfahrung keinen Dauerschaden nach sich ziehen, weil sie regelmäßig folgenlos ausheilen. Dies trifft etwa auf Muskel- oder Sehnenrisse,72 die Folgen eines Schädelhirntraumas oder eines Schleudertraumas 73 und die Borreliose infolge eines Zeckenbisses,74 aber u.a. auch auf Frakturen (z.B. Beinbrüche) zu.75 Entsprechendes gilt für eher leichte Verletzungen bzw. Bagatellschäden. So ist z.B. ein
70 71 72 73 74
BGH 27.11.1958 VersR 1959 22, 23 = NJW 1959 241. ÖOGH 15.11.1990 VersR 1991 835, 836. OLG Düsseldorf 22.1.2008 VersR 2008 672, 673. OLG Köln 14.1.1988 RuS 1989 30; LG Düsseldorf 25.7.1996 RuS 1999 436. OLG Düsseldorf 7.4.2009 VersR 2010 61, 62.
75
BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 12 = NJW 2006 911, 912 (für Frakturen des Oberschenkels und [!] des oberen Sprunggelenks; insofern zu recht „verwundert“ Marlow RuS 2006 397, 401); OLG Köln 17.10.1991 RuS 1992 34 (Unterschenkelfraktur); ferner ÖOGH 27.4.1989 VersR 1990 406, 407 (Beinbruch).
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Dauerschaden fern liegend, wenn der Hausarzt ein Knieanprelltrauma diagnostiziert.76 Auch Klagen über Bewegungseinschränkungen, Belastungsschmerz oder Schwellneigung führen noch nicht ohne weiteres zu einer dauerhaften Beeinträchtigung.77 • die Angaben zu den Gesundheitsschäden (z.B. in der Unfallanzeige) noch keinen Schluss auf Invalidität,78 insbesondere auf einen u.U. verbleibenden Dauerschaden zulassen, weil sie unspezifiziert bzw. unergiebig sind.79 So muss der VR aus der Angabe „Armverletzung“ keine drohende Invalidität folgern.80 • der VN zwar einen Unfall meldet, ohne dabei jedoch den Hergang und die Verletzungen anzugeben, und anschließend auf Nachfragen des VR nicht reagiert.81
Umstände, die auf eine Spätfolge hindeuten, können etwa schwere Körperverletzungen, komplizierte Brüche oder Verbrennungen verbunden mit mehrwöchiger stationärer Behandlung sein. Entsprechendes gilt, wenn der VN dem VR eine Unfallverletzung meldet, die in dem Verletzungskatalog der Besonderen Bedingungen für die Sofortleistungen bei Schwerverletzungen in der Unfallversicherung (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 23) genannt ist.82 Allein die Schwere der Verletzungen lässt allerdings Invalidität noch nicht ohne weiteres erkennbar im Raume stehen;83 denn auch dramatische und/oder langwierig zu behandelnde Gesundheitsschäden können folgenlos ausheilen. Entsprechendes kann bei multiplen schweren Verletzungen gelten.84 Es müssen sich für den VR aus den vorliegenden Unterlagen vielmehr noch konkrete Anhaltspunkte ergeben, die ernsthaft auf eine Dauerhaftigkeit der Verletzung schließen lassen. Zweifelhaft ist, ob die bloße Anzeige bzw. ärztliche Mitteilung eines Bandscheibenvorfalls eine Belehrung bzw. einen Hinweis des VR erforderlich macht. I.E. ist dies zu verneinen.85 Entsprechendes gilt für ein Wirbelsäulensyndrom sowie eine Bandscheibenverletzung.86 Bandscheibenschäden ziehen nicht zwingend eine unfallbedingte Invalidität (einen Dauerschaden) nach sich.87 Richtig ist zwar, dass sie Dauerfolgen durchaus nahe legen können. Jedoch ist ein Dauerschaden bei Gesundheitsschäden generell wohl kaum jemals fern liegend. „Greifbarer“ Belehrungsanlass besteht für den VR erst dann, wenn sich aus den dem VR vorliegenden Unterlagen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass bei der versicherten Person Dauerbeeinträchtigungen zu befürchten sind. Entscheidungshilfen für die Frage, ob Invalidität bzw. ein dauerhafter Schaden nahe liegt, können (soweit dem VR bekannt) u.a. folgende Umstände sein: • das Alter der versicherten Person. Bei jüngeren Menschen heilen Verletzungen regelmäßig leichter (vollständig) aus als bei älteren; • die körperliche Grundverfassung der versicherten Person vor und nach dem Unfallereignis. Je besser der Zustand der versicherten Person ist, desto eher kann mit einer vollständigen Genesung gerechnet werden. • der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Meldung von Unfallverletzungen beim VR. Je enger das schädigende Ereignis und die Kenntniserlangung des VR zusammen liegen, desto weniger Anlass besteht für den VR, auf einen dauerhaften Schaden zu schließen. 76 77 78 79 80 81 82 83
OLG Hamm 25.10.1997 RuS 1998 260. OLG Köln 17.10.1991 RuS 1992 34, 35. OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 463, 464 = RuS 2003 340. OLG Köln 9.11.1988 VersR 1989 352, 353. OLG Saarbrücken 18.11.2003 RuS 2005 167, 168; zust. Marlow RuS 2006 397, 401. OLG Düsseldorf 13.3.1990 ZfS 1990 209. Manthey NVersZ 2001 55, 58. LG Stuttgart 10.10.2003 RuS 2004 473; zust. Marlow RuS 2005 357, 362.
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WI 2006 85. OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; zust. Marlow RuS 2005 357, 362; wohl auch OLG Hamm 13.6.2001 NVersZ 2001 551, 552; a.A. Knappmann RuS 2004 339. LG Aachen 13.5.1993 RuS 1993 395. OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259.
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Hinweispflicht des Versicherers
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Umgekehrt liegt der Schluss auf eine Invalidität immer näher, je länger die Verletzungsfolgen schon andauern. • die sorgfältige Durchsicht und Auswertung der vorhandenen (medizinischen) Befunde, Diagnosen, Prognosen, Atteste, Gutachten oder Stellungnahmen von Ärzten, Kliniken usw. Hierauf wird der VR das Hauptaugenmerk legen. • die bereits erfolgte und zukünftig noch zu erwartende Dauer der ärztlichen Behandlung. Ist keine stationäre Behandlung der versicherten Person erfolgt, so spricht dies gegen den Eintritt einer Invalidität binnen Jahresfrist. Ein Dauerschaden ist dagegen eher anzunehmen, wenn der Heilungsprozess bzw. die Rehabilitationsmaßnahmen unabsehbar, langwierig sind oder schleppend verlaufen.
Das dem VR vorliegende Datenmaterial ist einer wertenden Gesamtschau zu unter- 42 ziehen. Der VR muss eine Prognose treffen, ob eine Invalidität der versicherten Person überwiegend wahrscheinlich ist. Abstrakt lässt sich dazu nur Folgendes festhalten: Einerseits trifft den VR nicht erst dann eine Belehrungspflicht, wenn er Gewissheit über den Eintritt eines Dauerschadens bei der versicherten Person hat. Ein solches Wissen wird auch ein erfahrener Bearbeiter von Leistungsfällen oftmals nicht bereits auf Grundlage des ihm vorliegenden Aktenmaterials und ohne Hilfestellung bzw. Begutachtung durch medizinische Sachverständige erlangen können. Andererseits reichen bloße Vermutungen oder unbelegte Spekulationen nicht aus, den VR nach Treu und Glauben zu einem Tätigwerden zu zwingen. Entscheidend ist, dass bei vernünftiger Betrachtung greifbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die versicherte Person einen Dauerschaden davon tragen wird.88 Ein erfahrener Bearbeiter von Leistungsfällen muss aus den ihm vorliegenden Unterlagen (ohne weitere eigene Sachverhaltsermittlungen) konkret ableiten können, dass die Gefahr einer (dauerhaften) Invalidität der versicherten Person ernsthaft auf der Hand liegt. Dazu ist eine Wertung des VR notwendig. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Dauerschadens. Der vom VR anzulegende Beurteilungsmaßstab kann sich insofern – ähnlich wie bei dem Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität gegenüber dem Gericht (§ 180 Rn. 52 ff.) – an § 287 ZPO anlehnen. cc) Verschulden des VR. Dem VR selbst oder einem ihm zurechenbaren Dritten muss 43 Verschulden vorzuwerfen sein. Dies setzt positive Kenntnis oder zumindest Erkennbarkeit der Umstände voraus, dass die versicherte Person durch den Unfall in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (bzw. Arbeitsfähigkeit) beeinträchtigt ist, zu befürchten ist, dass diese Beeinträchtigung dauerhaft sein wird und der VN Informationsbedarf hat. Maßgebend ist das Verständnis des VR anhand der ihm konkret bekannt gegebenen Befunde bzw. vorliegenden Unterlagen.89 Möglicherweise vorhandene Informationen des VN, der versicherten Person oder Dritter, die dem VR nicht vorlagen oder zugänglich waren, können nicht in das Werturteil, der VR habe treuwidrig gehandelt, einbezogen werden. Insbesondere bleiben medizinische Erkenntnisse, die dem VR erst nach Fristablauf (z.B. im Gerichtsverfahren) bekannt werden, außer Betracht. Den VR trifft kein „Amtsermittlungsgrundsatz“; er muss nicht Spekulationen über mögliche Verletzungsfolgen anstellen und jedem Verdacht auf Invalidität von sich aus nachgehen. Ausgangspunkt ist die Sichtweise eines erfahrenen Sachbearbeiters oder Leistungsprüfers.90 Da es sich um einen „Vorwurf“ gegenüber dem VR handelt, kommt es nicht darauf an, ob ein 88 89
BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 12 = NJW 2006 911, 912. OLG Stuttgart 18.12.1997 RuS 1999 172, 173 = VersR 1999 44 (LS).
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Manthey NVersZ 2001 55, 58; zust. Knappmann RuS 2002 485, 489.
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• z.Z. der Beurteilung anstelle des Leistungsprüfers des VR („hypothetisch“) eingeschalteter Sachverständiger zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre oder ein • später eingeholtes Sachverständigengutachten (z.B. aufgrund nachträglich bekannt gewordener Befunde oder neuerer Erkenntnisse) eine andere Bewertung vornehmen könnte.91
Von dem VR und seinen Mitarbeitern können ärztliche Fachkenntnisse und Erfahrungen grundsätzlich nicht erwartet werden.92 Keinesfalls kann von den Leistungsprüfern des VR eine größere Sach- und Fachkunde verlangt werden als von den behandelnden Ärzten.93 Bloße Vermutungen zu Informationsdefiziten des VN reichen zur Begründung einer 44 Hinweispflicht nicht aus.94 Anderenfalls müsste der VR Spekulationen anstellen, die leicht ausufern und zu einer (u.U. aufgedrängten und wiederholenden) Rundumbelehrung führen könnten. Dies kann nach Treu und Glauben nicht vom VR gefordert werden. Vielmehr sind konkrete Anknüpfungstatsachen erforderlich, die bei einem objektiven (in Leistungsfragen geschulten) Betrachter den zuverlässigen Rückschluss auf Missverständnisse u.ä. beim VN erlauben. Erkenntnisse von Dritten, die der VR in die Prüfung mit einbezogen hat, sind dem VR 45 nicht ohne weiteres zuzurechnen. Insbesondere ist ein vom VR zur Bemessung der Invalidität beauftragter medizinischer Gutachter bzw. Sachverständiger nicht Erfüllungsgehilfe des VR bezüglich der Hinweis- und Beratungspflichten, die sich für den VR gegenüber dem VN aus dem Versicherungsvertrag ergeben können.95 Der Arzt ist nicht gehalten, den Anspruchsteller über weitere Schritte zu beraten oder auf einzuhaltende Fristen hinzuweisen. Die Aufgaben des Gutachters erschöpfen sich vielmehr in der Untersuchung der versicherten Person und der Begutachtung entsprechend dem ihm erteilten Auftrag.96
46
b) Schaffung von Vertrauenstatbeständen durch den VR. Hinweis- und Belehrungspflichten zu den Fristen, die bei der ärztlichen Feststellung und Geltendmachung der Invalidität einzuhalten sind, bestehen, wenn der VR vor Fristablauf durch sein (die Anforderungen verschleierndes) Verhalten Vertrauenstatbestände schafft, die den Anspruchsteller veranlassen, die Fristbestimmungen außer Acht zu lassen, oder nach Fristablauf beim VN den schützenswerten Eindruck erweckt, er werde mögliche Invaliditätsansprüche nicht an den bereits versäumten Fristen scheitern lassen. Hinweis- und Belehrungspflichten kommen für den VR vor Ablauf der 15-Monats47 frist etwa in Betracht, wenn er • seine Leistungspflicht aus anderen Gründen als einer vermeintlich fehlenden Invaliditätsfeststellung ablehnt, z.B. das Unfallereignis bestreitet oder einen Ausschluss behauptet.97 Unterbleibt bei der endgültigen Leistungsablehnung eine Belehrung des VN durch den VR, so wird z.T. ein Treueverstoß des VR angenommen, weil von einem durchschnittlichen VN nicht die Erkenntnis erwartet werden könne, dass er sich in der anschließenden Auseinandersetzung mit dem VR nicht
91 92
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OLG Stuttgart 18.12.1997 RuS 1999 172, 173. BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 12 = NJW 2006 911, 912; ferner OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1218; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 202 = NJW-RR 2008 837, 840; WI 2006 85. OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 202 = NJW-RR 2008 837, 840.
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So aber Knappmann RuS 2004 339; ders. RuS 2002 485, 489. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12; Schubach ZfS 2005 224, 228. OLG Hamm 2.2.2001 NVersZ 2001 315, 316 f. = RuS 2001 481= VersR 2001 1270 (LS). OLG Bamberg 28.5.1998 RuS 2000 394; OLG Oldenburg 31.3.1999 NVersZ 2000 333, 334 = RuS 2000 349.
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Hinweispflicht des Versicherers
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darauf beschränken dürfe, die Einwendungen des VR zu entkräften, sondern darüber hinaus auch noch für eine fristgerechte Feststellung der Invalidität und deren Geltendmachung sorgen müsse.98 Diese Auffassung ist indes – mit dem BGH 99 – abzulehnen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 139). Dies gilt umso mehr, wenn der VR nach § 186 verfahren ist. • der VR (nach Geltendmachung der Invaliditätsansprüche durch den VN) ein ärztliches Gutachten einholt und den VN davon in Kenntnis setzt.100 In einem solchen Fall liegt nach wohl h.M. – entgegen der hier vertretenen Ansicht (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 140) – die Annahme des VN nahe, dass er abwarten darf und nicht mehr durch Einholung der ärztlichen Feststellung tätig werden muss.101 Will der VR sich die Möglichkeit erhalten, die Fristregelung geltend zu machen, so empfiehlt es sich, den VN ausdrücklich – und zusätzlich zu § 186 bzw. dem vorgedruckten Hinweis im Formular zur Schadenanzeige – darauf hinzuweisen, dass dieser unbeschadet der vom VR veranlassten Untersuchungen selbst für eine fristgerechte ärztliche Feststellung der Invalidität zu sorgen habe.102
Nach Ablauf der 15-Monatsfrist treffen den VR nach Treu und Glauben nur noch sel- 48 ten Hinweis- und Belehrungspflichten. Sie sind zu prüfen, wenn der VR • sich nach rechtzeitiger Anmeldung des Anspruchs und nach verspäteter ärztlicher Feststellung der Invalidität bereit erklärt hat, den Gesundheitszustand nach Ablauf von drei Jahren zu überprüfen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 143). Dies gilt insbesondere für die Fallkonstellation, in der der VR zu erkennen gibt, dass er die Invalidität dem Grunde nach anerkenne und nur noch Ermittlungen zur Invaliditätshöhe vornehmen wolle. • die versicherte Person beschwerlichen bzw. schmerzhaften Untersuchungen unterzogen hat (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 146).
2. Rechtsfolgen Unterbleibt entgegen Treu und Glauben der erforderliche Hinweis durch den VR oder 49 ist er unrichtig bzw. unvollständig, so kann er sich nicht auf die Fristversäumung „berufen“ (Rn. 31). Dies wäre treuwidrig bzw. rechtsmissbräuchlich.103 Der VN ist vielmehr so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Belehrung gestanden hätte. • Ist davon auszugehen, dass der VN die Frist gewahrt hätte, so kann der VR aus der Fristversäumnis keine Rechtsvorteile ableiten. • Wäre die Frist auch bei ordnungsgemäßer Belehrung verstrichen, so fehlt es an der Kausalität zwischen dem pflichtwidrigem Unterlassen des VR und dem „Schaden“ des VN. Der Fehler des VR bleibt für ihn folgenlos. So liegt etwa der Fall, in dem der VR den VN zwar unzutreffend dahingehend belehrt hat, die ärztliche Invaliditätsfeststellung müsse ihm innerhalb von 15-Monaten vorgelegt werden bzw. zugegangen sein (vgl. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 89), der VN jedoch nicht einmal die Niederlegung der Invaliditätsfeststellung durch den Arzt fristgerecht veranlasst hat.104
Auch wenn ein für die Fristversäumnis kausaler Treueverstoß des VR vorliegt, bedeutet dies nicht, dass der VN von seinen Verpflichtungen gänzlich befreit wird. Die ärztliche Feststellung der Invalidität bleibt weiterhin Voraussetzung für den Leistungsan-
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100
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 23. BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 10 = NJW 2006 911, 912; OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1217 f. BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 8; BGH 23.2.2005 VersR 2005 639, 640; OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 958; Manthey NVersZ 2001 55, 58.
101
102 103 104
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 23; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 174. Marlow RuS 2005 357, 362 (Fn. 62). Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 16; Manthey NVersZ 2001 55, 57 f. OLG Köln 21.11.1991 RuS 1992 105.
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spruch 105 und muss vom VN unverzüglich nachgeholt werden (s.a. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 153).106
II. Hinweis- und Beratungspflicht Dritter 50
Die Beratungspflicht des Rechtsanwalts oder Versicherungsmaklers des VN ist von der Hinweisobliegenheit des VR nach § 186 unabhängig.107 So kann der Rechtsanwalt dem VN haften, wenn er eine gegenüber dem VR zu wahrende Ausschlussfrist versäumt. Eine Verletzung des Maklervertrags liegt vor, wenn der Versicherungsmakler den VN nicht auf die AUB-Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung hinweist, obwohl für ihn erkennbar ist, dass Ansprüche wegen Invalidität gegen den Unfall-VR ernsthaft in Betracht kommen.108 Ggf. ist der Schadensersatzanspruch um ein Mitverschulden des VN zu kürzen.109 Des Weiteren kann im Rahmen einer Gruppen-Unfallversicherung für den VN die Pflicht bestehen, die versicherte Person über die Voraussetzungen einer Anspruchserhebung zu informieren.110
G. Speziellere AVB 51
§ 186 kann nicht zum Nachteil des VN abbedungen werden (§ 191).
H. Verfahrensfragen 52
Die Darlegungs- und Beweislast für den ordnungsgemäßen Hinweis nach § 186 S. 1 trägt der VR.111 Er muss sowohl den Inhalt als auch den Zugang entsprechender Schreiben darlegen und beweisen (Rn. 29; dazu auch Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 55 ff.). Beweisschwierigkeiten im Rahmen des § 186 kann der VR dadurch entgegenwirken, dass er die erforderlichen Hinweise in das Schadenanzeigeformular aufnimmt, dass der VN ausgefüllt und unterschrieben zurückzusenden hat (siehe bereits Rn. 6). Besteht ausnahmsweise nach § 6 Abs. 4 oder Treu und Glauben eine verschuldens53 abhängige Pflicht des VR gegenüber dem VN, diesen über die gemäß Ziff. 2.1.1.1 S. 2 Spiegelstrich 2 AUB 2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61) einzuhaltenden Fristen zu belehren, so ist die Beweislastverteilung fraglich.112 Streitig ist, ob der VR nur die Absendung (an die richtige Anschrift des VN) 113 oder darüber hinaus
105 106 107 108
109 110 111
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 22. Manthey NVersZ 2001 55, 57. Kloth Rn. G 61. BGH 16.7.2009 VersR 2009 1495, 1496 Rn. 7 ff. = NJW-RR 2009, 1688 f. = RuS 2009 395 f. mit Anm. Schimikowski jurisPR-VersR 10/2009 OLG Karlsruhe 18.12.2008 RuS 2009 396. S.a. Kloth Rn. G 63. Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG
406
Rn. 15; Kloth Rn. G 60; ders.RuS 2007 397, 400; Marlow/Spuhl 3 S. 269 f. 112 Offen lassend OLG Hamm 22.1.1992 VersR 1992 1256 = RuS 1992 250. 113 So OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 451 = RuS 2001 390, 392; OLG Hamm 25.10.1997 RuS 1998 260; Marlow/Spuhl 3 S. 269 f.; s.a. Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 173.
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Anerkenntnis
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den Zugang des Belehrungsschreibens zu beweisen hat.114 Richtig ist es, dem VR nur den Nachweis der Absendung abzuverlangen. Ob das Belehrungsschreiben beim VN auch angekommen ist, ist damit unerheblich. Dieses Ergebnis lässt sich wie folgt begründen: • Wird die unterlassene Belehrung als Pflichtverletzung des VR angesehen, so wäre hierfür nach allgemeinen Regeln grundsätzlich der VN beweispflichtig. Dies kann den VN indes in Beweisnot bringen, da er die Interna des VR nicht kennt. Es ist deshalb sachgerecht, dass der VR nachvollziehbar belegen muss, er habe alles ihm Zumutbare getan, die Belehrung über die Fristbestimmungen (im Rahmen angemessener Bearbeitungszeiten) auf den Weg zum VN zu bringen. Den Zugangsbeweis muss der VR dagegen nicht führen. Der VR kommt seinen Pflichten nach Treu und Glauben nach, wenn er ein Belehrungsschreiben an den VN auf dem normalen Postweg an den VN versendet. Nach dem „normalen Gang der Dinge“ darf der VR dann von einer Kenntnisnahme des VN ausgehen. Der in der Korrespondenz zwischen VR und VN eher ungewöhnliche Versand z.B. von Einschreiben mit Rückschein kann von einem ordentlichen Kaufmann dagegen nicht verlangt werden, zumal die dadurch entstehenden erhöhten Kosten letztlich die Versichertengemeinschaft belasten. • Der VR handelt nicht schuldhaft, wenn er den normalen Postversand wählt und auf die ordnungsgemäße Zustellung vertraut. Wird ein strengerer Maßstab angesetzt, so kommt es zu einer Ungleichbehandlung. Kann der VN die Versäumung der (Ausschluss-)Frist zur Geltendmachung der Invalidität mit dem Nachweis der rechtzeitigen Absendung entschuldigen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 128), so ist nicht einzusehen, weshalb der VR den Zugangsbeweis für Belehrungsschreiben führen muss.
§ 187 Anerkenntnis (1) Der Versicherer hat nach einem Leistungsantrag innerhalb eines Monats nach Vorlage der zu dessen Beurteilung erforderlichen Unterlagen in Textform zu erklären, ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht anerkennt. Wird eine Invaliditätsleistung beantragt, beträgt die Frist drei Monate. (2) Erkennt der Versicherer den Anspruch an oder haben sich Versicherungsnehmer und Versicherer über Grund und Höhe des Anspruchs geeinigt, so wird die Leistung innerhalb von zwei Wochen fällig. Steht die Leistungspflicht nur dem Grunde nach fest, so hat der Versicherer auf Verlangen des Versicherungsnehmers einen angemessenen Vorschuss zu leisten.
Schrifttum Jacob Rückforderung von Versicherungsleistungen in der Privaten Unfallversicherung, VersR 2010 39.
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So OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065, 1066; Kloth Rn. G 42; Knappmann RuS 2002 485, 489. Insofern besteht eine Parallele zum Beweis der Zurückweisung
unwirksamer Kündigungen des VN durch den VR; hierzu Leverenz VersR 1998 525, 534.
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Übersicht Rn. A. I. II. B. I. II.
III. IV. V. VI. VII. VIII. C.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . Spezialregelung zu § 14 . . . . . . . Erklärung des VR zur Leistungspflicht Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . 1. Leistungsantrag . . . . . . . . . . 2. Vorlage erforderlicher Unterlagen . a) Erforderliche Unterlagen . . . . b) Vorlageverpflichteter . . . . . . c) Form . . . . . . . . . . . . . . d) Ermittlungs- oder Strafakten . . 3. Entbehrlichkeit des Leistungsantrags bzw. der Vorlage von Unterlagen . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . Form . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . Verletzung der Erklärungspflicht . . . Fälligkeit der Versicherungsleistung .
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Rn. I. Leistungszusage des VR . . . . . . . . . II. Leistungsablehnung durch den VR . . . . III. Fehlende Erklärung des VR zu seiner Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . D. Verzug des VR . . . . . . . . . . . . . . I. Verzugsvoraussetzungen . . . . . . . . . 1. Keine rechtzeitige Leistung des VR . . 2. Mahnung des VR durch den Anspruchsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschulden des VR . . . . . . . . . . II. Verzugsfolgen . . . . . . . . . . . . . . E. Pflicht zur Vorschussleistung . . . . . . . I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . II. Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verletzung der Vorschusspflicht . . . . . IV. Rückzahlung . . . . . . . . . . . . . . . F. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . G. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . I. Erklärungspflicht des VR . . . . . . . . . II. Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorschuss . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einführung 1
Die amtliche Überschrift des § 187 „Anerkenntnis“ gibt nur einen wesentlichen Teilaspekt des Inhalts der neuen Norm wieder; denn es wird die Erklärung des VR zu seiner Leistungspflicht, die Fälligkeit der Unfallversicherungsleistung nach Anerkenntnis des VR oder Einigung zwischen den Vertragspartnern sowie die Vorschusspflicht des VR geregelt. Inhaltlich folgt der Gesetzgeber den Empfehlungen der VVG-Expertenkommission. Die neue Vorschrift greift bewusst Regelungen auf, die bereits überwiegend in den AUB (Ziff. 9.1 bis 9.3 AUB 99, § 11 Abs. 1 bis Abs. 3 AUB 88/94, §§ 11 Nr. 1 S. 1, 13 Nr. 1 bis 3 AUB 61; s. ferner § 22 Abs. 1 bis 3 AKB) enthaltenen sind.1 Wesentliche materiell-rechtliche Änderungen treten im Vergleich zur bisherigen Praxis nicht ein.
I. Normzweck 2
Der Zweck des Anerkenntnisses i.S.v. § 187 (bzw. den entsprechenden AUB-Regelungen) liegt darin, bestehende Ungewissheiten über die Leistungsvoraussetzungen dem Streit der Parteien zu entziehen. Die Leistungspflicht des VR soll gegenüber dem Anspruchsteller endgültig festgelegt werden, indem der VR seine Erfüllungsbereitschaft mitteilt.2 3 Die in § 187 geregelten Fristen zur Erklärung über die Leistungspflicht von einem Monat bzw. (bei Invaliditätsleistungen) drei Monaten und Fälligkeit der Leistung nach zwei Wochen verfolgen denselben (doppelten) Zweck wie die identisch in Ziff. 9.1 und 9.2 AUB 99/2008 (§ 11 Abs. 1 und 2 AUB 88/94, §§ 11 Abs. 1, 13 Nr. 1 AUB 61) vorge1
Begründung RegE zu § 187, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109; Abschlussbericht S. 404 f.
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Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 4.
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sehenen Fristenregelungen. Zum einen soll der versicherten Person oder dem Bezugsberechtigten Gewissheit verschafft werden, dass die Bearbeitung des Versicherungsfalls sowie die Auszahlung der Versicherungsleistung durch den VR nicht ungebührlich hinausgezögert wird.3 Zum anderen soll dem VR eine angemessene Zeitspanne zur Verfügung stehen, damit er zunächst die Frage, ob und in welchem Umfang er zur Leistung verpflichtet ist, sachgerecht prüfen sowie anschließend seiner ggf. bestehenden Leistungsverpflichtung nachkommen kann.4 Es liegt auch im Interesse der Solidargemeinschaft der versicherten Person, dass der VR eine sachgerechte Prüfung anstellen kann, ohne sich dem Risiko eines Verzugs auszusetzen.5 Die unterschiedlichen Fristen entsprechen dem Zeitraum, den der VR erfahrungsgemäß zur Fallprüfung und Leistungsentscheidung bzw. zur Auszahlung benötigt.6 Die Pflicht des VR zur Zahlung eines angemessenen Vorschusses soll im Interesse der 4 versicherten Person vermeiden helfen, dass sie – u.U. für einen langen Zeitraum – nur deshalb keine Versicherungsleistung erhält, weil sich die endgültigen Feststellungen zur Leistungspflicht des VR verzögern.7 Steht die Begründetheit des Anspruchs dem Grunde nach fest und können Mindestaussagen zur Höhe des Anspruchs getroffen werden, so soll der VR zumindest eine Teilleistung erbringen müssen.
II. Spezialregelung zu § 14 Bei § 187 handelt es sich um eine Sonderregelung, die innerhalb ihres Anwendungs- 5 bereichs den allgemeinen Vorschriften in § 14 (§ 11 a.F.), § 271 BGB vorgeht. Genauso wie die dieser Vorschrift als Vorlage dienenden jeweiligen Fälligkeitsregelungen in den AUB (Ziff. 9.1 S. 1 und 2 sowie 9.2 AUB 99/2008, § 11 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 AUB 88/94, §§ 11, 13 Nr. 1 AUB 61), die § 11 a.F. in zulässiger Weise modifiziert haben,8 behandelt § 187 nur den Fall, in dem der VR positiv über den vom VN erhobenen Anspruch durch Anerkenntnis oder infolge einer Einigung mit dem VN entscheidet.9 Bei einer Leistungsablehnung richtet sich dagegen die Fälligkeit nach § 14 Abs. 1,10 sofern die Ablehnung des VR einen Zahlungsanspruch (und nicht etwa einen Kostenbefreiungsanspruch) betrifft.11 § 14 Abs. 1 entspricht inhaltlich – bis auf kleine redaktionelle Änderungen – § 11 Abs. 1 a.F. Die materiell-rechtlichen Besonderheiten des § 187 kommen
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Grewing Unfallversicherung S. 73; Riebesell S. 81. BGH 24.3.1976 BGHZ 66 250, 256 = VersR 1977 471, 472 = NJW 1976 1259, 1260; Schwintowski/Brömmelmeyer § 187 Rn. 1; Grimm4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 1; E. Hofmann S. 56; Kloth Rn. O 2; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 216; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 1; GB BAV 1982 80 Nr. 813. LG Köln 15.1.1982 VersR 1983 387, 388. Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 1. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 103. BGH 13.3.2002 VersR 2002 698 = NVersZ 2002 309 f.; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 92; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 8.
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So auch Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 219 und 225; a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer § 187 Rn. 1 f. Terbille/Hormuth2 MAH § 24 Rn. 89; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 6 f.; zu dem Verhältnis zwischen den AUB und § 11 a.F. bereits BGH 27.2.2002 VersR 2002 472, 473; BGH 22.3.2000 VersR 2000 753, 754 = NVersZ 2000 332, 333; BGH 4.11.1987 VersR 1987 1235, 1236; OLG Hamm 23.8.2000 NVersZ 2001 163, 164; Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 15. BGH 14.4.1999 VersR 1999 706, 707; Bruck/Möller/K. Johannsen § 14 Rn. 2.
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durch die Angabe konkreter Fristen zum Ausdruck. Wie bei Ziff. 9 AUB 99/2008, § 11 AUB 61/88/94 12 machen die Fristen den eigentlichen Gehalt des § 187 aus.
B. Erklärung des VR zur Leistungspflicht 6
Nach § 187 Abs. 1 hat der VR nach einem Leistungsantrag innerhalb eines Monats (bei Invaliditätsleistungen innerhalb von drei Monaten) nach Vorlage der zu dessen Beurteilung erforderlichen Unterlagen in Textform zu erklären, ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht anerkennt.
I. Rechtsnatur 7
Die „Anerkennung“ einer Schuld kann einen unterschiedlichen Inhalt haben. Es kann eine neue, von dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis unabhängige Verpflichtung begründen (sog. konstitutives Schuldanerkenntnis), der Feststellung einer bestehenden Schuld dienen (sog. deklaratorisches Schuldanerkenntnis), einen Verzicht beinhalten oder nur – so der Regelfall – Beweiserleichterungen nach sich ziehen. Abzugrenzen sind etwa die Schenkung oder der Vergleich. Bei der Wahl dieser Vertragstypen geht der VR davon aus, dass entweder keine Leistungspflicht besteht oder diese ungewiss ist. Eine Schuld wird dagegen nicht anerkannt. Welche Bedeutung die jeweilige Erklärung des VR hat, ist anhand der Umstände des Einzelfalls durch Auslegung unter Berücksichtigung des mit dem Anerkenntnis verfolgten Zwecks, der beiderseitigen Interessenlage und der allgemeinen Verkehrsauffassung zu ermitteln.13 Bei der Erklärung des VR handelt es sich inhaltlich im Allgemeinen um eine einseitige 8 Meinungsäußerung des VR und tatsächliche Information an den Anspruchsberechtigten mit fälligkeitsbegründender Wirkung; der VR gibt die Erklärung typischerweise lediglich zu dem Zweck ab, dem VN seine Erfüllungsbereitschaft mitzuteilen.14 Eine weitergehende Bedeutung kommt ihr im Regelfall nicht zu: • Das Anerkenntnis des VR nach § 187 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 entfaltet keine (generell) einseitige Gestaltungswirkung, da grundsätzlich die Begründung und die Änderung eines Rechtsverhältnisses gemäß § 311 BGB (§ 305 BGB a.F.) einen Vertrag verlangen, sofern das Gesetz keine Ausnahme zulässt. • Dem Anerkenntnis kann bei Fehlen besonderer Anhaltspunkte nicht der Charakter einer Vertragserklärung bzw. eines Vertragsangebots beigemessen werden.
Grund hierfür ist, dass der VR – auch aus Sicht eines verständigen VN – kein Interesse daran haben kann, sich unnötig zu präjudizieren. Vielmehr erzeugt die Erklärung des VR zur Frage, ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht anerkennt, für sich noch keine rechtliche Bindung. Sie schließt nicht alle Einwendungen des VR gegen den aner-
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BGH 24.3.1976 BGHZ 66 250, 256 = VersR 1977 471, 472 = NJW 1976 1259, 1260; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 1. S. nur Palandt/Sprau 65 § 781 BGB Rn. 1. BGH 24.3.1976 BGHZ 66 250, 254 und 257 = VersR 1977 471, 472 = NJW 1976 1259, 1261; OLG Hamm 16.6.2004 VersR 2005 346, 347 = RuS 2005 78, 79;
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OLG Karlsruhe 19.7.2001 VersR 2002 1549; OLG Oldenburg 18.9.2008 RuS 2008 524, 525; Schwintowski/Brömmelmeyer § 187 Rn. 6; Kloth Rn. O 3; Palandt/Sprau 65 § 781 BGB Rn. 10 i.V.m. 6; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 3; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 291.
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kannten Anspruch aus. Im Gegenteil: Der VR kann eine neue Erklärung über die Anerkennung des Anspruchs abgeben (z.B. die Höhe des Invaliditätsgrades – auch nach unten – korrigieren) und dabei alle Tatsachen einwenden, die ihm nachträglich bekannt wurden und die er nicht offensichtlich mit seiner Erklärung bereits berücksichtigen wollte.15 Besteht die zunächst angenommene Leistungsverpflichtung nicht oder nicht in voller Höhe, so kann der VR seine Leistung darüber hinaus ganz oder teilweise wieder zurückfordern (Rn. 32). Das Anerkenntnis des VR nach § 187 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 beinhaltet grund- 9 sätzlich weder ein konstitutives noch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis i.S.v. §§ 780, 781 BGB.16 Ein solches Schuldanerkenntnis wird – soweit sich nicht aus den Umständen ausnahmsweise etwas anderes ergibt – nicht schon begründet durch eine Kulanzentscheidung bzw. -zahlung,17 eine Leistung unter Vorbehalt,18 den Versand eines bloßen Abrechnungsschreibens 19 oder die Zahlung eines Vorschusses, wenn der VR die endgültige Entscheidung über seine Leistungspflicht von einer ärztlichen Nachuntersuchung i.S.v. § 188 (Ziff. 9.4 AUB 99/2008, § 11 Abs. 4 AUB 88/94, § 13 Nr. 3a AUB 61) abhängig macht. Vorstehendes entspricht der ganz h.M. vor Inkrafttreten der VVGReform 2008. An dieser Rechtslage hat sich durch das neu gefasste VVG nichts geändert.20 Allein der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 187 und die Bedingungsgeber in Ziff. 9.1 und 9.2 AUB 2008 die Erklärung des VR (etwas unglücklich) mit dem Wort „anerkennen“ in Zusammenhang bringen, gibt dem „Anerkenntnis“ des VR nicht die Wirkung eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses.21 Ein solcher „Kurswechsel“ lässt sich aus der Gesetzesbegründung nicht ableiten. Ein abstraktes bzw. selbständiges Schuldanerkenntnis gemäß § 781 BGB setzt voraus, 10 dass der VR seine vertragliche Verpflichtung von ihren wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhängen lösen und eine neue selbständige Verpflichtung schaffen will, auch wenn der ursprüngliche Anspruch nicht (mehr) besteht.22 Eine dahingehende Vertragsabrede ist atypisch.23 Auf sie lässt im Regelfall weder der wirtschaftliche Zweck des Unfallversicherungsvertrages noch die Interessenlage der Vertragsparteien schließen.24 Das vertraglich bestätigende (deklaratorische) Schuldanerkenntnis bezweckt nicht, eine 11 neue Schuld zu begründen, sondern dient dazu, ein bestehendes Schuldverhältnis insgesamt oder zumindest in bestimmten Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit zu
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Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 2; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 6. S. nur BGH 24.3.1976 BGHZ 66 250, 257 = VersR 1977 471, 472 = NJW 1976 1259, 1261; OLG Frankfurt 24.9.2003 VersR 2005 779, 781; OLG Hamm 16.6.2004 VersR 2005 346, 347; OLG Oldenburg RuS 1998 349 = VersR 1998 1274 (LS); Jacob VersR 2010 39; Kloth Rn. O 3; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 4; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 172; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 291; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 5; a.A. noch OLG Düsseldorf 4.11.1952 VersR 1953 23. OLG Hamm 7.8.2002 NVersZ 2002 557, 558.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 32. OLG Frankfurt/M. 1.7.1999 RuS 2002 85. So i.E. auch Schwintowski/Brömmelmeyer § 187 Rn. 2 und 7; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 92; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 217; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 3. A.A. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 200. Palandt/Sprau 65 § 781 BGB Rn. 2; s.a. OGH 7.7.1983 VersR 1984 1199, 1200. BGH 21.1.1976 NJW 1976 567. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 4; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 291; s.a. OLG Düsseldorf 4.11.1952 VersR 1953 23.
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entziehen und es (insoweit) endgültig festzulegen.25 Es sollen alle Einwendungen tatsächlicher und rechtlicher Natur für die Zukunft ausgeschlossen werden, die der Schuldner bei Abgabe seiner Erklärung kannte oder mit denen er zumindest rechnete.26 Ein solcher Schuldbestätigungsvertrag kann, soweit er feststellende Wirkung hat, nicht nach § 812 Abs. 2 BGB rückgängig gemacht werden, falls sich später das „bestätigte“ Schuldverhältnis als ursprünglich nicht bestehend oder eine zunächst ausgeschlossene Einwendung bzw. Einrede im Nachhinein als begründet herausstellen sollte.27 Die bindende Wirkung kann nur durch eine wirksame Anfechtung beseitigt werden. In besonders gelagerten Einzelfällen kann die Erklärung des VR ausnahmsweise nach dem Willen der Parteien und dem von ihnen verfolgten Zweck als bestätigender Schuldanerkenntnisvertrag auszulegen sein. Eine dahingehende Vermutung gibt es indes nicht. Vielmehr muss Anlass zwischen den Parteien bestanden haben, eine vergleichsähnliche Regelung (§ 779 BGB) herbeizuführen. Folgende Voraussetzungen müssen (kumulativ) erfüllt sein:28 • Vor Abgabe der Erklärung durch den VR hat unter den Beteiligten Streit oder Ungewissheit über den Grund und die Höhe der Leistungspflicht des VR geherrscht. Von „Streit oder Ungewissheit“ kann nur gesprochen werden, wenn die betreffenden Tatsachen unter den Parteien überhaupt erörtert worden sind und eine gewisse Substanz aufweisen.29 Für die Annahme einer Kontroverse genügt es nicht, wenn der VR seine Abrechnung berichtigt.30 • Der VR hat seine Erklärung erkennbar zu dem Zweck abgegeben, den Streit oder die bis dahin bestehende Ungewissheit insgesamt oder in bestimmten Beziehungen im Wege eines Vergleichs beizulegen. Nicht ausreichend ist es, wenn der VR aufgrund eigener Überlegung – ohne Bezug auf einen im Vorfeld bestehenden Streit oder eine bestehende Ungewissheit – bestimmte Voraussetzungen (intern) zugrunde legt oder als nicht gegeben ansieht.31
Die Zahlung von Krankenhaus-Tagegeld und Genesungsgeld kann folgerichtig nicht als deklaratorisches Anerkenntnis eines Invaliditätsanspruchs interpretiert werden, wenn dieser noch nicht geltend gemacht wurde und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der VR den ihm unbekannten Anspruch außer Streit stellen will.32 Hat der VR nach kontroverser Erörterung mit der Gegenseite eine anerkennende 12 Erklärung abgegeben, so kann in dem Anerkenntnis nach Treu und Glauben ein (stillschweigend erklärter) Verzicht auf die erörterten Einwände zu sehen sein.33
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BGH 14.1.2008 NJW 2008 1589, 1590 f. Rn. 16; OLG Frankfurt/M. 5.12.2007 RuS 2008 522, 523. Palandt/Sprau 65 § 781 BGB Rn. 4. BGH 24.3.1976 BGHZ 66 250, 253 f. = VersR 1977 471, 472 = NJW 1976 1259, 1260; OLG Düsseldorf 4.11.1952 VersR 1953 23; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 5. S. nur BGH 1.12.1994 NJW 1995 960, 961; BGH 24.3.1976 BGHZ 66 250, 255 und 257; OLG Frankfurt 24.9.2003 VersR 2005 779, 781; Kloth Rn. O 3; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 217;
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Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 3; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 291. OLG Oldenburg 18.9.2008 RuS 2008 524, 525. OLG Frankfurt/M. 5.12.2007 RuS 2008 522, 523. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 3. OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450 = RuS 2001 390, 391; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 217. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 291; ebenso Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 3.
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II. Voraussetzungen Die Erklärungslast des VR setzt voraus, dass die allgemeinen Voraussetzungen für die 13 Fälligkeit der Versicherungsleistung erfüllt sind.34 Welche Kriterien vorliegen müssen, umschreibt § 187 Abs. 1 S. 1 mit der Formulierung „nach einem Leistungsantrag … nach Vorlage der zu dessen Beurteilung erforderlichen Unterlagen“. Weitergehende Anforderungen bestehen nicht. So wird die Erklärungspflicht des VR nicht durch die Möglichkeit des § 188 relativiert. Die ordnungsgemäße Ausübung des Neubemessungsrechts schiebt zwar die Fälligkeit hinaus, beseitigt aber nicht die Erklärungspflicht des VR (§ 188 Rn. 31 f.). 1. Leistungsantrag Der Begriff Leistungsantrag wird weder im VVG noch in den Gesetzesmaterialien 14 näher erläutert. Auch die AUB enthalten diesen Terminus nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, wenn der Anspruchsteller eine Leistung begehrt, die vom Inhalt und in der Höhe bestimmt oder wenigstens bestimmbar ist. Der Antrag kann ausdrücklich oder konkludent (auch formlos) erfolgen. Maßgebend für das Verständnis der Willenserklärung des VN ist – wie auch sonst im Zivilrecht – der objektive Empfängerhorizont des VR. Dem verständigen und sorgfältig regulierenden VR müssen je nach Einzelfall genügend Umstände bekannt sein, die darauf schließen lassen, dass der VN die Erbringung einer Versicherungsleistung begehrt. Nicht ausreichend sind z.B. die bloße Unfallmeldung (Ziff. 7.1 AUB 99/2008) oder Unfallanzeige (Ziff. 7.2 AUB 99/2008). Diese Erklärungen setzen nicht zwingend voraus, dass ein bestimmter oder bestimmbarer Anspruch gegenüber dem VR erhoben wird. Eine (wenigstens ungefähre) Umschreibung, was wofür verlangt wird, ist für den Leistungsantrag nach § 187 Abs. 1 S. 1 erforderlich, damit keine Ungewissheit darüber besteht, in welcher Höhe oder in welchem Umfang Fälligkeit der begehrten Versicherungsleistung eintritt. Es bestehen ähnliche inhaltliche Anforderungen wie bei der Geltendmachung der Invalidität (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 122 f.), der „Anspruchserhebung“ i.S.v. § 12 Abs. 3 VVG a.F. (Ziff. 14 AUB 99) oder bei der „Forderungsanmeldung“ (Ziff. 15 AUB 2008 Rn. 21 f.). 2. Vorlage erforderlicher Unterlagen Die sachgerechte Beurteilung des Leistungsantrags setzt voraus, dass dem VR aus- 15 reichendes Tatsachenmaterial bekannt ist, aus dem sich die Begründetheit des Leistungsantrags schlüssig und nachweisbar ergibt. Müsste der VR schon aufgrund der bloßen Geltendmachung eines (vermeintlichen) Anspruchs leisten, könnte er keine ins Blaue hinein aufgestellten oder unbegründeten Forderungen einzelner Anspruchsteller im Interesse der Gefahrengemeinschaft abwehren. Grundsätzlich wird die Versicherungsleistung folgerichtig nicht fällig, solange dem VR nicht sämtliche Unterlagen vorliegen, die zur ordnungsgemäßen Leistungsprüfung erforderlich sind. Diese Unterlagen können sowohl vom VN, vom VR als auch von Dritten stammen.35
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Begründung RegE zu § 187 Abs. 1, BTDrucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109; Abschlussbericht S. 404.
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a) Erforderliche Unterlagen. Welche Unterlagen dem VR im Einzelnen vorzulegen sind, lässt das Gesetz offen. Was für die Beurteilung durch den VR i.S.v. § 187 Abs. 1 S. 1 genau „erforderlich“ ist, ist demnach im Wege der Auslegung anhand des Einzelfalls zu entscheiden. Dabei kann eine Anlehnung an die Interpretation der Formulierung „notwendige Erhebungen“ in § 14 Abs. 1 (§ 11 Abs. 1 a.F.) erfolgen.36 Abstrakt lässt sich – wie zu § 14 (§ 11 a.F.) – festhalten, dass die Mitteilung aller Tatsachen und die Aushändigung sämtlicher Unterlagen „erforderlich“ ist, die einem „durchschnittlich sorgfältigen VR“ 37 bekannt sein müssen, um den Versicherungsfall, seine Leistungspflicht und den Umfang der von ihm zu erbringenden Leistung sowie die Person des Anspruchsstellers bzw. Forderungsberechtigten prüfen und abschließend festzustellen zu können.38 Dazu gehören sowohl anspruchsbegründende als auch anspruchsausschließende bzw. -hemmende Tatsachen. Es ist eine gerechte Abwägung der Belange der Gefahrengemeinschaft (Schutz vor unberechtigten Ansprüchen) und den Interessen des Anspruchstellers an einem schnellen Zahlungseingang vorzunehmen.39 Dem Sicherheitsbedürfnis ist vor allem bei hohen Summen Vorrang gegenüber der Schnelligkeit einzuräumen.40
17
b) Vorlageverpflichteter. Der Wortlaut von § 187 Abs. 1 S. 1 („nach Vorlage“) lässt offen, wer die zur Leistungsbeurteilung erforderlichen Unterlagen vorzulegen hat. Verfehlt wäre deshalb die Annahme, der VR könne sich bis zur Vorlage sämtlicher Unterlagen durch den Anspruchsteller oder sonstige Dritte passiv verhalten bzw. „zurücklehnen“ und müsse erst nach Lieferung der Informationen durch den VN innerhalb der in § 187 Abs. 1 vorgesehenen Fristen aktiv in die Prüfung einsteigen. Vielmehr treffen auch den VR Aufklärungs- und Hinweispflichten. Aufgrund des Versicherungsvertrages ist der VR nach Treu und Glauben (Rücksichtnahmegebot) gehalten, von sich aus zur Klärung des Anspruchs beizutragen und den Fortgang der Leistungsregulierung zu fördern sowie etwaige in tatsächlicher Hinsicht bestehende Zweifel rasch zu klären.41 Dies gilt insbesondere dann, wenn die wirtschaftliche Existenz des VN bedroht ist.42 Fernerhin hat er den VN über die von ihm beizubringenden Unterlagen jedenfalls dann zu unterrichten, wenn der VN für den VR erkennbare Informationsdefizite oder Fehlvorstellungen hat.43 Insofern ist auch auf §§ 6 Abs. 4, 186 hinzuweisen. Wer letztlich welche Unterlagen beizubringen hat, folgt aus der Darlegungs- und Beweislastverteilung: Vom Anspruchsteller ist zunächst zu verlangen, dass er seinen Anspruch gegenüber 18 dem VR im Rahmen seiner zumutbaren Möglichkeiten schlüssig und nachvollziehbar begründet. Sein Vortrag muss sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen umfassen. Darüber hinaus muss der Anspruchsteller streitige Punkte belegen, sofern der VR begründete Bedenken in tatsächlicher Hinsicht vorbringt und der VN für sie beweispflichtig ist. Anderenfalls müsste der VR aufgrund eines ungewissen Sachverhalts, aufgrund eigener Spekulationen und u.U. im Widerspruch zur Beweislastverteilung eine Entschei-
36 37 38
Dazu etwa Bruck/Möller/K. Johannsen § 14 Rn. 5 ff. So etwa OLG Bremen 16.3.1965 VersR 1965 653. BGH 1.2.1974 VersR 1974 639; OLG Karlsruhe 3.12.1992 RuS 1993 443; OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976; OLG Saarbrücken 9.11.2005 RuS 2006 385, 386; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 6; Prölss/ Martin 27 § 11 Rn. 3; Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 5.
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OLG Bremen 16.3.1965 VersR 1965 653. OLG Karlsruhe 15.2.1979 VersR 1979 564, 565. OLG München 13.11.1964 VersR 1965 173, 174; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 3. Bruck/Möller/K. Johannsen § 14 Rn. 9 f.; Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 6. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 13.
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Anerkenntnis
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dung treffen. Einer ordnungsgemäßen Leistungsregulierung ist damit nicht gedient. In dieser Hinsicht konkretisieren die AUB § 187 Abs. 1. Die Regelungen in Ziff. 9.1 S. 2 AUB 99/2008, § 11 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94 und § 11 S. 2 AUB 61 sehen vor, dass der Anspruchsteller den Unfallhergang und die Unfallfolgen sowie beim Invaliditätsanspruch zusätzlich den Abschluss des Heilverfahrens, soweit es für die Bemessung der Invalidität notwendig ist, nachzuweisen hat. Diese Ausgestaltung ist sachgerecht und rechtlich unbedenklich (Ziff. 9.1 AUB 2008 Rn. 16). Weigert sich der Anspruchsteller, die von ihm vorzulegenden Unterlagen beizubringen, so verhindert er damit selbst den Eintritt der Fälligkeit der Versicherungsleistung (zu den Rechtsfolgen der Verweigerung der Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung s. Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 151).44 Hat der VN alle vom VR angeforderten Unterlagen eingereicht, so beginnen die in § 187 Abs. 1 bezeichneten Fristen zu laufen, und zwar auch dann, wenn der VR noch ein (weiteres) Gutachten einholt und der VN dazu dem Gutachter Unterlagen (z.B. Röntgenbilder) vorlegt. Auf die Gutachtenerstattung kommt es dann zur Fälligkeitsbegründung nicht an.45 Nicht zu den Aufgaben des Anspruchstellers gehört es, Unterlagen zur Unfreiwillig- 19 keit des Unfalls (vgl. § 178 Abs. 2 S. 2), zur Unfallursache, zur nicht vorsätzlichen oder nicht widerrechtlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 183 Abs. 1), zum Fehlen möglicher Ausschlussgründe oder zum Fehlen einer Vorinvalidität bzw. Mitwirkung unfallfremder Ursachen i.S.v. § 182 beizubringen. Für diese Umstände trägt der VR die Darlegungs- und Beweislast. Es ist seine Sache, (parallel zu den Bemühungen des Anspruchsstellers) alle ihm möglichen und zumutbaren Ermittlungen zum Eingreifen etwaiger Ausschlussgründe usw. durchzuführen. Anderenfalls käme es zu einer unangemessenen und vom Gesetzgeber sicherlich nicht gewollten Beweislastverschiebung. Teilt der VN z.B. dem VR unter Vorlage entsprechender medizinischer Belege mit, dass er nach einem Kneipenbesuch einen Verkehrsunfall in seinem PKW erlitten hat, der zu einer Invalidität von 10 % geführt hat, so ist es nicht auch Aufgabe des VN, einen möglichen Verdacht des VR auf eine Bewusstseinsstörung infolge Alkoholkonsums des VN auszuräumen; denn für das Vorliegen des Ausschlussgrundes trägt der VR die Beweislast (Ziff. 5.1.1 AUB 2008 Rn. 95). c) Form. Die Unterlagen brauchen mangels entsprechender Regelung grundsätzlich 20 nicht in einer bestimmten Form vorgelegt werden (zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung s. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 111 ff.). Ausreichend ist es deshalb z.B., dass die versicherte Person dem VR telefonisch Mitteilungen macht.46 Typischerweise werden die Unterlagen aber schon aus Beweisgründen schriftlich bzw. in Textform übermittelt. Regelmäßig wird der VR um Vorlage von (Original-)Urkunden bitten. d) Ermittlungs- und Strafakten. Der Anspruchsteller ist nicht verpflichtet, dem VR 21 Ermittlungs- oder Strafakten der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft beizubringen.47 Diese hat der VR – ggf. über einen Rechtsanwalt 48 – selbst anzufordern und auszuwerten.49
44 45
46 47
Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 3. LG Berlin 25.2.2003 VersR 2004 767, 768 (dazu auch Marlow RuS 2005 357, 364); ferner OLG Koblenz 17.4.2009 VersR 2009 1348, 1349; Kloth Rn. O 5. Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 2. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 88; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94
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Rn. 9 und § 11 AUB 94 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 2; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 8. OLG München 13.11.1964 VersR 1965 173 f. OLG Hamburg 6.8.1981 VersR 1982 543; OLG Hamm 22.8.1973 VersR 1974 329, 330; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 8; Stiefel/Hofmann17 § 22 AKB Rn. 3.
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Entsprechendes gilt für einen (in den Ermittlungsakten befindlichen) Obduktionsbericht, sofern der VN bzw. dessen Erben diesen nicht in Auftrag gegeben haben; aus der Obliegenheit, dem VR die Obduktion durch einen von diesem beauftragten Arzt zu ermöglichen (Ziff. 7.5 AUB 99/2008), ergibt sich keine Beschaffungspflicht für den Anspruchsteller.50 • Die Anforderung bzw. Einsicht in Ermittlungsunterlagen ist erforderlich i.S.v. § 187 Abs. 1 S. 1, sofern eine Feststellung von Tatsachen erwartet werden kann, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des VR bedeutsam sein können.51 Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn sich der Anspruchssteller die ihm obliegenden und zur Beurteilung der Leistungspflicht des VR notwendigen Angaben zum Unfallhergang nicht machen kann, der Anspruchsteller ausdrücklich auf den Inhalt der Akten verweist,52 sich Zweifel über den geschilderten Unfallhergang ergeben 53 oder sich nicht ausschließen lässt, dass sich aus den Akten Anhaltspunkte für das Eingreifen von Ausschlusstatbeständen (z.B. Drogen- oder Alkoholkonsum der versicherten Person) ergeben können.54 In solchen Fällen ist der VR regelmäßig berechtigt, das Ergebnis bzw. den Abschluss der Ermittlungen (z.B. rechtskräftiges Urteil, Einstellungsverfügung) abzuwarten.55 Kann der VR allerdings nach Einsicht in den ersten Teil der Ermittlungsakte erkennen, dass keine Erkenntnisse vorliegen, die seiner Leistungspflicht entgegen stehen, weil z.B. der Verdacht auf eine Selbsttötung ausgeräumt ist und mit weiteren Feststellungen der Ermittlungsbehörden auch nicht mehr zu rechnen ist, so darf der VR seine Prüfung nicht weiter hinauszögern, da ihn eine Beschleunigungspflicht trifft.56 • Der VR muss sich um die Akteneinsicht bemühen, sobald er von polizeilichen Ermittlungen zum Unfallgeschehen Kenntnis erlangt hat. Nicht ausreichend ist es, wenn der VR zwar zeitnah Nachfrage bei ausländischen Ermittlungsbehörden hält, jedoch seine Anfrage lediglich in deutscher Sprache verfasst und das ihm bekannte Aktenzeichen nicht angibt.57 Unternimmt der VR keine nachhaltigen Anstrengungen, die erforderliche Akteneinsicht zu erhalten, ist umstritten, wann Fälligkeit eintritt: Nach der hier vertretenen Auffassung beginnt die Monats- bzw. Dreimonatsfrist für die Erklärung des VR gemäß § 187 mit dem Tag, an dem es einem bemühten, durchschnittlich sorgfältigen VR möglich war, Kenntnis von dem relevanten Sachverhalt zu erlangen bzw. die Akten einzusehen.58 Nach der Gegenansicht muss sich der VR gemäß Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei der Zeitpunkt seiner Säumnis für den Eintritt der Fälligkeit maßgebend.59
3. Entbehrlichkeit des Leistungsantrags bzw. der Vorlage von Unterlagen
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Der Antrag auf Leistung und/oder die Vorlage von Unterlagen zur Beurteilung der Leistungspflicht des VR kann für den Anspruchsteller ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn dadurch reiner Formalismus betrieben wird oder der Anspruchsteller darauf vertrauen darf, dass der VR auch ohne Leistungsantrag oder Vorlage von Unterlagen eine Erklärung zu seiner Leistungspflicht abgeben bzw. bei seiner bereits getroffenen Entscheidung bleiben wird. So kann z.B. der Fall liegen, in dem der VR wegen Leistungsfreiheit nach § 38 Abs. 2 (§ 39 Abs. 2 a.F.) endgültig und umfassend Leistungen aus der Unfall50 51 52 53 54 55
OLG Hamm 23.8.2000 NVersZ 2001 163, 164. BGH 9.1.1991 VersR 1991 331, 332; Prölss/Martin 27 § 11 Rn. 3a. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 8. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 8. OLG Hamm 23.8.2000 NVersZ 2001 163, 164. OLG Karlsruhe 3.12.1992 RuS 1993 443; OLG Köln 12.5.1995 RuS 1995 265, 267;
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56 57 58 59
Prölss/Martin27 § 11 Rn. 3a; s.a. GB BAV 1957 35. OLG Saarbrücken 9.11.2005 RuS 2006 385, 386. OLG Hamburg 6.8.1981 VersR 1982 543. So wohl auch LG Nürnberg-Fürth 22.8.1969 VersR 1971 248 (LS). OLG München 13.11.1964 VersR 1965 173; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 92.
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versicherung abgelehnt hat. Damit bringt er unmissverständlich zum Ausdruck, dass seine Feststellungen zum Versicherungsfall beendet sind und weitere Feststelllungen zu einzelnen Leistungsarten von vornherein nicht in Betracht kommen. Auf einen Leistungsantrag oder die Beibringung von Unterlagen kommt es dann nicht mehr an.60
III. Inhalt Der VR kann die Erklärung über seine Leistungspflicht ausdrücklich oder konkludent 23 abgeben. Maßgebend ist die einzelfallbezogene Auslegung aus Sicht eines verständigen VN (Vor Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57), wobei nicht nur der Wortlaut der Erklärung des VR, sondern auch der Zusammenhang mit dem sonstigen Schriftwechsel zwischen VN und VR bzw. der Vorkorrespondenz zu berücksichtigen ist.61 So ist ein Anerkenntnis z.B. dann anzunehmen, wenn der VR erklärt, er werde hinsichtlich der geltend gemachten Invaliditätsansprüche am Ende des dritten Unfalljahres eine Nachuntersuchung in die Wege leiten, falls sein Einwand der Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung im Prozess keinen Erfolg haben sollte. In diesem Nachuntersuchungsbegehren kommt zum Ausdruck, dass der VR die zum Zeitpunkt seiner Erklärung im Raum stehende Invalidität der versicherten Person bis zum Ablauf der Dreijahresfrist anerkennt.62 Dagegen fehlt es z.B. an einem Anerkenntnis, wenn sich der VR in einer mit dem VN zur Leistungsregulierung gesondert getroffenen Vereinbarung die abschließende Leistungsprüfung vorbehält.63 Der VR hat zu erklären, „ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht aner- 24 kennt“. Eine Begründungspflicht ist dem Wortlaut des Gesetzes zwar nicht explizit zu entnehmen; dennoch muss die Erklärung aus Sicht eines verständigen VN zum Ausdruck bringen, inwieweit und aus welchen Gründen der VR seine Leistungspflicht bejaht oder verneint. Dazu ist die Erklärung so substantiiert zu erläutern, dass der Erklärungsempfänger in die Lage versetzt wird, die tatsächlichen, medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen der anerkannten oder abgelehnten Leistungspflicht nachzuvollziehen und genau zu prüfen.64 So darf der VR nicht nur eine bestimmte Summe nennen, sondern muss auch ausführen, wie sich diese errechnet.65 Ferner muss deutlich werden, in welchen Punkten über Art und Umfang der Unfallfolgen Meinungsverschiedenheiten bestehen. Der VR muss ggf. auch angeben, weshalb er von einem Selbstmord oder einer Selbstverstümmelung ausgeht.66 Dies entspricht der h.M. zu Ziff. 9.1 S. 1 AUB 99, § 11 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94 und § 11 S. 1 AUB 61.67 Allerdings ist das Begründungserfordernis keinesfalls selbstverständlich; denn den Materialien zu § 187 ist nicht zu entnehmen, welche Vorgaben der Gesetzgeber nach der VVG-Reform 2008 treffen wollte. Eine z.B. mit § 21 Abs. 1 S. 3 vergleichbare Regelung fehlt. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung im Rahmen von § 12 Abs. 3 a.F. wiederholt entschieden, dass der VR für seine
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62 63
BGH 27.2.2002 VersR 2002 472, 473. Zu § 12 Abs. 3 a.F.: KG 13.2.1998 VersR 2000 86; OLG Köln 19.3.1997 RuS 1998 223 f. OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388. BGH 28.2.2007 VersR 2007 777, 778 Rn. 14 = NJW-RR 2007 1034, 1035 (zu einer BUZ).
64 65 66 67
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 92; Kloth Rn. O 7. Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 4. GB BAV 1968 81. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 5; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 3; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 292; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 4; a.A. OGH 29.1.1987 VersR 1988 530, 531.
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Leistungsablehnung keine Gründe anzugeben braucht, aus denen er den Versicherungsschutz verneint. Dennoch erscheint es sach- und interessengerecht, im Rahmen von § 187 Abs. 1 eine nachvollziehbare (substantiierte) Begründung des VR zu seiner Entscheidung zu verlangen.68 • Könnte der VR auf eine Begründung verzichten, so wäre dem Anspruchsteller die Prüfung unmöglich, ob er die Erklärung des VR akzeptiert, eine Neubemessung nach § 188 verlangt oder den Gerichtsweg beschreiten sollte. Beansprucht der VN z.B. eine Invaliditätsleistung, weil eine Invalidität von 50 % eingetreten sei, und erklärt der VR daraufhin lediglich, er erkenne einen Invaliditätsgrad von 25 % an, so ist dem VN eine überlegte Entscheidung zu seinem weiteren Vorgehen verwehrt. • Dem VR wird nichts Unmögliches oder Unzumutbares abverlangt, wenn er seine Entscheidung – den ihm bekannten Umständen des Einzelfalls entsprechend – schlüssig begründen muss; denn in aller Regel liegt ihm eine medizinische Stellungnahme vor, die er dem Anspruchsteller ohne großen Aufwand zugänglich machen kann. Wird eine Begründungspflicht des VR bejaht, so bedeutet dies nicht, dass er mit später bekannt werdenden Einwendungen (z.B. Eingreifen eines Ausschlussgrundes) präkludiert ist oder neu aufgestellte Behauptungen des VN nicht mehr bestreiten darf.69
Ist der VR seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen und beruht ein zwischen ihm und dem VN geschlossener (Abfindungs-)Vergleich auf unzulänglichen Informationen, so kommt in Betracht, dass der VN den Vergleich wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 12 BGB) oder Irrtums (§ 119 Abs. 2 BGB) anfechten kann.70
IV. Form 25
Die AUB (Ziff. 9.1 S. 1 AUB 99, § 11 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94 und § 11 S. 1 AUB 61) sahen vor der VVG-Reform 2008 keine Form für die Erklärung des VR vor. Üblicherweise erfolgte sie aber schon aus Beweisgründen schriftlich.71 Eine mündliche Erklärung musste jedenfalls so übermittelt werden, dass es dem VN möglich war, sich die Einzelheiten zu notieren.72 Das Gesetz verlangt nunmehr ausdrücklich Textform. Als Erklärungsmedien kommen für den VR etwa Briefe, Telefaxe oder E-Mails in Betracht. Typischerweise erfolgt die Erklärung des VR außerprozessual. Sie kann aber auch während eines laufenden Gerichtsverfahrens abgegeben werden. Eine solche Konstellation ist z.B. gegeben, wenn der VN gegen den VR Leistungs- oder Feststellungsklage zu einem Zeitpunkt erhebt, in dem noch keine Regulierungsentscheidung vorliegt, und der VR während des Prozesses – etwa aufgrund erst nach Klagerhebung vorliegender medizinischer Gutachten – einen bestimmten Invaliditätsgrad anerkennt und entsprechende Leistungen vornimmt.
V. Frist 26
Grundsätzlich hat sich der VR zu allen Leistungsarten (z.B. Tagegeld, Krankenhaustagegeld, Übergangs- und Todesfallleistung) gemäß § 187 Abs. 1 S. 1 innerhalb eines
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So auch Schwintowski/Brömmelmeyer § 187 Rn. 8. So i.E. zu § 12 Abs. 3 a.F. u.a. auch BGH 22.5.1970 VersR 1970 826, 827; OLG Hamm 23.5.1980 VersR 1980 1016, 1017.
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70 71 72
OLG Koblenz 29.11.1991 VersR 1993 301 f.; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 5. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 5; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. 292. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 4.
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Monats nach Zugang des Leistungsantrags und Vorlage der zu dessen Beurteilung erforderlichen Unterlagen zu erklären. Eine Ausnahme zugunsten des VR besteht, wenn der VN eine Invaliditätsleistung beantragt. Hier beträgt die Erklärungsfrist des VR drei Monate. Grund für diese längere Frist ist, dass die Beurteilung der Invaliditätsleistung erfahrungsgemäß aufwendiger als die von Ansprüchen auf andere Leistungsarten ist.73 So müssen z.B. häufig vom VN vorgelegte ärztliche Kurzatteste (etwa zur Invaliditätsfeststellung nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008) einer Überprüfung durch medizinische Sachverständige (u.U. aus verschiedenen Fachrichtungen) unterzogen werden. Für die Fristwahrung ist der Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung des VR beim VN entscheidend.74 Der Fristbeginn ist abhängig vom Zugang – sämtlicher 75 – Unterlagen, die zur Beur- 27 teilung des Leistungsantrags erforderlich sind.76 Nach dem Gesetzeswortlaut ist es – genauso wie auf Grundlage der AUB – unerheblich, wer die Unterlagen eingeholt hat, also ob der VN (bzw. dessen Erben) oder ein Dritter (z.B. Bezugsberechtigter, andere Versicherungsunternehmen) sie dem VR zur Verfügung gestellt hat oder sich der VR die Daten selbst beschafft hat.77 Unterlagen, die der Anspruchsteller zu einem bestimmten Vertrag eingereicht hat, muss der VR auch für weitere bei ihm bestehende Unfallversicherungsverträge gegen sich gelten lassen.78 Macht der VN Invaliditätsleistungen geltend, kann der VR seine Erklärung im Regelfall erst ein Jahr nach dem Unfall abgeben; denn zunächst müssen die formellen Anspruchsvoraussetzungen i.S.v. Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008 – nämlich Eintritt der Invalidität binnen Jahresfrist und ärztliche Feststellung der Invalidität binnen 15 Monate nach dem Unfall – vorliegen. Fraglich ist, ob der VR die ihm eingeräumten Fristen in jedem Fall voll ausschöpfen 28 darf. Dies wird z.T. in Zweifel gezogen. Der VR sei verpflichtet, die Prüfung des Versicherungsfalls nicht zu verzögern und müsse deshalb – sofern möglich – unverzüglich eine Erklärung zu seiner Leistungspflicht abgeben.79 Die Norm sei nach ihrem Sinn und Zweck um das Wort „spätestens“ zu ergänzen.80 Dem ist indes nicht zu folgen, sofern sich nicht aus vorrangigen Vereinbarungen oder aufgrund besonderer Anhaltspunkte etwas anderes ergibt. Zwar ist es zutreffend, dass für den VR (neben-)vertragliche Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten bestehen. Jedoch lässt sich eine generelle Pflicht zur unverzüglichen Erklärung zur Leistungsbereitschaft aus dem Wortlaut von § 187 Abs. 1 nicht ableiten. Räumt das Gesetz zeitlichen Handlungsspielraum ein, so ist es grundsätzlich nicht anstößig, wenn der jeweils Betroffene diesen auch ausnutzt. Unerträgliche Schwebezustände werden durch die Bemessung der Fristdauer verhindert. So hat auch der Gesetzgeber in § 187 Abs. 1 einen Kompromiss zwischen den typischen Interessen des VN an alsbaldiger Gewissheit und des VR an sorgfältiger Prüfung herbeigeführt (Rn. 3). Im Regelfall wird der VN nicht unerträglich belastet, wenn der VR sich nicht unverzüglich erklärt und z.B. innerhalb der Ein- bzw. Dreimonatsfrist eine weitere – „an sich“ nicht zwingend erforderliche – Prüfung vornimmt oder Bedenkzeit in Anspruch nimmt. Lediglich dann, wenn der VR die Fristen des § 187 Abs. 1 rechtsmissbräuchlich
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77
Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 12. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 4. A.A. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 88. E. Hofmann S. 56; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 216; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 1; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 291. OLG Hamm 4.5.1990 VersR 1991 686;
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Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 6; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 3; Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 33; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 13. BGH 4.11.1987 VersR 1987 1235, 1236. So Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 220. So Schimikowski/Höra S. 203.
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oder schikanös ausschöpft, ist es geboten, sich über den Wortlaut des § 187 Abs. 1 mit Hilfe von §§ 138, 226, 242 BGB hinwegzusetzen. So kann z.B. der Fall liegen, in dem der VR von einer Notsituation des VN Kenntnis hat und trotz abgeschlossener Sachverhaltsprüfung seine Erklärung ohne sachlich gerechtfertigten Grund hinauszögert. Fristhemmung tritt ein, wenn der VR an den ihm obliegenden notwendigen Erhebun29 gen infolge eines Verschuldens des VN gehindert ist (§ 14 Abs. 2 S. 2). Durch sein Verhalten verhindert der VN selbst den Eintritt der Fälligkeit der Versicherungsleistung. Weitergehende Rechtsfolgen an die unterlassene Mitwirkung des VN knüpft das Gesetz nicht; denn Normadressat von § 187 ist ausschließlich der VR. Durch § 187 Abs. 1 S. 1 wird genauso wenig wie durch Ziff. 9.1 AUB 99/2008, § 11 Abs. 1 AUB 88/94 oder § 11 AUB 61 eine Verpflichtung oder Obliegenheit des VN geschaffen, einen Leistungsantrag zu stellen oder Unterlagen zur Beurteilung des Leistungsfalls beim VR vorzulegen (s.a. Ziff. 15 AUB 2008 Rn. 16). Es steht vielmehr grundsätzlich im Belieben des VN, ob er durch sein Verhalten eine Erklärungspflicht des VR begründet oder nicht.
VI. Wirksamkeit 30
Auf das Anerkenntnis des VR können die allgemeinen Regelungen über Willenserklärungen herangezogen werden. Es ist insbesondere auch anfechtbar (§§ 119 ff. BGB).81 Ist das Anerkenntnis infolge Anfechtung durch den VR nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB), tritt nicht etwa Leistungsfreiheit des VR ein. Vielmehr wird die Leistungsregulierung in die Lage zurückversetzt, in der sie sich bei Abgabe der angefochtenen Erklärung befunden hat. Dies bedeutet, dass der VR eine neue Erklärung abgeben muss.82 Erbrachte Leistungen kann der VR ggf. gemäß §§ 812 ff. BGB zurückfordern.
VII. Rechtsfolgen 31
Die Erklärung des VR zu seiner Leistungspflicht führt materiell-rechtlich die Fälligkeit des anerkannten Anspruchs herbei (§ 187 Abs. 2 S. 1). Im Übrigen entfaltet sie im Regelfall keine rechtsgeschäftliche, insbesondere schuldbegründende oder schuldabändernde (Bindungs-)Wirkung (Rn. 7 ff.). Hat der VN Unfallversicherungsverträge bei verschiedenen VR, so ist die Regulierungsentscheidung des einen VR für den anderen VR nicht bindend. Dies gilt auch dann, wenn einer der VR die „Federführung“ hinsichtlich der bei beiden VR geltend gemachten Ansprüche übernimmt. Zwar sind in Fällen der Mitversicherung Vereinbarungen zwischen den VR möglich, durch die einem VR Befugnisse im Rahmen der Schadensregulierung übertragen werden. Jedoch muss durch Auslegung ermittelt werden, ob die Vereinbarung der führenden Versicherung lediglich passive Vertretungsmacht für den Empfang von Wissens- und Willenserklärungen verschafft oder sich die Vollmacht darüber hinaus auf die Abgabe von Willenserklärungen einschließlich der Schadensabwicklung erstreckt. Nur im letzt genannten Fall kann der führende VR mit Wirkung für und gegen den anderen Leistungsansprüche anerkennen oder ablehnen. Die Überlassung der Federführung genügt nicht für die Annahme, dass dem federführenden VR abschließende Entscheidungsbefugnis übertragen ist.83
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Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 5. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 4; Wussow/ Pürckhauer 6 § 11 Rn. 7.
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OLG Saarbrücken 27.2.2004 ZfS 2005 91 f.
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Wenn und soweit keine besonderen vertraglichen Vereinbarungen der Vertragspar- 32 teien vorliegen84 oder nicht ausnahmsweise ein Schuldanerkenntnis des VR i.S.v. §§ 780 f. BGB anzunehmen ist (Rn. 9 ff.), ist der VR nicht daran gehindert, sein Anerkenntnis später – etwa im Wege der Widerklage – zu kondizieren und eine von ihm erbrachte Leistung nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung ganz oder teilweise zurückzufordern, wenn sich der zunächst anerkannte Leistungsanspruch später als unbegründet oder überhöht erweist,85 etwa weil kein Unfall vorlag,86 die Invalidität von Anfang an nicht bestand,87 die Invalidität nicht unfallbedingt ist 88 oder der Invaliditätsgrad zu hoch bemessen wurde.89 Das Anerkenntnis i.S.v. § 187 gibt dem VN regelmäßig keinen Rechtsgrund dafür, die nicht begründete Versicherungsleistung bzw. überhöhte Zahlung behalten zu dürfen. Dies gilt auch dann, wenn der spätere Ablehnungsgrund zuvor schon erkennbar oder sogar aktenkundig war 90 oder sich das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen der §§ 812 ff. BGB im Neubemessungsverfahrens herausstellt und nicht der VR, sondern der VN das Neubemessungsrecht ausgeübt hat (§ 188 Rn. 34). • Ergibt sich im Nachhinein, dass der VR in seiner Regulierungsentscheidung die Invalidität zu hoch bemessen hat, so ist sein Rückforderungsrecht ausgeschlossen, wenn er sich die Neubemessung nicht bedingungsgemäß (Ziff. 9.4 AUB 99/2008) vorbehalten hat. Die getroffene Invaliditätsbemessung ist dann trotz ihrer Fehlerhaftigkeit bindend geworden, so dass die Leistung des VR nicht rechtsgrundlos i.S.v. § 812 BGB erfolgt ist.91 Der VR kann seine Leistung nur kondizieren, wenn und soweit die Erstbemessung zu hoch war. Dabei ist allerdings zu beachten: Hat der VR den Grad der voraussichtlich dauernden Invalidität zu einem Zeitpunkt vor Ablauf von drei Jahren nach dem Unfall festgestellt und entsprechend geleistet, so setzt ein Rückforderungsanspruch nach Ablauf von drei Jahren nach dem Unfall nicht nur voraus, dass bei richtiger Beurteilung nach damaligem Erkenntnisstand (ex ante) die damals getroffene Einschätzung zu hoch war. Unter Berücksichtigung des Neumessungsrechts des VN (§ 188) besteht der Anspruch vielmehr auch nur insoweit, wie sich die damalige Einschätzung nach aktueller Beurteilung – bezogen auf den Zeitraum drei Jahre nach dem Unfall – tatsächlich als zu hoch erweist.92 • Die Rückforderung verstößt nicht gegen Treu und Glauben. Zwar kann die Rückzahlung einer Unfallversicherungssumme für den vermeintlich Anspruchsberechtigten eine Härte bedeuten, insbesondere wenn er darauf vertraut, dass der VR vor einem abgegebenen Anerkenntnis alle in Betracht kommenden Voraussetzungen der Leistungspflicht sorgfältig und abschließend geprüft hat. Jedoch ist der gutgläubige Zahlungsempfänger ausreichend über § 818 Abs. 3 BGB (den Einwand des Wegfalls der Bereicherung) geschützt.93 Für den VR empfiehlt es sich, den Bereiche-
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Denkbar ist z.B. eine dahingehende Abrede, dass der VN eine erhaltene Invaliditätsleistung zurückzuzahlen hat, wenn in einem einzuholenden Schiedsgutachten oder einem Zweitgutachten für eine Neubemessung die unfallbedingte Invalidität verneint werden oder offen bleiben sollte; s. dazu OLG Hamm 1.3.2006 VersR 2006 1674, 1675 = NJW-RR 2006 974, 975 f. = RuS 2007 33, 34. Zur Rückforderung von Kulanzleistungen s. Raiser VersR 1967 312 ff. BGH 4.5.1994 RuS 1994 284, 285; OLG Frankfurt 18.9.2008 VersR 2009 1653; OLG Frankfurt/M. 5.12.2007 RuS 2008 522, 523; OLG Oldenburg RuS 1988 349 = VersR 1998 1274 (LS); Schwintowski/Brömmelmeyer § 187 Rn. 7; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 92; Jacob VersR 2010 39;
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Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 217 und 234; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 3; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 6 und 32. OLG Hamm 7.8.2002 NVersZ 2002 557, 558. OLG Frankfurt/M. 1.7.1999 RuS 2002 85. OLG Hamm 1.3.2006 VersR 2006 1674, 1675; OLG Koblenz 30.1.1998 VersR 1999 179 = NVersZ 1999 28. OLG Hamm 16.6.2004 VersR 2005 346, 347 = RuS 2005 78, 79. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 2; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 4. OLG Frankfurt 18.9.2008 VersR 2009 1653. OLG Hamm 11.4.2008 VersR 2009 495 f. = RuS 2009 164 f. BGH 24.3.1976 VersR 1977 471, 474.
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rungsschuldner von seiner Rückerstattungspflicht (unverzüglich) zu unterrichten, sobald er von den anspruchsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Anderenfalls kann der Bereicherungsanspruch an § 818 Abs. 3 BGB scheitern, verwirkt sein oder die Verjährungseinrede durchgreifen.94
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Hat der VR seine Leistungspflicht zu Unrecht (schlechthin) abgelehnt und ist dem VN dadurch ein Schaden entstanden, kommen Schadensersatzansprüche des VN gegenüber dem VR in Betracht. Sie können sich auf Verzug des VR mit einer fälligen Geldleistung gründen, sich aber auch aus den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung ergeben.95 Fordert der VR eine Versicherungsleistung zurück, kann dem VN bzw. dem Bezugsberechtigten ein Schadensersatzanspruch gegen den VR in Höhe des Vertrauensschadens (Ersatz des negativen Interesses) zustehen. Voraussetzung ist, dass der VR die von einem ordentlichen VR zu erwartende Sorgfalt schuldhaft verletzt hat, z.B. weil er es zu vertreten hat, dass ihm die zur Leistungsablehnung bzw. -kürzung führenden Tatsachen verspätet bekannt geworden sind. Die Höhe des Schadensersatzanspruchs muss nicht notwendig der Höhe der anerkannten Summe entsprechen.96
VIII. Verletzung der Erklärungspflicht 34
Gibt der VR nach Vorlage der erforderlichen Unterlagen innerhalb der Monatsbzw. – beim Invaliditätsanspruch – der Dreimonatsfrist keine Erklärung zu seiner Leistungspflicht i.S.v. § 187 Abs. 1 (Ziff. 9.1. S. 1 und 2 AUB 99/2008, § 11 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94, § 11 S. 1 und 2 AUB 61) ab, so ist eine Rechtslage herbeizuführen, die einem ordnungsgemäßen Verhalten des VR entspricht. Entsprechendes gilt, wenn der VR wider Treu und Glauben die Feststellung der Versicherungsleistung verzögert, indem er z.B. unnötige Belege beim Anspruchsteller anfordert97 oder dem Anspruchsteller die Beibringung von Unterlagen auferlegt, die er „an sich“ selbst beschaffen müsste. Unstreitig tritt – verzugsbegründende – Fälligkeit zu dem Zeitpunkt ein, zu dem der 35 Anspruch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Erklärungsfrist des VR (mutmaßlich) fällig geworden wäre.98 Verletzt der VR seine Erklärungspflicht, kann er sich nicht mehr auf fehlende Fälligkeit berufen. Dies gilt auch dann, wenn Vorschüsse gezahlt worden sind.99 Unterschiedliche Auffassungen lassen sich indes vertreten, wenn es um die konkrete Berechnung des Fälligkeitszeitpunkts geht. Einigkeit herrscht noch insoweit, als es zunächst darauf ankommt, wann bei ordnungsgemäßer Bearbeitung durch den – durchschnittlich sorgfältigen – VR die Feststellungen zum Versicherungsfall und zum Leistungsumfang sowie die dazu notwendigen Erhebungen abgeschlossen worden wären. Steht dieser fiktive Zeitpunkt fest, stellt sich des Weiteren die Frage, ob dem VR die ein-
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Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 2. BGH 22.6.1972 VersR 1972 970, 971 f.; OLG Celle 19.6.1952 VersR 1952 283 f. BGH 24.3.1976 BGHZ 66 250, 260 f. = VersR 1977 471, 474 = NJW 1976 1259, 1262. LG Düsseldorf 20.8.2007 VersR 2008 628. OLG München 13.11.1964 VersR 1965 173; OLG Saarbrücken 9.11.2005 RuS 2006 385, 386; LG Berlin 25.2.2003 VersR 2004 767 f. = RuS 2005 211 (LS); Grimm 4 Ziff. 9
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AUB 99 Rn. 17; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 89; Prölss/Martin 27 § 11 Rn. 6; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 203; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 23; ferner GB BAV 1982 80 Nr. 813; s.a. OLG Frankfurt/M. 28.6.2000 NVersZ 2001 165, 166; OLG Nürnberg 1.12.1977 VersR 1978 439. OLG Hamm 6.2.1998 RuS 1998 302 = VersR 1999 436 (LS); Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 220.
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oder dreimonatige Erklärungsfrist in § 187 Abs. 1 sowie die Zweiwochenfrist in § 187 Abs. 2 S. 1 zuzugestehen ist 100 oder – wie im Fall der Leistungsablehnung – sofort Fälligkeit eintritt.101 Für Letzteres wird angeführt, dass § 187 (bzw. die entsprechenden Klauseln in den jeweils vereinbarten AUB) nur den Fall einer positiven Leistungsentscheidung des VR regele, die unterlassene bzw. verzögerte Erklärung des VR einer Leistungsablehnung gleichzusetzen sei 102 und sich deshalb die Fälligkeit ausschließlich nach § 14 Abs. 1 beurteile.103 Dem ist nicht zu folgen. Der Fall der unterlassenen oder schleppenden Leistungsregulierung ist anders gelagert als der Fall der Leistungsablehnung. Bei der endgültigen Leistungsablehnung durch den VR gibt es keinen sachlich gerechtfertigen Grund, die Fälligkeit weiter aufzuschieben. Hat der VR sich dagegen noch gar nicht erklärt, so ist es völlig offen, ob er sich positiv oder negativ zu dem (vermeintlichen) Leistungsanspruch äußern wird und damit § 187 oder § 14 zur Anwendung gelangt. Würde dennoch ausnahmslos eine Art Leistungsablehnung des VR angenommen und § 14 unter Verdrängung der Spezialregelung des § 187 angewandt, so würde damit zugleich unterstellt, dass der VR auch einen begründeten Anspruch stets „sehenden Auges“ abgelehnt hätte. Dieser Schluss ist aber unzulässig; denn aus einer nachlässigen Sachverhaltsaufklärung oder zögerlichen Erklärung zur Leistungspflicht kann nicht pauschal gefolgert werden, der VR werde gesetzes- und vertragswidrig seine – wenn auch verspätetet festgestellte – materiell-rechtlich gegebene Leistungspflicht verneinen. Der gegen den VR zu erhebende Vorwurf liegt „lediglich“ darin, dass er die Leistungsregulierung durch Passivität oder fehlende Sorgfalt verzögert hat. Bearbeitungsfehler, die der VR zu vertreten hat, sollen ihm nicht zum Vorteil gereichen und u.U. den Fälligkeitszeitpunkt von seiner Willkür abhängig machen. Um dieses unbillige Ergebnis zu vermeiden, ist es notwendig aber auch ausreichend, dass sich der VR so behandeln lassen muss (vgl. § 162 Abs. 1 BGB), als hätte er sich gesetzes- bzw. bedingungskonform verhalten. Bei einem begründeten Anspruch hätte sich der ordnungsgemäß regulierende VR aber an die Vorgaben des § 187 gehalten. Er hätte sich zum Zugang des begründeten Leistungsantrags des Anspruchsstellers und der Vorlage der erforderlichen Beurteilungsgrundlagen innerhalb von einem bzw. drei Monaten geäußert und den Anspruch anerkannt. Der Anspruch wäre dann spätestens nach weiteren zwei Wochen fällig geworden. Weitere Rechtsfolge der unterlassenen oder verzögerten Erklärung des VR über seine 36 Leistungspflicht ist es, dass er in einem Prozess mit Kostennachteilen rechnen muss (Rn. 68). Die Verletzung der Erklärungspflicht ist im Übrigen nicht ausdrücklich mit Sanktionen verbunden. Sie hat nicht zur Folge, dass • der VR leistungspflichtig ist, obwohl die Leistungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Behauptete Unfallfolgen gelten nicht als vom VR zugestanden.104 Des Weiteren ist ein VR nicht allein deshalb
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LG Berlin 25.2.2003 VersR 2004 767, 768. Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 8 (in Abweichung zu Rn. 3); wohl auch Kloth Rn. O 8. So auch OLG Hamm 6.2.1998 RuS 1998 302; OLG Karlsruhe 19.7.2001 VersR 2002 1549; Schwintowski/Brömmelmeyer § 187 Rn. 6; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 17; van Bühren/Schubach4 Hdb. § 16 Rn. 203. OLG Hamm 23.8.2000 NVersZ 2001 163, 164; Beckmann/Matusche-Beckmann/
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Mangen 2 § 47 Rn. 224; so auch Marlow/ Spuhl 3 S. 271 unter Hinweis auf die Begründung RegE zu § 187 Abs. 1, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109; ferner Rüffer/Halbach/Schimikowski § 187 Rn. 1 und Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 7 OLG Frankfurt/M. 28.6.2000 NVersZ 2001 165, 166; OLG Nürnberg 1.12.1977 VersR 1978 439; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 3.
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an ein Sachverständigengutachten zum Invaliditätsgrad gebunden, weil er nicht innerhalb einer bestimmten Frist Einwände dagegen vorbringt.105 • die Dreijahresfrist des § 188 Abs. 1 S. 1 nicht zu laufen beginnt.106 Dies gilt indes für den VN nur, sofern der VR seiner Hinweispflicht nachgekommen ist (§ 188 Abs. 2). • der VR bei Geltung des § 13 AUB 61 das Recht auf Entscheidung der Ärztekommission verwirkt.107
C. Fälligkeit der Versicherungsleistung 37
Der Ausdruck „Fälligkeit“ ist ein Begriff der Rechtssprache mit fest umrissenen Konturen. Er beschreibt den Zeitpunkt, zu dem der Gläubiger die Leistung verlangen kann bzw. der Schuldner säumig zu werden beginnt.108 § 187 Abs. 2 S. 1 sieht übereinstimmend mit Ziff. 9.2 AUB 99/2008 (§ 11 Abs. 2 S. 1 AUB 88/94, § 13 Nr. 1 S. 1 AUB 61) vor, dass die Leistung innerhalb von zwei Wochen fällig wird, wenn der VR den Anspruch anerkennt oder sich die Parteien über den Grund und die Höhe des Anspruchs geeinigt haben, also eine positive Leistungsentscheidung des VR vorliegt. Fälligkeit tritt weiterhin ein, wenn der VR den begründeten Leistungsanspruch ablehnt oder sich gar nicht bzw. verspätet erklärt.
I. Leistungszusage des VR 38
Neben einem einseitigen „Anerkenntnis“ des VR i.S.v. § 187 Abs. 1 begründet auch eine Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern Fälligkeit nach zwei Wochen. Eine Ausnahme gilt, wenn das Recht auf Neubemessung ordnungsgemäß ausgeübt wird. In diesem Fall wird die Fälligkeit aufgeschoben (§ 188 Rn. 31). Erkennt der VR den Anspruch ganz oder teilweise – dem Grund und der Höhe nach – 39 an, so tritt insoweit Fälligkeit ein. Einer Zustimmung des VN bedarf es hierfür nicht.109 Keine Fälligkeit wird dagegen begründet, wenn der Anspruchsteller die „erforderlichen Unterlagen“ i.S.v. § 187 Abs. 1 S. 1 nicht vorlegt und deshalb der VR seiner Erklärungspflicht nicht nachkommen kann. Entsprechendes gilt, wenn die dem VR vorgelegten Unterlagen lediglich eine Erklärung zum Grund des Anspruchs zulassen. Dann kann der VN lediglich einen angemessenen Vorschuss verlangen (§ 187 Abs. 2 S. 2, Ziff. 9.3 S. 1 AUB 99/2008, § 11 Abs. 3 AUB 88/94, § 13 Nr. 2 AUB 61). Mit der Formulierung „haben sich VN und VR über Grund und Höhe des Anspruchs 40 geeinigt“ in § 187 Abs. 2 S. 1 soll die in § 187 Abs. 1 S. 1 vorgesehene Erklärungspflicht des VR nicht entwertet oder verlängert werden. Es kann indes die Situation eintreten, dass die nach § 187 Abs. 1 S. 1 beizubringenden Unterlagen nicht oder nur unter Schwierigkeiten zu beschaffen sind oder unterschiedliche Rückschlüsse zur Leistungspflicht des VR zulassen. In derartigen Fällen sollen die Vertragsparteien Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten einvernehmlich überwinden können und nicht auf gerichtliche Hilfe angewiesen sein müssen.110 105 106 107 108
OLG Saarbrücken 27.2.2004 ZfS 2005 91, 92. OLG Karlsruhe 19.7.2001 VersR 2002 1549. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 3. BGH 22.3.2000 VersR 2000 753, 754 =
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NVersZ 2000 332, 333; Palandt/Heinrichs 65 § 271 Rn. 1. BGH 21.4.1955 VersR 1955 305, 306. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 21 zu § 11 Abs. 2 S. 1 AUB 88.
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• Die Einigung zwischen VN und VR über den Grund und die Höhe des Anspruchs kann ausdrücklich oder konkludent sowie schriftlich oder formlos erfolgen. Es genügt, wenn sich aus dem Verhalten der Beteiligten ergibt, dass sie die vorliegenden Feststellungen als endgültig ansehen.111 • Die Einigung kann sowohl außergerichtlich als auch in einem Rechtsstreit erzielt werden. Auch wenn vorrangig an eine einvernehmliche Lösung zu denken ist (z.B. Vergleich), wird unter „Einigung“ sinnvoller Weise auch die gerichtliche Entscheidung im Rahmen eines Rechtsstreits durch (teilweise) Verurteilung des VR oder Abweisung der Klage des VN usw. zu verstehen sein. Bei erfolgreicher Geltendmachung des Anspruchs gegen den VR beginnt die Zweiwochenfrist spätestens mit Rechtskraft des Urteils. Typischerweise wird der Fälligkeitsbeginn aber bei Abschluss eines streitigen Verfahrens durch Urteil früher anzunehmen sein; denn hat der VR die Leistung zu Unrecht abgelehnt, tritt Fälligkeit bereits mit Zugang seiner ablehnenden Entscheidung beim Anspruchsteller ein (Rn. 42 ff.). • Für den Fall, dass die Parteien sich außergerichtlich einigen, hat das damalige BAV Vorgaben für den Inhalt und die Ausgestaltung sog. Abfindungserklärungen gemacht.112 Da diese allgemeinen Rechtsregeln entsprechen und dem ordnungsgemäßen Geschäftsverkehr dienen, empfiehlt es sich, den vom BAV genannten Grundsätzen auch heute noch Rechnung zu tragen.
Die Leistung wird innerhalb von zwei Wochen fällig, nachdem der VR den Anspruch 41 anerkannt hat oder die Vertragsparteien eine Einigung über den Grund und Höhe des Anspruchs erzielt haben (§ 187 Abs. 2 S. 1, Ziff. 9.2 AUB 99/2008, § 11 Abs. 2 S. 1 AUB 8/94; in § 13 Nr. 1 S. 1 AUB 61 heißt es noch leicht abweichend: „spätestens zwei Wochen nach ihrer Feststellung“). Insoweit wird für die Unfallversicherung die allgemeine (dispositive) Regelung des § 14 (§ 11 a.F.) abgeändert. Während nach § 14 Geldleistungen des VR sofort fällig sind, wenn die zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistung des VR notwendigen Erhebungen beendet sind, steht dem VR nach § 187 Abs. 2 S. 1 noch ein Zeitraum von zwei Wochen zur Verfügung. Die Zweiwochenfrist berechnet sich nach § 187 Abs. 1 BGB.
II. Leistungsablehnung durch den VR Der Fall der Leistungsablehnung unterliegt nicht mehr dem Anwendungsbereich der 42 Spezialvorschrift des § 187 (bzw. der entsprechenden AUB-Regelungen), sondern ist nach der allgemeinen Vorschrift des § 14 Abs. 1 (§ 11 Abs. 1 a.F.) zu beurteilen (Rn. 5). Auf die Monats- bzw. Dreimonatsfrist in § 187 Abs. 1 oder die Zweiwochenfrist in § 187 Abs. 2 S. 1 kommt es folglich nicht an. Der zu Unrecht abgelehnte Anspruch auf die Versicherungsleistung wird vielmehr im Grundsatz mit Zugang der Erklärung des VR beim VN sofort,113 einheitlich für und gegen beide Seiten (nicht etwa nur zugunsten des VN) 114 und ohne Rücksicht darauf fällig, ob die Leistung schon vollständig festgestellt 111 112 113
Wussow/Pürckhauer 6 § 12 Rn. 60. VerBAV 1980 242; VerBAV 1953 152; s.a. GB BAV 1954 24. S. nur BGH 22.3.2000 VersR 2000 753, 754 = NVersZ 2000 332, 333; BGH 10.2.1971 VersR 1971 433, 435; BGH 12.5.1966 VersR 1966 627, 628; BGH 21.4.1955 VersR 1955 305, 306; BGH 23.6.1954 VersR 1954 388 = VerBAV 1954 212 Nr. 76; OLG Düsseldorf 21.6.1994 VersR 1994 14160, 1461; OLG Hamm 18.4.1980 VersR 1981 727,
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728; OLG Köln 26.10.1989 VersR 1990 373; OLG Oldenburg 22.10.1986 RuS 1987 151; OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976 f.; LG Berlin 25.2.2003 VersR 2004 767 = RuS 2005 211 (LS); Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 3; Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 12 und 33; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 290 und 292; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 7 und 15. BGH 27.2.2002 VersR 2002 472, 473.
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war;115 denn mit der Leistungsablehnung stellt der VR klar, dass keine weiteren Feststellungen zur Entschließung über den erhobenen Anspruch erforderlich sind. Dann besteht aber auch kein Grund mehr, die Fälligkeit weiter hinauszuschieben.116 Stets ist für den Eintritt der Fälligkeit infolge Leistungsablehnung durch den VR 43 erforderlich, dass der Anspruch des VN gegen den VR überhaupt entstanden ist.117 So setzt z.B. der Anspruch auf eine Invaliditätsleistung neben dem Unfall (dem Versicherungsfall) den Eintritt unfallbedingter Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall sowie das Vorliegen weiterer formaler Voraussetzungen (nämlich die ärztliche Feststellung und Geltendmachung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten) voraus (Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008). Fehlt eine dieser Voraussetzungen für den Invaliditätsanspruch, so kann keine Fälligkeit eintreten. Die Leistungsablehnung des VR bewirkt in solchen Fällen lediglich, dass der dem VR zur Prüfung seiner Leistungspflicht eingeräumte Aufschub endet, nicht aber, dass ein noch gar nicht entstandener Anspruch fällig wird. Die Leistungsablehnung zieht die Fälligkeit erst zu dem Zeitpunkt nach sich, an dem alle noch fehlenden Voraussetzungen für das klageweise Geltendmachen des Anspruchs eingetreten sind.118 Die Fälligkeit einer Invaliditätsleistung kann deshalb im Regelfall nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Unfall eintreten.119 Der VR muss die Leistung ausdrücklich oder konkludent abgelehnt haben. Die Ab44 lehnung erfolgt regelmäßig außergerichtlich, etwa weil der VR • in einem Abrechnungsschreiben keinerlei einschränkende Erklärungen abgibt, sondern unter Bezugnahme auf ein eingeholtes Gutachten definitiv erklärt, dass der festgestellte unfallbedingte Invaliditätsgrad (aber auch eben nur dieser) bestehe, sodass weiter gehende Zahlungen nicht in Betracht kämen.120 • ein Schreiben versendet, in dem er eine Prüfung der Versicherungsleistung für einen späteren Zeitpunkt ankündigt, obwohl die ihm bereits zur Beurteilung des Leistungsantrags vorliegenden Unterlagen seine Leistungspflicht begründen; denn damit bringt der VR zum Ausdruck, jedenfalls vorerst nicht zahlen zu wollen. Fälligkeit tritt dann mit Zugang des Schreibens beim VN ein.121 • vom VN die Erteilung einer nicht gerechtfertigten Abfindungserklärung verlangt.122 • nach Vorliegen eines Sachverständigengutachtens lediglich ein Angebot auf Abschluss eines Abfindungsvergleichs unterbreitet. Mit dem Vorschlag dokumentiert der VR, dass er einerseits die von ihm vorzunehmenden Feststellungen als abgeschlossen betrachtet und andererseits keine
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BGH 27.9.1989 VersR 1990 153, 154 = RuS 1990 58, 59 = RuS 1990 37 (LS); Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 17; s.a. BGH 26.9.1984 VersR 1984 1161, 1162; LG Berlin 7.8.2001 NVersZ 2002 218. BGH 27.2.2002 VersR 2002 472, 473; BGH 22.3.2000 VersR 2000 753, 754 = NVersZ 2000 332, 333; RG 13.5.1938 RGZ 158 113, 116 f. = VA 1938 217, 218 Nr. 3070; OLG Nürnberg 28.6.2007 RuS 2007 469, 470; LG Köln 15.1.1982 VersR 1983 387, 388. BGH 27.2.2002 VersR 2002 472, 473; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2
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§ 47 Rn. 225; Prölss/Martin 27 § 11 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 187 Rn. 1 und Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 7; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 202. BGH 27.2.2002 VersR 2002 472, 473. OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976, 977. OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976, 977. OLG Düsseldorf 21.6.1994 VersR 1994 1460, 1461, das aber auf den Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens abstellt. BGH 21.4.1955 VersR 1955 305, 306.
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Anerkenntnis
§ 187
Erklärung zu seiner Leistungspflicht abgeben will. Die begründete Versicherungsleistung wird dann mit Zugang des Vergleichsangebots beim Anspruchsteller fällig.123 • dem VN bestätigt, dass es bei einem erklärten Rücktritt bleiben soll.124 • einen gezahlten Vorschuss zurückfordert.125
Die Leistungsablehnung kann weiterhin im Prozess auch in einem (uneingeschränkten) Klageabweisungsantrag zu sehen sein,126 es sei denn, der Abweisungsantrag ist nur auf fehlende Fälligkeit gestützt und bezweckt eine Klagabweisung als z.Z. unbegründet.127
III. Fehlende Erklärung des VR zu seiner Leistungspflicht Kommt der VR seiner Erklärungspflicht nach § 187 Abs. 1 nicht nach, so tritt 45 Fälligkeit zwei Wochen nach Ablauf der ein- bzw. dreimonatigen Erklärungsfrist ein (Rn. 34 ff.).
D. Verzug des VR Die Fälligkeit des Versicherungsanspruchs bestimmt den Lauf der Verjährungsfrist 46 (Ziff. 15 AUB 2008 Rn. 13). Materiell-rechtlich ist die Fälligkeit weiterhin bedeutend für den Verzug des VR.128 Liegen die Verzugsvoraussetzungen vor, so kann der VN vom VR Ersatz des Verzugsschadens verlangen. Anderenfalls hätte der VN Zinsverluste oder andere durch die Verzögerung entstehende Schäden zu tragen. Dies wäre aber unbillig. Für den VR könnte insbesondere in Fällen, in denen die Zinsen bei einem länger dauernden Prozess weit höher sind als die Prozesskosten, ein Anreiz bestehen, es im Interesse des Zinsgewinns auch bei klarer Sach- und Rechtslage erst auf einen Prozess ankommen zu lassen und zu versuchen, diesen in die Länge zu ziehen.129
I. Verzugsvoraussetzungen Der Verzug des VR (§ 286 BGB) setzt neben der Fälligkeit des Anspruchs voraus, 47 dass er die Zahlung schuldhaft hinausgezögert hat. Soweit die Parteien keine ausdrücklichen oder konkludenten Vereinbarungen getroffen haben, kann der VR die Art der Übermittlung bestimmen. Barzahlungen kommen praktisch nicht mehr vor. An ihrer Stelle werden verschiedene Formen der bargeldlosen Zahlung genutzt (s.a. Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 26). Weiterhin ist grundsätzlich eine Mahnung durch den VN erforderlich.
123
124
OLG Düsseldorf 19.9.2000 NVersZ 2001 550, 551 = ZfS 2001 370, das allerdings auf das Datum des Angebots zum Abschluss des Abfindungsvergleichs abstellt; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 220; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 203. LG Köln 15.1.1982 VersR 1983 387 f.
125 126 127 128 129
OLG Köln 26.10.1989 VersR 1990 373. BGH 7.6.1989 BGHZ 107 368, 372; Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 13. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 91. Allgemein hierzu Bruck/Möller/K. Johannsen § 14 Rn. 28 ff. BGH 23.6.1954 VersR 1954 388 = VerBAV 1954 212 Nr. 76.
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§ 187
Kapitel 7: Unfallversicherung
1. Keine rechtzeitige Leistung des VR
48
Fehlen besondere gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen,130 so ist nach bisherigem Verständnis bei Geldschulden für die Zahlung der Leistung die Auslegungsregel des § 270 BGB heranzuziehen (s.a. Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 24 ff.). Der Schuldner (hier der VR) hat danach dem Gläubiger (regelmäßig dem VN) die Leistung auf seine Gefahr und Kosten an dessen Wohnort zu übermitteln (§§ 269 Abs. 1 i.V.m. § 270 Abs. 4 BGB).131 Er muss, falls die Leistung den Gläubiger nicht erreicht, noch einmal leisten;132 denn er trägt die Verlust- bzw. Transportgefahr. Es handelt sich um eine sog. qualifizierte Schickschuld,133 die sich von der Bringschuld dadurch unterscheidet, dass es für die Rechtzeitigkeit der Leistung nicht auf den Leistungserfolg, sondern auf die Vornahme der Leistungshandlung am Sitz des Schuldners ankommt.134 Die Übermittlung des Geldes gehört deshalb nicht mehr zur Leistung des Schuldners. Vielmehr geht die Verzögerungsgefahr, d.h. das Risiko des verspäteten Eingangs trotz rechtzeitiger Leistungshandlung, zu Lasten des Gläubigers, es sei denn die Parteien haben die gesetzliche Auslegungsregel durch eine sog. Rechtzeitigkeitsklausel abbedungen, wofür das Vorliegen besonderer Umstände erforderlich ist.135 Entscheidend für die Rechtzeitigkeit ist mithin im Normalfall, wann der Gläubiger am Leistungs- oder Erfüllungsort das zur Übermittlung des Geldes seinerseits Erforderliche getan hat,136 vorausgesetzt der geschuldete Betrag geht später tatsächlich beim Schuldner ein oder wird seinem Konto gutgeschrieben; denn erst dann ist der Schuldner durch Erfüllung bzw. ein Erfüllungssurrogat befreit. Anderenfalls fehlt es an jedem Zahlungsvorgang.137 Auf Grundlage der herkömmlichen Betrachtung bedeutet dies im Einzelnen: • Postanweisung oder Zahlkarte: Die Leistung ist rechtzeitig, wenn der VR den Geldbetrag vor Fristablauf am Leistungsort bei der Post seiner Niederlassung eingezahlt hat.138 • Scheck: Wird der Scheck per Post übersandt, dann kommt es für die Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung auf die Absendung bzw. den Zeitpunkt an, an dem der Schuldner den Scheck der Post zur Beförderung übergeben hat. Der fristgerechte Eingang des Schecks beim Gläubiger oder gar eine fristgerechte Gutschrift des Scheckbetrags auf dessen Konto ist dagegen nicht erforderlich.139 Bei einer persönlichen Übermittlung oder Übergabe durch einen Boten ist darauf abzustellen, wann der Scheck aus der Verfügungsgewalt des Schuldners heraus und in die des Gläubigers (z.B. durch Einwurf in seinen Briefkasten) gelangt ist.140 Die Hingabe des Schecks ist m.w.W. bereits als rechtzeitige Zahlung zu behandeln, vorausgesetzt der Leistungserfolg tritt ein, d.h. der Scheck wird vom Gläubiger angenommen und von der bezogenen Bank eingelöst. Erfüllungswirkung tritt dagegen erst ein, wenn der Geldbetrag an den Gläubiger ausgezahlt wird bzw. der
130
131 132 133
134
Zu einer Vereinbarung, nach der die Geschäftsräume der Gesellschaft Erfüllungsort für beide Teile sind, s. BGH 20.11.1970 NJW 1971 380. BGH 29.1.1969 NJW 1969 875; LG Berlin 5.6.1950 VersR 1950 177. BGH 5.12.1963 VersR 1964 129 = NJW 1964 499; RG 11.1.1912 RGZ 78 137, 139 f. A.A. (Bringschuld) Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 8; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 23. BGH 7.10.1965 BGHZ 44 178, 179; Palandt/Heinrichs 65 § 270 BGB Rn. 1 i.V.m. 6.
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136 137 138
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OLG Koblenz 13.10.1992 NJW-RR 1993 583; OLG Nürnberg 25.3.1999 NJW-RR 2000 800. OLG Karlsruhe 2.10.1997 NJW-RR 1998 1483, 1484; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 19. BGH 5.12.1963 VersR 1964 129 und 130. BGH 5.12.1963 VersR 1964 129; RG 11.1.1912 RGZ 78 137, 142; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 19. BGH 11.2.1998 NJW 1998 1302. BGH 29.1.1969 NJW 1969 875, 876; Palandt/Heinrichs 65 § 270 BGB Rn. 7.
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Anerkenntnis
§ 187
geschuldete Betrag dem Konto des Zahlungsempfängers von seiner Bank vorbehaltlos gutgeschrieben worden ist und damit der Gläubiger endgültig Befriedigung erlangt.141 • Überweisung: Zur Schuldtilgung durch Überweisung ist der VR berechtigt, wenn der Gläubiger oder der sonst Verfügungsberechtigte sein Konto bekannt gegeben hat und mit der Banküberweisung einverstanden ist 142 oder in der Vergangenheit Überweisungen widerspruchslos hingenommen hat.143 Für die Rechtzeitigkeit der Leistung kommt es auch hier grundsätzlich auf die Leistungshandlung, nicht auf den Leistungserfolg an.144 Die Zahlung ist danach – vorbehaltlich vorrangiger Vereinbarungen – rechtzeitig, wenn der Überweisungsauftrag vor Fristablauf bei dem Geldinstitut eingegangen und auf dem Konto des VR Deckung vorhanden ist 145 sowie der Überweisungsvertrag (§ 676a BGB) fristgerecht – ausdrücklich oder konkludent (z.B. durch Bearbeitung des Überweisungsauftrags durch die Bank) geschlossen wird.146 Die Gutschrift des überwiesenen Betrages kann dagegen noch später (nach Fristablauf) erfolgen.147 Erfüllung tritt – wie bei der Scheckzahlung – erst zu dem Zeitpunkt ein, in dem der geschuldete Betrag dem Gläubigerkonto von seiner Bank vorbehaltlos i.S.v. § 676 f S. 1 BGB gutgeschrieben worden ist.148 Zahlt der VR z.B. die Invaliditätssumme auf ein ihm vom VN und der versicherten Person (etwa in der Schadenanzeige) mitgeteiltes Konto der versicherten Person, tritt Erfüllung auch dann ein, wenn das Konto bei Zahlung bereits aufgelöst war, die Bank der versicherten Person die Summe aber gutbringt. Dies gilt auch dann, wenn die Bank den Zahlbetrag später mit eigenen Forderungen gegenüber der versicherten Person verrechnet. Die Mitteilung der versicherten Person, dass ein anderer Anspruch aus der Versicherung auf ein anderes Konto zu zahlen sei, begründet ohne Hinzutreten weiterer Umstände keinen Widerruf der Zahlstelle für die Invaliditätsleistung.149 Hat der VR auf ein „falsches“ Konto gezahlt, tritt keine Erfüllung des Versicherungsanspruchs ein. In Betracht kommt aber eine Aufrechnung durch den VR mit dem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch.
Aufgrund einer jüngeren Entscheidung des EuGH 150 stellt sich die Frage, ob das bis- 49 her im deutschen Recht verbreitete Verständnis zum Begriff der „Rechtzeitigkeit“ zu modifizieren und eine richtlinienkonforme Auslegung in dem Sinne vorzunehmen ist,151 dass es nunmehr auf die Gutschrift des überwiesenen Betrags auf dem Konto des Gläubigers ankommt. Dann wäre die Geldschuld nicht mehr als „qualifizierte Schickschuld“, sondern als Bringschuld zu qualifizieren. Der VR hätte bei der Leistungsregulierung das Verzögerungsrisiko zu tragen. Einzelheiten hierzu sind noch ungeklärt.152 Fraglich kann sein, ob bei einer Leistung unter Vorbehalt Verzug eintritt oder der VR 50 Erfüllung herbeiführt. Hier ist – unter Berücksichtigung des Wortlauts sowie des Sinns und Zwecks des Vorbehalts gemäß den Umständen der Zahlung – zu differenzieren:153 Grundsätzlich tritt Erfüllungswirkung i.S.v. § 362 BGB ein. Im Allgemeinen dient der Vorbehalt nur dazu, dem Verständnis einer Leistung als Anerkenntnis (§ 212 Abs. 1 Nr. 1
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144 145 146 147
BGH 21.6.1976 NJW 1976 1842, 1843; BGH 2.2.1970 BGHZ 53 199, 202 f.; BGH 7.10.1965 BGHZ 44 178, 179; RG 11.1.1912 RGZ 78 137, 142. OLG Hamm 5.7.2006 VersR 2007 485. AG Flensburg 19.12.1950 VersR 1951 52 mit Anm. Bindemann; Palandt/Heinrichs 65 § 270 BGB Rn. 5 und § 362 Rn. 8. GB BAV 1979 87 Nr. 814; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 19. OLG Koblenz 13.10.1992 NJW-RR 1993 583; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 10. Palandt/Heinrichs 65 § 270 BGB Rn. 7. BGH 5.12.1963 VersR 1964 129 f. = NJW
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150 151 152 153
1964 499; OLG Karlsruhe 2.10.1997 NJW-RR 1998 1483, 1484; OLG Nürnberg 25.3.1999 NJW-RR 2000 800. BGH 15.5.1952 BGHZ 6 121, 122 ff.; Palandt/Heinrichs 65 § 270 BGB Rn. 9 und § 362 Rn. 9. Näher OLG Hamm 5.7.2006 VersR 2007 485 f. = RuS 2007 74 (LS); zust. Kloth Rn. O 10. EuGH 3.4.2008 NJW 2008 1935. S. etwa Palandt/Grüneberg 69 § 270 Rn. 5. Eingehend Bruck/Möller/Beckmann § 36 Rn. 15 ff. Bruck/Möller/K. Johannsen § 14 Rn. 26 f.
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§ 187
Kapitel 7: Unfallversicherung
BGB) entgegenzutreten und die Wirkung des § 814 BGB auszuschließen, damit das ggf. ohne Rechtsgrund Geleistete gemäß § 812 BGB zurückgefordert werden kann. Dies trifft typischerweise etwa auf die Fälle zu, in denen der VR ohne weitere Erläuterungen „unter Vorbehalt“ 154 oder „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ leistet bzw. die geleistete Zahlung als „Vorschuss“ bezeichnet.155 Keine Erfüllungswirkung ist dagegen anzunehmen, wenn der Schuldner mit dem Vorbehalt (ausnahmsweise) erkennbar zum Ausdruck bringt, dass er seine Leistungsverpflichtung nicht anerkennen will bzw. ausdrücklich davon abhängig macht, dass die Schuld zu Recht besteht, und im Fall der späteren Rückforderung dem Zahlungsempfänger weiterhin die Beweislast für den Rechtsgrund hinsichtlich des Behaltendürfens der Leistung (die anspruchsbegründenden Tatsachen) aufbürden will. Ein Vorbehalt dieser Art lässt die Schuldtilgung in der Schwebe.156 Für eine dahingehende Annahme bedarf es besonderer Umstände.157 So liegt z.B. der Fall, in dem der VR • mit der Erklärung „vorbehaltlich der Einsichtnahme in die amtlichen Ermittlungsakten“ zu erkennen gibt, dass er sich trotz Zahlung (vor Fälligkeit) zum Grund der an ihn gestellten Forderung noch nicht abschließend äußert.158 • darauf hinweist, dass der VN die Leistung nur behalten dürfe, wenn von ärztlicher Seite bestimmte Leistungsvoraussetzungen (wie z.B. die Unfallbedingtheit der Verletzung oder der Invaliditätsgrad) festgestellt werde.159 • Tagegeld unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung gezahlt hat, weil zum Zeitpunkt der Zahlung die entscheidende Frage ungeklärt war, ob die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person bestand oder nicht.160
51
Grundsätzlich ist der VR zu einer Teilleistung nicht berechtigt (§ 266 BGB). Die Berufung auf § 266 BGB kann indes nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn dem Gläubiger die Annahme der Leistung bei verständiger Würdigung der Lage des Schuldners und seiner eigenen schutzwürdigen Interessen zuzumuten ist.161 2. Mahnung des VR durch den Anspruchsteller
52
Grundsätzlich tritt Verzug des VR erst nach Mahnung ein. Die Bestimmung des § 187 Abs. 2 S. 1, wonach die Zahlung binnen zwei Wochen nach Festsetzung erfolgen soll, hat ebenso wenig wie Ziff. 9.2 AUB 99/2008 (§ 11 Abs. 2 S. 1 AUB 88/94, § 13 Nr. 1 S. 1 AUB 61) eine Bestimmbarkeit der Leistungszeit i.S.d. § 286 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB zur Folge.162 Keiner Mahnung des Anspruchstellers bedarf es nach Treu und Glauben, wenn der VR die Leistung ernstlich und endgültig abgelehnt hat.163 Seit der Schuldrechtsreform ist dies ausdrücklich in § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB (s.a. § 281 Abs. 2 BGB) geregelt.
154 155
156 157 158 159 160 161
BGH 8.2.1984 NJW 1984 2826; OLG Köln 12.5.1995 RuS 1995 265, 266. BGH 9.6.1992 VersR 1992 1028, 1030 = RuS 1993 333, 335; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 234. BGH 8.2.1984 NJW 1984 2826, 2827. Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 25. OLG Düsseldorf 14.3.1995 VersR 1996 89 f. BGH 26.7.2003 VersR 2003 1165, 1166. OLG Köln 11.4.1994 RuS 1996 202. OLG Frankfurt/M. 30.11.2005 RuS 2006 467, 468.
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162
163
Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 9; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 293. BGH 27.9.1989 VersR 1990 153, 154 = RuS 1990 58, 59; BGH 1.2.1974 VersR 1974 639, 642; BGH 23.6.1954 VersR 1954 388, 389 = VerBAV 1954 212, 213 Nr. 76LG Köln 15.1.1982 VersR 1983 387, 388; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 17; Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 14 und 21; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 23.
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Anerkenntnis
§ 187
3. Verschulden des VR Verzug setzt Verschulden voraus (§ 286 Abs. 4 BGB). Der VR handelt schuldhaft, 53 wenn er bei sorgfältiger Prüfung des Versicherungsanspruchs dessen Berechtigung erkannt hat oder hätte erkennen müssen.164 Eine Entschuldigung wird bei einem sach- und rechtskundigen VR nur ausnahmsweise anzunehmen sein. Dies kann u.a. auf den Fall zutreffen, dass • der VR zum Zeitpunkt der Fälligkeit nach wie vor berechtigte Zweifel an seiner Leistungspflicht haben durfte, weil z.B. begründete Bedenken gegen die Unfreiwilligkeit des Unfalls bestanden. Verschulden ist in solchen Fällen erst zu dem Zeitpunkt anzunehmen, zu dem die tatsächlichen Bedenken bei objektiver Betrachtung (z.B. aufgrund einer Beweisaufnahme oder eines erstinstanzlichen Urteils) ausgeräumt sind.165 • zum Fälligkeitszeitpunkt ein für die Beurteilung der Leistungspflicht des VR bedeutsames staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen war, mag es sich auch nicht gegen den VN richten. Der VR ist dann berechtigt, seine Erhebungen solange zurückzustellen, bis er von dem abschließenden Ermittlungsergebnis Kenntnis erlangt hat und eine angemessene Überlegungsfrist (in der Regel zwei bis drei Wochen) verstrichen ist.166 • die Zahlungsverzögerung aus Unklarheiten über die Kontoverbindung des Gläubigers resultiert.167
Dagegen trifft den VR ein Verschulden, wenn etwa seine Leistungsablehnung auf einem von ihm eingeholten, wissenschaftlich unvertretbaren und schuldhaft falschen Sachverständigengutachten beruht. Der VR muss sich den Fehler des beauftragten Sachverständigen gemäß § 278 BGB zurechnen lassen.168 Ein unverschuldeter Rechtsirrtum des VR als Schuldner der Leistung kann ihn von 54 den Folgen des Verzugs freistellen.169 Dabei sind an die Sorgfaltspflicht des Schuldners aber strenge Anforderungen zu stellen. Es reicht nicht aus, dass der VR sich seine eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat. Unverschuldet ist ein Irrtum nur dann, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht rechnen brauchte,170 etwa weil die Leistungspflicht von der Beantwortung einer äußerst schwierigen und umstrittenen Rechtslage abhing, die in der Rechtsprechung noch nicht einheitlich beurteilt wurde,171 oder sich eine einschlägige und ständige Rechtsprechung unerwartet geändert hat.172 Keinesfalls kann der Schuldner aber das „normale (Prozess-)Risiko“ einer irrtümlichen oder fehlerhaften Beurteilung der Sach- und Rechtslage dem Gläubiger
164 165 166 167 168 169 170
OLG Düsseldorf 21.6.1994 VersR 1994 1460, 1461. BGH 23.6.1954 VersR 1954 388, 389 = VerBAV 1954 212, 213 Nr. 76. BGH 1.2.1974 VersR 1974 639, 640; Prölss/Martin 27 § 11 Rn. 20. OLG Düsseldorf 21.6.1994 VersR 1994 1460, 1462. OLG Koblenz 16.11.2007 VersR 2008 1381 = RuS 2009 291. BGH 6.12.2006 VersR 2007 537, 537 Rn. 15; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 17. BGH 6.12.2006 VersR 2007 537, 537
171
172
Rn. 15; BGH 27.9.1989 VersR 1990 153, 154 = RuS 1990 58, 59; OLG Koblenz 16.11.2007 VersR 2008 1381, 1382 = RuS 2009 291; OLG Saarbrücken 16.5.2007 NJW-RR 2007 1398, 1401 = RuS 2008 76, 78; Prölss/Martin27 § 11 Rn. 18; Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 26. BGH 6.12.2006 VersR 2007 537, 537 Rn. 15; BGH 27.9.1989 VersR 1990 153, 154; OLG Saarbrücken 16.5.2007 NJW-RR 2007 1398, 1401 = RuS 2008 76, 78. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 93.
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zuschieben.173 Eine Verzögerung der fälligen Leistung ist deshalb nicht entschuldigt, wenn • sich die Deckungsablehnung bei objektiver Beurteilung nicht durch ausreichende Tatsachen stützen lässt.174 • der VR zwar Bedenken gegen seine Leistungspflicht hat, sich diese jedoch auf Umstände gründen, für die der VR beweispflichtig ist und mit deren Beweisbarkeit er nach dem zur fraglichen Zeit bekannten Sachverhalt bei objektiver Betrachtung nicht mit hinreichender Deutlichkeit hat rechnen können.175 • der VR aufgrund der vorliegenden Unterlagen damit rechnen muss, dass dem VN der ihm obliegende Nachweis für die Begründetheit seiner Ansprüche gelingen kann. So liegt etwa der Fall, in dem widerstreitende Gutachten vorliegen, von denen nicht erkennbar ist, welches richtiger ist.176
II. Verzugsfolgen 55
Der VN kann gegen den VR Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens, insbesondere auf Zahlung von Verzugszinsen gemäß § 288 BGB haben.177 Setzt der VR sich über das Anerkenntnisgebot hinweg und führt er auch kein Neubemessungsverfahren durch, so kommt darüber hinaus eine Zinspflicht nach Ziff. 9.4 S. 4 AUB 99/2008 (§ 11 Abs. 4 S. 3 AUB 88/94) in Betracht. Des Weiteren können die Grundsätze der positiven Forderungsverletzung als Anspruchsgrundlage für eine Verzinsung dienen, wenn der VR im Rahmen der Leistungsregulierung schuldhaft Sorgfaltspflichten verletzt hat, die kausal für die verspätete Auszahlung der Versicherungsleistung sind.178 Weitere Verzugsfolgen können u.a. sein, dass der VR dem VN die Nutzungen des von ihm (zu Unrecht) zurückgehaltenen Kapitalbetrags zu belassen 179 oder Rechtsanwaltskosten nach §§ 280 Abs. 2, 286 BGB zu erstatten hat.180 Letzteres gilt indes nicht, wenn der Verzug des VR erst durch ein anwaltliches Mahnschreiben herbeigeführt wurde.181 56 Denkbar ist es, dass der Anspruchsteller auf die Verzugsfolgen ausdrücklich oder konkludent verzichtet. Dies wird indes die Ausnahme sein und nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte in Betracht kommen, da der Verzugsgläubiger regelmäßig keinen Anlass dazu hat, von der ihm günstigen Rechtsposition Abstand zu nehmen. Ein Verzicht auf die Geltendmachung von Verzugsfolgen liegt z.B. noch nicht darin, dass die Vertragsparteien sich i.E. darüber einig sind, dass noch weitere Prüfungen abgewartet werden sollten oder der VN mit der Zahlung eines Vorschusses einverstanden ist.182
173
174 175 176
BGH 6.12.2006 VersR 2007 537, 537 Rn. 15; BGH 27.9.1989 VersR 1990 153, 154; OLG Koblenz 16.11.2007 VersR 2008 1381, 1382 = RuS 2009 291; OLG Saarbrücken 16.5.2007 NJW-RR 2007 1398, 1401 = RuS 2008 76, 78 f.; Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 26. OLG Koblenz 16.11.2007 VersR 2008 1381, 1382 = RuS 2009 291. BGH 1.2.1974 VersR 1974 639, 640; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 10. OLG Koblenz 16.11.2007 VersR 2008 1381, 1382.
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177 178 179 180 181 182
Näher hierzu Bruck/Möller/K. Johannsen § 14 Rn. 31 ff. Stockmeier/Huppenbauer S. 95. OLG Düsseldorf 21.6.1994 VersR 1994 1460, 1461. LG Köln 15.1.1982 VersR 1983 387, 388. LG Nürnberg-Fürth 22.8.1969 VersR 1971 248 (LS). OLG Düsseldorf 21.6.1994 VersR 1994 1460, 1461.
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Anerkenntnis
§ 187
E. Pflicht zur Vorschussleistung Steht die Leistungspflicht des VR nur dem Grunde nach fest, so hat der VR auf Ver- 57 langen des VN einen angemessenen Vorschuss zu zahlen (§ 187 Abs. 2 S. 2, Ziff. 9.3 S. 1 AUB 99/2008, § 11 Abs. 3 AUB 88/94, § 13 Nr. 2 AUB 61). Die Vorschusspflicht besteht auch bei Ausübung des Neubemessungsrechts nach § 188 (§ 188 Rn. 32).
I. Voraussetzungen Die Pflicht des VR zur Zahlung eines Vorschusses ist davon abhängig, dass der 58 Anspruchsgrund außer Streit steht und der VN eine Abschlagszahlung begehrt. Nicht zwingend gefordert ist das Vorliegen einer Ersterklärung des VR zu seiner Leistungspflicht.183 Voraussetzung für eine Vorschusszahlung ist u.a., dass nach dem zum Entscheidungs- 59 zeitpunkt bekannten Sachverhalt gemäß den vereinbarten Bedingungen eine Leistungspflicht des VR dem Grunde nach besteht; denn dem VR soll nicht zugemutet werden, Geldleistungen zu erbringen, ohne dass seine Leistungspflicht unzweifelhaft ist.184 Dies ist insbesondere in den folgenden Konstellationen der Fall: • Der VR hat seine Leistungspflicht dem Grunde nach (einseitig) – ausdrücklich oder konkludent – anerkannt (§ 187 Abs. 2 S. 1 Alt. 1, Rn. 38 ff.). So liegt etwa der Fall, in dem der VR ohne Vorbehalte im Begleitschreiben einen Vorschuss zahlt.185 Damit bringt der VR zwar noch nicht eindeutig zum Ausdruck, in welcher Höhe er seine Leistungspflicht anerkennt, wohl aber, dass er von seiner grundsätzlichen Leistungsverpflichtung ausgeht. • Die Parteien haben sich über die Verpflichtung des VR dem Grunde nach geeinigt (§ 187 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, Rn. 40). Dazu zählt auch der Fall, dass ein Gericht die Feststellung zur Leistungspflicht dem Grunde nach durch Urteil getroffen hat.186
Erforderlich ist stets (§ 187 Abs. 1, Ziff. 9.1 AUB 99/2008, § 11 Abs. 1 AUB 88/94, § 11 AUB 61), dass dem VR die zur Prüfung seiner Leistungspflicht erforderlichen Unterlagen vorliegen (Rn. 15 ff.) und er eine angemessene Zeit hatte, mögliche Ansprüche zu prüfen und eine sachlich fundierte Entscheidung zu treffen (Rn. 26 ff.). Nicht ausreichend ist es, wenn lediglich Einigkeit zwischen den Parteien darüber besteht, dass sich ein deckungspflichtiger Unfall ereignet hat. Hinzukommen muss, dass die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für die jeweils geltend gemachte Leistungsart (Unfallfolge) erfüllt sind, z.B. eine Invalidität (ein unfallbedingter Dauerschaden) zurückbleiben wird.187 Ist die endgültige Zahlung fällig geworden, so besteht keine Vorschusspflicht mehr.188 Die Leistung steht dann nicht – wie von § 187 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 vorausgesetzt – „nur“ dem Grunde, sondern auch der Höhe nach fest. Die Vorschusspflicht setzt ein entsprechendes „Verlangen des VN“ voraus. Das Ver- 60 langen kann ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck kommen.189 Der VR verstößt nicht gegen Treu und Glauben, wenn er bei fehlendem Verlangen des VN keinen Vorschuss von sich aus anbietet.190 183 184 185 186 187
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 105. Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 16. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 14. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 22. OLG Nürnberg 1.12.1977 VersR 1978 439; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 29.
188 189 190
A.A. Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 11. Näher Bruck/Möller/K. Johannsen § 14 Rn. 23. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 24; Wussow/ Pürckhauer 6 § 11 Rn. 31.
Kent Leverenz
433
§ 187
Kapitel 7: Unfallversicherung
II. Höhe 61
Die Vorschusspflicht des VR beinhaltet sowohl nach § 187 Abs. 2 S. 2 als auch nach Ziff. 9.3 S. 1 AUB 99/2008, § 11 Abs. 3 AUB 88/94 und § 13 Nr. 2 S. 1 AUB 61, dass er einen „angemessenen Vorschuss“ an den VN zu zahlen hat. Die Höhe des Vorschusses bemisst sich – entsprechend § 14 Abs. 2 (§ 11 Abs. 2 a.F.) – nach demjenigen Betrag, den der VR nach der zum Beurteilungszeitpunkt erkennbaren Sach- und Rechtslage mit Sicherheit bzw. mindestens zu leisten hat.191 Dies schließt nicht aus, dass sich der als Vorschuss gezahlte Betrag im Rahmen der abschließenden Betrachtung als zu hoch erweist 192 und entsprechend zurückzuzahlen ist (Rn. 64). Für den Vorschuss auf eine Invaliditätsleistung ist der voraussichtlich letztmalig und endgültig festgestellte Invaliditätsgrad maßgebend, wie er mindestens zu erwarten ist. Dagegen kommt es für die Beurteilung der Angemessenheit nicht auf einen vorläufigen – neu festzustellenden – Invaliditätsgrad an; denn es entspricht nicht dem Interesse verständiger Vertragsparteien, dass einerseits der VR zu hohe Vorschüsse zahlen und ggf. überhöhte Zahlungen vom VN zurückfordern muss und andererseits der VN nicht mit erhaltenen Zahlungen einigermaßen verlässlich planen kann, sondern mit einer Rückzahlungsverpflichtung rechnen muss.193 Keine Treuwidrigkeit des VR liegt vor, wenn er bei – selbst schweren – Unfallfolgen zwei Jahre nach dem Unfall auf die Vorschusszahlung verweist, weil die gesundheitlichen Dauerfolgen noch nicht sicher feststehen und er deshalb die Neubemessung verlangt.194 Ergänzend zu § 187 Abs. 2 S. 2 sind ggf. Ziff. 9.3 S. 2 AUB 99/2008, § 11 Abs. 2 S. 2 62 AUB 88/94 (s.a. § 13 Nr. 1 S. 2 AUB 61) zu beachten. Danach kann ein Vorschuss auf eine Invaliditätsleistung innerhalb eines Jahres nach dem Unfall vor Abschluss des Heilverfahrens nur bis zur Höhe einer vereinbarten Todesfallleistung beansprucht werden (Ziff. 9.3 AUB 99/2008).
III. Verletzung der Vorschusspflicht 63
Zahlt der VR den angemessenen Vorschuss nicht, so können Verzugsschadensansprüche nach §§ 284 ff. BGB (Rn. 55) begründet sein.195 So kommt in Betracht, dass der VN Verzugszinsen verlangt.196
IV. Rückzahlung 64
Ergibt die endgültige Bemessung eine niedrigere Invaliditätsleistung als zum Zeitpunkt der Vorschusszahlung angenommen, so stellt sich die Frage, ob der VR einen über191
Begründung RegE zu § 187 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109; Abschlussbericht S. 405; OLG Nürnberg 6.2.1997 VersR 1998 446 = RuS 1997 392; Kloth Rn. O 11; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 226; Römer/ Langheid 2 § 11 Rn. 16; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 187 Rn. 3 und Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 9; s.a. OLG Düsseldorf 1.7.1998 NVersZ 1999 379, 380.
434
192 193 194 195
196
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 106. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 24. LG München 8.10.1997 RuS 1998 526. RG 30.4.1937 RGZ 155 50 53 ff.; Stiefel/ Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 12; Wussow/ Pürckhauer 6 § 11 Rn. 32. Stockmeier/Huppenbauer S. 94; verneint im Fall OLG Nürnberg 6.2.1997 VersR 1998 446 = RuS 1997 392.
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Anerkenntnis
§ 187
zahlten Betrag vom VN zurückfordern kann. Sofern die Vertragsparteien diesen Fall nicht explizit geregelt haben, kommt ein bereicherungsrechtlicher Anspruch nach § 812 BGB in Betracht. Für dessen Durchgreifen ist maßgebend, ob der VN einen Rechtsgrund für das Behalten des Vorschusses geltend machen kann. Dies wäre der Fall, wenn der Zahlung des Vorschusses durch den VR die Bedeutung eines Anerkenntnisses dem Grunde nach beizumessen ist.197 Die Beurteilung hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.198 Kein Anerkenntnis liegt vor, wenn der VR den Vorschuss „unter Vorbehalt der Rückforderung“ gezahlt hat (Rn. 50). Aber auch für den Fall, dass der VR keinen ausdrücklichen Vorbehalt geäußert hat, greift der Rückzahlungsanspruch dann durch, wenn der VR mit der Vorschusszahlung keine Erklärung dazu abgegeben hat, ob und inwieweit er die Leistungspflicht endgültig anerkennt, sondern vielmehr für den VN erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, die Vorschussleistung sei nur vorläufiger Art und die endgültige Entscheidung über die Leistungspflicht hänge von einer ärztlichen Nachuntersuchung i.S.v. § 188 (Ziff. 9.4 AUB 99/2008, § 11 Abs. 4 AUB 88/94, § 13 Nr. 3a AUB 61) ab.199
F. Speziellere Vereinbarungen Die Parteien können Fragen der Leistungsregulierung grundsätzlich im Rahmen der 65 Vertragsfreiheit durch AGB (wie z.B. in Ziff. 9.1 bis 9.3 AUB 99/2008, § 11 Abs. 1 bis 3 AUB 88/94 bzw. §§ 11, 13 Nr. 1 und 2 AUB 61 in zulässiger Art und Weise geschehen) oder Individualvereinbarung einvernehmlich näher regeln.200 Solche Abreden dürfen aber keine für den VN oder die versicherte Person nachteiligen Abweichungen zu §§ 187, 188 enthalten (§ 191). Darüber hinaus unterliegen sie den allgemeinen Schranken des Zivilrechts. Im Rahmen ihrer rechtlichen Überprüfung kann erwogen werden, bei vergleichbarer Interessenlage die zur Berufsunfähigkeits-(Zusatz-)Versicherung geltende Rechtslage und ergangene Rechtsprechung auf die Unfallversicherung zu übertragen. Dies liegt etwa nahe, wenn es um Vereinbarungen zur Zahlung von Unfallrenten gilt. Beispiele: • Bedenklich sind Klauseln, die dem VR die Möglichkeit der generellen oder wiederholten Befristung eines Leistungsanerkenntnisses eröffnen (s.a. § 173 Abs. 2 S. 1). Bei Geltung solcher Regelungen läuft der VN stets Gefahr, dass der VR die Leistungen mit Ablauf der Befristung ohne Angabe von Gründen einstellt und von ihm den Nachweis des Fortbestehens der Leistungsvoraussetzungen (z.B. das Vorliegen eines Invaliditätsgrades in bestimmter Höhe) verlangt. Dadurch kommt es zu einer unangemessen Benachteiligung des VN i.S.v. § 307 Abs. 2 BGB; 201 denn ohne die Befristung könnte sich der VR von seinem Leistungsanerkenntnis nur durch das halbzwingend in §§ 188, 191 geregelte Neubemessungsverfahren lösen, in dessen Rahmen er den Wegfall der Leistungsvoraussetzungen (z.B. Sinken des Invaliditätsgrades unter eine bestimmte Grenze) beweisen müsste. In Betracht kommt aber, (einmalig) ein zeitlich befristetes Anerkenntnis zuzulassen, wenn das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen noch ungewiss ist. Dadurch kann verhin-
197
198
199
So im Grundsatz u.a. Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 187 Rn. 3 und Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 9. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 226; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 206. OLG Koblenz 30.1.1998 VersR 1999 179 = NVersZ 1999 28; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 4 und 22; Terbille/Hormuth 2 MAH
200
201
§ 24 Rn. 104; Stockmeier/Huppenbauer S. 92. BGH 28.2.2007 VersR 2007 777, 778 Rn. 16 = NJW-RR 2007 1034, 1035 f. (zu einer BUZ); ferner etwa OLG Frankfurt/M. 18.2.2004 RuS 2006 120 (zu einer BUZ). So etwa OLG Köln 22.6.2005 VersR 2006 351 f. = RuS 2006 120 f. (zu einer BUZ).
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§ 187
Kapitel 7: Unfallversicherung
dert werden, dass der VR seine Leistung ganz ablehnt und der VN in das Klageverfahren gezwungen wird.202 • Der VR ist bei der Vereinbarung von speziellen Leistungsregulierungsvereinbarungen nach Eintritt des Versicherungsfalls unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben in besonderer Weise gehalten, seine überlegene Sach- und Rechtskenntnis nicht zum Nachteil des VN auszunutzen (s.a. § 6 Abs. 4), zumal der Unfallversicherungsschutz existenzielle Bedeutung für die versicherte Person erlangen kann. Eine beiderseits interessengerechte Vereinbarung über die Leistungspflicht setzt ein lauteres und vertrauensvolles Zusammenwirken der Vertragspartner voraus, das auf Ergebnisse abzielt, die den Tatsachen und der Rechtslage entsprechen. Ein starkes Indiz für einen Rechtsverstoß liegt regelmäßig dann vor, wenn die nach dem Vertrag bestehende Rechtslage durch die Vereinbarung zum Nachteil des VN geändert und seine Rechtsposition dadurch ins Gewicht fallend verschlechtert wird. Treuwidrigkeit des VR ist etwa dann anzunehmen, wenn er bei nahe liegender Leistungspflicht (Invalidität) die erforderlichen Prüfungen durch das Angebot einer befristeten Kulanzleistung hinausschiebt und so das nach der Sachlage gebotene (Teil-)Anerkenntnis unterläuft, von dem er sich ohne die Vereinbarung mit dem VN nur im Rahmen des Neubemessungsverfahrens lösen kann.203
G. Verfahrensfragen 66
In prozessualer Hinsicht ergeben sich bei der Anwendung des § 187 folgende Besonderheiten:
I. Erklärungspflicht des VR 67
Die Erklärung des VR nach § 187 Abs. 1 S. 1 ist als Beweismittel für das Bestehen der anerkannten Schuld bedeutsam.204 Sie führt als „Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst“ im Prozess zu einer Beweislastumkehr. Will sich der VR später von seiner Erklärung lösen, so muss er die Unrichtigkeit des ursprünglich Anerkannten beweisen.205 Hat der VR seine Leistungspflicht i.S.v. 187 Abs. 2 S. 1 zunächst anerkannt, so folgt daraus zwar nicht, dass der Unfallhergang und die Unfallfolgen für die Zukunft unstreitig bzw. unangreifbar feststehen. Zahlungen des VR etwa aufgrund einer Unfallanzeige des VN erfolgen nach dem jeweiligen Erkenntnisstand des VR zum Zeitpunkt ihrer Vornahme. Sie hindern den VR nicht daran, im Fall späterer Zweifel am Eintritt des Versicherungsfalls Ermittlungen anzustellen, den Unfall zu bestreiten und ggf. gezahlte Leistungen zurückzufordern (Rn. 32). Verlangt der VR jedoch im Nachhinein die Rückzahlung der Versicherungsleistung, so muss er grundsätzlich nach allgemeinen Regeln die Voraussetzungen des Bereicherungsanspruchs beweisen, ohne dass ihm Beweiserleichterungen zugute kommen.206 Insbesondere trägt er auch die Darlegungs- und Beweislast für das
202
203
204
S.a. Begründung RegE zu § 173 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 106. BGH 28.2.2007 VersR 2007 777, 778 f. Rn. 16 ff. = NJW-RR 2007 1034, 1036 (zu einer BUZ). BGH 24.3.1976 BGHZ 66 250, 259 = VersR 1977 471, 473 = NJW 1976 1259, 1261.
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BGH 24.3.1976 BGHZ 66 250, 254 f. = VersR 1977 471, 472 = NJW 1976 1259, 1260; OLG Oldenburg 18.9.2008 RuS 2008 524, 525; Schwintowski/Brömmelmeyer § 187 Rn. 7; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 2. Kloth Rn. S 38.
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Anerkenntnis
§ 187
Nichtbestehen des Rechtsgrundes207 bzw. der zunächst anerkannten Forderung.208 So muss der VR z.B. Beweis dafür antreten, dass der Versicherungsfall nicht eingetreten ist,209 die Voraussetzungen für die vom VN zurück zu zahlende Invaliditätsleistung von Anfang an nicht gegeben waren,210 die bei Zahlung zugrunde gelegte Invalidität aufgrund einer nachträglich vereinbarten Neubemessung geringer ist als zunächst angenommen,211 der Vertrag wegen arglistiger Täuschung nichtig ist (§ 142 BGB), Leistungsfreiheit bzw. ein Leistungskürzungsrecht wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten besteht (Ziff. 13 AUB 2008) oder Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung des VN gegeben ist (Ziff. 8 AUB 2008). Die Annahme der Beweislastumkehr ist daran geknüpft, dass tatsächlich ein Anerkenntnis des VR i.S.v. § 187 vorliegt. Beispiele: • Bei Leistungen unter Vorbehalt kann die Auslegung ergeben, dass die Leistung unter der Bedingung erfolgt, dass die Verbindlichkeit tatsächlich besteht. In einem solchen Fall verbleibt die Beweislast für die Leistungsverpflichtung des VR beim VN (Rn. 50). • Hat der VR kein Anerkenntnis i.S.v. § 187 zum Grund und zur Höhe des Anspruchs abgegeben, weil z.B. die Invalidität der versicherten Person wegen des noch abzuwartenden Heilverlaufs völlig offen war und eine weitere Untersuchung abgewartet werden musste, sondern hat der VR nach den Umständen des Einzelfalles aus der objektiven Sicht des VN lediglich einen freiwilligen (vorläufigen) Vorschuss in Erwartung der noch in der Zukunft zu treffenden Feststellung über seine Leistungspflicht geleistet, so muss der VN beweisen, dass die endgültig zu treffende Entscheidung über den Versicherungsanspruch zu seinen Gunsten erfolgt ist oder erfolgen muss.212
Die Beweislastumkehr gilt nur für das vom VR dem Grunde und in der Höhe Anerkannte. Hat der VR z.B. ein Anerkenntnis für einen Invaliditätsgrad i.H.v. 40 % abgegeben und eine entsprechende Leistung erbracht, so muss er zwar in einem Rückforderungsprozess beweisen, dass die Invalidität nicht oder zu einem geringeren Grad als 40 % bestand. Jedoch ist der VR nicht gehindert, Forderungen des VN abzulehnen, die über das Anerkannte hinausgehen. Er ist also nicht aufgrund seines Anerkenntnisses (Invaliditätsgrad i.H.v. 40 %) gezwungen, einen vom VN behaupteten Invaliditätsgrad von 70 % zu regulieren bzw. das Nichtvorliegen der Invalidität auch für die geltend gemachten weiteren 30 % zu beweisen. Die Beweislast für das Durchgreifen des Anspruchs auf Zahlung der zusätzlichen Invaliditätsleistung i.H.v. 30 % trägt vielmehr der VN. Der VR kann demnach die Zahlung des Differenzbetrags ablehnen, auch wenn der VN die Kausalität zwischen Unfall und Gesundheitsschädigung ausreichend dargelegt oder bewiesen hat.213 Den Entreicherungseinwand (§ 818 Abs. 3 BGB) muss der VN voll beweisen.214 Versäumt der VR es, sich gemäß § 187 Abs. 1 nach einem Leistungsantrag und der 68 Vorlage der zu dessen Beurteilung erforderlichen Unterlagen fristgerecht zu seiner Leistungspflicht zu äußern, so ist der Anspruchsteller berechtigt, sofort auf Leistung zu 207
208
209 210
S. nur BGH 9.6.1992 VersR 1992 1028, 1029 = RuS 1993 333, 335; OLG Karlsruhe 21.7.1983 VersR 1984 635; Jacob VersR 2010 39; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 234. OLG Koblenz 30.1.1998 VersR 1999 179 = NVersZ 1999 28; OLG Köln 11.4.1994 RuS 1996 202. OLG Düsseldorf 14.3.1995 VersR 1996 89. OLG Frankfurt/M. 1.7.1999 RuS 2002 85, 86.
211
212 213 214
OLG Hamm 1.3.2006 VersR 2006 1674, 1675 = NJW-RR 2006 974, 975 = RuS 2007 33, 34. OLG Koblenz 30.1.1998 VersR 1999 179 = NVersZ 1999 28. OLG Oldenburg 18.9.2008 RuS 2008 524, 525. Kloth Rn. S 39.
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§ 187
Kapitel 7: Unfallversicherung
klagen, und zwar auch dann, wenn noch keine Fälligkeit oder Verzug eingetreten sein sollte. Eine vorherige Klage auf Abgabe der in § 187 Abs. 1 (bzw. den entsprechenden AUB) vorgesehenen Erklärung wäre prozessunwirtschaftlich. Weiterhin ist dem Anspruchsteller ein weiteres Abwarten mit der Klagerhebung jedenfalls dann nicht zuzumuten, wenn der VR sich nur so allgemein und vage zu seiner Leistungspflicht erklärt, dass der Anspruchsteller vernünftigerweise mit einer nicht unerheblichen Fristüberschreitung durch den VR rechnen muss. Anderes kommt dagegen in Betracht, wenn der VR dem Anspruchsteller unmissverständlich mitgeteilt hat, in welcher Hinsicht noch Zweifel an seiner Leistungspflicht bestehen; denn dann kann der Anspruchsteller dazu beitragen, die Zweifel auszuräumen.215 Sofern der Anspruch gegen den VR begründet ist, hat der VR wegen seiner Säumnis die Kostenlast zu tragen. Kommt es zu einer (einvernehmlichen) Erledigung in der Hauptsache, so sind dem VR nach § 91a ZPO die Kosten aufzuerlegen.216 Da Anlass für eine Klage i.S.v. § 93 ZPO gegeben ist, trägt der VR auch bei einem sofortigen Anerkenntnis die Kostenlast.217
II. Fälligkeit 69
Mit Eintritt der Fälligkeit kann der VN (Anspruchsberechtigte) die Leistung vom VR sofort verlangen und Klage erheben. Er ist nicht genötigt, i.S.d. § 257 ZPO auf künftige Leistung zu klagen.218 Beschreitet der VN den Rechtsweg, so setzt das Gericht die Höhe der fälligen Leistung endgültig fest.219 Zur Beweislastverteilung gilt Folgendes: • Die Voraussetzungen für die Fälligkeit hat der Anspruchsgläubiger zu beweisen.220 • Die rechtzeitige Leistung hat der VR zu beweisen. Es entspricht einer allgemein anerkannten Beweisregel, dass der Verpflichtete die Erfüllung einer ihm obliegenden Leistung beweisen muss, und zwar auch dann, wenn sich an die Nichterfüllung oder die nicht rechtzeitige Erfüllung ungünstige Rechtsfolgen knüpfen, die der Gläubiger geltend macht.221 • Die Verzugsvoraussetzungen und den Verzugsschaden hat der Gläubiger nachzuweisen.222 Vom Verschulden muss sich allerdings der VR entlasten.
III. Vorschuss Der Anspruch des VN gegen den VR auf Zahlung eines Vorschusses in angemessener Höhe kann im Wege der Klage durchgesetzt werden. Die Möglichkeit des VN, Vorschüsse vom VR zu verlangen, begründet ein genügendes Interesse des VN an der Durchführung einer Klage gemäß § 256 ZPO auf Feststellung der Leistungspflicht des VR dem Grunde nach.223 In Betracht kommt auch eine einstweilige Verfügung nach § 940 ZPO, sofern diese 71 Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig
70
215 216
217
OLG Hamm 22.8.1973 VersR 1974 329, 330. OLG Hamburg 6.8.1981 VersR 1982 543; OLG Hamm 23.8.2000 NVersZ 2001 163, 164; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 3. OLG Hamm 6.2.1998 RuS 1998 302 = VersR 1999 436 (LS); van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 203.
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218 219 220 221 222 223
BGH 23.6.1954 VersR 1954 388; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 290. OLG Hamm 4.5.1990 VersR 1991 686. OGH 19.4.1984 VersR 1985 652; Bruck/Möller/K. Johannsen § 14 Rn. 36. BGH 29.1.1969 NJW 1969 875. LG Berlin 5.6.1950 VersR 1950 177. Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 11; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 30.
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Neubemessung der Invalidität
§ 188
erscheint. Die Dringlichkeit, d.h. insbesondere eine Notlage des VN bzw. der versicherten Person, ist glaubhaft zu machen.224 Ein erheblicher Nachteil kann darin liegen, dass die versicherte Person nicht in der Lage ist, den Unterhalt für sich und ihre Familie zu bestreiten. Einbußen im Geschäftsbetrieb reichen dagegen nicht aus.225
§ 188 Neubemessung der Invalidität (1) Sind Leistungen für den Fall der Invalidität vereinbart, so ist jede Vertragspartei berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach Eintritt des Unfalls, neu bemessen zu lassen. In der Kinderunfallversicherung kann die Frist, innerhalb derer eine Neubemessung verlangt werden kann, verlängert werden. (2) Mit der Erklärung des Versicherers über die Leistungspflicht ist der Versicherungsnehmer über sein Recht zu unterrichten, den Grad der Invalidität neu bemessen zu lassen. Unterbleibt diese Unterrichtung, so kann sich der Versicherer auf eine Verspätung des Verlangens des Versicherungsnehmers, den Grad der Invalidität neu zu bemessen, nicht berufen. Schrifttum Jacob Die Feststellung der Invalidität in der Unfallversicherung, VersR 2005 1341; ders. Rückforderung von Versicherungsleistungen in der Privaten Unfallversicherung, VersR 2010 39; KessalWulf Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur privaten Unfallversicherung, RuS 2008 313.
Übersicht Rn. A. I. II. B. I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . Zweck der Regelung . . . . . . . . . . . Vergleich zur bisherigen Rechtslage . . . . Recht zur Neubemessung . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . 1. Feststehende Erstbemessung . . . . . . 2. Durchführungsfrist . . . . . . . . . . . 3. Ausübung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gestaltungserklärung . . . . . . . . b) Inhalt der Erklärung . . . . . . . . . c) Zeitpunkt der Erklärung (Ausübungsfrist) . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wegfall des Rechts auf Neubemessung . . 1. Abfindungsvereinbarung . . . . . . . . 2. Klage des VN . . . . . . . . . . . . . . III. Durchführung der Neubemessung . . . . . IV. Rechtsfolgen des Neubemessungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufschub der Fälligkeit des Invaliditätsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . .
224
Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 12; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 32.
1 2 5 7 8 9 10 16 17 18 19 23 24 25 28
Rn.
V. C. I. II. III. D. E. I.
II. III.
2. Erklärungspflicht des VR zur Erstbemessung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erklärungspflicht des VR zur Nachbemessung . . . . . . . . . . . . . . 4. Bindungswirkung . . . . . . . . . . . Reaktionsmöglichkeiten . . . . . . . . . Unterrichtungsobliegenheit des VR . . . Anforderungen an den Hinweis . . . . . Verletzung der Unterrichtungsobliegenheit Sonstige Unterrichtungspflichten . . . . Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . Handlungsmöglichkeiten des VN . . . . 1. Korrektur der Erstbemessung . . . . . 2. Korrektur der Neubemessung . . . . . Handlungsmöglichkeiten des VR . . . . Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . .
. 32 . . . . . . . . . . . . .
33 34 36 37 38 41 42 43 44 45 46 51 53 54
30 31
225
OLG Celle 14.10.1931 VA 1932 36 Nr. 2394; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 24.
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§ 188
Kapitel 7: Unfallversicherung
A. Einführung 1
Die Neubemessung der Invalidität ist seit der VVG-Reform 2008 erstmals gesetzlich normiert. Der Gesetzgeber ist mit der Einführung des § 188 – bis auf kleine (unbedeutende) redaktionelle Abweichungen – den Empfehlungen im Abschlussbericht der Expertenkommission zum VVG 1 gefolgt.
I. Zweck der Regelung 2
Führt ein Unfall zu einer Invalidität der versicherten Person, so hat einerseits der VN ein Interesse daran, möglichst bald eine Invaliditätsleistung zu erhalten. Andererseits kann der Invaliditätsgrad der versicherten Person zwar in der Regel ein bis eineinhalb Jahre nach dem Unfall,2 jedoch nicht in allen Fällen abschließend und verbindlich festgestellt werden, da nach der Beurteilung des Invaliditätsgrundes bzw. der Erstbemessung des Invaliditätsgrades noch Verbesserungen oder Verschlechterungen im Gesundheitszustand der versicherten Person auftreten können. Vielmehr kann eine vorzeitige Fixierung des Invaliditätsgrades objektiv unrichtig und durch die weitere Entwicklung des Gesundheitszustandes der versicherten Person widerlegt werden.3 Zu denken ist etwa an Heilungserfolge aufgrund von Langzeitbehandlungen, aber auch an Komplikationen, Defektheilungen oder Therapieschäden (unerwünschte Behandlungsergebnisse). So können u.a. folgende Unfallfolgeschäden einer unfallnahen Bestimmung des Invaliditätsgrades entgegenstehen:4 • das sog. Kompartmentsyndrom (zunehmende Druckerhöhung innerhalb eines begrenzten Raums, die die Durchblutung und Ernährung unterbricht und zum Gewebstod und zu Nervenstörungen führt); • die sog. Sudeck’sche Dystrophie (schmerzhafte Erkrankung überwiegend der oberen Gliedmaße infolge von Verletzungen, operativen Eingriffen oder Erkrankungen des peripheren oder zentralen Nervensystems. Ursache ist eine Ernährungskrise bzw. Durchblutungsstörung der entsprechenden Knochen und Weichgewebe durch eine i.w.S. übermäßige Entzündungsreaktion);5 • die (chronische) Ostitis, Osteitis bzw. Osteomyelitis (Knochen- bzw. Knochenmarkentzündung, meist als Folge von offenen Knochenbrüchen); • die Arthrose (degenerative Gelenkerkrankung z.B. als Folge von Fehl- bzw. Überbelastungen).
Für solche Sachverhalte soll § 188 einen angemessenen Ausgleich ermöglichen.6 Das Neubemessungsrecht trägt zum einen dem Bedürfnis nach einer korrekten Feststellung der Invalidität Rechnung. Es soll Prognoseproblemen in einem frühen Stadium des Heilungsprozesses begegnen.7 Dabei ist zu beachten, dass es nicht um die Korrektur unzutreffender (fachlicher) Bewertungen durch medizinische Sachverständige geht, sondern einer Änderung der Befunde (des Unfallfolgezustands) Rechnung getragen werden soll.8 Zum anderen fördert die Dreijahresfrist den Eintritt von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden innerhalb eines überschaubaren Zeitraums.9
1 2 3 4 5
Abschlussbericht S. 264 (§ 180 VVG-E) und 405 (Begründung). Lehmann/Ludolph 2 S. 7. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308 S. 484 Näher Lehmann/Ludolph2 S. 27 ff OLG Koblenz 10.5.2002 VersR 2002 1412, 1413.
440
6 7 8 9
Begründung RegE zu § 188, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109. OLG Hamm 5.6.1992 RuS 1993 157. R. Lehmann VersR 1995 902, 903. OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423, 1424; s.a. OLG Frankfurt/M. 17.6.2009 VersR 2009 1482, 1484.
Kent Leverenz
Neubemessung der Invalidität
§ 188
• Die Beschränkung der Nachbemessung auf maximal drei Jahre verhindert, dass die abschließende Bemessung der Invalidität und damit die endgültige Abwicklung des Versicherungsfalls auf unabsehbare Zeit in der Schwebe bleibt.10 Ohne eine Fristvorgabe könnte die Versicherungsleistung solange aufgeschoben werden, bis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Wiederherstellung des VN für alle Zukunft ausgeschlossen wäre.11 • Je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Unfall und der Invaliditätsfeststellung ist, desto schwieriger wird die Abgrenzung der Unfallfolgen von unfallunabhängigen gesundheitlichen Fehlentwicklungen.12
Der Gesetzgeber folgt mit der Aufnahme der Dreijahresfrist der von der Rechtsprechung vorgenommenen Wertung, dass die zeitliche Begrenzung des Neubemessungsrechts in den AUB nicht gegen AGB-Recht verstößt (Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 21). Die in § 188 Abs. 1 S. 2 vorgesehene Option zur vertraglichen Verlängerung der Neu- 3 bemessungsfrist trägt dem Umstand Rechnung, dass die körperliche Entwicklung von Kindern in Abhängigkeit von ihrem Alter zum Zeitpunkt des Unfalls erst nach längerer Zeit als abgeschlossen gelten kann.13 Der endgültige Invaliditätsgrad bei Kindern und Jugendlichen lässt sich wegen der unterschiedlichen Wachstums- und Entwicklungsprozesse häufig nach drei Jahren noch nicht feststellen.14 Die Unterrichtungsobliegenheit des VR nach § 188 Abs. 2 dient dem Schutz des 4 VN.15
II. Vergleich zur bisherigen Rechtslage Das in § 188 Abs. 1 geregelte Recht zur Neubemessung der Invalidität entspricht 5 weitgehend der bisher in den AUB geregelten Rechtslage. § 188 Abs. 1 S. 1 sieht in fast wörtlicher Übereinstimmung mit Ziff. 9.4 S. 1 AUB 99/2008 (§ 11 Abs. 4 S. 1 AUB 88/94; s.a. § 13 Nr. 3a AUB 61) vor, dass VR und VN den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall neu bemessen lassen können. Für die Unfallversicherung von Kindern räumt § 188 Abs. 1 S. 2 den Vertragsparteien die Möglichkeit ein, die Frist zur Neubemessung zu verlängern. Von dieser Option haben die AVB bereits in der Vergangenheit Gebrauch gemacht. Ziff. 9.4 S. 2 AUB 99 bzw. die KiUV sahen bisher schon vor, dass sich die Nachbemessungsfrist bei Kindern bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres von drei auf fünf Jahren verlängert. Anders als die bisher üblichen AUB (Ziff. 9.4 S. 3 AUB 99, § 11 Abs. 4 S. 2 AUB 88/94) enthält § 188 Abs. 1 S. 1 allerdings keine Aussage dazu, • wer die Invalidität zu messen hat. Ziff. 9.4 S. 1 AUB 99/2008 und § 11 Abs. 4 S. 1 AUB 88/94 verlangen, dass die Invalidität „ärztlich“ zu bemessen ist. Diese Ergänzung kann auch zukünftig in Ergänzung zu § 188 Abs. 1 S. 1 vereinbart werden (Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 13). • wie und wann das Recht zur Neubemessung auszuüben ist. Die Regelungen in Ziff. 9.4 S. 3 AUB 99 und § 11 Abs. 4 S. 2 AUB 88/94 hat der Gesetzgeber nicht übernommen (Rn. 16 ff.).
Insofern hat es das Gesetz offenbar bei der Regelung des § 13 Nr. 3a AUB 61 belassen. Diese Klausel, die die Neufeststellung des Grades der dauernden Arbeitsunfähigkeit 10
11 12
OLG Karlsruhe 1.2.1990 VersR 1990 773, 774; Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 2; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 25; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 17; s.a. OGH 30.11.1989 VersR 1990 1140. LG Berlin 3.12.1985 VersR 1987 608, 609. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 98
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Begründung RegE zu § 188 Abs. 1, BTDrucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109. VerBAV 1974 359; ferner Grimm 4 KiUV Rn. 4; Wussow/Pürckhauer 6 ZKiUV Rn. 5. Begründung RegE zu § 188 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109.
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betrifft, ordnet ebenfalls „schlicht“ an, dass innerhalb bestimmter Fristen eine Neufeststellung erfolgen kann. Die Rechtslage hätte eindeutiger und sachgerechter normiert werden können, wenn der Gesetzgeber eine der Ziff. 9.4 S. 3 Spiegelstrich 2 AUB 99 entsprechende Regelung mit in § 188 Abs. 1 S. 1 aufgenommen hätte. Müssten sowohl der VR als auch der VN spätestens drei Monate vor Ablauf der Dreijahresfrist ihr Neubemessungsrecht ausüben, so wäre sichergestellt, dass die erforderliche ärztliche Bewertung fristgerecht und auf Grundlage des bis zum Ende des Dreijahreszeitraums verfügbaren Tatsachenmaterials allen Beteiligten vorliegt. Diese praktisch vernünftige Vorlaufzeit wäre auch für den VN nicht unbillig, zumal der VR den VN über die Ausübungsfrist von zwei Jahren und 9 Monaten nach § 188 Abs. 2 zu unterrichten hätte. So verbleiben Rechtsunsicherheiten. Neu ist die Regelung in § 188 Abs. 2, die der Gesetzgeber ohne nähere inhaltliche 6 Begründung eingeführt hat. Eine spezielle Obliegenheit des VR, den VN über sein Recht zur Neubemessung zu unterrichten, war bisher in den AUB nicht vorgesehen. Diese Entscheidung des Gesetzgebers war rechtlich und inhaltlich nicht zwingend notwendig. Die Rechtsprechung hat die Nachbemessungsregelungen in den AUB mehrfach überprüft und festgestellt, dass die Dreijahresfrist auch dann wirksam ist, wenn der VR nicht über die Rechtsfolgen einer Fristversäumnis belehrt hat (vgl. Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 20 f.). Der Gesetzgeber geht nun ein weiteres Mal im Rahmen der VVG-Reform 2008 zu Lasten des VR über den von der Rechtsprechung geforderten Schutz des VN hinaus. Ohne dass es durch Treu und Glauben geboten ist, wird i.E. dem VR die Aufgabe zugewiesen, einem VN seine Rechtsposition zu erhalten. Dem VN ist es aber „an sich“ zuzumuten, spätestens und gerade nach einer Leistungsablehnung durch den VR die Vertragsregelungen aufmerksam zu lesen und sich ggf. Rechtsrat zu der inzwischen sogar in § 188 Abs. 1 normierten Rechtslage zu holen. Durch § 188 Abs. 2 wird der VN seiner Eigenverantwortung enthoben und der „nachlässige“ VN privilegiert. Indes erscheint der Mehraufwand für den VR nicht unverhältnismäßig (näher § 186 Rn. 3 ff.).
B. Recht zur Neubemessung 7
§ 188 findet nach seinem Wortlaut nur dann Anwendung, wenn die Vertragsparteien Invaliditätsleistungen vereinbart haben. Für andere Leistungsarten gilt die Vorschrift nicht.
I. Voraussetzungen der Neubemessung 8
Das Recht zur Neubemessung steht sowohl dem VN als auch dem VR zu („jede Vertragspartei“), nicht dagegen dem Bezugsberechtigten oder der versicherten Person. Somit kann auch der VR (unter Beachtung der in den AUB aufgestellten Voraussetzungen) eine Neubemessung verlangen, wenn er – etwa aufgrund des zur Invaliditätshöhe eingeholten ärztlichen Gutachtens – eine Besserung oder gar einen Wegfall der gesundheitlichen Dauerfolgen des Unfalls für möglich hält.16 Stirbt die versicherte Person, so wird eine Neufestsetzung der Invalidität unmöglich. Es finden dann die zwischen den Parteien für den Tod der versicherten Person vorgesehenen Regelungen (vgl. Ziff. 2.1 AUB 2008 16
S. etwa OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976, 978.
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Neubemessung der Invalidität
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Rn. 172 f. und 244 ff.) Anwendung.17 Die Invaliditätsneubemessung setzt einen zum Zeitpunkt des Unfalls wirksam bestehenden Versicherungsvertrag, eine feststehende Erstbemessung, den Ablauf eines Jahres seit der letzten ärztlichen Begutachtung, die Wahrung der regelmäßig dreijährigen Ausschlussfrist sowie eine ordnungsgemäße Ausübung des Gestaltungsrechts voraus. 1. Feststehende Erstbemessung Es ist zwischen der Erstfeststellung der Invalidität dem Grund und der Höhe nach so- 9 wie der Neufestsetzung des Invaliditätsgrades zu differenzieren.18 § 188 regelt nur die Neubemessung. Diese setzt begrifflich voraus, dass • der Grad der innerhalb der Jahresfrist eingetretenen Invalidität bedingungsgemäß (also auch ärztlich) bereits einmal – wenigstens vorläufig – festgestellt worden ist 19 sowie die erfolgte Bemessung und Feststellung des VR (bzw. der Ärztekommission oder des ordentlichen Gerichts) nicht angegriffen, sondern auf nachfolgende Änderungen abgestellt werden soll.20 Dies folgt bereits aus der Formulierung „neu bemessen“ (§ 188 Abs. 1 S. 1) bzw. „erneut … bemessen zu lassen“ (Ziff. 9 S. 1 AUB 99/2008, § 11 Abs. 4 S. 1 AUB 88/94) oder „neu feststellen zu lassen“ (§ 13 Nr. 3a AUB 61). Kann die Invalidität zunächst nur dem Grunde nach festgestellt werden, so steht den Parteien für die erstmalige Bemessung der Invalidität die volle Dreijahresfrist zur Verfügung. Dies kann zur Folge haben, dass dann eine erneute Invaliditätsfeststellung nach § 188 möglicherweise wegen des Ablaufs der Dreijahresfrist ausgeschlossen ist.21 Entsprechendes kommt in Betracht, wenn der VR aus anderen Gründen überhaupt keine Erstfestsetzung zur Invalidität getroffen hat, weil er z.B. seine Leistungen etwa wegen Eingreifens eines Ausschlussgrundes oder einer Obliegenheitsverletzung ablehnt. Auch dann kann keine Neubemessung erfolgen, weil es an einem Anerkenntnis des VR oder einer Einigung der Parteien hinsichtlich des Invaliditätsgrades fehlt. • der VR eine Erklärung (i.S.v. § 187 Abs. 1 S. 1 bzw. Ziff. 9.1 S. 1 AUB 99/2008, § 11 Abs. 1 S. 1 AUB 61/88/94) dazu abgegeben hat, ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht anerkennt.22 Diese Voraussetzung ergibt sich aus § 188 Abs. 2 S. 1, der die Unterrichtungsobliegenheit des VR gegenüber dem VN über das Neubemessungsrecht an die „Erklärung des VR über die Leistungspflicht“ knüpft. Im Übrigen kann von einer Neubemessung nur gesprochen werden, wenn bereits eine Erklärung über die Invalidität vorliegt.23 Auf welche Weise die erstmalige Invaliditätsfeststellung und Erklärung zur Leistungspflicht erfolgt, ist unerheblich.24 Die Erklärung kann ausdrücklich oder konkludent sowie außergerichtlich oder prozessual als Anerkenntnis der Leistungspflicht durch den VR abgegeben werden, sich aus einer Einigung zwischen den Parteien
17 18
19
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308, S. 485. S. nur BGH 16.1.2008 VersR 2008 527, 528 Rn. 11 = NJW-RR 2008 833, 834 = RuS 2008 211, 212; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 319. BGH 16.1.2008 VersR 2008 527, 528 Rn. 10; OLG Hamm 12.7.1989 VersR 1990 965; OLG Nürnberg 6.2.1998 VersR 1998 446; OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976, 978; LG Erfurt 10.7.1996 RuS 1997 175; Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 2; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 227; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008
20
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23 24
Rn. 13; ferner OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423, 1424. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 97; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 9; a.A. noch Thiel VersR 1954 273 (gegen ihn Leicher VersR 1954 275 f.). Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 25. BGH 16.1.2008 VersR 2008 527, 528 Rn. 10 f.; OLG Nürnberg 6.2.1998 VersR 1998 446; Konen/Lehmann S. 59; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 33. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 10; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 14. Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 16.
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§ 188
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ergeben, aber auch aus einer Leistungsablehnung des VR abzuleiten sein (§ 187 Rn. 23 und 44). Es genügt insbesondere auch, dass die Erklärung des VR durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt worden ist.25
2. Durchführungsfrist
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§ 188 Abs. 1 beinhaltet insofern eine Ausschlussfrist, als ein von der Erstbemessung abweichender Invaliditätsgrad nur dann neu zu bemessen und zu berücksichtigen ist, wenn dies (bei Erwachsenen) innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Unfalls geschieht.26 Von der Durchführungsfrist ist die für das Verlangen nach Neubemessung geltende Ausübungsfrist zu unterscheiden (Rn. 19 ff.). Sofern eine der Vertragsparteien ihr Recht auf Neubemessung ausübt, kann die Fest11 setzung frühestens ein Jahr nach dem Unfallereignis vorgenommen werden. Weitere Bemessungen können dann in Jahresabständen, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfallereignis erfolgen. Insgesamt sind damit drei Neubemessungen denkbar. Später als drei Jahre nach Eintritt des Unfalls kann eine Neubemessung bzw. Neufeststellung der Invalidität nicht mehr verlangt werden. Dieser Zeitpunkt ist die äußerste zeitliche Begrenzung für die Beurteilung des Invaliditätsgrades (§ 180 Rn. 20). Versäumen es die Vertragsparteien, die Neubemessung zu verlangen, so bleibt die zeit12 lich letzte (unstreitige) Erst- oder Neufeststellung für die Bemessung der Invaliditätsleistung maßgeblich.27 • Grundsätzlich ist der Zustand der versicherten Person entscheidend, der ein Jahr nach dem Unfall bestand (Ziff. 2.1.1.1 S. 2 Spiegelstrich 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 Halbs. 1 AUB 61).28 In Betracht kommt es allerdings auch, einen späteren Bewertungsstichtag zu wählen, nämlich auf den Sachverhalt abzustellen, den der VR (später als ein Jahr nach dem Unfall) zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zur Erstbemessung zugrunde gelegt hat. Voraussetzung hierfür ist indes, dass ein entsprechendes (zumindest stillschweigendes) Einvernehmen zwischen den Parteien besteht.29 Letztlich sind damit bei Versäumnis der Frist zur Neubemessung im Normalfall die Tatsachen maßgebend, die sich aus der fristgerechten oder der vom VR als fristwahrend anerkannten ersten ärztlichen Invaliditätsfeststellung ergeben.30 Unabhängig davon bleibt es den Parteien natürlich unbenommen, sich vorprozessual oder im Prozess auf eine Nachuntersuchung zu verständigen, die auf den Gesundheitszustand der versicherten Person spätestens bis Ablauf der Dreijahresfrist abstellt.31 • Für die Invaliditätshöhe kann alternativ zur unstreitigen Erstbewertung auch eine Folgefeststellung des VR maßgeblich sein, die ihrerseits gemäß einem Verlangen auf Neubemessung unter Wahrung der Dreijahresfrist getroffen worden ist.32
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BGH 16.1.2008 VersR 2008 527, 528 Rn. 10. OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423, 1424. OLG Hamburg 22.2.1991 VerBAV 1991 264, 265; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 27; s.a. OGH 28.11.2007 VersR 2009 138, 139; OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423, 1424; OGH 30.11.1989 VersR 1990 1140. BGH 4.5.1994 VersR 1994 971, 972 = RuS 1994 356, 357 mit Anm. R. Lehmann VersR 1995 902 f.; OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976, 978; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 99; Kessal-Wulf RuS 2008
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313, 319; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 66; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 18. OLG Hamm 7.2.2001 VersR 2001 1549 = NVersZ 2001 317; OLG Hamm 19.11.1997 VersR 1998 1273, 1274; Jacob VersR 2005 1341, 1342 und 1343. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 9; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 184 und 227. BGH 4.5.1994 VersR 1994 971, 973 = RuS 1994 356, 358. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308 S. 485.
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Neubemessung der Invalidität
§ 188
Veranlasst der VR die Neubemessung erst nach Ablauf der Dreijahresfrist, so ist die 13 versicherte Person einerseits nicht verpflichtet, sich auf Verlangen des VR nochmals ärztlich untersuchen und begutachten zu lassen.33 Der VN begeht damit keine Obliegenheitsverletzung (Ziff. 7.3 AUB 99/2008)34 und verstößt mit seiner Weigerung auch nicht gegen Treu und Glauben.35 Unabhängig von der zivilrechtlichen Beurteilung des Vertragsverhältnisses zwischen VN und VR kann indes die versicherte Person aus prozessualen Gesichtspunkten gehalten sein, sich auch nach Fristablauf von einem Gerichtsgutachter untersuchen zu lassen.36 Übt der VN das Recht zur Neubemessung erst nach Fristablauf aus, so kann der VR 14 dies (vorbehaltlich § 188 Abs. 2) zurückweisen. Er verstößt damit nicht gegen Treu und Glauben, es sei denn, der VR hat nach den besonderen Umständen des Einzelfalles durch sein Verhalten ein schützenswertes Vertrauen des VN dahin gehend geschaffen, er werde auch aufgrund von Feststellungen nach Ablauf der Dreijahresfrist leistungsbereit sein.37 Lässt sich der VR allerdings lediglich auf eine Nachforderung ein und erfüllt er diese, so bedeutet dies nicht, dass ihm die Berufung auf den Fristablauf gegenüber weiteren Nachforderungen verwehrt ist.38 In der Kinderunfallversicherung kann die für die Neubemessung grundsätzlich geltende 15 Dreijahresfrist verlängert werden. Die AUB sehen typischerweise für versicherte Personen bis zu einem bestimmten Lebensjahr (häufig 14. Lebensjahr) eine Fünfjahresfrist vor (Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 7). 3. Ausübung Anders als die AUB 88/94/99 trifft der Gesetzgeber keine näheren Aussagen dazu, 16 wann und wie vom dem Recht zur Neubemessung Gebrauch zu machen ist. Insofern besteht eine Parallele zu § 13 Nr. 3 AUB 61, in dem ebenfalls keine weiteren Modalitäten zur Ausübung des Neubemessungsrechts geregelt sind. Die für die AUB 61 geltende Rechtslage kann auf § 188 Abs. 1 S. 1 übertragen werden. a) Gestaltungserklärung. Das Recht, eine Neufeststellung zu verlangen, wird durch 17 eine (empfangsbedürftige) rechtsgestaltende Willenserklärung gegenüber dem anderen Vertragsteil ausgeübt.39 Notwendig ist, dass das Verlangen nach einer erneuten (ärztlichen) Bemessung dem Vertragspartner zugeht.40 Es handelt sich insofern um eine Gestaltungserklärung, als mit ihrer Abgabe durch den einen Vertragsteil und ihrem Zugang beim anderen Vertragsteil aufgrund einseitiger Gestaltungsmacht die Fälligkeit des Invaliditätsanspruchs aufgeschoben wird (Rn. 31). Das Verlangen einer Neufeststellung kann aus33
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Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 6; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 100; Kloth Rn. G 120 f.; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 10; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 227; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 19; s.a. GB 1990 96 f. Nr. 9.2.5. BGH 16.7.2003 VersR 2003 1165, 1166 = RuS 2003 378 379; BGH 4.5.1994 VersR 1994 971, 972 = RuS 1994 356, 357; KessalWulf RuS 2008 313, 320; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 144.
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OLG Hamburg 22.2.1991 VerBAV 1991 264, 266; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 27. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 166. OLG Hamburg 22.2.1991 VerBAV 1991 264, 266; LG Düsseldorf 2.10.1987 NJW-RR 1988 281, 282. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 10. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308 S. 484. OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976, 978.
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drücklich oder konkludent erklärt werden. Es kann sich insbesondere aus den Umständen des Einzelfalles ergeben. So reicht es z.B. aus, wenn der VN eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme zu der (vermeintlichen) Verschlimmerung der unfallbedingten Verletzungen anregt.41 Ungenügend ist es dagegen, wenn der VN lediglich zum Ausdruck bringt, er betrachte die Angelegenheit im Hinblick auf eine bevorstehende Heilbehandlung und angesichts einer ggf. zukünftig erforderlich werdenden Operation als noch nicht abgeschlossen.42 Weiterhin ersetzt die bloße Einholung eines Gutachtens in einem anderen Rechtsstreit kein ordnungsgemäßes Neufestsetzungsverlangen.43 Gestaltungserklärungen sind unwiderruflich. Dies bedeutet, dass beide Vertragsparteien nicht von der begehrten Neubemessung wieder einseitig abrücken können, weil sich etwa der Gesundheitszustand der versicherten Person anders als erwartet entwickelt. Hier kann nur eine einvernehmliche Regelung erfolgen (Rn. 34).
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b) Inhalt der Erklärung. Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, welche Anforderungen an das Begehren auf Neufeststellung zu stellen sind. Eine Begründungspflicht lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen (s. dagegen etwa § 21 Abs. 1 S. 3). Vor der VVGReform 2008 hat die Rechtsprechung allerdings mitunter nähere Angaben gefordert. Das Verlangen auf Neufeststellung müsse sich grundsätzlich auf bestimmte Untersuchungen und durchzuführende Maßnahmen beziehen. Bloße Absichtserklärungen oder allgemeine Erklärungen genügten nicht. Die Aufforderung müsse vielmehr zunächst für den Erklärungsempfänger erkennbar einen klaren inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer bevorstehenden und konkret durchzuführenden ärztlichen Untersuchung und Begutachtung zum Zwecke der Neufeststellung des Invaliditätsgrades aufweisen.44 Sie müsse weiterhin die Neufeststellung konkret ermöglichen sowie die erforderlichen Maßnahmen bezeichnen und vorbereiten. So reiche eine vage Ankündigung einer später durchzuführenden Endbegutachtung durch den VR nicht aus. Hinzutreten müsse die Aufforderung an die versicherte Person, sich ärztlich untersuchen und begutachten zu lassen.45 Allerdings brauche auch kein unnötiger Formalismus betrieben werden. Keine erhöhten Anforderungen an die Ausübung des Neubemessungsrechts seien zu stellen, wenn sich die durchzuführenden Maßnahmen von selbst verstünden und zwischen den Parteien nicht zweifelhaft sein könne, was zu veranlassen sei.46 Zweifelhaft ist, ob eine solche Konkretisierungspflicht jedenfalls nach der VVG-Reform 2008 begründet werden kann. Eine solche lässt sich aus dem Wortlaut von § 188 nicht ableiten.47 Notwendig, aber auch ausreichend ist es, dass der Erklärungsempfänger keinen Ungewissheiten ausgesetzt wird.48 Er muss erkennen können, dass die Invalidität zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal geprüft werden soll. Unschädlich ist es, wenn eine Partei von vornherein erklärt, sie werde wiederholte Untersuchungen verlangen.49
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c) Zeitpunkt der Erklärung (Ausübungsfrist). Ein Vorbehalt zur Neubemessung ist in Abweichung zu den AUB 88/94/99 in § 188 Abs. 1 S. 1 nicht vorgesehen. Daraus kann indes nicht der Schluss gezogen werden, das Verlangen nach Neubemessung könne bis 41 42 43 44 45
OLG Saarbrücken 10.5.2000 VersR 2001 1271. OLG München 5.3.2004 RuS 2004 472. OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976, 978. OLG Hamburg 22.2.1991 VerBAV 1991 264, 266. OLG Hamm 16.9.1988 RuS 1989 31, 32 = VersR 1989 581 (LS).
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OLG Hamm 14.7.1995 VersR 1996 1402, 1403 = RuS 1995 478. Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 4. I.E. auch OLG Frankfurt/M. 17.6.2009 VersR 2009 1482, 1484. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 38.
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Neubemessung der Invalidität
§ 188
zum allerletzten Tag der Dreijahresfrist erklärt werden.50 Mit der Wendung „neu bemessen zu lassen“ stellt der Gesetzgeber auf die tatsächliche Durchführung ab. Wäre nicht auf die Bemessung, sondern lediglich die Ausübung des Rechts abzustellen, so hätte eine Formulierung nahe gelegen wie „… so kann jede Vertragspartei ihr Recht, den Grad der Invalidität jährlich neu bemessen zu lassen, längstens bis zu drei Jahren nach Eintritt des Unfalles ausüben“ oder „… so kann jede Vertragspartei von ihrem Recht, … durch Erklärung gegenüber den anderen Teil Gebrauch machen.“ Das Neubemessungsrecht muss vielmehr – wie auf Grundlage der AUB 61 überwiegend vertreten – so rechtzeitig ausgeübt werden, dass die ärztliche Begutachtung der verbliebenen Unfallfolgen samt der darauf gestützten Invaliditätsfeststellung – nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge – noch vor Ablauf der Dreijahresfrist vorgenommen werden kann.51 Was eine „rechtzeitige“ Ausübung konkret bedeutet, wie die „Ausübungsfrist“ zu bemessen ist und welche Rechtsfolgen eine etwaige Fristversäumnis entfaltet, lässt sich kontrovers beurteilen. Zunächst wird zu entscheiden sein, ob die Frage der Rechtzeitigkeit „abstrakt-gene- 20 rell“ mit einem festen Zeitraum oder „konkret-individuell“ und damit variabel anhand der Umstände des Einzelfalls (z.B. Schwere der Verletzung, Komplikationen im Heilungsverlauf, Anforderungen an die Sachkunde und Qualifikation des Gutachters) beantwortet wird. Abzustellen ist auf eine generalisierende Betrachtungsweise;52 denn anderenfalls würde die Rechtssicherheit erheblich beeinträchtigt. Eine Einzelfallbeurteilung müsste auf zahlreiche nicht leicht zu bestimmende Variablen abstellen, die weder dem Gericht noch dem verständigen VN, aber auch nicht dem zuständigen Sachbearbeiter des VR bekannt oder erkennbar sein müssen. Ein medizinischer Laie wird regelmäßig nicht abschätzen können, welcher Zeitraum für eine kompetente Begutachtung eines speziellen Verletzungsbildes unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Kapazitäten (Auslastung der in Frage kommenden Gutachter) zu veranschlagen ist. Ist somit für die Ausübung des Nachbemessungsrechts ein fixer Zeitraum vor Ablauf 21 der Dreijahresfrist einzuhalten, so ist weiterhin fraglich, wie dieser zu bemessen ist. In Ziff. 9.4. S. 3 AUB 99 ist vorgesehen, dass der VN sein Neubemessungsrecht spätestens drei Monate vor Ablauf der Dreijahresfrist, also innerhalb von 2 Jahren und 9 Monaten nach dem Unfall, ausüben muss. Ob dieser Vorlauf von 3 Monaten beibehalten werden kann, ist zweifelhaft (s.a. Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 10). Dagegen spricht die Rechtsprechung zu § 13 Nr. 3a AUB 61, der ebenso wie § 188 Abs. 1 S. 1 keine explizite Regelung dazu vorsieht, welcher Zeitraum zwischen Ausübung und Ablauf des Dreijahreszeitraums zu wahren ist. Zum Nachbemessungsrecht des § 13 Nr. 3a AUB 61 finden sich Stellungnahmen, dass ein Verlangen auf Neubemessung in etwas mehr als sechs Wochen vor Ablauf der Dreijahresfrist ausreichend 53 bzw. der Untersuchungsauftrag rechtzeitig – etwa acht Wochen vor Fristablauf – mit Hinweis auf das Fristende zu erteilen sei.54 Dem ist zu folgen. Es genügt, wenn die Vertragspartei ihr Neubemessungsrecht nach § 188 Abs. 1 S. 1 ein bis zwei Monate vor Ablauf der Dreijahresfrist ausübt, wobei es auf den 50
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A.A. Kloth Rn. G 116 f.; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 188 VVG Rn. 3 und Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 14. BGH 4.5.1994 VersR 1994 971, 972 = RuS 1994 356, 357; OLG Hamm 14.7.1995 VersR 1996 1402, 1403 = RuS 1995 478; OLG Saarbrücken 10.5.2000 VersR 2001 1271, 1272; LG Düsseldorf 2.10.1987 NJWRR 1988 281; Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 3; Prölss/Martin/Knapp-
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mann 27 § 11 AUB 94 Rn. 10; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 67; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 38; s.a. OLG Hamm 16.9.1988 RuS 1989 31 f. OLG Hamm 14.7.1995 VersR 1996 1402, 1403. OLG Hamm 14.7.1995 VersR 1996 1402, 1403. BAV GB 1981 94 Nr. 815.
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§ 188
Kapitel 7: Unfallversicherung
Zugang des Begehrens beim Vertragspartner ankommt. Zwar lässt sich dem entgegenhalten, dass viele Sachverständige (gerade wenn sie besondere Qualifikationen für die Begutachtung von Unfallverletzungen aufweisen) infolge Überlastung längere Zeit zur Gutachtenerstellung benötigen. Jedoch sind solche Umstände nur „Insidern“, nicht aber dem „normalen“ Rechtsanwender bekannt. Es ist davon auszugehen, dass der insgesamt verbraucherfreundliche Gesetzgeber bei Schaffung des § 188 auf das Verständnis eines versicherungsmedizinischen Laien abgestellt hat. Der sorgfältige Leser wird einerseits § 188 Abs. 1 S. 1 entnehmen, dass es auf die „Bemessung“ der Invalidität ankommt und für diese ein gewisser (tatsächlicher) Vorlauf erforderlich ist. Andererseits wird der Laie nicht (jedenfalls nicht zwangsläufig) damit rechnen, dass spezialisierte Gutachter u.U. viele Monate für eine Invaliditätsbemessung benötigen. Er wird vielmehr typischerweise die Erwartungshaltung haben, dass Terminierung, Untersuchung, Bewertung usw. in einem ähnlichen – u.U. auch etwas längeren – Zeitraum erfolgen wie bei sonstigen Arztbesuchen. Hinzu kommt, dass es den meisten Gutachtern bei entsprechender Instruktion im Regelfall möglich sein sollte, innerhalb von ein bis zwei Monaten zumindest die Befunddaten zu sichern und den aktuellen Gesundheitszustand der versicherten Person festzustellen. Die Bewertung der Daten (Festsetzung eines höheren oder niedrigeren Invaliditätsgrades) kann dann notfalls noch nach Ablauf der Dreijahresfrist erfolgen. Auch wenn eine solche Vorgehensweise nicht dem Wortlaut des § 188 Abs. 1 S. 1 entspricht (es kommt auf die „Bemessung“, nicht die „Befunderhebung“ an), so steht sie doch mit dem Sinn und Zweck der Dreijahresfrist in Einklang. Für die Invaliditätsbemessung sollen Verbesserungen oder Verschlechterungen im Gesundheitszustand nach Ablauf der Dreijahresfrist keine Rolle mehr spielen (§ 180 Rn. 20). Dieses Ziel bleibt gewahrt. Lediglich das innerhalb der Dreijahresfrist erhobene Tatsachenmaterial wird nachträglich bewertet. Eine solche nachträgliche Bewertung ist auch in einem etwaigen Rechtsstreit zulässig, wenn die Neubemessung durch einen Gerichtsgutachter überprüft wird. Hält der VN die Ausübungsfrist nicht ein, so ist (von besonders gelagerten Aus22 nahmefällen abgesehen) nicht damit zu rechnen, dass die VR sehr kurz vor Ablauf der Dreijahresfrist geltend gemachte Neubemessungsbegehren als verspätet zurückweisen werden. Da es sich um eine Ausschlussfrist handelt, wird zum einen eine Säumnis des VN häufig entschuldigt oder aber zumindest verständlich sein; denn das Erfordernis der Einhaltung einer Ausübungsfrist ist für einen Versicherungslaien weder dem Wortlaut des § 188 Abs. 1 S. 1 noch der Ziff. 9.4 S. 1 und 3 AUB 2008 „leicht“ zu entnehmen. Es fehlt an eindeutigen Vorgaben. Vielmehr ist erst eine Gesetzes- und Vertragsauslegung notwendig. Gibt der VR dem VN im Zusammenhang mit der Belehrung nach § 188 Abs. 2 keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass neben dem dreijährigen Neubemessungsrecht auch eine kürzer bemessene Ausübungsfrist zu beachten ist, wird der VN typischerweise zum anderen darauf vertrauen dürfen, dass er das Neubemessungsrecht bis zum letzten Tag der Dreijahresfrist ausüben kann.
II. Wegfall des Rechts auf Neubemessung 23
Das Neubemessungsrecht kann in bestimmten Fällen ausgeschlossen sein. Eine zwischen den Parteien außergerichtlich oder gerichtlich gefundene abschließende Invaliditätsbemessung kann nicht als nachteilige Vereinbarung zu Lasten des VN oder der versicherten Person gewertet werden.55 Zwar kann nach einer Übereinkunft bzw. einem 55
A.A. Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 10 und 12.
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Neubemessung der Invalidität
§ 188
Urteil zur Höhe der Invaliditätsleistung der Fall eintreten, dass sich bis zum Ablauf der Dreijahresfrist für die versicherte Person ein höherer Invaliditätsgrad ergibt. Jedoch hat der VN auch die Gewissheit, dass eine Nachbemessung, die einen geringeren Invaliditätsgrad feststellt, nicht mehr zu seinen Lasten wirken kann. Insgesamt würden die Vertragsparteien bei einem Eingreifen des § 191 unnötig in ihrem Gestaltungsspielraum eingeschränkt werden, wenn sie nicht auch schon innerhalb des Dreijahreszeitraums eine abschließende Regelung zum Invaliditätsanspruch herbeiführen könnten. Rechtsfrieden könnte anderenfalls stets erst nach Ablauf des Dreijahreszeitraums eintreten. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber in Abweichung von der bisher für die AUB 61/88/94/99 geltenden Rechtslage Invaliditätsansprüche drei Jahre in der Schwebe lassen will, ohne dass die Parteien vorher Planungs- und Rechtssicherheit erzielen können. 1. Abfindungsvereinbarung Beide Parteien verlieren das Recht auf Neubemessung, wenn sie sich vor Fristablauf 24 über den Invaliditätsgrad und die Höhe der Leistung und damit auch über die endgültige Bemessung der Invalidität geeinigt haben,56 ohne sich das Recht auf Neubemessung wirksam vorzubehalten. Die das Neubemessungsrecht ausschließende und den Invaliditätsanspruch abschließend regelnde Vereinbarung zwischen VN und VR kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Eine ausdrückliche Einigung liegt etwa in dem Fall vor, in dem der VR sich mit der von ihm als endgültig bezeichneten Invaliditätsleistung eine Abfindungserklärung des VN (dazu auch § 187 Rn. 40) geben lässt. Eine konkludente Vereinbarung kann z.B. dann anzunehmen sein, wenn der VR die sich aus der ersten Feststellung ergebende Invaliditätsleistung vorbehaltlos – ohne sie z.B. als Vorschuss zu bezeichnen – zahlt und der VN sie vorbehaltlos entgegennimmt.57 2. Klage des VN Im Einzelnen ist noch nicht abschließend geklärt, ob und unter welchen Voraus- 25 setzungen eine vor Ablauf der Dreijahresfrist erhobene Klage des VN gegen die Erstbemessung der Invalidität bzw. eine dazu rechtskräftig ergangene Entscheidung das Recht zur (weiteren) Neubemessung ausschließt. Folgende Fallgruppen lassen sich unterscheiden: Das rechtskräftige Urteil zu einer Erstbemessung bindet beide Vertragsparteien im 26 Regelfall dann, wenn der Tag der mündlichen Verhandlung nach Ablauf der Dreijahresfrist liegt. Entsprechendes gilt für einen Vergleich. • Hat der VN seine Klage erst drei Jahre nach dem Unfall eingereicht, so ist das Neubemessungsrecht eindeutig wegen Fristablaufs ausgeschlossen. In dem Prozess kann nur die Erstbemessung überprüft werden. • Das Recht auf Neubemessung ist im Regelfall auch dann ausgeschlossen, wenn der VN nicht auf (vorläufige) Feststellung des Invaliditätsgrades, sondern auf (endgültige) Invaliditätsleistung geklagt hat.58 Strengt nämlich ein VN bereits vor Ablauf der Neufeststellungsfrist gegen die Ablehnung seiner Ansprüche eine auf Zahlung gerichtete Klage an, so gehen die Prozessbeteiligten typi-
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Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 27; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 10 und 12. OLG Celle 11.7.1996 RuS 1997 262; OLG Köln 19.1.1989 RuS 1989 134, 135;
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308 S. 484 f.; offen lassend OLG Saarbrücken 10.5.2000 VersR 2001 1271. OLG Köln 19.1.1989 RuS 1989 134 f.
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§ 188
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scherweise davon aus, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess (abschließend) ausgetragen werden soll.59 Insbesondere kann der VN regelmäßig nicht erwarten, der VR werde trotz des Klageverfahrens außerprozessual eine Neubemessung in die Wege leiten. Vielmehr entspricht es der Interessenlage der Prozessbeteiligten, dass im laufenden Prozessverfahren weitere Invaliditätsfeststellungen bzw. Veränderungen im Gesundheitszustand der versicherten Person berücksichtigt werden,60 wobei der äußere Zeitrahmen durch die Dreijahresfrist festgelegt wird.
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Schwieriger wird die Beurteilung des Ausschlusses des Neubemessungsrechts, wenn der Tag der mündlichen Verhandlung über die Entscheidung der Erstbemessung vor Ablauf der Dreijahresfrist liegt. • Von einem Willen der Parteien zur abschließenden Klärung des Invaliditätsgrades kann jedenfalls dann nicht ausgegangen werden, wenn sich eine der Parteien in einem vor Ablauf der Neufeststellungsfrist von drei Jahren geführten Rechtsstreit – ausdrücklich oder konkludent – die Ausübung des Neubemessungsrechts vorbehalten hat. So liegt z.B. der Fall, in dem der VR eine endgültige Bemessung der Invalidität im Nachuntersuchungsverfahren ankündigt, sofern das Gericht die Leistungsfreiheit des VR wegen einer Obliegenheitsverletzung des VN verneinen sollte.61 • Streitig ist dagegen die Rechtslage für den Fall, dass das Gerichtsverfahren vor Ablauf der Dreijahresfrist ohne einen ausreichend deutlich geäußerten Vorbehalt auf Neubemessung beendet wird. Z.T. wird der Fortbestand des Neubemessungsrechts bejaht, sofern nicht beide Parteien anderes erklärt haben oder ein Verzicht der die Neubemessung begehrenden Partei vorliegt. Ein Verzicht des VN könne allerdings nicht schon in der Erhebung einer Leistungsklage vor Ablauf der Dreijahresfrist gesehen werden.62 Die Gegenauffassung geht im Grundsatz davon aus, eine Neubemessung sei nicht mehr möglich, es sei denn, eine Partei habe sich das Recht auf Neubemessung im Rechtsstreit ausdrücklich vorbehalten.63 Für dieses Verständnis lässt sich einerseits anführen, dass die Parteien häufig zumindest stillschweigend davon ausgehen werden, mit dem Rechtsstreit eine abschließende Klärung des Anspruchs auf Invaliditätsleistung und damit Rechtsfrieden herbeiführen zu können. Will eine Partei dieser berechtigten Erwartungshaltung nicht entsprechen, so ist es zumindest hilfreich, wenn sie den Vorbehalt der Neufestsetzung im Laufe des Rechtsstreits wenigstens konkludent zum Ausdruck bringt; denn anderenfalls könnte das Ergebnis eines langwierigen und rechtskräftig entschiedenen Verfahrens später wieder in Frage gestellt werden, was für die Prozessökonomie schädlich wäre. Andererseits kann nicht einfach unterstellt werden, dass der VN „per se“ auf sein Neubemessungsrecht verzichtet, weil er sich im Klageweg gegen die Erstbemessung der Invalidität wendet und dieses Verfahren vor Ablauf der Dreijahresfrist entschieden wird. Gerade wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich die Invalidität noch innerhalb der Frist weiter verschlechtert, besteht für den VN kein Anlass, auf weitere Invaliditätsansprüche zu verzichten.
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BGH 4.5.1994 VersR 1994 971, 972 = RuS 1994 356, 358; OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388; OLG München 14.12.2004 VersR 2005 1275, 1276 = RuS 2006 124; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 27; i.E. auch Jacob VersR 2005 1341, 1344 f. mit anderer Begründung. OLG Hamm 14.7.1995 VersR 1996 1402, 1403 = RuS 1995 478. OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388.
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OLG Hamm 14.7.1995 VersR 1996 1402, 1403 = RuS 1995 478; Jacob VersR 2005 1341, 1345; s.a. OLG Hamm 24.10.2007 VersR 2008 913, 914 = RuS 2008 163. OLG Köln 19.1.1989 RuS 1989 134 f.; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 27; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 12; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 36.
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Neubemessung der Invalidität
§ 188
III. Durchführung der Neubemessung Für die endgültige Bemessung der Invalidität ist nicht der Zeitpunkt der Erstfeststel- 28 lung bzw. des Anerkenntnisses durch den VR (§ 187, Ziff. 9.1 AUB 99/2008, § 11 Abs. 4 AUB 88/94), sondern der Sachverhalt maßgebend, der zum Zeitpunkt der Untersuchung, spätestens aber am Ende der Dreijahresfrist erkennbar geworden und prognostizierbar ist (§ 180 Rn. 20).64 Zu prüfen ist, welche Veränderungen im Gesundheitszustand der versicherten Person sich gegenüber demjenigen Zustand ergeben haben, der der Erstbemessung zugrunde lag. Dabei wird der maßgebliche Zustand durch die ärztlichen Befunde, die der ersten Feststellung der Invalidität zugrunde lagen, konkretisiert und eingegrenzt.65 Übt eine Partei ihr Recht auf erneute Invaliditätsbemessung aus, so muss diese inner- 29 halb der Dreijahresfrist durchgeführt werden.66 Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 188 Abs. 1 S. 1, ergibt sich aber auch daraus, dass für die Höhe der Invaliditätsleistung allein der Zustand am Ende der Frist maßgebend ist. Unschädlich ist es allerdings, wenn die neue Feststellung bzw. das Gutachten dem VR erst nach Fristablauf zugeht.67 Damit die Neubemessung auch tatsächlich noch vor Fristablauf durchgeführt werden kann, ist es notwendig, dass das Neubemessungsrecht rechtzeitig ausgeübt wird (Rn. 19 ff.). § 188 normiert keine ausdrücklichen Rechtsfolgen, wenn es zu Verzögerungen kommt. Eventuelle Rechtsnachteile der verspäteten Neufestsetzung gehen nach allgemeinen Regeln zu Lasten der Partei, die die Verzögerung zu vertreten hat. Außergewöhnliche Verzögerungen durch den Vertragspartner, das entscheidende Gericht oder den mit der Erstattung des Gutachtens beauftragten Sachverständigen können Fristüberschreitungen entschuldigen.68 Hat z.B. der VN die Neubemessung so rechtzeitig vor Ablauf der Dreijahresfrist verlangt, dass die ärztliche Untersuchung noch innerhalb dieser Frist hätte erfolgen können, so kann sich der VR nach Treu und Glauben nicht auf die dann doch eingetretene Fristversäumnis berufen, wenn er keine rechtzeitigen Maßnahmen zur Begutachtung der versicherten Person initiiert hat.69 Verzögert dagegen der VN die Neufestsetzung (etwa weil sich die versicherte Person einer – zumutbaren – Terminvereinbarung mit dem untersuchenden Arzt innerhalb der Dreijahresfrist unentschuldigt entzieht), muss er die Konsequenzen tragen. U.U. kann keine Erhöhung des Invaliditätsgrades erfolgen, weil der VN beweisfällig ist, eine Verletzung von Obliegenheiten anzunehmen ist oder sich der VR nach Treu und Glauben auf keine ärztliche Untersuchung nach Fristablauf mehr einlassen muss und damit die Erstbemessung weiterhin Bestand hat.
IV. Rechtsfolgen des Neubemessungsverfahrens § 188 bestimmt nicht ausdrücklich, welche Rechtsfolgen – insbesondere welche Bin- 30 dungswirkung – sich aus einer Neubemessung ergeben. Aus § 187 folgt eine Erklärungs-
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OLG Frankfurt 18.9.2008 VersR 2009 1653. BGH 22.4.2009 VersR 2009 920, 922 Rn. 19 = NJW-RR 2009 1112, 1113 = RuS 2009 293, 294. BAV GB 1973 77 Nr. 814; a.A. OLG Frankfurt/M. 17.6.2009 VersR 2009 1482, 1484; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308 S. 485.
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BAV GB 1981 94 Nr. 815; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 27. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 38. OLG Saarbrücken 10.5.2000 VersR 2001 1271, 1272; ferner OLG Frankfurt/M. 17.6.2009 VersR 2009 1482, 1484.
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§ 188
Kapitel 7: Unfallversicherung
pflicht des VR. Auch wird dort die Fälligkeit geregelt. Zinspflichten können sich aus den AUB ergeben (Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 18). 1. Aufschub der Fälligkeit des Invaliditätsanspruchs
31
Mit der Ausübung des Rechts auf neue Bemessung wird die Fälligkeit des Invaliditätsanspruchs – nach umstrittener Auffassung – gemäß § 187 Abs. 2 S. 1 (Ziff. 9.2 AUB 99/2008, § 11 Abs. 2 S. 1 AUB 88/94, § 13 Nr. 1 S. 1 AUB 61) bis zu zwei Wochen nach der Erklärung des VR i.S.v. § 187 Abs. 1 S. 1 (Ziff. 9.1 S. 1 AUB 99/2008, § 11 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94, § 11 S. 1 AUB 61) zur letztmaligen Feststellung aufgeschoben,70 und zwar unabhängig davon, ob der VR oder der VN das Neubemessungsrecht ausübt.71 Ohne die auf Neubemessung abzielende Erklärung würde die Invaliditätsleistung dagegen innerhalb von zwei Wochen nach (der ersten) Feststellung fällig werden. 2. Erklärungspflicht des VR zur Erstbemessung
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Das beiden Vertragsparteien eingeräumte Neubemessungsrecht schafft für den VR keine (zusätzliche) Möglichkeit, seine Leistungspflicht allgemein hinauszuzögern oder sich seiner Erklärungspflicht nach § 187 zu entziehen.72 Genauso wie bisher auf Grundlage der AUB steht vielmehr das Recht aus § 188 neben der Pflicht aus § 187. Die Pflicht des VR, sich zu seiner Leistungsverpflichtung nach Vorlage der zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen innerhalb bestimmter Fristen zu erklären oder einen angemessenen Vorschuss zu zahlen, bleibt durch das Neubemessungsverfahren unberührt.73 Die Möglichkeit der jährlichen Neubemessung, die eine Erstbemessung notwendigerweise voraussetzt (Rn. 9), liefe weitgehend leer, wenn der VR den Zeitpunkt der Erstbemessung im Hinblick auf mögliche Veränderungen des Invaliditätsgrades auf das Ende der Dreijahresfrist verschieben könnte.74 3. Erklärungspflicht des VR zur Nachbemessung
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Der VR hat sich nach Vorlage des neuen Attestes gemäß § 187 Abs. 1 S. 1 zu erklären. Dafür steht ihm grundsätzlich die Dreimonatsfrist in § 187 Abs. 1 zur Verfügung. Eine umgehende Erklärungspflicht zur Neufestsetzung besteht nach dem Gesetzeswortlaut nicht.75 Auch ergibt sich nicht aus § 187 Abs. 2 S. 1, dass der VR (oder der VN) sich innerhalb von zwei Wochen nach Neubemessung erklären muss, ob und inwieweit er die Feststellung anerkennt und als endgültig ansieht.76 Eine solche Erklärungspflicht widerspricht dem Sinn und Zweck des § 187 Abs. 1 (dort Rn. 3). Zwar wird sich der VR in vielen Fällen kurzfristig zur Neubemessung erklären können. Zwingend ist dies jedoch 70
71 72
BGH 30.6.1958 VersR 1958 507, 508; OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976, 977; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 17 und 28; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 6; R. Lehmann VersR 1995 902, 903; Lehmann/Ludolph 2 S. 8; Stiefel/ Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 20; Wussow/ Pürckhauer 6 § 11 Rn. 39. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308 S. 484. So bereits LG Düsseldorf 10.7.1958 VersR 1958 668, 669; ferner Grimm 4 Ziff. 9 AUB
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73
74 75 76
99 Rn. 25; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 14. OLG Düsseldorf 21.6.1994 VersR 1994 14160, 1461; Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 33. LG Dortmund 23.10.2008 RuS 2009 165, 166. A.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 33 mit Hinweis auf § 11 Abs. 1 a.F. (vgl. § 14 Abs. 1). A.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 39 zu § 11 Abs. 4 AUB 88/94; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 20.
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Neubemessung der Invalidität
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nicht. Legt z.B. der VN ein mehr oder weniger gut begründetes ärztliches Gutachten seines Hausarztes vor, so kann es geboten sein, eine medizinische Überprüfung des Attestes durch den Gesellschaftsarzt oder einen externen Sachverständigen vorzunehmen. 4. Bindungswirkung Das letztmögliche Neubemessungsverfahren vor Ablauf der Dreijahresfrist kann für 34 die Parteien mit Vorteilen, aber auch mit Risiken verbunden sein. Für beide Parteien ist die letzte (endgültige) Bemessung entscheidend. Weder der VN noch der VR können sich von mehreren Beurteilungen die jeweils für sie günstigste Bemessung aussuchen.77 „Spekulationsschutz“ besteht nicht. Hat also eine Partei der anderen mitgeteilt, dass sie ihr Neubemessungsrecht ausüben will, so ist sie der anderen Vertragspartei gegenüber daran gebunden. Die Bindungswirkung entfällt nicht bei einer für sie ungünstigen Entwicklung; die die Nachbemessung begehrende Partei kann nicht nach Belieben wieder von ihr Abstand nehmen,78 da Gestaltungsrechtsausübungen unwiderruflich sind (Rn. 17). Eine Neubemessung kann allenfalls in beiderseitigem Einvernehmen unterbleiben.79 • Ergibt die neuerliche Bemessung der Invalidität einen höheren als den ursprünglich festgesetzten Invaliditätsgrad, so hat der VR einen höheren Betrag an den VN zu zahlen. Dies gilt unabhängig davon, wer die Neufestsetzung begehrt hat. Auch in dem Fall, dass nicht der VN, sondern der VR die Neubemessung in die Wege geleitet hat, muss der VR selbst dann die höhere Leistung zahlen, wenn er mit einer Besserung des Gesundheitszustands der versicherten Person gerechnet hat. Er kann der Leistung nicht einen früher festgestellten, für ihn günstigeren Grad der Beeinträchtigung zugrunde legen.80 • Führt die Neubemessung zu einem geringeren Invaliditätsgrad als zunächst angenommen, muss der VN eine eventuell bereits erhaltene Invaliditätsleistung (anteilig) nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückzahlen.81 Dabei spielt es keine Rolle, ob der VR oder der VN selbst die Neubemessung verlangt hat.82 Die Erklärung des VR zu seiner Leistungspflicht nach § 187 Abs. 1 schließt regelmäßig Einwendungen gegen den anerkannten Anspruch nicht aus, da ihr typischerweise nicht die Bedeutung eines abstrakten oder deklaratorischen Schuldanerkenntnisses beizumessen ist (§ 187 Rn. 7 ff.).
Erfolgt die Neubemessung nach dem ersten oder zweiten Jahr nach Eintritt des 35 Unfalls, so sind die Vertragsparteien nicht verpflichtet, den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gesundheitszustand und prognostizierbaren Invaliditätsgrad der versicherten Person von vornherein als endgültig anzusehen; denn die Invaliditätsneubemessung kann gemäß § 188 Abs. 1 S. 1 „jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach Eintritt des Unfalls“ verlangt werden. Dies bedeutet: • Strengt eine Vertragspartei eine Neubemessung nach einem oder zwei Jahren an, so bleibt es dem anderen Vertragsteil unbenommen, eine Neubemessung nach einem weiteren Jahr (unter Wahrung der Dreijahresfrist) zu verlangen.83 Dem stehen Ziff. 9.4 S. 3 AUB 99/2008 (§ 11 Abs. 4 S. 2 AUB
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Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 26; Stiefel/Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 19. 78 OLG Oldenburg 27.8.1998 RuS 1998 349, 350; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 12; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 227. 79 Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 36. 80 Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 33. 81 Kloth Rn. G 118; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 18; abw. Jacob VersR 2010 39, der einen vertraglichen Rück-
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zahlungsanspruch mit der Folge annimmt, dass der VN sich nicht auf § 818 Abs. 3 BGB berufen kann. OLG Oldenburg 27.8.1998 RuS 1998 349 (LS) = VersR 1998 1274 (LS); Jacob VersR 2010 39, 40 f.; ders. VersR 2005 1341, 1343 und 1344; a.A. OLG Frankfurt 18.9.2008 VersR 2009 1653 für den Fall, dass sich der VR das Recht auf Neubemessung nicht vorbehalten hat. Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 37.
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88/94) nicht entgegen. Die dort geregelte Ausübung des Neubemessungsrechts knüpft an die Erklärung des VR zu seiner Leistungspflicht (§ 187 Abs. 1) an. Eine solche Erklärung gibt der VR nicht nur zur Erstbemessung, sondern auch zu folgenden Neubemessungen ab. Beispiel: Der VR hat zum Ende des ersten Jahres nach dem Unfall im Rahmen der Erstbemessung einen Invaliditätsgrad von 50 % anerkannt und in seiner Erklärung keinen Vorbehalt der Neubemessung aufgenommen. Der VN verlangt daraufhin eine Neubemessung zum Ende des zweiten Jahres nach dem Unfall, die einen Invaliditätsgrad von 75 % ergibt. Hat der VR Zweifel, ob die neu festgestellte Invaliditätshöhe dauerhaft ist, so kann er zusammen mit seiner Erklärung zur ersten Neubemessung eine zweite Neubemessung zum Ende des dritten Jahres nach dem Unfall verlangen. • Die Entscheidung über die Höhe der endgültigen Versicherungsleistung kann bis zur letzten Invaliditätsbemessung innerhalb des Dreijahreszeitraums aufgeschoben werden. Werden während des Dreijahreszeitraums mehrere wechselnde Invaliditätsgrade festgestellt, so sind die Parteien an die letzte Bemessung gebunden. Sie können sich nicht die jeweils günstigste aussuchen; die zwischenzeitlich festgestellten Invaliditätsgrade sind vielmehr für die abschließende Leistung ohne Bedeutung.84 Ergibt im Beispielsfall etwa die Bewertung nach drei Jahren einen Invaliditätsgrad von 80 %, so kann der VR die Leistung nicht reduzieren, indem er sich auf das Ergebnis der Erstbemessung (50 %) oder der ersten Neubemessung (75 %) stützt.
V. Reaktion auf Neubemessung 36
Die erneute Bemessung des Invaliditätsgrades – etwa durch den Hausarzt der versicherten Person oder den vom VR beauftragten medizinischen Sachverständigen – entfaltet (vorbehaltlich besonderer Vereinbarungen) keine Bindungswirkung für die Vertragsparteien i.S. einer Unangreifbarkeit.85 Vielmehr kommen folgende Möglichkeiten für das weitere Procedere in Betracht: • Der VR erkennt den (neu) festgestellten Invaliditätsgrad an. Die Versicherungsleistung wird dann innerhalb von zwei Wochen fällig (§ 187 Abs. 2 S. 1). Entsprechendes gilt, wenn sich die Vertragsparteien über den Grund und die Höhe des Anspruchs aufgrund der neuen ärztlichen Bescheinigung einigen. • Der VR, der VN oder beide Vertragsparteien akzeptieren zwar die Neubemessung, machen jedoch – sofern es die Dreijahresfrist zulässt – ein weiteres Mal von ihrem Neubemessungsrecht gemäß § 188 Abs. 1 i.V.m. den jeweiligen AUB Gebrauch. • Steht die Leistungspflicht des VR nur dem Grunde nach fest, so hat der VR auf Verlangen des VN einen angemessenen Vorschuss zu leisten (§ 187 Abs. 2 S. 2). • Kommt es zu Meinungsverschiedenheiten über das Ergebnis der Neubemessung, entscheiden regelmäßig die ordentlichen Gerichte nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Hat also nur eine der Parteien von dem Neubemessungsrecht Gebrauch gemacht, so muss sich die andere Partei nicht der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung beugen.
C. Unterrichtungsobliegenheit des VR 37
Gemäß § 188 Abs. 2 S. 1 ist der VR gehalten, den VN mit der Erklärung über seine Leistungspflicht hinsichtlich des Neubemessungsrechts zu unterrichten. Aus § 188 Abs. 2 S. 2 („kann sich der VR nicht berufen“) ergibt sich, dass es sich um eine Obliegenheit, deren Missachtung Rechtsnachteile für den VR nach sich zieht, und nicht um eine durch 84
Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 26; Stiefel/ Hofmann 17 § 22 AKB Rn. 19; Wussow/ Pürckhauer 6 § 11 Rn. 37.
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85
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Neubemessung der Invalidität
§ 188
den VN einklagbare Rechtspflicht handelt, deren Verletzung Schadensersatzansprüche begründet. Die Unterrichtungsobliegenheit setzt voraus, dass es zu einer Erstbemessung als notwendiger Voraussetzung für eine Neubemessung gekommen ist. Der Anwendungsbereich des § 188 ist dagegen nicht eröffnet, wenn es zu einer Leistungsablehnung gekommen ist.86 In diesem Fall ist eine Unterrichtung des VN über sein Neubemessungsrecht durch den VR sinnlos.87
I. Anforderungen an den Hinweis Die Belehrung muss vollständig und richtig sein. Ihr Zweck wird verfehlt, wenn sie 38 beim VN den unzutreffenden Eindruck erweckt, ihm stünde kein Neubemessungsrecht zu oder es stehe hinter anderen Rechtsausübungen zurück.88 So liegt etwa der Fall, in dem der VR weitere Leistungen ablehnt und dabei – ohne Hinweis auf die Möglichkeit des Nachprüfungsverfahrens ausführt, der VN könne seine vermeintlichen Ansprüche „nur“ noch gemäß § 12 Abs. 3 a.F. geltend machen.89 Anders als § 186 S. 1 sieht § 188 Abs. 2 S. 2 keine bestimmte Form vor. Der Hinweis 39 des VR kann folglich schriftlich oder in Textform erfolgen. Im Umkehrschluss zu § 186 S. 1 ist aber auch eine mündliche Unterrichtung zulässig.90 Es ist indes davon auszugehen, dass der VR schon allein aus Gründen der Standardisierung der Belehrungstexte und im Hinblick auf die Beweisbarkeit grundsätzlich Textbausteine in Briefen, Telefaxschreiben oder E-Mails verwenden und die mündliche Unterrichtung nur ausnahmsweise wählen wird. Im letzteren Fall sollte auf eine sorgfältige Dokumentation geachtet werden. Zur Gestaltung des Hinweises hat der Gesetzgeber keine weiteren Aussagen getroffen. 40 Es gelten damit die allgemeinen Anforderungen an eine Belehrung. Einerseits ist etwa im Umkehrschluss zu § 5 Abs. 2 S. 2 („auffälliger Vermerk“) oder zu § 8 Abs. 1 S. 2 („deutlich gestaltete Belehrung“) nicht explizit eine besondere Gestaltung wie Fettdruck und/oder Einrücken der Belehrung an einer auffälligen Stelle im Text erforderlich. Andererseits kann der Sinn der Unterrichtung, nämlich den VN auf ein ihm zustehendes Recht aufmerksam zu machen, nur erreicht werden, wenn er dahingehende Hinweise auch ohne langes Suchen wahrnimmt. Eine Unterrichtung im Kleingedruckten oder auf der Rückseite des Schreibens dürfte daher unzureichend sein. Es empfiehlt sich etwa, im Schreiben nach § 187 Abs. 1 unmittelbar vor der Grußformel den Hinweis auf § 188 Abs. 1 aufzunehmen.
II. Verletzung der Unterrichtungsobliegenheit Die in § 188 Abs. 2 S. 2 geregelte Rechtsfolge entspricht inhaltlich § 186 S. 2. Unter- 41 bleibt die Belehrung, so kann sich der VR auf eine Verspätung des Verlangens des VN, den Grad der Invalidität neu zu bemessen, nicht berufen. Ist dem VR eine Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen bzw. kann er die Erfüllung seiner Unterrichtungsobliegenheit 86 87 88 89
Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 228. Marlow/Spuhl 3 S. 272 Fn. 770. Grimm 4 9 AUB 99 Rn. 25; Kloth Rn. G 114. OLG Hamm 7.2.2001 VersR 2001 1549 = NVersZ 2001 317; OLG Saarbrücken
90
12.11.2008 VersR 2009 976, 978; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 11. So auch Kloth Rn. G 115; Marlow/Spuhl 3 S. 272; a.A. Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 8, der Textform verlangt.
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§ 188
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nicht beweisen, so kann der VN m.a.W. grundsätzlich auch nach Ablauf der Dreijahresfrist eine Neubemessung gemäß § 188 Abs. 1 verlangen, also Verschlechterungen des Gesundheitszustandes und höhere Invaliditätsleistungen geltend machen. Das Recht auf Neubemessung unterliegt dann keiner Ausschlussfrist mehr, sondern wird zeitlich nur noch durch die Verjährungsfrist91 und Treu und Glauben begrenzt. Dies bedeutet indes nicht, dass der VR unbeschränkt für Spätschäden einzustehen hat. Vielmehr muss die nach Ablauf der Dreijahresfrist verlangte Neubemessung nach den Regeln erfolgen, die auch bei einer Neubemessung innerhalb der Dreijahresfrist zu beachten sind. Insbesondere ist für die Invaliditätsfeststellung weiterhin der Gesundheitszustand der versicherten Person maßgebend, der drei Jahre nach Eintritt des Unfalls prognostizierbar ist.92
III. Sonstige Unterrichtungspflichten 42
Wird die versicherte Person vor Ablauf der Dreijahresfrist auf Veranlassung des VR erneut ärztlich untersucht, so ist es dem VN unbenommen, vom VR ein Gutachten-Doppel anzufordern (Anh. § 189 Rn. 2). Der VR ist jedoch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) dazu verpflichtet, dem VN das Gutachten von sich aus zur Verfügung zu stellen.93
D. Speziellere AVB 43
Die Neubemessung der Invalidität war bisher ausschließlich in Ziff. 9.4 AUB 99, § 11 Abs. 4 AUB 88/94 und § 13 Nr. 3 AUB 61 geregelt. Nach der VVG-Reform 2008 bestand hier Prüfungs- und ggf. Anpassungsbedarf, sofern inhaltliche Differenzen zwischen § 188 und den jeweiligen AUB entstanden; denn von § 188 abweichende Vereinbarungen zum Nachteil des VN oder der versicherten Person sind nicht möglich (§ 191). Daraus folgt, dass insbesondere die für den VN vorgesehene zeitliche Grenze zur Ausübung des Neubemessungsrechts zukünftig nicht beibehalten werden kann (Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 10). Umgekehrt ist es unbedenklich, wenn die AUB vorsehen, dass der VR das Neubemessungsrecht bereits zusammen mit seiner Erklärung über seine Leistungspflicht ausüben muss (Ziff. 9.4. AUB 2008 Rn. 16).
E. Verfahrensfragen 44
In prozessualer Hinsicht ergeben sich im Rahmen der Anwendung des § 188 folgende Besonderheiten:
I. Handlungsmöglichkeiten des VN 45
Ist der VN mit der Leistungsentscheidung des VR nicht einverstanden, so stehen ihm mehrere Optionen zur Verfügung:94 91 92
S. dazu auch OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976, 978 f. Kloth Rn. G 115; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 228; Marlow/ Spuhl 3 S. 272.
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93 94
OLG Karlsruhe 19.7.2001 VersR 2002 1549. BGH 22.4.2009 VersR 2009 920, 922 Rn. 19 = NJW-RR 2009 1112, 1113 = RuS 2009 293, 294; Jacob VersR 2005 1341, 1343.
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Neubemessung der Invalidität
§ 188
• Der VN kann (ausschließlich) die Erstfestsetzung des VR angreifen und im Klageweg geltend machen, der Invaliditätsgrad sei zum maßgeblichen Zeitpunkt höher als vom VR anerkannt. • Der VN kann die Erstfeststellung akzeptieren und eine Neufestsetzung längstens bis zu drei Jahren verlangen. Ist er mit der Neufestsetzung nicht einverstanden, so kann er gegen sie klagen. • Der VN kann beide Rechte kombinieren und sowohl die Erstfestsetzung des VR angreifen als auch eine Neubemessung verlangen.95 Dabei ist indes zu beachten, dass die Neubemessung begrifflich eine unstreitige Erstbemessung voraussetzt (Rn. 9) und deshalb beide Rechte in ein Rang- bzw. Stufenverhältnis gesetzt werden sollten.
Was der klagende VN begehrt, ist ggf. durch Auslegung seines Vortrags zu ermitteln. Ein Vorgehen gegen die Erstbemessung empfiehlt sich, wenn der VN bereits diese für falsch hält. Anderenfalls wird sie später in einem Neubemessungsverfahren als feststehend zugrunde gelegt. Ist der VN dagegen mit der Erstentscheidung des VR grundsätzlich einverstanden, bietet es sich an, Verschlimmerungen des Gesundheitszustandes der versicherten Person innerhalb des Dreijahreszeitraums im Neubemessungsverfahren zur Prüfung zu stellen.96 1. Korrektur der Erstbemessung Der VN kann sich darauf beschränken, eine Korrektur der Erstbemessung zu ver- 46 langen und diese (notfalls) im Wege der Leistungs- oder Feststellungsklage gerichtlich gelten zu machen.97 Weder die Regelungen in den AUB zur Neubemessung noch § 188 Abs. 1 schränken die Möglichkeiten des VN ein, die ersten Feststellungen des VR (oder eines vom VR beauftragten Sachverständigen) außergerichtlich oder gerichtlich anzugreifen.98 So schließt ein nach den AUB fristgerecht ausgeübtes Nachprüfungsrecht des VR nicht das Recht des VN aus, eine zutreffende Erstfestsetzung notfalls im Prozesswege zu erstreiten.99 Vorbehaltlich weiterer Fristregelungen (vornehmlich Verjährung, Ziff. 15 AUB 2008) unterliegt der Angriff gegen die Erstbemessung weiterhin auch nicht der für das Neubemessungsrecht geltenden Dreijahresfrist.100 Im Rahmen der (gerichtlichen) Überprüfung der Erstbemessung ist grundsätzlich auf 47 den Zeitpunkt der Entscheidung des VR abzustellen; spätere Veränderungen des Gesundheitszustands der versicherten Person bleiben unberücksichtigt (Rn. 12). Häufig werden sich die Parteien aber ausdrücklich oder konkludent darüber einigen, dass die Höhe des Invaliditätsgrades auch unter Berücksichtigung neuer (nach der Regulierungsentscheidung des VR gewonnener) Erkenntnisse bemessen werden soll, wobei der Dreijahreszeitraum die äußerste Grenze bildet (Rn. 26 f.). • Liegt der Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Ablauf der Dreijahresfrist, so hat das Gericht auf den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Kenntnisstand abzustellen. Dieser wird indes regelmäßig nicht „tagesaktuell“ sein; denn vielfach wird sich die gerichtliche Erstfestsetzung der Invalidität schon wegen der Notwendigkeit einer gutachterlichen Bewertung des Gesundheitszustands der versicherten Person allein auf das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung stützen, die bereits eine geraume Zeit vor Abschluss der mündlichen Verhandlung stattgefunden hat.101 95 96 97 98
OLG Saarbrücken 12.11.2008 VersR 2009 976. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 101. WI 2004 202, 203. OLG Frankfurt/M. 16.10.2003 RuS 2004 338; Schwintowski/Brömmelmeyer § 188 VVG Rn. 11; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 8; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 227;
99 100 101
Rüffer/Halbach/Schimikowski § 188 VVG Rn. 4 und Ziff. 9 AUB 2008 Rn. 13; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 210. OLG Hamm 5.6.1992 RuS 1993 157. OLG Hamm 12.7.1989 VersR 1990 965 f. BGH 22.4.2009 VersR 2009 920, 922 Rn. 19 = NJW-RR 2009 1112, 1113 = RuS 2009 293, 294.
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• Liegt der Tag der mündlichen Verhandlung nach dem Ablauf der Dreijahresfrist, so ist nur der Kenntnisstand relevant, der drei Jahre nach dem Unfall anhand der zu diesem Zeitpunkt erkennbaren Tatsachen prognostizierbar war.
Das einvernehmliche Abstellen auf einen Bewertungsstichtag, der nach der Erstentscheidung des VR liegt, kann u.a. dazu führen, dass keine oder eine geringere Invaliditätsleistung zuzusprechen ist, wenn sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Gesundheitszustand der versicherten Person so gebessert hat, dass eine früher gestellte (ungünstige) ärztliche Prognose sich im Nachhinein aufgrund einer erneuten sachverständigen Begutachtung als unrichtig erweist.102 Das im Streitfall ergehende Urteil ersetzt die Erstbemessung durch den VR.103 Es 48 kann einen höheren Invaliditätsanspruch für den VN begründen. Möglich ist aber auch, dass der VN erhaltene Invaliditätsleistungen (teilweise) zurückzuzahlen hat, falls die gerichtliche Beweisaufnahme einen geringen Invaliditätsgrad als vom VR ursprünglich angenommen ergibt.104 49 Das Urteil zur Erstbemessung der Invalidität führt nicht zwangsläufig dazu, dass die Neubemessung unter den Voraussetzungen des § 188 ausgeschlossen ist. So kann der Klage auf höhere Invaliditätsleistung infolge einer Neubemessung grundsätzlich (prozessual) nicht der rechtskräftige Abschluss eines Vorprozesses entgegen gehalten werden, welcher lediglich die Erstbemessung der Invalidität zum Gegenstand hatte.105 Da allerdings in Betracht kommt, in dem rechtskräftigen Urteil eine abschließende (materiellrechtliche) Regelung zwischen den Parteien über den endgültigen Invaliditätsgrad zu sehen (Rn. 25 ff.), empfiehlt es sich, in dem Rechtsstreit für eine Klarstellung zu sorgen, ob nur die Erstbemessung des VR mit der Folge angegriffen wird, dass das Neubemessungsrecht unangetastet bleibt, oder darüber hinaus eine abschließende Konfliktlösung erzielt werden soll. Erstreckt sich die Rechtskraft des Urteils des Vorprozesses nur auf die Erstbemessung und lässt es das Neumessungsverfahren nach § 188 unberührt, hängt die Begründetheit eines Folgeverfahrens davon ab, ob die materiellen Voraussetzungen der Neubemessung vorliegen. Maßgeblich ist insbesondere, ob sich der Gesundheitszustand der versicherten Person seit der Erstbemessung der Invalidität bis zum Stichtag drei Jahre nach dem Unfall verschlechtert hat. So ist z.B. eine höhere Invaliditätsleistung über § 188 abzulehnen, wenn im Erstprozess die Klage des VN gegen die Erstbemessung durch den VR abgewiesen wurde, da keine weiteren Invaliditätsansprüche festgestellt werden konnten, und im Zweitprozess der VN beweisfällig dafür bleibt, dass nach dem entscheidungsrelevanten Zeitpunkt des Erstverfahrens bis zum Stichtag drei Jahre nach dem Unfall eine Verschlechterung im Gesundheitszustand der versicherten Person eingetreten ist.106 Zu berücksichtigen ist, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt für die Erstfeststellung nicht zwingend bis zum Tag der mündlichen Verhandlung im Vorprozess aktualisiert sein muss, sondern häufig durch eine zu einem früheren Zeitpunkt erfolgte
102
103
104 105
OLG Hamm 29.12.1986 VersR 1988 513, 514 = ZfS 1988 222; s.a. OLG Hamm 20.6.1986 VersR 1987 1233. BGH 16.1.2008 VersR 2008 527, 528 Rn. 10 = NJW-RR 2008 833, 834 = RuS 2008 211, 212; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 102. Jacob VersR 2005 1341, 1343. BGH 22.4.2009 VersR 2009 920, 921 Rn. 13.
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106
OLG Hamm 24.10.2007 VersR 2008 913, 914 = RuS 2008 163 f.; die Nichtzulassungsbeschwerde des VN hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Der BGH stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs fest (BGH 22.4.2009 VersR 2009 920, 921 Rn. 10 ff. = NJW-RR 2009 1112 f. = RuS 2009 293).
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Neubemessung der Invalidität
§ 188
gutachterliche Invaliditätsbewertung eines ärztlichen Sachverständigen bestimmt wird (Rn. 47). Die hypothetische Möglichkeit, nachträgliche gesundheitliche Veränderungen bis zur mündlichen Verhandlung noch in die gerichtliche Entscheidung über die Erstbemessung einfließen zu lassen, sperrt deren Berücksichtigung in einer späteren Neubemessung nicht. Anderenfalls wäre den Vertragsparteien bei einer entsprechend langen Dauer des Rechtsstreits über die Erstfestsetzung das Recht zur Neubemessung der Invalidität in allen Fällen faktisch abgeschnitten, in denen lediglich zu Prozessbeginn eine Begutachtung stattgefunden hatte. Nach Auffassung des BGH besteht keine rechtliche Verpflichtung, bereits alle seit der ärztlichen Untersuchung bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung über die Erstfeststellung eingetretenen Veränderungen schon im Erstprozess geltend zu machen. Vielmehr seien Veränderungen im Gesundheitszustand der versicherten Person im Rahmen der Neubemessung zu berücksichtigen, wenn die die Neubemessung der Invalidität verlangende Partei darlegen und ggf. beweisen könne, dass die maßgeblichen Tatsachen noch nicht in eine – auch gerichtliche – Erstbemessung eingeflossen seien.107 Zeitstrahl
Sachverhalt
1.2.2009
Unfall
1.9.2009
Erstfestsetzung der Invalidität durch den VR
1.11.2009
Klageerhebung durch den VN
1.6.2010
Ärztliche Untersuchung der versicherten Person durch den gerichtlich beauftragten Sachverständigen
1.12.2010
Letzte mündliche Verhandlung
1.2.2012
Ablauf der Dreijahresfrist
Beurteilung
In der Neubemessung ist der Zeitraum ab dem 1.6.2010 bis zum 1.2.2012 zu berücksichtigen. Auch Änderungen zwischen dem 1.6.2010 und 1.12.2012 sind einzubeziehen.
Hat der VN gegen die Regulierungsentscheidung des VR Klage eingereicht und stellt 50 der Gerichtsgutachter einen höheren Invaliditätsgrad als vom VR anerkannt fest, so trifft den VR nach allgemeinen Regeln (§§ 91, 92 ZPO) die – anteilige – Kostenlast, soweit er zur Zahlung einer weiter gehenden Versicherungsleistung verurteilt wird.108 2. Korrektur der Neubemessung Ist die Neubemessung zwischen den Parteien streitig, so verhindern weder § 188 noch 51 Ziff. 9.4 AUB 99/2008, § 11 Abs. 4 AUB 88/94 oder § 13 Nr. 3a AUB 61, nach Ablauf der Dreijahresfrist ein Gutachten über den maßgebenden Invaliditätsgrad und dessen Kürzung nach § 182 (Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94) einzuholen.109 Wird die Invalidität der versicherten Person allerdings erst nach Fristablauf einer (gerichtlichen) Überprüfung unterzogen, so dürfen nur Tatsachen in die Beurteilung einfließen, die bis zum Ablauf der Dreijahresfrist erkennbar geworden sind; Befunde eines späteren oder
107 108
BGH 22.4.2009 VersR 2009 920, 922 Rn. 19. Jacob VersR 2005 1341, 1344.
109
OLG Koblenz 26.5.2000 VersR 2001 1150 (LS); Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 26; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 209.
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§ 188
Kapitel 7: Unfallversicherung
gegenwärtigen Gesundheitszustands der versicherten Person sind nicht entscheidungserheblich (§ 180 Rn. 20). Sowohl das Gericht als auch der ggf. eingeschaltete Sachverständige dürfen bei der Invaliditätsfeststellung also nicht auf die aktuelle Invalidität bzw. Invalidität zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sondern müssen bei der Invaliditätsbemessung rückblickend auf den Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall abstellen. Beispiel: 1.5.2008: Unfall 1.5.2009: Erste Invaliditätsfeststellung des VR i.H.v. 30 % 1.5.2011: Neufeststellung der Invalidität i.H.v. 40 % 1.6.2011: Klage des VN 1.3.2012: Invalidität beträgt unstreitig 50 % Das Gericht darf nicht die Invalidität einfach mit 50 % bemessen, sondern muss aufklären, wie die Invalidität zum maßgeblichen Bemessungszeitpunkt zu bestimmen war bzw. ob die zum 1.5.2011 erfolgte Invaliditätsbemessung i.H.v. 40 % anhand der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden und erkennbaren Tatsachen korrekt erfolgt ist.
Die Besonderheit, dass nur die innerhalb der Dreijahresfrist erkennbaren Daten relevant sind, kennt der medizinische Gutachter im Allgemeinen nicht. Auf sie sollte das Gericht im Beweisbeschluss zur Beauftragung eines Sachverständigen hinweisen.110 Hat der VN sogleich Klage mit dem Ziel erhoben, nicht die Regulierungsentscheidung 52 des VR überprüfen zu lassen, sondern eine neue Invaliditätsbemessung auf Grundlage von Erkenntnissen zu erreichen, die erst nach der Erstentscheidung des VR festgestellt worden sind, so droht ihm selbst dann die (volle) Kostenlast, wenn die Beweiswürdigung die Feststellung eines höheren Invaliditätsgrades als vom VR zunächst angenommen erlauben sollte; denn für eine solche Klage hat der VR keinen Anlass gegeben. Der VR kann sich der Kostenlast mittels eines sofortigen Anerkenntnisses entledigen (§ 93 ZPO).111 Anders ist dagegen der Fall zu entscheiden, in dem der VN zwar zunächst die Regulierungsentscheidung des VR angreift, sich die Parteien aber – ausdrücklich oder konkludent – im Laufe des Verfahrens darauf einigen, die Invaliditätsbemessung nicht von den z.Z. der Regulierungsentscheidung vorliegenden Tatsachen (in der Regel dem Gesundheitszustand der versicherten Person am Ende eines Jahres nach dem Unfall) abhängig zu machen, sondern auch später eingetretene Umstände einzubeziehen, die maximal bis zum Ablauf der Dreijahresgrenze erkennbar werden (vgl. Rn. 26 f.). Entlässt der VR den VN aus der an sich gegebenen Notwendigkeit, zunächst außergerichtlich eine Neubemessung zu verlangen, so wäre es inkonsequent, wenn der VN stets die Kosten des Rechtsstreits tragen müsste.
II. Handlungsmöglichkeiten des VR 53
Das Verhalten des VN hat keinen Einfluss auf das Neubemessungsrecht des VR. Der VN kann durch eine Klage gegen die Erstfeststellung oder eine Klage vor Ablauf der
110
BGH 23.9.1992 VersR 1992 1503, 1504 = NJW-RR 1993 201, 202; BGH 13.4.1988 VersR 1988 798; s.a. BGH 12.11.1997 RuS 1998 80; ferner Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 98.
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111
LG Düsseldorf 2.6.2004 VersR 2005 1277; Jacob VersR 2005 1341, 1344.
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Neubemessung der Invalidität
§ 188
Neubemessungsfrist nicht das Recht des VR auf Neubemessung unterlaufen,112 sofern sich der VR dieses Recht im Prozess vorbehalten hat. Klagt z.B. der VN nach einer grundsätzlichen Leistungsverweigerung des VR auf Feststellung, dass ein Invaliditätsanspruch (dem Grund nach oder in bestimmter Höhe) bestehe, und hat sich der VR im Verfahren das Recht auf Neubemessung der Invalidität (ausdrücklich oder konkludent) vorbehalten (Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 16), so ist der Vorbehalt in den Tenor des Feststellungsurteils aufzunehmen. Es handelt sich bei der Einschränkung des Feststellungsanspruchs um eine Teilabweisung der Klage, so dass § 308 ZPO nicht berührt ist.113 Übt nur der VN das Neubemessungsrecht aus, so hat dies nicht zur Folge, dass der VR an die vom VN vorgelegte ärztliche Neubemessung gebunden ist.114 Vielmehr bleibt sein Bestreiten einer höheren als der von ihm anerkannten Invalidität nach wie vor beachtlich. Der VN muss für seine Behauptung einer höheren Invalidität den Beweis führen (Rn. 54).115
III. Beweislast Jede Partei muss die ihr günstigen Tatsachen darlegen und im Bestreitensfall be- 54 weisen. Daraus folgt, dass der VN die Beweislast für seine Behauptung trägt, es sei eine höhere als vom VR anerkannte Invalidität innerhalb der Dreijahresfrist eingetreten.116 Dazu ist eine konkrete Beschreibung der Verschlechterung notwendig; Pauschalbehauptungen genügen nicht.117 Umgekehrt muss der VR den Beweis für die Behauptung führen, die Neubemessung der Invalidität ergebe einen geringeren Invaliditätsgrad als zunächst angenommen. Ist es zu einer Fristversäumnis gekommen und kann deshalb keine Neubemessung mehr erfolgen, so ist im Regelfall auf die Tatsachen in den fristgerechten oder vom VR als fristwahrend anerkannten ersten Invaliditätsfeststellungen abzustellen (Rn. 12). Macht einer der Vertragspartner geltend, diese Mitteilungen erlaubten (noch) eine andere Beurteilung des seinerzeitigen Invaliditätsgrades, oder behauptet er, sie entsprächen nicht dem seinerzeit tatsächlich gegebenen Gesundheitszustand der versicherten Person, so trägt der jeweils Vortragende die Beweislast dafür, wie der Zustand der versicherten Person tatsächlich beschaffen war und welchen Invaliditätsgrad er bedingt.118
112
113 114 115
OLG Hamm 14.7.1995 VersR 1996 1402, 1403 = RuS 1995 478, 479; OLG Köln 19.1.1989 RuS 1989 134, 135; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 11 AUB 94 Rn. 8. OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388. A.A. offenbar Wussow/Pürckhauer 6 § 11 Rn. 33. BGH 16.7.2003 VersR 2003 1165, 1166 = RuS 2003 378 379; BGH 4.5.1994 VersR 1994 971, 972 = RuS 1994 356, 357;
116
117 118
Kessal-Wulf RuS 2008 313, 320; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 67. BGH 16.7.2003 VersR 2003 1165, 1166; OLG Frankfurt/M. 16.10.2003 RuS 2004 338; LG Düsseldorf 2.10.1987 NJW-RR 1988 281 (LS). OLG Hamm 24.10.2007 VersR 2008 913, 914 = RuS 2008 163, 164. BGH 4.5.1994 VersR 1994 971, 973 = RuS 1994 356, 358; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 27.
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§ 189
Kapitel 7: Unfallversicherung
§ 189 Sachverständigenverfahren, Schadensermittlungskosten Die §§ 84 und 85 Abs. 1 und 3 sind entsprechend anzuwenden. Übersicht Rn. A. B. C. I.
Einführung . . . . . . . . Sachverständigenverfahren Schadensermittlungskosten Anspruchsberechtigter . .
. . . .
. . . .
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. . . .
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Rn.
1 4 5 6
II. III. D. E.
Anspruchsvoraussetzungen . . Anspruchsinhalt . . . . . . . . Speziellere AVB . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . .
. . . .
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7 10 12 13
A. Einführung 1
Der im Zuge der VVG-Reform 2008 neu gefasste § 189 bringt inhaltlich keine Änderungen mit sich. In den Materialien wird nicht näher erläutert, weshalb der Rechtsgrundverweis auf §§ 84, 85 die Vorschrift des § 85 Abs. 2 (§ 66 Abs. 2 a.F.) ausnimmt. Hintergrund ist offenbar, dass die AUB (Ziff. 9.1 AUB 99/2008) seit jeher Regelungen zur Erstattung von Sachverständigenkosten beinhalten. Einen eigenständigen unfallspezifischen Regelungsgehalt weist § 189 nicht auf. Schadensermittlungen und -feststellungen können mit notwendigen Kosten verbunden 2 sein, die neben den durch den Versicherungsfall verbundenen Folgen zu weiteren Vermögensnachteilen beim VN führen. Der in §§ 189, 85 Abs. 1 vorgesehene Kostenausgleich dient im Interesse des VN dem Ausgleich dieser Nachteile.1 Sein Versicherungsschutz soll gerade bei geringen Versicherungssummen nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass er die u.U. beträchtlichen Kosten der Schadensermittlung selbst tragen muss.2 Vielmehr soll er auch im Hinblick auf seine gebotenen Aufwendungen so gestellt werden, wie vor Eintritt des Versicherungsfalls.3 Bisher war das Sachverständigenverfahren und die Erstattung von Ermittlungskosten 3 in §§ 184 und 185 Abs. 1 a.F. normiert. Diese Vorschriften glichen die Rechtslage für die Unfallversicherung weitgehend an die für die Schadenversicherung geltenden Regelungen in §§ 64 und 66 a.F. an. Statt der bisher vorhandenen „Doppelregelung“ in §§ 184 und 185 Abs. 1 a.F. mit konkretisierenden Textpassagen, die z.T. Formulierungen der §§ 64, 66 a.F. wiederholten, hat der Gesetzgeber nunmehr mit § 189 eine schlichte Verweisungstechnik gewählt. Die Vorschriften der §§ 84 und 85 Abs. 1 und 3, die allgemein die Schadenversicherung betreffen, werden für die Unfallversicherung einfach für entsprechend anwendbar erklärt. Aus diesen Kürzungen im VVG 2008 resultieren im Vergleich zum bisherigen Recht keine wesentlichen materiell-rechtlichen Veränderungen.4 §§ 84, 85 gelten für die Unfallversicherung unmittelbar, soweit sie Schadenversicherung ist. Soweit die Unfallversicherung als Summenversicherung ausgestaltet ist, kommen §§ 84 und 85 Abs. 1 und 3 über § 189 zur Anwendung. 1 2
Grewing Unfallversicherung S. 73; Rüffer/ Halbach/Schimikowski § 85 Rn. 1. BGH 3.3.1982 VersR 1982 482, 483 = NJW 1982 1391, 1392; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 9; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 189 Rn. 5.
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3 4
Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/Neuhaus § 85 Rn. 1. Begründung RegE BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 81 und 109.
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Sachverständigenverfahren, Schadensermittlungskosten
§ 189
B. Sachverständigenverfahren Das in §§ 189, 84 geregelte Sachverständigenverfahren erlangt in der Unfallversiche- 4 rung keine praktische Bedeutung. Zwar war ein Ärzteausschussverfahren lange Zeit bis zur Einführung der AUB 88 in der Unfallversicherung üblich.5 Typischerweise wird jedoch in den neueren AUB-Generationen nicht (mehr) vorgesehen, dass einzelne Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder die Höhe der Leistungspflicht durch Sachverständige (mit bindender Wirkung für die Parteien) festgestellt werden sollen: • Bis zur Einführung der AUB 61 hatte ausschließlich eine Ärztekommission zu entscheiden, wenn es um Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder zur Frage ging, ob und in welchem Umfang der eingetretene Gesundheitsschaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen war. Das ordentliche Gericht sollte dagegen für die sonstigen Streitfragen zuständig sein.6 Indes durfte der Rechtsschutz der versicherten Person nicht über Gebühr beschränkt werden. So wahrte eine Klausel, die die ausschließliche Zuständigkeit eines Ärzteausschusses für die Entscheidung darüber vorsah, ob und in welchem Umfang der Tod auf den Unfall zurückzuführen war, die Belange der versicherten Person nicht ausreichend.7 • Die AUB 61 sahen in § 128 vor, dass das ordentliche Gericht nicht nur für „allgemeine Streitfragen“, sondern wahlweise neben dem Ärzteausschuss auch für die Klärung der unfallspezifischen Fachfragen zuständig sein sollte. Bei dem Ärzteausschuss- bzw. Sachverständigenverfahren handelte sich um ein Schiedsgutachter- und kein Schiedsgerichtsverfahren i.S.d. §§ 1025 ff. ZPO.9 Ziff. 12 Abs. 1 AUB 61 enthielt Regelungen zur Zuständigkeit des Ärzteausschusses und zu Fristen, innerhalb derer der Ausschuss oder das Gericht anzurufen waren. In § 12 Abs. 2 AUB 61 wurden sodann Klauseln zur Zusammensetzung des Ärzteausschusses, dem Verfahren vor dem Ärzteausschuss und den Kosten des Ärzteausschussverfahrens10 dargestellt. Die (Un-)Verbindlichkeit der Entscheidung des Ärzteausschusses beurteilte sich nach § 184 a.F. Danach waren vom Ärzteausschuss getroffene Feststellungen nicht verbindlich, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abwichen. • Seit Einführung der AUB 88 wird ein Ärzteausschussverfahren nicht mehr vorgesehen. Der Zweck des Verfahrens, Meinungsverschiedenheiten schnell und verbindlich zu klären, war nicht erreicht worden; denn das Ärzteausschussverfahren hatte sich in der Praxis als zu kompliziert, langwierig und oft sehr kostenaufwendig erwiesen und wurde deshalb kaum noch in Anspruch genommen.11 Vielmehr zeigte sich die Tendenz, dass Entscheidungen des Ärzteausschusses nochmals einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen wurden, obwohl eine Feststellung durch Urteil in § 184 Abs. 1 a.F. nur für den Fall vorgesehen war, dass das Ergebnis des Sachverständigenverfahrens von der wirklichen Sachlage erheblich abwich. Aus diesen Gründen entschlossen sich die Bedingungsgeber, die Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten zwischen VN und VR nur noch den ordentlichen Gerichten zu überlassen.12
5
6 7
8
9
S. dazu etwa Grewing Entstehungsgeschichte S. 50 ff.; ferner etwa zu § 7 der Verbandsbedingungen von 1904 Gerhard/Hagen S. 754 ff. Dazu etwa Wüstney § 12 Anm. 2 f. BVerwG 22.11.1960 VerBAV 1961 65 ff.; Beschlusskammer-Entscheidung VerBAV 1958 35 ff. VerBAV 1984 10, 14; näher Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 36 ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 298 ff. BVerwG 24.5.1960 VersR 1961 145, 146 f.; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 34; allgemein
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zur Abgrenzung zwischen Schiedsvertrag und Schiedsgutachterabrede s. etwa BGH 25.6.1952 BGHZ 6 355, 338 ff. Zur Unwirksamkeit einer Kostenregelung für ein Ärztekommissionsverfahren, die den Bestimmungen der ZPO nachgebildet ist, siehe OGH 12.12.2007 VersR 2009 662, 663, 664. VerBAV 1987 417; Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 35; Reichenbach S. 149 f.; Wussow/ Pürckhauer 6 § 11 Rn. 43. Konen/Lehmann S. 57.
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§ 189
Kapitel 7: Unfallversicherung
Sofern die Parteien – abweichend von den Musterbedingungen in den AUB 88/94/99/2008 – ein Sachverständigenverfahren vereinbart haben sollten, findet § 84 über § 189 entsprechende Anwendung. Fälle der Befangenheit eines Sachverständigen werden in § 84 nicht geregelt. Es gelten die allgemeinen Grundsätze bei Schiedsgutachterverfahren.13
C. Schadensermittlungskosten 5
Gemäß § 189 i.V.m. § 85 Abs. 1 S. 1 (§ 185 Abs. 1 a.F.) hat der VR dem VN die Kosten, die durch die Ermittlung und Feststellung des von ihm zu ersetzenden Schadens entstehen, insoweit zu erstatten, als ihre Aufwendung den Umständen nach geboten war. Weitere Ansprüche des VN gegen den VR können sich aus §§ 677 ff. und §§ 675, 670 BGB ergeben.14
I. Anspruchsberechtigter 6
§§ 189, 85 Abs. 1 S. 1 begründet nur einen Anspruch für den VN. Einen Erstattungsanspruch des VR gegen den VN sieht das VVG dagegen nicht vor; denn Schadensermittlungskosten des VR sind im Regelfall mit der Prämie des VN abgegolten. Ausnahmsweise kann sich eine prozessuale Erstattungspflicht des VN gegenüber dem VR aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO ergeben (Anh. Ziff. 16 AUB 2008 Rn. 52 ff.). Fernerhin kommt in materiell-rechtlicher Hinsicht in Betracht, dass der VN dem VR aus § 280 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder § 826 BGB (ggf. unter Berücksichtigung von § 254 BGB) schadenspflichtig ist, etwa weil dem VR Kosten für überobligatorische Ermittlungen entstanden sind, die notwendig wurden, um eine Leistungspflicht für einen vorgetäuschten Versicherungsfall bzw. einen Betrug des VN (§ 263 StGB) abzuwehren.15
II. Anspruchsvoraussetzungen 7
Zunächst setzt der Kostenerstattungsanspruch voraus, dass überhaupt ein Unfall vorliegt, für den der VR leistungspflichtig ist. Der VR muss grundsätzlich keine Kosten erstatten, wenn er aufgrund einer Ausschlussklausel, einer Mitwirkungsklausel oder einer Obliegenheitsverletzung leistungsfrei ist. Ausnahmen greifen allerdings ein, wenn der VR die Übernahme der Kosten ausdrücklich oder konkludent durch AGB (wie in Ziff. 9.1 AUB 99/2008) oder Individualvereinbarungen zugesagt hat. Weiterhin müssen dem VN Kosten durch die Ermittlung und Feststellung des Unfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht des VR entstanden sein. Die Begriffe „Ermittlung“ und „Feststellung“ sind nicht gleichbedeutend, lassen sich aber auch nicht scharf voneinander abgrenzen.16
13 14 15
Begründung RegE zu § 84, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 81. Prölss/Martin/Voit/Knappmann 27 § 66 Rn. 2. OLG Hamburg 19.2.1988 VersR 1988 482, 483; OLG Oldenburg 11.2.1991 VersR 1992
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16
1150, 1151; OLG Saarbrücken 23.11.2005 VersR 2006 644, 647; LG Hannover 19.3.1980 VersR 1981 928; AG Bielefeld 18.8.2006 NJW-RR 2006 1688. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 13.
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Sachverständigenverfahren, Schadensermittlungskosten
§ 189
• Unter „Ermittlung“ werden notwendige Tätigkeiten verstanden, die dazu dienen, den Unfall in seinem äußeren Ablauf als „technischen Sachverhalt“ zu erkennen und zu verstehen.17 Hierzu zählt etwa die Beschaffung von Kenntnissen zu den näheren Umständen am Unfallort, zur Unfallzeit, des Unfallhergangs (z.B. Ermittlung und Benennung von Unfallzeugen, Anforderung von Aktenmaterial der Polizei oder Staatsanwaltschaft).18 • Der Begriff „Feststellung“ umfasst Tätigkeiten, die der VN intern und in schriftlichen oder mündlichen Verhandlungen mit dem VR entfaltet, um den Unfall und die Leistungspflicht des VR nach Grund und Höhe unstreitig zu stellen.19 Erfasst werden Kosten für Urkunden (z.B. Sterbeurkunden) oder Atteste bzw. Zeugnisse, mit denen die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs bewiesen werden.20
Aufwendungen zur Abwendung und Minderung des Schadens (wie z.B. Aufwendun- 8 gen für die ärztliche Behandlung oder Medikamente) sind vom VR nicht zu tragen, sofern es um summenmäßige Ansprüche aus der Unfallversicherung geht; denn für diese ist § 83 (vgl. auch § 63 a.F.) nicht anwendbar. § 83 findet nur für die Unfallversicherung als Schadenversicherung Anwendung, also etwa im Fall der Vereinbarung von Heilungskosten. § 189 verweist nicht auf § 85 Abs. 2 (§ 66 Abs. 2 a.F.). Daraus folgt, dass die Ein- 9 schränkung der Kostenerstattung bei Zuziehung eines Sachverständigen oder eines Beistandes durch den VN für die Unfallversicherung nicht gelten soll. Dies entspricht dem bisherigen Recht.21
III. Anspruchsinhalt Der VR hat dem VN die Kosten „insoweit zu erstatten, als ihre Aufwendung den 10 Umstanden nach geboten war“. Aus den Worten „den Umständen nach“ ergibt sich, dass hier eine einzelfallbezogene Betrachtung notwendig ist. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen.22 Unzureichend ist es, wenn der VN die ergriffenen Maßnahmen ohne leichte Fahrlässigkeit für geboten halten durfte.23 Kosten für Aufwendungen, die auf Weisungen des VR beruhen, sind stets geboten.24 Abstrakt wird sich im Übrigen sagen lassen, dass alle Aufwendungen des VN „geboten“ sind, die zum Zeitpunkt ihrer Verursachung in der Sache erforderlich und in der Höhe verhältnismäßig sind,25 um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der VR seiner Erklärungspflicht nach § 187 Abs. 1 nachkommen kann. Kosten die beim VN anfallen, um die „erforderlichen Unterlagen“ i.S.v. § 187 zu beschaffen, sind damit vom VR zu erstatten. Abzugrenzen sind davon überobligatorische Anstrengungen des VN. • Beschafft der Anspruchsteller etwa vorsorglich Beweismittel, obwohl der VR die Darstellung des Unfallhergangs und die geltend gemachten Unfallfolgen noch gar nicht bestritten hat, so trifft den VR keine Erstattungspflicht. Entsprechendes gilt grundsätzlich, wenn der Anspruchsteller Kosten zur Tatsachenbeschaffung produziert, für die er gar nicht die Darlegungs- und Beweislast trägt.
17
18 19 20 21
Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/Neuhaus § 85 Rn. 6; Prölss/Martin/Voit/Knappmann 27 § 66 Rn. 6. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 14. Rüffer/Halbach/Schimikowski § 85 Rn. 3; Prölss/Martin/Voit/Knappmann 27 § 66 Rn. 7. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 15. Begründung RegE zu § 189, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 109.
22 23 24 25
OGH 12.12.2007 VersR 2009 662, 663. Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 16; Prölss/Martin/Voit/Knappmann 27 § 66 Rn. 11. Rüffer/Halbach/Schimikowski § 85 Rn. 4. Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/Neuhaus § 85 Rn. 8.
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§ 189
Kapitel 7: Unfallversicherung
Hier kommt nur dann eine Erstattungspflicht des VR in Betracht, wenn der VR ausdrücklich oder konkludent eine Kostenübernahme zugesagt hat (z.B. weil der Anspruchsteller auf Weisung bzw. Veranlassung des VR tätig geworden ist) oder sich der VR bei einer Ablehnung der Kostenübernahme treuwidrig verhalten würde (etwa weil er die vom VN beschafften Unterlagen für die eigene Beweisführung nutzt). • Die Beauftragung eines Rechtsanwalts vor Fälligkeit der begehrten Unfallversicherungsleistung ist nicht geboten. In diesem Fall besteht auch kein Anspruch aufgrund Verzugs des VR.26 Rechtsanwaltskosten können jedoch dann erstattungsfähig sein, wenn die Einschaltung des Anwalts kraft gesetzlicher Vorschrift (vgl. § 385 Abs. 3 StPO) zwingend erforderlich ist, um einen notwendigen Beweis zu beschaffen oder eine notwendige Ermittlungshandlung zu veranlassen.27
11
Der VR hat gemäß §§ 189, 85 Abs. 1 S. 2 die Kosten des VN auch insoweit zu erstatten, als sie zusammen mit der eigentlichen Hauptleistung (z.B. Invaliditätsleistung) die Versicherungssumme übersteigen. Die Vorschrift ist indes abdingbar (Rn. 12). Nach §§ 189, 85 Abs. 3 kann der VR im Fall einer berechtigten Leistungskürzung auch den Kostenersatz entsprechend kürzen. Ist der VR infolge einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung nach Ziff. 7, 8 und 13 AUB 2008 zur Quotelung berechtigt, so schlägt das Leistungskürzungsrecht in der Hauptsache auch auf die Kostenerstattung durch.
D. Speziellere AVB 12
Abweichende Vereinbarungen zu § 189 sind im bisherigen Umfang zulässig.28 In § 191 ist § 189 nicht erwähnt. Allerdings ergibt sich aus § 87, dass abweichende Vereinbarungen von § 84 Abs. 1 S. 1 nicht zum Nachteil des VN möglich sind. Für § 84 Abs. 1 S. 2 und 3 sowie Abs. 2, § 85 Abs. 1 und 3 besteht diese Einschränkung nicht. Ein vollständiger Ausschluss eines Kostenersatzes durch AGB, der den Versicherungsschutz aushöhlen würde, wäre jedoch nach § 307 BGB unwirksam.29 Fernerhin dürfen formularmäßige Kostenregelungen nicht im wirtschaftlichen Ergebnis einen „verhüllten Selbstbehalt“ begründen.30 Des Weiteren kann sich der VR auf eine Vereinbarung über die Teilung der Kosten des Sachverständigenverfahrens nur dann berufen, wenn er vorher den VN über die Rechtslage aufgeklärt hat oder wenn der VN bei Abschluss der Vereinbarung erwiesenermaßen die Rechtslage kannte, die ohne die Vereinbarung bestanden hätte.31 Neben § 189, 85 Abs. 1 und 3 sind – je nachdem, welche AUB-Generation vereinbart ist – folgende Kostenregelungen zu beachten:
26 27 28 29
S. nur AG Recklinghausen 25.5.1987 VersR 1988 1177 (LS). Grimm 4 Ziff. 9 AUB 99 Rn. 16. Begründung RegE zu § 189, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 110. Begründung RegE zu § 85 Abs. 1, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 81.
466
30
31
BGH 3.3.1982 VersR 1982 482, 483 f. = NJW 1982 1391, 1392 f.; eingehend Kuhn VersR 1983 316 ff. BGH 4.5.1988 VersR 1988 682 f.
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§ 189 Anh
Einsichtsrecht in ärztliche Stellungnahmen Stichwort
AUB 99/2008
AUB 88/94
AUB 61
Ärztliche Gebühren und Erstattung des Verdienstausfalls infolge Untersuchung der versicherten Person (Beauftragung durch den VR)
Ziff. 7.3 S. 2
§ 9 Abs. 4 S. 2
§ 9 i.V.m. § 15 Abs. 2 Nr. 6
Ärztliche Gebühren zur Begründung des Leistungsanspruchs (Beauftragung durch den VN)
Ziff. 9.1 S. 3
§ 11 Abs. 1 § 9 S. 2
Entscheidung durch Ärzteausschuss
–
–
§ 12 Abs. 2 Nr. 3
Die vorstehenden Regelungen sind wirksam und verstoßen nicht gegen AGB-Recht. Dies gilt insbesondere auch für sog. Staffelregelung (Ziff. 9.1 AUB 2008 Rn. 17).
E. Verfahrensfragen Derjenige, der die Unverbindlichkeit sachverständiger Feststellungen nach § 84 geltend 13 macht, ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die im Sachverständigenverfahren getroffenen Feststellungen offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen.32 Der VN trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Ermittlungs- und/oder Feststellungskosten i.S.v. § 85 Abs. 1 den Umständen nach geboten waren.33 Der VR hat dagegen darzulegen und zu beweisen, dass er zur Leistungskürzung nach §§ 189, 85 Abs. 3 berechtigt ist.34
Anhang zu § 189 Einsichtsrecht in ärztliche Stellungnahmen Übersicht Rn. A. B. I. II. III.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsichtsrecht der versicherten Person . . . Anspruch aus § 202 analog . . . . . . . . Anspruch aus § 810 BGB . . . . . . . . . Anspruch aus § 242 BGB . . . . . . . . . 1. Sachverhaltsklärung im Rechtsverhältnis zwischen Anspruchsteller und VR . . .
Rn.
1 2 3 4 5
2. Ungewissheit des Anspruchstellers 3. Möglichkeit und Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den VR . C. Einsichtsrecht Dritter . . . . . . . . D. Prozessuales . . . . . . . . . . . . .
. . .
7
. . . 8 . . . 11 . . . 13
6
A. Einleitung Der VR hat im Normalfall keinen Anspruch darauf, Gutachten einzusehen, die sich 1 der Anspruchsteller im Interesse seiner Rechtsverfolgung beschafft. In der Praxis werden 32
33
OLG Köln 15.2.1993 RuS 1993 318 = VersR 1994 44 (LS); Rüffer/Halbach/Schimikowski § 189 Rn. 7. Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/Neuhaus § 85 Rn. 19.
34
Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/Neuhaus § 85 Rn. 20.
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§ 189 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
dem Anspruchsteller günstige Gutachten aber spätestens in einer gerichtlichen Auseinandersetzung vorgelegt. Dagegen ist der versicherten Person (nicht sonstigen Dritten) im Regelfall ein Einsichtsrecht in Gutachten einzuräumen, die der VR nach Maßgabe von Ziff. 7.3 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 4 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 6 AUB 61) unter Mitwirkung der versicherten Person eingeholt hat und die für die Leistungsentscheidung des VR maßgeblich sind. Unberücksichtigt bleiben dabei datenschutzrechtliche Erwägungen (vgl. § 34 BDSG)
B. Einsichtsrecht der versicherten Person 2
Einerseits ist der VR nach Untersuchungen der versicherten Person nicht verpflichtet, von sich aus die erhobenen Befunde dem VN bzw. der versicherten Person zur Verfügung zu stellen.1 Eine solche Verpflichtung ergibt sich weder aus den Versicherungsbedingungen noch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB.2 Auch ist der VR nicht zur Offenlegung der gesamten Korrespondenz verpflichtet, die er mit Dritten (z.B. dem beauftragten Arzt) über die versicherte Person geführt hat.3 Andererseits ist die versicherte Person berechtigt, vom VR das Ergebnis der durchgeführten Begutachtungen zu erfahren und das Gutachten einzusehen bzw. ein Gutachtendoppel anzufordern.4
I. Anspruch aus § 202 analog 3
Ein gesetzlich geregelter Auskunftsanspruch existiert für die Unfallversicherung nicht. Lediglich für die Krankenversicherung sieht § 202 (§ 178m a.F.) vor, dass der VR auf Verlangen der versicherten Person verpflichtet ist, bestimmten Personen Auskunft über und Einsicht in Gutachten oder Stellungnahmen zu geben, die er bei Prüfung seiner Leistungspflicht eingeholt hat. Zweifelhaft ist, ob eine analoge Anwendung der Vorschrift auf weitere Personenversicherungen wie die Unfallversicherung oder Berufsunfähigkeitsversicherung oder auch Sachversicherungen wie z.B. die Hausratversicherung 5 in Betracht kommt. Zwar mag die in § 202 geregelte Interessenlage durchaus auf die Leistungsregulierung in der Unfallversicherung übertragbar und im Hinblick auf das grundgesetzlich geschützte informationelle Selbstbestimmungsrecht zur Herstellung von „Waffengleichheit“ zwischen den Vertragsparteien nahe liegend sein, jedoch sind die Hürden für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke hoch. In den Materialien zu § 202 6 findet sich einerseits kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber den Auskunftsanspruch des VN bzw. der versicherten Person gegen den VR in der Krankenversicherung (lediglich klarstellend) als allgemeinen und für alle Personenversicherungen geltenden Rechtsgedanken normieren wollte. Anderseits lässt die knappe Begründung zu § 202 nicht den eindeutigen Umkehrschluss zu, dass der gesetzliche Auskunftsanspruch abschließend einer speziellen Interessenlage in der Krankenversicherung Rechnung trägt. Dennoch ver-
1 2 3 4
A.A. offenbar Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 9. OLG Karlsruhe 19.7.2001 VersR 2002 1549. GB BAV 1978 74, 75 Nr. 816. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 16: Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 17; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 166; Beckmann/
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5 6
Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 145; so auch GB BAV 1978 74, 75 Nr. 816. Bejahend offenbar OLG Saarbrücken 14.10.1998 VersR 1999 750, 752. Begründung RegE zu § 202, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 113.
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Einsichtsrecht in ärztliche Stellungnahmen
§ 189 Anh
bleibt Skepsis, ob dem Gesetzgeber sowohl in § 178m a.F. als auch in § 202 ein Redaktionsversehen über den Anwendungsbereich des Auskunftsanspruchs unterstellt werden kann. Ausnahmeregelungen sind grundsätzlich eng auszulegen.7 Interessengerechte Lösungen lassen sich auch über das allgemeine Zivilrecht erreichen.
II. Anspruch aus § 810 BGB Umstritten ist, ob § 810 BGB als Anspruchsgrundlage herangezogen werden kann.8 4 Das Vorliegen der Voraussetzungen der Vorschrift wird sich nicht immer zweifelsfrei bejahen lassen: • Die versicherte Person hat ein rechtliches Interesse daran, die im Besitz des VR befindlichen Gutachten und Berichte einzusehen.9 Könnte ihr die Einsichtnahme verweigert werden, wäre der VN nicht in der Lage, Einwände gegen die Befunde vorzubringen und ggf. eine weitere Begutachtung (insbesondere im Rahmen von § 188) zu veranlassen. Zweifelhaft ist dagegen, ob ein schutzwürdiges Interesse des Anspruchstellers anzuerkennen ist, wenn er das Gutachten nicht zur Klärung seiner Rechtsbeziehung mit seinem Vertragspartner, sondern gegenüber Dritten (z.B. einem Haftpflichtversicherer) einsetzen will. Es stünde zu befürchten, dass der Sachverständige Rückfragen und Angriffen durch ihm unbekannte Personen ausgesetzt würde und deshalb eine weitere Zusammenarbeit mit dem VR ablehnen könnte.10 • Bei den Gutachten und Berichten handelt es sich häufig um Urkunden, die zumindest auch im Interesse der versicherten Person errichtet worden sind.11 Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass die fachärztliche Stellungnahme (auch) dem Anspruchsteller als Beweismittel oder der Förderung der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien dienen soll. Häufig klärt der vom VR beauftragte Sachverständige auch Fragen (z.B. zum Unfallereignis, zur Gesundheitsschädigung, zu den Unfallfolgen und zur Kausalität), für die der Anspruchsteller die Beweislast trägt. Schwieriger wird die Beurteilung, wenn das Gutachten (primär) den Zweck verfolgt, dem VR eine Leistungsablehnung bzw. -kürzung oder Vertragsbeendigung zu ermöglichen, weil es z.B. die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung widerlegen oder Ausschlusstatbestände, eine arglistige Täuschung, eine Obliegenheitsverletzung bzw. die Mitwirkung von Krankheiten begründen soll. Hier liegt die Annahme nahe, dass die Urkunde gerade nicht im Interesse des Anspruchstellers errichtet wurde.12
III. Anspruch aus § 242 BGB Wird die Anwendung von § 810 BGB abgelehnt, so trifft den VR jedenfalls die neben- 5 vertragliche Pflicht aus § 242 BGB, der versicherten Person zur Klärung der Rechtslage zwischen VN und VR die Möglichkeit zu geben, über sie erstellte Gutachten zur Kennt7 8
Jestaedt VersR 1999 753, 754. Befürwortend Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 16; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 17; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 145; Naumann/ Brinkmann § 6 Rn. 15; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 9; ablehnend LG Stade 23.1.1953 VersR 1953 154, 155; LG Hamburg 6.1.1951 VersR 1951 46, 47; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 53; s.a. RG 10.2.1932 RGZ 135 188, 192; LG Hamburg 4.6.1981 VersR 1982 997;
9 10 11 12
offen lassend OLG Karlsruhe 26.4.2005 RuS 2005 385, 386 mit zustimmender Anm. Wälder; OLG Saarbrücken 14.10.1998 VersR 1999 750, 752 mit ablehnender Anm. Jestaedt. A.A. wohl RG 10.2.1932 RGZ 135 188, 192. LG Hamburg 4.6.1981 VersR 1982 997. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 16; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 21. So OLG Frankfurt/M. 28.5.1991 VersR 1992 224 = VerBAV 1992 178, 179.
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Kapitel 7: Unfallversicherung
nis zu nehmen.13 Die versicherte Person befindet sich in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang ihres Rechts im Ungewissen und der VR kann die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben. Allein der Umstand, dass das Gutachten vom VR bezahlt und sein Eigentum ist, steht dem Anspruch nicht entgegen.14 1. Sachverhaltsklärung im Rechtsverhältnis zwischen Anspruchsteller und VR
6
Die Auskunft muss der Vorbereitung und Durchsetzung eines Hauptanspruchs zwischen Anspruchsteller und VR dienen. Dies ist nicht der Fall, wenn der VN des VR Einsicht in ärztliche Berichte verlangt, um mit Hilfe dieser Stellungnahmen Ansprüche gegenüber Dritten (z.B. einen Haftpflichtversicherer) zu verfolgen.15 2. Ungewissheit des Anspruchstellers
7
Die Auskunft begehrende Person muss in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang ihres Rechts im Ungewissen und außer Stande sein, sich die Informationen selbst auf zumutbare Weise zu beschaffen. Der Gutachteneinsicht lässt sich daraufhin entgegenhalten, dass der Anspruchsteller selbst eine Begutachtung durchführen lassen kann. Dem ist indes – jedenfalls in dieser Allgemeinheit – nicht zu folgen. Die Einholung eines eigenen Gutachtens durch den Anspruchsteller kann zum einen unmöglich sein, etwa weil die versicherte Person inzwischen verstorben ist. Zum anderen kann die Beauftragung eines Sachverständigen für den Anspruchsteller unzumutbar sein. So können (gerade bei medizinisch komplexen Sachverhalten) insbesondere die für die Einholung einer sachverständigen Stellungnahme anfallenden Kosten zu einer finanziellen Belastung führen, die geeignet ist, den Anspruchsteller von eigenen Erhebungen abzuhalten, weil sie zu teuer16 und auch nicht durch Ziff. 9.1 AUB 99/2008 (ausreichend) abgedeckt ist.17 3. Möglichkeit und Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den VR
8
Die Auskunftserteilung durch den VR ist im Regelfall möglich und insbesondere auch zumutbar; denn der mit der Auskunftserteilung verbundene Arbeitsaufwand (Erstellung und Versendung einer Durchschrift bzw. Kopie) ist gering. Dagegen lässt sich nicht argumentieren, dass nach allgemeinem Zivilprozessrecht niemand verpflichtet ist, seinem Prozessgegner unter Zurückstellung eigener Interessen Informationen an die Hand zu geben, die u.U. für den eigenen Prozesserfolg nachteilig sein können.18 Ein solches Verständnis trägt dem Zweck des Unfallversicherungsvertrages nicht ausreichend Rechnung. Der im Zivilprozess herrschende „Zweikampfcharakter“ lässt sich auf die außergerichtliche Leistungsregulierung nicht übertragen. Die durch den VR zur Prüfung seiner Leistungspflicht eingeholten ärztlichen Stellungnahmen dienen dazu, die Berechtigung des An-
13
14 15 16
OLG Frankfurt/M. 28.5.1991 VersR 1992 224 f. = VerBAV 1992 178, 179 f.; GB 1990 96, 97 Nr. 9.2.5. Berliner Kommentar/Hohlfeld § 178m Rn. 2. LG Hamburg 4.6.1981 VersR 1982 997. OLG Frankfurt/M. 28.5.1991 VersR 1992 224, 225.
470
17
18
S.a. OLG Karlsruhe 26.4.2005 RuS 2005 385, 386; OLG Saarbrücken 14.10.1998 VersR 1999 750, 752. A.A. Jestaedt VersR 1999 753, 754; s.a. RG 10.2.1932 RGZ 135 188, 192.
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Einsichtsrecht in ärztliche Stellungnahmen
§ 189 Anh
spruchs dem Grunde und der Höhe nach bzw. die Voraussetzungen und die Höhe der Leistung des VR objektiv und wahrheitsgemäß festzustellen.19 Das entspricht dem beiderseitigen Interesse redlicher und vernünftiger Vertragsparteien. Ziel des Gutachtenauftrags ist im Regelfall gerade nicht die reine (einseitig) interessenorientierte Vorbereitung der Rechtsverteidigung des VR im Prozess. Vielmehr soll der Sachverständige ergebnisoffen und neutral Hilfestellung geben. Widerlegt sein Gutachten dem Anspruch entgegenstehende Verdachtsmomente, so profitiert hiervon der Anspruchsteller, da sich der VR nicht über überzeugende gutachterliche Feststellungen (willkürlich) hinwegsetzen wird. Kommt der Gutachter umgekehrt zu Ergebnissen, die für den VN nachteilig sind, so kann die Überlassung der Stellungnahme dazu beitragen, dem VN die Leistungsablehnung oder -kürzung verständlich zu machen und weiteren Streit zu vermeiden. Des Weiteren kann nicht eingewandt werden, dass eine uneingeschränkte Einsichtgewährung in fremde Unterlagen oder eine umfassende Vorlagepflicht gegen das Verbot des Ausforschungsbeweises verstoße. Eine solche Argumentation vernachlässigt folgende Überlegungen: Für die ordnungsgemäße Leistungsregulierung hat der VN u.U. über Jahre als Gegenleistung Versicherungsbeiträge gezahlt.20 Es wäre ihm kaum verständlich zu machen, dass er keine Einsicht in über ihn erstellte Gutachten nehmen kann, gerade wenn sie seinem Leistungsanspruch entgegenstehen. Weiterhin wäre es widersprüchlich, der versicherten Person zum einen die Obliegenheit aufzuerlegen, sich ärztlichen Untersuchungen zu stellen (Ziff. 7.3 AUB 99/2007, § 9 Abs. 4 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 6a AUB 61), und ihr zum anderen die Information über das Untersuchungsergebnis und seine Begründung zu verweigern.21 Eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG) wäre die Folge.22 Die obliegenheitstreue versicherte Person darf vom VR erwarten, in einen Kenntnisstand versetzt zu werden, der es ihr erlaubt, das Prozessrisiko abschätzen zu können. Um Nachvollziehbarkeit der Leistungsablehnung bzw. -kürzung des VR zu gewährleisten, bedarf es einer Überlassung der die Entscheidung stützenden Gutachten.23 Weiterhin ergibt sich eine Aushändigungspflicht des VR mittelbar aus prozessualen 9 Erwägungen: Zunächst ist auf die Beweislast zu § 362 Abs. 1 BGB hinzuweisen.24 Da der VR die ordnungsgemäße Erfüllung beweisen muss, ist er im Streitfall typischerweise gehalten, ihm vorliegende Gutachten oder Arztberichte vorzulegen. Hat der Anspruchsteller den Beweis für das Vorliegen eines Versicherungsfalls erbracht, muss der VR weiterhin Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, die seine Leistungspflicht ausschließen. Regelmäßig muss der VR dann den sachverständig festgestellten Sachverhalt durch Vorlage des Gutachtens belegen.25 Das Rechtsverhältnis zwischen VR und Arzt steht der Weitergabe an die versicherte 10 Person nicht entgegen. Es besteht kein schutzwürdiges Interesse des VR daran, dem Arzt zu Lasten der untersuchten versicherten Person Vertraulichkeit zuzusichern. Eine solche Absprache würde den Verdacht begründen, der Arzt fertige Gefälligkeitsgutachten.26 Ferner verhindern Urheberrechte des medizinischen Gutachters nicht die Gutachtenweitergabe. Anderenfalls könnte er den Zweck des Gutachtens als Beweismittel und Ent-
19 20 21 22
GB BAV 1977 76 Nr. 815; s.a. OLG Saarbrücken 14.10.1998 VersR 1999 750, 752. OLG Frankfurt/M. 28.5.1991 VersR 1992 224, 225. Ähnlich Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 17. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 16.
23 24 25 26
BGH 17.2.1993 VersR 1993 562, 564 f. (zur BUZ). Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 16. So auch Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 53. OLG Frankfurt/M. 28.5.1991 VersR 1992 224, 225.
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§ 189 Anh
Kapitel 7: Unfallversicherung
scheidungsgrundlage vereiteln.27 Der VR ist nur dann berechtigt, die Einsichtnahme in ein ärztliches Gutachten zu verweigern, wenn der Gutachter ärztlich begründete Einwendungen im wohlverstandenen Interesse des Betroffenen erhebt,28 z.B. weil das Gutachten der versicherten Person erstmals Kenntnis von einem unheilbaren Leiden vermitteln würde.29
C. Einsichtsrecht Dritter 11
Dritten darf der VR eingeholte ärztliche Gutachten nicht zur Verfügung stellen. Dem stehen straf-, datenschutz-, vertrags-, aufsichts- und urheberrechtliche Gründe entgegen. Eine Weitergabe durch den VR kommt nur dann in Betracht, wenn die versicherte Person und der Gutachter damit einverstanden sind.30 Fraglich ist, ob der VR Gutachten, die er – gestützt auf Ziff. 7.3 AUB 99/2008 (§ 9 12 Abs. 4 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 6 AUB 61) – bei der Regulierung eines Unfallversicherungsanspruchs unter Mitwirkung der versicherten Person eingeholt hat, gegen die versicherte Person verwenden darf, wenn sie gleichzeitig gegen einen VN des VR Haftpflichtansprüche geltend macht. Dies wird z.T. im Interesse der objektiven Wahrheits- und Rechtsfindung bejaht,31 wenn der VR nicht gegen seine Schweigepflicht (§ 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB) verstößt oder seine prozessuale Wahrheitspflicht (§§ 138 ZPO, § 263 StGB) verletzt, weil er etwa die sachliche Unrichtigkeit des Gutachtens kennt.32 Dem ist zuzustimmen. Zwar lässt sich argumentieren, dass der Unfallversicherer Informationen aufgrund der Erfüllung spezieller Obliegenheiten der Unfallversicherung nur zweckgebunden verwenden und nicht für andere Rechtsverhältnisse (Haftpflichtversicherung) zum Nachteil der untersuchten versicherten Person ausnutzen darf.33 Jedoch steht dieser Argumentation entgegen, dass der Anspruchsteller der Haftpflichtversicherung kein schutzwürdiges Interesse daran haben kann, durch Unterdrücken eines inhaltlich zutreffenden ärztlichen Gutachtens Haftpflichtansprüche gegen den Haftpflicht-VR durchzusetzen, der zugleich sein Vertragspartner zur Unfallversicherung ist.34
D. Prozessuales 13
Der VR ist auf Antrag des VN verpflichtet, Gutachten auch dem Gericht zugänglich zu machen (§ 422 ZPO). Fernerhin kann das Gericht die Vorlage von Amts wegen anordnen (§ 142 ZPO).
27 28 29 30
Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 16. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 17. GB BAV 1980 87 Nr. 816; GB BAV 1978 75 Nr. 816; GB BAV 1977 76 Nr. 815. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 17; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 21.
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31 32 33 34
OLG Köln 25.1.1954 VersR 1954 121 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 53; a.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 22. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 22. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 53.
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Pflichtversicherung
§ 190
§ 190 Pflichtversicherung Besteht für den Abschluss einer Unfallversicherung eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift, hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer unter Angabe der Versicherungssumme zu bescheinigen, dass eine der zu bezeichnenden Rechtsvorschrift entsprechende Unfallversicherung besteht. § 190 entspricht inhaltlich unverändert der bisherigen Regelung in § 185 Abs. 2 i.V.m. § 158b Abs. 2 a.F. Eine Parallelregelung findet sich in § 113 Abs. 2 für die Haftpflichtversicherung. Bei § 190 handelt es sich um eine Modifikation des in § 3 geregelten Anspruchs des VN auf Übermittlung eines Versicherungsscheins (s.a. § 7 Abs. 4). Die Bescheinigungspflicht liegt im öffentlichen Interesse. Dem VN soll der Nachweis des Abschlusses einer Pflichtversicherung ermöglicht werden.1 Eine Legaldefinition für den Begriff „Pflichtversicherung“ findest sich in § 113 Abs. 1. Danach liegt eine Pflichtversicherung vor, wenn für ihren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht. Mit dem Begriff „Rechtsvorschrift“ soll ausdrücklich klargestellt werden, dass sich die Versicherungspflicht nicht nur aus einem Gesetz im formellen Sinn, sondern auch aus sonstigen Rechtsvorschriften ergeben kann.2 Eine Pflichtunfallversicherung bestand für Passagiere von Luftfahrtunternehmen (§ 50 LuftVG a.F.; vgl. Ziff. 5.1.4 AUB 2008 Rn. 33). Ferner sieht § 27 Abs. 1 S. 2 WaffG vor, dass eine Erlaubnis zum Betreiben einer Schießstätte u.a. den Abschluss einer Unfallversicherung verlangt. Danach muss für aus dem Betrieb der Schießstätte resultierenden Schädigungen von bei der Organisation des Schießbetriebs mitwirkenden Personen eine Versicherung gegen Unfall i.H.v. mindestens 10.000,– € für den Todesfall und 100.000,– € für den Invaliditätsfall bei einem im Geltungsbereich des WaffG zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmen nachgewiesen werden. Die vom VR zu erteilende Bescheinigung bedarf keiner besonderen Form. Textform i.S.v. § 126b BGB genügt (s.a. § 3 Abs. 1). Die Bescheinigung kann mit dem Versicherungsschein verbunden werden. Die bisher in § 158b Abs. 2 vorgesehene Klarstellung hielt der Gesetzgeber für entbehrlich, da sie sich von selbst verstehe.3 § 190 ist (genauso wie § 113 Abs. 2) zwingend. Der Gesetzgeber hielt eine ausdrückliche Klarstellung für nicht erforderlich.4 Die Beweislast für die Ausstellung und den Zugang der Bescheinigung nach § 190 trägt der VR (s.a. § 8 Abs. 2 S. 3).
1 2
Schwintowski/Brömmelmeyer § 190 Rn. 1; Rüffer/Halbach/Schimikowski § 190 Rn. 1. Begründung RegE, BTDrucks. 16/3945 vom 20.12.2006 S. 110.
3 4
Begründung RegE, BTDrucks. 16/3945 vom 20.12.2006 S. 87 (zu § 113 Abs. 2 VVG). Begründung RegE, BTDrucks. 16/3945 vom 20.12.2006 S. 110.
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1
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4 5
§ 191
Kapitel 7: Unfallversicherung
§ 191 Abweichende Vereinbarungen Von § 178 Abs. 2 S. 2 und den §§ 181, 186 bis 188 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person abgewichen werden.
1
Die Vorschrift dient vornehmlich dem Verbraucherschutz. Wertentscheidungen des Gesetzgebers (z.B. die Unfreiwilligkeitsvermutung in § 178 Abs. 2 S. 2) sollen nicht durch Individualvereinbarungen oder AGB zu Lasten des VN oder der versicherten Person ausgehebelt werden können. Der im Regelfall strukturell dem VR unterlegene VN soll – über das AGB-Recht hinaus – vor Abreden geschützt werden, die darauf abzielen, einseitig die Interessen des VR zu verwirklichen.1 § 191 ist neu in das VVG eingefügt. Eine entsprechende bzw. ähnliche Vorgängervorschrift war im Gesetz bis zur VVGReform 2008 nicht enthalten. Allerdings wird § 180a Abs. 2 a.F. (Unzulässigkeit einer Abweichung von der Unfreiwilligkeitsvermutung; s.a. § 178 Abs. 2 S. 2) übernommen und durch weitere ausdrückliche Klarstellungen ergänzt, die die Neuregelungen in §§ 181, 186 bis 188 vorsehen. 2 Das Gesetz kennt neben den voll dispositiven Normen, die grundsätzlich der vollen Vertragsfreiheit der Parteien unterliegen, auch absolut zwingende Bestimmungen, die weder zu Gunsten noch zu Lasten des VN, des VR oder sonstiger Personen abänderbar sind (vgl. z.B. §§ 5 Abs. 4, 11 Abs. 1 und 14 Abs. 3) sowie relativ- oder halbzwingende Vorschriften, die den Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien einschränken, indem sie abweichende Vertragsregelungen zum Nachteil bestimmter Personen verhindern. § 191 sieht für bestimmte Gesetzesvorschriften zur Unfallversicherung halbzwingenden Charakter zugunsten des VN und der versicherten Person vor. Danach sind halbzwingend • die Unfreiwilligkeitsvermutung in § 178 Abs. 2 S. 2, • die (neue) Hinweispflicht des VR nach § 186, • die in § 187 neu aufgenommenen Regelungen zur Erklärungspflicht des VR, Fälligkeit der Versicherungsleistung und angemessenen Vorschusspflicht des VR, • die erstmals gesetzlich geregelte Neubemessung der Invalidität nebst Unterrichtungspflicht des VR in § 188.
Ob eine Vereinbarung für den VN oder die versicherte Person nachteilig ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände durch eine Saldierung der Vor- und Nachteile ermittelt werden. Für die Überprüfung von AVB ist dabei ein überindividueller bzw. generalisierender Maßstab anzulegen.2 Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des VR. Liegt eine für den VN nachteilige Vereinbarung vor, so ist diese nichtig.
1
Schwintowski/Brömmelmeyer § 189 Rn. 2.
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2
S. nur Bruck/Möller/K. Johannsen § 18 Rn. 4.
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Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2008) Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Unfallversicherung und AGB-Recht Schrifttum Armbrüster Informations- und Beratungspflichten des Versicherers bei bestehendem Versicherungsverhältnis, FS Schirmer (2005) S. 1; Baumann Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte für die Auslegung von Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, RuS 2005 313; Böhme Die private Unfallversicherung vor neuen Herausforderungen, VW 1981 1427; Fahl/Kassing Jetzt sind die Gerichte am Zug – Fehler bei der AVB-Anpassung? VW 2009 320; Fausten Informationsverpflichtung gegenüber dem Versicherungsnehmer bei Änderung oder Neueinführung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen, VuR 2003 366; Fitzau Das dicke Ende kommt noch! VW 2008 448; E. B. Franz Das Versicherungsvertragsrecht im neuen Gewand, VersR 2008 298; Freiherr Frank von Fürstenwerth Die Einbeziehung neuer Allgemeiner Versicherungsbedingungen in bestehende Versicherungsverträge, RuS 2009 221; Funck Ausgewählte Fragen aus dem Allgemeinen Teil zum neuen VVG aus der Sicht einer Rechtsabteilung, VersR 2008 163; Günther/Spielmann Vollständige und teilweise Leistungsfreiheit nach dem VVG 2008 am Beispiel der Sachversicherung (Teil 1), RuS 2008 133; Honsel Umstellung der Schaden- und Unfallbestände auf das VVG-2008, VW 2008 480; Höra Materielle und prozessuale Klippen in der Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung, RuS 2008 89; Hövelmann Anpassung der AVB von Altverträgen nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG – Option oder Zwang? VersR 2008 612; Klimke Die Hinweispflicht des Versicherers bei Einführung neuer AVB, NVersZ 1999 449; Knappmann Alkoholbeeinträchtigung und Versicherungsschutz, VersR 2000 11; ders. Privatversicherungsrecht und Sozialrecht (Kranken- und Unfallversicherung): Unterschiede und Übereinstimmungen, RuS 2007 45; ders. Zur Invaliditätsbemessung in der Unfallversicherung: Funktionsunfähigkeit gleich Verlust? VersR 2003 430; Leverenz Vertragsschluss nach der VVG-Reform (2008); Karl Maier AVB: Kann oder muss umgestellt werden? VW 2008 986; Marlow Aktuelle Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2004 353; Martin Inhaltskontrolle von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) nach dem AGBG, VersR 1984 1107; Muschner/ Wendt Die Anpassung Allgemeiner Versicherungsbedingungen an das neue VVG und die Folgen ihres Unterbleibens, MDR 2008 949; Neuhaus Zwischen den Jahrhundertwerken – Die Übergangsregelungen des neuen VVG, RuS 2007 441; Niebling Allgemeine Geschäftsbedingungen, 7. Aufl. (2006); Pauly Allgemeine Versicherungsbedingungen – sind bei Ihrer Auslegung auch externe Erklärungen zu berücksichtigen? VersR 2008 1326; Präve Das neue VVG und das AGB-Recht, VW 2009 98; Jürgen Prölss Die Berücksichtigung des versicherungswirtschaftlichen Zwecks einer risikobegrenzenden AVB-Klausel nach den Methoden der teleologischen Gesetzesanwendung, NVersZ 1998 17; Schimikowski Einbeziehung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen in den Vertrag, RuS 2007 309; Schnepp/Segger Nur teure Lösungen für die Bestandsumstellung? VW 2008 907; John Benjamin Schroeder Die Kriegsgefahr im deutschen Versicherungsrecht, Diss. Hamburg (1996); Staudinger/Kassing Rechtsfolgen der unterlassenen Anpassung von AVB in Altverträgen an das novellierte VVG, ZGS 2008 411; Terno Die Rechtsprechung des BGH zur (Kraftfahrt-)Unfallversicherung, DAR 2005 314; Uyanik Die Klageausschlussfrist nach § 12 Abs. 3 VVG a.F. – Oder: Totgesagte leben länger? VersR 2008 468; Klaus Wagner Bedeutung des AGB-Gesetzes für die Gefahrbeschreibung in den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen, ZVersWiss 1977 119; ders. Grenzfälle und Ausschlüsse in der privaten Unfallversicherung, ZVersWiss 1975 619; Oliver Wagner Pflicht zur Anpassung der AVB von Altverträgen nach der VVG-Reform? VersR 2008 1190; Weidner Nachfrage- und Beratungspflichten des Versicherers nach Abschluss des Versicherungsvertrages (§ 6 Abs. 4 VVG), FS Wälder: Versicherung, Recht und Schaden (2009), S. 83; ders. Risiken bei unterlassener Anpassung der AVB von Altverträgen an das VVG 2008? RuS 2008 368.
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AUB 2008 Vor Ziff. 1
Unfallversicherung
Übersicht Rn. A. I. II. III.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der AUB . . . . . . . . . . . . Zweck der Unfallversicherungsbedingungen Praktische Bedeutung der Unfallversicherungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . B. Materielles AGB-Recht . . . . . . . . . . I. Anwendbarkeit des AGB-Rechts . . . . . 1. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . 2. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . 3. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . II. Einbeziehung in den Vertrag . . . . . . . 1. Neuvertrag . . . . . . . . . . . . . . . 2. Altvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . a) Behördlicher Eingriff . . . . . . . . . b) Änderungsvereinbarung . . . . . . . aa) Individualvereinbarung . . . . . bb) Bedingungsanpassungsklausel . . c) Besonderheiten infolge der VVGReform 2008 . . . . . . . . . . . . aa) Anwendungsbereich . . . . . . . bb) Option des VR . . . . . . . . . . cc) Voraussetzungen . . . . . . . . . dd) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . d) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . aa) Hinweispflicht nach § 6 Abs. 4 oder Treu und Glauben . . . . . bb) Keine Hinweispflicht aufgrund einer geschäftsplanmäßigen Erklärung . . . . . . . . . . . .
Rn.
1 2 4
III. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegungsgrundsätze . . . . . . . a) Objektive Auslegung . . . . . . . b) Keine gesetzesähnliche Auslegung c) Vorrang der Individualvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegungsmethodik . . . . . . . . a) Wörtliche Auslegung . . . . . . . b) Systematische Auslegung . . . . . c) Teleologische Auslegung . . . . . d) Keine historische Auslegung . . . 3. Unklarheitenregel . . . . . . . . . . IV. Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorrang der Auslegung . . . . . . . 2. Überraschende Klausel . . . . . . . 3. Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . b) Abweichung von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Vorschrift . . . . . . . . . . . . c) Gefährdung des Vertragszwecks . d) Unangemessene Benachteilung . . e) Transparenzgebot . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . C. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . .
5 6 7 8 9 14 15 16 23 24 25 26 27 30 31 34 37 39 51
. . . .
. . . .
57 58 59 63
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
64 65 66 71 75 76 79 80 81 82 84 85
. . . . . .
. . . . . .
89 93 95 96 101 104
52
56
A. Allgemeines 1
Der Unfallversicherungsvertrag wird ganz maßgeblich von den zugrunde liegenden Vertragsbestimmungen geprägt. Da es sich hier regelmäßig um standardisierte Klauseln handelt, die (unverbindlichen) Empfehlungen des GDV für Musterbedingungen folgen, erlangt das in §§ 305 ff. BGB geregelte „AGB-Recht“ für die Unfallversicherung eine überragende Bedeutung. Es soll deshalb im Folgenden – mit Beispielen aus der Rechtsprechung zu AGB aus der Unfallversicherung – kurz skizziert werden.
I. Bedeutung der AUB 2
Die „Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB)“, die bis zur Einführung der AUB 61 noch „Allgemeine Versicherungs-Bedingungen für die Unfallversicherung (AVBfU)“ genannt wurden (zur Entwicklung der AUB siehe Vorbem. § 178 Rn. 3ff.), werden gelegentlich als das „Grundgesetz“ der Allgemeinen Unfallversicherung bezeichnet.1 3 Das Wort „allgemeine“ bezieht sich sowohl auf „Unfall“ als auch auf „Versicherungsbedingungen“:2 Zum einen soll die Bezeichnung „AUB“ die „Allgemeine Unfallversicherung“ deutlich von den übrigen Arten der Unfallversicherung (z.B. im Bereich der Kraft-
1
Böhme VW 1981 1427, 1428.
476
2
Grewing Entstehungsgeschichte S. 7.
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
fahrt- und Luftfahrtversicherung) abgrenzen. In den AUB wird der Versicherungsschutz für den Normalfall ausgestaltet; denn sie regeln nach ihrem Grundgedanken die Leistungen für Unfälle, die einer körperlich (gesundheitlich) normal veranlagten versicherten Person in einer gleichsam normalen Gefahrenlage zustoßen können.3 Zum anderen bringt der Terminus „AUB“ zum Ausdruck, dass in ihnen die allgemeinen Regeln enthalten sind, nach denen sich das Vertragsverhältnis zwischen VR und VN gestaltet. Im Gegensatz dazu stehen die „Besonderen Bedingungen“. Diese ergänzen oder ändern die AUB und beinhalten Vertragsbestimmungen, die einer vom Normalfall abweichenden Lebens- und Risikosituation der versicherten Person Rechnung tragen.4 Sie schaffen spezielle Regelungen für besondere Unfallgefahren (Ausschnittsversicherungen z.B. für Freizeit-, Berufs- oder Sportunfälle), für besondere Berufsgruppen (z.B. Mediziner, Musiker), besondere Unfallfolgen (z.B. kosmetische Operationen) oder für sonstige Änderungen der allgemeinen Unfallversicherung (z.B. Mehrleistungen im Invaliditätsfall, progressive Invaliditätsleistung, planmäßige Erhöhung von Leistung und Beitrag).5 Zu beachten ist allerdings, dass sich für die Bezeichnungen „Besondere Bedingungen“, „Zusatzbedingungen“ oder „Klauseln“ keine einheitliche und strenge Terminologie herausgebildet hat. Üblicherweise ändern Besondere Bedingungen (bzw. Klauseln) Bestimmungen der AUB ab, während Zusatzbedingungen Sachverhalte regeln, die im Grundbedingungswerk nicht erfasst sind.6
II. Zweck der Unfallversicherungsbedingungen 4
Wie alle AGB dienen die Unfallversicherungsbedingungen vornehmlich • der Information über ein „unsichtbares“ und mitunter „schwer greifbares“ Produkt, • der Abwicklung von Massengeschäften, • der typisierten und standardisierten Regelung von gesetzlich nicht oder unzureichend geregelten Lebenssachverhalten • der Gleichbehandlung der VN.7
Um diesen Zweck erfüllen zu können, verfolgen die AGB der VR das Ziel, Versicherungsverhältnisse möglichst klar zu regeln und in ihren Auswirkungen für die Beteiligten überschaubar zu machen. Ohne vermeidbare Schwierigkeiten und ohne unzumutbaren zeitlichen und wirtschaftlichen Aufwand soll festzustellen sein, ob ein Versicherungsfall eingetreten ist sowie ob und ggf. in welchem Umfang der VR die Leistung zu erbringen hat. Daran hat nicht nur der VN, sondern auch der VR ein Interesse; denn der VR möchte den Aufwand seines Geschäftsbetriebes bei der Leistungsregulierung möglichst gering halten. Zu den Zielen von AVB usw. gehört es, Rechtsstreitigkeiten möglichst von vornherein zu vermeiden. Bei ihrer Auslegung ist deshalb davon auszugehen, dass sie keine Regelung bezwecken, die einen Rechtsstreit über die Leistungspflicht des VR zumindest nahe legt.8
3 4 5 6
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. B 36. Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 5. Wussow/Pürckhauer 6 Vorbemerkungen Rn. 7. Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 14.
7 8
Näher etwa Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 1 ff.; allgemein Niebling S. 13. BGH 23.9.1981 BGHZ 81 345, 349 f. = VersR 1982 37, 38 = NJW 1982 926, 927.
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AUB 2008 Vor Ziff. 1
Unfallversicherung
III. Praktische Bedeutung der Unfallversicherungsbedingungen 5
Die praktische Bedeutung der AUB nebst BB usw. ist enorm, da sie das Rechtsverhältnis zwischen VN und VR ganz maßgeblich prägen (Vorbem. § 178 Rn. 62). Die Zahl der zu den einzelnen Klauseln ergangenen Gerichtsentscheidungen ist unüberschaubar. Zu beachten ist, dass von der Aufsichtsbehörde genehmigte Fassungen der Unfallversicherungsbedingungen (z.B. AUB 61 und AUB 88) genauso wie die Musterbedingungen des VdS (AUB 94) bzw. des GDV (AUB 99/2008) keine Allgemeinverbindlichkeit aufweisen. Abweichende Vereinbarungen sind ohne weiteres möglich und sind gerade in der Zeit nach der Deregulierung immer stärker anzutreffen. Der Rechtsanwender muss daher stets prüfen, welche Bedingungen konkret zwischen den Vertragsparteien vereinbart sind.
B. Materielles AGB-Recht 6
Dem Unfallversicherungsvertrag zwischen VR und VN liegen in aller Regel die AUB und weitere standardisierte Vertragsbestimmungen zugrunde. Bei den in der Praxis zum Einsatz kommenden Regelungen zur näheren Ausgestaltung des Unfallversicherungsschutzes handelt es sich typischerweise um AGB. Größte praktische Bedeutung hat deshalb das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Es wurde ursprünglich aus § 242 BGB entwickelt und dann ab 1.4.1977 im AGB-Gesetz kodifiziert.9 Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 ist schließlich das AGB-Gesetz in §§ 305 ff. BGB und das UKlG überführt worden. Seit dem 1.1.2002 ist ausschließlich das BGB auf Dauerschuldverhältnisse und damit auch auf den Unfallversicherungsvertrag anzuwenden, und zwar selbst dann, wenn der Vertrag vor dem 1.1.2002 begründet worden ist (Art 229 § 5 S. 2 EGBGB).
I. Anwendbarkeit des AGB-Rechts 7
Die Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Unfallversicherungsverträge unterliegt sowohl in persönlicher als auch in sachlicher und zeitlicher Hinsicht den allgemeinen Regeln. 1. Persönlicher Anwendungsbereich
8
Der Schutz des AGB-Rechts ist eingeschränkt, wenn AGB gegenüber einem Unternehmer (§ 14 BGB), einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem öffentlichrechtlichen Sondervermögen verwendet werden (§ 310 Abs. 1 S. 1 BGB). Allerdings können mit Hilfe der in § 307 Abs. 1 und 2 BGB normierten Generalklausel – unter angemessener Berücksichtigung der im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche – auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr (etwa im Gruppen-Unfallversicherungsgeschäft) Klauseln aus den Verbotskatalogen der §§ 308 f. BGB für unwirksam erklärt werden.
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Näher dazu im Hinblick auf die AUB Wagner ZVersWiss 1977 119 ff.
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
2. Sachlicher Anwendungsbereich Von AGB sind Individualvereinbarungen abzugrenzen. AVB wie die AUB oder sonstige in der Unfallversicherungspraxis zugrunde gelegte Besonderen Bedingungen oder Zusatzbedingungen, aber auch vom VR vorgegebene Verbraucherinformationsblätter, Antragsformulare,10 Einzugsermächtigungen, Erklärungen zum Datenschutz, Entbindungserklärungen von der Schweigepflicht, Abfindungserklärungen im Zusammenhang mit Versicherungsleistungen usw. fallen grundsätzlich in den sachlichen Anwendungsbereich des AGB-Rechts.11 Bei diesen standardisierten Texten handelt sich in aller Regel um Vertragsbedingungen i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB. Gleiches gilt für Satzungsbestimmungen.12 AGB liegen nach der Rechtsprechung des BGB auch dann vor, wenn Vordrucke des VR zwar Wahlmöglichkeiten für den VN vorsehen, jedoch ein vorformulierter Vorschlag durch seine Gestaltung die daneben in Betracht kommenden (frei wählbaren) Alternativen überlagert. Diese Frage erlangte – bis zur Einführung des § 8 Abs. 3 a.F. in 1994 und seiner Vorgängernorm in 1991 – bei den vor dem 1.1.1991 geschlossenen sog. Zehnjahresverträgen in der Unfallversicherung große praktische Bedeutung ( Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 10). Besonderheiten zum Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB sind in § 310 BGB geregelt. Gerade bei Verbraucherverträgen, also Verträgen zwischen dem VR als Unternehmer (§ 14 BGB) und dem VN als Verbraucher (§ 13 BGB), ist an § 310 Abs. 3 BGB zu denken. Keine AGB liegen vor, wenn VR und VN die Vertragsbedingungen im Einzelnen ausgehandelt haben (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB).13 Dieser Fall stellt die Ausnahme im Unfallversicherungsrecht dar. Der VN wird einzelvertragliche Abweichungen gerade im sog. Massengeschäft nur selten durchsetzen können. Die Bereitschaft des VR hierfür ist typischerweise gering; denn die Prämienkalkulation des VR setzt gerade die Gleichheit einer Vielzahl von versicherten Risiken voraus.14 Haben die Parteien ausnahmsweise eine Individualvereinbarung getroffen, so unterliegt ihre rechtliche Bewertung nicht dem AGBRecht, sondern dem allgemeinen Zivilrecht. So erfolgt z.B. die Auslegung der jeweiligen Willenserklärung nicht objektiv und einheitlich, sondern gemäß §§ 133, 157 BGB.15 Des Weiteren bestehen keine besonderen Klauselverbote. Die Wirksamkeitskontrolle erfolgt stattdessen etwa gemäß §§ 134, 138 BGB (§ 179 Rn. 122 ff.).
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11
12 13
3. Zeitlicher Anwendungsbereich Sofern die fragliche Klausel noch von dem BAV genehmigt worden ist, wird dadurch 14 die richterliche Kontrolle nicht eingeschränkt. Allein die Tatsache der behördlichen Genehmigung entbindet noch nicht von einer gesetzlichen Überprüfung der genehmigten Klausel.16 Folglich sind z.B. die Regelungen in den AUB 61 oder AUB 88 einer gerichtlichen Überprüfung vollständig zugänglich. 10
11 12 13
BGH 16.6.1982 BGHZ 84 268, 272 = VersR 1982 841, 842 = NJW 1982 2776, 2777; OLG Celle 26.2.2009 VersR 2009 914, 915. Näher Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 29 ff. BGH 8.10.1997 VersR 1997 1517, 1518 ff.; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 12. Näher Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 49 ff.
14 15
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Martin VersR 1984 1107, 1108. Siehe etwa BGH 16.6.1982 BGHZ 84 268, 272 f. = VersR 1982 841, 842 = NJW 1982 2776, 2777. OLG Hamburg 6.4.1978 VersR 1979 154, 155.
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II. Einbeziehung in den Vertrag 15
Zu unterscheiden ist zwischen der Einbeziehung von AGB in Neuverträge und der Anpassung von AGB in Altverträgen. 1. Neuvertrag
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20
Die Einbeziehung der AGB regelt sich nach der VVG-Reform 2008 grundsätzlich nach allgemeinem Zivilrecht. Besonderheiten ergeben sich aus § 7 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 6 VVG-InfoV. Mit Ausnahme des unternehmensbezogenen Geschäftsverkehrs (§ 310 Abs. 1 BGB) werden AGB nur dann Vertragsbestandteil, wenn der Verwender bei Vertragsschluss die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB erfüllt.17 Sind diese nicht gewahrt, greift § 306 BGB ein (s. auch Rn. 106 ff.).18 Nimmt der Versicherungsschein auf die „AUB“ als Vertragsbestandteil Bezug, so können damit bei richtigem Sinnverständnis nur die z.Z. des Vertragsschlusses geltenden AUB gemeint sein.19 Ein Vertragsschluss aufgrund von überholten oder künftigen Bedingungen widerspricht – schon mangels Bestimmtheit – erkennbar dem Willen des VR. Ob vorweggenommene Einziehungsvereinbarungen mit der Folge getroffen werden können, dass zwischen den Parteien die AUB in ihrer jeweiligen Fassung gelten, erscheint zweifelhaft.20 Für eine solche Annahme bedarf es jedenfalls deutlicher Anhaltspunkte im Vertrag.21 Da § 305 Abs. 2 BGB keine besondere zeitliche Komponente beinhaltet, ist nicht gefordert, dass der VN die AGB (wie die Vertragsinformationen nach § 7) „rechtzeitig vor Abgabe seiner Vertragserklärung“ erhält. Es genügt eine Kenntnisnahmemöglichkeit „bei Vertragsschluss“. Damit der VN eine informierte Entscheidung treffen kann, muss er zwar zumindest die Möglichkeit haben, vor Abgabe seiner Vertragserklärung die AVB zu lesen, jedoch ist kein zeitlicher Mindestabstand zwischen Aushändigung der AVB und Abgabe der Vertragserklärung gefordert.22 Eine zumutbare Kenntnisnahme setzt weiterhin voraus, dass die AVB, Vordrucke für Anträge oder Anfragen, Versicherungsscheine usw. gut lesbar, übersichtlich und verständlich sind.23 So genügt es z.B. nicht, wenn dem Kunden ein Bedingungsheft, eine CD oder ein USB-Stick ausgehändigt wird, in denen sämtliche AVB des VR niedergelegt sind, ohne dass der VN mühelos und präzise erkennen kann, welche AVB für seinen Vertrag konkret relevant sind.24 Keine Bedeutung hat dagegen der Umstand, ob der VN die AVB im Einzelfall tatsächlich gelesen oder gekannt hat.
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Einzelheiten bei Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 57 ff. Einzelheiten bei Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 80 ff. OLG Bamberg 13.3.1997 VersR 1998 833; LG Coburg 23.7.1996 VersR 1998 1102, 1103. Offen lassend OLG Bamberg 13.3.1997 VersR 1998 833. LG Coburg 23.7.1996 VersR 1998 1102, 1103. S. etwa Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 78; näher Schimikowski RuS 2007 309,
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310 f.; ferner Leverenz Vertragsschluss S. 84 f. Nachdem das RAA noch Vorgaben für eine Mindestschriftgröße und einen einzuhaltenden Zeilenabstand gemacht hatte (VA 1938 61), hob das BAV diese Anordnung zwar im Jahr 1971 auf (VerBAV 1971 363), verlangte aber weiterhin Übersichtlichkeit und gute Lesbarkeit; s. Nr. 5 der Geschäftsplanmäßigen Erklärung für die Sachversicherung (Allgemeiner Teil), VerBAV 1990 479. Kloth Rn. B 13.
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Die andere Vertragspartei muss mit der Geltung der AGB einverstanden sein. Es bedarf 21 einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Willensübereinkunft der Vertragspartner.25 § 7 findet neben § 305 Abs. 2 BGB Anwendung, auch wenn es zu Überschneidungen 22 kommt. Danach sind dem VN im Grundsatz u.a. die AVB rechtzeitig vor Abgabe seiner Vertragserklärung in Textform mitzuteilen (§ 179 Rn. 101 ff.). Bei Missachtung der Vorgaben des § 7 ergeben sich die Rechtsfolgen vornehmlich aus §§ 8 und 9 (§ 179 Rn. 123 ff.). Insofern gelten für die AGB (z.B. AUB) gegenüber der Erteilung anderer Vertragsinformationen keine Besonderheiten.26 2. Altvertrag Besteht zwischen den Vertragsparteien bereits ein Versicherungsverhältnis, so kann 23 sich die Frage stellen, ob und ggf. wie neue bzw. geänderte AVB (z.B. neue AUB-Musterbedingungen oder Besondere Bedingungen zu Produktinnovationen) einzubeziehen sind bzw. als unwirksam erkannte Klauseln ersetzt werden können. Hintergrund für solche Diskussionen ist in der Praxis regelmäßig die Feststellung des VN, dass die von ihm begehrten Versicherungsleistungen auf Grundlage neuerer AVB des VR entweder nicht ausgeschlossen oder (ggf. mit höheren Leistungen) erfasst wären. Es bestehen aufsichtsund zivilrechtliche Möglichkeiten, neue bzw. geänderte AVB in einen bestehenden Versicherungsvertrag mit einzubeziehen. In bestimmten Fällen kann für den VR die Pflicht bestehen, den VN auf geänderte AVB hinzuweisen. a) Behördlicher Eingriff. Die Aufsichtsbehörde kann gemäß § 81a S. 2 VAG einen 24 Geschäftsplan mit Wirkung für bestehende oder noch nicht abgewickelte Versicherungsverhältnisse ändern oder aufheben, wenn es zur Wahrung der Belange der Versicherten notwendig erscheint. Dafür reichte vor der Deregulierung die Veröffentlichung geänderter (und genehmigter) Bedingungen durch das BAV nicht aus. So hatte etwa die Publizierung der AUB 88 keine unmittelbare Auswirkung auf die laufenden (auf Grundlage der AUB 61) geschlossenen Versicherungsverträge.27 Vielmehr ist ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt erforderlich. Die praktische Relevanz des § 81a S. 2 VAG für die Unfallversicherung dürfte nach dem Wegfall der Kontrolle von AVB und Tarifen durch die Aufsichtsbehörde äußerst gering sein.28 b) Änderungsvereinbarung. Vom VR geänderte AVB gelten – ohne besondere gesetz- 25 liche Regelung – nicht automatisch für den Versicherungsbestand. aa) Individualvereinbarung. Geänderte AVB können die Parteien jederzeit vertraglich 26 durch Angebot und Annahme vereinbaren.29 Im Regelfall ist die (ausdrückliche oder konkludente) Zustimmung des VN notwendig.30 Eine Einbeziehung der jeweils geltenden
25 26 27
Näher OLG Nürnberg 27.5.1993 ZfS 1993 412 f. Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 56; Schimikowski RuS 2007 309, 310. OLG Bamberg 13.3.1997 VersR 1998 833, 834; OLG Hamm 17.3.1993 VersR 1994 37 = RuS 1993 441; OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134; OLG Saarbrücken 25.11.1987 VersR 1989 245 f.
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29 30
So bereits Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 32; ferner etwa Fahr/Kaulbach/ Bähr 4 § 81a Rn. 5; Prölss/Kollhosser 12 § 81a VAG Rn. 13. LG Coburg 23.7.1996 VersR 1998 1102, 1103. BGH 19.12.1953 VersR 1954 33, 34; OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134; OLG Hamm 17.3.1993 VersR 1994 37 = RuS
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Fassung der AVB in laufende Verträge kann bei Fehlen einer hinreichend deutlichen Einbeziehungsvereinbarung nicht einfach im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB unterstellt werden.31 Ein Änderungsangebot muss aus Sicht des Erklärungsempfängers nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln so verständlich sein, dass er das Angebot annehmen oder ablehnen kann. Darüber hinaus muss der VR den VN auf wesentliche nachteilige Bestimmungen ausdrücklich hinweisen (§ 6 Abs. 4, § 242 BGB; s. auch Rn. 52 ff.).32 Eine Anpassung kann z.B. dadurch erfolgen, dass der VR dem VN die Bedingungen in der Fassung, wie sie künftig gelten soll, aushändigt und ihn dabei auf die wesentlichen Neuerungen aufmerksam macht.33 Dazu kann es sich anbieten, in dem neuen Bedingungsdruckstück die geänderten Stellen im Schriftbild besonders hervorzuheben.34 Genügt der VR den Anforderungen nicht, so kann er dem VN die geänderte Fassung der AVB nicht entgegenhalten.35 Auf Grundlage des neuen VVG ist weiterhin zu beachten, dass den VR kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorgabe Informationspflichten treffen können (§ 7).36 Das Änderungsangebot muss der VN nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln annehmen. Dies kann ausdrücklich oder konkludent (z.B. durch Zahlung der Folgeprämie) erfolgen. Auf eine ausdrückliche Zustimmung des VN kann insbesondere dann verzichtet werden, wenn seine Rechtsstellung durchweg verbessert wird.37
27
bb) Bedingungsanpassungsklausel. §§ 164, 176, 203 Abs. 4 sehen für die Lebens-, Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung spezielle Regelungen zur Bedingungsanpassung vor. Die Vorschriften eröffnen eine gesetzliche Ersetzungsbefugnis für den VR.38 Eine vergleichbare Vorschrift existiert für die Unfallversicherung nicht. § 16 VVG-RegE sah zwar noch eine Ersetzungsbefugnis des VR für Vertragsbestimmungen vor, die aufgrund höchstrichterlicher Entscheidung oder bestandskräftigen Verwaltungsakt für unwirksam erklärt werden. Jedoch hat der Gesetzgeber diese Anpassungsmöglichkeit an zukünftige Rechtsänderungen letztlich nicht übernommen. Zum einen wurde befürchtet, dass sich eine allgemeine Anpassungsmöglichkeit zum Nachteil der VN auswirken würde. Zum anderen bestand die Einschätzung, dass sich in der Praxis aus dem Fehlen einer über den § 306 BGB hinausgehenden Anpassungsmöglichkeit für die Vertragsparteien keine unzumutbaren Probleme ergeben hätten.39 § 41 Abs. 3 VAG erlaubt beim VVaG eine Änderung der Satzung oder der allgemei28 nen Versicherungsbedingungen für ein bestehendes Versicherungsverhältnis nur, wenn der Versicherte der Änderung ausdrücklich zustimmt. Dies gilt jedoch nicht für solche Bestimmungen, für die die Satzung ausdrücklich vorsieht, dass sie auch mit Wirkung für die bestehenden Versicherungsverhältnisse geändert werden können.
31
32 33 34
1993 441; Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 12; Kloth Rn. B 21; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 3; Stockmeier/ Huppenbauer S. 4; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 31. OLG Saarbrücken 25.11.1987 VersR 1989 245; LG Coburg 23.7.1996 VersR 1998 1102, 1103. Muschner/Wendt MDR 2008 949, 950. BGH 24.11.1972 VersR 1973 176, 177. BAV VerBAV 1979 261.
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35 36 37 38 39
BGH 24.11.1972 VersR 1973 176, 177; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 31. Leverenz Vertragsschluss Rn. 3/19 und 4/120 ff. BAV VerBAV 1979 261; VerBAV 1972 246; Prölss/Martin/Prölss 27 Vorbem. I Rn. 25. Einzelheiten bei Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 164 f. Begründung RegE zu § 164, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 100.
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Vertragliche Änderungsklauseln 40 sehen die AUB mit Ausnahme von Ziff. 6 AUB 29 99/2008 nicht vor. Die „rechtssichere“ Gestaltung von Bedingungsanpassungsklauseln ist extrem schwierig. Zwar sind allgemeine Vertragsanpassungsklauseln auch nach der VVG-Reform 2008 weiterhin grundsätzlich möglich. Jedoch unterliegen sie strengen Wirksamkeitsvoraussetzungen.41 Von der Bedingungsanpassung ist die Prämienanpassung abzugrenzen. Sie ist im Rahmen von § 40 möglich, der § 31 a.F. sachlich unverändert übernimmt. c) Besonderheiten infolge der VVG-Reform 2008. Art. 1 Abs. 3 EGVVG sieht vor, 30 dass der VR seine AVB bis zum 1.1.2009 für Altverträge, soweit sie von den Vorschriften des VVG abweichen, mit Wirkung zum 1.1.2009 ändern kann, sofern er dem VN in Textform die geänderten AVB unter Kenntlichmachung der Unterschiede spätestens einen Monat vor dem Zeitpunkt mitteilt, zu dem die Änderungen wirksam werden sollen.42 Diese einseitige Gestaltungsmöglichkeit des VR ist mit erheblichen praktischen Tücken sowie einem beträchtlichen Kosten- und Verwaltungsaufwand für die VR verbunden. Hat sich der VR für eine Anpassungsaktion entschieden, so mussten alle im Bestand befindlichen Bedingungsgenerationen umgestellt und sämtliche Bestandskunden angeschrieben werden. aa) Anwendungsbereich. Art. 1 Abs. 3 EGVVG eröffnet für den VR kein generelles 31 (einseitiges) Anpassungsrecht, sondern eine bloße Korrekturmöglichkeit im Hinblick auf die VVG-Reform 2008.43 Die Vorschrift dient nicht dazu, unwirksame oder umstrittene Klauseln zu heilen oder gar für den VN nachteilige Klauseln einzuführen; denn die Bedingungsanpassung soll eine Schlechterstellung der VR durch die VVG-Reform 2008 vermeiden, nicht aber zu ihrer Begünstigung führen.44 Die Bedingungsanpassung ist vielmehr nur insoweit zulässig, als sie aufgrund einer Änderung des bisherigen Rechts geboten ist. Dies ist zu bejahen, wenn eine Bedingung einer zwingenden oder halbzwingenden Vorschrift des neuen VVG widerspricht bzw. dispositives Recht abgeändert werden soll.45 Praktische Bedeutung kann das Bedingungsanpassungsrecht etwa erlangen im Rah- 32 men • der Gefahrerhöhung (§ 181, Ziff. 6 AUB 99/2008). Als Erhöhung der Gefahr gilt nur die Änderung der Umstände, die nach ausdrücklicher Vereinbarung als Gefahränderung angesehen werden sollen. Sofern sich derartige Gefahrumstände nicht aus den bisher verwendeten und in den Vertrag einbezogenen Tarif- und Antragsunterlagen o.ä. ergeben, besteht eine Vertragslücke, die durch das in Art. 1 Abs. 3 EGVVG geregelte Vertragsänderungsrecht geschlossen werden kann (s. auch § 181 Rn. 4).46 • des Obliegenheitenrechts (Ziff. 7 und 8 AUB 99/2008). Abgesehen davon, dass § 213 Auswirkungen auf die Schweigepflichtentbindung hat, wirken sich §§ 28, 32 massiv auf die Rechtsfolgenseite aus. Ziff. 8 AUB 99 kollidiert aufgrund seiner Anlehnung an das bisherige Recht mit den neuen gesetzlichen Vorgaben (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 10). Gleiches gilt für den knapp gefassten § 8
40
41 42 43
Einzelheiten etwa bei Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 151 ff.; Prölss/Martin/ Prölss 27 Vorbem. I Rn. 28 ff. Näher etwa Freiherr Frank von Fürstenwerth RuS 2009 221, 227 ff. Kritisch Dörner/Staudinger WM 2006 1710, 1717. Freiherr Frank von Fürstenwerth RuS 2009
44 45
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221, 223; Knappmann VRR 2007 408; Wagner VersR 2008 1190, 1191. Franz VersR 2008 298, 312; a.A. Dörner/ Staudinger WM 2006 1710, 1717. Begründung RegE zu Art. 1 Abs. 3 EGVVG, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 118. Honsel VW 2008 480, 484.
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AUB 94, der sich an § 6 Abs. 3 a.F. anlehnt. Die (neuen) gesetzlichen Einschränkungen der Leistungsfreiheit des VR sind in den Altklauseln nicht (ausreichend) berücksichtigt. • der Vertragsbeendigung. Die Laufzeitregelung in § 8 Abs. 3 a.F. wurde durch § 11 Abs. 4 von 5 auf 3 Jahre verkürzt (Ziff. 10 AUB Rn. 10). • der Rechtsfolgen bei Verletzung von vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten. Die in Ziff. 13 AUB 99 dargestellten Rechtsfolgen korrespondieren nicht (uneingeschränkt) mit den neuen Regelungen in §§ 19 ff. (Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 8 ff.). Dies gilt auch für § 3 a AUB 94. Ob der dort vorgesehene Verweis auf §§ 16 ff. a.F. so verstanden werden darf, dass die gesetzlichen Bestimmungen in ihrer jeweiligen Fassung gemeint sind,47 ist ungewiss. Wird im Fall der unterlassenen Umstellung bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit die Anwendbarkeit der §§ 19 ff. verneint, verbleibt dem VR zwar das Recht zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 22). Jedoch ist dies kein gleichwertiger Ersatz. Die Anfechtung ist an enge und häufig schwer beweisbare Voraussetzungen geknüpft (Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 202 ff.). Entsprechendes gilt für eine etwaige Verwirkung. Zu berücksichtigen ist hier auch, dass die Rechtsprechung voraussichtlich zögern wird, Verwirkung anzunehmen, wenn der VR es trotz gesetzlich eingeräumter Möglichkeit versäumt, Bestandsverträge dem neuen Recht zu unterwerfen.48 • der Beteiligung an den Bewertungsreserven für den Altbestand von Verträgen zur Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr. § 153 und Art. 4 EGVVG sind hier möglicherweise entsprechend anzuwenden (Vorbem. § 178 Rn. 51).
Fernerhin sind in den AUB folgende Regelungen anpassungsrelevant: • die Ausübungsfrist für den VN zur Neubemessung der Invalidität (Ziff. 9.4 AUB 2008 Rn. 10); • die Bestimmungen zur Prämienzahlung (Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 8); • die Klagefrist (Ziff. 14 AUB 99, § 15 Abs. 2 AUB 94). Aufgrund des ersatzlosen Wegfalls des § 12 Abs. 3 a.F. sind Klageausschlussfristen in den AVB zu eliminieren (Ziff. 14 AUB 2008 Rn. 3); • die Regelung zum Gerichtsstand (Ziff. 16 AUB 2008 Rn. 4).
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Keine Bedeutung erlangt das Anpassungsrecht dagegen für neue Vorschriften, die nicht in den AVB geregelt, ausgestaltet oder wiedergegeben werden. Dies gilt etwa für die • Beratungspflichten des VR und Vermittlers vor Vertragsschluss (§§ 6, 59 ff.); • Beratungspflichten des VR nach Vertragsschluss (§ 6 Abs. 4).
Des Weiteren braucht keine Anpassung für Regelungen erfolgen, die einen bereits abgeschlossenen Vorgang betreffen und für die laufende Vertragsbeziehung keine Bedeutung mehr erlangen können.49 Dies gilt etwa für die Belehrungen und Hinweise über die Bedeutung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit sowie die Widerspruchsbelehrung nach § 5a a.F.
34
bb) Option des VR. Von dem Recht des VR zur Vertragsanpassung nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG ist die daneben in Betracht kommende Informationsverpflichtung des VR über die durch die VVG-Reform 2008 herbeigeführten Rechtsänderungen abzugrenzen. 35 Eine rechtliche Verpflichtung zur Vertragsanpassung trifft den VR nicht.50 Es unterliegt vielmehr einer wirtschaftlichen Betrachtung, ob der VR die mit einer unterlassenen Anpassung möglicherweise verbundenen Rechtsnachteile zu tragen gewillt ist (Rn. 40 ff.). Art. 1 Abs. 3 EGVVG ordnet ausdrücklich an, dass der VR seine AVB ändern „kann“ (nicht „muss“). Des Weiteren besteht für den VR keine vertragliche Nebenpflicht, gegen-
47 48 49 50
So Honsel VW 2008 480, 481. Honsel VW 2008 480, 482. Hövelmann VersR 2008 612, 613 f. Fahl/Kassing VW 2009 320; Freiherr Frank von Fürstenwerth RuS 2009 221, 223;
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Muschner/Wendt MDR 2008 949, 950; Staudinger/Kassing ZGS 2008 411; Weidner RuS 2008 368, 369; a.A. Wagner VersR 2008 1190, 1191 ff.
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AUB 2008 Vor Ziff. 1
über dem VN, eine Anpassung der AVB durchzuführen.51 Anderenfalls würde die gesetzliche „Befugnis“ doch in einen „Zwang“ zur Änderung umgestaltet. Dennoch sprach die BaFin zunächst wertend von einem „de-facto-Zwang“ zur AVB-Anpassung, ohne indes von den VR explizit ein Vorgehen nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG zu fordern. In der Folgezeit hat die BaFin den leicht irreführenden Begriff „de-facto-Zwang“ nicht mehr benutzt.52 Vielmehr hat sie klargestellt, dass die Nichtanpassung der AVB aus aufsichtsrechtlicher Sicht dann keinen Missstand darstelle, wenn innerbetrieblich sichergestellt sei, dass ab 2009 nach dem neuen Recht verfahren werde (Rn. 47). Von der Frage, in welchen Fällen der VR berechtigt ist, eine Vertragsanpassung über 36 Art. 1 Abs. 3 EGVVG herbeizuführen, ist die etwaige Informationspflicht des VR über Gesetzesänderungen bzw. die VVG-Reform 2008 abzugrenzen. Klärt der VR den VN über reformbedingte Rechtsänderungen auf, die für den VN relevante AVB-Regelungen hinfällig werden lassen, so können Schadensersatzforderungen mit der denkbaren Folge, dass der VN so zu stellen sei, als wäre er über die wesentlichen Änderungen des neuen VVG im Vergleich zu den Alt-AVB informiert worden,53 sowie wettbewerbs- und/oder aufsichtsrechtliche Beanstandungen von vornherein abgewehrt werden.54 Zum einen ist eine Mitteilung des VR kundenfreundlich, da der VN Klarheit über die Rechtsgrundlage seines Versicherungsvertrages erlangt. Zum anderen kann der VR dem Vorwurf der Irreführung vorbeugen. Dieser liegt nahe, wenn der VR den VN gar nicht oder nur teilweise über die Auswirkungen der VVG-Reform 2008 auf seinen Vertrag hinweist. Ein entsprechendes Informationsschreiben 55 kann ggf. mit dem Anpassungsschreiben nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG verknüpft werden. Eine rechtliche Informationsverpflichtung besteht dagegen nach umstrittener Auffassung nicht.56 • Sie folgt nicht aus § 6 VVG-InfoV.57 Diese Norm erstreckt sich nur auf die dort abschließend aufgezählten Angaben. Auf Ziff. 1 Nr. 6a VVG-Info (Informationen über die geltenden AVB einschließlich der Tarifbestimmungen) wird gerade nicht verwiesen. Mangels Anordnung in § 6 VVG-InfoV ergibt sich deshalb keine Verpflichtung des VR, den VN z.B. über den Wegfall der Klagefrist (§ 12 Abs. 3 a.F.) oder die Änderung der Kündigungsmöglichkeiten des VN (§ 11 Abs. 4) zu informieren.58 • Eine generelle Beratungspflicht nach § 6 Abs. 4 existiert ebenso wie eine nebenvertragliche Informationspflicht des VR mangels konkreten Anlasses nicht.59 „Verdachtsbelehrungen“ muss der VR nicht durchführen. Wie jeder Bürger muss sich auch der VN über das für ihn geltende Recht selbst informieren.60 Die Annahme eines allgemeinen Informationsgefälles, das den VR nach Treu und Glauben gegenüber allen VN zu einem umfassenden Handeln (nämlich zu aufwändigen und flächendeckenden Informationsschreiben) zwingt, ist nicht begründet.61 Des Weiteren nötigt auch das Aufsichtsrecht nicht zu einer umfassenden „Informationsoffensive“ des VR. Lediglich im jeweiligen Einzelfall kann sich ein Beratungsanlass für den VR ergeben. So liegt z.B. der Fall, wenn der VN konkrete Fragen zu seinen AVB stellt oder erkennbare Fehlvorstellungen über die Rechtslage zu erkennen gibt. Auch wird der VR den VN auf Änderungen der Gesetzeslage hinweisen müssen, wenn der VN eines nicht angepassten Altvertrags Vertragsbestimmungen nach § 7 Abs. 4 anfordert.
51 52 53 54 55 56
Hövelmann VersR 2008 612, 613 f. Schreiben der BaFin an den GDV vom 24.7.2008. Weidner RuS 2008 368, 371. Honsel VW 2008 480, 484 f. Vorschlag für ein Muster bei Honsel VW 2008 480, 483. A.A. Weidner RuS 2008 368, 371.
57
58 59 60 61
A.A. Wagner VersR 2008 1190, 1192; Weidner RuS 2008 368, 371 (mit Hinweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 6b VVG-InfoV). Honsel VW 2008 480, 484. A.A. Wagner VersR 2008 1190, 1191 f.; wohl auch Fahl/Kassing VW 2009 320, 324. Honsel VW 2008 480, 485. Hövelmann VersR 2008 612, 614.
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AUB 2008 Vor Ziff. 1 37
Unfallversicherung
cc) Voraussetzungen. Die Änderungsmitteilung ist an keine Zustimmung des VN geknüpft. Auch ist ein Treuhänderverfahren nicht zwingend vorgesehen. Art. 1 Abs. 3 EGVVG stellt allerdings formelle Anforderungen auf: • Empfänger der Änderungsmitteilung ist der VN. Eine Information der versicherten Person im Fall der Fremdversicherung sieht der Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 EGVVG nicht vor. Da zwischen dem VR und der versicherten Person keine Vertragsbeziehung besteht, kann eine allgemeine Mitteilungspflicht auch nicht aus zivilrechtlichen Grundsätzen abgeleitet werden. Entsprechendes gilt für sonstige Personen wie z.B. dem Abtretungsgläubiger oder Bezugsberechtigten. • Spätestens einen Monat vor dem Zeitpunkt der angestrebten Vertragsanpassung muss dem VN die Änderungsmitteilung zugegangen sein. Stichtag war also der 30.11.2008. Danach ist eine einseitige Anpassung der Bedingungen an das neue Recht nicht mehr möglich. Der VR bedarf nach Fristablauf der Zustimmung des VN (Rn. 26). • Die Änderungsmitteilung hat die Textform zu wahren. Die Information muss dem VN ausgehändigt werden. Es reicht nicht aus, dem VN die Änderungsmitteilung nur auf Anforderung zuzusenden oder ihm lediglich eine Download-Möglichkeit im Internet anzubieten.62
38
Besondere Schwierigkeiten bereitet der Umstand, dass der VN „die geänderten Versicherungsbedingungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede“ mitgeteilt bekommen muss. Fraglich ist, wie die Kenntlichmachung der Unterschiede zwischen „Alt- und NeuAVB“ zu erfolgen hat. Einigkeit herrscht darüber, dass die Kenntlichmachung für den VN so klar und verständlich wie möglich sein sollte. Einzelheiten sind dagegen ungeklärt: • Eine schlichte Mitteilung (Kurzinfo) an den VN, dass auch für seinen Vertrag ab 1.1.2009 das neue VVG gelte, genügt jedenfalls nicht. Das Wort „Kenntlichmachung“ in Art. 1 Abs. 3 EGVVG bezieht sich auf „die geänderten Versicherungsbedingungen“ und nicht auf „die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes“. Hinzu kommt folgende Erwägung: Sind Klauseln in den Alt-AVB nach neuem Recht unwirksam oder unvollständig, verbleibt u.U. eine Regelungslücke, die sich nicht ohne weiteres im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung schließen lässt (s. auch Rn. 107). Es bedarf dann einer konkreten „Ersatzregelung“. Weiterhin ist es für die Ausübung des Anpassungsrechts nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG unzureichend, wenn der VR den VN lediglich über die wesentlichen Inhalte der neuen Rechtslage (abstrakt) informiert. Es fehlt dann an der erforderlichen Gegenüberstellung zwischen den alten und neuen Vertragsbedingungen.63 Aus dem gleichen Grund ist es unzureichend, dem VN lediglich die neuen AVB mehr oder weniger kommentarlos zuzusenden. Es fehlt dann ebenfalls an der „Kenntlichmachung der Unterschiede“. • Im Schrifttum wird häufig eine synoptische bzw. tabellarische Gegenüberstellung gefordert,64 wobei z.T. eine farbliche Hervorhebung der Änderungen empfohlen wird.65 Ähnlich streng ist die Auffassung, die vom VR verlangt, dass er dem VN (mittels konkreter Paragrafenangabe usw.) mitteilt, welche Bestimmung seines Vertrags durch welche anders lautende Regelung ersetzt wird.66 Bei einer Vielzahl von Tarifgenerationen oder auch individuell gestalteten Altverträgen (z.B. mit Maklerbedingungen) ist die Umsetzung dieser Vorgabe indes praktisch kaum realisierbar.67 Sofern es sich nicht um reines (einheitliches) „Industriegeschäft“ handelt, ist eine individuelle Durchsicht der Verträge erforderlich, die dem VR kaum zumutbar ist.68 Vom VR würde oftmals etwas verlangt werden, was er gar nicht (fristgerecht) leisten kann. Fraglich ist auch, ob Informationswert und Transparenzgewinn für den Kunden so groß sind, dass die Erstellung umfangreicher Unterlagen geboten ist. I.E. ist die synoptische Darstellung allerdings die „rechtssicherste“ Umsetzungsvariante.69
62 63 64
65
Neuhaus RuS 2007 441, 445. Weidner RuS 2008 368. Fahl/Kassing VW 2009 320, 322; Franz VersR 2008 298, 312; Staudinger/Kassing ZGS 2008 411; Weidner RuS 2008 368. Neuhaus RuS 2007 441, 445.
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66 67 68 69
Karl Maier VW 2008 986, 989 f. Insofern auch Weidner RuS 2008 368. Siehe etwa Funck VersR 2008 163, 168. Freiherr Frank von Fürstenwerth RuS 2009 221, 225.
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
• Als Alternative kommt in Betracht, die Änderungen in einem Informationsschreiben oder Nachtrag zu dokumentieren, in dem die zu ändernden AVB-Regelungen nicht punktgenau zitiert, sondern lediglich in Stichworten skizziert und im Anschluss die neuen Vertragsregelungen abgedruckt werden.70 Denkbar ist es auch, die Altbestimmung abstrakt zu beschreiben und sie der konkreten Neuregelung in Tabellenform gegenüberzustellen. Dieser Nachtrag könnte etwa zusammen mit der Beitragsrechnung versandt werden. Vorteil ist, dass der Umstellungsaufwand in Grenzen gehalten wird, ohne dass dem VN bedeutsame Informationen verloren gehen. Ob ein derart vereinfachtes Vorgehen die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 3 EGVVG erfüllt, ist indes umstritten. Eingewandt wird u.a., dass ein genauer Verweis auf die Altbedingungen (auf die konkret zu ändernde Klausel) fehlt. Der Kunde sei gezwungen, sich die geänderten Textpassagen in seinen Vertragsgrundlagen selbst herauszusuchen.71 • Sofern im Altbestand ein erst durch die VVG-Reform 2008 regelungsrelevant gewordener Punkt nicht vorgesehen ist (Beteiligung an den Bewertungsreserven ab 1.1.2008 in der Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr in Anlehnung an § 153 und Art. 4 EGVVG), fehlt es an einer Altund Neubestimmung, die synoptisch gegenübergestellt werden könnten. Hier reicht es aus, dem VN die erstmaligen Regelungen in Form einer Ergänzung seiner AVB (ggf. mit einer kurzen Erläuterung) mitzuteilen. Sie kann verbunden werden mit der Übersendung der Jahresstandsmitteilung zur Überschussbeteiligung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 VVG-InfoV.
dd) Rechtsfolgen. Art. 1 Abs. 3 EGVVG enthält keine Rechtsfolgenregelung. Die 39 Auswirkungen einer unterlassenen Anpassung der AVB-Bestände ergeben sich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen. (1) Durchgeführte Anpassung. Hat der VR von seinem Anpassungsrecht ordnungs- 40 gemäß Gebrauch gemacht, gelten die neuen AVB mit Wirkung zum 1.1.2009. Eine Anpassung zu einem früheren Zeitpunkt ist denkbar, sofern sie dem VN zum Vorteil gereicht und das Verbot von Begünstigungsverträgen (§ 81 Abs. 2 S. 4 VAG) nicht missachtet wird. Einseitige Änderungen zum Nachteil des VN (Abweichungen vom alten VVG, das noch bis zum 31.12.2008 Gültigkeit hatte) sind dagegen nicht vor dem 1.1.2009 nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG möglich, und zwar selbst dann nicht, wenn sie danach von dem neuen VVG gedeckt sind. (2) Unterlassene Anpassung. Hat sich der VR sich aus geschäftspolitischen Gründen 41 gegen eine Vertragsanpassung entschieden, so lässt sich die Gefahr zivil-, aufsichts- und wettbewerbsrechtlicher Nachteile nicht sicher ausschließen. (a) Abweichung von zwingenden oder halbzwingenden Vorschriften. Nicht ange- 42 passte Klauseln, die von zwingenden oder halbzwingenden Vorschriften des VVG 2008 (z.B. §§ 18, 32, 42) abweichen, sind nichtig, und zwar auch dann, wenn sie bis zur VVGReform 2008 wirksam waren. Sie sind dann mit den wesentlichen Grundgedanken der neuen gesetzlichen Regelungen des VVG (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) nicht mehr vereinbar. Darüber hinaus können veraltete AVB-Regelungen intransparent sein, etwa weil sie auf Normen des VVG a.F. verweisen, die nach der VVG-Reform 2008 nicht mehr bzw. inhaltsgleich existieren. Dies ist etwa anzunehmen, wenn die AVB auch nach Ablauf der Übergangszeit am 1.1.2009 noch eine Klagefrist nach § 12 Abs. 3 a.F. vorsehen (Ziff. 14 70
Honsel VW 2008 480, 482 ff. (mit Muster); Muschner/Wendt MDR 2008 949, 950; ähnlich Funck VersR 2008 163, 168; ablehnend etwa Karl Maier VW 2008 986, 989 f.; kritisch auch Weidner RuS 2008 368, 369.
71
Näher Fahl/Kassing VW 2009 320, 321 f.; ferner Schnepp/Segger VW 2008 907, 908.
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Unfallversicherung
AUB 2008 Rn. 3). Der VR darf sich dann nicht mehr auf die unwirksamen Klauseln berufen oder sie gar im Neugeschäft verwenden. Tut er es dennoch, muss er damit rechnen, dass z.B. Verbraucherverbände wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend machen (§§ 1, 3 UKlaG) oder das Aufsichtsamt eingreift. Weiterhin kann der einzelne VN im Individualprozess den Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften geltend machen. Die nichtige Klausel lässt die Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen unberührt (§ 306 43 Abs. 1 BGB). An die Stelle der unwirksamen Klauseln tritt die gesetzliche Regelung (§ 306 Abs. 2 BGB). Beispiel: Wird Ziff. 10.2 AUB 99 nicht an die Laufzeitbegrenzung von drei Jahren angepasst, so weicht sie zum Nachteil des VN von der Vorschrift des § 11 Abs. 4 ab und widerspricht damit dem gesetzlichen Leitbild i.S.v. § 307 BGB. An die Stelle der unwirksamen Regelung tritt § 11 Abs. 4.
Fehlen geeignete gesetzliche Vorschriften und ist die ersatzlose Streichung der Klausel keine interessengerechte Lösung, ist die Lücke durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen (Rn. 102). 44 Insbesondere bei vertraglichen Obliegenheiten bestehen erhebliche Rechtsunsicherheiten. Der VR ist wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion der Gefahr ausgesetzt, dass • Obliegenheitsverletzungen ohne Rechtsfolgen bleiben und der VR ab dem 1.1.2009 keine Leistungsfreiheit bzw. -kürzung oder Vertragsanpassung geltend machen kann.72 • Obliegenheitsverletzungen zunehmen werden, weil die VN im Fall einer restriktiven Rechtsprechung mit keinen für sie nachteiligen Rechtsfolgen rechnen müssen. • es zu Problemen bei späteren einvernehmlichen Vertragsanpassungen kommen kann. Der VR bzw. sein Vertreter wird ggf. den VN vor der Umstellung darauf hinweisen müssen, dass der Altvertrag wegen der fehlenden Regelungen zu den Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung u.U. günstiger ist.73
Zwar sind in den AUB 99 die vertraglichen Obliegenheiten (Ziff. 7 AUB 99) und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung (Ziff. 8 AUB 99) deutlich getrennt geregelt, so dass es nicht gerechtfertigt erscheint, die Unwirksamkeit von Ziff. 8 AUB 99 auf Ziff. 7 AUB 99 durchschlagen zu lassen.74 Vielmehr kann von einer Teilunwirksamkeit von Ziff. 8 AUB 99 ausgegangen werden (§ 139 BGB): Ziff. 8 AUB 99 bezieht sich nur auf Ziff. 7 AUB 99 („Wird eine nach Eintritt eines Unfalls zu erfüllende Obliegenheit verletzt …“). Ziff. 7 AUB 99 stellt dagegen unabhängig von den Rechtsfolgeregelungen in Ziff. 8 AUB 99 für den VN zu beachtende Obliegenheitentatbestände auf. Sie können der Sache nach auch ohne Ziff. 8 AUB 99 Bestand haben. Jedoch ist ungeklärt, ob Ziff. 8 AUB 99 auch ohne Anpassung einfach durch einen Rückgriff auf § 28 ersetzt werden kann.75 Insofern wird 72
73 74
75
Fahl/Kassing VW 2009 320, 323; Fitzau VW 2008 448, 449; Freiherr Frank von Fürstenwerth RuS 2009 221, 223; Marlow/Spuhl 3 S. 112; Karl Maier VW 2008 986, 988; Muschner/Wendt MDR 2008 949, 951; Neuhaus RuS 2007 441, 445; Stadler VW 2006 1339, 1342; Wagner VersR 2008 1190, 1193 f. Honsel VW 2008 480, 482. Schnepp/Segger VW 2008 907, 909; wohl auch Höra RuS 2008 89, 90; a.A. Karl Maier VW 2008 986, 987. Allgemein für vertragliche Obliegenheiten
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bejahend Funck VersR 2008 163, 168; Hövelmann VersR 2008 612, 615 f.; Schnepp/Segger VW 2008 907, 908 ff.; Weidner RuS 2008 368, 370 f.; auch Günther/Spielmann RuS 2008 133, 144; a.A. Freiherr Frank von Fürstenwerth RuS 2009 221, 223; Karl Maier VW 2008 986, 987; Staudinger/Kassing ZGS 2008 411 f.; Wagner VersR 2008 1190, 1193 f.; differenzierend zwischen vorsätzlichen und grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen Muschner/Wendt MDR 2008 949, 951 f.
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
es auf die Beantwortung der Wertungsfrage durch die Gerichte ankommen, ob und inwieweit dem VR das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion auch dann entgegengehalten werden kann, wenn ihm einerseits wegen der nachträglich eingetretenen Unwirksamkeit einer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses einwandfreien Klausel kein „Vorwurf“ zu machen ist und er andererseits die gesetzlich eingeräumte Anpassungsmöglichkeit aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Erwägungen nicht nutzt bzw. die vorgenommene Anpassung nicht beweisen kann. I.E. erscheint es nicht geboten, zugunsten der VR zu entscheiden; denn anderenfalls würde das gesetzlich in Art. 1 Abs. 3 EGVVG vorgesehene Umstellungsverfahren ausgehöhlt. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass dem Gesetzgeber das Problem offenbar bekannt war. Im Gesetzgebungsverfahren wurde eine alternative Formulierung des Art. 1 Abs. 3 EGVVG vorgelegt, die eine besondere Regelung für vereinbarte Obliegenheiten vorsah. Den Vorschlag hat der Gesetzgeber jedoch gerade nicht aufgenommen.76 Hält man einen Rückgriff auf § 28 anstelle von Ziff. 8 AUB 99 AUB für ausgeschlossen, so ist eine Heranziehung der Vorschrift im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bedenklich;77 denn zweifelhaft ist, ob davon ausgegangen werden darf, dass es dem ursprünglichen Vertragswillen der vernünftig denkenden Parteien eher entspricht, die vereinbarten Obliegenheiten mit den Rechtsfolgenregelungen des § 28 aufrecht zu erhalten als diese ganz entfallen zu lassen. Zwar darf einerseits der verständige VN bei Vertragsbegründung nicht darauf vertrauen, dass Obliegenheitsverletzungen ohne Konsequenzen bleiben.78 Andererseits hat der VR mit Art. 1 Abs. 3 EGVVG eine vereinfachte (wenn auch praktisch nicht befriedigende) Möglichkeit, für klare Verhältnisse zu sorgen. Unterlässt er etwa aus Kostengesichtspunkten eine Anpassung von Ziff. 8 AUB 99, so sind seine damit verbundenen Motive nicht derart schutzwürdig, dass sie es bei objektiv neutraler Betrachtung gebieten würden, den VN Rechtsunsicherheiten oder -nachteile hinnehmen zu lassen.79 Der VN wird nämlich bei einer unterlassenen Anpassung u.U. davon abgehalten, die ihm zustehenden Rechte durchzusetzen; ergo führt die Fehlerhaftigkeit von Ziff. 8 AUB 99 zu Intransparenz und Irreführung. Insofern ist es zu kurz gegriffen, wenn im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung lediglich gefragt wird, ob die redlichen Vertragsparteien Obliegenheitsverletzungen ohne Konsequenzen belassen wollen. Zu ergänzen ist, wie sich die Vertragsparteien bei Vertragsschluss verhalten hätten, wenn sie auch die gesetzliche (einseitige) Anpassungsmöglichkeit des VR in ihre Erwägungen eingestellt hätten. Dann liegt bei Unwirksamwerden von Ziff. 8 AUB 99 der Rückgriff auf § 28 nicht auf der Hand. Stattdessen erscheint bei verständiger (verbraucherfreundlicher) Betrachtung die Annahme einer dahingehenden Vereinbarung näher liegend, dass der VR sein Anpassungsrecht auch ausübt und im Fall der Nichtausübung Ziff. 8 AUB 99 ersatzlos entfällt. Unterlässt der VR eine Anpassung der Altregelungen zu den vorvertraglichen An- 45 zeigepflichten, so stellt sich die Frage, ob §§ 19 ff. als Auffangregelung eingreifen oder sich der VR überhaupt nicht auf eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit berufen kann. Das Risiko für den VR, auf verletzte Anzeigeobliegenheiten des VN nicht reagieren zu können, besteht bis Ablauf der Ausschlussfristen in § 21 Abs. 3.
76 77
Freiherr Frank von Fürstenwerth RuS 2009 221, 223. Fahl/Kassing VW 2009 320, 323; Karl Maier VW 2008 986, 988; Staudinger/Kassing ZGS 2008 411, 412 ff.; Beckmann/MatuscheBeckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 3; a.A. Muschner/Wendt MDR 2008 949, 951 ff.
78 79
Muschner/Wendt MDR 2008 949, 952; Schnepp/Segger VW 2008 907, 909 f. Ähnlich Staudinger/Kassing ZGS 2008 411, 413 f.; s. auch BAG 13.9.2006 NZA 2008 293, 294 (Rn. 28).
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Unfallversicherung
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Unstreitig ist, dass sich der VR im Geschäftsverkehr bzw. Wettbewerb nicht mehr auf „veraltete“ Klauseln berufen darf, die mit Vorschriften des VVG 2008 inkompatibel sind. Kontrovers kann dagegen die Frage beurteilt werden, ob sich der VR öffentlich durch eine Anpassung des Altbestandes von unwirksam gewordenen Altbedingungen distanzieren muss, um Abmahnrisiken zu vermeiden. Dies wird z.T. dann verneint, wenn der VR durch interne (organisatorische) Maßnahmen wie z.B. Anweisungen und Informationen an den Vertrieb oder Verwaltungsbereich alles unternommen habe, was eine vielleicht auch nur versehentliche Berufung auf die beanstandeten Klauseln verhindere. Dadurch könne der VR die Entstehung einer Erstbegehungsgefahr verhindern und ggf. eine bestehende Wiederholungsgefahr ausräumen.80 Z.T. werden Maßnahmen der BAFin im Rahmen der Missstandsaufsicht (§ 81 VAG) 47 befürchtet, wenn es zu erheblichen Abweichungen zwischen Altbedingungen und der neuen Gesetzeslage kommt.81 Die Voraussetzungen für einen Missstand liegen indes im Fall einer unterlassenen Vertragsanpassung nicht vor.82 Zwar kann argumentiert werden, dass die meisten Kunden ohne Information des VR nicht erkennen können, dass ihre AVB z.T. veraltete Regelungen enthalten und für sie infolge der VVG-Reform 2008 ggf. günstigeres Recht heranzuziehen ist. Möglicherweise vertrauen sie auf den „veralteten“ Status quo und nehmen aus Unwissenheit Rechtsnachteile hin. Jedoch ist dem entgegen zu halten, dass es sich bei Art. 1 Abs. 3 EGVVG um eine „Kannvorschrift“ handelt (Rn. 35). Ein VR, der von der Anpassungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht, handelt nicht rechtswidrig. Die Gesetzesformulierung wäre sinnlos, wenn über das Aufsichtsrecht mittelbar doch ein Zwang zur Bedingungsanpassung geschaffen würde. Notwendig und ausreichend ist es, dass der VR durch geeignete und zumutbare Maßnahmen dafür Sorge trägt, im Verwaltungsbetrieb Rechtsverstöße durch die Anwendung nicht VVG-konformer Klauseln zu verhindern.83 Diesen Standpunkt hat auch die BaFin eingenommen.84 Rechtsnachteilen ist der VR auch ausgesetzt, wenn er den Zugang der geänderten 48 AVB beim VN im Streitfall nicht beweisen kann (zum Zugangsbeweis Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 55 ff.). Es ist davon auszugehen, dass die VR dieses Risiko eingehen, da die Versendung per Einschreiben oder die persönliche Übergabe durch den Außendienst gegen Empfangsquittung kostenaufwändig und auch nicht gerade kundenfreundlich ist.
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(b) Abweichung von dispositiven Vorschriften. Unschädlich ist es, wenn AVB-Regelungen von dispositiven VVG-Vorschriften abweichen. Sie unterliegen – wie bisher auch – einer AGB-rechtlichen Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB (Rn. 82 ff.).
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(c) Regelungslücken. Ist ein Themenkomplex in den Altbestimmungen nicht berücksichtigt und inzwischen durch die VVG-Reform 2008 regelungsrelevant geworden, entsteht eine Vertragslücke, die wie die Beteiligung an den Bewertungsreserven in der Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr auch nicht durch Rückgriff auf Gesetzesrecht (eindeutig) geschlossen werden kann. Es kommt dann zu einer ergänzenden Vertragsauslegung, deren Ergebnis kaum prognostizierbar ist und je nach erkennendem Gericht
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Schnepp/Segger VW 2008 907, 910 f. So Fitzau VW 2008 448, 449; Neuhaus RuS 2007 441, 445; Wagner VersR 2008 1190, 1194. Hövelmann VersR 2008 612, 614 f.; Karl Maier VW 2008 986, 988; Schnepp/Segger
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VW 2008 907, 911; Weidner RuS 2008 368, 369. Schnepp/Segger VW 2008 907, 911. Schreiben an den GDV vom 6.6.2008 und 24.7.2008; dazu auch Freiherr Frank von Fürstenwerth RuS 2009 221, 225.
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
unterschiedlich ausfallen kann. Ob allerdings eine Vertragsanpassung dem VR dieses Risiko abnimmt, bleibt fraglich.85 d) Schadensersatz. Möglich ist es, den VN eines Altvertrags im Wege des Schadens- 51 ersatzes (§ 6 Abs. 5, § 280 BGB) so zu stellen, als ob die vom VR im Neugeschäft eingeführten AVB vereinbart worden wären. Dies setzt aber zunächst voraus, dass der VR eine vertragliche Nebenpflicht schuldhaft verletzt hat. aa) Hinweispflicht nach § 6 Abs. 4 oder Treu und Glauben. Ob der VR nach § 6 52 Abs. 4 oder nach Treu und Glauben als Ausfluss einer vertraglichen Nebenpflicht dazu verpflichtet ist, den VN auf AVB-Änderungen (z.B. Einführung einer neuen AUB-Generation) hinzuweisen, lässt sich nicht allgemein feststellen.86 Entscheidend für die Ableitung von Ansprüchen ist, ob erkennbarer Anlass zu einem Hinweis gegeben ist. Zwei Fallgruppen lassen sich bei grober Betrachtung unterscheiden, nämlich ob der VR und der VN Verhandlungen über eine Anpassung, Erweiterung, Einschränkung bzw. Verlängerung eines bestehenden Vertrages führen oder es zu Bedingungsänderungen während der Vertragslaufzeit eines bestehenden Vertrags kommt, ohne dass die Parteien in Vertragsverhandlungen treten.87 Eine Hinweispflicht des VR auf geänderte AVB kann bei einem erkennbaren Anlass 53 (§ 6 Abs. 4) oder unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Rahmen von Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung oder -umgestaltung bestehen.88 Solche Vertragsverhandlungen können indes noch nicht angenommen werden, wenn • der VR aufgrund einer ursprünglich vereinbarten Dynamik regelmäßig Anpassungen der Versicherungssummen und Beiträge durchführt;89 denn durch automatisiert ablaufende Prozesse kommt es nicht zu einer neuen Beratungsanlass bietenden Verhandlungssituation. • der Vertrag aufgrund einer von vornherein vereinbarten Vertragsverlängerungsklausel (ohne weiteres Zutun der Parteien) weitergeführt wird.90 Auch in diesem Fall kommt es noch zu keinen Vertragsverhandlungen. • der VN in der Vergangenheit nach Maßgabe einer bestimmten früheren AUB-Generation versichert war und nach Jahren eine neue Unfallversicherung abschließt. Gerade wenn die Parteien zwischenzeitlich keinen Unfallversicherungsvertrag unterhielten, sondern „Aussetzungszeiten“ bestanden, liegt ein Neuabschluss und kein Fall der Umgestaltung eines früheren Versicherungsverhältnisses vor. Der VN muss bei einer solchen Sachverhaltskonstellation damit rechnen, dass der neuen Unfallversicherung inzwischen geänderte AUB zugrunde gelegt werden. Ein allgemeines Vertrauen darauf, dass sich AVB im Lauf der Jahre nicht ändern, ist ungerechtfertigt. Vielmehr ist dem durchschnittlichen VN bekannt, dass es z.B. mit Rücksicht auf neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer Änderung oder Präzisierung kommen kann.91 Entscheidend ist, dass sich die vereinbarte AUB-Generation klar aus den Vertragsunterlagen ergibt und der VR seinen Informationspflichten nach § 7 nachgekommen ist.
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88
Näher Hövelmann VersR 2008 612, 616 f. Eingehend Klimke NVersZ 1999 449 ff. Fausten VuR 2003 366, 367; auch Armbrüster ZVersWiss 2008 425, 433; ders. FS Schirmer S. 1, 5 ff. BGH 23.9.1981 BGHZ 81 345, 347 f. = VersR 1982 37, 38 = NJW 1982 926; BGH 24.11.1972 VersR 1973 176, 177; OLG Bamberg 13.3.1997 VersR 1998 833, 834; OLG Saarbrücken 25.11.1987 VersR
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1989 245, 246; Armbrüster FS Schirmer S. 1, 6 f.; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 12 und 19; Stockmeier/Huppenbauer S. 4 f. OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135; OLG Hamm 17.3.1993 VersR 1994 37, 38 = RuS 1993 441. OLG Düsseldorf 10.6.2008 VersR 2008 1480, 1481 f. = NJW-RR 2009 246, 248; OLG Hamburg 24.4.1987 VersR 1988 620. OLG Celle 9.1.1991 VersR 1991 1165, 1166.
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Unfallversicherung
Nach wohl h.M. erwächst einem VR, der während der Laufzeit eines Vertrages neue AVB einführt, grundsätzlich keine allgemeine Verpflichtung, den VN – ohne besonderen erkennbaren Anlass (Verhandlungssituation) oder besondere rechtliche Verpflichtung (z.B. Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beim VVaG nach § 21 VAG) 92 – „von sich aus“ auf neue AVB-Werke oder einzelne Bedingungsänderungen hinzuweisen und sich ggf. auf die Einbeziehung der neuen Bedingungen einzulassen.93 Dies käme einem der Privatautonomie widersprechenden Kontrahierungszwang gleich. Genauso wie der VR einen Neuabschluss ablehnen kann, darf er im Prinzip auch die Vornahme einer Vertragsänderung ablehnen. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es nicht, von dem einmal geschlossenen Vertrag abzuweichen 94 und den VR mit einem von den konkreten Verhältnissen losgelösten unüberschaubaren Prüfungsaufwand 95 sowie den Kosten einer Benachrichtigung des VN zu belasten.96 Vielmehr ist der VN grundsätzlich selbst gehalten, (durch eigene Recherche oder Einschaltung sachkundiger Dritter wie Versicherungsmakler) seinen Versicherungsschutz zu überprüfen und ggf. anzupassen. Es bedarf einer besonderen Rechtfertigung, den VN aus seiner Eigenverantwortlichkeit zu entlassen. Anderenfalls würde auch der gesamtwirtschaftlich erwünschte Innovationsanreiz für die VR gehemmt.97 Die (allgemeine) Hinweispflicht des VR ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Neufassung für den VN nicht ausschließlich günstiger ist,98 wobei neben den Versicherungsleistungen auch das Prämienniveau in die Betrachtung einzubeziehen ist.99 So brachte etwa die Änderung der AUB 61 mit Einführung der AUB 88 „per Saldo“ sowohl Vor- als auch Nachteile für den VN mit sich (Vorbem. § 178 Rn. 11). Entsprechendes gilt für die Umstellung der AUB 88/94 auf die AUB 99.100 Ob dagegen eine Hinweispflicht des VR besteht, wenn die neuen Bedingungen für den VN ein komplett neues Regelungswerk darstellen oder allein bzw. wenigstens überwiegend im Interesse des VN geändert wurden, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend
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Dazu Klimke NVersZ 1999 449, 451 f. OLG Düsseldorf 10.6.2008 VersR 2008 1480, 1482 = NJW-RR 2009 246, 248; OLG Hamburg 24.4.1987 VersR 1988 620; OLG Hamm 17.3.1993 VersR 1994 37, 38 = RuS 1993 441; OLG Saarbrücken 25.11.1987 VersR 1989 245, 246 mit kritischer Anm. Voit VersR 1989 834 f.; Armbrüster ZVersWiss 2008 425, 433; ders. FS Schirmer S. 1, 7 ff.; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 12; Knappmann RuS 2007 45, 46; Prölss/Martin/Prölss 27 Vorbem. I Rn. 36; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 3; Stockmeier/Huppenbauer S. 4; Weidner FS Wälder S. 83, 86 ff. und 102; s. auch LG Darmstadt 14.2.1990 RuS 1990 299 (LS); a.A. LG Bad Kreuznach 26.2.1991 ZfS 1991 207, 208; Fausten VuR 2003 366, 370 ff. (insbesondere 373 f.); Kloth Rn. C 60 (ohne Begründung); differenzierend Klimke NVersZ 1999 449, 450 ff. OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135.
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OLG Düsseldorf 10.6.2008 VersR 2008 1480, 1482 = NJW-RR 2009 246, 248. Näher Klimke NVersZ 1999 449, 452 ff.; ferner Weidner FS Wälder S. 83, 92 ff. Armbrüster ZVersWiss 2008 425, 433; Armbrüster FS Schirmer S. 1, 8 f. OLG Bamberg 13.3.1997 VersR 1998 833, 834; OLG Hamburg 24.4.1987 VersR 1988 620; OLG Hamm 17.3.1993 VersR 1994 37, 38 = RuS 1993 441; OLG Saarbrücken 25.11.1987 VersR 1989 245, 246; LG Coburg 23.7.1996 VersR 1998 1102; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 12. OLG Hamm 21.1.2000 VersR 2000 1231, 1232; LG Darmstadt 14.2.1990 RuS 1990 299 (LS). OLG Düsseldorf 10.6.2008 VersR 2008 1480, 1482 = NJW-RR 2009 246, 248; Grimm4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 9 und 12; Stockmeier/Huppenbauer S. 4.
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entschieden.101 Dies kommt etwa für den Übergang der AUB 99 auf die AUB 2008 infolge der VVG-Reform 2008 in Betracht. Aber auch hier wird i.E. eine allgemeine Hinweispflicht des VR zu verneinen sein (vgl. Rn. 36). Für den Fall, dass AVB-Änderungen ausschließlich Verbesserungen für den VN beinhalten, wird mitunter die Auffassung vertreten, dass diese im Schadensfall auch ohne Beratung des VN zugrunde zu legen seien.102 Besteht eine Hinweispflicht des VR, so erfüllt der VR diese, wenn er den VN – auch 55 formlos – über die Möglichkeit der Änderung seines Vertrags und die wesentlichen Inhalte dieser Änderung informiert. Darüber hinausgehende Erläuterungen muss der VR nicht geben, es sei denn, aus den Umständen ergibt sich etwas anderes (z.B. weil der VN Nachfragen stellt).103 Verletzt der VR eine bestehende Beratungs- oder Hinweispflicht, so hat dies zur Folge, dass der VR den VN wie bei pflichtgemäßem Handeln zu stellen hat. Da zu vermuten ist, dass sich der VN entsprechend einer erteilten Aufklärung und Beratung verhält, kann dies dazu führen, dass die Geltung neugefasster AVB fingiert wird.104 bb) Keine Hinweispflicht aufgrund einer geschäftsplanmäßigen Erklärung. Eine ver- 56 tragliche Nebenpflicht des VR, in einer Vielzahl von Verträgen dem jeweiligen VN Vertragsänderungen anzubieten, besteht auch dann nicht, wenn er gegenüber der Aufsichtsbehörde die geschäftsplanmäßige Erklärung105 abgegeben hat, nur noch die Neufassung bestimmter AVB zu verwenden und mit schriftlichem Einverständnis des VN die bestehenden Versicherungsverhältnisse bei sich bietender Gelegenheit umzustellen. Bereits die Formulierung „der sich bietenden Gelegenheit“ ist zu unbestimmt.106 Weiterhin übernimmt der VR mit einer im öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis gegenüber dem Aufsichtsamt abgegebenen Erklärung keine unmittelbaren vertraglichen Verpflichtungen im zivilrechtlichen Rechtsverhältnis zum VN.107 Der VN kann sich aber im Fall der Missachtung einer geschäftsplanmäßigen Erklärung an die Aufsichtsbehörde wenden, um ggf. Maßnahmen der Missstandsaufsicht zu erwirken (Vorbem. § 178 Rn. 72).
III. Auslegung Für die Auslegung einzelner AUB-Bestimmungen gelten keine anderen Rechtsregeln 57 als bei sonstigen AVB bzw. AGB.108 Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die fragliche Klausel bzw. der in den AVB verwendete Ausdruck nicht „gesetzesähnlich“,109 sondern so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, verständiger und redlicher VN sie bei
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Bejahend OLG Hamburg 24.4.1987 VersR 1988 620 (ohne nähere Begründung); offen lassend OLG Düsseldorf 10.6.2008 VersR 2008 1480, 1481 f. = NJW-RR 2009 246, 248; OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135. So Weidner FS Wälder S. 83, 94 und 102. Klimke NVersZ 1999 449, 454 f. OLG Saarbrücken 25.11.1987 VersR 1989 245, 246; Knappmann RuS 2007 45, 46. Für die Umstellung der AUB 61 auf die AUB 88 VerBAV 1987 417 (dazu auch GB BAV 1988 88 Nr. 9.2.1). OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135.
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OLG Bamberg 13.3.1997 VersR 1998 833, 834; OLG Hamburg 24.4.1987 VersR 1988 620; OLG Hamm 17.3.1993 VersR 1994 37, 38 = RuS 1993 441, 442; LG Coburg 23.7.1996 VersR 1998 1102, 1103. Allgemein hierzu etwa Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 166 ff. BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1091 zu § 3 Nr. 4 AUB 61 mit Anm. E. Lorenz; a.A. noch z.B. BGH 15.6.1983 VersR 1983 850; BGH 16.6.1982 VersR 1982 841, 842; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 47.
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aufmerksamer Durchsicht und bei sachgerechter Würdigung unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs und verfolgten Klauselzwecks sowie Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise verstehen muss.110 Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an.111 Jedes eigene Nachdenken kann dem VN allerdings nicht erspart bleiben.112 Ergibt sich eine eindeutige Auslegung, ist weder Platz für die Unklarheitenregel im Individualprozess noch Raum für eine kundenfeindlichste Auslegung im Verbandsprozess.113 1. Auslegungsgrundsätze
58
Die Auslegung der AVB erfolgt nach rein zivilrechtlichen Grundsätzen. Außer Betracht bleiben etwa geschäftsplanmäßige Erklärungen, die der VR gegenüber dem früheren BAV abgegeben hat und nicht Vertragsinhalt geworden sind (vgl. Vorbem. § 178 Rn. 71 ff.).
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a) Objektive Auslegung. AVB (AGB) sind nach objektiven Gesichtspunkten (einheitlich) auszulegen.114 Dabei sind die Interessen der normalerweise beteiligten Kreise abzuwägen.115 Es darf deshalb grundsätzlich nicht auf die besonderen Umstände des Einzelfalls 116 oder auf das tatsächliche Verständnis der Vertragspartner (insbesondere des jeweiligen VN) abgestellt werden.117 Auch im Verbandsklageverfahren rechtfertigen danach theoretisch denkbare, praktisch aber völlig fern liegende und nicht ernstlich in Betracht zu ziehende Auslegungsmöglichkeiten kein Klauselverbot.118 Entscheidender Zeitpunkt für die Auslegung ist nach der Rechtsprechung des BGH 60 das Verständnis des durchschnittlichen VN bei Abschluss des Versicherungsvertrages bzw. Einbeziehung der AGB in den Vertrag.119
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BGH 23.2.2005 VersR 2005 639; BGH 21.2.2001 VersR 2001 576; BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228; BGH 22.3.2000 VersR 2000 709; BGH 21.4.1999 VersR 1999 877, 878; BGH 11.3.1998 VersR 1998 617; BGH 3.12.1997 VersR 1998 308, 309; BGH 7.2.1996 VersR 1996 486, 487; BGH 5.7.1989 VersR 1989 908, 909. BGH 8.7.2009 VersR 2009 1525, 1526 Rn. 17 = NJW-RR 2010 39, 40 = RuS 2009 423; BGH 16.1.2008 VersR 2008 527, 528 Rn. 7 = NJW-RR 2008 833, 834 = RuS 2008 211, 212; BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690 Rn. 11 = NJW-RR 2008 189, 190 = RuS 2008 25, 26; BGH 13.7.2005 VersR 2005 1417; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039; BGH 9.7.2003 VersR 2003 1163, 1164; BGH 30.10.2002 VersR 2002 1546, 1547; BGH 25.9.2002 VersR 2002 1503, 1504; BGH 26.9.2001 VersR 2001 1502, 1503; BGH 21.2.2001 VersR 2001 489, 490; BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1091; BGH 16.6.1999 VersR 1999 1224, 1225 = NVersZ 1999 476, 477; BGH 17.3.1999
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VersR 1999 745, 746; BGH 17.3.1999 VersR 1999 748, 749; BGH 23.6.1993 BGHZ 123 83, 85 = VersR 1993 957, 958; BGH 16.6.1982 BGHZ 84 268, 272 = VersR 1982 841, 842 = NJW 1982 2776, 2777. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639; BGH 10.7.1990 BGHZ 112 115, 121. OLG Hamm 31.5.2000 VersR 2001 709. S. nur BGH 29.5.2008 NJW 2008 2495, 2496 Rn. 19; BGH 15.6.1983 VersR 1983 850; Wagner ZVersWiss 1975 619, 621 ff.; näher etwa Prölss/Martin/Prölss 27 Vorbem. III Rn. 2 ff. BGH 16.6.1982 BGHZ 84 268, 272 = VersR 1982 841, 842 = NJW 1982 2776, 2777. Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve § 10 Rn. 208. BGH 15.6.1983 VersR 1983 850; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 52; siehe auch Kloth Rn. C 34. BGH 30.10.2002 VersR 2002 1546, 1547; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve § 10 Rn. 209. BGH 2.10.1985 VersR 1986 177, 178.
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AGB-Recht
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Was genau mit einem „verständigen VN“ gemeint ist und wie dieser eine AVB typi- 61 scherweise versteht, definiert der BGH nicht näher. Da keine empirischen Erhebungen oder repräsentative Kundenbefragungen erfolgen (können), ist letztlich die Meinung des erkennenden Gerichts darüber maßgebend, welche Verständnisfähigkeiten und inhaltlichen Schlussfolgerungen zu einer Klausel einem fiktiven durchschnittlichen VN zuzumessen bzw. zuzutrauen sind.120 Dabei entsteht nicht selten der Eindruck, dass die Rechtsprechung geneigt ist, auf das Verständnis eines „unterdurchschnittlichen“ VN abzustellen.121 Besonderheiten können sich außerhalb des Verbandsklageverfahrens in einem Indivi- 62 dualprozess ergeben. Hier ist das Sonderwissen eines VN bei der Auslegung von AVB zu berücksichtigen. Des Weiteren können individuelle Vertragsumstände Bedeutung erlangen (z.B. Werbung des VR, ausgehändigte Merkblätter). Relevant können insbesondere Erläuterungen des Versicherungsvermittlers zu den AVB sein. Diese muss der VR gegen sich gelten lassen. b) Keine gesetzesähnliche Auslegung. Die Auffassung des BGH, AVB seien aus- 63 schließlich nach den (von den Gerichten bestimmten) Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen VN auszulegen, ist nicht unumstritten. Vornehmlich die ältere Rechtsprechung 122 und Teile der Literatur halten für AGB eine „gesetzesähnliche“ Auslegung für angemessen.123 Danach sind die Belange der VR und die der VN gegeneinander nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte abzuwägen sowie – unter Beachtung des wirtschaftlichen Zwecks der jeweiligen Klausel und des gewählten Wortlauts – der Sinn der Regelung, den sie für alle Fälle und alle Beteiligten haben soll, festzustellen. Z.T. wird das Postulat der gesetzesähnlichen Auslegung modifiziert. Die traditionelle „gesetzesähnliche“ Auslegung dürfe dem VN nur Vorteile, aber keine Nachteile bringen.124 Überzeugend ist dieses Verständnis nicht. Zutreffend hat der BGH die Methoden zur Auslegung von Gesetzen bei den AVB (AUB) nicht übernommen. Zwar ist es richtig, dass etwa die AUB eher den Charakter von Rechtsnormen als von Individualerklärungen haben. Jedoch lassen sich AGB auch nicht (in jeder Hinsicht) mit Rechtsnormen eines demokratisch legitimierten Gesetzgebers gleichsetzen. c) Vorrang der Individualvereinbarung. Der Grundsatz der am Verständnis des 64 durchschnittlichen VN orientierten Auslegung schließt allerdings nicht aus, dass Bestimmungen, die in AVB enthalten sind, im Einzelfall eine abweichende Deutung gegeben wird; denn nach § 305b BGB (§ 4 AGBG) haben individuelle Vertragsabreden Vorrang vor AGB. Eine von AVB abweichende Individualvereinbarung kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend oder durch schlüssige Handlungen getroffen werden. Bringen die Parteien bei den Vertragsverhandlungen zum Ausdruck, dass sie eine bestimmte Klausel anders verstehen, als es deren objektivem Sinn entspricht, so ist eine von den AVB ab-
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123
E. Lorenz VersR 2000 1092. Kloth Rn. C 33. RG 26.3.1943 RGZ 171 43, 48; RG 13.10.1942 RGZ 170 233, 240 f.; OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298, 299; LG Göttingen 7.2.1962 VersR 1963 1017 f. Deutsch Versicherungsvertragsrecht 5. Aufl. (2005), § 5 Rn. 44 (ohne nähere Begründung); Prölss NVersZ 1998 17, 18 f.
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E. Lorenz VersR 2000 1092, 1093; ferner OLG Nürnberg 20.9.2001 VersR 2002 665 f. (zu § 4 Abs. 1a ARB 94; dazu BGH 25.9.2002 VersR 2002 1503, 1504); Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve § 10 Rn. 213.
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weichende stillschweigende Individualvereinbarung anzunehmen. In diesem Zusammenhang kann es auf Belehrungen ankommen, die dem VN seitens des VR, des Versicherungsangestellten oder Versicherungsvermittlers erteilt werden.125 Trifft der Versicherungsvermittler z.B. bei der Antragsaufnahme gegenüber dem VN Aussagen oder Zusagen, die von den AGB des VR abweichen, so muss sich der VR u.U. dennoch an den vom Versicherungsvermittler zugesagten Versicherungsumfang bzw. -inhalt halten. Eine solche Konstellation kommt insbesondere in dem Fall in Betracht, in dem die Angaben des Vermittlers dem VR unbekannt bleiben und der VR die Police ohne Anwendung der Billigungsklausel des § 5 ausfertigt.126 2. Auslegungsmethodik
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AVB sind objektiv, nicht aber gesetzesmäßig auszulegen. Abzustellen ist mithin auf den Wortlaut, systematischen Zusammenhang sowie den erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung,127 nicht aber auf ihre historische Entwicklung.
66
a) Wörtliche Auslegung. Ausgangspunkt für die Auslegung von AVB ist für einen verständigen VN deren Wortlaut.128 Ist dieser eindeutig, so bildet er zugleich die Grenze der Auslegung.129 Entscheidend ist grundsätzlich der Alltagssprachgebrauch. Lediglich in Ausnahmefällen ist das Verständnis von Fachleuten maßgebend. Für die Auslegung von AVB kommt es grundsätzlich nicht auf die fachwissenschaft67 liche Terminologie bzw. Ausdrucksweise der ärztlichen Wissenschaft und die Begriffsbestimmungen der Fachmedizin, sondern ganz entscheidend auf den allgemeinen Lebenssprachgebrauch an.130 Ebenso bleiben statistische Wahrscheinlichkeiten oder Erfahrungen medizinischer Praktiker außer Betracht, sofern diese im Wortlaut der Klausel nicht zum Ausdruck kommen.131 Hintergrund für das Abstellen auf den Alltagssprachgebrauch ist, dass sich die VR mit ihren AVB (AUB) an die Allgemeinheit wenden. Sie müssen deshalb so verstanden werden, wie ein unbefangener Laie sie versteht.132 Es kommt auf eine natürliche Betrachtung an; lebensfremde oder gekünstelte Interpretationen bleiben außer Betracht.133 Fraglich ist, wie der allgemeine Alltagssprachgebrauch des Versicherungslaien er68 mittelt werden soll. Hierzu hat der BGH in einer älteren Entscheidung ausgeführt, der alltägliche Sprachgebrauch werde nicht von den in den allgemein gebräuchlichen Konversationslexiken aufgeführten Definitionen bestimmt, sondern entwickele sich in der Umgangssprache auf Grund von bestimmten Vorstellungsbildern, die der Durchschnittsmensch mit dem betreffenden Ausdruck verbinde.134 In der Realität gibt es indes keinen 125 126 127 128
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BGH 15.6.1983 VersR 1983 850. Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 21. Siehe etwa BGH 12.3.2003 VersR 2003 581, 584 = NJW 2003 1596, 1599. BGH 26.9.2001 VersR 2001 1502, 1503; BGH 22.3.2000 VersR 2000 709; BGH 23.6.1993 BGHZ 123 83, 85. BGH 17.9.1986 VersR 1987 68, 69; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve § 10 Rn. 209. BGH 27.4.1988 VersR 1988 714; BGH 15.6.1983 VersR 1983 850; BGH 4.5.1983 VersR 1983 677, 679;
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BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 317; BGH 13.6.1955 VersR 1955 385; OLG München 3.5.1960 VersR 1961 1084; OLG Nürnberg 10.5.1929 VA 1929 231, 232 Nr. 1998; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 53. BGH 23.6.1993 BGHZ 123 83, 86 f. (zum Begriff „Schulmedizin“). So bereits RG 28.11.1919 RGZ 97 206, 208. BGH 15.12.1999 VersR 2000 444, 445. BGH 13.6.1955 VersR 1955 385 (für den Begriff „Vergiftung“).
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Durchschnittsmenschen. Vielmehr ist das Begriffsverständnis häufig von Individuum zu Individuum verschieden. Soll die Wortlautinterpretation nicht von subjektiven Wertungen abhängen oder gar willkürlich („ergebnisorientiert“) erscheinen, bleibt nichts anders übrig, als Definitionen in aktuellen Bedeutungs- oder Synonymwörterbüchern usw. zumindest in die Beurteilung mit einfließen zu lassen.135 Dies scheint auch der BGH inzwischen so zu sehen. In neueren Entscheidungen hat das Gericht selbst zur Ermittlung des Alltagssprachgebrauchs auf allgemeine Nachschlagewerke zurückgegriffen.136 Lediglich in Ausnahmefällen kommt ein Abweichen vom Alltagssprachgebrauch in 69 Betracht: Wird in den Bedingungen (ersichtlich) ein Ausdruck verwendet, mit dem die Rechtssprache einen fest umrissenen Begriff verbindet, so ist im Zweifel anzunehmen, dass auch die Bedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen.137 Es kommt dann nicht auf eine Auslegung nach dem Verständnis des VN an, der im Allgemeinen keine Rechtskenntnisse hat.138 Dies gilt etwa für die Auslegung des Begriffs „Fälligkeit“ in § 12 Abs. 3 AUB 88 (vgl. § 187 Rn. 37 und Ziff. 12 AUB 2008 Rn. 20). Auf das allgemeine Sprachverständnis ist in solchen Fällen nur dann abzustellen, wenn es von der Rechtssprache in einem Randbereich deutlich abweicht oder der Sinnzusammenhang der Versicherungsbedingungen etwas anderes ergibt.139 Entsprechendes gilt bei sonstigen Fachbegriffen bzw. Ausdrücken, die erkennbar auf einen bestimmten Fachbereich verweisen.140 Der Rückgriff auf Expertenwissen kommt z.B. bei Begriffen aus der Medizin in Betracht.141 Die Auslegung des Wortlauts von AVB stand z.B. im Mittelpunkt der Entscheidungen 70 • zur Frage, ob aufgrund des Wortes „Zumutbarkeit“ in § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 die Verhältnisse des Arbeitsmarktes bei der Bemessung der Invaliditätsleistung (außerhalb der Gliedertaxe) zu berücksichtigen sind (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 21). • zur Frage, ob bei der Überbrückungsleistung die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit im beruflichen Bereich allgemein oder – richtigerweise – anhand des tatsächlich ausgeübten Berufs der versicherten Person zu bewerten ist (Ziff. 2.2 AUB 2008 Rn. 12). • zum Verständnis des Begriffs „Unfallfolgen“ in § 10 Nr. 1 AUB 61 (Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 5). • zur Frage, ob die Mitwirkungsklausel auch einen Vorschaden anspruchsmindernd berücksichtigt, wenn er auf einem früheren Unfall beruht (§ 182 Rn. 5). • zur Frage, ob bei Geltung der AUB 61/88/94 Progressionsvereinbarungen bereits auf den unfallbedingten Invaliditätsgrad oder erst dann anzuwenden sind, wenn der Invaliditätsgrad um den Grad der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen gekürzt worden ist (Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 6 f.). • zur Bestimmung des Ausdrucks „Unterschenkelgeschwür“ in § 3 Nr. 5 AUB 61 (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 15). • zur Bedeutung des Begriffs der alkoholbedingten „Bewusstseinsstörung“ (Ziff. 5.1 AUB 2008 Rn. 18 ff.).
135 136
137
Ähnlich J. B. Schroeder S. 116. BGH 17.12.1986 BGHZ 99 228, 232 („Sterilität“, „Unfruchtbarkeit“); BGH 2.10.1985 VersR 1986 177, 178 („Omnibus“ bzw. „Kraftomnibus“); BGH 4.5.1983 VersR 1983 677, 678 („Sanatorium“). BGH 26.9.2001 VersR 2001 1502, 1503 (zum Wort „Beamter“); BGH 22.3.2000 VersR 2000 753, 754 = NVersZ 2000 332, 333 (zum Begriff „Fälligkeit“); BGH 22.3.2000 VersR 2000 709 (zur Inhaber-
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klausel); OLG Nürnberg 15.4.1958 VersR 1958 677 (zum Begriff „Wohnsitz“); Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 53. BGH 21.4.1999 VersR 1999 877, 878 f.; LG Berlin 7.8.2001 VersR 2003 725 = NVersZ 2002 218. OLG Saarbrücken 19.7.2006 RuS 2007 26, 28. OLG Saarbrücken 19.7.2006 RuS 2007 26, 28 (zum Begriff „niedergelassener Arzt“). OLG Karlsruhe 3.12.1992 VersR 1993 1221, 1222; Knappmann VersR 2000 11, 15 f.
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AUB 2008 Vor Ziff. 1
Unfallversicherung
• bei der Auslegung des Begriffs „Fluggerät“ in § 4 Nr. 3a AUB 61 (Ziff. 5.1.4 AUB 2008 Rn. 10) und „Flugfahrzeug“ in § 2 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88 (Ziff. 5.1.4 2008 Rn. 13). • zum Verständnis des Wortes „Vergiftung“ (Ziff. 5.2.5 AUB 2008 Rn. 11). • zur Frage, ob im Rahmen des Ausschlusses für psychische Reaktionen der Tod als krankhafte Störung bewertet werden kann (Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 25). • zum Verhältnis der Regelung in § 2 Nr. 3a AUB 61 (Klarstellung, dass für Berufs- und Gewerbekrankheiten kein Versicherungsschutz besteht) und dem Wiedereinschluss in § 2 Nr. 3 S. 2 AUB 61 (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 13).
Einen Rückgriff auf das Verständnis in der Fachwelt hat die Rechtsprechung u.a. bei der Auslegung des Ausdrucks „Unterschenkelgeschwür“ in § 3 Nr. 5 AUB 61 getätigt (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 15).
71
b) Systematische Auslegung. Bei der Auslegung ist dem Kontext eines Begriffes und dem Regelungszusammenhang der streitgegenständlichen Klausel Rechnung zu tragen,142 weil sie so auch von einem Leser des Bedingungswerks gesehen wird.143 So sind etwa Überschriften oder einleitende Formulierungen mit in die Erwägungen einzustellen.144 Weiterhin sind der darstellerische Zusammenhang, der Wortlaut und der Inhalt anderer Bestimmungen zum gleichen Themenkreis sowie der gestalterischen bzw. drucktechnischen Anordnung (innerhalb einer Regelung oder in der Aufeinanderfolge der Bestimmungen) zu berücksichtigen.145 Dagegen verbietet sich die isolierte Betrachtung nur eines Teils des Formulars (z.B. Antragformulars).146 In Betracht kommt auch, außerhalb der AVB abgegebene und dem Vertragspartner bekannte Erklärungen im Rahmen der Auslegung heranzuziehen, wenn und soweit sie den Vertragsschluss beeinflusst haben.147 Dies gilt etwa für Antragsformulare,148 Werbemaßnahmen des VR, Beratungsprotokolle oder Vertragsinformationen nach der VVG-InfoV, die aus Sicht des durchschnittlichen VN für den Vertragsinhalt Relevanz erlangen.149 Gegenstand der Auslegung von AVB kann grundsätzlich nur das zwischen den Partei72 en vereinbarte Bedingungswerk sein. Nicht zu berücksichtigten sind dagegen die Systematik des Versicherungsrechts und des VVG.150 Geschäftsplanmäßige Erklärungen (Vorbem. § 178 Rn. 68 ff.), die der VR gegenüber der Aufsichtsbehörde abgegeben hat, oder Verlautbarungen des Aufsichtsamtes aus der Zeit, in der es noch für die Genehmigung von Versicherungsbedingungen zuständig war, können grundsätzlich nicht für die Auslegung herangezogen werden.151 Für die Auslegung der vereinbarten Vertragsbestimmungen bleiben in der Regel 73 andere Bedingungswerke des VR außer Betracht.152 Die systematische Auslegung hat in der Unfallversicherung etwa bei der Anwendung 74 der Besonderen Bedingungen für die Sofortleistung bei Schwerverletzung Bedeutung erlangt (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 23). 142 143 144 145 146 147 148 149
OLG Frankfurt/M. 25.6.1997 VersR 1998 708. BGH 2.3.1994 VersR 1994 549, 550 = NJW 1994 1534. BGH 21.2.2001 VersR 2001 576. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 54. OLG Hamm 31.5.2000 VersR 2001 709. OLG Saarbrücken 14.2.2007 – 5 U 578/06. BGH 26.9.2001 VersR 2001 1502, 1503. S. Langheid/Müller-Frank NJW 2008 337, 338; auch Pauly VersR 2008 1326, 1327.
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150
151 152
BGH 25.9.2002 VersR 2002 1503, 1504; BGH 21.2.2001 VersR 2001 489, 490; BGH 5.7.1989 VersR 1989 908, 909; Knappmann VersR 2003 430, 431. BGH 7.2.1996 VersR 1996 486, 487; Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 23. BGH 17.9.1986 VersR 1987 68, 69; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve § 10 Rn. 215.
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
c) Teleologische Auslegung. Ergibt die Auslegung nach dem Wortlaut oder dem Dar- 75 stellungszusammenhang kein eindeutiges Ergebnis, ist nach dem Sinn und Zweck der auszulegenden Klausel zu fragen.153 Dieser ist indes nur dann zugunsten des VR zu berücksichtigen, wenn er in der fraglichen Bestimmung zumindest unvollkommen zum Ausdruck kommt.154 Den erkennbaren Klauselzweck hat die Rechtsprechung zur Unfallversicherung z.B. bei der Frage rekrutiert, ob die Mitwirkungsklausel auch Vorschäden aus Unfällen mit erfasst (§ 182 Rn. 5). d) Keine historische Auslegung. Nach der ständigen (jüngeren) Rechtsprechung des 76 BGH haben die Entstehungsgeschichte einer Bedingung bzw. eines Bedingungswerkes sowie die jeweiligen Motive, Vorstellungen und Ziele der Bedingungsgeber bzw. Verwender bei der Auslegung von AVB außer Betracht zu bleiben,155 und zwar auch dann, wenn ihre Berücksichtigung zu einem für den VN günstigen Ergebnis führen könnte.156 So sind z.B. systematische oder wertende Vergleiche der zu prüfenden Regelung mit ihren Vorgängerklauseln unerheblich.157 Solche „gesetzesähnlichen“ Auslegungsmethoden scheiden bei AGB aus (Rn. 63). Entsprechendes gilt auch für die Prüfung von Risikoausschlussklauseln.158 Die BGH-Rechtsprechung hat im Schrifttum überwiegend Zustimmung gefunden.159 77 Die gegen sie gerichtete Kritik 160 hat sich bisher zu Recht nicht durchsetzen können: AUB richten sich anders als Gesetze nicht an die Allgemeinheit, sondern sind nur dann für die konkrete einzelne Rechtsbeziehung zwischen VR und VN relevant, wenn sie jeweils Vertragsbestandteil geworden sind. Nichts anderes kann für die Vorarbeiten bei der Entwicklung neuer AUB gelten. In Vertragsbeziehungen können (interne) Überlegungen des Verwenders von AGB, unabhängig davon, ob sie für ihn vorteilhaft oder nachteilig sind, vielmehr nur dann Einfluss gewinnen, wenn der Empfänger sie als in seine Richtung adressiert verstanden wissen darf und für das Versicherungsvertragsverhältnis als verbindlich ansehen muss. Nur dann wird überhaupt für den VN eine Art Vertrauenstatbestand geschaffen. Ein VR wird aber in aller Regel versicherungswirtschaftliche Erwägungen zu Änderungen in den AUB nicht einmal ansatzweise dem einzelnen VN bekannt geben oder wenigstens eine dahingehende Intention verfolgen. Solche Umstände spielen bei Vertragsschluss typischerweise keine Rolle. Zweifelhaft ist darüber hinaus, ob aus den „Motiven“ zu AUB zwingend Rückschlüsse 78 für das Rechtsverhältnis zwischen dem VR und dem VN gezogen werden können. Zum einen richten sich dahingehende Veröffentlichungen an die Fachpresse, nicht aber an den einzelnen VN. Zum anderen haben Prüfungen von Fachgremien des GDV keine Bin153 154 155
156
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 55. BGH 5.7.1989 VersR 1989 908, 909. BGH 9.7.2003 VersR 2003 1163, 1164; BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1091; BGH 2.10.1985 VersR 1986 177, 178; ferner OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969, 970; OLG München 3.5.1960 VersR 1961 1084, 1085; OLG Nürnberg 30.3.2000 NVersZ 2000 376, 377; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 56 (der jedoch „an sich“ eine gesetzesähnliche Auslegung befürwortet); offen lassend noch BGH 8.7.1987 VersR 1987 930, 932. BGH 25.9.2002 VersR 2002 1503, 1504;
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158
159 160
Knappmann VersR 2003 430, 431; a.A. u.a. Prölss/Martin/Prölss 27 Vorbem. III Rn. 16. So aber OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602, 603 (zu § 2 Abs. 4 AUB 94). BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1091 zum Ausschluss der Bewusstseinsstörungen; bestätigt durch BGH 25.9.2002 VersR 2002 1503, 1504. Siehe etwa Marlow RuS 2004 353, 357. Baumann RuS 2005 313 ff.; s. auch OLG Nürnberg 20.9.2001 VersR 2002 665 f.
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AUB 2008 Vor Ziff. 1
Unfallversicherung
dungswirkung für den einzelnen VR als Verwender der AGB. Die einzelnen VR können aufgrund ganz anderer (interner und unveröffentlichter) Überlegungen als der GDV bestimmte Änderungen in ihren „Bedingungsgenerationen“ vorgenommen haben. 3. Unklarheitenregel
79
Auslegungszweifel gehen gemäß § 305c Abs. 2 BGB (§ 5 AGBG) zu Lasten des Verwenders. Der VR trägt das Auslegungsrisiko.161 Im Zweifelsfall ist m.a.W. von der für den VN günstigeren Auslegung auszugehen. Unklar sind Klauseln, wenn nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden (Rn. 65 ff.) ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind.162 Bloße Auslegungsstreitigkeiten163 oder Rechtsanwendungsschwierigkeiten (auf der Tatsachenebene) begründen keine Unklarheit.164 Die Unklarheitenregel kommt in der Versicherungspraxis selten zum Zuge.165 Mehrdeutigkeit hat der BGH z.B. bei der in der Gliedertaxe (Ziff. 2.1.2.2.1 S. 1 AUB 99, § 7 Abs. 1 Nr. 2a AUB 88/94) enthaltenen Formulierung „Funktionsunfähigkeit … im … Gelenk“ mit der Folge angenommen, dass bereits eine Gelenkversteifung den gleichen Invaliditätsgrad begründet wie der Verlust der entsprechenden Gliedmaße „bis zum“ bzw. „ab dem“ Gelenk (Ziff. 2.1.1 AUB 2008 Rn. 209 ff.). Nicht unklar ist dagegen der Leistungsausschluss für krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen (Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 40) oder der früher in den AVB zur Kinder-Invaliditäts-Zusatzversicherung vorgesehene Ausschluss für angeborene Krankheiten.166
IV. Kontrolle 80
Kernelement des AGB-Rechts ist die Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB. Für die Bedingungskontrolle im Unfallversicherungsrecht gelten im Vergleich zur Überprüfung anderer AGB nach dem Recht der AGB keine Besonderheiten.167 1. Vorrang der Auslegung
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Bevor einzelne Regelungen der AUB einer Bedingungskontrolle nach dem AGB-Recht unterzogen werden, ist die jeweilige Klausel zunächst auszulegen (Rn. 57 ff.),168 um Klarheit über ihren zu kontrollierenden Inhalt zu schaffen.169 Die Auslegung geht deshalb der Inhaltskontrolle von AVB voraus.
161 162
163 164
Näher hierzu etwa Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 185 ff. S. nur BGH 29.5.2008 NJW 2008 2495, 2496 Rn. 20; BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690 Rn. 11 = NJW-RR 2008 189, 190 = RuS 2008 25, 26; BGH 9.7.2003 VersR 2003 1163, 1164; BGH 11.3.1997 NJW 1997 3434, 3435; BGHZ 4.7.1990 BGHZ 112 65, 68 f.; OLG Karlsruhe 14.10.2005 VersR 2006 104, 105 = RuS 2006 209 = NJW-RR 2006 249. BGH 21.4.1999 VersR 1999 877, 879. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040.
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S. aber Wagner ZVersWiss 1977 119, 137 ff. BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690 f. Rn. 11 f. = NJW-RR 2008 189, 190 = RuS 2008 25, 26; KG 15.8.2006 VersR 2007 53, 54 = RuS 2007 115. Näher zur Inhaltskontrolle Bruck/Möller/ Beckmann Einf. C Rn. 199 ff. BGH 30.10.2002 VersR 2002 1546, 1547; BGH 21.2.2001 VersR 2001 576. BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690 Rn. 11 = NJW-RR 2008 189, 190 = RuS 2008 25, 26; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039; BGH 17.3.1999 VersR 1999 745, 746;
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
2. Überraschende Klausel Ob eine Klausel in vorformulierten Versicherungsbedingungen überraschend i.S.v. 82 § 305c Abs. 1 BGB (§ 3 AGBG) ist,170 beurteilt sich nach den Erkenntnismöglichkeiten des durchschnittlichen VN (Rn. 57). Entscheidend ist danach, ob zwischen den Erwartungen des durchschnittlichen VN und dem Inhalt einer Klausel eine deutliche Diskrepanz besteht, mit der der VN vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte.171 Der Klausel muss ein Überrumpelungseffekt innewohnen.172 Ein solcher ist anzunehmen, wenn eine Klausel, bezogen auf ihren Regelungsgehalt, innerhalb des sonstigen Bedingungstextes versteckt, d.h. (ohne näheren Hinweis) an einer Stelle steht, an der sie der durchschnittlich aufmerksame Leser nicht vermutet und auch nicht zu vermuten braucht.173 Dagegen genießen ungewöhnliche Erwartungen keinen Vertrauensschutz.174 Ebenso wenig führt die bloße Unüblichkeit einer Regelung nicht zum Verdikt eines Überraschungseffekts. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der VN in der Regel weiß, dass der VR nicht jede Gefahr übernimmt und Ab- und Ausgrenzungen vornehmen kann.175 Überraschend wäre es z.B., wenn 83 • der Anspruch auf Übergangsleistung nicht den mehraktigen bzw. gedehnten Unfall erfassen würde. Bei sachgerechter Auslegung der AUB-Regelung besteht indes auch für diesen Fall Versicherungsschutz (Ziff. 2.2 AUB 2008 Rn. 16). • der VR eine Klageausschlussfrist in Anlehnung an den ersatzlos gestrichenen § 12 Abs. 3 a.F. in den AUB 2008 vorsehen würde (Ziff. 14 AUB 2008 Rn. 8).
Nicht überraschend ist z.B. • die Regelung über die bei der Inanspruchnahme von Invaliditätsleistungen zu wahrenden Fristen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 164). • die Vereinbarung einer deutlich im Antrag hervorgehobenen Invaliditätsfranchise, die Leistungen erst nach Erreichen eines unfallbedingten Mindestinvaliditätsgrades (z.B. 20 %) vorsieht (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 261). • eine zeitliche Beschränkung des Tagegeldes auf 60 Tage (Ziff. 2.3 AUB 2008 Rn. 22). • die sog. Psychoklausel (Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 41). • das Kündigungsrecht des VR nach Eintritt eines Versicherungsfalls (Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 100).
3. Inhaltskontrolle Sofern §§ 307 bis 309 BGB zur Anwendung kommen, erlangen die Klauselverbote 84 mit Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB) und die Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit zu unfallspezifischen Regelungen nur selten praktische Relevanz. Im Vordergrund der Auseinandersetzungen steht die Anwendung der Generalklausel in § 307 BGB.
170
171
BGH 10.2.1999 VersR 1999 565, 566 = NJW 1999 1633, 1634 = NVersZ 1999 261, 262; BGH 2.3.1994 VersR 1994 549, 550 = NJW 1994 1534; BGH 23.6.1993 BGHZ 123 83, 85. Einzelheiten etwa bei Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 103 ff.; Prölss/Martin/ Prölss 27 Vorbem. I Rn. 37 ff. OLG Hamburg 6.4.1978 VersR 1979 154, 155; OLG Koblenz 16.4.1999 VersR 1999 876, 877; OLG Saarbrücken 19.7.2006 RuS 2007 26.
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BGH 26.1.2001 BGHZ 144 331, 336; BGH 17.3.1999 VersR 1999 745, 747; OLG Frankfurt 20.9.2000VersR 2001 451, 452; OLG Nürnberg 25.10.1990 NJW-RR 1993 1373. Wagner ZVersWiss 1977 119, 132. OLG München 7.7.1999 VersR 2000 93, 94. OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135; OLG Hamburg 6.4.1978 VersR 1979 154, 155; Wagner ZVersWiss 1977 119, 124.
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Unfallversicherung
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a) Anwendungsbereich. Einer Kontrolle nach §§ 307 bis 309 BGB (§§ 9 bis 11 AGBG a.F.) sind gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB (§ 8 AGBG) nur Bestimmungen in AGB unterworfen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. AVB, die zum Nachteil des VN von halbzwingenden Vorschriften des VVG abweichen, unterliegen uneingeschränkt der Kontrolle nach §§ 307 ff. BGB und sind an den halbzwingenden Normen zu messen.176 Andere Bestimmungen sind nur dann unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich sind (§ 307 Abs. 3 S. 2 BGB), also gegen das Transparenzgebot verstoßen.177 Regelungen, die Rechtsvorschriften nur wiedergeben und in jeder Hinsicht mit ihnen 86 übereinstimmen, sind grundsätzlich der Inhaltskontrolle entzogen (sog. deklaratorischen Klauseln).178 Das Gesetz stellt es den Vertragspartnern grundsätzlich frei, Leistung und Gegenleistung 87 frei zu bestimmen,179 da der Kunde diesen Vertragsbestandteilen typischerweise besondere Aufmerksamkeit widmet und sein Interesse an einem angemessenen, marktgerechten Preis selbst wahrt.180 Damit unterliegen produktgestaltende AVB nicht der Inhaltskontrolle. Anderenfalls würde eine vom Gesetz nicht gewollte „Preiskontrolle“ erfolgen:181 • Keine Anwendung finden §§ 308, 309 BGB einerseits auf Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung (den Kernbereich der Leistungsbeschreibung), also auf Klauseln, ohne die mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht angenommen werden kann.182 Solche sog. Leistungsbeschreibungen legen Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistungen fest,183 lassen aber die für die Leistungen geltenden gesetzlichen Vorschriften unberührt.184 Die Annahme einer leistungsbeschreibenden Klausel kommt z.B. in Betracht, wenn der VR formularmäßig vorsieht, dass eine Invaliditätsleistung nur bei Totalverlust eines Gliedes entsprechend der Gliedertaxe oder bei Ganzinvalidität geschuldet wird (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 260).185 • Andererseits unterliegen Vereinbarungen über das von dem anderen Vertragsteil zu erbringende Entgelt keiner Kontrolle nach §§ 308, 309 BGB;186 denn es gibt vielfach keine gesetzliche Preisregelung, die bei Unwirksamkeit der vertraglichen Regelung gemäß § 306 Abs. 2 BGB (§ 6 Abs. 2 AGBG) an deren Stelle treten könnte.187 (Vermeintlich) überhöhte Prämien sind vornehmlich gemäß § 138 BGB auf Wucher und Sittenwidrigkeit zu überprüfen (§ 179 Rn. 133 f.). Keiner Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht unterliegt weiterhin etwa eine Rabattklausel.188
176 177
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180 181
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BGH 18.3.2009 VersR 2009 769 Rn. 8. So bereits BGH 24.3.1999 BGHZ 141, 137, 140 = VersR 1999 710, 711= NJW 1999 2279 f. = NVersZ 1999 360 f. BGH 9.5.2001 BGHZ 147 354, 358 ff. BGH 9.5.2001 BGHZ 147 354, 360; BGH 24.3.1999 BGHZ 141, 137, 141 = VersR 1999 710, 711= NJW 1999 2279, 2280 = NVersZ 1999 360, 361; BGH 17.3.1999 VersR 1999 745, 747. BGH 10.7.1990 BGHZ 112 115, 117. Wagner ZVersWiss 1977 119, 128 f. und 142 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 66. Siehe nur BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690, 1691 Rn. 13 = NJW-RR 2008 189, 190 = RuS 2008 25, 26; OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135; abw. Prölss/Martin/Prölss 27 Vorbem. I Rn. 45 ff.
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BGH 9.5.2001 BGHZ 147 354, 360; BGH 23.6.1999 BGHZ 142 103, 109 f.; BGH 24.3.1999 BGHZ 141, 137, 141 = VersR 1999 710, 711= NJW 1999 2279, 2280 = NVersZ 1999 360, 361; BGH 17.3.1999 VersR 1999 745, 747; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 175; OLG Saarbrücken 19.7.2006 RuS 2007 26. BGH 23.6.1993 BGHZ 123 83, 84; BGH 21.4.1993 VersR 1993 830, 831 = RuS 1993 308; OLG Hamburg 11.3.1998 VersR 1998 627. I.E. offen lassend OLG Frankfurt 20.9.2000 VersR 2001 451, 452. BGH 9.5.2001 BGHZ 147 354, 360; BGH 24.3.1999 BGHZ 141, 137, 141; BGH 17.3.1999 VersR 1999 745, 747. BGH 26.1.2001 BGHZ 144 331, 338. BGH 13.7.2005 VersR 2005 1417 f.
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
Einer uneingeschränkten Inhaltskontrolle zugänglich sind dagegen vorformulierte Ver- 88 einbarungen, die zwar mittelbare Auswirkungen auf Preis und Leistung haben, an deren Stelle aber, wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlt, dispositives Gesetzesrecht treten kann.189 Hierzu zählen Abreden, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, (näher) ausgestalten oder modifizieren.190 Insbesondere sind leistungseinschränkende Klauseln nach ständiger Rechtsprechung kontrollfähig.191 Entsprechendes gilt für Nebenabreden, die nicht das Ob und den Umfang von Entgelten regeln, sondern die Art und Weise der Erbringung und etwaige Modifikationen als ergänzende Regelung neben einer bereits existierenden Preishauptabrede zum Inhalt haben.192 Kontrollfähig sind nach der Rechtsprechung z.B. • Regelungen, die die Invaliditätsleistung davon abhängig machen, dass der Invaliditätsgrad eine bestimmte Mindestgrenze (z.B. 20 %) erreicht hat (sog. Invaliditätsfranchise, Ziff. 2. 1 AUB 2008 Rn. 261). • Ausschlusstatbestände wie etwa der in den AVB für Kinder-Invaliditäts-Zusatzversicherung ursprünglich vorgesehene Ausschluss für angeborene Krankheiten.193
b) Abweichung von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Vorschrift. Eine 89 unangemessene Benachteiligung ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der (zwingenden oder halbzwingenden) gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Zu der gesetzlichen Regelung i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB gehören auch alle Rechtssätze, die von der Rechtsprechung und -lehre durch Auslegung, Analogie oder Rechtsfortbildung aus einzelnen gesetzlichen Bestimmungen hergeleitet werden.194 AGB-widrig ist z.B. die Erhebung besonderer Gebühren für die Ausstellung des Versicherungsscheins nach § 3 Abs. 1 oder den Prämieneinzug (Hebegebühr), das Verlangen einer Vertragsstrafe im Fall der Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten, die Erweiterung des Repräsentantenbegriffs zu Ungunsten des VN, die Vereinbarung der Leistungsfreiheit im Fall der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 10 und 121) oder die Beschränkung der Vertretervollmacht durch Schriftformklauseln (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 10).195 Des Weiteren wäre die Vereinbarung einer Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 a.F. in den AUB 2008 zu beanstanden (Ziff. 14 AUB 2008 Rn. 3). Unverrückbare (spezielle) Leitbilder bestehen für die private Unfallversicherung nicht 90 bzw. nur in eingeschränktem Maße: In der privaten Unfallversicherung herrscht zunächst
189 190
BGH 26.1.2001 BGHZ 144 331, 338. BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690, 1691 Rn. 13 = NJW-RR 2008 189, 190 = RuS 2008 25, 26; BGH 23.2.2005 VersR 2005 639; BGH 30.10.2002 VersR 2002 1546, 1547; BGH 9.5.2001 BGHZ 147 354, 360; BGH 23.6.1999 BGHZ 142 103, 109; BGH 24.3.1999 BGHZ 141 137, 141= VersR 1999 710, 711= NJW 1999 2279, 2280 = NVersZ 1999 360, 361; BGH 17.3.1999 VersR 1999 745, 747; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 175; BGH 23.6.1993 BGHZ 123 83, 84; BGH 21.4.1993 VersR 1993 830, 831 = RuS 1993 308; OLG Hamburg 11.3.1998 VersR 1998 627; OLG Saar-
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193
194 195
brücken 19.7.2006 RuS 2007 26; OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040; BGH 21.2.2001 VersR 2001 576; BGH 23.6.1993 BGHZ 123 83, 84 f. BGH 13.7.2005 VersR 2005 1417, 1418; BGH 26.1.2001 BGHZ 144 331, 338; BGH 10.7.1990 BGHZ 112 115, 117 f. BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690, 1691 Rn. 13 f. = NJW-RR 2008 189, 190 = RuS 2008 25, 26. BGH 21.4.1993 VersR 1993 830, 831 = RuS 1993 308. Näher Präve VW 2009 98 ff.
Kent Leverenz
503
AUB 2008 Vor Ziff. 1
Unfallversicherung
der Grundsatz der Gestaltungsfreiheit.196 Den bisherigen gesetzlichen Regelungen zur Unfallversicherung in §§ 179 bis 185 a.F. ist nicht zu entnehmen, welche Risiken im Einzelnen versichert sind.197 Daran hat auch die VVG-Reform 2008 nichts geändert (näher § 178 Rn. 1 ff.). Weiterhin haben im privaten Versicherungsrecht gesetzliche Vorschriften über Sozial91 versicherungen außer Betracht zu bleiben (s. Vorbem. § 178 Rn. 55 ff.). Die Sozialversicherung gibt wegen ihrer Andersartigkeit und ihrer anderen Leistungsvoraussetzungen keinen tauglichen Maßstab zur Beurteilung der Frage her, ob private Versicherungen den VN unangemessen benachteiligen.198 Des Weiteren kommt es für die Wirksamkeit einer Regelung nicht darauf an, ob sie dem Aufsichtsamt zur Genehmigung vorgelegt wurde.199 Einer gerichtlichen Überprüfung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 92 AGBG) haben u.a. standgehalten: • die Fristenregelungen für Invaliditätsleistungen in Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94 bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61; Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 166). • eine Bestimmung mit dem – von den AUB abweichenden (Ziff. 2.1.2.2.1 S. 2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2b AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61) – Inhalt, dass der VR dem VN eine Invaliditätsleistung nur bei Totalverlust eines Glieds entsprechend der Gliedertaxe oder bei Ganzinvalidität schulde (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 260). • das Kündigungsrecht des VR nach Eintritt des Schadensfalls (Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 99).
93
c) Gefährdung des Vertragszwecks. Im Zweifel ist eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG) anzunehmen, wenn eine Bestimmung wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Nicht jede Leistungsbegrenzung bedeutet indes schon eine solche Gefährdung des Vertragszwecks. Begrenzungen des Leistungskatalogs unterliegen grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des VR. Eine Gefährdung ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn der VR Kardinalpflichten aushöhlt, weil mit der Einschränkung der Leistung wirtschaftlich sinnvoller Versicherungsschutz nicht mehr gewährleistet ist bzw. der Versicherungsvertrag in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird und es dadurch zu einer Enttäuschung der berechtigten Erwartung des VN kommt.200 Der VR darf mit der Beschreibung der Hauptleistung beim VN keine falschen Vorstellungen erwecken.201 Ob eine Aushöhlung der Pflichten des VR vorliegt, ist nicht isoliert anhand einer kritischen Klausel zu bewerten, sondern aufgrund einer Beurteilung des gesamten Vertragsgefüges; denn die benachteiligende Wirkung einer Klausel kann u.U. durch Gewährung anderer rechtlicher Vorteile kompensiert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die AUB selbst keinen lückenlosen Versicherungsschutz gegen Unfallverletzungen vorsehen und der durchschnittliche VN dies auch nicht erwartet.202 196 197 198
199
OLG Frankfurt 20.9.2000 VersR 2001 451, 452. OLG Frankfurt 10.7.1996 RuS 1998 391, 392. BGH 24.3.1999 BGHZ 141, 137, 142 = VersR 1999 710, 711= NJW 1999 2279, 2280 = NVersZ 1999 360, 361 (zur privaten Vorsorge bei Arbeitslosigkeit). OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135.
504
200
201 202
S. nur BGH 21.2.2001 VersR 2001 576, 577; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 176; OLG Hamburg 11.3.1998 VersR 1998 627, 628. BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449, 1450; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040. OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1136.
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Kriterien haben z.B. folgende Regelungen in 94 den AUB einer gerichtlichen Überprüfung standgehalten: • die Fristenregelungen für Invaliditätsleistungen in Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94 bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61; Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 167). • eine Bestimmung mit dem – von den AUB abweichenden (Ziff. 2.1.2.2.1 S. 2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2b AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61) – Inhalt, dass der VR dem VN eine Invaliditätsleistung nur bei Totalverlust eines Glieds entsprechend der Gliedertaxe oder bei Ganzinvalidität schulde (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 260). • sog. Invaliditätsfranchisen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 261). • die sog. Psychoklausel (Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 43) • das Kündigungsrecht des VR nach Eintritt eines Schadensfalls (Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 100).
d) Unangemessene Benachteilung. Eine Regelung in AVB ist dann unangemessen 95 i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB (§ 9 Abs. 1 AGBG), wenn der Verwender entgegen den Geboten von Treu und Glauben einseitig eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen sucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen. Notwendig ist eine Interessenabwägung beider Vertragspartner. Dabei ist eine generalisierende und typisierende Betrachtungsweise geboten.203 Nicht unangemessen sind z.B. die Fristenregelungen für Invaliditätsleistungen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 168) oder die sog. Psychoklausel (Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 44). Unangemessenheit hat die Rechtsprechung dagegen z.B. für den früher in den KIZ-AVB vorgesehenen Ausschluss für angeborene Krankheiten angenommen.204 e) Transparenzgebot. Nach dem nunmehr ausdrücklich in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB 96 verankerten Transparenzgebot ist der VR als Verwender von AGB entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, dem VN möglichst klar und durchschaubar darzustellen, was er zu erwarten bzw. welche Rechte und Pflichten er hat.205 Verhindert werden soll m.a.W., dass Rechte und Pflichten durch unklar oder schwer verständlich gefasste Klauseln verschleiert oder für den Vertragspartner undurchschaubar werden.206 Zum einen muss die Formulierung der Klausel für den durchschnittlichen VN (Rn. 57) – nicht für den konkreten Vertragspartner 207 – bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verständlich sein.208 Der rechtsunkundige VN muss in der Lage sein, seine Rechtsposition ohne Einholung von Rechtsrat und Rechtsberatung zu erkennen.209 Zum anderen gebieten Treu und Glauben, dass die jeweilige Regelung die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann.210 Anderenfalls ist der VN nicht in der Lage, seine Verhandlungsmög203 204
205
206 207 208
BGH 21.2.2001 VersR 2001 576, 577. BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690, 1691 f. Rn. 22 ff. = NJW-RR 2008 189, 191 f. = RuS 2008 25, 26 f. S. nur BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 176 f.; OLG Hamm 19.10.2007 VersR 2008 811, 812 = RuS 2008 124; OLG Saarbrücken 11.7.2007 VersR 2008 621, 624; Terno DAR 2005 314, 315. BVerwG 25.6.1998 VersR 1998 1137, 1140. BGH 10.7.1990 BGHZ 112 115, 118 f. BGH 24.3.1999 BGHZ 141, 137, 143 =
209
210
VersR 1999 710, 711= NJW 1999 2279, 2280 = NVersZ 1999 360, 361; OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385. OLG Frankfurt 20.9.2000 VersR 2001 451, 452; OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602, 603. BGH 16.9.2009 NJW-RR 2010 99, 101 Rn. 19 = RuS 2009 497, 499; BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690, 1691 Rn. 13 = NJW-RR 2008 189, 190 f. = RuS 2008 25, 26 f.; BGH 23.2.2005 VersR 2005 639; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040;
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AUB 2008 Vor Ziff. 1
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98
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Unfallversicherung
lichkeiten und Marktchancen interessengerecht wahrzunehmen.211 Umgekehrt darf das Transparenzgebot nicht dazu verleiten, dem VN jedes eigene Nachdenken abzunehmen. Eine Überspannung des Transparenzgebots hätte letztlich wieder Intransparenz zur Folge.212 Keinesfalls will das Transparenzgebot den Verwender dazu zwingen, jede AGBRegelung gleichsam mit einem umfassenden Kommentar zu versehen.213 Die Klauselfassung als solche muss der Gefahr vorbeugen, dass der Vertragspartner durch unklare oder unverständliche Formulierungen bzw. unüberschaubare Darstellung von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird (sog. Klauseltransparenz). Eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Beteiligung stellt es dar, wenn die Klausel durch unzutreffende oder missverständliche Wortwahl dem VR als Verwender die Möglichkeit eröffnet, einen begründeten Anspruch unter Hinweis auf die Klauselgestaltung abzuwehren.214 Eine Regelung muss nicht nur aus sich heraus klar und verständlich sein; sie hält einer Inhaltskontrolle auch dann nicht stand, wenn sie an verschiedenen Stellen in den Bedingungen niedergelegt ist, die nur schwer miteinander in Zusammenhang zu bringen sind, oder wenn der Regelungsgehalt auf andere Weise durch die Verteilung auf mehrere Stellen verdunkelt wird („Bedingungstransparenz“).215 Der VN muss anhand des Aufbaus der AVB in der Lage sein, die für ihn interessanten und relevanten Klauseln in zumutbarer Weise „zu finden“ (sog. formelle Transparenz).216 Dem Informationsbedürfnis des VN kann es genügen, wenn in den AVB auf andere Unterlagen, die den Bedingungen beigefügt sind, ausdrücklich verwiesen wird. Dies kann der gewünschten Übersichtlichkeit der AVB dienen, die bei zunehmendem Umfang eine Orientierung des VN erschweren. Eine Verweisung ohne nähere Angaben in den AVB verbietet sich aber dann, wenn sie einen wirtschaftlichen Nachteil des VN von erheblichem Gewicht betrifft.217 Das Transparenzgebot hat in der Unfallversicherung Bedeutung erlangt bei der Beurteilung • der Fristenregelung in Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99/2008 bzw. in §§ 1 und 7 AUB 94 (näher Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 169 ff.) • einer Bestimmung mit dem – von den AUB abweichenden (Ziff. 2.1.2.2.1 S. 2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2b AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61) – Inhalt, dass der VR dem VN eine Invaliditätsleistung nur bei Totalverlust eines Glieds entsprechend der Gliedertaxe oder bei Ganzinvalidität schulde (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 260). • des Ausschlusses für Infektionen in § 2 Abs. 2 Nr. 3 AUB 88/94 (Ziff. 5.2.4 AUB 2008 Rn. 37). • der „Psychoklausel“ (Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 45). • des Ausschlusses für „angeborene Krankheiten“ in der Kinder-Invaliditäts-Zusatzversicherung.218
211 212 213 214
BGH 9.5.2001 BGHZ 147 354, 361 f.; BGH 24.3.1999 BGHZ 141, 137, 143 = VersR 1999 710, 711= NJW 1999 2279, 2280 = NVersZ 1999 360, 361; ferner OLG Düsseldorf 23.5.2006 VersR 2006 1487 = RuS 2007 256 f. OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639. BGH 10.7.1990 BGHZ 112 115, 119. BGH 27.9.2000 BGHZ 145 203, 220;
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215 216 217 218
OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602, 603. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639; Terno DAR 2005 314, 316. OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385; Nitschke VersR 2005 1385. BGH 9.5.2001 BGHZ 147 354, 364. BGH 26.9.2007 VersR 2007 1690, 1691 Rn. 15 ff. = NJW-RR 2008 189, 190 f. = RuS 2008 25, 27 f.
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AGB-Recht
AUB 2008 Vor Ziff. 1
4. Rechtsfolgen Verstößt eine Regelung in den AVB (AUB) gegen §§ 307 ff. BGB (§§ 9 ff. AGBG), so 101 ist sie unwirksam.219 Eine sog. geltungserhaltende Reduktion, mit der die Klausel auf den gerade noch zulässigen Inhalt zurückgeführt und damit aufrechterhalten wird, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH grundsätzlich nicht möglich; denn das AGBRecht soll den Vertragspartner des Verwenders vor unbilligen Klauseln schützen und darauf hinwirken, dass der Inhalt von AGB den beiderseitigen Interessen gerecht wird. Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Verwender bei der Aufstellung seiner Klauseln unbedenklich über die Grenze des Zulässigen hinausgehen dürfte, ohne mehr befürchten zu müssen, als dass das Gericht die Benachteiligung seines Geschäftspartners auf ein gerade noch zulässiges Maß zurückführt.220 Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion ist allerdings nicht tangiert, wenn sich eine Formularklausel nach ihrem Wortlaut aus sich heraus verständlich und sinnvoll in einen inhaltlich zulässigen und einen unzulässigen Rechtsteil trennen lässt.221 Ist eine Klausel unwirksam, gilt § 306 BGB.222 Stehen keine gesetzlichen Regelungen 102 zur Verfügung und hat die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel zur Folge, dass den typischen Interessen des VR und des VN nicht angemessen Rechnung getragen werden kann, so kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. In diesem Zusammenhang kann die Frage Bedeutung erlangen, ob der VR den Nachweis dafür führen kann, dass der VN das Produktinformationsblatt (§ 4 VVG-InfoV) erhalten hat; denn das Produktinformationsblatt lässt Rückschlüsse auf Vertragsinhalte (z.B. Risikoausschlüsse, Obliegenheiten) zu, die für die von den Parteien angestrebte Rechtsbeziehung wesentlich und prägend sind.223 Sog. salvatorische Klauseln sehen die AUB nicht vor. Solche Klauseln beinhalten etwa, 103 dass im Fall der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit einer Vertragsbestimmung der Vertrag insgesamt wirksam bleiben soll. Denkbar ist auch die Vereinbarung der Parteien, dass für eine unwirksame Klausel eine Regelung gelten soll, die der unwirksamen am nächsten kommt. Solche „Ersatzlösungen“ können indes nur durch Individualvereinbarung und nicht durch AGB wirksam getroffen werden.
C. Verfahrensfragen Das AGB-Verbandsklageverfahren findet sich mittlerweile im UKlG, das nicht nur bei 104 der Verwendung unwirksamer AGB bzw. AVB, sondern auch bei sonstigen Verstößen gegen verbraucherschützende Normen Anwendung findet. Zur Verbandsklage vor dem Landgericht (§ 6 UKlG) befugt sind u.a. Verbraucherzentralen und öffentlich geförderte Verbraucherverbände (§ 3 UKlG). Sind AGB-Klauseln unwirksam, so kann der AGB-Verwender und der AGB-Empfehler auf Unterlassung und Widerruf in Anspruch genommen werden (§§ 1 und 2 UKlG). Sofern ein VR von einer Bedingungsanpassung gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG Ge- 105 brauch gemacht hat, findet § 1 UKlaG keine direkte Anwendung, da sich sein Wortlaut
219 220 221
Näher Bruck/Möller/Beckmann Einf. C Rn. 298 ff. BGH 18.5.1995 BGHZ 130 19, 36. BGH 27.9.2000 BGHZ 145 203, 212; BGH 18.5.1995 BGHZ 130 19, 36 f.
222 223
Näher etwa Prölss/Martin/Prölss 27 Vorbem. I Rn. 102 ff. Kloth Rn. B 20.
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507
AUB 2008 Ziff. 1
Unfallversicherung
nur auf Bestimmungen erstreckt, die nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksam sind, nicht aber die Einbeziehung von AVB nach §§ 305 ff. BGB oder Art. 1 Abs. 3 EGVVG betrifft. In Betracht kommt aber eine analoge Anwendung, wenn es um die Prüfung einer generellen Einbeziehung veränderter Klauseln in sämtliche Verträge geht, für die das geänderte Klauselwerk maßgebend ist. Damit wird dem Zweck des § 1 UKlaG Rechnung getragen, den Rechtsverkehr von sachlich unangemessenen und unzulässigen Klauseln und den durch sie tatsächlich oft erzeugten Scheinbindungen freizuhalten. Der Kunde soll durch das Verbandsklageverfahren gerade davor geschützt werden, dass er durch den Hinweis auf neue Bedingungen missbräuchlich davon abgehalten wird, seine sich aus den ursprünglich vereinbarten Bedingungen ergebenden Rechte geltend zu machen.224 Die Beweislast für die Einbeziehung und den Zugang der Versicherungsbedingungen 106 trägt der VR (§ 8 Abs. 2 S. 3). Für Verbraucherverträge gilt: • Im Fall des § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB trägt der Verbraucher die Beweislast dafür, dass die fraglichen Klauseln für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert worden sind. Der Unternehmer muss dagegen beweisen, dass die Vertragsklauseln trotz ihrer Vorformulierung im Einzelnen ausgehandelt oder entgegen der Lebenserfahrung vom Verbraucher eingeführt worden sind.225 • Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 310 Abs. 1 Nr. 2 BGB trägt der Verbraucher. Er muss den Beweis dafür führen, dass die Vertragsbedingungen vorformuliert worden sind und er infolge der Vorformulierung keinen Einfluss auf ihren Inhalt nehmen konnte.226
Ziff. 1 AUB 2008 Was ist versichert? 1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen. 1.2 Der Versicherungsschutz umfasst Unfälle in der ganzen Welt. 1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. 1.4 Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule – ein Gelenk verrenkt wird oder – Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden. 1.5 Auf die Regelungen über die Einschränkungen der Leistung (Ziffer 3) sowie die Ausschlüsse (Ziffer 5) weisen wir hin. Sie gelten für alle Leistungsarten.
Schrifttum Dörstling Durch plötzliche Kraftanstrengung hervorgerufene Verrenkungen usw. in der Rechtsprechung (AUB), VersR 1952 105; Grewing Vertragsdauer oder Versicherungsdauer? VersR 1968 238; Konen Der Versicherungsfall, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten
224 225
BGH 12.12.2007 VersR 2008 246, 247 Rn. 6 und 9 (zu § 178g Abs. 3 a.F.). BGH 15.4.2008 VersR 2008 1508, 1509 und 1511 Rn. 14 und 20.
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226
Eingehend BGH 15.4.2008 VersR 2008 1508, 1510 Rn. 15 ff.
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Versicherungsgegenstand
AUB 2008 Ziff. 1
Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 –, 1992; Neeße Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen infolge plötzlicher Kraftanstrengung, VersR 1959 773; Schilling Die neuen AUB, ZfV 1962 365; Schubach Aktuelles aus der privaten Unfallversicherung, ZfS 2005 224; H. Weber Herzinfarkt und Unfallversicherung, NJW 1965 1997.
Übersicht Rn. A. I. II. III. B. C. D. E. I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . AUB 88/94 . . . . . . . . . . . . . . . . AUB 99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . AUB 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitliche Geltung . . . . . . . . . . . . . Örtliche Geltung . . . . . . . . . . . . . Unfallbegriff . . . . . . . . . . . . . . . Erweiteter Unfallbegriff . . . . . . . . . . Entwicklung des erweiterten Unfallbegriffs 1. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. AUB 88/94 . . . . . . . . . . . . . . . 3. AUB 99 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. AUB 2008 . . . . . . . . . . . . . . . II. Erhöhte Kraftanstrengung . . . . . . . . . 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilungsmaßstab . . . . . . . . . . 3. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 4 6 7 9 11 12 13 14 16 19 20 21 22 25 27
Rn. III. Gliedmaßen oder Wirbelsäule . . . . . . . IV. Gesundheitsschädigung . . . . . . . . . . 1. Verrenkung eines Gelenks . . . . . . . . 2. Zerrung oder Zerreißung bestimmter Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . V. Unfreiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . VI. Kausalität zwischen Kraftanstrengung und Gesundheitsschädigung . . . . . . . . . . VII. Keine analoge/erweiternde Anwendung . . F. Hinweis auf Leistungsausschlüsse und Leistungseinschränkungen . . . . . . . . . G. Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . H. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . . I. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . .
40 42 43 44 48 55 56 58 59 60 61 62
A. Einführung Die AVB müssen schon aus aufsichtsrechtlichen Gründen (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 VAG) 1 vollständige Angaben über die Ereignisse enthalten, bei deren Eintritt der VR zu einer Leistung verpflichtet ist. Diesem Erfordernis kommen die AUB gleich am Anfang des Bedingungswerks nach. Ziff. 1 AUB 99/2008 regelt – genauso wie § 1 AUB 88/94 – den Deckungsumfang in der Unfallversicherung in zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Hinsicht. Der Versicherungsfall wird durch Risikobeschreibungen definiert. Solche sog. primären Risikobegrenzungen umschreiben die sachlichen Tatbestandsmerkmale, die generell den Kreis der gedeckten Unfallereignisse bestimmen. Die sekundäre Risikoabgrenzung betrifft dagegen Ausnahme- bzw. Ausschlusstatbestände, die trotz Vorliegens der Voraussetzungen für den Versicherungsfall die Leistungspflicht des VR entfallen lassen.1 Nachdem in § 1 AUB 88/94 die Regelungen in §§ 1, 2 Nr. 1 und Nr. 2a sowie § 6 2 AUB 61 zusammengefasst wurden, erfolgten im Verhältnis zwischen § 1 AUB 88/94 und Ziff. 1 AUB 99/2008 keine weit reichenden sachlichen oder inhaltlichen Neuerungen:
1
Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 2 f.
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AUB 2008 Ziff. 1
Unfallversicherung
AUB 2008 2
AUB 99 3
AUB 94
AUB 88 4
AUB 61 5
Ziff. 1 Was ist versichert? (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind hervorgehoben)
Ziff. 1 Was ist versichert?
§ 1 Der Versicherungsfall
§ 1 Der Versicherungsfall
§ 1 Gegenstand der Versicherung
1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen.
1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen.
§ 1 Abs. 1 Der Versicherer bietet Versicherungsschutz bei Unfällen, die dem Versicherten während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen.
§ 1 Abs. 1 Der Versicherer bietet Versicherungsschutz bei Unfällen, die dem Versicherten während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen.
Die Leistungsarten, die versichert werden können, ergeben sich aus § 7; aus Antrag und Versicherungsschein ist ersichtlich, welche Leistungsarten jeweils vertraglich vereinbart sind.
Die Leistungsarten, die versichert werden können, ergeben sich aus § 7; aus Antrag und Versicherungsschein ist ersichtlich, welche Leistungsarten jeweils vertraglich vereinbart sind.
§ 1 Der Versicherer gewährt entsprechend den versicherten Leistungen Versicherungsschutz gegen die Folgen der dem Versicherten während der Vertragsdauer zustoßenden Unfälle.
1.2 Der Versicherungsschutz umfasst Unfälle in der ganzen Welt.
1.2 Der Versicherungsschutz umfasst Unfälle in der ganzen Welt.
§ 1 Abs. 2 Der Versicherungsschutz umfasst Unfälle in der ganzen Welt.
§ 1 Abs. 2 Der Versicherungsschutz umfasst Unfälle in der ganzen Welt.
§ 6 Die Versicherung umfasst Unfälle auf der ganzen Erde.6
1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
§ 1 Abs. 3 Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
§ 1 Abs. 3 Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
§ 2 Nr. 1 Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
2 3 4 5
Die aktuelle Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 7. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10 f.
510
6
§ 2 der Verbandsbedingungen von 1904 beschränkte den Versicherungsschutz auf die Grenzen Europas und auf bestimmte Seereisen, vgl. Gerhard/Hagen S. 743. Im Jahr 1972 wurde der örtliche Geltungsbereich der
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Versicherungsgegenstand
AUB 2008 Ziff. 1
AUB 2008
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
Ziff. 1 Was ist versichert? (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind hervorgehoben)
Ziff. 1 Was ist versichert?
§ 1 Der Versicherungsfall
§ 1 Der Versicherungsfall
§ 1 Gegenstand der Versicherung
1.4 Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule – ein Gelenk verrenkt wird oder – Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.
1.4 Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule – ein Gelenk verrenkt wird oder – Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.
§ 1 Abs. 4 Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule (1) ein Gelenk verrenkt wird oder (2) Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.
§ 1 Abs. 4 Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule (1) ein Gelenk verrenkt wird oder (2) Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.
§ 2 Nr. 2 Unter den Versicherungsschutz fallen auch § 2 Nr. 2a durch Kraftanstrengung des Versicherten hervorgerufene Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen an Gliedmaßen und Wirbelsäule.
Entfallen
Entfallen
Entfallen
Entfallen
§ 2 Nr. 2b Wundinfektionen, bei denen der Ansteckungsstoff durch eine Unfallverletzung im Sinne der Ziffer 1 in den Körper gelangt ist.
1.5 Auf die Regelungen über die Einschränkungen der Leistung (Ziffer 3), nicht versicherbare Personen (Ziffer 4) sowie die Ausschlüsse (Ziffer 5) weisen wir hin. Sie gelten für alle Leistungsarten.
1.5 Auf die Rege- – lungen über die Einschränkungen der Leistung (Ziffer 3), nicht versicherbare Personen (Ziffer 4) sowie die Ausschlüsse (Ziffer 5) weisen wir hin. Sie gelten für alle Leistungsarten.
–
–
Unfallversicherung auf die ganze Erde erstreckt. Die bis dahin vorgesehene Aus-
nahme für unerforschte außereuropäische Gebiete entfiel (VerBAV 1972 251).
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AUB 2008 Ziff. 1
Unfallversicherung
I. AUB 88/94 Im Vergleich zu den AUB 61 ergaben sich in den AUB 88/94 folgende Veränderungen:
3
• Während es noch in den AUB 61 hieß „… Versicherungsschutz gegen die Folgen der … Unfälle“ wurde in den AUB 88/94 die Formulierung „der Versicherer bietet Versicherungsschutz bei Unfällen“ aufgenommen. Eine sachliche Änderung sollte damit nicht verbunden sein.7 • In § 1 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 AUB 88/94 nahmen die Bedingungsgeber einen Hinweis auf die Leistungsarten auf. Dadurch sollte dem Leser schon am Beginn der AUB die (theoretisch) versicherbaren und (tatsächlich) versicherten Leistungsarten deutlich gemacht werden.8 Der Hinweis in § 1 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 AUB 88/94 auf § 7 AUB 88/94 ist indes nicht ganz geglückt. In § 7 AUB 88/94 sind zwar die Hauptleistungsarten aufgeführt, die – einzeln, zu mehreren oder alle – in der Regel in Unfallversicherungsverträgen vereinbart werden können. Die dort genannten und umschriebenen Leistungsarten sind jedoch nicht abschließend. Vielmehr können sich für den Vertrag zwischen VR und VN Modifizierungen, Einschränkungen oder Erweiterungen aus spezielleren AVB bzw. Besonderen Bedingungen ergeben.9 Die Bedingungsgeber der AUB 99/2008 haben konsequenterweise in der Einleitung zu Ziff. 2 eine andere Formulierung gewählt (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 7). • Durch den Hinweis in § 1 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 AUB 88/94 auf den konkreten im Antrag und dem Versicherungsschein dokumentierten Vertragsinhalt sollte von vornherein dem Missverständnis vorgebeugt werden, im Versicherungsfall sei der VR verpflichtet, alle in den AUB genannten Leistungen zu erbringen.10 Ist z.B. weder im Versicherungsantrag ein Tagegeld erwähnt noch ein solches im Versicherungsschein ausgewiesen, so besteht kein Anspruch auf Tagegeld, auch wenn Einzelheiten hierzu in den AUB abgedruckt sind und die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.11 • Inhaltlich entspricht § 1 Abs. 2 AUB 88/94 der Regelung in § 6 AUB 61. Zwar ist in den AUB 61 noch von „Unfällen auf der ganzen Erde“ die Rede, jedoch soll mit der neueren Formulierung „Unfalle in der ganzen Welt“ noch deutlicher zum Ausdruck gebracht werden, dass der räumliche Deckungsumfang nicht nur Unfälle zu Lande, sondern auch auf See und in der Luft umfasst.12 • Der Unfallbegriff in § 2 Nr. 1 AUB 61 wurde nahezu unverändert in § 1 Abs. 3 AUB 88/94 übernommen. Ergänzt wurde lediglich der klarstellende Klammerzusatz „Unfallereignis“; materielle Änderungen wurden damit nicht verbunden (§ 178 Rn. 12).
II. AUB 99 4
In Ziff. 1 AUB 99 wurden nur folgende (vornehmlich redaktionelle) Änderungen vorgenommen:13 • Die Überschrift zu Ziff. 1 AUB 99 ist – genauso wie die anderen Überschriften – nunmehr in Frageform gefasst. Darüber hinaus wurde der versicherungsrechtliche Fachbegriff „Versicherungsfall“ (§ 178 Rn. 17) in der Überschrift zugunsten einer für den Kunden verständlicheren Umschreibung aufgegeben.14 • Der in § 1 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 AUB 88/94 enthaltene Hinweis auf die Leistungsarten ist in Ziff. 1.1 AUB 99 entfallen und jetzt aus systematischen Gründen als Einleitungssatz in Ziff. 2 aufgenommen.15
7 8 9 10 11
Näher Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 11. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 24. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 25 und § 7 Rn. 3. Konen/Lehmann S. 7; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 2. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 4.
512
12 13 14 15
Konen/Lehmann S. 7 f.; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 14. Stockmeier/Huppenbauer S. 7. Stockmeier/Huppenbauer S. 7; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 1. Stockmeier/Huppenbauer S. 8.
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Versicherungsgegenstand
AUB 2008 Ziff. 1
• Entfallen ist der in § 1 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 AUB 88/94 enthaltene Hinweis „aus Antrag und Versicherungsschein ist ersichtlich, welche Leistungsarten jeweils vertraglich vereinbart sind“. Diese Formulierung findet sich ohnehin in etwas abgewandelter Form in Ziff. 2 S. 2 AUB 99 (und zuvor in § 7 S. 1 AUB 88/94; Ziff. 2 AUB Rn. 8 f.). • Neu aufgenommen wurde Ziff. 1.5 AUB 99, in der der VN auf Leistungseinschränkungen und Leistungsausschlüsse aufmerksam gemacht wird (Rn. 59).
Wortgleich zu § 1 Abs. 2 AUB 88/94 bestimmt Ziff. 1.2 AUB 99, dass der Versiche- 5 rungsschutz Unfälle in der ganzen Welt umfasst. Überlegungen, eine Inlandsklausel einzuführen, wonach das Vertragsverhältnis mit der Verlegung des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltes in das Ausland endet, haben in den Musterbedingungen u.a. im Hinblick auf § 81e VAG (Ausländerdiskriminierung) keine Berücksichtigung gefunden.16 Bereits das BAV hatte sich gegen das automatische Erlöschen der Verträge bei Aufgabe des inländischen Wohnsitzes ausgesprochen. Es sah eine solche Regelung nicht durch schutzwürdige Belange des VR gerechtfertigt. Die VR seien ausreichend vor einer Leistungspflicht ohne Beitragszahlung durch §§ 38, 39 a.F. geschützt und könnten unerwünschte langfristige vertragliche Bindungen durch Vereinbarung von Jahresverträgen mit Verlängerungsklausel vermeiden.17
III. AUB 2008 Die VVG-Reform 2008 machte keine Anpassung von Ziff. 1 AUB 99 notwendig. Die 6 Regelungen von Ziff. 1 AUB 99 wurden nahezu unverändert in die AUB 2008 übernommen. Lediglich in Ziff. 1.5 AUB 2008 wurde der Verweis auf Ziff. 4 gestrichen, da die neueren AUB keine Empfehlung mehr zur Regelung der Versicherungsunfähigkeit enthalten.
B. Zeitliche Geltung Ziff. 1.1 AUB 99/2008 stimmt inhaltlich mit § 1 Abs. 1 AUB 61/88/94 überein. 7 Während in den älteren Bedingungswerken die zwischen den Vertragsparteien (§ 179 Rn. 10 ff.) festgelegte Dauer des Versicherungsschutzes für die versicherte Person mit „Vertragsdauer“ oder „Versicherungsdauer“ umschrieben wird, verwenden die AUB 99/2008 die Formulierung „während der Wirksamkeit des Vertrages“. Gemeint ist in allen AUB-Generationen der materielle Versicherungsschutz,18 dessen Beginn und Ende in Ziff. 10 AUB 99/2008 (§ 4 AUB 88/94 bzw. § 7 und § 4 Nr. 5 AUB 61) geregelt ist. Ob die von den Bedingungsgebern verfolgte Intention mit der gewählten Formulierung korrekt zum Ausdruck kommt,19 dürfte für die Praxis bedeutungslos sein.20 Der „Unfall“, der in § 178 Abs. 2 S. 1 bzw. Ziff. 1.3 und 1.4 AUB 99/2008 (§ 1 8 Abs. 3 und 4 AUB 88/94) näher umschrieben ist, muss der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrages zugestoßen sein. In dieser Zeit müssen sämtliche Voraus-
16 17 18
19
Stockmeier/Huppenbauer S. 8. BAV GB 1977 76 Nr. 814. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 12; Konen/Lehmann S. 7; Stockmeier/Huppenbauer S. 8; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 22. Zu Recht kritisch Wussow/Pürckhauer 6 § 1
20
Rn. 21 f.; ferner Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. D 3; s. auch bereits Schilling ZfV 1962 365; näher hierzu Grewing VersR 1968 238, 239. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn.12; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 22.
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AUB 2008 Ziff. 1
Unfallversicherung
setzungen für den Unfallbegriff i.e.S. (§ 178 Rn. 8 ff.) bzw. für die dem Unfall gleichgestellten Ereignisse – namentlich die Unfallfiktion (Rn. 21 ff.) – vollständig vorliegen. Unerheblich ist damit einerseits, wann die Unfallursache eingetreten ist.21 Ist sie vor Beginn des materiellen Versicherungsschutzes gesetzt worden, so kann dennoch eine Leistungspflicht des VR bestehen, wenn sich der Unfall während der Wirksamkeit des Vertrages realisiert hat. Umgekehrt besteht kein Versicherungsschutz, wenn die Unfallursache zwar während der Wirksamkeit des Vertrages gegeben war, die Unfallvoraussetzungen aber erst nach Versicherungsende erfüllt waren. Andererseits reicht es nicht aus, wenn bei einem gedehnten oder mehraktigen Unfall (§ 178 Rn. 19) nur das Unfallereignis während der Wirksamkeit des Vertrages eintritt, die Unfallereignisfolge (die unfreiwillige Gesundheitsschädigung) aber erst später folgt.22 Der Wortlaut der AUB 88/94/99/2008 gibt für ein solches Verständnis keinen Anknüpfungspunkt.23 Die Begriffe „Unfall“ und „Unfallereignis“ sind nicht gleichbedeutend (§ 178 Rn. 18). Dies belegt u.a. Ziff. 1.3 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 3 AUB 88/94). Dort wird der Oberbegriff „Unfall“ durch den als Klammerzusatz genannten Unterbegriff „Unfallereignis“ sowie die unfreiwillige Gesundheitsschädigung definiert. Dagegen ist nicht erforderlich, dass auch die Unfallfolge (z.B. Invalidität) während der Wirksamkeit des Vertrages eintritt. Vorstehendes lässt sich wie folgt skizzenhaft darstellen: • Beginn des materiellen Versicherungsschutzes → Unfallursache → Unfallereignis → Unfallereignisfolge → Unfallfolge ➔ Versicherungsschutz • Unfallursache → Beginn des materiellen Versicherungsschutzes → Unfallereignis → Unfallereignisfolge → Unfallfolge ➔ Versicherungsschutz • Unfallursache → Unfallereignis → Beginn des materiellen Versicherungsschutzes → Unfallereignisfolge → Unfallfolge ➔ Kein Versicherungsschutz • Unfallursache → Unfallereignis → Unfallereignisfolge → Beginn des materiellen Versicherungsschutzes → Unfallfolge ➔ Kein Versicherungsschutz • Beginn des materiellen Versicherungsschutze → Unfallursache → Unfallereignis → Unfallereignisfolge → Ende des materiellen Versicherungsschutzes → Unfallfolge ➔ Versicherungsschutz
Als Beispiel mag der folgende konstruierte Fall dienen: Unfallursache = Bruch einer Gasrohrleitung; Unfallereignis = Gaseinwirkung auf die versicherte Person; Unfallereignisfolge = Atemnot der versicherten Person; Unfallfolge = Invalidität durch Gehirnschaden.
C. Örtliche Geltung 9
Die allgemeine Unfallversicherung hat – im Gegensatz etwa zur Kfz-Unfallversicherung (Ziff. A.4.3 AKB 2008) – Weltgeltung. Durch die Formulierung „in der ganzen Welt“ wird der Versicherungsschutz nicht nur auf Unfälle zu Lande, auf See und in der Luft, sondern über die Erde hinaus auf andere Himmelskörper (Weltall) erweitert.24 Diese Erweiterung gegenüber den AUB 61, in denen der Versicherungsschutz noch auf den Erdball und die diesen umgebende Atmosphäre beschränkt war, ist jedoch eher theoretischer Natur. Unabhängig davon, dass die Zahl der relevanten Fälle verschwindend gering ist, ist der Versicherungsschutz für Unfälle bei der Benutzung von Raumfahrzeugen ohnehin
21
22
Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 23; siehe auch BGH 27.6.1957 VersR 1957 499, 500 (zu den AHB). A.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 23.
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23
24
Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 13; a.A. für die AUB 61 Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. D 17. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 14.
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Versicherungsgegenstand
AUB 2008 Ziff. 1
ausgeschlossen (Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88/94). Darüber hinaus würden in der Praxis für eventuelle Aufenthalte in Weltraumstationen oder auf anderen Himmelskörpern in der Praxis Sonderbedingungen vereinbart werden.25 Der örtliche Geltungsbereich der Unfallversicherung kann in begründeten Einzelfällen 10 abbedungen werden.26 Neben den durch das AGB-Recht gesetzten Grenzen ist hierbei allerdings insbesondere das aufsichtsrechtliche Verbot der Ausländerdiskriminierung zu beachten (Vorbem. § 178 Rn. 96). Der in den AUB vorgesehene umfassende örtliche Geltungsbereich birgt für den VN im Vergleich zu manch anderen Versicherungsarten den Vorteil, dass er keinen Nachweis dafür zu erbringen hat, dass der Versicherungsfall in einem bestimmten Land, in einer bestimmten Region usw. eingetreten ist.
D. Unfallbegriff Zunächst hatte der Gesetzgeber darauf verzichtet, den Unfallbegriff im VVG a.F. zu 11 definieren. Stattdessen überließ er die Begriffsbestimmung dem Versicherungsvertrag (§ 178 Rn. 4). Die älteren Versicherungsbedingungen der einzelnen VR enthielten keine oder vom heuten Verständnis abweichende Definitionen.27 Erstmals verwendeten die AVBfU von 1920 den Unfallbegriff (i.e.S.), der auch in § 2 Nr. 1 AUB 61, § 1 Abs. 3 AUB 88/94 und Ziff. 1.3 AUB 99/2008 beibehalten wurde (§ 178 Rn. 10 ff.). Er findet sich nunmehr als – nicht zwingend gestaltete (§ 178 Rn. 160 ff.) – Legaldefinition in § 178 Abs. 2 S. 1.
E. Erweiteter Unfallbegriff Der Unfallbegriff i.e.S. umfasst keine willensgesteuerten Eigenbewegungen, insbeson- 12 dere auch Kraftanstrengungen (§ 178 Rn. 63 ff.). Vielmehr schließen sich der Unfallbegriff mit seinem Tatbestandsmerkmal „von außen wirkend“ und Kraftanstrengungen aus, die im Körperinneren stattfinden. Hier setzten die AUB an. Der in § 178 Abs. 2 S. 1 und Ziff. 1.3 AUB 94 bzw. § 1 Abs. 3 AUB 88/94 und § 2 Nr. 1 AUB 61 umschriebene Unfallversicherungsschutz erfährt – in wortgleicher Übereinstimmung mit § 1 Abs. 4 AUB 88/94 – durch Ziff. 1.4 AUB 99/2008 und in leichter Abweichung zu § 2 Nr. 2a AUB 61 eine Erweiterung. Kraftanstrengungen als willensgesteuerte Eigenbewegungen der versicherten Person werden in den Versicherungsschutz einbezogen, sofern gleichzeitig eine Schädigung i.S.d. abschließend aufgelisteten medizinischen Tatbestände gegeben ist. Fehlerhaft wäre es demnach, den Versicherungsschutz über Ziff. 1.4 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 4 AUB 88/94, § 2 Nr. 2a AUB 61) schlicht mit der Begründung zu versagen, die Kraftanstrengung sei nicht durch ein weiteres, äußeres Ereignis irregulär beeinflusst worden.28 Ziff. 1.4 AUB 99/2008 setzt vielmehr – ebenso wie § 1 Abs. 4 AUB 88/94 – voraus, dass durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden. Vorliegen muss mithin
25 26 27
Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 31. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 14. Näher dazu etwa Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 15.
28
OLG Saarbrücken 28.12.2001 VersR 2002 1096 = NVersZ 2002 216, 217.
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AUB 2008 Ziff. 1
Unfallversicherung
• eine erhöhte Kraftanstrengung (Rn. 21 ff.), • und zwar an Gliedmaßen oder Wirbelsäule (Rn. 40 f.), • eine Gesundheitsschädigung, nämlich alternativ eine Verrenkung eines Gelenks bzw. eine Zerrung oder Zerreißung an Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln (Rn. 42 ff.), • Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung (Rn. 55) und Kausalität zwischen Kraftanstrengung und den abschließend in den AUB 88/94/99/2008 genannten Gesundheitsschäden (Rn. 56 f.).
Eine mit den AUB-Klauseln vergleichbare Regelung enthält etwa § 18 Abs. 2 Nr. 2 AKB. Allerdings muss sich in der Kraftfahrt-Unfallversicherung die Kraftanstrengung auf eine nach § 18 Abs. 1 S. 1 AKB versicherte Tätigkeit – also vornehmlich auf das Be- oder Entladen oder das Anschieben des Kraftfahrzeugs („Behandeln“) – beziehen.29
I. Entwicklung des erweiterten Unfallbegriffs 13
Ziff. 1.4 AUB 99/2008, § 1 Abs. 4 AUB 88/94 enthält eine Unfallfiktion, die seit langem in den AUB in unterschiedlicher Ausgestaltung enthalten ist.30 Während in den älteren Bedingungswerken der erweiterte Unfallbegriff noch mehrfach Änderungen unterlegen war, hat sich seit den AUB 88 eine gleich bleibende Formulierung herauskristallisiert: 1. AUB 61
14
In den älteren AUB-Fassungen war noch vorgesehen, dass die Kraftanstrengung plötzlich sein müsse. Hieraus resultierten in der Praxis häufig Rechtsstreitigkeiten.31 Das auch im Unfallbegriff (§ 178 Rn. 81 ff.) nicht unproblematische Kriterium der Plötzlichkeit ist seit 1972 32 im Bedingungswortlaut nicht mehr enthalten. Dadurch ist die früher wichtige Unterscheidung zwischen plötzlicher und gewohnheitsmäßiger, wohlüberlegter Kraftanstrengung und die dazu ergangene Rechtsprechung33 nicht mehr von Bedeutung.34 15 Weiterhin konnte nach den älteren AUB-Fassungen Versicherungsschutz u.a. auch für Zerreißungen an Gefäßen und inneren Organen (Gehirnblutung,35 Herzschlag bzw. Herzversagen36 u.a.) als Folge einer plötzlichen Kraftanstrengung in Betracht kommen. Dies änderte sich 1972. Erstmals wurde eine enumerative Aufzählung derjenigen Körperteile, die von der Kraftanstrengung betroffen sein mussten – nämlich Gliedmaßen und Wirbelsäule – aufgenommen. Folge war, dass z.B. eine Zerreißung innerer Organe nicht mehr erfasst war.37 29 30
31
Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 15. S. bereits VA 1920 92, 93 (Wegfall des bis dahin bestehenden Ausschlusses für Körperbeschädigungen infolge fortgesetzter Anstrengungen und Kraftleistungen). Dazu etwa Neeße VersR 1959 773, 774 ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 102 f.; H. Weber NJW 1965 1997. Beispiele aus der Rechtsprechung: OLG Düsseldorf 4.2.1969 VersR 1973 49; OLG Düsseldorf 12.11.1953 VersR 1954 555; OLG Hamburg 22.6.1954 VersR 1954 411; OLG München 20.11.1964 VersR 1965 126, 127 f.; OLG Schleswig 24.3.1971 VersR 1973 50; LG Bonn 8.1.1965 VersR
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32 33
34 35 36
37
1965 893; LG Köln 30.3.1951 VersR 1951 121. VerBAV 1972 251; ferner GB BAV 1972 81; GB BAV 1971 84. Siehe z.B. LG Koblenz 5.12.1975 VersR 1976 1058; LG Hamburg 29.11.1951 VersR 1952 80 und AG Hamburg 18.4.1951 VersR 1952 80; ferner Dörstling VersR 1952 105 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 83. OLG Düsseldorf 12.11.1953 VersR 1954 555. OLG Hamburg 22.6.1954 VersR 1954 411; OLG Hamm 13.2.1981 VersR 1981 830, 831; LG Köln 30.3.1951 VersR 1951 121; AG Köln 24.11.1950 VersR 1951 121. LG Koblenz 5.12.1975 VersR 1976 1058.
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Versicherungsgegenstand
AUB 2008 Ziff. 1
2. AUB 88/94 Die letzten Änderungen am erweiterten Unfallbegriff erfolgten mit Einführung der 16 AUB 88: Während § 2 Nr. 2a AUB 61 noch als echter Einschluss formuliert war („unter den Versicherungsschutz fallen auch“),38 enthalten nunmehr Ziff. 1.4 AUB 99/2008 und § 1 Abs. 4 AUB 88/94 eine Unfallfiktion („als Unfall gilt auch“) 39 für den Fall, dass bestimmte Gesundheitsschädigungen durch eine Kraftanstrengung eingetreten sind. Die Wahl der Terminologie hat indes auf die praktische Rechtsanwendung keinen Einfluss. Gegenüber § 2 Nr. 2a AUB 61 ist seit den AUB 88 ausdrücklich das Erfordernis einer 17 „erhöhten“ Kraftanstrengung vorgesehen. Hierbei handelt es sich um eine rein redaktionelle Verdeutlichung des bereits zu den AUB 61 bestehenden Rechtszustandes und nicht um eine sachliche Einschränkung 40 etwa dergestalt, dass die Kraftanstrengung i.S.v. Ziff. 1 Nr. 4, § 1 Abs. 4 AUB 88/94 im Vergleich zu § 2 Nr. 2a AUB 61 einen gesteigerten Kraftaufwand verlange. Vielmehr sind „Kraftanstrengung“ und „erhöhte Kraftanstrengung“ inhaltsgleich.41 Auch zu den AUB 61 hatte die Rechtsprechung wiederholt entschieden, dass eine normale Kraftanstrengung nicht ausreiche, sondern eine erhöhte Kraftanstrengung zu verlangen sei.42 Bereits die Silbe „Anstrengung“ belegt, dass mehr als ein bloßer „Kraftaufwand“, der sich in jeder – noch so kleinen – Bewegung (z.B. Bewegen oder Zucken des kleinen Fingers) realisiert, zu fordern ist.43 Anderenfalls hätte in § 2 Nr. 2a AUB 61 auch gleich statt „Kraftanstrengung“ das Wort „Körperbewegung“ verwendet werden können.44 Des Weiteren hätte bei Ausreichen normaler Bewegungsabläufe die mit dem Wort „Kraftanstrengung“ beabsichtigte Abgrenzung zum Unfallereignis i.e.S. („von außen“) ihre Bedeutung verloren; denn dann würde jede Eigenbewegung Versicherungsschutz auslösen können. Darüber hinaus entspricht es medizinischer Erfahrung, dass Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen bei normaler Beanspruchung an gesunden Gliedmaßen oder an der Wirbelsäule nicht auftreten können, sondern eine Überstrapazierung erfordern.45 Kommt es bei normaler Beanspruchung schon zu Schäden, so beruhen diese auf Verschleiß oder krankhaften Veränderungen, für die die Kranken-, nicht aber die Unfallversicherung Schutz bietet.46 Ferner wurde in den neueren AUB präzisiert, welche Körperbestandteile gezerrt, zer- 18 rissen oder verrenkt sein müssen, um den erweiterten Unfallbegriff zu erfüllen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 2 Nr. 2a AUB 61 machte insbesondere im Hinblick auf die Rechtslage bei Bandscheibenschädigungen (Anh. § 178 Rn. 21 ff.) eine terminologische Berichtigung der anatomischen Verhältnisse erforderlich, nämlich das Erfordernis der Zerrung oder Zerreißung von Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln. Dagegen war bei der Verrenkung der Zusatz „an Gelenken“ entbehrlich und ohne materielle Auswirkungen. Er dient dem nicht fachmännisch geschulten VN als Verdeutlichung.47
38 39
40
41
Dazu etwa Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 100. OLG Saarbrücken 28.12.2001 VersR 2002 1096; Konen/Lehmann S. 8; Stockmeier/ Huppenbauer S. 9; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 82. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 32; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 26; Konen S. 10. OLG Celle 15.1.2009 VersR 2009 1252, 1253; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 51; Reichenbach S. 79.
42
43 44 45 46 47
OLG Hamm 7.8.2002 VersR 2003 496, 497 = NVersZ 2002 557, 558 = RuS 2003 429; OLG Hamm 18.6.1997 VersR 1998 708, 709; ferner Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 46. Neeße VersR 1959 773, 776 f. LG Köln 13.1.1988 VersR 1988 462. Konen/Lehmann S. 8. Konen S. 10. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 86.
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AUB 2008 Ziff. 1
Unfallversicherung
3. AUB 99
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Ziff. 1.4 AUB 99 stimmt wörtlich mit § 1 Abs. 4 AUB 88/94 überein. Die Bedingungsgeber diskutierten zwar diverse Erweiterungen der Unfallfiktion. So wurde in Betracht gezogen, generell sportliche Betätigungen als Kraftanstrengung gelten zu lassen, Tatbestände wie Ertrinken, Verbrennungen, Einatmen von Gasen oder Dämpfen, Einnehmen von giftigen oder ätzenden Stoffen aufzunehmen, Bauch- und Unterleibsbrüche einzuschließen oder den Knochenbruch infolge Kraftanstrengung zu regeln. Von diesen Änderungen wurde jedoch i.E. aus unterschiedlichen Gründen Abstand genommen.48 Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass die VR im Rahmen von Produktinnovationen oder für bestimmte Zielgruppen Erweiterungen der Unfallfiktion vornehmen. So haben einige VR die Fußball-WM 2006 in Deutschland zum Anlass genommen, spezielle Angebote für Verletzungen im Vereins-, Schul- oder Betriebssport zu unterbreiten. 4. AUB 2008
20
Die Neufassung der AUB 2008 beschränkte sich auf Änderungen, die durch die VVGReform 2008 bedingt waren. Produktinnovationen wie z.B. eine Ausdehnung des (erweiterten) Unfallbegriffs diskutierten die Gremien des GDV – soweit ersichtlich – nicht. Ziff. 1.4 AUB 99 wurde unverändert in die AUB 2008 übernommen.
II. Erhöhte Kraftanstrengung 21
Auf Grundlage der neueren AUB können sämtliche (erhöhte) Kraftanstrengungen Versicherungsschutz begründen.49 Tatbestandliche Einschränkungen bestehen nicht: • Im Gegensatz zu den älteren Bedingungsgenerationen braucht die (erhöhte) Kraftanstrengung nicht mehr plötzlich zu erfolgen (Rn. 14). Unerheblich ist folglich, ob die Anstrengung als solche schnell abläuft oder mit Schnelligkeit eine schädliche Wirkung entfaltet. Im Gegenteil: Erfasst sein können Kraftanstrengungen, die sich nur auf einen kurzen Augenblick oder auch über einen längeren Zeitraum erstrecken. • In Erweiterung zum Unfallbegriff i.e.S. (§ 178 Abs. 2 S. 1) ist nicht entscheidungserheblich, ob die (erhöhte) Kraftanstrengung durch ein äußeres Ereignis veranlasst ist oder planmäßig und gewollt abgelaufen ist (Rn. 12).
1. Bedeutung
22
Die in Ziff. 1.4 AUB 99/2008 angesprochenen (erhöhten) Kraftanstrengungen sind von normalen Handlungen des täglichen Lebens abzugrenzen, die nicht vom erweiterten Unfallbegriff erfasst sind. Eine alltägliche Bewegung liegt vor, wenn die Handlung zwar einen gewissen Muskeleinsatz, aber nach allgemeiner Lebensauffassung keinen bemerkenswerten Krafteinsatz erfordert. Nicht ausreichend für Ziff.1.4 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 4 AUB 88/94, § 2 Nr. 2a AUB 61) ist eine normale Kraftanstrengung des täglichen Lebens bzw. eine Kraftanstrengung, die mit normaler körperlicher Bewegung naturgemäß verbunden ist,50
48 49 50
Stockmeier/Huppenbauer S. 9 f. Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 16. OLG Celle 15.1.2009 VersR 2009 1252, 1253; OLG Düsseldorf 27.11.1997 NVersZ 1999 524, 525; OLG Hamm 7.8.2002 VersR
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2003 496, 497; OLG Köln 12.7.2000 RuS 2002 482; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 24; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 32.
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AUB 2008 Ziff. 1
und zwar auch dann, wenn es sich um eine übergewichtige Person handeln sollte.51 Hierzu zählt etwa das Gehen,52 Laufen, Aufstehen oder das Bücken,53 aber auch kleinere Sprünge z.B. über mehrere Treppenstufen oder einen Baumstamm.54 Solche Bewegungsabläufe führen regelmäßig nur zu Verletzungen, wenn bereits anlage- oder schicksalsbedingte Verschleißerscheinungen oder krankhafte Veränderungen an den Körperteilen vorliegen. Sie sollen als „Gelegenheitsursachen“ (vgl. § 178 Rn. 157) ganz bewusst vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden.55 Voraussetzung für eine (erhöhte) Kraftanstrengung ist nach allgemeinem Sprachge- 23 brauch, dass der mit einer normalen körperlichen Bewegung verbundene Kraftaufwand überschritten wird.56 Dabei ist unerheblich, ob die Tätigkeit das erste Mal oder schon wiederholt vorgenommen wurde.57 Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein erhöhter Einsatz von Muskelkraft.58 Dies ergibt sich bereits aus dem Wort „Kraftanstrengung“, das nicht mit „Körperbewegung“ gleichgesetzt werden darf. Das seit den AUB 88 aufgenommene Wort „erhöht“ stellt dieses Auslegungsergebnis ausdrücklich klar (Rn. 17). Das Adjektiv „erhöht“ zeigt vielmehr, dass ein außergewöhnliches Ereignis vorliegen muss, so dass z.B. eine sportliche Betätigung allein nicht genügt, um die Unfallfiktion zu begründen (siehe auch Rn. 35).59 Typische Beispiele für Beanspruchungen, die eine erhöhte Kraftanstrengung erforderlich machen, sind etwa das Heben und Tragen von schweren Lasten (Rn. 33) oder Bewegungen mit hoher Schnellkraft (siehe etwa Rn. 36). Z.T. wird allerdings einschränkend der Grundsatz aufgestellt, von einer Kraftanstrengung könne nur dann gesprochen werden, wenn Körperkräfte zur Bewegung anderer „Massen“ als des eigenen Körpers eingesetzt würden.60 Diese Einschränkung ist abzulehnen. Richtig ist zwar, dass das Heben und Tragen schwerer Lasten typische Beispiele für Kraftanstrengungen darstellen. Jedoch gibt es keinen dahingehenden allgemeinen Grundsatz, dass zur Anwendung von Ziff. 1.4 AUB 99/2008 die Körperkräfte zwingend andere Massen als den eigenen Körper bewegen müssten. Ein solches Erfordernis lässt sich aus dem Begriff der (erhöhten) Kraftanstrengung nicht entnehmen.61 Vielmehr sind auch andere Fallkonstellationen denkbar (etwa beim Leistungssport mit nur den eigenen Körper betreffenden Bewegungen, z.B. Sprint). Entscheidend ist, dass ein (punktueller) besonderer Krafteinsatz vorliegt, der sich vom normalen Bewegungsablauf absetzt.62 Dazu zählen insbesondere Bewegungen mit hoher Schnellkraft.
51 52 53
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56
57 58
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 26. LG Dortmund 14.2.2008 RuS 2009 206 mit Anm. Hoenicke. OLG Hamm 18.6.1997 VersR 1998 708, 709; OLG Koblenz 6.7.1987 RuS 1988 27; LG Köln 13.1.1988 VersR 1988 462. OLG Köln 20.12.2006 VersR 2007 1689, 1690 = RuS 2007 516 517. LG Dortmund 17.10.2008 NJW-RR 2009 389; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 51; Stockmeier/Huppenbauer S. 9. OLG Frankfurt 11.3.1998 – 7 U 232/96; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 3; Stiefel/Hofmann17 § 18 AKB Rn. 16; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 47. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 84. OLG Frankfurt/M. 7.4.1994 VersR 1996
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61 62
363, 364; OLG Nürnberg 30.3.2000 NVersZ 2000 376 f.; OLG Saarbrücken 28.12.2001 VersR 2002 1096; LG Berlin 18.5.1995 RuS 1996 423; Grimm4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 51; Schubach ZfS 2005 224, 225; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 101. Stockmeier/Huppenbauer S. 9. OLG Celle 9.1.1991 VersR 1991 1165 = RuS 1991 357; OLG Düsseldorf 27.11.1997 NVersZ 1999 524, 525 = RuS 1999 296, 297 = VersR 1999 880 (LS); offen lassend OLG Hamm 7.8.2002 VersR 2003 496, 497. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 48; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 32. OLG Frankfurt/M. 7.4.1994 VersR 1996 363, 364; OLG Saarbrücken 28.12.2001 VersR 2002 1096.
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Unfallversicherung
Eine Kraftanstrengung kann nicht bereits deshalb angenommen werden, weil eine freiwillige Eigenbewegung vom gewöhnlichen, normalen Bewegungsablauf eines durchschnittlichen Menschen abweicht.63 Die Unfallfiktion stellt nicht auf die Ungewöhnlichkeit der Körperbewegung ab. Eine solche Ausdehnung des erweiterten Unfallbegriffs lässt sich aus dem Wortlaut von Ziff. 1.4 AUB 99/2008 nicht ableiten. Maßgebend ist allein, dass die zur Verletzung führende Bewegung gegenüber Handlungen mit normaler Anstrengung einen erhöhten Einsatz an Muskelkraft verlangt. 2. Beurteilungsmaßstab
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Bei der Beurteilung der Frage, ob eine (erhöhte) Kraftanstrengung vorliegt, dürfte insofern Einigkeit herrschen, dass es nicht darauf ankommt, ob es im Einzelfall nur deshalb zu einer Verletzung der versicherten Person gekommen ist, weil bei ihr bereits anlage- oder schicksalsbedingte Verschleißerscheinungen bzw. krankhafte Veränderungen an Körperteilen vorlagen. Dahingehende Überlegungen mögen zwar die Bedingungsgeber beeinflusst haben, die Motive sind dem Klauseltext von einem aufmerksamen und durchschnittlichen VN jedoch nicht zu entnehmen. Darauf kommt es aber an, da die AUB anders als Gesetze nicht „historisch“ ausgelegt werden können (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Vielmehr kann der durchschnittliche VN bei aufmerksamer Durchsicht der AUB davon ausgehen, dass degenerativen Beeinträchtigungen nur durch besondere Ausschlüsse (wie z.B. in § 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94 und Ziff 5.2.1 AUB 99/2008 für Bandscheibenschäden) Rechnung getragen wird und die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen nur eine Leistungseinschränkung (etwa nach § 8 AUB 94/88 bzw. Ziff. 3 AUB 2008) nach sich zieht.64 Der VN muss nicht damit rechnen, dass er die vom VR zu beweisenden Leistungsausschlüsse und Leistungseinschränkungen bereits bei der Prüfung der Kraftanstrengung entkräften muss. Dadurch würde es i.E. zu einer Beweislastumkehr zum Nachteil des VN kommen. Umstritten ist, welcher Maßstab anzulegen ist, wenn normale Bewegungen von Kraft26 anstrengungen abzugrenzen sind.65 Während die überwiegende Meinung auf die subjektiven Gegebenheiten und Verhältnisse der versicherten Person, also auf deren individuelle körperliche Konstitution und Kräfteverhältnisse im Einzelfall abstellt (z.B. Alter),66 legt die Gegenauffassung eine objektive Betrachtungsweise zugrunde.67 Danach ist – wie im Rahmen der Invaliditätsfeststellung (§ 180 Rn. 13 ff.) – ein abstrakter Vergleich zwischen der versicherten Person und einem gesunden gleichaltrigen Durchschnittsmenschen anzustellen, der weder besonders stark noch schwach ist.68 Vorzugswürdig ist die erst genannte Ansicht. Zwar lässt sich dagegen anführen, dass eine subjektive Färbung des Begriffs die Rechtsanwendung vor erhebliche Differenzierungsprobleme stellen mag,69 63 64 65
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van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 49 und 74. OLG Nürnberg 30.3.2000 NVersZ 2000 376, 377. Offen lassend OLG Nürnberg 30.3.2000 NVersZ 2000 376, 377; LG Dortmund 17.10.2008 NJW-RR 2009 389. OLG Frankfurt/M. 7.4.1994 VersR 1996 363, 364; LG Köln 3.5.2000 RuS 2002 350; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 26; Kloth Rn. F 4; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 32;
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Römer/Langheid 2 § 179, Rn. 2; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 3; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 84. OLG Koblenz 6.7.1987 RuS 1988 27; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 101. OLG Celle 15.1.2009 VersR 2009 1252, 1253; OLG Dresden 16.6.2008 RuS 2008 433, 434; OLG Frankfurt 11.3.1998 – 7 U 232/96; Neeße VersR 1959 773, 777; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 51. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 101.
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zumal das subjektive Empfinden der versicherten Person schwer überprüfbar ist und somit die Gefahr von Rechtsmissbrauch und Rechtsunsicherheit besteht. Jedoch ist diese Befürchtung zu relativieren. Die Feststellung subjektiver Gegebenheiten bei der versicherten Person ist der Unfallversicherung nicht fremd, sondern gehört etwa bei der Beurteilung der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen zum „täglichen Geschäft“. Unlösbare Probleme bei der Beurteilung der Kraftanstrengung nach subjektiven Maßstäben hat es – soweit ersichtlich – bisher auch noch nicht gegeben. Schwerwiegender ist der Einwand, dass die Erweiterung des Unfallbegriffs in Ziff. 1.4 AUB 99/2008 bzw. § 1 Abs. 4 AUB 88/94 eng auszulegen ist (Rn. 58). Anderenfalls würde die besonders schwache, kranke, anfällige, ungeschickte versicherte Person besser geschützt als der „Normale“. Dieses Ergebnis dürfte dem verständigen VN nicht zwingend einleuchten. Vielmehr lässt sich durchaus argumentieren, dass es Sache des VR ist, durch entsprechende Bemessung der Versicherungssumme den subjektiven Gegebenheiten der versicherten Person Rechnung zu tragen.70 Gegen diese Argumente ist indes anzuführen, dass das Erfordernis der „Anstrengung“ im Begriff „Kraftanstrengung“ auf eine nach subjektiven Elementen zu treffende Unterscheidung hindeutet.71 Strebt der VR eine generelle bzw. objektive Beurteilung der Kraftanstrengung an, so ist es seine Aufgabe, dies in den Bedingungen klar zu stellen. 3. Einzelfälle Arbeiten mit oder an einem Gegenstand. Ungenügend für eine Kraftanstrengung sind Bewegungen des täglichen Lebens (Rn. 22) wie z.B. das Reinigen einer PKW-Windschutzscheibe von innen.72 Aussteigen aus einem Fahrzeug. Das Aussteigen aus einem Fahrzeug (Auto oder Flugzeug) ist keine Kraftanstrengung, mag es auch ungewohnte Bewegungen erforderlich machen oder mit einer „überaus verdrehten Haltung“ verbunden sein.73 Entsprechendes gilt für das Aufrichten auf der Tragfläche bzw. den Abstieg von der Tragfläche eines Flugzeugs usw.74 Fußballspiel. Ein Riss einer nicht vorgeschädigten Achillessehne beim Fußballspiel ist auf eine (erhöhte) Kraftanstrengung zurückzuführen, wenn die versicherte Person ihn beim „kämpferischen Einsatz um den Ball“, beim „Kampf um den Ball“ oder auch „Laufen hinter dem Ball“ in einer spielbedingten Konkurrenzsituation erlitten hat. Dem steht nicht entgegen, dass keine näheren Feststellungen dazu getroffen werden können, ob ein Umknicken, ein Geraten auf eine Unebenheit, ein Anrempeln o.ä. eine Rolle gespielt hat.75 Badminton. Der schnelle Antritt im Rahmen sportlicher Betätigung (insbesondere beim Badmintonspiel) stellt eine erhöhte Kraftanstrengung dar, da für den kurzen Sprint eine maximale Anspannung der Muskelgruppen erforderlich ist. Diese Kraftanstrengung geht über das normale Maß üblicherer Bewegungsabläufe deutlich hinaus.76
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Neeße VersR 1959 773, 777. LG Köln 3.5.2000 RuS 2002 350; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 26; insoweit auch Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 101 („wenig glücklich formuliert“). OLG Hamm 7.8.2002 VersR 2003 496, 497. OLG Düsseldorf 27.11.1997 NVersZ 1999 524, 525.
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76
OLG Celle 9.1.1991 VersR 1991 1165. OLG Celle 9.2.1995 RuS 1996 200 = VersR 1996 1355 (LS); kritisch Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 34. LG Dortmund 17.10.2008 NJW-RR 2009 389, 390.
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Gymnastik. Kräftigungsübungen mit maximaler Anspannung der betroffenen Muskelgruppen stellen eine Kraftanstrengung i.S. der AUB dar.77 Handball. Eine ruckartige Richtungsänderung beim Handballspiel, die zu einem Kreuzbandriss führt, hat die Rechtsprechung als erhöhte Kraftanstrengung gewertet.78 Dem ist dann zuzustimmen, wenn die Eigenbewegung mit einem erheblichen Einsatz an Muskelkraft verbunden war (Rn. 23). Allein die Ungewöhnlichkeit des Geschehens lässt dagegen nicht zwingend auf eine Kraftanstrengung schließen (Rn. 24). Heben und Tragen schwerer Lasten. Um normale (Alltags-)Bewegungen von Kraftanstrengungen zu unterscheiden, ist beim Umgang mit Lasten besonderes Augenmerk auf das zu bewältigende Gewicht und die konkreten Bewegungsabläufe abzustellen. Das Aufnehmen, Anheben, Tragen und Transportieren schwerer Lasten wie z.B. von Holzbohlen 79 oder eines schweren Kohleofens 80 sind ohne weiteres mit Kraftanstrengungen verbunden. Kraftanstrengungen finden des Weiteren typischerweise bei Be- und Entladevorgängen statt, so z.B. beim Herausheben eines Pakets von etwa 20 bis 25 kg von der rückwärtigen Sitzbank eines Kfz,81 beim Herauswuchten eines schweren Pilotenkoffers aus einem Flugzeug82 oder bei der Verladung von Vieh auf einen Kfz-Anhänger.83 Nicht ausreichend ist dagegen das bloße „In-der-Hand-Halten“ eines Gegenstandes (z.B. Koffer),84 das Verstauen von Einkaufstüten,85 das Hineinbeugen in ein Auto, um einen leichten Gegenstand (z.B. Terminkalender) an sich zu nehmen,86 oder das Herausziehen eines Faxgerätes aus einem Staufach.87 Kegeln. Die einmalige Aushol- oder Abwurfbewegung beim Kegeln stellt eine Kraftanstrengung dar.88 Gleiches gilt für einen Riss der Bizepssehnen aufgrund des Bewegungsablaufs beim Sportkegeln.89 Die exzentrische Anspannung dieser Sehnen beruht auf einer Kraftanstrengung i.S. der AUB.90 Sport. Die Unfallfiktion hat gerade bei Sportunfällen große Bedeutung. Hier kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Eine sportliche Betätigung in den vom Deutschen Sportbund geförderten Sportarten reicht allein noch nicht aus, eine Kraftanstrengung i.S. der Muster-AUB zu begründen. Hierzu bedürfte es vielmehr einer Erweiterung der Ziff. 1.4 AUB 99/2008.91 Haben die Vertragsparteien eine solche nicht vereinbart, ist im Einzelfall je nach sportlicher Betätigung zu entscheiden (z.B. Badminton, Rn. 30; Fußball, Rn. 29; Kegeln, 34; leichtathletische Sprints, Rn. 36; Tanzen, Rn. 37; Tennis, Rn. 38; Turnen, Rn. 39). Entscheidend ist dann, ob die zur Verletzung führende Handlung für die jeweilige versicherte Person (Rn. 25) gegenüber den normalen körperlichen Betätigungen im Alltagsleben eine Kraftanstrengung darstellt (Rn. 22 f.). Die Grenzen
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79 80 81 82
OLG Saarbrücken 28.12.2001 VersR 2002 1096. OLG Frankfurt 11.3.1998 – 7 U 232/96; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 34; kritisch van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 15 Rn. 49. OLG Düsseldorf 12.11.1953 VersR 1954 555. OLG Oldenburg 18.1.1984 VersR 1985 35. OLG Bremen 16.12.1958 VersR 1960 842, 843. OLG Celle 9.1.1991 VersR 1991 1165 (im konkreten Fall allerdings wegen des geringen Gewichts von 8 kg zweifelnd).
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OLG Hamburg 22.6.1954 VersR 1954 411. OLG Celle 9.1.1991 VersR 1991 1165. LG Berlin 6.4.1989 VersR 1990 374. OLG Düsseldorf 27.11.1997 NVersZ 1999 524, 525. OLG Köln 16.9.1993 RuS 1994 36. LG Berlin 18.5.1995 RuS 1996 423. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 34. OLG Nürnberg 30.3.2000 NVersZ 2000 376, 377 = VersR 2000, 1490 (LS); ablehnend van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 15 Rn. 74. Stockmeier/Huppenbauer S. 9.
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AUB 2008 Ziff. 1
verlaufen fließend. Es bedarf daher einer sorgfältigen Dokumentation des Unfallhergangs und einer genauen Analyse des zur Schädigung führenden Bewegungsablaufs.92 Nicht erforderlich für die Annahme einer erheblichen Kraftanstrengung ist, dass die Verletzung bei Ausübung eines besonders kraftaufwendigen Sports erfolgt.93 Weiterhin muss die konkret zu beurteilende Handlung nicht über das Normalmaß der mit der jeweiligen Sportart üblicherweise verbundenen Anstrengungen hinausgehen; es muss keine sportliche „Ausnahmesituation“ vorliegen.94 Sprint. Der Kurzstreckenlauf (z.B. Endspurt eines 75-Meter-Laufs oder der 50-Meter 36 Lauf anlässlich einer Schiedsrichterprüfung) ist eine Kraftanstrengung.95 Gleiches gilt für den schnellen Antritt (z.B. beim Badminton, Rn. 30). Tanzen. Das Tanzen ist typischerweise ein normaler körperlicher Vorgang, der keinen 37 gesteigerten körperlichen Kraftaufwand erforderlich macht.96 Dies trifft ohne weiteres auf ruhige Tänze (z.B. zu Bluesmusik), aber auch auf normale Gesellschafts- bzw. Standardtänze zu. Tanzübliche Ausfallschritt- und Drehbewegungen,97 aber auch rhythmische, schwungvolle und kraftvolle Bewegungselemente oder Hüpfen und Drehen erfordern grundsätzlich kein erhöhtes Maß an Muskeleinsatz.98 Entsprechendes gilt für das gelegentliche Abfangen des Gewichts des Tanzpartners bei lateinamerikanischen Tänzen.99 Anderes mag bei Extremtänzen oder außergewöhnlichen Tanzdisziplinen (z.B. zu Rock’n Roll mit Überschlag) gelten.100 So wurde eine Kraftanstrengung beim CsárdásTanz angenommen. Bei ihm handelt es sich um einen lebhaften Volkstanz, bei dem wiederholte Sprünge mit anschließendem Zusammenschlagen der Hacken ausgeführt werden. Derartige Bewegungen erfordern eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende körperliche Anstrengung.101 Tennis. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Kraftanstrengung i.S. von Ziff. 1.4 38 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 4 AUB 88/94) vorliegt, wird z.T. ein Vergleich zwischen der zur Verletzung führenden Bewegung zum normalen Tennisspiel vorgenommen. Erforderlich sei eine Ausnahmesituation, die einen besonderen, von den sonstigen spielerischen Aktionen abweichenden Kraftaufwand erforderlich mache. Nicht ausreichend sei es dagegen, dass ein Spieler bei den einzelnen Bällen in unterschiedlichem Maß körperlich gefordert werde, mal mehr und mal weniger laufen müsse, sich mal mehr oder mal weniger schnell bzw. nach rechts oder links drehen müsse; denn diese Bewegungen seien für das Spiel typisch und machten die sportliche Betätigung aus.102 Zutreffender ist es indes, die konkrete sportliche Betätigung ins Verhältnis zu der normalen körperlichen Betätigung im Alltagsleben zu setzen (Rn. 22 f.). Keine Kraftanstrengung dürfte auch danach z.B. die Vorbereitung des Rückhandschlags 103 oder der Wechsel von der Vorhand- zur Rück-
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Schubach ZfS 2005 224, 225. LG Berlin 18.5.1995 RuS 1996 423. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 33; a.A. OLG Frankfurt/M. 7.4.1994 VersR 1996 363, 364. OLG Schleswig 24.3.1971 VersR 1973 50; AG Herne 14.12.2001 NVersZ 2002 219. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 34. LG Köln 3.5.2000 RuS 2002 350, 351. OLG Köln 12.7.2000 RuS 2002 482; a.A. AG Oldenburg 26.6.1997 VersR 1998 1103 (LS).
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LG Köln 3.5.2000 RuS 2002 350, 351; Schubach ZfS 2005 224, 225. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 34; offen lassend OLG Köln 12.7.2000 RuS 2002 482. OLG Frankfurt/M. 18.1.1960 VersR 1961 745. OLG Frankfurt/M. 7.4.1994 VersR 1996 363, 364. LG Düsseldorf 2.7.1997 RuS 1999 169.
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Unfallversicherung
handposition bzw. vom Vorlaufen zum Netz zur Rückwärtsbewegung 104 sein. Notwendig ist indes eine Einzelfallprüfung,105 die auch der körperlichen Verfassung des Spielers Rechnung trägt (Rn. 26). Turnen. Nicht jede körperliche Ertüchtigung ist mit einer Kraftanstrengung verbun39 den. Sie kann aber dann bejaht werden, wenn es sich um Kräftigungsübungen (Heben des Rumpfs bei Abstützung auf gestreckten Armen und Beinen) handelt.106
III. Gliedmaßen oder Wirbelsäule 40
Nach dem medizinischen Sprachgebrauch, der hier dem Lebenssprachgebrauch entsprechen dürfte, werden unter Gliedmaßen die unteren Extremitäten einschließlich Hüftgelenk bzw. oberen Extremitäten einschließlich Schultergelenk verstanden,107 also Arme, Beine, Hände, Füße, Finger etc.108 Die Schulter ist dagegen dem Rumpf zuzuordnen.109 Im Gegensatz zu dem Wortlaut des § 2 Abs. 2a AUB 61 beziehen Ziff. 1.4 AUB 41 99/2008 und § 1 Abs. 4 AUB 88/94 die erhöhte Kraftanstrengung auf Gliedmaßen oder die Wirbelsäule. Die Gesundheitsschäden müssen dort indes nicht lokalisiert sein. Folge ist, dass nach den AUB 88/94/99/2008 z.B. die durch eine erhöhte Kraftanstrengung eines Arms verursachte Verrenkung des Brustbein-Schlüsselbein-Gelenks zu entschädigen ist, während bei Geltung der AUB 61 allenfalls die Verrenkung eines Schultereckgelenks zu einer Entschädigung geführt hätte.110 Nach anderer Auffassung muss es auch unter Geltung der neueren AUB-Generationen zu einer Verletzung kommen, die im Zusammenhang mit Gliedmaßen oder der Wirbelsäule steht.111 Demnach besteht z.B. für eine durch Kraftanstrengung im Schulterbereich verursachte Muskelzerrung oder Rotatorenmanschettenruptur kein Versicherungsschutz.112
IV. Gesundheitsschädigung 42
Ziff. 1.4 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 4 AUB 88/94) setzt entweder die Verrenkung eines Gelenks oder die Zerrung bzw. Zerreißung von Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln voraus. Diese Begriffe sind nicht medizinisch-fachwissenschaftlich zu definieren, sondern nach dem Verständnis des durchschnittlichen VN ohne fachliche Spezialkenntnis auszulegen (s.a. Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57).113
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110
OLG Frankfurt/M. 7.4.1994 VersR 1996 363, 364. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 34. OLG Saarbrücken 28.12.2001 VersR 2002 1096. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 85. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 110. OLG Dresden 16.6.2008 RuS 2008 433 f.; OLG Dresden 8.10.2007 RuS 2008 432, 433; LG Berlin 23.5.1991 ZfS 1991 317. Reichenbach S. 80.
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111 112
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So LG Bayreuth 8.4.2008 VersR 2009 58 = RuS 2009 205 (LS). OLG Dresden 16.6.2008 RuS 2008 433 f.; OLG Dresden 8.10.2007 RuS 2008 432, 433; LG Berlin 23.5.1991 ZfS 1991 317; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 31 (Fn. 95); van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 15 Rn. 75. BGH 23.11.1988 VersR 1988 73, 74; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 104; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 35; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 86.
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Versicherungsgegenstand
AUB 2008 Ziff. 1
1. Verrenkung eines Gelenks Eine Verrenkung (Luxation) ist nach allgemeinem medizinischem Wortgebrauch die 43 über eine einfache Verdrehung hinausgehende Verschiebung zweier durch Gelenk verbundener Knochenenden aus der normalen Stellung.114 Die Verrenkung bezieht sich stets auf ein Gelenk,115 so dass der Zusatz in Ziff. 1.4 und § 1 Abs. 4 AUB 88/94 „eines Gelenks“ nur der Verdeutlichung dient. Eine Verrenkung kann nur an Gliedmaßen auftreten. An der Wirbelsäule ist sie begrifflich ebenso ausgeschlossen wie eine Verrenkung innerhalb der Wirbelsäule; denn innerhalb der Wirbelsäule gibt es keine Gelenke.116 Durch den klarstellenden Zusatz „ein Gelenk“ entfallen nunmehr auch Diskussionen darüber, ob nach allgemeinem Sprachgebrauch eine „Luxation eines Nervs“ eine Verrenkung i.S.d. AUB sein könne, obwohl es sich bei einer „Nervenluxation“ bei fachlicher Betrachtung um eine Verlagerung (Dislokation/Dislozierung) und nicht um eine Verrenkung eines peripheren Nervs handelt.117 2. Zerrung oder Zerreißung bestimmter Gewebe Zerrungen (Distorsionen) sind auf eine Überbeanspruchung von Muskeln, Sehnen 44 und Bändern bzw. eine Überdehnung oder Überstreckung von Gewebesubstanzen zurückzuführen. Es handelt sich um meist reversible Vorgänge, die nicht zu einer Zerreißung (Substanztrennung) führen.118 Die Substanz wird zwar durch das Wirken entgegen gesetzter Kräfte geschädigt, bleibt in ihrem Zusammenhang aber erhalten.119 Der Ein- oder Abriss einzelner Muskel- oder Sehnenbündel usw. steht aber der Annahme einer Zerrung nicht entgegen.120 Bei einer Zerreißung werden Gewebesubstanzen in einem Maße überdehnt, dass sich 45 ihr Zusammenhang löst, so dass zumindest eine teilweise (nicht notwendig vollständige) 121 Trennung (Rissbildung) eintritt.122 Die Zerreißung muss darüber hinaus das Ergebnis (zweier) auseinanderstrebender Kräfte sein,123 da anderenfalls ein Quetschen gegeben ist. Zwar könnte dieses Ergebnis angesichts der BGH-Rechtsprechung 124 zu Bandscheibenschäden fraglich sein. Jedoch ist zu beachten, dass der BGH sich nicht isoliert oder allgemein mit dem Wort „Zerreißung“, sondern mit der Formulierung „Zerreißung an der Wirbelsäule“ auseinandergesetzt hat und insbesondere dem Wort „an“ große Bedeutung bei der Auslegung zugemessen hat (Anh. § 178 Rn. 23 ff.). Der Begriff „Zerreißung“ als solcher wird dagegen im allgemeinen Sprachgebrauch mit auseinander-
114
115 116 117 118
OLG Hamm 7.11.1986 VersR 1988 242; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 27; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 35; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 105; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 86; Wüstney § 2 Anm. 8. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 112. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 115. Reichenbach S. 80. OLG Hamm 7.11.1986 VersR 1988 242; Grimm4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 52; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 26;
119 120 121 122 123
124
Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 35. OLG Oldenburg 18.5.1994 VersR 1995 694, 695; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 87. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 106. LG Nürnberg 21.1.1991 RuS 431, 432. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 87. OLG Hamm 7.11.1986 VersR 1988 242; Grimm4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 52; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 87; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 35. BGH 23.11.1988 VersR 1989 73, 74.
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AUB 2008 Ziff. 1
Unfallversicherung
wirkenden Kräften verbunden. Synonyme sind z.B. „auseinander reißen“, „durchreißen“, „entzweireißen“, (mit Gewalt) etwas „in Fetzen/Stücke reißen“, „zerfetzen“.125 Anders als noch in den AUB 61 (Rn. 15) müssen bei Vereinbarung der AUB 88/94/ 46 99/2008 von der Zerrung bzw. Zerreißung Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln betroffen sein.126 • Muskeln sind fleischige Teile des Körpers, die durch Zusammenziehung und Erschlaffung Bewegung vermitteln • Als Sehnen werden Endstücke der Muskeln bezeichnet, die zum Ansatz an Knochen dienen und die Zugwirkung auf die Knochen übertragen. • Bänder stellen strangförmige oder platte Bindegewebsgebilde dar, die der Befestigung gegeneinander beweglicher Skelettteile dienen. • Kapseln sind aus Fett- oder Bindegewebe bestehende Umhüllungen von Körperteilen (z.B. Gelenke).
47
Im Gegensatz zu § 2 Nr. 2a AUB 61 fallen andere Gewebe nicht mehr unter den erweiterten Unfallbegriff. Nicht erfasst sind z.B. Schäden an Knorpeln, die als druckfestes Stützgewebe zwischen den Knochenteilen harte Stöße elastisch auffangen sollen.127 Entsprechendes soll für Pleuragewebe (Brust- und Rippenfell) gelten.128 3. Einzelfälle
Achillessehnenriss. Er ist eine Zerreißung i.S.d. AUB.129 Bandscheibenverwölbung. Sie reicht nicht für die Annahme einer Zerreißung aus (Anh. § 178 Rn. 26). 50 Bandscheibenvorfall. Während Bandscheibenvorfälle unter Geltung der AUB 61 noch unter den erweiterten Unfallbegriff fielen, trifft dies bei Vereinbarung der AUB 88/94/99 nicht zu, da die Bandscheibe histologisch nicht zu den in Ziff. 1.4 bzw. § 1 Abs. 4 AUB 88/94 aufgeführten Geweben zählt (Anh. § 178 Rn. 32). Darüber hinaus sind die Leistungsausschlüsse in Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 bzw. § 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94 zu beachten (Anh. § 178 Rn. 33 ff.). 51 Herzkrankheiten. Keine Zerrung oder Zerreißung ist ein Herzinfarkt;130 bei ihm handelt es sich um einen Verschluss von Herzkranzgefäßen, die zu Durchblutungsstörungen des Herzmuskels führen.131 Herzschäden, innere Blutungen, Embolien etc. sind jedenfalls spätestens seit der Aufnahme der Formulierung „an Gliedmaßen und Wirbelsäule“ nicht mehr von der Unfallfiktion, sondern nur als Folge eines Unfallereignisses i.S.v. § 178 Abs. 2 Satz 1 gedeckt.132
48 49
125
126 127 128 129
Duden Bd. 8: Synonymwörterbuch, 3. Aufl. (2004) unter „zerreißen“; ferner Mackensen Deutsches Wörterbuch, 10 Aufl. (1983) unter „zerreißen“. Zu den Begriffen Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 87. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 87. LG Bayreuth 8.4.2008 VersR 2009 58 = RuS 2009 205 (LS). OLG Schleswig 24.3.1971 VersR 1973 50; ferner AG Herne 14.12.2001 NVersZ 2002 219.
526
130
131 132
OLG München 20.11.1964 VersR 1965 126, 128; Reichenbach S. 79; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 106 m.w.N. OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843; H. Weber NJW 1965 1997 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 113; ferner Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 19.
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Versicherungsgegenstand
AUB 2008 Ziff. 1
Knochenbruch. Der Bruch bezeichnet nach allgemeinem Sprachgebrauch die zerstö- 52 rende Beschädigung eines Knochens oder Knochenteils.133 Unabhängig davon, dass eine solche Verletzung durch eigene Kraftanstrengung kaum vorstellbar ist, fällt sie aus mehreren Gründen nicht in den Anwendungsbereich von Ziff. 1.4 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 4 AUB 88/94): Zum einen stellt der Knochenbruch keine Verrenkung oder Zerrung dar. Es kommt allenfalls in Betracht, ihn unter „Zerreißung“ zu subsumieren. Dies dürfte allerdings der seltene Ausnahmefall sein, da der Begriff „Bruch“ nicht mit dem der „Zerreißung“ synonym verwendet werden kann.134 Der Knochenbruch hat meist seine Ursache darin, dass der Knochen durch Druck oder Stoß getrennt worden ist. In diesem Fall kann von einem Zerreißen nicht gesprochen werden.135 Ein Zerreißen bei Knochen kommt nur dann in Betracht, wenn an den jeweiligen Enden der knöchernen Substanzen entgegensetzte Kräfte unter Gewaltanwendung wirken (Rn. 45) und die Substanz deshalb birst.136 Ziff. 1.4 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 4 AUB 88/94) findet folgerichtig z.B. bei einem Kompressionsbruch eines Lendenwirbelkörpers keine Anwendung.137 Zum anderen sind Knochen jedenfalls nicht mit Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln gleich zu setzen.138 Für eine ausdehnende Auslegung von Ziff. 1.4 AUB 99/2008, § 1 Abs. 4 AUB 88/94 besteht kein Raum (Rn. 58). Kompartmentsyndrom. Das sog. funktionale Kompartmentsyndrom beruht nicht auf 53 einer Zerrung (oder Zerreißung), da es an den entgegengesetzt wirkenden Kräften fehlt.139 Von einem solchen Syndrom wird gesprochen, wenn es durch übermäßige körperliche Belastung (z.B. Tennisspiel) ohne Hinzutreten eines Muskelrisses oder anderer Ursachen zu einer Zunahme des Volumens in den nicht dehnbaren bindegewebigen Muskellogen (Kompartments) kommt und die daraus resultierende Drucksteigerung schließlich zum Gewebsuntergang der Muskulatur und zu Druckschäden an Blutgefäßen und Nerven führt. Meniskusriss bzw. -schaden. Auf Grundlage der AUB 61 wurde der durch eine Kraft- 54 anstrengung hervorgerufene Meniskusriss als eine leistungspflichtige Zerreißung an einer Gliedmaße angesehen.140 Dies galt selbst dann, wenn der Meniskus bereits krankhaft verändert war.141 Diese Rechtslage hat sich seit den AUB 88 geändert. Es besteht kein Versicherungsschutz aufgrund der Unfallfiktion, da der Meniskus aus Knochen und Knorpel besteht (bindegeweblicher, faserknorpeliger Gelenkring im Kniegelenk), es sich aber nicht um einen Muskel, eine Sehne, ein Band oder eine Kapsel handelt.142 Eine Analogie
133 134 135 136
137
138
139
BGH 23.11.1988 VersR 1989 73, 74; LG München I 21.3.1972 VersR 1973 1060. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 107 und 114. LG Frankfurt 6.12.1990 RuS 1991 286. OLG Oldenburg 18.1.1984 VersR 1985 35, 36; LG München I 21.3.1972 VersR 1973 1060; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 52. OLG Hamm 7.11.1986 VersR 1988 242; s.a. OLG Oldenburg 18.1.1984 VersR 1985 35, 36; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 37; relativierend Reichenbach S. 81. Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 52; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 27; Reichenbach S. 81. OLG Oldenburg 18.5.1994 VersR 1995 694,
140
141 142
695; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 52; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 35. OLG Koblenz 6.7.1987 RuS 1988 27; LG Köln 13.1.1988 VersR 1988 462; ferner Lehmann/Ludolph 2 S. 18; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 37. OLG Bremen 16.12.1958 VersR 1960 842, 843; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 52. OLG Saarbrücken 15.12.2004 VersR 2005 1276, 1277 = RuS 2005 344 = NJW-RR 2005 1271; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 52; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 23; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 27; Konen S. 10 f.; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 36; Reichenbach S. 80; Rüffer/Halbach/Schimi-
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AUB 2008 Ziff. 1
Unfallversicherung
kommt nicht in Betracht (Rn. 58). Versicherungsschutz für einen Meniskusschaden besteht auf Grundlage der AUB 88/94/99/2008 nur dann, wenn er Folge eines Unfallereignisses i.e.S. (§ 178 Abs. 2 S. 1) ist. Durch die mit den AUB 88 geänderte Rechtslage wird der Versicherungsschutz des VN auch nicht ausgehöhlt. Aufgrund der modernen Operationsmethoden führen Meniskusverletzungen in aller Regel zu keiner (dauerhaften) Invalidität.143
V. Unfreiwilligkeit 55
Auch wenn Ziff. 1.4 AUB 99/2008 (bzw. § 1 Abs. 4 AUB 88/94, § 2 Nr. 2a AUB 61) eine willentlich gesteuerte bzw. freiwillige Eigenbewegung (Kraftanstrengung) voraussetzt, ist der VR nur zur Leistung verpflichtet, wenn – wie beim Unfallbegriff i.e.S. – Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung gegeben ist. Führt die versicherte Person eine Kraftanstrengung bewusst aus und nimmt sie es dabei in Kauf, dass sie eine Gesundheitsschädigung erleidet, so besteht kein Versicherungsschutz.144 Die Beweislast hierfür trägt der VR (§ 178 Abs. 2 Satz 2).
VI. Kausalität zwischen Kraftanstrengung und Gesundheitsschädigung 56
Der Ursachenzusammenhang zwischen Kraftanstrengung und Gesundheitsschädigung ist nach allgemeinen Regeln anhand der Adäquanztheorie (§ 178 Rn. 153 ff.) zu beurteilen. Die Kraftanstrengung muss geeignet sein, die Verrenkung, Zerrung oder Zerreißung i.S.v. Ziff. 1.4 AUB 99/2008 hervorzurufen. So setzt der Riss einer gesunden, nicht vorgeschädigten Achillessehne eine erhebliche Gewaltanwendung voraus; normale Bewegungsabläufe reichen nach medizinischer Erfahrung nicht aus. Kommt es ohne erhebliche Gewaltanwendung zu einem Achillessehnenriss kann zwar der Kausalzusammenhang zu bejahen sein, da Mitursächlichkeit genügt, jedoch ist typischerweise von einer Vorschädigung auszugehen, die zu einer (vom VR zu beweisenden) Leistungskürzung berechtigt (§ 182, Ziff. 3 AUB 2008).145 Die in Ziff. 1.4 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 4 AUB 88/94) genannten Gesundheitsschäden 57 müssen durch eine einzelne Kraftanstrengung ausgelöst werden. Nicht erfasst werden Schädigungen, die nur durch ständig, sich über längere Zeit hinweg wiederholende Anstrengungen entstanden sind.146 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Unfallfiktion („eine“ Kraftanstrengung).
VII. Keine analoge/erweiternde Anwendung 58
Für eine extensive Anwendung der Ziff. 1.4 AUB 99/2008 im Wege einer „großzügigen“ Begriffs- oder Analogiebildung gibt es – ebenso wenig wie für die entsprechenden Vorgängervorschriften in den AUB 61/88/94 – keinen Ansatzpunkt.147 Die von den
143 144
kowski Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 6; Schubach ZfS 2005 224, 225; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 15 Rn. 75; Stockmeier/Huppenbauer S. 10; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 87. Lehmann/Ludolph 2 S. 18 f. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2
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145 146 147
§ 47 Rn. 31; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 16; Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 83. Hoenicke RuS 2009 206 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 1 Rn. 84. OLG Hamm 7.11.1986 VersR 1988 242; OLG Oldenburg 18.1.1984 VersR 1985 35,
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Versicherungsgegenstand
AUB 2008 Ziff. 1
Bedingungsgebern verwendeten Begriffe sind sowohl im medizinischen als auch im täglichen (laienhaften) Sprachgebrauch fest umrissen und damit eindeutig. Eine Auslegung entgegen dem klaren Wortlaut allein nach Billigkeit oder nach einer (unterstellten) Verkehrssitte ist unzulässig, da sie zu einer nicht gerechtfertigten Vertragsänderung führen würde. Der VR würde gezwungen, Versicherungsrisiken zu übernehmen, die er bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtung (erkennbar) nicht übernehmen sollte. So lässt sich z.B. eine Blutüberfüllung im Gehirn nicht als Verrenkung, Zerrung oder Zerreißung qualifizieren.148 Die Voraussetzungen für eine Analogiebildung liegen nicht vor. Es fehlt bereits an der erforderlichen Regelungslücke.149 Die Reichweite des Einschlusses bzw. der Fiktion ist von den Verfassern der jeweiligen Musterbedingungen sorgfältig geprüft und bei jeder neuen AUB-Generation erneut überdacht worden. Ziff. 1.4 AUB 99/2008 enthält vielmehr eine – auch für den durchschnittlichen und aufmerksamen VN erkennbare – abschließende und nicht exemplarische Aufzählung der Voraussetzungen, unter denen der VR zusätzlich Versicherungsschutz gewähren will.150 Darüber hinaus handelt es sich bei Ziff. 1.4 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) um eine Ausnahmeregelung zum allgemeinen Unfallbegriff i.e.S.151 Solche Sondertatbestände sind ihrer Natur nach eng auszulegen.152 Ihr Sinn und Zweck steht einer analogen Anwendung (z.B. auf Knochen- oder Knorpelschäden) entgegen.153 Der VR gewährt dem VN eine „Vergünstigung“. Die freiwillig übernommene Ausweitung des Risikos muss bei verständiger Abwägung der Interessen der Vertragsparteien unter angemessener Wahrung des VR-Interesses erfolgen.154
F. Hinweis auf Leistungsausschlüsse und Leistungseinschränkungen Die im Vergleich zu den älteren AUB-Werken neue Regelung in Ziff. 1.5 S. 1 AUB 59 99/2008 soll dem Umstand Rechnung tragen, dass anders als in den AUB 94/88/61 in den AUB 99/2008 nicht mehr die Ausschlüsse unmittelbar nach Umschreibung des Versicherungsfalls dargestellt sind, sondern die Beschreibung der Leistungsarten folgt. Der Unfall-Fachausschuss des GDV sah mit Hinblick auf die Rechtsprechung 155 die Gefahr, dass ohne den ausdrücklichen Hinweis in Ziff. 1.5 Satz 1 AUB 99/2008 die Regelung der Versicherungsausschlüsse in Ziff. 5 nach AGB-Recht als überraschend und unwirksam angesehen werden könnte, wenn keine enge Verknüpfung zwischen Ausschluss und dem Leistungsversprechen (dem einzuschränkenden Tatbestand) gegeben ist.156 Die in Ziff. 1.5 S. 2 AUB 99/2008 enthaltene Klarstellung soll dem Kunden zusätzlich und vor-
148
149 150 151 152
36; LG München I 21.3.1972 VersR 1973 1060; Dörstling VersR 1952 105, 106 f.; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 27; Lehmann/Ludolph 2 S. 18; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 36; Stiefel/Hofmann17 § 18 AKB Rn. 18; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 106; H. Weber NJW 1965 1997. Dörstling VersR 1952 105, 107 entgegen LG Hamburg 29.11.1951 VersR 1952 80 und AG Hamburg 18.4.1951 VersR 1952 80. Dörstling VersR 1952 105, 107. LG München I 21.3.1972 VersR 1973 1060. LG Köln 30.3.1951 VersR 1951 121. OLG München 20.11.1964 VersR 1965 126,
153
154 155
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127; OLG Oldenburg 18.1.1984 VersR 1985 35; OLG Oldenburg 18.5.1994 VersR 1995 694, 695; LG München I 21.3.1972 VersR 1973 1060. LG Frankfurt 6.12.1990 RuS 1991 286; LG Köln 30.3.1951 VersR 1951 121; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 52; Wussow/ Pürckhauer 6 § 1 Rn. 88. Dörstling VersR 1952 105, 107; Neeße VersR 1959 773, 777. LG Gießen 24.8.1994 VersR 1996 496, 497 (zu den VHB 84) mit kritischer Anm. Reinhard. Stockmeier/Huppenbauer S. 7 und 10.
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AUB 2008 Ziff. 2
Unfallversicherung
sorglich deutlich machen, dass die in Ziff. 1.5 S. 1 AUB 99/2008 angesprochenen Einschränkungen für alle Leistungsarten gelten.157
G. Wirksamkeit 60
Ziff. 1 AUB 99/2008 unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Sofern die Unfallfiktion in Ziff. 1.4 AUB 99/2008 auf Verletzungen an Gliedmaßen (ohne Schulterverletzungen) beschränkt wird (Rn. 41), ist sie nach der bisherigen Rechtsprechung mit §§ 305 ff. BGB vereinbar. Die Klausel ist insbesondere auch nicht überraschend i.S.d. § 305c BGB.158
H. Speziellere AVB 61
Es steht den Vertragsparteien ohne weiteres frei, von den AUB abweichende Regelungen zu treffen. Sie können den Versicherungsschutz durch Spezialbestimmungen zu den AUB erweitern oder zusätzliche Risikobeschränkungen aufnehmen (§ 178 Rn. 160 ff.). Folgerichtig gibt es mannigfaltige Besondere Bedingungen, mit denen die VR bestimmte Kundenzielgruppen ansprechen bzw. auf gesonderte Versicherungsbedürfnisse und Lebensumstände der VN eingehen.
I. Verfahrensfragen 62
Es gelten keine Besonderheiten, so dass auf die Kommentierung zu § 178 (Rn. 166 ff.) verwiesen werden kann. Insbesondere trägt der VN (bzw. seine Erben oder der Bezugsberechtigte) – mit Ausnahme der Unfreiwilligkeit (§ 178 Abs. 2 Satz 2) – nicht nur für die Tatbestandsvoraussetzungen des Unfallbegriffs i.e.S., sondern auch für die Unfallfiktion nach Ziff. 1.4 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 4 AUB 88/94, § 2 Nr. 2a AUB 61) die Beweislast.159 Er muss also u.a. die Kraftanstrengung 160 und die Kausalität zwischen der Kraftanstrengung und der Gesundheitsschädigung 161 substantiiert vortragen und beweisen, um eine Beweislastentscheidung zu seinem Nachteil zu vermeiden.
Ziff. 2 AUB 2008 Welche Leistungsarten können vereinbart werden? Die Leistungsarten, die Sie vereinbaren können, werden im Folgenden oder in zusätzlichen Bedingungen beschrieben. Die von Ihnen mit uns vereinbarten Leistungsarten und die Versicherungssummen ergeben sich aus dem Vertrag.
157 158 159
Stockmeier/Huppenbauer S. 7; ferner Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 1. OLG Dresden 16.6.2008 RuS 2008 433, 434. OLG Düsseldorf 4.2.1969 VersR 1973 49; OLG München 20.11.1964 VersR 1965 126, 127.
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160 161
LG Berlin 6.4.1989 VersR 1990 374. OLG Hamm 13.2.1981 VersR 1981 830, 831; LG Köln 30.3.1951 VersR 1951 121; LG München I 21.3.1972 VersR 1973 1060.
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AUB 2008 Ziff. 2
Leistungsarten
Übersicht Rn. A. I. II. B. C. D.
Einführung . . . . . . . . Leistungsarten in den AUB Entwicklung der Regelung Vertragsinhalt . . . . . . . Grenzen der Vertragsfreiheit Speziellere AVB . . . . . .
. . . .
. . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. 1 . 2 . 3 . 7 . 9 . 12
Rn. I. II. III. IV. V. VI.
Hilfs- und Pflegeleistungen . . . . . . Kosmetische Operationen . . . . . . . Kurbeihilfe . . . . . . . . . . . . . . Serviceleistungen (Bergungskosten) . . Sofortleistungen bei Schwerverletzungen Unfallrente . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . . . . .
15 16 17 18 19 20
A. Einführung Die Leistungen für Unfallfolgen (§ 178 Rn. 20 ff.) sind in Ziff. 2 AUB 99/2008 (§ 7 1 AUB 88/94) und ggf. in weiteren Bedingungen geregelt (s.a. A.4.4 bis A.4.7 AKB 2008 für die Kfz-Unfallversicherung). Welche Leistungsarten die Parteien konkret vereinbart haben, ist anhand des Versicherungsscheins zu prüfen. Bei den Unfallfolgen kann unterschieden werden zwischen vorübergehenden und dauernden Unfallfolgen sowie dem Tod. Eine bestimmte Relation zwischen den jeweiligen Leistungen bzw. Versicherungssummen oder eine bestimmte Kombination aus Leistungsarten muss – im Rahmen der allgemeinen rechtlichen Grenzen – nicht gewahrt werden.1
I. Leistungsarten in den AUB Schematisch lassen sich die in den AUB vorgesehenen Leistungen wie folgt darstellen: AUB 99/2008
Leistungsart Leistungsvoraussetzungen
Leistungsumfang
2.1
Invaliditätsleistung
In Abhängigkeit von der • Kapitalzahlung vereinbarten Versiche• sofern noch in rungssumme: neueren Bedin• Bei Verlust oder Funkgungswerken tionsunfähigkeit bzw. vorgesehen: Teilverlust FunktionsRentenzahlung beeinträchtigung von bestimmten Körperteilen und Sinnesorganen: Bemessung nach der Gliedertaxe • Für andere Körperteile und Sinnesorgane: Bemessung nach medizinischen Gesichtspunkten • Ggf. Minderung bei Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen (Ziff. 3 AUB 99/2008)
1
• Unfallbedingte Invalidität (dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person) • Wahrung von Fristen (Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall, ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall, Geltendmachung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall) • Kein Tod der versicherten Person innerhalb eines Jahres nach dem Unfall
Leistungsinhalt
Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 2.
Kent Leverenz
531
2
AUB 2008 Ziff. 2
Unfallversicherung
AUB 99/2008
Leistungsart Leistungsvoraussetzungen
2.2
Übergangsleistung
• Unfallbedingte BeeinVereinbarte trächtigung der norVersicherungssumme malen körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person im beruflichen oder außerberuflichen Bereich • Ununterbrochene Beeinträchtigung i.H.v. mindestens 50 % nach Ablauf von sechs Monaten vom Unfalltag an gerechnet • Keine Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen • Geltendmachung spätestens 7 Monate nach Eintritt des Unfalls unter Vorlage eines ärztlichen Attestes
2.3
Tagegeld
Unfallbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und ärztliche Behandlung
In Abhängigkeit von der Kapitalzahlung vereinbarten Versicherungssumme: Abgestuftes Tagegeld für die Dauer der ärztlichen Behandlung (längstens für ein Jahr vom Unfalltag an gerechnet) gemäß dem festgestellten Grad der Beeinträchtigung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung
2.4
Krankenhaus-Tagegeld
Unfallbedingte, medizinisch notwendige vollstationäre Heilbehandlung der versicherten Person
Vereinbartes Krankenhaus-Tagegeld für jeden Kalendertag der vollstationären Behandlung, längstens jedoch für zwei Jahre vom Unfalltag an gerechnet
2.5
Genesungsgeld
• Anspruch auf Tagegeld • versicherte Person ist aus vollstationärer Behandlung entlassen worden
Vereinbartes Genesungs- Kapitalzahlung geld für die gleiche Anzahl von Kalendertagen, für die Krankenhaus-Tagegeld geleistet wird
2.6
Todesfallleistung
Unfallbedingter Tod der Vereinbarte Todesfallversicherten Person inner- leistung halb eines Jahres
532
Leistungsumfang
Kent Leverenz
Leistungsinhalt Kapitalzahlung
Kapitalzahlung
Kapitalzahlung
Leistungsarten
AUB 2008 Ziff. 2
II. Entwicklung der Regelung Die Regelungen zu den Leistungsarten haben sich seit den AUB 61 in mannigfaltiger 3 Weise verändert (s. Kommentierung zu den einzelnen Leistungsarten).2 Auch die Einleitung hat im Laufe der Zeit Anpassungen erfahren: AUB 99 3/2008 4
AUB 885/94
AUB 616
2 Welche Leistungsarten können vereinbart werden?
§ 7 Die Leistungsarten
§ 8 Art und Voraussetzungen der Leistungen
S. 1 Die Leistungsarten, die Sie vereinbaren können, werden im Folgenden oder in zusätzlichen Bedingungen beschrieben. S. 2 Die von Ihnen mit uns vereinbarten Leistungsarten und die Versicherungssummen ergeben sich aus dem Vertrag.
S. 1 Die jeweils vereinbarten Leistungs- – arten und deren Höhe (Versicherungssummen) ergeben sich aus dem Vertrag. S. 2 Für die Entstehung des Anspruchs und die Bemessung der Leistungen gelten die nachfolgenden Bestimmungen.
Im Vergleich zu den AUB 61 haben sich in den AUB 88/94 folgende Veränderungen 4 ergeben: • Neu ist der Einleitungssatz, der als Ergänzung zu § 1 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 zu verstehen ist. • Die AUB sprechen fortan nur noch von Leistungen. Die Leistungen des VR, die je nach Unfallfolge unterschiedlich sind, werden folgerichtig als „Leistungsarten“ bezeichnet. Der noch in den AUB 61 verwendete Begriff der „Entschädigung“ wird dagegen aufgegeben. Er passt nicht zur Unfallversicherung als Summenversicherung, die eben nicht bezweckt, einen konkret zu ermittelnden Schaden zu entschädigen.7 • Gegenüber den AUB 61 wurde die Reihenfolge der Leistungsarten geändert. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung steht die Invaliditätsleistung am Anfang des Leistungskatalogs, während nun die Todesfallleistung den Abschluss der Leistungsarten bildet.8 • Verzichtet wurde auf die Darstellung der Heilkostenversicherung (§ 8 Abs. 6 AUB 61).9 Sie hat im Rahmen der Unfallversicherung kaum noch Bedeutung, nachdem der gesetzliche oder private Krankenversicherungsschutz nahezu lückenlos verbreitet ist.10 Im Bedarfsfall ist zu prüfen, ob der Ersatz unfallbedingter Heilkosten auf Grundlage Besonderer Bedingungen vereinbart werden kann.11
Ziff. 2 AUB 99 entspricht inhaltlich § 7 S. 1 und 2 AUB 88/94. Die Darstellung der 5 Leistungsarten weiter vorn im Bedingungswerk folgt aus dem neuen Konzept zum Aufbau der AUB 99 (Vorbem. § 178 Rn. 13). Wie auch bei den übrigen Bestimmungen der
2
3 4 5 6 7
Zu den Versicherungsleistungen bis zur Einführung der AUB 61 Grewing Unfallversicherung S. 58 ff. Stockmeier/Huppenbauer S. 13. Die aktuelle Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. VerBAV 1987 418, 419. VerBAV 1984 10, 12; zu älteren Klauselfassungen s. etwa VA 1910 186 f. Konen/Lehmann S. 39; ferner Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 1.
8 9
10 11
Konen/Lehmann S. 39; ferner Grimm VW 1988 132; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 1. Zum Bedingungswortlaut VerBAV 1984 10, 13; näher zum Ersatz von Heilkosten etwa Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 72 ff.; Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 220 ff.; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 314 ff. VerBAV 1987 417; ferner Riebesell S. 66. Konen/Lehmann S. 39; Reichenbach S. 132; ferner Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 2.
Kent Leverenz
533
AUB 2008 Ziff. 2
Unfallversicherung
AUB 99 ist die Überschrift in Frageform gehalten, um die Kundenfreundlichkeit der Bestimmung zu erhöhen und deren Verständlichkeit zu verbessern. Diese sprachliche Veränderung machte eine (redaktionelle) Anpassung des Folgetextes notwendig. Darüber hinaus findet sich innerhalb der Ziff. 2 ein neues Regelungskonzept. Zur Erhöhung der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit sind die einzelnen Leistungsarten gleichartig in „Voraussetzungen für die Leistung“ und „Art und Höhe der Leistung“ gegliedert. Materielle Änderungen ergeben sich dadurch nicht.12 Schließlich wurden die früher in § 14 AUB 88/94 (§ 20 AUB 61) enthaltenen Regelungen über die Rentenzahlung in Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 den Bestimmungen über die Invaliditätsleistung hinzugefügt. Die AUB 2008 haben zu keinen Produktinnovationen geführt. Ziel der Überarbeitung 6 der AUB 99 war es, die sich aus der VVG-Reform 2008 ergebenden Rechtsänderungen in die neue Bedingungsgeneration zu integrieren. In Ziff. 2 AUB 2008 waren dazu keine gravierenden Anpassungen notwendig. Modifizierungen erfolgten nur punktuell, vornehmlich um der neueren Rechtsprechung des BGH zur Gliedertaxe Rechnung zu tragen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 207 ff.). Des Weiteren wird die Invaliditätsleistung fortan nur noch als Kapitalbetrag gezahlt (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 68 und 174).
B. Vertragsinhalt 7
In § 1 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 wurde der VN noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass aus Versicherungsantrag und Versicherungsschein ersichtlich sei, welche Leistungsarten jeweils vertraglich vereinbart werden könnten. Ziel war es, dem Missverständnis vorzubeugen, der VR sei stets aus allen in § 7 AUB 88/94 aufgeführten Leistungsarten verpflichtet (Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 3). Ergänzt wurde dieses Bestreben durch § 7 S. 1 AUB 88/94, in dem ein weiteres Mal ausgeführt wurde, dass sich die jeweils vereinbarten Leistungsarten und deren Höhe (Versicherungssummen) aus dem Vertrag, d.h. Antrag und Versicherungsschein mit seinen Nachträgen, ergäben.13 Ziff. 1.1 AUB 99/2008 enthält den Hinweis in § 1 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 nicht mehr (Ziff. 1 AUB Rn. 4). Er ist entbehrlich. Bereits durch die in Anlehnung an § 7 S. 1 AUB 88/94 gehaltene Formulierung „die Sie vereinbaren können“ in Ziff. 2 S. 1 AUB 99/2008 und „Die von Ihnen mit uns vereinbarten Leistungsarten … ergeben sich aus dem Vertrag“ in Ziff. 2 S. 2 AUB 99/2008 wird für den verständigen VN hinreichend deutlich, dass die AUB nur einen allgemeinen äußeren Rahmen bzw. eine Grundlage für alle mit dem VR und einer Vielzahl von VN geschlossenen Versicherungsverträge bilden, sich aber die im Einzelfall konkret vereinbarten Leistungsinhalte aus den individuell erstellten Vertragsunterlagen (Antrag, Police und Nachträge) ergeben.14 Es heißt in der Darstellung des Leistungskatalogs eben nicht etwa „Folgende Leistungsarten sind zwischen Ihnen und uns vereinbart“. Die Einleitung zu Ziff. 2 AUB 99/2008 verdeutlicht vielmehr, dass die AUB der Ver8 einbarung eines Deckungsumfangs jeder Art nicht entgegenstehen, der den unterschiedlichsten persönlichen Bedürfnissen des VN Rechnung zu tragen vermag. Durch den Hinweis auf die „zusätzlichen Bedingungen“ in S. 1 und den „Vertrag“ in S. 2 zeigt sich, dass der Versicherungsschutz durch Individualabrede oder durch weitere AVB auf individuelle Lebenssituationen oder Risiken (Beruf, Freizeit, Sport usw.), Eigenschaften oder Tätigkeiten der versicherten Person (Vereinsmitgliedschaft, Ehrenamt etc.) zugeschnitten wer-
12 13
Stockmeier/Huppenbauer S. 13. Konen/Lehmann S. 39.
534
14
LG Hamburg 30.7.2008 VersR 2009 389, 390 f.
Kent Leverenz
Leistungsarten
AUB 2008 Ziff. 2
den kann. So kommt zum einen in Betracht, dass der Leistungskatalog in Ziff. 2 AUB (§ 7 AUB 88/94) Beschränkungen in zeitlicher, örtlicher oder inhaltlicher Hinsicht unterliegt, indem z.B. einschränkend zu Ziff. 1.1 und 1.2 AUB 99/2008 Unfallversicherungsschutz nur für die Dauer einer Reise oder nur für Unfälle im Inland (s. aber auch Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 10) vereinbart wird.15 Zum anderen kann der Leistungskatalog aber auch erweitert werden, da Ziff. 2 nicht abschließend ist („oder in zusätzlichen Bedingungen“). Möglich ist etwa, dass die Vertragsparteien die Geltung Besonderer Bedingungen (z.B. zum Ersatz der Kosten für kosmetische Operationen oder zur Verdoppelung der Leistungen bei Unfällen im Ausland) vorsehen.16 Wegen der Folge eines Unfalles können Ansprüche aus mehreren Leistungsarten nebeneinander bestehen, sofern dies vereinbart ist. So kann der VR z.B. dazu verpflichtet sein, neben der Invaliditätsleistung ein Krankenhaustagegeld zu zahlen. Allerdings schließen sich Ansprüche aus Invaliditäts- und Todesfallleistung aus einem Unfall gegenseitig aus (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 172 f.).
C. Grenzen der Vertragsfreiheit Den Vertragsparteien steht es im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit (s.a. § 179 Rn. 89 ff.) 9 frei, die Leistungsvoraussetzungen, die Leistungsarten, den Leistungsumfang und die Versicherungssummen in gewünschter Art und Weise, Kombination und Höhe zu vereinbaren. Des Weiteren kann grundsätzlich auch der VR in eigener Zuständigkeit und Verantwortung sein Leistungsangebot unter Beachtung des gesetzlichen Rahmens festlegen. Einerseits besteht für die Unfallversicherung als Summenversicherung grundsätzlich keine Höhenbegrenzung,17 auch wenn das BAV Höchstversicherungssummen noch in älteren Veröffentlichungen angeordnet hat (s. etwa zur Blockpolice § 179 Rn. 119, zur Todesfallleistung in der Kinder-Unfallversicherung Vorbem. § 178 Rn. 59 und zum Fluggastrisiko Ziff. 5.1.4 AUB 2008 Rn. 4). Stets empfiehlt es sich allerdings – auch im Hinblick auf die neuen Beratungs- und Dokumentationspflichten – darauf zu achten, dass sowohl das Prämienniveau als auch die vereinbarten Versicherungssummen im Rahmen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des VN liegen.18 Andererseits können auch Unfallversicherungen mit niedrigen Versicherungssummen abgeschlossen werden (vgl. auch § 211 Abs. 1 Nr. 4 und § 189 Abs. 1 Nr. 3 a.F.). Vorgaben des Aufsichtsamtes, Mindestversicherungssummen vorzusehen, sind entfallen.19 Die zivilrechtlichen Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung des Deckungs- 10 schutzes in der Unfallversicherung ergeben sich aus allgemeinen Regeln (§ 179 Rn. 88 ff.). Da solchen Vereinbarungen regelmäßig AVB zugrunde liegen, sind vornehmlich die Anforderungen des AGB-Rechts zu wahren (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 82 ff.). So sind insbesondere bei Ausschnittsversicherungen Missverständnisse oder Fehleinschätzungen des VN über den Umfang des Versicherungsschutzes zu vermeiden (zu sog. Franchisen Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 315).20 Werden die Belange der Versicherten nicht ausreichend gewahrt, so kann trotz De- 11 regulierung die Missstandsaufsicht der BAFin eingreifen.21 So hat die Aufsichtsbehörde 15 16 17 18
Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 2. Stockmeier/Huppenbauer S. 13. Siehe auch Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 5. E. Hofmann S. 17; s.a. GB BAV 1983 83, 84 Nr. 911.
19 20 21
VerBAV 1995 119, 120 Nr. I 5 GB BAV 1978, 74 Nr. 815; Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 2. Siehe nur Grimm 4 Ziff. 1 AUB 99 Rn. 2.
Kent Leverenz
535
AUB 2008 Ziff. 2
Unfallversicherung
in der Vergangenheit von den VR erwartet, nicht für den Abschluss von Versicherungen zu werben, die nur Todesfallleistungen vorsehen. Eine solche Werbung berge die Gefahr in sich, dass sie bei der Vielzahl der unerfahrenen Versicherungsinteressenten irrige Vorstellungen über den tatsächlichen Umfang des von ihnen erwarteten Unfallversicherungsschutzes erwecken könnte.22 Da die Invaliditätsabsicherung das Kernstück der Allgemeinen Unfallversicherung bildet (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 2), sollte auf ihre Vereinbarung nur ausnahmsweise verzichtet werden.
D. Speziellere AVB 12
Die Aufzählung im Leistungskatalog der AUB ist nicht abschließend. Abweichende oder erweiternde Regelungen zwischen den Parteien zu Ziff. 2 AUB 99/2008 (§ 7 AUB 88/94) durch Individualvereinbarung oder Einbeziehung speziellerer AVB sind ohne weiteres möglich. Dies ergibt sich bereits aus der bewusst offenen bzw. nicht abschließend gehaltenen Formulierung der Ziff. 2 AUB 99/2008 (Rn. 9). Darüber hinaus wurde in den Musterbedingungen des GDV (AUB 94 und 99) – aus kartellrechtlichen Gründen (Art. 7 Nr. 1b Gruppenfreistellungsverordnung für die Versicherungswirtschaft 1992) 23 – vor jeder Leistungsart ausdrücklich durch den Satz „Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:“ klar gestellt, dass die VR nicht gehindert sind, abweichende Regelungen in ihren Bedingungen zu treffen.24 Dieser Zusatz ist indes in den AUB 2008 infolge der neuen „Gruppenfreistellungsverordnung 2003“ entfallen.25 Von ihrer Gestaltungsfreiheit haben die VR in der Praxis gerade nach der Deregulie13 rung ausgiebig Gebrauch gemacht.26 Es gibt eine Reihe von Besonderen Bedingungen oder Zusatzbedingungen, die oftmals auf unverbindlichen Empfehlungen des GDV beruhen. Beispielhaft zu nennen sind: das Gipsgeld,27 das Haushaltshilfefeld,28 die Hilfsund Pflegeleistungen (Rn. 15), das Komageld,29 die Kostenerstattung bei behindertengerechtem Umbau 30 oder für kosmetische Operationen (Rn. 16), die Kurbeihilfe bzw. Kurkostenbeihilfe (Rn. 17), die Reha-Beihilfe,31 Rooming-In,32 das Schmerzensgeld,33 die Serviceleistungen (früher Bergungskosten, Rn. 18), die Sofortleistungen bei Schwerverletzungen (Rn. 19), die Unfall-Rente (Rn. 20), das verbesserte Genesungsgeld (Ziff. 2.5 AUB 2008 Rn. 5) oder das Verletzungsgeld.34 Z.T. sind die VR auch dazu übergegangen, weitere Leistungsarten statt in Besonderen Bedingungen direkt in den Leistungskatalog
22 23
24 25
Veröffentlichungen des Zonenamtes VA 1950 81; ferner Riesebell S. 55. Verordnung (EWG) Nr. 3932/92 der Kommission vom 21.12.1992 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EWG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Bereich der Versicherungswirtschaft, ABl. L 398 vom 31.12.1992 S. 7 ff. Stockmeier/Huppenbauer S. 13. Verordnung (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom 27.2.2003 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und auf-
536
26 27 28 29 30 31 32 33
34
einander abgestimmte Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. EG L 53 vom 28.2.2003 S. 8 ff. Überblick bei Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 1 ff. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 141 ff. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 227 ff. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 144 ff. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 238 ff. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 233 ff. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 176 ff. VerBAV 1991 187 f. (dazu auch GB 1990 95 f. Nr. 9.2.2); ferner Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 133 ff. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 130 ff.
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Leistungsarten
AUB 2008 Ziff. 2
von Ziff. 2 AUB 99/2008 zu integrieren. Darüber hinaus findet vielfach eine Dynamisierung der Versicherungssummen und -beiträge statt (dazu Ziff. 11 AUB 2008 Rn. 112 ff.). Bei den weiteren Leistungsarten kann es sich einerseits um Summenversicherungen mit 14 pauschalierten Sätzen handeln (z.B. Schmerzensgeld). Andererseits können die Spezialbedingungen aber auch abweichend vom sonstigen System der privaten Unfallversicherung Schadensversicherungen vorsehen, bei denen sich die Leistung auf Ausgleich konkret nachzuweisender Kosten bezieht (z.B. Such-, Rettungs- und Bergungskosten oder Kosten für kosmetische Operationen). Z.T. werden auch bestimmte Leistungsarten sowohl als Summenversicherung oder auch als Schadensversicherung angeboten (z.B. Kurbeihilfe). Bei der Gestaltung neuer Produkte sollte gerade im Bereich der Schadensversicherungen Überschneidungen zu bereits bestehenden Leistungsarten vermieden werden, um Doppelversicherungen zu vermeiden. So hat sich z.B. das BAV gegen die Schaffung einer Spezialunfallversicherung zur Erstattung notwendiger Rücktransportkosten aus dem Ausland als Ausschnittsleistung ausgesprochen, da es zu Leistungsüberschneidungen mit der Versicherung von Heil- und Bergungskosten kommen kann.35
I. Hilfs- und Pflegeleistungen In den letzten Jahren ist zunehmend die Zielgruppe der Senioren „entdeckt“ worden. 15 Für ältere versicherte Personen kreierten die VR spezielle Unfallversicherungsprodukte, die die klassischen Unfallversicherungsleistungen mit weiteren (Assistance-)Leistungen kombinieren. Dadurch sollen insbesondere – in Ergänzung zur Pflegeversicherung („Überbrückungsfunktion“) – zielgruppenorientierte Hilfsangebote geschaffen werden, die in Notsituationen schnell und unbürokratisch eingreifen. Anders als bei der „klassischen Unfallversicherung“ handelt es sich bei der Versicherung von Hilfs- und Pflegeleistungen um eine Schadens- und nicht um eine Summenversicherung. Um den VR eine Orientierungshilfe für die Ausgestaltung von Assistance-Leistungen zu geben, hat der GDV die „Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Hilfs- und Pflegeleistungen in der Unfallversicherung (BB Hilfe und Pflege/Senioren)“ 36 als unverbindliches Muster zur Verfügung gestellt. Andere Gestaltungen und Leistungsangebote sind natürlich möglich.
II. Kosmetische Operationen Die (meist beitragsfreie) Versicherung der Kosten für kosmetische Operationen ent- 16 spricht nicht dem klassischen Bild der Unfallversicherung, da sie nicht auf einen wirtschaftlichen Ausgleich für dauerhafte Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit abzielt, sondern Leistungen für die Behebung einer Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes der versicherten Person vorsieht.37 Dennoch gehören sie seit Langem in die Leistungspalette der Unfallversicherung. Die Leistungsart findet ihrer Regelung etwa in den vom GDV unverbindlich empfohlenen „Besonderen Bedingungen für die Versicherung der Kosten für kosmetische Operationen in der Unfallversicherung (BB KosmOp 99)“.38 35 36 37 38
GB BAV 1980 86 Nr. 8112 Abrufbar unter www.gdv.de; s. auch Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 245 ff. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 78. Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 141; zu den vom BAV genehmigten Be-
dingungsfassungen VerBAV 1992 144 (dazu auch GB BAV 1991 87 Nr. 9.2.4); VerBAV 1987 429 (dazu auch AG Aachen 25.2.1993 RuS 1994 318); VerBAV 1979 386 (dazu auch GB BAV 1979 86 Nr. 8122); ferner Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 190 ff.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 2
Unfallversicherung
III. Kurbeihilfe 17
Die Möglichkeit zur Vereinbarung einer Kurkostenbeihilfe hat durchaus Tradition in der Unfallversicherung. Vertraglich geregelt ist die Leistungsart etwa in den „Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer Kurbeihilfe in der Unfallversicherung (BB Kurbeihilfe 99)“.39 Ähnlich wie das Krankenhaustagegeld dient die Kurbeihilfe dem Ausgleich von Mehrbelastungen, die ein Patient durch einen stationären Aufenthalt erleidet. Während aber das Krankenhaustagegeld (Ziff. 2.4 AUB 99/2008/2008, § 7 Abs. 4 AUB 88/94) Kuren bzw. den Aufenthalt in Kuranstalten ausdrücklich ausschließt, soll die Kurbeihilfe diese „Versicherungslücke“ gerade schließen. Die BB Kurbeihilfe 99 halten einer Inhaltskontrolle stand. Sie sind auch nicht mehrdeutig i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB.40
IV. Serviceleistungen (Bergungskosten) 18
Viele VR bieten die Versicherung von Serviceleistungen bzw. die Bergungskostenversicherung mit geringeren Versicherungssummen (ca. bis € 1.000,–) ohne Berechnung eines zusätzlichen Beitrages an.41 Für Unfälle im Ausland werden die Leistungen häufig verdoppelt. Ziel der Versicherung ist die Leistung für Kosten, die zur Rettung des Verletzten aus einer Notsituation erforderlich werden. Nicht angesprochen sind die gewöhnlich – bei jeder Erkrankung oder Verletzung – anfallenden Transportkosten zum Arzt bzw. ins Krankenhaus. Dies ergibt sich bereits aus dem Sinn der Wörter „Bergung“ oder Rettung“, die begrifflich etwas anders als eine Verbringung zur medizinischen Behandlung zum Ausdruck bringen.42 Die Versicherung von Serviceleistungen bzw. die Bergungskostenversicherung stellt eine Schadensversicherung dar, so dass der VR nur die tatsächlich entstandenen Kosten zu ersetzen hat. Es gelten die §§ 74 ff. Ihre vertragliche Grundlage findet die Leistungsart in den „Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Serviceleistungen in der Unfallversicherung (BB Unfall-Service)“. Diese haben 1996 die „Besonderen Bedingungen für die Mitversicherung von Bergungskosten“ 43 abgelöst und um einige Leistungen erweitert. Der Aufbau der BB Unfall-Service 99 44 entspricht dem der AUB 99/2008.
V. Sofortleistungen bei Schwerverletzungen 19
Die (systematische) Auslegung der Besonderen Bedingungen für die Sofortleistung bei Schwerverletzungen45 ergibt, dass nur Verletzungen erfasst werden, die entweder nicht heilbar sind (Querschnittslähmung, Amputation, Erblindung) oder nicht problemlos verheilen (Schädel-Hirn-Verletzung, Beckenfraktur, Wirbelsäulenfraktur, gewebezerstörender Schaden eines inneren Organs, Verbrennungen von mehr als 30 % der Körperoberfläche).46 Es muss sich um eine Schwerverletzung in dem Sinne handeln, dass sie in 39
40 41 42 43
Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 143; zu früheren Klauselfassungen VerBAV 1994 96 (dazu GB BAV 1993 73 Nr. 9.2.4); VerBAV 1987 430; VerBAV 1985 124. AG Aachen 31.3.2005 RuS 2006 341. Näher Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 197 ff. AG Nürnberg 18.5.1998 RuS 1999 168. VerBAV 1991 351 (zu den BB Bergungskosten 91; s. dazu auch GB BAV 1991 87
538
44 45 46
Nr. 9.2.2); ältere Klauselfassungen finden sich etwa in VerBAV 1970 151 (s. dazu auch GB BAV 1981 93 f. Nr. 812). Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 147. Hierzu auch Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 109 ff. OLG Frankfurt/M. 25.6.1997 VersR 1998 708.
Kent Leverenz
Leistungsarten
AUB 2008 Ziff. 2
einem nennenswerten Umfang nicht nur zu einer vorübergehenden Beeinträchtigung, sondern aller Voraussicht nach aus ärztlicher Sicht auf Dauer zu einer Behinderung bzw. Einschränkung des VN führt.47 Für die Annahme einer solchen Schwerverletzung etwa bei Brüchen langer Röhrenknochen an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten, reicht jedoch der Bruch von Elle und Speiche desselben Armes oder der Bruch von Schien- und Wadenbein an demselben Unterschenkel nicht aus.48
VI. Unfallrente Die Unfall-Rente, die von der Invaliditätsleistung in Rentenform abzugrenzen ist 20 (Ziff. 2.1 AUB 2008), ergänzt die Kapitalleistung und soll einen vermehrten Bedarf bei schweren Unfallschädigungen bzw. unfallbedingten Einkommensbußen ausgleichen. Der GDV hat die Musterbedingungen für die Versicherung einer Unfall-Rente ab einem bestimmten Invaliditätsgrad (in der Regel 50 %) erstmals 1994 empfohlen. Die „Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer Unfall-Rente bei einem Invaliditätsgrad ab … Prozent (BB-Unfall-Rente 99)“ 49 enthalten gegenüber der Vorgängerversion keine materiell-rechtlichen Änderungen. Ihr Aufbau wurde lediglich den der AUB 99 angeglichen. Die Unfall-VR legen unternehmensindividuell fest, von welchem Invaliditätsgrad an die Unfall-Rente zu zahlen ist. Das Aufsichtsamt hat sich dafür ausgesprochen, dass der die Leistungspflicht des VR auslösende Invaliditätsgrad nicht über 50 % liegen sollte. Des Weiteren empfahl das Amt zur Vermeidung von unerwünschten Kleinst-Renten, keine monatlichen Rentenbeträge unter 500,– DM vorzusehen.50 Leistungspflicht für die Unfallrente besteht nur, wenn der in den jeweiligen Besonderen Bedingungen vorgesehene Mindestinvaliditätsgrad durch einen bestimmten Unfall verursacht wurde („Der Unfall hat … zu einem Invaliditätsgrad … geführt“). Nicht ausreichend ist es, wenn die Invaliditätsgrenze kumuliert durch zwei zeitlich aufeinander folgende, voneinander unabhängige Unfälle erreicht wird und jeder der Unfälle isoliert die maßgebliche Schwelle nicht erreicht.51 Die in Ziff. 1 BB Unfall-Rente 99 enthaltenen Verweisungen auf Regelungen aus Ziff. 2.1 AUB 99 stellen u.a. klar, dass die Unfall-Rente die Einhaltung der für die Invaliditätsleistung vorgesehenen Fristen verlangt.52 Hierauf ist der VN gemäß § 186 hinzuweisen. Der Hinweis auf Ziff. 3 AUB 99 verdeutlicht, dass die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen bei der Ermittlung des Invaliditätsgrades zu berücksichtigen ist. Die Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zur Zahlung einer Unfall-Rente trägt nach allgemeinen Regeln der Anspruchsteller. Er muss u.a. darlegen und beweisen, dass die unfallbedingte Gesamtinvalidität den mit dem VR vereinbarten Mindestinvaliditätsgrad erreicht hat.53
47 48
49 50
KG 14.6.2002 RuS 2003 256. OLG Frankfurt/M. 25.6.1997 VersR 1998 708; LG Berlin 31.1.2002 RuS 2003 256 (LS); Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 90. Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 145. VerBAV 1994 127; GB BAV 1994 45 Nr. 9.2.1.
51
52 53
KG 9.5.2006 RuS 2007 208 f.; van Bühren/ Schubach 3 Hdb. § 16 Rn. 33 mit Hinweis auf OLG Saarbrücken 24.10.2001 – 5 U 295/01. Stockmeier/Huppenbauer S. 146. OLG Hamm 16.6.2004 VersR 2005 347.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
Ziff. 2.1 AUB 2008 2.1 2.1.1 2.1.1.1
Invaliditätsleistung Voraussetzungen für die Leistung: Die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person ist unfallbedingt dauerhaft beeinträchtigt (Invalidität). Eine Beeinträchtigung ist dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Die Invalidität ist – innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und – innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden. 2.1.1.2 Kein Anspruch auf Invaliditätsleistung besteht, wenn die versicherte Person unfallbedingt innerhalb eines Jahres nach dem Unfall stirbt. 2.1.2 Art und Höhe der Leistung: 2.1.2.1 Die Invaliditätsleistung zahlen wir als Kapitalbetrag. 2.1.2.2 Grundlagen für die Berechnung der Leistung bilden die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität. 2.1.2.2.1 Bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich die folgenden Invaliditätsgrade: Arm Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenks Arm unterhalb des Ellenbogengelenks Hand Daumen Zeigefinger anderer Finger
70 % 65 % 60 % 55 % 20 % 10 % 5%
Bein über der Mitte des Oberschenkels Bein bis zur Mitte des Oberschenkels Bein bis unterhalb des Knies Bein bis zur Mitte des Unterschenkels Fuß große Zehe andere Zehe
70 % 60 % 50 % 45 % 40 % 5% 2%
Auge Gehör auf einem Ohr Geruchssinn Geschmackssinn
50 % 30 % 10 % 5%
Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes. 2.1.2.2.2 Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist. Dabei sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. 2.1.2.2.3 Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt, wird der Invaliditätsgrad um die Vorinvalidität gemindert. Diese ist nach Ziffer 2.1.2.2.1 und Ziffer 2.1.2.2.2 zu bemessen.
540
Kent Leverenz
Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
2.1.2.2.4 Sind mehrere Körperteile oder Sinnesorgane durch den Unfall beeinträchtigt, werden die nach den vorstehenden Bestimmungen ermittelten Invaliditätsgrade zusammengerechnet. Mehr als 100 % werden jedoch nicht berücksichtigt. 2.1.2.3 Stirbt die versicherte Person – aus unfallfremder Ursache innerhalb eines Jahres nach dem Unfall oder – gleichgültig, aus welcher Ursache, später als ein Jahr nach dem Unfall, und war ein Anspruch auf Invaliditätsleistung entstanden, leisten wir nach dem Invaliditätsgrad, mit dem aufgrund der ärztlichen Befunde zu rechnen gewesen wäre.
Schrifttum Baumann Die Stellung der privaten Unfallversicherung in der Haftpflicht- und Sozialrechtsordnung, JZ 1979 81; Bihr Die Invaliditätsabwicklung im Wandel, VW 1993 264; Bilow Unfallfolgen an der Brust- und Lendenwirbelsäule, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Burggraf Brillenbewertung in der Privaten Unfallversicherung, VersR 1983 799; Conradi Die versicherungsrechtlichen Grundlagen, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Dümichen Die einjährige Ausschlussfrist bei Invaliditätsleistungen gem. § 7 Abs. 3 S. 3 AUB 88/94 und die Einbindung des Arztes, ZVersWiss 2003 783; R. Fischer Treu und Glauben im Versicherungsrecht, VersR 1965 197; Füssel Zwei Streitfragen aus der Unfallversicherung, VA 1951 42; Fußhoeller Betrachtungen über die neue Gliedertaxe (§ 8 II 2 und 3 AUB), VW 1964 688; Gräber Dauerinvalidität als Unfallfolge, VersR 1959 869; Gramberg Rechtliche Grundlagen der augenärztlichen Tätigkeit (2005); Gramberg-Danielsen/Kern Die Brillenbewertung nach den AUB 88, VersR 1989 20; Gramberg-Danielsen/Kolling/Lehmann Bewertung von Gesichtsfeldausfällen in der privaten Unfallversicherung, Der Augenarzt 2003 247; Gramberg-Danielsen/Mewe/Thomann Bewertung von Augenschäden in der Privaten Unfallversicherung – Nach den AUB 88, Der Augenarzt 1988 65; dies. Die Bewertung von Augenschäden in der privaten Unfallversicherung, Der Augenarzt 1982 196; Gramberg-Danielsen/Thomann Bewertung der Brille in der privaten Unfallversicherung, Der Augenarzt 1983 407; dies. Die Bewertung von Augenschäden in der privaten Unfallversicherung nach den AUB, VersR 1988 789; Grewing Teilinvaliditätsschäden in der Unfallversicherung, VW 1965 1039; Grimm Die neuen Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 88), VW 1988 132; Haidinger Die verspätet erkannte Invalidität in der Unfallversicherung, VersR 1952 412; Hauschild Die Systematik der Gliedertaxe, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Hierholzer Diskussion, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Hierholzer/Scheele Die Bewertung von Unfallfolgen an den oberen Gliedmaßen mit Ausnahme der Finger, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Jacob Die Feststellung der Invalidität in der Unfallversicherung, VersR 2005 1341; ders. Treu und Glauben in der privaten Unfallversicherung, VersR 2007 456; Kämmerling/Ludolph Abfassung und Formulierung des Gutachtens, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Kessal-Wulf Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur privaten Unfallversicherung, RuS 2008 313; Knappmann Der Eintritt des Versicherungsfalls und die Rechte und Pflichten der Vertragsbeteiligten, RuS 2002 485; ders. Wirkung von Progressionsvereinbarungen in der Unfallversicherung bei Leistungseinschränkungen, NVersZ 1999 352; ders. Zur Invaliditätsbemessung in der Unfallversicherung: Funktionsunfähigkeit gleich Verlust? VersR 2003 430; Krebs Allgemeine Unfallversicherung 1984, VW 1985 1455; Lehmann/Ludolph Die Bemessung der Invalidität nach Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks sowie nach Versteifung des Hand- bzw. Schultergelenks in der privaten Unfallversicherung, MedSach 2007 45; R. Lehmann Der Invaliditätsbegriff in der Allgemeinen Unfallversicherung, VW 1987 1370; Ludolph Diskussion, in Hierholzer/Ludolph:
Kent Leverenz
541
AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Ludolph/Hierholzer Unfallfolgen an der Halswirbelsäule – Ärztliche Bewertung, in Hierholzer/ Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Manthey Wann ist dem Unfallversicherer die Berufung auf die formellen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AUB 88 (§ 8 Abs. 2 AUB 71) verwehrt? NVersZ 2001 55; Marlow Aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2005 357; ders. Aktuelle Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2004 353; ders. Aktuelles aus Rechtsprechung und Praxis zur privaten Unfallversicherung (Teil II), RuS 2006 397; ders. Die private Unfallversicherung – Aktuelles aus Rechtsprechung, Praxis und VVG-Reform, RuS 2007 353; Martin Inhaltskontrolle von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) nach dem AGBG, VersR 1984 1107; Prölss Verhüllte Obliegenheiten, VersR 1967 309; Rassow Aktuelle Fragen des Versicherungsvertragsrechts unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes, VersR 1983 893; G. Schmidt Unfallfolgen an der Halswirbelsäule – Ergebnisse aus der Unfallforschung, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Schröter Die Bewertung von Unfallfolgen an den Fingern, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); Schubach Aktuelles aus der privaten Unfallversicherung, ZfS 2005 224; Streck Die Bewertung von Unfallfolgen an den unteren Gliedmaßen, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992); A. Surminski Die Fristen des § 8 AUB, ZfV 1974 223; Tändler/Schröter Besonderheiten der gutachtlichen Beurteilung für die private Unfallversicherung, MedSach 99 (2003) 115; Terno Die Rechtsprechung des BGH zur (Kraftfahrt-)Unfallversicherung, DAR 2005 314; Thomann/Gramberg-Danielsen Empfehlungen zur Bewertung von Augenschäden in der privaten Unfallversicherung, VW 1983 234; Wagner Zur Ermittlung der Invalidität in der privaten Unfallversicherung, VersR 1985 1017; Werner Die Vorinvalidität, in Hierholzer/Ludolph: Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992) S. 153.
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . I. Praktische Bedeutung . . . . . . . . . . II. Entwicklung der Leistungsart . . . . . . 1. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Leistungsvoraussetzungen . . . . . . aa) Arbeitsfähigkeit . . . . . . . . . bb) Dauerhaftigkeit . . . . . . . . . b) Leistungshöhe . . . . . . . . . . . . aa) Ganz- und Teilinvalidität . . . . bb) Berechnung nach der Gliedertaxe . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berechnung außerhalb der Gliedertaxe . . . . . . . . . . . dd) Gesamtinvalidität . . . . . . . . ee) Vorinvalidität . . . . . . . . . . ff) Tod der versicherten Person . . . c) Rentenzahlung . . . . . . . . . . . 2. AUB 88/94 . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen der Leistung . . . . aa) Neuer Invaliditätsbegriff . . . . bb) Weitere Leistungsvoraussetzungen b) Höhe der Leistung . . . . . . . . . aa) Bemessung nach der Gliedertaxe bb) Bemessung außerhalb der Gliedertaxe . . . . . . . . . . . cc) Weitere Regelungen . . . . . . . c) Art der Leistung . . . . . . . . . . 3. AUB 99 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen der Leistung . . . . b) Höhe der Leistung . . . . . . . . .
542
1 2 3 4 5 6 9 10 11 12 17 26 27 33 34 38 39 40 42 43 44 46 47 50 55 56 58
Rn. c) Art der Leistung . . . . . . . . . . aa) Übersicht . . . . . . . . . . . . bb) Differenzierung nach dem Alter . cc) Rentenzahlung . . . . . . . . . 4. AUB 2008 . . . . . . . . . . . . . . . B. Leistungsvoraussetzungen . . . . . . . . I. Fristenregelungen . . . . . . . . . . . . 1. Zweck der Regelung . . . . . . . . . . a) Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall . . . . b) Ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geltendmachung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall . . . . . . . . a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . 3. Ärztliche Feststellung innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall . . . . . a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . b) Ausstellung durch einen Arzt . . . . aa) Persönliche Anforderungen . . . bb) Fachliche Anforderungen . . . . c) Empfänger . . . . . . . . . . . . . d) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Detaillierungsgrad . . . . . . . bb) Aussagen zur Invalidität . . . . .
Kent Leverenz
59 60 63 67 68 69 70 71 72
73
74 75 76 77 81 82 84 85 88 89 91 92 95
Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Rn.
II.
C. D. I.
cc) Aussagen zur Kausalität . . . . . dd) Anforderungen an die Richtigkeit ee) Feststellungswirkung . . . . . . e) Form . . . . . . . . . . . . . . . . f) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Geltendmachung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . b) Erklärender . . . . . . . . . . . . . c) Erklärungsempfänger . . . . . . . . d) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . e) Form . . . . . . . . . . . . . . . . f) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Entschuldigung der Fristversäumnis 5. Hinweis- und Belehrungspflichten des VR . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Treuwidriges Berufen auf den Fristablauf a) Eintritt der Invalidität innerhalt eines Jahres nach dem Unfall . . . . . . . b) Ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fallgruppen . . . . . . . . . . . bb) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . cc) Treuwidriges Verhalten des Anspruchstellers . . . . . . . . c) Geltendmachung der Invalidität . . . aa) Fallgruppen . . . . . . . . . . . bb) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . 7. Verzicht des VR auf die Einhaltung der Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Wirksamkeit der Fristenregelungen . . a) Keine überraschende Klausel . . . . b) Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . c) Transparenz . . . . . . . . . . . . . Unfallbedingter Tod der versicherten Person innerhalb eines Jahres nach dem Unfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art der Leistung . . . . . . . . . . . . . Höhe der Leistung . . . . . . . . . . . . Invaliditätsleistung . . . . . . . . . . . . 1. Berechnungsgrundsätze . . . . . . . . a) Bedeutung der Versicherungssumme b) Ermittlung des Invaliditätsgrades . . 2. Gliedertaxe . . . . . . . . . . . . . . a) Verlust und Funktionsunfähigkeit . .
Rn.
104 108 110 111 114 117 118 120 121 122 124 126 127 132 133 134
135 136 149 154 155 156 161
II. III. E. I.
162 163 164 165 169
172 174 175 176 177 178 179 183 184
II. F. I.
II.
aa) Abstrakt-genereller Maßstab . bb) Verlust . . . . . . . . . . . . cc) Funktionsunfähigkeit . . . . . b) Teilverlust und Funktionsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . aa) Teilverlust . . . . . . . . . . . bb) Funktionsbeeinträchtigung . . c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . aa) Gelenke . . . . . . . . . . . . bb) Augen . . . . . . . . . . . . . cc) Gehör . . . . . . . . . . . . . dd) Geruchs- und Geschmacksinn . 3. Bemessung außerhalb der Gliedertaxe a) Anwendungsbereich . . . . . . . b) Bewertungsregeln . . . . . . . . . c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . 4. Vorinvalidität . . . . . . . . . . . . a) Regelungszweck . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . . . c) Abgrenzung zur Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen . . . d) Bemessung . . . . . . . . . . . . 5. Gesamtinvalidität . . . . . . . . . . Tod der versicherten Person aus unfallfremden Ursachen . . . . . . . . . . . Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . Erweiterungen zur Gliedertaxe . . . . . 1. Verbesserte Gliedertaxen . . . . . . . a) Verbesserungen für bestimmte Berufsgruppen . . . . . . . . . . b) Berufsunabhängige Verbesserungen 2. Progressionsmodelle . . . . . . . . . 3. Mehrleistungsmodelle . . . . . . . . 4. Individuelle Bewertung . . . . . . . Einschränkung der Invaliditätsleistung . Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . Leistungsvoraussetzungen . . . . . . . 1. Einführung in den Prozess . . . . . . a) Eintritt und ärztliche Feststellung der Invalidität . . . . . . . . . . . b) Geltendmachung der Invalidität . . 2. Beweislastverteilung . . . . . . . . . 3. Beweismittel . . . . . . . . . . . . . 4. Prozessvereinbarungen . . . . . . . . Leistungshöhe . . . . . . . . . . . . .
. 185 . 191 . 192 . . . . . . . . . . . . . . .
193 194 195 206 207 213 221 222 224 225 226 231 235 236 237
. 238 . 239 . 242 . . . . .
244 247 248 249 250
. . . . . . . . .
251 253 254 257 258 260 262 263 264
. . . . . .
265 267 268 269 270 271
A. Einführung Die Invaliditätsleistung, die seit jeher die Unfallversicherung prägt, bezweckt, der ver- 1 sicherten Person bei unfallbedingten gesundheitlichen Dauerschädigungen (pauschal) finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, die diese zur beruflichen Rehabilitation, zur Beschaffung technischer Einrichtungen für die Bewältigung der Behinderung und auch zum Ausgleich sonstiger (materieller oder immaterieller) Benachteiligungen benötigt.1 1
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 7; ferner Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 35.
Kent Leverenz
543
AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
Ziel ist es, die wirtschaftlichen Folgen des Verlustes oder der Beeinträchtigung der Leistungs- oder Arbeitsfähigkeit auszugleichen oder wenigstens zu mindern.2
I. Praktische Bedeutung 2
Die Invaliditätsleistung, die schon vor den 1904 erstmals als Musterbedingungen genehmigten Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen die Hauptleistung darstellte,3 ist das Kernstück der Unfallversicherung.4 Sie hat – sowohl in der Leistungsregulierung als auch in der gerichtlichen Streitbehandlung – die größte Bedeutung von allen vereinbaren Leistungsarten. Bei den Fragen, ob die Voraussetzungen für die Invaliditätsleistung – nämlich der Invaliditätsbegriff und die Einhaltung der drei AUB-Fristenregelungen – gegeben sind und wie die Invalidität zu bemessen ist, kommt es in der Praxis immer wieder zu kontroversen Auseinandersetzungen zwischen dem VR und VN. Dabei stehen neben medizinischen Bewertungen darüber, ob und in welchem Umfang Invalidität eingetreten ist, aus rechtlicher Sicht insbesondere die AUB-Fristenregelungen im Focus der Gerichte. Die praktische Bedeutung von Ziff. 2.1 AUB 99/2008 (bzw. § 7 Abs. 1 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 AUB 61) ist damit enorm. Vergleichbare Regelungen finden sich im Übrigen u.a. auch in der Kraftfahrtunfallversicherung (s. etwa A.4.5 AKB 2008, § 20 Abs. 1 AKB).
II. Entwicklung der Leistungsart 3
Die Regelungen zur Invaliditätsleistung haben im Laufe der Zeit mannigfaltige Änderungen erfahren. Während die AUB 61 noch darauf ausgerichtet waren, einen Ausgleich für die Beeinträchtigung bzw. den Verlust der Arbeitsfähigkeit zu schaffen, wurde mit den AUB 88 vornehmlich ein neuer (modernerer) Invaliditätsbegriff eingeführt, der auf die Leistungsfähigkeit der versicherten Person abstellt. Zugleich sollten „Schwächen“ in den Tatbeständen der AUB 61 zur Invaliditätsleistung beseitigt werden. Die Regelungen in den AUB 88/94 sind im Wesentlichen in den AUB 99 (aber mit geändertem Aufbau) beibehalten worden. In den AUB 2008 waren durch die VVG-Reform 2008 eingeführte Legaldefinitionen zu integrieren. Zuvor hatten die Bedingungsgeber bereits in der Gliedertaxe der neueren BGH-Rechtsprechung Rechnung getragen und vorgesehen, dass die Invaliditätsleistung nur noch als Kapitalbetrag und nicht mehr als Rente gezahlt wird.
2 3
GB BAV 1978 73 Nr. 813. Reichenbach S. 114.
544
4
Lehmann/Ludolph 2 S. VII; Riebesell S. 56; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 7.
Kent Leverenz
Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
AUB 2008 5 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 6
AUB 88 7/94
AUB 61 8
Ziff. 2.1 Invaliditätsleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Ziff. 2.1 Invaliditätsleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 1 Invaliditäts- § 8 Abs. 2 Invaliditätsleistung entschädigung (nur AUB 94:) Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung:
2.1.1 Voraussetzungen – für die Leistung:
–
2.1.1.1 S. 1 Die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person ist unfallbedingt dauerhaft beeinträchtigt (Invalidität).
2.1.1.1 S. 1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).
§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 Halbs. 1 Führt der Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) des Versicherten …
§ 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 Eine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit (Invalidität) als Unfallfolge …
S. 3 Die Invalidität ist S. 2 Die Invalidität ist – innerhalb eines Jahres – innerhalb eines Jahres nach dem Unfall einnach dem Unfall eingetreten und getreten und – innerhalb von fünf– innerhalb von fünfzehn Monaten nach zehn Monaten nach dem Unfall von dem Unfall von einem Arzt schriftlich einem Arzt schriftlich festgestellt und von festgestellt und von Ihnen bei uns geltend Ihnen bei uns geltend gemacht worden. gemacht worden.
§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 Die Invalidität muss innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht sein.
… muss innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet eingetreten sein; sie muss spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten nach dem Unfalljahr ärztlich festgestellt und geltend gemacht sein.
2.1.1.2 Kein Anspruch auf Invaliditätsleistung besteht, wenn die versicherte Person unfallbedingt innerhalb eines Jahres nach dem Unfall stirbt.
§ 7 Abs. 1 Nr. 4 Tritt der Tod unfallbedingt innerhalb eines Jahres nach dem Unfall ein, so besteht kein Anspruch auf Invaliditätsleistung.
§ 8 Abs. 2 Nr. 6 S. 1 Stirbt der Versicherte infolge des Unfalles innerhalb eines Jahres vom Unfalltage an gerechnet, so besteht kein Anspruch auf Invaliditätsentschädigung.
S. 2 Eine Beeinträchtigung ist dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung des Zustandes nicht erwartet werden kann.
5 6 7
2.1.1.2 Kein Anspruch auf Invaliditätsleistung besteht, wenn die versicherte Person unfallbedingt innerhalb eines Jahres nach dem Unfall stirbt.
Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 17 ff. VerBAV 1987 417 und 419 f. sowie 422.
8
VerBAV 1984 10, 12, 14, 15 und 16; zu § 6 der Verbandsbedingungen von 1904 vgl. Gerhard/Hagen S. 748 ff.
Kent Leverenz
545
AUB 2008 Ziff. 2.1 AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
Unfallversicherung AUB 99
AUB 88 /94
AUB 61
S. 2 Etwa bereits geleistete Invaliditätsentschädigungen werden von der Todesfallentschädigung abgezogen (§ 13 Nr. 1). 2.1.2 Art und Höhe der Leistung:
2.1.2 Art und Höhe der Leistung:
2.1.2.1 Die Invaliditätsleistung zahlen wir als Kapitalbetrag bei Unfällen der versicherten Person vor Vollendung des 65. Lebensjahres, als Rente nach Ziffer 2.1.2.3 bei Unfällen nach diesem Zeitpunkt.
2.1.2.1 Die Invaliditätsleistung zahlen wir – als Kapitalbetrag bei Unfällen der versicherten Person vor Vollendung des 65. Lebensjahres, – als Rente nach Ziffer 2.1.2.3 bei Unfällen nach diesem Zeitpunkt.
§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 Halbs. 2 … so entsteht Anspruch auf Kapitalleistung aus der für den Invaliditätsfall versicherten Summe. S. 2 Hat der Versicherte bei Eintritt des Unfalles das 65. Lebensjahr vollendet, so wird die Leistung als Rente gemäß § 14 erbracht.
§ 8 Abs. 2 Nr. 7 Hat der Versicherte am Unfalltage das 65. Lebensjahr vollendet, so wird die Invaliditätsentschädigung in Form einer Rente gemäß § 20 gewährt.
2.1.2.2 Grundlage für die Berechnung der Leistung bilden die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität.
2.1.2.2 Grundlage für die Berechnung der Leistung bilden die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität.
§ 7 Abs. 1 Nr. 2 Die Höhe der Leistung richtet sich nach dem Grad der Invalidität.
§ 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 Der Versicherer zahlt bei Ganzinvalidität die volle für den Invaliditätsfall versicherte Summe, bei Teilinvalidität den dem Grade der Invalidität entsprechenden Teil gemäß den nachfolgenden Bestimmungen.
2.1.2.2.1 S. 1 Bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, die folgenden Invaliditätsgrade:
2.1.2.2.1 S. 1 Bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, die folgenden Invaliditätsgrade:
§ 7 Abs. 1 Nr. 2a) Als feste Invaliditätsgrade gelten unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit
§ 8 Abs. 2 Nr. 2 Als feste Invaliditätsgrade unter Ausschluss des Nachweises eines höheren oder geringeren Grades werden angenommen:
eines Armes im Schultergelenk 70 % Arm im Schultergelenk Arm im Schultergelenk eines Armes bis ober70 % 70 % halb des EllenbogenArm bis oberhalb des Arm bis oberhalb des gelenks 65 % Ellenbogengelenks Ellenbogengelenks eines Armes bis unter65 % 65 % halb des Ellenbogengelenks 60 %
546
Kent Leverenz
a) Bei Verlust eines Armes im Schultergelenk 70 % eines Armes bis oberhalb des Ellenbogengelenks 65 % eines Armes unterhalb des Ellenbogengelenks 60 %
Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 88 /94
AUB 61
Arm unterhalb des Ellenbogengelenks 60 % Hand im Handgelenk 55 % Daumen 20 % Zeigefinger 10 % anderer Finger 5 % Bein über der Mitte des Oberschenkels 70 % Bein bis zur Mitte des Oberschenkels 60 % Bein bis unterhalb des Knies 50 % Bein bis zur Mitte des Unterschenkels 45 % Fuß im Fußgelenk 40 % große Zehe 5 % andere Zehe 2 %
Arm unterhalb des Ellenbogengelenks 60 % Hand im Handgelenk 55 % Daumen 20 % Zeigefinger 10 % anderer Finger 5 % Bein über der Mitte des Oberschenkels 70 % Bein bis zur Mitte des Oberschenkels 60 % Bein bis unterhalb des Knies 50 % Bein bis zur Mitte des Unterschenkels 45 % Fuß im Fußgelenk 40 % große Zehe 5 % andere Zehe 2 %
einer Hand im Handgelenk 55 % eines Daumens 20 % eines Zeigefingers 10 % eines anderen Fingers 5%
einer Hand im Handgelenk 55 % eines Daumens 20 % eines Zeigefingers 10 % eines anderen Fingers 5%
Auge 50 % Gehör auf einem Ohr 30 % Geruchssinn 10 %
Auge 50 % Gehör auf einem Ohr 30 % Geruchssinn 10 %
Geschmackssinn 5 %
Geschmackssinn 5 %
eines Beines über der Mitte des Oberschenkels 70 % eines Beines bis zur Mitte des Oberschenkels 60 % eines Beines bis unterhalb des Knies 50 % eines Beines bis zur Mitte des Unterschenkels 45 % eines Fußes im Fußgelenk 40 % einer großen Zehe 5 % einer anderen Zehe 2% eines Auges 50 % des Gehörs auf einem Ohr 30 % des Geruchs 10 % des Geschmacks 5 %
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b) Bei Verlust eines Beines über der Mitte des Oberschenkels 70 % eines Beines bis zur Mitte des Oberschenkels 60 % eines Beines unterhalb des Knies 50 % eines Beines bis zur Mitte des Unterschenkels 45 % eines Fußes im Fußgelenks 40 % eines Fußes mit Erhaltung der Ferse (nach Pirogoff) 30 % einer großen Zehe 5 % einer anderen Zehe 2 % c) Bei Verlust beider Augen 100 % eines Auges 30 % sofern jedoch das andere Auge vor Eintritt des Versicherungsfalles bereits verloren war 70 % bei gänzlichem Verlust des Gehörs auf beiden Ohren 60 % auf einem Ohr 15 % sofern jedoch das Gehör auf dem anderen Ohr vor Eintritt des Versicherungsfalles bereits verloren war 45 % bei gänzlichem Verlust des Geruchs 10 % bei gänzlichem Verlust des Geschmacks 5 %
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 88 /94
AUB 61
2.1.2.2.1 S. 2 Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.
2.1.2.2.1 S. 2 Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.
§ 7 Abs. 1 Nr. 2b) Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung eines dieser Körperteile oder Sinnesorgane wird der entsprechende Teil des Prozentsatzes nach a) angenommen.
§ 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 1 Die vollständige Gebrauchsunfähigkeit eines Körperteils oder Sinnesorgans bemisst sich nach dem für den Verlust geltenden Satz. S. 2 Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Gebrauchsunfähigkeit wird der entsprechende Teil des Satzes nach Nr. 2 angenommen.
2.1.2.2.2 Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist. Dabei sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
2.1.2.2.2 Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist. Dabei sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
§ 7 Abs. 1 Nr. 2c) Werden durch den Unfall Körperteile oder Sinnesorgane betroffen, deren Verlust oder Funktionsunfähigkeit nicht nach a) oder b) geregelt sind, so ist für diese maßgebend, inwieweit die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit unter ausschließlicher Berücksichtigung medizinischer Gesichtspunkte beeinträchtigt ist.
§ 8 Abs. 2 Nr. 5 Soweit sich der Invaliditätsgrad nach Vorstehendem nicht bestimmen lässt, wird bei der Bemessung in Betracht gezogen, inwieweit der Versicherte imstande ist, eine Tätigkeit auszuüben, die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines bisherigen Berufes zugemutet werden kann.
2.1.2.2.3 S. 1 Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt, wird der Invaliditätsgrad um die Vorinvalidität gemindert.
2.1.2.2.3 S. 1 Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt, wird der Invaliditätsgrad um die Vorinvalidität gemindert.
S. 2 Diese ist nach Ziffer 2.1.2.2.1 und Ziffer 2.1.2.2.2 zu bemessen.
S. 2 Diese ist nach Ziffer 2.1.2.2.1 und Ziffer 2.1.2.2.2 zu bemessen.
§ 7 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 Wird durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen, die schon vorher dauernd beeinträchtigt war, so wird ein Abzug in Höhe der Vorinvalidität vorgenommen. S. 2 Diese ist nach Nr. 2 zu bemessen.
§ 10 Nr. 4 S. 1 Wenn vor Eintritt des Unfalls der Versicherte schon durch Krankheit oder Gebrechen in seiner Arbeitsfähigkeit dauernd behindert war oder Körperteile oder Sinnesorgane ganz oder teilweise verloren oder gebrauchsunfähig gewesen sind, so wird von der nach dem Unfall vorhandenen Gesamtinvalidität ein Abzug gemacht, der der schon vorher vorhanden gewesenen Invalidität ent-
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Kent Leverenz
Invaliditätsleistung AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 88 /94
AUB 2008 Ziff. 2.1 AUB 61
spricht. S. 2 Für dessen Bemessung werden die Grundsätze unter § 8 Abs. 2 mit der Maßgabe angewandt, dass gegebenenfalls auch ein höherer Grad der Gesamtinvalidität als 100 % anzunehmen ist sofern der Unfall Körperteile oder Sinnesorgane betrifft, die nicht schon vor diesem Unfall beschädigt waren. 2.1.2.2.4 Sind mehrere Körperteile oder Sinnesorgane durch den Unfall beeinträchtigt, werden die nach den vorstehenden Bestimmungen ermittelten Invaliditätsgrade zusammengerechnet. Mehr als 100 % werden jedoch nicht berücksichtigt.
2.1.2.2.4 Sind mehrere Körperteile oder Sinnesorgane durch den Unfall beeinträchtigt, werden die nach den vorstehenden Bestimmungen ermittelten Invaliditätsgrade zusammengerechnet. Mehr als 100 % werden jedoch nicht berücksichtigt.
§ 7 Abs. 1 Nr. 2d) Sind durch den Unfall mehrere körperliche oder geistige Funktionen beeinträchtigt, so werden die Invaliditätsgrade, die sich nach Nr. 2 ergeben, zusammengerechnet. Mehr als 100 % werden jedoch nicht angenommen.
§ 8 Abs. 2 Nr. 4 Bei Verlust oder Gebrauchsunfähigkeit von mehreren der vorgenannten Körperteile oder Sinnesorgane werden die sich nach Nr. 2 und 3 ergebenden Prozentsätze zusammengerechnet, jedoch nie mehr als 100 % angenommen.
2.1.2.3 S. 1 Wird nach Ziffer 2.1.2.1 Rente gezahlt, erhalten Sie anstelle einer Kapitalleistung von jeweils 1.000 DM/Euro die folgenden Jahresrentenbeträge.
2.1.2.3 S. 1 Wird nach Ziffer 2.1.2.1 Rente gezahlt, erhalten Sie anstelle einer Kapitalleistung von jeweils 1.000 DM/Euro die folgenden Jahresrentenbeträge.
§ 14 Abs. 1 Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist gilt: Nr. 1 S. 1 Soweit bei Invalidität Rentenzahlung vorgesehen ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1), ergeben sich für eine Kapitalleistung von S. 2 Der Jahresrenten- S. 2 Der Jahresrenten- 1000 DM die folgenbetrag richtet sich den Jahresrenten betrag richtet sich nach dem am Unfalltag nach dem am Unfalltag beiträge. vollendeten Lebensjahr vollendeten Lebensjahr der versicherten PerS. 2 Der Berechnung der versicherten Person. wird das am Unfalltag son. vollendete Lebensjahr zugrunde gelegt.
§ 20 Nr. 1 Ist für den Fall der dauernden Arbeitsunfähigkeit (§ 8 Abs. 2) anstelle von Kapitalzahlung Rentenzahlung vorgesehen, so wird die Rente nach der unten stehenden Rententabelle berechnet und dabei für Ganzinvalidität die volle, für teilweise Invalidität die dem festgesetzten Invaliditätsgrade entsprechende Invaliditätssumme zugrunde gelegt. § 20 Nr. 4 S. 1 Für eine Invaliditätssumme von 1000,– DM ergeben sich die nachstehend aufgeführten Jahresrenten-
Kent Leverenz
549
AUB 2008 Ziff. 2.1 AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
Unfallversicherung AUB 99
AUB 88 /94
AUB 61
beiträge. S. 2 Der Berechnung wird das am Unfalltag vollendete Lebensjahr zugrunde gelegt. Alter
Betrag der Jahresrente in DM/Euro für
Alter
Männer Frauen
Betrag der Jahresrente in DM/Euro für
Alter
Alter (Jahre)
Männer Frauen
Betrag der Jahresrente (DM)
bis 20
44,09
65
65
65
21
44,41
66
66
66
22
67
67
67
…
…
68
68
68
69
69
70 und darüber
134,17
69 70
70
70
71
71
71
72
72
72
73
73
73
74
74
74
75 und darüber
75 und darüber
75 und darüber
2.1.2.3 S. 3 Die Rente zahlen wir rückwirkend ab Beginn des Monats, in dem sich der Unfall ereignet hat, bis zum Ende des …, in dem die versicherte Person stirbt. Sie wird … im Voraus gezahlt.
§ 14 Abs. 2 S. 1 Die Rente wird vom Abschluss der ärztlichen Behandlung, spätestens vom Ablauf des auf den Unfall folgenden Jahres an bis zum Ende des Vierteljahres entrichtet, in dem der Versicherte stirbt.
2.1.2.3 S. 3 Die Rente zahlen wir rückwirkend ab Beginn des Monats, in dem sich der Unfall ereignet hat, bis zum Ende des …, in dem die versicherte Person stirbt. Sie wird … im Voraus gezahlt.
Männer Frauen
Betrag der Jahresrente in DM/Euro für
S. 2 Sie wird jeweils am Ersten des Vierteljahres im Voraus gezahlt. S. 3 Der Versicherer ist zur Überprüfung der Voraussetzungen für den Rentenbezug berechtigt, Lebensbescheinigungen anzufordern.
550
Kent Leverenz
44,74
§ 20 Nr. 2 S. 1 Die Rente wird von dem Tage an, an dem die Zahlung des Tagegeldes aufhört, entrichtet. S. 2 Ist Tagegeld nicht versichert, so beginnt sie mit Abschluss der ärztlichen Behandlung, spätestens mit Ablauf des auf den Unfall folgenden Jahres. S. 3 Sie wird bis zum Ende des Vierteljahres, in dem der Versicherte stirbt, entrichtet und jeweils am Vierteljahres-Ersten im Voraus gezahlt.
Invaliditätsleistung AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
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AUB 2008 Ziff. 2.1 AUB 61
S. 4 Wird die Bescheinigung nicht unverzüglich übersandt. ruht die Rentenzahlung ab der nächsten Fälligkeit. –
–
§ 14 Abs. 3 Versicherungsnehmer und Versicherer können innerhalb von drei Jahren nach erstmaliger Bemessung der Rente jährlich eine Neubemessung verlangen.
–
–
§ 14 Abs. 4 Die in I. – genannten Jahresrentenbeträge können mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde auch für bestehende Versicherungen geändert werden.
2.1.2.4 Stirbt die versicherte Person – aus unfallfremder Ursache innerhalb eines Jahres nach dem Unfall oder – gleichgültig, aus welcher Ursache, später als ein Jahr nach dem Unfall, und war ein Anspruch auf Invaliditätsleistung entstanden, leisten wir nach dem Invaliditätsgrad, mit dem aufgrund der ärztlichen Befunde zu rechnen gewesen wäre.
2.1.2.4 Stirbt die versicherte Person – aus unfallfremder Ursache innerhalb eines Jahres nach dem Unfall oder – gleichgültig, aus welcher Ursache, später als ein Jahr nach dem Unfall, und war ein Anspruch auf Invaliditätsleistung entstanden, leisten wir nach dem Invaliditätsgrad, mit dem aufgrund der ärztlichen Befunde zu rechnen gewesen wäre.
§ 7 Abs. 1 Nr. 5 Stirbt der Versicherte aus unfallfremder Ursache innerhalb eines Jahres nach dem Unfall oder – gleichgültig, aus welcher Ursache – später als ein Jahr nach dem Unfall, und war ein Anspruch auf Invaliditätsleistung nach Abs. 1 entstanden, so ist nach dem Invaliditätsgrad zu leisten, mit dem aufgrund der zuletzt erhobenen ärztlichen Befunde zu rechnen gewesen wäre.
Kent Leverenz
§ 20 Nr. 3 Während der auf die erstmalige Festsetzung (§§ 11 und 12) folgenden drei Jahre haben beide Teile jeweils nach Ablauf eines Jahres das Recht, eine Änderung der Rente zu verlangen.
§ 13 Nr. 3b S. 3 Stirbt der Versicherte nach Ablauf des auf den Unfall folgenden Jahres, aber vor endgültiger Feststellung der Entschädigung, so hat der Versicherer nach dem zuletzt festgestellten Grad der dauernden Arbeitsunfähigkeit Entschädigung zu leisten.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
1. AUB 61
4
Bei Vereinbarung der AUB 61 gelten für die Invaliditätsleistung folgende Besonderheiten:
5
a) Leistungsvoraussetzungen. Der Invaliditätsanspruch auf Grundlage der AUB 61 ist weitgehend an ähnliche Voraussetzungen geknüpft wie bei Vereinbarung der AUB 88/94/99/2008. Insbesondere sind die Fristenregelungen einzuhalten (Rn. 70 ff.). Ein bedeutsamer Unterschied zu den jüngeren AUB ergibt sich jedoch aus § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61, in dem die Invalidität noch als „dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit“ definiert wird.
6
aa) Arbeitsfähigkeit. Während die VR bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts weitgehend jeweils eigene AVB mit unterschiedlichen Invaliditätsbegriffen verwendeten, die vorwiegend auf die Erwerbsunfähigkeit (s. auch § 180 Rn. 7) abstellten, wurde die Arbeitsfähigkeit als geschütztes Rechtsgut der Invaliditätsversicherung mit den Verbandsbedingungen von 1904 eingeführt 9 und später vom RAA genehmigt.10 Die Arbeitsfähigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit als zentrales Element der Invaliditätsleistung wurde in der Folgezeit bis zur Einführung der AUB 88 beibehalten.11 Auch die Invaliditätsleistung nach den AUB 61 stellt noch ausschließlich auf die Arbeitsfähigkeit ab. Dies liegt daran, dass früher die wirtschaftlichen Folgen eines Unfalls primär in dem Verlust oder der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und den damit regelmäßig verbundenen Einkommenseinbußen gesehen wurden. Für den Fall, dass die Arbeits- und damit die Einkommensfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt sind, soll ein finanzieller Ausgleich geschaffen werden.12 Dessen Umfang richtet sich allerdings nicht nach dem konkreten Einkommensverlust der versicherten Person, sondern nach den vertraglichen Vereinbarungen (insbesondere den vorgesehenen Versicherungssummen) zwischen VR und VN;13 denn ein Abstellen auf die konkrete unfallbedingte Einkommenseinbuße wäre nicht mit dem Summenversicherungsprinzip vereinbar.14 Sonstige Beeinträchtigungen, die die Arbeitsfähigkeit nicht berühren, bleiben dagegen in den AUB 61 unberücksichtigt.15 Dies gilt z.B. für Ausfälle der Sexualfunktion.16 Dadurch kann die Situation auftreten, dass jemand trotz objektiv verminderter Gesundheit voll arbeitsfähig sein kann.17 Bei der Arbeitsfähigkeit geht es – sofern im Versicherungsvertrag nichts Abweichen7 des vereinbart ist – um die jedem Menschen regelmäßig innewohnende generelle Fähigkeit, auf der Grundlage körperlicher Unversehrtheit Arbeit zu leisten. Die dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit muss nicht von einer dauernden Behinderung im Beruf oder in der Beschäftigung begleitet sein. Vielmehr bleiben – genauso wie bei der Invalidität nach den AUB 88/94/99/2008 (§ 180 Rn. 11) – die konkreten Berufs- und Erwerbsverhältnisse der versicherten Person bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit
9 10 11 12
13
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 5; eingehend Gerhard/Hagen S. 749 ff. Siehe etwa VA 1910 182, 183 (§ 3 S. 1) und 186 (§ 10 Nr. 2 S. 1). Reichenbach S. 114. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 2; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 154. Gerhard/Hagen S. 750; Konen/Lehmann S. 40.
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14 15 16 17
Bihr VW 1993 264; Wüstney § 6 Anm. 1 S. 33. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 2. LG Freiburg i. Br. 1.4.2003 VersR 2003 1245, 1246; Lehmann VW 1987 1370, 1373. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 2; s.a. RG 19.2.1935 VA 1935 231 (Nr. 2804).
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
unberücksichtigt.18 Es ist demnach gleichgültig, ob die versicherte Person überhaupt einen Beruf bzw. eine Beschäftigung hat und welchen Beruf bzw. welche Beschäftigung die versicherte Person in welchem Umfang ausübt.19 Dieser abstrakte Maßstab gilt jedenfalls uneingeschränkt bei der Anwendung der Gliedertaxe nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61.20 Lediglich im Rahmen von § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 bei der Bemessung der Invalidität außerhalb der Gliedertaxe ist zu berücksichtigen, inwieweit die versicherte Person imstande ist, eine Tätigkeit auszuüben, die ihren Kräften und Fähigkeiten entspricht und die ihr unter billiger Berücksichtigung ihres bisherigen Berufs zugemutet werden kann (Rn. 21).21 Heute oder früher übliche sozialversicherungsrechtliche Grundsätze zur Beurteilung 8 der Arbeitsfähigkeit sind auf die unfallversicherungsrechtliche Würdigung nicht bzw. jedenfalls nicht ohne weiteres übertragbar (Vorbem. § 178 Rn. 60).22 Die im Bereich der Sozialversicherung, des Versorgungsrechts oder des Schwerbehindertenrechts verwendeten Begriffe „Berufsunfähigkeit“ und „Erwerbsunfähigkeit“ überschneiden sich zwar, stimmen jedoch nicht (vollständig) mit dem der Arbeitsunfähigkeit 23 oder dem der Invalidität i.S.v. körperlicher oder geistiger Leistungsfähigkeit überein (§ 180 Rn. 6 f.). bb) Dauerhaftigkeit. Dauerhaft ist die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, wenn 9 anzunehmen ist, dass sie mehrere Jahre andauern wird, ohne dass ihr Ende mit einiger Sicherheit abzusehen ist (s.a. § 180 Rn. 17).24 Die voraussichtliche Zeitspanne muss erheblich länger als 3 Jahre andauern.25 Der Beginn der mindestens einzuhaltenden Dreijahresfrist wird z.T. mit dem Unfalltag, z.T. aber auch mit dem Abschluss der ärztlichen Behandlung bestimmt. Richtigerweise ist auf den Unfalltag abzustellen (§ 180 Rn. 19). b) Leistungshöhe. Die Bemessung der Invalidität erfolgt in den AUB 61 im Prinzip 10 wie bei Vereinbarung der AUB 88/94/99/2008 (Rn. 175 ff.). Folgende Besonderheiten bestehen: aa) Ganz- und Teilinvalidität. Bei Ganzinvalidität zahlt der VR gemäß § 8 Abs. 2 11 Nr. 1 S. 2 AUB 61 die volle für den Versicherungsfall vereinbarte Versicherungssumme, bei Teilinvalidität den dem Grade der Invalidität entsprechenden Teil gemäß den nachfolgenden Bestimmungen. Mit der Formulierung „gemäß den nachfolgenden Bestimmun-
18
19
20 21
BGH 10.10.1966 VersR 1966 1133; OLG Frankfurt/M. 21.12.1992 RuS 1995 279, 280; E. Hofmann S. 64; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 155; Perret S. 31. Grundlegend RG 28.7.1939 RGZ 161 184, 189 ff.; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 5; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 2; Lehmann/Ludolph 2 S. 1. OLG Köln 27.10.1988 RuS 1989 100; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 5. BGH 8.7.1961 VersR 1981 1151, 1152; RG 28.7.1939 RGZ 161 184, 190; OLG Hamm 13.6.1984 VersR 1985 729, 730; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 2; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 155.
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23 24
25
OLG Frankfurt/M. 21.12.1992 RuS 1995 279, 280; LG Bad Kreuznach 14.7.1961 VersR 1964 938, 939; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 2; Reichenbach S. 114 f. BGH 8.7.1961 VersR 1981 1151. OLG Hamm 25.4.1978 VersR 1978 1039; OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397 = RuS 2007 71, 72. Grundlegend RG 19.1.1934 VA 1934 15 Nr. 2672; OLG Köln 2.11.1991 RuS 1992 105; OLG Köln 21.3.1991 VersR 1992 176 = RuS 1992 35; OLG Köln 23.2.1989 VersR 1989 1036.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
gen“ sind die Regelungen in § 8 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 AUB 61 gemeint; sie beziehen sich aufgrund ihrer Stellung im Satz nur auf die Teilinvalidität.26 • Ganzinvalidität setzt eine vollständige dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit voraus, d.h. einen Invaliditätsgrad von 100 %. Einerseits steht die Möglichkeit, noch leichtere Tätigkeiten ausüben zu können, der Annahme einer völligen Invalidität nicht entgegen. Anderenfalls könnte Ganzinvalidität nur bei einer völligen Erstarrung aller Gliedmaßen angenommen werden. Eine solche Auffassung findet in den AUB keine Stütze.27 Andererseits verlangt die Bejahung einer Ganzinvalidität nicht, dass vor dem Unfallereignis Arbeitsfähigkeit zu 100 % bestanden hat.28 • Teilinvalidität bedeutet logischerweise ein „Weniger“ zur Ganzinvalidität. Sie erfasst jede dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit mit einem Invaliditätsgrad von unter 100 %.29 Üblicherweise wird die Teilinvalidität – bei Anwendung der Gliedertaxe – in Bruchteilen der Ganzinvalidität ausgedrückt (Rn. 195; s.a. Rn. 224).
12
bb) Berechnung nach der Gliedertaxe. Zunächst ist die Gliedertaxe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61 maßgeblich (näher Rn. 183 ff.). Dort werden für den (gänzlichen) Verlust bestimmter Körperteile oder Sinnesorgane feste Invaliditätsgrade genannt. Sodann bestimmt § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 1 AUB, dass die – vom „Verlust“ in ihrer Wirkung „an sich“ zu unterscheidende 30 – vollständige Gebrauchsunfähigkeit eines Körperteils oder Sinnesorgans sich nach dem für den Verlust geltenden Satz bemisst. Bei einem teilweisen Verlust und einer teilweisen Gebrauchsunfähigkeit ist der entsprechende Teil des jeweiligen Gliedertaxwertes anzunehmen (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 AUB 61).
13
(1) Gelenkversteifungen. Eine Versteifung des Schulter-, Hand- oder Fußgelenks führt auf Grundlage der AUB 61 nicht ohne weiteres zu einem Invaliditätsgrad von 70, 55 oder 40 %;31 denn anders als in den neueren AUB (Rn. 207 ff.) ist der Verlust und die Gebrauchs- bzw. Funktionsunfähigkeit bei Gliedmaßen nicht gleichgestellt.32 § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 1 und 2 AUB 61 ist dahingehend zu verstehen, dass es im Fall der Funktionsunfähigkeit nicht isoliert auf die Funktionsunfähigkeit im Gelenk ankommt, sondern auf die Funktionsunfähigkeit des gesamten (Teil-)Gliedes.33
14
(2) Schädigung der Augen und des Gehörs. Unproblematisch sind bei Anwendung der Gliedertaxe die dort ausdrücklich geregelten Tatbestände: • Verlust bzw. vollständige Gebrauchsunfähigkeit beider Augen (völlige Erblindung): 100 % Invalidität. • Verlust bzw. vollständige Gebrauchsunfähigkeit eines Auges (keine unfallbedingte Beeinträchtigung des anderen Auges): 30 % Invalidität. • Verlust bzw. vollständige Gebrauchunfähigkeit eines Auges, sofern das andere Auge vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits verloren war (völlige Erblindung unter Berücksichtigung der Vorinvalidität): 70 % Invalidität.
26 27 28 29 30
Grewing Entstehungsgeschichte, S. 37; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 17. OLG Dresden 15.6.1933 VA 1933 357, 358 (Nr. 2595). OLG Nürnberg 9.11.1931 VA 1931 292, 293 (Nr. 2346); Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 17. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 17. OLG Breslau 14.12.1929 VA 1930 198 Nr. 2162.
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31 32 33
S. etwa die Bewertungstabelle bei Perret S. 22 f. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 4. OLG Saarbrücken Urteil vom 1.10.2007 – 5 U 85/07; s.a. Lehmann/Ludolph MedSach 2007 45, 46.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
• Gänzlicher Verlust bzw. vollständige Gebrauchsunfähigkeit des Gehörs auf beiden Ohren (Taubheit): 60 % Invalidität. • Gänzlicher Verlust bzw. vollständige Gebrauchsunfähigkeit des Gehörs auf einem Ohr (keine unfallbedingte Beeinträchtigung des anderen Ohrs): 15 % Invalidität. • Gänzlicher Verlust bzw. vollständige Gebrauchsunfähigkeit des Gehörs auf einem Ohr, sofern das Gehör auf dem anderen Ohr vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits verloren war (Taubheit unter Berücksichtigung der Vorinvalidität): 45 % Invalidität.
Fraglich ist jedoch, wie die Fälle zu bewerten sind, in denen es nicht um die Grundtatbestände des völligen Verlustes bzw. der völligen Gebrauchsunfähigkeit der Augen bzw. des Gehörs geht. Über den teilweisen Verlust oder die teilweise Gebrauchsunfähigkeit trifft lediglich § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 AUB 61 eine Aussage. Die Vorschrift sagt aus, dass bei solchen Sachverhalten der entsprechende Teil des Satzes der Gliedertaxe anzunehmen ist. Dies gilt ohne weiteres für das vom Unfall betroffene Körperteil bzw. Sinnesorgan. Offen ist aber die Verfahrensweise, wenn • der Unfall zu dem Verlust eines Auges oder des Gehörs auf einem Ohr bei nur teilweiser Vorschädigung des anderen Organs führt oder • der Unfall beide Augen oder das Gehör auf beiden Ohren schädigt, ohne dass es zu völliger Erblindung oder Taubheit kommt.
Nach der Rechtsprechung des BGH erfolgt hier eine sog. gleitende Höherbewertung.34 (a) Unfallbedingter Verlust eines Sinnesorgans bei teilweiser Vorschädigung des ande- 15 ren. Schwierigkeiten bereitet die Bewertung der Invalidität, wenn bei einem Unfall ein Auge oder das Gehör auf einem Ohr verloren geht, das andere Auge bzw. Ohr aber nicht völlig, sondern nur teilweise vorgeschädigt war. Für den Fall des einseitigen unfallbedingten Augenverlustes und teilweiser Vorschädigung des durch den Unfall nicht betroffenen anderen Auges hat der BGH nicht den 100 %-Wert für den Verlust beider Augen als Ausgangspunkt oder den Invaliditätsgrad für den Verlust eines Auges i.H.v. 30 % gewählt, sondern einen Invaliditätsgrad zwischen 30 % und 70 % angenommen,35 also als Untergrenze den Gliedertaxwert für den unfallbedingten Verlust eines Auges und als Obergrenze den Gliedertaxwert für den unfallbedingten Verlust eines Auges bei bereits vorhandenem Verlust bzw. vollständiger Funktionsunfähigkeit des anderen Auges vor dem Unfallereignis bestimmt. Ganz selbstverständlich ist diese Annahme nicht. Die Formulierung „sofern jedoch das andere Auge vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits verloren war“ bzw. „sofern jedoch das Gehör auf dem anderen Ohr vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits verloren war“ betrifft nur den vollständigen Verlust bzw. die vollständige Gebrauchsunfähigkeit, d.h. die Erblindung auf einem Auge bzw. Taubheit auf einem Ohr vor dem Unfallereignis, und sagt nichts darüber aus, wie zu verfahren ist, wenn das vom Unfall nicht betroffene Sinnesorgan „nur“ eine teilweise Vorschädigung aufweist.36 Streng nach dem Wortlaut der Gliedertaxe müsste mithin im Wege des Umkehrschlusses der unfallbedingte Verlust eines Auges oder des Gehörs auf einem Ohr nach 30 bzw. 15 % abgerechnet werden. Dies entspricht indes nicht dem Sinn und wirtschaftlichen Zweck der Gliedertaxe:37 Die Gliedertaxe in den AUB 61 berücksichtigt, dass der Verlust des
34
35
S. dazu auch Lehmann/Ludolph 2 S. 46 f. mit grafischer Darstellung (Augen) und S. 56 (Gehör). BGH 24.4.1974 VersR 1974 664 f. = VerBAV 1975 450, 451.
36 37
S.a. BGH 8.7.1987 VersR 1987 930, 931. BGH 24.4.1974 VersR 1974 664, 665.
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Unfallversicherung
zweiten Auges bzw. des Gehörs auf dem zweiten Ohr mit der Folge völliger Erblindung bzw. Taubhaut für die versicherte Person erheblich schwerer wiegt als der Verlust eines Auges bzw. des Gehörs auf einem Ohr bei erhaltener Seh- bzw. Hörfähigkeit des anderen Auges bzw. Gehörs auf dem anderen Ohr.38 Ein Invaliditätsgrad von 30 % bzw. 15 % für den Verlust eines Auges bzw. des Gehörs auf einem Ohr wurde als angemessen angesehen, weil dann noch die Sehkraft bzw. das Gehör des anderen Organs vorhanden ist. Dagegen trifft die versicherte Person das Unfallereignis ungleich härter, wenn das vom Unfall nicht betroffene Auge bzw. Ohr – gleich ob durch Unfall oder aufgrund anderer Ursachen – eine Vorschädigung aufwies. Zwar kann hier nicht der Invaliditätsgrad wie bei unfallbedingter völliger Erblindung (100 %) bzw. Taubheit (60 %) angenommen werden. Jedoch sieht die Gliedertaxe einen erhöhten Wert vor (70 bzw. 45 %). Der Sache nach führt die Einbeziehung des nicht von dem Unfall betroffenen, aber schon vorher geschädigten Auges (Gehörs auf einem Ohr) in den anzunehmenden Invaliditätsgraden zur Berücksichtigung einer bestehenden Vorinvalidität zugunsten des VN.39 Diese Grundkonzeption der Gliedertaxe für paarige Sinnesorgane verliert nicht dadurch ihre Berechtigung, dass die Sehkraft (bzw. Hörfähigkeit) des vorgeschädigten Auges (des vorgeschädigten Gehörs auf einem Ohr) bei Eintritt des Versicherungsfalls zu weniger als 100 % verloren war; denn auch dann trifft der Verlust der Sehkraft (Gehörs) des vom Unfall betroffenen Auges (Ohrs) die versicherte Person härter als bei voll erhaltener Sehkraft (Hörfähigkeit) des anderen Auges (Ohrs). Für die Invaliditätsbemessung kommt es entscheidend darauf an, ob das zweite der paarigen Sinnesorgane Ausgleichsfunktionen ungeschmälert wahrnehmen kann oder ob es ebenfalls geschädigt oder gar schon ausgefallen ist.40 Für den VN wäre es im übrigen kaum verständlich, wenn z.B. bei einer Vorschädigung des linken Auges von 100 % der unfallbedingte Verlust des rechten Auges mit 70 %, dagegen der unfallbedingte Verlust des rechten Auges bei einer Vorschädigung des linken Auges von 99 % mit 30 % der Invaliditätssumme abzurechnen wäre. Vielmehr zeigt § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 AUB 61, dass in solchen Fällen eine abgestufte Regelung zur Anwendung gelangen muss. I.E. bedeutet dies, dass bei der Bewertung des Verlustes oder der Beeinträchtigung der Sehkraft beider Augen bzw. des Gehörs auf beiden Ohren grundsätzlich von dem erhöhten Gliedertaxwert von 70 % (bzw. 45 %) auszugehen ist und dieser auf den zwischen 70 und 30 % (Auge) bzw. 45 und 15 % (Gehör) liegenden Satz zu vermindern ist, der der vorhandenen Gebrauchsbeeinträchtigung des vom Unfall nicht betroffenen Sinnesorgans entspricht.41 Dies kann zu komplizierten Berechnungen führen, wie der vom BGH zu entscheidende Sachverhalt zeigt. Das beim Unfall geschädigte Auge war zuvor in seiner Sehkraft um 5 % (1/20 Augenwert) gemindert, während das vom Unfall nicht betroffene Auge noch eine Gebrauchsfähigkeit von 3/10 (30 %) bzw. Gebrauchsbeeinträchtigung von 7/10 (70 %) hatte. Daraus folgt:42 • Zunächst ist der Wert für das unfallbedingt verlorene Auge zu bestimmen. Dieser Augenwert beträgt 58 % (= Obergrenze Augenwert i.H.v. 70 % abzüglich verbleibende Gebrauchsfähigkeit des nicht unfallgeschädigten Auges i.H.v. 12 %). Die verbleibende Gebrauchsfähigkeit i.H.v. 12 % berechnet sich dabei wie folgt: Die Differenz des zwischen 70 % (Obergrenze) und 30 % (Untergrenze) liegenden Bereichs beträgt 40 %. Von diesem Differenzwert sind 3/10 (die verbleibende Gebrauchsfähigkeit des nicht unfallgeschädigten Auges) zu bestimmen. Dies sind 12 % (= 40 % * 3/10).
38
Lehmann/Ludolph 2 S. 46. LG Göttingen 7.2.1962 VersR 1963 1017, 1018. 40 BGH 24.1.1996 VersR 1996 493 = RuS 1996 157; BGH 8.7.1987 VersR 1987 930, 931.
41
39
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42
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 23a; Reichenbach S. 119. BGH 24.4.1974 VersR 1974 664, 665; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 24.
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• Von dem Wert für das unfallbedingt verlorenen Auges ist weiterhin – entsprechend § 10 Nr. 4 AUB 61 – dessen Vorschädigung abzuziehen. Die Vorschädigung beträgt 1/20 des Augenwertes, also 2,9 % (= 1/20 * 58 %), so dass der VR einen Invaliditätsgrad von 55,1 % abzurechnen hat.
Formelmäßig lässt sich die Berechnung wie folgt darstellen: Gliedertaxwert Auge bzw. Ohr [30 bzw. 15 %] (Differenzwert i.H.v. 40 bzw. 30 % [= Differenz aus 70 und 30 % bzw. 45 und 15 %] * vorhandene Gebrauchsbeeinträchtigung des nicht verletzten Organs) = Zwischensumme unfallbedingte Gebrauchsbeeinträchtigung des verletzten Organs (= Invalidität nach dem Unfall – Vorinvalidität) Invaliditätsgrad +
* =
Im Beispiel ergibt dies folgende Gleichung:
* =
58 % (= 30 % Gliedertaxwert für das Auge + [40 % Differenzwert aus 70 und 30 % * 7/10 Gebrauchsbeeinträchtigung des vom Unfall nicht betroffenen Auges]) 19/20 Gebrauchsbeeinträchtigung des verletzten Auges unter Berücksichtigung der Vorinvalidität 55,1 %
(b) Unfallbedingte Schädigung beider Sinnesorgane ohne völlige Erblindung oder 16 Taubheit. Fraglich ist die Invaliditätsbewertung, wenn beide Augen oder Ohren unfallbedingt geschädigt sind, ohne dass völlige Blindheit oder Taubheit eingetreten ist. Auch dieser Fall ist in der Gliedertaxe nicht explizit geregelt.43 Die Praxis wendet – unter Billigung des BGH 44 – die vorstehend (Rn. 15) beschriebene BGH-Rechtsprechung analog an.45 Hat ein Unfall eine Teilschädigung beider Augen oder Ohren zur Folge, so wird einerseits nicht von dem Gliedertaxwert für den gänzlichen Verlust beider Augen (100 %) oder des Gehörs auf beiden Ohren (60 %) mit anteiliger Rückrechnung eventuell bestehender Vorinvalidität ausgegangen.46 Andererseits wird aber auch nicht der Gliedertaxwert für den Verlust eines Auges (30 %) oder des Gehörs auf einem Ohr (15 %) zugrunde gelegt. Vielmehr wird der anteilige Normalsatz für den Verlust eines Auges (max. 30 %) oder des Gehörs auf einem Ohr (max. 15 %) mit dem anteilig erhöhten Satz für das andere Organ (max. 70 bzw. 45 %) – unter Berücksichtigung der Mitschädigung des anderen Organs – addiert.47 Damit ergibt sich folgende Formel:
+
=
43
44 45
Invaliditätsgrad linkes Organ = Gliedertaxwert Auge bzw. Ohr (30 bzw. 15 %) * Bruchteil der unfallbedingten Gebrauchsbeeinträchtigung des linken Organs Invaliditätsgrad rechtes Organ = Erhöhter Gliedertaxwert Auge bzw. Ohr [70 bzw. 45 %] – (verbleibende Gebrauchsfähigkeit linkes Organ * Differenzwert i.H.v. 40 bzw. 30 % [= Differenz aus 70 und 30 % bzw. 45 und 15 %]) = Zwischensumme * Bruchteil der unfallbedingten Gebrauchsbeeinträchtigung des rechten Organs Invaliditätsgrad
BGH 24.1.1996 VersR 1996 493 = RuS 1996 157; BGH 8.7.1987 VersR 1987 930, 931 = VerBAV 1988 38, 39; LG Münster 2.12.1987 VersR 1988 1293. BGH 8.7.1987 VersR 1987 930, 931. S.a. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 24a und 25.
46
47
So noch Grewing Entstehungsgeschichte S. 40; ferner Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 493. BGH 24.1.1996 VersR 1996 493.
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I.E. führt dies dazu, dass die Worte „vor Eintritt des Versicherungsfalls“ in der Gliedertaxe für die Definition des vorgeschädigten Organs außer Betracht bleiben.48 Folgende Konstellationen lassen sich unterscheiden: • Der Unfall führt zu einem vollständigen Verlust bzw. zur vollständigen Gebrauchsunfähigkeit des Auges oder des Gehörs auf einem Ohr und zu einer Beeinträchtigung der Sehkraft auf dem anderen Auge bzw. des Gehörs auf dem anderen Ohr. Beispiele: – Der Unfall hat den Verlust des ersten (nicht vorgeschädigten) Auges und die hälftige Gebrauchsbeeinträchtigung des zweiten (nicht vorgeschädigten) Auges zur Folge. Der Invaliditätsgrad i.H.v. von 30 % für das erste Auge ist mit einem Invaliditätsgrad i.H.v. 35 % für das zweite Auge (1/2 * 70 %) auf insgesamt 65 % zu addieren.49 – Die Sehkraft der versicherten Person betrug vor dem Unfall auf beiden Augen 80 % (8/10). Nach dem Unfall ist das rechte Auge erblindet und die Sehkraft des linken Auges um weitere 3/10 auf 50 % (1/2 Augenwert) reduziert. Die Invalidität ist insgesamt mit 49 % zu bemessen. Dies ergibt sich aus Folgendem: Der Invaliditätsgrad beträgt für das linke Auge 9 % und folgt aus der Berechnung 30 % Gliedertaxwert * 3/10 unfallbedingte Gebrauchsbeeinträchtigung (= 15 % [30 % Gliedertaxwert * 1/2 Gebrauchsbeeinträchtigung] – Vorinvalidität i.H.v. 6 % [30 % * 8/10]). Der Augenwert für das linke Auge beträgt 40 %; denn von dem erhöhten Gliedertaxwert i.H.v. 70 % sind 20 % (= verbleibende Gebrauchsfähigkeit des linken Auges i.H.v. 1/2 * Differenzwert i.H.v. 40 %) abzuziehen. Das Ergebnis von 50 % ist mit der unfallbedingten Gebrauchsbeeinträchtigung des rechten Auges zu multiplizieren (50 % * 8/10 = 40 %; dieser Wert entspricht der Gesamtinvalidität des rechten Auges von 50 % abzüglich der Vorinvalidität des rechten Auges i.H.v. 10 % [2/10 * 50 %]). • Der Unfall führt zu beidseitigen Gebrauchsbeeinträchtigungen der Augen oder Ohren, ohne dass ein Sinnesorgan vollständig verloren geht. Beispiel:50 Das Gehör auf den (nicht vorgeschädigten) Ohren der versicherten Person ist jeweils zu 10 % unfallbedingt beeinträchtigt. Die Invalidität ist insgesamt mit 3,3 % zu bemessen. Der Invaliditätsgrad für das linke Ohr beträgt 1,5 % (15 % Ohrwert * 1/10 = 1,5 %). Für das rechte Ohr ist von einem Ohrwert i.H.v. von 1,8 % auszugehen. Er berechnet sich aus dem erhöhten Gliedertaxwert (45 %) abzüglich der verbleibenden Gebrauchsfähigkeit des rechten Ohres i.H.v. 27 % (= 30 % [Differenz aus Gliedertaxwert von 45 und 15 %] * 9/10). Das Ergebnis i.H.v. 18 % ist mit der Gebrauchsbeeinträchtigung von 1/10 zu multiplizieren, so dass sich der Wert für das rechte Ohr mit 1,8 % bemisst.
17
cc) Berechnung außerhalb der Gliedertaxe. Erst wenn sich der Invaliditätsgrad der versicherten Person nicht nach der Gliedertaxe (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 AUB 61) bestimmen lässt, kommt es auf eine Bewertung nach allgemeinen Regeln an („Soweit“; Rn. 180). § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 knüpft dabei an andere Kriterien als Ziff. 2.1.2.2.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94) an. Auf Grundlage der AUB 61 ist darauf abzustellen, ob und inwieweit die versicherte Person imstande ist, eine Tätigkeit auszuüben, die ihren Kräften und Fähigkeiten entspricht und die ihr unter billiger Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres bisherigen Berufs zugemutet werden kann. Mit dieser Formulierung soll sichergestellt werden, dass als Maßstab für den Grad der Arbeitsunfähigkeit nur Tätigkeiten der versicherten Person herangezogen werden, die ihrem sozialen Umfeld entsprechen.51 I.E. ist zunächst die verbliebene „Restarbeitsfähigkeit“
48
49 50
BGH 8.7.1987 VersR 1987 930, 932; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 4. BGH 24.1.1996 VersR 1996 493. BGH 8.7.1987 VersR 1987 930 f.; weiteres
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51
Beispiel aus der Rechtsprechung bei LG Münster 2.12.1987 VersR 1988 1293; ferner Gramberg S. 2/113; Lehmann/ Ludolph 2 S. 54 Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 5 und 29.
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Invaliditätsleistung
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der versicherten Person festzustellen und anschließend zur Ermittlung des Invaliditätsgrades ins Verhältnis mit der „vollen“ unbeeinträchtigten Arbeitskraft zu setzen.52 Aufgrund der dabei zu beachtenden zahlreichen und inhaltlich nicht leicht auszufüllenden, mit Wertungen behafteten Variablen hat die Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 der Praxis – insbesondere dem medizinischen Sachbearbeiter – erhebliche Schwierigkeiten bereitet.53 (1) Tätigkeit. Der Begriff „Tätigkeit“ in § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 ist neutral gehalten. 18 Er ist im Kontext zur Definition der Arbeitsfähigkeit zu sehen (Rn. 6 ff.). „Tätigkeit“ umschreibt mithin nicht die Arbeit im arbeitsrechtlichen Sinne, d.h. die Fähigkeit zur Erwerbs- oder Berufstätigkeit, sondern die Arbeit als Fähigkeit zur körperlichen und geistigen Leistung, und zwar unabhängig davon, in welchem Lebensbereich sie anfällt. Unerheblich ist damit, ob die Tätigkeit im beruflichen oder außerberuflichen Bereich bzw. in der Kindheit, in der Blüte des Lebens oder im Alter zu verrichten ist.54 Käme es dagegen auf die „Berufs- oder Erwerbstätigkeit“ an, so entstünden Versicherungslücken bei Kindern, Hausfrauen 55 oder aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen älteren Menschen. Auch wenn diese Personengruppen keiner Tätigkeit im arbeitsrechtlichen Sinne nachgehen, können sie heute regelmäßig ohne Altersgrenze Unfallversicherungsschutz vereinbaren (Rn. 40) (2) Kräfte und Fähigkeiten. Die Invalidität ist zunächst daran zu messen, inwieweit 19 die versicherte Person eine Tätigkeit ausüben kann, die ihren Kräften und Fähigkeiten entspricht. Durch diese Merkmale soll verhindert werden, dass die Restarbeitsfähigkeit an einem Verweisungsberuf gemessen wird, der die versicherte Person in physischer oder psychischer Hinsicht über- oder unterfordern würde.56 • Mit dem (nicht weiter umschriebenen oder durch Adjektive inhaltlich eingeschränkten) Wort „Kräften“ sind sowohl körperliche als auch geistige Kräfte gemeint. Dazu zählen nach allgemeinem Sprachverständnis auch (noch) Ausdauer und Konzentrationsvermögen.57 • Das Wort „Fähigkeit“ ist weit gefasst und umschließt die Begabung, das Vermögen oder Imstandesein etwas zu tun, zu können oder zu sein.58 Dagegen darf „Fähigkeit“ nicht mit „Ausbildung“ oder dem „bisherigen Beruf“ gleichgesetzt werden.59 Auf diese einengenden Begriffe kommt es nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 („und“) erst im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung an.
(3) Zumutbarkeit. Die Bestimmung des Invaliditätsgrades ist weiterhin davon abhän- 20 gig, ob die versicherte Person eine Tätigkeit ausüben kann, die ihr unter billiger, d.h. angemessener Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres bisherigen Berufs zugemutet werden kann. Die Frage nach der Zumutbarkeit zielt auf den sozialen Stand der versicherten Person ab.60 Es soll gewährleistet werden, dass nur solche Tätigkeiten in Betracht gezogen werden, die keine nennenswerte Verschlechterung ihrer Lebensstellung bedeuten.61 Bei der – rein objektiv-medizinischen – Beurteilung sollte zwischen Erwerbs-
52 53 54 55 56
Conradi S. 127, 128; Lehmann VW 1987 1370, 1372; Reichenbach S. 122 f. Konen/Lehmann S. 42; Reichenbach S. 123. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 29. Grewing Entstehungsgeschichte S. 40. Bihr VW 1993 264.
57 58 59 60 61
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 30. Reichenbach S. 123; ferner Conradi S. 127, 129; Lehmann VW 1987 1370, 1371. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 30. Bihr VW 1993 264. Lehmann VW 1987 1370, 1372.
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Unfallversicherung
tätigen und nichterwerbstätigen Personen unterschieden werden. Lässt sich die Einsatzfähigkeit der versicherten Person (teilweise) durch die wiederholte und andauernde Einnahme von Medikamenten wiederherstellen, so müssen die eventuellen Nachteile dieser Behandlung sowie die Gefahren möglicher Spätschäden im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung berücksichtigt werden.62
21
(a) Medizinischer Beurteilungsmaßstab. Umstritten ist, welcher Bewertungsmaßstab zugrunde zu legen ist. So könnte in die Prüfung einzubeziehen sein, • ob die versicherte Person überhaupt eine berufliche Tätigkeit ausübt, • welche berufliche Tätigkeit die versicherte Person konkret ausübt, • wie sich die Beeinträchtigung der Gesundheit auf den von der versicherten Person gelernten oder ausgeübten Beruf und verwandte Berufe auswirkt, • ob die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person auf dem Arbeitsmarkt noch verwertbar ist bzw. realistische Erwerbsmöglichkeiten für die versicherte Person bestehen, • ob die versicherte Person arbeitswillig bzw. bereit ist, eine Tätigkeit auszuüben oder ihre Restarbeitsfähigkeit einzusetzen.
Während eine Auffassung allein darauf abstellt, ob die Fähigkeit der versicherten Person zur Arbeitsleistung – gemessen an ihrem sozialen Umfeld – abstrakt und nach rein objektiv medizinischen Gesichtspunkten gemindert ist,63 geht vornehmlich die (z.T. heftig kritisierte) 64 Rechtsprechung – auch des BGH – auf die individuellen Berufs- und Erwerbsverhältnisse der versicherten Person unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt ein.65 Allerdings dürfe dies nicht dazu verleiten, Vollinvalidität schon dann anzunehmen, wenn eine versicherte Person mit einer nicht sehr schweren Behinderung etwa in Zeiten großer Arbeitslosigkeit keinen ihren Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz finden könne.66 Die letztgenannte Auffassung ist abzulehnen. Die Notwendigkeit, bei der Invaliditätsbemessung neben rein medizinischen auch weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wird ein verständiger VN, auf dessen Verständnis der Klausel es maßgeblich ankommt (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57), weder aus dem Wortlaut von § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB noch aus dem systematischen Zusammenhang oder dem erkennbaren Regelungsziel dieser Klausel herleiten. Die Formulierung des § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB gibt für eine Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage keinen Anhaltspunkt.67 Der Lebenssprachgebrauch fasst unter „Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit“ eher eine Leistungsminderung unter medizinisch-funktionellen als unter allgemein wirtschaftlichen Aspekten.68 Das Abstellen auf die konkreten Arbeitsmarktverhältnisse widerspricht vielmehr dem Wesen der privaten Unfallversicherung.69 Es hat nicht nur zur Folge, dass der Schadenaufwand der VR z.B. aufgrund der Teilzeitfeindlichkeit
62 63
64 65
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 5. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 5 und 31 ff.; Lehmann VW 1987 1370, 1372; Wagner VersR 1985 1017 ff.; Wüstney § 6 Anm. 1 S. 33; wohl auch OLG Hamm 9.6.1999 VersR 2000 43, 45 = NVersZ 1999 566, 567. S. u.a. Martin VersR 1984 1107, 1113 und 1114. So u.a. OLG Karlsruhe 21.10.2004 DAR 2005 29, 30; OLG Karlsruhe 1.2.1990 VersR 1990 773, 774; Prölss/Martin/Knappmann 27
560
66 67 68 69
§ 8 AUB 61 Rn. 5; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 155 und 194; beiläufig auch OLG Köln 27.10.1988 RuS 1989 100. BGH 4.4.1984 VersR 1984 576, 577; ferner OLG Nürnberg 18.9.1986 RuS 1989 272. Insofern auch Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 5. Bihr VW 1993 264. Konen/Lehmann S. 43; s.a. Lehmann/ Ludolph 2 S. 63.
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Invaliditätsleistung
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des Arbeitsmarktes steigt,70 sondern führt – was für die juristische Bewertung entscheidender ist – auch dazu, dass die Grundsätze der abstrakten Bedarfsdeckung (Summenversicherungsprinzip) zugunsten der konkreten Schadenermittlung der Sozialen Unfallversicherung verwischt 71 und der Gedanke der Gefahrengemeinschaft vernachlässigt sowie die gleichmäßige Behandlung der Versicherten und die Prämiengerechtigkeit gefährdet werden.72 Stattdessen erhalten sachlich nicht gerechtfertigte Zufälligkeiten Einfluss auf die Höhe der Invaliditätsleistung: • Bestimmte Gesundheitsschädigungen, die die Vermittelbarkeit der versicherten Person auf dem Arbeitsmarkt stark reduzieren, können gegenüber anderen Unfallfolgen ein höheres Gewicht erlangen, obwohl diese unter medizinischen Gesichtspunkten gleichschwer oder noch schwerer wiegen. So kann z.B. für eine versicherte Person, deren Beruf durch persönliche Kontakte mit anderen Menschen geprägt ist (Schauspieler, Verkäufer, Makler, Versicherungsvermittler usw.), der Arbeitsmarkt aufgrund einer Narbenbildung im Gesicht verschlossen sein, während dies nicht der Fall ist, wenn eine u.U. noch gravierendere Narbenbildung unter der Berufskleidung etwa im Brust- oder Rückenbereich gegeben ist. Weiterhin wird es einem VN nicht eingängig sein, dass etwa die Invalidität infolge einer Entstellung für eine im Außendienst tätige versicherte Person anders bewertet wird als für eine versicherte Person, die z.B. einen Heimarbeitsplatz hat oder für ein Callcenter tätig ist. • Es werden die versicherte Person ohne sachliche Rechtfertigung besser gestellt, die eine Entschädigung nach den Bewertungsgrundsätzen des § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 und nicht nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61 (Gliedertaxe) erhalten.73 Während bei den einen sozialversicherungsrechtliche Erwägungen berücksichtigt werden und zu einem Zuschlag führen, findet bei den anderen eine rein objektiv-medizinische Beurteilung statt (Rn. 7), ohne dass es bei ihnen auf die (fehlende) Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt ankommt.74 Für Letztere sieht die Gliedertaxe eine Invalidität von 100 % z.B. nur bei Verlust beider Augen, beider Arme oder Beine vor. • Die Höhe der Versicherungsleistung wird abhängig von regionalen Unterschieden.75
Weiterhin hat die Einbeziehung außermedizinischer Tatbestände in die Invaliditätsbewertung zur Folge, dass sie in der Praxis nur schwer handhabbar ist, zu Rechtsunsicherheiten führt und damit die Leistungsregulierung verzögert.76 Unklar ist darüber hinaus, wie die Arbeitsmarktsituation bei nicht erwerbsfähigen Personen (z.B. Rentnern, Kindern oder Hausfrauen) berücksichtigt werden soll.77 (b) Erwerbstätige. Bei versicherten Personen, die dem Erwerbsleben angehören, kann 22 nicht allein darauf abgestellt werden, ob die versicherte Person ihren bisherigen Beruf noch ausüben kann. Anderenfalls müsste immer dann Vollinvalidität angenommen werden, wenn die versicherte Person zwar ihren früheren Beruf nicht mehr ausüben, jedoch in vergleichbaren Berufen noch Nennenswertes leisten könnte. Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung ist deshalb als eine Art „Gedankenexperiment“ 78 zu untersuchen, ob die versicherte Person auf einen Ersatzberuf verwiesen werden kann.79 Dabei sind die Ausbildung der versicherten Person, ihr beruflicher Werdegang und ihr zuletzt ausgeübter Beruf unter Billigkeitsgesichtspunkten angemessen zu berücksichtigen. Sozialver-
70 71 72 73 74 75
Näher Bihr VW 1993 264, 265. Lehmann VW 1987 1370, 1372; Wagner VersR 1985 1017 und 1018. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 33; ders. VW 1988 132, 134 f.; ferner Conradi S. 127, 129. Wagner VersR 1985 1017. Lehmann VW 1987 1370, 1372. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 33.
76 77 78 79
Lehmann VW 1987 1370, 1372. Bihr VW 1993 264; Wagner VersR 1985 1017, 1019 und 1020. Bihr VW 1993 264. OLG Karlsruhe 1.2.1990 VersR 1990 773, 774; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 194.
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sicherungsrechtliche Grundsätze finden nur dann Beachtung, wenn sie nicht dem System der privaten Unfallversicherung widersprechen.80 Ansonsten sind beide Bereiche strikt voneinander zu trennen (Vorbem. § 178 Rn. 55 ff. und § 180 Rn. 6). Nicht berücksichtigungsfähig ist ein früher erlernter, aber seit Jahren nicht mehr aus23 geübter Beruf, wenn die versicherte Person wegen fehlender Praxis als berufsfremd beurteilt werden muss.81 Weiterhin ist es bei Langzeitarbeitslosen fraglich, ob der ehemals ausgeübte Beruf noch berücksichtigungsfähig und auf welchen sozialen Stand abzuheben ist. Eine sehr lange Arbeitslosigkeit kann nicht nur zu Verlust an fachlichem know how führen, sondern auch mit einem sozialen Abstieg einhergehen.82 Die Berufe werden abstrakt anhand ihren Anforderungen und ihrer gesellschaftlichen 24 Wertung miteinander verglichen.83 Ein Ersatzberuf ist dann zulässig, wenn er zu keiner sozialen Schlechterstellung führt.84 Unerheblich ist, ob die versicherte Person • aufgrund der Beschäftigungslage einen anderen Beruf ergreifen könnte; • einen weniger qualifizierten Beruf, der höhere Verdienstmöglichkeiten eröffnet, ausüben könnte; • einen anderen Beruf aus persönlichen Gründen ausschlagen müsste (z.B. weil der berufstätige Partner bei einem Wohnortwechsel seine Stellung verlieren würde).85
25
(c) Nicht Erwerbstätige. Bei versicherten Personen, die keinen Beruf erlernt haben oder nicht berufs- bzw. erwerbstätig im arbeitsrechtlichen Sinne sind (Hausfrauen, Kinder, Rentner usw.), kann die Zumutbarkeit nicht (ohne weiteres) durch die Prüfung einer Verweisungsmöglichkeit auf einen Ersatzberuf gelöst werden. Überwiegend wird daraus die Konsequenz gezogen, dass für nicht berufstätige versicherte Personen ein ihrer Ausbildung entsprechender Beruf fingiert werden müsse.86 Diese Auffassung ist indes abzulehnen. Ihr steht entgegen, dass die Fiktion eines Berufs dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 nicht entnommen werden kann.87 Sie führt weiterhin dazu, dass insbesondere bei Kindern die Schätzung mangels greifbarer Grundlagen in den Grenzbereich der Spekulation gerät.88 Über die berufliche Entwicklung von Kindern und ihr späteres soziales Umfeld können noch keine Aussagen getroffen werden, da ihre individuellen Kräfte und Fähigkeiten noch nicht ausgereift sind. Allenfalls Schulwahl und Berufs- oder Studienpläne können einen Anhaltspunkt bieten.89 Vielmehr kann rein denklogisch eine versicherte Person, die keinen Beruf hat, nicht – auch nicht fiktiv (hypothetisch) – an einem konkreten Beruf gemessen werden, da es an den notwendigen Vergleichsparametern fehlt. Vorzugswürdig ist es deshalb, andere Tätigkeiten zur Prüfung der Zumutbarkeit heranzuziehen, die dem bisherigen sozialen Stand der versicherten Person entsprechen und keine nennenswerte Verschlechterung ihrer Lebensstellung bedeuten. Hier
80 81
82 83 84 85 86
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 34. OLG Celle 5.5.1959 VersR 1959 784; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 30; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308 S. 482. Bihr VW 1993 264, 265. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 5. Bihr VW 1993 264. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 5. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 61 Rn. 5; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1
562
87 88
89
Anm. G 308, S. 482; s.a. Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 194 (Es ist abzustellen „auf die allgemeine Fähigkeit zur Leistung von berufsbezogenen, d.h. von typischerweise mit der Ausübung einer körperlichen oder geistigen Arbeit verbundenen Tätigkeiten“). Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 30. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308, S. 482 f.; a.A. HUK-Verband GB BAV 1984 89 Nr. 9.2.5.1. Bihr VW 1993 264, 265.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
können Tätigkeiten wie Hausarbeit, Ausübung von Ehrenämtern, Hobby und Sport berücksichtigt werden.90 Auch kann die Erschwerung von Sozialkontakten durch körperliche Anomalien Einfluss erlangen.91 Dies entspricht der erkennbaren Zielsetzung des § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61, der dem sozialen Umfeld der versicherten Person Rechnung tragen will (Rn. 20). Letztlich gibt es jedoch keine objektiv messbare Patentlösung; der Bewertungsspielraum ist groß. dd) Gesamtinvalidität. Liegen Mehrfachverletzungen vor, so bestimmt sich die Ge- 26 samtinvalidität wie folgt: • Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61 werden die sich nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AUB ergebenden Prozentsätze zusammengerechnet. Die Addition betrifft – anders als bei den AUB 88/94/99/2008 (Rn. 242) – mithin nur die Prozentsätze, die anhand der Gliedertaxe für den (Teil-) Verlust bzw. die (teilweise) Gebrauchsunfähigkeit von Gliedmaßen oder Sinnesorganen ermittelt worden sind. Sie bezieht sich dagegen nicht auf Invaliditätsbewertungen, die außerhalb der Gliedertaxe aus einer Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 resultieren.92 Die Höchstgrenze für die Summe der nach der Gliedertaxe ermittelten Invaliditätsgrade beträgt 100 %. Sie ergibt sich aus der Definition der Ganzinvalidität als vollständige dauernde Arbeitsunfähigkeit; eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als 100 % ist nicht möglich.93 • Nicht ganz eindeutig ist in den AUB 61 der Fall geregelt, dass Unfallfolgen nicht nur anhand der Gliedertaxe gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 AUB 61, sondern anhand § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB außerhalb der Gliedertaxe zu bewerten sind. Bei solchen Sachverhalten hat der (Haupt-)Gutachter einen Gesamtinvaliditätsgrad zu schätzen; er darf die jeweiligen Invaliditätsgrade nicht einfach addieren.94 Dies gilt etwa für den Fall, in dem die versicherte Person gleichzeitig eine Hirn- und Wirbelsäulenschädigung erlitten hat. Der Gutachter muss für die Dauerschäden auf neurologischem und orthopädischem Fachgebiet eine Gesamtbeurteilung vornehmen.95 Die Höchstgrenze beträgt auch hier 100 %, da bei jedem Versicherungsfall nicht mehr als die volle Versicherungssumme anfallen kann.96 • Die AUB 61 regeln ebenfalls nicht eindeutig den Fall, dass ein Unfallereignis mehrere von einander unabhängige Verletzungen zur Folge hat, von denen eine oder mehrere die Voraussetzungen der Gliedertaxe erfüllen, andere dagegen nicht. Hier sind die Invaliditätsgrade – i.E. wie bei den AUB 88/94/99/2008 – nach § 8 Abs. 2 bis 4 AUB 61 und nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 6 bis zu einer Höchstgrenze von 100% zu addieren.97 Nach anderer Auffassung ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen.98
ee) Vorinvalidität. Die konkret durch den Unfall verursachte Invalidität, für die der 27 VR letztlich zu leisten hat, ergibt sich (vorbehaltlich § 10 Nr. 1 AUB 61) aus der Differenz der nach dem Unfall eingetretenen Gesamtinvalidität zu dem Anteil der bereits vor dem Versicherungsfall vorhandenen Invalidität (§ 10 Nr. 4 S. 1 AUB 61). Damit ergibt sich – insofern genauso wie bei den AUB 88/94/99/2008 (Rn. 235 ff.) – folgendes Gundschema:
90 91 92 93 94 95
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 30. OLG Hamm 9.6.1999 VersR 2000 43, 46 = NVersZ 1999 566, 567. Konen/Lehmann S. 44; Reichenbach S. 125 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 493. Lehmann/Ludolph 2 S. 77; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 195. Konen/Lehmann S. 44.
96
97
98
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 493; s.a. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 30. BGH 15.12.1999 VersR 2000 444 f.; Füssel VA 1951 42, 43; Lehmann/Ludolph 2 S. 77 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 493. OLG Saarbrücken Urteil vom 1.10.2007 – 5 U 85/07.
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563
AUB 2008 Ziff. 2.1 – =
Unfallversicherung
Gesamtinvalidität nach dem Unfall Vorinvalidität (Invalidität vor dem Unfall) Unfallbedingte Invalidität (entschädigungspflichtige Invalidität in Prozent der Versicherungssumme).99
Bei den AUB 61 sind indes im Vergleich zu den AUB 88/94/99/2008 folgende Besonderheiten zu beachten:
28
(1) Berechnung der Gesamt- und Vorinvalidität. Bei der Ermittlung der Gesamt- und der Vorinvalidität sind dem Bedingungswortlaut entsprechend alle die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigenden Umstände (unabhängig von ihrer Ursache) 100 einzubeziehen, und zwar selbst dann, wenn sie sich in ganz anderen als den vom Unfall betroffenen Körperregionen auswirken.101 Für die Berechnung der Gesamtinvalidität und der Vorinvalidität gelten dabei im Grundsatz die in § 8 Abs. 2 AUB 61 genannten – und vorstehend beschriebenen (Rn. 10 ff.) – Regelungen entsprechend (§ 10 Nr. 4 S. 2 AUB 61). Gesamtund Vorinvalidität sind folglich anhand oder (nachrangig) außerhalb der Gliedertaxe nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 und 3 bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 zu ermitteln, wobei Mehrfachverletzungen ggf. bis zu einer Obergrenze von 100 % zu addieren sind (§ 8 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61). Anders als bei den AUB 88/94/99/2008 (Rn. 240) bleiben altersentsprechende Abnützungs- und Verschleißerscheinungen usw. sowie eine dadurch möglicherweise bedingte Vorinvalidität im Rahmen des § 10 Nr. 4 S. 1 AUB 61 außer Betracht.102 Dies liegt daran, dass die Klausel auf „Krankheiten und Gebrechen“ abstellt, die die versicherte Person schon vor dem Unfall in ihrer Arbeitsfähigkeit behindert haben. Altersgemäße Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen stellen aber keine Krankheiten und Gebrechen dar (§ 182 Rn. 7). Darüber hinaus ist zu beachten, dass die in Abzug zu bringenden Krankheiten und Gebrechen der versicherten Person nach § 10 Nr. 4 S. 1 AUB 61 „dauerhaft“ sein müssen. Krankheits- oder verletzungsbedingte (vorübergehende) Funktionsstörungen stellen folglich keine Vorinvalidität i.S.d. § 10 Nr. 4 AUB 61 dar.103 Sie können nur nach § 10 Nr. 1 AUB 61 berücksichtigt werden (vgl. Rn. 238).
29
(2) Differenz zwischen der Gesamt- und Vorinvalidität. Die uneingeschränkte Berechnung der Grund- und Vorinvalidität entsprechend § 8 Abs. 2 AUB 61 kann durch die Deckelung auf 100 % zu unbilligen Ergebnissen führen, wie das folgende Beispiel zeigt: Die einarmige versicherte Person verliert bei einem Unfall beide Beine. Die Anwendung der Grundregel hätte zur Folge, dass die versicherte Person keine Invaliditätsleistung i.H.v. 100 % der Versicherungssumme erhalten würde.
– =
Gesamtinvalidität nach dem Unfall i.H.v. 100 % (2 * Beinwert i.H.v. 60 % + Armwert i.H.v. 70 % = 190 % Gesamtinvalidität gekappt bei der Höchstgrenze von 100 %) Vorinvalidität i.H.v. 70 % (Armwert) 30 % unfallbedingte Invalidität.
Um solche Härten zu vermeiden,104 eröffnet § 10 Nr. 4 S. 2 AUB 61 die Möglichkeit, für den aus Vorinvalidität und Unfallfolgen resultierenden Grad der Gesamtinvalidität ggf. mehr als 100 % anzunehmen, sofern der Unfall Körperteile oder Sinnesorgane betrifft, die nicht schon vor dem Unfall beschädigt waren. Die Formulierung „Körperteile
99
100 101
Konen/Lehmann S. 44; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 310 S. 494; s.a. BGH 24.2.1988 VersR 1988 461. Lehmann/Ludolph 2 S. 80. Konen/Lehmann S. 44.
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102 103 104
Reichenbach S. 126 f. Reichenbach S. 127. Konen/Lehmann S. 44; s.a. Lehmann/ Ludolph 2 S. 80.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
oder Sinnesorgane“ ist dabei nicht auf die in der Gliedertaxe genannten Glieder oder Sinnesorgane zu reduzieren.105 Dies ergibt sich zum einen daraus, dass § 10 Nr. 4 AUB 61 uneingeschränkt auf § 8 Abs. 2 AUB 61 und nicht etwa nur auf § 8 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 AUB 61 verweist. Zum anderen könnte eine einengende Sichtweise zu unangemessenen bzw. sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligungen bestimmter Personengruppen führen.106 Die Anwendung des – nicht nur für den VN, sondern auch für Mediziner und Leistungsregulierer schwer verständlichen107 – § 10 Nr. 4 S. 2 AUB 61 wirkt sich wie folgt aus: Verschlimmert der Unfall Verletzungen an Körperteilen oder Sinnesorganen, die schon 30 vorgeschädigt waren, so kann der Grad der Gesamtinvalidität 100 % nicht übersteigen. Beispiele: • Die versicherte Person hat vor dem Unfall bereits eine Hand und einen Daumen der anderen Hand verloren (Vorinvalidität gemäß Gliedertaxwerten: 55 % + 20 % = 75 %). Der Unfall führt zu einem Verlust beider Arme, so dass rein rechnerisch 140 % Gesamtinvalidität anzunehmen wäre (2 * 70 % Gliedertaxwert). Es greift indes § 8 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61 ein, so dass die Gesamtinvalidität mit 100 % zu bemessen ist. Damit ergibt sich folgende Berechnung: Gesamtinvalidität i.H.v. 100 % – Vorinvalidität i.H.v. 75 % = Entschädigungspflichtige Invalidität i.H.v. 25 % der Versicherungssumme. • Der querschnittsgelähmten versicherten Person muss unfallbedingt ein bereits bei Vertragsschluss vollständig gelähmtes Bein amputiert werden. Der VR hat den Verlust der Stützfunktion des Beines mit 1/10 Gebrauchswert bemessen und 7 % der Invaliditätssumme (1/10 von 70 % Beinwert) gezahlt. Ein weitergehender Anspruch des VN (Zahlung i.H.v. 70 % der Invaliditätssumme) besteht nicht, da der Unfall keine Körperteile beeinträchtigt hat, die nicht schon vorgeschädigt waren.108 Bei konsequenter Anwendung von § 10 Nr. 4 AUB 61 wäre sogar die Ablehnung jeglicher Invaliditätszahlungen gerechtfertigt, wenn unterstellt wird, dass die vor dem Unfall bestehende Querschnittslähmung eine Vorinvalidität i.H.v. 100 % und die vollständige Gebrauchsfähigkeit der Beine nach sich gezogen hat. Der VN kann dann nur Leistungen beanspruchen, wenn der Unfall nicht schon vorgeschädigte Körperteile (z.B. den Arm oder die Hand) betrifft (Rn. 32).
Eine Abweichung von den vorstehenden Grundsätzen kommt unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nur ausnahmsweise in Betracht. Voraussetzung dafür, die Gesamtinvalidität mit über 100 % zu bemessen, obwohl der Unfall nur vorgeschädigte Körperteile und Sinnesorgane betroffen hat, ist, dass der VR einen entsprechenden Vertrauenstatbestand begründet hat. Dies kann etwa anzunehmen sein, wenn der Versicherungsvertrag bei strikter Anwendung des § 10 Nr. 4 AUB 61 für den VN wirtschaftlich sinnlos ist sowie der VR den Vertrag mit dem VN in Kenntnis des Vorinvaliditätsgrades und des dadurch geminderten Werts des Versicherungsschutzes für die versicherte Person abgeschlossen hat. Im Beispiel der querschnittsgelähmten versicherten Person, der unfallbedingt ein Bein amputiert werden muss, würde sich dann folgende Berechnung ergeben: – =
105 106 107
Gesamtinvalidität i.H.v. 170 % (100 % für Querschnittslähmung + 70 % Beinwert). Vorinvalidität i.H.v. 100 % (Querschnittslähmung) Entschädigungspflichtige Invalidität i.H.v. 70 % der Versicherungssumme.
So aber Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 310 S. 496. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 39. Lehmann/Ludolph 2 S. 80; Bruck/Möller/
108
Wagner 8 Bd. VI 1 Bd. VI 1 Anm. G 310 S. 494; Werner S. 153, 154 f. LG Köln 29.5.1985 RuS 1986 191.
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AUB 2008 Ziff. 2.1 31
Unfallversicherung
Betrifft der Unfall Körperteile oder Sinnesorgane, die nicht schon vorgeschädigt waren, so kann die Gesamtinvalidität mit einem Prozentsatz von über 100 % zu bemessen sein. Beispiele: • Eine versicherte Person, die aufgrund eines Armverlusts 70 % invalide war, erleidet einen Unfall, bei dem sie ein Bein verliert. Dieser Verlust ist nach der Gliedertaxe mit 70 % zu bewerten. Da die versicherte Person „an sich“ nur mit 100 % invalide sein kann, könnte vertreten werden, nur 30 % der Versicherungssumme zu entschädigen. Um dieses unbillige Ergebnis zu verhindern, greift § 10 Nr. 4 S. 2 AUB 61 ein. Es ergibt sich folgende Berechnung: Gesamtinvalidität i.H.v. 140 % (70 % für Armverlust + 70 % für Beinverlust) – Vorinvalidität (70 % für Armverlust) = Entschädigungspflichtige Invalidität i.H.v. 70 % der Versicherungssumme.109 • Die einarmige versicherte Person (Vorinvalidität = 70 %) erleidet einen Unfall, der zu einer Verletzung der Wirbelsäule, die mit 50 % Invalidität zu bewerten ist, sowie zu einem Verlust der Hand mit einem Gliedertaxwert von 55 % führt. Die Berechnung lautet: Gesamtinvalidität i.H.v. 175 % (Beinwert i.H.v. 70 % + Wirbelsäulenwert i.H.v. 50 % + Handwert i.H.v. 55 %) – Vorinvalidität i.H.v. 55 % Armwert = 120 %, wovon allerdings nur 100 % der Invaliditätssumme als Höchstwert zu entschädigen sind.110
32
§ 10 Nr. 4 AUB 61 sieht keine ausdrückliche Lösung für den Fall vor, dass der Unfall neben gesunden Körperteilen oder Sinnesorganen auch zu Beeinträchtigungen bei vorgeschädigten Körperteilen oder Sinnesorganen führt. Insbesondere sagt § 10 Nr. 4 S. 2 AUB 61 weder ausdrücklich „dass … ein höherer Grad der Gesamtinvalidität als 100 % nur anzunehmen ist, sofern der Unfall ausschließlich Körperteile … betrifft, die nicht, auch nicht nur geringfügig, schon vor diesem Unfall beschädigt waren“ noch formuliert die Regelung „dass … ein höherer Grad der Gesamtinvalidität als 100 % anzunehmen ist, sofern der Unfall auch Körperteile … betrifft, die nicht schon vor diesem Unfall vollständig beschädigt waren“. Nach dem Sinn und Zweck des § 10 Nr. 4 S. 2 AUB 61, unbillige Ergebnisse zu vermeiden (Rn. 29), sollte hier grundsätzlich ebenfalls eine Erhöhung der Gesamtinvalidität angenommen werden. Verschiedene Deutungsmöglichkeiten gehen zu Lasten des VR.111 Beispiel: Die versicherte Person ist infolge einer Funktionsbeeinträchtigung des Beines mit einem Invaliditätsgrad von 45 % vorgeschädigt und erleidet infolge eines Unfalls eine mit 100 % zu bewertende Querschnittslähmung. Die Lähmung betrifft mithin sowohl das schon vor dem Unfall beeinträchtigte Bein als auch andere (gesunde) Körperpartien. Die Invalidität ist nicht mit 65 % (100 % Gesamtinvalidität – 45 % Vorinvalidität), sondern in entsprechender Anwendung des § 10 Nr. 4 S. 2 AUB 61 mit 100 % zu bestimmen: – =
33
Gesamtinvalidität i.H.v. 145 % (100 % Querschnittslähmung + 45 % Beinwert) Vorinvalidität i.H.v. 45 % (Beinwert) Entschädigungspflichtige Invalidität i.H.v. 100 % der Versicherungssumme.112
ff) Tod der versicherten Person. § 8 Abs. 2 Nr. 6 AUB 61 sieht für den unfallbedingten Tod der versicherten Person innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eine mit Ziff. 2.1.1.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88/94) vergleichbare Regelung vor. Ein Anspruch
109 110
Grewing Entstehungsgeschichte S. 46 f.; ferner Werner S. 153, 155. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 39; a.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 310 S. 496.
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111 112
GB BAV 1981 94 Nr. 814. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 39.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
auf Invaliditätsleistung besteht in diesem Fall nicht (Rn. 172 f.). Stirbt die versicherte Person nach Ablauf des auf den Unfall folgenden Jahres, so ähnelt der Regelungsinhalt des § 13 Nr. 3b S. 3 AUB 61 dem von Ziff. 2.1.2.4 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94), d.h. der VR bleibt leistungspflichtig. Anders als in den neueren AUB-Generationen sagen die AUB 61 allerdings nichts darüber aus, wie zu verfahren ist, wenn die versicherte Person einen unfallunabhängigen Tod innerhalb eines Jahres nach dem Unfall erleidet. Nach allgemeiner Praxis haben die VR bei solchen Sachverhalten – genauso wie bei Geltung der AUB 88/94/99/2008 (Rn. 244 ff.) – aus Billigkeitsgesichtspunkten Versicherungsleistungen analog § 13 Nr. 3b AUB 61 gezahlt.113 Der Gutachter hat in solchen Fällen zunächst zu ermitteln, ob innerhalb der Jahresfrist eine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit eingetreten ist (bzw. wäre) und auf Grundlage einer prognostischen Beurteilung die dauernde Beeinträchtigung über das 3. Unfalljahr fortbestanden hätte (vgl. § 180 Rn. 17 ff.). Sind diese Fragen zu bejahen, so ist anschließend der mutmaßliche Invaliditätsgrad zu schätzen.114 c) Rentenzahlung. Die Rententabelle der AUB 61 beruhen noch auf den Sterbetafeln 34 1932/34 und legen einen Zinssatz von 3,5 % zugrunde.115 Für den Beginn der Rentenzahlung kommen gemäß § 20 Nr. 2 S. 1 und 2 AUB 61 35 drei Tatbestandsalternativen in Betracht, nämlich die Beendigung der Tagegeldzahlung, der Abschluss der ärztlichen Behandlung, sofern kein Tagegeld versichert ist, oder spätestens der Ablauf des auf den Unfall folgenden Jahres. Die ärztliche Behandlung ist i.S.v. § 20 Nr. 2 abgeschlossen, wenn entweder die Gesundheit der versicherten Person wieder voll hergestellt oder der Gesundheitszustand soweit konsolidiert ist, dass dessen Verbesserung durch eine weitere ärztliche Behandlung nicht mehr erreicht werden kann. Der Zeitraum der ärztlichen Behandlung wird einerseits nicht dadurch verlängert, dass noch Nachbehandlungen wie z.B. Massagen die verbleibenden Folgen „erträglicher“ gestalten können (Ziff. 2.3 AUB 2008 Rn. 20). Andererseits entsteht der Rentenzahlungsanspruch nicht schon deshalb, weil eine Invalidität (etwa aufgrund des endgültigen Verlustes eines Auges) vor der Beendigung der ärztlichen Behandlung zur Versorgung und Ausheilung der Wunde feststeht.116 Ziel des Regelungskonzepts in den AUB ist es, eine Zäsur zwischen den verschiedenen versicherbaren Risiken zu schaffen. Tagegeld und Invaliditätsrente sollen zeitlich aufeinander folgen, sich aber nicht überschneiden: • Für die Dauer der ärztlichen Behandlung kann eine Tagegeldversicherung vereinbart werden. • Nach Abschluss der ärztlichen Behandlung greift bei verbleibender fortdauernder Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit die Invaliditätsversicherung durch Entrichtung einer Rente ein.
Die Zäsur zwischen ärztlicher Behandlung und Entstehung des Rentenanspruchs soll auch dann gelten, wenn keine Tagegeldversicherung abgeschlossen worden ist. Hat die Rentenzahlung nach Abschluss der ärztlichen Behandlung begonnen, entfällt der Rentenanspruch nicht rückwirkend, wenn die Heilbehandlung wieder aufgenommen werden muss.117 Die Rente wird jeweils am Ersten eines Vierteljahres im Voraus gezahlt (§ 20 Nr. 2 S. 3 AUB 61). Nach § 189 Abs. 1 BGB ist unter einem Vierteljahr eine Frist von
113
114
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 33; Riebesell S. 60; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 48; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 200. Reichenbach S. 128.
115 116
117
Grewing Entstehungsgeschichte S. 67 f. OLG Frankfurt/M. 4.6.1992 NJW-RR 1993 217, 218; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 14 AUB 94 Rn. 3. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 14 AUB 94 Rn. 3; Wussow/Pürckhauer 6 § 14 Rn. 5.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
drei Monaten und nicht etwa ein Kalendervierteljahr zu verstehen.118 Die Rente wird bis zum Ende des Vierteljahres gezahlt, in dem die versicherte Person stirbt (§ 20 Nr. 2 S. 3 AUB 61). § 20 Nr. 3 AUB 61 AUB 61 sieht sowohl für den VN als auch den VR das Recht vor, 36 während der auf die erstmalige Festsetzung (§§ 11 und 12 AUB 61) folgenden drei Jahre (jeweils nach Ablauf eines Jahres) eine Änderung der Rente zu verlangen. Dieses Neubemessungsrecht entspricht weitgehend § 13 Nr. 3a AUB 61. § 20 Nr. 3 AUB 61 geht jedoch § 13 Nr. 3a AUB 61 als Spezialvorschrift vor.119 Führt die Neubemessung zu einer veränderten Rentenleistung, so verbleibt es nach umstrittener Auffassung bei den bis dahin bewirkten Zahlungen. Weder hat der VN im Fall einer höheren Invalidität ein (rückwirkendes) Nachforderungsrecht noch kann der VR bei einem geringeren Invaliditätsgrad Zahlungen zurückfordern. Vielmehr wird in der Praxis – zutreffend – die Rente in der neuen Höhe zum nächsten Fälligkeitstag gezahlt.120 Zwar findet sich anders als noch in § 20 Abs. 3 S. 2 AVBfU keine entsprechende Klarstellung in den AUB 61 (und AUB 88/94). Jedoch konnten die Bedingungsgeber auf eine entsprechende Regelung verzichten.121 Der VN wird auch ohne Zusatz in den AUB davon ausgehen, dass der jeweils ärztlich festgestellte Invaliditätsgrad maßgeblich sein soll sowie die Neubemessung Rechtsfolgen nur für die Zukunft entfalten und nicht (u.U. auch zum Nachteil der versicherten Person) abgewickelte Rentenzahlungen erfassen soll. Die Regelung in § 8 Abs. 2 Nr. 7 AUB, dass dem VN in einem Versicherungsfall die 37 Invaliditätsentschädigung in Form einer Rente gezahlt wird, wenn die versicherte Person am Unfalltag das 65. Lebensjahr vollendet hat, ist (falls sie der Inhaltskontrolle unterworfen sein sollte) nach Auffassung des LG Dortmunds nicht nach AGB-Recht unwirksam. Sie enthalte weder eine unangemessene Benachteiligung der versicherten Person noch eine Abweichung von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung noch liege eine Vertragszweckgefährdung oder ein Verstoß gegen das Transparenzgebot oder das Überraschungsverbot vor.122 2. AUB 88/94
38
Mit Schaffung der AUB 88 sollte hauptsächlich eine Neuorientierung der Invaliditätsversicherung erfolgen; aus der Unfallversicherung sollte mehr als eine „Arbeitskraftversicherung“ werden.123 Dies machte eine Änderung des Invaliditätsbegriffs notwendig. Darüber hinaus nahmen die Bedingungsgeber aber auch weitere materiell-rechtliche und sprachliche Änderungen bzw. Anpassungen bei den Bestimmungen zu den Voraussetzungen, der Höhe und Art der Leistung vor. So ist u.a. der Begriff Invaliditätsentschädigung durch den der Invaliditätsleistung ersetzt worden. Damit soll verdeutlicht werden, dass die Versicherungsleistung sich abstrakt nur an der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme und nicht konkret am tatsächlich entstandenen Schaden orientiert.124
39
a) Voraussetzungen der Leistung. Bei den Voraussetzungen für die Invaliditätsleistung ließen sich die Bedingungsgeber der AUB 88/94 insbesondere von folgenden Gedanken leiten: 118 119 120 121
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 47. Näher Wussow/Pürckhauer 6 § 14 Rn. 7 ff. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 49; a.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 14 Rn. 10. Grewing Entstehungsgeschichte S. 67 (§ 20
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122 123 124
Abs. 3 AVBfU wurde als „unnötig“ angesehen). Näher LG Dortmund 23.2.2006 NJW-RR 2007 23 f. Konen/Lehmann S. 40. Hierholzer/Scheele S. 81.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
aa) Neuer Invaliditätsbegriff. Seit Einführung der AUB 88 wird – bis heute (§ 180, 40 Ziff. 2.1.1.1 S. 1 AUB 99/2008) – unter Invalidität nicht mehr die „dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit“ (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61), sondern die „dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit“ (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 AUB 88/94) verstanden. Die Konzeption der AUB 61, die wirtschaftlichen Folgen eines Unfalls primär in dem Verlust oder der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und den damit verbundenen Einkommenseinbußen zu sehen (Rn. 6 ff.), hatte sich aus folgenden Gründen als zu engmaschig erwiesen:125 • Der Unfallversicherungsschutz erstreckt sich nicht nur auf das Arbeitsleben. Vielmehr soll er lebenslang für sämtliche Versicherungsgruppen bestehen, also sich u.a. auch auf Personen erstrecken, die noch nicht oder nicht mehr berufstätig sind (z.B. Kinder, Hausfrauen und Rentner).126 Die Unfallversicherung hat sich damit von einer Versicherung für Berufstätige zu einer „Jedermannsversicherung“ weiterentwickelt. Hinzu kommt, dass auf Grundlage der AUB 61 für nicht berufstätige Personen nach h.M. ein Beruf fingiert bzw. bedingungsfremde Kriterien herangezogen werden mussten (Rn. 25). Dies ließ sich dogmatisch und systematisch nur schwer begründen.127 • Beeinträchtigungen von Fähigkeiten, die sich nicht im Arbeitsleben auswirken, mussten bisher bei der Bemessung des Invaliditätsgrades außer Betracht bleiben. Dauerfolgen eines Unfalls wirken sich aber nicht nur im Arbeitsleben, sondern (aufgrund der fortschreitenden Tendenz zur Arbeitszeitverkürzung zunehmend) auch in der Freizeit aus.128 Im Freizeitbereich werden Beeinträchtigungen durch Unfallverletzungen mitunter noch stärker empfunden als im Berufsleben.129
Die Bedingungsgeber wollten die Schwächen der AUB 61 beseitigen sowie die AUB an 41 die geänderten Lebensverhältnisse und Anforderungen anpassen. Sie wählten daher – unter ärztlicher Beratung – einen neuen Invaliditätsbegriff, der unabhängig von einer ausgeübten Tätigkeit alle Bevölkerungs- und Altersgruppen erfasst 130 und damit über den bisherigen Invaliditätsbegriff hinausgeht.131 Ziel war es, eine Verbesserung des Unfallversicherungsschutzes für Beeinträchtigungen zu erreichen, die nicht mit dem Erwerbsleben zusammenhängen (z.B. Ausfall der Sexualfunktion, Rn. 6), ohne dabei eine Schmälerung des Leistungsniveaus für Verletzungsfolgen herbeizuführen, die Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit haben.132 In aller Regel werden körperliche oder geistige Funktionsbeeinträchtigungen auch die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person mehr oder weniger stark beeinträchtigen.133 Der neue Invaliditätsbegriff (näher dazu § 180 Rn. 5 ff.) dient als Grundlage für den Anspruch auf Kapitalleistung bzw. den Rentenanspruch für versicherte Personen, die bei Eintritt des Unfalles das 65. Lebensjahr vollendet haben. Da die Invaliditätsbemessung sich nach wie vor vorrangig an der Gliedertaxe ausrichtet, entfaltet sich die praktische Bedeutung des neuen Invaliditätsbegriffs vornehmlich erst in den Fällen, die nicht nach der Gliedertaxe bewertet werden können.134
125
126
127 128
S.a. VerBAV 1987 417; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 154. Konen/Lehmann S. 40; Lehmann VW 1987 1370; Reichenbach S. 115 und 123 f.; Riebesell S. 61; ferner Grimm 4 Vor Ziff. 1 AUB 99 Rn. 4; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 36. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 2; ders. VW 1988 132; s.a. GB BAV 1984 89 Nr. 9.2.5.1. Konen/Lehmann S. 40.
129
130 131 132 133 134
OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 959 = RuS 1996 507, 509; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 2; Lehmann VW 1987 1370; Reichenbach S. 115. Reichenbach S. 115; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 7; s.a. Krebs VW 1985 1455, 1458. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 8. Konen/Lehmann S. 43. Lehmann/Ludolph 2 S. 2. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 2; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 11.
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Unfallversicherung
42
bb) Weitere Leistungsvoraussetzungen. Bewusst beibehalten wurden in § 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94 die Fristbestimmungen in § 8 Abs. 2 Nr. 1 AUB 61. Weiterhin führt der unfallbedingte Tod der versicherten Person innerhalb eines Jahres nach dem Unfall wie bisher dazu, dass kein Anspruch auf Invaliditätsleistung besteht (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 6 S. 1 AUB 61). Auf die Beibehaltung des § 8 Abs. 2 Nr. 6 S. 2 AUB 61, der in diesem Fall die Möglichkeit zum Abzug der Invaliditätsleistung von der Todesfallleistung vorsieht, konnte verzichtet werden. Es kommt ggf. allgemeines Zivilrecht zur Anwendung (Rn. 173).
43
b) Höhe der Leistung. Für die Bemessung der Leistungshöhe gelten auf Grundlage der AUB 88/94 folgende Besonderheiten:
44
aa) Bemessung nach der Gliedertaxe. Bewusst beibehalten wurden in den AUB 88 u.a. • der Standort der Gliedertaxe vor der allgemeinen Bewertungsregel für „sonstige“ Unfallfolgen.135 • – im Grundsatz – die Prozentsätze in der Gliedertaxe. Dies war durch die Annahme gerechtfertigt, dass Funktionsdefizite an Gliedmaßen und Sinnesorganen die versicherte Person nicht nur in ihrer Arbeitsfähigkeit, sondern in gleichem Maße bei anderen Tätigkeiten des täglichen Lebens beeinträchtigen.136
Jedoch haben die Bedingungsgeber in § 7 Abs. 1 Nr. 2a AUB 88/94 die Gliedertaxe an zwei Stellen gegenüber § 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61 geändert: Nicht beibehalten wurde zum einen die Festlegung des Invaliditätsgrades „bei Verlust eines Fußes mit Erhaltung der Ferse (nach Pirogoff)“, da diese Amputationsmethode bei der Behandlung von Unfallverletzungen praktisch keine Bedeutung hat.137 Zum anderen wurde auf die BGHRechtsprechung zur Bemessung der Invalidität nach unfallbedingten Schädigungen an den Augen und des Gehörs (Ohren) reagiert. Die Vorgaben des BGH hatten bei Geltung der AUB 61 für bestimmte Fallkonstellationen einen komplizierten Berechnungsmodus notwendig gemacht (Rn. 14 ff.). Dieser wurde nicht in die AUB 88 übernommen, da er nicht knapp und verständlich als Bedingungstext zu formulieren war.138 Die Bedingungsgeber sahen deshalb – auch im Interesse einer zügigen und transparenten Leistungsabrechnung – in § 7 Abs. 1 Nr. 2a AUB 88 für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit eines Auges oder des Gehörs auf einem Ohr neue Invaliditätsgrade (50 bzw. 30 % statt bisher 30 und 15 %) 139 vor und gaben die noch in § 8 Abs. 2 Nr. 2c AUB 61 enthaltenen Formulierungen „sofern jedoch das andere Auge“ (bzw. das Gehör auf dem anderen Ohr) „vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits verloren war“ auf. Bei beidseitigen unfallbedingten Schädigungen können zukünftig die beiden Einzelwerte zur Ermittlung des Invaliditätsgrades kurzerhand addiert werden.140 In allen Fällen beidseitig unfallbedingter Schädigungen der Augen und des Gehörs führen diese Änderungen zu deutlich höheren Invaliditätsgraden als nach der alten Regelung. Das Gleiche gilt beim einseitigen Funktionsverlust oder der einseitigen Funktionsbeeinträchtigung, wenn das andere vom
135 136 137
Konen/Lehmann S. 40 f. Lehmann VW 1987 1370, 1372; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 4. Konen/Lehmann S. 41; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 21; ders. VW 1988 132, 134; krit. bereits zum Wert der Amputation nach Pirogoff Fußhoeller VW 1964 688; s.a. GB BAV 1968 81.
570
138
139 140
Konen/Lehmann S. 42; Reichenbach S. 119; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 26; ders. VW 1988 132, 134. S. dazu auch GB BAV 1987 79 Nr. 9.2.1. OLG Köln 28.7.2004 VersR 2005 679, 680 = RuS 2006 209 (dazu auch Marlow RuS 2006 397, 403); Konen/Lehmann S. 41.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfall nicht betroffene Teilorgan voll funktionstüchtig ist.141 Die Neuregelung ist jedoch im Vergleich zu den AUB 61 bei Augen- und Gehörschädigungen für den VN in den seltenen Fällen ungünstiger, in denen die Gebrauchsfähigkeit durch eine Vorschädigung um mehr als die Hälfte beeinträchtigt oder ein Auge bzw. das Gehör auf einem Ohr vor dem Unfall bereits gänzlich verloren war.142 Dem Verlust von Gliedmaßen und Sinnesorganen wurde bisher die „Gebrauchs- 45 unfähigkeit“ gleichgestellt (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61). Anstelle des in den AUB 61 verwendeten Begriffs „Gebrauchsunfähigkeit“ sprechen die neueren Bedingungswerke fortan von „Funktionsunfähigkeit“ (§ 7 Abs. 1 Nr. 2b AUB 88/94, Ziff. 2.1.2.2.1 S. 2 AUB 99/2008). Folgerichtig wird seit den AUB 88 weiterhin die in sich widersprüchliche Bezeichnung „teilweise Gebrauchsunfähigkeit“ durch „Funktionsbeeinträchtigung“ ersetzt.143 Inhaltlich Änderungen sind damit nicht verbunden; beide Begriffe sind synonym zu verstehen.144 bb) Bemessung außerhalb der Gliedertaxe. Für die Invaliditätsbemessung außerhalb 46 der Gliedertaxe sieht § 7 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94 ausdrücklich vor, dass es ausschließlich auf medizinische Gesichtspunkte ankommt. Dadurch wollten die Bedingungsgeber die Rechtsprechung zu § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 korrigieren (Rn. 21), die außermedizinische Tatbestände, nämlich das soziale Umfeld der versicherten Person, insbesondere ihren Beruf, ihre sonstigen Tätigkeiten und ihren Arbeitswillen, sowie die Verhältnisse am Arbeitsmarkt berücksichtigte.145 Insgesamt sollte die Handhabung bei der Feststellung des Invaliditätsgrades vereinfacht werden; der medizinische Gutachter braucht zukünftig nur noch das berücksichtigen, was ihm aufgrund seiner Ausbildung, seines Wissens und Könnens geläufig ist.146 Das Abstellen auf die Leistungsfähigkeit führt im Vergleich zu den AUB 61 für den VN sowohl zu Verbesserungen als auch Verschlechterungen. So begründen z.B. entstellende Narben bzw. allein optische Beeinträchtigungen der Haut nach den neueren AUB keine Leistung. Diese Deckungslücke kann nur durch die Vereinbarung der Leistungsart „Kosmetische Operationen“ geschlossen werden. Dagegen führt auf Grundlage der AUB 88/94/99/2008 die Beeinträchtigung der Sprache (z.B. infolge einer Stimmbandschädigung) überwiegend zu Leistungsverbesserungen; denn jede versicherte Person erhält unabhängig davon, ob ihre Arbeitsfähigkeit von einer funktionierenden Stimme abhängt, eine Invaliditätsleistung. Lediglich für Personen aus Berufsgruppen, in denen die Stimme ein wesentliches Arbeitsmittel darstellt (Sänger, Schauspieler, Rundfunkreporter usw.) ziehen die neueren AUB-Generationen Nachteile nach sich, da Sprachbeeinträchtigungen die Arbeitsfähigkeit stärker als die Gesamtleistungsfähigkeit beeinträchtigen. Ferner resultieren bei Wirbelsäulenschäden aus den neueren AUB für nicht körperlich Arbeitende eher Verbesserungen und bei körperlich Tätigen tendenziell dagegen Verschlechterungen.147 cc) Weitere Regelungen. Die Regelung für Mehrfachverletzungen ist vereinheitlicht 47 worden. Während § 8 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61 eine Addition nur für Gliedertaxwerte vor-
141 142
143
S.a. Reichenbach S. 119. Konen/Lehmann S. 42; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 26, ders. VW 1988 132, 134; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 34. Konen/Lehmann S. 41; Reichenbach S. 118 f.; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 4.
144 145 146 147
Knappmann VersR 2003 430. Konen/Lehmann S. 42 f.; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 36. Reichenbach S. 124. Eingehend Bihr VW 1993 264, 268 f.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
sieht (Rn. 26), erlaubt § 7 Abs. 1 Nr. 2d AUB 88/94 eine Addition von Invaliditätsgraden, die auch außerhalb der Gliedertaxe ermittelt worden sind (Rn. 242). Die Berücksichtigung der Vorinvalidität ist in § 10 Nr. 4 AUB 61 äußerst kompliziert 48 geregelt (Rn. 27 ff.). § 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88/94 führt hier zu einer wesentlichen Vereinfachung (Rn. 235 ff.). Der Fall, dass die versicherte Person innerhalb des ersten Jahres nach dem Unfall aus 49 unfallfremder Ursache stirbt, war in den AUB 61 (s. § 13 Nr. 3b S. 3) nicht geregelt (Rn. 33). Dies haben die Bedingungsgeber mit § 7 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94 geändert. Der Tod der versicherten Person aus unfallfremder Ursache innerhalb des ersten Jahres lässt nach der neuen Regelung genauso wie der Tod nach Ablauf des Unfalljahres den Invaliditätsanspruch unberührt. Des Weiteren haben die AUB 88/94 das Verfahren eindeutig festgelegt, mit dem die Höhe des Anspruchs bestimmt wird (Rn. 244 ff.).
50
c) Art der Leistung. Die Rentenzahlung bei Invalidität ist wie in § 20 AUB 61 und abweichend zu Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 (Rn. 67) weiterhin in einer gesonderten Vorschrift geregelt (§ 14 AUB 88/94). § 14 Abs. 1 AUB 88/94 bestimmt, wie die Kapitalsumme der Invaliditätsleistung in die Rentenleistung umzurechnen ist.148 Gegenüber den AUB 61 ist die Rententabelle einerseits verkürzt, da sie keinen Ausweis von Jahrensrentenbeiträgen für die Lebensalter unter 65 Jahren vorsieht. Andererseits endet die Tabelle nicht mehr mit dem 70. Lebensjahr, sondern ist bis zum Alter 75 verlängert worden. Die Jahresrentenbeträge in den AUB 88 beruhen auf den geschlechtsspezifischen Sterbetafeln 1970/72 und gehen von einem Zinssatz von 3,5 % aus.149 Sie tragen dem unterschiedlichen Sterblichkeitsrisiko von Männer und Frauen Rechnung. Die höhere Lebenserwartung und die daraus resultierenden längeren Laufzeiten der Renten haben gegenüber den AUB 61 zu niedrigeren Jahresrentenbeträgen geführt.150 Während § 20 Nr. 2 AUB 61 den Beginn der Rentenzahlung noch an die Beendigung 51 der Tagegeldzahlung bzw. bei fehlender Versicherung des Tagegeldes an den Abschluss der ärztlichen Behandlung knüpfte (Rn. 35), sieht § 14 Abs. 2 AUB 88/94 vor, dass die Rente stets vom Abschluss der ärztlichen Behandlung (näher dazu Ziff. 2.3 Rn. 20), spätestens – insofern übereinstimmend mit den AUB 61 – vom Ablauf des auf den Unfall folgenden Jahres an, gezahlt wird. Inhaltlich ergibt sich dadurch keine Veränderung, da das Tagegeld nur für die Dauer der ärztlichen Behandlung geleistet wird und folglich der Behandlungsabschluss auch im Fall der Mitversicherung von Tagegeld nach § 20 Nr. 2 AUB 61 der für den Beginn der Rentenzahlung maßgebliche Stichtag war.151 Die in den AUB 61 vorgesehene Anbindung an die Tagegeldzahlung sahen die Bedingungsgeber der AUB 88 indes als nicht mehr zeitgemäß an, da das Tagegeld im Breitengeschäft an Bedeutung verloren hatte.152 Unverändert geblieben sind die Bestimmungen zur Rentendauer und Zahlungsweise (§ 14 Abs. 2 S. und 2 AUB 88/94, § 20 Nr. 2 AUB 61). Neu in die AUB 94 wurde § 14 Abs. 2 S. 3 und 4 aufgenommen. Die Regelung 52 berechtigt den VR, Lebensbescheinigungen anzufordern, um die Voraussetzungen für den Rentenbezug überprüfen zu können (näher hierzu Ziff. 9.5 AUB 2008). Bis auf eine kleine redaktionelle Änderung unverändert geblieben ist weiterhin das 53 Recht zur jährlichen Neubemessung (näher die Kommentierung zu § 188, s. auch Rn. 36). Statt „Festsetzung“ in § 20 Nr. 3 AUB 61 heißt es nunmehr lediglich „Bemessung“. 148 149
Berechnungsbeispiel bei Wussow/ Pürckhauer 6 § 14 Rn. 4. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 14 AUB 94 Rn. 2; Wussow/Pürckhauer 6 § 14 Rn. 1.
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150 151 152
Konen/Lehmann S. 65; ferner Wussow/ Pürckhauer 6 § 14 Rn. 3. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 46. Konen/Lehmann S. 65.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Die Möglichkeit mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde Jahresrentenbeträge auch für 54 bestehende Versicherungen ändern zu können, ist neu in § 14 Abs. 4 AUB 88 aufgenommen worden.153 Im Zuge der Deregulierung ist dieser Änderungsvorbehalt in den AUB 94 entfallen. 3. AUB 99 Änderungen hat z.T. der Aufbau erfahren. Insbesondere ist – wie für alle Unfall- 55 leistungen auch – beim Invaliditätsanspruch konsequent zwischen den Voraussetzungen der Leistung sowie Art und Höhe der Leistung differenziert worden: § 7 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94 ist folgerichtig in den AUB 99 „zerlegt“ worden. Während der Invaliditätsbegriff zu den Anspruchsvoraussetzungen gehört, ist die Kapitalleistung bei Art und Höhe der Leistungen näher zu bestimmen. Gleiches gilt für die Regelung, dass bei Unfällen, die sich nach Vollendung des 65. Lebensjahres ereignen, Rentenzahlungen zu leisten sind. a) Voraussetzungen der Leistung. Die AUB 99 haben im Vergleich zu den AUB 88/94 56 die Leistungsvoraussetzungen grundsätzlich unverändert gelassen. Nicht angetastet wurden • der Invaliditätsbegriff (Ziff. 2.1.1.1 S. 1 AUB 99, s.a. § 180). • die Fristbestimmungen als objektive Anspruchsvoraussetzung (Eintritt und Feststellung der Invalidität) bzw. Ausschlussfrist (Geltendmachung der Invalidität; Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99). Insbesondere sollte durch die Eingliederung der Frist für die Geltendmachung der Invalidität unter die Überschrift „Voraussetzungen für die Leistung“ nicht ihr Rechtscharakter als Ausschlussfrist bzw. eine Verhaltensnorm, die einen selbständigen Anspruchsbeendigungsgrund darstellt, in eine objektive (verschuldensunabhängige) Anspruchsvoraussetzung geändert werden. Anders als in den AUB 88/94 verlangen jedoch die AUB 99 für die ärztliche Feststellung der Invalidität aus Beweisgründen und zur Vermeidung von Streitigkeiten für die Form der ärztlichen Feststellung (Rn. 111 ff.) nunmehr eindeutig Schriftlichkeit.154
Die AUB-Verfasser lehnten es ab, eine Pflicht des VR vorzusehen, auf die Fristen in 57 Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99 hinzuweisen. Sie befürchteten bei Schaffung einer allgemeinen Hinweispflicht unnötigen Arbeitsaufwand und Nachweisprobleme für den VR. Des Weiteren wurde argumentiert, dass der VN bei Vereinbarung der AUB frühzeitig auf die Fristenthematik aufmerksam gemacht wird, da diese Voraussetzungen bereits zu Anfang des Bedingungswerkes geregelt sind.155 Aus ähnlichen Gründen wurde davon abgesehen, die folgende Bestimmung vorzusehen: „Auf die 15-Monatsfrist werden wir uns nicht berufen, wenn Sie uns den Unfall unverzüglich gemeldet und wir Sie auf diese Frist nicht hingewiesen hatten.“ 156 Der Gesetzgeber ist den Erwägungen der AUB-Verfasser indes nicht gefolgt, sondern hat gegen den Widerstand des GDV § 186 eingeführt. b) Höhe der Leistung. Im Bereich der Regelungen, die sich mit der Art und Höhe der 58 Invaliditätsleistung befassen, ergeben sich in den AUB 99 im Vergleich zu den AUB 88/94 folgende Veränderungen:157
153 154 155
Näher dazu Konen/Lehmann S. 65 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 14 Rn. 11. Stockmeier/Huppenbauer S. 15 f. Krit. Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 2.
156 157
Stockmeier/Huppenbauer S. 15. Stockmeier/Huppenbauer S. 20 f.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
• Während § 7 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94 bisher vorsah, dass sich die Höhe der Leistung „nach dem Grad der Invalidität“ richtet, bestimmt Ziff. 2.1.2.2 nunmehr, das „die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität“ die Grundlage für die Berechnung der Invaliditätsleistung bilden. Durch die ausdrückliche Aufnahme des Wortes „unfallbedingt“ wollten die Bedingungsgeber gelegentlich auftretende Auslegungsschwierigkeiten bei der Anwendung von Mehrleistungs- oder Progressionsmodellen (Rn. 254 ff. und Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 8) vermeiden helfen.158 • Im Gegensatz zu § 7 Abs. 1 Nr. 2a AUB 88/94 („unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität“) sieht Ziff. 2.1.2.2.1 S. 1 AUB 99 für die Gliedertaxe schlicht vor, dass sich bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit bestimmter Körperteile und Sinnesorgane „ausschließlich“ die im Folgenden genannten Invaliditätsgrade gelten. Inhaltlich hat sich dadurch nichts geändert. Eine Ergänzung der Gliedertaxe um die Punkte Niere (20 %) und Milz (10 %) – innere Organe 159 – sowie Verlust des Hodens oder der Stimme wurde diskutiert. Diese Änderungen sind letztlich aber nicht aufgenommen worden, zumal sie in der Praxis nicht so häufig Relevanz erlangen. Darüber hinaus ist auch fraglich, ob der Verlust innerer Organe mit dem Verlust äußerer Gliedmaßen vergleichbar ist. Bei paarigen Organen (Niere) ist eine Standardisierbarkeit nur schwer möglich, da das Ausmaß der Beeinträchtigung von der Funktionstüchtigkeit des verbleibenden Organs abhängig ist (Rn. 231). Bereits bei Einführung der AUB 88 hatten im Übrigen die Bedingungsgeber im Einvernehmen mit dem BAV auf eine punktuelle und damit u.U. willkürliche Erweiterung der Gliedertaxe verzichtet.160 Die Gliedertaxwerte der AUB 88/94 als solche blieben in den AUB 99 unverändert, da sie immer noch den medizinischen Maßstäben entsprechen. • Die Bestimmung zu den Schäden außerhalb der Gliedertaxe in Ziff. 2.1.2.2.2 AUB 99 ist im Vergleich zu § 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94 etwas verkürzt worden. Inhaltliche Veränderungen ergeben sich dadurch nicht. • Ziff. 2.1.2.2.3 AUB 99, also die Regelung zur Berücksichtigung der Vorinvalidität hat gegenüber § 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88/94 ebenfalls kleine redaktionelle Änderungen erfahren. • Entsprechendes gilt für die Bestimmung zu den Mehrfachschäden in Ziff. 2.1.2.2.4 AUB 99. Es ergeben sich nur sprachliche, aber keine inhaltlichen Abweichungen zu § 7 Abs. 1 Nr. 2d AUB 88/94. Durch die Formulierung „nach den vorstehenden Bestimmungen ermittelten“ soll zum Ausdruck kommen, dass es um eine Addition bereits festgestellter Invaliditätsgrade geht, die aufgrund der Gliedertaxe bzw. einer Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung eventueller Vorschäden ermittelt wurden. • Die Folgen des Todes der versicherten Person werden durch die Verwendung von Spiegelstrichen (Ziff. 2.1.2.4 AUB 99) etwas übersichtlicher als bisher (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94) gestaltet.
59
c) Art der Leistung. In Ziff. 2.1.2.1 AUB 99 wird deutlicher als in § 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 Halbs. 2 AUB 88/94 klargestellt, dass der VR die Invaliditätsleistung entweder als Kapitalbetrag oder als Rente leistet. Die Einzelheiten zur Rentenzahlung werden dann innerhalb von Ziff. 2 – nämlich in Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 – und nicht mehr in einer gesonderten Vorschrift (so noch in § 14 AUB 88/94) geregelt.
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aa) Übersicht. Die Bedingungsgeber nahmen gegenüber den älteren AUB-Generationen materielle Veränderungen vor, die eine Verbesserung für den VN zur Folge haben161 und einer Angleichung an die Besonderen Bedingungen über die Unfall-Rente dienen:162
158 159
A.A. Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 4. So die Anregung von Bihr VW 1993 264, 269, u.a. mit dem Vorschlag, eine gleitende Bewertung für Niere vorzusehen.
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160 161 162
Grimm VW 1988 132, 133 f. Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 5. Stockmeier/Huppenbauer S. 21.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
• Die Rente wird „rückwirkend ab Beginn des Monats, in dem sich der Unfall ereignet hat“, gezahlt (Ziff. 2.1.2.3 S. 3 AUB 99). Früher hieß es dagegen, dass die Rente „vom Abschluss der ärztlichen Behandlung, spätestens vom Ablauf des auf den Unfall folgenden Jahres“ entrichtet wird. Die AUB 99 enthalten insofern gegenüber den AUB 61/88/94 eine Verbesserung für den VN. • Statt der bisherigen vierteljährlichen Zahlung (§ 14 Abs. 2 S. 2 AUB 88/94) können die VR zukünftig monatliche Zahlungen vorsehen, damit sowohl für die Rente nach Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 als auch im Fall einer Unfall-Rente eine einheitliche Zahlungsweise erfolgt. Die AUB 99 machen hierzu indes keine Vorgaben, denn für die Beibehaltung der vierteljährlichen Zahlungsweise kann sprechen, dass die Monatsrenten sehr niedrig sein können.
Darüber hinaus verzichten die AUB 99 auf eine Übernahme von § 14 Abs. 3 AUB 88/94 bzw. § 20 Nr. 3 AUB 61. Statt einer Spezialregelung zur Neubemessung der Invalidität kommen jetzt die allgemeinen Regelungen in Ziff. 9.4 AUB 99 (s.a. § 188) zur Anwendung. Als materiell-rechtliche Änderung ergibt sich daraus, dass die Neubemessung nicht mehr innerhalb von drei Jahren nach erstmaliger Bemessung der Rente, sondern nur noch innerhalb von drei Jahren nach dem Unfall verlangt werden kann. Nicht durchgesetzt haben sich Überlegungen, die Rentenregelung insgesamt zu strei- 61 chen. Als Gründe für einen Verzicht auf Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 wurden genannt:163 • • • • •
Verständnisprobleme beim VN und Außendienst; Gefahr, dass ältere VN die Regelung als diskriminierend empfinden; Zeitaufwand und Wettbewerbsprobleme beim Umstellen auf neue Sterbetafeln; Irritationen beim VN durch die Notwendigkeit, Lebensbescheinigungen anfordern zu müssen; Missverständnisse beim Rentenbegriff nach Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 (Zahlung einer altersabhängigen Rente statt einer Invaliditätsleistung) und dem zunehmend am Markt anzutreffenden Produkt der Unfall-Rente (Zahlung einer altersunabhängigen Rente ab einer unfallbedingten Invalidität von 50 %); • kostenintensive Abwicklung der meist niedrigen Renten.164
Für eine Beibehaltung der Regelung zur Rentenzahlung führten die Bedingungsgeber an:165 • Ein Verzicht auf die Rentenzahlung würde altersabhängig erheblich höhere Beiträge erforderlich machen, die unter sozialen und Image-Aspekten kaum durchsetzbar seien; • bei älteren VN sei der Begriff „Rente“ positiv besetzt. Er assoziiere „regelmäßige Zahlungen“ und gebe Sicherheit vor „raffgierigen Verwandten“; • Befürchtung insgesamt erhöhter Schadenaufwendungen (dazu auch Rn. 66); • ein vertragliches Renten-Wahlrecht führe zu einer negativen Risikoauslese.
Grundsätzlich kommt es in Betracht, die Besonderen Bedingungen über die Unfall- 62 Rente in die AUB zu integrieren. In den Musterbedingungen des GDV wurde eine dahingehende Empfehlung indes nicht gegeben. Zum einen wurde befürchtet, dass die enge räumliche Nähe zur „Rente ab 65“ verwirrend sein könnte, weil die Unfall-Rente keine Leistungen ab 65 vorsieht. Zum anderen hätten dann auch andere Leistungsangebote, die bisher in Besonderen Bedingungen geregelt waren, in die AUB einbezogen werden müssen.166 Dahingehende Tendenzen sind indes in den z.Z. am Markt verwendeten AUB durchaus zu verzeichnen. bb) Differenzierung nach dem Alter der versicherten Person. Die Invaliditätsleistung 63 kann gemäß Ziff. 2.1.2.1 AUB 99 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 7 AUB 61)
163 164
Stockmeier/Huppenbauer S. 20. S.a. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 44.
165 166
Stockmeier/Huppenbauer S. 20. Stockmeier/Huppenbauer S. 21 f.
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als Kapitalbetrag oder als Rente gezahlt werden. Die Art der Leistung ist davon abhängig, wie alt die versicherte Person zum Zeitpunkt des Unfalls ist: • Die Invaliditätsleistung wird als Kapitalbetrag gezahlt, wenn die versicherte Person einen Unfall vor Vollendung des 65. Lebensjahres erleidet. Ihre Höhe richtet sich nach dem Invaliditätsgrad und der vereinbarten Versicherungssumme (Rn. 175 ff.). Ergibt sich nach dem Invaliditätsgrad und der Versicherungssumme nur eine geringe Rentenhöhe, so kommt es bei Einvernehmen beider Vertragspartner in Betracht, die Rente aufgrund einer gesonderten Vereinbarung zu kapitalisieren.167 • Bei Unfällen nach Vollendung des 65. Lebensjahres zahlt der VR Renten. Für jüngere versicherte Personen kommt eine Rentenzahlung nur ausnahmsweise aufgrund einer besonderen vertraglichen Vereinbarung in Betracht.168 Die Berechnung der Rente hängt von der Höhe der Kapitalleistung ab. Einzelheiten zu ihrer Berechnung ergeben sich aus Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 (§ 14 AUB 88/94, § 20 AUB 61; Rn. 67).
64
Die inhaltliche Begründung für die Abhängigkeit der Leistungsart vom Alter der versicherten Person wurde früher (in den AUB 61) darin gesehen, dass ältere Menschen keine Berufs- und Erwerbstätigkeit mehr ausübten und daher keine Kapitalleistung für ihre berufliche Rehabilitation benötigten.169 Überzeugend ist dies nicht. Zum einen ist das Abstellen auf das 65. Lebensjahr mit Hinblick auf die Berufs- und Erwerbssituation der versicherten Person angesichts der heutigen Diskussion um längere Lebensarbeitszeiten sowie der inzwischen erfolgten Anhebung des gesetzlichen Rentenalters nicht mehr zeitgemäß. Unberücksichtigt bleibt fernerhin, dass Selbständige häufig auch nach dem 65. Lebensjahr ihren Betrieb, ihre Praxis, ihre Kanzlei usw. betreiben. Zum anderen dient die Kapitalleistung nicht nur der beruflichen Rehabilitation. Dies zeigt bereits die Notwendigkeit, den Invaliditätsbegriff statt an der Arbeitsfähigkeit an der Leistungsfähigkeit der versicherten Person auszurichten (Rn. 40). Hinzu kommt, dass nicht nur jüngere, sondern auch ältere Menschen ein Bedürfnis daran haben können, mit Hilfe einer Kapitalleistung ihre Behinderung im außerberuflichen Bereich (z.B. durch Anschaffung technischer Einrichtungen) auszugleichen.170 65 Die Bedingungsgeber der AUB 88 (zu den AUB 99 s.a. Rn. 61) haben folgerichtig aus anderen Gründen an der Altersgrenze festgehalten: Zunächst werde von einem Teil der versicherten Person die Rentenzahlung gegenüber der Kapitalleistung im Rahmen ihrer Gesamtversorgung im Alter bevorzugt.171 Zwingend ist dieses Argument nicht. Statt einer obligatorischen Rentenzahlung im Invaliditätsfall kann den Interessen der versicherten Person besser Rechnung getragen werden, wenn sie entweder bei Vertragsschluss oder an einem bestimmten Stichtag die freie Wahl haben, ob sie bei einem Unfall, der nach Erreichen einer festgelegten Altersgrenze eintritt, eine Kapital- oder Rentenzahlung beanspruchen wollen.172 Dahingehende Produkte gibt es offenbar. So hat z.B. das BAV vor der Deregulierung Bedingungen genehmigt, die vorsahen, dass der VN anstelle der bedingungsgemäßen Kapitalzahlung die Invaliditätsleistung in Form einer Rente wählen kann und dieses Wahlrecht – analog zur Frist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung und Geltendmachung der Invalidität – innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an auszuüben ist.173 Zwar besteht bei einem Wahlrecht des VN grundsätzlich die Gefahr einer negativen Risikoauslese; denn es ist damit zu rechnen, dass die versicherte Person mit gutem Gesundheitszustand und günstiger Lebenserwartung regel-
167 168 169 170
Wussow/Pürckhauer 6 § 14 Rn. 12. Konen/Lehmann S. 64. GB BAV 1978 73 Nr. 813. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 15.
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171 172 173
Konen/Lehmann S. 64. S.a. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 16. GB BAV 1984 88 Nr. 9.2.3.
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Invaliditätsleistung
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mäßig der Rentenzahlung den Vorzug gibt, während die gesundheitlich angeschlagene versicherte Person sich eher für eine Kapitalleistung entscheidet.174 Dies dürfte aber für die VR kein unüberwindbares Problem bei der Produktgestaltung und der zugehörigen Kalkulation sein. Entscheidend für die Erwägungen der Bedingungsgeber, ab einem bestimmten Alter 66 obligatorisch statt einer Kapitalleistung eine Rentenzahlung vorzusehen, war vermutlich, dass der Schadenbedarf in der Altersgruppe ab 65 aufgrund der im Vergleich zu jüngeren versicherten Personen höheren Unfallfrequenz, der längeren Heilungsdauer und ungünstigeren Heilungsergebnisse überproportional ansteigt.175 Einen Verzicht auf die Verrentung des Invaliditätsanspruchs oder die Schaffung eines Wahlrechts der versicherten Person zwischen Kapital- und Rentenzahlung lehnten die Verfasser der AUB ab, da diese beiden Regelungsalternativen im Widerspruch zu der (bisherigen) Beitragskalkulation stünden. Würden sie umgesetzt, müssten angesichts der längeren Lebenserwartung und der stetigen Zunahme des Anteils älterer versicherter Personen entweder eine generelle Beitragsanhebung (zu Lasten jüngerer VN), die Schaffung eines altersabhängigen Tarifs oder die Einführung von Alterszuschlägen (zu Lasten langjähriger Kunden) erfolgen.176 Diese Begründung ist zwar nachvollziehbar, aber dem Vorwurf ausgesetzt, dass die der Rentenberechnung zugrunde liegende Kalkulation nicht dem Kapitalaufwand für die Kapitalleistung entspricht und deshalb die Regelung eine „versteckte Leistungskürzung“ darstellt.177 cc) Rentenzahlung. Während Ziff. 2.1.2.1 AUB 99 die Art der Zahlung regelt, also 67 wann die Versicherungsleistung als Kapitalbetrag oder als Rente zu zahlen ist (Rn. 63), wird in Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 festgelegt, wie die Rentenhöhe zu bemessen ist. Voraussetzung für die Rentenzahlung ist – wie auch bei der Kapitalleistung – auf Grundlage aller AUB-Generationen, dass die Voraussetzungen für den Invaliditätsanspruch erfüllt sind. Tritt z.B. der Tod der versicherten Person unfallbedingt innerhalb des ersten Jahres ein, so kann keine Invaliditätsleistung und damit auch keine Rentenzahlung verlangt werden (Ziff. 2.1.1.2 AUB 99, § 7 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 6 AUB 61).178 • Ausgangspunkt für die Berechnung der Rentenbeträge gemäß Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 (§ 14 Abs. 1 AUB 88/94, § 20 Nr. 1 und 4 AUB 61) ist zunächst die Höhe der Invaliditätsleistung, die normal unter Berücksichtigung der Versicherungssumme und des Invaliditätsgrades (ggf. unter Beachtung etwaiger Progressionen oder Minderungen durch unfallunabhängig mitwirkende Ursachen) zu ermitteln ist. Anschließend wird je 1000,– DM/Euro Invaliditätsleistung durch Multiplikation mit dem maßgeblichen Faktor der in der Tabelle ausgewiesene Rentenbetrag berechnet. In den jüngeren Musterbedingungen des GDV sind diese Jahresrentenbeträge nicht explizit aufgeführt. Die Kartellbehörden hatten die Auffassung vertreten, dass die Nennung von Rentenbeträgen der Empfehlung von Versicherungssummen gleichkommen könne. Die konkreten Beträge sind von den VR deshalb eigenständig anhand der aktuellen Sterbetafeln zu ermitteln.179 • Die Rentenzahlung beginnt rückwirkend ab dem Beginn des Monats, in dem sich der Unfall ereignet hat (Ziff. 2.1.2.3 S. 3 AUB 99). Der Abschluss der ärztlichen Behandlung bzw. der Ablauf des auf den Unfall folgendes Jahres (so § 14 Abs. 2 S. 1 AUB 88/94, § 20 Nr. 2 S. 2 AUB 61) ist nicht mehr maßgebend (Rn. 60). Die Fälligkeit des Invaliditätsanspruchs wird durch die Regelungen in den AUB 61/88/94/99/2008 zum Rentenbeginn nicht vorgezogen. Die Fälligkeit der Rente beur-
174 175 176
Riebesell S. 63; s.a. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 44. LG Dortmund 23.2.2006 NJW-RR 2007 23, 24; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 86. Konen/Lehmann S. 64.
177 178 179
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 16 und § 14 Rn. 2; auch Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 43. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 45 und 46. Stockmeier/Huppenbauer S. 21; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 43.
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teilt sich weiterhin nach § 187 (Ziff. 9 AUB 99, § 11 AUB 88/94, § 13 AUB 61).180 Ziff. 2.1.2.3 S. 3 AUB 99 (§ 14 Abs. 2 AUB 88/94, § 20 Nr. 2 AUB 61) regeln lediglich den materiellen Rentenbeginn. Bei späterer Fälligkeit der Invaliditätsleistung ist die Rente rückwirkend zu dem jeweils in den AUB geregelten materiellen Rentenbeginn nachzuzahlen.181 Das Ende der Zahlungsverpflichtung des VR ist abhängig von dem Zeitpunkt, zu dem die versicherte Person stirbt (Ziff. 2.1.2.3 S. 3 AUB 99). Die AUB 99 enthalten keinen fest definierten Endzeitpunkt. Das Ende der Rentenzahlung ist unternehmensindividuell von dem jeweiligen VR in seinen Bedingungen festzulegen. So kann etwa vorgesehen werden, dass die Rentenzahlung am Ende des Monats oder des Vierteljahres (so § 14 Abs. 2 S. 1 AUB 88/94, § 20 Nr. 2 S. 3 AUB 61) endet, in dem die versicherte Person stirbt. Die Rente wird im Voraus gezahlt (Ziff. 2.1.2.3 S. 3 AUB 99). Weitere Vorgaben machen die AUB 99 nicht. Der jeweilige VR bestimmt unternehmensindividuell, ob z.B. die Rente jeweils am Ersten des Monats, des Vierteljahres (so § 14 Abs. 2 S. 2 AUB 88/94, § 20 Nr. 2 S. 2 AUB 61) usw. gezahlt wird.
4. AUB 2008
68
Ziff. 2.1 AUB 2008 hat gegenüber der (Ursprungs-)Fassung der AUB 99 einige Änderungen erfahren: • Ziff. 2.1.1.1 2008 übernimmt die Legaldefinition für die Invalidität in § 180, die der Gesetzgeber im Zuge der VVG-Reform 2008 (klarstellend) eingeführt hat. • In Ziff. 2.1.2.1 AUB 2008 ist – unabhängig von der VVG-Reform 2008 – die altersabhängige Differenzierung zwischen der Zahlung der Invaliditätsleistung als Kapitalbetrag oder Rente entfallen. Da die Invaliditätsleistung nur noch als Kapitalbetrag zu zahlen ist, war Ziff. 2.1.2.3 AUB 99 ersatzlos zu streichen. Der Hintergrund dieser Änderung ist nicht publiziert worden. Zu berücksichtigen ist zum einen, dass die Rentenzahlung bereits bei Einführung der AUB 99 erst nach kontroverser Diskussion beibehalten wurde. Sie ist durchaus kritisch zu betrachten (Rn. 63 ff.). Zum anderen können rechtliche Erwägungen nach dem AGG eine Rolle gespielt haben (Vorbem. § 178 Rn. 81 ff.).182 Die Beseitigung der altersabhängigen Differenzierung ist geeignet, von vornherein Konfliktpotential zu beseitigen. Im Übrigen hat die Verrentungsregelung in der Praxis keine große Bedeutung mehr erlangt, zumal immer häufiger spezielle Seniorenprodukte angeboten werden. • Die Anpassungen in der Gliedertaxe (Ziff. 2.1.2.2.1 S. 1 AUB 99/2008) mit Streichung der Worte „im Schultergelenk“, „im Handgelenk“ und „im Fußgelenk“ stellt die Reaktion auf neuere BGHUrteile zu Gelenkversteifungen dar (Rn. 207 ff.).
B. Leistungsvoraussetzungen 69
Ziff. 2.1.1 AUB 99/2008 regelt ebenso wie die Vorgängerregelungen in § 7 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94 und § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 und 6 AUB 61 die Voraussetzungen für den Anspruch auf Invaliditätsleistungen. Der Anspruch auf Invaliditätsleistung setzt im Wesentlichen voraus, dass • die versicherte Person einen Unfall erlitten hat (§ 178 Abs. 2, Ziff. 1.3 und 1.4 AUB 99/2008), m.a.W. der Versicherungsfall eingetreten ist, • bei der versicherten Person Invalidität (§ 180) besteht, • der Unfall für die Invalidität kausal war (sog. haftungsausfüllende Kausalität), • die in den AUB vorgesehenen Fristenregelungen eingehalten sind und • die versicherte Person nicht innerhalb eines Jahres nach dem Unfall gestorben ist.
180 181
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 45 und 46. Wussow/Pürckhauer 6 § 14 Rn. 6.
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182
S.a. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 76.
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I. Fristenregelungen Die Fristenregelungen zum Eintritt, zur ärztlichen Feststellung und Geltendmachung 70 der Invalidität haben vornehmlich die Aufgabe, Spätschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen. Wegen der damit verbundenen – mitunter weit reichenden – Rechtsfolgen bergen sie erheblichen Konfliktstoff. Neben Rechtsstreitigkeiten über die Wirksamkeit dieser Regelungen, kam es in der Vergangenheit folgerichtig sehr häufig zu Auseinandersetzungen darüber, ob der VR gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich oder treuwidrig handelt, wenn er Leistungen allein wegen der Versäumnis von Fristen ablehnt, ohne ggf. den VN vorher über die Bedeutung der Fristbestimmungen zu belehren. Darüber hinaus kam es immer wieder zu Kontroversen darüber, ob in dem Regulierungsverhalten des VR ein Verzicht auf die Einhaltung der Fristen gesehen werden kann. Diese im Einzelnen komplizierte Rechtslage hat durch die Neuregelung des § 186 erhebliche Änderungen erfahren. Übergreifend ist zu den einzelnen Fristbestimmungen zu beachten: • Die vom Arzt festgestellte Invalidität und die beim VR geltend gemachten Unfallfolgen müssen übereinstimmen.183 • Kommt es zu mehreren aufeinander folgenden Unfällen, so ist grundsätzlich für jedes einzelne Unfallereignis zu prüfen, ob und in welchem Umfang fristgerecht Invalidität eingetreten, ärztlich festgestellt und geltend gemacht worden ist (näher hierzu § 180 Rn. 30 ff.).184 • Weiterhin sind die Fristen gesondert zu betrachten, wenn nach einem Unfall mehrere unterschiedliche Symptome vorliegen, die das Ausmaß der Invalidität beeinflussen.185
1. Zweck der Regelung Die Fristenregelungen bezwecken (übereinstimmend) – vornehmlich im Interesse des 71 VR – den Ausschluss von unklaren Spätschäden.186 Die in den Musterbedingungen gewählten Fristen von einem Jahr bzw. 15 Monaten können zu Härten für den VN führen. Zwar gibt es keine Statistiken, die eindeutig belegen, dass die in den AUB festgelegten Zeiträume für eine Vielzahl von versicherten Personen zu knapp bemessen sind. Jedoch liegen einige fachärztliche Informationen vor, dass zuverlässige Aussagen über die Invalidität (insbesondere die Dauerhaftigkeit der Leistungsbeeinträchtigung) häufig erst nach einem längeren Zeitraum möglich sind.187 Dies mag der Grund dafür sein, dass viele VR längere Fristen (z.B. 18 Monate) in ihren Bedingungen vorsehen. a) Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall. Die Regelung, nach 72 der die Invalidität binnen Jahresfrist eingetreten sein muss (Ziff. 2.1.1.1 Spiegelstrich 1 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94 bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61), bezweckt, dass der VR – unabhängig vom Verhalten der versicherten Person bzw. Verschulden des VN – nicht für Spätschäden, die in der Regel schwer aufklärbar und un183 184
185 186
OLG Bremen 18.4.2000 NVersZ 2001 75. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 8 und 9; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 165. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 165. S. nur BGH 23.2.2005 VersR 2005 639; BGH 19.12.1953 VersR 1954 83, 84 = VerBAV 1954 81, 83 Nr. 66; OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1217;
187
OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995 438, 439; OLG Frankfurt/M. 5.5.1994 VersR 1995 904, 906; OLG Hamm 25.4.1978 VersR 1978 1039; OLG Koblenz 20.4.2009 VersR 2010 104; OLG Nürnberg 21.3.2002 VersR 2003 846, 847 = ZfS 2003 304, 305; R. Fischer VersR 1965 197, 200. Dümichen ZVersWiss 2003 783, 788 f. und 791 f.
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übersehbar sind, eintreten muss.188 Die Leistungsregulierung soll nicht für unabsehbare Zeit in der Schwebe bleiben,189 sondern rationell, arbeits- und Kosten sparend erfolgen.190 Wären Spätschäden mitversichert, so würde dies zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand des VR und damit zu einer unangemessenen Erhöhung der Prämien führen.191 Dies liegt nicht im richtig verstandenen Interesse der Gemeinschaft der VN.192
73
b) Ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall. Die 15-Monatsfrist zur ärztlichen Feststellung (Ziff. 2.1.1.1 Spiegelstrich 2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94 bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61) soll genauso wie die Frist für den Eintritt der Invalidität – unabhängig von Verschuldensfragen – im (berechtigten) Interesse des VR an einer rationellen, arbeits- und Kosten sparenden Abwicklung schwer aufklärbare und unübersehbare Spätschäden vom Versicherungsschutz ausnehmen und eine baldige Klärung der Leistungspflicht des VR herbeiführen.193 Dies fördert die Rechtssicherheit und ermöglicht eine zweckmäßige Beweissicherung: • Dass der VN die Beweislast für unfallbedingte Spätschäden hätte und Zweifel insoweit zu seinen Lasten gingen, ist demgegenüber nicht entscheidend, zumal die Schwierigkeit der Feststellung infolge Zeitablaufs sowohl bei Beweispersonen (einschließlich ärztlicher Sachverständiger) als auch im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Richters Fehlbeurteilungen zugunsten des VN und zum Nachteil des VR zur Folge haben können.194 • Der VR wird durch die ärztlichen Befunde typischerweise in die Lage versetzt, zeitnah zum Unfall durch eigene Ermittlungen den maßgeblichen Sachverhalt weiter aufklären und noch eigene zusätzliche Feststellungen treffen zu können.195 Zwar ist der Zugang der fristgerecht erstellten ärztlichen Feststellung beim VR nicht innerhalb der 15-Monatsfrist notwendig (Rn. 89), jedoch werden die ärztlichen Befunde regelmäßig (wenn auch nicht zwingend) mit der Geltendmachung der Invalidität dem VR vorgelegt.
Darüber hinaus trägt die Regelung nicht nur den Belangen des VR, sondern auch der Versichertengemeinschaft Rechnung. Bei einer Einbeziehung der Spätschäden in den Versicherungsschutz müssten alle diejenigen versicherten Personen, die die Frist wahren können, eine etwaige Prämienerhöhung hinnehmen, deren Notwendigkeit wegen des
188
189 190 191 192 193
S. nur BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 176 = VersR 1998 175, 176; BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1037 = VerBAV 1978 293, 294; OLG Frankfurt/M. 2.4.1987 RuS 1987 355, 356; OLG Hamm 9.6.1999 VersR 2000 43, 44 = NVersZ 1999 566; OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397 = RuS 2007 71, 72. RG 28.7.1939 RGZ 161 184, 187 und 192; OGH 28.11.2007 VersR 2009 138, 139. BGH 16.12.1987 VersR 1988 286, 287; OLG Düsseldorf 6.2.1990 VersR 1991 59. BGH 1.4.1965 VersR 1965 505, 506; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 17. So bereits etwa Haidinger VersR 1952 412, 413. S. nur BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 10 ff. = NJW-RR 2007 977, 978 = RuS 2007 255, 256; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177; BGH 24.3.1982 VersR 1982 567 = NJW 1982 2779; OLG Celle
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194 195
22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159; OLG Düsseldorf 3.8.1999 RuS 1999 524; OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362; OLG Hamm 6.9.2006 VersR 2007 1216 f. = RuS 2007 209; OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230; OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; OLG Köln 21.11.1991 RuS 1992 105; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837; OLG Stuttgart 18.12.1997 RuS 1999 172, 173. BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1037 = VerBAV 1978 293, 294. S. nur BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 11; BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 178 f. = RuS 1995 397, 398 f.; BGH 19.12.1990 NJW-RR 1991 539; OLG Hamm 28.5.1993 RuS 1993 395; OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856 = RuS 2005 392 = NJW-RR 2004 186.
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generell erhöhten Wagnisses und des erheblichen größeren Verwaltungsaufwandes der VR nahe läge.196 c) Geltendmachung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall. Die 74 Notwendigkeit, Invalidität vor Ablauf der 15-Monatsfrist geltend zu machen, verfolgt ebenfalls den Zweck, Rechtssicherung zu ermöglichen bzw. Beweisschwierigkeiten zu vermeiden und Rechtsfrieden durch eine alsbaldige Klärung der Ansprüche zu schaffen.197 Die Frist dient vornehmlich dem Interesse des VR. Die Regelung flankiert die anderen Fristerfordernisse.198 Sie gewährleistet, dass der VR in einem überschaubaren Zeitrahmen Kenntnis von der eingetretenen Invalidität und Gewissheit über seine Leistungspflicht erlangt,199 und zwar auch dann, wenn ihm die fristgerecht niedergelegte ärztliche Feststellung der Invalidität erst nach Ablauf der 15-Monatsfrist zugeht. Ohne die Frist zur Geltendmachung der Invalidität bestünde die Gefahr, dass die Invalidität innerhalb der Jahresfrist eingetreten und auch innerhalb der 15-Monatsfrist ärztlich festgestellt worden ist, der VR hiervon aber erst später (nach Ablauf der 15 Monatsfrist) überhaupt Kenntnis erlangt. Die Sachverhaltsklärung wird indes umso schwieriger, je mehr Zeit zwischen dem Unfall und der Geltendmachung der Invalidität beim VR verstrichen ist. Die Geltendmachungsfrist ermöglicht es dem VR mithin, unabhängig von dem Vorliegen oder Zugang ärztlicher Feststellungen, zeitnah zum Unfall bzw. in einem frühen Stadium noch eigene Ermittlungen vorzunehmen.200 Weiterhin bezweckt die Frist zur Geltendmachung der Invalidität – genauso wie die Frist zur Invaliditätsfeststellung –, dass der VR nicht für in der Regel schwer aufklärbare und unübersehbare Spätschäden eintreten muss.201 Es sollen langwierige Beweisverfahren mit schwer vorhersehbarem Ergebnis vermieden werden. Bei Fehlen eines Stichtages bestünde die Notwendigkeit, entsprechende Schadenrückstellungen in der Gewinn- und Verlustrechnung des VR für lange Zeit vorzusehen.202 Die 15-Monatsfrist dient letztlich auch dem Interesse der Versichertengemeinschaft. Ohne die 15-Monatsfrist würde die Versichertengemeinschaft mittelbar durch ein höheres Prämienniveau belastet.203 2. Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall Der Anspruch auf Invaliditätsleistung setzt zunächst voraus, dass die Invalidität 75 innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten ist. a) Rechtsnatur. Die Jahresfrist für den Eintritt der Invalidität ist eine die Leistungs- 76 pflicht des VR begrenzende (objektive) Anspruchsvoraussetzung.204 Es kommt nicht da-
196
197 198 199
200
BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1037; OLG Frankfurt 19.5.1988 ZfS 1988 258, 259. OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423, 1424. BGH 24.3.1982 VersR 1982 567. BGH 4.11.1987 VersR 1987 1235; OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065, 1066; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 13; Manthey NVersZ 2001 55, 59; s.a. BGH 21.12.1973 VersR 1974 234, 235 (zu § 6 AVBfU). OLG Koblenz 28.12.2001 NVersZ 2002 215.
201
202 203 204
OLG Saarbrücken 18.11.2003 RuS 2005 167; OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065, 1066. S.a. Grewing Unfallversicherung S. 60; Riebesell S. 56 f. BGH 24.3.1982 VersR 1982 567. S. nur BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 176; BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 176 = VersR 1995 1179, 1180 = RuS 1995 397, 398; BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1037 = VerBAV 1978 293, 294; OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478; OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003
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rauf an, ob den VN ein Verschulden trifft.205 Tritt die unfallbedingte Invalidität – aus welchen Gründen auch immer – nicht fristgerecht ein, besteht kein Leistungsanspruch.206 Der VR wird seine Leistungspflicht ablehnen (§ 187 Abs. 1). Dies gilt selbst dann, wenn • der Invaliditätseintritt innerhalb der Frist als mögliche Folge konkret bevorstand, tatsächlich aber erst nach Fristablauf eingetreten ist.207 • die Ärzte vor Fristablauf – trotz größter Sorgfalt – keine unfallbedingte Invalidität feststellen konnten.208 • die Ärzte vor Fristablauf gar versichert haben, es würden keine unfallbedingten Dauerfolgen zurückbleiben. Auch hierfür trägt der VR keine Verantwortung.209
Indes sind solche Fälle selten.210 Spätschäden ohne Brückensymptome stellen die Ausnahme dar.211
77
b) Bedeutung. Die beim Unfallereignis erlittene Gesundheitsschädigung muss innerhalb eines Jahres den Charakter einer Dauerschädigung erreicht haben. Aus der Formulierung „Eintritt der Invalidität“ kann einerseits nicht abgeleitet werden, dass bereits der Eintritt einer Gesundheitsschädigung oder eines „vorübergehenden Schadens“ ausreicht. Darüber hinaus muss auch das Invaliditätsmerkmal der „Dauerhaftigkeit“ erfüllt sein. Andererseits ist kein besonderer Umfang der Invalidität oder ein bestimmter Invaliditätsgrad vorausgesetzt. Vielmehr braucht die Invaliditätshöhe noch nicht festzustehen.212 Es reicht aus, wenn es überhaupt zu einer Invalidität in irgendeinem Umfang bzw. einer Invalidität dem Grunde nach gekommen ist.213 Ist eine Invalidität innerhalb der Jahresfrist eingetreten, sind auch etwaige Verschlimmerungen gedeckt, die sich später ergeben.214 Allein die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit eines Invaliditätseintritts reichen dagegen nicht aus.215 78 Unschädlich ist es, wenn die innerhalb der Jahresfrist eingetretene Invalidität (oder die Art der Gesundheitsschädigung) erst in der weiteren Dreimonatsfrist der versicherten Person, dem VR oder sonstigen Personen bekannt oder erkennbar wird.216 Entscheidend ist nicht die Kenntniserlangung, sondern dass die Invalidität tatsächlich innerhalb eines Jahres nach Unfall eingetreten ist.217 Weiterhin braucht der Nachweis für eine Dauer-
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361, 362; OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187 = RuS 2004 77; OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397 = RuS 2007 71, 72; OLG Köln 21.3.1991 VersR 1992 176; OLG Saarbrücken 21.6.2005 VersR 2007 487; OLG Zweibrücken 17.1.1967 VerBAV 1973 218, 220. S. nur OLG Frankfurt/M. 2.4.1987 RuS 1987 355, 356; OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930; LG Düsseldorf 25.7.1996 RuS 1999 436, 437; s.a. OGH 28.11.2007 VersR 2009 138, 139. BGH 1.4.1965 VersR 1965 505, 506; OLG Saarbrücken 21.6.2005 VersR 2007 487; ferner OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423. OLG München 1.6.1989 VersR 1991 60; a.A. OLG Hamm 9.6.1999 VersR 2000 43, 44 = NVersZ 1999 566. BGH 19.12.1990 NJW-RR 1991 539.
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BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 176. Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 22. Reichenbach S. 116 mit Beispielen. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 51; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 166. OLG Karlsruhe 1.2.1990 VersR 1990 773, 774; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 10; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 21. Surminski ZfV 1974 223; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 17. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 10; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 154. OLG Karlsruhe 1.2.1990 VersR 1990 773, 774; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 10; E. Hofmann S. 63; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 166. Grewing Entstehungsgeschichte S. 36; ders. Unfallversicherung S. 60; Surminski ZfV 1974 223; Wussow/Pürckhauer 6 § 7
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beeinträchtigung nicht binnen der Jahresfrist geführt zu sein. Anderenfalls könnte jede Verzögerung des ärztlichen Prüfverfahrens, die u.U. vom VR veranlasst ist, zum Nachteil des VN gereichen.218 Die Frist gilt grundsätzlich für jedes Unfallereignis gesondert (s. bereits Rn. 70). Steht 79 allerdings ein weiterer Unfall mit dem ersten Unfall in adäquat kausalem Zusammenhang und führt dieser Zweitunfall innerhalb eines Jahres nach dem ersten Unfall zur Invalidität, so besteht Versicherungsschutz aus dem beim ersten Unfall bestehenden Versicherungsvertrag (§ 180 Rn. 30 ff.). Des Weiteren ist die Jahresfrist für jeden Dauerschaden isoliert zu prüfen. Ist etwa ein dauerhafter Hüftschaden (dem Grunde nach) innerhalb der Jahresfrist eingetreten, so sind auch etwaige Verschlimmerungen der daraus resultierenden Invalidität gedeckt. Dies gilt jedoch nicht für einen weiteren selbständigen Gesundheitsschaden (wie z.B. eine Depression). Manifestiert sich die weitere invaliditätsbegründende Beeinträchtigung erst nach Ablauf der Jahresfrist dauerhaft, besteht für sie keine Leistungspflicht des VR.219 Die Frage des Invaliditätseintritts kann vom Arzt und vom VR großzügig beurteilt 80 werden. § 188 Abs. 1 (Ziff. 9.4 AUB 99/2008, § 11 Abs. 4 AUB 88/93 bzw. § 13 Nr. 3a AUB 61) eröffnen die Möglichkeit, den Grad der Invalidität jährlich (längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall) neu zu bemessen. Ggf. kann der Invaliditätsgrad nach der Neubemessung auch „0“ betragen.220 Für die Berechnung der Jahresfrist ist § 188 BGB maßgebend. Hat sich z.B. der Unfall am 1.6. ereignet, so endet das Jahr mit dem Ende des 1.6. des nächsten Jahres um 24 Uhr.221 3. Ärztliche Feststellung innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall An die anspruchsbegründende ärztliche Feststellung der Invalidität sind keine hohen 81 Anforderungen zu stellen.222 Es genügt dem Interesse des VR an der baldigen Klärung seiner Leistungspflicht, wenn ihm eine ärztliche Stellungnahme vorliegt, die formgerecht innerhalb der Frist erstellt und in der eine innerhalb der Jahresfrist seit dem Unfall eingetretene und auf den Unfall zurückzuführende Invalidität bestätigt ist. a) Rechtsnatur. Die Frist für die ärztliche Feststellung ist eine die Leistungspflicht des 82 VR begrenzende (objektive) Anspruchsvoraussetzung.223 Liegt sie nicht vor, greift der Invaliditätsanspruch nicht durch. Verschulden des VN ist kein Tatbestandsmerkmal;
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Rn. 17 f.; s.a. OLG München 12.10.1931 VA 1932 34, 35 Nr. 2393; a.A. noch Gräber VersR 1959 869 f. zu abweichend formulierten AUB bzw. AKB. So bereits Gräber VersR 1959 869. Kessal-Wulf RuS 2008 313, 317. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 10. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 18. S. nur BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 10 = NJW-RR 2007 977, 978; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177; OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159 f.; OLG Düsseldorf 10.6.2008 NJW-RR 2009 246, 247; OLG Hamm 6.9.2006 VersR 2007 1216, 1217 = RuS 2007 209;
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OLG Karlsruhe 21.10.2004 DAR 2005 29, 31; OLG Koblenz 28.12.2001 NVersZ 2002 215; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837; OLG Zweibrücken 14.4.2005 RuS 2008 125. S. nur BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 176; OLG Bremen 18.4.2000 NVersZ 2001 75; OLG Düsseldorf 10.6.2008 NJW-RR 2009 246, 247; OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362; OLG Hamm 6.9.2006 VersR 2007 1216; OLG Koblenz 11.9.2008 VersR 2010 62 f.; OLG Naumburg 13.5.2004 VersR 2005 970, 971; OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856 = NJW-RR 2004 186; OLG Zweibrücken 17.1.1967 VerBAV 1973 218, 220.
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Unfallversicherung
einen Entschuldigungsbeweis gibt es – anders als bei der Frist zur Geltendmachung der Invalidität (Rn. 127 ff.) – nicht.224 Unerheblich ist deshalb, ob, • die versicherte Person eigene Einfluss – oder Steuerungsmöglichkeiten auf die fristgerechte Feststellung hatte. • eine ärztliche Feststellung überhaupt fristgerecht möglich gewesen wäre.225 Können die Ärzte innerhalb der Frist nicht erkennen bzw. feststellen, dass der Unfall bleibende Beeinträchtigungen nach sich ziehen wird, besteht auch dann kein Anspruch, wenn die Unfallfolgen noch nach Fristablauf eintreten.226 Dies gilt selbst dann, wenn der Arzt innerhalb der Frist den Invaliditätseintritt nicht nur offengelassen, sondern sogar die (im Nachhinein fehlerhafte) Auskunft gegeben hat, mit Spätfolgen sei nicht zu rechnen.227 Die rechtliche Würdigung von ärztlichen Fehlbeurteilungen gehört in den Bereich der Arzthaftpflichtversicherung. Zwischen VN und Arzt ist zu klären, ob sich der Arzt wegen einer Verletzung des Behandlungsvertrages (Verkennung der unfallbedingten Dauerfolge) einer Schadensersatzpflicht ausgesetzt hat.228 • sich ein Arzt, gleich aus welchen Gründen, verweigert 229 bzw. verspätete Feststellungen trifft.230 Es ist dann Sache der versicherten Person, sich ggf. an einen anderen Arzt zu wenden, um fristgerecht eine entsprechende Feststellung der Invalidität vorlegen zu können.231 Ärztliche Versäumnisse oder Fehlbeurteilungen sind nicht im Verhältnis zwischen VR und VN, sondern im Verhältnis zwischen VN und Arzt (bzw. dessen Haftpflichtversicherer) zu klären.232 So kommt eine Haftung des Arztes aus Verzug gegenüber dem VN in Betracht, wenn er die Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses verzögert.233 • der VR die Leistung endgültig abgelehnt 234 und den VN zugleich auf den Weg der gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche gemäß § 12 Abs. 3 a.F. verwiesen hat. Hier kommt allerdings in Betracht, das Berufen des VR auf den Ablauf der Frist zur ärztlichen Feststellung im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich anzusehen (Rn. 139).235
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Grundlegend BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1037 und 1038 = VerBAV 1978 293, 294; ferner BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 7 = NJW 2006 911; BGH 23.2.2005 VersR 2005 639; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177; BGH 24.3.1982 VersR 1982 567 = NJW 1982 2779; OLG Bamberg 28.5.1998 RuS 2000 394; OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159; OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478; OLG Frankfurt 19.5.1988 ZfS 1988 258, 259; OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; OLG Karlsruhe 1.2.1996 RuS 1997 216; OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; OLG Köln 21.12.2007 RuS 2009 75, 76; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837; OLG Stuttgart 18.12.1997 RuS 1999 172, 173 = VersR 1999 44 (LS); a.A. (zumindest missverständlich) OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259 = RuS 2004 251; zu Recht krit. Knappmann RuS 2004 339. BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1038; OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995 438, 439; OLG Hamm 16.2.2007
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VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; OLG Karlsruhe 7.10.1991 RuS 1992 359; OLG Stuttgart 18.12.1997 RuS 1999 172, 173 = VersR 1999 44 (LS). LG Freiburg i. Br. 1.4.2003 VersR 2003 1245, 1246; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 23. OLG Koblenz 23.3.2001 NVersZ 2002 69 f. = RuS 2002 84 = VersR 2002 430 (LS); krit. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 165. OLG Hamm 20.4.1988 ZfS 1989 29. OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; OLG Hamm 27.1.2006 RuS 2007 74; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 11. OLG Koblenz 27.8.1999 NVersZ 2000 174 = VersR 2000 842 f. (LS); LG Frankfurt 2.3.1987 RuS 1987 208; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 167; Terno DAR 2005 314, 315. OLG Koblenz 27.8.1999 NVersZ 2000 174. OLG Hamm 20.4.1988 ZfS 1989 29. BGH 22.11.2005 RuS 2006 126. OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837. BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 7 = NJW 2006 911.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Bei der fristgerechten ärztlichen Feststellung der Invalidität handelt es sich nicht um eine 83 • (verhüllte) Obliegenheit, deren Verletzung nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit und Kausalität zur Leistungsfreiheit bzw. Leistungsbegrenzung führen könne. Die dahingehende Auffassung236 hat sich zu Recht nicht durchgesetzt.237 • Ausschlussfrist, deren unverschuldetes Versäumnis unschädlich wäre.238 Eine entsprechende Annahme überzeugt nicht.
Der Wortlaut der Bestimmung lässt an dem Charakter der Frist als Anspruchsvoraussetzung keinen Zweifel aufkommen.239 Das Erfordernis der ärztlichen Feststellung stellt keine Anforderung an die Sorgfalt des VN.240 Der Zweck der Fristenregelung, Spätschäden vom Versicherungsschutz auszugrenzen (Rn. 73), würde bei Annahme einer Exculpationsmöglichkeit der versicherten Person verfehlt.241 b) Ausstellung durch einen Arzt. Die Feststellung der Invalidität setzt in persönlicher 84 und fachlicher Hinsicht Folgendes voraus: aa) Persönliche Anforderungen. Die Invaliditätsfeststellung muss durch mindestens 85 einen Arzt erfolgen. Die Dokumentation kann grundsätzlich vor Fristablauf durch jeden Arzt erstellt werden.242 Ist indes die Frist verstrichen, so darf der VR anstatt die Leistungsablehnung auszusprechen, die Leistungsprüfung auch von Voraussetzungen abhängig machen, die in den Vertragsbedingungen der Parteien nicht vorgesehen sind, z.B. die Feststellung durch einen Facharzt verlangen; denn wenn der VR schon nicht verpflichtet ist, überhaupt noch eine Leistungsprüfung vorzunehmen, so kann er seine Bereitschaft zu weiteren Prüfungen an gewisse Bedingungen knüpfen, ohne sich deshalb sich dem Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens auszusetzen.243 Die Feststellung muss von einem Dritten getroffen werden. Die Eigendiagnose eines 86 VN, der Arzt ist, reicht nicht aus.244 Dies liegt auf der Hand, wenn der VN keine Sachkunde und Erfahrungen auf dem betreffenden medizinischen Gebiet hat, z.B. der Zahnarzt sich Invalidität wegen einer Nervenschädigung bescheinigt.245 Die Eigendiagnose des VN reicht aber selbst dann nicht aus, wenn er über besondere Fachkenntnisse auf dem
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 13. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639; BGH 24.3.1982 VersR 1982 567 = NJW 1982 2779; OLG Hamm 20.4.1988 ZfS 1989 29; OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; OLG Stuttgart 18.12.1997 RuS 1999 172, 173; LG Bremen 24.10.1985 VersR 1985 403; LG Stuttgart 11.11.1987 ZfS 1989 137; Büsken VersR 1989 1040; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 9; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 44. BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1037 und 1038; OLG Karlsruhe 7.10.1991 RuS 1992 359; OLG Stuttgart 18.12.1997 RuS 1999 172, 173; LG Stuttgart 11.11.1987 ZfS 1989 137; missverständlich BGH 23.9.1992 VersR 1992 1503, 1504 = NJW 1993 201, 202. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639. OLG Frankfurt/M. 16.4.1992 VersR 1993 174, 175.
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BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1038; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 9. OLG Hamm 19.1.2001 VersR 2002 49, 50; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 11. OLG Hamm 19.1.2001 VersR 2002 49, 50; ferner Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 59; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 176; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 161. OLG Hamm 19.1.2001 VersR 2002 49, 50; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 49; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 11; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 52; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 167. OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995 438, 439; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11.
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Gebiet seiner Gesundheitsschädigung verfügt.246 Dass das in den AUB geregelte Erfordernis einer ärztlichen Feststellung der Invalidität auch dazu dient, durch möglichst neutrale und objektive Dritte Befangenheitsdiskussionen auszuschließen, dürfte dem verständigen VN (noch) nachvollziehbar sein. Die Gegenauffassung verweist darauf, dass das Erfordernis der Feststellung durch einen Dritten nicht ausreichend im Bedingungswortlaut zum Ausdruck komme und trotz der Gefahr von Interessenkonflikten nicht geboten sei, da die in Eigendiagnose getroffene ärztliche Feststellung keine Bindungswirkung für den VR entfalte und keinem Richtigkeitspostulat unterworfen sei.247 Um hier Konfliktpotential zu verringern kann es sich anbieten, die AUB zukünftig noch klarer zu fassen. Allerdings darf angenommen werden, dass die Fälle, in denen die Frage nach der Zulässigkeit von Eigendiagnose streitentscheidend sind, verschwindend gering sind. Nicht ärztliche Feststellungen sind unzureichend. Bescheinigungen eines Fitness-Trai87 ners oder Masseurs 248 genügen genauso wenig wie die eines „Wunderheilers“.249 Des Weiteren reicht der Bescheid eines Versorgungsamtes nicht aus,250 zumal z.B. die Feststellung einer Schwerbehinderung an andere Voraussetzungen als die Invalidität i.S.d. Unfallversicherung gebunden ist (Vorbem. § 178 Rn. 60 und § 180 Rn. 6). Ein (Renten-) Bescheid steht einem ärztlichen Attest nicht gleich, und zwar selbst dann nicht, wenn in ihm ein Grad der Behinderung festgestellt ist; denn das Versorgungsamt ist eine Behörde und kein ärztlicher Dienst.251 Zwar mag der Bescheid auf ärztlichen Aussagen beruhen, ist aber selbst keine ärztliche Feststellung.252 Ggf. kann der Behördenvorgang allerdings durch Akteneinsicht Bedeutung erlangen.253
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bb) Fachliche Anforderungen. Die ärztliche Feststellung bezieht sich allein auf den Teil des Sachverhalts, für dessen Ermittlung und Beurteilung medizinischer Sachverstand erforderlich ist. Sie umfasst in der Regel den Schadenshergang (Verletzungsmechanismus), das Verletzungsbild, den intraoperativen und den feingeweblichen Befund sowie Vorerkrankungen.254 Nicht zu den Aufgaben des Arztes gehört es, den Ablauf des Unfallereignisses zu ermitteln. Dieser ist vom VR zusammen mit den für die medizinische Feststellung notwendigen juristischen Vorgaben (z.B., ob es sich um einen Unfall i.S.v. § 178 handelt) dem Arzt mitzuteilen.255 Der Arzt hat zunächst den relevanten medizinischen Sachverhalt zu ermitteln. Dazu erhebt er vorrangig objektive Befunde, anhand derer er die unfallbedingte Invalidität feststellen kann. Solche Befunde sind von der Mitwirkung der versicherten Person unabhängig und jederzeit reproduzierbar. Subjektive Befunde müssen sich ihnen unterordnen und zu ihnen passen. Stehen dem Arzt allerdings nach gewissenhafter Prüfung keine objektiven Befunde zur Verfügung, so darf er im Vertrauen auf die Redlichkeit des Probanden auch vornehmlich die von der versicherten Person 246
247 248 249 250
OLG Koblenz 19.12.1999 VersR 1999 1227 f. = NVersZ 2000 175; offen lassend Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 23. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 7. Manthey NVersZ 2001 55, 57. OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362. OLG Bremen 17.1.2006 – 3 U 58/05 = 6 O 1765/04; OLG Düsseldorf 23.5.2006 VersR 2006 1487, 1488 = RuS 2007 256, 257; OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450 = RuS 2001 390, 391;
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251 252 253 254 255
OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362; OLG Hamm 13.6.2001 NVersZ 2001 551, 552; LG Dortmund 14.2.2008 RuS 2009 206; LG Stuttgart 10.10.2003 RuS 2004 473. OLG Hamm 13.6.2001 NVersZ 2001 551, 552; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 23. BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 177 = VersR 1995 1179, 1181 = RuS 1995 397, 398. Marlow RuS 2007 353, 358. Kämmerling/Ludolph S. 193, 194. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
geschilderte Symptomatik zur Beurteilung heranziehen.256 Der Sachverhaltsfindung folgt dann die ärztliche Beurteilung auf Grundlage der herrschenden medizinischen Lehre und der ärztlichen Erfahrung.257 Richtigkeit der ärztlichen Feststellung wird nach allgemeiner Meinung nicht gefordert (Rn. 108 f.). c) Empfänger. Die Stellungnahme des Arztes muss an keine bestimmte Person gerich- 89 tet sein. Sie kann gegenüber dem VN, der versicherten Person, dem VR oder sonstigen Dritten (Arbeitgeber, Kranken- oder Haftpflichtversicherer, Unfallverursacher, Schädiger usw.) erfolgen. Insbesondere muss sie nicht speziell an den VR adressiert werden. Zur Fristwahrung genügt vielmehr die tatsächliche Invaliditätsfeststellung durch den Arzt. Sie muss dem VR nicht innerhalb der 15-Monatsfrist zur Kenntnis gelangen.258 Auf den Zugang beim VR kommt es nicht an.259 Ein dahingehendes Erfordernis, das sicherlich zweckmäßig wäre, ist den AUB nicht zu entnehmen. Anders als bei der Geltendmachung der Invalidität durch den VN (Rn. 119 und 126) handelt es sich bei der ärztlichen Feststellung nicht um eine an den VR zu richtende (empfangsbedürftige) Willenserklärung. Umstritten ist, ob auch interne Aufzeichnungen des Arztes wie z.B. ein Vermerk in 90 der Patientenkartei zur Feststellung der Invalidität ausreichend sein kann.260 Z.T. wird dies pauschal mit Hinweis auf den Sinn und Zweck von internen Aufzeichnungen abgelehnt. Es handele sich nicht um aussagekräftige Dokumente (insbesondere über Dauerschäden), da in ihnen häufig Dinge vermerkt würden, die der Arzt noch nicht endgültig beurteilt oder durchdacht habe bzw. als bloße Gedankenstütze für einen später abzufassenden externen Bericht dienten.261 Dem ist indes in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen VN (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57) werden interne Vermerke des Arztes zur Invaliditätsfeststellung durch den Wortlaut der Fristenregelung in den jeweiligen AUB gerade nicht ausgeschlossen. So enthält z.B. Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99/2008 keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Invalidität von dem Arzt gegenüber dem VR oder einem Dritten schriftlich festzustellen sei. Im Regelfall wird jedoch die grundsätzliche Zulassung von Aufzeichnungen des Arztes in der Patientenkartei etc. aus anderen Gründen für eine Invaliditätsfeststellung nicht ausreichen; denn „schwammige“ bzw. unklare oder erkennbar noch nicht abschließende Vermerke zur Invalidität der versicherten Person sind ungenügend. Insbesondere genügt die Niederlegung von reinen Befunddaten nicht (Rn. 97). Zweifel bei der Auslegung des Inhalts oder der Urheberschaft interner Aufzeichnungen gehen zu Lasten des beweispflichtigen Anspruchstellers.
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OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856 = RuS 2005 392 = NJW-RR 2004 186. Kämmerling/Ludolph S. 193, 195; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. BGH 25.4.1990 VersR 1990 732, 733 = NJW-RR 1990 1048, 1049; OLG Hamburg 23.7.1997 NJW-RR 1998 1183; OLG Koblenz 18.12.1992 VersR 1993 1262 = RuS 1993 118; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 19. Grundlegend BGH 16.12.1987 VersR 1988 286, 287 = NJW 1988 2305 (LS); ferner BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 10 = NJW-RR 2007 977, 978; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177;
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OLG Celle 27.9.2001 RuS 2002 260; OLG Frankfurt/M. 16.4.1992 VersR 1993 174, 175; OLG Hamm 15.8.2007 NJW-RR 2008 279, 280; OLG Karlsruhe 21.10.2004 DAR 2005 29, 31; OLG Koblenz 11.9.2008 VersR 2010 62, 63, OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; OLG Köln 21.11.1991 RuS 1992 105; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837. So wohl OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362; verneint im Fall des OLG Hamburg 23.7.1997 NJW-RR 1998 1183, 1184. WI 2004 194 f.
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d) Inhalt. Die ärztliche Feststellung der Invalidität ist die allein von ärztlicher Sachkunde und Erfahrung getragene 262 und schlüssige – nicht notwendig inhaltlich richtige – sowie auf objektiven Befunden beruhende Beurteilung, dass die versicherte Person unfallbedingte Gesundheitsschäden davongetragen hat, die – dem Grunde nach – ihre körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit (bzw. Arbeitsfähigkeit) auf Dauer beeinträchtigen.263 Mangels ausdrücklicher Bestimmung in den AUB wird wohl nicht gefordert werden können, dass der Arzt bereits den Prognosezeitraum von drei Jahren gemäß § 180 S. 2 zugrundelegt.264
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aa) Detaillierungsgrad. Welche Anforderungen an die ärztliche Feststellung der Invalidität im Einzelnen zu stellen sind, ist umstritten. Nach einer Auffassung – wird z.T. unter Berufung auf ein Urteil des BGH 265 – die Bezeichnung eines konkreten (unfallbedingten) Dauerschadens verlangt, der durch bestimmte Symptome gekennzeichnet ist.266 Dieser Meinung steht jedoch bereits entgegen, dass sich das rekrutierte BGH-Urteil nicht auf die AUB 61/88/94/99/2008 stützte, sondern auf § 6 Abs. 2 AVBfU. Dort war im Gegensatz zu den neueren AUB ausdrücklich vorgesehen, dass der Anspruch auf Invaliditätsleistung unter Vorlage eines ärztlichen Attestes „zu begründen“ sei. Die Gegenansicht kommt nicht nur deshalb für die neueren Bedingungswerke zu dem Ergebnis, dass nähere Ausführungen oder die konkrete Bezeichnung der zugrunde liegenden Symptome bzw. eine qualifizierte Diagnostik nicht gefordert werden können.267 Ihr ist zu folgen. Auch ohne nähere oder eingehende Begründung ist eine Fristwahrung möglich; denn ein Begründungszwang folgt aus den neueren AUB nicht. Ist die ärztliche Feststellung zu knapp oder oberflächlich, um den VR von der Invalidität zu überzeugen, so muss er nachfragen bzw. weitere Untersuchungen veranlassen. Die ärztliche Feststellung muss allerdings für den VR – notfalls im Wege der Aus93 legung – verständlich und „schlüssig“ sein, so dass eine Konkretisierungspflicht bestehen kann. Sie muss hinreichend klar zu erkennen geben, dass bei der versicherten Person die Voraussetzungen für die Invalidität gegeben sind, also die versicherte Person in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (bzw. Arbeitsfähigkeit) beeinträchtigt ist, diese Beeinträchtigung dauerhaft und auf ein bestimmtes Geschehen, den (vermeintlichen) Unfall, (mit) zurückzuführen ist.268 Dazu sind Angaben über die vom Arzt angenommene Ursache sowie die Art und Dauer ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit der 262 263
264 265 266
OLG Stuttgart 18.12.1997 RuS 1999 172, 173. OLG Frankfurt 13.5.2003 RuS 2004 253; OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362 = RuS 2004 78; OLG Frankfurt/M. 12.1.2000 RuS 2003 29, 30 = VersR 2002 1139 (LS); OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995 438, 439; OLG Frankfurt/M. 16.4.1992 VersR 1993 174, 175; OLG Naumburg 13.5.2004 VersR 2005 970, 971 = RuS 2006 124, 125; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJWRR 2008 837; LG Stuttgart 10.10.2003 RuS 2004 473; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 20. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 159. BGH 21.12.1973 VersR 1974 234, 235. So u.a. OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008
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670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159; OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; Kloth Rn. G 27 und 32; Lehmann/Ludolph 2 S. 5; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 20; s.a. OLG München 1.2.1998 NVersZ 2000 176. OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856 = RuS 2005 392 = NJW-RR 2004 186; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 12. OLG Düsseldorf 13.12.2005 RuS 2006 518; OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450 = RuS 2001 390, 391; OLG Düsseldorf 6.2.1990 VersR 1991 59; OLG Karlsruhe 5.11.1997 VersR 1998 882 = RuS 1998 260, 261.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
versicherten Person erforderlich.269 Mit diesen Angaben wird der VR in die Lage versetzt, der Sache nachzugehen.270 Nur die reine Feststellung von (irgendeiner) Invalidität genügt dagegen nicht.271 Aussagen wie „die versicherte Person ist invalide“ sagen nichts über die Dauerhaftigkeit der Invalidität und den Ursachenzusammenhang zum konkreten Unfallereignis. Sie sind weiterhin zu unbestimmt und erlauben keine Abgrenzung gegenüber Gesundheitsschäden, die durch andere Unfälle hervorgerufen worden sind oder unfallfremde Ursache haben. Zweifelhaft ist, ob die ärztliche Feststellung auch eine Aussage dazu enthalten muss, 94 dass die Invalidität innerhalb der Jahresfrist eingetreten ist.272 Dies entspräche zwar dem Sinn und Zweck der Klausel (Rn. 73) und würde zur Rechtssicherheit beitragen. Jedoch ist die Notwendigkeit zur ärztlichen Feststellung des Invaliditätseintritts innerhalb eines Jahres nach dem Unfall dem Wortlaut und Aufbau von Ziff. 2.1.1.1 S. 2 Spiegelstrich 2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61) nicht zwingend zu entnehmen. Die Anspruchsvoraussetzung der ärztlichen Feststellung bezieht sich schlicht auf die „Invalidität“ und nicht auf die „innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetretene Invalidität“. In Fällen, in denen Zweifel darüber bestehen, ob die Invalidität innerhalb der Jahresfrist oder erst danach (aber innerhalb der 15-Monatsfrist) eingetreten ist, muss der VR nachfragen bzw. den VN darauf hinweisen, dass der Eintritt der unfallbedingten Invalidität binnen Jahresfrist noch nachzuweisen ist. Bei einer Neuauflage der AUB könnte es sich anbieten, für eine eindeutige Regelung zu sorgen (z.B. „Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres … eingetreten. Dies wird … festgestellt …“). bb) Aussagen zur Invalidität. Erforderlich ist die Angabe eines konkreten, die Leis- 95 tungsfähigkeit der versicherten Person beeinflussenden Dauerschadens.273 Dafür kann eine Bescheinigung des Unfallkrankenhauses ausreichen, in der es heißt, eine Minderung der Erwerbstätigkeit in rentenberechtigendem Grade werde verbleiben (s. aber auch Vorbem. § 178 Rn. 60 und § 180 Rn. 6).274
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BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 11 = NJW-RR 2007 977, 978 = RuS 2007 255, 256; BGH 6.11.1996 VersR 1997 442, 443 = RuS 1997 84, 85 = NJW-RR 1997 277; OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1695; OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1217; OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159; OLG Düsseldorf 23.5.2006 VersR 2006 1487, 1488 = RuS 2007 256, 257; OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; OLG Hamm 6.9.2006 VersR 2007 1216, 1217 = RuS 2007 209; OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384 f.; OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230; OLG Karlsruhe 21.10.2004 DAR 2005 29, 31; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837; OLG Zweibrücken 14.4.2005 RuS 2008 125. OLG Düsseldorf 6.2.1990 VersR 1991 59; LG Dortmund 14.2.2008 RuS 2009 206; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 318.
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OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362. So – oft eher beiläufig – die ganz h.M.; s. etwa OLG Bremen 18.4.2000 NVersZ 2001 75; OLG Düsseldorf 10.6.2008 NJWRR 2009 246, 247; OLG Frankfurt/M. 13.5.2003 RuS 2004 253; OLG Hamm 28.5.1993 RuS 1993 395; OLG München 1.6.1989 VersR 1991 60; Grewing Entstehungsgeschichte S. 36; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 50; Lehmann/Ludolph 2 S. 5; Surminski ZfV 1974 223; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 19. BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 12 = NJW-RR 2007 977, 978 = RuS 2007 255, 256; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837. OLG Düsseldorf 13.12.2005 RuS 2006 518 f. (zust. Marlow RuS 2007 353, 358); OLG Oldenburg 31.3.1999 NVersZ 2000 333 f. = RuS 2000 349 = VersR 2000 754 (LS).
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AUB 2008 Ziff. 2.1 96
Unfallversicherung
(1) Bewertung der erhobenen Befunde. Die unfallbedingte Invalidität (bei Geltung der AUB 88/94/99/2008 die Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit; bei Vereinbarung der AUB 61 die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit) muss (nur) dem Grunde nach feststehen.275 Dies ergibt bereits der Umkehrschluss zu Ziff. 9.3 AUB 99/2008, § 11 Abs. 3 AUB 88/94, § 13 Nr. 2 AUB 61 („Steht die Leistungspflicht zunächst nur dem Grunde nach fest …“). Nur insofern muss die ärztliche Stellungnahme abschließend sein. Nicht erforderlich ist deshalb, dass • der Arzt einen bestimmten Invaliditätsgrad verbindlich festgelegt hat.276 Eine derartige Anforderung an die Feststellung ginge über ein anerkennenswertes Interesse des VR hinaus. Vielmehr würden gerade Schwerstverletzte belastet, bei denen aufgrund des langwierigen Heilverfahrens eine einigermaßen verlässliche Einschätzung des Ausmaßes der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nicht möglich ist.277 Dass die VR den Invaliditätsgrad gerade nicht von vornherein festgeschrieben wissen wollen, ergibt zudem die in Ziff. 9.4 AUB 99/2008 (§ 11 Abs. 4 AUB 88/94 bzw. § 13 Nr. 3 AUB 61) vorgesehene Regelung.278 • die Feststellung sogar einen an der Gliedertaxe ausgerichteten Invaliditätsgrad enthält.279
97
Ungenügend ist es allerdings, wenn sich die ärztliche Feststellung auf objektive (beschreibende) Feststellungen bzw. die Erhebung von Befunden beschränkt oder (unspezifiziert) von einem Auftreten von Symptomen spricht;280 denn die „Erhebung von Gesundheitsdaten“ bereitet lediglich die Beurteilungsgrundlage für das später – versicherungsvertraglich allein maßgebende – Gutachten über die Invalidität vor.281 Diese Untersuchungsergebnisse sind dagegen nicht mit der „Feststellung der Invalidität“ gleichzusetzen. Notwendig ist darüber hinaus, dass der Arzt auf Basis eines erhobenen Befundes tatsächlich – aufgrund eines Willens- und Entscheidungsaktes – den Schluss auf eine unfallbedingte Invalidität der versicherten Person zieht.282 Befunde ohne Schlussfolgerung bzw. Wertung des Arztes, es liege eine (unfallbedingte) dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Arbeitsfähigkeit) vor, reichen für eine ärztliche Feststellung nicht aus.283 Dies gilt auch dann, wenn die innerhalb der Frist erhobenen Befunde bei nachträglicher (wertender) medizinischer Beurteilung die An-
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OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; OLG Hamm 16.9.1988 RuS 1989 31; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 9 und 11; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 167. S. nur BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 10 = NJW-RR 2007 977, 978; OLG Düsseldorf 13.12.2005 RuS 2006 518, 519; OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 22. BGH 6.11.1996 VersR 1997 442, 443 = RuS 1997 84, 85 = NJW-RR 1997 277. S. nur BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177; BGH 19.12.1990 NJW-RR 1991 539; OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159, 160; OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188; OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53,
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54; OLG München 17.1.1994 VersR 1995 565 = RuS 1994 478; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930. OLG Hamm 23.2.2007 VersR 2008 342; OLG Hamm 16.5.2007 VersR 2008 342, 343. OLG Koblenz 18.12.1992 VersR 1993 1262 = RuS 1993 118. OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188 = RuS 2004 77; OLG Hamm 16.9.1988 RuS 1989 31. S. nur OLG Frankfurt/M. 13.5.2003 RuS 2004 253; OLG Hamm 12.1.1990 VersR 1990 1344, 1345; OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385; OLG Köln 10.3.1994 RuS 1994 236 = VersR 1994 1220 (LS); OLG Naumburg 13.5.2004 VersR 2005 970, 971 = RuS 2006 124, 125; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 f.; OLG Stuttgart 18.12.1997 RuS 1999 172, 173 = VersR 1999 44 (LS).
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
nahme einer zum Zeitpunkt der Befunderhebung bereits eingetretenen Invalidität erlaubt hätten.284 Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass entgegen dem Sinn und Zweck der Fristenregelung (Rn. 73) der VN noch lange nach Fristablauf mit der (leicht zu konstruierenden) Behauptung gehört werden könnte, die fristgerecht erhobenen Befunde seien von den Ärzten falsch bewertet worden. Das Risiko ärztlicher Fehlbeurteilungen hat im Übrigen nicht der VR, sondern der VN zu tragen (Rn. 82). Aus ähnlichen Gründen ist die bloße Wiedergabe von Äußerungen und Darstellungen des Patienten, die zwar auf eine unfallbedingte Invalidität hindeuten, die sich der Arzt jedoch nicht i.S.e. ärztlichen Bewertung zu eigen gemacht hat, für die Invaliditätsfeststellung i.S.d. AUB ungenügend.285 Ausnahmsweise können indes ärztliche Befunde ohne Erwähnung der Invalidität 98 genügen, wenn sie so eindeutig und zwingend sind, dass sie für sich selbst sprechen (z.B. Feststellung einer Querschnittslähmung oder des Verlustes von Gliedmaßen).286 Eine ausdrückliche ärztliche Feststellung wäre dann eine reine Formalie.287 Würde sich der VR in solchen Fällen auf die Fristversäumnis wegen fehlender Feststellung der Invalidität berufen, verhielte er sich treuwidrig (Rn. 137). Ist Invalidität aufgrund der den VR vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen zwar nicht zwingend anzunehmen, aber nahe liegend, so kann – unabhängig von § 186 – nach § 242 eine Verpflichtung des VR bestehen, die versicherte Person auf die 15-Monatsfrist hinzuweisen (Rn. 132). Die ärztliche Invaliditätsfeststellung wird jedenfalls nicht entbehrlich, wenn z.B. eine Borrelioseerklärung festgestellt wird; denn sie führt nicht notwendig zu Dauerfolgen.288 (2) Prognose eines Dauerschadens. Der ärztliche Befund muss eine hinreichend ge- 99 sicherte Prognose zur Dauerhaftigkeit der unfallbedingten Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit enthalten.289 Es muss (zumindest) eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Dauerinvalidität zum Ausdruck kommen.290 Fehlt es daran, so ist die Invalidität nicht ausreichend festgestellt.291 In der Praxis enthalten die Fragebögen der VR Fragen wie z.B. „Liegt eine dauerhafte Beeinträchtigung – vor?“, die durch Ankreuzen von Ja- und Nein-Kästchen beantwortet werden sollen. Nimmt der Arzt eine solche Beantwortung vor, ist die rechtliche Konsequenz eindeutig.292 Schwierigkeiten bereiten allerdings in der Praxis immer wieder Fälle, in denen keine VR-Vordrucke für die ärztliche Feststellung genutzt bzw.
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OLG Frankfurt/M. 21.12.1992 RuS 1995 279, 280; OLG Frankfurt/M. 21.8.1992 VersR 1993 175 (LS); OLG Hamm 20.4.1988 ZfS 1989 29 = VersR 1989 242 (LS); OLG München 1.6.1989 VersR 1991 60; OLG Oldenburg 10.5.1995 NJW-RR 1996 1434, 1435 = RuS 1997 263; OLG Zweibrücken 14.4.2005 RuS 2008 125; s.a. OLG München 17.1.1994 VersR 1995 565 = RuS 1994 478. OLG Frankfurt 13.5.2003 RuS 2004 253, 254. OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995 438, 439; OLG Köln 10.3.1994 RuS 1994 236 = VersR 1994 1220 (LS); OLG Stuttgart 29.11.2001 RuS 2003 211; OLG Zweibrücken 14.4.2005 RuS 2008 125.
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Schubach ZfS 2005 224, 227. OLG Düsseldorf 7.4.2009 VersR 2010 61, 62. OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159, 160; OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856 = RuS 2005 392 = NJW-RR 2004 186. OGH 28.11.2007 VersR 2009 138, 140. OLG Bremen 18.4.2000 NVersZ 2001 75; OLG Koblenz 20.2.2003 RuS 2003 473; OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 958; s.a. OLG Düsseldorf 5.12.1995 VersR 1997 174, 175. OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856.
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591
AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
„Freifeldlösungen“ zum Einsatz kommen. Hier lassen sich folgende Fallgruppen unterscheiden: Fehlende Zukunftsprognose: Unzureichend sind Bescheinigungen, die überhaupt 100 keine Aussagen zu einem Dauerschaden treffen bzw. keine wertende Zukunftsprognose enthalten, z.B. nur • eine ärztliche Behandlung wegen bestimmter Beschwerden 293 oder eine eingeschränkte Beweglichkeit oder Belastbarkeit der versicherten Person attestieren.294 • einen bestimmten Gesundheitsschaden diagnostizieren. Wird etwa ein beeinträchtigender Zustand (Bandscheibenvorfall) festgestellt, so folgt daraus noch nicht, dass die Bandscheiben dauerhaft geschädigt sind.295 Entsprechendes dürfte gelten, wenn der Arzt lediglich den „Verdacht einer neurotischen Fehlentwicklung“ attestiert.296 • einen „chronifizierten“ Krankheitszustand angeben.297 Zwar deutet das Wort „chronifiziert“ darauf hin, dass die Beschwerden bereits einige Zeit bestanden haben, jedoch lässt sich daraus nicht folgern, die Beeinträchtigungen könnten in der Zukunft nicht durch entsprechende ärztliche Therapien wieder zurückgehen.298 • Befunde angeben und um eine Wiedervorstellung der versicherten Person nach weiteren Untersuchungen bitten.299 Gleiches gilt, wenn eine „Nachschau aus medizinischen Gründen“ für erforderlich gehalten wird, „sofern dann noch AU vorliegen sollte“.300
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Günstige Zukunftsprognose: Nicht genügend sind Feststellungen, die Dauerschäden ausdrücklich oder konkludent verneinen bzw. eine für die Entwicklung der Gesundheit der versicherten Person günstige Prognose stellen. Dies trifft z.B. zu auf Formulierungen wie • „mit bleibenden Dauerfolgen ist nicht zu rechnen“,301 • „die denkbaren Unfallfolgen stellen in der Regel keine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit dar“.302
Entsprechendes gilt, wenn der Arzt – ohne einen dauerhaft verbleibenden Restschaden zu attestieren – Aussagen in der Art trifft, dass • sich Befunde gebessert bzw. reduziert hätten oder bestimmte Beeinträchtigungen nicht mehr zu beobachten seien.303 • die Frage des VR „ob noch Besserung zu erwarten sei“ mit „Ja“ beantwortet wird.304 • Heilungs- oder Verbesserungsmöglichkeiten bei Durchführung weiterer Operationen, Behandlungen oder Therapien in Betracht kommen305 oder therapeutische Maßnahmen noch nicht voll ausgeschöpft sind.306
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OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475. OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362. OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259 = RuS 2004 251; insofern zust. Knappmann RuS 2004 339. A.A. OLG Hamm 25.1.2006 VersR 2006 1394, 1395 (i.E. aber offen lassend). Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 12. OLG Karlsruhe 5.11.1997 VersR 1998 882 = RuS 1998 260, 261. OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 200 = NJW-RR 2008 837, 838.
592
300 301 302 303 304 305 306
OLG Zweibrücken 14.4.2005 RuS 2008 125. BGH 1.4.1965 VersR 1965 505; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 21. OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618 = RuS 1995 474, 475. OLG Karlsruhe 5.11.1997 VersR 1998 882 = RuS 1998 260, 261. OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478. OLG Karlsruhe 5.11.1997 VersR 1998 882 = RuS 1998 260, 261. OLG Köln 21.11.1991 RuS 1992 105.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Offene Zukunftsprognose: Unzureichend für eine ärztliche Invaliditätsfeststellung sind 102 weiterhin Aussagen, die den Eintritt eines Dauerschadens offenlassen oder nur als eine von mehreren Möglichkeiten in Betracht ziehen.307 Hierzu zählen etwa folgende Angaben: • „Ein Dauerschaden kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden“.308 • Ein Dauerschaden ist „noch nicht abschätzbar“ bzw. „abzuschätzen“,309 „nicht absehbar“ bzw. „vorhersehbar“310 oder „Dauerfolgen können derzeit nicht beurteilt werden“ 311. Entsprechendes gilt, wenn die Frage des VR, ob der jetzige Zustand der Unfallfolgen endgültig sei, mit „kann zur Zeit nicht beurteilt werden“ beantwortet wird.312 • „Zu einem Dauerschaden kann noch keine Aussage gemacht werden, ist aber möglich“ 313 oder „Möglicherweise Funktionsbehinderung des rechten Beins mit Einschränkung der Belastungsfähigkeit“ (des Versicherten) „in seiner Berufsausübung als Sportlehrer“.314 Gleiches gilt, wenn es in der ärztlichen Stellungnahme heißt, es sei „noch nicht zu beurteilen“, ob „eine völlige Wiederherstellung … voraussichtlich bis … zu erwarten“ sei und die Frage, „ob mit einem Dauerschaden zu rechnen“ sei und „in welchem Ausmaß“ lediglich mit „möglich, voraussichtlich zu 20 %“ beantwortet wird.315 • „Ein Kreuzbandriss stellt, zumindest solange er nicht operativ versorgt ist, oft aber auch danach, einen Dauerschaden des Gelenks dar“.316 • „Bis auf weiteres andauernde(n) Arbeitsunfähigkeit“.317 Entsprechendes gilt, wenn im Bericht einer Klinik festgestellt wird, dass die versicherte Person „ohne zeitliche Einschränkung als weiterhin arbeitsunfähig entlassen wird“.318 • „Auch langfristig werde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 bis 90 % verbleiben“. Unabhängig davon, dass hier auf Begriffe abgestellt wird, die der Unfallversicherung fremd sind (Vorbem. § 178 Rn. 60), ist jedenfalls das Wort „langfristig“ ohne rechtlichen Aussagewert, da ihm nicht zu entnehmen ist, ob eine Dauerprognose geprüft und bestätigt wurde.319
Ähnlich zu bewerten sind ärztliche Aussagen, die zwar die Möglichkeit einer Invalidität konkret in Betracht ziehen, jedoch gleichzeitig auf Nachuntersuchungen zur endgültigen Beurteilung verweisen.320 Dies gilt etwa für folgende Formulierungen: • Ein Dauerschaden ist zu erwarten, eine endgültige Beurteilung ist aber erst im nächsten halben Jahr bzw. im nächsten Jahr 321 oder nach Abschluss der Behandlung möglich.322 307 308 309 310
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312 313
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OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159, 160. OLG Bremen 18.4.2000 NVersZ 2001 75, 76. LG Bremen 24.10.1985 VersR 1985 403. OLG Köln 17.10.1991 RuS 1992 34; LG Hanau 23.5.1984 ZfS 1984 247, 248; LG Passau 28.11.1989 ZfS 1990 138; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 21. OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450; OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995 438, 439. OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478. BGH 25.4.1990 VersR 1990 732 f. = NJW-RR 1990 1048 f.; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. LG Bremen 24.10.1985 VersR 1985 403. OLG Celle 27.9.2001 RuS 2002 260. OLG Stuttgart 29.11.2001 RuS 2003 211
317
318 319 320
321 322
(aus dem Attest ergab sich darüber hinaus, dass die versicherte Person regelmäßig krankengymnastische Übungen durchführte, von denen sie sich Besserung oder Heilung versprach); zust. Marlow RuS 2004 353, 357 f. OLG Hamm 19.1.2001 VersR 2002 49, 50; OLG Hamm 25.10.1997 RuS 1998 260; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 12; Schubach ZfS 2005 224, 227. OLG Hamm 13.7.1994 RuS 1995 37. OLG Nürnberg 6.2.1997 VersR 1998 446. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 12; ferner etwa OLG München 1.6.1989 VersR 1991 60; s.a. BGH 12.11.1997 RuS 1998 80. LG Freiburg 16.12.1986 RuS 1987 237; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 958.
Kent Leverenz
593
AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
• eine „dauernde Beeinträchtigung … ist möglich … eine ärztliche Feststellungsuntersuchung“ wird „in 6 Monaten empfohlen“ 323 bzw. „ist ein Jahr nach dem Unfall anzuraten“ 324 oder „dauernde Unfallfolgen sind noch nicht abzuschätzen. Nochmalige Untersuchung und Beurteilung etwa nach Ablauf eines Jahres ist zu empfehlen.“ 325 • „eine vorübergehende Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % wird festgestellt; eine abschließende Stellungnahme ist erst nach Durchführung einer Nachuntersuchung (Kernspintomographie) möglich.“ 326
In all den vorstehend genannten Fällen fehlt es an der erforderlichen Prognose für die Zukunft.327 Unsichere Zukunftsprognose: Umstritten ist, ob Formulierungen des Arztes wie z.B. 103 „mit einem Dauerschaden ist zu rechnen“ bzw. „mit einer dauernden MdE muss gerechnet werden“, „Dauerschaden wird voraussichtlich verbleiben“ oder „ein Dauerschaden ist wahrscheinlich“ zur Feststellung eines Dauerschadens ausreichend sind.328 Die wohl überwiegende Meinung329 verneint dies mit Hinweis darauf, dass der Arzt, wenn er mit einer bestimmten Dauerfolge (nur) rechne oder ihre Möglichkeit in Betracht ziehe, den Eintritt der Invalidität gerade nicht nach allgemeinem Sprachverständnis tatsächlich festgestellt habe. Dieser Eindruck verstärke sich noch dadurch, wenn der Arzt Veranlassung zu weiteren Untersuchungen sehe.330 Die Gegenansicht weist darauf hin, dass der Arzt letztlich immer nur Prognosen geben könne, sofern es nicht zum Verlust von Körperteilen oder ähnlich endgültigen Schäden gekommen sei.331 Prognostische Formulierungen müssten deshalb ausreichen, es sei denn, sie machten deutlich, dass auch hinsichtlich des Invaliditätsgrundes eine abschließende Stellungnahme noch nicht möglich sei.332 I.E. kommt es auf eine Auslegung im Einzelfall an, wobei verbleibende Zweifel zu Lasten des VN gehen. Es ist anhand der Stellungnahme des Arztes aus Sicht eines objektiven Betrachters zu differenzieren, ob der Arzt • noch medizinische Zweifel hat und sich deshalb nach seiner persönlichen Überzeugung nicht sicher über das Vorliegen des dauerhaften Schadens ist, z.B. weil er weitere Untersuchungen, Heilmaßnahmen oder Therapien vorschlägt. In diesem Fall (geringe „materielle“ Bedenken genügen) liegt keine ärztliche Feststellung i.S.d. AUB vor. • lediglich theoretische Restzweifel hat oder seine Formulierung nur als allgemeiner („Formal-“) Vorbehalt zu verstehen ist. Dann reichen prognostische Formulierungen aus.333
323 324 325 326 327 328 329
330
OLG Celle 27.9.2001 RuS 2002 260. OLG Hamm 20.8.1999 RuS 2000 38. LG Bremen 24.10.1985 VersR 1985 403. OLG München 17.1.1994 VersR 1995 565 = RuS 1994 478. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 12. Offen lassend OLG Köln 21.11.1991 RuS 1992 105. BGH 13.11.1980 VersR 1981 160; OLG Frankfurt/M. 21.12.1992 RuS 1995 279, 280; OLG Frankfurt/M. 21.8.1992 VersR 1993 175 (LS); OLG Frankfurt/M. 16.4.1992 VersR 1993 174, 175; LG Hamburg 21.7.2000 RuS 2003 212 (zust. Marlow RuS 2004 353, 358); Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. OLG Naumburg 13.5.2004 VersR 2005
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970, 971 = RuS 2006 124, 125; zust. Marlow RuS 2006 397, 400. OLG Oldenburg 31.3.1999 NVersZ 2000 333 f. = RuS 2000 349 = VersR 2000 754 (LS). OLG Düsseldorf 13.12.2005 RuS 2006 518, 519; OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 12; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 52; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 9; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 21 f.; wohl auch Schubach ZfS 2005 224, 227; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 154 und 160; s.a. OLG Hamm 29.12.1986 VersR 1988 513, 514. So bereits OLG Köln 21.10.1993 VersR 1994 714, 715 = RuS 1994 36, 37.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Für die vorstehende Einzelfallabwägung spricht Folgendes: Einerseits ergibt sich aus den Worten „feststellen“, aber auch „eingetreten“ in Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99/2008 (bzw. den entsprechenden Vorgängerbestimmungen), dass aus ärztlicher Sicht zum Beurteilungszeitpunkt keine Zweifel an einem Dauerschaden bestehen dürfen. Der Zweck der Klausel, Spätschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen (Rn. 73), kann nur erreicht werden, wenn der Arzt sich in seiner Einschätzung sicher ist und zuverlässig auf Invalidität schließt. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass ein Arzt häufig nicht in der Lage sein wird, zukünftige Verbesserungen des Gesundheitszustandes der versicherten Person z.B. aufgrund neuer medizinischer oder technischer Entwicklungen restlos auszuschließen. Solche „absoluten“ Aussagen können nur bei eindeutigen Sachverhalten getroffen werden (z.B. nach Amputationen oder Lähmungen). Will der vorsichtige Arzt auch (vage) Heilungsmöglichkeiten mit geringen Erfolgsaussichten Rechnung tragen oder seinem Patienten nicht alle Hoffnungen nehmen,334 wird er nicht „Gewissheiten“, sondern „Wahrscheinlichkeiten“ feststellen. Dass solche „Sicherheitsvorbehalte“ bei der Leistungsregulierung zu Lasten des VN gehen, wird vom Klauselzweck nicht gefordert. In solchen Fällen entspricht es nicht dem Willen redlicher Vertragsparteien, dass es auf den „Mut“ des feststellenden Arztes zu eindeutigen Formulierungen ankommen soll, zumal (voreilige) falsche ärztliche Feststellungen im Neubemessungsverfahren berichtigt werden können. Umgekehrt kann aus der Korrekturmöglichkeit des § 188 nicht die Empfehlung abgeleitet werden, der Arzt solle im Zweifel seinen Entscheidungsspielraum zugunsten der versicherten Person nutzen.335 Dadurch wird die Gefahr geschaffen, dass der Arzt leichtfertig auch materiell unzutreffende Feststellungen trifft, dadurch das Vertrauen in seine Neutralität und Gewissenhaftigkeit verloren geht sowie der VR stets das ärztliche Urteil in Frage stellen, eine Neubemessung verlangen und damit die Leistungsregulierung – entgegen dem Sinn und Zweck der Fristenregelung – in die Länge gezogen wird. cc) Aussagen zur Kausalität. Die ärztliche Feststellung eines Dauerschadens unab- 104 hängig von der Kausalität genügt nicht.336 Vielmehr muss ihr zu entnehmen sein, dass der diagnostizierte Dauerschaden unfallbedingt ist 337 bzw. für die Invalidität zumindest mitursächlich ist.338 In der Bescheinigung des Arztes muss zwischen dem vom Anspruchsteller als invali- 105 ditätsauslösend bezeichneten Unfallereignis und dem geltend gemachten Dauerschaden eine (inhaltliche bzw. sachliche) Verbindung hergestellt sein.339 Ihr muss zu entnehmen sein, dass und welches Unfallereignis für sich gesehen hinreichende Bedingung für den Eintritt der (vermeintlich) entschädigungspflichtigen Invalidität gewesen ist. Der Arzt hat eine dahingehende Schlussfolgerung zu treffen.340 Unzureichend ist z.B. 334 335 336
337
S. dazu auch Dümichen ZVersWiss 2003 783, 798 ff. So aber Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. OLG Bremen 18.4.2000 NVersZ 2001 75; s.a. OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54. OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159, 160; OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450 = RuS 2001 390, 391; OLG Hamm 2.2.2001 NVersZ 2001 315, 316 = RuS 2001 481= VersR 2001 1270 (LS); LG Dortmund 14.2.2008 RuS 2009 206;
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Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11; Römer/ Langheid 2 § 179 Rn. 23; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 159. OLG Zweibrücken 14.4.2005 RuS 2008 125; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 11; Schubach ZfS 2005 224, 227. OLG Frankfurt/M. 12.1.2000 RuS 2003 29, 30 = VersR 2002 1139 (LS); Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 52; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 167. OLG Frankfurt/M. 31.3.1993 VersR 1994 713 = RuS 1994 117.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
• ein Attest, in dem ein Unfall noch nicht einmal erwähnt ist.341 Die Auflistung von Gesundheitsschäden bzw. Befunden ohne Bezugnahme auf den Unfall bzw. ohne Erwähnung des Unfallereignisses ist mangels Bestimmtheit ungenügend.342 • die Bejahung einer Invalidität, die auf eine „chronische Überlastung“ zurückgeführt wird. Dann wird gerade eine unfallunabhängige Beeinträchtigung festgestellt.343 • die Feststellung eines bloß zeitlichen Zusammenhangs.344 • die Aussage, dass nicht entschieden werden könne, ob der Gesundheitsschaden auf das Unfallereignis zurückzuführen sei.345 Gleiches gilt für die Aussage, dass die Unfallursächlichkeit „nicht sicher beurteilt werden“ könne.346
Nicht erforderlich ist dagegen die ärztliche Feststellung, in welchem Umfang bestimmte Körperschäden auf das Unfallereignis zurückzuführen sind.347 Ausreichend ist vielmehr, dass überhaupt ein Kausalzusammenhang (Mitursächlichkeit) diagnostiziert wird. Eine Verpflichtung des VN, unfall- und anlagebedingte Verursachungsteile an der Invalidität der versicherten Person aufzuschlüsseln, ist dem Wortlaut von Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61) nicht zu entnehmen. 106 Hat die versicherte Person mehrere Unfälle erlitten und ist unklar, inwieweit der geltend gemachte Unfall für den Eintritt der Invalidität ursächlich war, so reicht es nicht aus, wenn der Arzt sich auf alle Unfallereignisse bezieht, die in ihrem Zusammenwirken eine Invalidität herbeigeführt haben sollen.348 Die Gesundheitsschäden müssen dem jeweiligen Unfallereignis zugeordnet werden.349 Ungenügend ist weiterhin der Hinweis „eine MdE wird mit Sicherheit zurückbleiben“; denn für den Entschädigungsanspruch ist allein die unfallbedingte Invalidität maßgebend (s. auch § 180 Rn. 6).350 107 Der Kausalzusammenhang muss nach ärztlicher Erkenntnis feststehen bzw. zumindest überwiegend wahrscheinlich sein (§ 180 Rn. 53). Die Möglichkeit der Kausalität reicht nicht.351 Entsprechendes gilt für eine „Diskussionswürdigkeit“ bestimmter Diagnosen.352 Zweifelhaft ist des Weiteren, ob eine Arztbescheinigung genügt, aus der sich ergibt, dass die versicherte Person einen Autounfall als Ursache angegeben habe und der Arzt deshalb davon ausgehe, die festgestellte Optikusatrophie beruhe auf dem Unfall.353 Nach OLG Hamm soll sogar eine „sehr hohe Wahrscheinlichkeit“ ungenügend sein.354 Dieser Maßstab erscheint zu streng; denn vom Arzt würde mehr als von einem Gericht verlangt. Das Gericht könnte § 287 ZPO heranziehen, während die Bewertung durch den Arzt eher § 286 ZPO angenähert wäre. Ausreichend, aber auch notwendig ist vielmehr Folgendes: Es muss ausgeschlossen werden können, dass ausschließlich andere Faktoren als das geltend gemachte Unfallereignis, insbesondere Krankheiten oder Gebrechen, die Gesund-
341 342
343 344 345 346 347
OLG Bremen 18.4.2000 NVersZ 2001 75. OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 f. = NJW-RR 2008 837 f.; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 50. OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; zust. Marlow RuS 2004 353, 357. Marlow RuS 2005 357, 361. OLG Köln 21.3.1991 VersR 1992 176, 177 = RuS 1992 35 und 71. OLG Zweibrücken 14.4.2005 RuS 2008 125. So aber (beiläufig) OLG Naumburg 13.5.2004 VersR 2005 970, 971.
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348 349 350 351
352 353 354
OLG Frankfurt/M. 12.1.2000 RuS 2003 29, 30. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 177 f. = RuS 1995 397, 398. OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 11. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. Offen lassend OLG Düsseldorf 10.6.2008 NJW-RR 2009 246, 247. OLG Hamm 16.5.2007 VersR 2008 342, 343.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
heitsschädigung oder deren Folgen verursacht haben. Unzureichend für den Nachweis des Zusammenhangs zwischen Unfall und Invalidität ist es deshalb, wenn der Arztbericht nahe legt, dass der Gesundheitsschaden anlagebedingt oder degenerativ ist.355 dd) Anforderungen an die Richtigkeit. Nicht gefordert werden kann die Richtigkeit 108 der ärztlichen Feststellung.356 Unschädlich ist es auch, wenn der Arzt nach gewissenhafter Prüfung seine Diagnose im Vertrauen auf die Redlichkeit der versicherten Person mangels objektiver Befunde vornehmlich auf die subjektive Wiedergabe der Symptomatik durch den Probanden stützt.357 Das Vorliegen einer bedingungsgemäßen ärztlichen Invaliditätsfeststellung wird trotz Fehlerhaftigkeit selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn der Arzt keinem Irrtum unterlag, sondern er später als Zeuge glaubwürdig aussagt, er habe die innerhalb der Frist erstellte Bestätigung entgegen seiner wirklichen Überzeugung gefertigt. Daraus resultiert für den VR unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Klausel, Spätschäden auszuschließen (Rn. 73), kein gravierender Nachteil, da er sich uneingeschränkt darauf berufen kann, die Bescheinigung sei unrichtig, und der VN die Beweislast dafür trägt, dass die Invalidität in der von ihm eingeklagten Höhe tatsächlich Unfallfolge ist (§ 180 Rn. 47 ff.).358 Da es auf die Richtigkeit der ärztlichen Feststellung nicht ankommt, schaden dem VN 109 auch widersprüchliche Stellungnahmen eines oder mehrerer Ärzte nicht, sofern jedenfalls eine ausreichende Stellungnahme vorliegt.359 Kommt aber ein gerichtlich bestellter Sachverständiger im Prozess um die Höhe der Invaliditätsleistung entgegen der vom VN vorgelegten ärztlichen Feststellung zu dem Ergebnis, Invalidität sei überhaupt nicht eingetreten, so besteht keine Leistungspflicht des VR.360 Die dem Gerichtsgutachten vorangehende (fehlerhafte) ärztliche Feststellung der Invalidität erzeugt keine Bindungswirkung. ee) Feststellungswirkung. Die Wirkung der ärztlichen Feststellung beschränkt sich 110 auf den vom Arzt innerhalb der 15-Monatsfrist benannten Verletzungsbereich, der allerdings nicht zu eng eingegrenzt werden darf, und die adäquaten Folgen der für diesen Bereich noch notwendigen Behandlungen.361 Weitere Unfallverletzungen, Befunde oder Unfallfolgen bzw. Invaliditätsbegründende Umstände, die der Arzt nicht in seine Feststel-
355 356
OLG Frankfurt/M. 31.3.1993 VersR 1994 713 f. = RuS 1994 117. Grundlegend BGH 16.12.1987 VersR 1988 286 = NJW 1988 2305 (LS); ferner u.a. BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 10 = NJW-RR 2007 977, 978; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177; BGH 6.11.1996 VersR 1997 442, 443 = RuS 1997 84, 85 = NJW-RR 1997 277; BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 181; OLG Celle 20.8.2009 NJW-RR 2009 1693, 1695; OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1217; OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159, 160; OLG Düsseldorf 23.5.2006 VersR 2006 1487, 1488 = RuS 2007 256, 257; OLG Frankfurt/M. 31.3.1993 VersR 1994 713; OLG Hamm 6.9.2006 VersR 2007
357 358 359 360 361
1216, 1217 = RuS 2007 209; OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385; OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; OLG Köln 21.10.1993 VersR 1994 714, 715= RuS 1994 36, 37 f.; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837; krit. Schwintowski VuR 1998 195, 196. OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856 = RuS 2005 392 = NJW-RR 2004 186. BGH 16.12.1987 VersR 1988 286, 287. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 11. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 13; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 54; Schubach ZfS 2005 224, 227; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 159.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
lung und Beurteilungen einbezogen hat, können dagegen nach Fristablauf nicht mehr berücksichtigt werden, mögen sie das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Invalidität auch beeinflussen.362 Anderenfalls könnte das Ziel der Klausel, eine schnelle und zuverlässige Leistungsregulierung zu gewährleisten und Spätschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen (Rn. 73), nicht erreicht werden.363 Der VR kann nur einem Dauerschaden nachgehen, zu dessen Ursache und Auswirkungen die ärztliche Bescheinigung Angaben macht. Führt die Bescheinigung hingegen einen Dauerschaden, auf den sich der VN später beruft, noch gar nicht auf, hat der VR mangels Kenntnis keinen Anlass, den Sachverhalt weiter (zeitnah) abzuklären.364 Beispiele: • Werden in der ärztlichen Stellungnahme neben einem dauerhaft verbleibenden Hüftschaden Kopfschmerzen und Gedächtnisreduzierung bescheinigt, so ergibt sich daraus nicht die Feststellung einer Depression als Dauerschaden.365 Entsprechendes gilt, wenn der VN eine ärztliche Bescheinigung über eine unfallbedingte funktionelle Darmstörung und Schmerzsymptome im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule vorlegt. Eine solche Bescheinigung enthält keinerlei ärztliche Aussage zu einer depressiven Erkrankung, die als selbständiger Gesundheitsschaden ebenfalls fristgerecht ärztlich festzustellen ist.366 • Setzt sich der Gutachter mit einer Behinderung der Nasenatmung und kosmetischen Folgen nach einem Huftritt eines Pferdes in das Gesicht der versicherten Person auseinander, so ist damit noch nicht ein unfallbedingter ständiger Kopfschmerz, für den Leistung vom VR begehrt wird, ärztlich festgestellt.367 • Es fehlt an der erforderlichen ärztlichen Feststellung für ein irreversibles Schmerzsyndrom im Unterleib, wenn der Arzt ausschließlich die Unfallfolgen einer Beinverletzung begutachtet.368 • Die ärztliche Feststellung eines unfallbedingten Dauerschadens im Bereich der Beine kann für Invaliditätsansprüche aufgrund von Beeinträchtigungen der sexuellen und der pulmonalen Funktionen nicht fruchtbar gemacht werden.369 Fernerhin kann die ärztliche Feststellung eines ausschließlich das Bein betreffenden unfallbedingten Dauerschadens nicht die Voraussetzungen auf eine Invaliditätsleistung in Bezug auf weiter gehende Dauerschäden (Blasenentleerfunktionsstörung und erektile Dysfunktion) wahren, und zwar selbst dann nicht, wenn diese auf die Beinschädigung zurückgehen.370
Es ist deshalb wichtig für den VN und entspricht der anwaltlichen Sorgfalt, dafür Sorge zu tragen, dass der die versicherte Person behandelnde Arzt alle Beschwerden und die daraus resultierenden Dauerschäden umfassend und erschöpfend (auch schriftlich) dokumentiert.371
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S. nur OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122 = ZfS 2008 159, 160; OLG Frankfurt/M. 20.6.2007 VersR 2008 248, 249 = RuS 2008 255 (LS); OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362; OLG Karlsruhe 15.1.2009 VersR 2009 536 f. = RuS 2009 425; OLG Oldenburg 21.8.2002 RuS 2004 34; OLG Saarbrücken Urteil vom 1.10.2007 – 5 U 85/07; ferner etwa OLG Koblenz 20.4.2009 VersR 2010 104, 105. OLG Frankfurt/M. 22.5.1992 VersR 1993 1139, 1140; LG Düsseldorf 25.7.1996 RuS 1999 436, 437. BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 12 = NJW-RR 2007 977, 978 = RuS
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365 366 367 368 369 370 371
2007 255, 256; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 318. BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 14 f. OLG Frankfurt/M. 20.6.2007 VersR 2008 248, 249. OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475. LG Freiburg i. Br. 1.4.2003 VersR 2003 1245, 1246. OLG Hamm 6.9.2006 VersR 2007 1216 = RuS 2007 209. OLG Karlsruhe 15.1.2009 VersR 2009 536 f. = RuS 2009 425. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 159; s.a. Kloth Rn. G 64.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
e) Form. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass ein Arzt jede seiner 111 Feststellungen schriftlich niederlegt. Fehlt es daran, so ist die Rechtslage umstritten. Einigkeit herrscht nur insoweit, dass folgende Umstände unbeachtlich sind: • ein rein innerer bzw. mentaler Vorgang in der Vorstellung des Arztes.372 Die Überzeugung des Arztes muss als „Feststellungsakt“ innerhalb der Frist zumindest fassbar und wahrnehmbar sein 373 bzw. sich in einer Äußerung z.B. gegenüber der versicherten Person oder auf einem Tonband manifestiert haben.374 Fehlt es daran, so ist unerheblich, ob der Arzt innerhalb der Frist möglicherweise mehr oder anderes aussagen wollte und – im Nachhinein betrachtet – auch mehr und anderes gesagt hätte.375 • ein außerhalb der 15-Monatsfrist erstellter Arztbericht zu einer innerhalb der Frist durchgeführten Untersuchung, die keine konkrete Invaliditätsdiagnose enthält.376 Nachträgliche erstellte bzw. rückblickende ärztliche Stellungnahmen i.S.d. AUB genügen nicht.377 Dies gilt umso mehr, wenn der nach Fristablauf niedergelegte Arztbericht mit früheren fristgerechten gutachterlichen Äußerungen desselben Arztes in Widerspruch steht.378 • die abstrakte (tatsächlich aber nicht genutzte) Möglichkeit des Arztes, die notwendige Feststellung einer Invalidität zu einem früheren Zeitpunkt als im Gutachten ausgewiesen zu treffen.379
Ob darüber hinaus noch weitere Anforderungen zu stellen sind, nämlich stets Schriftlichkeit zu verlangen ist, ist abhängig davon, ob die AUB 61/88/94 oder AUB 99/2008 vereinbart sind. AUB 61/88/94: Zu den AUB 61/88/94 ist umstritten,380 ob die ärztliche Feststellung 112 der Invalidität innerhalb der Frist schriftlich niedergelegt worden sein muss. Z.T. wird dies verneint.381 Folge dieser Ansicht ist, dass die mündliche Invaliditätsfeststellung des Arztes gegenüber dem Patienten oder anderen Ärzten ausreichend ist,382 sofern sie bestimmt genug ist. Im Streitfall hat dann zur Überprüfung der Fristwahrung ggf. die Vernehmung des Arztes als Zeuge zu erfolgen,383 vorausgesetzt der Anspruchsteller hat zuvor seine Behauptungen schlüssig und substantiiert vorgetragen.384 Die wohl herrschende Gegenauffassung verlangt dagegen im Interesse der Rechtssicherheit und Beweissicherung eine fristgerechte schriftliche (oder wenigstens elektronisch fixierte) Feststel-
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373 374 375 376 377 378
OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 672 = RuS 2009 122, 123 = ZfS 2008 159, 160; OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188 = RuS 2004 77; OLG Köln 10.3.1994 RuS 1994 236; OLG München 1.2.1998 NVersZ 2000 176; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 201 = NJW-RR 2008 837, 839; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 168; wohl auch OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230 f. (i.E. aber offen lassend). Surminski ZfV 1974 223, 224. Schwintowski/Brömmelmeyer § 180 VVG Rn. 21. OLG Celle 27.9.2001 RuS 2002 260. OLG Koblenz 18.12.1992 VersR 1993 1262 = RuS 1993 118. OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362. OLG Köln 16.1.1992 RuS 1993 360.
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OLG Koblenz 18.12.1992 VersR 1993 1262; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. Offen lassend OLG Hamm 2.2.2001 NVersZ 2001 315, 316; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 23; Schubach ZfS 2005 224, 227. OLG Frankfurt/M. 16.4.1992 VersR 1993 174, 175; OLG Karlsruhe 21.9.1995 RuS 1996 331 = ZfS 1996 302, 303; Marlow RuS 2004 353, 358; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 157; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 19. OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 168. OLG Karlsruhe 21.9.1995 RuS 1996 331, 332; Surminski ZfV 1974 223, 224. Verneint in den Fällen des Fall des OLG München 1.6.1989 VersR 1991 60, OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 200 f. = NJW-RR 2008 837, 839 und LG Hanau 23.5.1984 ZfS 1984 247, 248.
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Unfallversicherung
lung, wobei eine Unterschrift des Arztes nicht erforderlich sein soll.385 Entscheidend für die Fristwahrung sei allein der Zeitpunkt der schriftlichen Niederlegung.386 Konsequenz dieser Auffassung ist, dass • mündliche Feststellungen bzw. Diagnosen des Arztes innerhalb der Frist nicht ausreichen.387 • es auf eine spätere Zeugenaussage des Arztes zu einer (vermeintlich) innerhalb der 15-Monatsfrist erfolgten ärztlichen Feststellung nicht ankommt.388 • nicht ausreichend ist, wenn innerhalb der 15-Monatsfrist Klage erhoben und ein Beweisbeschluss erlassen wird, die (erstmalige schriftliche) Feststellung der Invalidität durch den gerichtlichen Sachverständigen aber erst nach Ablauf der Frist erfolgt.389
Eine abschließende Entscheidung des BGH zu der Frage der Schriftlichkeit liegt noch nicht vor.390 Richtig ist es, entgegen der h.M. keine schriftliche Feststellung zu verlangen: Aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94 und § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61 lässt sich (anders als in Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99/2008) ein Schriftlichkeitserfordernis nicht ableiten.391 Des Weiteren rechtfertigt es i.E. auch die Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung nicht, Schriftlichkeit zu verlangen. Dies folgt zwar noch nicht allein daraus, dass die Fristenregelung eine Härte für den VN darstelle und deshalb keine über den Wortlaut der Klausel hinausgehende Auslegung zu Lasten des VN vorgenommen werden dürfe;392 denn der VR verfolgt einerseits – auch im Interesse der Versichertengemeinschaft – mit der 15-Monatsfrist das berechtigte Interesse, zweifelhafte Spätschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen (Rn. 73). Im Übrigen unterliegt die ärztliche Feststellung der Invalidität keinen hohen
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OLG München 1.2.1998 NVersZ 2000 176. OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1217; OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 f. = RuS 2009 122 f. = ZfS 2008 159, 160 f.; OLG Celle 27.9.2001 RuS 2002 260; OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362; OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475; OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; OLG Hamm 19.1.2001 VersR 2002 49, 50; OLG Hamm 28.5.1993 RuS 1993 395 = VersR 1993 1262 (LS); OLG München 17.1.1994 VersR 1995 565 = RuS 1994 478; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 200 = NJW-RR 2008 837, 838 f.; OLG Stuttgart 29.11.2001 RuS 2003 211; OLG Zweibrücken 14.4.2005 RuS 2008 125; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11; Kloth Rn. G 20 ff.; Lehmann/Ludolph 2 S. 4; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 52; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 24; Stockmeier/ Huppenbauer S. 16. OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478; OLG Hamburg 23.7.1997 NJW-RR 1998 1183 f. = VersR 1998 1412 (LS); OLG Hamm 13.6.2001 NVersZ 2001 551, 552; OLG Hamm 25.10.1997 RuS 1998 260 = VersR 1998 1102 (LS); OLG Hamm
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27.9.1995 VersR 1996 1002 (LS); OLG Oldenburg 10.5.1995 NJW-RR 1996 1434, 1435 = RuS 1997 263. OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671; OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187 f. = RuS 2004 77; OLG Koblenz 18.12.1992 VersR 1993 1262 = RuS 1993 118. OLG Hamm 13.7.1994 RuS 1995 37; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 11. Allerdings hat der vorsitzende Richter am BGH Terno DAR 2005 314, 315 (beiläufig) eine schriftliche ärztliche Feststellung verlangt. Auch gibt es Anzeichen dafür, dass der BGH Schriftlichkeit unterstellt. So spricht er von einer „Invaliditätsbescheinigung“ BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 11 = NJW-RR 2007 977, 978) OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230; OLG Karlsruhe 21.9.1995 RuS 1996 331 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 168; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 157; insofern auch OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 672; a.A. OLG Koblenz 18.12.1992 VersR 1993 1262. So aber OLG Karlsruhe 21.9.1995 RuS 1996 331; (zu Recht) a.A. OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188.
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Anforderungen (Rn. 81). Weiterhin ist der VN vor treuwidrigem bzw. rechtsmissbräuchlichem Verhalten des VR nicht nur durch § 242 BGB, sondern seit der VVG-Reform 2008 durch § 186 geschützt. Vielmehr ist dem Gedanken grundsätzlich zuzustimmen, dass der Klauselzweck sich dafür anführen lässt, eine schriftliche Niederlegung durch den Arzt zu verlangen.393 Nur dann kann in einem überschaubarem Zeitrahmen Rechtsund Beweissicherheit erreicht bzw. vermieden werden, wenn der Arzt bei einer Vernehmung nach Ablauf der 15-Monatsfrist, auf seine u.U. weit in der Vergangenheit getroffenen, nicht nachprüfbar fixierten und undatierten Überlegungen zurückblicken muss.394 Solche Aussagen sind mit Unsicherheiten behaftet. Möglicherweise sind sie spekulativ, von der späteren Entwicklung des Gesundheitszustandes der versicherten Person beeinflusst395 oder durch eine enge Verbundenheit, langjährige Arzt- und Patientenbeziehung bzw. in dramatischen Fällen von Mitleid geprägt. Jedenfalls wird die mit der Fristregelung angestrebte zügige sowie arbeits- und kostengünstige Leistungsregulierung behindert. Der Argumentation der h.M. steht jedoch entgegen, dass zweifelhaft ist, ob sich dem verständigen VN, dessen Laiensicht für die Auslegung ausschlaggebend ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57), das Interesse des VR an einer schriftlichen Feststellung hinreichend deutlich aus der Klausel oder ihrem Sinnzusammenhang erschließt.396 Es obliegt dem VR als Klauselverwender für klare Verhältnisse zu sorgen, indem er das Wort „schriftlich“ (wie in den AUB 99/2008 geschehen) in den Bedingungstext einfügt. Solange diese Ergänzung nicht erfolgt ist, unterliegt die Fristenregelung Bedenken, die sich auf § 305c Abs. 2 BGB (§ 5 AGBG) stützen.397 Im Übrigen wird der VR bei einem Verzicht auf ein Schriftlichkeitserfordernis auch nicht übermäßig belastet. Zu berücksichtigen ist, dass der Anspruchsteller die Beweislast für die ärztliche Feststellung trägt (Rn. 268). Ist die Zeugenaussage des Arztes hierzu nicht konkret genug oder nicht nachvollziehbar, so geht dies zu Lasten des Anspruchstellers. AUB 99/2008: Um die zu den AUB 61/88/94 bestehenden Auslegungsstreitigkeiten zu 113 beenden, sehen die AUB 99/2008 inzwischen ausdrücklich Schriftlichkeit für die ärztliche Feststellung der Invalidität vor (Rn. 56). Fehlt sie, so kann sie nicht nach Ablauf der 15 Monate nachgeholt werden.398 „Schriftlich“ ist dabei i.S.v. „Textform“ i.S.v. § 126b BGB zu verstehen.399 Die Feststellung kann mithin auf Papier, aber auch auf elektronischen Medien (z.B. Festplatte, CD-Rom, Diskette) festgehalten werden.400 Entscheidend ist, dass ggf. eine Reproduktion und Lesbarkeit hergestellt werden kann. Ob es dagegen nur zu einer internen Archivierung beim Arzt (z.B. Papierablage, elektronische Verwaltung, Microverfilmung) oder einer persönlichen Übergabe oder Versendung per Post, E-Mail o.ä. an Dritte (z.B. an den VN oder den VR) gekommen ist, ist dagegen unerheblich (Rn. 89 f.). Um ihre Aufgabe erfüllen zu können, muss die Feststellung
393
394 395
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OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 672; OLG Hamm 28.5.1993 RuS 1993 395; insofern auch OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230. So u.a. OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475. So u.a. OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 200. Bejahend aber Kloth Rn. G 22. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94
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Rn. 15; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 168; Marlow RuS 2004 353, 358; a.A. OLG Stuttgart 29.11.2001 RuS 2003 211. Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 23. A.A. Kloth Rn. G 25; offenbar auch van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 158. OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 52; Schubach ZfS 2005 224, 227.
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• der Person des ausstellenden Arztes zugeordnet werden können. Die Verantwortung für den Text muss ein Arzt übernommen haben. Vermerke durch Dritte (z.B. medizinisches Hilfspersonal) reichen nicht (Rn. 85 ff.). • einen verbindlichen Abschluss – in Abgrenzung zu einem unbeachtlichen Entwurf – durch eine eigenhändige Unterschrift oder eine Nachbildung der Unterschrift bzw. wenigstens durch ein „Kürzel“ des Arztes enthalten. • das Erstelldatum erkennen lassen (z.B. durch handschriftlichen Vermerk des Datums, Verwendung eines manuellen oder elektronischen Zeitstempels).
Ein fristgerechter Vermerk in den Kranken- bzw. Patientenunterlagen des Arztes reicht aus.401 Voraussetzung ist indes, dass er die vorstehenden Kriterien erfüllt. Keine Textform liegt dagegen vor, wenn z.B. der Arzt als Zeuge rückblickend aussagt, er sei bereits innerhalb der Frist von einem unfallbedingten Dauerschaden ausgegangen.402 f) Frist. Die 15-Monatsfrist muss vom Unfalltag an gerechnet werden.403 Der Fristbeginn bestimmt sich nach § 187 Abs. 1 BGB. Die Invalidität muss zur Fristwahrung innerhalb der 15-Monatsfrist ärztlich niedergelegt sein. Entscheidend ist das Datum der Erstellung, nicht des Zugangs beim VR (Rn. 89 f.). Die ärztliche, rechtzeitig verfasste Feststellung kann dem VR auf dessen Verlangen bzw. Rüge vielmehr auch später noch (nach Ablauf von 15 Monaten, etwa im Gerichtsverfahren) vorgelegt werden, um die Einhaltung der Frist zu beweisen.404 115 Eine Fristverlängerung kommt bei Abschluss eines Stillhalteabkommens zwischen VN und VR in Betracht (Rn. 270). Keine Fristverlängerung tritt dagegen ein, wenn die versicherte Person einen zweiten Unfall erleidet. Bei mehreren Unfällen muss die Invalidität für jeden Unfall getrennt ärztlich festgestellt und geltend gemacht werden (s.a. Rn. 70).405 116 Ist die Frist versäumt, so besteht grundsätzlich kein Anspruch auf eine Invaliditätsleistung. Eine Heilung des Fristablaufs ist im Regelfall nicht möglich. Ausnahmen können sich nur nach Treu und Glauben ergeben (Rn. 135 ff.). Ungenügend ist es hierfür allerdings, wenn
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• sich die ärztliche Feststellung auf Untersuchungen nach Ablauf der 15-Monatsfrist stützt.406 • die nachträgliche Bewertung von fristgerecht erhobenen Befunden auf Invalidität schließen lassen (Rn. 97). • die (nicht niedergelegte) ärztliche Stellungnahme nach Fristablauf durch spätere Vernehmung des Arztes nachgeholt werden soll (s. auch Rn. 111 ff.). • ein gerichtlichen Sachverständigengutachtens nach Ablauf der 15-Monatsfrist die fristgerechte ärztliche Invaliditätsfeststellung ersetzen soll.407
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OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 11; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 200 = NJW-RR 2008 837, 839; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 168; a.A. OLG Hamburg 23.7.1997 NJW-RR 1998 1183, 1184 = VersR 1998 1412 (LS). LG Dortmund 14.2.2008 RuS 2009 206. OLG München 20.10.1951 VersR 1951 269. BGH 25.4.1990 VersR 1990 732, 733 = NJW-RR 1990 1048, 1049; BGH 16.12.1987 VersR 1988 286; OLG Koblenz
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18.12.1992 VersR 1993 1262 = RuS 1993 118; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 15; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 53; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 169; Stockmeier/Huppenbauer S. 16; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 19. OLG Köln 23.2.1989 VersR 1989 1036; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 9. OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450; OLG München 1.6.1989 VersR 1991 60; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 9. LG Bremen 24.10.1985 VersR 1985 403.
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Invaliditätsleistung
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In allen der vorstehenden Fälle würden lediglich ärztliche Feststellungen über die Invalidität getroffen werden, die bereits innerhalb der 15-Monatsfrist hätten getroffen werden müssen.408 4. Geltendmachung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall Die Geltendmachung der Invalidität nach Ziff. 2.1.1.1 S. 2 Spiegelstrich 2 AUB 117 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94 bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61) ist von der Unterrichtungs-, Anzeige- und Auskunftsobliegenheit in Ziff. 7.1 und 7.2 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 1 bis 3 AUB 88/94, § 15 Abs. 2, 4 und 5 AUB 61) zu unterscheiden. a) Rechtsnatur. Die Frist für die Geltendmachung der Invalidität ist eine Ausschluss- 118 frist,409 deren Versäumnis entschuldigt werden kann (Rn. 127 ff.). Es handelt sich nicht um eine • objektive Anspruchsvoraussetzung. Insofern besteht eine Abweichung zur Rechtsnatur der Fristen für den Eintritt der Invalidität (Rn. 76) und die ärztliche Feststellung der Invalidität (Rn. 82 f.). Die Intention der Verfasser der AUB 61, die in der fristgerechten Geltendmachung der Invalidität eine verschuldensunabhängige Leistungsvoraussetzung sahen,410 hat sich in der Praxis nicht durchgesetzt.411 Im Übrigen können die Vorstellungen der Bedingungsgeber ohnehin nicht in die Auslegung mit einbezogen werden (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). • eine Obliegenheit des Anspruchstellers gemäß § 6 Abs. 3 a.F. Die in der Vergangenheit vertretene gegenteilige Auffassung 412 ist mit der inzwischen ganz h.M.413 abzulehnen. Zwar kann argumentiert werden, die Fristenregelung verpflichte nach ihrem materiellem Gehalt den VN zu einem bestimmten Verhalten, das auf die versicherte Gefahr selbst keinen Einfluss ausübe, sondern dem Interesse des VR an der Mitwirkung des VN zur zügigen Schadenabwicklung diene.414 Jedoch steht der Annahme, Ziff. 2.1.1 S. 2 AUB 99/2008 und die entsprechenden Vorgängerregelungen seien an den VN gerichtete Verhaltensnormen, entgegen, dass es dem Zweck der Regelung,
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OLG Köln 9.11.1988 VersR 1989 352, 353 = RuS 1989 100. Grundlegend BGH 24.3.1982 VersR 1982 567 = NJW 1982 2779; ferner u.a. BGH 13.3.2002 VersR 2002 698, 699 = NVersZ 2002 309, 310; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177; BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 173 f. = VersR 1995 1179, 1180 = RuS 1995 397; BGH 4.11.1987 VersR 1987 1235 = NJW-RR 1988 212; BGH 5.11.1986 NJW-RR 1987 338, 339; OLG Frankfurt 8.4.1998 RuS 2000 216, 217; OLG Karlsruhe 21.9.1995 RuS 1996 331 = ZfS 1996 302; OLG Koblenz 11.9.2008 VersR 2010 62, 63; OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930; OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065, 1066; auch ÖOGH 17.9.1992 ZfS 1993 130, 131; ÖOGH 15.11.1990 VersR 1991 835; ÖOGH 19.10.1989 VersR 1990 1139; ÖOGH 27.4.1989 VersR 1990 406; Knappmann RuS 2002 485, 489; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 58; Manthey NVersZ 2001 55, 58; Römer/Langheid 2 § 179
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413
414
Rn. 24; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn.153 und 163; Terno DAR 2005 314, 315; offen lassend noch BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1037 und 1038. Grewing Entstehungsgeschichte S. 35 und 37; s.a. Prölss VersR 1967 309, 310. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 13; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 24. OLG Köln 12.7.1966 VersR 1966 948, 949; OLG München 20.10.1951 VersR 1951 269 f.; OLG Zweibrücken 17.1.1967 VerBAV 1973 218, 220; Surminski ZfV 1974 223, 224; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 13. BGH 24.3.1982 VersR 1982 567; OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475; OLG Hamm 20.4.1988 ZfS 1989 29; OLG Köln 17.10.1991 RuS 1992 34, 35; OLG Köln 9.11.1988 VersR 1989 352, 353; LG Köln 18.5.1989 VersR 1989 1039, 1040; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 21; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 25 f. S. u.a. Büsken VersR 1989 1040.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
schwer aufklärbare Spätschäden von der Regulierungspflicht auszunehmen (Rn. 74), widerspräche, wenn der VR sich selbst bei einer auf grober Fahrlässigkeit beruhenden Obliegenheitsverletzung nicht zuverlässig von seiner Leistungspflicht befreien könnte.415 Darüber hinaus bliebe der VR leistungspflichtig, wenn die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem VR obliegenden Leistung Einfluss hätte (§ 28 Abs. 3, § 6 Abs. 3 S. 2 a.F.). • eine Verjährungsfrist, deren Ablauf mit einer Einrede erhoben werden muss. Vielmehr geht der etwaige Anspruch des VN gegen den VR mit Ablauf der Frist unter.416
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Die Geltendmachung ist eine Willenserklärung.417 Auf sie sind die allgemeinen Grundsätze des BGB (§§ 116 ff. BGB, insbesondere auch die Zugangsregelung in § 130 BGB) anwendbar.418
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b) Erklärender. In den AUB 99/2008 soll die Formulierung „von Ihnen“ nach den Vorstellungen der Bedingungsgeber verdeutlichen, dass die Invalidität nicht nur von dem VN, sondern auch von jemandem aus der Sphäre des VN geltend gemacht werden kann.419 Selbstverständlich ist dies nicht. In der Präambel zu den AUB wird definiert, wer mit den Formulierungen „Sie“, „Ihnen“ usw. gemeint ist, nämlich der VN. Meldet sich jemand anderes als der VN oder die versicherte Person beim VR, so sollte der VR schon zur eigenen Absicherung nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen die Befugnis des Dritten prüfen, für den Vertragspartner des VR aufzutreten. So kann z.B. eine Geltendmachung durch das die versicherte Person behandelnde Klinikum (jedenfalls nicht ohne Vollmacht) erfolgen.420
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c) Erklärungsempfänger. Aus Ziff. 17.1 S. 2 AUB 99/2008 (§ 13 AUB 88/94, § 18 AUB 61) ergibt sich, dass die Geltendmachung der Invalidität gegenüber der Hauptverwaltung oder der im Versicherungsschein oder in dessen Nachträgen als zuständig bezeichnete Geschäftsstelle erfolgen sollte. Richtet sich der VN an den Versicherungsvertreter, so reicht dies nach der VVG-Reform 2008 aus (§ 69 Abs. 1 Nr. 2; näher Ziff. 17 AUB 2007 Rn. 25).
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d) Inhalt. Die Geltendmachung der unfallbedingten Invalidität setzt eine ordnungsgemäße Meldung des Unfalls voraus und muss die Behauptung enthalten, es sei unfallbedingte Invalidität als solche bzw. dem Grunde nach eingetreten.421 Mehr verlangt der Wortlaut der AUB nicht. Nicht erforderlich ist deshalb, dass der Anspruchsteller • einen bestimmten Anspruch geltend macht.422 • einen bestimmten Invaliditätsgrad bzw. eine bestimmte Invaliditätsleistung angibt.423
415 416 417 418 419 420 421
BGH 24.3.1982 VersR 1982 567. Stockmeier/Huppenbauer S. 15. OLG Hamm 16.9.1992 VersR 1993 300 = RuS 1993 118; Kloth Rn. G 35. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 15. Stockmeier/Huppenbauer S. 15. LG Stuttgart 10.10.2003 RuS 2004 473. OLG Koblenz 11.9.2008 VersR 2010 62, 63; OLG Oldenburg 31.3.1999 NVersZ 2000 333, 334 = RuS 2000 349; OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 15; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 20; s.a. OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54;
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422
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OLG Koblenz 28.12.2001 NVersZ 2002 215; OLG Koblenz 23.3.2001 NVersZ 2002 69 = VersR 2002 430 (LS); OLG Koblenz 27.8.1999 NVersZ 2000 174; OLG Koblenz 19.12.1999 VersR 1999 1227; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 166. BGH 25.4.1990 VersR 1990 732, 733 = NJW-RR 1990 1048, 1049; BGH 4.11.1987 VersR 1987 1235. OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475; OLG Oldenburg 31.3.1999 NVersZ 2000 333, 334; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
• sich auf eine (bereits erfolgte oder noch zu erwartende) ärztliche Feststellung beruft.424 • zur Begründung irgendwelche Belege, insbesondere ein ärztliches Zeugnis über die Art des Dauerschadens und die ihn kennzeichnenden Symptome beifügt.425 Anders als § 6 Abs. 2 AVBfU 426 oder auch Ziff. 2.2.1 S. 3 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 9 Abs. 6 AUB 88/94 und § 8 Abs. 7 Nr. 2 AUB 61) sehen die neueren AUB keine besondere Begründungspflicht (Vorlage eines ärztlichen Attestes) für die Geltendmachung der Invalidität vor (s.a. Rn. 92 ff.). Die ärztliche Feststellung der Invalidität kann vielmehr auch später auf Verlangen des VR vorgelegt werden (Rn. 89 und 114).
Grundsätzlich reicht es damit aus, wenn der VN innerhalb der 15-Monatsfrist an den VR schreibt und Invaliditätsansprüche allgemein geltend macht,427 indem er z.B. ausführt bzw. behauptet, dass sich als Unfallfolge dauernde Beeinträchtigungen der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit ergeben haben,428 deren Einzelheiten er als medizinischer Laie nicht beurteilen könne.429 Eine Einschränkung ist indes vorzunehmen: Der Anspruchsteller muss einen speziellen Hinweis darauf geben, welche zur Invalidität bzw. Arbeitsunfähigkeit führenden Beschwerden er geltend macht;430 der Dauerschaden (mit seinen Symptomen) ist näher zu bezeichnen.431 Den VN trifft mithin eine Konkretisierungsbzw. Substantiierungspflicht,432 ohne dass deshalb eine detaillierte Begründungspflicht anzunehmen wäre. Wäre eine Bezeichnung des eingetretenen Dauerschadens entbehrlich, könnte der mit der Klausel verfolgte Zweck (Rn. 74) nicht erreicht werden:433 Der VR hätte keine Gewissheit über den Umfang seiner Leistungsverpflichtung und darüber, auf welche Schäden seine Untersuchungen abzielen sollen. Die geltend gemachte Invalidität wäre weder bestimmbar noch gegenüber anderen Unfallfolgen, Verletzungen und Krankheiten abgrenzbar. Vielmehr müsste der VR stets eine umfassende Untersuchung der versicherten Person veranlassen, die zu Lasten einer – auch im Interesse der versicherten Person liegenden – zügigen und möglichst kostenarmen Leistungsregulierung ginge. Die fristgerechte Geltendmachung erstreckt sich nur auf den angemeldeten Invali- 123 ditätsbereich.434 Dagegen sind mit der Geltendmachung eines von mehreren Dauerschäden grundsätzlich nicht zugleich auch die nicht angegebenen Beeinträchtigungen bzw. Symptome rechtzeitig erfasst.435 Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich auch für einen
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929, 930; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 62; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 58; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 12. Insofern a.A. BGH 13.11.1980 VersR 1981 160, 161; OLG Hamm 16.9.1988 RuS 1989 31; LG Zweibrücken 18.1.1994 RuS 1994 158; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 30; s.a. ÖOGH 17.9.1992 ZfS 1993 130, 131. OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 15; E. Hofmann S. 63; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 177; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 30. Dazu BGH 21.12.1973 VersR 1974 234, 235; s.a. ÖOGH 15.11.1990 VersR 1991 835. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 30. So u.a. Gräber VersR 1959 869, 870; Schubach ZfS 2005 224, 227. Surminski ZfV 1974 223, 224. OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001
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449, 450; OLG Hamm 29.11.1996 RuS 1997 130; OLG Köln 14.1.1988 RuS 1989 30; LG Koblenz 6.4.1990 VersR 1990 1384 (LS). OLG Frankfurt 2.4.1987 RuS 1987 355, 356; OLG Köln 17.10.1991 RuS 1992 34; OLG Köln 9.11.1988 VersR 1989 352, 353; ferner ÖOGH 27.4.1989 VersR 1990 406, 407; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 19; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 307, S. 480. OLG Köln 5.5.1994 VersR 1995 907 = RuS 1994 396. BGH 21.12.1973 VersR 1974 234, 235. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 58; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 27. OLG Hamm 2.2.2001 NVersZ 2001 315, 316 = RuS 2001 481; LG Koblenz 6.4.1990 VersR 1990 1384 (LS); Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 62; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 19.
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Unfallversicherung
geschulten Leistungsbearbeiter kein zwingender Anhaltspunkt für eine Verknüpfung der Schäden ergibt. Insofern finden die gleichen Grundsätze wie im Zusammenhang mit der ärztlichen Feststellung der Invalidität (Rn. 110) Anwendung. So ist es z.B. ungenügend, wenn • für die Geltendmachung eines Herzschadens lediglich eine Beinschädigung als Dauerschaden angegeben wird; denn unter einer Beinschädigung können nicht die völlig anders gearteten Symptome eines Herzleidens eingeordnet werden.436 Entsprechendes gilt, wenn der VN Invalidität wegen einer Gehörschädigung (Tinnitus) begehrt, aber dem VR nur Beinverletzungen angezeigt hat.437 • sich der gesamte vorprozessuale Schriftverkehr auf einen angeblich eingetretenen Dauerschaden am Ellenbogen bezieht und sich der Anspruchsteller erstmals im Prozess auf Beschwerden im Becken- und Rückenbereich beruft.438 • zwar eine Gebrauchsbeeinträchtigung der Hand infolge einer Schussverletzung fristgerecht geltend gemacht wird, später jedoch Invaliditätsleistungen wegen Depressionen begehrt werden.439
Der den VN beratende Rechtsanwalt hat deshalb dringend darauf zu achten, dass alle Beschwerden der versicherten Person gegenüber dem VR nicht nur fristgerecht, sondern umfassend und erschöpfend wiedergegeben werden. Ausnahmsweise kann die Geltendmachung eines von mehreren Dauerschäden ausreichen, wenn sich der VR auf eine Diskussion über die verspätet gemeldeten Symptome einlässt.440 Es kommt dann in Betracht, dass das Berufen des VR auf die Fristversäumnis treuwidrig ist (Rn. 159 f.).
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e) Form. Die Geltendmachung der Invalidität bedurfte auf Grundlage der älteren AUB der Schriftform (Ziff. 17.1 S. 1 AUB 99, § 13 Abs. 1 AUB 88/94, § 18 AUB 61).441 Für diese gewillkürte Schriftform fand §127 BGB Anwendung. Es genügte u.a. ein einfacher Brief oder ein Telefax. Unzureichend war dagegen eine mündliche442 oder fernmündliche Meldung.443 Die Schriftform wurde im Zuge der VVG-Reform 2008 eliminiert (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 10). Ziff. 17.1 AUB 2008 sieht inzwischen als reine Sollvorschrift vor, dass die Geltendmachung der Invalidität gegenüber der Hauptverwaltung oder der im Versicherungsschein als zuständig bezeichneten Geschäftsstelle erfolgen soll. Nicht ausgeschlossen ist, dass der VN sich schriftlich oder mündlich an den Versicherungsvertreter wendet. Aus Gründen der Beweissicherheit empfiehlt es sich indes Schriftform zu wählen und den Zugang (zumindest aber die Abgabe, vgl. Rn. 128) der Erklärung in nachprüfbarer Form zu dokumentieren. Die Geltendmachung der Invalidität kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Die Behauptung eines Invaliditätseintritts kann sich insbesondere auch aus den Umständen ergeben.444 So liegt z.B. Fall, wenn die versicherte Person dem VR eine Kopie der Haftpflichtklage gegen den Schädi-
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So noch zu den AVBfU BGH 21.12.1973 VersR 1974 234, 235. LG Kleve 6.11.2007 RuS 2009 32, 33. OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 363. LG Koblenz 6.4.1990 VersR 1990 1384 (LS). BGH 21.12.1973 VersR 1974 234, 236. OLG München 1.2.1998 NVersZ 2000 176; OLG München 1.6.1989 VersR 1991 60; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 58; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 30; s. aber auch Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 63, der
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442
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für die AUB 99 Intransparenz annimmt, da Ziff. 2.1.1.1 AUB 99 bei der im selben Satz angesprochenen ärztlichen Feststellung Schriftlichkeit verlange, bei der Geltendmachung jedoch nicht. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 177; a.A. OLG Oldenburg 31.3.1999 NVersZ 2000 333, 334 = RuS 2000 349. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn.15; Kloth Rn. G 34; Surminski ZfV 1974 223, 224. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 20.
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Invaliditätsleistung
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ger innerhalb der Frist übergibt und sich aus der Klageschrift die (Teil-)Invalidität ergibt.445 Weiterhin verschafft die Geltendmachung der Invalidität zu einem bestimmten (Einzel-)Unfallversicherungsvertrag dem VR Kenntnis auch für alle anderen bei ihm abgeschlossenen Unfallversicherungsverträge.446 Gerade weil der VN durch den Hinweis nach § 186 sensibilisiert ist, darf allerdings erwartet werden, dass er sich eindeutig äußert.447 Verbleibende Zweifel gehen zu seinen Lasten. Nicht ausreichend für die Geltendmachung der Invalidität ist grundsätzlich • der bloße Hinweis auf einen Unfall bzw. die einfache Meldung des Unfalls zur Erfüllung der Obliegenheit nach Ziff. 7.1 und 7.2 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 1 und 2 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 1 AUB 61).448 Dies gilt auch dann, wenn der Anspruchsteller in der Unfallmeldung bzw. Unfallanzeige Namen und Anschrift der ihn behandelnden Ärzte, Krankenhäuser und sonstigen Einrichtungen mitgeteilt 449 oder Verletzungen genannt bzw. geschildert hat.450 Die zeitnah vorzunehmende Unfallanzeige dient einer Erstinformation des VR und nicht der gezielten Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen. Aus der Nennung von Verletzungen ergibt sich des Weiteren im Regelfall noch nicht, dass ihre Folgen zu einer Invalidität (d.h. einer dauerhaften Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit bzw. der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit) führen.451 Insbesondere, wenn Dauerfolgen offen bleiben 452 oder sogar (ausdrücklich oder konkludent) verneint werden, muss noch eine gesonderte Geltendmachung erfolgen. • die Einreichung einer bloßen Unfallschilderung.453 • die Vorlage des ärztlichen Erstberichts, dem ein vom VR vorgegebenes und standardisiertes Formular zugrunde liegt, das ersichtlich unabhängig davon verwendet wird, ob im Einzelfall Invalidität geltend gemacht worden ist, weil es z.B. auch Fragen zu Tagegeld und Krankenhaustagegeld vordruckt, obwohl diese Leistungen überhaupt nicht vertraglich vereinbart sind.454 • der bloße Verweis auf die Diagnose in einer ärztlichen Bescheinigung.455 • die Geltendmachung anderer Leistungsarten als die Invaliditätsleistung.456 Das Begehren nach anderen Leistungen wie Krankenhaustagegeld oder Genesungsgeld genügt nicht.457
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449 450
BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 178; BGH 25.4.1990 VersR 1990 732, 733 = NJW-RR 1990 1048, 1049; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 24; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 166. BGH 4.11.1987 VersR 1987 1235; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14. Kloth Rn. G 34. OLG Düsseldorf 13.3.1990 ZfS 1990 209; OLG Hamm 13.1.1993 RuS 1993 237 = ZfS 1993, 238, 239; OLG Koblenz 11.9.2008 VersR 2010 62, 63; OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 60; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 9; Schubach ZfS 2005 224, 227; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 167; s.a. LG Stuttgart 10.10.2003 RuS 2004 473. OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930 f. BGH 4.11.1987 VersR 1987 1235 = NJWRR 1988 212; OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475; OLG Koblenz 28.6.1991 VersR 1992 347 = RuS 1992 322; OLG Köln 17.10.1991 RuS
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1992 34; OLG Köln 9.11.1988 VersR 1989 352, 353 = RuS 1989 100; OLG Köln 14.1.1988 RuS 1989 30; OLG München 1.6.1989 VersR 1991 60; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930; LG Aachen 13.5.1993 RuS 1993 395; a.A. offenbar OLG Oldenburg 31.3.1999 NVersZ 2000 333, 334 = RuS 2000 349 = VersR 2000 754 (LS). OLG Köln 5.5.1994 VersR 1995 907 = RuS 1994 396. OLG Köln 21.10.1993 VersR 1994 714 = RuS 1994 36, 37; OLG München 1.2.1998 NVersZ 2000 176. OLG Frankfurt 2.4.1987 RuS 1987 355, 356; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 15. OLG Köln 21.10.1993 VersR 1994 714 = RuS 1994 36, 37. OLG Köln 9.11.1988 VersR 1989 352, 353; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930. OLG Koblenz 28.6.1991 VersR 1992 347 = RuS 1992 322 = ZfS 1992 238. OLG Hamm 25.4.1978 VersR 1978 1039.
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Unfallversicherung
• die Angabe des Bankkontos des VN in der Schadenanzeige.458 Damit ist noch keine unmissverständliche und eindeutige Erklärung des VN verbunden, dass er einen Invaliditätsanspruch geltend macht, da über das angegebene Konto auch andere Versicherungsleistungen (z.B. Krankenhaustagegeld) abgewickelt werden können.459
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Die (bloße) Angabe von Verletzungsfolgen gegenüber dem VR kann ausnahmsweise ausreichen (s.a. Rn. 98 und 137), wenn sich aus den dem VR vorliegenden Unterlagen zweifelsfrei ergibt, dass aufgrund der Art der von der versicherten Person erlittenen Verletzungen (z.B. Verlust von Gliedmaßen, Querschnittslähmung oder Erblindung) der Eintritt einer unfallbedingten Invalidität innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet gegeben ist.460 So muss etwa die Mitteilung von Ganzkörperbrennungen dritten Grades auch als Geltendmachung von Invalidität angesehen werden.461 Unzureichend ist dagegen z.B. die Angabe verletzter Körperteile (Gesicht, Nase, Kiefer usw.) 462 oder von Schäden, die typischerweise folgenlos ausheilen (z.B. Beinbruch). Die Geltendmachung von Invalidität kann in diesen Fällen erst dann angenommen werden, wenn sich für den VR aus der Anzeige, der Unfallschilderung oder den sonstigen Unterlagen eindeutig ergibt, dass der Arzt bereits einen Dauerschaden festgestellt hat und deshalb Invaliditätsansprüche erhoben werden.463 Darf der VN den Eindruck haben, eine förmliche Geltendmachung der Invalidität sei nach den Umständen des Falles nicht mehr erforderlich, so handelt der VR treuwidrig, wenn er sich dennoch auf den Fristablauf beruft (Rn. 156 ff.).
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f) Frist. Die 15-Monatsfrist muss vom Unfalltag an gerechnet werden; auf das Auftreten der Unfallfolgen kommt es nicht an.464 Der Fristbeginn bestimmt sich nach § 187 Abs. 1 BGB. Zur Wahrung der Frist genügt es, dass innerhalb der Frist gegenüber dem VR behauptet wird, es sei Invalidität eingetreten.465 Da es sich bei der Geltendmachung der Invalidität um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt (Rn. 119), ist der fristgerechte Zugang beim VR und nicht die Absendung durch den VN entscheidend.466 Kann allerdings der VN die fristgerecht Absendung seines Schreibens beweisen, ist er in der Regel als entschuldigt anzusehen (Rn. 128). Der VN kann die Frist voll ausschöpfen; er muss die Invalidität nicht unverzüglich geltend machen, sobald sie feststeht.467 Vielmehr ist die Frist auch dann gewahrt, wenn der VN die Invalidität zwar schon sehr frühzeitig während der ersten 12 Monate erkannt hat, jedoch erst kurz vor Ablauf der 15-Monatsfrist geltend macht.468
458 459 460
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OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065, 1066. LG Zweibrücken 18.1.1994 RuS 1994 158. BGH 4.11.1987 VersR 1987 1235 = NJW-RR 1988 212; OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475; OLG Hamm 13.1.1993 RuS 1993 237 = ZfS 1993, 238, 239; OLG Köln 17.10.1991 RuS 1992 34, 35; OLG Köln 14.1.1988 RuS 1989 30; LG Aachen 13.5.1993 RuS 1993 395; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14 und 15; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 60; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 20; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 177. OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065, 1066.
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462 463 464 465 466
467 468
OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475. OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930. OLG München 20.10.1951 VersR 1951 269; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 25. BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 178. BGH 16.12.1987 VersR 1988 286, 287; OLG Hamm 16.9.1992 VersR 1993 300 = RuS 1993 118; OLG Koblenz 11.9.2008 VersR 2010 62, 63. OLG Zweibrücken 17.1.1967 VerBAV 1973 218, 221. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 19.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
g) Entschuldigung der Fristversäumnis. Die Versäumung der Frist zur rechtzeitigen 127 Geltendmachung der Invaliditätsentschädigung führt zum Anspruchsverlust.469 Allerdings kann das Versäumnis der Ausschlussfrist – ebenso wie die Versäumung der Frist in § 12 Abs. 3 a.F.470 – im Einzelfall entschuldigt sein.471 M.a.W.: Der VR kann sich auf die Fristversäumnis dann nicht berufen, wenn den VN an der Fristversäumnis kein Verschulden (Vorsatz, grobe oder einfache Fahrlässigkeit) trifft.472 Schuldhaftes Verhalten Dritter (z.B. von gesetzlichen Vertretern oder Prozessbevollmächtigten) muss sich der VN ggf. nach § 278 BGB wie eigenes zurechnen lassen.473 Der Anspruchsteller kann sich nur entschuldigen, wenn er die AVB entweder nicht 128 zur Kenntnis nehmen konnte oder in Kenntnis der AVB der berechtigten Auffassung sein durfte, die Frist zur Geltendmachung sei entweder noch nicht abgelaufen oder bereits gewahrt bzw. aus anderweitigen Tatumständen gegenstandslos.474 Es ist zu erwarten, dass der Entschuldigungsbeweis nach der VVG-Reform 2008 an Bedeutung verlieren wird; denn an den VN, der einen Hinweis gemäß § 186 S. 1 erhalten, sind strengere Anforderungen zu stellen.475 Eine ausreichende Entschuldigung kann ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände gegeben sein: • Bei dem VN bestand während des Laufs der Geltendmachungsfrist über längere Zeit eine andauernde Geschäftsunfähigkeit.476 Handlungen Dritter (z.B. Schadenanzeige durch Verwandte) braucht sich der VN in dieser Zeit nicht zurechnen lassen, sofern kein Vertretungs- oder Repräsentantenverhältnis besteht. Der Entschuldigungsgrund entfällt jedoch spätestens mit Bestellung eines Betreuers.477 • Der VN litt unter einer schweren Erkrankung.478 Erfasst sind z.B. ein mehrmonatiger Gedächtnisverlust 479 oder ein Gehirntumor mit der Folge einer kontinuierlichen Bewusstseinsstörung.480 Nicht ausreichend sind dagegen rezidivierende (in Abständen wiederkehrende) Depressionen,
469 470
471
472
OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 451 = RuS 2001 390, 391. Grundlegend BGH 9.2.1965 BGHZ 43 235, 236 ff. = VersR 1965 425 ff.; zuvor bereits RG 31.1.1936 RGZ 150 181, 186. S. nur BGH 13.3.2002 VersR 2002 698, 699 = NVersZ 2002 309, 310; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177; BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 174 = VersR 1995 1179, 1180 = RuS 1995 397; OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 451 = RuS 2001 390, 391; OLG Frankfurt 8.4.1998 RuS 2000 216, 217; OLG Hamm 12.1.1990 VersR 1990 1344, 1345; OLG Karlsruhe 21.9.1995 RuS 1996 331 = ZfS 1996 302; OLG Koblenz 5.7.2002 VersR 2003 53, 54; OLG Köln 5.5.1994 VersR 1995 907 = RuS 1994 396; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930; LG Kleve 6.11.2007 RuS 2009 32; LG Köln 18.5.1989 VersR 1989 1039, 1040; a.A. ÖOGH 27.4.1989 VersR 1990 406. BGH 5.11.1986 NJW-RR 1987 338, 339; BGH 24.3.1982 VersR 1982 567 = NJW 1982 2779; OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 475;
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476 477 478 479 480
OLG Hamm 20.4.1988 ZfS 1989 29; OLG München 1.2.1998 NVersZ 2000 176; LG Zweibrücken 18.1.1994 RuS 1994 158. LG Rottweil 30.6.1987 RuS 1987 328; zu § 12 Abs. 3 a.F. BGH 9.2.1977 VersR 1977 442, 443; RG 12.4.1918 VA 1918 49, 51 Nr. 1043; OLG Köln 19.3.1997 RuS 1998 223, 224; OLG Schleswig 13.5.1981 VersR 1982 357, 358; AG Bonn 3.8.2005 RuS 2006 12. Büsken VersR 1989 1040; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 27. Kloth Rn. G 36; zu § 12 Abs. 3 bereits Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 294. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 178. BGH 13.3.2002 VersR 2002 698, 699 = NVersZ 2002 309, 310. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 21. OLG Karlsruhe 21.9.1995 RuS 1996 331 = ZfS 1996 302. OLG Zweibrücken 17.1.1967 VerBAV 1973 218, 221.
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die den VN vorübergehend daran hindern, seine Geschäfte ordnungsgemäß zu erledigen. Der vorübergehende Krankheitszustand sagt noch nichts darüber aus, dass er für die Nichteinhaltung der Frist ursächlich geworden ist.481 Die unfallbedingte Invalidität äußert sich gerade darin, dass die versicherte Person „blind“ für ihre dauerhafte körperliche bzw. geistige Schädigung wird.482 Der VN bzw. die versicherte Person konnte den Versicherungsschutz nicht kennen, was z.B. bei Gruppenversicherungen denkbar ist.483 Eine Entschuldigung kommt weiterhin in dem Fall in Betracht, in dem die VN ihrem Ehemann die Bearbeitung von Versicherungsangelegenheiten anvertraut hat, dieser irrtümlich von einer Kündigung des Vertrages ausgegangen ist und es der VN auf Rückfrage so mitgeteilt hatte.484 Mit der Aufgabendelegation auf den Ehemann habe sich die VN nach Auffassung des BGH nicht unzulässig freigezeichnet; denn der zugesagte Versicherungsschutz stehe und falle nicht damit, dass der VN alles, was mit der Versicherung zusammenhänge oder von Bedeutung in für das Versicherungsverhältnis sei, höchstpersönlich erledige. Das Verschulden des Dritten müsse sich die VN nur dann zurechnen lassen, wenn der Dritte Repräsentant der VN sei oder die VN Anlass dazu habe, dem Dritten zu misstrauen.485 Die versicherte Person beweist, dass sie die Geltendmachung fristgerecht an den VR abgeschickt hat;486 denn der Verlust eines Schreibens im Postwege ist so selten, dass der VN dies nicht in seine Überlegungen einbeziehen muss, um sich des Vorwurfes der Fahrlässigkeit zu entziehen.487 Diese Argumentation führt indes i.E. dazu, dem VN den Zugangsbeweis entgegen allgemeinen Regeln (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 55 ff.) zu erleichtern. Um eine Ungleichbehandlung der Parteien zu vermeiden, ist es deshalb geboten, an den VR keine strengeren Anforderungen zu stellen, wenn es z.B. um den Nachweis der Zurückweisung unwirksamer Kündigungen des VN (Ziff. 10 AUB 2008 Rn. 111) oder die Entschuldigung bei Verletzung von Beratungs- oder Dokumentationspflichten geht. Nicht nur der VN, sondern auch der VR verhält sich nicht schuldhaft oder treuwidrig, wenn er auf eine ordnungsgemäße Postbeförderung vertraut. Die versicherte Person konnte zum einen ohne eigene Fahrlässigkeit davon ausgehen, der VR wisse bereits alles Notwendige über den Unfall, und durfte zum anderen nach Treu und Glauben darauf vertrauen, sie müsse keine (weiteren) ärztlichen Nachweise vorlegen oder Ansprüche geltend machen bzw. der VR werde ihr einen Hinweis geben, wenn er ihre Meldung für unzureichend halten sollte.488 Dies kommt insbesondere in dem Fall in Betracht, in dem der VN (positiv) weiß, dass dem VR der Eintritt der Invalidität bereits anderweitig bekannt geworden ist oder sein muss.489 Denkbar ist eine solche Sachverhaltskonstellation etwa, wenn dem VN bekannt ist, dass ein Arzt dem VR die Dauerschädigung bestätigt hat, oder wenn bereits wegen desselben Unfalls ein Haftpflichtprozess geführt wird, in dem der Schädiger der verletzten versicherten Person zugleich VN des VR ist, bei dem auch die Unfallversicherung der versicherten Person geführt wird. Entscheidend ist dann, ob der VN der Unfallversicherung berechtigt davon ausgehen darf, dass bei dem VR zur Invaliditätsfrage (z.B. wegen eines gemeinsam erteilten Gutachtensauftrags) eine Querverbindung zwischen dem Haftpflicht- und Unfallversicherungsfall hergestellt wird.490 Äußerungen oder Handlungen des VR müssen (ausnahmsweise) als Verzicht auf die Einhaltung des Fristerfordernisses (Rn. 162) gedeutet werden.491
481 482 483 484 485 486
LG Köln 18.5.1989 VersR 1989 1039, 1040. Manthey NVersZ 2001 55, 59. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 67. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14; Manthey NVersZ 2001 55, 58. BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 174 = VersR 1995 1179, 1180 = RuS 1995 397. OLG Hamm 8.1.1992 VersR 1992 1255 = RuS 1992 322, 323; OLG Koblenz 11.9.2008 VersR 2010 62, 63; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14 und 15; Prölss/
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487 488 489
490 491
Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 21; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 178; Schubach ZfS 2005 224, 227 OLG Hamm 16.9.1992 VersR 1993 300, 301 = RuS 1993 118; a.A. Kloth Rn. G 35. BGH 24.3.1982 VersR 1982 567, 568. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14; verneint im Fall des OLG Hamm 13.1.1993 ZfS 1993 238, 239 (in RuS 1993 237 nicht abgedruckt). Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 27. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
• Der mit besonderen Vereinbarungen angestrebte Versicherungsschutz würde bei Eingreifen der allgemeinen AUB-Frist für die Geltendmachung der Invalidität ausgehöhlt, weil die Invaliditätsfolge typischerweise nach Ablauf der 15-Monatsfrist eintritt.492
Die Fristversäumnis ist dagegen ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht entschul- 129 digt, wenn der Anspruchsteller (VN) • das Bestehen des Vertrags „vergessen“ haben will.493 • die Fristenregelung nicht kennt.494 Würde dieser Umstand ausreichen, so käme dies im praktischen Ergebnis einer Ungültigkeit oder Abänderung der AUB gleich. Jeder VN könnte sich leicht über das Erfordernis der fristgerechten Geltendmachung der Invalidität hinwegsetzen.495 Die Unkenntnis der AVB kann vielmehr nicht als Entschuldigungsgrund herhalten, da sie auf (grober) Fahrlässigkeit beruht. Vom VN kann erwartet werden, dass er sich über die wesentlichen Inhalte seines Versicherungsvertrages informiert.496 Dies gilt auch für Ausländer, die möglicherweise aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten nicht in der Lage sind, die Versicherungsbedingungen zu verstehen.497 Zumindest der Eintritt des Versicherungsfalls muss und wird im Allgemeinen Anlass dazu geben, die Versicherungsbedingungen zu lesen. Spätestens dann darf davon ausgegangen werden, dass dem VN der Vertragsinhalt und die Voraussetzungen für Versicherungsleistungen (einschließlich der Fristenregelungen) bewusst sind.498 Notfalls muss der VN sich Rechtsrat einholen.499 • die Fristenregelung vergessen hat.500 • der Anspruchsteller einem Rechtsirrtum über die Wahrung der Frist unterliegt.501 • auf eine Falschauskunft des Arztes mit dem Inhalt, es sei nicht mit Spätfolgen zu rechnen, vertraut hat. Entsprechendes gilt, wenn der Arzt keine fristgerechten Feststellungen getroffen hat (s.a. Rn. 82).502 • die (irrige) Auffassung hatte, die Geltendmachung der Invalidität sei nur zusammen mit der Vorlage eines ärztlichen Attestes möglich.503 Auch hier gilt, dass sich der VN Kenntnis der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden AVB verschaffen muss; bei Zweifeln muss er ggf. Rechtsrat einholen.504 • davon ausgegangen ist, der den Vertrag seinerzeit vermittelnde Versicherungsvertreter werde über den ihm mündlich mitgeteilten Unfall einen Bericht schreiben und diesen dem VR zuleiten.505
492 493 494
495 496 497 498
499
Manthey NVersZ 2001 55, 58. LG Köln 18.5.1989 VersR 1989 1039, 1040. BGH 24.3.1982 VersR 1982 567, 568; OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 451; ÖOGH 17.9.1992 ZfS 1993 130, 131; ÖOGH 15.11.1990 VersR 1991 835, 836; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 67; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 58; Manthey NVersZ 2001 55, 58; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 11; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 164. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 27. LG Stuttgart 10.10.2003 RuS 2004 473. OLG Karlsruhe 2.2.2006 RuS 2006 427, 428. BGH 24.3.1982 VersR 1982 567, 568; OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 451; OLG Köln 5.5.1994 VersR 1995 907 = RuS 1994 396; LG Rottweil 30.6.1987 RuS 1987 328. OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 476; OLG Köln 17.10.1991 RuS 1992 34, 35; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14; s.a. OLG Celle
500
501
502 503
504 505
22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259 (allerdings zur ärztlichen Feststellung der Invalidität). OLG Koblenz 28.12.2001 NVersZ 2002 215; LG Köln 18.5.1989 VersR 1989 1039, 1040; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 21; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 178; Manthey NVersZ 2001 55, 58; Schubach ZfS 2005 224, 227. OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 476; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 164. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 21; ähnlich Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 179; einschränkend van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 164 für eine geringfügige Überschreitung der Frist. OLG Karlsruhe 7.9.2000 RuS 2002 129 f. S. OLG Köln 5.5.1994 VersR 1995 907 = RuS 1994 396.
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130
Ist die Fristversäumnis entschuldigt, so treten einerseits die mit der Fristversäumnis normalerweise verbundenen Wirkungen – der Ausschluss der Invaliditätsleistung – nicht (sogleich) ein. Es gilt eine Art „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, d.h. der VN ist entweder ganz oder gar nicht entschuldigt. Das Ausmaß eines etwaigen Mitverschuldens des VN bleibt auf der Rechtsfolgenseite unberücksichtigt. Die Entschuldigung führt also insbesondere nicht dazu, dass die Invaliditätsleistung entsprechend etwaiger Verschuldensquoten i.S.v. § 254 BGB teilweise zu zahlen ist.506 Andererseits beginnt mit Entfallen des Entschuldigungsgrundes auch keine neue 15-Monatsfrist zu laufen. Vielmehr muss der VN die Geltendmachung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, nachholen.507 Anderenfalls läuft er Gefahr, seinen Anspruch doch noch zu verlieren.508 Wann ein schuldhaftes Zögern anzunehmen ist, kann nur anhand des Einzelfalles ent131 schieden werden. Als „Faustformel“ mag ein Zeitraum von zwei Wochen gelten.509 In Ausnahmefällen wird der VN aber auch eine längere Zeitspanne in Anspruch nehmen können. So ist ein unverzügliches Handeln der versicherten Person auch dann noch gegeben, wenn der VN bei einem äußerst komplexen Verletzungszustand mit wechselhaftem Behandlungsverlauf drei Wochen zur Beschaffung medizinischer Unterlagen benötigt, mit denen die Invalidität dargelegt werden soll 510 oder sich der für den VN bestellte Betreuer erst noch in schwieriges Aktenmaterial einarbeiten muss.511 5. Hinweis- und Belehrungspflichten des VR
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Die Fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen die VR gegenüber dem VN aus Treu und Glauben zu einer Belehrung über die einzuhaltenden AUB-Fristen verpflichtet sind sowie welche Rechtsfolgen eintreten, wenn eine Belehrung (möglicherweise versehentlich) unterlassen wird bzw. fehlerhaft erfolgt ist oder sich Streit über die Vornahme der Belehrung bzw. den Zugang des Belehrungsschreibens beim VN ergibt, war vor der VVG-Reform 2008 Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen. Einigkeit herrschte im Ausgangspunkt darüber, dass (z.B. nach Eingang der Unfallschadenanzeige beim VR) keine allgemeine und generelle (ungeschriebene) Hinweis- und Belehrungspflicht des VR gegenüber dem VN über die besonderen Voraussetzungen für die Invaliditätsleistung bestand,512 sondern unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsbeteiligten eine Einzelfallbewertung zu erfolgen hatte (s.a. § 186 Rn. 52 ff.). Rechtsunsicherheiten,
506 507
508 509 510
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 29. BGH 13.3.2002 VersR 2002 698, 699 = NVersZ 2002 309, 310; BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 175 = VersR 1995 1179, 1180 = RuS 1995 397; OLG Karlsruhe 7.9.2000 RuS 2002 129, 130; Jacob VersR 2007 456, 458; Kloth Rn. G 36; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 58; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 11; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 166; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 26. Manthey NVersZ 2001 55, 58. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 178. BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 175 f. = VersR 1995 1179, 1180 = RuS 1995 397, 397 f.; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 14.
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511 512
BGH 13.3.2002 VersR 2002 698, 699 = NVersZ 2002 309, 310. S. nur BGH 18.2.2009 RuS 2009 205; OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362; OLG Hamm 19.11.2004 VersR 2005 1069 = RuS 2006 83 = ZfS 2005 254 = NJW-RR 2005 539, 540; OLG Oldenburg 21.8.2002 RuS 2004 34; LG Freiburg 16.12.1986 RuS 1987 237; LG Passau 28.11.1989 ZfS 1990 138, 139; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12; Kloth Rn. G 41; Knappmann RuS 2004 339; ders. RuS 2002 485, 489; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 22; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 174; Manthey NVersZ 2001 55, 57; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 28.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
die bei der mit Wertungen behafteten Anwendung des § 242 BGB bestanden haben mögen, hat der Gesetzgeber mittlerweile mit der neuen Vorschrift des § 186 weitgehend beseitigt. Den VR trifft eine allgemeine Hinweispflicht, ohne dass es auf Billigkeitserwägungen ankommt. 6. Treuwidriges Berufen auf den Fristablauf Ist es zu einer Versäumnis der Fristen für den Invaliditätseintritt und/oder die Feststel- 133 lung bzw. Geltendmachung der Invalidität gekommen, so ist seit Langem anerkannt, dass der Annahme des Fristablaufs § 242 entgegen stehen kann. Solche Fallkonstellationen werden aber voraussichtlich in der Praxis unter Geltung des VVG 2008 an Bedeutung verlieren; denn hat der VR – wie in der Praxis schon vor Einführung des § 186 üblich – ausdrücklich auf die Fristenregelung hingewiesen, so lässt sich ein Treueverstoß regelmäßig kaum begründen.513 Dennoch ist auch nach der VVG-Reform 2008 – zumindest in besonders gelagerten Einzelfällen – ein Rückgriff auf Treu und Glauben durchaus denkbar.514 Dies kommt vornehmlich dann in Betracht, wenn es nicht um Fragen vermeintlicher Pflichtverletzungen des VR durch unterlassene Belehrungen und Hinweise, sondern um sonstiges Verhalten des VR geht, das den VN darauf vertrauen lässt, dass er sich nicht (mehr) um die Einhaltung der 15-Monatsfrist kümmern muss.515 Relevant können dahingehende Prüfungen werden, wenn der VR sich zu der Belehrung nach § 186 widersprüchlich verhält, diese durch sein Verhalten entwertet oder der durch Einführung des § 186 geschaffene Schutz lückenhaft ist. a) Eintritt der Invalidität innerhalt eines Jahres nach dem Unfall. Der VR verstößt 134 weder gegen Treu und Glauben noch handelt er arglistig,516 wenn er seine Leistungspflicht ablehnt, weil die unfallbedingte Invalidität erst nach Ablauf der Jahresfrist eingetreten ist.517 Diese für den VN im Einzelfall schmerzliche Rechtsfolge ist vom Sinn und Zweck der Klausel gedeckt (Rn. 72) und höhlt den Wert des Versicherungsschutzes im Regelfall nicht aus (vgl. Rn. 76). Eine Ausnahme kommt allerdings dann in Betracht, wenn der VN mit dem VR eine Sondervereinbarung getroffen hat, die darauf abzielt, spezielle Unfallrisiken abzusichern, deren schädliche Dauerfolgen sich regelmäßig erst nach mehr als einem Jahr konkretisieren (z.B. Infektionen). Durch eine solche Konstellation wird die Bestimmung in Ziff. 2.1.1.1 S. 1 Spiegelstrich 1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61) zwar noch nicht nach AGB-Recht unwirksam (§ 307 BGB, § 9 AGBG, vgl. Rn. 163 ff.).518 Jedoch wäre ein Berufen des VR auf die verstrichene Jahresfrist für den Eintritt der Invalidität in diesem Fall treuwidrig. Könnte der VR die verstrichene Frist geltend machen, so wäre die zwischen dem VN und VR getroffene Vereinbarung für den VN – trotz Prämienzahlung – generell wirtschaftlich sinnlos.519
513
514
So z.B. in Fällen des OLG Düsseldorf 6.2.1990 VersR 1991 59; OLG Frankfurt 19.5.1988 ZfS 1988 258, 259; OLG Karlsruhe 5.11.1997 VersR 1998 882 = RuS 1998 260, 261; OLG Koblenz 27.8.1999 NVersZ 2000 174. S.a. Marlow/Spuhl 3 S. 270; ferner Rüffer/ Halbach/Schimikowski § 186 VVG Rn. 7 und Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 16 ff.
515 516 517 518 519
Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 171. BGH 1.4.1965 VersR 1965 505, 506; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 17. R. Fischer VersR 1965 197, 200. So aber OLG Frankfurt/M. 5.5.1994 VersR 1995 904, 906 f. Manthey NVersZ 2001 55, 56.
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Unfallversicherung
b) Ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall. Die ärztliche Dokumentation ist regelmäßig unverzichtbar.520 Der VR handelt grundsätzlich nicht treuwidrig, wenn er sich auf die nicht rechtzeitige ärztliche Feststellung beruft.521 Dies liegt auf der Hand, wenn auch nachträglich die unfallbedingte Invalidität nicht sicher ärztlich festgestellt werden kann,522 gilt aber auch für die Fälle, in denen • nach Ablauf der 15-Monats-Frist sicher ärztlich festgestellt wird, dass der Unfall innerhalb eines Jahres zu unveränderlichen Gesundheitsschäden geführt hat;523 • die Invalidität frühestens nach Ablauf der 15-Monatsfrist feststellbar ist (s.a. Rn. 82);524 • der Arzt dem VN zu Unrecht innerhalb der 15-Monatsfrist die Auskunft gegeben hat, mit Spätschäden sei nicht zu rechnen, diese dann aber doch nach Fristablauf zu verzeichnen sind.525 Entsprechendes gilt, wenn der beauftragte Arzt nicht fristgerecht tätig geworden ist (s.a. Rn. 82).526 • die versicherte Person minderjährig ist. Der VR darf sich einem Minderjährigen gegenüber genauso auf die Fristversäumnis wie gegenüber einem volljährigen VN berufen. Er muss nicht danach differenzieren, aus welchen Gründen ein Arzt erst zu einem späteren Zeitpunkt hinzugezogen werden konnte. Ob die Fristversäumnis auf einer entwicklungsbedingten geminderten Erkenntnisfähigkeit des Minderjährigen beruhte oder – wie bei einem Erwachsenen – auf einer Fehleinschätzung des eigenen gesundheitlichen Zustandes, spielt für die rechtliche Beurteilung keine Rolle.527
Die Berufung des VR auf den Fristablauf kann aber ausnahmsweise dann rechtsmissbräuchlich sein oder widersprüchliches Verhalten begründen, wenn Vertrauenstatbestände vorliegen, aufgrund derer der VN den Eindruck gewinnen muss, der VR werde den Fristablauf nicht beanstanden.528 Entsprechendes gilt, wenn der VR den VN davon abgehalten hat, fristgerecht Maßnahmen zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung zu ergreifen.529 Ist dies der Fall, so schadet die Fristversäumung dem VN grundsätzlich nicht; er muss die ärztliche Invaliditätsfeststellung allerdings unverzüglich nachholen.
136
aa) Fallgruppen. Welche Anforderungen sich an den VR im Einzelfall ergeben, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände unter Abwägung der Interessen des VN und VR entschieden werden.530 Folgende Fallgruppen lassen sich bilden:
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(1) Entbehrlichkeit der ärztlichen Feststellung. Die Berufung des VR auf die Fristversäumnis ist als solche und ohne Hinzutreten weiterer Umstände treuwidrig, wenn eine ärztliche Feststellung der Invalidität nicht notwendig ist, da aus den dem VR vorliegen-
520 521
522 523 524
Manthey NVersZ 2001 55, 57. BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1038 = VerBAV 1978 293, 295; OLG Frankfurt/M. 14.2.2001 VersR 2001 1149 = NVersZ 2002 70 = NJW-RR 2002 94; OLG Frankfurt 8.4.1998 RuS 2000 216, 217; OLG Hamm 19.1.2001 VersR 2002 49, 50; OLG Naumburg 13.5.2004 RuS 2006 124, 125; OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 958; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12 OLG Hamm 12.1.1990 VersR 1990 1344, 1345 So u.a. OLG Koblenz 19.12.1999 VersR 1999 1227 = NVersZ 2000 175. OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995 438, 439; OLG Koblenz 27.8.1999 NVersZ 2000 174; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12.
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OLG Koblenz 23.3.2001 NVersZ 2002 69, 70; R. Fischer VersR 1965 197, 200. Schubach ZfS 2005 224, 227. OLG Karlsruhe 1.2.1996 RuS 1997 216 = VersR 1997 954 (LS). S. nur BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1038; OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362 = RuS 2004 78; OLG Karlsruhe 1.2.1996 RuS 1997 216; OLG Köln 21.3.1991 VersR 1992 176, 177 = RuS 1992 35 und 71; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 930. BGH 8.6.2005 VersR 2005 1226, 1227 = RuS 2005 451, 452 = NJW-RR 2005 1341, 1342 zu § 12 Abs. 3 a.F. BGH 8.6.2005 VersR 2005 1226, 1227.
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Invaliditätsleistung
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den Befunden (z.B. ärztlichen Berichten) zwingend auf eine unfallbedingte und dauerhafte Beeinträchtigung oder einen unveränderlichen bzw. unverbesserlichen (Teil-)Gesundheitsschaden zu schließen ist (s.a. Rn. 98).531 Hier nutzt der VR die anspruchsbegründenden Förmlichkeiten aus, um sich einer materiell-rechtlich eindeutigen Leistungspflicht zu entziehen.532 Bei einem zweifelsfrei von Anfang an unabänderlichen Gesundheitszustand besteht für den VR – auch unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Fristenregelung (Rn. 73) – kein schützenswertes Interesse an einer zusätzlichen „formal korrekten“ ärztlichen Feststellung. Das ist u.a. der Fall bei einer Querschnittslähmung. Entsprechendes gilt bei einem Verlust von Gliedmaßen, falls eine Replantation ausgeschlossen ist, oder anderer Körperteile.533 So ist z.B. das Berufen auf die Fristversäumnis durch den VR treuwidrig, wenn der Unfallchirurg der versicherten Person eine Gallenblase entfernt hat und dieser unveränderliche Gesundheitsschaden tatsächlich vor Fristablauf in einem ärztlichen Bericht erwähnt worden ist. Unschädlich ist dann, dass nicht auch eine aus der Gallenblasenentfernung folgende Invalidität ausdrücklich fristgerecht ärztlich festgestellt wurde.534 Umgekehrt entfällt die Notwendigkeit der ärztlichen Feststellung nicht schon dann, wenn z.B. der Anspruchsteller einen Bandscheibenvorfall behauptet, im Übrigen aber ungeklärt ist, ob dieser unfallbedingte Invalidität begründet hat.535 Weiterhin lässt sich nicht zwingend aus einer Aoertendissektion (Zerschneidung der Halsschlagader) mit anschließendem Ersatz durch eine künstliche Aortenklappe auf dauerhafte Sehstörungen schließen.536 Ist die Invalidität eindeutig und will der VR trotzdem, dass ihm eine ärztliche Feststellung vorgelegt wird, so ist zumindest ein entsprechender (ggf. wiederholender) Hinweis an den Anspruchsteller geboten. (2) Begründung von Vertrauenstatbeständen vor Ablauf der 15-Monatsfrist. Die Be- 138 rufung des VR auf die Fristversäumnis kann aufgrund eines Verhaltens des VR während des Laufs der 15-Monatsfrist den Einwand treuwidriges Verhalten begründen, wenn der VR durch seineVerhaltensweisen berechtigtes Vertrauen beim VN dahingehend geschaffen hat, auf die rechtzeitige ärztliche Feststellung komme es dem VR nicht an. Nicht ausreichend ist dagegen – nach umstrittener Ansicht – allein der Umstand, dass der VR vor Fristablauf die Leistung vor Fristablauf endgültig abgelehnt oder weitere Ermittlungen anstellt hat. Zur Begründung eines Treueverstoßes des VR reicht ferner nicht aus, dass z.B. der VR vor Fristablauf • eine Schweigepflichtentbindungserklärung eingeholt hat (Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 148). • darauf hinweist, dass die Invalidität bzw. der Dauerschaden nicht ärztlich festgestellt sei und er bei Vorlage einer weiteren ärztlichen Bescheinigung erneut seine Eintrittspflicht prüfen werde. Darin liegt noch keine endgültige Leistungsablehnung,537 die nach z.T. vertretener Auffassung einen Treueverstoß des VR begründen kann (Rn. 139).
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So u.a. OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478; OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188; s.a. OLG Frankfurt/M. 8.4.1998 RuS 2000 216, 217; OLG Karlsruhe 1.2.1996 RuS 1997 216; OLG Köln 21.3.1991 VersR 1992 176, 177 = RuS 1992 35 und 71; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 201 = NJW-RR 2008 837, 839. OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12.
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 14. BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 178 = VersR 1995 1179, 1180 = RuS 1995 397, 398; bestätigt durch BGH 23.2.2005 VersR 2005 639, 640; BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177. OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; Marlow RuS 2005 357, 362. OLG Oldenburg 21.8.2002 RuS 2004 34. OLG Köln 21.11.1991 RuS 1992 105.
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• die Frage seiner Eintrittspflicht bis zur gerichtlichen Klärung des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung zurückstellt. Dadurch wird der Anspruchsteller nicht abgehalten, alle aufgetretenen Beeinträchtigungen fristgerecht ärztlich feststellen zu lassen.538
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Endgültige Leistungsablehnung: Umstritten ist, ob das Berufen des VR auf den Ablauf der 15-Monatsfrist einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt, wenn er seine Leistungsverpflichtung vor Fristablauf endgültig abgelehnt hatte, weil z.B. Leistungsfreiheit wegen Prämienzahlungsverzugs, fehlender Unfallkausalität oder das Eingreifen eines Ausschlusstatbestandes anzunehmen sei. Z.T. wird hier Treuwidrigkeit angenommen,539 wenn der VR (in diesem Zusammenhang) nicht (erneut) auf eine noch ausstehende ärztliche Feststellung der Invalidität hingeweist.540 Die Gegenauffassung (auch der BGH) meint, der VN müsse auch bei vorzeitiger Ablehnung des Anspruchs durch den VR innerhalb der 15-Monatsfrist ärztliche Feststellungen treffen lassen.541 Anderenfalls wäre der Anspruchsteller gegenüber anderen VN und zu Lasten der Versichertengemeinschaft begünstigt, ohne dass dies durch seine berechtigten Belange geboten erscheine.542 Dieser Ansicht ist zu folgen. Entscheidend ist dabei allerdings weniger der Vergleich zwischen betroffenem VN und der Versichertengemeinschaft, sondern der Umstand, dass es sich bei der fristgerechten ärztlichen Invaliditätsfeststellung um eine objektive Anspruchsvoraussetzung handelt (Rn. 82 f.), auf deren Vorliegen im Verhältnis zwischen dem VN und dem VR nur bei Vorliegen besonderer Umstände verzichtet werden kann.543 Solche Umstände, die den Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens des VR begründen könnten, liegen hier nicht vor: Zwar lässt sich einerseits argumentieren, dass der VR, wenn er vor Fristablauf einen Leistungsanspruch des VN generell ablehnt, leicht den Eindruck beim VN erwecken kann, dass das Leistungsbegehren nicht mehr geprüft werde, selbst wenn der VN doch noch eine fristgerechte Invaliditätsfeststellung vorlegen sollte. Der VN schließt möglicherweise aus der Leistungsablehnung vielmehr, dass der VR kein Interesse an weiterer Aufklärung hat, und deshalb für ihn (den VN) keine Veranlassung besteht, für eine fristgerechte ärztliche Feststellung zu sorgen.544 Dieser Gedanke wird noch verstärkt, wenn der VR sein Ablehnungsschreiben mit einer Fristsetzung nach § 12 Abs. 3 a.F. verbunden hat, ohne eine Belehrung auch für die Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung, die zu verstreichen droht, mit aufzunehmen; denn der VN wird sich dann u.U. darauf konzentrieren, nur die mitgeteilten Gründe der Leistungsverweigerung innerhalb der einschlägig mitgeteilten Frist anzugreifen.545 Andererseits ist
538 539
540
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OLG Oldenburg 21.8.2002 RuS 2004 34, 35. OLG Bamberg 28.5.1998 RuS 2000 394; OLG Hamm 28.11.1979 VersR 1981 1022, 1023; OLG Köln 21.11.1991 RuS 1992 105; OLG Schleswig 18.3.1992 RuS 1992 394, 395; Knappmann RuS 2002 485, 489; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 23. OLG Hamm 19.11.2004 VersR 2005 1069 = NJW-RR 2005 539, 540 = RuS 2006 83 = ZfS 2005 254; Marlow RuS 2006 397, 401; Schubach ZfS 2005 224, 228 (anders van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 173). BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 10 = NJW-RR 2007 977, 978; BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 7 =
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NJW 2006 911; BGH 23.10.2002 VersR 2002 1578 = RuS 2003 120 (LS) mit Hinweis auf BGH 27.2.2002 VersR 2002 472 unter 1c a.E.; OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1217; OLG Saarbrücken 21.6.2005 VersR 2007 487; grundsätzlich auch Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12. OLG Frankfurt 8.4.1998 RuS 2000 216, 217; i.E. wohl auch OLG Düsseldorf 21.11.1996 RuS 1997 129, 130. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 172. Manthey NVersZ 2001 55, 57. OLG Bamberg 28.5.1998 RuS 2000 394; OLG Hamm 19.11.2004 VersR 2005 1069 f.
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zu berücksichtigen, dass der VR keinen Anlass dazu hat, die Leistungsablehnung zusätzlich mit einem Hinweis auf Ziff. 2.1.1 AUB 99/2008 zu stützen, wenn die 15-Monatsfrist noch gar nicht verstrichen ist.546 Dies gilt umso mehr, wenn der VR nach Eingang der Unfallanzeige den Anforderungen des § 186 ordnungsgemäß nachgekommen ist. Allenfalls könnte erwogen werden, dass der VR nach Treu und Glauben den VN in seinem Ablehnungsschreiben vorsorglich (und erneut) auf die noch nicht erfolgte Invaliditätsfeststellung hinweisen muss.547 Eine solche Hinweispflicht geht aber i.E. ohne Hinzutreten weiterer Umstände (z.B. Verschleierung der laufenden Fristen) zu weit.548 Der VR hat mit seiner Leistungsablehnung kein treuwidriges oder sonst zu missbilligendes Verhalten an den Tag gelegt. Er hat kein schützenswertes Vertrauen des VN in seine Leistungsbereitschaft geweckt, das es rechtfertigen würde, die fristgerechte Invaliditätsfeststellung als Anspruchsvoraussetzung zu vernachlässigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn • der VR sich mit den beigebrachten Befunden auseinandergesetzt, selbst eine ärztliche Stellungnahme eingeholt und anschließend die Invalidität dem Grunde nach abgelehnt hat. • die Leistungsablehnung sich überhaupt nicht auf die erst später vom VN geltend gemachte Invaliditätsleistung bezieht, sondern streitige Ansprüche auf Krankenhaustagegeld, Genesungsgeld o.ä. betrifft.549
Weiterhin fällt es nicht in die „Fürsorgepflicht“ des VR gegenüber dem VN, alle Eventualitäten auszuräumen und dafür zu sorgen, dass der Anspruchsteller an die Wahrung der von ihm einzuhaltenden Anspruchsvoraussetzungen denkt. Unterlässt der VN die gebotene Beachtung des Hinweises nach § 186 und die Lektüre der AUB, so handelt er selbst nachlässig und kann nicht über § 242 BGB den VR für seine schuldhafte Unkenntnis der Fristenregelung in die Verantwortung nehmen. Zumindest muss für den VR erkennbar sein, dass der VN in besonderer Weise belehrungsbedürftig ist. Die bloße Vermutung oder ein vager Verdacht, der (häufig anwaltlich vertretene) VN kenne die Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung (grob) fahrlässig nicht, reicht dafür nicht aus. Weitere Ermittlungen durch den VR: Kontrovers wird die Frage diskutiert, ob das 140 Berufen des VR auf den Fristablauf treuwidrig ist, wenn er vor Fristablauf (von sich aus) einen Gutachtenauftrag vergeben hat. Überwiegend wird dies bejaht,550 es sei denn, der VR hat den VN auf die 15-Monatsfrist hingewiesen.551 Dieser Auffassung ist indes – in ihrer Absolutheit – nicht zu folgen. Gegen sie sprechen die für die Fallgruppe der „endgültigen Leistungsablehnung“ aufgeführten Argumente (Rn. 139). Allein dadurch, dass der VR ordnungsgemäß reguliert und Ermittlungen vornimmt, schafft er noch keinen schützenswerten Vertrauenstatbestand beim VN. Keine Treuwidrigkeit des VR ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn • das in Auftrag gegebene Gutachten keine (fristgerecht eingetretene) Invalidität bestätigt; anderweitige Feststellungen bzw. Überprüfungen nach Fristablauf reichen dann nicht aus.552
546
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548 549 550
BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 10 = NJW 2006 911, 912; OLG Düsseldorf 21.11.1996 RuS 1997 129, 130. OLG Hamm 19.11.2004 VersR 2005 1069; OLG Schleswig 18.3.1992 RuS 1992 394, 395. BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 10 = NJW 2006 911, 912. OLG Saarbrücken 21.6.2005 VersR 2007 487. OLG Oldenburg 14.7.1999 VersR 2000
551
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843 = NVersZ 2000 85; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 54. BGH 30.11.2005 VersR 2006 352, 353 Rn. 8 = NJW 2006 911; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 201 = NJW-RR 2008 837, 839; OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 958; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12; Knappmann RuS 2002 485, 489; Schubach ZfS 2005 224, 228; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 161 und 172. OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 57.
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• die ärztliche Invaliditätsfeststellung in einem vom VR beauftragten Gutachten Folge eines Zufallsbefunds ist, der nichts mit den körperlichen Beeinträchtigungen zu tun hat, mit denen der VN innerhalb der 15-Monatsfrist seinen Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung begründet hatte.553
Aber auch in anderen Sachverhaltskonstellationen ist die Annahme eines Treueverstoßes des VR nur dann gerechtfertigt, wenn besondere Umstände vorliegen, die es als unbillig erscheinen lassen, dass der VR aus der vom VN zu vertretenden Fristversäumnis seinen bedingungsgemäß vorgesehenen formalen Rechtsvorteil behalten darf. Dies ist etwa der Fall, wenn der VR die Unkenntnis vom drohenden Fristablauf beim VN aktiv fördert (z.B. durch ausdrückliche Falschauskünfte, verwirrende bzw. unvollständige Hinweise) oder passiv bleibt und keine Hinweise auf die AUB-Regelung gibt, obwohl er die Fehlvorstellungen des VN erkannt hat (s.a. Rn. 132). Dem VR ist i.E. aus praktischen Erwägungen – unabhängig von § 186 – zu empfehlen, stets bei Eintritt in die Sachprüfung dem VN „sicherheitshalber“ und unabhängig von der rechtlichen Notwendigkeit einen gesonderten Hinweis auf die einzuhaltenden Fristen zu geben. Dadurch kann er es sich ersparen, später dem Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens ausgesetzt zu sein, dessen rechtliche Beurteilung durch die Gerichte zumindest ungewiss ist. 141 Sonstige Vertrauenstatbestände: Der VR verhält sich treuwidrig, wenn er sich auf die Versäumnis der 15-Monatsfrist beruft, obwohl er vor Ablauf der 15-Monatsfrist im Rahmen der Schadenbearbeitung gegenüber dem VN den Eindruck erweckt hat, er werde sich auch in fernerer Zukunft noch auf eine sachliche Prüfung einlassen.554 So liegen etwa die Fälle, in denen der VR • (ausdrücklich oder konkludent) erklärt hat, er benötige die ärztliche Feststellung erst zu einem nach Fristablauf liegenden Termin. Diese Sachverhaltskonstellation ist z.B. anzunehmen, wenn der VR eine abschließende Prüfung der Sache ankündigt, sobald eine Einigung mit dem Haftpflichtversicherer erzielt ist, oder der VR ein Stillhalteabkommen (s.a. Rn. 270) getroffen hat, bis prozessuale Vorfragen geklärt sind.555 • gegenüber dem VN den Eindruck erweckt hat, die Invalidität als solche sei bereits festgestellt und es müsse nur noch nach Ablauf der ärztlichen Feststellungsfrist ihre endgültige Bemessung erfolgen,556 es sei mithin nur noch die Höhe des Invaliditätsgrades streitig. Diese Variante soll nach z.T. vertretener Auffassung auch dann noch anzunehmen sein, wenn der VR vor Fristablauf erklärt, er entnehme den ihm vorliegenden ärztlichen Berichten, dass dort empfohlen werde, die endgültige Feststellung einer „eventuellen Invalidität“ zwei Jahre nach dem Unfall und damit nach Ablauf der 15-Monatsfrist vornehmen zu lassen.557 Zwar kann hier argumentiert werden, dass hier der VN leicht den Eindruck gewinnen kann, die Invalidität stehe zwar nicht der Höhe, wohl aber dem Grunde nach fest. Darüber hinaus mag für den VN bei einer solchen Mitteilung des VR die Annahme nahe liegen, der VR werde nach zwei Jahren eine Prüfung vornehmen und ggf. eine positive Invaliditätsfeststellung zugunsten der versicherten Person berücksichtigen. Ein solches Verständnis geht jedoch zu weit. Die Wendung „eventuelle Invalidität“ macht deutlich, dass sie eben noch nicht dem Grunde nach feststeht. Jedenfalls müssen für den VN, der die AUB-Fristenregelungen sorgfältig zu lesen hat, Zweifel bestehen, ob er schon alles für die ärztliche Invaliditätsfeststellung getan hat. Es ist dann seine Sache, sich z.B. durch Rückfrage beim VR Gewissheit zu verschaffen, ob er trotz des drohenden Fristablaufs die weitere Entwicklung abwarten kann.
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OLG Oldenburg 14.7.1999 VersR 2000 843; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 161. OLG Frankfurt/M. 14.2.2001 VersR 2001 1149 = NVersZ 2002 70, 71 = NJW-RR 2002 94, 95. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12; s.a. BGH
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14.6.1989 NJW-RR 1989 1048 = RuS 1989 305. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 54. OLG Frankfurt/M. 14.2.2001 VersR 2001 1149.
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(2) Begründung von Vertrauenstatbeständen nach Ablauf der 15-Monatsfrist. Treu- 142 widriges Verhalten des VR nach Ablauf der 15-Monatsfrist wird sich regelmäßig kaum begründen lassen.558 Die Berufung des VR auf den Fristablauf ist nicht schon deshalb treuwidrig, weil der VR eine Kulanzprüfung in Aussicht stellt.559 Entsprechendes gilt, wenn er nach Ablauf der 15-Monatsfrist weitere Ermittlungen vornimmt oder dem VN die Prüfung nachgereichter Unterlagen zusagt. Hier kommt ein Treueverstoß des VR nur dann in Betracht, wenn aufgrund der nach Fristablauf erfolgten Ermittlungen eine positive Invaliditätsfeststellung feststeht. Ansonsten müssen zu Kulanzprüfungen oder Sachverhaltsaufklärungen noch weitere Umstände hinzutreten, die ein Berufen des VR auf den Fristablauf als treuwidrig erscheinen lassen. Solche Umstände ergeben sich zwar noch nicht ohne weiteres daraus, dass der VR (Teil-)Leistungen erbringt, können jedoch dann anzunehmen sein, wenn die versicherte Person erheblichen Belastungen unterzogen wird. Weitere Ermittlungen durch den VR: Tritt der VR vor der Leistungsablehnung trotz 143 der bereits abgelaufenen Frist in eine sachliche Prüfung ein, so unterliegt das Verhalten des VR in zweierlei Hinsicht einer Kontrolle. Zum einen ist zu prüfen, ob der Eintritt in eine weitere Prüfung als solche treuwidrig sein kann. Zum zweiten sind die Konsequenzen zu bewerten, die der VR aus den Prüfungsergebnissen ableitet. In beiden Fällen ist ein Rechtsmissbrauch regelmäßig zu verneinen. Holt der VR in Kenntnis der Fristversäumung z.B. (weitere) Atteste oder Gutachten ein, so reicht dieser Umstand allein noch nicht aus, das spätere Berufen des VR auf den Ablauf der 15-Monatsfrist als treuwidrig zu bewerten.560 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der VR dem VN unmissverständlich vor der Vornahme weiterer Prüfungen mitgeteilt hat, es bestehe wegen Fristversäumnis kein Anspruch.561 Weitere Ermittlungen dienen dann lediglich der freiwilligen Kontrolle durch den VR, ob er seine Ablehnung aufrechterhalten will.562 Aber auch, wenn der VR den (ihm aus prozesstaktischer Sicht zu empfehlenden) besonderen bzw. wiederholenden Hinweis auf den Fristablauf unterlässt, begründen weitere Ermittlungen des VR allein noch kein widersprüchliches Verhalten.563 Anderenfalls könnte sich der VR zur Vermeidung eines Rechtsverlustes veranlasst sehen, bei Fristversäumnis jegliche Bemühungen zur weiteren Klärung des Sachverhalts einzustellen.564 Das hätte die unerwünschte Folge, dass Kulanzleistungen oder Vergleichslösungen ausgeschlossen wären.565 Dadurch wür-
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Schubach ZfS 2005 224, 228; auch Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 56. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12. S. etwa OLG Düsseldorf 3.8.1999 RuS 1999 524; OLG Düsseldorf 21.11.1996 RuS 1997 129, 130; OLG Frankfurt/M. 20.12.2000 VersR 2001 1271 (LS); OLG Saarbrücken Urteil vom 1.10.2007 – 5 U 85/07; LG Freiburg i.Br. 1.4.2003 VersR 2003 1245, 1246; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 56 f.; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 56; s.a. OLG Oldenburg 21.8.2002 RuS 2004 34, 35; offen lassend OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 463, 464 = RuS 2003 340. OLG Hamm 20.8.1999 RuS 2000 38, 39; s.a. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 18.
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OLG Düsseldorf 6.2.1990 VersR 1991 59; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12. OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 58; Manthey NVersZ 2001 55, 58; a.A. OLG Köln 16.12.1993 VersR 1994 1220 = RuS 1994 78; einschränkend auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 176. OLG Karlsruhe 5.11.1997 VersR 1998 882, 883 = RuS 1998 260, 261. OLG Düsseldorf 3.8.1999 RuS 1999 524; OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1363 = RuS 2008 123, 124; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 16; Schubach ZfS 2005 224, 228.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
den in vielen Fällen wesentliche Interessen der versicherten Person beeinträchtigt.566 Entscheidend für die Annahme eines Treueverstoßes des VR ist, wie er sich nach Vorliegen der weiteren Ermittlungsergebnisse gegenüber dem Anspruchsteller verhält. Kein Vertrauensschutz besteht grundsätzlich, wenn es auch auf Grundlage der nach Fristablauf eingeholten ärztlichen Stellungnahmen nicht gelingt, den Eintritt eines unfallbedingten Dauerschadens ärztlich festzustellen.567 Der VN kann regelmäßig nur darauf vertrauen, dass der VR die Fristenregelung im Fall einer positiven – wenn auch verspäteten – ärztlichen Invaliditätsfeststellung nicht heranziehen wird. Eine Ausnahme kommt lediglich dann in Betracht, wenn die vom VR veranlassten Untersuchungen mit erheblichen Belastungen für die versicherte Person verbunden sind und der VR den Anspruchsteller nicht vorher auf den nach wie vor im Raum stehenden Fristeneinwand hingewiesen hat (Rn. 146). Ansonsten kann in dem Berufen des VR auf den Fristenablauf von vornherein nur dann ein Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen werden, wenn die erfolgte weitere Prüfung des VR keine berechtigten Zweifel mehr an der sachlichen Begründung des Anspruches bestehen lässt.568 Maßgebend ist dann, ob der VR durch sein gesamtes Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass der Leistungsanspruch nicht an der Versäumung der 15-Monatsfrist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität scheitern soll. Auch hier ist insbesondere an solche Fälle zu denken, in denen der VR den Anspruchsteller nicht (erneut) auf den Fristeneinwand hingewiesen hat, bevor er die versicherte Person Untersuchungen mit gravierenden Unannehmlichkeiten ausgesetzt hat. Weiterhin hat die Rechtsprechung einen Vertrauenstatbestand angenommen, wenn der VR trotz der verspätet erstellten ärztlichen Invaliditätsfeststellung die Bereitschaft erklärt hat, (nicht nur aus Kulanzgründen bzw. ohne den Vorbehalt der Unverbindlichkeit) • in die Sachprüfung einzutreten.569 Selbst wenn der VR nach Fristablauf zunächst (allerdings nur mit Hinweis auf das Versäumnis der Obliegenheit des VN zur rechtzeitigen Unfallanzeige und ohne Erwähnung der verstrichenen AUB-Fristen zur Feststellung und zur Geltendmachung der Invalidität) darauf hingewiesen hat, die Ansprüche nur „unverbindlich“ prüfen zu wollen, so ist sein Berufen auf die Fristversäumnis treuwidrig, wenn er später mehrfach – ohne Vorbehalt – ankündigt, „in die Regulierung einzutreten“.570 • den Umfang der Invalidität nach Abschluss der angefangenen Behandlung zu prüfen.571 Dadurch bringt der VR zum Ausdruck, dass die Invalidität dem Grunde nach nicht mehr thematisiert werden soll. • zum Ablauf des dritten Unfalljahres einen weiteren Arztbericht einzuholen, um die Höhe des Invaliditätsgrades dahin zu überprüfen, ob eine Verschlechterung oder Verbesserung des jetzigen Zustandes eingetreten ist.572 Der VR gibt dann zu verstehen, dass er die Invalidität dem Grunde nach (aner)kennt. Der Anspruchsteller kann anschließend davon ausgehen, dass er den Dauerschaden nicht noch „formal korrekt“ feststellen und geltend machen muss.
566
567
568
OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478; OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 620 = RuS 1995 474, 476; OLG Hamm 29.11.1996 RuS 1997 130; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 931; Marlow RuS 2006 397, 402. OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362; OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230, 1231. OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478.
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S.a. OLG Düsseldorf 6.2.1990 VersR 1991 59. OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 931; zust. Marlow RuS 2006 397, 402. KG 4.3.2003 RuS 2004 210. OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1363 = RuS 2008 123; OLG Hamm 29.9.1999 VersR 2000 962 f. = RuS 2000 216 = NVersZ 2000 84, 85; zust. OLG Frankfurt/M. 14.2.2001 VersR 2001 1149 = NVersZ 2002 70, 71 = NJW-RR 2002 94, 95; ferner Manthey NVersZ 2001 55, 58.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Nachreichen von Unterlagen durch die versicherte Person: Das Berufen auf den Frist- 144 ablauf ist nicht schon deshalb treuwidrig, weil der VR trotz der bereits erfolgten Ablehnung seine Bereitschaft erklärt, seine Entscheidung zu überprüfen, sofern die versicherte Person weitere Unterlagen (innerhalb einer bestimmten Frist, die ggf. auch verlängert werden kann) vorlegt. Der VR muss allerdings sein „Überprüfungsversprechen“ einhalten. Bestätigt die Überprüfung der neu eingereichten Unterlagen die bereits erklärte Ablehnung, so liegt kein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, wenn sich der VR später noch auf den Fristablauf zur ärztlichen Feststellung der Invalidität beruft. Führen die nachgereichten Unterlagen dagegen zu einer abweichenden Beurteilung, so kann sich anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles die Frage nach einem Rechtsmissbrauch des VR stellen.573 Anhaltspunkt hierfür kann etwa sein, dass sich die versicherte Person – für den VR erkennbar – beschwerlichen Untersuchungen unterziehen muss, um die von ihr beim VR nachzureichenden Unterlagen zu beschaffen (Rn. 146). Ein Treueverstoß wurde weiterhin angenommen für den Fall, dass der VR dem VN in Aussicht stellt, sich „gern erneut mit der Angelegenheit zu befassen, „sofern zum Ablauf des dritten Unfalljahres noch unfallbedingte Beschwerden bestehen sollten“ und diese dann „unter Vorlage eines fachärztlichen Attestes“ nachgewiesen werden.574 Dies geht indes zu weit, zumal der VR in der vorangehenden Korrespondenz angekündigt hatte, die weitere Bearbeitung wegen der verstrichenen Frist nur unter Vorbehalt und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht vornehmen zu wollen. Nur weil der VR nach Fristablauf die „Tür für weitere Prüfungen noch nicht endgültig zugeschlagen hatte“, handelt er nicht treuwidrig, wenn er sich später trotz der nachträglichen ärztlichen Invaliditätsfeststellung noch auf den Fristablauf beruft. Auf einen Verzichtswillen des VR kann der VN allein aufgrund der Ankündigung des VR, noch verspätet eingereichte Unterlagen anschauen zu wollen, nicht folgern. Vielmehr müssen für den VN schon besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der VR ohne Not eine ihm günstige Rechtsposition aufgibt (Rn. 162). Erbringung von (Teil-)Leistungen durch den VR: Hat der VR nach Ablauf der 15-Mo- 145 natsfrist noch Ermittlungen zum Sachverhalt angestellt, anschließend – ohne auf den Kulanzcharakter hinzuweisen – eine (Teil-)Leistung erbracht, die Invalidität oder Arbeitsunfähigkeit voraussetzt, und beruft er sich später hinsichtlich des verbleibenden Restes noch auf ein Fristversäumnis, so ist umstritten, ob dies rechtsmissbräuchlich ist. Z.T. wird in der VR-Leistung ein Verzicht auf die Folgen etwaiger Fristversäumnis auch für nicht anerkannte Unfallfolgen gesehen,575 wenn der VR den Kulanzcharakter der Leistung (bzw. seines Vergleichsangebots) nicht deutlich gemacht und sich alle Einwendungen gegenüber dem Anspruch vorbehalten hat.576 Die Gegenauffassung verneint den Verstoß gegen Treu und Glauben.577 Ihr ist zu folgen. Zwar könnte argumentiert werden, dass das vorbehaltlose Angebot einer Versicherungsleistung beim VN die Vorstellung erwecke, sein Anspruch bestehe dem Grunde nach bei unterschiedlicher Auffassung über die Höhe. Dürfte jedoch der VR nach einer Prüfung nicht ohne Rechtsverlust Teilleistungen erbringen oder einen Vergleich abschließen, so würde dies dem Sinn jeder Kulanzprüfung zuwider laufen, da deren Ergebnis nicht von vornherein nur die vollständige 573 574 575
OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1260. OLG Hamm 2.12.1998 NVersZ 1999 567, 568. OLG Frankfurt 8.4.1998 RuS 2000 216, 217; OLG Hamm 10.2.1989 RuS 1989 234 (LS); OLG Nürnberg 21.3.2002 VersR 2003 846, 848 = ZfS 2003 304, 305.
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Manthey NVersZ 2001 55, 58. OLG Karlsruhe 5.11.1997 VersR 1998 882 f. = RuS 1998 260, 261; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 59; wohl auch OLG Hamm 25.10.1997 RuS 1998 260; s. ferner OLG München 17.1.1994 VersR 1995 565 = RuS 1994 478.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
Ablehnung oder Erfüllung des Anspruchs sein kann.578 Hat der VR nach Fristablauf eine andere als eine Invaliditätsleistung erbracht, so wird dadurch noch kein Vertrauenstatbestand für die versicherte Person geschaffen, weil z.B. für das Krankenhaustagegeld, Genesungsgeld usw. völlig andere Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen sind.579 Belastungen der versicherten Person: Die Prüfung des VR kann auch das Einholen 146 ärztlicher Auskünfte oder Sachverständigengutachten umfassen, ohne dass daraus ein Verstoß gegen Treu und Glauben abgeleitet werden kann. Eine Ausnahme kommt in Betracht, wenn umfangreiche Untersuchungen durchzuführen 580 bzw. mit der Untersuchung wesentliche (körperliche oder seelische) Belastungen der versicherten Person verbunden sind 581 und der VR der versicherten Person nicht durch (unmissverständlichen) Vorbehalt 582 vor Augen geführt hat, dass sie noch mit dem Einwand der Fristversäumung zu rechnen habe.583 Die versicherte Person muss entscheiden können, ob sie sich trotz des drohenden Fristeneinwandes den Nachteilen der Untersuchung aussetzt. Wann eine ärztliche Untersuchung als erhebliche Belastung anzusehen ist, kann nur anhand des Einzelfalles entschieden werden. Abstrakt lässt sich lediglich festhalten, dass es sich um besonders beschwerliche Untersuchungen handeln muss, von denen der VR annehmen kann, dass die versicherte Person sich ihnen nicht unterzogen hätte, wenn sie weiterhin mit einer Ablehnung der Leistung wegen Fristablaufs rechnen müsste. Bei einem geringeren Maßstab wäre es dem VR erschwert, im Interesse der versicherten Person auch nach Fristablauf noch Kulanzprüfungen vorzunehmen.584 Zu berücksichtigende Umstände sind u.a. die Zahl, Art, Schmerzhaftigkeit und Gefährlichkeit der Untersuchungen oder die – dem VR bekannte oder wenigstens erkennbare – körperliche und seelische Verfassung der versicherten Person. Bejaht wurde etwa eine erhebliche Belastung für die versicherte Person, wenn sie sich einer Reihe von ärztlichen Untersuchungen unterziehen musste, die über Jahre verteilt waren und sich größtenteils auf neurologischem und psychischem Gebiet bewegten.585 Nicht unzumutbar ist dagegen z.B. • nach einem Bandscheibenvorfall die Auswertung vorhandener Befunde sowie die einmalige (allgemeine, neurologische und neuro-orthopädische) Untersuchung der versicherten Person, die nach Fristablauf rein äußerlich z.B. durch Feststellungen zum Reflexstatus, zur Sensibilität oder Motorik erfolgt.586
578 579
580 581
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 16. LG Stuttgart 10.10.2003 RuS 2004 473; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 176. BGH 5.7.1995 BGHZ 130 171, 176 = VersR 1995 1179, 1180 = RuS 1995 397, 398. S. nur OLG Düsseldorf 3.8.1999 RuS 1999 524; OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362; OLG Hamm 29.11.1996 RuS 1997 130; OLG Karlsruhe 5.11.1997 VersR 1998 882, 883 = RuS 1998 260, 261; OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 931; LG Bremen 24.10.1985 VersR 1985 403; LG Düsseldorf 25.7.1996 RuS 1999 436, 437; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 57; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 56; Marlow RuS 2005 357, 362. BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1038 = VerBAV 1978 293, 295 ließ offen, ob die
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Wendung „Überprüfung, die wir infolge erheblich verspäteter Unfallmeldung ohnehin nur ohne Anerkennung einer Rechtspflicht … vernahmen“ ausreichend ist. OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; OLG Frankfurt 19.5.1988 ZfS 1988 258, 259; OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1363 = RuS 2008 123; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199, 201 = NJW-RR 2008 837, 839; LG Freiburg i. Br. 1.4.2003 VersR 2003 1245, 1246; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 16; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 176. OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362. BGH 28.6.1978 VersR 1978 1036, 1038. OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
• die nur einmalige ambulante orthopädische Untersuchung und Röntgenaufnahmen von der Brustund Lendenwirbelsäule.587
(4) Zurechnungsfragen. Umstritten ist, ob und in welchem Umfang sich der VR nicht 147 autorisierte Aussagen eines mit der Schadenbearbeitung nicht befassten Versicherungsvermittlers gegen sich gelten lassen muss. Nach einer Auffassung ist das Berufen des VR auf den Fristablauf trotz vorheriger schriftlicher Belehrung des VN treuwidrig, wenn der Versicherungsvertreter der versicherten Person gesagt hat, sie brauche die Invalidität erst nach Abschluss der Behandlungen nachzuweisen, und die versicherte Person dadurch davon von der rechtzeitigen Einreichung der Unterlagen abgehalten hat.588 Die Gegenauffassung sieht in der Berufung auf den Fristablauf keine Treuwidrigkeit, wenn der Versicherungsvermittler der versicherten Person erklärt hat, sie könne abwarten, bis das von einem anderen VR angeforderte ärztliche Gutachten vorliege.589 Entsprechendes soll gelten, wenn der Vermittler dem VN die unzutreffende Auskunft erteile, die zu wahrende Frist betrage 3 Jahre; denn der VN dürfe einer solchen Aussage nicht vertrauen, da sie der klaren Regelung in den AUB widerspreche. Vielmehr treffe den VN ein erhebliches Eigenverschulden.590 Entscheidend ist, ob es eine gesetzliche, vertragliche oder sonstige Rechtsgrundlage gibt, nach der sich der VR das Verhalten des Versicherungsagenten zurechnen lassen muss. Dies kann nur anhand der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Grundsätzlich ist der Versicherungsvermittler während der Vertragslaufzeit vom VR nicht kraft Gesetzes dazu bevollmächtigt, Erklärungen zum Versicherungsvertrag (hier den Fristenregelungen) abzugeben.591 Dies ergibt bereits der Umkehrschluss zu § 69 Abs. 1 Nr. 2 (§ 43 Nr. 2 a.F.), der nur die Entgegennahme, nicht aber die Abgabe von Erklärungen betrifft. Denkbar ist allerdings, dass der Versicherungsvertreter vom VR zu Aussagen über die Leistungsregulierung ausdrücklich oder konkludent bevollmächtigt war oder sich der VR nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zur Anscheinsund Duldungsvollmacht das Verhalten des Versicherungsvertreters zurechnen lassen muss. Besondere Bedeutung hat dabei die Frage, wie der Versicherungsvertreter gegenüber dem VN aufgetreten ist. Ist z.B. der Versicherungsvertreter offensichtlich nicht mit der Schadenbearbeitung befasst, die versicherte Person anwaltlich vertreten 592 oder sind die Aussagen des Versicherungsagenten für die versicherte Person ersichtlich missverständlich bzw. unsicher, so wird nicht ohne weiteres ein Vertrauenstatbestand für die versicherte Person anzunehmen sein. Unabhängig von der Zurechnung des Verhaltens des Versicherungsvermittlers ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass unzutreffende Aussagen des Versicherungsvermittlers nur dann für den VR schädlich sind, wenn sie kausal für die verspätete ärztliche Feststellung wurden.593 (5) Verspätetes Berufen auf den Fristablauf. Fraglich ist, ob eine Berufung auf den 148 Fristablauf auch erstmals im Prozess möglich ist. Sofern kein Verzicht angenommen wer-
587 588 589
OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 463, 464 = RuS 2003 340. OLG Hamm 12.1.1990 VersR 1990 1344, 1345. OLG Koblenz 18.12.1992 VersR 1993 1262 = RuS 1993 118 (mit Hinweis auf § 13 S. 2 AUB 88 i.V.m. § 47 a.F.; diese Vorschriften passen hier indes nicht, da es nicht um die Entgegennahme, sondern die Abgabe einer Erklärung des Versicherungsagenten ging).
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592 593
LG Stuttgart 11.11.1987 ZfS 1989 137, 138; ähnlich OLG Bremen 17.1.2006 – 3 U 58/05 = 6 O 1765/04. LG Stuttgart 11.11.1987 ZfS 1989 137, 138; s.a. LG Bremen 22.9.2005 – 6 O 1765/04 (bestätigt durch OLG Bremen 17.1.2006 – 3 U 58/05 = 6 O 1765/04). So im Fall des OLG Koblenz 18.12.1992 VersR 1993 1262 = RuS 1993 118 f. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12.
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Unfallversicherung
den kann (Rn. 162), ist maßgebend, ob ein Rechtsmissbrauch anzunehmen ist. Dieser ist in erster Instanz – nach umstrittener Auffassung – regelmäßig zu verneinen.594 Anderenfalls würden außergerichtliche Kulanz- und Vergleichsprüfungen des VR erschwert (Rn. 143). Der (meist durch einen Rechtsanwalt vertretene) VN muss die AUB-Regelungen kennen bzw. das Vorliegen der Hinweise nach § 186 prüfen und hat keinen Anlass zu der Annahme, der VR werde bei Einleitung eines Rechtsstreits einen Rechtsvorteil nicht nutzen, nur weil er sich zuvor entgegenkommender Weise noch auf eine weitere Sachverhaltsklärung eingelassen hat. Erst wenn besondere Umstände hinzutreten, weil z.B. der VR die laufenden Fristen verschleiert hat oder die versicherte Person belastenden Untersuchungen ausgesetzt war (Rn. 146), ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben in Betracht zu ziehen. Der VR handelt aber auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er sich erst in zweiter Instanz auf die Fristversäumnis beruft. Z.T. wird dies allerdings – u.a. auch mit Hinweis auf § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO – verneint.595 Dem steht bereits entgegen, dass § 531 Abs. 2 ZPO die Zulassung neuen Sachvortrags nicht hindert, wenn er unstreitig bleibt.596 Des Weiteren ist das Erfordernis der ärztlichen Feststellung Anspruchsvoraussetzung (Rn. 82 f.) und somit von Amts wegen im Prozess zu beachten; ist die Frist nicht eingehalten, so ist die Klage bereits unschlüssig (Rn. 265 f.). Es ist deshalb unerheblich, ob sich der VR auf diese formelle Anspruchsvoraussetzung beruft.597
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bb) Rechtsfolgen. Liegt ein Verstoß des VR gegen Treu und Glauben vor, so kann der VR sich insoweit – nach der üblichen Terminologie (s. auch § 186 S. 2) – nicht auf die Versäumung der 15-Monatsfrist durch den VN „berufen“, vorausgesetzt der VN holt die ärztliche Invaliditätsfeststellung nach und handelt selbst nicht treuwidrig. Es kommt i.E. zu einer Heilung der Fristversäumnis. Die Formulierung „darf sich nicht berufen“ und das von der Rechtsprechung herbei150 geführte Ergebnis lassen sich dogmatisch nur schwer begründen. Nur selten wird das (treuwidrige) Verhalten des VR als konkludente Leistungszusage zu werten sein, aus der sich hinreichend deutlich ergibt, dass der VR unabhängig von der 15-Monatsfrist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung bei Vorliegen der übrigen Leistungsvoraussetzungen zur Zahlung bereit ist. Die bloße Bereitschaft etwa zu weiteren Überprüfungen reicht hierfür regelmäßig nicht aus.598 Da es sich bei der ärztlichen Feststellung der Invalidität um eine Anspruchsvoraus151 setzung handelt, die von Amts wegen zu prüfen ist (Rn. 265), braucht der VR die Fristversäumnis an sich gar nicht geltend machen. Es handelt sich eben nicht um eine materiell-rechtliche Einwendung oder Einrede, auf die sich der VR „berufen“ muss und die dem VR wegen einer unzulässigen Rechtsausübung bzw. eines Rechtsmissbrauchs nach Treu und Glauben versagt werden kann. Der Treueverstoß des VR soll i.E. damit sanktioniert werden, dass der VN die Fristversäumnis durch Nachreichen der ärztlichen Invaliditätsfeststellung heilen kann. Rechtsgrundlage hierfür kann an sich nur ein Schadens-
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OLG Karlsruhe 5.11.1997 VersR 1998 882 = RuS 1998 260, 261; a.A. OLG Köln 16.12.1993 VersR 1994 1220 = RuS 1994 78 (für einen besonders gelagerten Sachverhalt); Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 16 (Einzelfallentscheidung). Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 16; a.A. noch zur „alten“ ZPO
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OLG Düsseldorf 21.11.1996 RuS 1997 129, 130; a.A. auch BGH 19.10.2005 VersR 2006 57, 58 = RuS 2006 59, 60 (zu § 12 Abs. 3 VVG a.F.). BGH 18.11.2004 WM 2005 99, 100 ff. m.w.N. OLG Düsseldorf 16.3.1999 NVersZ 1999 478, 479 Jacob VersR 2007 456, 457 f.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
ersatzanspruch wegen Verletzung einer Beratungspflicht nach Vertragsschluss (§ 6 Abs. 4 und 5) oder einer vertraglichen Nebenpflicht (§§ 280 Abs. 1, 241, 242 BGB) sein. Dessen Rechtsfolgen erfassen aber nicht immer die von der Rechtsprechung „gewünschten“ Konsequenzen. Der VN kann über § 6 Abs. 5 und § 280 BGB nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne die Pflichtverletzung des VR stünde. • Voraussetzung hierfür ist u.a. Kausalität des Treueverstoßes für die Fristversäumnis. Diese wird zwar bei einem treuwidrigen Verhalten des VR innerhalb der 15-Monatsfrist häufig gegeben sein, etwa weil der erkennbar belehrungsbedürftige VN bei ordnungsgemäßem Hinweis des VR die ärztliche Invaliditätsfeststellung eingeholt hätte. Ein Treueverstoß des VR nach Ablauf der 15-Monatsfrist kann sich dagegen auf den Schaden des VN (Fristversäumnis) nicht auswirken. Der VN hätte sich auch bei ordnungsgemäßem Verhalten des VR nicht mehr fristgerecht um die ärztliche Feststellung kümmern können. Folgerichtig wäre der vertragliche Anspruch eines VN auf Invaliditätsleistung auch dann zu verneinen, wenn er sich etwa auf Wunsch des VR noch belastenden Untersuchungen in Unkenntnis des Fristablaufs ausgesetzt hätte (vgl. Rn. 146). Er könnte dann nur etwaige Aufwendungen der versicherten Person oder Schmerzensgeld verlangen.599 • Des Weiteren müsste zur Begründung eines Schadensersatzanspruches ein Verschulden des VR festgestellt werden. In Betracht kommt auch, dem VN ein Mitverschulden entgegen zu halten. Dahingehende Erwägungen hat die Rechtsprechung indes bisher nicht angestellt.
Zu konstatieren bleibt, dass die vornehmlich von der Rechtsprechung zur Anwendung des § 242 BGB im Zusammenhang mit der Versäumnis der fristgerechten ärztlichen Invaliditätsfeststellung getroffenen Ableitungen in ihrer Begründung angreifbar sind und mitunter „ergebnisorientiert“ erscheinen. Dies mag dazu beitragen, dass sich eine schwer überschaubare Kasuistik mit kaum prognostizierbaren Ergebnissen entwickelt hat. Rechtsnachteile muss der VR nur soweit hinnehmen, wie der Treueverstoß reicht. Lie- 152 gen mehrere trennbare Sachverhalte vor, so kann die Treuwidrigkeit in dem einen nicht auf den anderen übertragen werden. Die Ausführungen zu der Wirkung der ärztlichen Invaliditätsfeststellung gelten sinngemäß (Rn. 110). Sollte dem VR z.B. in einem Streit über einen Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 Rechtsmissbrauch vorzuwerfen sein, so folgt daraus nicht, dass die fristgerechte ärztliche Feststellung der Invalidität zu einer erstmals zwei Jahre und neun Monate nach dem Unfall in Betracht gezogenen Kompressionsfraktur des 9. Brustwirbels entbehrlich ist.600 Greift § 242 BGB zu Lasten des VR ein, so bedeutet dies nicht, dass auf die inhaltlich 153 ausreichende ärztliche Invaliditätsfeststellung verzichtet werden kann. Der VN muss sie unverzüglich nachholen.601 Die Invaliditätsfeststellung ist spätestens im Prozess zur schlüssigen Begründung des Anspruchs (Rn. 265) durch den Anspruchsteller vorzulegen. Anderenfalls ist die Klage unabhängig von einem Treueverstoß des VR abzuweisen.602 cc) Treuwidriges Verhalten des Anspruchstellers. Der Vorwurf rechtsmissbräuch- 154 lichen Verhaltens des VR greift ausnahmsweise dann nicht durch, wenn die versicherte Person sich ihrerseits treu- oder pflichtwidrig verhalten hat. Beispiele: • Tritt der VR vor Ablehnung der Ansprüche in eine Sachprüfung ein, so ist die spätere Berufung auf das Fehlen der formellen Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich nicht treuwidrig. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine sachlich zutreffende Invaliditätsfeststellung maßgeblich dadurch
599 600 601
Jacob VersR 2007 456, 457. OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 463, 464 f. = RuS 2003 340 f. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639, 640 = RuS 2005 257, 259.
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OLG Hamm 16.2.2007 VersR 2007 1361, 1362 = RuS 2008 123; OLG Hamm 27.1.2006 RuS 2007 74 (zust. Marlow RuS 2007 353, 359); Manthey NVersZ 2001 55, 57.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
erschwert worden ist, dass die versicherte Person den vom VR beauftragten Gutachtern bedeutsame Krankenunterlagen nicht zur Verfügung gestellt hat bzw. ein dahingehendes Bemühen nicht zu erkennen war (vgl. auch Ziff. 7 AUB 99/2008 bzw. § 9 AUB 88/94).603 • Signalisiert der VR, sich aufgrund bestimmter Zusagen des VN nicht auf die fehlende Invaliditätsfeststellung zu berufen, so muss der VN seine Zusagen auch einhalten. So schafft die Zahlung eines Vorschusses nach Fristablauf durch den VR keinen Vertrauenstatbestand für den VN, wenn dieser die angekündigte weitere Aufklärung des VR durch Verweigerung der Einsicht in Unterlagen erschwert hat.604 Dem VN ist dann seinerseits eine Obliegenheitsverletzung (Mitwirkung bei der Aufklärung der Unfallfolgen) vorzuwerfen.
155
c) Geltendmachung der Invalidität. Der VR verstößt grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben, wenn er sich darauf beruft, die Geltendmachung der Invalidität sei verspätet oder fehlerhaft.605 Insbesondere begründet die Unkenntnis des VN von den AUB noch nicht den Einwand der treuwidrigen Berufung des VR auf die Ausschlussfrist.606 Dies gilt auch dann, wenn im Einzelfall das Vorliegen unfallbedingter Invalidität unschwer noch nach Ablauf der Frist festgestellt werden kann; denn mit der Ausschlussfrist soll gerade Streit darum, ob dies möglich ist, von vornherein vermieden werden (Rn. 74).607 Schon gar nicht kann dem VR Treuwidrigkeit vorgeworfen werden, wenn er die Geltendmachung des Invaliditätsanspruchs mangels weiterer Angaben wie Versicherungsnummer oder anderer Daten des VN nicht bearbeiten kann und der Anspruchsteller trotz entsprechender Bitte des VR keine weiteren Hinweise gibt.608 Ein Verstoß gegen Treu und Glauben kann sich ausnahmsweise jedoch ergeben, wenn das Verhalten des VR die verspätete oder fehlerhafte Geltendmachung veranlasst oder wenigstens dazu beigetragen hat.609 Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie bei der ärztlichen Invaliditätsfeststellung.610 Ergänzend kann auf die Rechtsprechung zu § 12 Abs. 3 a.F. zurückgegriffen werden. Auch zur Klagefrist war allgemein anerkannt, dass das Berufen des VR auf den Fristablauf rechtsmissbräuchlich sein konnte.611
156
aa) Fallgruppen. Die Berufung auf die 15-Monatsfrist durch den VR ist treuwidrig, wenn er durch sein Verhalten – vor oder nach Fristablauf –, Vertrauenstatbestände geschaffen hat, aufgrund derer die versicherte Person den deutlichen Eindruck gewinnen konnte, der VR werde den Fristablauf nicht geltend machen.612
157
(1) Begründung von Vertrauenstatbeständen vor Ablauf der 15-Monatsfrist. Das Berufen auf die verstrichene Frist zur Geltendmachung der Invalidität ist rechtsmissbräuchlich, wenn
603 604
605 606
607 608 609
OLG Düsseldorf 3.8.1999 RuS 1999 524. OLG München 17.1.1994 VersR 1995 565, 566 = RuS 1994 478; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12. OLG Saarbrücken 18.10.2006 RuS 2008 30; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 15 und 16. OLG Köln 5.5.1994 VersR 1995 907 = RuS 1994 396; ferner ÖOGH 27.4.1989 VersR 1990 406, 407. OLG Saarbrücken 18.11.2003 RuS 2005 167. LG Rottweil 30.6.1987 RuS 1987 328 f. ÖOGH 19.10.1989 VersR 1990 1139; ÖOGH 27.4.1989 VersR 1990 406, 407;
626
610 611
612
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 15; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 26. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 180. S. nur BGH 8.6.2005 VersR 2005 1225, 1226 = NJW-RR 2005 1341, 1342 = RuS 2005 451, 452; BGH 16.2.2005 VersR 2005 629, 631; BGH 6.6.1966 VersR 1966 723, 725; BGH 27.11.1958 VersR 1959 22, 23 = NJW 1959 241; RG 25.5.1937 RGZ 155 103, 106 ff.; Bruck/Möller/K. Johannsen Anh. § 15 Rn. 26 ff. OLG Köln 17.10.1991 RuS 1992 34, 35; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 25.
Kent Leverenz
Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
• der VR innerhalb der 15-Monatsfrist über das Vorliegen der Invalidität durch einen Dritten (z.B. Bericht eines Krankenhauses) informiert war und dem VN innerhalb dieser Frist mitteilt, ein Gutachten zur Frage des Dauerschadens einholen zu wollen. Die gesonderte Geltendmachung der Invalidität durch den VN ist dann entbehrlich.613 Der Zweck der Klausel, dem VR frühzeitig eigene Nachforschungen zu ermöglichen (Rn. 74), ist gewahrt. • der VN dem VR zuvor zu einem von mehreren Unfallversicherungsverträgen die Invalidität rechtzeitig geltend gemacht und der VR daraufhin u.a. Invaliditätsleistungen erbracht hat. Beruft der VR sich dann zu dem anderen Unfallversicherungsvertrag auf die Versäumnis der 15-Monatsfrist, so setzt er sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten bei der zuvor vorgenommenen Leistungsabwicklung. Da der VR bereits Kenntnis von seiner möglichen Leistungspflicht hat, gebietet es der Zweck der Klausel (Rn. 74) nicht, vom VN für den Zweitvertrag eine erneute Geltendmachung zu verlangen.614 • der VR in der Schadenmeldung gezielt nach einem Dauerschaden gefragt und der den Erstbericht erstellende Arzt einen solchen prognostiziert und einzelne Dauerfolgen bezeichnet hat sowie der VR anschließend ein zusätzliches medizinisches Gutachten einholt, in dem u.a. geklärt werden soll, ob mit einer vollständigen Wiederherstellung der versicherten Person zu rechnen sei.615
Dagegen reicht es für einen Treueverstoß grundsätzlich nicht bereits aus, wenn (ohne 158 Hinzutreten weiterer Umstände) • ein Angestellter des VR bei der Ausfüllung der Unfallanzeige behilflich war und die Fragen zur Invalidität unbeantwortet lässt. In solchen Fällen kann § 242 BGB erst dann in Betracht gezogen werden, wenn der Vertreter des VR schon im Zeitpunkt seiner dem VR zurechenbaren Hilfeleistung Kenntnis von den Dauerfolgen bei der versicherten Person hatte und es dennoch unterlassen hat, die sich daraus ergebenden Ansprüche geltend zu machen.616 • der VN das Unfallereignis dem Versicherungsvermittler mündlich meldet, ohne Dauerfolgen zu benennen, und dieser die mündlich erstattete Unfallschadensanzeige nicht an den VR schriftlich weiterleitet. Dem VR kann erst dann Treuwidrigkeit vorgehalten werden, wenn der Versicherungsvermittler weitere – dem VR zurechenbare – Pflichtverletzungen begangen hat. Solche kommen etwa in Betracht, wenn der Vermittler unrichtige Angaben zur Geltendmachung der Invalidität gemacht oder den VN von der fristgerechten Geltendmachung der Invalidität abgehalten, insbesondere etwa versprochen hat, alles weitere für die Frage der Invaliditätsleistung zu veranlassen.617 • der VR vor Fristablauf seine Leistungspflicht (z.B. wegen fehlender Kausalität oder Vorliegens eines Ausschlussgrundes) insgesamt und ohne Hinweis auf die weiterhin einzuhaltenden AUBFristen) abgelehnt hat. Dies ist indes umstritten. In der Rechtsprechung wird dem VR auch in diesem Fall ein Berufen auf den Fristablauf versagt.618 Dies gelte sogar dann, wenn die Ablehnung in Bezug auf andere Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag (z.B. Krankenhaustage- und Genesungsgeld) erfolgte.619 Der VN habe bei einer vorbehaltlosen Leistungsablehnung keinen Anlass, weitere fristwahrende Aktivitäten zu entfalten. Er könnte die Geltendmachung der Invalidität vielmehr als überflüssig ansehen und sich nur noch dazu veranlasst sehen, die in der Leistungsablehnung genannten Gründe zu entkräften. Die endgültige Leistungsablehnung durch den VR führe weiterhin auch nicht nur dazu, dass der VN den Fristablauf lediglich entschuldigen könne, wenn er den Anspruch auf Invaliditätsleistung zwar nach Ablauf der 15-Monatsfrist, aber alsbald
613 614 615 616 617
OLG Nürnberg 21.3.2002 VersR 2003 846, 847 = ZfS 2003 304, 305. BGH 4.11.1987 VersR 1987 1235 = NJW-RR 1988 212, 213. OLG Köln 21.10.1993 VersR 1994 714 = RuS 1994 36, 37. ÖOGH 27.4.1989 VersR 1990 406, 407. OLG Köln 5.5.1994 VersR 1995 907, 908 = RuS 1994 396.
618
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OLG Düsseldorf 22.1.2008 VersR 2008 672, 673; OLG Saarbrücken 18.10.2006 RuS 2008 30; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 59; in Betracht ziehend OLG Köln 5.5.1994 VersR 1995 907 = RuS 1994 396. OLG Hamm VersR 17.8.1994 VersR 1995 1181, 1182 = RuS 1995 117, 118 = NJW-RR 1996 862, 863.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
nach Erstattung eines für ihn günstigen Gutachtens geltend gemacht habe.620 Unangemessene Folge wäre nämlich, dass der VN den Entschuldigungsnachweis führen und nach Wegfall des Entschuldigungsgrundes tätig werden müsste, obwohl der VR zuvor zu verstehen gegeben hat, es komme ihm auf die Fristenregelung nicht an.621 Diese Auffassung ist in ihrer Absolutheit abzulehnen. Vielmehr müssen zur Begründung eines Treueverstoßes des VR noch weitere Umstände als die bloße Leistungsablehnung hinzutreten. Die aus Treu und Glauben abgeleitete Fürsorgepflicht des VR gegenüber dem VN geht nicht so weit, dass dieser dem (möglicherweise sogar anwaltlich vertretenen) Anspruchsteller „auf bloßen Verdacht“ helfen muss, die in den AUB vorgesehene Ausschlussfrist einzuhalten (s.a. Rn. 139). • der VR andere Versicherungsleistungen erbracht hat, bevor der VN eine Invaliditätsleistung geltend gemacht hat.622 Die jeweiligen Leistungsarten sind an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft. So hat eine Krankentagegeldzahlung nichts mit dem Anspruch auf die Invaliditätsleistung zu tun.623
159
(2) Begründung von Vertrauenstatbeständen nach Ablauf der 15-Monatsfrist. Rechtsmissbräuchlich ist es, wenn der VR • sich nach Fristablauf bereit erklärt hat, zum Ablauf des dritten Jahres ein Gutachten zur Invaliditätshöhe (nicht bloß zum Grund der Invalidität) – anzufordern, ohne deutlich zu machen, dazu nur aus Kulanz bereit zu sein.624 In diesem Fall darf der VN davon ausgehen, dass dem VR der Invaliditätsgrund bekannt ist und die ordnungsgemäße Geltendmachung der Invalidität reine Förmelei wäre. • (ohne Hinweis auf den Fristablauf und die deshalb drohende Leistungsablehnung) der versicherten Person Untersuchungen zumutet, die mit so erheblichen körperlichen oder seelischen Belastungen bzw. Unannehmlichkeiten verbunden sind, dass sie die versicherte Person im Zweifel nicht auf sich genommen hätte, wenn sie damit hätte rechnen müssen, dass der VR sich nachträglich doch auf den Fristablauf beruft (Rn. 146).625
160
Nicht ausreichend für die Annahme eines Treueverstoßes des VR ist dagegen allein der Umstand, dass der VR • nach Fristablauf noch weitere Prüfungen zur Invalidität dem Grunde nach vornimmt (z.B. Atteste anfordert oder Gutachten erstellen lässt), Verhandlungen führt oder Vereinbarungen zu Fristverlängerungen nach § 12 Abs. 3 a.F. trifft.626 Dies gilt nach umstrittener Ansicht auch dann, wenn der VR nicht gleichzeitig erklärt, er handele aus reiner Kulanz und unter Aufrechterhaltung aller Einwendungen (insbesondere aus den Fristenregelungen).627 Anderenfalls würden entgegen dem häufig anzunehmenden Interesse der versicherten Person einvernehmliche Lösungen erschwert (s. auch Rn. 143 f.).628 • sich erst im Prozess auf die Fristversäumnis beruft (s. auch Rn. 148).629 Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsstreit bereits in der zweiten Instanz geführt wird. Eine Pflicht, den sich aus der
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So OLG Oldenburg 31.3.1999 NVersZ 2000 333, 334 = RuS 2000 349 = VersR 2000 754 (LS). Manthey NVersZ 2001 55, 59. OLG Koblenz 28.6.1991 VersR 1992 347 = RuS 1992 322; a.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 30. OLG Köln 17.10.1991 RuS 1992 34, 35. Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 25. OLG Düsseldorf 22.1.2008 VersR 2008 672, 673; OLG Hamm 8.1.1992 VersR 1992 1255 = RuS 1992 322, 323; s.a. OLG Düsseldorf 10.6.2008 VersR 2008 1480, 1481 = NJW-RR 2009 246, 247.
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OLG Düsseldorf 22.1.2008 VersR 2008 672, 673. OLG Frankfurt 2.4.1987 RuS 1987 355, 356; Manthey NVersZ 2001 55, 60; a.A. ÖOGH 17.9.1992 ZfS 1993 130, 131; ÖOGH 15.11.1990 VersR 1991 835, 836; ÖOGH 19.10.1989 VersR 1990 1139; ÖOGH 27.4.1989 VersR 1990 406, 407. OLG Hamm 8.1.1992 VersR 1992 1255 = RuS 1992 322, 323. OLG Düsseldorf 22.1.2008 VersR 2008 672, 673.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Fristenregelung ergebenden Rechtsvorteil im Rechtsstreit umgehend geltend zu machen, lässt sich den AUB nicht entnehmen (Rn. 267). Ein ausreichendes Korrektiv für die späte Geltendmachung ergibt sich aus den Präklusionsvorschriften der ZPO. Allein der Umstand, dass der VR zunächst mit anderen Verteidigungsmitteln als der verstrichenen Ausschlussfrist zur Wehr setzt, begründet noch kein Vertrauen des Anspruchstellers darin, der VR werde die ihm aus der AUB-Fristenregelung erwachsenden Rechtsvorteile nicht mehr in Anspruch nehmen.630 Insofern besteht eine Parallele zu der zu § 12 Abs. 3 a.F. geltenden Rechtslage. Diese kann jedenfalls für den Fall gezogen werden, in dem der VR den Anspruchsteller rechtzeitig vor Fristablauf über die AUBFristen belehrt hat. Der Anspruchsteller hat dann grundsätzlich keinen Anlass zu der Annahme, der VR werde eine ihm günstige Rechtsposition einfach aufgeben. Ein solcher Schluss auf einen Verzichtswillen des VR ist nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn besondere Umstände des Einzelfalles dies rechtfertigen (Rn. 162). Hinzu kommt, dass die 15-Monatsfrist allein dem Interesse des VR dient, Spätschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen und Gewissheit über seine Leistungsverpflichtung zu erlangen (Rn. 74). Spielt er den „Trumpf“ der Fristversäumnis durch den VN nicht unverzüglich aus, so wirkt sich dies zunächst nur auf seine Prozesschancen aus. Die Rechtsposition des VN wird dadurch noch nicht treuwidrig beeinträchtigt. Häufig wird es sogar den Interessen des VN entsprechen, wenn sein vermeintlicher Invaliditätsanspruch inhaltlich noch überprüft wird, da dann (u.U. vom Gericht angeregte) Kulanz- und Vergleichslösungen nicht bereits aus rein formellen Gründen verbaut sind.
bb) Rechtsfolgen. Liegt ein Treueverstoß des VR vor, so beurteilen sich die Rechts- 161 folgen für die Geltendmachung der Invalidität ähnlich wie die im Rahmen der ärztlichen Feststellung der Invalidität (Rn. 149 ff.). • Der VR kann sich auf die Fristversäumnis nicht „berufen“. Dieses Ergebnis lässt sich im Gegensatz zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung dogmatisch leichter begründen, da es hier nicht um eine von Amts wegen zu berücksichtigende Anspruchsvoraussetzung, sondern um eine zur Disposition des VR (Rn. 267) stehende Ausschlussfrist (Rn. 118) geht. • „Geheilt“ wird nur die Fristversäumnis. Die Geltendmachung der Invalidität ist dagegen nicht entbehrlich. Es kommt lediglich zu einer Fristverlängerung mit der Folge, dass der Berechtigte gehalten ist, seine Ansprüche innerhalb einer angemessen Frist geltend zu machen, wenn der Grund für das rechtsmissbräuchliche Verhalten des VR weggefallen ist.631 Hierfür veranschlagt die Rechtsprechung in der Regel einen Zeitraum von einer bis drei Wochen.632 • Der Einwand aus § 242 BGB reicht nur soweit, wie der Treueverstoß des VR geht. Trennbare Sachverhalte dürfen nicht einfach gleich behandelt werden.
Noch nicht gelungen ist es, die Rechtsfolgen des geführten Entschuldigungsbeweises von denen des Einwands nach § 242 BGB „sauber“ zu trennen. Z.T. wird das Bedürfnis für einen Rückgriff auf § 242 BGB verneint. Anderenfalls käme es zu Wertungswidersprüchen.633 Dem kann jedoch entgegen gehalten werden, dass es um zwei zu unterscheidende „Rechtswege“ geht: Der Entschuldigungsbeweis beruht auf einer Beurteilung der „Sphäre“ des VN, während der Weg über § 242 BGB dazu dient, das Verhalten des VR zu bewerten. Dem VR, dem ein Treueverstoß vorgeworfen werden kann, soll es im Einzelfall verwehrt sein, sich auf die Fristversäumung des VN auch dann zu berufen, wenn die Geltendmachung der Invalidität durch den VN schuldhaft verspätet erfolgt ist. Dies bedeutet zwar nicht, dass die Geltendmachung gar nicht erfolgen braucht, der Treueverstoß des VR führt jedoch dazu, dass bei besonderen Sachverhaltskonstellationen sogar Nachlässigkeiten des VN bei der Fristheilung überspielt werden.
630 631
BGH 19.10.2005 VersR 2006 57, 59 = RuS 2006 59, 61 zu § 12 Abs. 3 a.F. So zu § 12 Abs. 3 a.F. Mertens VersR 2007 825, 826.
632
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So zu § 12 Abs. 3 a.F. OLG Köln 26.2.2007 VersR 2007 1210, 1211; OLG Oldenburg 19.5.2006 VersR 2007 233, 234. Jacob VersR 2007 456, 458 f.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
7. Verzicht des VR auf die Einhaltung der Fristen
162
Der VR kann auf die Einhaltung der Fristen in Ziff. 2.1.1.1 S. 2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61) verzichten.634 Ein solcher Verzicht setzt voraus, dass der VR (bzw. der zuständige Sachbearbeiter des VR) sich der Rechtsposition bewusst ist, auf die verzichtet werden soll,635 und den Verzicht ausdrücklich oder konkludent gegenüber dem Erklärungsgegner zum Ausdruck bringt. Der erforderliche Verzichtswille des VR ist im Allgemeinen nicht zu vermuten und kann nur ausnahmsweise angenommen werden;636 denn der Erklärende wird typischerweise eine ihm günstige Rechtsposition nicht einfach durch rechtsgestaltende Erklärung aufgeben wollen. Vielmehr ist eine Bewertung aller Fallumstände erforderlich. Zu dem Schweigen müssen ganz besondere Umstände hinzutreten, denen der Erklärungsgegner einen Aufgabewillen des Rechtsinhabers entnehmen kann. Regelmäßig wird die Annahme eines stillschweigenden Verzichts schon dann ausscheiden, wenn kein nachvollziehbares Motiv dafür zu erkennen ist.637 Ein Verzichtswille kommt z.B. in Betracht, wenn der VN den VR mit Rücksicht auf sonst erforderliche Dispositionen um eine verbindliche Erklärung gebeten hat und der VR darauf nicht reagiert.638 Kein Verzicht ist – ohne Hinzutreten weiterer Umstände – dann anzunehmen, wenn der VR • nach Ablauf der 15-Monatsfrist noch in weitere Sachprüfungen eintritt 639 oder mitteilt, dass trotz Versäumnis der 15-Monatsfrist zwar kein Leistungsanspruch bestehe, der Fall aber noch bearbeitet werde. Die Bereitschaft, den Fall trotz Fristversäumnis noch zu bearbeiten, kann auch bedeuten, dass der VR im Vergleichs- oder Kulanzwege bereit ist, Leistungen aus der Unfallversicherung zu erbringen.640 • einen Unfallbericht anfordert. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Fristablauf noch fern war.641 Auch dem juristischen Laien wird damit klar, dass es sich bei der Fristeinhaltung und dem Unfallbericht um Verschiedenes handelt.642 • (auf Bitten des Anspruchstellers) außergerichtlich den Verzicht auf die Einrede der Verjährung erklärt. Daraus kann insbesondere auch nicht abgeleitet werden, der VR habe das Bestehen eines Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung anerkannt.643 Eine gegenteilige Auffassung hätte nur zur Folge, dass der VR aus „Sicherheitsgründen“ nie (vorläufig) auf Einreden verzichtet. Damit wäre dem VN nicht gedient. • in Vergleichsverhandlungen eingetreten ist.644 • einen Vorschuss auf die Invaliditätsleistung gezahlt hat. Dies gilt vor allem dann, wenn der VN die Aufklärung der Unfallfolgen durch Verweigerung der Einsicht in die Unterlagen der Berufsgenossenschaft erschwert hat. Der Anspruchsteller kann dann nicht erwarten, dass ihm der VR in irgendeiner Weise rechtlich entgegenkommt.645
634 635 636 637 638
639
OLG Düsseldorf 5.12.1995 VersR 1997 174, 175. OLG München 17.1.1994 VersR 1995 565, 566 = RuS 1994 478. OLG Hamm 8.1.1992 VersR 1992 1255 = RuS 1992 322, 323. BGH 19.10.2005 VersR 2006 57, 59 = RuS 2006 59, 60. OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; OLG Hamm 8.1.1992 VersR 1992 1255 = RuS 1992 322, 323. OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005
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929, 931; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 10. OLG Koblenz 28.12.2001 NVersZ 2002 215 = VersR 2002 1096 (LS). Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 12. OLG München 1.6.1989 VersR 1991 60. OLG Frankfurt/M. 9.10.2002 VersR 2003 361, 362 = RuS 2004 78, 79. OLG Koblenz 28.12.2001 NVersZ 2002 215, 216. OLG München 17.1.1994 VersR 1995 565, 566 = RuS 1994 478.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
• der VR erstmals von Verteidigungsrechten im gerichtlichen Verfahren Gebrauch macht (Berufen auf Fristversäumnisse), die er vorher außergerichtlich noch nicht geltend gemacht hat, aber auch nicht erkennbar fallen gelassen hat. Würde in der fehlenden außergerichtlichen Geltendmachung sogleich ein Verzicht des VR für eine spätere streitige Auseinandersetzung gesehen werden, so wäre der VR bereits in außergerichtlichen Regulierungsverhandlungen dazu verpflichtet, zugleich sämtliche Verteidigungsrechte geltend zu machen, um ihrer nicht im Prozess verlustig zu gehen. Dadurch würden außergerichtliche Regulierungsverhandlungen unnötig erschwert.646 • sich erst in der Berufungsinstanz auf die Nichteinhaltung der AUB-Fristen beruft. Der Umstand, dass der VR noch nicht im Rechtsstreit erster Instanz die Fristversäumnis vorgetragen hat, kann nicht ohne weiteres als Verzicht verstanden werden, da sich der VR aus unterschiedlichen Gründen so verhalten kann. So kann er z.B. vorrangig die Klärung anderer Fragen bezwecken oder glauben, den Rechtsstreit aus anderen Gründen zu gewinnen.647 Hinzu kommt, dass die Wahrung der Jahresfrist für den Eintritt der unfallbedingten Invalidität und der 15-Monatsfrist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung von Amts wegen zu prüfen ist. Der VR muss sich im Prozess nur auf den Ablauf der 15-Monatsfrist für die Geltendmachung der Invalidität berufen (Rn. 267).
8. Wirksamkeit der Fristenregelungen Die Fristenregelungen in Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008 bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94 163 verstoßen nicht gegen AGB-Recht. Sie sind weder überraschend noch verstoßen sie gegen Treu und Glauben. Insbesondere sind sie auch transparent. Entsprechendes gilt für die vergleichbare Regelung in § 20 Abs. 1 AKB.648 a) Keine überraschende Klausel. Die Fristenklauseln in den AUB 99/2008 649 bzw. 164 AUB 61/88/94 650 sind nicht überraschend, da ihnen kein Überraschungs- bzw. Übertölpelungseffekt i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB (§ 3 AGBG) innewohnt. Sie halten sich im Rahmen dessen, was bei Würdigung aller Umstände bei Unfallverträgen zu erwarten ist. Der Ausschluss von Spätschäden aus dem Versicherungsschutz ist nicht so ungewöhnlich, dass der VN hiermit nicht rechnen muss.651 Er ist vielmehr seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Unfallversicherung. Die einzuhaltenden Fristen sind auch nicht an versteckter Stelle niedergelegt. Dies gilt sowohl für die AUB 88/94 als auch die AUB 99/2008. b) Inhaltskontrolle. Die Klausel unterliegt zwar einer Inhaltskontrolle nach § 307 165 BGB (§§ 8, 9 AGBG), da die Fristenregelungen keine Leistungsbeschreibung (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 91), sondern eine Ausgestaltung des Hauptleistungsversprechens nach § 1 Abs. 1 AUB 88/94 bzw. Ziff. 1.1 AUB 99/2008 (nämlich Versicherungsschutz durch bestimmte Leistungen bei Unfällen) darstellen.652 Sie ist aber weder mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung unvereinbar noch schränkt sie wesentliche sich aus der Natur des Unfallversicherungsvertrages ergebende Rechte oder Pflich-
646 647 648 649 650
OLG Celle 22.1.2004 VersR 2004 1258, 1259; zust. Marlow RuS 2005 357, 362. BGH 19.10.2005 VersR 2006 57, 59 (zu § 12 Abs. 3 VVG a.F.). Terno DAR 2005 314, 317. OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385. OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995
651 652
438; OLG Frankfurt/M. 16.4.1992 VersR 1993 174; OLG Karlsruhe 1.2.1996 RuS 1997 216; a.A. Schwintowski VuR 1998 195, 196. OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995 438. A.A. OLG Frankfurt/M. 23.6.1995 RuS 1995 438; OLG Frankfurt/M. 16.4.1992 VersR 1993 174.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
ten so ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre. Weiterhin liegt keine unangemessene Benachteiligung des VN vor.653 Dies gilt auch für die in den AUB 99/2008 geforderte Schriftform der ärztlichen Invaliditätsfeststellung.654 Es besteht keine Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen 166 Regelung i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG). Das Gesetz hält keine Regelung bereit, von der die Fristbestimmungen abweichen könnten.655 § 30 (§ 33 Abs. 1 a.F., s.a. § 12 Abs. 3 a.F.) können als Maßstab nicht herangezogen werden. Auch die Neufassung des VVG hindert den VR nicht, Fristbestimmungen als objektive Anspruchsvoraussetzung bzw. Ausschlussfrist vorzusehen. § 186 setzt solche Fristen vielmehr voraus. Die in Ziff. 2.1.1.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94) festgelegte Jahresfrist 167 zum Eintritt der Invalidität schränkt wesentliche, sich aus der Natur des Unfallversicherungsvertrages ergebende Rechte oder Pflichten nicht so ein, dass die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet sein könnte (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG).656 Zwar geht der Umstand, dass der VR von vornherein nicht für bestimmte Spätschäden eintreten will, zu Lasten des VN und kann auch schwere Nachteile für ihn nach sich ziehen. So kann es Fälle geben, in denen die tatsächlich bestehende Invalidität aufgrund des noch andauernden Heilverfahrens oder aufgrund der Wachstumsphase bei Kindern nicht rechtzeitig prognostizierbar ist.657 Jedoch gefährdet nicht schon jede Leistungsbegrenzung den Vertragszweck. Erforderlich ist vielmehr, dass mit der Begrenzung der Leistung der Vertrag ausgehöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 98). Dies ist hier nicht der Fall.658 Die Fälle der nicht versicherten Spätschäden sind seltene Ausnahmen.659 Im Normalfall erhält der VN bei Vorliegen der sonstigen Leistungsvoraussetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit Versicherungsschutz.660 Des Weiteren führt die 15-Monatsfrist zur ärztlichen Feststellung nicht zu einer Gefährdung des Vertragszwecks. Hier greifen die gleichen Erwägungen durch wie bei der Frist für den Eintritt des Unfalls.661 Hinzu kommt, dass die 653
BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174 ff. = VersR 1998 175; bestätigt durch BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 10 = NJW-RR 2007 977, 978; BGH 23.2.2005 VersR 2005 639 = RuS 2005, 257; ferner u.a. OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122; OLG Frankfurt/M. 12.1.2000 RuS 2003 29, 30 = VersR 2002 1139 (LS); OLG Karlsruhe 1.2.1996 RuS 1997 216; OLG Koblenz 23.3.2001 NVersZ 2002 69, 70; OLG Koblenz 27.8.1999 NVersZ 2000 174 f.; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837; OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856 = NJW-RR 2004 186; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 8; Knappmann RuS 2004 339; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 8; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 50 und 52; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 164; Terno DAR 2005 314, 315; s.a. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 155 f., 162 und 165; a.A. Dümichen ZVersWiss 2003 783, 788 ff.
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657 658 659
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A.A. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 158 (ohne nähere Begründung). Terno DAR 2005 314, 315. BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 176 ff.; Manthey NVersZ 2001 55, 56; a.A. OLG Frankfurt/M. 5.5.1994 VersR 1995 904, 906 f. für einen besonders gelagerten Sachverhalt; auch OLG Hamm 9.6.1999 VersR 2000 43, 44 = NVersZ 1999 566, 567 hält eine enge Auslegung der Regelung zum Eintritt der Invalidität binnen Jahresfrist für erforderlich, um den Versicherungsschutz nicht zu entwerten. Dümichen ZVersWiss 2003 783, 786 f. BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 176. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 8; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 156. Terno DAR 2005 314, 315. A.A. Dümichen ZVersWiss 2003 783, 788 ff.
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Invaliditätsleistung
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Rechtsprechung unangemessenen Benachteiligungen des VN, die auf einem unzutreffenden Verständnis der 15-Monatsfrist beruhen, an verschiedenen Stellen entgegengewirkt hat.662 Zum einen sind an die ärztliche Feststellung der Invalidität keine hohen Anforderungen zu stellen (Rn. 88). Zum anderen hat die Rechtsprechung Fallgruppen entwickelt, nach denen es dem VR nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf Fristversäumnisse des VN zur ärztlichen Feststellung der Invalidität zu berufen (Rn. 133 ff.).663 Einen weiteren Verbraucherschutz hat darüber hinaus nunmehr auch der Gesetzgeber mit § 186 geschaffen. Schließlich führt auch die 15-Monatsfrist zur Geltendmachung der Invalidität zu keiner Gefährdung des Vertragszwecks. Da die Fristversäumnis entschuldigt werden kann (Rn. 127 ff.), werden besondere Härtefälle vermieden, die zu einer unangemessenen Benachteiligung des VN führen könnten. Hinzu kommt, dass keine strengen Anforderungen an die Geltendmachung gestellt werden (Rn. 122 f.).664 Die Abwägung der Interessen zwischen VN und VR ergibt keine unangemessene 168 Benachteiligung des VN.665 Zwar begründen die Fristregelungen in Ausnahmefällen eine Härte für den VN, diese lässt sich jedoch mit dem berechtigten Interesse des VR an einer baldigen Klärung seiner Leistungspflicht rechtfertigen.666 Hinzu kommt, dass Nachteile für den VN dadurch abgemildert werden, dass die an die zur Wahrung der Fristenregelungen anzustellenden Anforderungen nicht hoch sind. So muss die Invalidität nur dem Grunde nach ärztlich festgestellt werden (Rn. 96); sie braucht nicht einmal richtig zu sein (Rn. 108 f.) und muss dem VR auch nicht innerhalb der 15-Monatsfrist zugegangen sein (Rn. 89). Des Weiteren bestehen Hinweis- und Belehrungspflichten des VR (Rn. 132). Schließlich verhindert der Grundsatz von Treu und Glauben unbillige Besserstellungen des VR (Rn. 133 ff.). c) Transparenz. Die Fristenregelungen sind ausreichend transparent i.S.d. § 307 Abs. 1 169 S. 2 BGB.667 Sie sind als solche weder hinsichtlich der einzuhaltenden Fristen noch hinsichtlich der Bedeutung dieser Fristen für den Versicherungsschutz aus sich heraus unklar bzw. schwer verständlich.668 Intransparenz ergibt sich fernerhin nicht aus dem systematischen Zusammenhang der Klausel. Zwar wird z.T. eingewandt, die Regelungen über die einzuhaltenden Fristen seien innerhalb des Regelungswerkes der AUB so versteckt und irreführend unter die Überschriften • „Der Versicherungsumfang“ und „Welche Leistungen können vereinbart werden“ (Ziff. 1 und 2 AUB 99/2008), • „Die Leistungsarten“ und „Invaliditätsleistung“ (§ 7 Abs.1 Nr. 1 AUB 88/94) bzw. • „Art und Voraussetzungen der Leistungen“ und „Invaliditätsentschädigung“ (§ 8 Abs. 2 AUB 61)
untergebracht, dass sie nicht nur für den durchschnittlichen VN, sondern sogar für den Rechtsanwalt, der keine speziellen Erfahrungen im Unfallversicherungsrecht hat, nicht
662 663 664 665 666
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BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639, 640. BGH 19.11.1997 BGHZ 137 174, 177 f. A.A. Dümichen ZVersWiss 2003 783, 790 ff. BGH 16.12.1987 VersR 1988 286, 287; OLG Hamm 28.8.2003 VersR 2004 187, 188; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 9; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 156. OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385 mit zust. Anm. Nitschke; Marlow RuS 2006 397, 400; a.A. Dümichen ZVersWiss
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2003 783, 802 ff.; Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 2; Schwintowski VuR 1998 195, 196; zweifelnd Schubach ZfS 2005 224, 227; offen lassend OLG Hamm 19.11.2004 VersR 2005 1069, 1070 = RuS 2006 83 = NJW-RR 2005 539, 540. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639; bestätigt durch BGH 7.3.2007 VersR 2007 1114, 1115 Rn. 10 = NJW-RR 2007 977, 978; ferner Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 21.
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Unfallversicherung
leicht genug auffindbar seien.669 Solche Bestimmungen würde der VN eher bei Ziff. 7 AUB 99/2008 („Was ist nach einem Unfall zu beachten?“) bzw. bei § 9 AUB 88/94 („Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls“) erwarten.670 Diese Auffassung ist indes abzulehnen. Dass ein Anspruch auf Versicherungsschutz bei Invalidität nur bei Einhaltung der in Ziff. 2.1.1.1 S.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AUB 88/94) vorgesehenen Fristen besteht, wird vielmehr dem durchschnittlichen VN ersichtlich, wenn er die Bedingungen mit der von ihm zu fordernden Aufmerksamkeit durchsieht sowie deren Aufbau und Gliederung beachtet.671 Für die AUB 88/94 hat der BGH dies ausdrücklich entschieden.672 Zu Recht führte er 170 aus, dass die Auffassung zu kurz greife, § 1 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94 vermittelten dem durchschnittlichen VN den Eindruck, ihm werde bereits an dieser Stelle in den AUB ein Anspruch auf Versicherungsschutz abschließend zugesagt; denn spätestens mit § 1 Abs. 1 S. 2 AUB/94 wird der aufmerksame Leser auf die versicherbaren Leistungsarten in § 7 hingewiesen. Ihm kann es nicht verborgen bleiben, dass es entscheidend auf die Lektüre des § 7 AUB 88/94 ankommt. Unschädlich ist es auch, dass die in § 7 AUB 88/94 getroffenen Regelungen nicht unmittelbar auf § 1 AUB 88/94 folgen und damit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Versicherungsschutz nicht an einer Stelle zusammenhängend dargestellt sind. Unter Berücksichtigung, dass bereits zu Beginn des Bedingungswerkes auf § 7 AUB 88/94 verwiesen wird und es sich bei der Unfallversicherung um ein umfang- und facettenreiches Produkt handelt, ist es dem VN zuzumuten, im Leistungsfall seine Vertragsunterlagen insgesamt sorgfältig zu studieren. Der BGH ist weiterhin nicht der Auffassung gefolgt, Intransparenz aus dem Regelungszusammenhang von §§ 7, 9 und 10 AUB 88/94 abzuleiten.673 Es bestehen keine Unklarheiten darüber, dass die in § 9 Abs. 1 AUB 88/94 als Obliegenheit bezeichnete Hinzuziehung eines Arztes, die nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung zum Verlust des Versicherungsschutzes führt, keinen Bezug zu der in § 7 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94 vorausgesetzten Zuziehung eines Arztes für die Feststellung der Invalidität hat. §§ 7, 9 und 10 AUB 88/94 verweisen nicht aufeinander. Vielmehr hat § 9 Abs. 1 AUB 88/94 den Zweck, die Unfallfolgen möglichst zu mildern. Damit hat die Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität nichts zu tun. Dies ist einem verständigen VN ohne weiteres aus dem Wortlaut und Sinnzusammenhang der Regelungen klar erkennbar. Auch die AUB 99/2008 sind ausreichend klar, verständlich und transparent.674 Dem 171 steht nicht entgegen, dass in Ziff. 1.1 AUB 99/2008 eine dem § 1 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94
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Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 21; auch Knappmann RuS 2004 339; ferner Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 40 („Tückische Regressfalle für den Anwalt des VN“). Knappmann RuS 2002 485, 489; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 8 und 18. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639, 640; Terno DAR 2005 314, 316 f. BGH 23.2.2005 VersR 2005 639, 640; zust. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 8; dazu auch Terno DAR 2005 314, 316 f.; ferner OLG Celle 22.11.2007 VersR 2008 670, 671 = RuS 2009 122; OLG Saarbrücken 20.6.2007 VersR 2008 199 = NJW-RR 2008 837.
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So aber Dümichen ZVersWiss 2003 783, 803. OLG Düsseldorf 13.7.2009 RuS 2009 424; OLG Düsseldorf 27.1.2009 RuS 2009 424; OLG Düsseldorf 23.5.2006 VersR 2006 1487 f. = RuS 2007 256 f.; OLG Karlsruhe 15.1.2009 VersR 2009 536, 537 = RuS 2009 425, 426 mit insofern ablehnender Anm. Knappmann VersR 2009 775 f.; OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385 (zust. Nitschke VersR 2005 1385); OLG Köln 12.5.2009 VersR 2009 1484 f.; auch Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 8; Marlow RuS 2007 353, 358; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 4); ferner Kloth Rn. G 8 ff.; a.A. OLG Hamm
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Invaliditätsleistung
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entsprechende Regelung fehlt; denn der in Ziff. 1.1 AUB 99/2008 angebotene Versicherungsschutz bleibt seinem Inhalt nach völlig unbestimmt.675 Dem verständigen VN wird also sogleich deutlich, dass er nicht bei der Lektüre von Ziff. 1.1 AUB 99/2008 stehen bleiben kann, sondern das Bedingungswerk weiter lesen muss. Er stößt dann bereits zu Anfang des Bedingungswerkes in Ziff. 2 auf die vereinbarten Leistungsarten und findet unter Ziff. 2.1.1 die gesonderte Überschrift zu den Voraussetzungen für die Invaliditätsleistung.676 Insofern stellen die AUB 99/2008 eine deutliche Verbesserung gegenüber den AUB 88/94 dar; denn bei den älteren Bedingungswerken wurden die Leistungsvoraussetzungen und -Inhalte nicht schon in unmittelbarem Anschluss an den Versicherungsfall (§ 1 AUB 88/94 bzw. Ziff. 1 AUB 99/2008) geregelt. Der Hinweis, der VN werde durch das Inhaltsverzeichnis und die Überschrift von Ziff. 7 AUB 99/2008 („Was ist nach einem Unfall zu beachten (Obliegenheiten)?)“ geradezu in die Irre geführt, überzeugt nicht. • Wie in § 9 AUB 88/94 wird der VN durch den Klammerzusatz „Obliegenheiten“ und den Einleitungssatz „Ohne Ihre Mitwirkung …“ deutlich darauf hingewiesen, dass es um „Mitwirkungspflichten“ und nicht um Einzelheiten dazu geht, wie und unter welchen Voraussetzungen eine Invaliditätsleistung beansprucht werden kann. Selbst wenn der VN die AUB nicht vollständig durchliest – was ihm indes durchaus zuzumuten ist – und sogleich Ziff. 7 AUB 99/2008 aufschlägt, so wird er ohne Anstrengung erkennen, dass er noch weitere „Nachforschungen“ in den AUB anstellen muss, wenn er Leistungen vom VR erhalten will. Dazu wird er typischerweise zunächst klären, welche Leistungsarten vereinbart sind. Ist er (z.B. nach Betrachten der Versicherungspolice) der Auffassung, dass eine Invaliditätsentschädigung in Betracht kommt, so liegt es nahe, anhand des Bedingungswerkes zu ermitteln, was unter „Invaliditätsleistung“ genau zu verstehen ist und ob der den VN betreffende konkrete Sachverhalt von diesem Begriff erfasst wird. Sogar der flüchtig lesende VN wird bei Durchsicht der AUB 99/2008 ohne Schwierigkeiten auf den am Anfang des Regelungswerkes abgedruckten Abschnitt zur Invaliditätsleistung stoßen, der im übrigen auch in der vorweg gestellten Gliederung zu den AUB 99/2008 angesprochen ist. Sobald der VN dann Ziff. 2.1 AUB 99/2008 aufschlägt, findet er unter einer eigenen Überschrift die Voraussetzungen für die Invaliditätsleistung. Für diese Prüfungen benötigt der VN keine (juristischen) Spezialkenntnisse und auch nicht übermäßig viel Zeit; eine sorgfältige Durchsicht der Vertragsunterlagen reicht aus. • Unschädlich ist es, dass in der vorab abgedruckten Inhaltsverzeichnis nicht sämtliche Unterüberschriften abgedruckt sind. Bereits beim flüchtigen Durchblättern der AUB fällt dem Leser auf, dass im Fließtext weitere Zwischenüberschriften verwendet werden. Sollte es dem VR zum Nachteil gereichen, dass er dem VN eine Übersicht zu Beginn des Bedingungswerks an die Hand gibt, müsste dem VR empfohlen werden, auf den Abdruck der Gliederung zu verzichten oder es um sämtliche Zwischenüberschriften zu ergänzen. Der Transparenzgewinn wäre gering. Der vollständige Verzicht auf die Gliederung kann nicht im Interesse des VN sein. Die Erweiterung der Überschriftenübersicht bläht den Bedingungstext noch weiter auf und wird den VN u.U. noch mehr von der Lektüre abhalten. Vom „durchschnittlichen VN“ darf gerade im Leistungsfall ein vollständiges Durchblättern der AUB abverlangt werden. Die an ihn zu stellenden Anforderungen sollten nicht zu weit abgesenkt werden.677
Um die noch nicht höchstrichterlich entschiedene Frage der Transparenz der Fristenregelung in den AUB 99/2008 zukünftig der rechtlichen Diskussion zu entziehen, könnte erwogen werden,
19.10.2007 VersR 2008 811, 812 = RuS 2008 124 (i.E. aber offen lassend); Knappmann RuS 2004 339; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 8; wohl auch Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 39; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 162.
675
676 677
BGH 23.2.2005 VersR 2005 639, 640 (zu der vergleichbaren Regelung in § 1 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94). OLG Karlsruhe 3.3.2005 VersR 2005 1384, 1385. Kloth Rn. G 12.
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• die allgemein gehaltene Überschrift zu Ziff. 2 AUB 99/2008 „Welche Leistungsarten können vereinbart werden?“ durch einen Klammerzusatz wie „(Voraussetzungen und Inhalt)“ zu ergänzen; • in Ziff. 7 S. 1 AUB 99/2008 eine Klarstellung vorzunehmen. So könnte der Einführungssatz lauten: „Nach einem Unfall sind nicht nur die jeweiligen Leistungsvoraussetzungen (z.B. die Fristen in Ziff. 2.1.1.1) nebst Einschränkungen der Leistung (Ziff. 3), Versicherbarkeit (Ziff. 4) und Ausschlüsse (Ziff. 5) zu prüfen, sondern auch Obliegenheiten zu beachten; denn ohne Ihre Mitwirkung und die der versicherten Person können wir unsere Leistung nicht erbringen.“
Im Übrigen dürfte der Streit um die Transparenz der Fristenregelung durch die mit der VVG-Reform 2008 eingeführte Vorschrift des § 186 entschärft sein. Eine eventuelle Intransparenz der Bedingungen kann sich nicht zum Nachteil des VN auswirken, wenn der VR seiner Hinweispflicht ordnungsgemäß nachkommt. Es besteht dann keine Notwendigkeit, Unwirksamkeit der Klausel anzunehmen.678
II. Unfallbedingter Tod der versicherten Person innerhalb eines Jahres nach dem Unfall Bei Tod der versicherten Person sind verschiedene Sachverhalte auseinander zu halten:
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• Kein Anspruch auf Invaliditätsleistung besteht, wenn die versicherte Person unfallbedingt innerhalb eines Jahres nach dem Unfall stirbt (Ziff. 2.1.1.2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 6 S. 1 AUB 61). In diesem Fall soll der Anspruch auf Todesfallleistung (Ziff. 2.6 AUB 99/2008, § 7 Abs. 6 AUB 88/94, § 8 Abs. 1 AUB 61), den Vorrang gegenüber dem Invaliditätsanspruch haben.679 Ein Nebeneinander der Ansprüche ist – dem Wesen dieser unterschiedlichen Leistungsarten entsprechend680 – nicht vorgesehen; sie schließen sich gegenseitig aus.681 • Stirbt die versicherte Person dagegen aus unfallfremder Ursache innerhalb eines Jahres nach dem Unfall oder gleichgültig aus welcher Ursache später als ein Jahr nach dem Unfall, so bleibt der Invaliditätsanspruch bestehen. Die Höhe der Invaliditätsleistung bestimmt sich in diesen Fällen nach Ziff. 2.1.2.4 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94; s.a. § 13 Nr. 3b S. 3 AUB 61, Rn. 244 ff.).
173
Führt der Tod der versicherten Person zu einem Anspruchsverlust und hat der VR bereits eine Invaliditätsleistung gezahlt, so ist das weitere Verfahren fraglich. § 8 Abs. 2 Nr. 6 S. 2 AUB 61 sah noch ausdrücklich vor, dass etwa bereits geleistete Invaliditätsentschädigungen von der Todesfallentschädigung abgezogen werden. In den AUB 88/94/99/ 2008 fehlt eine entsprechende Regelung. Sofern es an vorrangigen Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien fehlt, kommt das allgemeine Zivilrecht zur Anwendung. Demnach kann der VR die geleistete Invaliditätsentschädigung entweder mit der Todesfallleistung verrechnen (§ 387 BGB) oder nach Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) zurückfordern.682 Letzteres kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Invaliditätsleistung die Todesfallleistung übersteigt und deshalb eine vollständige Aufrechnung nicht möglich oder eine Todesfallleistung nicht vereinbart ist.683 Die Anspruchsvoraussetzungen des § 812 BGB sind gegeben, da mit dem Tod der versicherten Person der Rechtsgrund für
678 679 680 681
So auch Knappmann VersR 2009 775, 776. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 69; Konen/ Lehmann S. 44. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 6. Grewing Entstehungsgeschichte S. 41; s.a. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 33; Terbille/Hormuth 2 MAH
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§ 24 Rn. 119; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 47 und 81. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 69; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 33; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 78; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 47 und 81. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 41.
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die Zahlung der Invaliditätsleistung entfallen ist.684 In diesem Zusammenhang ist auf Ziff. 9.3 S. 2 AUB 99/2008 hinzuweisen. Diese Regelung sieht zur Vermeidung von Rückzahlungen des VN an den VR vor, dass der VN vor Abschluss des Heilverfahrens einen Vorschuss auf die Invaliditätsleistung innerhalb eines Jahres nach dem Unfall nur bis zur Höhe einer vereinbarten Todesfallsumme verlangen kann. Danach lassen sich zwei Sachverhaltskonstellationen unterscheiden: • Stirbt die versicherte Person vor Abschluss des Heilverfahrens innerhalb eines Jahres nach dem Unfall, so kann der VR eine eventuell schon gezahlte Invaliditätsleistung von der Todesfallsumme abziehen. Auf das Bereicherungsrecht kommt es nicht an; denn die Todesfallleistung kann nicht niedriger als die Invaliditätsleistung sein.685 • Stirbt die versicherte Person nach Abschluss des Heilverfahrens innerhalb eines Jahres nach dem Unfall, so ist es möglich, dass eine eventuell bereits gezahlte Invaliditätsleistung die Todesfallleistung (sofern eine solche überhaupt vereinbart ist) übersteigt. Der VR muss den Differenzbetrag zwischen der Invaliditäts- und Todesfallleistung ggf. nach § 812 BGB geltend machen.
C. Art der Leistung Im Gegensatz zu den AUB 61/88/94/99 sehen die AUB 2008 keine Rentenzahlung 174 mehr vor (Rn. 68). Die Invaliditätsleistung wird (ausschließlich) als Kapitalbetrag gezahlt (Ziff. 2.1.2.1 AUB 2008). Den Vertragsparteien ist es aber natürlich unbenommen, statt oder neben der Zahlung eines Kapitalbetrags im Fall der Invalidität die Zahlung einer Unfallrente zu vereinbaren, die bei Erreichen eines bestimmten Invaliditätsgrades (in der Regel 50 %) Leistungen vorsieht (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 24).
D. Höhe der Leistung Die Höhe der Invaliditäts- oder Todesfallleistung bestimmt sich nach folgenden Grund- 175 sätzen:
I. Invaliditätsleistung Die vom VR konkret zu zahlende Invaliditätsleistung ist abhängig von der vereinbar- 176 ten Versicherungssumme und dem vorliegenden Invaliditätsgrad, der entweder anhand der Gliedertaxe oder individuell zu ermitteln ist. 1. Berechnungsgrundsätze Grundlage für die Berechnung der Leistung des VR ist nicht nur der Grad der Invali- 177 dität (so noch – unvollständig – in § 7 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94 formuliert), sondern das Verhältnis des Invaliditätsgrades zur Versicherungssumme. Dies ist inzwischen in Ziff. 2.1.2.2 AUB 99/2008 – klarstellend gegenüber den AUB 88/94 und ähnlich wie in § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 AUB 61– ausdrücklich in Ziff. 2.1.2.2 AUB 99/2008 (Rn. 58) geregelt.
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Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 198.
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Grewing Entstehungsgeschichte S. 41.
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Unfallversicherung
a) Bedeutung der Versicherungssumme. Beträgt der unfallbedingte Invaliditätsgrad der versicherten Person 100 %, so hat der VR – vorbehaltlich vorrangiger Vereinbarungen zwischen dem VN und VR – 100 % der vereinbarten Versicherungssumme zu zahlen. Bei einer unfallbedingten Teilinvalidität hat der VR dagegen einen dem Invaliditätsgrad entsprechenden Teil der Versicherungssumme zu leisten. Führt z.B. das Unfallereignis zu einer Invalidität der versicherten Person i.H.v. 50 % und ist eine Invaliditätsleistung von 100.000,– € zwischen den Vertragsparteien vereinbart, so sind 50 % der Versicherungssumme, also 50.000,– € zur Auszahlung zu bringen. Welche Versicherungssumme die Vertragsparteien vereinbaren, steht in ihrem Ermessen. Entscheidend sind insbesondere die Wünsche und Bedürfnisse des VN (vgl. §§ 6 Abs. 1, 61 Abs. 1). Die Aufsichtsbehörde hat einerseits in der Vergangenheit die Vorgabe gemacht, dass zur Vermeidung eines Misstandes i.S.d. § 81 VAG die Werbung mit (Mindest-)Versicherungssummen zu vermeiden ist, die in den praktisch häufigen Fällen einer geringfügigen Invalidität zu Leistungen führen, die für die versicherte Person keine nennenswerte Hilfe mehr darstellen.686 Andererseits sollte die mit der gewählten Versicherungssumme verbundene Prämienhöhe nicht zu einer „Überversorgung“ der versicherten Person führen und nicht die Leistungskraft des VN übersteigen. Wichtige Orientierungspunkte bei der Festlegung sind der bereits vorhandene Unfallversicherungsschutz und das Einkommen des VN. Die Invaliditätssumme sollte jedenfalls mindestens das Doppelte der Todesfallsumme betragen.687
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b) Ermittlung des Invaliditätsgrades. Bei der Bemessung der Invalidität ist auf den Gesundheitszustand abzustellen, der bis zum Ablauf der Dreijahresfrist in § 188 (Ziff. 9.4 AUB 99/2008, § 11 Abs. 4 S. 1 AUB 88/04, § 13 Nr. 3a AUB 61) – ggf. im Rahmen eines Neubemessungsverfahrens (§ 188) – zu prognostizieren ist. Später gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden (§ 180 Rn. 20 ff.). In den Fällen, in denen möglicherweise ein vorläufig festgestellter Invaliditätsgrad von dem endgültigen abweicht, ist stets nur der letztere für die Höhe des Versicherungsanspruchs maßgebend (s. auch § 188 Rn. 34), und zwar auch dann, wenn schon bei Feststellung des vorläufigen Invaliditätsgrads abzusehen ist, dass eine volle Wiederherstellung der Leistungs- bzw. Arbeitsfähigkeit nicht zu erwarten ist.688 Rechtlicher Ausgangspunkt sind die jeweils vereinbarten Bemessungsgrundlagen. Ins180 besondere ist den jeweiligen Besonderheiten der verschiedenen AUB-Generationen Rechnung zu tragen. Gemeinsam ist den AUB 61/88/94/99/2008, dass die Gliedertaxe in Ziff. 2.1.2.2.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2a und b AUB 88/94 bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 AUB 61) gegenüber der „Generalklausel“ bzw. Auffangregel in Ziff 2.1.2.2.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94 bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61) eine vorrangige Sonderregelung enthält.689 Sind Gliedmaßen und die in der Gliedertaxe aufgeführten Sinnesorgane betroffen, so hat sich die Bemessung ausschließlich an den dort angegebenen Prozentsätzen zu orientieren (sog. feste Gliedertaxe).690 Ausgeschlossen ist der
686 687 688 689
Anordnung über die Unfallversicherung durch das Zonenamt, VA 1950 81. Grewing Unfallversicherung S. 58 f.; Riebesell S. 56. LG Düsseldorf 10.7.1958 VersR 1958 668. BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 494 Rn. 24 = NJW-RR 2009 679, 682 = RuS 2009 161, 163; OLG Köln 28.7.2004 VersR 2005 679, 680 = RuS 2006 209; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 68; Kloth
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690
Rn. G 77; Lehmann/Ludolph 2 S. 9; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 60 und 68; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 186; Reichenbach S. 122; Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 20; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 24; Terno DAR 2005 314, 317. Streck S. 89; s.a. OLG Düsseldorf 13.12.2005 RuS 2006 518, 519; OLG München 16.5.2006 VersR 2006 1528 = RuS 2007 208.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Nachweis einer höheren oder niedrigeren Invalidität anhand von Bewertungsregeln, die für Schädigungen außerhalb der Gliedertaxe vorgesehen sind.691 Sollte sich m.a.W. aus der konkreten Bewertung ein höherer oder geringerer Invaliditätsgrad als auf Grundlage der Gliedertaxwerte ergeben, so bleibt folglich dennoch die Gliedertaxe maßgebend.692 Dieser Vorrang der Gliedertaxe vor der allgemeinen Invaliditätsbemessung ergibt sich seit Einführung der AUB 61 aus den Formulierungen • „gelten ausschließlich“ (Ziff. 2.1.2.2.1 S. 1 AUB 99/2008), • „unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität“ (§ 7 Abs. 1 Nr. 2a AUB 88/94, ähnlich § 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61),693 • „Für andere Körperteile und Sinnesorgane“ (Ziff. 2.1.2.2.2 AUB 99/2008), • „Werden durch den Unfall Körperteile oder Sinnesorgane betroffen, deren Verlust oder Funktionsunfähigkeit nicht nach a) oder b) geregelt sind“ oder • „Soweit sich der Invaliditätsgrad nach Vorstehendem nicht bestimmen lässt“ (§ 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61).694
Der Vorrang der Gliedertaxe ist nicht nur für den Fall, in dem das Unfallereignis 181 direkt auf die in der Gliedertaxe genannten Gliedmaßen oder Sinnesorgane eingewirkt hat, sondern auch dann zu beachten, wenn ein in der Gliedertaxe angesprochener Dauerschaden durch eine Einwirkung auf andere Körperteile ausgelöst wurde. Erst wenn es um andere als die in der Gliedertaxe genannten Körperteile oder Sinnesorgane geht bzw. ein über die Gliedertaxe hinausgehender Schaden vorliegt, kommt es auf die konkrete Bewertung der Invalidität nach allgemeinen Regeln an:695 Sind ausschließlich andere Körperteile betroffen, so ist allein auf Ziff. 2.1.2.2.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94) abzustellen. Hat der Unfall zu Dauerfolgen geführt, die sowohl in der Gliedertaxe genannte Gliedmaßen und Sinnesorgane als auch nicht in der Gliedertaxe aufgeführte Körperteile betreffen, so sind die Invaliditätsgrade zunächst nach der Gliedertaxe zu bewerten. Die Verletzungen, die sich darüber hinaus im übrigen Körper der versicherten Person auswirken, sind weiterhin nach allgemeinen Regeln einzuschätzen.696 Der Gliedertaxwert ist schließlich mit dem Invaliditätsgrad für die sonstige Schädigung bis zur Höchstgrenze von 100 % zu addieren (Ziff. 2.1.2.2.4 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2d AUB 88/94).697 Beispiele: • Resultiert aus einer Einwirkung auf das Gehirn und die Wirbelsäule eine Funktionsbeeinträchtigung von Gliedmaßen, so sind zunächst die Auswirkungen auf die Gliedmaßen wie etwa Lähmungserscheinungen in den Armen oder Beinen anhand der Gliedertaxe einzuschätzen, bevor die
691
692
OLG Frankfurt/M. 5.9.2001 VersR 2002 560, 561 = NVersZ 2002 118, 119; OLG Köln 26.2.1996 RuS 1997 262, 263 = VersR 1996 1530 (LS); Hauschild S. 77; Hierholzer/Scheele S. 81, 82; Stiefel/ Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 34. OLG Hamm 7.11.2001 VersR 2002 747 = NVersZ 2002 214; OLG München 12.1.1961 VersR 1962 20, 21; OLG Nürnberg 19.11.1998 VersR 1999 1485 = RuS 1999 130 = NVersZ 1999 381; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 22; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 308, S. 481; a.A. noch (die inzwischen überholte) ältere Rechtsprechung,
693
694
695 696 697
z.B. OLG Dresden 15.6.1933 VA 1933 357 f. (Nr. 2595). OLG Hamm 13.6.1984 VersR 1985 729, 730; LG Kassel 29.1.1991 RuS 1991 432; s.a. LG Bad Kreuznach 21.4.1989 ZfS 1989 424, 425. OLG Celle 9.1.1991 RuS 1991 179, 180; OLG Köln 26.2.1996 RuS 1997 262 f. = VersR 1996 1530 (LS). OLG Celle 9.1.1991 RuS 1991 179; Riebesell S. 59 f. Grewing Entstehungsgeschichte S. 40; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 28. Terno DAR 2005 314, 317; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 33.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
Beeinträchtigungen durch die verbleibende Hirnleistungsschwäche, Wesensveränderungen der versicherten Person, Wirbelverletzungen u.ä. nach allgemeinen Regeln beurteilt werden.698 • Führt ein Unfall aufgrund einer Beinverkürzung zu einer dauerhaften Beeinträchtigung des Beins zu 4/7, so ist zunächst nach der Gliedertaxe ein Invaliditätsgrad von 40 % (= 4/7 * 70 %) anzusetzen. Des Weiteren kann der Invaliditätsgrad um weitere 10 % auf insgesamt 50 % zu erhöhen sein, wenn die ärztliche Beurteilung ergibt, dass die unfallbedingte Beinverkürzung einen weiteren eigenständigen Befund – nämlich eine Wirbelsäulenverkrümmung und einen Beckenschiefstand – herbeigeführt hat, der ebenfalls dauerhafte Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der versicherten Person nach sich zieht.699
182
Der nach der Gliedertaxe oder konkret ermittelte Invaliditätsgrad ist gemäß Ziff. 2.1.2.2.3 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88/94 bzw. § 10 Nr. 4 AUB 61) um eine eventuell bestehende Vorinvalidität zu mindern (Rn. 235 ff.). Bei einer Beeinträchtigung mehrerer Körperteile oder Sinnesorgane sind die jeweils ermittelten Invaliditätsgrade zu addieren (Ziff. 2.1.2.2.4 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2d AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61, Rn. 242 f.). 2. Gliedertaxe
183
Die erste überlieferte Gliedertaxe stammt aus dem 17. Jahrhundert.700 Sie hat seitdem zahlreiche Änderungen (vornehmlich Erweiterungen) erfahren. In allen heute gebräuchlichen AUB stellt die Gliedertaxe das Kernstück der Bestimmungen über die Invaliditätsversicherung dar.701 Mit ihrer Hilfe sollen häufige Verletzungen anhand fest stehender Invaliditätsgrade (sog. Gliedertaxwerte) schematisch bewertet werden, um im Interesse einer unkomplizierten Leistungsregulierung die Feststellung der Leistungshöhe zu beschleunigen und zu vereinheitlichen.702 Die Anwendung der Gliedertaxe mit ihrem pauschalierten Invaliditätssätzen und einheitlichen Berechnungsmodus ermöglicht ein hohes Maß an Gleichbehandlung aller versicherter Personen und führt damit zu Prämiengerechtigkeit sowie einer sachdienlichen Ausgewogenheit der Versicherungsbedingungen,703 zumal sie in der Praxis etwa 80 % aller Invaliditätsfälle erfasst.704 Die weit überwiegende Zahl von dauernden Verletzungsfolgen betrifft Gliedmaßen – insbesondere die Hand und die Finger 705 – und Sinnesorgane.706 Die Gliedertaxwerte teilen sich in drei Bereiche, nämlich Verlust oder Funktionsbeeinträchtigungen im Arm-, Hand- und Fingerbereich, im Bein-, Fuß- und Zehenbereich und – insofern ist die Bezeichnung Gliedertaxe nicht ganz korrekt 707 – von Sinnesorganen (Auge, Gehör sowie Geruchs- und Geschmackssinn). 698
699 700 701 702
703
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 28; Lehmann/ Ludolph 2 S. 68; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 192; Reichenbach S. 122; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 32; weiteres Beispiel etwa bei Lehmann/ Ludolph 2 S. 9 f. OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070 = RuS 2007 117 f. = ZfS 2005 304 f. Reichenbach S. 118. Konen/Lehmann S. 41. Knappmann VersR 2003 430, 431; s.a. OLG Köln 28.7.2004 VersR 2005 679, 680 = RuS 2006 209. BGH 24.1.1996 VersR 1996 493 = RuS 1996 157; BGH 8.7.1987 VersR 1987 930, 931; BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582;
640
704
705 706 707
BGH 10.10.1966 VersR 1966 1133, 1134; OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347, 348 = RuS 2007 429; LG Göttingen 11.1.1990 VersR 1990 648, 649; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 18; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 68; Kloth Rn. G 77; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 187. Conradi S. 127; Grimm VW 1988 132, 133; Reichenbach S. 118; Riebesell S. 62; Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115, 118; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 31 f. Schröter S. 107. Konen/Lehmann S. 41. Riebesell S. 57.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Eine Unterscheidung danach, ob die Verletzungsfolgen rechts- oder linksseitig erfolgt sind, wird seit 1920 nicht mehr getroffen.708 Danach ist z.B. die linke Hand des Rechtshänders genauso viel wert wie seine rechte.709 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Umlernen der Hilfshand zur Gebrauchshand auf Dauer möglich sei.710 a) Verlust und Funktionsunfähigkeit. Die AUB 88/94/99/2008 unterscheiden nicht 184 näher zwischen der Bewertung des Verlustes oder der Funktionsunfähigkeit der in der Gliedertaxe genannten Glieder oder Sinnesorgane (Ziff. 2.1.2.2.1 S. 1 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2a AUB 88/94: „Bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit …“; § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 1 AUB 61: „Die vollständige Gebrauchsunfähigkeit … bemisst sich nach dem für den Verlust geltenden Satz“). Beide Begriffe werden gleichgestellt und unterliegen einem ähnlichen Bewertungsmaßstab. aa) Abstrakt-genereller Maßstab. Auf Grundlage eines abstrakt-generellen Maßstabs,711 185 der allein auf anatomischen und funktionellen Gesichtspunkten aufgebaut ist,712 bestimmt die Gliedertaxe feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit der mit ihr benannten Glieder. Gleiches gilt bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines durch die Gliedertaxe abgegrenzten Teilbereichs eines Glieds. Die Systematik dieser sog. abstrakten Gliedertaxe713 ist dadurch gekennzeichnet, dass jedem Teilbereich ein fester Invaliditätsgrad pauschal zugeordnet ist, der mit Rumpfnähe des Teilglieds steigt;714 denn je näher die Beeinträchtigung am Rumpf liegt, desto mehr vergrößert sich auch allgemein der Grad der tatsächlichen Behinderung und desto eher sinken die Möglichkeiten, die Folgen einer etwaigen Amputation durch eine prothetische Versorgung abzumildern.715 So ist z.B. eine versicherte Person, die ihren Arm im Schultergelenk oder ihr Bein über der Mitte des Oberschenkels verliert, wesentlich mehr beeinträchtigt als derjenige, der „nur“ den Arm unterhalb des Ellenbogengelenks oder das Bein bis zur Mitte des Unterschenkels verloren hat.716 Steht – unter ausschließlich medizinischen Gesichtspunkten – der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit gemäß der Gliedertaxe fest, so ist damit auch der dort genannte Invaliditätsgrad unverrückbar anzunehmen. Dies bedeutet im Einzelnen:
708 709
710 711
Reichenbach S. 118; Schröter S. 107 f. Hauschild S. 77, 79; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 72; Lehmann/Ludolph 2 S. 11. Hierholzer/Scheele S. 81, 82. BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 494 Rn. 24 = NJW-RR 2009 679, 682 = RuS 2009 161, 163; BGH 17.10.1990 VersR 1991 57, 58; BGH 10.10.1966 VersR 1966 1133; OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347, 348 = RuS 2007 429; OLG Hamm 9.5.2007 VersR 2008 389 = RuS 2007 468; OLG Hamm 25.1.2006 VersR 2006 1394; OLG Köln 28.7.2004 VersR 2005 679, 680 = RuS 2006 209; OLG Nürnberg 18.9.1986 RuS 1989 272; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 18; Lehmann VW 1987 1370; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47
712 713 714
715 716
Rn. 187; Terno DAR 2005 314, 317; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 32. LG Essen 24.6.1992 VersR 1993 1389; Reichenbach S. 118. Riebesell S. 59. BGH 24.5.2006 VersR 2006 1117 Rn. 12 = NJW-RR 2006 1323 f. = RuS 2006 387; BGH 17.1.2001 VersR 2001 360; OLG Frankfurt/M. 16.10.2002 VersR 2003 495, 496; OLG Frankfurt/M. 5.9.2001 VersR 2002 560, 561 = NVersZ 2002 118, 119; OLG Karlsruhe 14.10.2005 VersR 2006 104 = NJW-RR 2006 249; OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070 = RuS 2007 117 = ZfS 2005 304. Knappmann VersR 2003 430, 431. BGH 17.10.1990 VersR 1991 57, 58; s.a. BGH 30.5.1990 VersR 1990 964 = RuS 1990 393, 394.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
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Unerheblichkeit individueller Beeinträchtigungen: Auf die konkrete (individuelle, subjektive) Beeinträchtigung der versicherten Person und ihre besonderen Verhältnisse kommt es nicht an,717 soweit der Versicherungsvertrag nichts anderes bestimmt. Unerheblich ist z.B., ob die versicherte Person Rechts- oder Linkshänder ist (Rn. 183), wie sich die Behinderung in ihrer konkreten beruflichen Tätigkeit, auf ihre Erwerbsmöglichkeiten bzw. vorhandene Erwerbssituation oder auf sonstige Besonderheiten ihrer Lebensumstände auswirkt.718 So führt z.B. der Verlust eines kleinen Fingers bei einem Pianisten oder Feinmechaniker zu keinem anderen Invaliditätsgrad als bei einem Kaufmann oder Büroangestellten, obwohl die konkrete berufliche Schädigung bei den erstgenannten Personen noch gravierender als bei anderen Berufsgruppen sein mag.719 Die starre Gliedertaxe kann zu Härten führen, da sie dem Einzelfall nicht Rechnung trägt.720 Diese Härten sind zwar hinzunehmen,721 jedoch kommt als Abhilfe in Betracht, dass der VN mit dem VR die Geltung einer sog. verbesserten Gliedertaxe mit Gliedertaxwerten vereinbart, die den Besonderheiten der beruflichen Tätigkeit Rechnung trägt, also z.B. für Ärzte oder Musiker den Verlust eines Fingers mit einem höheren Invaliditätsgrad als in den AUB bewertet (Rn. 251). Einschluss des Gliedertaxwertes eines rumpfferneren Gliedes durch den Gliedertax187 wert des rumpfnäheren Gliedes: Der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit eines höher bewerteten Gliedes oder Gliedteils schließt den Verlust des rumpfferneren (distal gelegenen) mit ein. Dies ergibt sich aus der Systematik („Funktionslogik“) der Gliedertaxe.722 So führt z.B. der Verlust eines Armes im Schultergelenk zu einem Invaliditätsgrad von 70 %. Fehlerhaft wäre es dagegen, die Invaliditätsgrade für die dem Arm untergeordneten Teilgliedmaßen (Finger, Hand, Unterarm) zu addieren.723 Berücksichtigung der Beeinträchtigung des rumpfnäheren Gliedes im Gliedertaxwert 188 des rumpfferneren Gliedes: Bei der Ermittlung des maßgeblichen Gliedertaxwertes können sich Zweifelsfragen ergeben, wenn die unfallbedingte Gesundheitsschädigung zu Dauer717
718
BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 494 Rn. 24 = NJW-RR 2009 679, 682 = RuS 2009 161, 163; BGH 17.10.1990 VersR 1991 57, 58; BGH 4.4.1984 VersR 1984 576, 577; OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347, 348 = RuS 2007 429; OLG Hamm 6.11.2002 VersR 2003 586, 587 = NJW-RR 2003 322, 323; OLG Karlsruhe 14.10.2005 VersR 2006 104; OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070 = RuS 2007 117; OLG München 12.1.1961 VersR 1962 20, 21; Lehmann/Ludolph 2 S. 9; Terno DAR 2005 314, 317; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 68. BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582; OLG Frankfurt/M. 5.9.2001 VersR 2002 560, 561 = NVersZ 2002 118, 119; OLG Hamm 20.3.1959 VersR 1962 269; LG Essen 24.6.1992 VersR 1993 1389; LG Göttingen 11.1.1990 VersR 1990 648, 649; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 18; Knappmann VersR 2003 430, 431; Lehmann VW 1987 1370; Lehmann/Ludolph MedSach 2007 45, 46; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47
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Rn. 187; Reichenbach S. 118; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 35. BGH 10.10.1966 VersR 1966 1133; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 18; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 485; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 33. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 18; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 33. BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582; OLG München 12.1.1961 VersR 1962 20, 21. OLG Köln 24.11.1993 RuS 1994 439; OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856, 857= RuS 2005 392 = NJW-RR 2004 186; LG Dortmund 27.9.2007 RuS 2009 476; LG Köln 28.4.1992 RuS 1994 439; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 188. OLG Brandenburg 10.3.2005 RuS 2006 207, 209; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 20; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 74; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 70; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 23; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 36.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
folgen an mehreren Stellen des Körpers der versicherten Person führt. Einerseits kann nicht einfach darauf abgestellt werden, wo der Verletzungsort liegt.724 Ein solches Vorgehen ist mit dem Wortlaut der Gliedertaxe nicht vereinbar; denn diese fragt ausschließlich danach, wo der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit zu verzeichnen ist. Ein strenges Abstellen auf den Sitz der Verletzung wäre auch nicht sachgerecht. Führt z.B. eine Verletzung im Fußbereich dazu, dass zunächst der Fuß amputiert und anschließend aufgrund von Komplikationen auch der Unterschenkel entfernt werden muss, so wäre dem VN eine Regulierung nur nach dem Fußwert schlicht nicht zu erklären. Richtiger Ansatzpunkt ist damit, grundsätzlich den „Sitz der Verletzungswirkung“ bzw. den Ort zugrunde zu legen, an dem sich die unfallbedingte Schädigung lokalisiert.725 Andererseits kann nicht pauschal und ohne Einschränkung auf den Gliedertaxwert für das rumpfnähere (proximal gelegene) Glied abgestellt werden.726 Anderenfalls würden die Abstufungen in der Gliedertaxe entwertet. So wirkt sich z.B. jeder Fingerverlust unvermeidbar auch auf die Funktionsfähigkeit der Hand oder des ganzen Arms aus. Im Zweifel wäre stets der höchste Prozentsatz für die betroffene Gliedmaße anzusetzen und die untergeordneten Gliedertaxwerte trotz ausdrücklicher Nennung in der Gliedertaxe ohne Bedeutung. Vielmehr ist anhand medizinischer Kriterien danach zu differenzieren, ob • der Verlust bzw. die Funktionsunfähigkeit des rumpfnäheren Gliedmaßes auf das rumpffernere Gliedmaß lediglich ausstrahlt, ohne einen zusätzlichen Dauerschaden zu erzeugen (dann ist der Gliedertaxwert für das rumpfferne Gliedmaß maßgebend) oder • neben dem Verlust bzw. der Funktionsunfähigkeit des rumpfnäheren Gliedmaßes eine selbständige Funktionsbeeinträchtigung des rumpfferneren Gliedmaßes eingetreten ist (in diesem Fall ist die Invaliditätsbemessung anhand des höheren Gliedertaxwertes vorzunehmen).
(Notwendige) Ausstrahlungen des Verlustes oder der Funktionsunfähigkeit eines rumpf- 189 ferneren Gliedes oder Gliedteils auf die rumpfnäheren Glieder oder Gliedteile (sog. mittelbare Schäden) bleiben im Rahmen der Bewertung außen vor, da sie bei den Gliedertaxwerten bereits mitberücksichtigt sind.727 Gerade daraus resultiert das Ansteigen des Invaliditätsprozentsatzes mit zunehmender Rumpfnähe des Gliedverlustes bzw. der direkten Funktionsstörung.728 Folge der Systematik der Gliedertaxe ist einerseits, dass weitere Beeinträchtigungen in den rumpfnäheren Gliedern bzw. der gesamten Extremität (z.B. Schmerzen, Schonungs- bzw. Muskelverschmächtigungen) nicht zu einer Erhöhung der Leistung führen.729 Vielmehr sind z.B. schmerzausstrahlende Schmerzauswirkungen ihrem
724 725
726 727
So Schwintowski/Brömmelmeyer § 180 VVG Rn. 10. BGH 24.5.2006 VersR 2006 1117 Rn. 12 = NJW-RR 2006 1323, 1324 = RuS 2006 387; BGH 23.1.1991 VersR 1991 413; OLG Frankfurt/M. 24.8.2005 VersR 2006 964 = RuS 2007 207 (krit. Marlow RuS 2007 353, 359); Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 42 f.; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 24. So bereits Fußhoeller VW 1964 688. S. nur BGH 17.1.2001 VersR 2001 360 und 361; BGH 23.1.1991 VersR 1991 413 = RuS 1991 355; BGH 17.10.1990 VersR 1991 57, 58; OLG Düsseldorf 1.7.1998 VersR 1999 880, 881 = NVersZ 1999 379; OLG Düsseldorf 6.12.1994 VersR 1996 494; OLG
728 729
Frankfurt/M. 16.10.2002 VersR 2003 495, 496; OLG Köln 26.11.1992 RuS 1993 318, 319; OLG München 16.5.2006 VersR 2006 1528 = RuS 2007 208; OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856 = RuS 2005 392 = NJW-RR 2004 186; LG Köln 28.4.1992 RuS 1994 439. BGH 30.5.1990 VersR 1990 964 = RuS 1990 393 f. BGH 23.1.1991 VersR 1991 413; OLG Düsseldorf 13.12.2005 RuS 2006 518, 519; LG Bad Kreuznach 21.4.1989 ZfS 1989 424, 425; LG Kassel 29.1.1991 RuS 1991 432; LG Saarbrücken 24.9.1973 VersR 1974 53, 54; Reichenbach/Lehmann VersR 2002 301 f.
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Ursprungssitz zuzurechnen und mit dem dafür in der Gliedertaxe festgesetzten Wert abgegolten.730 Entsprechendes gilt für Beeinträchtigungen, die als Folge der Funktionsunfähigkeit eines Gliedes durch Überbeanspruchung bei anderen Gliedern entstehen können.731 Beispiele: • Die Auswirkung des Verlustes oder der Funktionsunfähigkeit der Hand im Handgelenk für den ganzen Arm ist unbeachtlich. Es ist der Gliedertaxwert der Hand (55 %) anzusetzen und nicht etwa der Armwert (70 %) als Ausgangspunkt zu wählen.732 Entsprechendes gilt, wenn der Fuß vollständig funktionsunfähig ist. Der Invaliditätsgrad beträgt nach der Gliedertaxe 40 % und kann nicht deshalb höher oder niedriger bemessen werden, weil auf die mit der Funktionsunfähigkeit des Fußes einhergehende Funktionsbeeinträchtigung des Beines insgesamt abgestellt wird.733 • Wenn die versicherte Person alle Finger einer Hand verliert, ist die Invalidität mit 45 % (20 % Daumen + 10 % Zeigefinger + 15 % übrige Finger) und nicht anhand des Gliedertaxwertes für die Hand (55 %) zu bemessen. Die Gliedertaxe geht trotz Verlust aller Finger von einer Restgebrauchsfähigkeit der Hand i.H.v. 10 % aus.734
Andererseits kann der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit eines rumpfferneren Gliedes keinen niedrigeren Invaliditätsgrad begründen, als er in der Gliedertaxe für das betroffene Glied oder Gliedteil angegeben ist. Dies gilt auch dann, wenn die Bewertung der Funktionsunfähigkeit des Restgliedes einen geringeren Invaliditätsgrad ergeben sollte. Anderenfalls würde die von der Gliedertaxe vorgegebene Aufteilung des Glieds in Teilbereiche mit daran geknüpftem festen Invaliditätsgrad bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit unterlaufen.735 Ist z.B. eine Funktionsunfähigkeit des Fußes und damit ein Invaliditätsgrad von 40 % gegeben, so verringert sich dieser nicht deshalb, weil die Bewertung des Restgliedes möglicherweise nur einen 1/2 Beinwert, d.h. 35 % (70 % * 1/2 = 35 %) ergibt. Hat der (Teil-)Verlust oder die (teilweise) Funktions- bzw. Gebrauchsunfähigkeit eines 190 Gliedes auch die (selbständige und unmittelbare) Funktionsbeeinträchtigung eines übergeordneten Gliedteils zur Folge, so ist bei der Invaliditätsbemessung der Gliedertaxwert für das übergeordnete Gliedteil zugrunde zu legen.736 So ist z.B. vom dem Prozentsatz für den Verlust einer Hand (55 %) auszugehen, wenn die versicherte Person neben dem Verlust von Fingern eine zusätzliche Funktionsbeeinträchtigung der Hand (z.B. Versteifung des Handgelenks) erlitten hat.737 Entsprechendes gilt, wenn Auswirkungen im Bereich des (übrigen) Körpers, die nicht von der Gliedertaxe erfasst sind, zu einem weite730 731 732
733
734
OLG Düsseldorf 13.12.2005 RuS 2006 518, 519. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 24. BGH 9.7.2003 VersR 2003 1163, 1164; OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856 f. OLG Düsseldorf 13.12.2005 RuS 2006 518, 519; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 320 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 189; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 37. OLG Nürnberg 19.11.1998 VersR 1999 1485 = RuS 1999 130 = NVersZ 1999 381; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 20; Hauschild S. 77, 78; s.a. BGH VersR 1991 413; OLG Brandenburg 10.3.2005 RuS 2006
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735 736
737
207, 209; LG Bad Kreuznach 21.4.1989 ZfS 1989 424, 425; LG Saarbrücken 24.9.1973 VersR 1974 53, 54; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 486. BGH 17.1.2001 VersR 2001 360. OLG Frankfurt/M. 24.8.2005 VersR 2006 964 = RuS 2007 207; OLG Köln 26.11.1992 RuS 1993 318, 319; LG Köln 28.4.1992 RuS 1994 439. BGH 30.5.1990 VersR 1990 964; OLG Brandenburg 10.3.2005 RuS 2006 207, 209; OLG Nürnberg 19.11.1998 VersR 1999 1485 = RuS 1999 130 = NVersZ 1999 381; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 20; Lehmann/Ludolph 2 S. 25; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 36; a.A. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 74.
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Invaliditätsleistung
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ren (eigenständigen) Gesundheitsschaden führen, der ebenfalls dauerhafte Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Betroffenen nach sich zieht.738 Diese Unfallfolgen sind dann nach allgemeinen Regeln zu bewerten und dem Gliedertaxwert hinzurechnen (Rn. 242 f.). bb) Verlust. Der Begriff Verlust meint die endgültige Trennung des (Teil-)Glieds vom 191 Körper bzw. die saubere Exartikulation unter vollständiger Erhaltung der körpernäheren Gelenkteile.739 Der Verlust des Gliedmaßes oder Körperteils wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Funktionsfähigkeit des verlorenen Gliedes durch eine Prothese ganz oder teilweise wiederhergestellt werden kann.740 Von Prothesen sind Gebrauchshilfen wie Brillen (Rn. 215), Hörgeräte (Rn. 221), Herzschrittmacher u.ä. zu unterscheiden, die eine Verminderung des Leistungsvermögens ausgleichen können. Anders als Körperersatzstücke ersetzen Gebrauchshilfen nicht verlorene Körperteile, sondern setzen gerade eine bestimmte Gebrauchsfähigkeit voraus. Die originalen Körperteile bleiben erhalten, sind gebrauchsfähig und werden auch eingesetzt.741 Bei Gebrauchshilfen liegt die Beeinträchtigung der versicherten Person in einer Funktionsminderung der noch vorhandenen Körperteile sowie den Unbequemlichkeiten und Belastungen, die mit dem Gebrauch von Brillen usw. verbunden sind. Kein Verlust liegt vor bei einer • Replantation, also wenn ein abgetrenntes Glied wieder angefügt und – innerhalb der Dreijahresfrist – voll oder wenigstens teilweise wieder funktionsfähig wird.742 In einem solchen Fall ist indes die verbleibende Funktionsbeeinträchtigung zu beachten.743 Für die versicherte Person besteht in diesem Zusammenhang eine Schadensminderungspflicht (§ 183 a.F., § 9 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 a.E., § 15 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61 a.E.). Da die moderne Medizin den Verlust eines Gliedes häufig verhindern kann, ist die versicherte Person gehalten, das amputierte Glied nach Möglichkeit und Zumutbarkeit zum Zwecke der Replantation zu bergen.744 • Implantation eines Fremdgliedes 745 (bzw. künstlichen Gelenks, Rn. 208). Sollte die Funktionsfähigkeit weiterhin beeinträchtigt sein, so ist diese nach Ziff. 2.1.2.2.1 S. 2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2b AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61) zu bewerten.
cc) Funktionsunfähigkeit. Der Begriff „Funktionsbeeinträchtigung“ entspricht dem 192 der „Gebrauchsbeeinträchtigung“. Das Wort „Gebrauchsunfähigkeit“, das noch in den AUB 61 verwendet wurde, ersetzten die Bedingungsgeber der AUB 88 durch „Funktionsunfähigkeit“, ohne dass damit inhaltliche Änderungen verbunden waren (Rn. 45). Funktions- bzw. Gebrauchsunfähigkeit eines Gliedes liegt vor, wenn es seine natürlichen Aufgaben im Ganzen gesehen nicht mehr erfüllen kann746 bzw. seiner natürlichen Bestim-
738
739
740
OLG Karlsruhe 14.10.2005 VersR 2006 104; OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070 = RuS 2007 117. Fußhoeller VW 1964 688; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 24; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 486. LG Göttingen 11.1.1990 VersR 1990 648, 649; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 19; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 27; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 69; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 191; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38.
741
742 743 744 745 746
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38; s.a. BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582; OLG Köln 22.12.1988 VersR 1989 353, 354; Rassow VersR 1983 893, 894. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 69. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 24. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 19. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 19. OLG Frankfurt/M. 5.9.2001 VersR 2002 560, 561 = NVersZ 2002 118, 119; OLG Köln 22.12.1988 VersR 1989 353; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 19.
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mung gemäß nicht mehr (auch nicht nur teilweise) zum Einsatz gebracht werden kann.747 Dies ist z.B. der Fall, wenn • das Armnervengeflecht der versicherten Person nach einem Motorradunfall ausfällt und deshalb der Arm schlaff und funktionsuntüchtig herabhängt. Die Invalidität entspricht dann in ihrer Bedeutung für den Betroffenen nahezu einer Amputation im Schultergelenk.748 Allein der Umstand, dass der ansonsten funktionsunfähige Arm noch eine Gleichgewichtsfunktion für den Oberkörper hat, begründet dagegen keine Restfunktionsfähigkeit etwa in Höhe von 1/10 Armwert. Anderenfalls könnte der volle Gliedertaxwert nur bei Amputation (Verlust) des Arms, nicht aber bei einer Funktionsunfähigkeit des vorhandenen Arms zur Anwendung gelangen. Dies wird indes der verständige VN dem Wortlaut von Ziff. 2.1.2.2.1 S. 1 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2a AUB 88/94) nicht entnehmen können. Die Gleichsetzung von Verlust und Funktionsunfähigkeit liefe ins Leere.749 • der versicherten Person aufgrund des Sudeck-Syndroms der Gebrauch der Unterschenkel und Füße in einem Maß unmöglich ist, dass er einem Unterschenkel-Amputierten gleichzustellen ist. Dann ist für die Invaliditätsleistung der Wert „Bein bis unterhalb des Knies“ i.H.v. 50 % zugrundezulegen. Kann die versicherte Person sich nur noch auf Knien fortbewegen, wobei sie die Füße nach oben ziehen muss, so steht dieser Annahme nicht entgegen, dass die versicherte Person die Beine im Liegen noch bewegen kann; denn die funktionsgemäße Bestimmung menschlicher Beine ist die Fortbewegung durch Gehen. Umgekehrt entspricht die unvermeidbare Mitbelastung des Schienbeinkopfs beim „Gehen“ auf den Knien nicht dessen natürlicher Funktion und führt deshalb nicht dazu, den Wert von 45 % wegen Funktionsunfähigkeit eines Beins bis zur Mitte des Unterschenkels anzunehmen.750
193
b) Teilverlust und Funktionsbeeinträchtigung. Im Prinzip kann auf die Ausführungen zum vollständigen Verlust bzw. zur völligen Funktionsunfähigkeit verwiesen werden (Rn. 184 ff.). Während allerdings die Gliedertaxwerte auf den vollständigen Verlust oder die vollständige Gebrauchsunfähigkeit bzw. Funktionsbeeinträchtigung abstellen, ist bei teilweisem Verlust oder teilweiser Funktions- bzw. Gebrauchsbeeinträchtigung der entsprechend verringerte Prozentsatz bzw. Bruchteil des vollen Gliedertaxwertes anzunehmen.
194
aa) Teilverlust. Ausgangspunkt für die Bemessung des Teilverlusts nach Ziff. 2.1.2.2.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2b AUB 88/94) ist der in der Gliedertaxe für das gesamte Glied bzw. Gliedteil festgesetzte Prozentsatz. Er stellt bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung die höchstmögliche Grenze des in Betracht kommenden Invaliditätsgrades dar. Zu diesem Gliedertaxwert ist anschließend der Teilverlust ins Verhältnis zu setzen. Es ist konkret zu ermitteln, inwieweit der Teilverlust den in der Gliedertaxe für den vollständigen Verlust angegebenen Maximalwert erreicht. Hat z.B. die versicherte Person einen Teil des Zeigefingers verloren, so ist dieser Verlust in Relation zum Gliedertaxwert für den vollständigen Verlust i.H.v. 10 % zu setzen. Der vom VR zu zahlende Betrag kann mithin höchstens 10 % der vertraglich vereinbarten Invaliditätsleistung betragen.751 Entscheidend für die Bewertung des teilweisen Verlustes ist nicht allein die Länge der verlorenen Teile, sondern das Ausmaß des Funktionsverlustes.752 Im Beispiel
747 748 749 750
OLG Brandenburg 10.3.2005 RuS 2006 207; zust. Marlow RuS 2006 397, 403. Hierholzer/Scheele S. 81, 82. OLG Brandenburg 10.3.2005 RuS 2006 207, 208. OLG München 16.5.2006 VersR 2006 1528 = RuS 2007 208.
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751 752
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 25. LG Bad Kreuznach 21.4.1989 ZfS 1989 424, 425; Lehmann/Ludolph 2 S. 25; Perret S. 32.
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ist deshalb darauf abzustellen, ob und inwieweit die durch die Nägel geschützten vorderen Glieder beeinträchtigt sind, da diese für das Fühlen, Tasten und das Greifen maßgebend sind. So ist es gerechtfertigt, für den Verlust des vorderen und halben mittleren Fingergliedes 3/4 des Fingersatzes anzunehmen.753 Der Vorrang des Verlustes der Funktionsfähigkeit vor der rein mechanisch-messbaren Länge des Gliedmaßenverlustes lässt sich unmittelbar aus der Gliedertaxe ableiten. So ergibt sich z.B. aus dem Verhältnis des Armwertes (70 %) gegenüber dem Handwert (55 %), dass den Funktionen der Hand allein 11/14 des gesamten Armwertes zugemessen werden.754 bb) Funktionsbeeinträchtigung. Üblicherweise wird in der Praxis und Fachliteratur 195 die teilweise Funktions- bzw. Gebrauchsbeeinträchtigung von Gliedmaßen und Sinnesorganen in Bruchteilen der vollen Beeinträchtigung ausgedrückt,755 obwohl es hierfür keine bindende Vorschrift im VVG oder in den AVB gibt.756 Diese Bruchteile hat der VR ins Verhältnis zu den Prozentwerten der Gliedertaxe zu setzen. So bedeutet z.B. „1/4 Armwert“, dass ein Invaliditätsgrad von 17,5 % anzunehmen ist (Armwert i.H.v. 70 % * 1/4 = 17,5 %).757 Diese Vorgehensweise soll vermeiden, dass bei der Berechnung des Invaliditätsgrades „Prozente aus Prozenten“ gerechnet werden und dadurch Verwechslungen oder Missverständnisse resultieren.758 Als Faustformel empfiehlt sich eine Einschätzung auf der Basis der Gradeinteilung von 1/10. Die Gradeinteilung von 1/20 ist auf besonders zu differenzierende Fälle zu beschränken.759 Schätzgrade unter 1/20 sollten dagegen vermieden werden, da sie die Gefahr bergen, eine – nicht gegebene – Messgenauigkeit vorzutäuschen.760 Unzulässig ist es, von der Einschätzung eines MdEGrades auf den Invaliditätsgrad zu schließen (Vorbem. § 178 Rn. 60). Eine MdE von 30 % bedeutet also nicht automatisch eine Funktionsbeeinträchtigung des Armes von 3/7 (3/7 * 70 % Armwert = 30 %). (1) Befunderhebung. Kernstück der ärztlichen Bewertung von Unfallfolgen an Glied- 196 maßen ist die sorgfältige Befunderhebung, wobei die klinische Untersuchung (ggf. mit fotografischer Befunddokumentation und Fertigung von Röntgen-Nativ-Aufnahmen) im Vordergrund steht.761 Bewährt hat sich folgende Reihenfolge:762 • Angaben zur Person (Alter, Körperlänge, Gewicht, Händigkeit), • Inspektion (Betrachtung). Sie darf sich nicht nur isoliert auf die verletzte Körperregion (z.B. Hand), sondern muss sich auch auf die jeweilige Funktionseinheit (z.B. Arm) im Seitenvergleich erstrecken. • Palpation (Betastung). Sie erfasst u.a. den Muskeltonus oder Weichteilschwellungen mit Angabe des Untersuchungszeitpunkts. • Funktionsprüfung (aktiv und geführt) der Beweglichkeit der einzelnen Gelenke mit neurologischer Untersuchung, ggf. ergänzt durch eine nervenärztliche Zusatzbegutachtung. Funktionseinschränkungen an den Extremitäten äußern sich vorrangig durch Einschränkungen der Beweglichkeit, d.h. der Streckfähigkeit sowie der Beuge- und der Dehnfähigkeit. Es kommt entscheidend
753 754 755
OLG Hamm 20.3.1959 VersR 1962 269; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 20. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 36. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 17 und 19; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 75; Lehmann VW 1987 1370; Perret S. 22 und 31; Streck S. 89; Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115, 119; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 487 f.
756 757 758 759 760 761 762
Lehmann/Ludolph 2 S. 11. Reichenbach S. 120. Lehmann/Ludolph 2 S. 12. Hierholzer S. 119, 120. Reichenbach S. 120. Näher hierzu Lehmann/Ludolph 2 S. 12 ff. S.a. Hierholzer/Scheele S. 81, 85.
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auf die exakten Winkelgrade der Beweglichkeit in den einzelnen Gelenken an. Die Messung erfolgt anhand der sog. Neutral-0-Methode. Die Ergebnisse sind in Messblätter einzutragen.763
Die gewonnenen Untersuchungsbefunde sind danach zu gewichten, ob sie objektiv (d.h. keiner Mitwirkung der versicherten Person unterliegen) oder subjektiv (d.h. nicht direkt durch den Gutachter messbar) sind. Weiterhin sind die Befunde auf ihre funktionelle Relevanz hin zu untersuchen.764
197
(2) Bewertung. Die (teilweise) Funktionsunfähigkeit – die Funktionsbeeinträchtigung – ist nach Ziff. 2.1.2.2.1 S. 2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2b AUB 88/94 (s. auch § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 AUB 61) dem (Teil-)Verlust gleichgestellt. Deshalb gelten für die Ermittlung des Invaliditätsgrades vergleichbare Regeln. Insbesondere ist die Prüfung abstrakt und ohne Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen auf die versicherte Person vorzunehmen (Rn. 185 ff.).
198
(a) Ermittlung des Gliedertaxwertes. Zunächst ist der in der Gliedertaxe für die völlige Funktionsunfähigkeit maßgebliche Wert zu ermitteln. Ausgangspunkt ist der jeweilige Höchstsatz, der in der Gliedertaxe für den Verlust bzw. die völlige Funktionsunfähigkeit des betroffenen Gliedes bzw. Gliedteils genannt ist. Nachrangige Gliedertaxwerte bleiben dagegen außer Betracht.765 Hat z.B. eine Verletzung im oberen Oberschenkelbereich zu einer Funktionsbeeinträchtigung des Beines geführt, so ist nicht der Wert bei Verlust eines Beines bis unterhalb des Knies (50 %) oder bis zur Mitte des Unterschenkels (45 %), sondern der Beinwert (70 %) für die weitere Prüfung heranzuziehen. Weiterhin dürfen genauso wenig wie beim Verlust einer Gliedmaße mehrere Funktionsbeeinträchtigungen in einer Extremität einzeln bewertet und dann addiert werden.766 Fehlerhaft wäre es etwa, nach einem Unfall, der zu einem Verlust einer Zehe sowie zu einer eingeschränkten Beweglichkeit des Fußes und des Knies geführt hat, die Invaliditätsgrade für Zehe, Fuß und Bein isoliert zu bewerten. Vielmehr hat die einheitliche Gesamtbewertung anhand des Wertes zu erfolgen, der für die übergeordnete Gliedmaße gilt (im Beispiel erfolgt die Bemessung also nach Beinwert).767 In diesem Maximalwert für das „übergeordnete Ganze“ sind nach der Funktionslogik der Gliedertaxe die Werte für untergeordnete Gliedteile mitberücksichtigt (Rn. 187). Zu beachten ist das Rangordnungsverhältnis bzw. die Funktionskette „Arm – Hand – 199 Finger“ bzw. „Bein – Fuß – Zehen“. Nur wenn die Funktionsbeeinträchtigung über das untergeordnete Gliedmaß hinausgeht, kommt eine Bewertung anhand des Prozentsatzes für das übergeordnete Gliedmaß in Betracht. So kann z.B. bei einer Zehenverletzung nur dann auf den Fußwert abgestellt werden, wenn neben der Zehe auch eine Funktionseinbuße des Fußes zu verzeichnen ist.768 Zur Vermeidung unvernünftiger Ergebnisse ist bei Funktionsbeeinträchtigungen, die über eine Schädigung der Hand oder des Fußes hinausreichen, immer vom Höchstwert der betreffenden Extremität auszugehen. Erstreckt sich z.B. die Verletzung im Handbereich mit ihren funktionellen Folgen auch auf den Unterarm, so ist nicht auf den Verlust des Arms unterhalb des Ellbogengelenks (60 %), sondern auf den Verlust des Arms im Schultergelenk (70 %) Bezug zu nehmen.769 Entspre-
763 764 765
Einzelheiten bei Lehmann/Ludolph 2 S. 14 ff. Hierholzer/Scheele S. 81, 86. OLG Karlsruhe 19.7.2001 VersR 2002 1549; OLG Köln 28.5.2003 RuS 2003 472; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 21.
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766 767 768 769
OLG Brandenburg 10.3.2005 RuS 2006 207, 208. Grewing VW 1965 1039, 1042. Hauschild S. 77, 79. Hierholzer/Scheele S. 81, 83; Riebesell S. 57 f.
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chendes gilt bei einem Speichentrümmerbruch. Es ist der Armwert und nicht der Gliedertaxwert für den „Arm unterhalb des Ellbogengelenks“ maßgebend.770 Hintergrund hierfür ist, dass erstmals mit den AUB 61 neben den Sätzen für den vollständigen Verlust bei Arm, Bein und Fuß auch feste Sätze für den teilweisen Verlust gelten. Die Zwischensätze für Teilverluste, die auf eine Bewertung nach der Größe der vorhandenen Stümpfe ausgerichtet sind, eignen sich nicht für die Bemessung der Funktionsbeeinträchtigung.771 Da es für die Invaliditätsbewertung auf die Funktions- bzw. Gebrauchsfähigkeit 200 ankommt, ist – wie beim Gliedverlust (Rn. 188) – grundsätzlich der Sitz der Verletzungswirkung bzw. die Lokalisation der unfallbedingten (Gesundheits-)Schädigung 772 maßgebend, also die rumpfnächste Stelle, an der sich die Verletzung auswirkt.773 Der Sitz der Verletzung selbst ist dagegen unerheblich.774 Die Unterschiede der Betrachtungsweisen werden anhand der folgenden Gegenüberstellung deutlich: Beispiele 775
Abstellen auf die Verletzungswirkung
Abstellen auf den Verletzungssitz
1 Unterarmbruch führt zu einer Streck- und Beugehemmung im Ellbogengelenk
Maßgebend ist der Gliedertax(teil-)wert für den ganzen Arm (70 %)
Maßgebend ist der Gliedertax(teil-)wert für den ganzen Arm (70 %)
2 Unterarmbruch führt zu einer Krallenstellung der Hand
Maßgebend ist der Gliedertax(teil-)wert für die Hand (55 %)
Maßgebend ist der Gliedertax(teil-)wert für den ganzen Arm (70 %)
Relativierend ist allerdings anzumerken, dass unabhängig davon, ob im zweiten Beispiel der Hand- oder Armwert zugrunde gelegt wird, keine Unterschiede im tatsächlichen Bemessungsergebnis auftreten sollten; denn auch bei Zugrundelegung des Armwertes muss bei einer Funktionseinbuße der Hand der für diese Gliedmaße gemäß Gliedertaxe eingesetzte Höchstbetrag mit in die Bewertung einbezogen werden. Ist etwa die Hand noch teilweise funktionsfähig, so kann auch der anhand des Armwertes ermittelte Invaliditätsgrad nur unter dem für die Hand geltenden Höchstwert angesetzt werden.776 Umgekehrt darf die für das maßgebliche körpernähere Glied ermittelte Funktionsbeein-
770 771
772
773
774
OLG Köln 28.5.2003 RuS 2003 472. Grewing VW 1965 1039, 1040; Perret S. 31; Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115, 119. BGH 23.1.1991 VersR 1991 413; BGH 17.10.1990 VersR 1991 57, 59; OLG Köln 26.11.1992 RuS 1993 318, 319. OLG Köln 28.5.2003 RuS 2003 472; LG Kleve 5.5.1999 RuS 2000 260 f.; Grewing VW 1965 1039, 1042; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 73; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 70; i.E. offenbar auch OLG Hamm 7.2.2001 VersR 2001 1549 = NVersZ 2001 317, 318. OLG Frankfurt/M. 16.10.2002 VersR 2003
775
776
495, 496; OLG Köln 22.12.1988 VersR 1989 353, 354; Grewing Entstehungsgeschichte S. 39; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 21; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 25; Lehmann/Ludolph 2 S. 10 f.; Riebesell S. 58; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 487; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 189; Marlow RuS 2004 353, 359 f. Beispiele nach Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 487; ferner OLG Brandenburg 10.3.2005 RuS 2006 207, 208; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 21. Grewing VW 1965 1039, 1043.
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trächtigung nicht hinter derjenigen zurückbleiben, die für das körperfernere Glied ermittelt wird.777 Die konkrete Prüfung beginnt am Ende der Gliedertaxe, also anhand der untergeord201 neten Gliedmaße (z.B. Finger). Sodann ist zu ermitteln, ob die Funktionseinbuße in der untergeordneten Gliedmaße (Finger) ihre Ursache in der nächst übergeordneten Gliedmaße der Funktionskette hat. Ggf. wird also aus dem Finger- ein Handschaden. Sitzt der Grund für die Funktionseinbuße noch weiter oben, so ist der Invaliditätssatz für die volle Funktionsunfähigkeit (Armwert) zur Bemessung heranzuziehen. Dabei sind ggf. die untergeordneten Gliedertaxwerte mit einzubeziehen. Liegt ein sog. gemischter Invaliditätsschaden vor, ist es also zu einem Verlust einer untergeordneten Gliedmaße und zu einer Funktionsbeeinträchtigung des dieser übergeordneten Gliedes gekommen, dürfen bzw. müssen auch die (von der Größe des Stumpfes abhängigen) Zwischenwerte der Gliedertaxe herangezogen werden. Beispiele: • Hat der Unfall zu einer Funktionsunfähigkeit der Hand und zu einer Einschränkung der Beweglichkeit des Schultergelenks geführt, so kann die Invalidität nur mit einem Satz zwischen mindestens 55 % (Handwert) und höchstens 70 % (Armwert) bemessen werden.778 • Hat die versicherte Person ihr Bein bis zur Mitte des Unterschenkels verloren und zusätzlich eine Kniegelenksversteifung erlitten, so ist der Beinwert (70 %) und nicht etwa der Wert für den Verlust des Beins bis zur Mitte des Oberschenkels heranzuziehen. Die Untergrenze des festzusetzenden Invaliditätsgrades wird indes durch den Verlust des Unterschenkels i.H.v. 45 % festgelegt.779 Ähnlich liegt der Fall, in dem eine Funktionsunfähigkeit der Beine bis unterhalb der Knie (Taxwert = 50 %) und weitere Beeinträchtigungen über der Mitte des Oberschenkels zu verzeichnen sind. Wird hier der Beinwert von 70 % als Ausgangswert zugrunde gelegt, so kann die Invalidität nicht etwa mit 35 % bewertet werden. Vielmehr ist die Untergrenze für den Invaliditätsgrad auf 50 % festzusetzen; denn ein Mehr an Verletzung kann nicht zu einem Weniger an Leistung führen.780
202
Das Abstellen auf den Sitz der Verletzungswirkung darf nicht dazu verleiten, stets den höchsten Prozentsatz innerhalb einer abgrenzbaren Funktionseinheit (Hand oder Fuß) oder der gesamten Gliedmaße (Arm oder Bein) zu wählen. Genauso wie beim Verlust bzw. bei der Funktionsunfähigkeit (Rn. 188 ff.) ist bei der Prüfung von Funktionsbeeinträchtigungen zwischen bloßen Ausstrahlungen und zusätzlichen (selbständigen) Funktionseinbußen an rumpfnäheren Gliedmaßen zu differenzieren;781 denn in den Gliedertaxwerten ist bereits mitberücksichtigt, wie sich eine unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigung eines rumpfferneren Körperteils auf den verbleibenden Gliedrest auswirkt.782 Letztlich bedarf es einer wertenden Beurteilung des Arztes anhand des Einzelfalls. So sind in der Regel bleibende Unfallfolgen nach Knochenbrüchen an Unterarm- bzw. Unterschenkel (auch Knöchelbrüche) als Funktionsbeeinträchtigung des Arms bzw. des Beins einzuschätzen. Primärverletzung im Hand- und Fußbereich werden dagegen nur in Ausnahmefällen zu einer Funktionsbeeinträchtigung der gesamten Gliedmaße (Arm oder Bein) führen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Folgen an den körpernah gelegenen Gliedabschnitten das übliche Ausmaß weit überschreiten.783
777 778 779 780 781
OLG Köln 28.5.2003 RuS 2003 472. Grewing VW 1965 1039, 1042. Grewing VW 1965 1039, 1042. OLG München 16.5.2006 VersR 2006 1528 f. = RuS 2007 208. BGH 23.1.1991 VersR 1991 413; BGH 17.10.1990 VersR 1991 57, 58 f.; BGH
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30.5.1990 VersR 1990 964 = RuS 1990 393, 394. OLG Düsseldorf 1.7.1998 VersR 1999 880 = NVersZ 1999 379; OLG Köln 26.11.1992 RuS 1993 318, 319. Reichenbach S. 121.
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Invaliditätsleistung
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(b) Relation zwischen Maximalwert und Funktionsbeeinträchtigung. Steht der maß- 203 gebliche Gliedertaxwert fest, so ist die Funktionsbeeinträchtigung in Relation zu diesem abstrakten Maximalwert für vollständige Funktionsunfähigkeit zu setzen. Maßgebend für die Quotierung ist, ob und in welchem Umfang das Glied oder das Sinnesorgan seine natürlichen Aufgaben (noch) zu erfüllen vermag.784 Ist etwa der Beinwert zugrunde zu legen, so ist zu ermitteln, welche wesentlichen Funktionen des Beins – im Vergleich zum vollständigen Beinverlust – erhalten geblieben sind. Bei Erhalt der Geh- und Stehfunktion wird der Beinwert mit weniger als 1/2 anzusetzen sein.785 Im Rahmen einer Gesamtschau sind alle Funktionsdefizite einzubeziehen, die an der 204 vom Unfall betroffenen „Funktionseinheit“ zu objektivieren sind; unzulässig ist m.a.W. die isolierte Betrachtung einzelner unfallbedingter Einschränkungen. So kann z.B. bei einer Verletzung des Oberarms, die zu einer Einschränkung der Beugefähigkeit im Ellenbogengelenk um die Hälfte geführt hat, nicht einfach ein Armwert von 1/2 angenommen werden, da dann andere Funktionen am Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk außer Betracht bleiben. Vielmehr ist der Grad der Funktionsbeeinträchtigung entsprechend niedriger als 1/2 einzustufen.786 Zur Bewertung der zur teilweisen Invalidität führenden Verletzungen werden in der 205 Praxis Empfehlungen in Tabellenform ausgesprochen.787 Bei diesen Bewertungsempfehlungen handelt es sich nicht um allgemein verbindliche Normen.788 Ihnen kommt – anders als der Gliedertaxe – auch nicht der Charakter von AGB zu,789 und zwar schon deshalb, weil sie gar nicht Vertragsgrundlage geworden sind. Die Tabellen stellen vielmehr praktikable Hilfsmittel i.S.e. Richtlinie zur Gleichbehandlung aller versicherter Personen dar,790 wenn sie unter Berücksichtigung der Wertungen der AUB den Erfahrungen zur Bemessung von Funktionsbeeinträchtigungen entsprechen.791 Insofern ist ihre Verwendung durch VR und Ärzte grundsätzlich unbedenklich.792 Sie darf allerdings nicht dazu führen, dass es an der gebotenen individuellen Einschätzung des jeweiligen Sachverhalts – unter vorrangigem Abstellen auf die Vorgaben der Gliedertaxe – fehlt.793 So verbieten sich etwa pauschale Empfehlungen, wenn es nach einer abgelaufenen Sudeck’schen Dystrophie (§ 188 Rn. 2) zu Funktionseinbußen kommt.794 c) Einzelfälle. Die Gliedertaxe ist abschließend. Nur für die dort genannten Glieder 206 und Organe ist ein fester Invaliditätsgrad vereinbart. Die Annahme bzw. Schaffung von Taxwerten für Körperteile oder Sinnesorgane, deren Verlust oder Funktionsfähigkeit in
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BGH 17.10.1990 VersR 1991 57, 58; Hauschild S. 77; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 25; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 72. OLG Düsseldorf 1.7.1998 VersR 1999 880, 881= NVersZ 1999 379. Lehmann/Ludolph 2 S. 11. Lehmann/Ludolph 2 S. 19 ff. (für Verletzungsfolgen am Arm und Bein), S. 26 f. (für Verletzungsfolgen an den Fingern); Perret S. 22 ff.; Reichenbach S. 155 ff.; Schröter S. 107, 116 (für Verletzungsfolgen an Fingern); Streck S. 89, 96 ff. (für Verletzungsfolgen an unteren Extremitäten); Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 488 ff.
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Rassow VersR 1983 893, 894. BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 22; s.a. OLG Frankfurt/M. 5.9.2001 VersR 2002 560, 561 = NVersZ 2002 118, 119. BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 20; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 186; Rassow VersR 1983 893, 894. Hierholzer/Scheele S. 81, 84; s.a. BGH 24.1.1996 VersR 1996 493, 494 = RuS 1996 157. Lehmann/Ludolph 2 S. 31.
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der Gliedertaxe nicht geregelt ist (z.B. Niere), ist ausgeschlossen.795 Hier ist 2.1.2.2.2 AUB 99/2008 maßgebend.
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aa) Gelenke. Die Bezeichnung „Fußgelenk“ in der Gliedertaxe (AUB 88/94/99/2008) ist medizinisch ungenau. Gemeint ist das obere Sprunggelenk, da unterhalb dieses Gelenks anatomisch der Fuß beginnt.796 Bleibt zweifelhaft, ob bei einer Beeinträchtigung des oberen Sprunggelenks der Bein- oder Fußwert zugrunde zu legen ist, muss aufgrund der Unklarheitenregel (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 81) der Invaliditätsgrad anhand der für den VN günstigeren Auslegung ermittelt werden.797 Vergleichbare Ungenauigkeit bestehen für die Wortwahl „Hand- und Schultergelenk“ nicht.798
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(1) Künstliche Gelenke. Nicht als Prothesen (Rn. 191) gelten künstliche Gelenke. Sie sind vielmehr den Gebrauchshilfen (z.B. Brille, Hörgerät, Gehstock) gleichzusetzen;799 denn anders als bei der Verwendung einer körperfremden (nicht implantierten) Prothese anstelle einer verlorenen bzw. amputierten Gliedmaße (z.B. Bein) geht es bei der Implantation eines künstlichen Gelenks (z.B. Hüftgelenks) um die Frage der dauerhaften Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit einer vorhandenen Gliedmaße. Für die Invaliditätsbewertung folgt daraus, dass – ähnlich wie bei der Verwendung von Sehhilfen (Rn. 214 ff.) – zum einen entscheidend ist, ob und inwieweit der Gebrauch des künstlichen Gelenks nach ärztlicher Prognose zu einer dauerhaften Besserung beiträgt bzw. trotz des künstlichen Gelenks Beeinträchtigungen bei der versicherten Person verbleiben. So ist etwa bei einer unfallbedingten (erfolgreichen) Einsetzung einer Hüftgelenkprothese der Invaliditätsgrad nicht mit dem Totalverlust des Beines gleichzusetzen, sondern nach dem Umfang der verbleibenden Funktionsbeeinträchtigung des Beines mit ca. 1/5 bis 2/5 des Beinwertes zu bemessen.800 Würde dagegen der volle Beinwert anzusetzen sein, so hätte dies zur Folge, dass eine Invalidität entgegen der realen Gegebenheit zu Lasten der Versichertengemeinschaft fingiert würde. Kann die Funktionsbeeinträchtigung mit vorhandenem künstlichen Gelenk nicht beseitigt bzw. gemildert oder der dauerhafte Erfolg der Implantation nicht innerhalb der Dreijahresfrist (§§ 180 S. 2, 188 Abs. 1) ermittelt werden, so ist von dem Zustand ohne Operation auszugehen.801 Zum anderen sind die mit der Tatsache der Implantation verbundenen sonstigen Belastungen der versicherten Person als Funktionsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen.802
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(2) Gelenkversteifungen. Neuere Rechtsprechung des BGH zum Themenbereich vollständige bzw. teilweise Gelenkversteifungen machte es notwendig die AUB 88/94/99 anzupassen. Die Gliedertaxe der AUB 99 hat deshalb inzwischen Änderungen erfahren. Vollständige Gelenkschädigung: Anders als in den AUB 61 (Rn. 13) ist die Funktions210 unfähigkeit in den AUB 88/94/99 dem Verlust gleichgestellt. Dies zieht die kontrovers diskutierte Frage nach sich, ob im Fall von Gelenkversteifungen etwa verbleibende Rest-
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800
OLG Celle 13.9.2007 VersR 2007 1688 = NJW-RR 2008 345, 346 = RuS 2008 254. Lehmann/Ludolph MedSach 2007 45, 46. BGH 18.5.2009 VersR 2009 975 f. Rn. 9. Lehmann/Ludolph MedSach 2007 45, 46 f. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 191; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38. OLG Frankfurt/M. 30.11.2005 VersR 2006 1488 = NJW-RR 2006 533 = RuS 2006 467,
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468 (dort 7/20); OLG Köln 22.12.1988 VersR 1989 353, 354; näher zur Bewertung etwa Perret S. 32 f. BGH 11.12.1991 NJW-RR 1992 414; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 27. BGH 28.2.1990 VersR 1990 478, 479; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 191.
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Invaliditätsleistung
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funktionsfähigkeiten des betroffenen Gliedes insgesamt leistungsmindernd zu berücksichtigen sind oder bereits – bei isolierter Betrachtung – die (vollständige) Funktionsunfähigkeit nur des Schulter-, Hand- oder Fußgelenks ausreichend ist, um eine „Funktionsunfähigkeit“ eines Arms, einer Hand oder eines Fußes „im (jeweiligen) Gelenk“ i.S.d. Gliedertaxe anzunehmen. Die Entscheidung hierzu hat durchaus praktische Relevanz, wie das folgende Beispiel zeigt: Hat die versicherte Person eine unfallbedingte Handgelenkversteifung erlitten und wird diese (rechtlich) einer Funktionsunfähigkeit der „Hand im Handgelenk“ gleichgesetzt, so ist nach der Gliedertaxe ein Invaliditätsgrad in Höhe von 55 % zu entschädigen, sofern nicht noch zusätzlich Progressions- oder Mehrleistungsmodelle zu berücksichtigen sind. Fließen dagegen verbleibende Funktionsfähigkeiten der Hand (Einzelfunktionen der Hand wie Tasten, Fühlen und Bewegen sowie die Beweglichkeit der Finger), Greiffähigkeit der Hand oder Gebrauchsmöglichkeiten der Finger mit in die Erwägungen ein, wird also nicht nur auf das Handgelenk als solches, sondern die Hand insgesamt abgestellt, so liegt der Invaliditätsgrad in aller Regel (deutlich) unter 55 %.803 Der BGH vertritt – entgegen der bis zu seiner Entscheidung wohl h.M. in der Rechtsprechung 804 und der üblichen Schadenregulierungspraxis 805 – die für den VN günstigere Auffassung. Bei (vollständigen) Gelenkversteifungen sei stets der Invaliditätsgrad für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit der entsprechenden Gliedmaße „im -gelenk“ anzunehmen.806 Zur Begründung stützt sich das Gericht auf die Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB, § 5 AGBG; Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 81).807 Konsequenz dieser Ansicht ist, dass einerseits im Beispielfall bei der Bestimmung der entschädigungspflichtigen Invalidität der ungeschmälerte Handwert (55 %) zugrunde zu legen ist, andererseits etwa im Fall einer unfallbedingten Handamputation beim Abzug einer Vorinvalidität aufgrund einer bereits vor dem Unfall bestehenden Handgelenksversteifung verbliebene Restfunktionen der Hand unberücksichtigt bleiben.808 Überzeugend ist der Ansatz des BGH nicht.809 Die Gliedertaxe ist vielmehr so zu lesen, dass nur die (vollständige) Funk-
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Knappmann VersR 2003 430. OLG Bamberg 17.10.2002 RuS 2003 380; OLG Frankfurt/M. 16.10.2002 VersR 2003 495 f.; OLG Frankfurt/M. 5.9.2001 VersR 2002 560 f. = NVersZ 2002 118 f. (der BGH hat die Revision gegen dieses Urteil mit Beschluss vom 2.10.2002 – IV ZR 222/01 nicht angenommen. Dies war aufgrund des Urteils BGH 17.1.2001 VersR 2001 360 überraschend. Aus dem nicht begründeten Nichtannahmebeschluss kann indes für die Zukunft nichts abgeleitet werden, da der BGH inzwischen seine Ausgangsentscheidung aus dem Jahr 2001 mehrfach bestätigt und in diesem Zusammenhang ausdrücklich festgehalten hat, dass er an dem nicht begründeten Nichtannahmebeschluss nicht festhält, soweit sich etwas anderes aus ihm ergibt; BGH 24.5.2006 VersR 2006 1117, 1118 Rn. 19 = NJW-RR 2006 1323, 1324 = RuS 2006 387, 388); LG Kleve 5.5.1999 RuS 2000 260 f. Lehmann/Ludolph MedSach 2007 45, 47; Reichenbach/Lehmann VersR 2002 301, 302.
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BGH 12.12.2007 VersR 2008 483 Rn. 4 = NJW-RR 2008 474 = RuS 2008 211; BGH 24.5.2006 VersR 2006 1117 f. Rn. 11 ff.; BGH 9.7.2003 VersR 2003 1163, 1164 f.; BGH 17.1.2001 VersR 2001 360 f.; zust. Kloth Rn. G 87; Schubach ZfS 2005 224, 228; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 24; ferner OLG Düsseldorf 13.12.2005 RuS 2006 518, 519; OLG Hamm 7.11.2001 VersR 2002 747 = NVersZ 2002 214; a.A. Knappmann VersR 2003 430, 431 f.; Lehmann/Ludolph MedSach 2007 45 ff.; Reichenbach/Lehmann VersR 2002 301, 302. BGH 24.5.2006 VersR 2006 1117, 1118 Rn. 18 ff.; BGH 9.7.2003 VersR 2003 1163, 1164; ferner BGH 18.5.2009 VersR 2009 975 f. Rn. 9; Terno DAR 2005 314, 318; a.A. OLG Frankfurt/M. 16.10.2002 VersR 2003 495, 496; OLG Frankfurt/M. 5.9.2001 VersR 2002 560, 561. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 24. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 20; zweifelnd auch Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 190.
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tionsunfähigkeit des gesamten Arms bzw. Fußes oder der gesamten Hand „bis zu“ bzw. „ab der“ bezeichneten Stelle, nicht aber schon die („punktuelle“) „im“ jeweiligen Gelenk lokalisierte Funktionsunfähigkeit den entsprechenden Invaliditätsgrad begründet; verbleibende Fähigkeiten des „Gesamtgliedes“ sind vielmehr anspruchsmindernd zu berücksichtigen, sofern sie nicht nur unter Schmerzen ausgeübt werden können.810 Dies ergibt eine Auslegung der Gliedertaxe, die auch ein verständiger „Durchschnitts-VN“, dessen Sichtweise maßgebend ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57), leisten kann.811 Richtig ist es zwar, dass durch die uneingeschränkte Gleichsetzung des Verlustes und der Funktionsunfähigkeit der reine Wortlaut der Klausel, nämlich die Wendung „Funktionsunfähigkeit im -gelenk“, auch den Schluss zulässt, dass bereits bei einer Gelenkversteifung derjenige Invaliditätsgrad anzunehmen ist, der bei einem „Verlust“ des Arms, der Hand oder des Fußes im Gelenk zugrunde zu legen ist.812 Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass in der Gliedertaxe nicht nur „im Gelenk“ formuliert, sondern auch die Wendung „bis“ (z.B. oberhalb des Ellbogengelenks) verwendet wird. Während das Wort „bis“ auf Gliedabschnitte hindeutet, lässt im Gegensatz dazu das Wort „im“ für sich genommen auf eine Lokalisierung der Funktionsunfähigkeit gerade im Gelenk schließen. Hinzu kommt, dass die Bedingungen einleitend zur Darstellung der Gliedertaxwerte auf die Ausschließlichkeit der Gliedertaxe hinweisen.813 Der zur Mehrdeutigkeit führenden Auslegung des Wortlautes steht ferner auch nicht entgegen, dass es nicht mit dem Willen der Bedingungsverfasser in Einklang steht, Gelenkversteifungen einem Verlust von Gliedmaßen gleichzustellen;814 denn auf die Motive der Bedingungsgeber kommt es nicht an (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Deshalb ist auch der Umstand unerheblich, dass in § 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61 keine Gleichstellung von Verlust und Gebrauchsunfähigkeit (bzw. Funktionsunfähigkeit) vorgesehen ist, sondern § 8 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61 bestimmt, dass die vollständige Gebrauchsunfähigkeit nach dem für den Verlust geltenden Satz zu bemessen ist.815 Entscheidend ist jedoch, dass das reine Wortlautverständnis dem erkennbaren Sinn und Zweck der Gliedertaxe sowie den medizinischen Gegebenheiten offensichtlich widerspricht. Es führt zu geradezu unsinnigen Ergebnissen.816 Mögliche Auslegungszweifel hinsichtlich der Formulierung „im … Gelenk“ lassen sich bei verständiger Gesamtbetrachtung der Gliedertaxe auch durch einen juristischen Laien beseitigen. Er wird erkennen, dass eine Formulierungsschwäche oder eine Formulierungsungeschicklichkeit der Bedingungsgeber vorliegt.817 Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass sich dem VN die versicherungswirtschaftliche oder medizinische Rechtfertigung der pauschalisierenden Bewertung des Invaliditätsgrades nicht ohne weiteres erschließt.818 Zum einen ist die Gliedertaxe darauf ausgerichtet, dass der Invaliditätsgrad mit der Rumpfnähe der betroffenen Teilbereiche ansteigt. Diese Abstufung trägt den zunehmenden Auswirkun-
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So lag der Fall in BGH 17.1.2001 VersR 2001 360. OLG Frankfurt/M. 16.10.2002 VersR 2003 495, 496; Knappmann VersR 2003 430, 431; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 24. OLG Hamm 7.11.2001 VersR 2002 747. BGH 9.7.2003 VersR 2003 1163, 1164; ferner OLG Karlsruhe 14.10.2005 VersR 2006 104, 105 = RuS 2006 209 = NJW-RR 2006 249 f. So aber Reichenbach/Lehmann VersR 2002 301, 302.
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Knappmann VersR 2003 430, 431. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 24; Lehmann/Ludolph MedSach 2007 45, 47; Reichenbach/Lehmann VersR 2002 301, 302; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 20. Knappmann VersR 2003 430, 431. So aber BGH 9.7.2003 VersR 2003 1163, 1164; ferner OLG Karlsruhe 14.10.2005 VersR 2006 104, 105.
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Invaliditätsleistung
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gen des jeweiligen Teilgliedverlustes oder der jeweiligen Teilgliedfunktionsunfähigkeit auf die generelle Leistungsfähigkeit der versicherten Person Rechnung. Daraus lässt sich ableiten, dass es bei der Wendung „im … -gelenk“ ebenso wie bei der Abgrenzung „bis zum“ auf die gesamte Funktions(un)fähigkeit der betroffenen Gliedmaßen ankommt.819 Ist z.B. für die Funktionsunfähigkeit des Armes im Schultergelenk 70 % anzusetzen, so ist der Sprung zu dem Invaliditätsgrad für eine Funktionsunfähigkeit der Hand im Handgelenk mit 55 % nur sinnvoll, wenn nicht nur das Schultergelenk lokal betroffen, sondern Funktionsunfähigkeit des restlichen Arms vorausgesetzt ist. Sollte es tatsächlich nur auf die Beeinträchtigung des Gelenks ankommen, so ist auch für einen medizinischen Laien nicht nachvollziehbar, warum für eine Versteifung des Schultergelenks ein um 15 % höherer Invaliditätsgrad anzusetzen ist als für eine Versteifung des Handgelenks. Einem aufmerksamen VN wird zum anderen nicht die Unlogik entgehen, wenn z.B. bei einer Fußgelenkversteifung derselbe Invaliditätsgrad anzusetzen ist wie bei einer Amputation des Fußes ab dem Fußgelenk.820 Hier liegen evident unterschiedliche Versicherungsrisiken vor, die nicht durch eine rein am Wortlaut „klebende“ Auslegung gleichbehandelt werden können. Beide Beeinträchtigungen sind schlechthin nicht vergleichbar. Bei einer „bloßen“ Gelenkversteifung bleiben wichtige Funktionen des Fußes erhalten. So kann die versicherte Person weiterhin stehen; auch benötigt sie keine Prothese.821 Die Auslegung des BGH führt dazu, dass einige Verletzte zu Lasten der übrigen VN ohne anzuerkennenden Grund bevorzugt werden. Dies wird ein aufmerksamer VN erkennen. Er wird deshalb eine Auslegung wählen, die sachgerechte Lösungen erlaubt.822 Teilweise Gelenkschädigung: Ähnlich kontrovers wie die vorstehende Fallgruppe lässt 211 sich die Frage diskutieren, ob bei einer teilweisen Gelenkschädigung ausschließlich auf die verbleibenden Funktionalitäten des betroffenen Gelenks abzustellen ist oder auch noch vorhandene Funktionalitäten der rumpfferneren (Teil-)Glieder zu beachten sind. Auch hier ist eine Entscheidung nicht akademischer Natur, wie das folgende Beispiel belegt: Hat die versicherte Person eine unfallbedingte Beeinträchtigung des Schultergelenks mit der Folge erlitten, dass die Restfunktionalität des Schultergelenks nur noch 20 % beträgt, so ist von einem Invaliditätsgrad in Höhe von 56 % (70 % Armwert * 8/10) auszugehen, wenn isoliert auf das Schultergelenk abgestellt wird. Anders fällt dagegen das Urteil aus, wenn die gesamte verbleibende Funktionsfähigkeit des Armes in die Erwägungen mit eingestellt wird. Dann liegt der Invaliditätsgrad in der Regel niedriger, z.B. – eine Restfunktionalität des gesamten Armes von 40 % unterstellt – bei einem Invaliditätsgrad von 42 % (70 % Armwert * 6/10). Wird bei solchen Sachverhalten die Intention des BGH zugrunde gelegt,, die Formulierung in der Gliedertaxe „Funktionsunfähigkeit … im -gelenk“ als unklar zu bewerten, so ist konsequenterweise auch bei teilweisen Gelenkschädigungen ausschließlich auf die Restfunktionalität des Gelenks und nicht auch die der rumpfferneren (Teil-)Glieder abzustellen.823 Die Anwendung der Unklarheitenregel ist nach der hier vertretenen Auffassung indes nicht geboten. Der verständige VN ist (noch) in der Lage zu erkennen, dass eine Beeinträchtigung des Schultergelenks in Relation zum ganzen Arm gesehen werden muss, damit eine Verhältnismäßigkeit zu den Invaliditätsgraden bei Verlust eines (Teil-)Gliedes gewahrt wird.
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Dies räumt auch BGH 9.7.2003 VersR 2003 1163, 1165 ein. OLG Bamberg 17.10.2002 RuS 2003 380; Lehmann/Ludolph MedSach 2007 45, 47; Reichenbach/Lehmann VersR 2002 301, 302. Reichenbach/Lehmann VersR 2002 301, 302.
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Knappmann VersR 2003 430, 431; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 20. OLG Karlsruhe 14.10.2005 VersR 2006 104, 105 = RuS 2006 209 f. = NJW-RR 2006 249 f.
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AUB 2008 Ziff. 2.1 212
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Ableitungen: Da nicht zu erwarten ist, dass der BGH seine Auffassung ändern wird, ist für die Praxis letztlich die Streitfrage zur Auslegung „Funktionsunfähigkeit … im -gelenk“ entschieden. Folgerichtig mussten die Bedingungsgeber für Neuverträge mit einer Änderung der AUB reagieren. Hier kam es etwa in Betracht, sich an der ursprünglichen Formulierung in den AUB 61 zu orientieren.824 Der GDV hat einen anderen Weg gewählt und den VR folgende (kursiv hervorgehobene) Änderungen zu Ziff. 2.1.2.2.1 AUB 99 vorgeschlagen: „Bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, die folgenden Invaliditätsgrade: Arm 70 % … Hand 55 % … Fuß 40 % … Bei Teilverlust oder teilweiser Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.“
Ziff. 2.1.2.2.1 S. 1 AUB 2008 hat diese bereits zu den AUB 99 angeregten Veränderungen beibehalten. Verzichtet wurde allerdings auf die Worte „völliger“ und „teilweiser“. Sie können zwar der Klarstellung dienen, sind jedoch nicht zwingend erforderlich. I.E. wird es damit möglich sein, wieder auf die Richtwerte zur Beurteilung von Gelenkversteifungen zurückzugreifen, die sich vor den BGH-Urteilen in der Gutachtenpraxis entwickelt haben. Danach gilt:825
213
Versteifung von Schultergelenk und Schultergürtel
11/20 Armwert
38,5 % Invalidität
Versteifung des Schultergelenks in Gebrauchsstellung bei freier Beweglichkeit im Schultergürtel
4/10 Armwert
28 % Invalidität
Versteifung des Handgelenks in Streckstellung
4/10 Handwert
22 Invalidität
Versteifung des Handgelenks in günstiger Stellung
3/10 Handwert
16,5 % Invalidität
Versteifung (knöchern durchbaut) des oberen Sprunggelenks und unteren Sprunggelenks in Gebrauchsstellung
6/10 Fußwert
24 % Invalidität
Versteifung (knöchern durchbaut) des oberen Sprunggelenks in Gebrauchsstellung
4/10 Fußwert
16 % Invalidität
bb) Augen. Mit dem Begriff „Funktions- bzw. Gebrauchsfähigkeit des Auges“ ist das Sehvermögen der versicherten Person gemeint. Der Begriff umfasst alle Funktionen des
824
Reichenbach/Lehmann VersR 2002 301, 302, die zudem empfohlen haben, den Terminus „Fußgelenk“ in der Gliedertaxe durch den anatomisch korrekteren Begriff des „oberen Sprunggelenks“ abzulösen.
656
825
Lehmann/Ludolph MedSach 2007 45, 46; s.a. die Bewertungsempfehlungen für Versteifungen bei Hierholzer/Scheele S. 81, 83 f.; Schröter S. 107, 112.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Auges wie Visus (Sehschärfe), Gesichtsfeld, Farb-, Hell- und Dunkelsehen.826 Funktionsbzw. Gebrauchsbeeinträchtigungen des Auges können deshalb nicht einfach auf die Minderung der Sehschärfe reduziert werden.827 So bedeutet z.B. ein Visuswert von 5/10 nicht zugleich, dass die Funktionsfähigkeit des betroffenen Auges um die Hälfte herabgesetzt ist.828 (1) Sehhilfen. Nutzt die versicherte Person eine Sehhilfe bzw. Gebrauchshilfe (Brille, 214 Kontaktlinsen u.ä.) zum Ausgleich der unfallbedingten Augenverletzung, so sind zwei Punkte zu unterscheiden: (a) Verringerung der Sehschärfe. Bei der Bewertung der Sehschärfe ist nach einer 215 Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 1983 entscheidend, ob und wieweit diese durch eine Sehhilfe ausgeglichen werden kann.829 Es kommt allein auf den „Visuswert cum correctione“ an. Es ist m.a.W. von der optimal verträglichen Korrektur durch eine Sehhilfe auszugehen. Der sog. Visus naturalis (sine correctione) – der ohne optische Korrektur ermittelte Wert – hat für die Invaliditätsbemessung dagegen keine Bedeutung.830 Erlangt also das Auge mit verträglicher Korrektur volle Sehschärfe, so ist das Auge insofern voll funktionsfähig. Die unfallbedingte Einschränkung der Sehkraft bleibt bei der Invaliditätsbemessung außer Betracht.831 Die Sehhilfe unterscheidet sich gerade dadurch von anderen Hilfsmitteln (insbesondere Prothesen bzw. „Körperersatzteilen“, Rn. 191), dass die versicherte Person das Auge selbst und nicht ein körperfremdes Teil gebrauchen kann; ohne Gebrauch der Augen würde auch die Sehhilfe nichts nutzen.832 Teilinvalidität ist m.a.W. allein durch die verringerte Sehkraft nur dann begründet, wenn sie sich nicht durch eine Sehhilfe vollständig beseitigen lässt. Dagegen bleibt die bloße Möglichkeit einer chirurgischen Behandlung der Hornhaut (LASIK-Operation) für die Invaliditätsbemessung außer Betracht, wenn ein Auge mit bis dahin intaktem Sehvermögen erstmals infolge eines Unfalls beeinträchtigt wird.833 Den VN trifft keine Obliegenheit zur Duldung eines solchen Eingriffs. Der durch einen Unfall Betroffene muss sich keiner Operation unterziehen, wenn eine weniger eingriffsintensive Methode wie z.B. das Tragen einer Brille oder Kontaktlinse zum Ausgleich der Funktionsbeeinträchtigung des Auges zur Verfügung steht (s.a. Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 46). (b) Sonstige Beeinträchtigungen. Die Funktionsbeeinträchtigung des Auges ergibt sich 216 nicht allein aus dem („irreparablen“) Unterschied zwischen korrigiertem Visus und der
826
827 828 829
Gramberg-Danielsen/Mewe/Thomann Der Augenarzt 1982 196; Thomann/GrambergDanielsen VW 1983 234, 235; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38; s.a. Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 309 S. 492. LG Göttingen 7.2.1962 VersR 1963 1017, 1018; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 27. BGH 10.10.1966 VersR 1966 1133, 1134; Lehmann/Ludolph 2 S. 38. BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582 (s.a. BGH 30.9.2009 VersR 2009 1651); OLG Düsseldorf 30.1.2009 VersR 2009 774 = RuS 2009 475; OLG Düsseldorf 30.3.2004 VersR 2005 109, 110 = RuS 2006 163, 164 = NJW-RR 2004 1614; Rassow VersR 1983 893, 894.
830
831 832
833
Lehmann/Ludolph 2 S. 40; s.a. bereits Gramberg-Danielsen/Mewe/Thomann Der Augenarzt 1982 196, 198; Thomann/Gramberg-Danielsen VW 1983 234, 236. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 72; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 191. BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582; bestätigt durch BGH 28.2.1990 VersR 1990 478, 479; ferner OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347, 348 = RuS 2007 429, 430; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 27; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38. OLG Düsseldorf 30.1.2009 VersR 2009 774, 775.
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Unfallversicherung
vollen Sehschärfe. Selbst wenn die Sehschärfe durch eine Sehhilfe vollständig wieder hergestellt werden kann, folgt eine Funktionsbeeinträchtigung immer noch aus den Unannehmlichkeiten und Belastungen, die mit der Verwendung des Hilfsmittels generell verbunden sind.834 In diesem Zusammenhang sind folgende Umstände zu nennen:835 • Die versicherte Person muss die Sehhilfe tragen; • die versicherte Person muss die Sehhilfe auf- und absetzen bzw. einsetzen sowie bei Bedarf – z.B. je nach Kurz- oder Weitsichtigkeit oder Lichtverhältnissen – wechseln; • der versicherten Person steht die Sehhilfe nicht ununterbrochen 24 Stunden am Tag zur Verfügung, sondern muss beim Schlafen, beim Baden, beim Reinigen, zum Sport, zur Reparatur usw. abgelegt werden; • die Sehhilfe ist anfällig. Sie kann z.B. verschmutzen, beschlagen, Spiegelungen oder Verzerrungen erzeugen, beschädigt werden oder verloren gehen; • die Sehhilfe erzeugt mechanische Belastungen für die versicherte Person (Gewicht der Brille, Druck auf der Nase usw.) • die Abhängigkeit von der Brille kann bei der versicherten Person psychische Belastungen hervorrufen.
Diese – auch bei Vollkorrektur der Sehschärfe – bestehenden Belastungen und Unannehmlichkeiten begründen eine (wenn auch häufig geringfügige) Minderung der Funktionsfähigkeit des Auges, die angemessen bei der Invaliditätsfeststellung zu berücksichtigen ist (sog. Brillenzuschlag). Die Obergrenze des Invaliditätsgrades liegt bei dem Wert, der für die unkorrigierte Gebrauchsminderung des Auges anzunehmen ist.836 Es besteht – auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Fortschritte in der Brillen- und Kontaktlinsentechnik – keine Veranlassung von den vorstehenden Grundsätzen abzugehen. So fallen die mit dem Tragen einer Brille oder von Kontaktlinsen verbundenen Beeinträchtigungen auch dann ins Gewicht, wenn es sich um moderne Kontaktlinsen handelt, die jeweils 30 Tage ununterbrochen im Auge verbleiben können. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder Mensch den Gebrauch solcher Sehhilfen verträgt. Des Weiteren entfallen die mit der Reinigung, Desinfizierung und erneuter Einsetzung der Linsen einhergehenden Belastungen nicht vollständig. Zwar nimmt die Häufigkeit dieser Vorgänge ab, sie müssen jedoch wegen des Infektionsrisikos besonders sorgfältig ausgeführt werden. Schließlich bleiben die psychischen Belastungen bestehen, die u.a. durch die Abhängigkeit von der Sehhilfe oder der Gefahr von Beschädigung und Verletzung durch die Linsen hervorgerufen werden.837 Eine Minderung gegenüber dem Augenwert in der Gliedertaxe oder gar ein Wegfall 217 der Funktionsbeeinträchtigung des Auges ist – in Form einer vom VR zu beweisenden Vorinvalidität (vgl. Rn. 235 ff.) – als sog. Brillenabschlag anzunehmen, wenn die versicherte Person vor dem Unfall schon an die Brille gewöhnt war und die unfallbedingte Änderung der Sehschärfe erfahrungsgemäß keine nennenswerte neue Belastung für sie
834
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BGH 28.2.1990 VersR 1990 478, 479; OLG Düsseldorf 30.1.2009 VersR 2009 774 = RuS 2009 475; OLG Düsseldorf 30.3.2004 VersR 2005 109, 110 = RuS 2006 163, 164 = NJW-RR 2004 1614; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 27; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 72. BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582; Burggraf VersR 1983 799, 800; Grimm 4 Ziff. 2
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AUB 99 Rn. 27; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38; krit. OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347, 348 = RuS 2007 429, 430. BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38; abw. Burggraf VersR 1983 799, 800 und 801. OLG Düsseldorf 30.1.2009 VersR 2009 774 f.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
darstellt.838 Dies gilt indes nur, wenn bereits vor dem Unfall für das später geschädigte Auge eine Sehhilfe über das Normalmaß notwendig war. • Ein Brillenabschlag kommt von vornherein nicht in Betracht, wenn die geschädigte versicherte Person die Sehhilfe vor dem Unfall allein zur Behebung der Funktionsbeeinträchtigung des anderen, vom späteren Unfall nicht betroffenen Auges benötigte oder wenn die daneben bestehende Minderung auf dem nachfolgend geschädigten Auge so geringfügig war, dass sie – isoliert betrachtet – die Verordnung einer Sehhilfe nicht gerechtfertigt hätte. Die Beeinträchtigung des vom Unfall nicht betroffenen Auges kann nicht als Vorinvalidität des später verletzten Auges angesehen werden, weil auf Grundlage der AUB 88/94/99/2008 die Funktionsbeeinträchtigung für jedes Auge gesondert zu ermitteln ist. Im Übrigen wird es dem VN kaum zu vermitteln sein, dass er trotz Verletzung eines bis zum Unfall vollständig intakten Auges eine Invaliditätsleistung nur deshalb nicht beanspruchen können soll, weil die Funktionsfähigkeit des geschädigten Auges durch eine Sehhilfe auf volle Sehkraft korrigiert werden kann und die unfallbedingte Notwendigkeit des Tragens einer Sehhilfe für das verletzte Auge wegen der früheren Nutzung einer Sehhilfe für das vom Unfall nicht betroffene Auge streng genommen keine neue ins Gewicht fallende Belastung darstellt.839 • Zur Feststellung der Vorinvalidität ist ein Vergleich zwischen dem Zustand der versicherten Person vor dem Unfall und einem „Durchschnittsmenschen“ gleichen Alters vorzunehmen (§ 180 Rn. 13 ff.). Dies kann z.B. dazu führen, dass die sich für die versicherte Person vor dem Unfall ergebende Notwendigkeit, zeitweise beim Lesen kleiner Schriften eine Lesebrille tragen zu müssen, keine Vorinvalidität begründet, wenn diese konkrete Schwäche des Sehvermögens der versicherten Person mit der altersentsprechenden Weitsichtigkeit eines Normalsichtigen übereinstimmt.840 Ein Vorinvaliditätsabzug ist dagegen möglich, wenn die versicherte Person vor dem Unfall gegenüber vergleichbaren anderen Menschen stark kurzsichtig war.841 Die bereits vor dem Unfall bestehende Beeinträchtigung der Sehkraft infolge von Kurz- und Stabsichtigkeit ist auch dann als Vorinvalidität zu berücksichtigen, wenn die aussichtsreiche Möglichkeit einer vollständigen Beseitigung des vor dem Unfall bestehenden Sehfehlers durch einen refraktiv-chirurgischen Eingriff mittels Laser (LASIK-Operation) bestand; die abstrakte Möglichkeit eines solchen operativen Eingriffs bleibt außer Betracht.842
(2) Medikamenteneinnahme. Die andauernde Benutzung von Medikamenten wie 218 Augentropfen ist dem Einsatz von Gebrauchshilfen nicht gleichzusetzen.843 Im Vergleich zum Tragen einer Sehhilfe ist für die versicherte Person die Situation belastender, in der sie nach dem Unfall (lebenslang) darauf angewiesen ist, mehrmals täglich Augentropfen einzunehmen. Anders als bei einer Brille führen Augentropfen nicht sogleich zu einer Verbesserung der Sehkraft. Weiterhin können sie nicht in jeder Lebenssituation unproblematisch eingenommen werden. Auch ist ihre zeitliche Wirkung nicht vom Willen der versicherten Person abhängig. Die Bewertung dieser Belastungen kann deshalb i.E. das Maß der unkorrigierten Funktionsbeeinträchtigung des Auges erreichen.844
838
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BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 582; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 27; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 191; Lehmann/Ludolph 2 S. 38; einschränkend Gramberg-Danielsen/Kern VersR 1989 20, 22 f. OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347, 348 = RuS 2007 429, 430; OLG Düsseldorf 30.3.2004 VersR 2005 109, 110. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 32; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 31.
841
842 843 844
OLG München 21.3.2006 VersR 2006 1397, 1398 = NJW-RR 2006 1326, 1327 = RuS 2007 32, 33 = ZfS 2006 337 f.; zust. Marlow RuS 2007 353, 360 f. OLG Düsseldorf 30.1.2009 VersR 2009 774, 775 = RuS 2009 475, 476. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 27. LG Göttingen 11.1.1990 VersR 1990 648, 649 f. mit Anm. Radtke; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 27.
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(3) Bewertung von Augenschäden. In der Praxis ist es üblich, die Funktionsbeeinträchtigung des Auges und die mit dem Tragen einer Sehhilfe verbundenen Belastungen nicht individuell, sondern pauschal anhand von Bewertungstabellen zu ermitteln, die von Sachverständigen erarbeitet sind.845 Dagegen bestehen keine grundsätzlichen Bedenken (s. auch Rn. 205).846 Im Einzelnen sind folgende Grundsätze heranzuziehen: • Die durch die Minderung der Sehschärfe (Visus) folgende Gebrauchs- bzw. Funktionsbeeinträchtigung wird anhand des Visuswertes ermittelt. Grundlage sind die von Gramberg-Danielsen, Mewe und Thomann entwickelten Tabellen,847 wobei aufgrund der verschiedenen Gliedertaxwerte zwischen den jeweils zugrunde zu legenden AUB-Generationen zu unterscheiden ist. Ein Visus von 1,0 (5/5) auf einem Auge entspricht mithin einer Minderung der Gebrauchsfähigkeit von 0 (AUB 61) bzw. einer Funktionsbeeinträchtigung von 0 (AUB 88/94/99/2008). Umgekehrt ergibt sich bei einem Visus von 0,0 eine Minderung der Gebrauchsfähigkeit bzw. Funktionsbeeinträchtigung von 30/30 bzw. 25/25. Zwischen diesen beiden Polen gibt es mehrere Abstufungen. Beträgt z.B. der Visus 0,5 (5/10), so ist eine Beeinträchtigung von 5/30 (AUB 61) bzw. 4/25 (AUB 88/94/99/2008) anzunehmen. Zu beachten ist, dass der Bewertung stets die „Visuswerte cum correctione“ zugrunde zu legen sind, also von der optimal verträglichen Korrektur durch eine Sehhilfe auszugehen ist. Der sog. Visus naturalis (sine correctione), der ohne optische Korrektur gemessene Wert, hat für die Invaliditätsbemessung keine Bedeutung (Rn. 215). • Erhöhte Werte können sich – bei höheren Visusdefiziten – ergeben, wenn die versicherte Person einen Linsenverlust (Aphakie) erlitten hat. Die nicht intraokular korrigierte Linsenlosigkeit führt trotz Nutzung einer Kontaktlinse zu einem Brechkraftverlust des Auges, die mit einem Verlust der Akkommodationsfähigkeit (Fähigkeit zur Anpassung durch Linsenkrümmung) einhergeht. Weiterhin zieht die Aphakie eine erhöhe Blendempfindlichkeit, eine Gesichtsfeldeinengung und einen Verlust des Sterosehens nach sich. Folgerichtig ist z.B. bei einem Visus von besser als 0,5 eine Minderung der Gebrauchsfähigkeit (AUB 61) von 14/30 (statt 5/30) und eine Minderung der Funktionsfähigkeit (AUB 88/94/99/2008) von 12/25 (statt 4/25) anzunehmen. Wird die Aphakie dagegen durch eine intraokular implantierte Kunstlinse korrigiert, ist die versicherte Person besser gestellt als bei einer Kontaktlinsen-Korrektur. Es ergeben sich deshalb geringere Basiswerte. Dies führt dazu, dass bei einem Visus von besser als 0,5 die Gebrauchsfähigkeit (AUB 61) um 12/30 und die Funktionsfähigkeit (AUB 88/94/99) um 10/25 eingeschränkt ist.848 • Die Bewertung von Einschränkungen und Ausfällen des Gesichtsfeldes geht von einer Einteilung des Gesichtsfeldes in eine bestimmte Zahl von Wertungsflächen aus. Der Invaliditätsgrad ergibt sich in Relation zur Zahl der ausgefallenen Wertungsflächen.849 • Weiterhin kann ein sog. Brillenausgleich bzw. Brillenzuschlag zu berücksichtigen sein, wenn die versicherte Person vor dem Unfall keine Sehhilfe getragen hat (Rn. 216). Die Notwendigkeit, eine Brille zu benutzen, wird von Burggraf je nach Brillenstärke mit einer einmaligen Funktionsbeeinträchtigung bzw. Gebrauchsbeeinträchtigung von 2/20 bis 5/20 bewertet, was bei einem Augenwert von 30 % (AUB 61) einen Invaliditätsgrad von 3 bis 7,5 % und bei einem Augenwert von 50 % (AUB 88/94/99) einen Invaliditätsgrad von 5 % bis 12,5 % ergibt.850 In der Praxis wird aufgrund der Vorschläge von Gramberg-Danielsen/Thomann bei gering bis mittelgradigen Kor845
846 847
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 27; eingehend Gramberg S. 107a ff. (AUB 61) und 2/126 ff. (AUB 88) BGH 10.10.1966 VersR 1966 1133, 1134. Für die AUB 88: Gramberg-Danielsen/ Thomann VersR 1988 789, 790; dies. Der Augenarzt 1988 65 f.; für die AUB 61: Gramberg S. 2/108; Gramberg-Danielsen/ Mewe/Thomann Der Augenarzt 1982 196 (AUB 61); Thomann/Gramberg-Danielsen VW 1983 234, 235; s.a. Lehmann/Ludolph 2 S. 38 ff.
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Gramberg-Danielsen/Thomann VersR 1988 789, 790; näher Gramberg S. 109a ff.; Lehmann/Ludolph 2 S. 40 ff. (für den einseitigen Linsenverlust) und 48 (für den beidseitigen Linsenverlust). Näher Gramberg S. 2/134 ff.; GrambergDanielsen/Kolling/Lehmann Der Augenarzt 2003 247 ff.; Lehmann/Ludolph 2 S. 43 ff. (für einseitige Funktionsstörungen) und S. 48 ff. (für beidseitige Funktionsstörungen). Burggraf VersR 1983 799, 801.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
rekturen bis + 10 dpt und bis – 13 dpt 3 % und bei hochgradigen Korrekturen über den genannten Werten 5 % angenommen.851 • Hat die versicherte Person bereits vor dem Unfall eine Brille getragen, ist ein Brillenabschlag vorzunehmen (vgl. Rn. 217), der in der Praxis häufig mit 1% pro Dioptrie festgelegt wird. Diese Vorgehensweise unterliegt Bedenken, da entgegen den Vorgaben des BGH nicht auf die Beeinträchtigung durch das Brillentragen, sondern auf das Maß der (korrigierbaren) Sehbeeinträchtigung als solche abgestellt wird. Alternativ kommt deshalb in Betracht, die von Gramberg-Danielsen/ Thomann vorgeschlagene Differenzierung von 3 und 5 % sowohl bei der Bewertung des Brillenzuschlags- als auch des Brillenabschlags zugrunde zu legen. Sie berücksichtigt, dass die Beeinträchtigungen durch das Tragen einer Brille sich im Wesentlichen danach unterscheiden, wie stark die versicherte Person bei abstrakter Betrachtung auf das Tragen der Brille angewiesen ist, also ob sie nur leicht oder schwer im Alltag eingeschränkt ist.852 • Unberücksichtigt bleibt, ob und wie lange die versicherte Person zu einer Akkomodation (Anpassungsaufwand, einen anderen Visus zu erreichen) in der Lage ist; denn sowohl bei der Bemessung der Invalidität als auch der Vorinvalidität gilt ein abstrakter Maßstab.853 • Zu beachten ist, dass die Bewertung der jeweiligen Funktionsbeeinträchtigungen (z.B. Visus, Einschränkung des Gesichtsfeldes, erhöhte Blendempfindlichkeit, Brillenzuschlag) nicht den Wert für den völligen Funktionsverlust des Auges überschreiten darf. Eine Addition der jeweiligen Funktionseinbußen über den vollen Gliedertaxwert verbietet sich.854
Beispiele:
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Sachverhalt
Invaliditätsgrad nach AUB 88/94/99/2008
1 Die versicherte Person hat vor dem Unfall keine Brille getragen; durch den Unfall verliert sie ein Auge
50 % (voller Augenwert)
2 Versicherte Person hat vor dem Unfall keine Brille getragen; durch den Unfall reduziert sich ihre Sehkraft, die aber durch eine Sehhilfe wieder voll hergestellt werden kann
3 % bzw. 5 % (Brillenzuschlag)
3 Die versicherte Person hat vor dem Unfall eine Brille getragen; durch den Unfall verliert sie ihr Auge
47 % bzw. 45 % (Augenwert i.H.v. 50 % – Brillenabschlag i.H.v. 3 % bzw. 5 %).
4 Die versicherte Person hat vor dem Unfall eine Brille getragen; durch den Unfall reduziert sich ihre Sehkraft, die aber durch eine Sehhilfe wieder voll hergestellt werden kann
0 % (Ausnahme: Unfall betrifft ein Auge, für das die Sehhilfe vor dem Unfall nicht benötigt wurde; dann ist der Brillenzuschlag von 3 % bzw. 5 % zu berücksichtigen)
cc) Gehör. Der prozentuale Hörverlust wird durch audiometrische Untersuchungen 221 anhand von Sprach- und Tonaudiodiagrammen mit Hilfe der Bewertungstabellen von Boenninghaus und Röser ermittelt.855 Noch nicht abschließend geklärt ist, ob die 851
852
Gramberg S. 2/113 d und 2/127b; Gramberg-Danielsen/Thomann Der Augenarzt 1983 407 f.; Gramberg-Danielsen/Thomann VersR 1988 789, 790; ferner GrambergDanielsen/Kern VersR 1989 20, 21; Lehmann/Ludolph 2 S. 37; krit. Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38 (zu pauschalierend). OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007
853
854 855
347, 349 = RuS 2007 429, 431; i.E. auch BGH 30.9.2009 VersR 2009 1651, 1652. So wohl OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347, 348 f. (i.E. aber offen lassend). Lehmann/Ludolph 2 S. 42. Näher Lehmann/Ludolph 2 S. 55 f. (Abdruck der Tabelle auf S. 58 f.).
Kent Leverenz
661
AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
Grundsätze, die für die Funktionsbeeinträchtigung des Auges, insbesondere für die Korrektur der Sehschärfe durch eine Sehhilfe gelten (Rn. 214 ff.), entsprechend für die Funktionsbeeinträchtigung des Gehörs und die Korrektur von Gehörschäden durch Hörgeräte heranzuziehen sind.856 Der Verlust oder die Beeinträchtigung des Gehörs auf einem Ohr erfasst nicht einen 222 gleichzeitigen Tinnitus und Gleichgewichtsstörungen.857 Vielmehr ist der Tinnitus als eigenständige Funktionsstörung gesondert und außerhalb der Gliedertaxe zu prüfen; denn der Tinnitus hat nichts mit dem Gehör (dem „Hören“, der „Hörfähigkeit“ oder der Wahrnehmung von außen an das Ohr herangetragener Töne) zu tun, sondern stellt eine Störung der Hörsinneszellen bzw. des Hörnervs dar. Das im Inneren der versicherten Person auftretende Ohrgeräusch ist unabhängig von Taubheit oder Schwerhörigkeit. Ähnliches gilt für Schwindelerscheinungen.858 Sie sind als Funktionsstörung des Gleichgewichtsorgans nicht nach der Gliedertaxe zu bewerten, da für die Gleichgewichtsregulierung mehrere Organe verantwortlich sind. Das Ausmaß der Störung muss vielmehr im Einzelfall außerhalb der Gliedertaxe (z.B. mit Hilfe von Koordinationsprüfungen) beurteilt werden.859
223
dd) Geruchs- und Geschmacksinn. Der Verlust bzw. die Funktionsbeeinträchtigung des Geruchssinns und des Geschmacksinns sind meist Folge eines Schädel-/Hirntraumas.860 Ihre unterschiedliche Wertigkeit mit 10 % (Geruchssinn) bzw. 5 % (Geschmackssinn) ergibt sich daraus, dass mit dem Geruchssinn auch ein erheblicher Teil der Fähigkeit zum „Schmecken“ verloren geht, da vor allem aromatische Stoffe über das Riechorgan wahrgenommen werden. Der im Zungenbereich lokalisierte Geschmackssinn erfasst dagegen nur die vier Grundqualitäten des Schmeckens (süß, sauer, salzig und bitter).861 Daraus wird in der Praxis der Schluss gezogen, dass der Invaliditätsgrad für den höher bewerteten Verlust des Geruchssinns auch den Teilverlust des Geschmacksvermögens (abschließend) abdeckt, der nicht über die Zunge wahrgenommen wird.862 Fraglich ist indes, ob der ungeschulte (durchschnittliche) VN diese medizinische Wertung der Gliedertaxe mit der hinreichenden Deutlichkeit entnehmen kann. Der VN könnte statt dessen erwarten, dass die unfallbedingte Invalidität aus der Addition der (anteiligen) Gliedertaxwerte von 10 und 5 % ermittelt wird, wenn neben einem totalen Verlust des Geruchs (Anosmie) zwar nicht die vier Grundgeschmacksarten süß, sauer, salzig und bitter, jedoch sonstige Geschmacksnuancierungen beeinträchtigt sind.
856
857
858 859
Bejahend Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 72; offen lassend BGH 27.4.1983 VersR 1983 581, 583; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 27; zweifelnd Rassow VersR 1983 893, 894; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38 (da Hörgeräte einer besonderen Energiequelle benötigen). Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 28; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 25. OLG Köln 12.1.2000 VersR 2000 1489. Näher zu den Untersuchungs- und Be-
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860 861 862
wertungsmethoden Lehmann/Ludolph 2 S. 60 ff. S.a. OLG Koblenz 29.9.2000 RuS 2001 525. Lehmann/Ludolph 2 S. 61. OLG Saarbrücken 8.10.2003 VersR 2004 856, 857 = RuS 2005 392 = NJW-RR 2004 186 f. (zust. Marlow RuS 2006 397, 403; ders. RuS 2005 357, 362 f.); Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 27 a; Kloth Rn. G 92; Lehmann/Ludolph 2 S. 61; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 28.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
3. Bemessung außerhalb der Gliedertaxe Können die Dauerfolgen eines Unfalls nicht anhand der Regeln der Gliedertaxe be- 224 stimmt werden, kommen Ziff. 2.1.2.2.2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 bzw. – sofern keine anderen vorrangigen Vertragsregelungen vorhanden sind – subsidiär § 180 zur Anwendung (Rn. 180 f.). Dies trifft etwa auf 15 bis 20 % aller Invaliditätsschäden zu.863 Auf Grundlage der AUB 88/94/99/2008 ist in diesen Fällen maßgebend, inwieweit nach ausschließlich medizinischen Gesichtspunkten die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person insgesamt beeinträchtigt ist. Anders als bei der Bewertung nach der Gliedertaxe (Rn. 195) wird der Invaliditätsgrad nicht in Bruchteilen, sondern in Prozentgraden zur Vollinvalidität angegeben. So ist z.B. die Aussage ungeeignet, die Wirbelsäule sei in ihrer Funktionsfähigkeit um 1/2 beeinträchtigt, da es an einer Bezugsgröße fehlt.864 a) Anwendungsbereich. Unter die allgemeine Bemessungsregel fallen alle Verletzun- 225 gen, die nicht von der Gliedertaxe erfasst sind. Dazu zählen im Wesentlichen 865 Verletzungen des Kopfes (Schädels) und Gehirns, der Wirbelsäule (einschließlich Schleudertrauma),866 der inneren Organe des Brust- und Bauchraums sowie der Harn- und Geschlechtsorgane, aber auch der Haut 867 oder der Zähne.868 Wirken sich die vorstehenden Verletzungen auf Gliedmaßen oder Sinnesorgane aus, so sind die Invaliditätsgrade zunächst nach der Gliedertaxe zu bewerten, bevor die Verletzungen, die sich darüber hinaus im übrigen Körper der versicherten Person auswirken, nach allgemeinen Regeln eingeschätzt werden (Rn. 180). b) Bewertungsregeln. Ausgangspunkt ist die Feststellung der unfallbedingten Funktions- 226 einbußen bei der versicherten Person. Wie bei Anwendung der Gliedertaxe (Rn. 188 und 200) kommt es hier nicht auf den Sitz der Verletzung, sondern den Sitz der Funktionsausfälle an.869 Stehen die jeweiligen Funktionsbeeinträchtigungen fest, so werden die der versicherten Person nach dem Unfall verbleibenden Möglichkeiten und Fähigkeiten („IstZustand“) mit der vollen Funktions- bzw. Gebrauchsmöglichkeit („Soll-Zustand“) verglichen und bewertet.870 Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen: Wie bei der Bewertung nach der Gliedertaxe (Rn. 185 ff.) ist nach allgemeiner An- 227 sicht auch bei der Bemessung der Invalidität außerhalb der Gliedertaxe ein abstrakt-genereller Maßstab anzulegen. Auf individuelle bzw. außerhalb der Norm liegende Besonderheiten, Fähigkeiten, Begabungen oder Bedürfnisse der versicherten Person (insbesondere Berufs- oder Erwerbstätigkeit) sowie sonstige außermedizinische Umstände kommt es bei verständiger Würdigung nicht an (§ 180 Rn. 10 ff.) Vielmehr stellt Ziff. 2.1.2.2.2 S. 2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94) ausdrücklich klar, dass ausschließlich medi-
863 864 865
866
Conradi S. 127; Wagner VersR 1985 1017, 1019; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 11. Lehmann/Ludolph 2 S. 64; Perret S. 36. OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070 = RuS 2007 117 = ZfS 2005 304; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 28; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 76; Lehmann/ Ludolph 2 S. 64; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 192; Reichenbach S. 122; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 43. Näher hierzu Bilow S. 131 ff. (zu Schäden
867 868 869 870
an der Brust- und Lendenwirbelsäule); Ludolph/Hierholzer S. 145 ff. und G. Schmidt S. 137 ff., auch Ludolph S. 159, 161 ff. (jeweils zu Schäden an der Halswirbelsäule, insbesondere zum Schleudertrauma). OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 959 = RuS 1996 507, 508. AG Mannheim 4.5.1993 VersR 1993 1389 Lehmann/Ludolph 2 S. 10. Knappmann VersR 2003 430.
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Unfallversicherung
zinische Gesichtspunkte und nicht etwa subjektive Befindlichkeiten der versicherten Person maßgebend sind. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person nach dem Unfall mit der „normalen“ Leistungsfähigkeit eines Unversehrten gleichen Alters und Geschlechts zu vergleichen ist oder individuelle Begabungen oder Fähigkeit der versicherten Person mit der Folge mit berücksichtigt werden können, dass der Zustand der versicherten Person nach dem Unfall mit ihrer individuellen Verfassung vor dem Unfall ins Verhältnis gesetzt wird. Der ersten Auffassung ist der Vorzug zu geben (§ 180 Rn. 13 ff.). Bei der individuellen Bewertung müssen die in der Gliedertaxe getroffenen Wertungen – 228 wenn und soweit möglich871 – im Wege einer Kontrollüberlegung mit berücksichtigt werden.872 Durch Auslegung der von der Gliedertaxe vorgegebenen Werte ist der Invaliditätsgrad so zu bestimmen, wie es der Zielsetzung der Gliedertaxenregelung entspricht. Systembrüche bzw. Wertungswidersprüche sind zu vermeiden. Dadurch wird eine einheitliche Auslegung der AUB gewährleistet, die es erlaubt, die Gleichbehandlung der VN und die Ausgewogenheit der AVB zu wahren (s. auch Rn. 183).873 So kann insbesondere Vollinvalidität nicht erst dann angenommen werden, wenn der gesamte Körper der versicherten Person – beruflich und privat – leistungsunfähig ist bzw. bei der versicherten Person völlige Pflegebedürftigkeit (Ziff. 4 AUB 99/2008, § 3 AUB 88/94) eintritt. Dies widerspräche den Vorgaben der Gliedertaxe, bei deren Anwendung schon der Verlust einzelner Glieder oder Sinnesorgane zu einer Invalidität von 100 % führen kann (z.B. Erblindung, Teilverlust zweier Gliedmaßen).874 Ein vorhandenes (u.U. noch erhebliches) „Restpotential“ an Leistungsfähigkeit der versicherten Person steht mithin einer Auszahlung der vollen Invaliditätssumme nicht entgegen.875 Beispiele: • Wird die Invalidität nach einem Unfall mit Genickbruch im Bereich des 2. Halswirbelkörpers, Kompressionsbruch des 6. Brustwirbelkörpers sowie diversen Hautverletzungen vom Sachverständigen mit einem Invaliditätsgrad von 50 % bewertet, so fügt sich dieses Ergebnis in die Gliedertaxe ein, wenn die versicherte Person sich weiterhin selbst versorgen kann. So hat etwa der Verlust einer Hand (Wert nach der Gliedertaxe = 55 %) weiterreichende Beeinträchtigungen zur Folge.876 • Narbenbildungen im Brust-, Oberschenkel- und Gesäßbereich nach einer Verbrühung können zu so weit gehenden Beeinträchtigungen der normalen körperlichen Leistungsfähigkeit führen, dass wertungsmäßig sie mit dem dauernden Verlust des Gehörs auf einem Ohr (30 % gemäß Gliedertaxe) gleichgestellt werden können. • Kommt es nach einem Unfall zu einer Schiefstellung der Wirbelsäule mit vermehrten Verspannungen der Rückenmuskulatur, die insbesondere bei Zwangshaltungen oder längerem Verharren der Wirbelsäule in abträglichen Positionen eintreten, so wird die Beeinträchtigung der normalen körperlichen Leistungsfähigkeit nicht etwa mit dem Verlust eines Fußes im Fußgelenk oder dem dauerhaften Verlust des Gehörs auf einem Ohr (40 bzw. 30 % gemäß Gliedertaxe) gleichgestellt werden können, sondern mit einem niedrigeren Invaliditätsgrad zu bemessen sein.877
871
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873 874
So wohl auch BGH 28.1.2009 VersR 2009 492, 494 f. Rn. 25 = NJW-RR 2009 679, 682 = RuS 2009 161, 163. So u.a. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 959 = RuS 1996 507, 508; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 78; Kloth Rn. G 100; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 193. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 22. So u.a. Bihr VW 1993 264, 267; Grimm 4
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875 876 877
Ziff. 2 AUB 99 Rn. 36; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 4 und 29; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 74; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 29; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 41. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 9 f. OLG Hamm 9.5.2007 VersR 2008 389, 390 = RuS 2007 468 f. OLG Hamm 5.6.1992 VersR 1993 472.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
• Der Verlust zweier (Schneide-)Zähne rechtfertigt keine Invalidität von 1 %. Dies ergibt sich aus einem Vergleich zu den Gliedertaxwerten für den Verlust einer Zehe (2 %) oder des Geschmacksinns (5 %).878
Orientierungshilfe können Bewertungsempfehlungen etwa von Berufsverbänden geben 229 (s.a. Rn. 205), die allgemein anerkannt und von Fachärzten üblicherweise beachtet werden. Auch sie können der Gleichbehandlung der VN dienen. Hier ist indes zweierlei zu berücksichtigen: • Zum einen können oftmals sinnvolle oder allgemein gültige Bewertungsempfehlungen nicht gegeben werden, da außerhalb der Gliedertaxe zu bemessende Unfallfolgen häufig erhebliche Bewertungsspannen aufweisen, so dass die Beurteilung durch den ärztlichen Gutachter anhand der konkreten Befunde des Einzelfalles erfolgen muss.879 So besteht etwa bei Beeinträchtigungen durch Verbrennungen eine hohe Variationsbreite.880 • Zum anderen sind vorhandene Empfehlungen nicht immer auf die Besonderheiten der privaten Unfallversicherung ausgerichtet. Dies ist insbesondere dann augenfällig, wenn sie nicht die Vorgaben der Gliedertaxe berücksichtigen. Vorgaben zum sozialen Entschädigungsrecht bzw. Behindertenrecht können nur dann taugliche Anhaltspunkte für die private Unfallversicherung liefern, wenn die Invalidität aus tatsächlichen (medizinischen) Gründen nicht gemäß der Zielsetzung der Gliedertaxe berechnet werden kann oder eine solche Berechnung nicht sinnvoll ist.881
Bei der Bewertung von Unfallfolgen außerhalb der Gliedertaxe kann es zu einem Zu- 230 sammenspiel mehrerer medizinischer Fachrichtungen kommen. Neben • der Unfallchirurgie (insbesondere bei Wirbelfrakturen, Bandscheibenschädigungen, Querschnittslähmungen, Nieren- und Milzverlust) kann • die Neurologie (bei Schädigungen peripherer Nerven, des Rückmarks oder des Gehirns), • die Urologie (bei Schädigungen bzw. Funktionsstörungen an den Harn- und Geschlechtsorganen) und/oder • die innere Medizin bzw. das internistische Fachgebiet (vor allem bei Lungenfunktionsstörungen oder Verminderung der Herzleistung bzw. Herzinsuffizienz)
Bedeutung erlangen.882 Für die Herangehensweise des Gutachters kommen je nach Verletzungsbild mehrere Methoden in Betracht: Einige Verletzungen erlauben eine direkte Bewertung der Beeinträchtigung der Gesamtleistungsfähigkeit der versicherten Person. Hierzu können Schädel-Hirn-Traumata oder Verletzungen der Wirbelsäule zählen. Andere Verletzungen verlangen ein stufenweises Vorgehen,883 nämlich die • Ermittlung, um wie viel Prozent das betroffene Organ selbst in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist und • Feststellung, welche Wertigkeit der beeinträchtigten Körperfunktion im Verhältnis zur Summe sämtlicher Körperfunktionen zukommt. Hier wird zu fragen sein, welchen quantitativen und qualitativen Anteil die von der Verletzung betroffene Funktion an der gesamten körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit eines unversehrten Menschen hat.
c) Einzelfälle. Die Invaliditätsbewertung von sog. paarigen Organen (Nieren, Ova- 231 rien, Hoden, Lunge) kann problematisch sein.884 • Streng genommen kann eine Invaliditätsleistung ganz entfallen, wenn das verbleibende Organ die Funktion des anderen völlig übernimmt und sich keine konkrete Beeinträchtigung der Leistungs-
878
879 880
AG Mannheim 4.5.1993 VersR 1993 1389, 1390; s.a. AG Recklinghausen 28.2.1996 – 51 C 560/95. Lehmann/Ludolph 2 S. 64 f. OLG Stuttgart 14.5.2009 VersR 2009 1065, 1066.
881 882 883 884
BGH 24.1.1996 VersR 1996 493, 494 = RuS 1996 157; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 22. Eingehend Lehmann/Ludolph 2 S. 65 ff. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 37. Näher Bihr VW 1993 264, 269 ff.; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 36.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
fähigkeit feststellen lässt.885 So hat die Rechtsprechung eine Invaliditätsentschädigung versagt, wenn nach dem Ergebnis eines medizinischen Sachverständigengutachtens feststeht, dass der Verlust der einen Niere vollständig durch die andere Niere kompensiert wird und mit keinen weiteren Nachteilen zu rechnen ist.886 Dennoch wird in der Praxis häufig auch in solchen Fällen (ohne ausdrückliche Anerkennung einer Leistungspflicht) nach bestimmten Sätzen abgerechnet. Eine Einschätzung im Bagatellbereich könnte als unangemessen bewertet werden.887 Jedenfalls ist die Versagung jeder Invaliditätsleistung der versicherten Person schwer vermittelbar. Deshalb wird folgerichtig empfohlen, den Verlust einer Niere bei gesunder zweiter Niere mit 20 % zu bewerteten.888 • Im Übrigen kann bei paarigen Organen der Invaliditätsgrad für das vom Unfall betroffene Organ je nach Vorschädigung des anderen (zweiten) Organs variieren. Ein Grad von 20 % für eine unfallbedingt funktionsunfähige Niere würde z.B. nicht ausreichen, wenn die andere Niere bereits vorgeschädigt ist.889 Um zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen, kann es sich anbieten, auf die gleitende Bewertung zurück zu greifen, die der BGH im Rahmen der AUB 61 (Rn. 14 ff.) für die Bemessung von Schädigungen an Augen und dem Gehör vorsah.890
232
Noch nicht abschließend geklärt ist die Bewertung von Genitalverletzungen oder der unfallbedingten Beeinträchtigung von Geschlechtsorganen wie z.B. des Verlustes der Libido bei einer Frau oder der Erektionsfähigkeit bzw. Zeugungsfähigkeit beim Mann.891 Subjektive Kriterien wie Familienstand, Kinderzahl u.ä. sind jedenfalls unbeachtlich. Berücksichtigungsfähig ist dagegen das Alter der versicherten Person.892 233 Bei Hautverletzungen durch Verbrennungen oder Verbrühungen ist bei der Schätzung des Invaliditätsgrades zu berücksichtigen, dass die Haut das größte Organ des Menschen ist und vielfältige Aufgaben erfüllt. Zu nennen sind ihre Funktionen als • • • • •
Schutzhülle (Schutz vor Verletzungen und Strahlungen), Speicherorgan, Wärmeregulator (Verengung bei Kälte, Erweiterung bei Hitze), Absonderungsorgan (Absonderung von Schweiß, um dem Körper Wärme zu entziehen) und Sinnesorgan (Tasten, Fühlen).
Hinzu kommt, dass Narbenbildungen im Allgemeinen die Leistungsfähigkeit im Beruf und Freizeitbereich (z.B. Sport, Urlaub in der Sonne) mindern. Deshalb ist der quantitative und qualitative Anteil der Hautfunktionen in Relation zur Summe aller Körperfunktionen hoch anzusehen.893 Eine „Marcumarisierung“ kann nach dem LG Köln nicht mit einem eigenständigen 234 Invaliditätsgrad bewertet werden. Vielmehr komme insoweit nur die Bildung eines Gesamtinvaliditätsgrades im Hinblick auf das verletzte Körperteil (z.B. Bein) in Betracht.894
885
886
887 888
Kloth Rn. G 104; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 193; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 29; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 29. OLG Celle 13.9.2007 VersR 2007 1688 f. = NJW-RR 2008 345, 346 = RuS 2008 254 f.; zust. Schwintowski/Brömmelmeyer § 180 VVG Rn. 11. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 74. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 36; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 193; s.a. Lehmann/Ludolph 2 S. 69.
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889 890 891
892 893 894
Stockmeier/Huppenbauer S. 20 f. Bihr VW 1993 264, 269. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 74 mit Hinweis auf eine unveröffentlichte Entscheidung des OLG Hamm, das für den Verlust der Erektionsfähigkeit infolge heftigen Geschlechtsverkehrs eine Invalidität von 20 % angenommen hat. Näher Bihr VW 1993 264, 269 ff. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 956, 959 = RuS 1996 507, 508 f. LG Köln 18.2.2009 VersR 2009 1111, 1112.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Wie der Verlust der Milz zu bewerten ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Annahme einer Invalidität von 0 % ist jedenfalls nicht gerechtfertigt. Zwar wirkt sich das Fehlen der Milz im Alltagsleben normalerweise nicht in auffäliger Weise aus, jedoch erfüllt die Milz eine eigenständige Körperfunktion erfüllt: Ihr Fehlen kann insbesondere in Erkrankungssituationen von Bedeutung. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, den Invaliditätsgrad nach § 287 ZPO auf 5 % zu schätzen.895 4. Vorinvalidität. Betrifft der Unfall Körperteile oder Sinnesorgane, die bereits vor 235 dem Unfall dauernd in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt waren, so ist zur Ermittlung der Höhe des Invaliditätsanspruchs der nach dem Unfall ermittelte Invaliditätsgrad um die – in keinem Kausalzusammenhang mit dem Unfall stehende – Vorinvalidität bzw. Vorschädigung zu mindern (Ziff. 2.1.2.2.3 S. 1 AUB 99/2008/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 AUB 88/94). Nach Abzug der Vorinvalidität vom Gesamtinvaliditätsgrad – ggf. unter anschließender Berücksichtigung der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen – ergibt sich der unfallbedingte Invaliditätsgrad, der dem Prozentsatz der zu zahlenden Versicherungssumme entspricht. In der Praxis wird die Vorinvalidität üblicherweise auch als „Vorschaden“ oder „Altschaden“ und die unfallbedingte Invalidität als „Neuschaden“ bezeichnet. Diese Begriffe sind „an sich“ systemfremd und ungenau, da es sich bei der Unfallversicherung nicht um eine Schadenversicherung handelt.896 a) Regelungszweck. Die Unfallversicherung soll nur Ersatz für das versicherte Gefah- 236 renereignis insoweit bieten, als es sich tatsächlich realisiert hat. Bestand vor dem Unfall bereits eine Invalidität, wird nur für die darüber hinausgehende Invalidität geleistet. Jede weitere Leistung würde auf einen ungerechtfertigten Sondervorteil für die konkrete versicherte Person hinauslaufen, da sie trotz bereits eines vorhandenen Verlusts oder Funktionsbeeinträchtigung so gestellt würde wie eine versicherte Person, deren dauerhafte Leistungsfähigkeit nicht oder weniger beeinträchtigt ist.897 b) Anwendungsbereich. Für die Annahme, dass bei einer festen Gliedertaxe ein Ab- 237 zug wegen Vorinvalidität ausgeschlossen ist, besteht weder nach dem Bedingungswortlaut noch nach dem Sinn und Zweck des Vorinvaliditätsabzugs Raum. Versichert ist nur die abstrakte Gebrauchsbeeinträchtigung, die durch ein bestimmtes Gefahrenereignis (den Unfall) herbeigeführt wird.898 Die festgestellte Vorinvalidität ist nur bei einer durch den neuen Unfall hervorgerufenen (Gesamt-)Invalidität in Abzug zu bringen. Für andere Leistungsarten erlangt sie keine Bedeutung.899 Dies ergibt sich bereits aus der systematischen Stellung der Vorinvaliditätsregelung, die ausschließlich im Bereich der Invaliditätsleistung (Ziff. 2.1 AUB 99/2008) integriert und nicht etwa als allgemeine Regel – wie z.B. Ziff. 3 AUB 99/2008 – „vor bzw. hinter die Klammer“ gezogen ist. Hinzu kommt, dass der Vorinvaliditätsabzug bei anderen Leistungsarten nicht passt, da diese an andere – nicht invaliditätsbezogene – Leistungsvoraussetzungen geknüpft sind. Dies gilt auch für die Todesfallleistung. Eine Kürzung aufgrund einer Vorinvalidität kann bei ihr nicht erfolgen, da der Tod eine Unfallfolge eigener, besonderer Art ist, und nicht als gesteigerte totale Form einer Invalidität zu verstehen ist.900
895 896 897
So OLG Koblenz 17.4.2009 VersR 2009 1348, 1349. Reichenbach S. 126. OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347, 348 = RuS 2007 429.
898 899 900
OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347 f. = RuS 2007 429 S.a. GB BAV 1961 49. Werner S. 153, 156.
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Unfallversicherung
238
c) Abgrenzung zur Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen. Zwischen der Vorinvalidität (dem „Vorschaden“) und der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen (der Berücksichtigung des „Vorzustandes“, § 182 Rn. 6) ist exakt zu unterscheiden.901 Die Regelungen über die Vorinvalidität gehen den Bestimmungen zur Mitwirkung von Krankheit und Gebrechen (§ 182, Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 61, § 10 Nr. 1 AUB 61) vor.902 Dies ergibt sich aus dem systematischen Aufbau der AUB, in denen innerhalb der Regelungen zum Invaliditätsanspruch die Vorinvalidität enthalten ist und erst im Anschluss an alle Leistungstatbestände der Mitwirkungstatbestand dargestellt wird.903 Nicht ausgeschlossen ist es indes, dass nach Abzug einer Vorinvalidität darüber hinaus ein Mitwirkungsanteil von Krankheiten und Gebrechen in Abzug zu bringen ist.904 Der Unterschied zwischen den Regelungen zur Vorinvalidität und zur Mitwirkung unfallfremder Ursachen liegt darin begründet, dass die Vorinvalidität dauerhaft (§ 180 Rn. 17 ff.) bestehen muss, während Krankheiten oder Gebrechen vorübergehend sein können (§ 182 Rn. 6). Weiterhin betrifft Ziff. 2.1.2.2.3 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88/94) nur die Invaliditätsleistung. Dagegen kommen § 182 und die entsprechenden AUB-Regelungen für alle Leistungsarten zur Anwendung (Ziff. 3 AUB 99/2008 Rn. 10). Ferner ist zu beachten, dass eine Kürzung des Mitwirkungsanteils nur dann durchzuführen ist, wenn er wenigstens 25 % beträgt. Im Gegensatz dazu ist für den Abzug der Vorinvalidität ein Mindestgrad nicht vorgesehen.
239
d) Bemessung. Die Bemessung der Vorinvalidität erfolgt nach den gleichen Grundsätzen, die für die Invaliditätsbemessung gelten (Ziff. 2.1.2.2.3 i.V.m. Ziff. 2.1.2.2.1 und 2.1.2.2.2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94).905 Dies hat u.a. zur Folge: • Es gilt ein abstrakter Maßstab.906 • Der allgemeine Invaliditätsbegriff (vgl. § 180) ist heranzuziehen.907 So ist z.B. die vor dem Unfall schon vorhandene dauerhafte Leistungsbeeinträchtigung der versicherten Person mit der Leistungsfähigkeit eines Menschen der entsprechenden Altersgruppe abzugleichen. Altersentsprechende gesundheitliche Beeinträchtigungen dürfen nicht herangezogen werden.908 • Eine vorübergehende Beeinträchtigung genügt nicht. Vielmehr muss die Vorinvalidität wie die Invalidität nach dem Unfall (§ 180 Rn. 17 ff.) dauerhafter Natur sein.909 • Anders als noch in § 10 Nr. 4 AUB 61, der eine Berücksichtigung sämtlicher invaliditätsbegründenden Umstände vorsah (Rn. 28), sind in die Berechnung nur noch die vorbestehenden Funktionsbeeinträchtigungen des vom Unfall betroffenen Körperteils einzubeziehen.910 Bestehende Beeinträchtigungen von Funktionen, die nicht vom Unfall betroffen sind, bleiben mithin außer Betracht.911
901 902
903 904 905 906
Gaidzik S. 46 f.; Perret S. 12; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 31. OLG Karlsruhe 29.8.2002 VersR 2003 1524, 1524 = RuS 2004, 474 = NJW-RR 2003 1111 = ZfS 2004 275; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 40; Kloth Rn. J 12; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 77. OLG Karlsruhe 29.8.2002 VersR 2003 1524, 1524. OGH 2.7.2008 VersR 2009 997, 999. S. etwa OLG Düsseldorf 30.1.2009 VersR 2009 774, 775 = RuS 2009 475, 576. OLG Brandenburg 8.11.2006 VersR 2007 347, 348 f. = RuS 2007 429 ff.
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OLG München 21.3.2006 VersR 2006 1397, 1398 = NJW-RR 2006 1326, 1327 = RuS 2007 32, 33 = ZfS 2006 337. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 80. GB BAV 1961 49. Grimm VW 1988 132, 135; Konen/Lehmann S. 44. OLG Düsseldorf 23.3.1999 VersR 2000 310, 311 = NVersZ 2000 572, 573; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 40; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 31; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 196; Schubach ZfS 2005 224, 228 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 44.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
• Es ist nicht auf den Sitz der Unfallverletzung, sondern grundsätzlich auf den Sitz der Verletzungswirkung, d.h. den Körperteil abzustellen, an dem sich die Verletzung als Funktionsbeeinträchtigung auswirkt (Rn. 188, 200 und 226).912 Erleidet z.B. eine versicherte Person mit einen Rundhohlrücken einen Wirbelsäulenschäden, so wäre es fehlerhaft, die Vorinvalidität bereits deshalb auszuschließen, weil der Unfall nur den Bereich eines bestimmten Brustwirbels betroffen hat. Stattdessen ist nach dem Wortlaut der Bedingungen auf den „betroffenen Körperteil“ – die Wirbelsäule insgesamt – abzustellen.913 • Eine Prothese hat auf die Bewertung der Vorinvalidität genauso wenig Einfluss 914 wie bei der Invaliditätsfeststellung (Rn. 191).
Unerheblich ist,
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• worauf die Vorbeeinträchtigungen zurückzuführen sind. Die Vorinvalidität kann – anders als bei Geltung der AUB 61 (Rn. 28) – ihre Ursache in früheren Unfällen, Krankheiten, Gebrechen oder in dem Alter der versicherten Person haben.915 • wann die Vorinvalidität begründet wurde, also ob sie vor oder während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eingetreten ist; • ob – wer auch immer – für die Vorinvalidität eine Entschädigung bzw. Leistung gezahlt hat oder zahlt. Auch wenn die Vorinvalidität Gegenstand eines Leistungsregulierungsprozesses mit demselben Unfallversicherer war, ist die Vorinvalidität beim nachfolgenden Unfall zu berücksichtigen.916 Unerheblich ist weiterhin, ob die Parteien für die Leistung zur Vorinvalidität einen Vergleich geschlossen haben. Diese in der Vergangenheit getroffene Invaliditätsbestimmung betrifft (bei Fehlen besonderer Anhaltspunkte) allein den Vorunfall. Sie hat keine Bindungswirkung für den Vorinvaliditätsabzug in künftigen Versicherungsfällen;917 denn im Bereich der privaten Unfallversicherung ist grundsätzlich jeder Unfall mit seinen konkreten Folgen getrennt zu beurteilen und abzurechnen (§ 180 Rn. 30).
Damit ergibt sich folgende Abrechnung, die für jede der vom Unfall betroffenen 241 Funktionen durchzuführen ist:918 Gesamtinvaliditätsgrad der vom Unfall betroffenen Funktion – Vorinvalidität der vom Unfall betroffenen Funktion – eventueller Mitwirkungsanteil, wenn dieser mindestens 25 % beträgt = Unfallbedingte Invalidität (Prozentsatz der vom VR abzurechnenden Versicherungssumme)
Beispiel: 919 Die Funktionsfähigkeit des linken Fußes der versicherten Person ist um 1/4, also um einem Invaliditätsgrad i.H.v. 10 % (= 1/4 * 40 % Fußwert), dauernd beeinträchtigt. Eine Schnittverletzung in der linken Großzehe führt infolge diabetischer Durchblutungsstörungen zu einem fortschreitenden Absterben von Gewebe (Nekrose), die eine Unterschenkelamputation notwendig macht. Die Mitwirkung der Diabetes mellitus an der Unfallfolge wird mit 75 % bewertet. Es ergibt sich folgende Invaliditätsberechnung: – = – =
912 913 914 915
50 % Gesamtinvalidität nach Unterschenkelamputation 10 % Vorinvalidität 40 % Invalidität nach Ziff. 2.1 AUB 99/2008 30 % Mitwirkungsanteil des Diabetes (= 75 % von 40 %) 10 % Unfallbedingte Invalidität (Prozentsatz der vom VR abzurechnenden Versicherungssumme)
Werner S. 153, 157. OLG Karlsruhe 29.8.2002 VersR 2003 1524, 1524. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 27; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 38. OLG Karlsruhe 29.8.2002 VersR 2003 1524, 1524; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 44.
916 917 918
919
Werner S. 153, 155 f. OGH 20.12.2006 VersR 2007 1295, 1296. Werner S. 153, 157; ferner OGH 2.7.2008 VersR 2009 997, 999; Grimm 4 3 AUB 99 Rn. 6. Lehmann/Ludolph 2 S. 86 f.; ähnliches Beispiel etwa bei Reichenbach S. 137.
Kent Leverenz
669
AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
5. Gesamtinvalidität
242
Werden durch den Unfall mehrere Körperteile oder Sinnesorgane bzw. Funktionen beeinträchtigt (Mehrfachverletzungen), so werden die jeweiligen Invaliditätsgrade zunächst getrennt ermittelt und anschließend gemäß Ziff. 2.1.2.2.4 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2d AUB 88/94) addiert (sog. Additionsklausel).920 Eine wertende Ermittlung eines Gesamtinvaliditätsgrades findet nicht statt.921 In Abweichung zu § 8 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61 (Rn. 26) ist es dabei gleichgültig, aus welcher Vorschrift der zuvor genannten AUB-Bestimmungen (Ziff. 2.1.2.2.1 bis 2.1.2.2.3 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 3a bis c AUB 88/94) sich der Invaliditätsgrad ergibt. So kann z.B. ein Gliedertaxwert mit einem Prozentsatz addiert werden, der sich bei einer Invaliditätsbemessung außerhalb der Gliedertaxe ergibt.922 Die Addition der verschiedenen Invaliditätsgrade ist allerdings nur (vorbehaltlos) möglich, soweit sich keine Überschneidungen in den jeweiligen Auswirkungen der Unfallverletzungen ergeben.923 Die Höchstgrenze der Summe beträgt 100 %. Diese Grenze dient nicht dazu, die 243 Ansprüche der versicherten Person herabzusetzen oder zu „deckeln“. Hintergrund ist vielmehr, dass bei jedem Versicherungsfall begriffsnotwendig nicht mehr als die volle Versicherungssumme anfallen kann.924 Dies schließt nicht aus, dass bei mehreren voneinander unabhängigen Unfällen die insgesamt auszuzahlende Leistung mehr als 100 % betragen kann.925 Beispiele:926 • Die versicherte Person verliert durch eine Explosion ihre rechte Hand, der bereits vor dem Unfall der Zeigefinger fehlte. Zugleich führt der Unfall dazu, dass der linke Daumen und der linke Zeigefinger jeweils zur Hälfte in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtig sind. Dieser Unfall führt zu einer Invaliditätsleistung von 60 % der vereinbarten Versicherungssumme: Invaliditätsgrad rechte Hand i.H.v. 45 % (= Handwert i.H.v. 55 % – Vorinvalidität durch Verlust des Zeigefingers i.H.v. 10 %) + Invaliditätsgrad linker Daumen i.H.v. 10 % (= 1/2 * Daumenwert i.H.v. 20 %) + Invaliditätsgrad linker Zeigefinger i.H.v. 5 % (= 1/2 * Fingerwert i.H.v. 10 %) = Unfallbedingte Invalidität i.H.v. 60 % • Sachverhalt wie zuvor; der Unfall führt aber auch zu einem Verlust eines Auges. Es sind 100 % der vereinbarten Invaliditätssumme zu leisten: Invaliditätsgrad rechte Hand i.H.v. 45 % (= Handwert i.H.v. 55 % – Vorinvalidität durch Verlust des Zeigefingers i.H.v. 10 %) + Invaliditätsgrad linker Daumen i.H.v. 10 % (= 1/2 * Daumenwert i.H.v. 20 %) + Invaliditätsgrad linker Zeigefinger i.H.v. 5 % (= 1/2 * Fingerwert i.H.v. 10 %) + Invaliditätsgrad Auge i.H.v. 50 % = Unfallbedingte Invalidität i.H.v. 100 % (die „an sich“ gegebene Invalidität von 110 % ist auf den Höchstwert von 100 % zu reduzieren) • Die versicherte Person verliert bei einem Unfall ein Bein; ein zweiter Unfall führt zum Verlust beider Augen. Der VR hat (für beide Unfälle) insgesamt 170 % der Invaliditätssumme zu leisten. Leistungspflichtige Invalidität Erstunfall i.H.v. 70 % Beinwert + Leistungspflichtige Invalidität Zweitunfall i.H.v. 100 % (2 * 50 % Augenwert) = Gesamtleistungsverpflichtung i.H.v. 170 % (die Höchstgrenze von 100 % für jeden Versicherungsfall greift nicht ein) 920 921
922
Riebesell S. 59. OLG Köln 28.7.2004 VersR 2005 679, 680 = RuS 2006 209; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 30; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 28. OLG Karlsruhe 17.2.2005 VersR 2005 1070 = RuS 2007 117 = ZfS 2005 304, 305.
670
923 924 925 926
Konen/Lehmann S. 44; Reichenbach S. 126. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 39. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 30; Werner S. 153, 157. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 40.
Kent Leverenz
Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
II. Tod der versicherten Person aus unfallfremden Ursachen Während Ziff. 2.1.1.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88/94, § 8 Abs. 2 Nr. 6 244 AUB 61) einen leistungsbegründenden Umstand – nämlich den Wegfall des Invaliditätsanspruchs bei unfallbedingtem Tod der versicherten Person innerhalb eines Jahres nach dem Unfall – regelt (Rn. 172 f.), betrifft Ziff. 2.1.2.3 AUB 2008 bzw. Ziff. 2.1.2.4 AUB 99 (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94, § 13 Nr. 3b S. 3 AUB 61) vornehmlich die Auswirkungen des Todes der versicherten Person auf die Leistungshöhe. Die AUB 88/94/99/2008 ordnen inhaltlich übereinstimmend an, dass der VR unter bestimmten Voraussetzungen nach dem Invaliditätsgrad zu leisten hat, mit dem aufgrund der ärztlichen Befunde zu rechnen gewesen wäre. Der Invaliditätsanspruch bleibt trotz des Todes der versicherten Person dem Grund 245 nach bestehen, wenn folgende Voraussetzungen (kumulativ) gegeben sind: • Die versicherte Person muss aus unfallfremder Ursache innerhalb eines Jahres nach dem Unfall oder gleichgültig aus welcher Ursache später als ein Jahr nach dem Unfall gestorben sein. Unfallfremde Ursachen, die innerhalb des ersten Jahres nach dem Unfall zum Tod führen, können ein weiterer Unfall (neuer Versicherungsfall) oder Krankheiten sein. Unschädlich ist es dabei, wenn der Zweitunfall kausal zum Erstunfall ist. Hat die versicherte Person z.B. aufgrund eines Unfalls beim Hantieren mit Sprengstoff ihr Augenlicht verloren und verunglückt sie nach Entlassung aus dem Krankenhaus aufgrund ihrer Erblindung im Straßenverkehr, so besteht sowohl Anspruch auf die Invaliditätsleistung wegen der Erblindung als auch auf die Todesfallleistung wegen des Verkehrsunfalls.927 Stirbt die versicherte Person dagegen nach Ablauf eines Jahres nach dem Unfall, so ist unerheblich, ob der Tod Folge des Unfalls, eines weiteren Unfalls oder einer Krankheit ist. So kann etwa die Invaliditätsleistung beansprucht werden, wenn die versicherte Person unfallbedingt ins Koma gefallen ist und aufgrund einer Kreislaufschwäche 16 Monate nach dem Unfall stirbt. • Der Anspruch auf Invaliditätsleistung muss entstanden sein. Dies erfordert, dass die materiellen und formellen Voraussetzungen des Invaliditätsanspruchs (Rn. 70) – insbesondere auch die Fristen für den Invaliditätseintritt, die ärztliche Invaliditätsfeststellung und die Geltendmachung der Invalidität – vor dem Tod der versicherten Person erfüllt waren oder danach wenigstens noch erfüllbar sind.928
Häufig hat die versicherte Person in den Fällen ihres überraschenden Todes das Heil- 246 verfahren noch nicht vollständig durchlaufen, so dass ein beurteilbarer Endzustand und damit auch ein abschließend abzurechnender Invaliditätsgrad noch nicht vorliegen. Die AUB 88/94/99/2008 stellen deshalb auf den Invaliditätsgrad ab, mit dem aufgrund der ärztlichen Befunde zu rechnen gewesen wäre. Erforderlich ist eine prognostische Schätzung („zu rechnen gewesen wäre“), welcher Grad der Beeinträchtigung aufgrund der zuletzt erhobenen ärztlichen Befunde spätestens 3 Jahre nach dem Unfall – unter Berücksichtigung bis dahin wahrscheinlicher Minderungen oder Erhöhungen der Beeinträchtigungen – dauernd verblieben wäre (s.a. § 180 Rn. 17 ff.).929 Nicht maßgebend für die Höhe des Invaliditätsanspruchs ist dagegen der Zustand der versicherten Person zum Zeitpunkt ihres Todes bzw. der zuletzt festgestellte Invaliditätsgrad.930 Die Prognose muss auf allgemeinen Erfahrungssätzen eines medizinischen Sachverständigen beruhen
927 928
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 50. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 42; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 33; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 78; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47
929 930
Rn. 199; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 49 und 51 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 52. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 42; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 33.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
(„aufgrund der ärztlichen Befunde“).931 Abzustellen ist auf die zuletzt erhobenen Befunde.932 Häufig wird die Begutachtung nicht oder nicht allein von dem die versicherte Person zuletzt behandelnden Arzt vorgenommen werden können, sondern (darüber hinaus) von einem besonders erfahrenen Unfallarzt erfolgen müssen, da die prognostische Schätzung des Invaliditätsgrade im allgemeinen großer und langjähriger Erfahrung (insbesondere Kenntnisse zu gleichartigen und gleichwertigen Verletzungen) 933 bedarf.934
III. Wirksamkeit 247
Die Wirksamkeit der AUB-Regelungen zur Leistungshöhe des Invaliditätsanspruchs ist – soweit ersichtlich – bisher in der Rechtsprechung und Literatur im Wesentlichen nicht in Frage gestellt worden. Der BGH hat ausdrücklich (wenn auch nur beiläufig) festgestellt, dass die Systematik der Gliedertaxe nicht unklar i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB (§ 5 AGBG) ist.935 Gegen den abstrakt-generellen Maßstab bei der Anwendung der Gliedertaxe bestehen auch keine Bedenken im Hinblick auf § 307 BGB (§ 9 AGBG).936 Lediglich im Rahmen der Auslegung der in der Gliedertaxe (AUB 88/94/99/2008) enthaltenen Formulierung „im Fußgelenk“ hat das Gericht die Unklarheitenregelung herangezogen (Rn. 209 ff.).
E. Speziellere AVB 248
Die Vertragsparteien sind nicht an die Werte in der Gliedertaxe gebunden. Dass Abweichungen möglich sind, ergibt sich bereits aus dem Hinweis in den Muster-AUB (Ziff. 2.1.2.2.1 S. 1 AUB 99) „soweit nicht etwas anderes vereinbart ist“. Dieser Einschub hat kartellrechtliche Hintergründe. Lange Zeit war umstritten, ob der GDV „Gliedertaxwerte“ überhaupt empfehlen darf. Die Europäische Kartellbehörde konnte dann jedoch davon überzeugt werden, dass die Gliedertaxwerte in den Musterbedingungen enthalten sein müssen, um für den Verbraucher höhere Transparenz zu schaffen. Allerdings musste die in den AUB 99 enthaltene Öffnungsklausel aufgenommen werden.937 Es gibt eine Reihe von speziellen Bedingungswerken, die von den AUB-Gliedertaxwerten abweichende Bestimmungen vorsehen:
I. Erweiterungen zur Gliedertaxe 249
Häufig sehen Besondere Bedingungen Verbesserungen bzw. Änderungen der AUBGliedertaxe vor. 1. Verbesserte Gliedertaxen
250
Im Rahmen der Privatautonomie steht es den Vertragsparteien grundsätzlich ohne weiteres offen, Verbesserungen gegenüber der starren Gliedertaxe in den AUB zu verein-
931 932 933 934
Konen/Lehmann S. 45. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 42; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 199. Reichenbach S. 128 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 52.
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935 936 937
BGH 30.5.1990 VersR 1990 964 = RuS 1990 393, 394. Rassow VersR 1983 893, 894. Stockmeier/Huppenbauer S. 6 und 21.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
baren.938 Indes sollte die Höherbewertung bestimmter Gliederschäden nicht dazu führen, dass für andere Schäden unzulänglicher Versicherungsschutz besteht, weil für diese – etwa in Anbetracht der für die verbesserten Gliedertaxwerte notwendig werdenden erhöhten Versicherungsprämie – eine zu niedrige Versicherungssumme gewählt wird.939 a) Verbesserungen für bestimmte Berufsgruppen. Für bestimmte Berufsgruppen (z.B. 251 Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Heilpraktiker und medizinisches Personal) können zur Vermeidung eventueller Härten, die aus der Anwendung der „unflexiblen“ Gliedertaxe folgen, (gegen Prämienzuschlag) spezielle Gliedertaxwerte bzw. „erhöhte bzw. verbesserte Gliedertaxen“ vereinbart werden, die eine größere Einzelfallgerechtigkeit erreichen und die Härten der „normalen“ Gliedertaxe ausgleichen sollen (Rn. 186). Zu nennen sind hier insbesondere die Besonderen Bedingungen für die Bemessung des Invaliditätsgrades für Heilberufe (BB Heilberufe).940 Die Schaffung weiterer verbesserter Gliedertaxen für andere Berufe (z.B. Polizisten 941 oder Musiker) sollte zurückhaltend betrieben werden, da anderenfalls die mit der „normalen Gliedertaxe“ angestrebte Gleichbehandlung der versicherten Person (Rn. 183) gefährdet wird. Ein VN, der an einer hohen Invaliditätsleistung interessiert ist, muss eben entsprechend hohe Versicherungssummen beim Vertragsschluss wählen.942 Auch bei der verbesserten Gliedertaxe ist wie bei den AUB (Rn. 185 ff.) ein rein abstrakter Maßstab heranzuziehen.943 Die besonderen Belange der versicherten Person werden bereits durch die Abänderung der Gliedertaxwerte berücksichtigt.944 „Resthärten“ lassen sich nicht vollständig ausschließen. Ihnen kann nur durch die Vereinbarung entsprechend hoher Versicherungssummen begegnet werden. Durch die Besonderen Bedingungen für die Beamtenunfallversicherung 945 soll Beam- 252 ten die Möglichkeit eröffnet werden, verbesserten Versicherungsschutz zu vereinbaren. Unabhängig von den Bemessungssätzen der Gliedertaxe zahlen die VR dann bei Unfällen, die zur Dienstunfähigkeit des Beamten führen, die volle Invaliditätsleistung. b) Berufsunabhängige Verbesserungen. Den Vertragsparteien ist es unbenommen – 253 unabhängig von der Berufsgruppe der versicherten Person – gegenüber der Gliedertaxe (teilweise) erhöhte Invaliditätsgrade für bestimmte Verletzungen vorzusehen. Denkbar ist es etwa, in einer Zusatzklausel einen Invaliditätsgrad von 100 % für den Verlust oder die Funktionsfähigkeit beider Arme oder Hände, beider Beine oder Füße, je eines Armes oder einer Hand und eines Beines oder eines Fußes vorzusehen. Jedoch dürften solche Absprachen in der Praxis kaum vorkommen.946 Sie bergen die Gefahr, die durch die Gliedertaxe geschaffene Transparenz und Vergleichbarkeit der Invaliditätsleistungen zu beseitigen.947
938
939 940
941
Beispielsfall bei OLG Frankfurt/M. 5.12.2007 RuS 2008 522, 523 f.; s.a. Kloth Rn. G 94 ff.; Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 46. GB BAV 1980 86 Nr. 813. Zum Bedingungstext s. Stockmeier/Huppenbauer S. 132; VerBAV 1987 425; VerBAV 1979 386 (dazu auch GB BAV 1979 86 Nr. 8121) Zur Auslegung der in einer „Polizeiversicherung“ vereinbarten Besonderen Bedingung bei Vollzugsdienstunfähigkeit OLG Koblenz 30.11.2001 VersR 2002 966.
942 943 944 945 946
947
Riebesell S. 59. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 34. OLG Hamm 13.6.1984 VersR 1985 729, 730; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 18. Zum Bedingungstext VerBAV 1987 429; VerBAV 1980 258. Zu einem solchen Fall OLG Hamm 7.10.2005 VersR 2006 1205 = RuS 2006 165 f. S.a. GB BAV 1980 87 Nr. 813.
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AUB 2008 Ziff. 2.1
Unfallversicherung
2. Progressionsmodelle
254
Weiterhin sind in der Praxis eine Reihe von Progressionsmodellen gebräuchlich. Sie dienen dazu, die versicherte Person bei steigenden Invaliditätsgraden mit überproportional steigenden Versicherungssummen besser abzusichern.948 Gemeinsam ist ihnen, dass bei einem Invaliditätsgrad von x Prozent die Versicherungsleistung auf y Prozent erhöht wird. Ist etwa die „Progression – 225 Prozent“ vereinbart, so zahlt der VR bei einem Invaliditätsgrad von 100 % einen Betrag in Höhe von 225 % der vereinbarten Versicherungssumme. Die Darstellung der Progression erfolgt meist anhand von Tabellen, die für jeden Ausgangswert der Gliedertaxe den zugehörigen erhöhten Invaliditätsgrad ausweisen. Im Antragsvordruck ist auf eine klare und transparente Gestaltung zu achten, damit Missverständnisse beim Versicherungsinteressierten über die Höhe der Leistung vermieden werden.949 Extreme Progressionsvereinbarungen sollten vermieden werden. So hat das BAV Bedenken geäußert, wenn für die Berechnung der Invaliditätsleistung vorgesehen ist, dass für den 70 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die siebenfache und für den 90 % übersteigenden Teil die neunfache Invaliditätssumme zugrunde gelegt wird; denn dann besteht die Gefahr, dass der VN eine unzureichende Grunddeckung vereinbart, weil er in Verkennung der Risiko- und Leistungsumstände der Faszination der hohen Zahl unterliegt.950 Beispiele für Progressionsmodelle finden sich in den • Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (BB Progression 99–… Prozent); • Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (BB Progression 99–225 Prozent); • Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (BB Progression 99–300 Prozent).951
Ähnliche Regelungen gibt es auch für die AUB 88/94.952 255 Für die Anwendung der Progressionsstaffel ist der Grad der unfallbedingten Invalidität und nicht der der Gesamtinvalidität entscheidend,953 sofern nicht die Auslegung der jeweils vereinbarten Bedingungen ausnahmsweise Abweichungen ergibt. Dies bedeutet, dass im Regelfall erst von dem nach den AUB ermittelten Invaliditätsgrad der Grad der Vorinvalidität abzuziehen ist, bevor anhand des dadurch gewonnenen unfallbedingten Invaliditätsgrads die Invaliditätsleistung nach der progressiven Invaliditätsstaffel ermittelt wird.954 Die Notwendigkeit, die Vorinvalidität bereits von der Gesamtinvalidität abzuziehen und sie nicht erst bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen, folgt unmittelbar aus Ziff. 2.1.2.2.3 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88/94, 10 Nr. 4 AUB 61. Eines speziellen Hinweises auf diese Berechnungsmethode bedarf es in den Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel nicht.955 256 Die Regeln zur Berücksichtigung der Vorinvalidität gelten nicht zwingend für die Leistungskürzung wegen der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen. Sind die 948 949 950 951 952
953
GB BAV 1960 49. S. dazu etwa GB BAV 1995 52 f. Nr. 7.2.1. GB BAV 1983 83 f. Nr. 911. Stockmeier/Huppenbauer S. 135 ff. VerBAV 1988 415; ferner VerBAV 1987 424; VerBAV 1984 10, 17; VerBAV 1978 27; VerBAV 1961 90. BGH 15.12.1999 VersR 2000 444, 445; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 17.
674
954
955
BGH 24.2.1988 VersR 1988 461 = ZfS 1988 222; OLG Saarbrücken 3.12.1997 VersR 1998 836, 837; Knappmann NVersZ 1999 352, 353. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 197 mit Hinweis auf eine unveröffentlichte Entscheidung des OLG Köln vom 22.8.2001 – 5 U 32/01.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
AUB 88/94 vereinbart, so ist der Invaliditätsgrad zunächst anhand der Progression zu erhöhen, bevor § 8 AUB 88/94 zur Anwendung gelangt. Auf Grundlage der AUB 99/2008 ist zunächst die – ggf. um eine Vorinvalidität – gekürzte Gesamtinvalidität der Mitwirkungsregel zu unterziehen und erst anschließend die Progressionsstaffel heranzuziehen (näher Ziff. 3 AUB 99/2008 Rn. 8). 3. Mehrleistungsmodelle Ferner gibt es Spezialbedingungen, die ab einem bestimmten Invaliditätsgrad erhöhte 257 Leistungen (in der Regel eine Verdoppelung) vorsehen. Hierzu zählen etwa die Besonderen Bedingungen für Mehrleistungen bei einem Invaliditätsgrad ab 90 Prozent (BB Mehrleistungen).956 4. Individuelle Bewertung Die Vertragsparteien können von der abstrakten Bewertung der Gliedertaxe zuguns- 258 ten einer individuellen Bewertung abweichen.957 Dies ist zum einen durch Vertrag möglich, der durch ausdrückliche, aber auch konkludente Einigung zustande kommen kann. So ist es den Parteien nicht verwehrt, sich auf eine von der Systematik der Gliedertaxe abweichende Bemessungsgrundlage zu einigen. Hat z.B. der VR nach einer Fußverletzung nicht nach dem Fuß-, sondern dem Beinwert abgerechnet und beansprucht der VN anschließend einen höheren Beinwert, so ist darin eine (zulässige) konkludente Vereinbarung über den für die konkrete Invaliditätsbemessung zugrunde zu liegenden Gliedertaxwert (Bein- statt Fußwert) zu sehen.958 Weiterhin kann der VR im Wege der Selbstbindung dazu verpflichtet sein, bei Verlust von vier Langfingern, der „an sich“ nach der Gliedertaxe mit 25 % zu bewerten wäre, nach dem Gliedertaxwert für den Verlust einer Hand im Handgelenk (55 %) abzurechnen, wenn er dies dem VN in Kenntnis der unterschiedlichen Berechnungsmethoden mitgeteilt hat, in der Folgezeit beide Parteien von dieser Berechnungsart ausgegangen sind und sich der VR nicht von seiner Erklärung (etwa durch Anfechtung wegen Erklärungsirrtums oder arglistiger Täuschung) gelöst hat.959 Zum anderen kann sich eine individuelle Bewertung auch nach den Grundsätzen der 259 Vertrauenshaftung ergeben.960 Voraussetzung dafür ist ein entsprechendes Verhalten des VR (z.B. Werbeschreiben, zurechenbare Erklärung des Versicherungsvermittlers bzw. -vertreters), das darauf schließen lässt, es gelte ein „individuell hoher Versicherungsschutz für den Invaliditätsfall“.961
956
957 958
Zum Bedingungstext Stockmeier/Huppenbauer S. 140; VerBAV 1988 414 f. (dazu auch GB BAV 1988 88 Nr. 9.2.2); VerBAV 1987 424 f.; VerBAV 1984 10, 17; VerBAV 1978 27; VerBAV 1974 154. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 26. OLG Düsseldorf 1.7.1998 VersR 1999 880 f. = NVersZ 1999 379.
959 960 961
OLG Oldenburg 17.4.1996 VersR 1997 176. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 18. OLG Hamm 13.6.1984 VersR 1985 729, 730; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 26; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 34.
Kent Leverenz
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Unfallversicherung
II. Einschränkungen der Invaliditätsleistung 260
Zulässig ist der formularmäßige Ausschluss von Versicherungsverleistungen für Teilinvalidität. Eine dahingehende Vereinbarung ist zwar unüblich, jedoch nicht überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB (§ 3 AGBG), wenn der VR den VN ausdrücklich auf das Abweichen von den AUB hingewiesen hat. Die Klausel hält des Weiteren einer Inhaltskontrolle stand. Sofern eine Bestimmung mit dem Inhalt, dass nur bei Totalverlust eines Gliedes entsprechend der Gliedertaxe oder bei Ganzinvalidität eine Invaliditätsleistung geschuldet wird, überhaupt einer Inhaltskontrolle unterliegt (§ 307 Abs. 1 BGB, § 8 AGBG; Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 87 ff.), liegt jedenfalls keine unangemessene Benachteiligung des VN i.S.v. § 307 BGB (§ 9 AGBG) vor: Zum einen gibt es zum konkreten Leistungsinhalt der Unfallversicherung keine gesetzlich oder durch die Rechtsprechung fixierten Leitbilder. Vielmehr herrscht insofern Gestaltungsfreiheit (§ 178 Rn. 1). Zum anderen wird der Versicherungsschutz des VN nicht ausgehöhlt, wenn er zwar nicht für jeden Invaliditätsfall, jedoch – zu einem angemessenen Prämiensatz – für bedeutsame Fallgestaltungen von Unfällen Versicherungsleistung beanspruchen kann.962 Allerdings darf der VN nicht durch sonstige Vertragsdokumente oder Werbedruckstücke über den Umfang seines Versicherungsschutzes irregeführt werden. 261 Dem VR ist es weiterhin nicht verwehrt, sog. Invaliditätsfranchisen einzuführen. Sie sehen abweichend von den AUB vor, dass eine Invaliditätsleistung nur dann zu leisten ist, wenn der Invaliditätsgrad einen bestimmten Prozentsatz – meist 20 oder 25 % – übersteigt.963 Die Vereinbarung eines Mindestinvaliditätsgrades erlaubt es, dass der VN gewisse Risiken selbst trägt und nur die schweren Invaliditätsfälle gegen eine entsprechend günstigere Prämie absichern kann. Andererseits sind Verträge mit Franchisen mit Skepsis zu betrachten. Der Invaliditätsgrad liegt sehr häufig unter 20 %. Wird nun etwa ein Leistungsverzicht von 25 % vereinbart, erhält die versicherte Person in einer Vielzahl von Fällen keine Versicherungsleistung mit der Folge, dass die Gliedertaxe außer Kraft gesetzt wird.964 So könnte der VN für den unfallbedingten Verlust eines Daumens oder des Geruchssinns keine Invaliditätsleistung beanspruchen. Dennoch hatte das Aufsichtsamt gegen diese „Produktinnovation“ keine grundsätzlichen Bedenken.965 Der VR müsse allerdings zum einen mögliche Irrtümer des VN über den Umfang des Versicherungsschutzes ausschließen. Dazu sei es erforderlich, die Besondere Bedingung in Fettdruck wiederzugeben, ihre Überschrift durch den Klammerzusatz „Versicherungsleistungen für Invalidität nur bei einem Invaliditätsgrad von mehr als … %“ zu ergänzen sowie die Überschrift „Antrag auf Unfallversicherung mit eingeschränkten Invaliditätsleistungen“ im Antragsformular aufzunehmen.966 Zum anderen sprach sich das BAV dagegen aus, Invaliditäts-Franchisen von mehr als 50 % vorzusehen.967 Invaliditätsfranchisen, die den Vorgaben des Amtes entsprechen, verstoßen nicht gegen das AGB-Recht:968 Dahingehende 962
963
964
OLG Frankfurt 20.9.2000VersR 2001 451 f.; OLG Frankfurt 10.7.1996 RuS 1998 391, 392; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 17; a.A. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 27. Beispiele aus der Rechtsprechung: OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135; LG Bad Kreuznach 21.4.1989 ZfS 1989 424, 425; LG Kleve 19.4.1961 VersR 1962 149. Krebs VW 1985 1455, 1456.
676
965 966 967 968
S. aber noch GB BAV 1979 88 Nr. 818. GB BAV 1984 88 Nr. 9.2.2; s.a. GB BAV 1961 49. VerBAV 1994 127; GB BAV 1993 73 f. Nr. 9.2.5. OLG Düsseldorf 2.7.1996 VersR 1997 1134, 1135 f.; s.a. Baumann JZ 1978 81, 86; ebenso LG Hamburg 29.5.2009 RuS 2009 384 (die versicherte Person einer GruppenUnfallversicherung konnte – als „Bonus“ – für die Dauer ihrer Mitgliedschaft beim
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
Klauseln sind nicht überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB (§ 3 AGBG), wenn sie inhaltlich ohne weiteres verständlich und drucktechnisch so angeordnet sind, dass eine Kenntnisnahme durch den VN zu erwarten ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 84 f.). Die Regelung über den erforderlichen Mindestinvaliditätsgrad als Leistungsvoraussetzung ist unter diesen Voraussetzungen als kontrollfähige Modifikation der Leistungspflicht (§ 307 Abs. 1 BGB, § 8 AGBG) auch mit § 307 BGB (§ 9 AGBG) vereinbar. Sie führt insbesondere zu keiner formularmäßigen Aushöhlung von Kardinalpflichten, da etwa bei Vereinbarung einer 20 %-Grenze ein wirtschaftlich sinnvoller Versicherungsschutz für besonders schwerwiegende Unfallfolgen weiterhin gewährleistet bleibt. Allerdings wird bei Vereinbarung einer Invaliditätsfranchise eine „gesteigerte“ Beratungspflicht des VR bzw. Vermittlers anzunehmen sein.
F. Verfahrensfragen Zur Vorbereitung einer Klage auf Zahlung einer Invaliditätsleistung kommt die 262 Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 ZPO in Betracht.
I. Leistungsvoraussetzungen 263
Zu einem schlüssigen Klagvortrag gehört die substantiierte Darstellung, dass • Invalidität innerhalb der Jahresfrist eingetreten ist, • die Invalidität innerhalb von 15-Monaten ärztlich festgestellt worden ist.969 Spätestens im Prozess ist mit der Klagbegründung ein fristgerecht erstelltes ärztliches Attest mit der Dokumentation unfallbedingter Invalidität vorzulegen. Fehlt es an dem entsprechenden Nachweis, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass der behandelnde Arzt gerade keine Invalidität oder sogar das Gegenteil attestiert hat und der Anspruchsteller ein solches Dokument (verständlicherweise) zurückhält.970 • die Invalidität innerhalb von 15-Monaten beim VR geltend gemacht worden ist.
Die formellen Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätsleistung hat das Gericht – mit Ausnahme der Ausschlussfrist für die Geltendmachung der Invalidität – von Amts wegen zu prüfen. Die Beweislast trägt der Anspruchsteller. 1. Einführung in den Prozess Fraglich kann sein, ob bei Verstreichen einer der Fristen die Leistungsfreiheit des VR 264 nur dann eintritt, wenn er sich darauf beruft oder der Fristablauf vom Gericht von Amts wegen beachtet werden muss. Hier ist zu differenzieren: a) Eintritt und ärztliche Feststellung der Invalidität. Der Eintritt der Invalidität inner- 265 halb der Jahresfrist und die ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach Eintritt des Unfallereignisses sind als objektive Anspruchsvoraussetzungen (Rn. 76 und 82 f.) von Amts wegen zu prüfen.971 Dies bedeutet:
969 970
VN eine Invaliditätsleistung erst ab einem Invaliditätsgrad von 20 % beanspruchen). OLG Koblenz 9.3.2001 – 10 U 1516/99. Manthey NVersZ 2001 55, 57.
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OLG Naumburg 13.5.2004 RuS 2006 124, 125; Schwintowski/Brömmelmeyer § 186 VVG Rn. 16; Jacob VersR 2007 456, 457; Kloth Rn. G 67; Marlow/Spuhl 3 S. 269;
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Unfallversicherung
• Fehlt es an einem schlüssigen und substantiierten Tatsachenvortrag des Klägers (Anspruchstellers) oder ergibt sich aus seinem eigenen Sachvortrag die Fristversäumnis, so ist die Klage – nach einem erteilten richterlichen Hinweis – bereits deshalb als unbegründet abzuweisen.972 Liegt m.a.W. bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung überhaupt keine ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität vor, ist die Klage abweisungsreif.973 Es besteht kein Erfordernis dafür, dass sich die Beklagte (der VR) auf die Sache einlassen oder auf die entsprechenden AUB-Fristen berufen muss.974 Eventueller Vortrag des VR zu den AUB-Fristen ist „an sich“ überflüssig und kann vielmehr nur als „Unterstützung“ des Gerichts bei der Rechtsfindung verstanden werden. Der VR kann nicht auf die Feststellung objektiver Tatbestandsvoraussetzungen verzichten; sie kann ihr Vorliegen nur unstreitig stellen.975 • Trägt der Kläger den die Anspruchsvoraussetzungen begründenden Sachverhalt falsch vor, so muss der VR ihn substantiiert bestreiten. Ggf. muss das Gericht dann Beweis über den fristgerechten Invaliditätseintritt und die Invaliditätsfeststellung erheben.
266
Fehlt es an der Fristwahrung, so kann die Klage des Anspruchstellers nur Erfolg haben, wenn dem VR ein Verstoß gegen § 186 bzw. gegen § 242 BGB vorzuwerfen ist. Der VR kann sich dann nach der in § 186 S. 2 gewählten und auch bisher üblichen Formulierung „nicht auf die Versäumnis berufen“. Diese Wortwahl ist zumindest ungenau bzw. missverständlich. Das „Berufen“ auf die nicht eingehaltenen AUB-Fristen ist streng genommen ein irrelevantes Verhalten des VR, weil das Gericht die formellen Anspruchsvoraussetzungen des Invaliditätsanspruchs auch ohne Ausführungen des VR zu prüfen hat. Bei dem Hinweis des VR auf die nicht eingehaltene Frist handelt es sich nicht etwa um eine materiell-rechtliche Einwendung oder Einrede des VR, die ihm nach Treu und Glauben verwehrt ist. Auch geht es nicht um unzulässiges prozessuales Bestreiten durch den VR; denn wenn der Anspruchsteller die Tatsachen zur Fristwahrung falsch oder unvollständig in dem Versuch vorträgt, die Schlüssigkeit der Klage zu begründen, so verstößt er gegen seine prozessuale Wahrheitspflicht. Vielmehr soll dem VN die Anspruchsdurchsetzung mit Hilfe der § 186 und § 242 BGB aus Billigkeitserwägungen erleichtert werden (s.a. § 186 Rn. 2). Dem VN wird wegen eines Fehlverhaltens des VR die Heilung einer Fristversäumnis gestattet (Rn. 149 ff.). Der Kläger muss folglich (ggf. nach einem Hinweis durch das Gericht) vortragen, dass zwar die Anspruchsvoraussetzungen nicht (vollständig) vorliegen, der VR jedoch seinen Hinweis- und Belehrungspflichten aus § 186 bzw. § 242 BGB nicht oder nur unzureichend nachgekommen ist oder sich aus sonstigen Gründen treuwidrig gemäß § 242 BGB verhalten hat (vgl. Rn. 132 ff.). Unverzichtbar bleibt es, dass der VN eine – wenn auch verspätete – ärztliche Feststellung der Invalidität vorträgt und ggf. beweist (Rn. 153).
267
b) Geltendmachung der Invalidität. Bei der Geltendmachung der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach Eintritt des Unfallereignisses handelt es sich um eine Ausschlussfrist (Rn. 118), für die ähnliches wie für die Klagfrist nach § 12 Abs. 3 a.F. gilt. Die AUB-Frist zur Geltendmachung ist folgerichtig nicht von Amts wegen, sondern erst dann zu prüfen, wenn der VR ihre fehlende Einhaltung rügt. Dies ist grundsätzlich auch
a.A. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 55, da der VR sachkundig sei. Dieses Verständnis überzeugt indes nicht. Das Gericht kann die Prüfung objektiver Anspruchsvoraussetzungen nicht von den (vermeintlichen) Fachkenntnissen einer Partei abhängig machen. Eine dahingehende Rechtsgrundlage ist nicht ersichtlich.
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972 973 974 975
Kloth Rn. G 66. LG Dortmund 14.2.2008 RuS 2009 206. Jacob VersR 2007 456, 457; Kloth Rn. G 67. OLG Hamm 13.6.2001 NVersZ 2001 551, 552; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 9.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
noch in der Berufungsinstanz möglich. Es besteht keine Pflicht des VR, die Versäumung der 15-Monatsfrist durch den Anspruchsteller unverzüglich geltend zu machen: • Zu § 12 Abs. 3 a.F. hat der BGH entschieden, dass die Klagfrist zur Disposition des VR steht und das Gericht sie deshalb nur zu beachten hat, wenn sich der VR im Prozess ausdrücklich auf sie beruft.976 Die verstrichene Klagefrist kann der VR auch noch in der Berufungsinstanz geltend machen. Der VR hat ohne Hinzutreten weiterer Umstände weder auf die sich aus § 12 Abs. 3 a.F: ergebende Leistungsfreiheit verzichtet noch handelt er rechtsmissbräuchlich.977 Eine Verpflichtung des VR, den Ablauf der Klagfrist im Prozess unverzüglich geltend zu machen, besteht nicht. • Die vom BGH für die prozessuale Behandlung der Klagefrist angeführten Überlegungen lassen sich auf die mit der Klagefrist vergleichbare Frist zur Geltendmachung der Invalidität übertragen: Kernargument des BGH zu § 12 Abs. 3 a.F. ist, dass die Klagefrist allein im Interesse des VR geschaffen ist und es ihm deshalb überlassen sein muss, ob und wann er sich im gerichtlichen Verfahren auf sie berufen will.978 Auch die AUB-Frist zur Geltendmachung der Invalidität dient dem Interesse des VR. Mit ihr soll erreicht werden, dass schwer aufklärbare Spätschäden vom Versicherungsschutz ausgenommen sind und der VR in einem überschaubaren Zeitraum – ggf. durch eigene Recherchen – Gewissheit über seine Leistungspflicht erhalten kann (Rn. 74). Beruft sich der VR im Rechtsstreit nicht bei erster Gelegenheit auf den Fristablauf, so ist dies grundsätzlich noch nicht als Verzicht auf den Fristeneinwand zu werten, da der Wille des VR, eine ihm günstige Rechtsposition aufzugeben, nicht ohne weiteres unterstellt werden kann (Rn. 162). Weiterhin liegt in der zögerlichen Berufung auf die nicht eingehaltene 15-Monatsfrist ohne Hinzutreten weiterer Umstände noch kein Verstoß gegen Treu und Glauben (Rn. 160).
2. Beweislastverteilung Die Darlegungs- und Beweislast für die formellen Voraussetzungen trägt der An- 268 spruchsteller.979 Dies bedeutet im Einzelnen: • Den Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfallereignis hat der Anspruchsteller darzulegen980 und ggf. zu beweisen.981 Gelingt ihm dies nicht, so besteht keine Leistungspflicht des VR.982 Unzureichend sind die Angaben geringfügiger Gesundheitsschäden, vage Zukunftsprognosen zur Dauerfolge oder positive Wertungen, die auf eine deutliche und ständige Besserung der Verletzungsfolgen schließen lassen.983 • Die Beweislast für die ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb der 15-Monatsfrist trägt der Anspruchsteller.984
976
977
BGH 19.10.2005 VersR 2006 57, 58 Rn. 16 f. = RuS 2006 59, 60 (Bestätigung zu BGH 27.11.1958 VersR 1959 22, 23 = NJW 1959 241); KG 26.1.2001 RuS 2003 273, 274; Grimm 4 Ziff. 14 AUB 99 Rn. 1; Römer/Langheid 2 § 12 Rn. 32; a.A. KG 28.6.1983 VersR 1984 977; OLG Nürnberg 11.11.1964 NJW 1965 588, 589; LG Bonn 1.6.1976 NJW 1977 54 f.; LG Würzburg 11.11.1966 VersR 1967 271, 272; Berliner Kommentar/Gruber § 12 Rn. 45; Prölss/Martin/Prölss 27 § 12 Rn. 20 und 45. BGH 19.10.2005 VersR 2006 57, 59 Rn. 21 ff. = RuS 2006 59, 60 f.; OLG Hamm 16.9.1994 VersR 1995 819 = RuS 1995 1; OLG Hamm 25.7.1990 RuS 1991
978 979 980 981
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361; OLG Köln 19.3.1997 RuS 1998 223, 224. BGH 19.10.2005 VersR 2006 57, 58 f. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 7; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 50. OLG Düsseldorf 13.3.1990 ZfS 1990 209. OLG Saarbrücken 21.6.2005 VersR 2007 487; E. Hofmann S. 63; Stiefel/Hofmann 17 § 20 AKB Rn. 20. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 18. OLG Frankfurt/M. 21.12.1992 RuS 1995 279, 280. OLG Karlsruhe 7.2.2005 VersR 2005 1230, 1231; OLG Karlsruhe 21.9.1995 RuS 1996 331, 332; Büsken VersR 1989 1040; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 168.
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Unfallversicherung
• Die Beweislast für den rechtzeitigen Zugang der Geltendmachung der Invalidität beim VR trägt der Anspruchsteller.985 Behauptet der VN die Geltendmachung gegenüber einem Versicherungsvertreter, so muss er substantiiert vortragen, was genau und wann er dem Vertreter mitgeteilt hat. Die bloße Behauptung der versicherten Person, sie habe sich nach dem Unfall mit der Versicherungsagentur des VR in Verbindung gesetzt und ihre aus dem Unfallversicherungsvertrag ergebenden Ansprüche geltend gemacht, genügt nicht; denn daraus ergibt sich weder die Geltendmachung einer Invaliditätsleistung noch die Einhaltung der 15-Monatsfrist.986 Trifft den VN keine Schuld an der Fristversäumnis, so hat er dafür ebenfalls die Beweislast.987 So kann sich der VN exkulpieren, wenn er die rechtzeitige Absendung des Schreibens an den VR beweisen kann (Rn. 128).
Es gilt der Beweismaßstab des § 286 ZPO (s.a. § 180 Rn. 46 ff.). Da es für das Vorliegen des Kriteriums der dauerhaften Beeinträchtigung auf eine langfristige Prognoseentscheidung ankommt und keine Gewissheit verlangt werden kann (Rn. 99 ff. und § 180 Rn. 25 f.), soll es für den Beweis des Eintritts der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall ausreichen, dass zu 95 % mit einem Dauerschaden zu rechnen ist.988 Ferner genüge es unter Berücksichtigung des Klauselzwecks, Spätschäden von der Regulierung auszuschließen (Rn. 71 ff.), wenn zum Ende des Unfalljahres Unfallfolgen verblieben sind und bereits zu diesem Zeitpunkt mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ anzunehmen ist, dass sie andauern werden.989 Dieser Weg ist indes bedenklich, da die Grenze zwischen § 286 ZPO und § 287 ZPO leicht verwischt wird. Der Richter muss zu einer Überzeugung gelangen, die Zweifeln Schweigen gebietet. Jedenfalls ist es unzulässig, Invalidität binnen Jahresfrist als nachgewiesen anzusehen, wenn der nach einem Jahr bestehende unfallbedingte Zustand nach Ablauf von drei Jahren immer noch andauert und sich ein Ende nicht absehen lässt;990 denn es ist eine Prognose zum Ablauf der Jahresfrist zu treffen, und zwar notfalls so, dass sich das (u.U. viele Jahre nach Fristablauf) mit der Entscheidung befasste Gericht (ggf. mit Hilfe eines sachverständigen Gutachters) rückblickend in den Tatsachenstand zurückversetzt, der bis zu einem Jahr nach dem Unfall erkennbar war. Nicht statthaft ist es dagegen, den Kenntnisstand nach drei Jahren zugrunde zu legen und aus der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Invalidität Schlussfolgerungen für die Vergangenheit zu ziehen.
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OLG Hamm 8.1.1992 VersR 1992 1255 = RuS 1992 322, 323; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 15. OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450 = RuS 2001 390, 391 BGH 24.3.1982 VersR 1982 567, 568; OLG Düsseldorf 13.3.1990 ZfS 1990 209; OLG Frankfurt/M. 21.2.1995 VersR 1996 618, 619 = RuS 1995 474, 476; LG Köln 18.5.1989 VersR 1989 1039, 1040; LG Rottweil 30.6.1987 RuS 1987 328. So OLG Hamm 9.6.1999 VersR 2000 43, 44 = NVersZ 1999 566 (für einen tragischen Fall, in dem ein Kind eine Gesichtsnervenlähmung erlitten hatte, deren Dauerhaftigkeit sich medizinisch regelmäßig erst zwei bis zweieinhalb Jahre nach dem Unfall sicher prognostizieren lässt).
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989 990
OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397 = RuS 2007 71, 72. So aber OLG Karlsruhe 15.12.2005 VersR 2006 1396, 1397 = RuS 2007 71, 72; krit. Marlow RuS 2007 353, 358; ferner Schwintowski/Brömmelmeyer § 180 VVG Rn. 14; Kloth Rn. G 16 Fn. 27; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 45. Der BGH hat in dem die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschluss (6.12.2006 – IV ZR 14/06, abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) ausgeführt, dass die Rechtsauffassung des OLG Karlsruhe in dieser Allgemeinheit nicht zutreffe; dazu auch Kessal-Wulf RuS 2008 313, 317 f.
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Invaliditätsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.1
3. Beweismittel Ein dem VR innerhalb der 15-Monatsfrist vorgelegter Rentenbescheid reicht grund- 269 sätzlich nicht aus, die fristgerechte ärztliche Invaliditätsfeststellung zu belegen. Der Bescheid weist nicht aus, dass ein Arzt Feststellungen getroffen hat (Rn. 87). In Betracht kommt deshalb nur, die Akte des Rentenversicherungsträgers im Rechtsstreit zwischen dem Anspruchsteller und VR beizuziehen. Eine Aktenbeziehung gemäß § 432 ZPO setzt indes u.a. substantiierten Vortrag der beantragenden Partei dazu voraus, • dass der Rentenversicherungsträger überhaupt ärztliche Untersuchungen veranlasst hat, bei denen sich sowohl das Vorliegen von Dauerfolgen als auch deren Unfallursächlichkeit herausgestellt hat. • welche Urkunden oder Aktenteile sie für erheblich hält.
Fehlt dahingehender Vortrag, so ist der Tatrichter nicht verpflichtet, Akten beizuziehen und diese von sich aus daraufhin zu überprüfen, ob sie Unterlagen enthalten, die einer Partei günstig sind. Dies käme einer unzulässigen Beweisermittlung gleich.991 Wird mit der hier vertretenen Auffassung – bei Geltung der AUB 61/88/94 – keine Schriftlichkeit für die ärztliche Feststellung verlangt (Rn. 112), so kann der Anspruchsteller zur Beweisführung alle prozessual zulässigen Möglichkeiten in Anspruch nehmen. Hierzu gehört auch die Vernehmung des Arztes.992 4. Prozessvereinbarungen VN und VR können die Klärung der Frage einer Invalidität bis zu einem bestimmten 270 Zeitpunkt, etwa bis zum rechtskräftigen Abschluss einer Klage über Krankenhaustage- und Genesungsgeld, einvernehmlich zurückstellen. I.E. kann dadurch z.B. auch die Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität gehemmt werden (s.a. Rn. 115). Ein solches Stillhalteabkommen (sog. pactum de non petendo) hindert für die vereinbarte Zeit die Klagbarkeit für beide Seiten. Beruft sich also der Beklagte auf die getroffene Abrede, so ist eine vor Prozessabschluss erhobene Klage unzulässig. Der zeitweilige Ausschluss der Klagbarkeit kann nicht einfach einseitig durch eine der vertragsschließenden Parteien überwunden werden. Jedenfalls ist das Stillhalteabkommen nicht ohne besonderen Grund kündbar.993
II. Leistungshöhe Die Beweislast für den Eintritt der Invalidität, das Ausmaß der Invalidität und die 271 haftungsausfüllende Kausalität trägt der Anspruchsteller (§ 180 Rn. 46 ff.). Behauptet er, der Verlust eines Körpergliedes (z.B. von Fingern) habe nicht nur zu Ausstrahlungen, sondern zu weiteren (selbständigen) Funktionsbeeinträchtigungen bei körpernäheren Gliedmaßen (z.B. der Hand) mit der Folge geführt, dass ein höherer Gliedertaxwert anzulegen sei (Rn. 209 ff.), so bedarf es eines substantiierten Vortrags. Die allgemeine Behauptung genügt nicht, um eine Beweisaufnahme herbeizuführen.994 Der VR trägt die Beweislast für eine Vorinvalidität der versicherten Person.995 Er 272 muss den Nachweis führen, dass und in welchem Ausmaß eine dauernde Beeinträchti-
991 992 993
OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450 = RuS 2001 390, 391. OLG Karlsruhe 21.9.1995 RuS 1996 331, 332. BGH 14.6.1989 RuS 1989 305, 306 = NJW-RR 1989 1048, 1049.
994 995
OLG Nürnberg 19.11.1998 VersR 1999 1485 = RuS 1999 130 = NVersZ 1999 381 f. S. etwa Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 33; Werner S. 153, 158.
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Unfallversicherung
gung der körperlichen oder geistigen Funktionen der versicherten Person vor dem Unfall vorgelegen hat. Kann er diesen Beweis nicht führen, kann kein Vorinvaliditätsabzug erfolgen.996 Die Beweisführung kann hier problematisch sein, wenn der Sachverständige nicht über brauchbare Informationen zur Funktionsbeeinträchtigung vor dem Unfallgeschehen verfügt. Der VR hat für die Beibringung älterer Befundberichte Sorge zu tragen.997 Beispiele: • Kann die vom VN behauptete Beschwerdefreiheit und die vom Sachverständigen daraufhin nachvollziehbar und überzeugend bestätigte fehlende Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule im Zeitraum vor dem Unfall vom VR nicht substantiiert entkräftet werden, so geht dies zu Lasten des VR; eine Vorinvalidität kann nicht in Abzug gebracht werden.998 • Ein Abzug der Vorinvalidität scheidet ebenfalls aus, wenn die Minderung der Sehkraft eines Auges vor dem Unfall nicht mehr feststellbar ist.999
273
Typischerweise ist zur Ermittlung der Invalidität als solcher und der Höhe des Invaliditätsgrades die Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen bzw. die Heranziehung von Gutachten aus anderen Verfahren erforderlich (näher dazu Anh. Ziff. 16 AUB 2008 Rn. 14 ff.). Daneben kommen auch weitere Beweismittel wie Urkunden usw. in Betracht. Sofern die Vertragsparteien die AUB 61 vereinbart haben und es auf das Vorliegen oder den Umfang der Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person ankommt, binden Feststellungen im Sozialgerichtsverfahren die ordentlichen Gerichte nicht. Beruft sich jedoch der VN vor dem Zivilgericht zum Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit auf die vom Sozialgericht von Amts wegen getroffenen Sachverhaltsermittlungen, so darf das Zivilgericht dieses Vorbringen nicht außer Acht lassen. Vielmehr muss es das Urteil des Sozialgerichts nach § 286 Abs. 1 ZPO in seine Beweiswürdigung mit einbeziehen. Will es von den Feststellungen des Sozialgerichts abweichen, so muss es die hierfür maßgeblichen Gründe angeben.1000
Ziff. 2.2 AUB 2008 2.2 Übergangsleistung 2.2.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person ist im beruflichen oder außerberuflichen Bereich unfallbedingt – nach Ablauf von sechs Monaten vom Unfalltag an gerechnet und – ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen noch um mindestens 50 % beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung hat innerhalb der sechs Monate ununterbrochen bestanden. Sie ist von Ihnen spätestens sieben Monate nach Eintritt des Unfalles unter Vorlage eines ärztlichen Attestes bei uns geltend gemacht worden. 2.2.2 Art und Höhe der Leistung Die Übergangsleistung wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme gezahlt.
996 997 998
Lehmann/Ludolph 2 S. 81. Tändler/Schröter MedSach 99 (2003) 115, 118. OLG Frankfurt/M. 13.7.2005 VersR 2006 828 f. = RuS 2006 164, 165.
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OLG Düsseldorf 30.3.2004 VersR 2005 109, 110 = RuS 2006 163, 164. BGH 8.7.1981 VersR 1981 1151; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 35.
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Übergangsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.2
Schrifttum Bihr „Ein Vertragswerk der neuen Generation“ – wird jetzt alles besser? VW 1999 1329; Claßen Rechtlicher Charakter der Anmeldefrist für die Übergangsleistung in der privaten Unfallversicherung, VersR 1991 1233; Wussow Obliegenheiten in der privaten Unfallversicherung, VersR 2003 1481.
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . I. Zweck der Leistungsart . . . . . . . . . II. Entwicklung der Leistungsart . . . . . . 1. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . . 2. AUB 88/94 . . . . . . . . . . . . . . 3. AUB 99/2008 . . . . . . . . . . . . . B. Voraussetzungen für die Leistung . . . . I. Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der versicherten Person . . . . . . . . . II. Ununterbrochene Beeinträchtigung innerhalb der ersten sechs Monate vom Unfalltag an . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn.
. 1 . 2 . 3 . 4 . 7 . 8 . 10
III. Keine Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Geltendmachung . . . . . . . . . . . . C. Höhe der Leistung . . . . . . . . . . . D. Belehrungspflicht des VR . . . . . . . . E. Wirksamkeit der Regelung . . . . . . . F. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . G. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . H. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . .
. 11
. . . . . . . .
18 19 25 26 27 28 29 30
. 14
A. Einführung Die in den AUB – seit geraumer Zeit – vorgesehene Übergangsleistung soll vornehm- 1 lich die Invaliditätsleistung ergänzen.
I. Zweck der Leistungsart Die Vereinbarung der Übergangsleistung ermöglicht dem VN zum einen, bei schwe- 2 ren Verletzungen eine spürbare und nennenswerte (Einmal-)Leistung bzw. Kapitalsumme in Höhe der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme in Anspruch zu nehmen, um den „leistungsarmen Zeitraum“ zwischen dem Ende der stationären Behandlung und der Zahlung von Invaliditätsvorschüssen schließen zu können.1 Hintergrund ist, dass erfahrungsgemäß nach Abschluss einer Krankenhausbehandlung in zahlreichen Fällen noch ein längerer Zeitraum verstreicht, innerhalb dessen einerseits die Leistungsfähigkeit (bzw. Arbeitsfähigkeit) der versicherten Person noch erheblich beeinträchtigt ist, andererseits noch nicht über den Invaliditätsanspruch (abschließend) entschieden werden kann.2 Vielmehr ist es so, dass die Fälligkeit der Invaliditätsleistung in der Regel frühestens 15 Monate nach Eintritt des Versicherungsfalls eintritt. Zum anderen tritt häufig die Situation auf, dass trotz längeren Rehabilitationsverlaufs kein Dauerschaden verbleibt und damit kein Anspruch auf Invaliditätsleistung entsteht. Auch in solchen Fällen verhindert die Übergangsleistung, dass die versicherte Person bei einer schweren Unfallverletzung u.U. ohne Kapitalleistung aus der Unfallversicherung auskommen muss oder sich nur gegen
1
LG Osnabrück 16.3.1993 RuS 1993 396; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 109; R. Lehmann VersR 2003 725; Lehmann/Ludolph 2 S. 97; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2
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§ 47 Rn. 201; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 38; Stockmeier/Huppenbauer S. 24. VerBAV 1977 129 f.; GB BAV 1976 76 Nr. 812.
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Unfallversicherung
die nachteiligen wirtschaftlichen Folgen ihrer vorübergehenden Beeinträchtigung durch den Abschluss einer Unfalltagegeldversicherung schützen kann, die aber prämienmäßig entsprechend teuer ist.3
II. Entwicklung der Leistungsart 3
Die Übergangsentschädigung (AUB 61) bzw. Übergangsleistung (ab AUB 88) ist 1977 eingeführt worden 4 und seitdem fester Bestandteil der AUB. Sie hat in den jeweiligen AUB-Generationen – AUB 61, AUB 88/94 und AUB 99/2008 – eine unterschiedliche Ausgestaltung erfahren: AUB 2008 5 (Abwei- AUB 99 6 chungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 94
AUB 88 7
AUB 61 8
2.2 Übergangsleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
2.2 Übergangsleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 2 Übergangsleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 2 Übergangsleistung
§ 8 Abs. 7 Übergangsentschädigung
2.2.1 Voraussetzungen für die Leistung: S. 1 Die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person ist im beruflichen oder außerberuflichen Bereich unfallbedingt – nach Ablauf von sechs Monaten vom Unfalltag an gerechnet und – ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen noch um mindestens 50 % beeinträchtigt.
2.2.1 Voraussetzungen für die Leistung: S. 1 Die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person ist im beruflichen oder außerberuflichen Bereich unfallbedingt – nach Ablauf von sechs Monaten vom Unfalltag an gerechnet und – ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen noch um mindestens 50 % beeinträchtigt.
S. 2 Diese Beeinträchtigung hat innerhalb der sechs Monate ununterbrochen bestanden. S. 2 Zur Geltendmachung wird auf § 9 Abs. 6 verwiesen.
S. 1 Besteht nach Ablauf von sechs Monaten seit Eintritt es Unfalles ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen noch eine unfallbedingte Beeinträchtigung der normalen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit von mehr als 50 % und hat diese Beeinträchtigung bis dahin ununterbrochen bestanden, so wird die im Vertrag vereinbarte Übergangsleistung erbracht.
Nr. 1 S. 1 Besteht nach Ablauf von sechs Monaten vom Eintritt des Unfalles an gerechnet ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen noch eine unfallbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit von mehr als 50 % und hat diese Beeinträchtigung bis dahin ununterbrochen bestanden, so wird die versicherte Übergangsentschädigung gezahlt.
S. 2 Diese Beeinträchtigung hat innerhalb der sechs Monate ununterbrochen bestanden.
S. 1 Besteht nach Ablauf von sechs Monaten seit Eintritt des Unfalles ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen noch eine unfallbedingte Beeinträchtigung der normalen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit im beruflichen oder außerberuflichen Bereich von mehr als 50 % und hat diese Beeinträchtigung bis dahin ununterbrochen bestanden, so wird die im Vertrag vereinbarte Übergangsleistung erbracht.
3 4 5
VerBAV 1977 129. VerBAV 1977 129, 130; s. dazu auch GB BAV 1976 76 Nr. 812. Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de.
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6 7 8
S. 2 Zur Geltendmachung wird auf § 9 Abs. 6 verwiesen.
S. 2 Für die Bemessung des Grades der Beeinträchtigung der Arbeitsunfähigkeit ist die Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten maßgeblich.
Stockmeier/Huppenbauer S. 23. VerBAV 1987 417, 420. VerBAV 1984 10, 13.
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AUB 2008 Ziff. 2.2
Übergangsleistung AUB 2008 (Abweichungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
2.2 Übergangsleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
2.2 Übergangsleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 2 Übergangsleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 2 Übergangsleistung
§ 8 Abs. 7 Übergangsentschädigung
S. 3 Sie ist von Ihnen spätestens sieben Monate nach Eintritt des Unfalles unter Vorlage eines ärztlichen Attestes bei uns geltend gemacht worden.
S. 3 Sie ist von Ihnen spätestens sieben Monate nach Eintritt des Unfalles unter Vorlage eines ärztlichen Attestes bei uns geltend gemacht worden.
§ 9 Abs. 6 Der Versicherungsnehmer hat einen Anspruch auf Zahlung der Übergangsleistung spätestens sieben Monate nach Eintritt des Unfalles geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Attests zu begründen.
§ 9 Abs. 69 Der Versicherungsnehmer hat einen Anspruch auf Zahlung der Übergangsleistung spätestens sieben Monate nach Eintritt des Unfalles geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Attests zu begründen.
Nr. 2 Der Versicherungsnehmer hat den Anspruch auf Zahlung der Übergangsentschädigung unverzüglich geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Attests zu begründen.
2.2.2 Art und Höhe der Leistung: Die Übergangsleistung wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme gezahlt.
2.2.2 Art und Höhe – der Leistung: Die Übergangsleistung wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme gezahlt.
–
–
1. AUB 61 § 8 Abs. 7 Nr. 1 S. 1 AUB 61 stellt noch auf die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit 4 (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 6 ff.) ab. Allerdings ist die Übergangsleistung nicht abstraktgenerell zu bewerten, sondern es wird – wie für das Tagegeld gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 3 AUB 61 – auf die Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person abgestellt (§ 8 Abs. 7 Nr. 1 S. 2 AUB 61). Es gilt damit ein konkret-individueller Maßstab.10 Streitig ist, ob § 8 Abs. 7 Nr. 2 AUB 61 eine Obliegenheit 11 oder eine Anspruchsvoraus- 5 setzung12 enthält.13 Zutreffend ist es, eine Ausschlussfrist anzunehmen. Zwar knüpft die Leistungsfreiheit an ein Verhalten des VN an, das nicht für den Eintritt des Versicherungsfalls oder seiner Folgen relevant ist. Jedoch spricht gegen die Annahme einer Obliegenheit zunächst die Parallele zu § 8 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AUB 61. Das dort geregelte Erfordernis zur fristgerechten Geltendmachung der Invalidität wird ebenfalls von der ganz h.M. als Ausschlussfrist und nicht als Obliegenheit interpretiert (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 118). Des Weiteren hätte es nahe gelegen, eine Obliegenheit des VN im Kontext zu § 15 Abs. 2 AUB 61 zu regeln, wie dies später auch in den AUB 88/94 geschehen
9 10 11
VerBAV 1987 417, 421. S. z.B. LG Aurich 25.4.1990 RuS 1990 395. So OLG Hamm 9.6.1993 VersR 1994 166 = RuS 1993 359, 360; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 34; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 168.
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So OLG Düsseldorf 20.6.1989 VersR 1989 1077, 1078; LG Berlin 29.1.1991 VersR 1992 177; LG Köln 9.4.1991 ZfS 1992 130; Bruck/Möller/Wagner 8 Anm. G 318. Offen lassend OLG Hamm 16.8.1989 RuS 1990 34, 35.
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AUB 2008 Ziff. 2.2
Unfallversicherung
ist. Allein der Umstand, dass die AUB 88 die Regelungstechnik der AUB 61 nicht beibehalten und einen Wechsel von der Anspruchsvoraussetzung zur Obliegenheit vollzogen haben, lässt keine Rückschlüsse zum Verständnis der AUB 61 zu; denn auf die dem VN in der Regel unbekannte Bedingungsgeschichte kommt es bei der Auslegung nicht an (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 67 ff.). Schließlich spricht auch der Sinn und Zweck der Geltendmachungsfrist dafür, sie als Ausschlussfrist zu werten. Das – dem VN erkennbare – Ziel der Regelung, die Unfallursächlichkeit der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit der versicherten Person und den Grad der Beeinträchtigung möglichst zeitnah und damit zuverlässig festzustellen, ließe sich nicht bzw. nur mit Unwägbarkeiten erreichen, wenn die fristgerechte Geltendmachung als Obliegenheit gewertet würde. Einfache Fahrlässigkeit des VN könnte dazu führen, dass die Leistungsregulierung in der Schwebe bleibt. Unverzügliche Geltendmachung bzw. eine Geltendmachung ohne schuldhaftes Zögern 6 (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) setzt voraus, dass dem Anspruchsteller die wesentlichen Tatsachen bekannt sind, die voraussichtlich eine Leistungspflicht des VR begründen. In der Regel ist zu verlangen, dass der Anspruch innerhalb von etwa 2 Wochen – spätestens aber nach einem Monat – nach Ablauf der 6-Monats-Frist geltend zu machen ist. Damit steht dem Anspruchsteller eine ausreichende „Überlegungsfrist“ zur Verfügung.14 Unzureichend ist es, wenn sich der VN ca. fünf Wochen,15 sechs Wochen,16 zwei Monate 17 oder sogar beinahe sechs Monate Zeit lässt.18 2. AUB 88/94
7
Die AUB 88/94 enthalten im Vergleich zu den AUB 61 folgende Abweichungen: • Die Leistungsart wird – entsprechend der neuen Sprachregelung in den AUB 88 – nicht mehr „Übergangsentschädigung“, sondern „Übergangsleistung“ genannt. • Im Katalog der Leistungsarten finden sich die Regelungen zur Übergangsleistung nunmehr in unmittelbarem Anschluss an die Klauseln zur Invaliditätsleistung. Dies liegt darin begründet, dass die Übergangsleistung in einem gewissen Sachzusammenhang mit der Invaliditätsleistung steht; sie soll eventuelle Lücken im Versicherungsschutz der versicherten Person bis zur Zahlung der Invaliditätsleistung ausfüllen (Rn. 2). • Die entscheidende Leistungsvoraussetzung ist nicht mehr die „Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit“. Stattdessen wird auf die „Beeinträchtigung der normalen körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit“ abgestellt. Die Gründe hierfür entsprechen denen, die zur Neudefinition des Invaliditätsbegriffs geführt haben (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 40 f.). Auch die Übergangsleistung soll nicht mehr an das Arbeitsleben geknüpft sein, sondern allen Bevölkerungsgruppen (z.B. auch Kleinkindern, Kindern im Vorschulalter, Hausfrauen, Rentnern) offen stehen.19 • Erst später ist in den AUB die Formulierung Leistungsfähigkeit „im beruflichen oder außerberuflichen Bereich“ aufgenommen worden. Durch den Zusatz „im beruflichen Bereich“ konnte für Erwerbstätige eine Gleichstellung der Leistungsfähigkeit mit der Arbeitsfähigkeit erreicht werden; denn diese Personengruppe sollte durch die Verwendung der neuen AUB nicht schlechter gestellt werden als bei Vereinbarung der AUB 61 (s.a. Rn. 11).20 • Während die AUB 61 noch eine unverzügliche Geltendmachung der Übergangsentschädigung als Ausschlussfrist postulierten, sehen die AUB 88/94 die Obliegenheit 21 vor, dass der VN den 14 15 16 17 18 19
LG Berlin 29.1.1991 VersR 1992 177. LG München I 5.3.1991 VersR 1992 437. LG Berlin 29.1.1991 VersR 1992 177. LG Köln 9.4.1991 ZfS 1992 130. OLG Düsseldorf 20.6.1989 VersR 1989 1077, 1078. Konen/Lehmann S. 45.
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20 21
R. Lehmann VersR 2003 725, 726. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 112; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 168; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 53 und § 9 Rn. 37; zweifelnd noch Claßen VersR 1991 1233 f.
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Übergangsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.2
Anspruch spätestens sieben Monate nach Eintritt des Unfalls geltend zu machen hat (§ 7 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 9 Abs. 6 AUB 88/94). Die Bedingungsgeber wollten den Anspruch auf die Übergangsleistung nicht mehr gemäß § 6 Abs. 3 a.F. an einem (grob) fahrlässigen Fristversäumnis scheitern lassen.22 Auch wenn eine Parallele zur Frist für die Geltendmachung der Invalidität nahe liegt, bei der es sich um eine Ausschlussfrist handelt, kann die Frist zur Geltendmachung der Übergangsleistung nicht in eine Ausschlussfrist umgedeutet werden. Dem steht die Überschrift des § 9 AUB 88/94 („Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls“) entgegen.23 Um den VN auf die für ihn bestehende Obliegenheit aufmerksam zu machen, wurde in § 7 Abs. 2 S. 2 AUB 88/94 – entsprechend der Regelungstechnik bei der Todesfallleistung (§ 7 Abs. 6 S. 2 AUB 88/94) – ein ausdrücklicher Hinweis auf § 9 Abs. 6 AUB 88/94 aufgenommen.
3. AUB 99/2008 Überlegungen, die – nur in Deutschland angebotene – Übergangsleistung zu streichen, 8 zu modifizieren oder durch andere Leistungen bzw. Leistungskombinationen zu ersetzen, haben sich nicht durchgesetzt. Hintergrund der Diskussion waren negative Erfahrungen der Art, dass die oft erhebliche Höhe der vereinbarten Übergangsleistung Begehrlichkeiten weckt, die durch Gefälligkeitsatteste oder Nachbesserungen anfänglich bescheinigter Behinderungsgrade begründet werden. Letztlich entschieden sich die Bedingungsgeber zur Beibehaltung der Leistungsart, da sie aufgrund ihrer Zielrichtung (Rn. 2) nach wie vor als sinnvoller Bestandteil des Unfallversicherungsschutzes angesehen wurde.24 Gegenüber den AUB 88/94 haben sich in den AUB 99 folgende inhaltliche und redaktionelle Änderungen ergeben: • Während die AUB 61/88/94 noch vorsahen, dass die Beeinträchtigung „mehr als 50 %“ betragen musste, so dass ein Testat von genau 50 % keine Leistungsverpflichtung des VR begründete, ist durch Ziff. 2.2.1 S. 1 AUB 99 die anspruchsbegründende Schwelle herabgesetzt worden. Zukünftig genügen – in Anpassung an die Regelung zur Unfall-Rente – „mindestens 50 %“. Trotz der geringfügigen Änderung kann die Herabsetzung möglicherweise eine spürbare Verbesserung für den VN bedeuten; denn die Hemmschwelle der Gutachter in Grenzfällen, eine nur hälftige Leistungsminderung festzustellen, dürfte niedriger liegen als bei dem Erfordernis, ein Überschreiten der „salomonischen“ 50-%-Grenze zu bestätigen.25 • Die Frist zur Geltendmachung der Übergangsleistung ist anders als in den AUB 88/94 als Ausschlussfrist geregelt (Rn. 19). Dadurch erfolgt eine Angleichung an die Regelungstechnik für die Frist zur Geltendmachung der Invalidität in Ziff. 2.1.1.1 AUB 99. Es besteht kein Grund zur unterschiedlichen Behandlung. • Anders als in den bisherigen Bedingungen erfolgt in Ziff. 2.2.2 AUB 99 der deklaratorische Hinweis, dass sich die Höhe der Übergangsleistung nach der vereinbarten Versicherungssumme richtet. Er ist aus Gründen der Einheitlichkeit aufgenommen worden.26 In allen Leistungsarten wird zwischen Voraussetzungen für die Leistung und Art und Höhe der Leistung unterschieden.
Die AUB 2008 haben die Regelung in Ziff. 2.2 AUB 99 unverändert übernommen. 9 Entfallen ist lediglich der Einleitungssatz. Die VVG-Reform 2008 machte keine inhaltlichen Anpassungen notwendig.
22 23 24
Konen/Lehmann S. 45. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 19; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 83. Stockmeier/Huppenbauer S. 24.
25 26
Bihr VW 1999 1329, 1330; Wussow VersR 2003 1481, 1485. Stockmeier/Huppenbauer S. 25.
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AUB 2008 Ziff. 2.2
Unfallversicherung
B. Voraussetzungen für die Leistung 10
Der Anspruch auf Übergangsleistung setzt voraus, dass die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person im beruflichen oder außerberuflichen Bereich i.H.v. 50 % (AUB 61/88/94) bzw. mindestens 50 % (AUB 99/2008) ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen ununterbrochen über einen Zeitraum von sechs Monaten nach Eintritt des Unfalls beeinträchtigt ist und der VN die Beeinträchtigung ordnungsgemäß beim VR geltend gemacht hat.
I. Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der versicherten Person 11
Unter den Tatbestandsmerkmalen „normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person“ (Ziff. 2.2.1 S. 1 AUB 99/2008, § 7 Abs. 2 S. 1 AUB 88/94) ist dasselbe zu verstehen wie beim Invaliditätsbegriff in § 180. Die Prüfung erfolgt weitgehend entsprechend zu Ziff. 2.1.2.2.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 c AUB 88/94). Hier wie dort ist ein abstrakter Maßstab anzulegen (§ 180 Rn. 10 ff.). Maßgebend ist ein Vergleich der Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person mit der normalen Leistungsfähigkeit eines „durchschnittlichen“ Unversehrten gleichen Alters und Geschlechts (§ 180 Rn. 13 ff.).27 Dabei sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte relevant, auch wenn dies – anders als bei der Invaliditätsleistung (Ziff. 2.1.2.2.2 S. 2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 2c AUB 88/94) – in der Regelung zur Übergangsleistung nicht ausdrücklich erwähnt ist.28 • Spezielle Beeinträchtigungen der Berufs- oder Freizeittätigkeiten der versicherten Person sind beim Tatbestandsmerkmal „normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit“ nicht zu berücksichtigen. Insbesondere kommt es nach dem gegenüber den AUB 61 geänderten Wortlaut in den AUB 88/94/99/2008 – ebenso wie beim Invaliditätsbegriff – nicht auf die konkrete Berufstätigkeit der versicherten Person an. Allerdings dürfte die Leistungsfähigkeit bei Personen, die im Erwerbsleben stehen, vorrangig an ihre Arbeitsfähigkeit geknüpft sein, so dass häufig eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit korrespondieren wird.29 Zwingend ist dies jedoch nicht. Hat z.B. eine versicherte Person, die körperlich bzw. handwerklich tätig ist, einen Arm in Gips, dann ist sie zwar in ihrem konkreten Beruf arbeitsunfähig, jedoch nicht notwendig in ihrer Leistungsfähigkeit mehr als 50 % (AUB 61/88/94) bzw. mindestens 50 % (AUB 99/2008) oder gar zu 100 % i.S.d. Zusatzvereinbarung zur verbesserten Übergangsleistung beeinträchtigt.30 Diese unbeabsichtigte Verschlechterung gegenüber den AUB 61 tritt nicht ein, sofern die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten AUB den Zusatz „Leistungsfähigkeit im beruflichen oder außerberuflichen Bereich“ enthalten. Sofern eine solche Vereinbarung nicht getroffen ist, bleibt es dem VR im Rahmen der Regulierung von Ansprüchen auf Übergangsleistung natürlich unbenommen, die Arbeitsunfähigkeit der völligen Leistungsunfähigkeit gleichzusetzen. • Ein wichtiger Unterschied zur Leistungsregulierung von Invaliditätsansprüchen besteht darin, dass es bei der Übergangsleistung um eine Momentaufnahme geht. Anders als beim Invaliditätsanspruch muss die Leistungsfähigkeit der versicherten Person nicht dauerhaft beeinträchtigt sein; eine Entwicklungsprognose ist nicht erforderlich. Deshalb darf auch der Invaliditätsgrad nach Ziff. 2.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 1 AUB 88/94) nicht einfach mit dem Grad der Beeinträchtigung i.S.v. Ziff. 2.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 2 AUB 88/94) gleich gesetzt werden:31 So kann z.B. einer-
27 28 29
Konen/Lehmann S. 45; Lehmann/Ludolph 2 S. 98; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 54. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 55 Konen/Lehmann S. 45; ferner Grimm 4
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Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 34. Stockmeier/Huppenbauer S. 24. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 54.
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Übergangsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.2
seits ein Nierenverlust während der ersten sechs Monate nach dem Unfall – je nach Behandlungsart und Heilverlauf – eine Leistungsbeeinträchtigung von deutlich über 50 % bewirken, zugleich aber einen Invaliditätsgrad von „nur“ 20 % begründen. Andererseits sind Fälle denkbar, in denen der Invaliditätsgrad höher zu bemessen ist als die für die Übergangsleistung maßgebliche Leistungsbeeinträchtigung, weil der Arzt die Veränderung des „Istzustandes“ für die Zukunft ungünstig einschätzt. • Aus den vorstehend genannten Gründen können insbesondere auch die Maßstäbe der Gliedertaxe für die dort genannten Gliedmaßen und Sinnesorgane bei der Bewertung der Leistungsbeeinträchtigung i.S.v. Ziff. 2.2 AUB 99/2008 nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – herangezogen werden.32 Die Gliedertaxwerte können allenfalls einen Anhaltspunkt im Rahmen der ärztlichen Schätzung geben.33 Zieht etwa eine schwere Fußverletzung nach der Gliedertaxe einen Invaliditätsgrad von 40 % nach sich, so kann dennoch für die ersten sechs Monate nach dem Unfall eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit von 100 % und damit ein Anspruch auf Zahlung der Übergangsleistung gegeben sein, weil z.B. während dieser Zeit eine stationäre Behandlung erforderlich ist. Umgekehrt kann eine leichtere Beinverletzung in den ersten sechs Monaten nach dem Unfalltag zwar eine deutlich unter 50 % liegende Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der versicherten Person bewirken, aber wegen später auftretender Komplikationen, die zur Beinamputation führen, einen Invaliditätsgrad von 70 % begründen. Trotz des erheblichen Dauerschadens besteht hier kein Anspruch des VN gegen den VR auf Zahlung der Übergangsleistung.34
Nicht alle AUB konkretisieren, dass es bei der Übergangsleistung auf die Leistungs- 12 fähigkeit der versicherten Person im beruflichen oder außerberuflichen Bereich ankommt. Sofern diese Formulierung – wie in Ziff. 2.2.1 S. 1 AUB 99/2008 – Vertragsgrundlage ist, reicht das Vorliegen einer Alternative („oder“). • Die Beeinträchtigung im beruflichen Bereich entspricht einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit.35 Abzustellen ist – ähnlich wie bei Vereinbarung der AUB 61 und anders als beim Anspruch auf Invaliditätsleistung auf Grundlage der AUB 88/94/99/2008 – auf den Beruf der versicherten Person in seiner konkreten Ausgestaltung.36 Unerheblich ist dagegen die Fähigkeit der versicherten Person, allgemein einen Beruf ausüben zu können.37 Zwar heißt es in Ziff. 2.2.1 S. 1 AUB 99/2008 nicht „in ihrem beruflichen … Bereich“ (bzw. in § 7 Abs. 2 S. 1 AUB 88/94 „im beruflichen … Bereich der versicherten Person“, sondern schlicht „im beruflichen Bereich“. Jedoch wird dennoch aus der maßgeblichen Sicht des VN (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 56) nicht auf einen für „jedermann“ gültigen Beruf abgestellt werden können: Einen „Jedermannberuf“ gibt es nicht. Müsste die Leistungsfähigkeit i.E. in jedem denkbaren Berufsfeld beeinträchtigt sein, würde der Anspruch auf Übergangsleistung nur in den seltensten Fällen (z.B. Koma) eindeutig bestehen. Vielmehr entspricht es der Erwartungshaltung des VN, dass die speziellen Risiken der versicherten Person abgesichert werden sollen. Maßgebend ist der tatsächlich vor dem Unfall ausgeübte und nicht der erlernte Beruf.38 Dabei ist die Gesamttätigkeit der versicherten Person und nicht nur ein Teilausschnitt des Berufsbildes heranzuziehen. War z.B. die versicherte Person vor dem Unfall als „aufsichtsführender Bauunternehmer“ tätig, so ist diese Tätigkeit die relevante Bemessungsgrundlage. Es kommt dagegen nicht allein darauf an, in welchem Umfang die versicherte Person die typischen Arbeiten eines Dachdeckers nicht mehr ausführen kann.39
32 33 34 35 36
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 34; Reichenbach S. 129. Konen/Lehmann S. 46; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 56. Lehmann/Ludolph 2 S. 97. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 202.
37
38 39
LG Berlin 7.8.2001 VersR 2003 725 = NVersZ 2002 218 mit zustimmender Anm. R. Lehmann VersR 2003 725 f.; Kloth Rn. H 4; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 81; Marlow RuS 2004 353, 361. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50. LG Aurich 25.4.1990 RuS 1990 395.
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• Bei Nicht-Berufstätigen ist die Beeinträchtigung nach den gleichen Grundsätzen zu bemessen, die bei der Bemessung des Invaliditätsgrades außerhalb der Gliedertaxe (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 224 ff.) zu berücksichtigen sind.40 Zu beachten ist dabei, dass die Beeinträchtigung keine dauernde sein muss.
13
Die versicherte Person muss in ihrer Leistungsfähigkeit um mindestens 50 % (AUB 99/2008) oder mehr als 50 % (AUB 61/88/94) beeinträchtigt sein. Die Höhe der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit muss der Arzt unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze schätzen. Eindeutig sind solche Fälle, in denen der Arzt eine Bettlägerigkeit oder stationäre Behandlung der versicherten Person für notwendig erachtet. Hier ist eine Beeinträchtigung i.S.v. Ziff. 2.2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 2 AUB 88/94, § 8 Abs. 7 Nr. 1 S. 1 AUB 61) i.H.v. 100 % gegeben.41 Anders als bei der Bemessung des Invaliditätsgrades findet bei der Übergangsleistung keine Addition der Einzelbeeinträchtigungen statt. Vielmehr hat eine Gesamtbeurteilung zu erfolgen. Dabei ist es unerheblich, ob sich die Beeinträchtigung in Höhe der vereinbarten Grenze erst aus einer Gesamtschau körperlicher und geistiger Beeinträchtigungen ergibt. Die Formulierung „körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit“ in Ziff. 2.2.1 S. 1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 2 S. 1 AUB 88/94) darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass die Beeinträchtigung entweder auf geistigem oder körperlichem Sektor eine bestimmte Mindestgrenze erreichen müsse.42
II. Ununterbrochene Beeinträchtigung innerhalb der ersten sechs Monate vom Unfalltag an 14
Die Leistungsfähigkeit der versicherten Person muss ununterbrochen vom Unfalltag an gerechnet (AUB 99/2008) bzw. seit Eintritt des Unfalls (AUB 61/88/94) bis zum Ablauf von sechs Monaten in der festgelegten Höhe beeinträchtigt sein. Die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit darf in dieser Zeit nicht unter die vereinbarte Grenze von mindestens 50 % bzw. mehr als 50 % absinken. Es ist ein objektiver Maßstab anzulegen; die Kenntnis des VN bzw. der versicherten Person vom Unfall ist für den Fristbeginn unerheblich.43 15 Aus der Formulierung „vom Unfalltag“ (AUB 99/2008), „seit Eintritt des Unfalls“ (AUB 88/94) oder „vom Eintritt des Unfalls an“ (AUB 61) ergibt sich, dass die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit als Unfallfolge in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall stehen und als dessen adäquate Folge eingetreten sein muss.44 Bei einem einheitlichen Unfallgeschehen ist es deshalb nicht ausreichend, wenn die Beeinträchtigung nicht sofort mit dem Unfall (oder wenigstens kurz danach) auftritt bzw. wenn sich die Beeinträchtigung erst nach dem Unfall – etwa infolge von Komplikationen im Krankheitsverlauf – entwickelt.45 So liegt etwa der Fall, in dem sich zunächst eine so geringe Beschwerdesymptomatik ergibt, dass die versicherte Person nach dem Unfall noch weitergearbeitet hat, und sich die Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen 40 41 42 43 44
Lehmann/Ludolph 2 S. 98. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 54. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 55. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50. S. u.a. OLG Hamm 9.6.1993 VersR 1994 166, 167 = RuS 1993 359, 360; ferner OLG Frankfurt 2.5.2001 VersR 2002 48, 49; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 110;
690
45
Kloth Rn. H 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 202; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 39. OLG München 7.7.1999 VersR 2000 93; LG München I 5.3.1991 VersR 1992 437; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 34; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 56.
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Übergangsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.2
Leistungsfähigkeit erst nach und nach bis zum Erreichen bzw. Überschreiten der 50 %Grenze steigert.46 Bei einem sog. mehraktigen bzw. gedehnten Unfall, bei dem ein Unfallereignis erst 16 nach einiger Zeit zu einer Unfallereignisfolge bzw. Gesundheitsschädigung führt (§ 178 Rn. 19), ist nicht der Zeitpunkt des Unfallereignisses, sondern der der ersten Gesundheitsbeeinträchtigung maßgebend;47 denn der Begriff „Unfall“ in Ziff. 2.2.1 S. 1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 2 S. 1 AUB 88/94, § 8 Abs. 7 Nr. 1 S. 1 AUB 61) setzt neben einem plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkenden Ereignis auch das Vorliegen einer Gesundheitsschädigung voraus (§ 178 Rn. 18). Folgerichtig kann der Anspruch auf Übergangsleistung auch dann noch begründet sein, wenn nach einem Verschlucken eines Zahnstochers erst Wochen später die Gesundheitsschädigung eintritt. Eine andere Auslegung wäre dem VN auch kaum vermittelbar. Vielmehr müsste die Regelung zur Übergangsleistung als überraschend i.S.v. § 305c Abs.1 BGB (§ 3 AGBG) gewertet werden, wenn einerseits Anspruch auf Übergangsleistung für den Fall bestünde, dass der Zahnstocher beim Verschlucken sogleich einen Schaden in der Speiseröhre verursacht, andererseits aber die Übergangsleistung abgelehnt werden könnte, weil der Zahnstocher – zunächst ohne Schaden anzurichten – in den Darm gelangt und dort erst nach geraumer Zeit in Gewebe einsticht bzw. es durchbohrt.48 Bei mehreren Unfällen ist grundsätzlich jeder Unfall getrennt abzurechnen (§ 180 17 Rn. 28 ff.). Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn ein späterer Unfall auf einer Gesundheitsschädigung beruht, die adäquate Folge des früheren Unfalls war. Dann kommt es in Betracht, auf den Zeitpunkt des ersten Unfalls abzustellen, ohne dass die Folgen der Erstverletzung als Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen zu werten sind.49 Beispiele: • Bei der durch den Unfall veranlassten Heilbehandlung oder dem nachfolgenden Eingriff kommt es zu einem weiteren Unfall (Verletzung durch abrutschendes Skalpell u.ä.). Ist sodann eine unfallbedingte Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit für sechs Monate in bedingungsgemäßer Höhe gegeben, so sind die Voraussetzungen für den Anspruch auf Übergangsleistung erfüllt.50 Die Übergangsleistung kann sogar zweimal fällig werden, wenn der erste Unfall zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit von sechs Monaten geführt hat und die versicherte Person dann z.B. im Rahmen der Nachbehandlung im siebten Monat nach dem Unfallereignis einen weiteren Unfall erleidet, der erneut zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit in der nach den AUB erforderlichen Höhe und Dauer nach sich zieht. • Die versicherte Person hat am 1.5. einen Fahrradunfall, der zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit von 100 % bis zum 1.7. führt. Am 1.6. stürzt die versicherte Person infolge der am 1.5. erlittenen Beeinträchtigung. Dieses Ereignis zieht eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit von zunächst 100 % und dann 75 % bis zum 15.11. nach sich. Der Anspruch auf die Übergangsleistung ist begründet, da die Leistungsfähigkeit insgesamt für ein halbes Jahr (1.5. bis zum 1.11.) in der erforderlichen Höhe beeinträchtigt war und im adäquaten Kausalzusammenhang mit dem ersten Unfall stand.51 Kein Anspruch besteht dagegen, wenn der vorstehende Sachverhalt insofern abgeändert wird, dass der erste Unfall am 1.5. „nur“ eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit von 25 % hervorgerufen hat. Die erforderliche Grenze ist in dieser Variante erst nach Eintritt des zweiten Unfallereignisses vom 1.6. überschritten, so dass die Leistungsbeeinträchtigung in der notwendigen Höhe nur für 5 1/2 und nicht für die erforderlichen 6 Monate andauert.
46 47 48
LG Osnabrück 16.3.1993 RuS 1993 396. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 34. OLG München 7.7.1999 VersR 2000 93, 94; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50; Graf von Westphalen/Präve, Allgemeine Versicherungsbedingungen Rn. 328.
49 50 51
OLG Frankfurt 2.5.2001 VersR 2002 48 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 56. Beispiel nach OLG Frankfurt 2.5.2001 VersR 2002 48.
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AUB 2008 Ziff. 2.2
Unfallversicherung
III. Keine Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen 18
Der Übergangsleistung liegt das „Alles-oder-nichts-Prinzip“ zugrunde. Entweder besteht der volle oder gar kein Anspruch.52 Dies liegt daran, dass die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der versicherten Person i.H.v. mindestens 50 % (bzw. mehr als 50 %) nur unfallbedingt sein darf; denn zu den ausdrücklich genannten Leistungsvoraussetzungen gehört, dass keine Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen als Ursache für die Leistungsbeeinträchtigung der versicherten Person beitragen darf. Die Mitwirkungsregel in Ziff. 3 AUB 99/2008 (§ 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61) findet folgerichtig keine Anwendung (Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 10). Insbesondere ist die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen neben der Regelung in Ziff. 2.2.1 S. 1 Spiegelstrich 2 AUB 99/2008 zu den Leistungsvoraussetzungen nicht noch über Ziff. 3 AUB 99/2008 bei der Höhe der Übergangsleistung zu berücksichtigen.53
IV. Geltendmachung 19
Die in Ziff. 2.2.1 S. 3 AUB 99/2008 vorgesehene Frist zur rechtzeitigen Geltendmachung der Übergangsleistung ist – wie § 8 Abs. 7 Nr. 2 AUB 61 (Rn. 5) oder die Frist zur Geltendmachung der Invalidität (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 120) – eine subjektive Anspruchsvoraussetzung 54 und – anders als in den AUB 88/94 (Rn. 7) – keine Obliegenheit. Es handelt sich um eine Ausschlussfrist,55 deren Versäumnis entschuldigt werden kann.56 20 Die AUB 61/88/94 sehen für die Geltendmachung der Übergangsleistung noch ausdrücklich eine Begründungspflicht vor („unter Vorlage eines ärztlichen Attests zu begründen“). Daraus folgt, dass die bloße Angabe des Arztes, bei der versicherten Person lägen die Voraussetzungen für die Übergangsleistung vor, nicht ausreichend ist. Vielmehr muss das Attest nähere Ausführungen i.S.e. konkreten Befunderhebung und qualifizierten Diagnostik enthalten (vgl. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 91 ff.). Unkenntnis oder Unsicherheiten des Arztes zum erforderlichen Inhalt der Bescheinigung, aber auch etwaige unberechtigte Bedenken des Arztes gehen zu Lasten des Anspruchstellers.57 In den AUB 99/2008 ist dagegen das Wort „begründen“ entfallen. Es wird lediglich die Vorlage eines ärztlichen Attestes verlangt. Weitere bestimmte Anforderungen an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung stellt der Wortlaut von Ziff. 2.2.1 S. 3 AUB 99/2008 nicht. Für den Detaillierungsgrad des Attestes gelten deshalb vergleichbare Voraussetzungen wie für die Geltendmachung der Invalidität. Um den – auch für den durchschnittlichen VN erkennbaren – Zweck der bedingungsgemäß geforderten Geltendmachung der Übergangsleistung (zeitnahe Überprüfung des Vorliegens der Leistungsvoraussetzungen durch den VR) erreichen zu können, muss das Attest verständlich und nachvollziehbar formuliert sein (vgl. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 122 f.) sowie die Schlussfolgerung enthalten, dass die
52 53
54
R. Lehmann VersR 2003 725, 726; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 55. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50; Stockmeier/Huppenbauer S. 25; a.A. Bihr VW 1999 1329, 1330. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 168; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 40.
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Stockmeier/Huppenbauer S. 25. Bihr VW 1999 1329, 1330; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 203; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 112. LG Köln 9.4.1991 ZfS 1992 130 f.
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Übergangsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.2
einzelnen in Ziff. 2.2.1 S. 1 und 2 AUB 99/2008 genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Angabe reiner Befunddaten ohne eine ärztliche Schlussfolgerung reicht nicht aus, es sei denn, der Sachverhalt ist eindeutig (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 97 f.). Die Frist zur Geltendmachung der Beeinträchtigung der normalen körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit im beruflichen oder außerberuflichen Bereich dient im Interesse des Rechtsfriedens dazu, tatsächliche Ungewissheiten und Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien zu vermeiden. Sie ermöglicht eine verlässliche (medizinische) Sachverhaltsaufklärung zeitnah zu dem Zeitpunkt (Ablauf der Sechsmonatsfrist nach dem Unfall), der für die Beurteilung der Leistungsvoraussetzungen maßgeblich ist.58 Längere Geltendmachungsfristen oder Verzögerungen hätten zur Folge, dass die sachgerechte Leistungsregulierung erschwert würde; denn die zur Übergangsleistung berechtigenden Beeinträchtigungen beruhen typischerweise auf einem vorübergehenden Zustand der versicherten Person. Dauer und Grad der Beeinträchtigung sind häufig nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums – gerade für den mit der Behandlung der versicherten Person nicht befassten Arzt – nur schwer objektivierbar, rekonstruierbar und schätzbar.59 Der Sachverständige kann die Leistungsfähigkeit der versicherten Person dann nur aus allgemeiner traumatologischer Erfahrung retrospektiv unter Vorbehalt beurteilen.60 Die eigentliche Geltendmachung ist formlos (z.B. auch telefonisch) möglich. Die Voraussetzungen für die Übergangsleistung hat der VN allerdings unter Vorlage eines ärztlichen Attestes zu belegen. Zieht die versicherte Person den Arzt nicht bereits am Unfalltag, sondern erst später hinzu, so muss der Arzt die bedingungsgemäße Beeinträchtigung ex post bestätigen.61 Die Versäumnis der Frist kann entschuldigt werden (vgl. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 127 ff.).62 Bloße Unkenntnis der Frist reicht hierfür indes nicht aus. Einem VN ist jedenfalls nach Eintritt des Versicherungsfalls zuzumuten, sich mit den einschlägigen Versicherungsbedingungen zu befassen.63 Der VN kann allerdings entschuldigt sein, wenn er auf grob falsche oder verwirrende Belehrungen des VR vertraut hat.64 Grundsätzlich verstößt der VR nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn er sich auf die nicht rechtzeitige Geltendmachung der Übergangsleistung beruft (vgl. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 155 ff.). Dieses „Berufen“ (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 267) ist grundsätzlich auch erstmals im Prozess zulässig. So braucht sich z.B. der VR nicht an die vorprozessuale Zusage einer unverbindlichen Prüfung des Anspruchs auf Übergangsleistung zu halten, wenn sich die versicherte Person der Begutachtung ihres Gesundheitszustandes entzieht und Klage erhebt.65 Ein Treueverstoß des VR kann vorliegen, wenn er durch eine unvollständige, fehlerhafte oder verwirrende Belehrung einen Vertrauenstatbestand beim VN begründet und dadurch die Fristversäumnis für die Geltendmachung der Übergangsleistung mit verursacht hat.66 In diesem Fall greift darüber hinaus § 186 ein.
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59 60 61
OLG Düsseldorf 20.6.1989 VersR 1989 1077, 1078; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 203. Wussow VersR 2003 1481, 1486; Wussow/ Pürckhauer 6 § 9 Rn. 38. Stockmeier/Huppenbauer S. 23. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 56.
62 63 64 65 66
OLG Düsseldorf 20.6.1989 VersR 1989 1077, 1078. S. auch LG Köln 9.4.1991 ZfS 1992 130. OLG Hamm 9.6.1993 VersR 1994 166, 167. OLG Düsseldorf 20.6.1989 VersR 1989 1077, 1078. OLG Hamm 9.6.1993 VersR 1994 166, 167.
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AUB 2008 Ziff. 2.2
Unfallversicherung
C. Höhe der Leistung 25
Die Übergangsleistung wird in aller Regel als Einmalzahlung (und nicht als Rente) vereinbart.67 Ihre Höhe ergibt sich aus dem Versicherungsschein. Die Versicherungssumme für die Übergangsleistung sollte nicht mehr als 10 % der versicherten Invaliditätssumme betragen.68 Liegen die Anspruchsvoraussetzungen vor, so wird die Leistung in voller Höhe gezahlt; es erfolgt anders als beim Tagegeld (Ziff. 2.3 AUB 2008) keine Abstufung oder Kürzung (Rn. 18).
D. Belehrungspflicht des VR 26
Nach der bisherigen Rechtslage bestand keine generelle Verpflichtung des VR, den VN auf die Voraussetzungen für die Übergangsleistung hinzuweisen. Dies galt insbesondere auch für die in den Ziff. 2.2.1 S. 3 AUB 99/2008 und § 8 Abs. 6 Nr. 2 AUB 61 vorgesehene Geltendmachungsfrist. Ausnahmen konnten sich lediglich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben, wenn der VR zu Gunsten des VN Vertrauenstatbestände geschaffen hat, z.B. dem VR deutlich erkennbar war, dass der VN Fehlvorstellungen bei der Wahrung seines Anspruchs auf die Übergangsleistung unterlag. Nach der VVG-Reform 2008 ist der VR gemäß § 186 verpflichtet, den VN auf die Voraussetzungen (z.B. die Geltendmachungsfrist) hinzuweisen (§ 186 Rn. 13). Anderenfalls kann er sich nicht auf die Fristversäumnis berufen.
E. Wirksamkeit 27
Die Wirksamkeit der Regelungen zur Übergangsleistung ist bisher nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Sie sind auch nicht überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB (§ 3 AGBG), sofern – wie hier – der Anspruch bei gedehnten Versicherungsfällen im Wege der Auslegung bejaht wird (Rn. 16). Die aus Ziff. 2.2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 2 AUB 88/94 und § 8 Abs. 2 AUB 61 folgende Beweislastverteilung (Rn. 30 ff.) begründet keine Bedenken im Hinblick auf § 307 BGB (§ 9 AGBG).69
F. Konkurrenzen 28
Die Übergangsleistung bzw. Übergangsentschädigung ist – genauso wie die anderen in den AUB 61/88/94/99/2008 geregelten Leistungsarten – eine Summenversicherung.70 Neben ihr können ggf. Leistungen aus anderen Leistungsarten beansprucht werden.71 Die Übergangsleistung ist gegenüber einer anderen Leistungsart m.a.W. weder subsidiär noch alternativ.72
67 68 69
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 110. OLG Oldenburg 10.2.1988 VersR 1988 461, 462.
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70 71 72
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 53. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50. Bruck/Möller/Wagner 8 Anm. G 318.
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Übergangsleistung
AUB 2008 Ziff. 2.2
G. Speziellere AVB Häufig vereinbaren die Vertragsparteien „Zusatzbedingungen für die verbesserte Über- 29 gangsleistung“.73 Sie sieht eine abgestufte Leistung vor. Beträgt die Beeinträchtigung drei Monate nach dem Unfall noch 100 %, so kann der VN einen Teilbetrag der vereinbarten Übergangsleistung schon vor Ablauf der in den AUB vorgesehenen 6-Monatsfrist beanspruchen. Durch diese Regelung sollen Härten ausgeglichen werden; denn bei Anwendung der AUB kann der Fall eintreten, dass Verletzte selbst bei schweren Unfällen mehr als sechs Monate warten müssen, bis sie überhaupt eine oder jedenfalls eine größere Leistung erhalten.74
H. Verfahrensfragen Die Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen der Übergangsleistung trägt der 30 Anspruchsteller.75 So gehen Ungewissheiten über das Datum des Unfalltages zu Lasten des Anspruchstellers.76 Insbesondere muss der Anspruchsteller auch das Merkmal „ohne Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen“ beweisen.77 Die in § 182 vorgesehene und für Ziff. 3 AUB 99/2008 (§ 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61) anerkannte Regel, dass der VR die Mitwirkung unfallfremder Ursachen zu beweisen hat, kommt hier nicht zur Anwendung; denn im Rahmen der Übergangsleistung geht es nicht um den Nachweis einer Kürzung bzw. Minderung einer im Grundsatz bestehenden Leistungsverpflichtung des VR, sondern um den Nachweis einer Anspruchsvoraussetzung. Der VR ist danach nur zu einem substantiierten Bestreiten verpflichtet, indem er unfallunabhängige Faktoren für die Beeinträchtigung der Leistungs- bzw. Arbeitsfähigkeit vorträgt.78 Die den VN treffende Beweislast kann auch bestehen bleiben, wenn der VR – etwa im 31 Rahmen einer Widerklage – eine von ihm gezahlte Übergangsleistung zurückfordert. Voraussetzung hierfür ist indes, dass der VR die Leistung nicht nur „unter Vorbehalt“ oder „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ an den VN erbracht hat; denn eine bloße Leistung unter Vorbehalt schließt im Allgemeinen nur die Wirkung des § 814 BGB aus. Vielmehr muss der VR darüber hinaus erkennbar zum Ausdruck gebracht haben, dass dem VN in einem späteren Rückforderungsstreit die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs aufgebürdet bleiben soll.79 So liegt etwa der Fall, wenn der VR den VN darauf hingewiesen hat, dass er die Übergangsleistung nur behalten dürfe, wenn von ärztlicher Seite festgestellt werde, dass die Verletzung Unfallfolge sei und die weiteren Tatbestandsmerkmale von Ziff. 2.2.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 2 AUB 88/94, § 8 Abs. 7 AUB 61) vorlägen.80
73
74 75
76
S. etwa VerBAV 1992 367 (dazu auch GB BAV 1992 77 Nr. 9.2.2); ferner VerBAV 1988 4; VerBAV 1986 156. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 51. S. nur OLG München 7.7.1999 VersR 2000 93; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 50; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 110a; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 34; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 55. LG Osnabrück 16.3.1993 RuS 1993 396.
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78 79 80
OLG Hamm 9.6.1993 VersR 1994 166, 167; OLG Hamm 24.2.1989 VersR 1989 1143 (LS); LG Münster 23.12.1988 VersR 1989 1143. OLG Oldenburg 10.2.1988 VersR 1988 461, 462 = ZfS 1988 222. Römer/Langheid 2 § 11 Rn. 25. BGH 16.7.2003 VersR 2003 1165, 1166 = RuS 2003 378 379.
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AUB 2008 Ziff. 2.3 32
Unfallversicherung
Die Beweisführung kann für den Anspruchsteller mit Schwierigkeiten verbunden sein; denn der Nachweis dafür, dass die Einschränkung der Leistungsfähigkeit ununterbrochen sechs Monate bestand, ist rückwirkend zu führen. Rückwirkende Einschätzungen des Arztes sind aber typischerweise mit Unsicherheiten behaftet. Es empfiehlt sich deshalb, dass sich die versicherte Person von Anbeginn der unfallbedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit fortlaufend ärztliche Bescheinigungen – ähnlich wie in der Krankentagegeldversicherung – ausstellen lässt.81
Ziff. 2.3 AUB 2008 2.3 Tagegeld 2.3.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist unfallbedingt – in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt und – in ärztlicher Behandlung. 2.3.2 Höhe und Dauer der Leistung: Das Tagegeld wird nach der vereinbarten Versicherungssumme berechnet. Es wird nach dem festgestellten Grad der Beeinträchtigung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung abgestuft. Das Tagegeld wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung, längstens für ein Jahr, vom Unfalltag an gerechnet, gezahlt Übersicht Rn. A. I. II. B. C. D.
Einführung . . . . . . . . . Zweck der Leistungsart . . . Entwicklung der Leistungsart Voraussetzungen der Leistung Höhe der Leistung . . . . . Dauer der Leistung . . . . .
. . . . . .
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. 1 . 2 . 3 . 8 . 12 . 17
Rn. I. II. E. F. G. H.
Beginn der Leistungsverpflichtung Ende der Leistungsverpflichtung Wirksamkeit der Regelung . . . Konkurrenzen . . . . . . . . . . Speziellere AVB . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . .
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. . . . . .
18 19 22 23 24 25
A. Einführung 1
Das Tagegeld ist seit jeher fester Bestandteil der AUB. Eine vergleichbare Regelung zu Ziff. 2.3 AUB 99/2008 findet sich in A.4.7.5 bis A.7.7 AKB 2008.
I. Zweck der Leistungsart 2
Das Tagegeld hat eine echte Ersatzfunktion. Es soll unfallbedingte Einkommensverluste während des ersten Jahres nach dem Unfall ausgleichen, wenn die versicherte Person ihrem Beruf oder ihrer Beschäftigung nicht oder nur eingeschränkt nachgehen kann.1
81 1
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 110a f. Lehmann/Ludolph S. 98; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 204.
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AUB 2008 Ziff. 2.3
Tagegeld
• Zielgruppe sind mithin vornehmlich nur berufstätige Personen mit eigenem Arbeitseinkommen oder mit eigener geldwerter Arbeitsleistung (z.B. Hausfrauen).2 Da allerdings ein Unfall auch bei anderen Personen durch den Ausfall oder die Minderung der Arbeitsfähigkeit zu finanziellen Belastungen führen kann, kommt auch bei diesen Betroffenen (z.B. Studenten) eine Tagegeldmitversicherung in Betracht.3 Im Allgemeinen wird sie aber für Personen ohne Beruf nicht geboten sein.4 • Auf den konkreten Verdienstausfall oder den Eintritt tatsächlicher Vermögensnachteile bei der versicherten Person kommt es nicht an, da es sich um eine Summenversicherung handelt.5 Tagegeld ist folglich auch dann zu zahlen, wenn die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit keinerlei Vermögensnachteile nach sich gezogen hat oder die versicherte Person ihre Arbeitskraft im Zeitpunkt des Unfalls wirtschaftlich nicht verwertet hat bzw. verwerten konnte (z.B. infolge Arbeitslosigkeit oder Krankheit).6
II. Entwicklung der Leistungsart 3
Das Tagegeld ist in allen AUB-Generationen vorgesehen: AUB 2008 7 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 8
AUB 94
AUB 88 9
AUB 61 10
Ziff. 2.3 Tagegeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Ziff. 2.3 Tagegeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 3 Tagegeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 3 Tagegeld
§ 8 Abs. 3 Tagegeld
2.3.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist unfallbedingt in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt und in ärztlicher Behandlung.
2.3.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist unfallbedingt in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt und in ärztlicher Behandlung.
Nr. 1 S. 1 Führt der Unfall zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, so wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung Tagegeld gezahlt.
Nr. 1 S. 1 Führt der Unfall zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, so wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung Tagegeld gezahlt.
Nr. 1 S. 1 Im Falle der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung Tagegeld gezahlt.
2.3.2 Höhe und Dauer der Leistung: S. 1 Das Tagegeld wird nach der vereinbarten Versicherungssumme berechnet.
2.3.2 Höhe und Dauer der Leistung: S. 1 Das Tagegeld wird nach der vereinbarten Versicherungssumme berechnet.
Nr. 1 S. 2 Das Tagegeld wird nach dem Grad der Beeinträchtigung abgestuft.
Nr. 1 S. 2 Das Tagegeld wird nach dem Grad der Beeinträchtigung abgestuft.
Nr. 1 S. 2 Das Tagegeld wird nach dem Grad der Beeinträchtigung abgestuft.
2 3 4 5
S. nur Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn.113; Konen/Lehmann S. 46; Reichenbach S. 130. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 57. Riebesell S. 64; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 311. OGH 2.3.2005 VersR 2006 1711, 1712; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 35 und § 8 AUB 61 Rn. 6; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 204; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 42.
6 7 8 9 10
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 52; s.a. GB BAV 1990 96 Nr. 9.2.4. Die aktuelle Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 26. VerBAV 1987 417, 420. VerBAV 1984 10, 12 f.; zu älteren Bedingungsfassungen s. etwa VerBAV 1955 44; VA 1938 95 f.
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AUB 2008 Ziff. 2.3
Unfallversicherung
AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
Ziff. 2.3 Tagegeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Ziff. 2.3 Tagegeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 3 Tagegeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 3 Tagegeld
§ 8 Abs. 3 Tagegeld
S. 2 Es wird nach dem festgestellten Grad der Beeinträchtigung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung abgestuft.
S. 2 Es wird nach dem festgestellten Grad der Beeinträchtigung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung abgetuft.
S. 3 Die Bemessung des Beeinträchtigungsgrades richtet sich nach der Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten.
S. 3 Die Bemessung des Beeinträchtigungsgrades richtet sich nach der Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten.
S. 3 Für die Bemessung des Grades der Beeinträchtigung ist die Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten maßgebend.
S. 3 Das Tagegeld wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung, längstens für ein Jahr, vom Unfalltag an gerechnet, gezahlt.
S. 3 Das Tagegeld wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung, längstens für ein Jahr, vom Unfalltag an gerechnet, gezahlt.
Nr. 2 Das Tagegeld wird längstens für ein Jahr, vom Unfalltage an gerechnet, gezahlt.
Nr. 2 Das Tagegeld wird längstens für ein Jahr, vom Unfalltage an gerechnet, gezahlt.
Nr. 4 Die in den Nr. 1–3 aufgeführten Leistungen werden höchstens für ein Jahr vom Unfalltage an gerechnet gewährt.
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–
Nr. 2 S. 1 Wird geltend gemacht, dass die Arbeitsfähigkeit auch nach Abschluss der ärztlichen Behandlung noch beeinträchtigt sei, so sind weitere Leistungen des Versicherers davon abhängig, dass die Fortdauer der Beeinträchtigung von dem behandelnden Arzt bescheinigt wird. S. 2 Nach Feststellung der Invalidität (§ 8 Abs. 2) kann weiteres Tagegeld jedoch nur bei erneuter ärztlicher Behandlung beansprucht werden.
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Nr. 3 S. 1 Ist die Arbeitsfähigkeit überhaupt nicht beeinträchtigt worden, werden für die Dauer der fortlaufenden ärztlichen Behandlung die notwendigen Kosten für den Arzt und die ärztlich verordneten Arznei- und Verbandsmittel bis zur Hälfte des für diese Zeit versicherten Tagegeldes ersetzt,
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AUB 2008 Ziff. 2.3
Tagegeld AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
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AUB 61
vorausgesetzt, dass die Behandlung mindestens alle 14 Tage stattgefunden hat. S. 2 § 8 Abs. 6 Nr. 3a) Sätze 1 und 2 finden entsprechende Anwendung.
Auf Grundlage der AUB 61 wird das Tagegeld in drei Fällen gezahlt, nämlich im Fall
4
• der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit für die Dauer der ärztlichen Behandlung § 8 Abs. 3 Nr. 1 AUB 61); • der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit nach Abschluss der ärztlichen Behandlung, wenn die Beeinträchtigung vom behandelnden Arzt bescheinigt wird (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AUB 61). Die Bescheinigung muss die versicherte Person in angemessenen Zeiträumen vorlegen. Die Dauer der Zeitabstände richtet sich nach dem Inhalt der Bescheinigung über den voraussichtlichen Heilungsverlauf.11 Die Kosten für die Bescheinigung trägt im Rahmen von § 9 AUB 61 der VR. Die versicherte Person trifft die Obliegenheit, sich – sofern es ihr Zustand erlaubt – den von dem VR bezeichneten Ärzten zur Untersuchung zu stellen (§ 15 Abs. 2 Nr. 6a AUB 61). § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 AUB 61 trägt dem Umstand Rechnung, dass Invalidität regelmäßig erst festgestellt werden kann, wenn sich der Gesundheitszustand der versicherten Person stabilisiert hat und wegen des Heilungsprozesses keine ärztliche Behandlung mehr erforderlich ist. Verschlimmert sich aber der Zustand der versicherten Person und wird wieder eine akute Behandlung erforderlich, so soll Anspruch auf Tagegeld bestehen. • ärztlicher Behandlung ohne gleichzeitige Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Der VR ersetzt dann die notwendigen Kosten für den Arzt und die ärztlich verordneten Arznei- und Verbandsmittel bis zur Hälfte des für diese Zeit versicherten Tagesgeldes, vorausgesetzt, dass die Behandlung mindestens alle 14 Tage stattgefunden hat (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 S. 1 AUB 61). Bei dieser Leistung handelt es sich nicht um ein eigentliches Tagesgeld und auch nicht mehr um eine Summenversicherung, sondern vielmehr um eine reine Schadenversicherung, da nur der konkret nachgewiesene Schaden ersetzt wird. Bestehen mehrere Versicherungen, so werden die Heilkosten nur einmal gezahlt.12 Aus dem Verweis in § 8 Abs. 3 Nr. 3 S. 2 AUB 61 auf § 8 Abs. 5 Nr. 3a S. 1 und 2 AUB 61 ergibt sich, dass die Leistung subsidiär gegenüber der Krankheitskostenversicherung ist.
Zunächst mag es zwar auf den ersten Blick erstaunen, dass die Verfasser der AUB 88 5 für das Tagegeld – wie bereits in den AUB 61 – weiterhin auf den Begriff der Arbeitsfähigkeit und nicht – wie z.B. bei der Invaliditätsleistung – auf die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person (§ 180) abstellten. Der in den AUB 88 verfolgte Wandel der Unfallversicherung von einer Versicherung für Berufstätige zu einer „Jedermannsversicherung“ (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 40 f.) passte jedoch nicht für die Leistungsart Tagegeld. Das Tagegeld bezweckt, unfallbedingte Einkommensverluste auszugleichen bzw. zu mildern und zielt deshalb vorrangig auf berufstätige Personen mit eigenem Arbeitseinkommen ab (Rn. 2). Des Weiteren haben die Bedingungsgeber § 8 Abs. 3 Nr. 1 und 4 AUB 61 weitgehend übernommen. Dagegen wurden § 8 Abs. 3 Nr. 2 und 3 AUB 61 (ersatzlos) gestrichen. Gerade der Sonderfall der Heilkostenerstattung hatte in der Praxis keine nennenswerte Bedeutung erlangt,13 da diese Kosten – jedenfalls 11 12
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 55. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 57.
13
Riebesell S. 64.
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AUB 2008 Ziff. 2.3
Unfallversicherung
zum Zeitpunkt der Einführung der AUB – regelmäßig von Trägern der Krankenversicherung oder den Krankenkassen übernommen wurden.14 Die AUB 99 haben im Vergleich zu den AUB 88/94 zu keinen gravierenden Änderun6 gen geführt. Inhaltlich stimmen Ziff. 2.3 AUB 99 und § 7 Abs. 3 AUB 88/94 überein. Lediglich die Darstellung und einzelne Formulierungen wurden überarbeitet. Die Bedingungsgeber hatten zwar überlegt, die abgestufte Zahlung des Tagegeldes zu modifizieren. Hintergrund war, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung die Arbeitsfähigkeit nicht abgestuft, sondern nur im Ganzen – abhängig von der Dauer der „Krankschreibung“ – festgestellt wird. Die Diskrepanz zwischen der Höhe und Dauer der Tagegeldleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der privaten Unfallversicherung kann zu Verständnisproblemen beim VN und Auseinandersetzungen zwischen den Vertragsparteien führen.15 Letztlich entschieden sich jedoch die Bedingungsgeber aus Kostengründen gegen eine Neuregelung des abgestuften Tagegeldes.16 Die VVG-Reform 2008 machte keine Anpassung der AUB 99 erforderlich. Ziff. 2.3 7 ist inhaltlich unverändert in die AUB 2008 übernommen worden.
B. Voraussetzungen der Leistung 8
Der Anspruch auf Tagegeld setzt eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit der versicherten Person dem Grunde nach, eine ärztliche Behandlung der versicherten Person und Kausalität zwischen dem Unfall und der Unfallfolge voraus. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Steht z.B. fest, dass trotz Fortdauer der ärztlichen Behandlung eine Beeinträchtigung nicht mehr besteht, so entfällt die Zahlung des Tagegeldes.17 Ziff. 2.3.1 AUB 99/2008 stellt genauso wie § 7 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 AUB 88/94 (bzw. § 8 9 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 AUB 61) nicht auf die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person, sondern auf ihre Arbeitsfähigkeit ab. Der Begriff der Arbeitsfähigkeit bestimmt sich im Grundsatz genauso wie beim Invaliditätsbegriff auf Grundlage der AUB 61 (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 6 ff.). Die Arbeitsfähigkeit ist folgerichtig nicht mit der Erwerbsfähigkeit identisch. • Für die Feststellung der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit als Leistungsvoraussetzung findet – im Gegensatz zur Bemessung des Grades der Beeinträchtigung (Rn. 14) – ein abstrakter Maßstab mit der Folge Anwendung, dass es zum einen nicht auf die individuelle bzw. konkrete Fähigkeit der versicherten Person zur Ausübung eines bestimmten Berufs ankommt. Entscheidend ist vielmehr die Beeinträchtigung der jedem Menschen innewohnenden Fähigkeit, Arbeit zu leisten,18 bzw. trotz der Beeinträchtigung durch Anstrengung körperlicher oder geistiger Kräfte ein bestimmtes Ausmaß an planmäßiger wirtschaftlicher Leistung zu erbringen.19 Zu fragen ist, ob der Verletzte infolge des Unfalls nicht oder nur mit der Gefahr einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes in der Lage ist, in dem bisherigen Umfang seine Kräfte einzusetzen,20 wobei eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auch dann vorliegt, wenn die versicherte Person zwar ihrer beruflichen Tätigkeit an sich voll oder teilweise nachgehen kann, aber wegen ihrer Verletzung nicht fähig ist, den Arbeitsweg zurückzulegen.21 Unschädlich für den Tagegeldanspruch ist eine etwaige Arbeitslosigkeit der versicherten Person.22 Zum anderen sind nicht subjektive Empfindungen o.ä. des VN bzw. der versicherten Person, sondern objektive Befunde und Diagnosen
14 15 16 17
Konen/Lehmann S. 46; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 62. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 60. Stockmeier/Huppenbauer S. 27. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 61.
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18 19 20 21 22
Stockmeier/Huppenbauer S. 26. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 58. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 53. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 58. OGH 2.3.2005 VersR 2006 1711, 1712.
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AUB 2008 Ziff. 2.3
Tagegeld
maßgebend. Obwohl es nicht ausdrücklich geregelt ist, muss spätestens im Streitfall die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit durch einen Arzt als „neutrale Instanz“ ermittelt werden (s.a. § 180 Rn. 10 ff.). • Anders als bei der Invaliditätsentschädigung nach § 8 Abs. 2 AUB 61 kommt es im Rahmen des Tagegeldanspruchs nicht zwingend auf eine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit an. Sie kann vielmehr auch vorübergehend sein.23 Die vorübergehende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit unterliegt anderen Beurteilungsgrundlagen. Keinesfalls ist erforderlich, dass der Arzt einen Dauerschaden prognostiziert. • Für die Annahme einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit ist nicht erforderlich, dass die versicherte Person auch tatsächlich nicht arbeitet bzw. eine Berufstätigkeit oder Beschäftigung nicht ausübt.24 Ein dahingehendes Erfordernis ist den AUB nicht zu entnehmen. Eine mit § 1 Abs. 3 MBKT vergleichbare Regelung fehlt. Indes werden in solchen Fällen höhere Maßstäbe an die Beweisführung des VN zu stellen sein.
Es genügt nicht, dass die versicherte Person in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt oder 10 behandlungsbedürftig ist.25 Hinzukommen muss, dass sie sich tatsächlich in ärztlicher Behandlung befindet. Das Erfordernis der ärztlichen Behandlung ist nicht nur als Indiz für das Bestehen einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, sondern als Anspruchsvoraussetzung zu werten.26 • Die Behandlung der versicherten Person muss durch einen Arzt erfolgen (dazu auch Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 84 ff.). Ungenügend ist die Behandlung durch einen Heilpraktiker.27 Entsprechendes gilt, wenn Dritte mit der versicherten Person Maßnahmen zur Rehabilitation wie Massagen, Krankengymnastik, Bäder usw. durchführen. • Der Begriff der „Behandlung“ ist weit auszulegen. Dies folgt bereits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, aber auch daraus, dass das Wort „Behandlung“ in Ziff. 2.3 AUB 99/2008 noch allgemeiner gefasst ist als der Begriff „Heilbehandlung“ in Ziff. 2.4 AUB 99/2008, der ebenfalls nicht einengend interpretiert werden darf (Ziff. 2.4 AUB 2008 Rn. 10). Die ärztliche Behandlung umfasst jede ärztliche Tätigkeit nach den Regeln der Medizin zum Zwecke der Heilung, Besserung oder auch zur Linderung des Leidens bzw. zur Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit.28 Dazu zählen auch diagnostische Maßnahmen, die aus ärztlicher Sicht die Feststellung des Befundes und der gebotenen Heilmaßnahmen bezwecken.29 Erfasst ist grundsätzlich auch eine ärztliche Beratung (z.B. zur Vorbereitung oder Durchführung einer Therapie). Sie stellt immer dann eine „ärztliche Behandlung“, dar, wenn die Beratung während der Berufsausübung erfolgt. Indizien hierfür sind, dass der ärztliche Rat während einer Sprechstunde erteilt und ordnungsgemäß in die Patientenkartei aufgenommen wird.30 Dagegen sind Beratungsgespräche oder Ratschläge in privater Umgebung bzw. bei einer privaten Begegnung typischerweise nicht als ärztliche Behandlung zu bewerten;31 denn mit ihnen dürften in der Regel keine verbindlichen ärztlichen Anorderungen verbunden sein.32 Ungenügend sind weiterhin allgemeine ärztliche Empfehlungen. Sie stellen noch keine „Behandlung“ dar.33 So liegt etwa der Fall, wenn ein Arzt der versicherten Person den allgemeinen Vorschlag unterbreitet, einen Heilpraktiker aufzusuchen.34
23 24 25
26 27 28
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 52. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 35; a.A. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 53. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 35 und § 8 AUB 61 Rn. 6; ferner Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 53; Kloth Rn. H 7. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 59. OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388. BGH 10.7.1996 BGHZ 133 208, 211; BGH 17.12.1986 BGHZ 99 228, 231; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 205.
29 30 31 32 33
34
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 57; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 315. Stockmeier/Huppenbauer S. 26. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 54. LG Frankfurt/M. 12.12.1997 RuS 1999 168, 169; Stockmeier/Huppenbauer S. 26. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 205; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 43. OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388.
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AUB 2008 Ziff. 2.3
Unfallversicherung
Unzureichend ist es auch, wenn der Arzt der versicherten Person im Rahmen der letzten Befundkontrolle „intensive Übungen nach Anleitung“ zum Zweck der Belastungssteigerung in Eigenregie empfiehlt.35 Schließlich erfüllt eine Eigenbehandlung der versicherten Person nicht die Anforderungen nach den AUB.36
11
Zwischen dem Unfall einerseits und der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sowie der ärztlichen Behandlung andererseits muss ein (haftungsausfüllender) Kausalzusammenhang bestehen. Wie auch sonst im Zivilrecht gilt die Adäquanztheorie (vgl. § 180 Rn. 26 ff.).
C. Höhe der Leistung 12
Das Tagegeld sollte nicht mehr als ein Drittel Promille des für den Todes- und Invaliditätsfall zusammen versicherten Kapitals betragen.37 13 Anders als das Krankenhaus-Tagegeld, das Genesungsgeld und die Todesfallleistung wird das Tagegeld nicht „in Höhe“, sondern „nach“ der vereinbarten Versicherungssumme berechnet (Ziff. 2.3.2 S. 1 AUB 99/2008). Dies liegt daran, dass der VR bei Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen nicht in jedem Fall die vollständige Versicherungssumme zahlt. Vielmehr leistet er ein abgestuftes Tagegeld, d.h. die Höhe des Tagesgeldes ist von dem Ausmaß der festgestellten Beeinträchtigung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung abhängig (Ziff. 2.3.2 S. 1 AUB 99/2008, § 7 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 und 3 AUB 88/94, § 8 Abs. 3 Nr. 2 und 3 AUB 61). Das Tagegeld wird mithin nur in Höhe der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme gezahlt, wenn die versicherte Person völlig arbeitsunfähig und keine Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen zu verzeichnen ist; bei einer teilweisen Beeinträchtigung ist der Tagesgeldsatz entsprechend prozentual zur Versicherungssumme zu berechnen. Dem typischen Heilungsverlauf entspricht es, dass in der ersten Zeit nach dem Unfall höher gradige Beeinträchtigungen für kürzere Zeiträume und im Anschluss daran geringere Beeinträchtigungen für längere Zeitspannen zu regulieren sind.38 Führen mehrere unter den Vertrag fallende Unfälle für einen bestimmten Zeitraum zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit der versicherten Person, so ist in diesem Zeitraum für die Bemessung des Tagegeldes von der gesamten unfallbedingten Beeinträchtigung auszugehen. Für den gleichen Zeitraum ist nicht mehr als der volle Tagegeldsatz anzusetzen.39 14 Entscheidend ist allein die Beeinträchtigung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung. Beeinträchtigungen der versicherten Person im außerberuflichen Bereich (z.B. Sport- und Freizeitaktivitäten) bleiben unberücksichtigt.40 • Es ist ein konkret-individueller Bewertungsmaßstab anzulegen:41 Während beim Invaliditätsanspruch die Beeinträchtigung der versicherten Person durch einen Vergleich der Invalidität der versicherten Person vor und nach dem Unfall abstrakt (meist anhand der festen Gliedertaxwerte) ermittelt wird, kommt es für die Bemessung der Höhe des Anspruchs auf Tagegeld darauf an, ob und inwieweit die versicherte Person nach dem Unfall tatsächlich daran gehindert ist, ihren je-
35 36
37
LG Frankfurt/M. 12.12.1997 RuS 1999 168 f. AG Wuppertal 13.7.1995 RuS 1998 526 (LS); Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 54; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 205. Riebesell S. 64.
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38 39 40 41
Reichenbach S. 131. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 59. Stockmeier/Huppenbauer S. 27; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 60. Lehmann/Ludolph S. 98; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 311.
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AUB 2008 Ziff. 2.3
Tagegeld
weiligen Beruf bzw. ihre jeweilige Beschäftigung auszuüben.42 So wird z.B. bei einem Pianisten als versicherte Person eine Kleinfingerverletzung länger eine Beeinträchtigung von 100 % nach sich ziehen als etwa bei einem Lehrer oder Rechtsanwalt.43 • Anders als beim Invaliditätsanspruch fehlt es für das Tagegeld an einer der Gliedertaxe entsprechenden Richtlinie. Die Bemessung muss im Wege einer Schätzung vollzogen werden. Zu dieser Beurteilung ist der (die versicherte Person behandelnde) Arzt berufen.44 Zwar ist anders als bei der Übergangsleistung die Notwendigkeit der Vorlage eines ärztlichen Attestes für das Tagegeld in den AUB nicht ausdrücklich vorgesehen. Jedoch wird spätestens im Streitfall die ärztliche Stellungnahme sachdienlich und zweckmäßig sein.
Der medizinische Sachverständige stellt Grad und Dauer der Beeinträchtigung fest. 15 Welchen Beruf oder welche Beschäftigung der versicherten Person er zugrunde zu legen hat, muss das Gericht bzw. im außergerichtlichen Verfahren der VR vorgeben.45 Abzustellen ist auf die zum Unfallzeitpunkt ausgeübte Berufstätigkeit oder Beschäftigung.46 Auf die Beschäftigung ist zur Einschätzung der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit dann abzustellen, wenn die versicherte Person keinen Beruf ausübt (z.B. Hausfrau) oder nicht mehr ausübt (z.B. Rentner).47 Hat der Sachverständige bei der Frage, ob und in welchem Umfang eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, auf den früheren Beruf der VN als Bankkauffrau abgestellt, obgleich sie neben ihrer Eigenschaft als Hausfrau sich der Verwaltung ihrer Immobilien, dem Tierschutz und der Lokalpolitik widmet, ist es nicht zu beanstanden, wenn für die Beurteilung der Maßstab einer verwaltenden und nicht einer körperlichen Arbeit zugrunde gelegt wird.48 Die Tagegeldleistung ist zu kürzen, wenn neben dem Unfall auch die Mitwirkung von 16 Krankheiten oder Gebrechen für den Grad und die Dauer der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit mitursächlich sind (Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61).
D. Dauer der Leistung Die Leistungsverpflichtung des VR beginnt mit dem Tag der ersten ärztlichen Behand- 17 lung oder Untersuchung der von der versicherten Person infolge des Unfalls erlittenen Verletzung und endet mit dem Abschluss der ärztlichen Behandlung, spätestens aber ein Jahr nach dem Unfall. Abzustellen ist auf den Zeitraum ärztlicher Fürsorge und Verantwortung.49 Bei einem einmaligen Besuch eines Unfallarztes besteht nur für diesen Tag Anspruch auf Tagegeld.50
I. Beginn der Leistungsverpflichtung Der Beginn der ärztlichen Behandlung ist grundsätzlich der Tag des ersten Arzt- 18 besuchs.51 Nicht entscheidend ist die Behandlungsbedürftigkeit der beim Unfall erlitte-
42 43 44 45 46 47 48
Reichenbach S. 130. Perret S. 19. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 311. Lehmann/Ludolph S. 98. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 35. Reichenbach S. 130. OLG Koblenz 8.2.2002 RuS 2003 30 = VersR 2002 1139 (LS); Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 52.
49 50 51
OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 54. LG Frankfurt/M. 12.12.1997 RuS 1999 168; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 85; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 205; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 45.
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Unfallversicherung
nen Verletzungen.52 Begibt sich die versicherte Person – aus welchen Gründen auch immer – nicht am Unfalltag in eine an sich erforderliche ärztliche Behandlung, so besteht folglich der Tagegeldanspruch nicht vom Unfalltag an, sondern erst ab dem Tag, an dem die versicherte Person den Arzt konsultiert hat. Dies kann zu Härten führen, wenn die versicherte Person den Arztbesuch nicht aus eigener Nachlässigkeit versäumt. Denkbar ist etwa, dass sie aufgrund von ihr nicht steuerbarer Umstände erst einige Tage nach dem Unfall geborgen werden kann (z.B. Bergunfall oder Unfall auf hoher See).53 In solchen situationsbedingten Sonderfällen sollten allerdings die VR kulant verfahren; denn auch einem verständigen VN wird hier kaum vermittelbar sein, warum die Tagegeldleistung erst mit der Einlieferung der versicherten Person ins Krankenhaus usw. beginnen soll.54
II. Ende der Leistungsverpflichtung 19
Die Dauer der Zahlung des Tagegeldes ist in zweierlei Hinsicht begrenzt (Ziff. 2.3.2 S. 3 AUB 99/2008, § 7 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 und Nr. 2 AUB 88/94, § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 und Nr. 4 AUB 61): Das Tagegeld wird nur für die Dauer der ärztlichen Behandlung gezahlt. Folglich 20 endet der Anspruch auf Tagegeld mit dem Behandlungsabschluss. Dieser ist objektiv nach medizinischen Kriterien – im Wege einer rückblickenden Betrachtung55 – zu ermitteln. Subjektive Erwägungen können keine Berücksichtigung finden. Anderenfalls wäre eine zuverlässige Beurteilung für die Vertragsparteien nicht möglich; denn es bestünde die Gefahr, dass jede Partei den Abschluss der ärztlichen Behandlung mit nicht nachprüfbaren Ausführungen interessengebunden festlegt.56 • Wie der Behandlungsabschluss konkret zu bestimmen ist, wird kontrovers beurteilt. Nach einer Ansicht ist der Zeitpunkt des letzten Arztbesuchs maßgebend.57 Abzustellen ist demnach auf den Tag der letzten ärztlichen Behandlung oder Untersuchung, an dem der Arzt entweder die volle Wiederherstellung der versicherten Person feststellt oder wegen der Konsolidierung des Gesundheitszustands der versicherten Person eine weitere regelmäßige Behandlung nicht mehr für erforderlich hält.58 Die Gegenauffassung setzt den Behandlungsabschluss nicht notwendig mit dem Zeitpunkt des letzten Arztbesuchs gleich. Entscheidend sei vielmehr, wann die ärztlichen Anordnungen (zur Medikamenteneinnahme) oder Weisungen für ein bestimmtes Verhalten (z.B. zur Ruhe, Rehabilitation, Gymnastik, Ernährungsweise) enden59 bzw. die ärztliche Therapie, manifestiert am letzten Tag der „Krankschreibung“, (faktisch) abgeschlossen sei;60 denn bis zu diesem Zeitpunkt müsse die versicherte Person den ärztlichen Anordnungen zur Vermeidung einer Obliegenheitsverletzung (Ziff. 7.1 AUB 99/2008, § 9 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94) nachkommen.61 Zuzustimmen ist der erstgenannten Ansicht. Für die Maßgeblichkeit des letzten Arztbesuchs ist allerdings nicht ein Vergleich zwischen den AUB 61 und den AUB 88/94/99 relevant. Aus dem Wegfall von § 8 Abs. 3 Nr. 2 AUB 61 (Anspruch auf Tagegeld nach Abschluss der ärztlichen Behandlung
52 53 54 55 56 57 58
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 54. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 59. S.a. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 35. So OLG Frankfurt/M. 4.6.1992 NJW-RR 1993 217, 218. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 47. AG Hameln 16.2.1996 VersR 1996 1403 (LS); Günther VersR 1995 951. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 59; s.a. OLG Frankfurt/M. 4.6.1992 NJW-RR 1993 217.
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61
AG Köln 26.4.1995 VersR 1995 950, 951; wohl auch LG Frankfurt/M. 12.12.1997 RuS 1999 168, 169. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 35; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 85; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 205; Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 163; s.a. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 45. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 54.
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Tagegeld
bei Bescheinigung der Fortdauer der Beeinträchtigung durch den behandelnden Arzt) lässt sich für die Auslegung der neueren AUB nichts ableiten;62 denn auf die Entstehungsgeschichte kann es nicht ankommen, da diese dem VN als Adressaten der Bedingungen typischerweise nicht bekannt sind (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 63 und 76 ff.). Entscheidender ist, dass nach dem Verständnis des durchschnittlichen VN die Dauer der ärztlichen Behandlung nach dem letzten persönlichen Kontakt mit dem Arzt endet. Dieser Tag stellt eine deutliche Zäsur dar. Der Arzt hat letztmalig die Gelegenheit, den Gesundheitszustand des Patienten und den Erfolg des Heilungsprozess mit eigenen Augen zu analysieren. Trifft der Arzt – typischerweise nach einer Abschlussuntersuchung – die Aussage, dass die versicherte Person wegen der unfallbedingten Verletzung nicht wieder kommen muss, so wird die versicherte Person „offiziell“ aus der ärztlichen Verantwortung und Fürsorge entlassen. Nicht entscheidend für den Abschluss der ärztlichen Behandlung ist dagegen, ob der eingetretene Gesundheitsschaden noch eine Behandlung dahingehend erfordert, dem Patienten gewisse Erleichterungen z.B. durch Massagen oder Bewegungstherapien zu verschaffen; denn dies sind „Betreuungsmaßnahmen“, die zum einen im Regelfall nicht durch den Arzt vorgenommen werden und zum anderen zwar die nachteiligen Folgen der Gesundheitsbeeinträchtigung möglichst gering halten sollen, nicht jedoch dem Bereich der eigentlichen Heilbehandlung bzw. der Wiederherstellung der Gesundheit („Ursachenbekämpfung“) zuzuordnen sind.63 Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass nur ein Abheben auf den fest bestimmbaren Tag des letzten Arztbesuchs es im alltäglichen Massengeschäft erlaubt, im Rahmen der Leistungsregulierung das Tagegeld zügig und einfach abzurechnen. Käme es auf andere Kriterien an (z.B. Ende der Medikamenteneinnahme), würde die Prüfung erschwert.64 Es entspricht indes der Intention der Bedingungsgeber, wenn in der Praxis für den Zeitraum der Krankschreibung nicht kleinlich verfahren wird. Eine völlige Wiederherstellung der versicherten Person tritt erfahrungsgemäß erst einige Tage oder längsten einige Wochen nach dem letzten Arztbesuch ein.65 • Kommt es zu einer Unterbrechung der ärztlichen Behandlung bzw. längeren Behandlungspause, weil z.B. die Nachbehandlung erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist oder ein Arbeitsversuch unternommen werden soll, so führt dies nicht zu einem Abschluss der ärztlichen Behandlung. In Betracht kommt aber, dass der Grad der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit während der Unterbrechungsphase (u.U. bis auf 0 %) absinkt und erst zum Zeitpunkt der Aufnahme weiterer ärztlicher Konsultationen wieder ansteigt.66
Der Leistungszeitraum ist auf maximal ein Jahr beschränkt. Die Jahresfrist bezweckt, 21 Spätschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen (s. auch Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 71 ff.). Die Frist beginnt nach dem eindeutigen Wortlaut der AUB am Tag des Unfalls und nicht etwa erst mit dem Zeitpunkt, zu dem die Gesundheitsschädigung für die versicherte Person oder Dritte erkennbar wird bzw. die Krankheit ausbricht, die Arbeitsfähigkeit erstmals beeinträchtigt ist oder die ärztliche Behandlung begonnen hat.67 Maßgebend für den „Unfalltag“ ist gemäß § 178 Abs. 2 S. 2, wann das Unfallereignis (das plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkende Ereignis) und die Unfallereignisfolge (die Gesundheitsschädigung) bei objektiver Betrachtung eingetreten sind. Beispiele: • Die versicherte Person zieht sich am 1.7. eine Nadelstichverletzung zu. Am 5.7. zeigt sich eine Wundinfektion. Aufgrund der Schmerzen begibt sich die versicherte Person am 6.7. in ärztliche Behandlung. Die Jahresfrist beginnt am 1.7. • Die versicherte Person stürzt unverletzt am 1.7. beim Bergwandern in eine Schlucht. Da sie sich aus ihrer hilflosen Lage nicht befreien kann, treten am 3.7. Erfrierungen auf. Bei diesem gedehnten Versicherungsfall beginnt die Jahresfrist erst am 3.7.
62 63 64 65 66
So aber Günther VersR 1995 951. OLG Frankfurt/M. 4.6.1992 NJW-RR 1993 217 f. Günther VersR 1995 951. Konen/Lehmann S. 46; Reichenbach S. 131. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94
67
Rn. 35; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 59; a.A. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 184. LG Hamburg 22.5.1975 VersR 1976 455, 456; LG Osnabrück 25.5.1977 VersR 1978 275, 276; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 58; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 61.
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Der Leistungszeitraum endet spätestens mit dem Vortag des dem Datum des Unfalltages entsprechenden Tages des nächsten Jahres.68 Selbst wenn die ärztliche Behandlung nach Ablauf der Jahresfrist noch andauert, besteht kein Anspruch mehr auf die Tagegeldleistung. Auch Zwischenzeiten, in denen kein Tagegeldanspruch wegen einer vorübergehenden Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der versicherten Person bestand, verlängern den Leistungszeitraum nicht.69
E. Wirksamkeit der Regelung 22
Gegen die Wirksamkeit der AUB-Regelungen zum Tagegeldanspruch bestehen keine AGB-rechtlichen Einwände. Des Weiteren begründet die Beschränkung der Leistung auf maximal ein Jahr nach dem Unfall keine Bedenken in Hinsicht auf §§ 138, 826 BGB. Um das Versicherungsrisiko – nicht zuletzt auch im Interesse der Versichertengemeinschaft – kalkulierbar zu halten, ist es legitim, dass der VR hinsichtlich der Länge der Zeitdauer seiner Leistungen Beschränkungen vornimmt.70
F. Konkurrenzen 23
Das Tagegeld sollte nicht allein versichert werden.71 Es wird weder durch andere Leistungsarten (z.B. Invaliditätsleistung) ausgeschlossen noch auf solche angerechnet.72
G. Speziellere AVB 24
Den Vertragsparteien ist es unbenommen, die in den AUB vorgesehenen Regeln zum Tagegeld durch vorrangige Vereinbarungen zu modifizieren.73 Zulässig ist es etwa, • den Beginn der Tagegeldleistung auf den Zeitpunkt hinauszuschieben, zu dem eine Lohnfortzahlung für die versicherte Person entfällt. Ein solcher „zeitlicher Selbstbehalt“74 entspricht dem Zweck des Tagegeldes (Rn. 2) und einer ökonomischen Prämiengestaltung.75 • den Leistungszeitraum von einem Jahr durch Besondere Bedingungen auf höchstens 60 Tage zu beschränken. Eine solche Begrenzung ist jedenfalls dann nicht als überraschend i.S.v. § 3 AGBG zu werten, wenn zwischen der Dauer und Höhe des Tagegeldes einerseits und der Versicherungsprämie andererseits kein vollkommen unangemessenes Verhältnis besteht.76
H. Verfahrensfragen 25
Die Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und die Höhe des Anspruchs auf Tagegeld trägt der Anspruchsteller.77 Er muss den Grad und die Dauer der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sowie die Dauer der ärztlichen Behandlung substantiiert vortragen und beweisen.
68 69
70
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 61. Grimm 3 § 7 Rn. 51 und 58; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 115; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 36; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 85; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 45. LG Hamburg 22.5.1975 VersR 1976 455, 456.
706
71 72 73 74 75 76 77
Riebesell S. 64. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 311. Siehe Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 187 ff. Riebesell S. 64. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 311. OLG Hamburg 6.4.1978 VersR 1979 154, 155. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 85.
Kent Leverenz
Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen
AUB 2008 Ziff. 2.4
• Aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 AUB 61 lässt sich folgern, dass für die Dauer der ärztlichen Behandlung eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit (vom VR widerlegbar) vermutet werden kann.78 Der VR muss bei Geltung der AUB 61 den Beweis führen, dass trotz Fortdauer der ärztlichen Behandlung eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr besteht. Aus dem Wortlaut der neueren Bedingungen lässt sich diese Vermutung nicht mehr ableiten.79 Vielmehr hat der Anspruchsteller die Anspruchsvoraussetzung „Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit“ durch Vorlage eines ärztlichen Attestes zu beweisen.80 Als Nachweis kann etwa der vom Arzt für den Krankenversicherer erstellte Nachweis über Arbeitsunfähigkeit dienen.81 • Für einen ausreichend substantiierten Vortrag zur Dauer der ärztlichen Behandlung reicht nicht die Behauptung aus, die versicherte Person sei bis zu einem bestimmten Monat in ärztlicher Behandlung gewesen. Erforderlich ist eine Sachverhaltsdarstellung dazu, wann genau die ärztlichen Untersuchungen stattfanden sowie welcher Art sie waren und welchen Umfang sie hatten. Ist das Vorbringen zu pauschal, so ist das Gericht nicht gehalten, Zeugen für die ärztliche Behandlung zu vernehmen; denn aufgrund des fehlenden Sachvortrags wäre die Beweiserhebung ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.82
Ziff. 2.4 AUB 2008 2.4 Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen 2.4.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person • befindet sich wegen des Unfalles in medizinisch notwendiger vollstationärer Heilbehandlung
oder • unterzieht sich wegen eines Unfalls einer ambulanten chirurgischen Operation und ist deswegen für mindestens x Tage ununterbrochen vollständig arbeitsunfähig bzw. vollständig in ihrem Aufgaben- und Tätigkeitsbereich beeinträchtigt.
Kuren sowie Aufenthalte in Sanatorien und Erholungsheimen gelten nicht als medizinisch notwendige Heilbehandlung. 2.4.2 Höhe und Dauer der Leistung: Das Krankenhaus-Tagegeld wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme • für jeden Kalendertag der vollstationären Behandlung gezahlt, längstens jedoch für x Jahre, vom Unfalltag an gerechnet. • für x Tage bei ambulanten chirurgischen Operationen gezahlt. Ein Anspruch auf Genesungsgeld nach Ziffer … besteht nicht. Schrifttum Egger Medizinische Notwendigkeit und Kostengesichtspunkte in der privaten Krankenversicherung, RuS 2006 309; Klaus Müller Der Begriff der notwendigen Heilbehandlung in der privaten Krankenversicherung, MDR 1980 881; Rinke/Balser Selbständiges Beweisverfahren bei Streit über die medizinische Notwendigkeit einer vorgesehenen Heilbehandlung – zulässig? VersR 2009 188; Walther Der Streit über die „medizinisch notwendige Heilbehandlung“, NJW 1982 2592.
78 79 80
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 35 und § 8 AUB 61 Rn. 6. A.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 61. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 53; Kloth Rn. H 7.
81 82
OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388. OLG Düsseldorf 3.12.1996 VersR 1997 1387, 1388.
Kent Leverenz
707
AUB 2008 Ziff. 2.4
Unfallversicherung
Übersicht Rn. A. I. II. B. I.
Einführung . . . . . . . . . . . Zweck der Leistungsart . . . . . Entwicklung der Leistungsart . . Krankenhaustagegeld . . . . . . Voraussetzungen für die Leistung 1. Heilbehandlung . . . . . . . . 2. Vollstationär . . . . . . . . . 3. Medizinisch notwendig . . . . 4. Abgrenzungen . . . . . . . . 5. Kausalität . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
Rn.
1 2 3 8 9 10 12 14 18 21
II. III. IV. V. C. D. E.
Höhe der Leistung . . . Dauer der Leistung . . . Wirksamkeit der Regelung Konkurrenzen . . . . . . Ambulante Operationen . Speziellere AVB . . . . . Verfahrensfragen . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
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. . . . . . .
. . . . . . .
22 23 24 25 26 28 29
A. Einführung 1
Das Krankenhaustagegeld ist seit langem fester Bestandteil der AUB. Die Leistungsart findet sich auch in der Kfz-Unfallversicherung (A.4.7.1 und A.4.7.2 AKB 2008).
I. Zweck der Leistungsart 2
Das Krankenhaus-Tagegeld dient nicht dem (teilweisen) Ausgleich der Krankenhauskosten,1 sondern der Deckung des abstrakten (nicht des konkreten) Bedarfs der versicherten Person.2 Bei der Krankenhaus-Tagegeldversicherung handelt es sich folglich um eine Summenversicherung,3 nicht um eine Schadenversicherung. Die Versicherungsleistungen können vielmehr in manchen Fällen über den tatsächlichen Bedarf hinausgehen, in anderen Fällen hinter ihm zurückbleiben.4
II. Entwicklung der Leistungsart 3
Die Leistungsart „Krankenhaus-Tagegeld“ wurde erstmals 1972 in die AUB aufgenommen5 und seitdem im Wesentlichen beibehalten:
1
2 3
So noch Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 312; s. auch LG Köln 21.4.1976 VersR 1978 129. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 206. BGH 28.4.1971 VersR 1971 662, 663 = NJW 1971 1891.
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4
5
BGH 11.4.1984 BGHZ 91 98, 101, 104 = VersR 1984 677, 678 und 679 = NJW 1984 1818 und 1819. VerBAV 1972 251.
Kent Leverenz
Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen
AUB 2008 Ziff. 2.4
AUB 2008 6 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 7
AUB 94
AUB 88 8
Ziff. 2.4 Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen
Ziff. 2.4 Krankenhaustagegeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7Abs. 4 Krankenhaustagegeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 4 Kranken- § 8 Abs. 4 Krankenhaustagegeld haustagegeld
2.4.1 Voraussetzungen für die Leistung: S. 1 Die versicherte Person • befindet sich wegen des Unfalles in medizinisch notwendiger vollstationärer Heilbehandlung oder • unterzieht sich wegen eines Unfalls einer ambulanten chirurgischen Operation und ist deswegen für mindestens x Tage ununterbrochen vollständig arbeitsunfähig bzw. vollständig in ihrem Aufgaben- und Tätigkeitsbereich beeinträchtigt.
2.4.1 Voraussetzungen für die Leistung: S. 1 Die versicherte Person befindet sich wegen des Unfalles in medizinisch notwendiger vollstationärer Heilbehandlung.
Nr. 1 Krankenhaustagegeld wird für jeden Kalendertag gezahlt, an dem sich der Versicherte wegen des Unfalles in medizinisch notwendiger vollständiger Heilbehandlung befindet, längstens jedoch für zwei Jahre, vom Unfalltage an gerechnet.
Nr. 1 Krankenhaustagegeld wird für jeden Kalendertag gezahlt, an dem sich der Versicherte wegen des Unfalles in medizinisch notwendiger vollständiger Heilbehandlung befindet, längstens jedoch für zwei Jahre, vom Unfalltage an gerechnet.
Nr. 2 Krankenhaustagegeld entfällt bei einem Aufenthalt in Sanatorien, Erholungsheimen und Kuranstalten.
Nr. 2 Krankenhaustagegeld entfällt bei einem Aufenthalt in Sanatorien, Erholungsheimen und Kuranstalten.
S. 2 Kuren sowie Aufenthalte in Sanatorien und Erholungsheimen gelten nicht als medizinisch notwendige Heilbehandlung.
AUB 61 9
Nr. 1 S. 1 Krankenhaustagegeld wird für jeden Kalendertag gezahlt, an dem sich der Versicherte wegen eines Unfalles (§§ 2 und 3) aus medizinischen Gründen in stationärer Krankenhausbehandlung befindet, höchstens jedoch für zwei Jahre vom Unfalltage an gerechnet. S. 2 Aufnahme- und Entlassungstag werden je als ein Kalendertag gerechnet.10 Nr. 2 Die Leistungen entfallen für einen Aufenthalt in Sanatorien, Erholungsheimen und Kuranstalten.
S. 2 Kuren sowie Aufenthalte in Sanatorien und Erholungsheimen gelten nicht als medizinisch notwendige Heilbehandlung. 2.4.2 Höhe und Dauer der Leistung: Das KrankenhausTagegeld wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme
6 7 8 9
2.4.2 Höhe und Dauer der Leistung: Das Krankenhaustagegeld wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme für jeden Kalendertag
S. § 7 Abs. 4 Nr. 1
Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 28. VerBAV 1987 417, 420. VerBAV 1984 10, 13; zu Vorgängerfassungen s. etwa VerBAV 1962 4; VerBAV 1960 49.
10
S. § 7 Abs. 4 Nr. 1
S. § 8 Abs. 4 Nr. 1
Der zeitliche Begrenzungsrahmen von zwei Jahren wurde eingeführt mit VerBAV 1980 36 f. (dazu auch GB BAV 1979 85 f. Nr. 8102 und GB BAV 1976 76 Nr. 813).
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 2.4
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AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
• für jeden Kalendertag der vollstationären Behandlung gezahlt, längstens jedoch für x Jahre, vom Unfalltag an gerechnet. • für x Tage bei ambulanten chirurgischen Operationen gezahlt. Ein Anspruch auf Genesungsgeld nach Ziffer … besteht nicht.
der vollstationären Behandlung gezahlt, längstens jedoch für zwei Jahre, vom Unfalltag an gerechnet.
Unfallversicherung AUB 94
AUB 88
AUB 61
§ 8 Abs. 4 Nr. 1 S. 1 AUB 61 setzt für die Zahlung von Krankenhaus-Tagegeld u.a. eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen voraus. Für die Auslegung des nicht näher umschriebenen Begriffs „Krankenhaus“ ist der allgemeine Sprachgebrauch entscheidend (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 66 ff.). Der Krankenhausaufenthalt dient danach vornehmlich der Behandlung akuter Gesundheitsschädigungen.11 Die Patienten werden meist unmittelbar nach der Erkrankung aufgenommen und vielfach bereits vor der vollständigen Genesung entlassen. Sie sind in der Regel bettlägerig und haben dementsprechend keine Möglichkeit das Haus zu Spaziergängen, Ausflügen etc. zu verlassen. Charakteristisch sind die ständige ärztliche Überwachung des Heilungsverlaufs, der intensive Einsatz medizinischen Personals sowie die Behandlung mit physikalischen und chemischen Mitteln.12 Dies trifft auch auf folgende Fälle zu: • Aufenthalt in einem Bundeswehrlazarett; denn ohne eine Gleichstellung von Krankenhaus und Bundeswehrlazarett wäre einem Bundeswehrangehörigen kein hinreichendes Äquivalent für seine Versicherungsprämie geboten, da schwerwiegendere Erkrankungen bei Soldaten in der Regel nicht in zivilen Krankenhäusern, sondern in Lazaretten behandelt zu werden pflegen. Keine Leistungspflicht lässt sich dagegen ableiten aus einem Aufenthalt in einem Sanitätsbereich der Bundeswehr. Dieser kann zwar wie ein Krankenhaus ausgestattet sein, hat jedoch nicht nur die Aufgabe, medizinisch notwendige stationäre Behandlungen durchzuführen. Dem Sanitätsbereich werden vielmehr aus Gründen der Truppendisziplin auch Soldaten zugeführt, die wegen einer leichteren, nicht stationär behandlungsbedürftigen, Erkrankung nicht voll diensttauglich sind.13 • Aufenthalt in einer gemischten Anstalt. Hier kann von einer Krankenhausbehandlung gesprochen werden, sofern nach dem Gesamtbild der Einrichtung und der angebotenen Behandlungen die Heilbehandlung im Vordergrund steht.14
5
Die Bedingungsgeber der AUB 88 haben die Regelung in den AUB 61 weitgehend übernommen. • Statt „stationärer Krankenhausbehandlung“ heißt es in § 7 Abs. 4 Nr. 1 AUB 88/94 allerdings nunmehr „vollstationäre Heilbehandlung“. Dadurch sollte klargestellt werden, dass teilstationäre
11 12
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 64. BGH 4.5.1983 VersR 1983 677, 679.
710
13 14
LG Köln 21.4.1976 VersR 1978 129. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 60.
Kent Leverenz
Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen
AUB 2008 Ziff. 2.4
Behandlungen nicht vom Versicherungsschutz erfasst sind.15 Weiterhin macht die geänderte Formulierung deutlich, dass eine stationäre Behandlung in Institutionen, die einem Krankenhaus gleichzusetzen sind, aber anders bezeichnet werden, ebenfalls den Anspruch auf KrankenhausTagegeld begründen können.16 Ausreichend ist auch die stationäre Behandlung in einer gemischten Anstalt, sofern sie der medizinisch notwendigen Heilbehandlung dient.17 Materiell-rechtliche Änderungen sind mit der neuen Formulierung in den AUB 88 nicht verbunden, da auch auf Grundlage der AUB 61 Aufenthalte in solchen Einrichtungen ausreichen. • Nicht beibehalten wurde die Regelung in § 8 Abs. 4 Nr. 1 S. 2 AUB 61 zum Aufnahme- und Entlassungstag. Auch dadurch ergeben sich indes keine materiell-rechtlichen Veränderungen (Rn. 13).
Gegenüber den AUB 88/94 ergeben sich in den AUB 99 keine wesentliche Abwei- 6 chungen:18 • Der prägnante Begriff „Krankenhaus-Tagegeld“ wurde beibehalten, obwohl er gelegentlich Kunden zu der Annahme verleitet, sie könnten bei jedem (auch nicht unfallbedingten) Krankenhausaufenthalt Leistungen beanspruchen. • Entsprechend dem in den AUB 99 vorgenommenen Gliederungskonzept für die Regelung der Leistungsarten haben die Bedingungsgeber unterschieden in „Voraussetzungen für die Leistung“ sowie „Höhe und Dauer der Leistung“. • In Anbetracht dessen, dass Krankenhäuser nicht nur im Ausland, sondern im Interesse einer Kostenreduktion zunehmend auch in Deutschland Operationen vom stationären in den ambulanten Bereich verlagern, wird heute – anders als in der Vergangenheit – für eine Reihe von Operationen das Krankenhaus-Tagegeld nicht mehr fällig. Dennoch konnten sich die Verfasser der AUB 99 nicht dazu entschließen, das Krankenhaus-Tagegeld auch bei ambulanten Operationen zu zahlen. Zum einen wurden in den Fällen Abgrenzungsprobleme befürchtet, in denen es zu einer Kumulation von vollstationären Behandlungen und ambulanten Operationen kommt. Zum anderen hätte die Erweiterung des Krankenhaus-Tagegeldes einen erheblichen Anstieg der Schadenfrequenz, zusätzlichen Verwaltungsaufwand und damit Kostensteigerungen nach sich gezogen; denn bei Leistungen für ambulante Operationen hätten wohl auch Leistungen für teilstationäre Behandlungen vorgesehen werden müssen. Des Weiteren könnten bei einer weiten Auslegung des Begriffs „Operationen“ wiederholte ambulante Behandlungen (z.B. Fäden ziehen, Verbandswechsel) leistungspflichtig werden. Das Ziel, das Krankenhaus-Tagegeld an unfallbedingte – schwierige – Operationen zu knüpfen, ließ sich schließlich nach Auffassung der Verfasser der AUB 99 ohne Aufwandssteigerung auch nicht rechtssicher erreichen, indem einengende Merkmale wie „unfallbedingt unter Vollnarkose oder Regionalanästhesie“ bzw. „unter Vollnarkose oder einer rückenmarksnahen Narkose“ in den Tatbestand aufgenommen werden. So fielen unter den Begriff „Regionalanästhesie“ u.a. auch lokale Betäubungen; mit dem Begriff „rückenmarksnahe Narkose“ werde die eigentlich gemeinte Lumbalanästhesie nicht exakt umschrieben. In jedem Fall hätte die Prüfung der Leistungspflicht des VR für ambulante Operationen nebst ihren einschränkenden Tatbestandsmerkmalen eine aufwendigere Leistungsbearbeitung zur Folge. • Der in den AUB 61/88/94 verwendete Begriff „Kuranstalt“ existiert in der Praxis kaum noch. Meist werden sowohl die (nicht leistungspflichtigen) Kuren als auch die (zur Zahlung von Krankenhaus-Tagegeld berechtigenden) medizinisch notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen in gemischten Anlagen mit Bezeichnungen wie „Klinik für …“, „Fachklinik für …“ usw. durchgeführt. Dies kann zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen (s.a. Rn. 18 ff.).19 Um zu vermeiden, dass für Kuren in solchen gemischten Anlagen Krankenhaus-Tagegeld zu zahlen ist, gaben die Bedingungsgeber den Begriff „Kuranstalt“ auf.
15 16 17
Konen/Lehmann S. 47. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 63. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 64; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 207.
18 19
Hierzu Stockmeier/Huppenbauer S. 29 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 69.
Kent Leverenz
711
AUB 2008 Ziff. 2.4
Unfallversicherung
• Der Vorschlag, die Bezeichnung „Sanatorium“ durch „Reha-Zentrum“ zu ersetzen, wurde nicht aufgegriffen, da der Begriff „Reha-Zentrum“ zu unbestimmt ist. Er wird u.a. auch von Arztpraxen verwendet.
7
Die VVG-Reform 2008 machte keine Änderung von Ziff. 2.4 AUB 99 notwendig. Abweichend von früheren Überlegungen entschieden sich die Verfasser der AUB 2008 indes dafür, den Versicherungsschutz auch für bestimmte ambulante Eingriffe zu ermöglichen. Dadurch sollte den Fortschritten in der Medizin Rechnung getragen und eine Schlechterstellung von versicherten Personen vermieden werden, die sich anstelle eines stationären Eingriffs für ambulante Behandlungsmethoden entscheiden.
B. Krankenhaustagegeld 8
Die Zahlung von Krankenhaustagegeld setzt nach Ziff. 2.4.1 AUB 2008 voraus, dass die versicherte Person (während der materiellen Versicherungsdauer) einen Unfall erlitten (§ 178 Abs. 2, Ziff. 1 AUB 99/2008), sich in medizinisch notwendiger vollstationärer Heilbehandlung befindet und diese unfallbedingt ist. Mit der Formulierung „medizinisch notwendige vollstationärer Heilbehandlung“ greifen die AUB einen Terminus auf, den auch das Gesetz in § 192 Abs. 1 und 4 (§ 178b Abs. 1 und 2 a.F.) oder auch § 1 Abs. 1 und 2 MBKK 94 beinhalten.
I. Voraussetzungen für die Leistung 9
Ob eine medizinisch notwendige vollstationäre Heilbehandlung vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zu klären. 1. Heilbehandlung
10
Der Begriff „Heilbehandlung“ in Ziff. 2.4 AUB 99/2008 ist – ähnlich wie der Terminus „ärztliche Behandlung“ in Ziff. 2.3 AUB 99/2008 (dort Rn. 10) – weit zu interpretieren. Erfasst sind alle Behandlungen, die durch geeignet erscheinende medizinische Maßnahmen auf Heilung (z.B. eine „Null-Diät“),20 Beseitigung, Besserung oder Linderung unfallbedingter Gesundheitsschädigungen und deren Folgen bzw. die Verhinderung oder Hemmung einer Verschlimmerung des anormalen Körper- oder Geisteszustandes ausgerichtet sind.21 Regelmäßig sind auch Anschlussheilbehandlungen erstattungspflichtig, nicht dagegen „reine“ Reha-Maßnahmen (Rn. 20).22 Ein stationärer Krankenhausaufenthalt, der ausschließlich zu Diagnosezwecken erfolgt, stellt ebenfalls keine eigentliche Heilbehandlung dar.23 Entsprechendes gilt für reine Vorsorgeuntersuchungen. Jedoch wird ein Krankenhausaufenthalt, der neben der Heilbehandlung auch der Erken20 21
BGH 19.10.1978 VersR 1979 221, 222 = NJW 1979 1250. BGH 10.7.1996 BGHZ 133 208, 211; BGH 17.12.1986 BGHZ 99 228, 231; OLG Hamm 8.11.1985 VersR 1987 555, 556 = VersR 1986 865 (LS) = NJW 1986 1554; OLG Köln 21.3.1985 RuS 1987 143; OLG Zweibrücken, Urteil vom 19.5.2004 – 1 U 7/02;
712
22 23
Egger RuS 2006 309, 310; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 61; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 64. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 86. OLG Hamm 8.11.1985 VersR 1987 555, 556; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 208.
Kent Leverenz
Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen
AUB 2008 Ziff. 2.4
nung eines durch bestimmte Symptome in Erscheinung getretenen Leidens dient, Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld begründen können, und zwar selbst dann, wenn die Untersuchung einen negativen Befund ergibt.24 Dies gilt etwa für den Fall, dass die Diagnose dazu dient, die Art der unfallbedingten Gesundheitsschädigung und deren zukünftige Behandlung abzuklären.25 Weder der Wortlaut von Ziff. 2.4.1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 4 Nr. 1 AUB 88/94, § 8 11 Abs. 4 Nr. 1 S. 1 AUB 61) noch der Sinn des Krankenhaus-Tagegeldes gebieten es, nur Behandlungen durch einen Arzt als Heilbehandlungen anzusehen. Der Ausschluss von Heilbehandlungen durch nichtärztliche Personen würde vernachlässigen, dass es bei der ständig fortschreitenden Entwicklung und Spezialisierung auf medizinischem Gebiet einerseits und bei einer möglichen Überlastung der Ärzte andererseits zweckmäßig sein kann, Spezialbereiche aus der ärztlichen Praxis auszugliedern und an speziell ausgebildete Fachleute zu übertragen, sofern die Überwachung durch einen Arzt gewährleistet ist. Es macht für die Heilbehandlung der versicherten Person keinen Unterschied, ob sie durch einen Arzt persönlich oder durch einen Dritten, der für die ärztlich angeordnete und beaufsichtige Maßnahme ausgebildet ist, geleistet wird.26 2. Vollstationär Während unter den Begriff „stationäre“ Behandlung zugunsten des VN auch „teil- 12 stationäre“ Behandlungen subsumiert werden können,27 verlangt das Wort „vollstationär“ mehr als „teilstationär“. Eine Heilbehandlung ist nicht „vollstationär“, sondern „teilstationär“ und damit nicht leistungsbegründend, wenn • eine Operation ambulant durchgeführt wird.28 • sich die versicherte Person zwar täglich im Krankenhaus behandeln lässt und dort auch ein Bett zur Verfügung hat, abends aber außerhalb des Krankenhauses schlafen darf (sog. Tagesklinik), oder sich die versicherte Person tagsüber außerhalb des Krankenhauses aufhält (um z.B. einer Beschäftigung nachzugehen) und nur abends zum Schlafen und zu eventuellen Behandlungen in das Krankenhaus zurückkehrt bzw. nur nachts „hospitalisiert“ wird (sog. Nachtkliniken).29 • die versicherte Person das Krankenhaus nach chirurgischer Behandlung am selben Tag wieder verlässt.30
Fernerhin besteht keine Leistungspflicht des VR, • für die Tage, in denen sich die versicherte Person (vollständig) nicht im Krankenhaus aufhält (Beurlaubungen), da insoweit nicht von vollstationärer Behandlung gesprochen werden kann;31 denn das Wort „stationär“ verlangt – auch aus Sicht eines Laien – auf jeden Fall eine gewisse räumliche Beziehung zum Ort der Behandlung und damit zumindest eine zeitweilige Anwesenheit des Patienten.32 Kein Versicherungsschutz besteht weiterhin für den Fall, dass die versicherte Person nur für kurze Zeit an einem Tag vom Arzt beurlaubt wird. Zwar kann erwogen werden, hier
24 25 26 27 28
29
OLG Karlsruhe 5.3.1981 VersR 1982 263, 264; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 61. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 64. LG Köln 15.9.1976 VersR 1978 129, 130. OLG Hamm 9.8.1989 RuS 1990 64 f. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 207; Stockmeier/Huppenbauer S. 29. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 37; Konen/Lehmann S. 47; Reichenbach
30 31
32
S. 131; Stockmeier/Huppenbauer S. 29; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 65. AG Koblenz 29.7.1996 RuS 1998 436 (LS). So u.a. Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 207; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 66. BGH 11.4.1984 BGHZ 91 98, 101, 103 und 104 = VersR 1984 677, 678 und 679 = NJW 1984 1818 und 1819.
Kent Leverenz
713
AUB 2008 Ziff. 2.4
Unfallversicherung
die Beurlaubung als Bestandteil einer vollstationären Therapie anzusehen.33 Jedoch lässt sich dies nur für die AUB 61 vertreten, die insofern mit der Wendung „stationärer Krankenhausbehandlung“ Interpretationsspielräume eröffnen, die im Zweifel zugunsten des VN auszulegen sind (§ 305 Abs. 2 BGB, § 5 AGBG).34 Die AUB 88/94/99/2008 stellen dagegen ausdrücklich das Tatbestandsmerkmal „vollstationär“ auf. Dieses wird der verständige VN i.S.v. „ganz oder gar nicht“ ohne Einschränkungsmöglichkeit verstehen. Bestünde z.B. auch bei einer stundenweisen Abwesenheit der versicherten Person Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld, so würde die Leistungsregulierung erschwert, verzögert und verteuert; denn es müsste ermittelt werden, ob die Abwesenheit der versicherten Person Gegenstand eines „vollstationären Therapiekonzepts“ ist. Der verständige VN wird erkennen, dass die Klärung solcher Wertungsfragen nicht gewollt ist. Sie ist mit Unsicherheiten verbunden und kann zu unnötigen Auseinandersetzungen zwischen VN und VR führen • wenn eine stationäre Krankenhausbehandlung zwar erforderlich war, die versicherte Person sich jedoch aus – welchen Gründen auch immer – nur ambulant behandeln ließ.35
13
Fraglich ist, ob für solche Tage Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld besteht, an denen sich die versicherte Person nur bis bzw. ab einem bestimmten Zeitpunkt im Krankenhaus aufhält (Aufnahme- und Entlassungstag). Hier wird ein Leistungsanspruch zu bejahen sein, auch wenn § 8 Abs. 4 Nr. 1 S. 2 AUB 61 nicht in die neueren AUB-Generationen übernommen worden ist.36 Unabhängig davon, dass eine für den VN nachteilige Regelung durch die Bedingungsgeber wohl nicht beabsichtigt war, ist jedenfalls nach dem Wortlaut von Ziff. 2.4.1 S. 1 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 4 Nr. 1 AUB 88/94) eine Leistungseinschränkung für den Aufnahme- und Entlassungstag nicht deutlich zu entnehmen. Sie wäre einem VN auch nur schwerlich erklärbar; denn zu berücksichtigen ist dabei, dass der erste und letzte Tag eines Krankenhausaufenthalts typischerweise Bestandteil eines geschlossenen Therapiekonzepts sind.37 Hinzu kommt, dass der Aufnahme- und Entlassungstag von den Krankenanstalten je als ein Kalendertag abgerechnet werden.38 3. Medizinisch notwendig
14
Das Tatbestandsmerkmal „medizinisch notwendig“ dient dazu, den VR davor zu schützen, dass er die Kosten für überflüssige oder nicht aussichtsreiche (stationäre) Behandlungen tragen muss.39 Bei der – nach objektiv-medizinischen Maßstäben vorzunehmenden Prüfung sollten zwei Fragestellungen unterschieden werden: • Ist die (gewählte) Heilbehandlung der versicherten Person medizinisch notwendig? • Ist die stationäre Unterbringung der versicherten Person medizinisch notwendig“?
15
Die erforderlichen Abgrenzungen zwischen notwendigen und nicht notwendigen Heilbehandlungen bzw. „stationär notwendig“ und „ambulant ausreichend“ ist nach einem objektiven Maßstab vorzunehmen.40 Die Beurteilung bestimmt sich nicht nach dem Ver-
33 34
35 36 37 38
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 37. BGH 11.4.1984 BGHZ 91 98, 104 = VersR 1984 677, 679; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 60. Lehmann/Ludolph 2 S. 99. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 207; Riebesell S. 65. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 37. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 60; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 66.
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BGH 21.9.2005 VersR 2005 1673, 1675 = NJW 2005 3783, 3785 f. = RuS 2005 512, 515. BGH 17.12.1986 BGHZ 99 228, 233; OLG Zweibrücken Urteil vom 19.5.2004 – 1 U 7/02; LG Koblenz 29.8.1978 VersR 1980 1044 f.; LG Wiesbaden 25.6.1993 VersR 1994 418, 419 = RuS 1994 38; Perret S. 48; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 64.
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Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen
AUB 2008 Ziff. 2.4
trag zwischen dem VN und dem behandelnden Arzt und die nach diesem Vertrag geschuldete medizinische Heilbehandlung.41 Weiterhin kommt es nicht allein auf die persönliche Ansicht der versicherten Person (des Patienten) oder ihres behandelnden Arztes an.42 Anderenfalls wäre ein angemessener Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien nicht möglich, sondern es würde die Gefahr der einseitigen Bevorzugung des VN bzw. Benachteiligung des VR drohen.43 Maßgebend für die Frage, ob und wie lange ein Aufenthalt zur Heilbehandlung medizinisch notwendig ist, sind vielmehr die medizinischen Befunde und Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, die zum Zeitpunkt der ärztlichen Entscheidung über den Beginn und die (Fort-)Dauer der vollstationären Heilbehandlung der versicherten Person (insbesondere den Krankenhausaufenthalt) vorlagen. Diese Ergebnisse, die im Bereich der „Schulmedizin“, der „alternativen Medizin“ oder auch aufgrund von „Außenseitermethoden“ bzw. Therapien mit „Versuchscharakter“ gewonnen sein können,44 müssen es aus neutraler Sachverständigensicht im konkreten Einzelfall als vertretbar erscheinen gelassen haben, die (vollstationäre) Heilbehandlung als medizinisch notwendig anzusehen.45 „Vertretbarkeit“ zum Zeitpunkt der Heilbehandlung bedeutet dabei einerseits nicht, dass eine in der medizinischen Wissenschaft unumstrittene Methode gewählt wurde oder sich die ergriffenen Maßnahmen später als richtig erweisen;46 denn der verständige VN wird nicht erwarten müssen, dass der Krankenhaus-Tagegeldanspruch vom Ausgang eines medizinischen – für einen Laien nicht beurteilbaren – Meinungsstreits oder einer nachträglichen besseren Erkenntnis abhängen soll. Andererseits muss der VR davor geschützt werden, dass unsinnige und unnötig teure ärztliche Maßnahmen von der Versichertengemeinschaft zu tragen sind.47 Im Allgemeinen ist bereits dann von einer vertretbaren Heilmaßnahme auszugehen, wenn eine (vorrangig stationär zu leistende) Behandlungsmethode zur Verfügung stand und angewandt worden ist, die Heilung oder Besserung versprach oder darauf gerichtet war, das Fortschreiten der Gesundheitsschädigung zu verhindern, zu verlangsamen oder auch nur zu lindern.48 Eine Beschränkung der Leistungspflicht des VR auf die kostengünstigste Behandlung besteht nicht.49
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OLG Zweibrücken 16.8.2007 VersR 2007 1505. S. nur BGH 21.9.2005 VersR 2005 1673, 1674 = NJW 2005 3783, 3784 = RuS 2005 512, 513; BGH 10.7.1996 BGHZ 133 208, 212; BGH 19.10.1978 VersR 1979 221, 222 = NJW 1979 1250; OLG Koblenz 17.2.2006 VersR 2007 680, 681; OLG Koblenz 9.2.2001 VersR 2001 1417, 1418 = RuS 2002 173 = NVersZ 2001 269 f.; OLG Zweibrücken 16.8.2007 VersR 2007 1505. OLG Bamberg 14.3.1979 VersR 1979 639, 640. BGH 10.7.1996 BGHZ 133 208, 213 f.; OLG Koblenz 17.2.2006 VersR 2007 680, 681. Std. Rspr.; s. etwa BGH 21.9.2005 VersR 2005 1673, 1674 ; BGH 12.3.2003 VersR 2003 581, 584 = NJW 2003 1596, 1599; KG 21.9.1999 RuS 2000 120, 122; OLG Koblenz 20.4.2007 VersR 2008 339,
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340; OLG Zweibrücken 16.8.2007 VersR 2007 1505; abw. Klaus Müller MDR 1980 881 f. BGH 19.10.1978 VersR 1979 221, 222 = NJW 1979 1251. OLG Köln 16.10.1978 VersR 1980 426. Eingehend zum Ganzen (zur Krankenversicherung) Egger RuS 2006 309, 311 ff.; zum Wirtschaftlichkeitsgebots (in der Krankenversicherung) s.a. Begründung RegE zu § 192 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006 S. 110. BGH 10.7.1996 BGHZ 133 208, 212, 214; BGH 17.12.1986 BGHZ 99 228, 233 f.; OLG Koblenz 20.4.2007 VersR 2008 339, 340; OLG Koblenz 17.2.2006 VersR 2007 680, 681; OLG Koblenz 9.2.2001 VersR 2001 1417, 1418; OLG Köln 21.3.1985 RuS 1987 143. BGH 12.3.2003 VersR 2003 581, 584.
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AUB 2008 Ziff. 2.4 16
Unfallversicherung
Ob und welche Behandlungen (insbesondere Operationen) im Einzelnen „medizinisch notwendig“ sind, ist mitunter – gerade im Krankenversicherungsrecht – lebhaft umstritten. Dies gilt etwa für LASIK-Operationen, d.h. der Fehlsichtigkeitskorrektur mittels laserunterstützter Hornhautoperationen.50 Im Rahmen der Regulierung von Unfallversicherungsansprüche kommt es hier indes – soweit ersichtlich – eher selten zu Auseinandersetzungen. So ist etwa die Notwendigkeit einer Heilbehandlung bei drohender Invaliditätsgefahr „eindeutig“. Zusammenfassend lässt sich (verkürzt) festhalten: Einigkeit herrscht darüber, dass die gewählte Methode geeignet sein muss, einen Behandlungserfolg zu erzielen. „Geeignetheit“ ist indes noch nicht ohne weiteres mit „Notwendigkeit“ gleichzusetzen. Insofern müssen noch weitere Kriterien unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls im Rahmen einer Abwägung nach objektiven Gesichtspunkten herangezogen werden. Die Entscheidung kann mit schwierigen Wertungen verbunden sein, wie die folgenden abstrakten Leitsätze verdeutlichen: • Bei unheilbaren lebensbedrohlichen Erkrankungen bzw. Verletzungen kann es vertretbar sein, auch Behandlungsversuche als notwendig anzusehen, die mit nicht nur ganz geringer Wahrscheinlichkeit ihr Ziel erreichen und denen notwendigerweise Versuchscharakter anhaftet. Erweist sich dagegen die Heilbehandlung als nicht vital lebensnotwendig und sind ihre Erfolgsaussichten in Abhängigkeit von bestimmten Voraussetzungen bereits umfangreich erforscht, so lässt erst ein höherer Grad der Erfolgswahrscheinlichkeit es als vertretbar erscheinen, die Maßnahme als bedingungsgemäß notwendig anzusehen.51 • Typischerweise ist eine aufwändigere, einschneidendere und auch mit mehr Risiken behaftete Methode erst dann als notwendig anzusehen, wenn eine weniger aufwändigere und weniger riskobehaftete Methode nicht denselben Erfolg verspricht.52
An der medizinischen Notwendigkeit fehlt es u.a. bei Behandlungen, die primär kosmetischen Zwecken dienen.53 17 Lässt sich der (gleiche) Heilerfolg auch durch ambulante Maßnahmen erzielen, so kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass die stationäre Behandlung „medizinisch notwendig“ ist.54 Im konkreten Einzelfall ist zu prüfen, ob für den maßgeblichen Zeitraum die Möglichkeit bestand, mit der vollstationären Behandlung – nach objektiv medizinischen Gesichtspunkten größere Heilerfolge zu erzielen als durch ambulante Maßnahmen.55 Maßgebend ist dabei u.a., ob die spezifischen Einrichtungen des klinischen Krankenhausbetriebs besser geeignet sind als die Möglichkeiten des niedergelassenen Arztes oder ambulante Therapiezentren, z.B. weil die ständige Überwachung und Kontrolle durch Krankenhausärzte erforderlich ist oder der VN aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Möglichkeit ambulanter Behandlung zu nutzen.56 Der Umstand, dass der stationäre Aufenthalt für die versicherte Person „bequemer“ ist als regelmäßige Fahrten zum Arzt zur Durchführung der Therapie, reicht nur dann aus, wenn die mit der stationären Unterbringung verbundene Erleichterung dazu beiträgt, die Krankheit („besser“ oder „schneller“) zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung
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Näher Hütt VersR 2007 1402 ff.; aus der Rspr. z.B. LG Köln 10.12.2008 VersR 2009 535; LG Münster 21.8.2008 VersR 2009 536; AG Düsseldorf 31.10.2008 VersR 2009 537. BGH 21.9.2005 VersR 2005 1673, 1674 = NJW 2005 3783, 3784 = RuS 2005 512, 513 f. Hütt VersR 2007 1402, 1404. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 61.
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OLG Köln 13.2.1986 RuS 1986 163 f.; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 61; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 208. OLG Zweibrücken 16.8.2007 VersR 2007 1505; LG Köln 17.5.1978 VersR 1979 1096, 1097. OLG Koblenz 20.4.2007 VersR 2008 339, 340.
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Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen
AUB 2008 Ziff. 2.4
entgegenzuwirken.57 Allein die mit der ambulanten Behandlung verbundenen größeren Umstände und höheren Aufwände machen diese dagegen noch nicht unzumutbar und vermögen noch nicht die Notwendigkeit einer stationären Behandlung zu begründen.58 Die medizinische Notwendigkeit ist zu verneinen, wenn es aufgrund einer reinen Sozialindikation zur Aufnahme in die Krankenanstalt gekommen ist.59 Ein stationärer Aufenthalt, der lediglich der Pflege und Verwahrung dient, um einem Zustand der Hilflosigkeit der versicherten Person zu begegnen, reicht nicht aus.60 Deshalb besteht z.B. kein Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld, wenn die versicherte Person nur deshalb stationär aufgenommen wurde, weil keine Möglichkeit zur häuslichen Pflege bestand.61 4. Abgrenzungen Grundsätzlich besteht Versicherungsschutz für alle medizinisch notwenigen voll- 18 stationären Heilbehandlungen, und zwar unabhängig davon, ob sie in einem Krankenhaus oder einer vergleichbaren Einrichtung wie einem Bundeswehrlazarett, einer gemischten Anstalt usw. erfolgen. Obwohl sie regelmäßig auch der Behandlung einer Krankheit dienen, begründen dagegen nach Ziff. 2.4.1 S. 2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 4 Nr. 2 AUB 88/94, § 8 Abs. 4 Nr. 2 AUB 61) keinen Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld • Kuren (AUB 99/2008) bzw. Aufenthalte in Kuranstalten (AUB 61/88/94). Der Begriff „Kur“ wird in der Hauptsache als Bezeichnung für eine Trink- oder Badekur in einem Heilbad gebraucht.62 Für die Abgrenzung ist die Intensität der medizinischen Betreuung und die Befugnis des Patienten, das Klinikgelände zu Spaziergängen, Ausflügen usw. ohne zuvorige Rückfragen verlassen zu können, entscheidend. Charakteristisch für einen Krankenhausaufenthalt ist vor allem die ständige ärztliche Überwachung des Heilungsverlaufs. Bei der Behandlung stehen physikalische und chemische Mittel im Vordergrund. Dagegen stellt die Durchführung einer Kur geringere Anforderungen an die Intensität des Einsatzes von medizinischem Personal und an den Einsatz besonderer medizinisch-technischer Geräte. Heilanwendungen wie z.B. Krankengymnastik oder Bewegungsbäder stehen im Vordergrund. Der Patient ist hinsichtlich seiner Bewegungsfreiheit innerhalb und außerhalb des Klinikgeländes weniger Reglements unterworfen.63 • Aufenthalte in Sanatorien. Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird unter dem Sanatorium eine unter (fach-)ärztlicher Leitung stehende, klimatisch günstig gelegene, meist einer speziellen Zielrichtung gemäß ausgestattete stationäre Einrichtung zur Behandlung und Betreuung von – meist nicht bettlägerigen – Patienten verstanden, die bereits in der Genesungsphase sind oder an chronischen Gesundheitsschädigungen leiden und einen Krankenhausaufenthalt oder sonstige Heilbehandlung bereits durchlaufen haben bzw. eines Krankenhausaufenthalts nicht (mehr) bedürfen. Der Heilerfolg wird in erster Linie von einer geregelten Lebensweise, der Durchführung von Therapien (z.B. einer zweckmäßigen Diät), der Herausnahme aus der gewohnten Umgebung und der Fernhaltung störender Umwelteinflüsse erwartet.64 • Aufenthalte in Erholungsheimen.
Unerheblich für das Eingreifen der Ausschlussklausel ist, dass in den dort genannten Einrichtungen ein Heilungserfolg erzielt wurde.65 57 58 59 60 61
OLG Zweibrücken 16.8.2007 VersR 2007 1505. OLG Koblenz 20.4.2007 VersR 2008 339, 340. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 61; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 64. OLG Köln 21.3.1985 RuS 1987 143, 144. OLG Stuttgart 22.11.1977 VersR 1979 712; Lehmann/Ludolph 2 S. 99.
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65
BGH 4.5.1983 VersR 1983 677, 678. Versicherungsombudsmann 8.12.2005 RuS 2007 73 f. BGH 4.5.1983 VersR 1983 677, 678 und 679; OLG Düsseldorf 7.4.1992 VersR 1993 41. Grimm 4 Rn. 64; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 206.
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AUB 2008 Ziff. 2.4
Unfallversicherung
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Die von den Bedingungsgebern gewählten Begriffe sind nicht ganz unproblematisch, da sie im täglichen Sprachgebrauch z.T. nicht mehr üblich, nicht messerscharf definiert sind und sich Überschneidungen mit anderen (verwandten) Bezeichnungen ergeben. Weiterhin wird nicht ganz deutlich, ob es für den Leistungsausschluss allein auf die Bezeichnung der Einrichtung oder auf den konkreten Zweck des Aufenthalts ankommt. Letzteres ist anzunehmen.66 Nur so wird dem Ziel der Leistungsart Rechnung getragen, einen Ausgleich für die Zeit einer medizinisch notwendigen vollstationären Heilbehandlung zu schaffen. Käme es tatsächlich allein auf die Bezeichnung der Einrichtung an, so wäre es in vielen Fällen der (u.U. beliebigen) Namensgebung der von der versicherten Person ausgewählten Institution überlassen, ob Krankenhaus-Tagegeld beansprucht werden kann oder nicht. Dass es nicht auf solche formalen Zufälligkeiten ankommen kann, ist auch für den verständigen VN erkennbar. Um indes für die Zukunft dem Vorwurf von vornherein zu begegnen, Ziff. 2.4.1 S. 2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 4 Nr. 2 AUB 88/94, § 8 Abs. 4 Nr. 2 AUB 61) sei mehrdeutig i.S.v. § 305 c Abs. 2 BGB und im Zweifel gegen den VR auszulegen, empfiehlt es sich bei Schaffung einer neuen AUB-Generation, die Ausschlussklausel noch unmissverständlicher zu fassen, auch wenn dies mit Schwierigkeiten verbunden ist. Die Abgrenzungsschwierigkeiten zeigen sich etwa bei Aufenthalten in sog. Rehabilita20 tionskliniken. Rehabilitationsmaßnahmen sind nach herkömmlichem Verständnis von einer Anleitung des Patienten zu eigener Tätigkeit gekennzeichnet, durch die er diejenigen Kräfte und Fähigkeiten (wieder-)erwerben soll, die ihn zu einer Teilnahme am Arbeitsund Gemeinschaftsleben befähigen.67 Umstritten ist, ob Aufenthalte in Einrichtungen zur Rehabilitation der versicherten Person Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld begründen 68 oder nicht.69 Richtig ist es, i.E. den Versicherungsschutz zu versagen, wenn der Schwerpunkt des Aufenthalts auf therapeutischem Gebiet liegt und damit nicht der Heilbehandlung dient. Dies ist indes nicht selbstverständlich; denn in der nicht exemplarisch, sondern abschließend formulierten Ausschlussklausel sind Rehabilitationskliniken nicht ausdrücklich genannt.70 Allerdings erscheint es zulässig zu sein, Aufenthalte in Rehabilitationskliniken unter „Aufenthalte in Sanatorien“ zu subsumieren bzw. mit diesen gleichzusetzen. So wird sich nicht sagen lassen, dass der durchschnittliche VN, an den sich die AUB richten und dessen Verständnis deshalb für die Auslegung maßgeblich ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 56), eine klare Abgrenzung zwischen Behandlungen in Rehabilitationskliniken einerseits und Behandlungen in Sanatorien oder Erholungsheimen vornehmen kann.71 Vielmehr wird Sanatorium im alltäglichen Sprachgebrauch auch als Synonym für (Rehabilitations-)Klinik gebraucht.72 Dies liegt darin begründet, dass beide Institutionen im Regelfall vergleichbare Leistungsinhalte anbieten. Im Vordergrund stehen typischerweise weder ärztliche Heilbehandlungen bzw. klassische Krankenhausbehandlungen, sondern eher therapeutische Leistungen wie Krankengymnastik, Teilkörpermassage, Verhaltensbeobachtung zur Leistungsbeurteilung, Sozialberatung, Rückenschule, Wassertreten, Sport, Ausdauertraining u.ä.
66 67 68 69 70
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 64. BGH 4.5.1983 VersR 1983 677, 679. So OLG Zweibrücken, Urteil vom 19.5.2004 – 1 U 7/02. So (beiläufig) OLG Hamm 13.7.1994 NJW-RR 1995 1241. OLG Zweibrücken, Urteil vom 19.5.2004 – 1 U 7/02.
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71 72
A.A. OLG Zweibrücken, Urteil vom 19.5.2004 – 1 U 7/02. Duden Band 8: Das Synonymwörterbuch, 3. Aufl. (2004) unter „Sanatorium“; Duden Band 10: Das Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl. (2002) unter „Klinik“.
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Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen
AUB 2008 Ziff. 2.4
5. Kausalität Zwischen dem Unfall und der medizinisch notwendigen vollstationären Heilbehand- 21 lung muss ein Kausalzusammenhang bestehen, der wie sonst auch nach der Adäquanztheorie zu bewerten ist (vgl. § 180 Rn. 26 ff.). Stellt sich heraus, dass die versicherte Person an einigen Tagen ihres Gesamtaufenthalts im Krankenhaus wegen Unfallfolgen behandelt worden ist und an anderen Tagen unfallunabhängige Erkrankungen bzw. Verletzungen Gegenstand der Behandlung waren, so ist der VR nur für den Teil des Gesamtaufenthalts leistungspflichtig, der auf die Behandlung der Unfallfolgen entfällt.73 Erleidet die versicherte Person während der stationären Behandlung eines unfallunabhängigen Leidens einen Unfall im Krankenhaus und verlängert die Behandlung der unfallbedingten Gesundheitsschädigung (z.B. Oberschenkelhalsbruch) nicht den ohnehin aus unfallfremden Ursachen notwendigen Krankenhausaufenthalt, so besteht zwischen Unfall und Krankenhausaufenthalt kein adäquater Kausalzusammenhang und damit kein Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld.74
II. Höhe der Leistung Das Krankenhaus-Tagegeld wird gemäß Ziff. 2.4.2 „in Höhe“ der vereinbarten Ver- 22 sicherungssumme gezahlt. Anders als beim Tagegeld findet keine Abstufung nach dem festgestellten Grad der Beeinträchtigung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung statt. Auch kommt es nicht auf die Art und Intensität der Behandlung an. Dies bedeutet indes nicht, dass der Anspruch stets in voller Höhe des vereinbarten Krankenhaus-Tagegeldes besteht. Vielmehr vermindert die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen die Leistung, sofern der Mitwirkungsanteil der unfallfremden Ursachen mehr als 25 % beträgt. Ziff. 3 AUB 99/2008 (§ 8 AUB 88/94) findet auch auf das Krankenhaus-Tagegeld Anwendung.75 Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen Ziff. 2.4 AUB 99/2008 und Ziff. 3 AUB 99/2008 und wird bestätigt durch Ziff. 1.5 AUB („Sie“ – die Regelungen über die Einschränkung der Leistung – „gelten für alle Leistungsarten“).76 Beispiel: Die versicherte Person erlitt eine Kohlenmonoxydvergiftung, die zusammen mit einer vorhandenen Herzkranzgefäßverengung in einem Verhältnis von 25 % zu 75 % bei ihr einen Herzinfarkt auslöste. Die versicherte Person erhält demnach 1/4 der nach dem Versicherungsvertrag vereinbarten vollen Leistung.77
III. Dauer der Leistung Das Krankenhaus-Tagegeld wird für jeden Kalendertag der (unfallbedingten) vollsta- 23 tionären Behandlung (inkl. Aufnahme- und Entlassungstag, Rn. 13) gezahlt. • Für den Fristbeginn ist allein der Unfalltag, d.h. der Tag des Unfallereignisses (also der Zeitpunkt des plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person einwirkenden Ereignisses) nebst Gesundheitsschädigung bzw. Unfallereignisfolge (§ 178 Abs. 2 S. 1), und nicht die subjektive Wahrnehmung der Schädigung durch die versicherte Person, der Beginn der (vollstationären)
73 74 75
Stockmeier/Huppenbauer S. 30. So AG Bremen 24.6.1997 RuS 1998 81 f. OLG Koblenz 20.10.2000 RuS 2001 348; Lehmann/Ludolph 2 S. 99; Reichenbach S. 131; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 70.
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Stockmeier/Huppenbauer S. 30 f. OLG Hamm 25.9.1981 VersR 1982 946.
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AUB 2008 Ziff. 2.4
Unfallversicherung
ärztlichen Heilbehandlung oder der Eintritt sonstiger Unfallfolgen wie Invalidität usw. maßgebend.78 • Die Zahlungsverpflichtung des VR endet spätestens nach zwei Jahren, vom Unfalltag an gerechnet (Ziff. 2.4.2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 4 Nr. 1 AUB 88/94, § 8 Abs. 4 Nr. 1 AUB 61). Der klare Wortlaut der Klausel lässt eine Auslegung, dass eine Begrenzung auf eine Krankenhausbehandlung von einer Höchstdauer von zwei Jahren innerhalb eines beliebigen Zeitraums gemeint sei, nicht zu.79 Die Zweijahresfrist verlängert sich nicht um Zeiträume, in denen keine stationäre Behandlung stattgefunden hat.80 Ein weiterer Krankenhaus-Tagegeldanspruch besteht also nicht, wenn die versicherte Person etwa 6 Monate im ersten, weitere 6 Monate im zweiten Unfalljahr in stationärer Behandlung war und nun im 3. Unfalljahr sich einer weiteren vollstationären Behandlung unterziehen muss; für den Krankenhausaufenthalt im dritten Unfalljahr besteht keine Leistungsverpflichtung des VR.81
IV. Wirksamkeit der Regelung 24
AGB-rechtliche Bedenken gegen die Regelungen zum Krankenhaus-Tagegeld bestehen nicht. So ist etwa die Risikobegrenzung für Kur- oder Sanatoriumsbehandlungen weder nach AGB-Recht zu beanstanden noch unbillig.82 Auch begegnet die zeitliche Begrenzung des Anspruchs keinen Bedenken nach §§ 138, 826 BGB (s.a. Ziff. 2.3 AUB 2008 Rn. 22).83 Es sollte indes erwogen werden, Auslegungsschwierigkeiten zu Ziff. 2.4.1 S. 2 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 4 Nr. 2 AUB 88/94, § 8 Abs. 4 Nr. 2 AUB 61) bei einer Neufassung der AUB zu beseitigen (Rn. 19).
V. Konkurrenzen 25
Das Krankenhaus-Tagegeld ist eine eigenständige Leistungsart. Sie kommt bei ein und demselben Unfall – je nach Vertragsinhalt – unabhängig neben anderen vereinbarten Leistungsarten wie z.B. dem Tagegeld zur Anwendung,84 sofern die jeweiligen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind. Krankenhaustagegeld und Kurkosten- oder Reha-Beihilfe schließen sich indes grundsätzlich aus.
C. Ambulante Operationen 26
Die Versicherungsleistung „ambulante Operationen“ setzt Folgendes voraus: • Die versicherte Person hat (während der materiellen Versicherungsdauer) einen Unfall i.S.v. § 178 VVG bzw. Ziff. 1 AUB 2008 erlitten. • Die versicherte Person hat sich einer „ambulanten chirurgischen Operation“ unterzogen. Diese Formulierung ist auslegungsbedürftig. Maßgebend ist das Verständnis des durchschnittlichen VN ohne spezielle (medizinische) Kenntnisse (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 56). Einerseits sind „klassische“ bzw. „größere“ Operationen (z.B. mit Vollnarkose), aber auch „kleinere“ Eingriffe wie das Nähen einer Wunde oder die Entfernung von Muttermalen erfasst. Andererseits dürfte
78
79 80 81
LG Hamburg 22.5.1975 VersR 1976 455, 456; LG Osnabrück 25.5.1977 VersR 1978 275, 276; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 63. OLG Karlsruhe 17.3.1994 RuS 1995 157. Lehmann/Ludolph 2 S. 99. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 67.
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82 83 84
OLG Frankfurt/M. 30.8.2000 RuS 2000 518, 519. LG Hamburg 22.5.1975 VersR 1976 455, 456; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 63. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 312.
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Krankenhaustagegeld, ambulante Operationen
AUB 2008 Ziff. 2.4
der verständige VN das bloße Fädenziehen oder einen Verbandswechsel nicht als „chirurgische Operation“ ansehen. • Zur Bejahung des Kausalzusammenhangs zwischen Unfall und Operation genügt – wie auch sonst – Mitursächlichkeit. Unfallfremde Ursachen sind über Ziff. 3 AUB 2008 zu berücksichtigen. • Die Operation muss (mit-)ursächlich dafür sein, dass die versicherte Person ununterbrochen vollständig arbeitsunfähig bzw. vollständig in ihrem Aufgaben- und Tätigkeitsbereich beeinträchtigt ist. Durch diese Tatbestandsmerkmale wird der weite Begriff der „ambulanten chirurgischen Operation“ eingeengt. Die Auslegung des Terminus „Arbeitsunfähigkeit“ kann sich etwa an den AUB 61 orientieren, in denen die „Arbeitsfähigkeit“ der versicherten Person Voraussetzung für Invaliditätsleistungen des VR ist (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 6 ff.). Auch zur weiteren Interpretation des „Aufgaben- und Tätigkeitsbereichs“ liegt ein Rückgriff auf die Rechtslage zu den AUB 61 nahe (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 17 ff.). Das Wort „ihrem“ verdeutlicht, dass hier kein objektiv-abstrakter „Durchschnittsmaßstab“ anzulegen ist, sondern der Aufgaben- und Tätigkeitsbereich der konkreten versicherten Person ins Verhältnis zu anderen Personen mit vergleichbaren Aufgaben und Tätigkeiten zu setzen ist. So wird z.B. eine Fingeroperation für einen Pianisten im Gegensatz zum Berufsfahrer Leistungsansprüche eher bzw. für einen längeren Zeitraum begründen. Das Erfordernis „vollständig“ bringt zum Ausdruck, dass bloße Leistungsbeeinträchtigungen nicht ausreichen. Die Grenzziehung wird in Einzelfällen schwierig sein. Es ist zu erwarten, dass die VR im Rahmen der Leistungsprüfung die Vorlage von „Krankschreibungen“ ausreichen lassen werden.
Die Höhe der Versicherungsleistung bestimmt sich nach der vereinbarten Versiche- 27 rungssumme. Sie wird im Regelfall für das Krankenhaustagegeld und das Tagegeld für ambulante Operationen gleich sein. Das Tagegeld wird für eine vom jeweiligen VR in den Bedingungen festzulegende Zahl von Tagen gezahlt. Leistet der VR für ambulante chirurgische Operationen besteht kein Anspruch auf Genesungsgeld nach Ziff. 2.5 AUB 2008. Beide Leistungsarten überschneiden sich typischerweise.
D. Speziellere AVB Die Erweiterung der Leistungsart „Krankenhaus-Tagegeld“ für bestimmte ambulante 28 Heilbehandlungen (z.B. chirurgische Operationen unter Vollnarkose) kann wie in den AUB 2008 direkt durch eine Ergänzung innerhalb von Ziff. 2.4 oder durch Vereinbarung von „Besonderen Bedingungen“ erfolgen. Weiterhin ist es den Parteien unbenommen, weitere Leistungsarten zu vereinbaren, die das Krankenhaus-Tagegeld ergänzen.85 Zu nennen sind etwa die BB Kurbeihilfe 99 (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 17).
E. Verfahrensfragen Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen trägt der VN. Er 29 muss die medizinisch notwendige vollstationäre Heilbehandlung – sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich ihrer Dauer – schlüssig vortragen 86 und im Streitfall beweisen.87 Verbleibende Unklarheiten bzw. Zweifel gehen zu seinen Lasten.88 Dies gilt z.B. für den Fall, dass sich aus den vom VN vorgelegten Krankenunterlagen, Arztschrei-
85 86 87
S. dazu Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 168 ff. OLG Zweibrücken 16.8.2007 VersR 2007 1505 f. S. nur KG 21.9.1999 RuS 2000 120, 122; LG Nürnberg-Fürth 16.1.1979 VersR 1979
88
1097; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 62; Kloth Rn. H 11; auch LG Potsdam 25.11.2008 VersR 2009 491, 492; a.A. Walther NJW 1982 2592 f. (für die MBKK). Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 62.
Kent Leverenz
721
AUB 2008 Ziff. 2.4
Unfallversicherung
ben und Arztrechnungen nur ein diffuses Krankheitsbild ergibt, aus dem sich weder die genaue Art, noch das Ausmaß der Erkrankung, noch eine Behandlungsbedürftigkeit erkennen lassen.89 Eine Beweisführung prima facie scheidet aus.90 So indiziert etwa die medizinische Notwendigkeit der stationären Einweisung eines Patienten nicht, dass damit auch die gesamte Dauer des Krankenhausaufenthalts als medizinisch notwendig anzusehen ist.91 Gegen eine medizinisch notwendige stationäre Behandlung spricht es, wenn die versicherte Person mehrfach über Wochenenden aus dem Krankenhaus ging, ohne ihr verordnete Medikamente auch nur mitzunehmen.92 • Regelmäßig kann der VN den erforderlichen Beweis nur durch ein gerichtlich eingeholtes Gutachten eines neutralen Sachverständigen unter Zugrundelegung der Krankenunterlagen führen, in denen die seinerzeitigen objektiven Befunde enthalten sind.93 Spricht der Entlassungsbericht eindeutig gegen die Notwendigkeit einer stationären Heilbehandlung, so muss der Anspruchsteller substantiiert und mit entsprechenden Beweisangeboten seine dem Entlassungsbericht zuwiderlaufenden Behauptungen vortragen; er muss konkrete Tatsachen dafür aufzeigen, dass der Bericht inhaltlich falsch oder unvollständig ist bzw. ob und inwieweit der Bericht zu ergänzen ist.94 Die Zeugenvernehmung des behandelnden Arztes zum Beweis der Notwendigkeit der von ihm durchgeführten Behandlung kommt nicht95 oder jedenfalls nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht; denn von dem behandelnden Arzt, dessen Maßnahmen überprüft werden, ist eine objektive und unbefangene Beurteilung nicht zu erwarten,96 so dass sein Urteil allenfalls als Indiz verwertbar ist. Hat der Arzt die von ihm erhobenen objektiven Befunde nicht vor Behandlungsbeginn in den Krankenunterlagen dokumentiert, so kann der VN allein durch die zeugenschaftliche Vernehmung des Arztes den Beweis für die Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht führen.97 Eine etwaige Verletzung der ärztlichen Dokumentationspflicht berührt nicht das Rechtsverhältnis zwischen VN und VR, sondern kann nur die Grundlage für Schadensersatzansprüche des VN gegen den behandelnden Arzt bilden.98 • Umstritten ist, ob es bei Streit über die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung stets zu einem Hauptsacheprozess kommen muss oder ein selbständiges (vorprozessuales) Beweisverfahren gemäß §§ 485 ff. ZPO durchgeführt werden kann.99
Der aus medizinischen Gründen erforderliche stationäre Krankenhausaufenthalt (AUB 61) bzw. die medizinisch notwendige vollstationäre Heilbehandlung ist von Kuren und Aufenthalten in Sanatorien oder Erholungsheimen abzugrenzen (Rn. 18 ff.). Anhaltspunkte für die Bewertung können Informationsblätter, Leistungsbeschreibungen oder die Hausordnung der jeweiligen Einrichtung sein. Auch kann die Klärung hilfreich sein, ob die jeweilige Einrichtung in den einschlägigen Krankenhausverzeichnissen als Krankenhaus aufgeführt ist oder nicht.100 Will der VR eine Leistungskürzung vornehmen, weil Vorerkrankungen den Heilerfolg 31 verzögert haben, so muss er die Voraussetzungen für die Mitwirkungsregel (Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94) nachweisen (§ 182). So ist z.B. der VR beweispflichtig für seine Behauptung, dass eine ohne die Vorerkrankung früher mögliche Operation den Heilungsprozess der versicherten Person beschleunigt hätte.101 Lässt sich nicht feststellen,
30
89 90 91 92 93 94 95
OLG Köln 9.1.1992 RuS 1992 21. KG 21.9.1999 RuS 2000 120, 122. LG Köln 7.12.1979 VersR 1980 274 (LS). OLG Karlsruhe 5.3.1981 VersR 1982 263, 264. KG 21.9.1999 RuS 2000 120, 122. OLG Köln 13.2.1986 RuS 1986 163, 164. OLG Koblenz 20.4.2007 VersR 2008 339, 340.
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96 97 98 99 100 101
LG Nürnberg-Fürth 16.1.1979 VersR 1979 1097, 1098. KG 21.9.1999 RuS 2000 120, 122 LG Bielefeld 25.6.1980 VersR 1981 371. Näher hierzu Rinke/Balser VersR 2009 188 ff. OLG Düsseldorf 7.4.1992 VersR 1993 41. OLG Koblenz 20.10.2000 RuS 2001 348, 349 = VersR 2002 473 (LS).
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Genesungsgeld
AUB 2008 Ziff. 2.5
welcher Teil des Gesamtaufenthalts unfallbedingt oder unfallabhängig ist, so kann keine pauschale Leistungskürzung um 50 % erfolgen. Diese Auslegung findet keine Stütze in den Bedingungen.102 Zweifel über den Mitwirkungsanteil der Krankheiten oder Gebrechen gehen zu Lasten des VR.
Ziff. 2.5 AUB 2008 2.5 Genesungsgeld 2.5.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist aus der vollstationären Behandlung entlassen worden und hatte Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld nach Ziffer 2.4. 2.5.2 Höhe und Dauer der Leistung: Das Genesungsgeld wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme für die gleiche Anzahl von Kalendertagen gezahlt, für die wir Krankenhaus-Tagegeld leisten, längstens für 100 Tage. Übersicht A. I. II. B.
Einführung . . . . . . . . . . . Zweck der Leistungsart . . . . . Entwicklung der Leistungsart . . Voraussetzungen für die Leistung
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
Rn.
Rn.
1 2 3 7
C. Höhe der Leistung . . . . . . . . . . . . 9 D. Dauer der Leistung . . . . . . . . . . . . 10 E. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . 11
. . . .
A. Einführung Das Genesungsgeld ist fester Bestandteil aller AUB-Generationen (s.a. A.4.7.3 und 1 A.4.7.4 AKB 2008 für die Kfz-Unfallversicherung). Gegenüber allen anderen Leistungsarten weist das Genesungsgeld die Besonderheit auf, dass seine Zahlung vom Bestehen einer anderen Leistungsart, nämlich dem Krankenhaus-Tagegeld (Ziff. 2.4 AUB 99/2008, § 7 Abs. 4 AUB 88/94), abhängig ist. Es handelt sich um eine reine Zusatzleistung.
I. Zweck der Leistungsart Das Genesungsgeld dient dazu, der versicherten Person – zusätzlich zum Kranken- 2 haustagegeld – nach einer stationären Behandlung für eine Übergangszeit finanzielle Mittel für Mehraufwendungen zur Verfügung zu stellen.1
II. Entwicklung der Leistungsart Die Regelung des Genesungsgeldes hat in den verschiedenen AUB-Generationen – den 3 AUB 61, den AUB 88/94 und den AUB 99/2008 – jeweils leichte Modifizierungen erfahren:
102
Stockmeier/Huppenbauer S. 30.
1
VerBAV 1964 102; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 71.
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723
AUB 2008 Ziff. 2.5
Unfallversicherung
AUB 2008 2 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 3
AUB 94
AUB 88 4
AUB 61 5
Ziff. 2.5 Genesungsgeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Ziff. 2.5 Genesungsgeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 5 Genesungsgeld Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 5 Genesungsgeld
§ 8 Abs. 5 Genesungsgeld
2.5.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist aus der vollstationären Behandlung entlassen worden und hatte Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld nach Ziffer 2.4.
2.5.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist aus der vollstationären Behandlung entlassen worden und hatte Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld nach Ziffer 2.4.
Nr. 3 Der Anspruch auf Genesungsgeld entsteht mit der Entlassung aus dem Krankenhaus.
Nr. 3 Der Anspruch – auf Genesungsgeld entsteht mit der Entlassung aus dem Krankenhaus.
2.5.2 Höhe und Dauer der Leistung: Das Genesungsgeld wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme für die gleiche Anzahl von Kalendertagen gezahlt, für die wir Krankenhaus-Tagegeld leisten, längstens für 100 Tage.
2.5.2 Höhe und Dauer der Leistung: Das Genesungsgeld wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme für die gleiche Anzahl von Kalendertagen gezahlt, für die wir Krankenhaus-Tagegeld leisten, längstens für 100 Tage.6
Nr. 1 Genesungsgeld wird für die gleiche Anzahl von Kalendertagen gezahlt, für die Krankenhaustagegeld geleistet wird, längstens jedoch für 100 Tage, und zwar für den 1. bis 10. Tag 100 % für den 11. bis 20. Tag 50 % für den 21. bis 100. Tag 25 %.
Nr. 1 Genesungsgeld wird für die gleiche Anzahl von Kalendertagen gezahlt, für die Krankenhaustagegeld geleistet wird, längstens jedoch für 100 Tage, und zwar für den 1. bis 10. Tag 100 % für den 11. bis 20. Tag 50 % für den 21. bis 100. Tag 25 %.
2 3 4
Nr. 1 Im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt wird Genesungsgeld für die gleiche Anzahl von Kalendertagen, für die Krankenhaustagegeld gezahlt wird, höchstens jedoch für 100 Tage in folgender Höhe gewährt: für den 1. bis 10. Tag 100 % für den 11. bis 20. Tag 50 % für den 21. bis Nr. 2 Mehrere voll- Nr. 2 Mehrere voll100. Tag 25 % stationäre Kranken- stationäre Kranken- des versicherten hausaufenthalte hausaufenthalte Krankenhaustagewegen desselben Un- wegen desselben Un- geldes. falls gelten als ein falls gelten als ein ununterbrochener ununterbrochener Nr. 2 Mehrere vollKrankenhausKrankenhausstationäre Krankenaufenthalt. aufenthalt. hausaufenthalte wegen desselben Unfalls werden wie ein ununterbrochener Krankenhausaufenthalt gewertet.
Die aktuelle Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 28. VerBAV 1987 417, 420.
724
5 6
VerBAV 1984 10, 13; ferner VerBAV 1964 102. S.a. bereits VerBAV 1992 367 (dazu auch GB BAV 1992 77 Nr. 9.2.3).
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Genesungsgeld
AUB 2008 Ziff. 2.5
Die AUB 88 haben die Regelungen der AUB 61 weitgehend übernommen. Allerdings 4 enthält § 7 Abs. 5 Nr. 3 AUB 88/94 eine Klarstellung: Der Anspruch auf Genesungsgeld entsteht nur mit der Entlassung aus dem Krankenhaus; denn nur wer das Krankenhaus lebend verlässt, kann „genesen“.7 Die AUB 99 weichen von den AUB 88/94 nur geringfügig ab:8 5 • Unverändert ist die Bezeichnung der Leistungsart geblieben. Zwar verbinden viele Kunden mit dem Begriff „Genesungsgeld“ die Vorstellung, dass ein Leistungsanspruch gegen den VR auch ohne Krankenhausaufenthalt bestünde.9 Jedoch konnten die Bedingungsgeber Alternativbegriffe wie „Reha-Geld“, „Entlassungs-, Eingliederungs- oder Ambulanzgeld“ nicht überzeugen. • Konsequent ist das Gliederungskonzept für die Leistungsarten beibehalten worden. Die Regelung differenziert zwischen den Voraussetzungen für die Leistung und der Höhe und Dauer der Leistung. Dadurch wird deutlicher als bisher, dass das Genesungsgeld von der Entlassung aus dem Krankenhaus und dem Vorliegen der Voraussetzungen für das Krankenhaus-Tagegeld abhängig ist. • Bereits zu den AUB 88 hatte das BAV eine „Zusatzbedingung für das verbesserte Genesungsgeld“ genehmigt, die folgenden Wortlaut hatte: „Genesungsgeld wird in Höhe des versicherten Krankenhaustagegeldes für die gleiche Anzahl von Kalendertagen gezahlt, für die Krankenhaustagegeld geleistet wird, längstens jedoch für 100 Tage.“ 10 Diese Zusatzbedingung machten die Bedingungsgeber zum Gegenstand der AUB 99. Entfallen ist damit die in den AUB 61/88/94 enthaltene Staffelung des Genesungsgeldes. Sie war gegenüber dem Kunden sehr erklärungsbedürftig. Erhöhte Schadenaufwendungen nahmen die Bedingungsgeber der AUB 99 in Kauf. Aufgrund des Wegfalls der Staffelung konnte auch auf die Regelung verzichtet werden, dass mehrere Krankenhausaufenthalte wegen eines Unfalls als ein ununterbrochener Krankenhausaufenthalt anzusehen sind (§ 7 Abs. 5 Nr. 2 AUB 88/94, § 8 Abs. 5 Nr. 2 AUB 61).11
Ziff. 2.5 AUB 99 ist unverändert in die AUB 2008 übernommen worden. Die VVG- 6 Reform 2008 machte keine Anpassungen notwendig.
B. Voraussetzungen für die Leistung Der Anspruch auf Genesungsgeld entsteht erst mit der Entlassung der versicherten 7 Person aus der vollstationären Behandlung. Im Umkehrschluss dazu folgt, dass der VR kein Genesungsgeld zu zahlen hat, • solange die stationäre Behandlung noch andauert. • wenn die versicherte Person während der vollstationären Behandlung stirbt.12 Der Begriff „Genesungsgeld“ setzt – auch ohne ausdrückliche Regelung – zwingend voraus, dass die versicherte Person das Krankenhaus lebend verlässt (Rn. 4).
Für die Zahlung des Genesungsgeldes ist dagegen unerheblich, • ob eine Genesung nötig oder auch möglich ist.13 • ob die Arbeitsfähigkeit bzw. körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person weiterhin (in einem bestimmten Maße) beeinträchtigt ist.14 • ob die versicherte Person nach der Entlassung stirbt 15 bzw. dass die versicherte Person auch die ganze – fiktive – Genesungszeit erlebt.16 Ein solches Erfordernis ist dem Bedingungswortlaut nicht 7 8 9 10 11 12
Konen/Lehmann S. 47. Näher Stockmeier/Huppenbauer S. 31 f. S.a. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 174. VerBAV 1992 367. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 8. S. etwa Lehmann/Ludolph 2 S. 100; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 87; Riebesell S. 65.
13 14 15 16
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 73. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 117. Kloth Rn. H 14; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 38. Konen/Lehmann S. 47.
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725
AUB 2008 Ziff. 2.5
Unfallversicherung
zu entnehmen. Der Tod der versicherten Person hat deshalb keine anspruchsvernichtende Wirkung, auch wenn der Zweck der Leistungsart, der versicherten Person finanzielle Mittel in der Genesungszeit zur Verfügung zu stellen, nicht mehr erreicht werden kann.17
8
Bei der Prüfung, ob ein Anspruch auf Krankenhaus-Tagegeld besteht, ist inzident der Tatbestand des Krankenhaus-Tagegeldes zu subsumieren; denn eine Besonderheit des Genesungsgeldes liegt darin, dass es nur gezahlt wird, wenn der VR auch KrankenhausTagegeld zu leisten hat (Rn. 1). Dies bedeutet: Während der Anspruch auf KrankenhausTagegeld ohne Versicherung eines Genesungsgeldes bestehen kann, ist das Genesungsgeld ohne Mitversicherung des Krankenhaus-Tagegeldes nicht denkbar.18 Genauso wie beim Krankenhaus-Tagegeld ist insbesondere zu ermitteln, ob sich die versicherte Person in „medizinisch notwendiger vollstationärer Heilbehandlung“ befunden hat (Ziff. 2.4 AUB 2008 Rn. 9 ff.).
C. Höhe der Leistung 9
Das Genesungsgeld wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme für die gleiche Anzahl von Kalendertagen gezahlt, für die der VR Krankenhaus-Tagegeld geleistet hat, längstens jedoch für 100 Tage (Ziff. 2.5.2 AUB 99/2008). Damit ist das Krankenhaus-Tagegeld nicht nur Anspruchsvoraussetzung für die Zahlung des Genesungsgeldes. Auch die Höhe des Genesungsgeldes wird von der Dauer der Zahlung des KrankenhausTagegeldes beeinflusst. Das Genesungsgeld ist in einem Gesamtbetrag zu zahlen.19 War die vollstationäre Behandlung nicht nur wegen des Unfalls, sondern auch infolge der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen erforderlich, so ist das Krankenhaus-Tagegeld entsprechend zu kürzen (Ziff. 2.4 AUB 2008 Rn. 22). Gleiches gilt für das Genesungsgeld. Auch das Genesungsgeld ist in Höhe des Anteils unfallfremder Ursachen gemäß Ziff. 3 AUB 99/2008 (§ 8 AUB 88/94) zu reduzieren, sofern diese mindestens 25 % betragen.
D. Dauer der Leistung 10
Das Genesungsgeld ist zeitlich in zweifacher Hinsicht begrenzt. Zum einen wird es für maximal 100 Tage gezahlt. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der VR das Krankenhaus-Tagegeld längstens für zwei Jahre (vom Unfalltag an gerechnet) leisten muss (Ziff. 2.4.2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 4 Nr. 1 AUB 88/94, § 8 Abs. 4 Nr. 1 S. 1 AUB 61). Diese Zweijahresfrist für das Krankenhaus-Tagegeld strahlt auch auf das Genesungsgeld aus. Sie kann praktisch bedeutsam werden, wenn die versicherte Person innerhalb von zwei Jahren, vom Unfalltag an gerechnet, mehrmals wegen des Unfalls in vollstationäre Behandlung muss; denn bei mehreren stationären Behandlungen wegen desselben Unfalls ist das Genesungsgeld nicht jedes Mal gesondert zu berechnen, so dass nach jeder Entlassung der versicherten Person aus der vollstationären Behandlung die 100-Tage-Frist erneut zu laufen beginnt. Vielmehr ist die 100-Tage-Grenze insgesamt für alle vollstationären Behandlungen anzuwenden, die durch denselben Unfall bedingt sind. Das für
17 18
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 67. Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 66; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 117; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 72
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19
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 73.
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Genesungsgeld
AUB 2008 Ziff. 2.5
bereits abgeschlossene stationäre Behandlungen gezahlte Genesungsgeld ist also im Rahmen der Prüfung des Leistungsanspruchs bei der Entlassung nach dem letzten Krankenhausaufenthalt ggf. zu berücksichtigen.20 In den AUB 61/88/94 war dies noch durch die Formulierung „Mehrere vollstationäre Krankenhausaufenthalte wegen desselben Unfalls gelten als ein ununterbrochener Krankenhausaufenthalt“ (§ 7 Abs. 5 Nr. 2 AUB 88/94, § 8 Abs. 5 Nr. 2 AUB 61) klargestellt. Auf diesen Zusatz konnte in den AUB 99/2008 wegen des Wegfalls der Staffelung verzichtet werden (Rn. 5). Beispiele:
Versicherungssumme bzw. Tagesgeldsatz: € 100,– 1 Die versicherte Person war 10 Tage unfallbedingt in medizinisch notwendiger vollstationäre Behandlung und wird dann entlassen. Der VR hat für die 10 Tage Genesungsgeld zu zahlen.
Leistung nach AUB 99/2008
Leistung nach AUB 61/88/94
10 Tage * € 100,– = € 1.000,–
10 Tage * € 100,– = € 1.000,–
2 Die Entlassung der versicherten Person aus voll- 100 Tage * € 100,– = stationärer Behandlung erfolgt nach 120 Tagen. € 10.000,– Der VR hat wegen der in Ziff. 2.5.2 AUB 99/2008 vorgesehenen 100-Tagefrist nur für 100 Tage Genesungsgeld zu zahlen. Entsprechendes gilt bei Vereinbarung der AUB 61/88/94, wobei hier allerdings die Leistungsstaffelung in § 7 Abs. 5 Nr. 1 AUB 88/94 bzw. § 8 Abs. 5 Nr. 1 AUB 61 zu beachten ist, führt sie doch dazu, dass das Genesungsgeld nicht (wie bei den AUB 99/2008) 100, sondern max. 35 Tagegeldsätze betragen kann. 3 Abweichend vom Beispiel 1 muss sich die versicherte Person wegen des Unfalls innerhalb der Zweijahresfrist erneut für 60 Tage in vollstationäre Behandlung begeben. Es besteht ein weiterer Anspruch auf Genesungsgeld für 60 Tage und damit auf insgesamt 70 Tagessätze.
10 Tage * € 100,– = € 1.000,– 10 Tage * 50,– = € 500,– 80 Tage * € 25,– = € 2.000,– Summe: € 3.500,–
10 Tage * € 100,– = € 1.000,–
10 Tage * € 100,– = € 1.000,–
60 Tage * 100,– = 6.000,–
10 Tage * 50,– = € 500,–
Summe: € 7.000,–
50 Tage * € 25,– = € 1.250,– Summe: € 2.750,–
4 In Abweichung zu dem Sachverhalt in Beispiel 3 erfolgt die zweite vollstationäre Behandlung erst später als zwei Jahre nach dem Unfalltag. Hier ist der VR nur für den ersten vollstationären Aufenthalt der versicherten Person (10 Tage), nicht dagegen für die zweite Behandlung (60 Tage) leistungspflichtig.
20
10 Tage * € 100,– = € 1.000,–
10 Tage * € 100,– = € 1.000,–
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 75.
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AUB 2008 Ziff. 2.5
Unfallversicherung
Versicherungssumme bzw. Tagesgeldsatz: € 100,– 5 Der erste vollstationäre Aufenthalt der versicherten Person dauert 90 Tage. Der VR hat für diese 90 Tage den entsprechenden Tagessatz zu zahlen. Kommt es in der Folgezeit wegen des Unfalls zu einer weiteren vollstationären Behandlung von 60 Tagen innerhalb der Zweijahresfrist, so hat der VR das Genesungsgeld nicht für weitere 60 Tage, sondern nur für 10 Tage zu zahlen, da der Anspruch für das Genesungsgeld maximal für 100 Tage besteht und bereits für den ersten Behandlungszeitraum 90 Tagessätze gezahlt wurden.
Leistung nach AUB 99/2008
Leistung nach AUB 61/88/94
Erste Behandlung: 90 Tage * € 100,– = € 9.000,–
Erste Behandlung: • 10 Tage * € 100,– = € 1.000,–
Zweite Behandlung: 10 Tage * € 100,– = € 1.000,–
• 10 Tage * € 50,– = € 500,–
Insgesamt: € 10.000,–
• 40 Tage * € 25,– = € 1.000,– • Zwischensumme: € 2.500,– Zweite Behandlung: • 10 Tage * € 25,– = € 250,– Summe: € 2.750,–
6 Die versicherte Person hat für den ersten vollstationären Krankenhausaufenthalt Genesungsgeld i.H.v. 50 Tagessätzen erhalten. Innerhalb der Zweijahresfrist muss sie sich einer weiteren vollstationären Behandlung unterziehen. Dabei stirbt sie. Für den zweiten Krankenhausaufenthalt besteht einerseits kein Anspruch auf Genesungsgeld, da dieser eine Entlassung der „lebenden versicherten Person“ voraussetzt. Andererseits kann der VR das für die erste vollstationäre Behandlung gezahlte Genesungsgeld nicht zurückfordern bzw. einbehalten, da der Anspruch insoweit mit der erstmaligen Entlassung aus dem Krankenhaus entstanden ist.21
50 Tage * € 100,– = € 5.000,–
10 Tage * € 100,– = € 1.000,– 10 Tage * € 50,– = € 500,– 30 Tage * € 25,– = € 750,– Summe: € 2.250,–
E. Verfahrensfragen 11
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen trägt nach allgemeinen Regeln der Anspruchsteller.
21
Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 73.
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Kent Leverenz
Todesfallleistung
AUB 2008 Ziff. 2.6
Ziff. 2.6 AUB 2008 2.6 Todesfallleistung 2.6.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist infolge des Unfalles innerhalb eines Jahres gestorben. Auf die besonderen Pflichten nach Ziffer 7.5 weisen wir hin. 2.6.2 Höhe der Leistung: Die Todesfallleistung wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme gezahlt.
Übersicht Rn. A. I. II. B. I. II. III.
Einführung . . . . . . . . . . . Zweck der Leistungsart . . . . . Entwicklung der Leistungsart . . Voraussetzungen für die Leistung Jahresfrist . . . . . . . . . . . . Kausalität . . . . . . . . . . . . Hinweis auf Obliegenheiten . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. 1 . 2 . 3 . 7 . 8 . 12 . 13
Rn. C. D. E. F.
Höhe der Leistung . . . . . . . Wirksamkeit der Regelung . . . Konkurrenzen . . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
14 15 16 17
A. Einführung Nach der Invaliditätsleistung ist die Todesfallleistung (s.a. A.4.6 AKB 2008 für die 1 Kfz-Unfallversicherung) die zweitwichtigste Leistungsart in der privaten Unfallversicherung. In der Praxis werden selbständige Unfallversicherungen mit Leistungen allein für den Todesfall nicht abgeschlossen. Regelmäßig ist – aus aufsichtsrechtlichen Gründen – zumindest auch die Invaliditätsleistung mitversichert (Ziff. 2 AUB 2008 Rn. 11).
I. Zweck der Leistungsart Die Todesfallleistung dient – ebenso wie die Verdoppelung der Leistung bei Unfalltod 2 in der UZV – dazu, die Hinterbliebenen der versicherten Person (insbesondere Ehepartner und Kinder) vor den unvorhersehbaren wirtschaftlichen Engpässen und Notlagen zu sichern, die ein Unfalltod mit sich bringen kann.1
II. Entwicklung der Leistungsart Die Regelungen zur Todesfallleistung sind in den verschiedenen AUB-Generationen 3 weitgehend unverändert geblieben:
1
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 118; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 76.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 2.6
Unfallversicherung
AUB 2008 2 (Abwei- AUB 99 3 chungen gegen den AUB 2008 sind gekennzeichnet)
AUB 94
AUB 88 4
AUB 61 5
Ziff. 2.6 Todesfallleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Ziff. 2.6 Todesfallleistung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 7 Abs. 6 Todesfall- § 7 Abs. 6 Todesfall- § 8 Abs. 1 Todesfallleistung leistung entschädigung Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
2.6.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist infolge des Unfalles innerhalb eines Jahres gestorben.
2.6.1 Voraussetzungen für die Leistung: Die versicherte Person ist infolge des Unfalles innerhalb eines Jahres gestorben.
S. 1 Führt der Unfall innerhalb eines Jahres zum Tode, so entsteht Anspruch auf Leistung nach der für den Todesfall versicherten Summe.
S. 1 Führt der Unfall innerhalb eines Jahres zum Tode, so entsteht Anspruch auf Leistung nach der für den Todesfall versicherten Summe.
Auf die besonderen Pflichten nach Ziffer 7.5 weisen wir hin.
Auf die besonderen Pflichten nach Ziffer 7.5 weisen wir hin.
S. 2 Zur Geltendmachung wird auf § 9 Abs. 7 verwiesen.
S. 2 Zur Geltendmachung wird auf § 9 Abs. 7 verwiesen.
2.6.2 Höhe der Leistung: Die Todesfallleistung wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme gezahlt.
2.6.2 Höhe der Leistung: Die Todesfallleistung wird in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme gezahlt.
Führt ein Unfall innerhalb eines Jahres vom Unfalltage an gerechnet zum Tode, so wird die Entschädigung nach der versicherten Todesfallsumme geleistet.
4
Die AUB 88 sind im Vergleich zu den AUB 61 weitgehend unverändert geblieben. Lediglich der Verweis in § 7 Abs. 6 S. 2 AUB 88/94 ist zusätzlich aufgenommen worden. Die Formulierung „Geltendmachung“ ist indes etwas unglücklich, da der in Bezug genommene § 9 Abs. 7 AUB 88/94 nichts über die Geltendmachung des Anspruchs aussagt.6 Vielmehr enthält § 9 Abs. 7 AUB 88/94 u.a. eine Meldeobliegenheit. 5 Materiell-rechtlich ist die Regelung in den AUB 99 unverändert geblieben. Lediglich die Gliederung „Voraussetzungen der Leistungen“ und „Höhe der Leistung“ ist – wie bei den anderen Leistungsarten auch – neu gefasst worden. Des Weiteren wurde die – unglückliche – Formulierung „Geltendmachung“ durch „besondere Pflichten“ ersetzt. Die Bedingungsgeber hatten darüber hinaus erwogen, statt des Verweises auf Ziff. 7.5 AUB 99 die dort geregelten Obliegenheiten (Meldefrist und Recht des VR zur Obduktion) unmittelbar in Ziff. 2.6 AUB 99 näher zu regeln. Aus systematischen Gründen beließen sie es jedoch bei der alten Regelungstechnik.7 6 Ziff. 2.6 AUB 99 ist inhaltlich unverändert in die AUB 2008 überführt worden. Die VVG-Reform 2008 hatte auf die Klauselgestaltung keinen Einfluss.
2 3 4
Abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 33. VerBAV 1987 417, 421.
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VerBAV 1984 10, 12. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 80. Stockmeier/Huppenbauer S. 34.
Kent Leverenz
Todesfallleistung
AUB 2008 Ziff. 2.6
B. Voraussetzungen für die Leistung Der Anspruch auf Todesfallleistung setzt lediglich voraus, dass die versicherte Person 7 innerhalb eines Jahres nach dem Unfall gestorben ist sowie zwischen Tod und Unfall Kausalität besteht. Der Hinweis auf die Geltendmachung ist dagegen keine Anspruchsvoraussetzung, sondern eine Obliegenheit.
I. Jahresfrist Der Tod muss innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sein. Diese zeitliche 8 Begrenzung dient nicht nur dazu, Streitigkeiten zwischen den Parteien über Kausalitätsfragen zu vermeiden, die um so schwerer zu beantworten sind, je mehr Zeit zwischen dem Unfallgeschehen und dem Todeseintritt verstrichen ist.8 Darüber hinaus soll das Leistungsversprechen des VR beschränkt werden.9 Das Fristerfordernis ist – genauso wie die Frist für den Eintritt der Invalidität und 9 für die ärztliche Feststellung der Invalidität (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 76 und 82) – eine objektive Anspruchsvoraussetzung.10 Führt der Unfall später als ein Jahr nach dem Unfall zum Tod der versicherten Person, so besteht kein Anspruch auf die Todesfallleistung. Dies gilt auch dann, wenn der spätere Tod innerhalb der Frist sicher prognostiziert werden konnte.11 In solchen Fällen dürften aber regelmäßig die Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätsleistung vorliegen (Ziff. 2.1.2.3 Spiegelstrich 2 AUB 2008, Ziff. 2.1.2.4 AUB 99, § 7 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94, § 13 Nr. 3b S. 3 AUB 61. Der Lauf der Jahresfrist beginnt mit dem Tag des Unfallereignisses.12 Zwar eröffnet 10 die in den Bedingungen gewählte Formulierung „infolge des Unfalls“ (AUB 99/2008) bzw. „Führt ein Unfall“ (AUB 61/88/94) – statt „infolge des Unfallereignisses“ bzw. „Führt das Unfallereignis“ – bei strenger Betrachtung Interpretationsspielraum. Wird nämlich konsequent auf den Unfallbegriff und nicht das Unfallereignis abgestellt, so kann gefolgert werden, dass dem Tod der versicherten Person nicht nur ein plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis (Unfallereignis), sondern darüber hinaus eine Gesundheitsschädigung vorangegangen sein muss. Jedoch ist ein solches Verständnis weder gewollt noch richtig. Es wäre nicht nachvollziehbar, warum keine Todesfallleistung fällig werden sollte, wenn die versicherte Person nach dem Unfallereignis sofort stirbt, etwa weil ihr ein Mauerstein auf den Kopf gefallen ist.13 Folgerichtig wird auch bei der Auslegung des Unfallbegriffs der Tod der Gesundheitsschädigung gleichgestellt (§ 178 Rn. 119). • Bei gedehnten oder mehraktigen Unfallereignissen (§ 178 Rn. 19) ist der Tag der Beendigung der Einwirkung auf den Körper der versicherten Person maßgebend.14 Wird z.B. die versicherte Person vom 2.5. kurz vor Mitternacht bis in die erste Morgenstunde des 3.5. verprügelt und stirbt sie geraume Zeit später an den Folgen der Schläge, so besteht der Anspruch auf die Todesfallleistung nur dann, wenn der Tod der versicherten Person bis spätestens zum 3.5. (24.00 Uhr) des Folgejahres eingetreten ist.15 8 9 10 11
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 119. OLG Düsseldorf 12.11.1996 VersR 1997 566, 567. Stockmeier/Huppenbauer S. 33; Wussow/ Pürckhauer 6 § 7 Rn. 77. OLG Düsseldorf 12.11.1996 VersR 1997 566; Grimm4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 68; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 119;
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 32; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 210. 12 Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 70. 13 Bruck/Möller/Wagner 8 Anm. G 306. 14 Wussow/Pürckhauer6 § 7 Rn. 77. 15 Bruck/Möller/Wagner 8 Anm. G 306.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 2.6
Unfallversicherung
• Irrelevant für den Beginn der Jahresfrist sind der objektive Eintritt einer Unfallfolge (wie z.B. Invalidität) oder die subjektive Wahrnehmung von Verletzungsfolgen durch die versicherte Person. • Resultiert die Todesfolge nicht unmittelbar aus dem Unfallereignis, sondern mittelbar aus einem nachfolgenden (ärztlichen) Kunstfehler oder einer Infektion im Zuge der unfallbedingten Heilbehandlung, bleibt weiterhin das Unfallereignis für den Beginn der Jahresfrist maßgebend. Die Jahresfrist wird nur dann zum Zeitpunkt des Kunstfehlers oder der Heilbehandlung in Gang gesetzt, wenn diese Ereignisse selbst den Unfallbegriff (§ 178 Abs. 2 S. 1) erfüllen.16
Die Jahresfrist endet mit dem Ablauf des Tages, der seiner Bezeichnung nach dem Unfallereignistag entspricht (§ 188 Abs. 2 BGB). Ereignete sich z.B. der Unfall am 13.3., so endet die Frist am 13.3. des folgenden Jahres um 24.00 Uhr.17 11 Streitig ist, ob der VR sich treuwidrig verhält, wenn er sich in den Fällen auf die Nichteinhaltung der Jahresfrist „beruft“ (dazu Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 265 f.), in denen der Tod der versicherten Person zwar erst (kurz) nach Fristablauf eintritt, jedoch bereits vor Fristablauf der Eintritt des unfallbedingten Todes der versicherten Person mit Sicherheit feststand. Dies ist zu verneinen (s.a. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 76 und 134).18 Die Geltendmachung einer (klar geregelten) formalen Rechtsposition ist nicht per se treuwidrig.19 Ausnahmen können zu bejahen sein, wenn der VR Vertrauenstatbestände geschaffen hat, aus denen der schutzwürdige VN ableiten kann, dass die Todesfallleistung nicht an dem Fristerfordernis scheitern soll.
II. Kausalität 12
Zwischen dem Unfall und dem Tod muss adäquate (haftungsausfüllende) Kausalität bestehen. Kein Anspruch auf die Todesfallleistung besteht nur dann, wenn die versicherte Person innerhalb der Jahresfrist aus ausschließlich unfallunabhängigen Gründen stirbt. Für die Kausalitätsfrage ist es dagegen unschädlich, wenn neben dem Unfall auch unfallunabhängige Umstände am Tod mitgewirkt haben; denn Mitursächlichkeit reicht. So ist der Anspruch auf Todesfallleistung dem Grunde nach gegeben, wenn die versicherte Person eine unfallbedingte Hirngewebsläsion erlitten hat, die zu Depressionen führte, die ihrerseits neben der beruflichen Situation für den Suizid der versicherten Person maßgeblich waren.20 Schwebt dagegen die versicherte Person noch wegen eines ersten Unfalls in Lebensgefahr und tritt ihr Tod allein aufgrund von Krankheiten oder Gebrechen bzw. wegen eines anderen weiteren Unfalls (Zweitunfalls) ein, entfällt der Anspruch auf die Todesfallleistung aus dem Erstunfall auch in dem Fall, in dem mit größter Wahrscheinlichkeit mit dem Tod infolge des ersten Unfalls zu rechnen war. Die überholende Kausalität lässt hier keinen Anspruch auf Todesfallleistung aus dem Erstunfall entstehen.21 Tritt der Tod der versicherten Person innerhalb eines Jahres aus unfallunabhängigen Gründen ein, entsteht zwar kein Anspruch auf die Todesfallleistung, jedoch kann eine Invaliditätsleistung begründet sein (Ziff. 2.1.2.3 Spiegelstrich 1 AUB 2008 bzw. 2.1.2.4 AUB 99, § 7 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94).
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 7 AUB 94 Rn. 32; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 210; Stockmeier/Huppenbauer S. 33; Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 78. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 77.
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18 19 20 21
Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 68. OLG Düsseldorf 12.11.1996 VersR 1997 566, 567. LG Dortmund 11.8.2005 NJW-RR 2006 320, 321. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 78.
Kent Leverenz
Todesfallleistung
AUB 2008 Ziff. 2.6
III. Hinweis auf Obliegenheiten Gemäß Ziff. 2.6.1 S. 2 i.V.m. Ziff. 7.5 AUB 99/2008 (§ 7 Abs. 6 S. 2 AUB 88/94) ist 13 der VN (bzw. dessen Rechtsnachfolger oder ein sonstiger Anspruchsteller) verpflichtet, den unfallbedingten Tod der versicherten Person dem VR innerhalb von 48 Stunden zu melden und dem VR das Recht zu verschaffen, ggf. eine Obduktion vornehmen zu lassen. Die Meldepflicht besteht auch dann, wenn der Unfall bereits angezeigt war. Es handelt sich um eine Obliegenheit, nicht etwa um eine Anspruchsvoraussetzung.22 § 186 findet deshalb keine Anwendung (§ 186 Rn. 15).
C. Höhe der Leistung Liegen die Voraussetzungen für die Todesfallleistung vor, so hat der VR die verein- 14 barte Versicherungssumme als Kapitalbetrag zu zahlen. Streitig ist, wie sich die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen auf die Höhe der Todesfallleistung auswirken. Die Auffassung, die im Unfall einerseits und den Krankheiten oder Gebrechen andererseits gleichwertige Ursachen sieht, ist abzulehnen. Richtig ist es, Ziff. 3 AUB 99/2008 (bzw. die ähnlich lautenden Vorgängerregelungen) zur Anwendung zu bringen und die Todesfallleistung um den jeweiligen Mitwirkungsanteil der unfallfremden Umstände zu kürzen (näher § 182 Rn. 18).
D. Wirksamkeit der Regelung Die Fristenregelung wird z.T. als unwirksam gemäß § 307 BGB (§ 9 AGBG) gewertet. 15 Es stelle eine unangemessen Benachteiligung der versicherten Person dar, wenn der VR die Todesfallleistung in Fällen versagen könne, in denen die versicherte Person zwar erst nach Ablauf der Jahresfrist stirbt, ihr unfallbedingter Tod jedoch schon vor Fristablauf mit Sicherheit vorhersehbar war. Die h.M. vertritt den gegenteiligen Standpunkt.23 Ihr ist zu folgen. Die Fristeinhaltung ist objektive Anspruchsvoraussetzung (Rn. 9). Sie ist genauso wie die Fristenregelungen für die Invaliditätsleistung (Ziff. 2.1 Rn. 163 ff.) statthaft. Durch die Begrenzung des versicherten Risikos wird der Versicherungsschutz für die versicherte Person nicht wertlos; denn der „sicher vorhersehbare“ unfallbedingte Tod der versicherten Person nach Ablauf der Jahresfrist dürfte die seltene Ausnahme sein.
E. Konkurrenzen Aus ein und demselben Unfall können mehrere Leistungsansprüche resultieren. An- 16 sprüche auf Tagegeld, Krankenhaus-Tagegeld mit oder ohne Genesungsgeld und Übergangsleistungen können neben den Anspruch auf die Todesfallleistung treten, wenn der Tod der versicherten Person nach dem Entstehen der vorgenannten Leistungsansprüche eintritt.24 Allerdings schließen sich die Invaliditäts- und Todesfallleistung ihrem Wesen nach gegenseitig aus (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 172). 22
23
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 119; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 89; Stockmeier/ Huppenbauer S. 34. RG 20.10.1936 VA 1936 264 Nr. 2929 (für
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eine Frist von 30 Tagen); OLG Düsseldorf 12.11.1996 VersR 1997 566 f.; Grimm 4 Ziff. 2 AUB 99 Rn. 68. Wussow/Pürckhauer 6 § 7 Rn. 81.
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AUB 2008 Ziff. 3
Unfallversicherung
F. Verfahrensfragen 17
Der VN bzw. seine Rechtsnachfolger tragen die Beweislast für den unfallbedingten Tod der versicherten Person innerhalb der Jahresfrist. Für den Unfall und den Eintritt des Todes gilt der Beweismaßstab des § 286 ZPO. Die haftungsausfüllende Kausalität unterliegt dagegen der Beweiserleichterung des § 287 ZPO (näher § 180 Rn. 48 ff.).25 Ist die Kausalität zwischen Unfall und Tod der versicherten Person streitig, weil in Betracht kommt, dass der Tod der versicherten Person bereits vor dem Unfallereignis z.B. infolge eines Hirnschlages oder Herzinfarktes eingetreten ist, so kann der vom VN (bzw. seinem Rechtnachfolger) zu erbringende Beweis in der Regel nur durch eine Obduktion erbracht werden.26 Ist ein Todesnachweis nicht möglich, kommt eine Anwendung des Verschollenheitsgesetzes in Betracht.27
Ziff. 3 AUB 2008 Welche Auswirkung haben Krankheiten oder Gebrechen? Als Unfallversicherer leisten wir für Unfallfolgen. Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, mindert sich – im Falle einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, – im Todesfall und, soweit nichts anderes bestimmt ist, in allen anderen Fällen die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens. Beträgt der Mitwirkungsanteil weniger als 25 %, unterbleibt jedoch die Minderung.
Schrifttum Siehe Schrifttum zu § 182; ferner Bihr „Ein Vertragswerk der neuen Generation“ – wird jetzt alles besser? VW 1999 1329; Knappmann Wirkung von Progressionsvereinbarungen in der Unfallversicherung bei Leistungseinschränkungen, NVersZ 1999 352; R. Lehmann Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen in der Unfallversicherung NVersZ 2002 203; Schubach Aktuelles aus der privaten Unfallversicherung, ZfS 2005 224.
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . I. Zweck der Regelung . . II. Entwicklung der Regelung 1. AUB 61 . . . . . . . . 2. AUB 88/94 . . . . . . 3. AUB 99 . . . . . . . . 4. AUB 2008 . . . . . .
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S. etwa Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 119.
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Rn.
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B. C. D. E. F. G.
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Anwendungsbereich Tatbestand . . . . Wirksamkeit . . . Konkurrenzen . . . Speziellere AVB . . Verfahrensfragen .
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Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 88. Naumann/Brinkmann § 5 Rn. 103.
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Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen
AUB 2008 Ziff. 3
A. Einführung Die in allen AUB sowie in den AVB für die Insassenunfallversicherung (A.4.8 AKB 1 2008, § 21 AKB a.F.) enthaltenen Regelungen zur Einschränkung der Leistungen im Fall der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen dienen dazu, den VR von Leistungen für Gesundheitsschädigungen aus unfallfremden Ursachen frei zu halten. Die Klauseln haben eine erhebliche praktische Bedeutung;1 denn sehr häufig vermischen sich unfallbedingte und unfallfremde Leidens- bzw. Beschwerdemuster. Dies wird von der versicherten Person nicht immer erkannt und führt deshalb zu Streitigkeiten zwischen VN und VR.
I. Zweck der Regelung Zugunsten des VR weichen Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 ABU 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61 2 von §§ 249 ff. BGB ab.2 Während im allgemeinen Zivilrecht zusätzliche Folgen von Schadenereignissen, die auf krankhafte Anlagen des Verletzten zurück zu führen sind, Bestandteil des Schadensersatzanspruchs sind, ist im Unfallversicherungsrecht für die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen bei der unfallbedingten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen die Möglichkeit einer Leistungskürzung vorgesehen. Hintergrund hierfür ist, dass die Unfallversicherung ausschließlich einen Ausgleich für Gesundheitsschäden schaffen will, die durch Unfälle (§ 178, Ziff. 1 AUB 99/2008) entstehen und innerhalb der anspruchsausfüllenden Kausalreihe zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung liegen.3 Für die nachteiligen Folgen unfallfremder Gesundheitsschäden durch Krankheiten oder konstitutionell bzw. schicksalhaft bedingte gesundheitliche Anomalien soll nicht geleistet werden.4 Sie fallen in den Bereich der Krankenversicherung. Die Unfall-VR wollen sich von der Leistungsverpflichtung für gefahrerhöhende Körperzustände befreien, die von der Norm abweichen.5 Ziff. 3 AUB 99/2008 dient als eigenständige Vorschrift – ebenso wie § 8 AUB 88 und 3 § 10 Nr. 1 AUB 61 oder § 21 AKB – dazu, die erforderliche Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtigen Unfallfolgen sowie unfallfremden und damit keine Leistungspflicht begründenden Gesundheitsschäden herbeizuführen.6 Eine ausdrückliche Regelung ist notwendig, da allein mit dem Unfallbegriff oder mit Kausalitätserwägungen unfallfremde Ursachen nicht sachgerecht vom Versicherungsschutz ausgenommen werden können. Degenerative körperliche Veränderungen, die zunächst „klinisch stumm“ sind, werden häufig erst nach einem von außen wirkenden Ereignis sichtbar. Insbesondere den Ausbruch von degenerativen Vorschäden bzw. Abnutzungserscheinungen an Sehnen oder dem Skelett wie z.B. Achillessehnenrisse, Meniskusschäden oder Bandscheibenvorfälle (Anh. § 178 Rn. 6) nimmt die versicherte Person subjektiv oftmals als einen zur Leistungspflicht des VR führenden Unfall wahr, obwohl – objektiv gesehen – ein banaler Anlass das „Fass zum Überlaufen“ gebracht hat.7 So haben zahlreiche Studien ergeben,
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Kloth Rn. J 3; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 96. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 8 AUB 94 Rn. 3. LG Flensburg 10.7.2007 RuS 2008 346. BGH 8.7.2009 VersR 2009 1525, 1526 Rn. 19 = NJW-RR 2010 39, 40 = RuS 2009 423, 424; RG 10.11.1911 VA 1912 A 27, 29 Nr. 650; OLG Düsseldorf 18.1.1994 VersR
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1994 1218, 1219; OLG Saarbrücken 3.12.1997 VersR 1998 836, 838; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 212. KG 13.3.1926 VA 1926 258, 259 Nr. 1621. Konen/Lehmann S. 48; Reichenbach S. 133; Stockmeier/Huppenbauer S. 36. Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 1; ferner Kloth Rn. J 3 und 8.
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AUB 2008 Ziff. 3
Unfallversicherung
dass die Achillessehne eines Menschen nur dann reißt, wenn auf sie mit erheblicher Gewalt eingewirkt wird bzw. bei einem Bagatelltrauma als „Gelegenheitsursache“ ein degenerativer Schaden vorliegt.8 Auch bei der Rotatorenmanschettenruptur manifestieren sich die subjektiv wahrgenommenen Beschwerden in einer Vielzahl von Fällen erst anhand eines (vermeintlichen) Unfalls. Die versicherte Person ist dann über die ärztliche Feststellung überrascht, dass trotz früherer Beschwerdefreiheit und fehlender ärztlicher Vorbehandlungen schon vor dem Unfallereignis pathologische Veränderungen bzw. degenerative Gesundheitsschädigungen vorgelegen haben.9 In solchen Fällen ist nach der Adäquanztheorie trotz des u.U. erheblichen Einflusses von unfallunabhängigen Umständen die Ursachenkette zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung sowie zwischen dem Gesundheitsschaden und der Unfallfolge wie Invalidität zu bejahen, zumal sowohl für die haftungsbegründende (§ 178 Rn. 157) als auch die haftungsausfüllende Kausalität (§ 180 Rn. 41) bereits geringste Mitursächlichkeit genügt. Da einerseits nach dem Zweck der Unfallversicherung nicht schon eine bloße (beliebig austauschbare) Gelegenheitsursache vollen Unfallschutz begründen10 und andererseits nicht jede Mitwirkung unfallfremder Ursachen den Versicherungsschutz vollständig entfallen lassen soll, bedarf es einer Regelung, mit deren Hilfe die Leistung bestimmt werden kann, wenn Unfallereignis und Vorschäden zusammenwirken.
II. Entwicklung der Regelung 4
Bestimmungen zur Leistungskürzung infolge der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen finden sich in allen AUB-Generationen. Allerdings hat die Mitwirkungsregel sowohl im Vergleich zwischen den AUB 61 und den AUB 88/94 als auch zwischen den AUB 88/94 und den AUB 99/2008 Änderungen erfahren: AUB 2008 11 (Änderungen im Vergleich zu den AUB 99 sind hervorgehoben)
AUB 99 12
AUB 94
AUB 88 13
AUB 61 14
3 Welche Auswirkung haben Krankheiten oder Gebrechen? S. 1 Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
3 Welche Auswirkung haben Krankheiten oder Gebrechen? S. 1 Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 8 Einschränkung der Leistungen
§ 8 Einschränkung der Leistungen
§ 10 Einschränkung der Leistungspflicht
Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder
Nr. 1 Haben bei den Unfallfolgen Krankheiten oder Gebrechen mitgewirkt, so ist die Leistung entsprechend dem Anteil der Krank-
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Als Unfallversicherer Als Unfallversicherer Haben Krankheiten leisten wir für Unleisten wir für Unoder Gebrechen bei fallfolgen. fallfolgen. der durch ein Unfallereignis hervorS. 2 Haben KrankS. 2 Haben Krankgerufenen Gesundheiten oder Gebreheiten oder Gebreheitsschädigung oder
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OLG Köln 20.12.2006 VersR 2007 1689 = RuS 2007 516 517. Appl/Müller VersR 2000 427. OLG Köln 11.4.1994 RuS 1996 202, 203. Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de.
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12 13 14
Stockmeier/Huppenbauer S. 35. VerBAV 1987 417, 421. VerBAV 1984 10, 14.
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Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen
AUB 2008 Ziff. 3
AUB 2008 (Änderungen im Vergleich zu den AUB 99 sind hervorgehoben)
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
chen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, mindert sich – im Falle einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, – im Todesfall und, soweit nichts anderes bestimmt ist, in allen anderen Fällen die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens.
chen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, mindert sich – im Falle einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, – im Todesfall und, soweit nichts anderes bestimmt ist, in allen anderen Fällen die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens.
deren Folgen mitgewirkt, so wird die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens gekürzt, wenn dieser Anteil mindestens 25 % beträgt.
deren Folgen mitgewirkt, so wird die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens gekürzt, wenn dieser Anteil mindestens 25 % beträgt.
heit oder des Gebrechens zu kürzen, sofern dieser Anteil mindestens 25 % beträgt.
S. 3 Beträgt der Mitwirkungsanteil weniger als 25 %, unterbleibt jedoch die Minderung.
S. 3 Beträgt der Mitwirkungsanteil weniger als 25 %, unterbleibt jedoch die Minderung.
1. AUB 61 Während Ziff. 3 S. 2 AUB 99/2008 und § 8 AUB 88/94 die Mitwirkung von Krank- 5 heiten oder Gebrechen sowohl für die unfallbedingte „Gesundheitsschädigung“ als auch „deren Folgen“ ausdrücklich ansprechen, regelt der Wortlaut von § 10 Nr. 1 AUB 61 nur die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen bei den „Unfallfolgen“. Daraus wird z.T. der Schluss gezogen, Krankheiten oder Gebrechen könnten auf Grundlage der AUB 61 nur dann berücksichtigt werden, wenn sie für die Unfallfolgen wie etwa Invalidität mitursächlich geworden sind; die Mitwirkung bei der unfallbedingten Gesundheitsschädigung, den Unfallereignisfolgen müsse folgerichtig außer Betracht bleiben.15 Die herrschende Gegenauffassung zählt dagegen zu den „Unfallfolgen“ gemäß § 10 Nr. 1 AUB – trotz fehlender (expliziter) Erwähnung im Wortlaut – auch die Gesundheitsschädigung i.S.d. Unfallbegriffs.16 Der Auslegungsstreit hat durchaus praktische Auswirkungen
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OLG Karlsruhe 21.10.2004 DAR 2005 29, 31; OLG Stuttgart 28.6.2001 VersR 2002 50, 51 (mit ablehnender Anm. R. Lehmann NVersZ 2002 203 f.); Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 5; Perret S. 14; Reichenbach S. 135 und 137. BGH 15.12.1999 VersR 2000 444, 445 = RuS 2000 171, 172; OLG Düsseldorf 5.12.1995 VersR 1997 174, 175; OLG Saar-
brücken 3.12.1997 VersR 1998 836, 837; OLG Schleswig 12.1.1995 VersR 1995 825; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 10 AUB 61 Rn. 2; R. Lehmann S. 47, 53; ders. NVersZ 2002 203, 204; Lehmann/Ludolph 2 S. 84; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 214; Wussow/Pürckhauer 6 § 8 Rn. 11.
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AUB 2008 Ziff. 3
Unfallversicherung
in der Leistungsbemessung. Dies zeigt sich insbesondere in Fällen, in denen der Versicherungsfall (meist eine Kraftanstrengung) nur eine Gelegenheitsursache darstellt und quasi als „letzter Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt“.17 Zutreffend ist es, mit der h.M. den Begriff „Unfallfolge“ in § 10 Nr. 1 AUB 61 genauso zu interpretieren wie die – klarstellende (Rn. 6) – Formulierung „Gesundheitsschädigung oder deren Folgen“ in Ziff. 3 S. 2 AUB 99/2008 und § 8 AUB 88/94. Zwar kann argumentiert werden, dass bei genauer juristischer Subsumtion der Begriff „Unfallfolge“ (also insbesondere die Invalidität) nicht mit dem der Gesundheitsschädigung übereinstimmt, die als Unfallereignisfolge dem Unfallbegriff zuzuordnen ist. Richtig ist es auch zu berücksichtigen, dass eine erweiternde Auslegung des § 10 Nr. 1 AUB 61 mit dem Ziel, diese Regelung inhaltlich an die Texte in den AUB 88/94/99 anzugleichen, grundsätzlich ausscheidet, da es sich um eine leistungseinschränkende und damit eng auszulegende Vorschrift handelt. Jedoch ist nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung der AUB auf das Verständnis eines durchschnittlichen VN abzustellen (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57). Dieser wird bei natürlicher Betrachtung zu den „Unfallfolgen“ i.S.v. § 10 Nr. 1 AUB 61 alle Verletzungen des Körpers der versicherten Person und alle weiteren Gesundheitsschäden rechnen, die das Unfallereignis herbeiführt. Eine Differenzierung zwischen Unfallereignisfolge (die sofort bewirkte erste Beeinträchtigung) und Unfallfolge (die späteren – dauerhaft – eintretenden Beeinträchtigungen) wird ihm lebensfremd und gekünstelt erscheinen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Unfallereignis sofort zu einem Dauerschaden wie z.B. dem Verlust eines Körpergliedes führt. 2. AUB 88/94
6
Mit der Neufassung des § 8 AUB 88/94 haben die Bedingungsgeber die zu § 10 AUB 61 bestehende Unsicherheit (Rn. 5) beseitigt, ob die Einschränkung der Leistungspflicht des VR nur bei einer Mitwirkung von Gebrechen oder Krankheiten an den Unfallfolgen oder auch bei einer Mitwirkung an der Gesundheitsschädigung (Unfallereignisfolge) eingreift. Nunmehr ist ausdrücklich – als Klarstellung – in beiden Fällen eine Leistungskürzung vorgesehen.18 Ist eine progressive Invaliditätsstaffel vereinbart, so ist – ebenso wie zu den AUB 61 – 7 streitig, an welcher Stelle die Leistungskürzung wegen der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen anzusetzen hat. Zum einen könnte die nach § 7 Abs. 1 AUB 88/94 (§ 8 Abs. 2 AUB 61) ermittelte Invalidität um die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen gemäß § 8 AUB 88/94 gekürzt werden, bevor die sich dann ergebende unfallbedingte Invalidität gemäß dem jeweiligen Progressionsmodell erhöht wird. Zum anderen kann aber auch mit der h.M. die nach § 7 Abs. 1 AUB 88/94 errechnete unfallbedingte Invalidität erst dem Progressionsmodell unterworfen werden, bevor die Leistungskürzung nach § 8 AUB 88/94 (§ 10 Nr. 1 AUB 61) erfolgt.19 Die praktischen Auswirkungen dieser unterschiedlichen Auffassungen sind erheblich.20 Vorbehaltlich des konkreten Wortlauts der jeweiligen Progressionsvereinbarung ist grundsätzlich der letzteren Auslegung der Vorzug zu geben; denn § 8 AUB 88/94 (§ 10 Nr. 1 AUB 61) spricht von einer Kür-
17 18 19
Beispiele bei Reichenbach S. 137 f. Konen/Lehmann S. 49; ferner Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 5. So etwa BGH 15.12.1999 VersR 2000 444, 445 = RuS 2000 171, 172; Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 6; Terbille/Hormuth 2 MAH
738
20
§ 24 Rn. 183; Knappmann NVersZ 1999 352, 353; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 215; Schubach ZfS 2005 224, 229; Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 179. S.a. Bihr VW 1999 1329, 1330.
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Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen
AUB 2008 Ziff. 3
zung der „Leistung“. Diesen Begriff wird der durchschnittlicher VN mit „Versicherungsleistung“ bzw. „Entschädigungssumme“ gleichsetzen und nicht etwa als Kürzung der „gemäß § 7 Abs. 1 AUB 88/94 (§ 8 Abs. 2 AUB 61) festgestellten (unfallbedingten) Invalidität“ interpretieren. Will der VR, dass nicht die Leistung, sondern die festgestellte Invalidität (der Invaliditätsgrad) entsprechend der Mitwirkungsregel gekürzt wird, so muss er dies in seinen Bedingungen eindeutig vorsehen. Damit ergibt sich folgende Invaliditätsberechnung:21 – = – =
Gesamtinvalidität Vorinvalidität Invalidität nach § 7 Abs. 1 AUB 88/94 (§ 8 Abs. 2 AUB 61) Anwendung der Progressionsstaffel → Erhöhter Invaliditätsgrad Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen Unfallbedingte Invalidität (Prozentsatz der zu leistenden Versicherungssumme).
3. AUB 99 Die AUB 99 haben die Mitwirkungsregelung aus den AUB 88/94 im Wesentlichen 8 sowohl in systematischer als auch inhaltlicher Hinsicht übernommen. Ziff. 3 AUB 99 ist – wie zuvor § 8 AUB 88/94 – weiterhin unmittelbar im Anschluss an die Bestimmungen über die Leistungsarten ins Bedingungswerk integriert. Bei einer Regelung an späterer Stelle im Bedingungswerk befürchteten die Verfasser der AUB, die Klausel könne als überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB angegriffen werden. Inhaltlich soll Ziff. 3 AUB 99 zu keinen Neuerungen gegenüber § 8 AUB 88/94 führen. Die Bedingungsgeber strebten allerdings verständlichere und übersichtlichere Formulierungen an:22 • Ziff. 3 S. 1 AUB 99 soll mit der einleitenden Formulierung „Als Unfallversicherer leisten wir für Unfallfolgen“ dem Kunden als Erklärung dafür dienen, weshalb die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen zu Kürzungen der Unfall-Leistungen führt. • In Ziff. 3 S. 2 AUB 99 wird nicht mehr von einer durch ein Unfallereignis „hervorgerufenen“, sondern einer „verursachten“ Gesundheitsschädigung gesprochen. Materiell-rechtliche Änderungen sind damit nicht verbunden.23 • Ziff. 3. S. 2 Spiegelstrich 1 AUB 99 bezweckt in Anlehnung an Art. 18 der österreichischen AUVB 95, deutlicher als in den AUB 88/94 zum Ausdruck zu bringen, dass bei einer Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen der Invaliditätsgrad und nicht etwa erst die aufgrund von Mehrleistungs- oder Progressionsmodellen errechnete Invaliditätsleistung zu mindern ist. Die letztere Variante führt zu einer erheblichen Erhöhung der Leistung des VR, die von der Versicherungswirtschaft nicht gewollt war. Zu den AUB 88/94 bestehende Auslegungsschwierigkeiten bzw. Unklarheiten (Rn. 7) sind durch die Neufassung in Ziff. 3 S. 2 AUB 99 beseitigt worden.24 Nunmehr ist die Progression der letzte Berechnungsschritt: Gesamtinvalidität – Vorinvalidität = Invalidität nach Ziff. 2.1 AUB 99 – Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen = Unfallbedingte Invalidität (Ziff. 2.1 Rn. 255) Anwendung der Progressionsstaffel → Erhöhter Invaliditätsgrad, den der VR abzurechnen hat.
21 22 23 24
OLG Saarbrücken 3.12.1997 VersR 1998 836, 838. Stockmeier/Huppenbauer S. 35 f. Krit. Bihr VW 1999 1329, 1331. So u.a. Grimm 4 Ziff. 3 AUB 99 Rn. 1;
Knappmann NVersZ 1999 352, 353; Lehmann/Ludolph 2 S. 84; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 97; Schubach ZfS 2005 224, 229; Bedenken hat offenbar Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 215.
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AUB 2008 Ziff. 3
Unfallversicherung
• Ziff. 3 S. 2 Spiegelstrich 2 AUB 99 dient der Klarstellung, dass die Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen auch im Rahmen der Todesfallleistung zu berücksichtigen ist. Dies war zu den AUB 61/88/94 umstritten (§ 182 Rn. 18).
4. AUB 2008
9
Die VVG-Reform 2008 machte keine Anpassung von Ziff. 3 AUB 99 erforderlich. Die Einführung des § 182 veränderte die Rechtslage nicht. Ziff. 3 AUB 99 konnte deshalb unverändert in die AUB 2008 übernommen werden. Lediglich der Einleitungssatz „Soweit nicht ein anderes vereinbart ist, gilt:“ entfiel.
B. Anwendungsbereich 10
Ziff. 3 AUB 99/2008 (§ 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61) gilt für alle in Ziff. 2 AUB 99/2008 (§ 7 AUB 88/94, § 8 AUB 61) genannten Leistungsarten.25 Die Anwendung der Mitwirkungsregel entfällt allerdings bei der Übergangsleistung (Ziff. 2.2 AUB 99/2008, § 7 Abs. 2 AUB 88/94, § 8 Abs. 7 AUB 61), die eine Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit von mehr als 50 % ohne Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen bereits voraussetzt. Dieser Vorrang des für die Übergangsleistung geltenden „Alles-oder-Nichts-Prinzips“ wird in den AUB 99/2008 mit dem Vorbehalt „soweit nichts anderes bestimmt ist“ in Ziff. 3 S. 2 Spiegelstrich 2 AUB 99/2008 ausdrücklich klargestellt.26 Für diese Leistungsart hat die Mitwirkung unfallfremder Faktoren den völligen Wegfall der Leistung zur Folge (Ziff. 2.2 AUB 2008 Rn. 18). 11 Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass ein Abzug des Mitwirkungsanteils von solchen Krankheiten und Gebrechen außer Betracht bleiben müsse, ohne die es zu einer Zerrung oder Zerreißung von Muskeln oder Sehnen durch erhöhte Kraftanstrengung (Ziff. 1.4 AUB 99/2008, § 1 Abs. 4 AUB 94) überhaupt nicht kommen könne.27 Für die Mitwirkungsregel bleibe deshalb nur Raum, „wenn die für einen Unfall infolge erhöhter Kraftanstrengung denknotwendige Vorschädigung der Sehnen oder der Muskulatur überschritten“ sei. Ausgangspunkt für dieses Ergebnis ist die medizinische Erkenntnis, dass bei Sehnenschäden immer Krankheiten mitwirken. Eine völlig gesunde Sehne reißt nicht,28 weil das Verhältnis von Muskel und Sehne so aufeinander abgestimmt ist, dass die vorgeschaltete Muskulatur die nachgeschaltete Sehne grundsätzlich nicht schädigen kann.29 Vielmehr ist die Sehne um das Zwei- bis Dreifache belastbarer, als die vorgeschaltete Muskulatur an Kraft aufzubringen vermag. Das OLG Düsseldorf zieht aus dem Verhältnis von Muskel und Sehne den Schluss, der verständige VN könne weder dem Wortlaut noch dem Sinnzusammenhang der AUB entnehmen, dass die Versicherungsleistung stets einer Minderung unterliege, „sofern nicht die mitwirkenden degenerativen Veränderungen ausnahmsweise belanglos (= unter 25 %)“ seien. Hinzu komme, dass bei einer Anwendung der Mitwirkungsregel der Anspruch auf Übergangsleistung bei einem Sehnenschaden infolge einer Kraftanstrengung nie gegeben sei. Diese Begründung überzeugt nicht. So tragen die in den Entscheidungsgründen genannten medizinischen Feststellungen nicht die Verallgemeinerungen des Gerichts zu Zerrungen oder Zerreißungen
25 26 27
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 185. Stockmeier/Huppenbauer S. 36. OLG Düsseldorf 15.6.2004 RuS 2005 168 = NJW-RR 2004 1613 f. = ZfS 2004 574 f. mit
740
28 29
zustimmender Anm. Rixecker ZfS 2004 575; auch Marlow RuS 2006 397, 403. OLG Köln 11.4.1994 RuS 1996 202, 203. Ludolph S. 59, 63.
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Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen
AUB 2008 Ziff. 3
von Muskeln oder Sehnen. Die Ausführungen des Gerichtsgutachters bezogen sich offenbar nur auf die Frage einer Sehnen-, nicht aber einer Muskelschädigung. Ferner ist die Schlussfolgerung unzutreffend, ein zu einer Sehnenschädigung führender Unfall i.w.S. unterliege stets der Mitwirkungsregel. Bevor es zu einer Kürzung kommt, müssen die unfallfremden Ursachen immerhin mindestens 25 % betragen. Für die Behauptung, dass dies eine belanglose Quote sei, gibt das Gericht keine Begründung. Denkbar ist, dass auch die geringfügige Mitwirkung unfallfremder Umstände große Wirkungen (z.B. Sehnendurchtrennung) hervorrufen kann. Aus den Ausführungen des Gerichts wird weiterhin nicht deutlich, ob es ausreichend berücksichtigt hat, dass für Ziff. 3 AUB 99/2008 (§ 8 AUB 94) normale (insbesondere altersbedingte) Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen gerade nicht berücksichtigt werden (§ 182 Rn. 7). Insofern ist es auch fraglich, ob es richtig ist, dass bei einem Sehnenschaden infolge erhöhter Kraftanstrengung kein Anspruch des VN auf eine Übergangsleistung entstehen kann. Es müsste zunächst medizinisch geklärt werden, ob ein Sehnenschaden ausschließlich aus einer Kraftanstrengung ggf. in Verbund mit normalen Degenerationen denkbar ist – was zu bejahen sein dürfte 30 – oder nur durch Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen eintreten kann.
C. Tatbestand Einzelheiten zu den Tatbestandsmerkmalen der Mitwirkung von Krankheiten oder 12 Gebrechen an der Gesundheitsschädigung (Verletzung) und den Unfallfolgen (wie z.B. Arbeitsunfähigkeit oder Invalidität) ergeben sich aus der Kommentierung zu § 182 (dort Rn. 3 ff.). Zu beachten ist, dass Ziff. 3 S. 3 AUB 99/2008 eine für den VN günstige Abweichung von dem in Ziff. 3 S. 1 und 2 AUB 99/2008 postulierten Grundsatz enthält, nach dem jede Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen zu einer Leistungskürzung in der Unfallversicherung führt. Die Regelung sieht – ebenso wie § 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61 – vor, dass eine Minderung bzw. Leistungskürzung dann unterbleibt, wenn der Mitwirkungsanteil der Krankheiten oder Gebrechen weniger als 25 % beträgt. Gegen die Nennung der Grenze von 25 % in den GDV-Musterbedingungen von 1999 bestanden zunächst kartellrechtliche Bedenken, die jedoch ausgeräumt werden konnten, da Ziff. 3 AUB 99/2008 keine Empfehlung enthält, bestimmte Tatbestände leistungsmindernd zu berücksichtigen, sondern Ausdruck des Grundsatzes ist, dass die Unfallversicherung ausschließlich Unfallfolgen und nicht unfallfremde Gesundheitsschäden decken soll.31
D. Wirksamkeit Die Wirksamkeit der Regelungen zur Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen 13 ist – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung bisher nicht problematisiert worden. Die Bestimmungen in den AUB stehen im Einklang mit dem AGB-Recht. Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94 sind zum einen nicht überraschend, da sie im unmittelbaren Anschluss an die Vorschriften zu den Leistungsarten dargestellt werden. Zum anderen halten die Mitwirkungsregelungen einer Inhaltskontrolle stand. Vereinzelt geäußerte Bedenken, es handele sich zwar nicht um eine unbillige oder sinnwidrige, jedoch um eine
30
Das OLG Köln 11.4.1994 RuS 1996 202, 203 hat in dem von ihm zu entscheidenden Fall eine Leistungskürzung abgelehnt, da es
31
altersbedingt normalen Verschleiß an der Sehne annahm. Stockmeier/Huppenbauer S. 36.
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AUB 2008 Ziff. 3
Unfallversicherung
inhaltlich verfehlte Regelung, da es begrifflich ausgeschlossen sei, konkurrierende Ursachen im Verhältnis zueinander in Prozentzahlen (nach Quantität) auszudrücken,32 haben sich zutreffenderweise nicht durchgesetzt;33 denn die tägliche Praxis zeigt, dass es jedenfalls einem erfahrenen Gutachter durchaus gelingt, die Höhe der Mitwirkungsanteile zu schätzen. Letztlich belegt § 182, dass auch der Gesetzgeber Fälle „konkurrierender Kausalität“ nicht ausschließen will, sondern lediglich dem VR die Beweislast auferlegt, so dass verbleibende Unsicherheiten bei der Abgrenzung unfallbedingter und unfallfremder Ursachen zu seinen Lasten gehen.
E. Konkurrenzen 14
Ziff. 3 AUB 99/2008 (§ 8 AUB 88/94, § 10 AUB 61) können mit Ziff. 2.1.2.2.3 (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88/94, § 10 Nr. 4 AUB 61) zusammentreffen. Geht es um die Höhe einer Invaliditätsleistung, so ist vorrangig die Vorinvalidität in Abzug zu bringen, bevor die Leistungskürzung wegen der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen zur Anwendung gelangt (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 241).
F. Speziellere AVB 15
Den Parteien steht es grundsätzlich frei, unter Beachtung des vorgegebenen gesetzlichen Rahmens Modifizierungen oder Ergänzungen zu der in den AUB vorgesehenen Mitwirkungsregelung zu vereinbaren. Häufig wird in der Praxis zugunsten des VN der Mindestsatz für die Anwendung der Mitwirkungsklausel von 25 % heraufgesetzt (z.B. auf 50 %). Umgekehrt sind auch Verschärfungen zum Nachteil des VN denkbar. So hat das damalige BAV noch „Besondere Bedingungen für den Ausschluss von bestimmten Gesundheitsschädigungen“ genehmigt, die die in sog. Klauselheften zusammengefassten Gesundheitsklauseln ablösen sollten. Um jedoch zu verhindern, dass der Unfallversicherungsschutz zu generell eingeschränkt wird, machte das Amt die Genehmigung von der Abgabe einer geschäftsplanmäßigen Erklärung abhängig. In dieser verpflichteten sich die VR, einzelne oder mehrere Besondere Bedingungen für den Ausschluss von bestimmten Gesundheitsschädigungen nur insoweit zu vereinbaren, als dem VR entsprechende Vorerkrankungen oder Gebrechen der versicherten Person bei Antragstellung bekannt geworden sind.34
G. Verfahrensfragen 16
Der VR trägt die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen von Ziff. 3 AUB 99/2008 bzw. § 8 AUB 88/94. Diese allgemein anerkannte Beweislastregelung ist mittlerweile in § 182 explizit niedergelegt.
32 33
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 89. R. Lehmann S. 47, 50.
742
34
VerBAV 1981 275; GB 1981 93.
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Versicherbarkeit
AUB 2008 Ziff. 4
Ziff. 4 AUB 2008 gestrichen Sofern seit Einführung der AUB 99/2008 noch eine Regelung zur Versicherbarkeit in den konkret verwendeten AUB enthalten sein sollte, wird häufig die folgende Formulierung Ausgangspunkt sein: Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: 4.1 Nicht versicherbar und trotz Beitragszahlung nicht versichert sind dauernd Schwer- oder Schwerstpflegebedürftige im Sinne der sozialen Pflegeversicherung sowie Geisteskranke. 4.2 Der Versicherungsschutz erlischt, sobald die versicherte Person nach Ziffer 4.1 nicht mehr versicherbar ist. Für diese endet gleichzeitig die Versicherung. 4.3 Den für nicht versicherbare Personen seit Eintritt der Versicherungsunfähigkeit entrichteten Beitrag zahlen wir zurück. Übersicht Rn. A. I. II. III.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . Zweck der Regelung . . . . . . . . . . Bedeutung der Regelung . . . . . . . . Entwicklung der Regelung . . . . . . . 1. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schweres Nervenleiden . . . . . . . b) Dauernd vollständige Arbeitsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. AUB 88/94 (dauernde Pflegebedürftigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. AUB 99 . . . . . . . . . . . . . . . . 4. AUB 2008 . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 5 8 9 10 14 18 22 23
Rn. B. Tatbestand (Geisteskrankheit) . . . . . . C. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . I. Versicherungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Vertragsanbahnung . . . . . . . . . II. Versicherungsunfähigkeit während der Vertragslaufzeit . . . . . . . . . . . . . D. Hinweispflichten des VR . . . . . . . . E. Wirksamkeit der Regelung . . . . . . . F. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . G. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . .
24 29 30 33 34 35 36 37
A. Einführung Die Regelungen zur Nichtversicherungsfähigkeit von bestimmten Personen finden 1 sich in nahezu allen (älteren) Bedingungswerken. Ihre praktische Bedeutung ist indes relativ gering. Trotz ihres Charakters als Schutzbestimmung zugunsten der versicherten Person ist zu erwarten, dass Klauseln zur Versicherungs(un-)fähigkeit zukünftig weiterhin kritisch hinterfragt werden. Aufgrund des Inkrafttretens des AGG wird jeder VR zu prüfen haben, ob und unter welchen Voraussetzungen er welche Menschen in welchem Umfang mit welcher Rechtfertigung aus dem Kreis der versicherbaren Personen ausschließt (Vorbem. § 178 Rn. 81 ff.).
I. Zweck der Regelung § 3 AUB 88/94 und § 5 AUB 61 enthalten den Grundgedanken des § 80 (§ 68 a.F.) 2 zum Wegfall des versicherten Interesses.1 Da § 80 nur in der Schaden- und nicht in der
1
BGH 25.1.1989 VersR 1989 351 f.; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 1 und § 5 AUB 61 Rn. 1.
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743
AUB 2008 Ziff. 4
Unfallversicherung
Unfallversicherung unmittelbar anwendbar ist, stellen die AUB-Regelungen eine vertragliche Ausprägung des Prinzips dar, dass bei (anfänglichem) Nichtbestehen oder (späterem) Wegfall des versicherten Interesses der VR in Wirklichkeit gar keine Gefahr übernommen hat und deshalb auch keine Gegenleistung beanspruchen kann.2 Die Regelungen über die Nichtversicherbarkeit haben zum Ziel, die in den jeweiligen 3 Bedingungen angesprochenen Personengruppen zu schützen. Es handelt sich um Schutzvorschriften, weil für die betroffenen Personenkreise eine Unfallversicherung weitgehend wertlos ist; denn im Schadenfall liefe die versicherte Person trotz – häufig langjähriger – Beitragszahlung Gefahr, keinen sinnvollen Versicherungsschutz zu erhalten, da aufgrund ihrer körperlichen oder gesundheitlichen Verfassung regelmäßig Bestimmungen über den Ausschluss oder die Beschränkung der Leistungen zur Anwendung gelangen.3 Ordnen die jeweiligen AUB-Regelungen an, dass Geisteskranke (AUB 61/88/94) und 4 Personen mit schweren Nervenleiden (AUB 61) versicherungsunfähig sind, kann der Zweck der jeweiligen AUB-Regelungen auch darin gesehen werden, erhöhte Unfallrisiken auszunehmen und Abgrenzungsfragen dahingehend zu vermeiden, ob ein eingetretener Schaden auf einem echten Unfall beruht oder als Krankheitsfolge zu werten ist.4 Hierfür spricht, dass bei Geisteskrankheiten und Nervenleiden die Fähigkeit des Erkrankten eingeschränkt ist, sich psychisch oder physisch auf Gefahren einzustellen und sie zu vermeiden.5 Allerdings darf nicht vernachlässigt werden, dass sich der Charakter der Regelungen zur Nichtversicherbarkeit von Ausschlussklauseln, die den Interessen des VR dienen, zu Schutzbestimmungen für den VN gewandelt hat (Rn. 8). Konsequenz ist, dass Tatbestandsmerkmale wie „geisteskrank“ (Rn. 24 ff.) oder „schweres Nervenleiden“ (Rn. 10 ff.) so eng auszulegen sind, dass sie nur in den Fällen bejaht werden können, in denen die Versicherung mit ihrer Beitragsverpflichtung für den Betroffenen typischerweise keinen Sinn mehr macht. Insbesondere ist der Gesichtspunkt des erhöhten Risikos bereits durch die Ausschlusstatbestände zur Bewusstseinsstörung ausreichend berücksichtigt. Dies zu betonen ist deshalb wichtig, damit § 3 AUB 88/94 und § 5 AUB 61 zutreffend als Ausdruck eines Interessenwegfalls und nicht etwa als Gefahrerhöhungsregelungen verstanden werden (Rn. 35).
II. Bedeutung der Regelung 5
Bereits die Bedingungsgeber der AUB 61 gingen davon aus, dass Auseinandersetzungen zur Versicherungsfähigkeit selten auftreten.6 Diese Einschätzung hat sich in den Folgejahren bestätigt. Die Zahl der zu § 3 AUB 88/94 und § 5 AUB 61 ergangenen Gerichtsentscheidungen ist gering. Wenn es auf die Bestimmungen über die nicht versicherbaren Personen bei der Rechtsanwendung ankommt, so zeigt sich ihre eigentliche Bedeutung weniger im Vertragsanbahnungsbereich, sondern vielmehr während der Vertragslaufzeit, also in den Fällen, in denen die Versicherungsunfähigkeit nach Vertragsschluss eintritt.7
2 3
4
OLG Frankfurt/M. 16.7.2003 RuS 2005 259. Grimm VW 1988 132, 136; Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 1; Konen/Lehmann S. 24; Reichenbach S. 101; Stockmeier/Huppenbauer S. 6 und 37; Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 1 f. E. Hofmann S. 4.
744
5 6 7
AG Bergisch-Gladbach 6.10.1987 VersR 1988 845. Grewing Entstehungsgeschichte S. 26. Stockmeier/Huppenbauer S. 37.
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Versicherbarkeit
AUB 2008 Ziff. 4
Die geringe praktische Relevanz der Regelungen zur Versicherungsunfähigkeit in der 6 Zeit des Vertragsabschlusses ergibt sich daraus, dass hier problematische Gesundheitszustände der versicherten Person regelmäßig auffallen und zum Unterlassen der Policierung führen sollten. Enthält der Antrag Gesundheitsfragen und/oder erfolgt im Rahmen der Antragsprüfung eine Gesundheitsprüfung, so kann die Frage der Versicherungsfähigkeit später nur dann auftauchen, wenn der VR „versehentlich“ Versicherungsschutz zugesagt hat. Höher dürfte die Gefahr sein, dass es zu einem Abschluss mit nicht versicherbaren Personen kommt, wenn überhaupt keine oder keine besondere Gesundheitsprüfung bzw. ein vereinfachtes Antragsverfahren (wie z.B. in der Volks-Unfallversicherung) durch den VR erfolgt.8 Allerdings dürfte auch hier die Zahl der relevanten Fälle überschaubar sein. Dies gilt jedenfalls für die Sachverhalte, in denen es zu einem persönlichen Kontakt zwischen VR bzw. Versicherungsvermittler und der versicherten Person kommt. Unabhängig von möglichen rechtlichen Sanktionen (z.B. Schadensersatzpflichten gegenüber dem VN, vgl. Rn. 32) wird der sorgfältige Versicherungsvermittler in Zweifelsfällen Vorsicht walten lassen, um sich später nicht dem Vorwurf auszusetzen, er hätte dem VN allein aus Provisionsgesichtspunkten einen sinnlosen Versicherungsschutz vorgeschlagen. Denkbar ist allerdings, dass die versicherte Person den VR aus Unkenntnis nicht über ihren Gesundheitszustand informiert, schuldhaft unvollständige bzw. falsche Angaben macht oder gar den VR (Versicherungsvermittler) täuscht. Möglich ist auch, dass der Antragsteller sich bei Abschluss einer Fremdversicherung nicht ausreichend über den Gesundheitszustand der versicherten Person informiert hat.9 Anders als in der Vertragsanbahnungsphase liegen die Sachverhalte, wenn die Ver- 7 sicherungsunfähigkeit der versicherten Person erst später auftritt. Hier wird der VR mangels (unverzüglicher) Anzeige durch den VN oftmals nur zufällig Kenntnis vom geänderten Gesundheitszustand der versicherten Person erlangen, etwa weil ein zwischenzeitlich eingesetzter Betreuer den Versicherungsschutz der versicherten Person überprüft oder die Erben des VN den Nutzen des Unfallversicherungsvertrages für einen Menschen in Frage stellen, der z.B. lange Zeit bettlägerig war. Meist wird dem VR die Versicherungsunfähigkeit erst im Zusammenhang mit einer Schadenbearbeitung bekannt. Verweigert der VR dann die Versicherungsleistung, kann dies beim VN bzw. der versicherten Person auf Unverständnis stoßen. Dem VR wird dann oftmals (zu Unrecht) unredliches Verhalten vorgeworfen.10
III. Entwicklung der Regelung Vor der Einführung der AUB 61 wurde Versicherungsschutz gemäß § 3 Nr. 7 AVBfU 8 für Unfälle ausgeschlossen, die die versicherte Person erlitten hat, nachdem sie von Geisteskrankheit, völliger Blindheit oder völliger Taubheit, von einer Lähmung durch Schlaganfall, von Epilepsie oder schweren Nervenleiden befallen oder durch Unfall oder Krankheit mehr als 60 % dauerhaft arbeitsunfähig geworden war. Es handelte sich um einen Ausschlusstatbestand, der besonders den Interessen des VR diente, indem er Personengruppen mit außergewöhnlichen hohen Unfallgefahren vom Versicherungsschutz ausnahm.11 Seine Anwendung hatte darüber hinaus zur Folge, dass die Prämienzahlungspflicht des VN auch dann bestehen blieb, wenn die Voraussetzungen für den Ausschluss bereits vor Abschluss des Vertrages oder während der Vertragslaufzeit, (lange) vor Eintritt des Unfalls erfüllt waren, sie aber erst anlässlich des Unfalls bekannt wurden. Mit 8 9
Grewing Entstehungsgeschichte S. 26. E. Hofmann S. 44.
10 11
Grimm4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 10. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 1.
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AUB 2008 Ziff. 4
Unfallversicherung
den AUB 61 wurden Gedanken der AVB von 1904 und 1910 wieder belebt,12 um eine gerechtere Lösung für den VN zu finden: Durch die Einführung des Begriffs „nicht versicherungsfähige Personen“ kam die Abkehr der in § 3 Nr. 7 AVBfU enthaltenen Ausschlusssystematik. Derjenige, der wegen seines Gesundheitszustandes damit rechnen musste, keine Leistungen aus der Unfallversicherung zu erhalten, sollte nicht versichert und somit auch nicht beitragspflichtig sein.13 Die Regelung wandelte sich damit in eine Schutzvorschrift (Rn. 3). An diesem Prinzip haben die neueren AUB-Generationen festgehalten. Änderungen erfolgen vornehmlich bei der Festlegung, wer als nicht versicherungsfähig anzusehen ist. Im Laufe der Zeit hat sich der Kreis der nicht versicherbaren Personen deutlich verkleinert; das Angebot der Unfallversicherung wurde im Gegenzug auf fast alle Teile der Bevölkerung ausgedehnt:14 AUB 2008
AUB 99
AUB 94
AUB 88 15
AUB 6116
Ziff. 4 GESTRICHEN
Ziff. 4 (Welche Personen sind nicht versicherbar?) Die Musterbedingungen des GDV enthalten keinen Textvorschlag. Marktüblich dürfte folgende Formulierung sein:
§ 3 Nicht versicherbare Personen
§ 3 Nicht versicherbare Personen
§ 5 Nicht versicherungsfähige Personen
–
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
–
–
–
4.1 Nicht versicherbar und trotz Beitragszahlung nicht versichert sind dauernd Schweroder Schwerstpflegebedürftige im Sinne der sozialen Pflegeversicherung sowie Geisteskranke.
Abs. 1 S. 1 Nicht versicherbar und trotz Beitragszahlung nicht versichert sind dauernd pflegebedürftige Personen sowie Geisteskranke.
Abs. 1 S. 1 Nicht versicherbar und trotz Beitragszahlung nicht versichert sind dauernd pflegebedürftige Personen sowie Geisteskranke.
S. 2 Pflegebedürftig ist, wer für die Verrichtungen des täglichen Lebens überwiegend fremder Hilfe bedarf.
S. 2 Pflegebedürftig ist, wer für die Verrichtungen des täglichen Lebens überwiegend fremder Hilfe bedarf.
Nr. 1 S. 1 Nicht versicherungsfähig und trotz Beitragszahlung nicht versichert sind Geisteskranke und Personen, die von schweren Nervenleiden befallen oder dauernd vollständig arbeitsunfähig sind.
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Nr. 1 S. 3 Vollständige Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit oder Gebrechen außerstande ist, eine Erwerbsfähigkeit auszuüben.
Grewing Unfallversicherung S. 53. Grewing Entstehungsgeschichte S. 24 f. Riebesell S. 49.
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15 16
VerBAV 1987 417 und 418. VerBAV 1984 10, 11.
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AUB 2008 Ziff. 4
Versicherbarkeit AUB 2008
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
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4.2 S. 1 Der Versicherungsschutz erlischt, sobald die versicherte Person nach Ziffer 4.1 nicht mehr versicherbar ist.
Abs. 2 S. 1 Der Versicherungsschutz erlischt, sobald der Versicherte im Sinne von I. nicht mehr versicherbar ist.
Abs. 2 S. 1 Der Versicherungsschutz erlischt, sobald der Versicherte im Sinne von I. nicht mehr versicherbar ist.
Nr. 2 Der Versicherungsschutz erlischt, sobald der Versicherte im Sinne der Ziffer (1) versicherungsunfähig geworden ist.
S. 2 Für diese endet gleichzeitig die Versicherung.
S. 2 Gleichzeitig endet die Versicherung.
S. 2 Gleichzeitig endet die Versicherung.
S. 2 Gleichzeitig endet der Vertrag für den Versicherten.
4.3 Den für nicht versicherbare Personen seit Eintritt der Versicherungsunfähigkeit entrichteten Beitrag zahlen wir zurück.
Abs. 3 Der für dauernd pflegebedürftige Personen sowie Geisteskranke seit Vertragsschluss bzw. Eintritt der Versicherungsunfähigkeit entrichtete Beitrag ist zurückzuzahlen.
Abs. 3 Der für dauernd pflegebedürftige Personen sowie Geisteskranke seit Vertragsschluss bzw. Eintritt der Versicherungsunfähigkeit entrichtete Beitrag ist zurückzuzahlen.
Nr. 1 S. 2 Der für sie seit Vertragsabschluss entrichtete Beitrag ist zurückzuzahlen.
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1. AUB 61 Seit Inkrafttreten der AUB 61 ist der Kreis der versicherbaren Personen – u.a. auch 9 aufgrund des Wunsches von Behinderten und von Interventionen von Behindertenverbänden – allmählich erweitert worden.17 Zunächst wurde im Jahr 1970 Blinden ermöglicht, Versicherungsschutz in Anspruch zu nehmen.18 Anschließend – nämlich 1977 – folgten die Epileptiker, ohne dass allerdings der Ausschluss für Unfälle infolge von epileptischen Anfällen damit entfallen wäre (Ziff. 5.1.1 AUB 2008).19 Ursprünglich waren des Weiteren zu mehr als 70 % arbeitsunfähige Personen ausgeschlossen, bis diese Grenze ebenfalls 1977 angehoben wurde.20 In der letzten Fassung der AUB 61 zählten gemäß § 5 Nr. 1 S. 1 und 3 AUB 61 zu dem nicht versicherungsfähigen Personenkreis neben Geisteskranken nur noch Personen, die von einem schweren Nervenleiden befallen oder dauernd vollständig arbeitsunfähig waren. Die Grenze für die Versicherbarkeit sollte erst dort gezogen werden, wo wegen Siechtums oder dauernder Bettlägerigkeit der Versicherungszweck nicht mehr erfüllbar erscheint.21 a) Schweres Nervenleiden. Ein schweres Nervenleiden i.S.v. § 5 Nr. 1 S. 1 AUB 61 10 wird allgemein dann angenommen, wenn die Erkrankung der Nerven entweder progredient (fortschreitend) und unbeeinflussbar ist und damit schließlich zum Tod führt oder wenn es schubweise auftritt und die einzelnen Schübe einen lebensbedrohlichen Zustand
17 18
Grimm VW 1988 132, 136. GB BAV 1970 93; ferner GB BAV 1972 81. Zuvor war bereits der Ausschluss blinder Menschen vom Versicherungsschutz in der Praxis mehrfach eingeschränkt worden (GB BAV 1967 81 f. und GB BAV 1966 71). Gegen eine Erweiterung des Versicherungs-
19 20 21
schutzes auf Blinde sprach sich dagegen noch GB BAV 1959 48 (ferner VA 1937 74 f.) aus. S.a. Gaidzik S. 33 („überfällige Änderung“). VerBAV 1977 129; s.a. GB BAV 1976 75; GB BAV 1956 36 f.; GB BAV 1953 25 f. Konen/Lehmann S. 24.
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AUB 2008 Ziff. 4
Unfallversicherung
oder Siechtum herbeiführen können.22 Dem Wortlaut des § 5 AUB ist indes nicht zu entnehmen, dass es sich bei dieser Definition um eine ausschließliche bzw. abschließende handelt.23 Maßgebliche Kontrollfrage ist unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Regelung (Rn. 2 ff.), ob das Nervenleiden der versicherten Person so schwer ist, dass sie wegen dieser Erkrankung keine Leistung aus der Unfallversicherung mehr erhalten kann.24 Der Begriff „schweres Nervenleiden“ ist eng auszulegen. Dafür ist allerdings nicht 11 maßgebend, dass eine Härte i.S.v. § 307 Abs. 1 und 2 BGB vorliegen könnte, wenn der VN den Versicherungsschutz auch für solche Unfälle verliert, die mit dem Nervenleiden nicht im Zusammenhang stehen;25 denn die Auslegung geht der Inhaltskontrolle voraus (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 81). Abzustellen ist vielmehr zunächst auf den allgemeinen Sprachgebrauch und das Verständnis eines durchschnittlichen VN (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 56), zumal die Qualifikation „schwer“ der medizinischen Wissenschaft fremd ist.26 Aus dem Wort „schwer“ folgt zunächst, dass isolierte muskuläre und psychogene Störungen (umgangssprachlich auch als „Nervenkrankheiten“ bezeichnet) nicht unter den Tatbestand fallen.27 Weiterhin lässt sich aus der Gleichstellung der Geisteskrankheit mit völliger Arbeitsunfähigkeit in § 5 Nr. 1 S. 1 AUB 61 ableiten, dass meist nur Leiden in fortgeschrittenem Stadium erfasst sein können.28 Gerade im Anfangsstadium eines Nervenleidens bestehen häufig nur geringfügige Funktionsausfälle. Ferner trifft der für § 5 AUB 61 maßgebliche Gesichtspunkt des Interessenwegfalls (Rn. 2) nicht zu, wenn das schwere Nervenleiden zu Beginn und bei Therapie nicht zur Arbeitsunfähigkeit führt, weil die Krankheitssymptome soweit erfolgreich medikamentös behandelt werden können, dass der Gesundheitszustand der versicherten Person stabil ist und sie am täglichen Leben in der Gesellschaft teilnehmen kann.29 In diesem Fall kann der Unfallversicherungsschutz für die versicherte Person noch interessant sein, so dass der Schutzzweck des § 5 AUB 61 nicht eingreift.30 Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt Nichtversicherungsfähigkeit eintritt. Die Diagnose 12 eines Nervenleidens reicht allein nicht aus, da aufgrund der Fortschritte in der Medizin nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass schon ab diesem Zeitpunkt eine Risikosituation vorliegt, die Unfallversicherungsschutz für die versicherte Person sinnlos erscheinen lässt.31 Maßgebend ist deshalb (grundsätzlich) der Tag, an dem die Krankheit vom Arzt erstmals sicher als progredient diagnostiziert worden ist.32 Bei der Bestimmung des Zeitpunkts ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Untersuchung und Diagnose durch den Arzt dem tatsächlichen Eintritt des schweren Nervenleidens nachfolgen kann. Ggf. ist dann durch einen Sachverständigen der Eintritt der Nichtversicherbarkeit festzustellen. 22
23 24 25
So erstmals LG Bremen 12.6.1956 VersR 1956 775; ferner LG Dortmund 25.1.2007 – 2 O 157/05; Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 5; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 113; Perret S. 11; s.a. OLG Frankfurt/M. 3.12.1997 RuS 1998 526 und AG Erkelenz 13.3.1992 ZfS 1993 92 (LS). AG Bergisch-Gladbach 6.10.1987 VersR 1988 845. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 5. So aber OLG Frankfurt/M. 3.12.1997 RuS 1998 526.
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26 27 28
29 30 31 32
Reichenbach S. 99. LG Dortmund 25.1.2007 – 2 O 157/05; Gaidzik S. 31. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 3; ähnlich OLG Frankfurt/M. 3.12.1997 RuS 1998 526. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 5. Konen/Lehmann S. 25. Konen/Lehmann S. 25. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 5; wohl auch OLG Frankfurt/M. 7.6.1995 VersR 1996 1002 (LS).
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Versicherbarkeit
AUB 2008 Ziff. 4
Für die Annahme eines schweren Nervenleidens ist es nicht erheblich, ob sich die 13 betroffene Person krank oder gar schwer krank fühlt. Vielmehr gilt der objektive Krankheitsbegriff.33 Folgende Beispiele sind in der Vergangenheit mit dem Begriff „schwere Nervenleiden“ in Zusammenhang gebracht worden:34 • Bing-Horton-Syndrom. Diese Erkrankung zieht keine Versicherungsunfähigkeit nach sich.35 Das Bing-Horton-Syndrom ist dadurch gekennzeichnet, dass der Betroffene zumeist in Schüben, die in unregelmäßigen Abständen und in unregelmäßiger Dauer auftreten, von starken Schmerzen im Kopf- bzw. Gesichtsbereich befallen wird. Die Schmerzattacken können neben Konzentrationsmängeln zu verzweifelten Reaktionen mit Suizidimpulsen führen. Sie werden jedoch nicht als „schwer“ i.S.v. § 5 Nr. 1 AUB 61 qualifiziert.36 Da der Betroffene zu den Zeiten, in denen die Schmerzattacken nicht stattfinden, keine Krankheitssymptome aufweist, kann die Unfallversicherung für ihn noch sinnvoll sein. • Epilepsie. Die „Fallsucht“ ist versicherbar (vgl. Rn. 9).37 • Chorea Huntington. Diese erbliche Krankheit, auch „Veitstanz“ genannt, stellt eine erhebliche Erkrankung des Gehirns dar, bei der es zu Bewegungsstörungen und Wesensänderungen bis hin zur Demenz kommt. Sie ist als schweres Nervenleiden i.S.v. § 5 Nr. 1 AUB 61 einzustufen.38 • Multiple Sklerose. Personen mit multipler Sklerose (Erkrankung des Zentralnervensystems) sind grundsätzlich versicherungsfähig.39 Bei den meisten Betroffenen ist ein sinnvoller Versicherungsschutz weiterhin möglich. So treten bei vielen Erkrankten auch nach längerem Verlauf keine wesentlichen Behinderungen auf, so dass sie ohne Auffälligkeiten und Einschränkungen einer Berufstätigkeit nachgehen können. Hinzu kommt, dass die Krankheit nach dem Stand der Wissenschaft in vielen Fällen medikamentös behandelt bzw. eingedämmt werden kann.40 Versicherungsunfähigkeit liegt dagegen im chronisch-progredienten Stadium nahe, das zumeist nach dem 40. Lebensjahr auftritt.41 • Organisches Psychosyndrom. Es handelt sich zwar um ein Nervenleiden, weil es sich um eine psychische Störung handelt, die infolge einer Gehirnschädigung aufgetreten ist, jedoch kann es nicht als „schweres Nervenleiden“ qualifiziert werden.42 • Parkinson-Syndrom. Das Parkinson-Syndrom äußert sich in mangelhafter Mimik, monotoner und leiser Sprache, verlangsamten Bewegungsabläufen, schlurfendem Gang, gebückter Haltung sowie plötzlichen, sichtbaren Bewegungsblockaden und auffälligem Körperzittern. Darüber hinaus können auch die geistigen und seelischen Funktionen beeinträchtigt werden. Die Krankheit führt grundsätzlich (jedenfalls im Anfangsstadium) nicht zur Versicherungsunfähigkeit.43 Die früher weitgehend unbeeinflussbar progrediente (fortschreitende) Krankheit ist aufgrund der medizinischen Fortschritte so gut zu behandeln, dass nicht nur die Arbeitsfähigkeit um viele Jahre länger erhalten bleibt, sondern auch die Lebenserwartung allenfalls gering beeinträchtigt ist.44
b) Dauernd vollständige Arbeitsunfähigkeit. Die gemäß § 5 Nr. 1 S. 1 AUB 61 zur 14 Versicherungsunfähigkeit führende dauernde vollständige Arbeitsunfähigkeit wird in § 5 Nr. 1 S. 3 AUB 61 dahingehend definiert, dass die versicherte Person infolge Krankheit
33 34 35 36 37 38 39
Reichenbach S. 99. Weitere Beispiele bei E. Hofmann S. 45. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 5. AG Bergisch-Gladbach 6.10.1987 VersR 1988 845. AG Erkelenz 13.3.1992 ZfS 1993 92. OLG Frankfurt/M. 7.6.1995 VersR 1996 1002 (LS). Prölss/Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 3; a.A. noch E. Hofmann S. 45.
40 41 42 43
44
OLG Frankfurt/M. 3.12.1997 RuS 1998 526. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 5. LG Dortmund 25.1.2007 – 2 O 157/05. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 5; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 3; Reichenbach S. 99. LG Hamburg 31.1.1990 RuS 1990 176 im Anschluss an das LG Stuttgart 17.2.1981 VersR 1981 455 f. entgegen LG Bremen 12.6.1956 VersR 1956 775.
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AUB 2008 Ziff. 4
Unfallversicherung
oder Gebrechen – das Alter der versicherten Person 45 oder die Arbeitsmarktlage 46 sind unerheblich – außerstande sein muss, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. • Die Formulierung ist „unglücklich“ gewählt; denn das Abstellen auf den dem Sozialversicherungsrecht entstammenden Begriff „Erwerbstätigkeit“ hat sich aus mehreren Gründen als Fremdkörper im System der Allgemeinen Unfallversicherung erwiesen (vgl. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 40 f.).47 So gibt es etwa zahlreiche versicherte Personen, bei denen der Erwerb ein untaugliches Kriterium darstellt. Dies gilt u.a. für Hausfrauen. Fernerhin ist der Unfallversicherungsschutz nicht auf die Zeit der Erwerbstätigkeit beschränkt, sondern kann unabhängig von ihr – grundsätzlich ohne Rücksicht auf Ausbildung und Beruf – von der Geburt bis zum Lebensende vereinbart werden.48 • Die Auslegung des § 5 AUB 61 hat sich vornehmlich an dem erkennbaren Schutzzweck der Regelung auszurichten. Es soll erreicht werden, dass die Unfallversicherung nur dann mit einer Beitragspflicht für den VN besteht, wenn ein versicherbares Interesse besteht, also der VN bei einem Unfall auch Leistungen erwarten kann (Rn. 2). Folgerichtig ist es deshalb, denjenigen als nicht versicherungsfähig anzusehen, der nach den Bemessungsregeln für die Entschädigung gemäß § 8 Abs. 2 und § 10 Abs. 4 AUB 61 keine Entschädigung erhalten würde. Entscheidend für die Frage der Erwerbsunfähigkeit ist damit in Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61, ob die versicherte Person nicht imstande ist, eine Tätigkeit auszuüben, die ihren Kräften und Fähigkeiten entspricht und die ihr unter billiger Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres bisherigen Berufs zugemutet werden kann (Ziff. 2.1 Rn. 17 ff.).49
15
Unerheblich ist es für die Beantwortung der Frage, welche Tätigkeit die versicherte Person entsprechend ihren Kräften und Fähigkeiten auszuüben imstande ist, ob sie • nach einem Unfall entsprechend der Gliedertaxe entschädigt worden ist. Entsprechendes gilt selbst dann, wenn bei einer Addition von mehreren Prozentsätzen gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61 eine Invalidität von mehr als 100 % errechnet wird; 50 denn § 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61 fingiert nur Invaliditätsgrade, sagt aber allein noch nichts zu der Erwerbsfähigkeit aus. • tatsächlich eine Tätigkeit i.S.v. § 8 Abs. 2 Nr. 5 AUB 61 ausübt. Maßgebend ist im Grundsatz, ob die versicherte Person die Tätigkeit ausüben kann. Damit ist indes noch nicht gesagt, dass Versicherungsfähigkeit stets gegeben ist, wenn die versicherte Person in der Lage sein sollte, irgendeine bzw. eine wie auch immer geartete Erwerbstätigkeit auszuüben.51 Zwar wird ein dahingehendes Verständnis vom Wortlaut des § 5 AUB 61 gedeckt. Es widerspricht jedoch dem Schutzzweck der Regelung. Anderenfalls könnte eine Erwerbsunfähigkeit nur angenommen werden, wenn die versicherte Person wahnsinnig oder bewusstlos ist (im Koma liegt); denn selbst mit schwersten Amputationen lassen sich noch Arbeiten verrichten.52 • aufgrund sozialversicherungs- oder versorgungsrechtlicher Bestimmungen 100 % erwerbsunfähig ist 53 oder einen Schwerbehindertenausweis mit einem Erwerbsminderungsgrad von 100 % erhalten hat.54 Bescheide von Sozialversicherungsträgern oder Versorgungsbehörden können nicht übernommen werden, da für sie andere Bewertungsmaßstäbe gelten als in der privaten Unfallversicherung (Vorbem. § 178 Rn. 60). Der Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente erbringt damit noch nicht den vollen (zwingenden) Beweis für eine dauernde vollständige Arbeitsunfähigkeit,55 sondern kann nur als Beweisanzeichen herangezogen werden.56 Entsprechendes gilt, wenn die
45 46 47
48
49 50
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 4. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 8. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 7; zust. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 113. Reichenbach S. 100; eindringlich auch Böhme VW 1980 1322 und VW 1981 1427, 1428. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 7. GB BAV 1980 87 Nr. 814; Prölss/Martin/
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51 52 53 54 55 56
Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 4; ferner Gaidzik S. 32. So aber GB BAV 1980 87 Nr. 814. AG Karlsruhe 3.8.1989 VersR 1990 374, 375. GB BAV 1980 87 Nr. 814. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 7. BGH 25.1.1989 VersR 1989 351, 352; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 3. OLG Düsseldorf 24.6.1975 RuS 1976 136, 137.
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Versicherbarkeit
AUB 2008 Ziff. 4
versicherte Person Leistungen aus einer privaten Berufsunfähigkeits(zusatz)versicherung bezieht. Des Weiteren können Ermittlungen von Amts wegen im Sozialgerichtsverfahren von den ordentlichen Gerichten nicht ohne weiteres übernommen werden. Liegen allerdings Feststellungen von Rentenversicherungs- oder Versorgungsträgern vor, so sind sie von den Gerichten im Rahmen von § 286 Abs. 1 ZPO zu würdigen.57
I.E. kommt es auf die konkreten Umstände an, aus denen die dauernde Arbeitsunfähigkeit abgeleitet wird.58 Für diese muss der Anspruchsteller den Nachweis führen.59 Für die Beurteilung der Frage, ob der versicherten Person die Tätigkeit zumutbar ist, 16 ist u.a. zu berücksichtigen, welche Arbeiten die versicherte Person bisher ausgeführt hat und noch zu verrichten imstande ist, in welchen Berufen sie Arbeit finden kann oder ob eine Verweisung auf einen Ersatzberuf in Betracht kommt.60 Für die Annahme der Zumutbarkeit reicht es aus, wenn ein an sich höher oder vergleichbar qualifizierter Schwerbeschädigter aus eigenem Entschluss eine anders geartete Tätigkeit ausübt, um seine Restarbeitsfähigkeit wirtschaftlich zu nutzen. Folglich sind diejenigen Schwerbehinderten versicherungsfähig, die noch (oder wieder) im Arbeitsleben stehen. Sollte es dann zu einem Unfall kommen, so kann wegen der veränderten Umstände nach den Bemessungsgrundsätzen gemäß §§ 8 Abs. 2 Nr. 5, 10 Nr. 4 AUB 61 geleistet werden.61 Versicherungsfähig sind Beschäftigte in Werkstätten für Behinderte (sog. beschützende 17 Werkstätten) und Kinder (auch mongoloide), die Sonderschulen, Sondertagesstätten oder Sonderkindergärten für geistig oder körperlich Behinderte besuchen. Versichern können sich des Weiteren Blinde (Rn. 9) ebenso wie hirnverletzte Personen. Liegen dagegen schwere geistige Leiden vor, so hat das Aufsichtsamt vollständige Arbeitsunfähigkeit angenommen, und zwar unabhängig davon, ob eine Geisteskrankheit oder geistige Behinderung vorliegt.62 2. AUB 88/94 (dauernde Pflegebedürftigkeit) Die Regelungen über die Versicherbarkeit sollten zunächst in den AUB 88 wegfallen. 18 U.a. aufgrund der Intervention des damaligen BAV wurden sie dann jedoch wegen ihrer Schutzfunktion (Rn. 2) zur Wahrung der Belange der Versicherten beibehalten.63 Allerdings wurden inhaltliche Änderungen gegenüber den AUB 61 vorgenommen: Neben Geisteskranken zählen die AUB 88/94 einerseits dauernd pflegebedürftige Personen zum nicht versicherbaren Personenkreis (§ 3 Abs. 1 S. 1 und 2 AUB 88/94). Andererseits sind im Gegensatz zu § 5 AUB 61 an schweren Nervenleiden Erkrankte aufgrund der Fortschritte in der Neurologie versicherbar, sofern sie nicht dauernd pflegebedürftig sind. Ebenfalls entfallen ist die Anknüpfung an die „vollständige dauerhafte Arbeitsunfähigkeit“. Sie konnte schon deshalb keinen Bestand mehr haben, weil sich auch der Invaliditätsbegriff der AUB 88 nicht mehr an der Arbeitsfähigkeit der versicherten Person orientiert (vgl. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 40 f.). Mit dem Begriff der „dauernden Pflegebedürftigkeit“ in § 3 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94 ist ein neuer Terminus in die Unfallversicherung eingeführt worden. Er lehnt sich an die bei Einführung der AUB 88 geltenden Musterbedingungen der Pflegerenten-64 bzw. Pflegekrankenversicherung 65 an. Dort
57 58 59 60
BGH 8.7.1981 VersR 1981 1151; Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 8. LG Hamburg 31.1.1990 RuS 1990 176, 177. OLG Düsseldorf 24.6.1975 RuS 1976 136, 137. AG Karlsruhe 3.8.1989 VersR 1990 374, 375.
61 62 63 64 65
Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 7. GB BAV 1980 87. Grimm VW 1988 132, 136; Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 1; ferner Konen/Lehmann S. 24. VerBAV 1986 342; VerBAV 1993 139. VerBAV 1985 252.
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AUB 2008 Ziff. 4
Unfallversicherung
wurde in § 2 Abs. 1 bzw. § 1 Abs. 2 als pflegebedürftig definiert, wer infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls so hilflos ist, dass er für gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Hilfe einer anderen Person bedarf (s.a. § 35 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz in der Fassung vom 22.1.1982). Diese Definition wurde in § 3 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 etwas verkürzt übernommen. Danach besteht Versicherungsunfähigkeit, wenn die versicherte Person für die Verrichtung des täglichen Lebens überwiegend – und dauerhaft – auf fremde Hilfe angewiesen ist. Zur Beurteilung der Frage, ob eine Person pflegebedürftig oder noch versicherbar ist, bedarf es genauer Kenntnisse der jeweiligen Lebensumstände. Entscheidend ist nach dem Sinn und Zweck der Regelung, dass die allgemeine Leistungsfähigkeit der versicherten Person nahezu aufgehoben und ein versicherbares Interesse daher nicht mehr vorhanden ist.66 Zu den Verrichtungen des täglichen Lebens gehören alle Tätigkeiten, die für die 19 Erhaltung der physischen Existenz des Menschen unabdingbar sind und üblicherweise ohne Hilfe Dritter vorgenommen werden. Dazu zählen – in Anlehnung an gesetzliche Vorgaben – das Aufstehen und Zubettgehen, das An- und Auskleiden, die tägliche Körperpflege (Waschen, Kämmen, Rasieren), das Einnehmen von Mahlzeiten und Getränken, die Verrichtung der Notdurft und die eigene Fortbewegung.67 Nicht erfasst sind dagegen die Fähigkeiten, Mahlzeiten zuzubereiten, einzukaufen und die Wohnung in Ordnung zu halten; denn diese Arbeiten übertragen auch Gesunde nicht selten dritten Personen.68 Kein Indiz für eine Nichtversicherbarkeit sind damit Hilfskräfte, die dauernd oder zeitweise für Haushaltstätigkeiten oder für das Einkaufen eingeschaltet werden.69 Überwiegend fremder Hilfe bedarf Derjenige, der entweder die Mehrzahl der Verrich20 tungen des täglichen Lebens nicht mehr allein vornehmen kann oder der zu den einzelnen Tätigkeiten nur noch unzureichend in der Lage ist und deshalb der Unterstützung bedarf.70 • „Hilfebedürftigkeit“ kann aus mangelndem körperlichem Leistungsvermögen resultieren. Aber auch geistig-seelische Behinderungen können fremde Hilfe erforderlich machen.71 Dies gilt für den seelisch oder geistig Kranken, der unter ständiger Aufsicht stehen muss, um sich oder andere nicht zu gefährden (Bewahrung) oder der wegen seiner Erkrankung unter Antriebsschwäche leidet und die Verrichtungen des täglichen Lebens nur unter Anleitung und Aufsicht durchzuführen imstande ist.72 • Mit „fremder Hilfe“ ist Unterstützung durch andere Personen, nicht jedoch durch Apparate oder andere technische Hilfsmittel gemeint.73 • „Überwiegend“ bedeutet zu mehr als 50 %.74 Nicht ausreichend ist es, wenn die versicherte Person nur für eine der Verrichtungen des täglichen Lebens fremde Hilfe benötigt.75 Vielmehr ist es
66 67
68 69 70 71
OLG Frankfurt/M. 16.7.2003 RuS 2005 259. Konen/Lehmann S. 25; ferner Grimm VW 1988 132, 136; Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 2; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 111; Reichenbach S. 100; Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 9. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 3. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 10. Konen/Lehmann S. 25; zust. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 2. Reichenbach S. 101 und Riebesell S. 50 jeweils mit Zitat aus einem Rundschreiben
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U 14/89 M vom 8.6.1989 des damaligen HUK-Verbandes. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 2. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 4; van Bühren/Schubach 2 Hdb. § 15 Rn. 12; Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 10. So u.a. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 173; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 111. S. etwa Kloth Rn. C 39; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 3; a.A. offenbar Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 10.
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Versicherbarkeit
AUB 2008 Ziff. 4
erforderlich, dass die versicherte Person mehrere dieser Verrichtungen nicht allein wahrnehmen kann. Dies trifft z.B. bei dauernder Bettlägerigkeit chronisch Kranker oder Behinderter, Siechtum oder starker Altersgebrechlichkeit zu.76 Darüber hinaus muss die Hilfsbedürftigkeit grundsätzlich täglich und nicht bloß hin und wieder vorliegen.77 Anderenfalls würde der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 zu weit gezogen; denn für den VN kann der Unfallversicherungsschutz auch dann noch sinnvoll sein, wenn er eine Vielzahl der Tätigkeiten des täglichen Lebens noch allein ausüben kann.
„Dauerhaft“ ist nicht „vorübergehend“. Die Pflegebedürftigkeit besteht vielmehr nur 21 dann dauerhaft, wenn nach ärztlicher Prognose zu erwarten ist, dass sie bis zum Lebensende 78 oder wenigstens auf unabsehbare Zeit bestehen wird.79 Folglich sind Säuglinge und Kleinkinder genauso versicherbar 80 wie Kranke, die nur vorübergehend der Pflege bedürfen.81 Maßgebende Kontrollüberlegung für die Abgrenzung zwischen dauerhafter und zeitweiliger Pflegebedürftigkeit ist, ob die Krankheit oder der körperliche Zustand irreversibel ist.82 Eine Heilbehandlung, die nicht zur Anwendung von § 3 AUB 88/94 führt, liegt vor, wenn die Pflege dem Zweck der Heilung, der Besserung oder wenigstens der (vorübergehenden) Linderung des körperlichen Zustands bzw. der Verlangsamung oder der Verhütung/Hemmung einer Verschlimmerung des Leidens dient. Bezweckt ein Krankenhausaufenthalt dagegen, einem Zustand der Hilflosigkeit zu begegnen, so liegt Pflege i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 vor.83 Ist die Dauer der Pflegebedürftigkeit nicht mit Sicherheit festzustellen, so ist zumindest erforderlich, dass sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung dieses Zustandes nicht erwartet werden kann.84 Insofern kann auf die Legaldefinition in § 180 S. 2 zurückgegriffen werden, die ihrerseits die in der Rechtsprechung seit Langem vertretene Auslegung zum Begriff der Dauerhaftigkeit einer Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) rekrutiert. 3. AUB 99 Im Rahmen der Vorarbeiten zu den AUB 99 hatten die Bedingungsgeber erwogen, die 22 Regelung über nicht versicherbare Personen vollständig zu streichen oder zumindest die Bestimmung des nicht versicherbaren Personenkreises zu ändern.85 Die Arbeitsgruppe des GDV entschied sich dann aber gegen inhaltliche Veränderungen. Insbesondere wurde ein Verzicht auf die Regelung als unvereinbar mit ihrem Schutzzweck (Rn. 2 ff.) angesehen. Stattdessen sollten redaktionelle Verbesserungen erfolgen. Zum einen war sich die Arbeitsgruppe darin einig, den Begriff der dauernd Pflegebedürftigen durch einen Bezug auf das Recht der sozialen Pflegeversicherung und die dort enthaltenen Definitionen für Schwer- und Schwerstpflegebedürftige der Stufe II bzw. III zu präzisieren. Vorteil ist, dass durch den Verweis auf §§ 14 f. SGB 11 größere Auslegungssicherheit und damit auch
76
77 78 79 80
Reichenbach S. 101 und Riebesell S. 50 jeweils mit Hinweis auf ein Rundschreiben U 14/89 M vom 8.6.1989 des damaligen HUK-Verbandes. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 2. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 10. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 3; Kloth Rn. C 39. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 4; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 111.
81 82 83 84
85
van Bühren/Schubach 2 Hdb. § 15 Rn. 12; Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 10. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 3. S.a. OLG Köln 21.3.1985 RuS 1987 143 f. zur Krankenversicherung. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 4; auch Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 111. Hierzu Stockmeier/Huppenbauer S. 37.
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Unfallversicherung
Kundenfreundlichkeit erreicht werden kann. Zum anderen wurde angestrebt, den gelegentlich als diskriminierend empfundenen Begriff „Geisteskranke“ zu ersetzen. Alternativbegriffe wie „psychisch Kranke“ wurden i.E. jedoch als medizinisch gleichermaßen unpräzise verworfen. Auch sollten existierende Auslegungshilfen zum Wort „Geisteskranke“ nicht aufgegeben werden. Letztlich kam es aus kartellrechtlichen Gründen zu keiner konkreten Empfehlung des Verbandes, so dass die Musterbedingungen unter Ziff. 4 AUB 99 lediglich einen Freiraum vorsehen.86 Die Europäische Kommission konnte nicht überzeugt werden, dass es sich bei der Regelung zur Versicherungsfähigkeit um keine Diskriminierung, sondern um eine Schutzvorschrift zugunsten der versicherten Person handelt.87 Die VU haben selbstverständlich die Möglichkeit, eigenverantwortlich die Frage der Versicherbarkeit zu regeln. Soweit ersichtlich, haben die meisten Unfall-VR die Regelung des § 3 AUB 88/94 in Ziff. 4 AUB 99 übernommen und sich den Überlegungen der Arbeitsgruppe des GDV angeschlossen, indem der Begriff der „dauernd pflegebedürftigen Person“ in § 3 Abs. 1 S. 1 und seine Ausgestaltung in § 3 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 durch die Formulierung „Dauernd Schwer- oder Schwerstpflegebedürftige im Sinne der sozialen Pflegeversicherung“ in Ziff. 4.1 AUB 99 ersetzt wurde. Üblicherweise erfolgt in den Bedingungen dann noch eine weitere Erläuterung durch Abdruck der §§ 14 f. SGB 11 im Anhang zu den AUB-Texten. 4. AUB 2008
23
Der Gesetzgeber hat im Zuge der VVG-Reform 2008 keine besonderen Aussagen zur Versicherungsfähigkeit in der Unfallversicherung getroffen. Für die Verfasser der Musterbedingungen bestand insofern kein Anlass, den in den AUB 99 vorgesehenen Platzhalter zu füllen. Dem einzelnen VR ist es jedoch nicht verwehrt, im Rahmen der vom Gesetz (insbesondere AGG) vorgegebenen Grenzen in Ziff. 4 AUB 2008 eigene bzw. unternehmensindividuelle Regelungen vorzusehen.
B. Tatbestand (Geisteskrankheit) 24
Nach der hier unterstellten Klausel sind dauernd Schwer- oder Schwerstpflegebedürftige i.S.d. sozialen Pflegeversicherung (§ 14 f. SGB 11) sowie Geisteskranke nicht versicherbar und trotz Beitragszahlung nicht versichert. Nur auf die in den jeweiligen AVB tatbestandsmäßig umschriebenen Eigenschaften der jeweiligen versicherten Person kommt es an. • Das Alter oder der sonstige Gesundheitszustand der versicherten Person sind genauso unerheblich wie weitere nicht erwähnte Behinderungen.88 • Keine Bedeutung hat die Art eines etwa eingetretenen Unfalls oder die Ursächlichkeit zwischen den Tatbeständen der Unversicherbarkeit und dem Unfallereignis.89
Geisteskranke sind nach allen AUB-Texten nicht versicherbar. Der Begriff ist problematisch, da er inhaltlich schwer fassbar ist 90 und erst durch Auslegung erschlossen werden kann. I.E. sind – nach dem maßgeblichen Verständnis eines durchschnittlichen VN (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57) – unter Geisteskranken solche Personen zu ver-
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Stockmeier/Huppenbauer S. 37 f. Stockmeier/Huppenbauer S. 6. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 1 und 5.
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 1; ferner Gaidzik S. 30. Gaidzik S. 30.
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Versicherbarkeit
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stehen, bei denen die Leistungsfähigkeit wie bei dauernd Pflegebedürftigen (Rn. 18 ff.) bzw. Schwer- und Schwerstpflegebedürftigen nahezu aufgehoben ist, so dass sie infolge psychischer Störungen weitgehend von der Teilnahme am allgemeinen Leben ausgeschlossen sind.91 Dies ergibt sich zwar noch nicht aus dem allgemeinen Sprachverständnis, jedoch aus dem systematischen Zusammenhang von § 3 AUB 88/94 (§ 5 AUB 61) und teleologischen Gesichtspunkten. Bei Zugrundelegung dieses Begriffsverständnisses liegt kein Verstoß gegen das AGG vor (Vorbem. § 178 Rn. 108). Nach dem alltäglichen Wortverständnis kann Geisteskrankheit als jede krankhafte 25 Störung des Geistes oder der Seele verstanden werden; denn im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort „geisteskrank“ mit geistiger Behinderung oder Psychose gleichgesetzt.92 Letztere wird ihrerseits als Gemütskrankheit oder ungewöhnlicher seelischer Zustand definiert.93 Diese Interpretation aus Laiensicht deckt sich weitgehend mit der Begriffsbildung in der Fachwelt, die allerdings für die juristische Auslegung ohnehin nur subsidiär herangezogen werden kann (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 69). Im medizinischen Sinne wird der Ausdruck Geisteskrankheit als (psychiatrisch) veraltete Bezeichnung nicht nur i.e.S. für Psychosen (psychische Störungen mit strukturellem Wandel des Erlebens, die sich durch Bewusstseins-, Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, Wahnvorstellungen und Halluzinationen äußern können) 94 oder – im Gegensatz zur Gemütskrankheit – für Schizophrenie („Spaltungsirresein“), sondern auch für eine pathologische (krankhafte) Störung der psychischen Funktion genutzt.95 Erfasst sind alle Krankheiten, die auf inneren Ursachen beruhen oder als körperlich begründete Störungen des Geistes in Erscheinung treten und mehr oder minder deutliche Persönlichkeitsveränderungen bewirken.96 Das Erfordernis einer einengenden Auslegung allgemeinen Verständnisses vom Wort 26 „Geisteskranke“ ergibt sich sowohl aus dem Regelungszusammenhang innerhalb der „Versicherbarkeitsklausel“ und der Abgrenzung zu den Bewusstseins- und Geistesstörungen nach Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94 und § 3 Nr. 4 AUB 61 als auch aus einem Vergleich mit dem BGB. • Geisteskranke werden in den AUB typischerweise in ganz engem Zusammenhang mit anderen Personen als nicht versicherbar ausgewiesen, die einerseits unter ganz erheblichen Erkrankungen bzw. Gesundheitseinbußen zu leiden haben und andererseits diese Beeinträchtigungen langfristig hinnehmen müssen („dauernd Schwer- oder Schwerstpflegebedürftige“, „dauernd pflegebedürftige Personen, die für die Verrichtungen des täglichen Lebens überwiegend fremder Hilfe“ bedürfen“; „Personen, die von schweren Nervenleiden befallen oder dauernd vollständig arbeitsunfähig sind“). Hieraus wird der verständige VN schließen, dass die Geisteskrankheit nicht nur für Teilaspekte des täglichen Lebens oder phasenweise bzw. als Momentaufnahme auftreten darf, sondern einen vergleichbaren Schweregrad aufweisen und von Dauer sein muss.97 • Zwar könnte argumentiert werden, dass der alltägliche und medizinische Begriff der Geisteskrankheit gelten müsse, da der VR Geisteskranke wegen des erhöhten Risikos nicht versichern wolle. Dies daraus resultierend, dass sich bei bestimmten Geisteskrankheiten der Kranke durch unbedachte oder unkontrollierte Handlungen – typischerweise eher als ein Gesunder – in die Gefahr bringen kann, einen Unfall zu erleiden oder selbstschädigende Handlungen vorzunehmen
91
92
OLG Frankfurt/M. 16.7.2003 RuS 2005 259 f.; Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 4; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 173; Kloth Rn. C 40. Duden Bd. 10: Das Bedeutungswörterbuch (2002); Mackensen Deutsches Wörterbuch, 10. Aufl. (1983) unter „Geisteskrankheit“
93 94 95 96 97
Mackensen unter „Psychose“. Pschyrembel unter „Psychose“. Pschyrembel unter „Geisteskrankheit“. E. Hofmann S. 44. OLG Frankfurt/M. 16.7.2003 RuS 2005 259, 260.
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Unfallversicherung
(Rn. 4). Dem ist jedoch zum einen entgegenzuhalten, dass freiwillige Gesundheitsschäden bereits nicht den Unfallbegriff erfüllen (§ 178 Abs. 2). Zum anderen trägt Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) dem Gesichtspunkt des erhöhten Risikos bereits ausreichend Rechnung.98 Würde jede Geisteskrankheit unabhängig davon, ob sie für den Unfall (mit-) ursächlich oder unerheblich ist, zu einer Nichtversicherbarkeit führen, so hätte es einer gesonderten Regelung der Geistesstörung als Ausschlusstatbestand nicht bedurft. Lediglich dann, wenn die Geisteskrankheit derart ausgeprägt ist, dass die versicherte Person auf jede Gefahrensituation des täglichen Lebens nicht mehr angemessen reagieren kann, greift der Ausschluss der Bewusstseins- und Geistesstörung ständig ein.99 Bei solchen Fallgestaltungen führt der Schutzzweck von Ziff. 4 AUB 99/2008 (§ 3 AUB 88/94, § 5 AUB 61) zur Nichtversicherbarkeit (Rn. 2). Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Gesichtspunkt einer erhöhten Unfallgefahr auch bei dauernd Pflegebedürftigen (AUB 88) bzw. Schwer- und Schwerstpflegebedürftigen (AUB 99) keine tragende Rolle spielt. Wer unbeholfen ist und deshalb ständig fremder Hilfe bedarf, gerät darum noch nicht zwingend in erhöhte Gefahr, einen Unfall zu erleiden. Liegt damit bei Pflegebedürftigen der Grund für die Nichtversicherbarkeit darin, dass ihre allgemeine Leistungsfähigkeit nahezu aufgehoben und ein versicherbares Interesse nicht mehr vorhanden ist, so liegt es nahe, diesen Gedanken auch bei Auslegung des Begriffs „Geisteskranke“ für maßgeblich zu erachten. Der VN wird für beide Tatbestandsalternativen einen einheitlichen Klauselzweck annehmen und davon ausgehen, dass mit Geisteskranken nur Personen gemeint sein können, deren allgemeine Leistungsfähigkeit ähnlich wie bei dauernd Pflegebedürftigen bzw. Schwer- und Schwerstpflegebedürftigen nahezu aufgehoben ist.100 • Ein Rückgriff auf das BGB hilft bei der Interpretation des Wortes „geisteskrank“ nur begrenzt weiter, bestätigt aber das Erfordernis einer einschränkenden Auslegung des Begriffs Geisteskrankheit. Früher sah § 6 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Entmündigung für diejenigen vor, die infolge einer Geisteskrankheit ihre Angelegenheiten (dauerhaft) nicht zu besorgen vermochten. Darüber hinaus ordnete § 104 Nr. 3 BGB Geschäftsunfähigkeit für den Fall der Entmündigung wegen Geisteskrankheit an. Zwar sind diese Vorschriften inzwischen durch das Betreuungsgesetz aus 1990 längst aufgehoben. Vielmehr verzichtete der Gesetzgeber fortan auf den Begriff „Geisteskrankheit“. Jedoch belegen die früher geltenden Normen, dass Geisteskrankheit auch nach dem Verständnis des Gesetzgebers schwerwiegende und dauerhafte Beeinträchtigungen bei den Betroffenen hervorrufen musste, da anderenfalls eine Entmündigung mit ihren weit reichenden Folgen nicht zu rechtfertigen war. Da auch die Annahme der Versicherungsunfähigkeit einschneidende Auswirkungen hat (u.a. Verlust des Versicherungsschutzes), bietet es sich an, bei der Prüfung des Wortes „geisteskrank“ in den AUB ähnlich strenge Maßstäbe anzulegen wie im früheren Entmündigungsverfahren. Folgerichtig hat sich auch das ältere versicherungsrechtliche Schrifttum zu § 5 AUB 61 bzw. 3 AUB 88 an § 6 Abs. 1 Nr. 1 BGB a.F. orientiert.101 Heute lassen sich nur noch aus §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB und § 827 BGB Rückschlüsse auf das Verständnis des Wortes „Geisteskrankheit“ ziehen. Dem Vergleich mit dem BGB steht nicht von vornherein entgegen, dass auch Kinder unter 7 Jahren versicherungsfähig sind und es folglich inkonsequent wäre, Erwachsene mit entsprechendem Geisteszustand generell für nicht versicherungsfähig zu erklären.102 Gegen diese Argumentation ist anzuführen, dass (gesunde, nach § 104 Nr. 1 BGB geschäftsunfähige) Kinder und (geisteskranke, nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähige) Erwachsene für die Frage der Versicherbarkeit nicht miteinander verglichen werden können. Bei Kindern lautet im Normalfall die Prognose, dass sie ihre rechtsgeschäftlichen Entscheidungen mit zunehmender geistiger Entwicklung in der Zukunft selbst treffen können; dagegen ist der Zustand von geisteskranken Erwachsenen oftmals irreversibel und typischerweise mit einer langjährigen Betreuung verbunden. Richtig ist allerdings einerseits, dass ein Rückgriff auf das BGB nur mit Vor-
98 99 100
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 2. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 4. OLG Frankfurt/M. 16.7.2003 RuS 2005 259.
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101
102
Gaidzik S. 30 f.; s.a. Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 2; Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 11. So aber Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 4.
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Versicherbarkeit
AUB 2008 Ziff. 4
sicht erfolgen kann;103 denn § 104 Nr. 2 BGB hat einen anderen Regelungsgegenstand als die Regelungen zur Versicherbarkeit. Das BGB regelt zunächst nur die Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen, während es in den AUB um die Versicherungsfähigkeit geht. Insbesondere ist es durchaus möglich, dass nicht versicherungsfähige Personen z.B. trotz ihrer dauernden Pflegebedürftigkeit noch geschäftsfähig sind. Andererseits gibt das BGB einen Hinweis auf den bei der Prüfung der Versicherunfähigkeit einzuhaltenden Beurteilungsmaßstab. Ein durchschnittlicher VN wird nicht annehmen, dass die Meßlatte für die Feststellung seiner Versicherungsunfähigkeit, die zur Vertragsauflösung und -rückabwicklung führt, weniger hoch anzulegen ist als bei der Beurteilung der Wirksamkeit seiner rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen. In beiden Fällen wird er vielmehr die Einhaltung strenger Kriterien erwarten: Eine zur Geschäftsunfähigkeit führende krankhafte Störung i.S.v. 104 Nr. 2 BGB ist unabhängig von der medizinischen Einordnung der krankhaften Störung der Geistestätigkeit festzustellen.104 Sie setzt zum einen voraus, dass der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen unbeeinflusst von der Geistesstörung (Vorstellungen, Empfindungen und Einflüssen dritter Personen) zu bilden, von vernünftigen Überlegungen abhängig zu machen und nach dieser Einsicht zu handeln, sondern von dem krankhaften Empfinden widerstandslos beherrscht wird.105 Ausreichen können etwa manische Depressionen oder Altersschwachsinn mit manischer Färbung auf hysterischer Grundlage.106 Bloße Willensschwäche oder leichte Beeinflussbarkeit107 genügen dagegen genauso wenig wie das Unvermögen, die Tragweite der abgegebenen Willenserklärung zu erfassen.108 Zum anderen sieht § 104 Nr. 2 BGB – in Abgrenzung zu § 105 Abs. 2 BGB – ausdrücklich vor, dass die Freiheit der Willensbildung nicht nur vorübergehend gestört sein darf. Gefordert ist zwar keine Unheilbarkeit, jedoch das Erfordernis einer Behandlung über längere Zeit.109 Nimmt der verständige VN nun diese Vorgaben des BGB zur Rechtsgeschäftslehre zur Kenntnis, so wird er konsequenterweise erwarten, dass die Annahme der Versicherungsunfähigkeit ebenfalls eine besondere Qualität und Dauer der geistigen oder seelischen Beschwerden verlangt bzw. nicht durch jede krankhafte Störung des Geistes oder der Seele in Frage gestellt werden kann. Er wird sich im Übrigen durch die juristische Auslegung des § 827 BGB bestätigt fühlen. Dort genügen die bloße Minderung der Geistes- und Willenskraft, krankhafte Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen eigenen Handelns oder die Unfähigkeit zu ruhiger und vernünftiger Überlegung allein nicht aus, um einen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit anzunehmen.110
Ziff. 4 AUB 99 und die jeweiligen Vorgängervorschriften sind zum Schutze des VN 27 geschaffen worden (Rn. 3). Der verständige VN wird erkennen, dass für ihre Anwendung maßgeblich ist, ob die Erkrankung bzw. der geistige Zustand der versicherten Person ein Bedürfnis für eine Unfallversicherung bestehen lassen. Dies ist erst dann nicht mehr der Fall, wenn die Geistesstörung so hochgradig ist, dass die versicherte Person nicht mehr am allgemeinen Leben teilnehmen kann, sondern sie einer ständigen Aufsicht bzw. Überwachung bedarf oder für sie eine Anstaltsunterbringung notwendig wird.111 Ist dagegen die Geisteskrankheit noch nicht so weit fortgeschritten, besteht Versicherungsfähigkeit. Aber auch dann, wenn die Folgen der irreversiblen Geisteskrankheit durch Therapie bzw. Einnahme von Medikamenten in Grenzen gehalten werden können, besteht noch Versicherungsfähigkeit.112 Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Persönlichkeits-
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106 107
Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 112. MüKo/Schmitt 4 Bd 1: AT, § 104 Rn. 10. BGH 5.12.1995 NJW 1996 918, 919; OLG Naumburg 9.12.2004 VersR 2005 817, 818. MüKo/Schmitt 4 Band 1: AT, § 104 Rn. 11 m.w.N. BayObLG 5.7.2002 NJW 2003 216, 219.
108 109 110 111 112
Palandt/Heinrichs 64 § 104 Rn. 5; MüKo/ Schmitt 4 Bd 1: AT, § 104 Rn. 14. Palandt/Heinrichs 64 § 104 Rn. 4; MüKo/ Schmitt 4 Bd 1: AT, § 104 Rn. 12 Palandt/Heinrichs 64 § 827 Rn. 2. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 112. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 2
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Unfallversicherung
struktur des Erkrankten soweit gefestigt hat, dass er über einen längeren Zeitraum, der eine günstige Prognose auch für die Zukunft zulässt, seine Angelegenheiten selbst besorgen kann, etwa seine notwendigen Medikamente ohne Aufsicht regelmäßig einnimmt.113 Eine Entscheidung hierzu ist angesichts der zahlreichen Abstufungen geistiger Erkrankungen nur im Einzelfall nach dem gesamten Persönlichkeitsbild der versicherten Person möglich.114 Als Geisteskrankheit hat die Rechtsprechung die Erkrankung an einer schizoaffek28 tiven Psychose (Unterform der endogenen Psychose) gewertet.115 Dagegen herrscht Einigkeit darüber, dass die bloße (einfache) Geistesschwäche nicht zur Versicherungsunfähigkeit führt.116 Des Weiteren reicht allein der übermäßige Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenmissbrauch nicht aus, mag er auch chronisch sein. Dieser kann zwar den Ausschlusstatbestand der Bewusstseinsstörung begründen (Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 ABU 61), jedoch führt die Sucht nur bei Vorliegen weiterer Kriterien (z.B. dauerhafte Gehirnschäden) zur Versicherungsunfähigkeit. Insofern bestehen Parallelen zur Auslegung des § 104 Nr. 2 BGB. Dort wird der Grad einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit erst dann als erreicht angesehen, wenn die Alkoholsucht entweder Symptom einer bereits vorhandenen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ist oder wenn der Missbrauch zu einer organischen Veränderung des Gehirns geführt hat, in deren Folge es zu einem gravierenden Abbau der Persönlichkeitsstruktur gekommen ist.117
C. Rechtsfolgen 29
Liegt eine Nichtversicherbarkeit zum Zeitpunkt der Vertragsanbahnung vor oder tritt sie während der Vertragslaufzeit ein, so regeln die AUB übereinstimmend, dass zum einen der Versicherungsschutz erlischt (§ 3 Abs. 2 AUB 88/94, § 5 Nr. 2 AUB 61) und zum anderen der VR die seit Eintritt der Versicherungsunfähigkeit an ihn entrichteten Beiträge zurückzuzahlen hat (3 Abs. 3 AUB 88/94, § 5 Nr. 1 S. 2 AUB 61). Darüber hinaus entfaltet der angestrebte oder der geschlossene Versicherungsvertrag grundsätzlich keine rechtliche Wirkung: Weder entsteht beim VN ein Versicherungsanspruch gegen den VR noch hat der VR einen Prämienanspruch oder sonstige Rechte gegenüber dem VN. Eine teilweise Versicherung bestimmter Gefahren kommt nicht in Betracht. Vielmehr ist der nicht versicherbare Personenkreis in vollem Umfang von der Versicherung ausgenommen.118
I. Versicherungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Vertragsanbahnung 30
Ist die versicherte Person bereits zum Zeitpunkt der Vertragsanbahnung versicherungsunfähig, so kann ein wirksamer Versicherungsschutz weder von ihr als Eigenversicherung noch von einem Dritten für sie als Fremdversicherung vereinbart werden. Damit ist indes nicht gesagt, dass die versicherunfähige Person keinen Versicherungs-
113 114 115 116
Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 4. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 11. LG Schwerin 6.7.1995 VersR 1997 1521. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 11; ferner Reichenbach S. 99; s. auch Perret S. 11.
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BayObLG 5.7.2002 NJW 2003 216, 219; OLG Naumburg 9.12.2004 VersR 2005 817, 818. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 3.
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Versicherbarkeit
AUB 2008 Ziff. 4
vertrag für einen versicherungsfähigen Dritten abschließen könnte. Dies ist ihr ohne weiteres möglich,119 soweit ihr Gesundheitszustand nicht zugleich Geschäftsunfähigkeit begründet. Kennt der VR bzw. der Versicherungsvermittler die Versicherungsunfähigkeit (z.B. aufgrund der Angaben im Antragsformular), so wird es zu keiner Antragsannahme bzw. Policierung kommen. Ein möglicherweise bereits gezahlter Versicherungsbeitrag ist dem Antragsteller nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung gemäß §§ 812 ff. BGB zurückzuzahlen.120 Es fehlt an einem Rechtsgrund für die Zahlung, da kein Vertragsschluss erfolgt ist. Hat der VR den Antrag des VN für eine nicht versicherbare Person angenommen, 31 z.B. weil der Antrag keine Gesundheitsfragen enthielt oder weil die fehlende Versicherbarkeit erst nach Vertragsschluss bekannt wird, so ist der Versicherungsvertrag grundsätzlich nicht vollumfänglich nichtig mit der Folge, dass §§ 812 ff. BGB eingreifen.121 Das Bereicherungsrecht ist nur ausnahmsweise dann heranzuziehen, wenn der Vertrag aufgrund einer Nichtigkeit gemäß §§ 104, 105 BGB ex tunc abzuwickeln ist, weil z.B. der VN bei Abgabe seines Antrags auf Abschluss einer Eigenversicherung oder die versicherte Person im Rahmen ihrer Einwilligung nach § 179 Abs. 2 zum Abschluss einer Fremdversicherung für eigene Rechnung durch den VN geschäftsunfähig war. Ansonsten reduziert sich der Vertrag im Fall der Nichtversicherbarkeit auf die vertragliche Vereinbarung der Beitragsrückzahlung gemäß § 3 Abs. 3 AUB 88/94 bzw. § 5 Nr. 1 S. 2 AUB 61.122 • Die Rückzahlung kann der VR aufgrund der in den AUB normierten Verpflichtung nicht mit Hinweis auf einen Wegfall der Bereicherung oder aus ähnlichen Gründen ablehnen.123 Insbesondere ist der Beitrag auch dann zurückzuzahlen, wenn der VN den Beitrag in Kenntnis der Nichtversicherbarkeit der versicherten Person geleistet hat. § 814 BGB gelangt aufgrund des Schutzzwecks von § 3 AUB 88/94, § 5 AUB 61 nicht zur Anwendung.124 • Die Verjährung des Rückerstattungsanspruchs nach AUB-Vorschriften bestimmte sich vor der VVG-Reform 2008 nach § 12 Abs. 1 S. 1 a.F. und nicht nach dem allgemeinen Verjährungsrecht des BGB, da es sich um einen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag handelte.125 Die Verjährungsfrist betrug mithin 2 Jahre. Bei Anwendung des VVG 2008 gilt die allgemeine Verjährungsfrist von 3 Jahren (Ziff. 15.1 AUB 2008, § 195 BGB). • Der VR hat die Beiträge in dem Umfang zu erstatten, in dem sie gezahlt worden sind, also einschließlich Versicherungsteuer und Zuschlägen für Ratenzahlung oder erhöhte Risiken.126
Die Beendigung des Vertrages tritt unabhängig davon ein, ob der tatsächlich erfolgte 32 Vertragsschluss nur auf einer objektiven Unkenntnis des VR oder auch des VN, eine Täuschungshandlung oder ein Verschulden eines oder beider Vertragspartner zurückgeht.127 In den beiden letztgenannten Fällen kommen für beide Kontrahenten Schadensersatzansprüche aus einem Verschulden bei Vertragsschluss (§ 311 Abs. 2 BGB) oder aus unerlaubter Handlung (§ 826 BGB) in Betracht. Insbesondere können Ansprüche des VN gegen den VR oder Vermittler nach §§ 6 Abs. 5, 63 entstehen. Eventuelle Schadens-
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122 123
Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 4. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 9. A.A. AG Karlsruhe 3.8.1989 VersR 1990 374; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 110. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 9; ähnlich Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 5. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 5.
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Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 9; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 110. Grimm 4 15 AUB 99 Rn. 3; a.A. AG Karlsruhe 3.8.1989 VersR 1990 374. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 10. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 5; Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 4.
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Unfallversicherung
ersatzverpflichtungen sind durch die Verpflichtung des VR zur Rückzahlung nicht ausgeschlossen.128 • Ein Schaden des VR kann aus den Kosten für die Bearbeitung des Antrags und des laufenden Versicherungsvertrages resultieren.129 Es ist indes unwahrscheinlich, dass der VR dahingehende Ersatzansprüche gegenüber dem VN geltend machen und durchsetzen wird. • Der VN kann versuchen, Ansprüche u.a. mit der Begründung herzuleiten, der VR oder sein Versicherungsvermittler habe ihn mangelhaft oder fehlerhaft aufgeklärt (Rn. 34). Ein Schaden für den VN ist hier indes nicht leicht zu begründen, da der VN nicht nur vom VR die geleisteten Beiträge zurückerhält, sondern bei Vorhandensein einer Nichtversicherungsfähigkeit wegen der Verbreitung entsprechender Klauseln auch bei anderen deutschen Unfallversicherern keinen Unfallversicherungsschutz erhalten hätte (s. aber auch Rn. 36). Möglich ist aber, dass der VN den nicht erzielten Anlagegewinn der Prämien substantiiert vortragen und nachweisen kann oder ihm der Nachweis gelingt, dass er das Risiko bei einem ausländischen VR hätte abdecken können.130 Sollte der VN einen kausalen Schaden erfolgreich beweisen können, so stellt sich allerdings noch die Frage nach einem Mitverschulden (auch des gesetzlichen Vertreters der versicherten Person) gemäß § 254 BGB. Selbst dann, wenn der VR den Hinweis auf § 3 AUB 88/94 bzw. § 5 AUB 61 in den Anträgen oder Versicherungsscheinen tatsächlich unterlassen haben sollte, so wird sich der Anspruchsteller zumindest entgegenhalten lassen müssen, dass die Regelung zur Versicherungsunfähigkeit jedenfalls in den AUB abgedruckt ist.131
2. Versicherungsunfähigkeit während der Vertragslaufzeit
33
Die während der Vertragslaufzeit eintretende Versicherungsunfähigkeit der versicherten Person löst beim VR (bei erkennbarem Anlass) zunächst Beratungspflichten aus, deren Verletzung Schadensersatzansprüche begründen kann (§ 6 Abs. 4 und 5 sowie §§ 280, 242 BGB). Des Weiteren beurteilt sich das Vertragsschicksal wie folgt: • War die versicherte Person beim Vertragsschluss versicherbar und tritt die Versicherungsunfähigkeit erst während der Vertragslaufzeit ein, so erlischt zu diesem Zeitpunkt gemäß § 3 Abs. 2 AUB 88/94 und § 5 Nr. 2 AUB 61 der Versicherungsschutz. Weiterhin enden dann der Versicherungsvertrag und damit auch die Prämienzahlungsverpflichtung des VN. • Maßgebender Zeitpunkt ist der objektive Eintritt der Versicherungsunfähigkeit. Anders als in § 80 Abs. 2 (§ 68 Abs. 2 a.F.) kommt es nicht auf die eventuell spätere Kenntnis des VR an.132 Zu kurz greift es, allein darauf abzustellen, wann der die Nichtversicherbarkeit begründende Tatbestand erstmalig durch einen Arzt als feststehend diagnostiziert worden ist.133 Kann die Nichtversicherbarkeit vor dem Tag der ärztlichen Diagnosestellung vorgelegen haben, so ist ggf. der Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungsunfähigkeit nachträglich durch einen Sachverständigen zu ermitteln.134 Die seit dem Eintritt der Versicherungsfähigkeit entrichteten Beiträge hat der VR zurückzuzahlen (§ 3 Abs. 3 AUB 88/94, § 5 Nr. 1 S. 2 AUB 61). • Für den Fall, dass die versicherte Person nach Eintritt der Versicherungsunfähigkeit wieder versicherungsfähig wird, bleibt der Versicherungsvertrag trotzdem beendet. Der Unfallversicherungsschutz kann nur durch Abschluss eines neuen Vertrages begründet werden.135 Ein Wiederaufleben wegen Wegfalls der Versicherungsunfähigkeit gibt es grundsätzlich nicht,136 und zwar unabhängig
128 129
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Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 9. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 6; ferner Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 6. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 6; Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 6. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 6. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. D 23.
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134 135 136
So aber Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 10; a.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 109. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 7. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 10. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 110.
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Versicherbarkeit
AUB 2008 Ziff. 4
davon, ob die Versicherungsunfähigkeit bereits bei Vertragsanbahnung bzw. -schluss vorlag oder erst während der Vertragslaufzeit eingetreten ist und sich anschließend der Zustand der versicherten Person gebessert hat.137
D. Hinweispflichten des VR Bereits nach Zivilrecht (§ 6 Abs. 1 und 4, § 61 sowie § 242 BGB) bestehen für den 34 VR und seine Vermittler anlassbezogene Hinweis- und Beratungspflichten. So wird der Versicherungsvertreter etwa auf Klauseln zur Regelung der Versicherungsunfähigkeit aufmerksam machen müssen, wenn ihm die (dauerhafte) Bettlägerigkeit der versicherten Person erkennbar ist. Darüber hinaus hat sich in der Vergangenheit auch das Aufsichtsamt für die Aufnahme von Warnhinweisen eingesetzt: • Um sicherzustellen, dass bei dem VN von vornherein Fehlvorstellungen über die Versicherungsfähigkeit ausgeschlossen werden und dieser sich auch veranlasst sieht, den VR über das Vorhandensein der in Betracht kommenden Leiden aufzuklären, haben sich die Unfall-VR zu § 5 AUB 61 dazu verpflichtet, den VN auf diese – als besonders wichtig angesehene 138 – Bestimmung gesondert hinzuweisen.139 Die VR haben gegenüber dem damaligen BAV folgende geschäftsplanmäßige Erklärung abgegeben: „Wir werden in die Antrags- und Versicherungsscheinvordrucke einen Hinweis auf § 5 AUB aufnehmen.“ 140 Diese Verpflichtung gilt entsprechend auch für die AUB 88 141 und AUB 94.142 • Auch wenn für geistig oder körperlich behinderte Personen Versicherungsfähigkeit gegeben ist, so wird häufig bei der Beurteilung der Leistungsverpflichtung im Schadenfall eine Einschränkung der Leistungspflicht in Betracht kommen, wenn neben den Unfallfolgen die vorhandenen Krankheiten oder Gebrechen mitgewirkt haben (s. etwa § 10 AUB 61). Das damalige BAV hat sich deshalb 1980 dafür ausgesprochen, dass Behinderte hierauf bei Abschluss von Unfallversicherungen hingewiesen werden sollten.143 So sollte z.B. ein blinder Antragsteller darauf aufmerksam gemacht werden, dass nicht alle Fälle der Gliedertaxe (Verlust der Augen) realisierbar sind.144
Nach der VVG-Reform wird im Übrigen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 15 sowie § 4 Abs. 2 Nr. und 9 VVG-InfoV Rechnung zu tragen sein.
E. Wirksamkeit der Regelung Unabhängig von Fragestellungen nach dem AGG (Vorbem. § 178 Rn. 81 ff.), ist 35 umstritten, ob und inwieweit § 3 AUB 88/94 und § 5 AUB 61 gegen § 32 (34a a.F.) verstoßen. Vornehmlich im älteren Schrifttum 145 wurde angenommen, § 5 AUB 61 sei unwirksam, soweit zum Nachteil des VN vom Regelungsgehalt der §§ 19 ff., 23 ff. (§§ 16 ff., 23 ff. a.F.) abgewichen werde. Dies treffe auf § 5 Nr. 2 AUB 61 zu. Habe der VR den Vertrag wirksam (ohne Eingreifen der §§ 104, 105 BGB wegen Geschäftsunfähigkeit des VN) geschlossen, so könne er sich nur nach Maßgabe der besonderen Voraussetzungen der §§ 19 ff. bzw. §§ 16 ff. a.F. (z.B. Verschuldens- und Kausalitäts-
137 138 139 140 141 142
Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 8. Grewing Entstehungsgeschichte S. 27. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 12. VerBAV 1987 169 Nr. 20. Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 12. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 6.
143 144 145
GB BAV 1980 87. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 5. Möller JRPV 1937 209 – 213 (insbesondere 212); ders. DAR 1954 250, 255; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 7 und D 23.
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AUB 2008 Ziff. 4
Unfallversicherung
erfordernisse bzw. Arglist) durch fristgebundene eigene Gestaltungserklärung vom Vertrag lösen, wenn Versicherungsunfähigkeit gegeben sei. Darüber hinaus sei eine Vertragsbeendigung nur gemäß § 24 (§ 27 a.F.) möglich, wenn der „Verlust der Versicherungsfähigkeit“ zugleich eine Gefahrerhöhung darstelle. Dies sei regelmäßig der Fall, wenn die in § 5 AUB 61 genannten Faktoren einträten; denn es handele sich insgesamt um Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes der versicherten Person, die ihre Fähigkeit, eine Unfallgefahr zu erkennen und/oder ihr zu begegnen, auf Dauer verminderten (vgl. Rn. 4). Auf § 5 AUB 61 könne nur dann zurückgegriffen werden, wenn ihr Inhalt den VN im Einzelfall gegenüber der gesetzlichen Regelung besser stelle (z.B. weil der VN von der in § 80 Abs. 1 S. 2 bzw. § 68 Abs. 1 Halbs. 2 a.F. vorgesehenen Zahlung einer Geschäftsgebühr befreit werde). Die Auffassung, die Regelungen zur Versicherungsunfähigkeit stellten einen Verstoß gegen § 32 (§ 34a a.F.) dar, hat sich in der Rechtsprechung 146 und im neueren Schrifttum 147 – jedenfalls in dieser Absolutheit – nicht durchgesetzt. Allerdings wird z.T. differenziert: Kein Verstoß des § 5 AUB 61 gegen § 32 (§ 34a a.F.) liege vor im Fall der Arbeitsunfähigkeit, wohl aber in den nicht zur Arbeitsunfähigkeit führenden Fällen der Geisteskrankheit und schweren Nervenleiden.148 Diese Einschränkung ist indes – bei entsprechend enger Auslegung des Tatbestands – nicht erforderlich. Weder betreffen § 3 AUB 88/94 und § 5 AUB 61 eine Anzeigepflichtverletzung oder eine Gefahrerhöhung noch stellen sie dafür eine Sanktion dar. Vielmehr geht es in diesen Regelungen, die dem Schutz des VN dienen, ausschließlich darum, den im nur für die Schadenversicherung geregelten Fall eines faktischen Interessenwegfalls vertraglich auch in der Unfallversicherung zum Ausdruck zu bringen (Rn. 2 f.): • Ist die versicherte Person schon vor dem Unfall i.S.v. § 5 AUB 61 dauernd und vollständig arbeitsunfähig, verliert der Unfallversicherungsvertrag für sie seinen Sinn. Der dauernd und vollständig Arbeitsunfähige genießt keinen Versicherungsschutz mehr. § 8 Abs. 2 und § 10 Nr. 1 AUB 61 belegen, dass für solche versicherten Personen keine Invaliditäts- oder Tagegeldleistungen zu erbringen sind. Entsprechende Erwägungen gelten nach Auffassung des BGH auch für die Todesfallentschädigung,149 da die Unfallversicherung nicht jedes bei einem Todesfall entstehende Interesse decke, sondern einen Ausgleich für den unfallbedingten Verlust der Arbeitskraft bewirke. Dies sei in Fällen vorher bereits bestehender dauernder vollständiger Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, weil die Hinterbliebenen bereits vor dem Unfall kein Einkommen mehr aus einer Erwerbstätigkeit des Versicherten hätten erwarten können.150 • Auch bei der Geisteskrankheit, die in allen AUB-Regelungen angesprochen ist, dem schweren Nervenleiden (AUB 61) oder der Pflegebedürftigkeit (AUB 88/94) steht nicht die Erhöhung des versicherten Risikos, sondern der Interessenwegfall im Vordergrund. Für die Betroffenen verliert die Unfallversicherung ihren Sinn 151 und wird weitgehend wertlos. Regelmäßig kommen die Ausschlüsse in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61 zur Anwendung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Begriffe der Geisteskrankheit oder des schweren Nervenleidens – wie hier – eng ausgelegt werden. Darüber hinaus können vornehmlich in Fällen der Pflegebedürftigkeit Ziff. 2.1.2.2.4 AUB 99/2008, § 7 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88/94 (Berücksichtigung der Vorinvalidität) sowie Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94 bzw. § 10 Nr. 1 AUB 61 (Mitwirkung von Krankheit und Gebrechen) dazu führen, dass die versicherte Person keine Versicherungsleistungen erhält.
146
147 148
BGH 25.1.1989 VersR 1989 351 f.; offen lassend OLG Frankfurt/M. 16.7.2003 RuS 2005 259, 260; OLG Frankfurt/M. 3.12.1997 RuS 1998 526. Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 1; Riebesell S. 48; Wussow/Pürckhauer 6 § 3 Rn. 3. LG Dortmund 25.1.2007 – 2 O 157/05 im
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149 150 151
Anschluss an Prölss/Martin/Knappmann 27 § 5 AUB 61 Rn. 1 f.; ferner Kloth Rn. C 42. A.A. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 174. BGH 25.1.1989 VersR 1989 351 f. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 109.
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Versicherbarkeit
AUB 2008 Ziff. 4
Im Übrigen ist zweifelhaft, ob sich die Regelungen zur Versicherungsfähigkeit nachteilig für den VN i.S.v. § 32 (§ 34a a.F.) auswirken. Zwar mag es Einzelfälle geben, in denen ihre Anwendung auf Unverständnis beim VN stoßen wird, so z.B. wenn der Geisteskranke in einem momentanen Zustand geistiger Klarheit stolpert oder als Beifahrer einen Autounfall hat und aufgrund der dadurch entstandenen Verletzungen eine Invalidität davonträgt, dann aber anders als die gesunde versicherte Person keine Versicherungsleistungen erhält. Jedoch sind (nach allerdings umstrittener Ansicht) für die Anwendung des § 32 S. 1 (§ 34a S. 1 a.F.) die Vor- und Nachteile der betreffenden Klausel im Gesamtzusammenhang – ohne Rücksicht auf den Einzelfall – zu würdigen.152 Die Regelungen zur Versicherungsunfähigkeit wirken sich in der Mehrzahl der Fälle zugunsten des VN aus. Die Sachverhalte, dass der VN aufgrund des Gesundheitszustandes der versicherten Person trotz Prämienzahlung keinen Versicherungsschutz erhält, dürften aufgrund des restriktiven Verständnisses der Begriffe „Geisteskrankheit“ etc. häufiger sein als die Konstellationen, in denen die Leistungsvoraussetzungen gegenüber dem VR gegeben sind, obwohl die versicherte Person „an sich“ unversicherbar ist.
F. Abweichende Vereinbarungen Sofern die VR die Versicherbarkeit von bestimmten versicherten Personen in den AUB 36 grundsätzlich (wirksam) beschränkt haben, kann einem Wunsch der davon Betroffenen nach privatem Versicherungsschutz nur durch ein individuelles Konzept Rechnung getragen werden, das die Besonderheiten des jeweiligen Interessenten berücksichtigt (vgl. auch §§ 6 Abs. 1 und 4, 61 Abs. 1). Bei der Suche nach einem geeigneten VR kann ggf. der GDV unterstützen.153
G. Verfahrensfragen Den Beweis dafür, dass die versicherte Person bei bestehenden Versicherungsverhält- 37 nissen nicht mehr versicherbar ist, hat derjenige zu führen, der daraus Rechte oder Ansprüche herleiten will.154 Strebt also der VN die Beendigung der Versicherung und die Rückzahlung der entrichteten Beiträge an, so muss er die Voraussetzungen der Nichtversicherbarkeit der versicherten Person darlegen und beweisen.155 Dagegen trägt der VR die Beweislast, wenn er sich auf § 3 AUB 88/94, § 5 AUB 61 beruft.156 Die beweisbelastete Partei hat konkretes Tatsachenmaterial vorzutragen. Allein das Vorliegen einer bestimmten Krankheit (z.B. Parkinson) wird im Regelfall nicht ausreichen, und zwar insbesondere dann nicht, wenn sich aus den Krankheitsunterlagen ergibt, dass Erfolge und Besserung der Erkrankung bzw. Behinderung unter entsprechender Therapie erzielt werden können.157
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Prölss/Martin/Prölss 27 § 34a Rn. 1; Römer/Langheid 2 § 34a Rn. 2; jeweils m.w.N.; a.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. C 7. Parlamentarische Staatssekretärin Hendricks auf Anfrage des Abgeordneten Laumann, abgedruckt in VersR 2003 45.
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157
Grimm 4 Ziff. 4 AUB 99 Rn. 8. AG Erkelenz 13.3.1992 ZfS 1993 92. BGH 25.1.1989 VersR 1989 351, 352; LG Stuttgart 17.2.1981 VersR 1981 455; Konen/Lehmann S. 25. LG Hamburg 31.1.1990 RuS 1990 176.
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AUB 2008 Ziff. 5
Unfallversicherung
Ziff. 5 AUB 2008 5. In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Schrifttum Büdenbender Zur Auslegung des Unfallbegriffes in § 2 AUB, VersR 1974 211; Grewing Was sind „Grenzfälle“ in der Unfallversicherung? VW 1950 332; Wagner Bedeutung des AGB-Gesetzes für die Gefahrbeschreibung in den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen, ZVersWiss 1977 119.
Übersicht Rn. A. I. II. III. IV.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . Sinn und Zweck von Ausschlussklauseln Auslegung von Ausschlussklauseln . . Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Ausschlüsse . . . . . 1. Vergleich zwischen den AUB 61 und den AUB 88/94 . . . . . . . . . . . 2. Vergleich zwischen den AUB 88/94 und den AUB 99 . . . . . . . . . .
Rn.
. . 1 . 2 . . 5 . . 6 . . 11
B. Voraussetzungen für den Versicherungsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . C. Hinweispflichten des VR . . . . . . . D. Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . E. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . I. Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . II. Ausschluss nach Treu und Glauben . . F. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . G. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . .
. . 12 . . 16
. . . . . . . .
. . . . . . . .
20 21 22 23 24 27 30 31
A. Einführung 1
Die Vertragsparteien können im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit Ausschlüsse oder eine Begrenzung des Unfallversicherungsschutzes vereinbaren. Von dieser Möglichkeit haben die VR in allen AUB-Generationen im Interesse aller Vertragsbeteiligten mannigfaltig Gebrauch gemacht.1 Die Ausschlüsse in der Unfallversicherung haben deshalb in der Regulierungs- und Gerichtspraxis eine enorme Bedeutung. Immer wieder kommt es zu Auslegungs- und Abgrenzungsfragen sowie zu Wirksamkeitsprüfungen.
I. Sinn und Zweck von Ausschlussklauseln 2
Angesichts des weit gefassten Unfallbegriffs (§ 178) ist der VR gehalten, Risiken vom Versicherungsschutz auszunehmen, die sich aus einer irregulären, erhöhten Gefahrenlage entwickeln oder durch atypische Besonderheiten der versicherten Person (z.B. Anfälligkeit) bedingt sind.2 Dadurch wird nicht nur den berechtigten wirtschaftlichen Interessen des VR, sondern insbesondere sowohl dem Sinn und Zweck der privaten Unfallversicherung als auch den Belangen der überwiegenden Mehrheit der VN Rechnung getragen. Darüber hinaus tragen die Ausschlüsse dazu bei, schwierige Abgrenzungen zwischen unfallbedingten Schäden und Beeinträchtigungen durch krankhafte oder degenerative Körperzustände zu vermeiden. Dadurch können Rechtsunsicherheiten und Beweisschwierigkeiten eingedämmt werden.3 Die Ausschlusstatbestände verfolgen dagegen nicht das Ziel, sozialschädigendes Verhalten der versicherten Person zu sanktionieren. Ein Strafcharakter ist der privaten Unfallversicherung fremd.4 1
Zur Entwicklung des Versicherungsschutzes bzw. Deckungsumfangs der Unfallversicherung s. etwa Grewing Unfallversicherung S. 42 ff.
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 131. Kloth Rn. K 4. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 4.
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Ausschluss des Versicherungsschutzes
AUB 2008 Ziff. 5
Der VR beabsichtigt grundsätzlich, im Rahmen der allgemeinen Unfallversicherung 3 nur die (teilweise) wirtschaftliche Absicherung für „normale Unfallgefahren“ im alltäglichen Leben eines „Durchschnittsbürgers“ zu übernehmen. Er will Gefahrumstände von der Gefahrtragung ausnehmen, die – unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebensgewohnheiten der Allgemeinheit sowie der zeitgemäßen medizinischen und therapeutischen Erkenntnisse 5 – nach den individuellen Verhältnissen kleiner Minderheiten oder Einzelner eine Erhöhung der äußeren Gefahrenlage bewirken.6 Die Gefahrtragung soll vielmehr auf solche Unfälle beschränkt werden, die ein durchschnittlich (physisch und psychisch) gesunder VN erleidet, dessen Möglichkeit, eine Unfallgefahr zu erkennen und ihr auszuweichen, nicht in erheblichem Maße eingeschränkt ist. Ein Instrument zur Begrenzung der Gefahrtragung sind Ausschlussklauseln, die z.B. atypische, d.h. durch die Besonderheiten der körperlichen und gesundheitlichen Konstitution des VN bedingte Folgen eines Unfallereignisses vom Versicherungsschutz ausschließen.7 Die Interessen des VR und der überwiegenden Mehrheit der versicherten Person an 4 sinnvollen Ausschlussregelungen gehen den Interessen Einzelner vor, auch in Ausnahmesituation Versicherungsschutz verlangen zu können: Durch den Ausschluss bestimmter Umstände, Gefahren oder Schäden, die an sich die Voraussetzungen des Unfallbegriffs oder gleichgestellter Ereignisse erfüllen, kann einerseits dem Interesse an Beitragsgerechtigkeit und an einem angemessenen Risikoausgleich Rechnung getragen werden, indem eine möglichst große Menge homogener Einzelwagnisse zusammengefasst wird. Andererseits kann der VR unberechenbare und unabsehbare Risiken ausklammern, die eine wirtschaftlich sinnvolle Prämienkalkulation stark erschweren oder gar unmöglich machen und dadurch dem (berechtigten) Ziel entgegenstehen, für möglichst viele Kunden Versicherungsschutz zu akzeptablen (möglichst geringen) Prämien anzubieten.8 Darüber hinausgehend können die Ausschlüsse dazu beitragen, die Gleichbehandlung der versicherten Person und die Erfüllbarkeit der Verträge zu gewährleisten.9 Letzteres kann relevant werden bei Unfällen, die – durch einen Anlass ausgelöst – eine unbegrenzte Zahl von Menschen treffen können oder durch technische Neuerungen hervorgerufen werden, deren Entwicklung und Auswirkungen unüberschaubar sind.10
II. Auslegung von Ausschlussklauseln Die Ausschlussklauseln in den AUB sind – genauso wie haftungsausschließende Aus- 5 nahmetatbestände oder den Versicherungsschutz einschränkende Obliegenheitsregelungen 11 – nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich eng auszulegen.12 Sie sind nicht weiter auszudehnen, als es ihr Sinn unter Berücksichtigung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert;13 denn der durchschnittliche VN braucht
5 6 7 8
9
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 3. OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960. OLG Hamm 7.10.1983 VersR 1984 755, 756. BGH 17.9.1975 BGHZ 65 142, 144 = VersR 1975 1093, 1094 = NJW 1976 106, 107 (zur Krankenhaustagegeldversicherung); Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 38. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 2; kritisch Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 2.
10 11 12
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Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 4. BGH 13.7.1993 VersR 1993 1092, 1094. BGH 21.9.1983 BGHZ 88 228, 231 mit Anm. von Forstner (VersR 1984 750); Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 2. S. nur BGH 25.9.2002 VersR 2002 1503, 1504; BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1091; BGH 11.3.1998 VersR 1998 617, 618; BGH 23.11.1994 VersR 1995 162 f.;
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AUB 2008 Ziff. 5
Unfallversicherung
nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht.14 Ausschlüsse sind Ausnahmen von der Regel.15 Im Übrigen gelten die allgemeinen Regeln zur Auslegung von AVB (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57 ff.). Insbesondere ist es nicht gerechtfertigt, in Abweichung von der Auslegung anderer Klauseln die Entstehungsgeschichte eines Ausschlusses mit zu berücksichtigen, selbst wenn die Beachtung der Überlegungen der Bedingungsgeber zu einem für den VN günstigeren Ergebnis führen könnten (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 63 und 76 ff.). Eine gesetzesmäßige Auslegung findet nicht statt.16 Vielmehr sind allein die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen VN („Versicherungslaien“) maßgebend. Die Wirkung einer – insbesondere nach AGB-Recht – wirksam vereinbarten Ausschlussklausel kann dagegen nicht unter Rückgriff auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) mit der Begründung relativiert werden, die Versagung des Versicherungsschutzes treffe den VN besonders hart. Mit Billigkeitserwägungen kann nicht im Widerspruch zu den vertraglichen Vereinbarungen eine Leistungspflicht des VR begründet werden. Lediglich in Ausnahmefällen kommt es in Betracht, eine Ausschlussklausel gegenüber ihrem Wortlaut einzuschränken. Dies ist dann indes nicht über § 242 BGB, sondern über eine entsprechende Auslegung nach § 157 BGB zu bewirken.17
III. Abgrenzungen 6
Mit einem Versicherungs- bzw. Risikoausschluss (sog. sekundäre Risikobegrenzung) nimmt der VR bestimmte, von der allgemeinen Risikobeschreibung erfasste Fälle vom Deckungsschutz aus.18 Abzugrenzen von Ausschlüssen sind im Übrigen sog. Grenzfälle, (verhüllte) Obliegenheiten und die Gefahrerhöhung. Mit der allgemeinen Risikobeschreibung regelt der VR die Voraussetzungen, die in 7 jedem Fall erfüllt sein und der Anspruchsteller beweisen muss, um einen Anspruch auf Versicherungsschutz zu begründen.19 Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, stellt sich bei genauer Prüfung die Frage, ob das „Versicherungsversprechen“ des VR durch einen – vom VR zu beweisenden – Ausschlusstatbestand wieder eingeschränkt wird. Nichts anderes als bei der Risikobeschreibung gilt bei sauberer Begriffsbildung, wenn – 8 wie z.B. in den AUB 61 – von Grenzfällen gesprochen wird:20 • Zu den sog. negativen Grenzfällen gehören jene Fälle, die die Merkmale des Unfallbegriffs nicht oder nicht ganz erfüllen, aber oft infolge Unkenntnis des Unfallbegriffs oder infolge eines unge-
14
BGH 29.6.1994 VersR 1994 1058, 1059; BGH 30.11.1977 BGHZ 70 158, 163; BGH 17.9.1975 BGHZ 65 142, 145 = VersR 1975 1093, 1094 = NJW 1976 106, 107; BGH 15.2.1962 VersR 1962 341, 342 = NJW 1962 914; BGH 21.2.1951 VersR 1951 79 f.; OLG Hamm 14.5.2008 VersR 2009 349; OLG Karlsruhe 3.12.1992 VersR 1993 1221, 1222; OLG Köln 21.11.2006 VersR 2007 683, 684; OLG Schleswig 11.12.2003 RuS 2005 119; OLG Stuttgart 5.6.2008 VersR 2008 1343; ferner u.a. OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298, 300; krit. Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 136. BGH 17.3.1999 VersR 1999 748, 749;
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OLG Karlsruhe 6.9.2007 VersR 2008 344 = RuS 2007 502, 503 = RuS 2008 64, 65; OLG Saarbrücken 21.1.2009 VersR 2009 1109, 1110 = NJW-RR 2009 903, 904. So bereits KG 20.12.1907 VA 1908 54, 55 f. Nr. 385 BGH 17.3.1999 VersR 1999 748, 749. BGH 17.9.1975 BGHZ 65 142, 146; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 4. BGH 9.12.1987 VersR 1988 267, 269; BGH 17.9.1975 BGHZ 65 142, 144 = VersR 1975 1093, 1094 = NJW 1976 106, 107. BGH 9.12.1987 VersR 1988 267, 269. Dazu Grewing VW 1950 332 f.
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Ausschluss des Versicherungsschutzes
AUB 2008 Ziff. 5
nauen Sprachgebrauchs als Unfälle (oder diesen bedingungsgemäß gleichgestellten Ereignissen) gewertet werden. • Positive Grenzfälle erfassen Tatbestande, die keine Erweiterung des Unfallbegriffs bedeuten, also zwar alle Merkmale des Unfallbegriffs aufweisen, jedoch bei der Subsumtion Zweifel begründen können.
Nicht selten enthalten indes als Grenzfälle bezeichnete Tatbestände nicht nur Klarstellungen zum Unfallbegriff, sondern materiell-rechtlich auch Ausschlusstatbestände. Dies ist u.a. wegen der unterschiedlichen Beweislastverteilung relevant (Rn. 32). Seit Einführung der AUB 88 verzichten die Musterbedingungen auf die Regelung sog. Grenzfälle. Die Ausschlüsse sind von Obliegenheiten abzugrenzen. Die Abgrenzung ist erforder- 9 lich, weil zum einen die für Obliegenheiten geltenden Vorschriften (§§ 28, 32; s.a. §§ 6, 15a a.F.), die zugunsten des VN zwingend sind, z.T. weitergehende Voraussetzungen (Verschulden des VN, Kausalität der Obliegenheitsverletzung, Belehrungspflicht des VR) aufstellen als die Ausschlusstatbestände.21 Während die Risikobeschränkung von vornherein bestimmte Gefahrumstände von der versicherten Gefahr ausnimmt, ohne dass es dabei auf ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten des VN (der versicherten Person) ankommt, führt nur die schuldhafte und die sich nachteilig für den VR auswirkende Verletzung der dem VN auferlegten Handlung oder Unterlassung zu einer Leistungsfreiheit des VR bzw. einer Leistungskürzung.22 Zum anderen erlangt die Unterscheidung zwischen Risikoausschlüssen und Obliegenheit praktische Bedeutung im Rahmen der Beweislastverteilung:23 Für das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsmerkmale von Risikoausschlüssen trägt der VR die Beweislast (Rn. 32). Dagegen findet bei Obliegenheitsverletzungen eine Beweislastumkehr für das Vorliegen der Kausalität und der groben Fahrlässigkeit statt (vgl. § 28 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 und Abs. 3 S. 1). Bei der Gestaltung von AVB kann es zu Umgehungen der für den VN geltenden Schutzbestimmungen kommen, indem eine Risikobeschränkung, die ihrem materiellen Gehalt nach eine Obliegenheitsverletzung darstellt, in die Form einer Gefahrumstandsausschlussklausel, einer auflösenden Bedingung oder einer Bestimmung über den Versicherungsort gekleidet wird (sog. verhüllte Obliegenheiten).24 Fast immer stehen diese alternativen Vorgehensweisen bei der Regelung eines versicherungsrechtlich bedeutsamen Tatbestandes offen.25 • Für die bedeutsame Unterscheidung zwischen Risikobegrenzung und Obliegenheit ist weder der (reine) Wortlaut noch die systematische Regelung der jeweiligen Versicherungsklausel, sondern allein ihr materieller Inhalt aus Sicht eines verständigen Lesers (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57) maßgebend.26 Nur so kann vermieden werden, dass einseitig die Interessen des VR bevorzugt und die des VN vernachlässigt werden. Anderenfalls könnte der Zufall oder die „Gestaltungskunst“ des die AVB verfassenden VR das Auslegungsergebnis beeinflussen.27 • Voraussetzung für die Annahme einer Obliegenheit ist, dass die Erhaltung des Versicherungsschutzes von einem bestimmten Verhalten – einem Tun oder Unterlassen – des VN abhängig gemacht wird 28 bzw. an ein (vorbeugendes) Verhalten des VN oder Umstände anknüpft, deren
21
22 23 24
BGH 26.4.1972 VersR 1972 575; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow § 13 Rn. 13. BGH 7.11.1966 VersR 1967 27, 28; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 4. Looschelders VersR 2008 1, 4 f. Eingehend etwa Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 17 ff.; Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 7 ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 12 und G 133 f.
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BGH 13.12.1978 VersR 1979 343, 344; BGH 26.4.1972 VersR 1972 575 f. So u.a. bereits BGH 24.11.1972 VersR 1973 176. BGH 26.4.1972 VersR 1972 575 f. BGH 18.12.1980 VersR 1981 186, 187; OLG Saarbrücken 19.7.2006 RuS 2007 26, 27.
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AUB 2008 Ziff. 5
Unfallversicherung
Eintritt (Ausbleiben) typischerweise in der Hand des VN liegt.29 Maßgebend ist, dass das Handeln des VN im Vordergrund steht und sein Verhalten nicht hinter objektiven Voraussetzungen (wie z.B. dem Versicherungsort) zurücktritt.30 Anders als Regelungen zu Obliegenheiten bezwecken die Ausschlusstatbestände dagegen nicht, vorrangig bestimmte Verhaltensweisen des VN bzw. der versicherten Person einzufordern. Sie dienen vielmehr der Ausgrenzung von besonders gefahrerheblichen Umständen aus dem Versicherungsschutz, die unabhängig von einer bestimmten Verhaltenspflicht des VN sind (Rn. 2). Es wird von vornherein nur ausschnittsweise Deckung vorgesehen und nicht ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens wieder entzogen. Eine als Risikobeschränkung gefasste Bestimmung kann eine verhüllte Obliegenheit enthalten, wenn sie der Sache nach eine Verhaltensregel aufstellt. Die entscheidende Kontrollfrage lautet mithin, ob die Klausel die Begrenzung des Versicherungsschutzes für ein bestimmtes Wagnis enthält bzw. von einem unbefangenem Betrachter so verstanden werden muss, dass mit ihr die objektiven vom Willen der versicherten Person unabhängigen Voraussetzungen des Versicherungsschutzes umschrieben werden sollen (dann Ausschluss) oder ob die Klausel in erster Linie darauf abzielt, ein bestimmtes vorbeugendes Verhalten des VN (bzw. der versicherten Person) zu fordern, von dessen Erfüllung es wiederum abhängt, ob er seinen Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert (dann Obliegenheit).31 Die Bewertung bereitet in der Praxis häufig erhebliche Schwierigkeiten.32 Zwar wird eine Verhaltensregel allgemein als wesentliches Indiz für eine Obliegenheit angesehen. Jedoch spricht nicht jedes Verhalten schon zwingend für eine Obliegenheit. Es ist deshalb weiter zu prüfen, ob es sich um eine Klausel handelt, die relativ nah an ein bestimmtes Handeln anknüpft oder nur indirekt zu einem Verhalten zwingt.33 In der Unfallversicherung hat die Thematik „verhüllte Obliegenheiten“ keine größere Bedeutung erlangt. Kontrovers diskutiert wurde etwa die Frage, ob § 8 Abs. 7 Nr. 2 AUB 61 (unverzügliche Geltendmachung der Übergangsentschädigung unter Vorlage eines ärztlichen Attestes) eine Anspruchsvoraussetzung oder Obliegenheit enthielt (Ziff. 2.2 AUB 2008 Rn. 5). • Verhüllte Obliegenheiten in AVB benachteiligen den VN unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil sie keinen Hinweis auf die gesetzlich für die Leistungsfreiheit (bzw. Leistungskürzung) des VR normierten Voraussetzungen enthalten.34
10
Die Ausschlusstatbestände in den AUB unterliegen nach allgemeiner Ansicht nicht den Regelungen zur Gefahrerhöhung nach §§ 181, 23 ff. (§§ 23 bis 27 a.F.).35
IV. Entwicklung der Ausschlüsse 11
Im Laufe der Zeit sind immer mehr Risiken in den Unfallversicherungsschutz eingeschlossen worden. So wurden z.B. die Ausschlüsse für Unfälle infolge eigener grober Fahrlässigkeit oder durch Erdbeben oder Unfälle beim Baden oder Schwimmen mit Todesfolge gestrichen.36 Auch seit Einführung der AUB 61 ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Während in den AUB 61 die Begrenzung des versicherten Risikos noch durch Bestimmungen über die „negativen Grenzfälle“ (§ 2 Nr. 3 AUB 61), Klarstellungen 29 30 31
Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 5. BGH 21.5.1986 RuS 1986 221 (LS); BGH 12.6.1985 VersR 1985 979, 980. Std. Rspr.: BGH 16.6.2004 VersR 2004 1132, 1133 = NJW-RR 2004 1259, 1261; BGH 24.5.2000 VersR 2000 969; BGH 14.12.1994 VersR 1995, 328, 329; BGH 9.12.1987 VersR 1988 267, 269; BGH 3.7.1985 RuS 1985 282, 283; BGH 16.3.1983 VersR 1983 573, 574; BGH 13.12.1978 VersR 1979 343, 344;
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32 33 34 35
36
ferner u.a. KG 30.1.2007 VersR 2008 69, 70; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 3; auch OGH 8.3.2007 VersR 2008 563, 564. S. etwa Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 4 ff. BGH 26.4.1972 VersR 1972 575, 576. LG Hamburg 15.12.1989 RuS 1990 37 (LS). Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 3; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 38; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 135. VA 1920 92, 93 f.
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Ausschluss des Versicherungsschutzes
AUB 2008 Ziff. 5
bzw. Regelungen über nicht gedeckte Sondergefahren (§ 4 Nr. 3 und 4 AUB 61) sowie durch Ausschlüsse (§ 3 AUB 61) und Partialausschlüsse (§ 10 Nr. 2, 3 und 5 AUB 61) an unterschiedlichen Stellen des Bedingungswerkes beschrieben waren, sind seit der Schaffung der AUB 88 alle deckungsbegrenzenden und -ausschließenden Tatbestände der AUB 61, sofern sie übernommen worden sind, in einer Regelung, nämlich den Ausschlusstatbeständen in § 2 AUB 88/94 zusammengefasst. Dadurch sollte nicht nur eine bessere Lesbarkeit erreicht,37 sondern auch der Umfang des Versicherungsschutzes deutlicher gemacht und dem Vorwurf der Verwendung „versteckter Klauseln“ 38 vorgebeugt werden.39 Weiterhin wird durch die Neuordnung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 VAG Rechnung getragen, der anordnet, dass AVB vollständige Angaben u.a. über die Fälle enthalten müssen, in denen aus besonderen Gründen die Leistungspflicht ausgeschlossen sein soll.40 Auch in den AUB 99/2008 bleiben die Ausschlüsse weiterhin zusammenhängend in Ziff. 5 AUB 99/2008 geregelt. Im Vergleich zu § 2 AUB 88/94 ist Ziff. 5 AUB 99 nach erneuter Überprüfung der jeweiligen Ausschlüsse auf ihre Notwendigkeit, Relevanz und Praktikabilität inhaltlich weitgehend unverändert geblieben. Streichungen wurden nicht vorgenommen, um eine Erhöhung des Schadenaufwandes zu vermeiden.41 Die VVGReform 2008 machte keine inhaltliche Anpassung der AUB 99 notwendig. Ziff. 5 AUB 99/2008 stimmen – mit Ausnahme einer kleinen Abweichung in Ziff. 5.2.5 AUB 2008 – wörtlich überein. 1. Vergleich zwischen den AUB 61 und den AUB 88/94 Die AUB 61 enthielten noch Aussagen über Berufs- und Gewerbekrankheiten, Ge- 12 sundheitsschädigungen durch Licht-, Temperatur- und Witterungseinflüsse sowie über den Deckungsausschluss von Krampfadern und Unterschenkelgeschwüren. In den nachfolgenden AUB-Generationen konnte auf entsprechende Regelungen verzichtet werden. In der aktuellen Rechtsprechung spielen die Tatbestände keine nennenswerte Rolle (mehr). § 2 Nr. 3a AUB 61 sah vor, dass Berufs- und Gewerbekrankheiten nicht unter den 13 Versicherungsschutz fallen.42 Die Vorschrift lautete: „Dagegen fallen nicht unter den Versicherungsschutz: a) Berufs- und Gewerbekrankheiten;“ 43
Die Rechtsnatur des § 2 Nr. 3a AUB 61 lässt sich nicht einheitlich bewerten.44 Im Regelfall stellt sie lediglich eine negative Klarstellung dar. Zum einen fehlt den meisten Berufs- und Gewerbekrankheiten bereits das im Unfallbegriff vorausgesetzte (zeitliche) Merkmal der Plötzlichkeit (§ 178 Abs. 2 S. 1), da sie typischerweise allmählich und infolge einer auf Dauer angelegten Tätigkeit entstehen.45 Zum anderen können Berufsund Gewerbekrankheiten schon begrifflich nur schwer als Folge eines Unfallereignisses angesehen werden. Krankheiten sind keine Unfälle; für sie hat der Unfall-VR nicht einzu37 38
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Grimm VW 1988 132. Näher hierzu Wagner ZVersWiss 1977 119, 132 ff., der die Regelungen des § 10 AUB, soweit sie echte Ausschlüsse enthalten und nicht nur deklaratorisch sind, als überraschende Klauseln ansieht (S. 135). Konen/Lehmann S. 12 f. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 1. Stockmeier/Huppenbauer S. 39.
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Zur Entwicklung der Klausel Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 207. VerBAV 1984 10. Eingehend Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 208 ff. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 96; Henke S. 42; Jannot S. 99 f.; Wüstney § 2 Anm. 13.
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AUB 2008 Ziff. 5
Unfallversicherung
stehen.46 Nur ausnahmsweise treten Berufskrankheiten plötzlich auf. In diesen Fällen ist § 2 Nr. 3a AUB 61 als Risikoausschlussklausel anzusehen.47 • Die Klarstellung in § 2 Nr. 3a AUB 61 diente vornehmlich der Abgrenzung zum Deckungsumfang der gesetzlichen Unfallversicherung, in der eine Berufskrankheit als Arbeitsunfall galt (vgl. § 551 RVO, der inzwischen allerdings von den 1997 in Kraft getretenen § 9 SGB VII und die Berufskrankheitenverordnung – BKVO – vom 31.10.1997 48 abgelöst worden ist).49 Den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften ist der Bedeutungsinhalt für die in den AUB verwendeten Begriffe „Berufs- und Gewerbekrankheit“ zu entnehmen.50 • § 2 Nr. 3a AUB 61 erfasst nur Berufs- und Gewerbekrankheiten – nicht Allgemeinerkrankungen – unabhängig von ihrer Entstehungsursache. Für Unfälle, die Folge einer Berufs- oder Gewerbekrankheit sind, besteht dagegen Versicherungsschutz. Ist z.B. ein Arbeiter infolge seiner Berufstätigkeit schwerhörig oder taub geworden und erleidet er aufgrund dieses Leidens einen Unfall, so greift § 3 Nr. 3a AUB 61 nicht ein.51
In der Rechtspraxis zur privaten Unfallversicherung lief und läuft § 2 Nr. 3a AUB 61 weitgehend leer.52 Aufgrund ihres – jedenfalls überwiegend – lediglich klarstellenden Charakters hat die Klausel keinen eigenständigen Regelungsgehalt. Hinzu kommt, dass der BGH zwischen § 2 Nr. 3a AUB 61 und dem Wiedereinschluss in § 2 Nr. 3 S. 2 AUB 61 einen unauflösbaren Widerspruch sieht. Der BGH meint, dass der zweite Absatz der Regelung (§ 2 Nr. 3 S. 2 AUB 61) nach dem Verständnis eines durchschnittlichen VN nicht nur die Ausschlüsse in § 2 Nr. 3c AUB 61 (Vergiftungen usw.), sondern alle in § 2 Nr. 3 AUB 61 genannten Tatbestände (und damit u.a. auch die Regelung zu Berufs- und Gewerbekrankheiten) erfasse.53 Da § 2 Nr. 3a AUB 61 folglich verzichtbar erschien,54 wurde die Klausel nicht mehr in die nachfolgenden AUB-Generationen aufgenommen. Mit dieser Entscheidung wurde vermutlich auch dem Umstand Rechnung getragen, dass gegen die Klausel AGB-rechtliche Bedenken im Hinblick auf die Unklarheitenregel bestanden. Es wurde die Auffassung vertreten, dass der Begriff „Berufs- und Gewerbekrankheiten“ weder im ärztlichen noch im allgemeinen Sprachgebrauch einen fest umrissenen Inhalt darstelle.55 Licht- Temperatur- und Witterungseinflüsse wurden letztmalig in § 2 Nr. 3c AUB 61 14 angesprochen:56 „Dagegen fallen nicht unter den Versicherungsschutz: … c) … Gesundheitsschädigungen durch Licht-, Temperatur- und Witterungseinflüsse. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn es sich um Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses handelt. Die Entstehungsursache der Infektionskrankheiten selbst gilt nicht als Unfallereignis.“57
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Konen/Lehmann S. 13. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 211; i.E. auch LG Freiburg i.Br. 30.1.1985 VersR 1986 782. http://bundesrecht.juris.de/bkv/ BJNR262300997.html. Grewing Unfallversicherung S. 44; Konen/ Lehmann S. 13. Näher Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 210 ff.; ferner Wussow/Pürckhauer 5 § 2 Anm. 18; abweichend Büdenbender VersR 1974 211, 212 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 214; zust. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 96.
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 10; Überblick zur älteren Rechtsprechung bei Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 213. BGH 13.7.1988 VersR 1988 951, 952; a.A. LG Freiburg i.Br. 30.1.1985 VersR 1986 782 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 209. Konen/Lehmann S. 13. Wagner ZVersWiss 1977 119, 137 f. S. u.a. bereits VA 1920 92, 93; zur Entwicklung der Regelung Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 243. VerBAV 1984 10.
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Ausschluss des Versicherungsschutzes
AUB 2008 Ziff. 5
Ausgeschlossen werden sollen mit der Klausel allgemeine natürliche (auch klimatische) Umwelteinflüsse, die von außen auf den Körper der versicherten Person wirken.58 Ziel ist es, sonst „unübersehbare Risiken“ vom Versicherungsschutz auszugrenzen.59 Insbesondere sollen die Fälle erfasst werden, bei denen sich die versicherte Person bewusst und gewollt einem allmählich wirkenden Temperatureinfluss aussetzt.60 Hier fehlt es typischerweise bereits an der im Unfallbegriff vorausgesetzten Plötzlichkeit, so dass § 2 Nr. 3c AUB häufig die Bedeutung einer bloßen Klarstellung zukommt. Eigenständigen Gehalt bekommt die Klausel in diesen Fällen erst dann, wenn die Plötzlichkeit nicht nur objektiv zeitlich, sondern (auch) subjektiv bestimmt wird (§ 178 Rn. 85 ff.). Der Ausschluss greift aber auch dann ein, wenn es kurzfristig (z.B. beim Baden, vgl. Anh. § 178 Rn. 63 und 66) zu „Temperaturschocks“ o.ä. kommt.61 Insofern hat die Klausel Ausschlusscharakter. • Nicht ausgeschlossen sind Verbrennungen und Verbrühungen. Dieses Ergebnis kann aus der Entwicklung des Ausschlusses abgeleitet werden.62 Jedoch handelt es sich bei dem Hinweis auf die Geschichte der Klausel um ein schwaches Argument, da die historische Auslegung bei AVBBestimmungen keine Relevanz erlangt (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Entscheidend ist deshalb, dass der allgemeine Lebenssprachgebrauch Verbrennungen nicht ohne weiteres mit Temperatureinflüssen gleichsetzt.63 Entsprechendes gilt für Verletzungen durch Hagel- oder Blitzschlag. Auch für sie besteht Versicherungsschutz.64 • Die Auslegung ergibt, dass zwischen den Licht-, Temperatur- und Witterungseinflüssen einerseits und der Gesundheitsschädigung andererseits ein unmittelbarer (haftungsbegründender) Kausalzusammenhang zu fordern ist.65 Der Einfluss muss die Schädigung als zeitlich letzter hervorgerufen haben: Licht,- Temperatur-, Witterungseinfluss → Gesundheitsschädigung ➔ Kein Versicherungsschutz. Solche „unmittelbaren Schäden“ kommen in Betracht bei Augen- und Sehschäden (z.B. Schneeblindheit), Sonnenbrand oder Sonnenstich, Erkältungskrankheiten, Kreislaufversagen infolge hoher Luftfeuchtigkeit oder Hitze u.ä., Hitz- oder Herzschlag nach einem Wetterwechsel, Temperatursturz usw.66 Führen solche Schädigungen zur Invalidität oder zum Tod der versicherten Person, so ist der VR nicht leistungspflichtig.67 Für „mittelbare Schäden“ besteht dagegen Versicherungsschutz. Hier greift (jedenfalls) der Wiedereinschluss in § 2 Nr. 3 S. 2 AUB 61 ein. Dies trifft auf die Fälle haftungsbegründender Kausalität zu, in denen die versicherte Person Licht-, Temperatur- und Witterungsverhältnissen infolge eines Unfalls ausgesetzt war.68 Das Unfallereignis kann dabei z.B. ein Zusammenstoß der versicherten Person mit anderen Personen oder Gegenständen sein. Unter den Versicherungsschutz fallen aber auch schädigende Ereignisse, die die versicherte Person deshalb erleidet, weil ihre Fähigkeit, einer Gefahr zu begegnen, infolge eines der in § 2 Nr. 3c genannten Einflüsse dauernd oder vorübergehend beeinträchtigt ist bzw. sie sich den schädlichen Einflüssen nicht entziehen konnte,69 weil sie hilflos (z.B. durch Kälteeinwirkung geschwächt bzw. steif oder erstarrt) war.70 Solche Ereignisse stehen wertungsmäßig einem „klassischen“ Unfallereignis gleich (§ 178 Rn. 55 ff.): Unfallereignis → Licht-, Temperatur-, Witterungseinfluss → Gesundheitsschädigung ➔ Versicherungsschutz. Des Weiteren betrifft § 2
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Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 97. So beiläufig BGH 15.2.1962 VersR 1962 341, 342 = NJW 1962 914. OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 98; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 245. So Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 98; a.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 245. Henke S. 49. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 97; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 Rn. 14.
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Henke S. 49; eingehend Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 244 f. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 97. Henke S. 49; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 Rn. 14. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 244. OLG Karlsruhe 17.3.1994 VersR 1995 36, 38; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 246. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 97; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 Rn. 14.
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AUB 2008 Ziff. 5
Unfallversicherung
Nr. 3c AUB 61 nicht die Fälle, in denen Licht-, Temperatur- oder Witterungseinflüsse mittelbare Unfallursache sind. Dies gilt etwa, wenn die versicherte Person infolge einer Sonnenblendung) nicht rechtzeitig auf eine Gefahrensituation reagieren konnte:71 Licht,- Temperatur-, Witterungseinfluss → Unfallereignis → Gesundheitsschädigung ➔ Versicherungsschutz.
Auf den (klarstellenden) Ausschluss wird in den neueren AUB (ab AUB 88) verzichtet, da er für entbehrlich gehalten wurde.72 Die materielle Rechtslage verändert sich dadurch nicht. Maßgebend für den Versicherungsschutz ist weiterhin, ob die Voraussetzungen des Unfallbegriffs (§ 178 Abs. 2 S. 1) erfüllt sind. So besteht – wie auch unter Geltung der AUB 61 – Versicherungsschutz, wenn Licht-, Temperatur- oder Witterungseinflüsse plötzlich von außen auf den Körper des Versicherten einwirken. Dies trifft etwa auf Blendung, Verbrennung, Blitz- oder Hagelschlag zu. Oftmals fehlt es bei Licht- Temperatur- oder Witterungseinflüssen indes an der Plötzlichkeit 15 Regelungen zu Krampfadern und Unterschenkelgeschwüre finden sich letztmalig in § 3 Nr. 5 AUB 61: „Ausgeschlossen von der Versicherung sind: … (5) Krampfadern und Unterschenkelgeschwüre, die durch einen Unfall herbeigeführt oder verschlimmert worden sind.“73
Die Klausel ist nach ihrem Sinn und Zweck nicht zu beanstanden: Obwohl in den erfassten Sachverhalten ein an sich entschädigungspflichtiger Unfall gegeben ist, soll die Leistungspflicht des VR ausgeschlossen werden, da es oft schwer in gesicherter Weise nachweisbar ist, ob und in welchem Umfang der Unfall für die Krampfadern oder das Unterschenkelgeschwür ursächlich war.74 Häufig beruhen sowohl Krampfadern als auch Unterschenkelgeschwüre lediglich auf einer angeborenen Bindegewebsschwäche,75 also auf einer rein oder überwiegend inneren, organischen Ursache und nicht auf einem von außen wirkendes Ereignis, das in der Unfalldefinition (§ 179 Abs. 2 S. 1) vorausgesetzt wird. • Krampfadern sind knotige Erweiterungen der Venen. Sie kommen nicht nur im Bereich der Beine oder Unterschenkel vor. Allerdings führt die gemeinsame Verwendung der Begriffe „Krampfadern“ und „Unterschenkelgeschwüre“ in einem Ausschlusstatbestand zu der Auslegung, dass Krampfadern als Folgen eines Unfallereignisses nur insoweit ausgeschlossen sind, als sie im Bereich des Unterschenkels auftreten.76 Hat die versicherte Person Krampfadern, so müssen Thrombosen nicht zwingend vom Ausschluss betroffen sein. Die Gerinnselbildung kann nicht als Verschlimmerung von Krampfadern gewertet werden, weil die Ausbildung einer Thrombose grundsätzlich nicht an das Vorhandensein von Krampfadern gebunden ist. Krampfadern können aber im Einzelfall bei der Abheilung von Thrombosen als Mitwirkungsfaktor gemäß § 10 Nr. 1 AUB 61 zu berücksichtigen sein.77 • Der Begriff „Unterschenkelgeschwür“ hat im allgemeinen Sprachgebrauch keine klare, fest umrissene Bedeutung. Offenbar haben die AUB den Begriff aus der Fachwissenschaft übernommen, so dass er entsprechend auszulegen ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 69). Die Medizin definiert ein Geschwür (Ulcus) als einen aus einer örtlichen Ursache oder aus einer Allgemeinerkrankung
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Henke S. 49; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 245; a.A. Wüstney § 2 Anm. 15. Konen/Lehmann S. 13. VerBAV 1984 10, 11. OLG Karlsruhe 3.12.1992 VersR 1993 1221, 1222; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 94 Rn. 5; Reichenbach S. 97; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 265 und 266.
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Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 83. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 265. Perret S. 10; Reichenbach S. 97; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 83; s.a. Gaidzik S. 125 ff.
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Ausschluss des Versicherungsschutzes
AUB 2008 Ziff. 5
resultierenden Substanzverlust der Haut (mindestens bis auf die Lederhaut) oder der Schleimhaut (in ganzer Tiefe), der im Allgemeinen nach Demarkation und Abstoßung des bestehenden nekrotischen Gewebes narbenbildend abheilt.78 Unter Geschwürbildung am Unterschenkel wird in der medizinischen Fachsprache ein allermeist schmierig belegter Haut-Unterhautdefekt verstanden, der keine oder nur eine schlechte Heilungstendenz zeigt. Es liegt ein Substanzverlust infolge einer örtlichen venösen oder arteriellen Zirkulationsstörung bei arterieller Verschlusskrankheit vor.79 Der Defekt ist nicht an das Vorhandensein von Krampfadern gebunden. Geschwürbildungen können ihre Ursache auch in anderen Durchblutungsstörungen (Gefäßerkrankungen arterieller und venöser Genese, Mykosen, Tuberkulose, spezifische Infektionen) haben.80 Die Geschwürbildung ist gutachterlich von der verzögerten Wundheilung abzugrenzen, für die Versicherungsschutz gegeben ist.81 • Beruht die Unfallfolge (Invalidität oder Tod) ausschließlich auf Krampfadern oder Unterschenkelgeschwüren, besteht keine Leistungspflicht des VR. Unerheblich ist dabei, ob der Unfall zunächst zu anderen Gesundheitsschäden führte und die für die Unfallfolge allein kausalen Krampfadern oder Unterschenkelgeschwüre erst im späteren Verlauf auftraten:82 Unfallereignis → (Gesundheitsschädigung) → Krampfadern/Unterschenkelgeschwüre → Unfallfolge ➔ Kein Versicherungsschutz. Haben dagegen die Krampfadern oder Geschwüre den Unfall herbeigeführt, so besteht Versicherungsschutz:83 Krampfadern/Unterschenkelgeschwüre → Unfall → Unfallfolge ➔ Versicherungsschutz. Bei teilweiser Ursächlichkeit der Krampfadern oder Unterschenkelgeschwüre für die Unfallfolgen greift § 10 Nr. 1 AUB 61 ein.84
Der Ausschluss des § 3 Nr. 5 AUB 61 ist mit den AUB 88 entfallen. Möglich bleibt aber auch auf Grundlage der neueren AUB eine Leistungskürzung wegen Mitwirkung einer Krankheit (z.B. Stoffwechsel-, Gefäßkrankheiten, Durchblutungs- und Blutumlaufstörungen).85 2. Vergleich zwischen den AUB 88/94 und den AUB 99/2008 Im Gegensatz zu den Ausschlusstatbeständen in den AUB 88/94, die noch direkt im 16 Anschluss an den in § 1 AUB 88/94 umschriebenen Versicherungsfall folgten, soll in den AUB 99/2008 der Kunde zunächst über die Versicherungsmöglichkeiten (neben den Voraussetzungen für den Versicherungsfall auch über die möglichen Leistungsarten) und erst anschließend über die Versicherungsausschlüsse und sonstige Leistungseinschränkungen informiert werden.86 Die Bedeutung des Ausschlusstatbestandes verdeutlicht der Hinweis in Ziff. 1.5 AUB 99/2008 auf Ziff. 5 AUB 99/2008 dem Kunden bereits zu Anfang des Bedingungswerkes (Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 59). § 2 AUB 88/94 gliederte sich noch in 4 Komplexe, nämlich in: 17 • „echte“ Ausschlüsse, sog. Gefahrumstandsklauseln oder Risikoausschlussklauseln (§ 2 Abs. 1 AUB 88/94): Sie schließen i.S. einer sekundären Risikobegrenzung Unfälle aus, die durch bestimmte Gefahren verursacht wurden. Als solche definierten § 2 AUB 88/94 Geistes- und Bewusstseinsstörungen, Straftaten, Kriegsereignisse, Luftfahrt, Motorsport und Kernenergie.
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OLG Karlsruhe 3.12.1992 VersR 1993 1221, 1222; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 83. OLG Karlsruhe 3.12.1992 VersR 1993 1221, 1222. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 266. Perret S. 10; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 83. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 3 AUB 61
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Rn. 5; Wussow/Pürckhauer 5 § 3 Anm. 14; a.A. OLG Hamm 21.9.1921 VA 1922 Anh. S. 20 Nr. 1246 für den Ausschluss von Bruchleiden und Darmverschließungen. Wussow/Pürckhauer 5 § 3 Anm. 14. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 84. Konen/Lehmann S. 13; Reichenbach S. 97 f.; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 83. Stockmeier/Huppenbauer S. 39.
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773
AUB 2008 Ziff. 5
Unfallversicherung
• Ausschlüsse von bestimmten Gesundheitsschädigungen (§ 2 Abs. 2 AUB 88/94): Sie schließen Gesundheitsschädigungen vom Versicherungsschutz aus, die durch bestimmte Ursachen ausgelöst wurden und im Grenzbereich zwischen Unfall und Krankheit liegen. Dazu zählten Strahlen, Heilmaßnahmen, Infektionen und Vergiftungen. • Teil- bzw. Partialausschlüsse von bestimmten Gesundheitsschädigungen § 2 Abs. 3 AUB 88/94): Sie bezogen sich auf bestimmte Gesundheitsschädigungen wie Bauch- und Unterleibsbrüche oder Bandscheibenschädigungen, die im Allgemeinen konstitutionsbedingt (krankhaft oder degenerativ) sind. • Sonderfall des Ausschlusses von Gesundheitsstörungen, die durch psychische Reaktionen verursacht wurden (§ 2 IV AUB 88/94).
In den AUB 99/2008 findet sich nur noch die Differenzierung in: • Gefahrumstandsklauseln (Ziff. 5.1 AUB 99/2008), also in Ausschlüsse von Unfällen, die durch bestimmte Gefahren verursacht wurden. Insofern entspricht Ziff. 5.1 AUB mit der Überschrift „Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle“ der Regelung in § 2 Abs. 1 AUB 88/94. • Ausschlüsse von bestimmten Beeinträchtigungen (Ziff. 5.2 AUB 99/2008). In Ziff. 5.2 AUB 99/2008 werden die Ausschlüsse in § 2 Abs. 2 bis 4 AUB 88/94 ohne weitere Differenzierung unter der Überschrift „Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen“ zusammengefasst. Abweichend von den AUB 88/94 werden die Ausschlüsse von Gesundheitsschädigungen, die im Allgemeinen konstitutionsbedingt sind, nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang zueinander geregelt, sondern die Bandscheibenschäden etc. wegen ihrer hohen praktischen Relevanz (Anh. § 178 Rn. 2) gleich zu Anfang bei den ausgeschlossenen Beeinträchtigungen aufgelistet, während die Bauch- und Unterleibsbrüche erst in Ziffer 5.2.7 genannt werden.
In den AUB 99/2008 werden neue Ausdrücke verwendet:87
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• Die früher verwendeten Begriffe „Schädigungen“ (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94) und „Gesundheitsschädigungen“ (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AUB 88/94) werden in den AUB 99/2008 schlicht als „Schäden“ (Ziff. 5.2.1) bzw. „Gesundheitsschäden“ (Ziff. 5.2.2 und 5.2.3) bezeichnet. Materiellrechtliche Änderungen sind damit nicht verbunden. • Sofern in § 2 AUB 88/94 vom Versicherten die Rede war, wird in den AUB 99/2008 (Ziff. 5.1.1, 5.1.2, 5.1.4, 5.1.5 und 5.2.3) von der „versicherten Person“ gesprochen. Auch hierdurch ergeben sich keine materiell-rechtlichen Änderungen. Nach wie vor kann nicht nur der VN, sondern jede versicherte Person den Ausschlusstatbestand erfüllen.
Des Weiteren erfolgen neue Formulierungen bei der Infektionsklausel (Ziff 5.2.4 Rn. 17), bei Vergiftungen von Kindern (Ziff. 5.2.5 Rn. 6) und den psychischen Reaktionen (Ziff. 5.2.6 Rn. 18). Gegenüber den AUB 88/94 finden sich in den AUB 99/2008 drei materiell-rechtliche 19 Veränderungen, nämlich eine Ergänzung des Kriegsausschlusses durch eine Überraschungsklausel (Ziff. 5.1.3 AUB 2008 Rn. 24), die Streichung des Ausschlusses „innere Unruhen“ (Ziff. 5.1.3 AUB 2008 Rn. 25) und eine Klarstellung zu Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen (Ziff. 5.2.3 Rn. 15).
B. Voraussetzungen für den Versicherungsausschluss 20
Die Ausschlusstatbestände enthalten eine abschließende enumerative Aufzählung. Anders etwa als in den Haftpflichtversicherungsbedingungen existiert in Ziff. 5.1 AUB 99/2008 keine Generalklausel, die ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigungen ausschließt. So sind z.B. autoerotische Experimente nicht erfasst; sie sind im Rahmen des
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Stockmeier/Huppenbauer S. 40 f.
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Ausschluss des Versicherungsschutzes
AUB 2008 Ziff. 5
Unfallbegriffs beim Tatbestandsmerkmal „unfreiwillig“ und nach Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 zu prüfen (Anh. § 178 Rn. 77 ff.). • Die Anwendung aller Ausschlusstatbestände setzt voraus, dass ein Unfall oder ein diesem gleichgestelltes Ereignis vorliegt (§ 178). Anderenfalls wäre eine Ausschlussbestimmung überflüssig; könnte sie doch nur deklaratorischen Charakter haben.88 Die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen für einen Ausschluss ergeben sich aus den jeweils zwischen den Parteien vereinbarten Regelungen. Im Regelfall reicht Mitursächlichkeit des ausgeschlossenen Umstandes für den Eintritt des Versicherungsfalls oder in seiner Folge für die Bejahung des Ausschlusses aus.89 • Sind die AVB wirksam in den Vertrag einbezogen und liegen die Merkmale der jeweiligen Klausel vor, so kommt es auf Kenntnisse oder ein etwaiges Vertretenmüssen bzw. Verschulden der versicherten Person nicht an;90 denn die Ausschlüsse sind von Obliegenheiten abzugrenzen (Rn. 9). • Beruft sich der VR auf einen Ausschlusstatbestand, so verstößt er damit grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben. Dies gilt auch in Härtefällen. Anderes kommt nur in Betracht, wenn der VR durch sein (Regulierungs-)Verhalten beim VN den schutzwürdigen Eindruck erweckt, er werde sich auf den Ausschlusstatbestand nicht berufen. In solchen Fällen kann das Verhalten des VR ggf. als Verzicht auf die jeweilige Einwendung gewertet werden.91 Insofern bestehen Parallelen etwa zum treuwidrigen Berufen auf die beim Invaliditätsanspruch einzuhaltenden Fristen (§ 186 Rn. 35 ff.; Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 133 ff.).
C. Hinweispflichten Jedem VN darf grundsätzlich das Wissen unterstellt werden, dass gewisse Begren- 21 zungsnormen typischerweise einem Unfallversicherungsvertrag zugrunde liegen.92 Dennoch sieht das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes an mehreren Stellen Informations- und Beratungspflichten vor. Neben § 10 Abs. 1 Nr. 1 VAG (Rn. 11) ordnet insbesondere § 4 Abs. 2 Nr. 4 VVG-InfoV ausdrücklich an, dass der VR im Produktinformationsblatt den VN auf im Vertrag enthaltenen Leistungsausschlüsse hinzuweisen hat. Darüber hinaus können sich aus §§ 6, 61 oder allgemeinem Zivilrecht anlassbezogene Beratungspflichten für den VR oder Vermittler ergeben.
D. Wirksamkeit Allgemein lässt sich zur Wirksamkeit von Versicherungsausschlüssen sagen, dass es 22 den Vertragsparteien – namentlich dem VR als Verwender von AGB – außerhalb der Beschränkungen der Vertragsfreiheit durch das Gesetz – insbesondere durch das VVG, das AGB-Recht (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 80 ff.) und sonstige Vorschriften wie z.B. das AGG (Vorbem. § 178 Rn. 81 ff.) – frei steht, Versicherungsschutz nur für bestimmte Gefahren, bestimmte Objekte und unter besonderen Umständen vorzusehen.93 Entscheidend ist, dass die vom Gesetz gezogenen Grenzen gewahrt werden. Insbesondere muss der Risikoausschluss klar erkennbar und transparent erfolgen 94 sowie inhaltlich angemessen sein.
88 89 90
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 6. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 104. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 3; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 102.
91 92 93 94
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 4. OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423. BGH 26.4.1972 VersR 1972 575, 576. OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423.
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AUB 2008 Ziff. 5
Unfallversicherung
E. Konkurrenzen 23
Neben Ausschlussregelungen kann in seltenen Einzelfällen auch ein Wegfall der Geschäftsgrundlage oder die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben den Versicherungsschutz entfallen lassen.
I. Wegfall der Geschäftsgrundlage 24
Die Lehre von der Geschäftsgrundlage (§ 313 f. BGB) kann ausnahmsweise auch im Rahmen von Versicherungsverträgen anwendbar sein:95 • Die Geschäftsgrundlage eines Vertrags wird gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, aber bei Vertragsschluss zutage getretenen gemeinschaftlichen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien sich aufbaut. • Die Geschäftsgrundlage ist im wesentlichen dann betroffen, wenn sich beide Parteien über einen für den Vertragsschluss bestimmenden Umstand geirrt haben oder sich die tragenden äußeren Bedingungen eines Vertragsverhältnisses so gravierend ändern, dass einem der Beteiligten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann. Erforderlich ist, dass das starre Festhalten an einer Verpflichtung zu Ergebnissen führen würde, die mit der Gerechtigkeit und mit Treu und Glauben schlechthin unvereinbar wären.
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Für den VR besteht typischerweise kein Raum, nach §§ 313 f. BGB eine Vertragsanpassung zu verlangen oder den Vertrag zu kündigen; denn eine erhebliche, die Anpassung geschlossener Verträge rechtfertigende Störung des Äquivalenzverhältnisses liegt nicht vor, soweit Veränderungen in die Risikosphäre einer Vertragspartei fallen.96 • Handelt es sich um Umstände, die dem VR bei Vertragsschluss bekannt oder erkennbar waren, kommt ein Rückgriff auf §§ 313 f. BGB nicht in Betracht. Insofern gehen §§ 19 ff. vor. Der VR hat es in der Hand, im Rahmen seiner Obliegenheit zur Risikoprüfung oder Nachfrage (Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 101 ff.) für klare Verhältnisse zu sorgen und den Vertragsschluss abzulehnen bzw. auf Risikoausschlüsse vorzusehen. Führt der VR keine ordnungsgemäße Risikoprüfung durch, muss er sich (vorbehaltlich einer ordentlichen Kündigung) an den Versicherungsvertrag festhalten lassen, den er in Kenntnis der maßgeblichen Umstände geschlossen hat.97 • Treten nach Vertragsschluss erhebliche – und nicht vorhersehbare – Gefahrerhöhungen ein (z.B. Kriegsereignisse, weitreichende Terroranschläge), so kann zwar daran gedacht werden, eine Störung der Geschäftsgrundlage zwischen VR und VN anzunehmen (§ 313 BGB).98 Von dieser Möglichkeit wird der VR indes nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen Gebrauch machen können;99 denn für die Berufung auf die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen Verschiebung der Äquivalenz bedarf es eines auffallenden, normalerweise nicht einkalkulierbaren Missverhältnisses der Leistungen.100 Es gehört aber gerade zum Wesen der Versicherung, dass der VR professionell mit Wagnissen umgeht und alle in Betracht kommenden Risiken kalkuliert. Handelt es sich um unversicherbare Risiken, so liegt es in der Hand des VR, mit einer Einschränkung des Versicherungsschutzes zu reagieren und insbesondere gegenüber dem VN auf
95 96 97 98
OLG Köln 14.9.1989 VersR 1990 769, 771. BGH 12.12.2007 VersR 2008 246, 247 Rn. 12. OLG Köln 14.9.1989 VersR 1990 769, 771. KG 11.6.2002 VersR 2003 718; LG Köln 19.9.1984 VersR 1985, 384, 385.
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99
100
OGH Br. Z. 23.6.1950 VersR 1950 127, 128 mit insofern zustimmender Anm. Prölss; ferner Prölss/Martin/Prölss 8 § 8 Rn. 29. OLG Nürnberg 27.3.1980 VersR 1980 1137, 1138.
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Ausschluss des Versicherungsschutzes
AUB 2008 Ziff. 5
die Vereinbarung von Ausschlusstatbeständen (z.B. eines Ausschlusses für Unfälle infolge von Kriegsereignissen) zu drängen. • Legt die Rechtsprechung eine AVB-Klausel in einer für den Verwender (VR) ungünstigen Weise aus, rechtfertigt dies keine Vertragsanpassung, und zwar selbst dann nicht, wenn die Klausel aufgrund seit längerer Zeit allgemein aufgegebener gesetzesähnlicher Auslegung von AVB früher jedoch anders verstanden worden ist.101
Auch der VN wird sich nur in sehr seltenen Fällen auf die Grundsätze vom Wegfall 26 der Geschäftsgrundlage berufen können. So reicht etwa ein Berufswechsel oder eine Tätigkeitsänderung nicht aus. Zum einen ist bereits zweifelhaft, ob die weitere Ausübung der bei Vertragsschluss ausgeübten Tätigkeit überhaupt Bestandteil der Geschäftsgrundlage oder nicht nur ein (unbeachtliches) Motiv ist. Zum anderen sehen §§ 41, 181 sowie Ziff. 6.2 AUB 2008 geeignete und vorrangige Anpassungsmechanismen vor. Des Weiteren wird es oftmals an einer erheblichen Störung der Geschäftsgrundlage fehlen. Wechselt z.B. der bei Vertragsschluss als freiberuflicher Rechtsanwalt tätige VN in den öffentlichen Dienst und erwirbt er dadurch Versorgungsansprüche, so reicht dies nicht für ein Erlöschen des Unfallversicherungsvertrags aus; denn das Unfallrisiko des VN ist in beiden Berufsgruppen vergleichbar. Auch sind die Versorgungsleistungen des öffentlichen Dienstes (jedenfalls in den ersten Jahren) nicht so erheblich, dass ein daneben bestehender Anspruch aus einer Unfallversicherung nur geringen Wert hat.102
II. Ausschluss nach Treu und Glauben Macht ein VN gegenüber dem VR täuschende Angaben über den erlittenen Schaden, 27 so kann der Anspruch auf Versicherungsleistung ausnahmsweise auch dann ganz oder teilweise verwirkt sein, wenn diese Rechtsfolge im Versicherungsvertrag nicht vereinbart worden ist.103 Gerade das Versicherungsverhältnis ist in besonderem Maße auf Vertrauen gegründet. Treu und Glauben beherrschen es stärker als viele andere Vertragsverhältnisse, so dass jede Erschütterung durch eine arglistige Täuschung seine Grundlagen in Frage stellt. Entsprechendes kommt in Betracht, wenn die vertragliche Übernahme des Versicherungsschutzes als Verstoß gegen die guten Sitten anzusehen ist.104 Der Arglisteinwand oder die Verwirkung des Anspruchs ist auf besondere Ausnahme- 28 fälle von erheblichem Gewicht beschränkt.105 Zunächst ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es eines Rückgriffs auf § 242 BGB nicht bedarf, da der Versicherungsschutz durch Vertrag und vorrangige Gesetzesbestimmungen unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben abschließend geregelt ist.106 Nicht jede unzutreffende Angabe kann die scharfe Sanktion der Leistungsfreiheit nach sich ziehen. Dies ergibt bereits der Vergleich zu § 6 Abs. 3 a.F.107 und wird durch den Wegfall des „Alles-oderNichts-Prinzips“ (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 9) noch deutlicher. Des Weiteren gibt es keinen allgemeinen Grundsatz, dass nur derjenige, der sich selbst rechtstreu verhalten hat, Rechte geltend machen kann. Vielmehr begründen Rechtsverstöße in erster Linie unter den gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen Schadensersatzansprüche und können zu Guns101
102 103
BGH 12.12.2007 VersR 2008 246, 247 Rn. 12; s.a. BGH 23.1.2008 RuS 2008 157, 158 Rn. 9. AG Hamburg 2.2.1977 VersR 1977 540, 541. BGH 8.7.1991 VersR 1991 1129, 1130 f.; OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394,
104 105 106 107
396 = RuS 2006 28, 29 = NJW-RR 2006 174, 175; Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 84. BGH 18.10.1952 BGHZ 7 311, 323 f. BGH 14.10.1987 1182, 1183; Römer/ Langheid 2 § 6 Rn. 137. BGH 18.10.1952 BGHZ 7 311, 323. BGH 8.7.1991 VersR 1991 1129, 1131.
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Unfallversicherung
ten des anderen Teils Einreden begründen. Das Berufen auf rechtsmissbräuchliches Verhalten dient dagegen nicht dazu, auf diesem einfachen und schnellen Weg einen Schadensersatzanspruch zu befriedigen.108 Ziel ist es, schlechthin unannehmbare Ergebnisse zu vermeiden.109 Die völlige oder 29 teilweise Leistungsfreiheit des VR ist deshalb mit hohen Hürden verbunden. Voraussetzung ist, dass110 • dem VN arglistiges Verhalten vorgeworfen werden kann. Eine Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich. Es reicht aus, dass der VN einen gegen die Interessen des VR gerichteten Zweck verfolgt, indem er etwa Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Leistungsansprüche ausräumen will und zugleich weiß, dass sein Verhalten den VR bei der Leistungsregulierung möglicherweise beeinflussen kann. • es für den VR unzumutbar wäre, sich an der Erfüllung der von ihm übernommenen Vertragspflichten festhalten zu lassen. • die Leistungsfreiheit keine treuwidrige Überreaktion darstellt.
Wann dies genau anzunehmen ist, muss im Rahmen einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls ermittelt werden. Einzubeziehen sind111 • das Maß des Verschuldens; • die Motivation des Täuschenden; • der Gefährdungsumfang der schützenswerten Interessen des auf Leistung in Anspruch genommenen VR (z.B. eine Vielzahl von Pflichtverletzungen über einen längeren Zeitraum oder Existenzgefährdung der betroffenen Versicherungsgruppe); • die Folgen des Anspruchsverlusts für den VN (z.B. Existenzgefährdung); • das Verhalten des VR; • das Ausmaß der Folgen der Täuschung. So ist es zugunsten des täuschenden VN zu berücksichtigen, wenn sich sein rechtswidriges Verhalten nur auf Gegenstände von verhältnismäßig geringem Wert bezieht. Weiterhin ist das vom VN geleistete Prämienvolumen mit dem Gesamtschaden ins Verhältnis zu setzen.
F. Speziellere AVB 30
Alle Ausschlusstatbestände in den AUB unterliegen der Disposition der Vertragsparteien. Sie können – wie die anderen Regelungen in den AUB auch – durch die Vereinbarung Besonderer Bedingungen, Zusatzbedingungen oder Individualvereinbarungen erweitert, modifiziert oder ganz bzw. teilweise abbedungen werden. Zu nennen sind z.B. die „Besonderen Bedingungen für den Ausschluss von bestimmten Gesundheitsschäden“.112 Verbesserungen gegenüber den AUB-Ausschlüssen durch die VR zur Steigerung der Wettbewerbschancen oder auf Wunsch einzelner Kunden (bzw. Versicherungsmakler) kommen in der Praxis durchaus vor (z.B. Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 46). Häufig werden auch für bei Vertragsschluss bekannte Vorschädigungen und deren Folgen einzelvertragliche Ausschlüsse vereinbart. Regelmäßig handelt es sich dabei um (zulässige) primäre Risikoabgrenzungen.113
108 109 110 111
OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 396. BGH 14.10.1987 1182, 1183. BGH 8.7.1991 VersR 1991 1129, 1131. BGH 8.7.1991 VersR 1991 1129, 1131; OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 396.
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112 113
VerBAV 1987 425 f. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 133.
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Ausschluss des Versicherungsschutzes
AUB 2008 Ziff. 5
G. Verfahrensfragen Ausschlusstatbestände werden im Rechtsstreit nicht von Amts wegen, sondern nur 31 dann geprüft, wenn der VR sie vorträgt.114 Eine Hinweispflicht des Gerichts besteht nicht. Es handelt sich um ein Verteidigungsmittel i.S.v. § 520 Abs. 3 S. 4 ZPO, das in der zweiten Instanz nicht erstmals geltend gemacht werden kann (§ 531 Abs. 2 ZPO).115 Will der VR sich auf eine Ausschlussklausel berufen, so hat er im konkreten Schaden- 32 fall nach allgemeiner Ansicht deren einzelne Tatbestandsmerkmale darzulegen und zu beweisen.116 Hierzu gehört auch die Verwirklichung etwaiger subjektiver Tatbestandsmerkmale eines Risikoausschlusses.117 Aufgrund der Beweislast des VR gehen verbleibende Ungewissheiten zu seinen Lasten.118 Anderes gilt, wenn es sich bei dem „Ausschluss“ in Wahrheit nur um einen negativen Grenzfall i.S. einer Klarstellung zum Unfallbegriff handelt (so z.B. häufig – aber keinesfalls immer – in den Fällen des § 2 Nr. 3 AUB 61). Legt der VR hier substanziiert Tatsachen dar, die die Anwendung eines solchen Tatbestandes erfüllen, muss der Anspruchsteller Beweis antreten;119 denn für das Vorliegen des Versicherungsfalls bzw. des Unfalls ist und bleibt der Anspruchsteller darlegungs- und beweispflichtig (§ 179 Rn. 168 ff.). • Für den Beweis des Ausschlusstatbestandes gilt § 286 ZPO. Dem VR kommen keine Beweiserleichterungen zugute, zumal auch der VN den Versicherungsfall in der Unfallversicherung voll beweisen muss (§ 179 Rn. 169).120 • Sind mehrere Alternativen gegeben, die für sich gesehen Unfälle sind, so wird der VR nur dann von der Leistung frei, wenn er für jede Sachverhaltsvariante Leistungsfreiheit begründen und beweisen kann.121 Dies ist z.B. der Fall, wenn feststeht, dass der Tod der versicherten Person im Straßenverkehr entweder infolge Selbstmordes kein Unfall war oder zwar den Unfallbegriff erfüllt, aber keine Deckung hat, weil ein Schlaganfall oder Alkohol Unfallursache war (§ 178 Rn. 252).
Sofern ein Ausschlusstatbestand einen Wiedereinschluss vorsieht (z.B. § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61, trägt der Anspruchsteller nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast.122
114 115 116
Kloth Rn. K 5. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 105. S. – neben den einzelnen Nachweisen bei den jeweiligen Ausschlusstatbeständen – u.a. BGH 22.6.1977 VersR 1977 736, 737; OLG Schleswig 11.12.2003 RuS 2005 119; OLG Zweibrücken 11.6.1982 VersR 1984 578; Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 5; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 25; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 2; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 77; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 137; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 7 ff.
117 118 119 120 121 122
KG 30.1.2007 VersR 2008 69, 70. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 2. OLG Celle 27.2.1956 VersR 1956 414; Grewing VW 1950 332. BGH 16.6.1999 VersR 1999 1224, 1226 = NVersZ 1999 476, 477. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 2. S. z.B. OLG Celle 27.2.1956 VersR 1956 414, 415; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 123; Kloth Rn. K 5; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 238.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
Ziff. 5.1.1 AUB 2008 5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: 5.1.1 Unfälle der versicherten Person durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen oder Anfälle durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren.
Schrifttum Drasch/von Meyer/Roider/Jägerhuber Absolute Fahruntüchtigkeit unter der Wirkung von Cannabis, Blutalkohol 2003 269; Eichelmann Der Tod beim Baden im Rahmen der Unfallversicherung, VersR 1972 411; R. Fischer Treu und Glauben im Versicherungsrecht, VersR 1965 197; Fuchs Die Behandlung alkoholbedingter Straßenverkehrsunfälle im Unfallversicherungsrecht, NZV 1993 422; Fußhoeller Nochmals: Trunkenheit in der Insassenunfallversicherung, VW 1972 1362 und 1517; Gerchow Zur Problematik alkoholbedingter Bewusstseinsstörungen im Sinne des § 3 Abs. 4 AUB, ZVersWiss 1970 407; Grüner/Penners Beweiswert der Atemalkoholprobe NJW 1985 1377; Harbort Indikatoren für rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit, NZV 1996 219; Heifer Kann die Atemalkoholkonzentration nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft als ausreichend gesichertes forensisches Beweismittel gelten? NZV 1989 13; Hentschel Die Entwicklung des Straßenverkehrsrechts im Jahr 2004, NJW 2005 641; ders. Die Entwicklung des Straßenverkehrsrechts im Jahr 2005, NJW 2006 477; ders. Neuerungen bei Alkohol und Rauschmitteln im Straßenverkehr, NJW 1998 2385; Hentschel/Born Trunkenheit im Straßenverkehr mit Haftungs- und Versicherungsrecht, 6. Aufl. (1992); Jagow/Burmann/Heß Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl. (2004); Knappmann Alkoholbeeinträchtigung und Versicherungsschutz, VersR 2000 11; Konzak/Hüting „Eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ als neuer Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit“, Jura 1991 241; Lang Alkohol im Straßenverkehr und Versicherungsschutz NZV 1990 169; Kluitmann Trunkenheit in der Insassenunfallversicherung, VW 1972 1218; ders. Nochmals: Trunkenheit in der Insassenunfallversicherung, VW 1972 1516; Langheid/Müller-Frank Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht NJW 2001 111; Marlow Aktuelle Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2004 353; ders. Aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2005 357; Mettke Die strafrechtliche Ahndung von Drogenfahrten nach den §§ 315c I Nr. 1a, 316 StGB, NZV 2000 199; Millert Die Ausschlüsse in § 3 der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB), VersR 1964 113; R. Möller Drogenkonsum und Drogennachweis bei Verkehrsteilnehmern, DAR 1993 7; Mollenkott Absolute Fahruntüchtigkeit von Mofafahrern bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 ‰? NJW 1981 1307; Pickel Leistungsfreiheit des Versicherers bei alkoholbedingter Bewusstseinsstörung, ZfV 1964 747; Pürckhauer Nochmals: zum Ausschluss der Leistung aus der Unfallzusatz-Versicherung eines Versicherungsnehmers, der sich einem alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrer anvertraut, VersR 1967 542; Rüther Die Gefährdung des Versicherungsschutzes durch Alkohol im Straßenverkehr, NZV 1994 457; Sachs Die Beweiskraft von Blutalkoholergebnissen bei Abweichungen von den Richtlinien zur Blutentnahme und zur Bestimmung des Alkohols, NJW 1987 2915; Salger Drogeneinnahme und Fahrtüchtigkeit, DAR 1994 433; Schilling Die neuen AUB ZfV 1962 365; Schubach Aktuelles aus der privaten Unfallversicherung, ZfS 2005 224; Stamm Die neue „Trunkenheitsklausel“ in der Kfz-Haftpflichtversicherung – Rechtsgrundlagen und Auswirkung auf die Schadenspraxis –, VersR 1995 261; Steffani Ausschluss der Leistung aus der Unfallzusatz-Versicherung eines Versicherungsnehmers, der sich einem alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrer anvertraut, VersR 1967 18; Trunk Fahrunsicherheit nach Haschischkonsum, NZV 1991 258; H. Weber Herzinfarkt und Unfallversicherung NJW 1965 1997.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Übersicht Rn. A. I. II. B. I.
II. III. IV.
V. VI. VII.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung des Ausschlusses . . . . . Reformüberlegungen . . . . . . . . . . Geistes- und Bewusstseinsstörungen . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck des Ausschlusses . . . . . . . 2. Auswirkungen des Alkoholgenusses . 3. Abgrenzung von der Gefahrerhöhung Betroffenheit der versicherten Person . . Geistesstörungen . . . . . . . . . . . . Bewusstseinsstörungen . . . . . . . . . 1. Auslegung des Begriffs . . . . . . . . a) Gerichtspraxis . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . aa) Wortlaut des Ausschlusses . . bb) Systematik des Ausschlusses . cc) Erkennbarer Zweck des Ausschlusses . . . . . . . . . . . dd) Wertungswiderspruch . . . . . ee) Anpassungsbedarf . . . . . . . 2. Bewusstseinsstörung durch Alkoholgenuss . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unfälle im Straßenverkehr . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Autofahrer . . . . . . . . . . cc) Motorrad-, Krad- und Mofafahrer . . . . . . . . . . . . . dd) Radfahrer . . . . . . . . . . . ee) Fußgänger . . . . . . . . . . . ff) Mitfahrer . . . . . . . . . . . b) Unfälle außerhalb des Straßenverkehrs . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewusstseinsstörung durch künstliche Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . a) Drogenkonsum im Straßenverkehr b) Medikamenteneinnahme . . . . . 4. Sonstige Bewusstseinsstörungen . . . Kausalität zwischen der Geistes- und Bewusstseinsstörung und dem Unfall . Wirksamkeit des Ausschlusses . . . . . Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 13 14 15 16 17 18 22
. . .
23 24 25
. . . .
26 27 28 32
. . . .
42 46 48 51
.
56
. . . .
61 62 67 68
. . .
70 74 75
Rn. C. I. II. III. IV. D. E. F. I. II.
III. IV.
Anfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . . . . . . . Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . Störungen durch ein früheres Unfallereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle AVB . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . Geistes- und Bewusstseinsstörungen . . . 1. Bewusstseinsstörung durch Alkoholgenuss . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beweis der Bewusstseinsstörung . . aa) Unfälle im Straßenverkehr . . . bb) Unfälle außerhalb des Straßenverkehrs . . . . . . . . . . . . . b) Beweis der Kausalität zwischen Bewusstseinsstörung und Unfall . . . . aa) Anscheinsbeweis . . . . . . . . bb) Alkoholbedingte Unfälle im Straßenverkehr . . . . . . . . . cc) Alkoholbedingte Unfälle außerhalb des Straßenverkehrs . . . . c) Zeitpunkt des Vortrags . . . . . . . d) Beweismittel . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmung der Blutalkoholkonzentration nach Blutentnahme . . bb) Bestimmung der Blutalkoholkonzentration ohne Blutentnahme durch Errechnen . . . . . . . . cc) Bestimmung der Atemalkoholkonzentration . . . . . . . . . . 2. Bewusstseinsstörung durch Drogenkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewusstseinsstörung durch Medikamenteneinnahme . . . . . . . . . . . . . . 4. Krankheitsbedingte Bewusstseinsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . Anfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühere Unfallereignisse . . . . . . . . .
80 81 82 86 87 88 93 94 95 97 98 99 100 109 110 111 114 122 124 125 126
139 141 144 148 149 150 151
A. Einführung Mit Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) ver- 1 gleichbare Regelungen finden sich u.a. in der Volksunfallversicherung und der Unfallzusatzversicherung. In der Kfz-Versicherung ist namentlich an D.2.1 AKB 2008 bzw. § 2b Abs. 1e AKB (Obliegenheit in der Kfz-Haftpflichtversicherung) und A.4.10.2 bzw. § 19 Nr. 1 AKB (Ausschluss in der Kraftfahrtunfallversicherung) zu denken. Dem AUB-Ausschlusstatbestand der „Geistes- oder Bewusstseinsstörungen“ kommt in der Praxis eine überragende Bedeutung zu. Er steht deshalb sowohl in den AUB 88/941 als
1
Konen/Lehmann S. 13.
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781
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
auch in den AUB 99/2008 an erster Stelle des Katalogs der Ausschlüsse. Innerhalb des Ausschlusstatbestandes dominieren die (alkoholbedingten) „Bewusstseinsstörungen“, vornehmlich Unfälle im Straßenverkehr infolge alkoholbedingter Fahrunsicherheit.2 Belegt wird die praktische Bedeutung des Ausschlusses in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (bzw. seiner Vorgängervorschriften) u.a. durch die große Zahl an Unfällen mit Personenschäden und Todesfolgen, bei denen mindestens ein Beteiligter alkoholisiert ist.3
I. Entwicklung des Ausschlusses 2
Der seit langem in den AUB vorgesehene Ausschluss 4 findet sich sowohl in § 3 Nr. 4 AUB 61, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94 als auch in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008.5 Inhaltliche Unterschiede zwischen den AUB-Generationen gibt es nicht. Die geringfügigen Abweichungen sind redaktioneller Natur. Die VVG-Reform 2008 erforderte keine Anpassung.
AUB 2008 6 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 7
AUB 94
AUB 88 8
AUB 61 9
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 3 Ausschlüsse
5.1 Kein Versiche5.1 Kein VersicheNicht unter den rungsschutz besteht rungsschutz besteht Versicherungsschutz für folgende Unfälle: für folgende Unfälle: fallen:
§ 2 Abs. 1 Nicht unter den Versicherungsschutz fallen:
Ausgeschlossen von der Versicherung sind: …
5.1.1 S. 1 Unfälle der versicherten Person durch Geistesoder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen.
Nr. 1 S. 1 Unfälle durch Geistesoder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit bekenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper des Versicherten ergreifen.
Nr. 4 S. 1 Unfälle infolge von Schlaganfällen, epileptischen Anfällen und solchen Krampfanfällen, die den ganzen Körper des Versicherten ergreifen, von Geistesoder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese durch Trunkenheit verursacht sind.
2 3 4 5
5.1.1 S. 1 Unfälle der versicherten Person durch Geistesoder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen.
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Abs. 1 Nr. 1 S. 1 Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper des Versicherten ergreifen.
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 6. S. etwa BT-Drucksache 13/1439 S. 4. S. bereits VA 1920 92, 93. Zur Entwicklung des Ausschlusses Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 165.
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6 7 8 9
Die aktuelle Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 42. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1983 10, 11
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen oder Anfälle durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen oder Anfälle durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen oder Anfälle durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen oder Anfälle durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren.
S. 2 Die Ausschlüsse gelten nicht, wenn diese Anfälle oder Störungen durch ein unter die Versicherung fallendes Unfallereignis hervorgerufen waren; …
II. Reformüberlegungen Überlegungen der Bedingungsgeber, den Ausschluss in den AUB 99 zu ändern, haben 3 sich i.E. nicht durchgesetzt. Soweit ersichtlich wurde sie bei der Anpassung der AUB 2008 an die VVG-Reform 2008 auch nicht erneut aufgegriffen. • Im Verlauf der Überarbeitung der AUB 99 wurde zum einen erwogen, Ziff. 5.1.1 AUB 99 neu zu fassen und sämtliche Unfälle auszuschließen, die auf den Konsum von Alkohol, von Drogen oder anderen rausch- oder suchterzeugenden Stoffen zurückzuführen sind. Dahingehende Überlegungen fanden jedoch keine Mehrheit u.a. wegen der Überlegung, dass sich der Ausschluss für Geistes- oder Bewusstseinsstörungen bewährt habe.10 Diese Entscheidung sollte überdacht werden; denn die Auslegung des Begriffs der Bewusstseinsstörung birgt Konfliktstoff, der durch eine entsprechende Klarstellung der AUB beseitigt werden könnte (Rn. 16 und 25). • Zum anderen diskutierte der Fachausschuss des GDV, den Ausschluss von Schlag- und anderen Anfällen vollständig zu streichen. Auch hier sah man indes von einer Änderung des Tatbestandes ab, da durch die Regulierung reiner Schlaganfallfolgen die Gefahr eines Anstiegs des Schadensaufwands und eine Öffnung in Richtung Berufsunfähigkeitsversicherung gesehen wurde.11
B. Geistes- und Bewusstseinsstörungen Die zum Ausschluss führende Kausalkette stellt sich nach Ziff. 5.1.1 S. 1 AUB 4 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 S. 1 AUB 61) wie folgt dar: Geistes- oder Bewusstseinsstörung und/oder Anfall → Unfallereignis → Gesundheitsschädigung → Unfallfolge ➔ Keine Leistungspflicht des VR
Entscheidend ist, dass die in der Klausel genannten Leiden am Anfang der Kausalkette stehen. Folgen sie dem Unfallereignis nach oder stellen sie eine Zwischenursache dar, so ist Ziff. 5.1.1 S. 2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 S. 2 AUB 61) zu prüfen.
10
Näher Stockmeier/Huppenbauer S. 45 f.
11
Stockmeier/Huppenbauer S. 47 (s.a. S. 8 f.).
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
I. Allgemeines 5
Bei Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) handelt es sich um einen (objektiven) Risikoausschluss, nicht um eine Obliegenheit. Ein Verschulden der versicherten Person ist für die Prüfung des Tatbestandes deshalb unerheblich.12 Verschuldenserwägungen sind der Unfallversicherung grundsätzlich fremd, so dass auch § 254 BGB keine Anwendung findet (Rn. 79). Einerseits schadet der versicherten Person nur eine freiwillige, d.h. vorsätzliche Schädigung ihrer eigenen Gesundheit, da dann bereits der Unfallbegriff nicht erfüllt ist (§ 178 Abs. 2, Ziff. 1.3 AUB 99/2008). Allein der gewollte übermäßige Alkoholgenuss führt folgerichtig noch nicht zur Versagung des Versicherungsschutzes. Weiterhin darf aus einem Verschulden der versicherten Person an einem Unfall nicht auch auf ihre (relative) Fahrunsicherheit und damit eine Bewusstseinsstörung geschlossen werden. Andererseits findet der Ausschlusstatbestand auch dann Anwendung, wenn der versicherten Person kein Verschulden vorgeworfen oder nachgewiesen werden kann. 1. Zweck des Ausschlusses
6
Der Ausschluss in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 soll genauso wie seine Vorgängerregelungen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94 und § 3 Nr. 4 AUB 61 Risiken erfassen, die über das normale Unfallrisiko hinausgehen. Der VR will Deckung nur für solche Unfälle gewähren, die jedermann bei normaler körperlicher- und geistiger Verfassung zustoßen können, nicht dagegen für unnatürliche Steigerungen des normalen Unfallrisikos,13 insbesondere wenn diese in ohnehin schon latent gefährlichen Situationen auftreten wie z.B. bei der Teilnahme am Straßenverkehr oder bei Arbeiten auf Leitern und Gerüsten oder an laufenden Maschinen.14 Es entspricht einer Erfahrungstatsache, dass geistes- oder bewusstseinsgestörte Menschen einer erhöhten Unfallgefahr unterliegen.15 Vom Versicherungsschutz sollen deshalb solche Unfälle ausgenommen werden, die sich als Folge einer schon vor dem Unfall vorhandenen – gefahrerhöhenden – (häufig selbst herbeigeführten) gesundheitlichen bzw. krankhaften Beeinträchtigung bei der versicherten Person und ihrer Abwehrfunktionen darstellen.16 Dabei muss diese Beeinträchtigung so beschaffen sein, dass sie eine den Unfall vermeidende Reaktion der versicherten Person nicht zulässt
12
13
BGH 24.2.1988 VersR 1988 733, 734; BGH 3.4.1985 VersR 1985 779; OLG Schleswig 2.9.1993 VersR 1994 973, 974; OGH 9.5.2007 VersR 2008 947, 948; Knappmann VersR 2000 11, 15; Prölss/Martin/Knappmann27 § 2 AUB 94 Rn. 7; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 40; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 17. S. nur BGH 8.7.1957 VersR 1957 509; OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1216; OLG Hamm 28.9.1967 VersR 1968 86, 87; OLG Koblenz 19.9.1974 VersR 1975 514, 515; OLG Saarbrücken 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1216; LG Aachen 12.7.1967 VersR 1968 366, 367; LG Kaiserslautern 28.2.1961 VersR 1961 973; LG Karlsruhe 2.6.1960 VersR 1960 913.
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14 15 16
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 124a. BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 90. BGH 5.4.1962 VersR 1962 461 = VerBAV 1962 259; BGH 10.1.1957 BGHZ 23 77, 85 = VerBAV 1958 72, 74 Nr. 185; BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 312 f. = VerBAV 1956 12 Nr. 130; RG 10.5.1940 RGZ 164 49, 51; OLG Braunschweig 10.5.1960 VersR 1960 722, 723; OLG Celle 11.2.1983 VersR 1983 1131, 1132; OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 666; OLG Hamm 14.5.2008 VersR 2009 349 = RuS 2009 30; OLG Köln 14.5.1958 VersR 1958 517; OLG Saarbrücken 21.5.1997 VersR 1998 310, 311; OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436; ferner OGH 9.5.2007 VersR 2008 947, 948.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
(„Unfälle infolge von …“ bzw. „Unfälle … durch …“).17 Die versicherte Person muss sich mithin in einem Zustand befinden, der es ihr nicht erlaubt, eine drohende Unfallgefahr klar zu erkennen oder überhaupt wahrzunehmen und sich zur Vermeidung des Unfalls entsprechend richtig zu verhalten.18 2. Auswirkungen des Alkoholgenusses Aufgrund ihrer großen praktischen Bedeutung wird die Bewusstseinsstörung durch 7 Alkoholgenuss in dem Ausschlusstatbestand explizit angesprochen („auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen“). Schon mäßige Alkoholbeeinflussung führt nach gesicherter rechtsmedizinischer Erfahrung zu erheblichen physischen und psychischen Veränderungen, die zu einer Herabsetzung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit führen.19 Sie äußern sich in folgenden typischen Symptomen:20 • Deutlicher Beeinträchtigung der Sinnesleistungen, nämlich einer Verminderung der akustischen und optischen Wahrnehmung (insbesondere bei Dunkelheit).21 Folgen sind eine reduzierte Tiefenschärfe bzw. -wahrnehmung,22 Herabsetzung der Fähigkeit zur Hell-Dunkel-Adaption, Einschränkung des Dämmerungssehens,23 erhöhte Blendempfindlichkeit, Einengung des Gesichtsfeldes oder eine verlangsamte Reaktion des Auges („Tunnelblick“).24 Die alkoholisierte Person hat deshalb u.a. Schwierigkeiten, räumlich zu sehen,25 Geschwindigkeiten oder Entfernungen sachgerecht einzuschätzen 26 oder Kurvenverläufe richtig zu erkennen.27 • Störung des Gleichgewichtsinns.28 • Herabsetzung des Koordinationsvermögens.29 • Minderung der feinmotorischen Fähigkeiten, Koordination und Geschicklichkeit. Bewegungsabläufe werden unsicher, ausfahrend und mangelhaft kontrolliert. • Ausfälle, Herabsetzung oder Täuschungen bei der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung bzw. Auffassung.30 • Verlängerung der Reaktionsbereitschaft und Reaktionszeit 31 gerade bei überraschend einsetzenden Reizen. Die Reaktionen werden abrupt und ungenau. • Geistig-seelische Störungen 32 bzw. Veränderungen der Psyche, die sich äußern in: Wegfall normaler Hemmungen bzw. Enthemmung,33 Verringerung der Fähigkeit zur (Selbst-)Kritik und des Verantwortungsbewusstseins bis hin zu Leichtsinn und Sorglosigkeit, Verführung zu Wagemut, Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit bei gleichzeitiger Unterschätzung drohender Gefahren,
17 18
19 20
21 22 23
BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1092. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 6; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 169. OLG Braunschweig 10.5.1960 VersR 1960 722, 723. BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 314 f. = VerBAV 1956 12 Nr. 130; OLG Hamm 20.7.1984 VersR 1985 257 (mit Zitat aus einem Sachverständigengutachten); Gerchow ZVersWiss 1970 407, 420 ff.; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 7; Knappmann VersR 2000 11; Stamm VersR 1995 261, 262. OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167, 168; LG Kassel 17.3.2006 VersR 2006 1529. LG Coburg 5.2.1960 VersR 1961 458. LG Zweibrücken 20.11.1975 VersR 1976 462 = RuS 1976 138.
24 25 26
27 28 29 30 31 32 33
LG Kassel 4.10.1989 VersR 1991 215; Stockmeier/Huppenbauer S. 42. OLG Celle 11.2.1983 VersR 1983 1131. OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167, 168; OLG Hamm 23.12.1985 RuS 1986 138; OLG Koblenz 21.3.1991 RuS 1992 34. OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79. LG Bückeburg 11.10.1985 VersR 1987 335, 336. LG Coburg 5.2.1960 VersR 1961 458. OLG Celle 11.2.1983 VersR 1983 1131; OLG Koblenz 21.3.1991 RuS 1992 34. S. nur BGH 20.3.1959 BGHSt 13 83, 91; OLG Hamm 14.6.1989 VersR 1990 514, 515. LG Kassel 4.10.1989 VersR 1991 215. OLG Köln 26.1.1995 RuS 1995 355, 356; OLG München 3.5.1960 VersR 1961 1084, 1085; Hentschel/Born Rn. 3.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
Gleichgültigkeit und Unbekümmertheit,34 Senkung des Persönlichkeitsniveaus, ggf. auch Rücksichts- und Gedankenlosigkeit.35
Es liegt auf der Hand, dass der VR für solche erhöhten Risiken, deren wirtschaftliche Brisanz durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt ist,36 grundsätzlich nicht eintreten will. 3. Abgrenzung von der Gefahrerhöhung
8
Der Eintritt einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung bewirkt eine erhöhte Unfallanfälligkeit der versicherten Person, weil sie in ihrer Fähigkeit beeinträchtigt wird, eine (Unfall-)Gefahr zu erkennen und ihr zu begegnen bzw. auszuweichen. Dennoch handelt es sich um keine Gefahrerhöhung i.S.v. §§ 181, 23 ff. (§§ 23 bis 25 a.F.) mit der Folge, dass den VN eine Anzeigepflicht trifft (vgl. Ziff. 6.2 AUB 99/2008), eine Summenanpassung erfolgt (§ 181 Abs. 2 S. 1) oder der VR – bei Arglist des VN – weitergehende Rechte ausüben kann (§ 181 Abs. 2 S. 2). Die Regelungen der §§ 181, 23 ff. passen nicht bei naturgemäß vorübergehender Bewusstseinsstörung infolge Trunkenheit oder Medikamenteneinnahme,37 aber auch Schlaf bzw. Übermüdung;38 denn Gefährdungsvorgänge können nur dann als Gefahrerhöhung angesehen werden, wenn sie einen neuen Zustand erhöhter Gefahr schaffen, der seiner Natur nach geeignet ist, von so langer Dauer zu sein, dass er die Grundlage eines neuen, natürlichen Gefahrenverlaufs bilden und damit den Eintritt des Versicherungsfalls generell fördern kann (§ 181 Rn. 6). Dies passt nicht für Gefährdungsvorgänge, bei denen von vornherein feststeht, dass es schon aus zeitlichen Gründen sinnlos wäre, sie dem VR anzuzeigen, um ihm eine Entschließung über die Kündigung des Versicherungsvertrages zu ermöglichen.39
II. Betroffenheit der versicherten Person 9
Ausgeschlossen ist nur der Versicherungsschutz für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen der versicherten Person. Die Klausel erfasst nicht die Bewusstseinsstörung eines Dritten, der den Unfall (z.B. als Kfz-Führer) verursacht hat.40 Dies ergibt sich bei Vereinbarung der AUB 99/2008 bereits deutlich aus dem Wortlaut von Ziff. 5.1.1 („Unfälle der versicherten Person, die …“). Nichts anderes gilt aber auch für § 2 Abs.1 Nr. 1 AUB 88/94 und § 3 Nr. 4 AUB 61 die ebenso wie die Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 die Formulierung enthalten: „… die den ganzen Körper des Versicherten ergreifen“. Der Ausschluss betrifft ebenfalls keine Unfälle, die ihre Ursache in einer Geistesstörung eines Dritten haben. In diesen Fällen kommt die über das Alltägliche hinausgehende Gefahrerhöhung nicht aus der „Sphäre“ der versicherten Person, sondern aus einem von seiner Person nicht im Geringsten steuerbaren Bereich. Es realisiert sich vielmehr ein „normales“ Unfallrisiko, für das der verständige VN Versicherungsleistungen erwarten darf.
34 35 36 37 38
BGH 20.3.1959 BGHSt 13 83, 90. BGH 5.4.1962 VersR 1962 461, 462 = VerBAV 1962 259 f. Stockmeier/Huppenbauer S. 45 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 166. OLG Oldenburg 6.5.1955 VersR 1955 513, 514.
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39 40
BGH 18.10.1952 BGHZ 7 311 (LS) zum Haftpflichtversicherungsrecht. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951; OLG Hamm 11.2.1987 RuS 1987 207; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 7.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
III. Geistesstörungen Was unter dem Begriff der „Geistesstörung“ in Ziff. 5.1.1 bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 10 88/94 und § 3 Nr. 4 AUB 61 zu verstehen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Z.T. wird das Wort Geistesstörung definiert als einen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit,41 die zum Verlust der Steuerfähigkeit ohne Eintrübung des Bewusstseins führe.42 Zur Begründung wird auf § 827 BGB und § 104 Nr. 2 BGB (s.a. § 105 Abs. 2 BGB) zurückgegriffen. Die wohl herrschende Gegenauffassung sieht kein praktisches Bedürfnis dafür, exakt zwischen Geistes- und Bewusstseinsstörungen zu differenzieren und verwendet beide Worte als eine Sammelbezeichnung 43 mit dem Inhalt, dass der Ausschluss sämtliche erheblichen Störungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit erfasse, die auf Krankheit, Alkoholgenuss sowie künstlichen Mitteln beruhten und die versicherte Person außerstande setzten, den Sicherheitsanforderungen ihrer Umwelt zu genügen (Rn. 15).44 Diese Meinung hält einen Rückgriff auf den gleich lautenden oder ähnlichen Begriff der Geistesstörung im BGB für verfehlt, weil der Sinngehalt von allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen, die sich mit der Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen und der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit befassten, nicht auf eine Ausschlussklausel in den AUB übertragen werden könne. Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94) betreffe aus versicherungstechnischen Gründen bestimmte Fälle eines objektiv gesteigerten Unfallrisikos ohne Rücksicht auf die subjektive Willensrichtung und Verantwortlichkeit der versicherten Person.45 Unabhängig davon, dass die h.M. dem Wunsch nach einer sorgfältigen Subsumtion unter einzelne Tatbestandsmerkmale durch undifferenzierte Vermengung zweier Begriffe nicht Rechnung trägt und keinen eigenen Definitionsvorschlag für das Wort „Geistesstörung“ unterbereitet, überzeugt sie in ihrer Argumentation nicht (restlos). Maßgebend für die Auslegung der Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 und der entsprechenden Vorgängerregelungen ist, wie der Laie als Adressat der AUB das Wort „Geistesstörung“ versteht (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57). Er wird mit dem Begriff Inhalte wie Geisteskrankheit, seelische Störung, Psychose, geistige Behinderung oder Geistesschwäche verbinden.46 Diese Inhalte sind aber nicht – jedenfalls nicht uneingeschränkt – gleichbedeutend mit einer Störung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit. Der Begriff der Bewusstseinsstörung deckt sich mithin gerade nicht (vollständig) mit dem der Geistesstörung. Auch umfasst die Bewusstseinsstörung als Oberbegriff nicht alle Fälle der Geistesstörungen. Anderenfalls blieben die Sachverhalte unberücksichtigt, in denen die versicherte Person nicht in ihrer Aufnahme- oder Reaktionsfähigkeit gestört ist, sondern in denen sie nicht in der Lage ist, ihre Handlungen rational zu steuern, weil sie z.B. unter Wahnvorstellungen leidet.47 Weiterhin ist der Hinweis der h.M. auf die fehlende Vergleichbarkeit des AUB-Ausschlusses und der Vorschriften in §§ 827, 104 Nr. 2 BGB für 41 42 43
44
Hofmann S. 40; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 170. Gaidzik S. 26; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 16. OLG Hamm 14.5.2008 VersR 2009 349 = RuS 2009 30; insofern auch BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1092 („… die mit einem Sammelbegriff umschriebenen Bewusstseinsoder Geistesstörungen“). Kloth Rn. K 8 f.; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 4; Naumann/Brink-
45
46 47
mann § 4 Rn. 14; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 4. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 77, 83 f. = VerBAV 1958 72, 73 Nr. 185; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn.7; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 41. Duden Band 10: Das Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl. (2002), zu „geisteskrank“. In diese Richtung bereits Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 16.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
sich allein genommen noch nicht zwingend. Zwar betreffen die Regelungen unterschiedliche Sachverhalte. Dies gebietet jedoch nicht die Annahme, dass die gemeinsame Wortwahl zu unterschiedlichen Bedeutungsinhalten führen muss. Es ist nicht ersichtlich, warum der durchschnittliche VN dem Wort in den AUB einen anderen Bedeutungsinhalt geben sollte als der BGB-Gesetzgeber, der sich auch an den „Normalbürger“ wendet. Letztlich ist einzuräumen, dass die Kontroverse um den genauen Bedeutungsinhalt des Wortes „Geistesstörung“ weitgehend akademischer Natur ist. Bisher sind keine Fälle bekannt geworden, in denen es auf eine messerscharfe Definition von Geistesstörungen einerseits und Bewusstseinsstörungen andererseits sowie auf die genaue Abgrenzung dieser beiden Begriffe angekommen ist. Dies liegt daran, dass die meisten praktisch relevanten Sachverhalte in den Bereich der Bewusstseinsstörungen fallen. Selbst wenn der seltene Fall einer Wahnvorstellung, eines zwanghaften Handelns oder Reagierens etc. zur Beurteilung gelangen sollte, so herrscht im Ergebnis Einigkeit darüber, dass der Ausschluss in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 eingreift. Darüber hinaus kommt dem Ausschluss der Geistesstörung noch aus einem anderen Grund keine besonders große eigenständige und praktisch relevante Bedeutung zu. Die Geistesstörung beruht in aller Regel auf einer Geisteskrankheit, die typischerweise bereits zur Versicherungsunfähigkeit führt (Ziff. 4 AUB 2008 Rn. 24 ff.). Die Rechtsprechung hat sich bisher mit dem Ausschluss der Geistesstörung nur selten 11 explizit befasst. Eine krankhafte Geistesstörung liegt z.B. vor bei • Idiotie (völlige Bildungsunfähigkeit), bei der die versicherte Person oft sprachunfähig und anstaltsbedürftig ist.48 • Wahnsinn. So liegt etwa der Fall, in dem die versicherte Person unter Wahnvorstellungen mit Verlust der Realitätskontrolle leidet.49 Für eine solche psychopathologische Störung spricht u.a., wenn die versicherte Person vor dem Unfall unter Verfolgungswahn und panischer Angst litt (z.B. ohne nachvollziehbare Erklärung spät abends mit Gaspistole und Messer bei seinem Nachbarn erscheint oder seine Wohnung verbarrikadiert).50
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Bloße Geistesschwäche fällt nicht unter den Begriff der Geisteskrankheit, da der Ausschluss darauf abzielt, nur Personen vom Versicherungsschutz auszunehmen, die infolge ihrer Beeinträchtigungen nicht in der Lage sind, sich gegen die Unfallgefahren wie ein normaler Mensch abzusichern (Rn. 6). Nicht erfasst sind deshalb:51 • Debilität (Unfähigkeit zur Aneignung durchschnittlicher Bildung, leichter Schwachsinn); • Imbezillität (Unfähigkeit zu jeder Erwerbstätigkeit bzw. zur selbständigen Zurechtfindung im praktischen Leben); • Demenz (Verlust früher vorhandener geistiger Fähigkeiten durch organische Hirnerkrankung), jedenfalls wenn sie nicht weit fortgeschritten ist.
IV. Bewusstseinsstörungen 13
Der Bedeutungsinhalt des Wortes „Bewusstseinsstörung“ ist mangels einer vertraglichen oder gesetzlichen Definition nicht ganz unumstritten. Üblicherweise wird differenziert zwischen Bewusstseinsstörungen aufgrund von Alkohol, künstlichen bzw. chemischen Mitteln oder sonstigen (krankheitsbedingten) Bewusstseinsstörungen.52
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Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 5. S.a. LG Dortmund 28.2.2008 VersR 2008 1639, 1640. OLG Hamm 15.1.2003 RuS 2003 341 f.; zust. Marlow RuS 2004 353, 355.
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Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 5. S. etwa BGH 10.1.1957 BGHZ 23 77, 83; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 17.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
1. Auslegung des Begriffs Anhaltspunkte dafür, wie der Begriff „Bewusstseinsstörung“ zu verstehen ist, finden 14 sich weder in den AUB 61/88/94/99 noch in gesetzlichen Vorschriften. Insbesondere ist der Begriff der Bewusstseinsstörung in den AUB ein anderer als die in § 20 StGB (früher § 51 StGB) angesprochene „Schuldunfähigkeit.53 Während § 20 StGB darauf abstellt, ob der Täter unfähig ist, wegen der (tiefgreifenden) Bewusstseinsstörung das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, also einen rein „inneren“ Vorgang beim Täter erfasst, geht es in den AUB nicht um die Unterscheidungsfähigkeit von Recht und Unrecht in der Vorstellung des Menschen, sondern um die Beeinträchtigung der Fähigkeit, drohende Unfallgefahren zu erkennen und sich in dieser Lage besonnen und richtig zu verhalten (s.a. Rn. 5).54 Im Rahmen der gebotenen Auslegung besteht insofern Einigkeit, als die Bewusstseinsstörung einerseits keine völlige (zeitlich begrenzte) Bewusstlosigkeit,55 d.h. kein gänzliches Versagen der Sinnestätigkeit,56 bzw. keinen völligen Verlust der Leistungsfähigkeit voraussetzt,57 also ein Weniger ausreicht.58 Dies ergibt sich daraus, dass es in der Klausel nicht „Bewusstseinsverlust“, sondern „Bewusstseinsstörung“ heißt.59 Andererseits ist weitgehend unumstritten, dass eine bloße Funktionseinschränkung der Sinnesorgane (z.B. erhöhte Blendempfindlichkeit nach Alkoholgenuss, sofern sie nicht über das normale Maß hinausgeht) nicht allein zur Annahme einer Bewusstseinsstörung ausreicht;60 denn der durchschnittliche VN wird solche Beeinträchtigungen nicht mit Bewusstseinsstörungen gleichsetzen. Im Übrigen bestehen unterschiedliche Auffassungen, welcher Inhalt dem Wort „Bewusstseinsstörung“ beizumessen ist. Die in der Praxis übliche Definition wird im Schrifttum z.T. in Frage gestellt. Die Kritik konnte sich indes bisher nicht durchsetzen. a) Gerichtspraxis. Nach ständiger Rechtsprechung ist – unter Berücksichtigung des 15 Sinn und Zwecks des Ausschlusses (Rn. 6) – für die Annahme einer Bewusstseinsstörung eine (auf Krankheit, Alkoholgenuss oder Einnahme künstlicher bzw. chemischer Mittel beruhende) wesentliche Störung der Aufnahme- und Reaktions- bzw. Gegenwirkungsfähigkeit in einem solchen Ausmaß erforderlich und ausreichend, dass die versicherte Person der Gefahrenlage, in der sie sich befindet bzw. begeben hat, nicht mehr gewachsen ist bzw. den Sicherheitsanforderungen ihrer Umwelt nicht mehr genügt.61 Dies ist der
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OLG Oldenburg 6.5.1955 VersR 1955 513, 514. OLG Braunschweig 10.5.1960 VersR 1960 722, 723; OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 667; OLG Köln 14.5.1958 VersR 1958 517 f.; Hentschel/Born Rn. 921. S. nur BGH 24.9.2008 VersR 2008 1683 Rn. 3 = RuS 2008 521, 522; BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1092; BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343 = RuS 1991 35 = VerBAV 1991 262, 263; BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584; BGH 5.4.1962 VersR 1962 461 = VerBAV 1962 259. S. nur BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 464; RG 10.5.1940 RGZ 164 49, 51; OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574 = RuS 2006 252; OLG Nürnberg 12.8.1999 NVersZ 2000 169, 170 = RuS 2000 437;
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OLG Oldenburg 14.7.1999 RuS 2000 303, 304; OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436. BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 317 f. = VerBAV 1956 12, 13 Nr. 130; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 7. OLG Stuttgart 5.9.1991 VersR 1992 1219 f. Knappmann VersR 2000 11, 15. BGH 30.10.1985 VersR 1986 141, 142; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 42; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 81; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 17; krit. aber Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 10. S. nur BGH 24.9.2008 VersR 2008 1683 Rn. 3 = RuS 2008 521, 522; BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343, 1344 = RuS 1991 35 = VerBAV 1991 262, 263; BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 464;
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Fall, wenn die zur Vermeidung oder Abwehr von Gefahren unerlässlichen Teilfunktionen des Gehirns der versicherten Person so ernsthaft beeinträchtigt sind, dass sie anders als ein Mensch in normaler Verfassung (der Herr seiner ungetrübten Sinne ist) nicht in der Lage ist, Sinneseindrücke geistig schnell und genau zu erfassen und auf diese sofort besonnen, angemessen und richtig zu reagieren.62 Ob eine Bewusstseinsstörung i.S. der AUB vorliegt, hängt mithin von zwei Variablen ab, nämlich dem Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit und der konkreten Gefahrenlage, in der sich die versicherte Person befindet.63 Welche Anforderungen an die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit zu stellen sind, hängt von der jeweiligen Lebenssituation der versicherten Person ab, die sie zum Zeitpunkt des Unfalls zu meistern hat.64 Unterschiedliche Gefahrenlagen begründen unterschiedliche Anforderungen. Die Annahme einer Bewusstseinsstörung liegt umso näher, je höher die Ansprüche sind, die an die versicherte Person in der konkreten Situation gestellt werden.65 So sind z.B. die Anforderungen im Straßenverkehr besonders hoch bei einem Kraftradfahrer, geringer bei einem Kraftwagen- oder Fahrradfahrer, noch geringer bei einem Fußgänger, am geringsten bei dem Mitfahrer eines Kraftwagens.66 Das macht eine fallbezogene Betrachtung erforderlich.67 Ein bestimmter körperlicher Zustand führt demnach nicht generell bzw. automatisch zum Ausschluss.68 Genauso wenig ist eine bestimmte zeitliche Dauer der Störung zu verlangen. Sowohl Bewusstseinsstörungen von dauernder als auch zeitweiliger (kurzer) Dauer können vom Ausschlusstatbestand erfasst sein.69 In der Praxis haben sich bestimmte Fallgruppen zur Beurteilung von Bewusstseinsstörungen herauskristallisiert. Insbesondere werden bei alkoholbedingten Verkehrsunfällen aus den Feststellungen zur absoluten oder relativen Fahr- oder Verkehruntüchtigkeit Rückschlüsse auf das Vorliegen einer Bewusstseinsstörung gezogen.
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b) Kritik. An der in der Praxis vorgenommen Auslegung der Formulierung „Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen“ bemängeln Stimmen in der Literatur70 seit Jahrzehnten, dass sich die konkrete Ausgestaltung dieser Wendung durch die Rechtsprechung und die Tragweite des Ausschlusstatbestandes einem durchschnitt-
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RG 10.5.1940 RGZ 164 49, 51; ferner OGH 9.5.2007 VersR 2008 947, 948; OGH 22.11.1990 VersR 1991 836. S. nur BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1092; BGH 7.6.1989 VersR 1989 902, 903; BGH 5.4.1962 VersR 1962 461 = VerBAV 1962 259; BGH 8.7.1957 VersR 1957 509; BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 313 und 318 = VerBAV 1956 12 und 13 Nr. 130. Langheid/Müller-Frank NJW 2001 111, 119. OLG Oldenburg 14.7.1999 RuS 2000 303, 304; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 8; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 42. So etwa BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 90; Rüther NZV 1994 457, 463. S. nur BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343, 1344; BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584; BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 464;
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OLG Hamm 14.5.2008 VersR 2009 349 = RuS 2009 30; OLG Saarbrücken 5.4.2006 ZfS 2006 338. Knappmann VersR 2000 11, 15. BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1092; OLG Hamm 14.5.2008 VersR 2009 349 = RuS 2009 30; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 169; anders offenbar BGH 7.6.1989 VersR 1989 902, 903. Eingehend hierzu bereits Gerchow ZVersWiss 1970 407, 408 ff. und 424; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 136, 172, 196 und 205; zust. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 24; im neueren Schrifttum Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 6; Knappmann RuS 2007 45, 48; Knappmann VersR 2000 11, 15 f.; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 15; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 80 und 86 ff.; Schubach ZfS 2005 224, 225.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
lichen VN keineswegs problemlos erschließe. Vielmehr widerspreche die Gerichtspraxis (auch die des BGH) zum Ausschlusstatbestand der Bewusstseinsstörung den Grundsätzen, die der BGH zur Auslegung von AVB entwickelt habe (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57 ff. und Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 5). Insbesondere die Gleichsetzung von „Bewusstseinsstörung“ und „Fahrunsicherheit“ sei nicht offensichtlich, sondern rechtspolitisch (generalpräventiv) motiviert und deshalb bedenklich.71 Sie ergebe sich für den Leser – jedenfalls auf den ersten Blick – weder aus dem Wortlaut der Klausel noch bei einer genauen Durchsicht der AUB. Vielmehr sei die Relativität des Begriffs der Bewusstseinsstörung objektiv nicht zu rechtfertigen; es sei überraschend, dass die versicherte Person von einem Augenblick auf den anderen aus dem Zustand der Bewusstseinsstörung fallen und auch wieder zurückfallen könne, je nachdem, ob und in welcher Weise sie am Straßenverkehr teilnehme. Die AUB seien insofern ergänzungs- und präzisierungsbedürftig, da jeder VN ein Anrecht auf Klarheit über die Reichweite des mit ihm vereinbarten Versicherungsschutzes habe. c) Stellungnahme. Die seit Langem geäußerte Kritik an dem herrschenden Verständ- 17 nis der Bewusstseinsstörung hat sich (bisher) nicht durchgesetzt 72 und wird im neueren Schrifttum z.T. auch gar nicht mehr oder nur beiläufig erwähnt. Die Gerichte – auch der BGH – haben sich in Kenntnis der ablehnenden Stimmen im Schrifttum mehrfach mit dem Bedeutungsinhalt des Ausschlusses intensiv auseinandergesetzt, ohne einen Kurswechsel vorzunehmen.73 Es ist deshalb davon auszugehen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung den Bedeutungsinhalt, der dem Begriff „Bewusstseinsstörung“ seit Jahrzehnten beigemessen wird, auch nach Einführung des AGB-Gesetzes (bzw. der §§ 307 ff. BGB) noch als hinreichend verständlich ansieht.74 Dies lässt sich zwar – mit Einschränkung – rechtfertigen. Jedoch sollten die VR bei einer Neufassung der AUB den unnötigen Konfliktstoff durch eine Klarstellung des Ausschlusses beseitigen. aa) Wortlaut. Z.T. wird bezweifelt, dass auf Grundlage des für die Auslegung maß- 18 geblichen Verständnisses eines durchschnittlichen VN (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57) Bewusstseinsstörung und (insbesondere die relative) Fahr- oder Verkehrsunsicherheit in einem übereinstimmenden Sinne verstanden werden könnten.75 Nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens sei eine Bewusstseinsstörung nur dann gegeben, wenn die Fähigkeit einer Person tief greifend gestört sei, Umweltreize aufzunehmen, sie zu verarbeiten und auf sie angemessen zu reagieren.76 Die Fahrunsicherheit sei dagegen situativ geprägt. Nur bei schweren Rauschzuständen werde der durchschnittliche VN eine Bewusstseinsstörung annehmen,77 nicht aber bei Vorliegen einer bestimmten
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Wohl auch Römer/Langheid 2 § 179 Rn. 17. Bedenken äußerte bereits OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38, ohne sich jedoch abschließend festzulegen; s.a. OLG Hamm VerBAV 1954 42, 43 Nr. 62. Lang NZV 1990 169, 170 räumt ein, dass der Begriff der „Bewusstseinsstörung“ vom Sprachsinn her eine andere Bedeutung habe als der Begriff der „Fahruntüchtigkeit“; offen lassend Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 131. Langheid/Müller-Frank NJW 2001 111, 119. S. etwa BGH 3.7.2002 VersR 2002 1135, 1136; BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584.
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So ausdrücklich Lang NZV 1990 169, 170; ferner Schubach ZfS 2005 224, 225. Gerchow ZVersWiss 1970 407, 408 f., 415 und 424; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 86. Knappmann VersR 2000 11, 16 im Anschluss an Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 196. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 15.
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Alkoholkonzentration (ggf. in Verbund mit alkoholbedingten Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern). Zwingend ist diese Argumentation nicht. Im alltäglichen Sprachgebrauch können die (absolute bzw. relative) „Fahrunsicherheit infolge Trunkenheit“ durchaus unter den Begriff „Bewusstseinsstörung, soweit diese auf Trunkenheit beruht“ subsumiert werden. Die mit der Fahrunsicherheit verbundenen äußeren Kennzeichen bzw. konkreten Auswirkungen beim betroffenen Menschen stehen in Einklang mit dem laienhaften Verständnis einer Bewusstseinsstörung: • „Bewusstsein“ wird üblicherweise mit „klarer Einsicht“ bzw. „Zustand geistiger Klarheit“, „Herrschaft über seine Sinne“,78 „geistige Verfassung“,79 „Erkenntnis- oder Einsichtsvermögen“, „alles innerlich Erfasste“ oder „Absichtlichkeit“ 80 („etwas mit vollem Bewusstsein tun“) verbunden.81 Zu den Qualitäten des Bewusstseins zählen z.B. Wachheit, Orientiertheit (nach Zeit, Raum und Person), Zielgerichtetheit, Aktivität, Aufmerksamkeit, Auffassung, Denkablauf und Merkfähigkeit.82 Diese Kriterien sind – auch aus Laiensicht – nicht erfüllt, wenn bei der versicherten Person die typischerweise mit Alkoholgenuss verbundenen Leistungsminderungen eintreten, die im Straßenverkehr absolute oder relative Fahrunsicherheit zur Folge haben. Es ist allgemein bekannt, dass auch bei leichter Alkoholisierung die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit herabgesetzt wird, eine Enthemmung und höhere Risikobereitschaft besteht, einem Menschen ungewollt (häufig und gravierende) Fehler unterlaufen usw. (Rn. 7). Zwar folgt z.B. allein aus einer Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns oder des Koordinationsvermögens noch keine Bewusstseinsstörung, da sonst auch körperliche Behinderungen oder Gebrechen, die in keinerlei Zusammenhang mit der geistigen Verarbeitungsfähigkeit stehen, stets unter den Ausschluss zu fassen wären.83 Anders ist dies jedoch, wenn Alkohol die Ursache ist; denn dann sind die körperlichen Leistungsdefizite Ausdruck davon, dass die versicherte Person ihre Bewegungen geistig nicht mehr voll beherrschen kann sowie nicht vollständig kontrolliert und unabsichtlich Dinge tut, die sie in nüchternem Zustand nicht getan hätte oder an die sie sich später nicht bzw. nicht vollständig erinnert. • „Störung“ bedeutet „unliebsame Unterbrechung“,84 „Beeinträchtigung“, „Behinderung“, „Unterbrechung“, „ungewollter Ausfall“ oder „Defekt“,85 d.h. ein gewollter „Normalzustand“ wird durch einen anderen – nicht gewünschten – irregulären Zustand bzw. außergewöhnlichen Umstand abgelöst.86 Auch dies wird man sagen können, wenn der alkoholisierte Verkehrsteilnehmer nicht sein übliches, normales Leistungsvermögen abrufen kann, sondern alkoholbedingt in seiner Aufnahme- oder Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt ist. Der von der Allgemeinheit gewünschte Zustand der Verkehrssicherheit wird durch eine Gefahr (nachweislich) gestört, die von der versicherten Person gesetzt ist. Dagegen ist die Annahme nicht überzeugend, der Begriff „Bewusstseinsstörung“ setze eine besondere Schwere (eine tief greifende Störung) voraus.87 Eine „Störung“ kann nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sowohl leicht oder schwerwiegend bzw. kurz- oder längerfristig sein. Wäre eine bestimmte Qualität (z.B. ein schwerer Rauschzustand) oder eine bestimmte Dauer erforderlich, hätte es einer Ergänzung der Klausel um Worte wie „erhebliche“ oder „dauerhafte“ Bewusstseinsstörung bedurft.
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Duden Band 10: Das Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl. (2002), unter „Bewusstsein“. Duden Band 8: Das Synonymwörterbuch, 3. Aufl. (2004), unter „Bewusstsein“ Duden Band 1: Die deutsche Rechtschreibung, 21 Aufl. (1996), unter „bewusst“. Mackensen Deutsches Wörterbuch, 10. Aufl. (1983) unter „Bewusstsein“. Pschyrembel zum Stichwort „Bewusstsein“. In diese Richtung OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38.
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Mackensen Deutsches Wörterbuch unter „Störung“. Duden, Synonymwörterbuch unter „Störung“; s.a. Duden Bedeutungswörterbuch unter „Störung“. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 77, 85 = VerBAV 1958 72, 74 Nr. 185; ferner LG Paderborn 10.9.1992 RuS 1993 396. So aber ausdrücklich OLG München 3.5.1960 VersR 1961 1084, 1085.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
• Die Kombination der Wortbestandteile „Bewusstsein“ und „Störung“ ergibt bei unbefangener Betrachtung, dass Bewusstseinsstörung lediglich das Abweichen der geistigen Leistungsfähigkeit vom Normalzustand meint. Dementsprechend wird die Bewusstseinsstörung im normalen Sprachgebrauch umschrieben als „Bewusstseinstrübung“, „Beginn der Ohnmacht“, „Geistesabwesenheit“88 oder auch als „Zustand eingeschränkter Ansprechbarkeit und verminderter Fähigkeit auf Umweltreize wie ein Nüchterner zu reagieren.“89 Die Bewusstseinstrübung oder Geistesabwesenheit sind aber auch Kennzeichen der typischen Folgeerscheinungen des Alkoholgenusses (wie z.B. Konzentrationsverlust, verlangsamte Reaktionen).
Unzutreffend ist schließlich die Annahme, die Fülle der zur Bewusstseinsstörung i.S. des unfallversicherungsrechtlichen Ausschlusstatbestandes veröffentlichten Entscheidungen zeige die Unverständlichkeit einer wesentlichen Ausschlussbestimmung.90 Der Grund für die praktische Bedeutung des Ausschlusstatbestandes liegt vielmehr darin, dass zum einen „Trunkenheitsfälle“ in der Leistungsregulierung wesentlich häufiger vorkommen als andere Ausschlüsse und zum anderen die tatsächlichen Voraussetzungen der Klausel zwischen den Parteien häufig im Streit sind. Dass Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (bzw. seine Vorgängervorschriften) als solches unverständlich sei, insbesondere die Fahrunsicherheit nicht Bestandteil einer vom Unfallversicherungsschutz ausgeschlossenen Bewusstseinsstörung sei, wird von dem VN regelmäßig weder in der außergerichtlichen Korrespondenz mit dem VR noch in der gerichtlichen Auseinandersetzung geltend gemacht. Es besteht typischerweise kein Streit über den einzuhaltenden Rechtsrahmen, sondern darüber, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Fahrunsicherheit vorliegen bzw. bewiesen sind oder nicht. I.E. spiegeln sich die in der strafrechtlichen Praxis bestehenden Probleme zur Feststellung der „Fahrunsicherheit“ im Unfallversicherungsrecht wider. Sofern die Auslegung nach dem Verständnis eines durchschnittlichen VN zu keinen 19 eindeutigen Ergebnissen führt, kommt es in Betracht, den Begriff „Bewusstseinsstörung“ gemäß dem Verständnis im medizinischen Sprachgebrauch zu füllen (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 69). Hier wird z.T. im Schrifttum angeknüpft und ausgeführt, „Bewusstseinsstörung“ werde in der Fachwelt nicht mit absoluter oder relativer Fahrunsicherheit gleichgesetzt.91 Dort würde die Bewusstseinsstörung als Sammelbegriff für alle praktisch bedeutsamen Störungen des Bewusstseins verstanden, die Gedächtnislücken durch Amnesie hinterließen. Dies sei aber erst bei erheblichen Rauschzuständen anzunehmen.92 Auch diese Argumentation ist i.E. nicht stichhaltig. Sie geht von der Prämisse aus, der Begriff „Bewusstseinsstörung“ erschließe sich einem durchschnittlichen VN nicht ausreichend. Dies ist indes nicht der Fall. Selbst wenn aber ausnahmsweise die medizinisch definierte Bewusstseinsstörung in die Auslegung mit einfließen würde, wäre die Annahme nicht zwingend, das Vorliegen einer Bewusstseinsstörung setze zumindest einen erheblichen Rauschzustand voraus: In der medizinischen Fachwelt wird zum einen keine einheitliche Auffassung zum Begriff „Bewusstseinsstörung“ vertreten. Insbesondere wird keineswegs allgemein ein hochgradiger Trunkenheitszustand für das Vorliegen einer Bewusstseinsstörung verlangt. Im Gegenteil: Es wird durchaus vertreten, dass der Zustand der Bewusstseinstörung i.S.d. AUB eine Entsprechung in medizinisch-psychologischen Erkenntnissen finde.93 Hierfür spricht, dass die Helligkeit des Bewusstseins bereits dann getrübt
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Mackensen Deutsches Wörterbuch unter „Bewusstseinsstörung“. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 17. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 196.
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 15; auf diese Bedenken wies bereits OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38 hin. Knappmann VersR 2000 11, 16. Gerchow ZVersWiss 1970 407, 411 ff., 424.
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ist, wenn der Kontakt zur Außenwelt gestört ist, etwa weil Außeneindrücke nicht oder nur unvollständig wahrgenommen werden können, was wiederum zu einem Absinken des Verantwortungsgefühls oder der Fähigkeit zu längerer Aufmerksamkeit und kritischer Selbstbeobachtung führt. Entsprechende Beeinträchtigungen sind aber auch bereits bei leichten Alkoholisierungsgraden zu verzeichnen (Rn. 7). Zum anderen umschreibt in der Medizin die Bewusstseinsstörung in ihrer schwächsten Form die Beeinträchtigung des Bewusstseins als „Benommenheit“, „schlaftrunkenen Zustand“ oder „krankhafte Schläfrigkeit“ (Somnolenz).94 Schlaftrunkenheit oder Benommenheit realisiert sich aber in ähnlicher Weise – nämlich durch Verminderung der Aufnahme- und Reaktionsbereitschaft – nach mäßigem oder übermäßigem Alkoholgenuss, ggf. kombiniert mit alkoholtypischen Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern. Bewusstseinsstörung und Fahrunsicherheit können, müssen aber nicht ein und das20 selbe sein.95 Vielmehr ist Bewusstseinsstörung (im allgemeinen) als Oberbegriff zur Fahrunsicherheit bzw. -untüchtigkeit aufzufassen,96 sofern es nicht um eine Fahrunsicherheit bzw. -untüchtigkeit aufgrund rein körperlicher Behinderungen geht.97 Wenn das Kennzeichen einer Bewusstseinsstörung in der Verringerung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit eines Menschen gesehen wird, so sind diese Entscheidungskriterien auch erfüllt, wenn absolute oder relative Fahrunsicherheit festgestellt werden kann. Die Bewusstseinsstörung und die Fahrunsicherheit weisen vergleichbare Symptome und Auswirkungen auf.98 • Zur Bestimmung der absoluten Fahrunsicherheit wird auf Erfahrungswerte zurückgegriffen, die typischerweise mit einer erheblichen Verringerung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Menschen verbunden sind. Bei einem Blutalkoholwert von 1,6 ‰ wird gelegentlich schon von einem Rausch starker Intensität gesprochen.99 Jedenfalls zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse, dass ab einer bestimmten Blutalkoholkonzentration – abhängig von der Art der Verkehrsteilnahme und den dabei zu bewältigen Verkehrssituationen – der Verkehrsteilnehmer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit und unter Berücksichtigung von Sicherheitszuschlägen aufgrund verlangsamter Reaktionen etc. nicht mehr in der Lage ist, sich wie ein Nüchterner zu verhalten. • Ähnliches wie zur absoluten Fahrunsicherheit gilt für die relative Fahrunsicherheit. Sie wird damit begründet, dass selbst bei nur mäßigem Alkoholkonsum häufig die Sinnesleistungen des Verkehrsteilnehmers reduziert sind. Da hier aber noch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Verkehrsuntüchtigkeit für jeden Menschen festgestellt werden kann, sondern z.B. der Konstitution oder Alkoholgewöhnung des Fahrers Rechnung getragen werden muss, ist es erforderlich, noch weitere Anzeichen für eine Verkehrsuntüchtigkeit festzustellen. Treten aber neben einer bestimmten Blutalkoholkonzentration noch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler auf, so ist es auch bei der relativen Fahrunsicherheit gerechtfertigt, von einer Verringerung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit zu sprechen.
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Es kommt nach dem objektiv gefassten Wortlaut der Klausel auch nicht darauf an, ob die versicherte Person an sich selbst oder ein Dritter an ihr eine Bewusstseinsstörung fest-
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Pschyrembel zum Stichwort „Bewusstseinsstörung“; insofern auch Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 196. OLG Braunschweig 10.5.1960 VersR 1960 722, 723; OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38; OLG Köln 14.5.1958 VersR 1958 517; a.A. offenbar Rüther NZV 1994 457, 463. BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 314 = VerBAV 1956 12 Nr. 130; LG Düsseldorf
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19.3.1963 VersR 1963 1065; Franke VersR 1972 293. LG Coburg 5.2.1960 VersR 1961 458; LG Kaiserslautern 28.2.1961 VersR 1961 973. OLG Braunschweig 10.5.1960 VersR 1960 722, 723. OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 667.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
stellen kann bzw. die versicherte Person sich in ihrem Bewusstsein gestört fühlt.100 Entscheidend sind nicht subjektive Beeinträchtigungen, sondern ob tatsächlich eine Verminderung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit vorliegt. Lässt sich etwa ein alkoholtypischer Fahrfehler feststellen, so wird der verständige VN nicht behaupten, er habe wie ein normaler Autofahrer bzw. ohne Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit oder seines Bewusstseins am Straßenverkehr teilgenommen. bb) Systematik. Aus dem Kontext zum Wort „Bewusstseinsstörung“ wird vereinzelt 22 gefolgert, dass sich eine Gleichstellung mit „gewöhnlicher“ Fahrunsicherheit verbiete. Sowohl die Geistesstörung als auch Schlaganfälle, epileptische Anfälle und Krampfanfälle verlangten tief eingreifende Ereignisse bzw. schwere Gesundheitsstörungen.101 Dem ist insofern zuzustimmen, als die in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 genannten Anfälle typischerweise mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die versicherte Person verbunden sind. Fraglich ist jedoch, ob sich daraus für den verständigen VN der Schluss aufdrängt, die Bewusstseinsstörung müsse besonders schwer oder gravierend sein. Zum einen wird bei einem solchen Verständnis vernachlässigt, dass die erste Satzhälfte des Ausschlusses, die die Geistes- oder Bewusstseinsstörungen betrifft, deutlich durch das „sowie“ von den Anfällen getrennt ist. Es handelt sich um eine Aufzählung unterschiedlicher Sachverhalte, die genauso gut in zwei getrennten Ausschlusstatbeständen erfolgen könnte. Die erste Satzhälfte betrifft Leistungsminderungen, die ihre Ursache in den verminderten (geistigen) Steuerungsmöglichkeiten der versicherten Person haben. Dagegen werden in der zweiten Satzhälfte Umstände umschrieben, die sich (deutlich sichtbar) körperlich auswirken. Die Regelung dieser (völlig) unterschiedlichen Sachverhalte in einer Klausel erfolgt nur deshalb gemeinsam, weil es übereinstimmend um den Ausschluss gesundheitlicher Beeinträchtigungen der versicherten Person geht. Daraus lässt sich noch nicht zwingend folgern, dass die einzelnen Fälle des Ausschlusses auch einen vergleichbaren Schweregrad aufweisen müssten. Zum anderen ergibt sich aus dem Nebensatz „auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen“ für den aufmerksamen Leser der Hinweis, dass es sich bei dem Begriff „Bewusstseinsstörung“ nicht etwa um eine Geisteskrankheit oder einen Rausch handeln muss. Dann wäre der Einschub eher irreführend. Dem VN wird vielmehr verdeutlicht, dass typische Trunkenheitsfälle vom Unfallversicherungsschutz ausgenommen sein sollen. Den Ausdruck „Trunkenheit“ wird der durchschnittliche VN jedenfalls dann bejahen, wenn bei der versicherten Person eine absolute oder relative Fahrunsicherheit festgestellt werden kann. cc) Erkennbarer Zweck des Ausschlusses. Würde der Anwendungsbereich der Klausel 23 tatsächlich auf die medizinische Definition der Bewusstseinsstörung i.S. einer Amnesie reduziert, so würde dies ihrem Sinn und Zweck (Rn. 6) widersprechen.102 Zwar sind der Wille und die Vorstellung des VR für die Auslegung unerheblich (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Jedoch gilt dies nur, sofern die Intention des Verwenders in den AGB nicht zum Ausdruck kommt. Die Absicht des VR, für Unfälle von absolut oder relativ fahruntüchtigen Verkehrsteilnehmern nicht einstehen zu wollen, ist der Formulierung „Bewusstseinsstörung, auch soweit diese auf Trunkenheit beruht“ (noch) zu entnehmen.
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So aber Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 196. Knappmann VersR 2000 11, 16; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 15; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 80
102
und 86; in diese Richtung bereits OLG München 3.5.1960 VersR 1961 1084, 1085; s.a. ÖOGH 9.4.1981 VersR 1982 588 und ÖOGH 22.11.1990 VersR 1991 836. BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 315.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
Dass im Straßenverkehr die trunkenheitsbedingte Fahrunsicherheit eine Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit nach sich zieht, leuchtet unmittelbar ein.103 Der verständige VN wird sich darüber im Klaren sein und es billigen, dass durch erhebliche Alkoholeinwirkung verursachte Unfälle keinen Versicherungsschutz verdienen.104 Er wäre im Gegenteil eher überrascht, wenn der VR nicht nur für Unfälle, die jedermann treffen können, sondern auch für Unfälle von Verkehrsteilnehmern leisten würde, die aufgrund alkoholbedingter oder krankheitsbedingter Gefahrerhöhungen den Anforderungen des Straßenverkehrs nachweislich nicht gerecht werden.105 Dem VN werden mit der Annahme, dass die Feststellung der absoluten bzw. relativen Fahrunsicherheit den Ausschluss der Bewusstseinsstörung nach sich ziehen, keine überdurchschnittlichen oder unzumutbaren Anstrengungen abverlangt. Die Voraussetzungen für die absolute oder relative Fahrunsicherheit sind auch dem Laien regelmäßig (z.B. aus der Führerscheinprüfung oder der Berichterstattung in der Presse) zumindest in groben Zügen bekannt.106 So kann eine ungefähre Kenntnis der Grenzwerte bei der Bestimmung der Blutalkoholkonzentration vorausgesetzt werden.
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dd) Wertungswidersprüche. Berechtigt ist die Kritik an der Rechtsprechung, dass die Bewusstseinsstörung – abhängig von der konkreten Lebenssituation, in der sich die versicherte Person befindet – fallbezogen bestimmt werden soll, insbesondere wenn die Annahme der Bewusstseinsstörung an die Feststellungen zur absoluten Fahrunsicherheit geknüpft wird, die ihrerseits – je nach Art der Verkehrsteilnahme – situativ anhand unterschiedlicher Blutalkoholwerte bestimmt werden.107 Der Begriff der Bewusstseinsstörung deutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eher auf ein allgemeingültig fixierbares Maß an Beeinträchtigung des klaren Bewusstseinsseins hin.108 Es empfiehlt sich deshalb, für das Vorliegen einer Bewusstseinsstörung einen generellen Grenzwert von 1,1 ‰ zu fixieren.109 Anderenfalls entstehen Wertungswidersprüche: Ist bei einem Kraftfahrer ohne Rücksicht auf seine Alkoholgewöhnung, seine Konstitution oder sein Alter bei einem Blutalkoholwert von 1,1 ‰ die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit so gemindert, dass bei ihm das Vorliegen einer Bewusstseinsstörung nicht widerlegt werden kann, so erscheint es inkonsequent, dies nicht auch bei allen anderen Personen anzunehmen, die ebenfalls einen Blutalkoholwert von 1,1 ‰ aufweisen. Wenn der Erfahrungssatz zutreffend ist, dass ab einem bestimmten Wert der Blutalkoholkonzentration die Aufnahme- und Gegenwirkungsfähigkeit eines Menschen wesentlich beeinträchtigt ist, dann muss das generell gelten und kann nicht davon abhängig sein, in welcher Situation sich die versicherte Person gerade befindet. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der gleiche VN mit einem Blutalkoholwert von 1,1 ‰ bewusstseinsgestört ist, solange er ein Kfz lenkt,
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Langheid/Müller-Frank NJW 2001 111, 119. OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 667. Ähnlich Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 45 Fn. 149. Anders der strafrechtliche Fall in LG Krefeld 16.2.1983 NJW 1983 2099 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 24 f.; ferner Knappmann VersR 2000 11, 15; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 87. Das Problem hat bereits OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38.
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109
Insofern bereits Lang NZV 1990 169, 170, der sich i.E. aber für eine situationsbezogene Betrachtungsweise ausspricht. I.E. offenbar auch LG Regensburg 18.5.1965 VersR 1966 32, das allerdings noch den damals für Kfz-Führer angenommenen Grenzwert von 1,5 ‰ zugrunde legte und – ohne weitere Begründung – ausführte, eine Bewusstseinsstörung sei „generell ab einer Blutalkoholkonzentration über 1,5 ‰ anzunehmen“.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
nicht aber, wenn er diese Tätigkeit beendet oder unterbricht.110 Folgerichtig wäre es vielmehr, bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ eine Bewusstseinsstörung für jeden Menschen anzunehmen, unabhängig davon, ob er ein Kfz oder Fahrrad führt, zu Fuß geht, steht, sitzt oder liegt. Zwar bestehen für die Allgemeinheit unterschiedliche Gefahren, die davon abhängig sind, wie sich die versicherte Person innerhalb oder außerhalb des Straßenverkehrs bewegt. Jedoch ist der körperliche und geistige Zustand der versicherten Person in allen Lebenssituationen der gleiche.111 Damit sind die unterschiedlichen Grenzwerte, die von der Art der Verkehrsteilnahme abhängig sind, nicht obsolet. Sie können im Rahmen des Nachweises des Kausalzusammenhanges zwischen Bewusstseinsstörung und Unfall weiterhin bedeutsam sein. So wird man sagen können, dass bei einem Radfahrer oder Fußgänger weniger hohe Anforderungen an eine sichere Verkehrsteilnahme bestehen als bei einem Autofahrer und deshalb der erste Anschein für einen Kausalzusammenhang zwischen Alkoholgenuss und Unfall einen höheren Alkoholwert als 1,1 ‰ verlangt.112 ee) Anpassungsbedarf. Die Kontroverse zur Auslegung des Begriffs „Bewusstseins- 25 störung“, gerade im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, sollte durch eine Überarbeitung der AUB beseitigt werden,113 wobei neben der Erläuterung bzw. Konkretisierung der Bewusstseinsstörung infolge Trunkenheit auch die Bewusstseinsstörung aufgrund der Wirkung künstlicher Mittel wie Medikamente oder Drogen deutlicher angesprochen werden könnte.114 In Betracht kommt zum einen eine Neufassung des Ausschlusstatbestandes in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008. Die Verständlichkeit könnte u.a. dadurch gefördert werden, dass in der Klausel der Versicherungsausschluss für Unfälle von versicherten Personen, die fahrunsicher sind, ausdrücklich aufgenommen wird.115 In diese Richtung führende Überlegungen wurden auch bereits bei der Schaffung der AUB 99 angestellt, konnten sich aber nicht durchsetzen (Rn. 3). Zum anderen könnte erwogen werden, einen gesonderten Ausschlusstatbestand für „Verkehrs- oder Fahrunsicherheit“ in den Katalog von Ziff. 5 AUB 99/2008 aufzunehmen.116 Denkbar ist auch, den Versicherungsschutz für alkoholbedingte Unfälle oberhalb einer bestimmten Promillegrenze (z.B. 0,8 ‰) auszuschließen.117 2. Bewusstseinsstörung durch Alkoholgenuss Nüchternheit ist keine Voraussetzung für den Unfallversicherungsschutz. M.a.W.: Bei 26 alkoholbedingter Enthemmung ist der Unfallversicherungsschutz nicht schlechthin ausgeschlossen, sondern nur, wenn und soweit der Alkoholgenuss zu einer Bewusstseinsstörung geführt hat,118 die wiederum ursächlich für den Unfall war.119 Insbesondere schließt einerseits nicht jede Beeinträchtigung durch Alkohol, die zu einem Unfall führt,
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111 112 113 114
OLG Hamm 26.5.1971 VersR 1972 244, 245; zustimmend Knappmann VersR 2000 11, 15 Fn. 52. In diese Richtung bereits OLG Köln 14.5.1958 VersR 1958 517. OLG Hamm 26.5.1971 VersR 1972 244, 245; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 25. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 88. Gaidzik S. 27; Gerchow ZVersWiss 1970 407, 408 f., 424.
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OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38; Knappmann VersR 2000 11, 16. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 196. In diese Richtung bereits Fußhoeller VW 1972 1362 und 1517 in Erwiderung zu Kluitmann VW 1972 1218 und 1516. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 44. Stockmeier/Huppenbauer S. 43.
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Unfallversicherung
den ein Nüchterner vermieden hätte, den Versicherungsschutz aus.120 Entsprechendes gilt, wenn sich nur feststellen lässt, dass die versicherte Person in nüchternem Zustand eine andere Entscheidung getroffen hätte.121 Andererseits ist keine sinnlose Betrunkenheit erforderlich, die einer Bewusstlosigkeit gleichkommt.122 Die Störung muss vielmehr einen Grad erreichen, bei dem die versicherte Person die konkrete Gefahrenlage nicht mehr beherrschen kann.123 Zu unterscheiden ist zwischen alkoholbedingten Unfällen im Straßenverkehr, für die die Rechtsprechung eine Reihe von Fallgruppen mit Kriterien entwickelt hat, die eine verhältnismäßig gute Beurteilung der Prozesschancen erlauben, und Unfällen außerhalb des Straßenverkehrs, bei denen regelmäßig nicht auf feststehende Grenzwerte zur Blutalkoholkonzentration zurück gegriffen werden kann, sondern einzelfallbezogene Betrachtungen ein noch größeres Gewicht erlangen.
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a) Unfälle im Straßenverkehr. Größte praktische Bedeutung in der Leistungsregulierung haben Bewusstseinsstörungen durch Alkoholeinfluss im Straßenverkehr, und zwar insbesondere bei Kraftwagen- und Kraftradfahrern, aber auch bei Radfahrern, Fußgängern und Mit- bzw. Beifahrern. Für die Beurteilung entscheidend ist, ob für die jeweilige Art der Verkehrsteilnahme eine absolute oder relative Verkehrsunsicherheit festgestellt werden kann. Als Maßstab dienen dafür im Wesentlichen die zu §§ 315c, 316 StGB, § 24 StVG, § 2 ReV entwickelten Grundsätze.124 Es lässt sich folgende Faustformel aufstellen: Wer aufgrund seiner Alkoholisierung nicht mehr am Straßenverkehr teilnehmen darf, der verliert den Unfallversicherungsschutz;125 denn alkoholbedingte Fahr- bzw. Verkehrsunsicherheit steht nach der Rechtsprechung einer Bewusstseinsstörung gleich,126 obwohl sie in den AUB nicht besonders aufgeführt ist.127
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aa) Allgemeines. Entscheidend für die Annahme einer Bewusstseinsstörung ist jeweils, unter welchen Voraussetzungen eine sog. absolute oder relative Fahr- oder Verkehrsunsicherheit angenommen werden kann. Hierzu ist es notwendig, sich mit der Gerichtspraxis im Straßenverkehrsrecht und Strafrecht auseinander zu setzen; denn der Rechtsprechung zur Unfallversicherung war es ein besonderes Anliegen, im Interesse der gleichmäßigen Rechtsanwendung nach Möglichkeit einen Gleichklang zwischen der versicherungsrechtlichen Betrachtungsweise und der straf- und haftungsrechtlichen Judikatur herzustellen.128 Folgerichtig orientiert sich im Interesse der Rechtseinheit nicht nur die haftungsrechtliche, sondern auch die versicherungsrechtliche Praxis an der straf- und straßenverkehrsrechtlichen Terminologie.129 Dies führt u.a. dazu, dass die Gerichte zum Ausschluss in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94) nahezu ausnahmslos an die im Straßenverkehrs- und Strafrecht (§§ 315c, 316 StGB) geltenden (verschiede-
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124
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 10; Römer/ Langheid 2 § 179 Rn. 17. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268. Henke S. 74. BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343, 1344 = RuS 1991 35 = VerBAV 1991 262, 263; BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268; OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436; OLG Zweibrücken 12.11.1993 VersR 1994 974; Lang NZV 1990 169, 170. Noch zu § 2 StVZO a.F.: BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 90; Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 10; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 19.
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Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 45; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 181. S. z.B. LG Coburg 5.2.1960 VersR 1961 458; LG Kaiserslautern 28.2.1961 VersR 1961 973. OLG Hamm 7.10.1960 VersR 1961 505. Lang NZV 1990 169, 170. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 12; Rüther NZV 1994 457; Stamm VersR 1995 261, 262; s.a. OLG Saarbrücken 5.4.2006 ZfS 2006 338.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
nen) Grenzwerte zur absoluten Fahr- und Verkehrsuntüchtigkeit anknüpfen. Änderungen in der strafrechtlichen Rechtsprechung strahlen damit unmittelbar in die versicherungsrechtliche Judikatur aus.130 Darüber hinaus werden im Versicherungsrecht beweisrechtliche Vorgaben (etwa zu den Anforderungen an eine Blutentnahme) übernommen, die im Strafrecht entwickelt worden sind. Oftmals wird in der Rechtsprechung und Literatur der Begriff „Fahr- oder Verkehrs- 29 untüchtigkeit“ gebraucht, ohne dass inhaltlich ein Unterschied zur „Fahr- oder Verkehrsunsicherheit“ gemeint ist.131 Genauer ist es, von einer „Unsicherheit“ statt von einer „Untüchtigkeit“ zu sprechen, da nicht nur derjenige, der völlig außerstande ist, am Straßenverkehr teilzunehmen, sondern auch derjenige – sowohl im Straßenverkehrs- oder Haftungs- als auch im Unfallversicherungsrecht – erfasst sein kann, der nicht mehr sicher die Gefahren des Straßenverkehrs zu meistern vermag.132 Die Begriffe absolute Fahrunsicherheit und relative Fahrunsicherheit bezeichnen kei- 30 nen unterschiedlichen Grad von Fahruntüchtigkeit bzw. -unsicherheit. Der Fahrer ist bei beiden Alternativen völlig fahruntüchtig, so dass von einer Bewusstseinsstörung i.S.d. AUB auszugehen ist. Es bestehen aber Unterschiede in den Anforderungen an den Nachweis der Fahrsicherheit.133 • Absolute Verkehrsunsicherheit liegt vor, wenn eine Blutalkoholkonzentration festgestellt ist, bei der der Betroffene ohne Rücksicht auf seine Konstitution und die besonderen Umstände des Einzelfalles zur Teilnahme am Straßenverkehr ungeeignet ist.134 Ist dies der Fall, so ist stets auch eine Bewusstseinsstörung i.S.d. AUB anzunehmen.135 Die Grenze für die Blutalkoholkonzentration wird je nach Art der Verkehrsteilnahme unterschiedlich bemessen. Der Grund für die unterschiedliche Sichtweise erklärt sich damit, dass in der Rechtsanwendung grundsätzlich den unterschiedlichen Anforderungen an den Betroffenen bei der jeweiligen Art der Verkehrsteilnahme Rechnung zu tragen ist. Entsprechende Differenzierungen führen im Unfallversicherungsrecht zu Irritationen und Wertungswidersprüchen bei der Auslegung des Wortes „Bewusstseinsstörung“ (Rn. 24). Da jedoch in der Praxis nicht mit einer Kurskorrektur zu rechnen ist, legt die folgende Darstellung die Grundentscheidung der ständigen Rechtsprechung zugrunde. • Ist der jeweils maßgebliche (absolute) Grenzwert nicht erreicht, kommt nach der ständigen Rechtsprechung eine Bewusstseinstörung in Betracht, wenn eine erhebliche Alkoholbeeinflussung sicher ist und alkoholtypische Ausfälle oder Fehler festgestellt werden,136 die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls das bei einer derartigen Blutalkoholkonzentration gewöhnliche Maß übersteigen und nur mit einem Verlust oder einer erheblichen Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit der versicherten Person zu erklären sind.137 Auch zu den Feststellungen zur Bewusstseinsstörung infolge relativer Fahr- oder Verkehrsunsicherheit kann auf umfangreiche Rechtsprechung und Literatur zum Straf- und Straßenverkehrsrecht zurückgegriffen werden. Für die Prüfung der relativen Fahrunsicherheit erlangen auf tatsächlicher Ebene neben der Feststellung des Grades der Alkoholisierung weitere Faktoren Bedeutung, nämlich äußere bzw. objektive Umstände wie insbesondere schwierige Fahrbedingungen (Nacht, Nebel, Glatteis
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 176. Mettke NZV 2000 199 Fn. 1 m.w.N. Zu §§ 315c, 316 StGB: Hentschel/Born Rn. 1 und 538; Stamm VersR 1995 261, 262. BGH 22.4.1982 BGHSt 31 42, 44; Hentschel/Born Rn. 4, 125 und 539; Knappmann VersR 2000 11, 14; Rüther NZV 1994 457; Stamm VersR 1995 261, 263. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 12.
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BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006; OLG München 3.5.1960 VersR 1961 1084 f.; LG Essen 13.11.1987 ZfS 1988 326; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 46; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 8 f.; a.A. offenbar Kloth Rn. K 18. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 11; Stockmeier/Huppenbauer S. 43. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 10.
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oder Großstadtverkehr), innere bzw. subjektive Umstände wie z.B. Ermüdung, besondere Erregungszustände, physische oder psychische Erkrankung und Ausfallerscheinungen (oder alkoholtypischer Fahrfehler), also das konkrete äußere Verhalten der versicherten Person. Diesen tatsächlichen Umständen kommt bei der Beweisführung für die relative Fahrunsicherheit unterschiedliche Bedeutung zu. Während relative Fahrunsicherheit auch dann vorliegen kann, wenn weder schwierige äußere Umstände noch – neben der Beeinflussung der versicherten Person durch Alkohol oder andere berauschende Mittel – weitere leistungsmindernde innere Umstände gegeben sind, ist eine – wenn auch nur geringfügige – Ausfallerscheinung, die durch Alkoholgenuss oder andere berauschende Mittel zumindest mit verursacht sein muss, unverzichtbar. Dies gilt ausnahmslos, auch wenn die Blutalkoholkonzentration nahe an dem Grenzwert zur absoluten Fahrbzw. Verkehrsunsicherheit liegt.138
31
Je nach Art der Verkehrsteilnahme müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein, um eine absolute oder relative Fahr- oder Verkehrsunsicherheit und damit eine Bewusstseinsstörung i.S.d. AUB rechtfertigen zu können: Art der Verkehrsteilnahme
Bewusstseinsstörung bei absoluter Bewusstseinsstörung bei relativer Verkehrsunsicherheit; Verkehrsunsicherheit; VorausVoraussetzungen: setzungen:
1 Autofahrer, Motorradfahrer und Mofafahrer
Blutalkoholkonzentration ab 1,1 ‰
Blutalkoholkonzentration ab 0,5 ‰ bzw. 0,8 ‰ und alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bzw. Fahrfehler
2 Radfahrer
Blutalkoholkonzentration ab 1,6 ‰
Blutalkoholkonzentration unter 1,6 ‰ und alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bzw. Fahrfehler
3 Fußgänger
Blutalkoholkonzentration ab 1,9 bzw. 2,0 ‰ (streitig)
Blutalkoholkonzentration unter 1,9 ‰ und alkoholbedingte(s) Ausfallerscheinungen bzw. Fehlverhalten
4 Mitfahrer
„Aktive“ Mitfahrer: Blutalkoholkonzentration – je nach Verkehrsmittel – wie bei 1 oder 2 (1,1 oder 1,6 ‰)
Bei „passiven Mitfahrern“: Erhebliche Alkoholisierung und wesentliche Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Kritikfähigkeit
„Passive“ Mitfahrer: Blutalkoholkonzentration wie bei 3
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bb) Autofahrer. Die zum Thema absolute und relative Fahrunsicherheit von Autofahrern ergangene Rechtsprechung ist wegen der praktischen Bedeutung von Trunkenheitsfahrten zahlreich und kaum überschaubar. Differenzierungen zu dem maßgeblichen Grenzwert sind vorzunehmen, wenn die versicherte Person ihr Fahrzeug ohne den Einsatz von Motorkraft führt. Der Grenzwert von 1,1 ‰ darf in diesem Fall nur zugrunde gelegt werden, wenn für den Führer des ohne Motorkraft geführten Fahrzeugs mindestens ebenso hohe Anforderungen zu erfüllen sind wie für einen Kraftfahrer, z.B. weil die versicherte Person einen mittels Abschleppseil gezogenen Pkw lenkt.139
138
BGH 22.4.1982 BGHSt 31 42, 44 f.
800
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Hentschel/Born Rn. 128 f.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
(1) Absolute Fahrunsicherheit. Liegt absolute Fahrunsicherheit des Kraftfahrers vor, 33 so ist nach der ständigen Rechtsprechung zwingend, ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles und ohne Zulassung des Gegenbeweises, auf eine Bewusstseinsstörung i.S.d. AUB zu schließen.140 Der Grenzwert incl. Sicherheitszuschlag ist bei einer Blutalkoholkonzentration ab 1,1 ‰ erreicht.141 Die unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung hat sich insofern den Erkenntnissen aus dem Strafrecht angeschlossen. Ein Grund dafür, einen höheren Grenzwert als im Strafrecht im Bereich der Unfallversicherung anzunehmen, besteht nicht, zumal in der strafrechtlichen Entscheidung die aus Sicherheitsgründen erforderlichen Zuschläge zum Ausgangswert ausreichend bemessen worden sind.142 Umgekehrt ist im Unfallversicherungsrecht – ebenso wie im Strafrecht 143 – eine Aufrundung des festgestellten Wertes zur Blutalkoholkonzentration auf 1,1 ‰ selbst dann nicht möglich, wenn der Grenzwert nur knapp unterschritten ist. Dies gilt auch für die Fälle, in denen leistungsmindernde Umstände in der Person des Kraftfahrers wie z.B. Krankheit, Ermüdung, Medikamenteneinfluss etc. hinzutreten. Solche Umstände können nur als zusätzliche Beweisanzeichen zur Feststellung relativer Fahrunsicherheit herangezogen werden.144 Der Grenzwert für eine absolute Fahrunsicherheit von Kraftfahrern (und damit für das Vorliegen einer zwingend anzunehmenden Bewusstseinsstörung) wurde früher höher bemessen. Er ist von ursprünglich 1,5 ‰145 zunächst auf 1,3 ‰146 und schließlich zuletzt im Jahr 1990 auf 1,1 ‰147 herabgesetzt worden.148 Hintergrund sind folgende Erkenntnisse: • Nach gesicherter wissenschaftlicher Erfahrung ist die Leistungsfähigkeit eines Kraftfahrers spätestens bei 1,0 ‰ Blutalkohol so beeinträchtigt, dass die meisten Menschen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Kraftfahrzeug selbst bei besonderer Fahrbefähigung oder Alkoholverträglichkeit nicht mehr verkehrssicher führen können.149 Der früher angenommene Grundwert von 1,1 ‰150 war u.a. aufgrund der gestiegenen Leistungsanforderungen an den einzelnen Kraftfahrer (höhere Verkehrsdichte und Geschwindigkeiten auf Autobahnen und Schnellstraßen) herabzusetzen.151 Eine weitere Absenkung des Grenzwertes für die absolute Fahrunsicherheit auf 0,8 ‰ mit der Konsequenz, ab dieser Blutalkoholkonzentration auch eine Bewusstseinsstörung anzunehmen, hat sich (bisher) nicht durchgesetzt.152 Dem steht § 24a StVG a.F. nicht entgegen.
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S. nur BGH 24.2.1988 VersR 1988 733, 734; BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006 f.; BGH 30.10.1985 VersR 1986 141; BGH 3.4.1985 VersR 1985 779; BGH 7.1.1972 VersR 1972 292; BGH 5.4.1962 VersR 1962 461 = VerBAV 1962 259; BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 314 f. = VerBAV 1956 12 f. Nr. 130. S. nur OLG Celle 13.6.1996 VersR 1997 820; OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 1041 = RuS 2004 166; OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167; OLG Köln 20.9.2005 VersR 2006 255 = NJW-RR 2006 101 = RuS 2006 252 = RuS 2006 429; OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574 = RuS 2006 252, 253; OLG Oldenburg 4.3.1996 RuS 1997 393; OLG Saarbrücken 5.4.2006 ZfS 2006 338; OLG Zweibrücken 12.11.1993 VersR 1994 974. Grundlegend BGH 7.1.1972 VersR 1972 292 mit Anm. Franke.
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Hentschel/Born Rn. 130 ff. Hentschel/Born Rn. 158. BGH 20.3.1959 BGHSt 13 83, 84 ff.; BGH 11.4.1957 BGHSt 10 265, 268; BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 313 = VerBAV 1956 12 Nr. 130. Grundlegend BGH 9.12.1966 BGHSt 21 157, 167. Grundlegend unter Erläuterung der medizinischen und wissenschaftlichen Hintergründe BGH 28.6.1990 BGHSt 37 89 = NJW 1990 2393. Eingehend dazu etwa Hentschel/Born Rn. 125 ff., 133 ff. und 924; Konzak/Hüting Jura 1991 241 ff. BGH 28.6.1990 BGHSt 37 89, 94; BGH 5.4.1962 VersR 1962 461. BGH 9.12.1966 BGHSt 21 157, 161 f. BGH 28.6.1990 BGHSt 37 89, 92 ff. BGH 3.4.1985 VersR 1985 779; s.a. BGH 9.12.1966 BGHSt 21 157, 158 f.
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Unfallversicherung
Diese Vorschrift sah das Verbot vor, ein Kfz zu führen, wenn der Fahrer mehr als 0,8 ‰ im Blut hat. Dieser Wert sollte indes nicht in einer für Gerichte bindenden Weise die Annahme einer absoluten Fahrunsicherheit begründen. Zwar hatte der Gesetzgeber einen Wert gewählt, der bei den meisten Kraftfahrern zu Leistungsminderungen führt. Von einer absoluten Fahrunsicherheit kann jedoch nur gesprochen werden, wenn die Blutalkoholkonzentration einen Wert erreicht hat, bei dem jeder Fahrer – ohne Rücksicht auf seine Konstitution oder die besonderen Umstände des Einzelfalls – zur Führung von Kfz ungeeignet ist.153 • Aus Vorsichtsgründen ist dem Grundwert von 1,0 ‰ ein Zuschlag von 0,1 ‰ zuzurechnen.154 Nur dann ist es gerechtfertigt, ohne Rücksichtig auf die besonderen Umstände des Einzelfalles eine von sonstigen Beweiszeichen unabhängige Fahrunsicherheit festzustellen; denn es müssen gewisse Ungenauigkeiten und Schwankungen, die sich bei der Blutalkoholbestimmung ergeben können, berücksichtigt werden.155 Der Sicherheitszuschlag betrug ursprünglich 0,5 ‰156 und ist zunächst auf 0,2 ‰157 und zuletzt auf 0,1 ‰ abgesenkt worden. In dem Wert von 0,5 ‰ war noch der individuellen Alkoholverträglichkeit sowie möglichen Fehlern bei der Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration Rechnung getragen worden.158 Diesen Umständen hat der BGH bereits 1966 jegliche Bedeutung für die Wertbestimmung aberkannt. Der dann zugrunde gelegte Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ begründete sich aus möglichen Fehlerquellen bei den damals üblichen Alkoholbestimmungsverfahren, worunter technische Ungenauigkeiten, aber auch personelle und fachliche Unzulänglichkeiten gefasst wurden.159 Diese Bedenken hat der BGH 1990 relativiert und es als ausreichend angesehen, den Sicherheitszuschlag mit 0,1 ‰ zu bemessen.160
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(2) Relative Fahrunsicherheit. Bei einer Blutalkoholkonzentration unter 1,1 ‰ wird bei Kraftfahrern von einer relativen Fahrunsicherheit gesprochen. Erforderlich für sie ist zunächst, dass ein erheblicher Alkoholgenuss der versicherten Person gewiss ist.161 Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob ein Mindestwert von 0,8 ‰ vorliegen muss oder auch eine Blutalkoholkonzentration ab 0,3 ‰ oder 0,5 ‰ ausreichen kann. Für die Annahme relativer Fahrunsicherheit müssen des Weiteren noch (zusätzlich zur Alkoholisierung) äußere Anzeichen für eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit vorliegen.162 Erst wenn alkoholbedingte Ausfallerscheinungen beim Fahrer auftreten oder – sofern diese nicht erwiesen sind – alkoholtypische Fahrfehler zum Unfall festgestellt werden können, darf nach der ständigen Rechtsprechung auf eine Bewusstseinsstörung geschlossen werden, die Leistungsfreiheit des VR nach sich zieht.163 Auch physiologische Gegebenheiten (z.B. Leistungstief in der Nachtzeit) können als Indizien für Fahrunsicherheit gewertet werden.164 35 Bei der Beurteilung von Fällen, in denen eine absolute Fahrunsicherheit nicht gegeben ist bzw. sicher feststeht, kommt zum einen der Höhe der Blutalkoholkonzentration eine
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BGH 30.10.1985 VersR 1986 141; Lang NZV 1990 169, 170. BGH 28.6.1990 BGHSt 37 89, 95 ff., insbesondere unter Hinweis auf ein Gutachten des Bundesgesundheitsamtes zum Sicherheitszuschlag auf die Blutalkoholbestimmung mit Erläuterungen aus 1989, NZV 1990 104 ff. (insbesondere 106); eingehend Hentschel/Born Rn. 80 ff.. BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 313 f. m.w.N. = VerBAV 1956 12 Nr. 130; ferner OLG Hamm 2.12.1991 RuS 1992 250, 251. BGH 20.3.1959 BGHSt 13 83, 85. BGH 9.12.1966 BGHSt 21 157, 162 ff., insbesondere 167.
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BGH 20.3.1959 BGHSt 13 83, 85 ff.; s.a. BGH 5.4.1962 VersR 1962 461 (für Motorradfahrer). BGH 9.12.1966 BGHSt 21 157, 163 ff. BGH 28.6.1990 BGHSt 37 89, 96 ff. BGH 7.1.1972 VersR 1972 292, 293. S. nur BGH 3.4.1985 VersR 1985 779; BGH 22.4.1982 BGHSt 31 42, 44. S. nur BGH 3.7.2002 VersR 2002 1135, 1136; BGH 24.2.1988 VersR 1988 733, 734; BGH 30.10.1985 VersR 1986 141; BGH 7.1.1972 VersR 1972 292, 293. OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
besondere Bedeutung zu. Zum anderen ist die festgestellte Blutalkoholkonzentration zu den konkreten Ausfallerscheinungen ins Verhältnis zu setzen: • Wichtigstes Indiz für den Nachweis der relativen Fahrunsicherheit ist zunächst die Höhe der festgestellten Blutalkoholkonzentration. Je näher die ermittelte Blutalkoholkonzentration an den Grenzwert zur absoluten Fahrunsicherheit heranreicht, umso größer ist ihre Beweiskraft,165 wenn es um die Feststellung der relativen Fahrunsicherheit und damit der Bewusstseinsstörung geht. Umgekehrt gilt: Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration unter dem Grenzwert von 1,1 ‰ liegt, umso geringere Beweiskraft kann sie entfalten. • Weiterhin erlangen zusätzliche Beweisanzeichen für eine Fahrunsicherheit abhängig von der Höhe der festgestellten Blutalkoholkonzentration unterschiedliche Beweiskraft:166 Die an die Ausfallerscheinung zu stellenden Anforderungen sind um so geringer, je höher die Blutalkoholkonzentration ist und je ungünstiger die objektiven und subjektiven Bedingungen der Fahrt der versicherten Person sind.167 Liegt die Blutalkoholkonzentration nur geringfügig unter der Grenze zur absoluten Fahrunsicherheit, so bedarf es nur noch verhältnismäßig geringer Hilfstatsachen.168 Umgekehrt müssen die Anforderungen an die Ausfallerscheinungen umso höher liegen, je geringer die Blutalkoholkonzentration und je günstiger die objektiven und subjektiven Bedingungen der Fahrt der versicherten Person sind.169 Bei einer niedrigen Blutalkoholkonzentration sind ganz eindeutige Ausfallerscheinungen bzw. unzweifelhaft alkoholbedingte Fahrfehler zu verlangen, um eine Bewusstseinsstörung i.S.d. AUB annehmen zu können.170
Ohne jede Bestimmung der Alkoholisierung lassen dagegen allein die Fahrfehler der versicherten Person einen hinreichend sicheren Rückschluss auf eine alkoholbedingte Fahruntauglichkeit nicht zu.171 Bei einer fehlenden Blutprobenuntersuchung können nur besondere Umstände eine Bewusstseinsstörung begründen (Rn. 138). Der Schluss auf eine Bewusstseinsstörung ist weitgehend anerkannt für die Fälle, in 36 denen eine Blutalkoholkonzentration von 0,8 bis 1,1 ‰ in Verbund mit alkoholbedingten Ausfallerscheinungen bzw. typischen Fahrfehlern durch Alkoholeinfluss festgestellt wird.172 Die Festlegung des Bereichs ab 0,8 ‰ leitet sich aus § 24a StVG a.F. ab. Nach dieser Vorschrift war eine Teilnahme am Straßenverkehr ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 ‰ nicht mehr zulässig. Der Grund hierfür bestand darin, dass wissenschaftliche Studien für den Bereich ab 0,6 bis 0,7 ‰ einen steilen Anstieg des Unfallrisikos belegten, zu dem dann noch ein Sicherheitszuschlag zu erheben ist. Bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 ‰ ist die Mehrzahl aller Kraftfahrer außerstande, sicher zu fahren und die eigene Fahrunsicherheit zu bemerken.173 So zeigen etwa rechtsmedizinische Erkenntnisse, dass eine Blutalkoholkonzentration von 0,9 ‰ in der Phase des Leistungstiefs (z.B. in den frühen Morgenstunden) in den Ausfallerscheinungen denen einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 ‰ gleichkommt.174 Weitgehende Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass eine Blutalkoholkonzentration 37 von weniger als 0,5 ‰ (incl. Sicherheitszuschlag) unerheblich für den Ausschluss ist;175
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BGH 5.4.1962 VersR 1962 461 f.; Hentschel/Born Rn. 174; Kloth Rn. K 17. Stamm VersR 1995 261, 263. S. nur BGH 22.4.1982 BGHSt 31 42, 45; Lang NZV 1990 169, 171. LG Kiel 27.8.1986 RuS 1987 357. OLG Celle 13.6.1996 VersR 1997 820; Rüther NZV 1994 457, 458. OLG Schleswig 2.9.1993 VersR 1994 973. BGH 3.7.2002 VersR 2002 1135, 1136. S. etwa OLG Koblenz 22.6.2001 VersR
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2002 43 (0,94 ‰); OLG München 13.11.1986 VersR 1988 265 f. (0,92 ‰); LG Zweibrücken 20.11.1975 VersR 1976 462 (0,85 ‰); Marlow RuS 2004 353, 355; a.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 196. Stamm VersR 1995 261, 262 und 265. OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79. Wohl auch Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 13; für eine 0,3 ‰-Grenze: Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 47;
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Unfallversicherung
denn jedenfalls für den Bereich bis 0,3 ‰ sind keine Gefährdungen nachweisbar, die von anderen (natürlichen) Gefährdungen wie z.B. Übermüdung abzugrenzen wären.176 Wird dann noch ein Sicherheitszuschlag von 0,1 ‰ zugrunde gelegt sowie berücksichtigt, dass die Rechtsprechung für die Annahme einer Bewusstseinsstörung eine „erhebliche“ Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit verlangt, ist eine Untergrenze von mindestens 0,5 ‰ anzunehmen. Streitig ist dagegen, ob auch innerhalb der Spanne von 0,5 ‰ und 0,8 ‰ noch eine Bewusstseinsstörung in Betracht kommt. Dies wird z.T. – allerdings ohne nähere Begründung und lediglich mit Hinweis auf eine beiläufige Bemerkung des BGH in einer etwas älteren Entscheidung 177 – verneint.178 Die Gegenmeinung geht davon aus, dass auch bei einer Blutalkoholkonzentration von unter 0,8 ‰ eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung vorliegen könne,179 da die relative Fahrunsicherheit bereits bei 0,3 ‰,180 zumindest aber bei 0,5 ‰181 beginne. Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Richtig ist es, einen Versicherungsausschluss auch für den Bereich zwischen 0,5 und 0,8 ‰ anzunehmen, sofern alkoholtypische Ausfallerscheinungen bzw. Fahrfehler des Fahrers gegeben sind. Dieses Ergebnis wird durch die Neufassung des § 24a Abs. 1 StVG bestätigt, die zum 1.5.1998 in Kraft getreten ist. Nach dieser Vorschrift handelt bereits derjenige ordnungswidrig, der im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt und 0, 5 ‰ (0,25 mg/l in der Atemluft = Atemluftalkoholkonzentration – AAK) oder mehr im Blut hat. Die Grenzwerte von 0,5 ‰ bzw. 0,8 ‰ wirken sich nur noch in der Höhe des Bußgeldes aus. Hintergrund für die Entscheidung des Gesetzgebers die Grenze von 0,8 ‰ auf 0,5 ‰ herabzusetzen war, dass nach allgemein gesicherten medizinischen Erkenntnissen eine verminderte Fahrtüchtigkeit schon bei einer forensisch nachweisbaren Blutalkoholkonzentration von 0,3 ‰ bis 0,4 ‰ beginnt und viele Verkehrsteilnehmer auch mit einer Blutalkoholkonzentration unter 0,8 ‰ nicht mehr in der Lage sind, ein Fahrzeug in jeder Situation sicher zu führen.182 So kann bereits bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,3‰ das psychophysische Leistungsvermögen gemindert sein.
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Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 32; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 10. Stamm VersR 1995 261, 262. BGH 15.6.1988 VersR 1988 950, 951; krit. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 14. OLG Celle 4.4.1996 VersR 1997 98, 99; OLG Nürnberg 29.6.1989 VersR 1990 480, 481; Gaidzik S. 28; Hentschel/Born Rn. 928; Knappmann VersR 2000 11, 16; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 13; Lang NZV 1990 169, 170; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 108; Marlow RuS 2007 353, 355; ders. RuS 2005 357, 359; Rüther NZV 1994 457, 464; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 28; ferner Franke VersR 1972 293, 294; wohl auch OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574 = RuS 2006 252, 253. OLG Frankfurt 14.4.1982 VersR 1983 481, 482; LG Kassel 4.10.1989 VersR 1991 215; LG Mosbach 29.12.1989 ZfS 1990 100. Zweifel an der BGH-Entscheidung äußerte auch OLG Celle 13.6.1996 VersR 1997 820; offen lassend dagegen OLG Schleswig
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2.9.1993 VersR 1994 973; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 131. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 47; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 10; Stamm VersR 1995 261, 263 und 265. Stockmeier/Huppenbauer S. 43. Bereits der BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 313 = VerBAV 1956 12 Nr. 130 hatte festgestellt, dass schon bei einem Blutalkoholwert von 0,5 ‰ die psychophysische Leistungsfähigkeit eines Kraftfahrers messbar gestört ist; so auch BGH 5.4.1962 VersR 1962 461 = VerBAV 1962 259; OLG Köln 14.5.1958 VersR 1958 517; OLG München 4.7.1980 VersR 1981 373; LG Coburg 5.2.1960 VersR 1961 458; LG Zweibrücken 20.11.1975 VersR 1976 462; Hentschel/Born Rn. 5. Im strafrechtlichen Bereich stellt u.a. BGH 29.8.1974 BGHSt 25 360, 364 in ständiger Rechtsprechung fest, dass relative Fahrunsicherheit bereits ab 0,3 ‰ in Betracht kommt.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Es treten Bewegungs- und Koordinationsstörungen der Augen bzw. Störungen des optischen Sinnesssystems,183 aber auch geistig-seelische Störungen (z.B. Enthemmung, längere Reaktionszeit) auf.184 Unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlags von 0,1 ‰ zu dem Grundwert von 0,3 bis 0,4 ‰ errechnet sich dann die Gefährdungsgrenze von 0,5 ‰.185 Allerdings ist bei geringen Blutalkoholkonzentrationen die Meßlatte für die Annahme von Anzeichen einer alkoholbedingten Fahrunsicherheit entsprechend hoch zu setzen. Es wird sich deshalb für den VR weniger die rechtliche, sondern vielmehr die praktische Frage stellen, ob er im Interesse einer effektiven und kostengünstigen Leistungsregulierung darauf verzichtet, bei einer Blutalkoholkonzentration von unter 0,8 ‰ den Ausschluss in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 94/88) geltend zu machen.186 Anhaltspunkte für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen können sich insbesondere 38 aus dem Blutentnahmeprotokoll ergeben. Unsicherere Kriterien zur Feststellung der Alkoholbeeinflussung sind: • Alkoholfahne; denn sie kann schon nach einem Schluck Bier auftreten; • gerötete Augen; • Bewusstlosigkeit der versicherten Person, wenn diese z.B. auch Folge eines Schädel-Hirntraumas sein kann;187 • Flucht vor Polizeibeamten (z.B. bei einer Verkehrskontrolle).188
Vorstehende Umstände können zwar Verdachtsmomente begründen, reichen aber für sich allein nicht aus, um eine Bewusstseinsstörung annehmen zu können. Für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen können (auch ohne regelwidriges Verhalten) dagegen folgende Anhaltspunkte sprechen:189 • Auffällige, besonders sorglose und leichtsinnige Fahrweise190 (z.B. Schlangenlinienfahren), ein unbesonnenes Benehmen bei Polizeikontrollen bzw. der Blutentnahme oder ein sonstiges Verhalten, das alkoholbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lässt.191 • Koordinationsschwierigkeiten, die sich in einem unsicheren Gang der versicherten Person (z.B. Stolpern und Schwanken),192 Scheitern bei ordnungsgemäß durchgeführten Tests durch einen geübten Arzt (etwa „Finger-Nase-Probe“) usw. äußern können; • grobe Sehfehler;193 • Trinkverhalten vor Antritt der Fahrt, insbesondere die hastige Einnahme erheblicher Mengen von Alkohol kurz vor Antritt der Fahrt (Schlusssturztrunk);194 • Verstoß gegen die Gurtpflicht; das fehlende Anlegen des Gurtes beim versicherten Fahrer und/oder dessen Beifahrer kommt als Indiz gegen die Fähigkeit der versicherten Person in Betracht, die Gefahrenlage der bevorstehenden Fahrt zu erkennen. Es darf aber nicht zu hoch bewertet werden,195 da das Nichtanlegen des Gurtes auch bei Nüchternen vorkommt. Höheres
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OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167, 168. OLG Celle 13.6.1996 VersR 1997 820. Gesetzesbegründung vom 19.5.1995, BT-Drucksache 13/1439 S. 4; Hentschel NJW 1998 2385 f. Stamm VersR 1995 261, 265. OLG Schleswig 18.3.1992 RuS 1992 394. Hentschel/Born Rn. 191. Stamm VersR 1995 261, 264. Hentschel/Born Rn. 187 ff. BGH 22.4.1982 BGHSt 31 42, 45.
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BGH 22.4.1982 BGHSt 31 42, 46; OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574 = RuS 2006 252, 253; Hentschel/Born Rn. 193; Lang NZV 1990 169, 171; Rüther NZV 1994 457, 458. Hentschel/Born Rn. 194 Hentschel/Born Rn. 195 ff. OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574 = RuS 2006 252, 253; OLG Schleswig 2.9.1993 VersR 1994 973, 974.
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Unfallversicherung
Gewicht mag dem Verstoß gegen die Gurtpflicht zukommen, wenn z.B. ein verantwortungsbewusster Familienvater das Anschnallen unterlässt.196
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Ergeben sich keine sonstigen Ausfallerscheinungen, so müssen alkoholtypische Fahrfehler festgestellt werden.197 Erforderlich ist eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles.198 Neben der Feststellung einer bestimmten Blutalkoholkonzentration ist die körperliche Verfassung der versicherten Person zum Unfallzeitpunkt und die jeweilige Verkehrssituation zu klären.199 Für die Beweisführung des VR empfiehlt es sich, folgende Punkte einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen: • Unfallzeit. Die Alkoholisierung beeinträchtigt die Fahrtüchtigkeit besonders in der Nachtzeit, da dann regelmäßig ein Leistungstief eintritt.200 Eine Blutalkoholkonzentration von 0,9 ‰ verursacht z.B. in den frühen Morgenstunden zwischen 1.00 und 3.00 Uhr Ausfallerscheinungen, die den Ausfallerscheinungen mit einer Blutalkoholkonzentration um 1,3 ‰ entsprechen oder diese sogar noch übertreffen. Der physiologische Leistungsabfall kann auch nicht durch ein „Schlafen auf Vorrat“ abgewendet werden.201 Folgerichtig ereignen sich nach statistischen Auswertungen rauschbedingte Unfälle häufig zur Nachtzeit (ca. zwischen 21.00 bis 2.00 Uhr).202 Des Weiteren kann die Unfallzeit u.a. bedeutsam für die Frage sein, ob die Fahrweise realistischerweise durch Wildwechsel beeinflusst sein kann. Wildwechsel findet vornehmlich in den Abend- und Morgenstunden statt.203 • Unfallort (z.B. Straßen- und Lichtverhältnisse, Streckenführung, Verkehrsdichte). Auch die Kenntnisse der versicherten Person von der Unfallstelle sollten berücksichtigt werden. So ist es eine Erfahrungstatsache, dass ein Kraftfahrer gegenüber bekannten und täglich zu überwindenden Gefahrenquellen abstumpft, während er Warnzeichen an einer unbekannten Straße meist aufmerksamer beachtet.204 • Körperlicher und geistiger Zustand der versicherten Person vor und nach dem Unfall (z.B. Ansprechbarkeit, Koordinationsfähigkeiten beim Sprechen und Gehen, Enthemmung). Zu berücksichtigen sind auch das Alter, die allgemeine Konstitution und die Alkoholgewöhnung 205 der versicherten Person. So wird das verkehrssoziale Verhalten von jüngeren Menschen bei wesentlich niedrigeren Blutalkoholkonzentrationen beeinträchtigt, da die noch nicht harmonisch ausgewogene Persönlichkeit leichter anfällig ist.206 Statistiken belegen, dass rauschbedingte Unfälle besonders häufig in der Altersgruppe unter 40 Jahren zu verzeichnen sind.207 Auch das bisherige Fahrverhalten der versicherten Person (Fahrroutine, jährliche Fahrstrecken, Fahrkönnen, Zeit zwischen Erteilung der Fahrerlaubnis und dem Unfall, Eintragungen im Bundeszentral- und Verkehrsregister) kann in der Indizienkette zu berücksichtigen sein.208 Weiterhin kann die Müdigkeit der versicherten Person eine Rolle spielen. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass die Wirkungen des Alkohols bei Übermüdung ausgeprägter sind,209 wie auch umgekehrt der Alkoholgenuss das Auftreten von Müdigkeitserscheinungen erheblich fördern kann.210 • Unfallfahrzeug (z.B. Auswirkungen bzw. Ausschluss technischer Defekte).211 • Eigentlicher Unfallhergang.212
196 197 198 199
200 201 202 203 204
OLG Koblenz 13.7.2001 VersR 2001 1372, 1373. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 14. Hentschel/Born Rn. 177 f. BGH 30.10.1985 VersR 1986 141, 142; ferner etwa Gerchow ZVersWiss 1970 407, 420; Stamm VersR 1995 261, 263. OLG Oldenburg 4.3.1996 RuS 1997 393. OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79. Stamm VersR 1995 261, 264. OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79. OLG München 3.5.1960 VersR 1961 1084, 1086.
806
205 206 207 208 209 210 211 212
OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 1041. Gerchow ZVersWiss 1970 407, 420. Stamm VersR 1995 261, 264. BGH 3.4.1985 VersR 1985 779 f.; Rüther NZV 1994 457, 459. BGH 20.3.1959 BGHSt 13 83, 90. BGH 8.7.1957 VersR 1957 509, 510. LG Düsseldorf 19.3.1963 VersR 1963 1065. OLG Nürnberg 21.3.1996 RuS 1996 465.
Kent Leverenz
Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
• Konkreter Geschehensablauf vor dem Unfallereignis (z.B. Fahrweise der versicherten Person213 und anderer Unfallbeteiligter, Unfallursachen,214 Einhaltung bzw. Missachtung von Verkehrsregeln).
Maßgebend ist, ob ein Fahrverhalten festgestellt werden kann, dass besonders auf- 40 fällig ist und sinnvoll oder lebensnah nicht anders als alkoholbedingtes Fehlverhalten gewertet werden kann. Liegt dagegen ein Fahr- oder Fehlverhalten vor, das auch einem nüchternen Fahrer passieren kann, so greift der Ausschluss nicht ein. I.E. muss feststehen, dass die Fahrweise der versicherten Person typisch für alkoholbedingte Enthemmung und Bewusstseinstrübung gewesen ist und ein nüchterner Kraftfahrer die Verkehrssituation bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gemeistert hätte.215 Vergleichsmaßstab ist dabei nicht etwa der idealtypische oder der durchschnittliche Fahrer. Entscheidend ist vielmehr, ob gerade bei der versicherten Person der Fehler ohne Alkoholeinfluss unterblieben wäre;216 denn es kommt nach dem Wortlaut des Ausschlusstatbestandes nur auf eine Bewusstseinsstörung der versicherten Person an. Vorzunehmen ist also ein Vergleich zwischen dem tatsächlichen Verhalten der alkoholisierten (vermutlich bewusstseinsgestörten) versicherten Person während des Unfallgeschehens und ihrem (hypothetischen) Verhalten in nüchternem Zustand bzw. bei fehlender Bewusstseinsstörung. Nicht jede regelwidrige Fahrweise bzw. Missachtung von Verkehrsregeln oder – zeichen reicht für die Annahme eines alkoholbedingten Fahrfehlers aus; 217 denn auch nüchterne Fahrer machen Fehler.218 Es ist kein Fehlverhalten denkbar, dass nicht auch von einem Nüchternen gezeigt werden könnte.219 So werden z.B. Haltegebote, Vorfahrtrechte oder Geschwindigkeitsgrenzen auch ohne Alkoholgenuss häufig missachtet.220 Vorfahrtsverletzungen kommen – im Gegensatz zum „Nichtrechtsfahren“ (Abkommen von der Fahrbahn, Fahren in Schlangenlinien, Geradeausfahren in Kurven usw.) – bei Nüchternen sogar häufiger als bei Angetrunkenen vor.221 Insbesondere ist auch unbeachtlich, ob der versicherten Person ein Verschulden (Fahrlässigkeit) vorgeworfen werden kann (Rn. 5). Auf ein alkoholtypisches Verhalten lässt sich erst schließen, wenn das jeweilige Fehlverhalten bei nüchternen Fahrern kaum oder jedenfalls nicht in so geballter Form auftritt. Ein solcher Schluss fällt umso leichter, je einfacher und übersichtlicher die jeweilige Verkehrssituation ist. Dann wird auch die Annahme eher gerechtfertigt sein, dass nicht nur einem durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer, sondern auch der versicherten Person der Fehler im nüchternen Zustand nicht unterlaufen wäre.222 Dagegen kann von einer alkoholbedingten Typizität eines Fahrfehlers um so weniger gesprochen werden, je häufiger dieses Fehlverhalten bekanntermaßen auch bei nüchternen Fahrern vorkommt.223 Oftmals wird ein einzelner Fahrfehler nicht ausreichen, eine Bewusstseinsstörung zu begründen.224 Anders mag in solchen Fällen die Beurteilung jedoch ausfallen, wenn mehrere der nachstehenden Fahrfehler nebeneinander vorliegen.
213 214 215 216 217
218
BGH 7.1.1972 VersR 1972 292, 293. BGH 5.4.1962 VersR 1962 461, 462. OLG Frankfurt a.M. 28.3.1984 VersR 1985 941; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 20. Hentschel/Born Rn. 179 f. und 183; Stamm VersR 1995 261, 264. Hentschel/Born Rn. 182; Lang NZV 1990 169, 171 f.; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 28. BGH 24.2.1988 VersR 1988 733, 734; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 14; Beckmann/Matusche-Beckmann/
219 220 221 222 223 224
Mangen 2 § 47 Rn. 48; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 12; Rüther NZV 1994 457, 458. Gerchow ZVersWiss 1970 407, 418; Hentschel/Born Rn. 184. OLG München 3.5.1960 VersR 1961 1084, 1086. Gerchow ZVersWiss 1970 407, 422 f. Hentschel/Born Rn. 185; Stamm VersR 1995 261, 264. Rüther NZV 1994 457, 459. BGH 25.9.2002 NZV 2002 559, 560.
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807
AUB 2008 Ziff. 5.1.1 41
Unfallversicherung
Einzelfälle: • Abkommen von der Fahrbahn: Es ist regelmäßig verbunden mit einem Schleudern,225 dem Gelangen auf den Grünstreifen,226 Fahren in eine Böschung 227 oder gegen ein Hindernis 228 usw. Derartige Unfallereignisse treten häufig nach Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit – insbesondere vor dem Beginn einer Kurve bzw. im Kurvenbereich 229 – auf. Das Abkommen der erheblich alkoholisierten versicherten Person von der Fahrbahn spricht für eine Fahrunsicherheit, wenn es in einer einfachen Verkehrssituation geschieht, ohne dass eine ungewöhnliche Behinderung durch Gegenverkehr oder sonstige Umstände (z.B. überraschende Hindernisse wie Wildwechsel oder außergewöhnliche Fahrbahn- bzw. Sichtverhältnisse), die auch ein nüchterner Fahrer nicht gemeistert hätte, ernsthaft in Frage kommt, also der Fahrfehler nicht erklärbar und nachvollziehbar ist.230 Aufgrund seines „Tunnelblicks“ verkennt der alkoholisierte Fahrer typischerweise den Verlauf der Kurve und kommt häufig bei einer Rechtskurve links bzw. bei einer Rechtskurve links von der Fahrbahn ab.231 Bei einem solchen Sachverhalt steht auch das plötzliche Verreißen des Lenkrades der Annahme einer alkoholtypischen Fehlleistung nicht entgegen.232 • Ausweichmanöver: Ein Ausweichen kann zwar Beweiszeichen für alkoholbedingte Fahrunsicherheit sein,233 ist aber – auch bei Verlassen der Fahrbahn – nicht zwingend alkoholtypisch.234 Anders kann dagegen die Beurteilung ausfallen, wenn der Fahrer in einer Gefahrensituation (drohende Kollision) trotz Möglichkeit das gebotene Ausweichmanöver ohne erkennbaren äußeren Grund unterlässt oder er (zu) spät reagiert.235 • Bremsmanöver: Das unterlassene oder nicht rechtzeitige Bremsen trotz Möglichkeit deutet auf alkoholtypische Fahrunsicherheit hin.236 • Einschlafen am Steuer: Das kurzzeitige Einschlafen am Steuer mit Kontrollverlust und die Nichtbeachtung einer Übermüdung sind typische Folgeerscheinungen übermäßigen Alkoholgenusses.237 • Fahren auf die Gegenfahrbahn: Es ist ähnlich wie das Abkommen von der Fahrbahn zu bewerten. Allein der Umstand, dass die versicherte Person auf trockener Fahrbahn nachts in einer leichten Rechtskurve über die Fahrbahnmitte oder Gegenfahrbahn geraten ist, reicht ohne weitere Informationen zum Unfallhergang nicht aus, um eine Bewusstseinsstörung anzunehmen.238 Selbst wenn die versicherte Person anschließend ins Schleudern kommt und von der Fahrbahn getragen wird, muss dies noch nicht alkoholtypisch sein, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Verreißen des Steuers auf den Schreck über ein entgegenkommendes Fahrzeug zurückzuführen ist.239 Anders kann dagegen die Beurteilung ausfallen, wenn die versicherte Person ohne erkennbaren Grund bzw. äußeren Einfluss auf die Gegenfahrbahn gelangt, weil sie offenbar Schwierigkeiten hat, eine Kurve zu meistern.240 • Fahren gegen ein Hindernis: Für eine Fahrunsicherheit spricht es, wenn die versicherte Person ohne erkennbaren Grund oder ohne Einleitung von Gegenmaßnahmen wie Bremsen oder Lenk-
225 226 227 228
229 230
LG Mosbach 29.12.1989 ZfS 1990 100 f. LG Düsseldorf 19.3.1963 VersR 1963 1065. OLG Hamburg 26.3.1997 RuS 1999 88. S. z.B. OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574; LG Kiel 27.8.1986 RuS 1987 357. OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79. OLG Celle 4.4.1996 VersR 1997 98, 99; OLG Karlsruhe 7.2.1985 ZfS 1986 309, 310; OLG Koblenz 13.7.2001 VersR 2001 1372 f.; OLG München 13.11.1986 VersR 1988 265, 266; OLG Nürnberg 21.3.1996 RuS 1996 465 = VersR 1997 607 (LS); OLG Nürnberg 29.6.1989 VersR 1990 480; LG Mönchengladbach 6.11.1986 VersR 1988 266.
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231 232 233 234 235 236
237 238 239 240
Knappmann VersR 2000 11, 14. LG Aachen 23.9.1998 RuS 1999 298. OLG Frankfurt/M. 14.4.1982 VersR 1983 481, 482. BGH 30.10.1985 VersR 1986 141, 142. LG Bad Kreuznach 1.2.1995 RuS 1998 130. OLG Zweibrücken 12.11.1993 VersR 1994 974, 975; LG Bad Kreuznach 1.2.1995 RuS 1998 130; ferner OLG Frankfurt 14.4.1982 VersR 1983 481, 482. OLG Hamm 3.2.1993 RuS 1993 236. OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574 = RuS 2006 252, 253. OLG Celle 13.6.1996 VersR 1997 820, 821. LG Bad Kreuznach 1.2.1995 RuS 1998 130; LG Kassel 4.10.1989 VersR 1991 215.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
bewegungen, die dem nicht alkoholisierten Fahrer in gleicher Situation zur Verhinderung des Zusammenpralls oder zur Korrektur der Fahrtrichtung (leicht) möglich gewesen wären, (ungebremst) gegen ein Hindernis wie z.B. einen Baum,241 eine Hauswand,242 eine Leitplanke oder einen Erdwall,243 ein ordnungsgemäß parkendes, haltendes bzw. langsam fahrendes Fahrzeug 244 oder in einen Straßengraben 245 fährt. Entsprechendes kann gelten, wenn es zu einem Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kommt. Für eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung spricht es in diesem Zusammenhang, wenn die versicherte Person ihre Geschwindigkeit von ca. 30 km/h auf ca. 50 km/h erhöhte, obwohl sie das Fahrzeug des Unfallgegners entgegenkommen sah.246 Alkoholtypische Fahrfehler liegen des Weiteren vor, wenn der Fahrer mit seinem Fahrzeug mehrere Hindernisse wie Verkehrsschilder oder Bogenlampen umreißt.247 • Fahren ohne Licht: Fährt die versicherte Person ohne Licht trotz schlechter Lichtverhältnisse (z.B. bei stockfinsterer Nacht) mit 50–60 km/h auf einer Straße, so spricht dies für eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung.248 • Geschwindigkeitsüberschreitungen: Das Fahren mit überhöhter bzw. einer den Verkehrsverhältnissen nicht angepassten Geschwindigkeit (unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1 StVO) kann einerseits Ausdruck alkoholbedingter Leichtsinnigkeit und Selbstüberschätzung sein. Andererseits treten Geschwindigkeitsverstöße – insbesondere auf gerader und übersichtlicher Straße – häufig auch bei völlig Nüchternen (voll fahrtauglichen Kraftfahrern) auf.249 Die Gründe hierfür können zahlreich sein. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung kann deshalb zwar auf eine alkoholbedingte Enthemmung hindeuten, z.B. dann, wenn die versicherte Person ansonsten die zulässige Höchstgeschwindigkeit einhält,250 ist aber – insbesondere bei jungen bzw. jugendlichen Fahrern251 – noch nicht zwingend alkoholtypisch bzw. -bedingt.252 Auf einen alkoholbedingten Fahrfehler kann erst dann geschlossen werden, wenn beim „Rasen“ offensichtliche bzw. zusätzliche Gefahrenmomente verkannt oder nicht beachtet werden.253 Das kann z.B. der Fall sein beim Befahren einer Kurve mit überhöhter Geschwindigkeit254 etwa mit anschließendem Schleudern ohne äußeren Einfluss,255 beim Fahren mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit trotz ungünstiger Straßen- und Witterungsverhältnisse in einer der versicherten Person unbekannten Ortschaft256 oder bei riskanten Überholmanövern z.B. in einem Streckabschnitt, in dem der Verkehr auf der Gegenfahrbahn nicht erkennbar ist.257 Zu berücksichtigen ist dabei auch das Verhältnis zwischen erlaubter und
241
242
243 244
245 246 247 248 249
OLG Celle 4.4.1996 VersR 1997 98, 99; LG Kiel 27.8.1986 RuS 1987 357; a.A. OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 1041 = RuS 2004 166. LG Münster 19.3.1963 VersR 1964 153; bestätigt durch OLG Hamm 5.8.1963 VersR 1964 154. OLG Koblenz 13.7.2001 VersR 2001 1372. OLG München 4.7.1980 VersR 1981 373, 374; OLG Zweibrücken 12.11.1993 VersR 1994 974, 975; LG Aurich 7.4.1955 VersR 1955 386; LG Zweibrücken 20.11.1975 VersR 1976 462. OLG Nürnberg 21.3.1996 RuS 1996 465. LG Weiden 15.7.1993 RuS 1995 39. OLG Koblenz 1.12.2000 VersR 2002 181 (LS). OLG Köln 26.1.1995 RuS 1995 355 f. (für Kradfahrer). BGH 15.6.1988 VersR 1988 950; BGH 3.4.1985 VersR 1985 779; BGH 7.1.1972 VersR 1972 292, 293; OLG Frankfurt a.M. 28.3.1984 VersR 1985 941.
250 251
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253 254
255 256
257
LG Kassel 4.10.1989 VersR 1991 215. OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574 = RuS 2006 252, 253; OLG Schleswig 2.9.1993 VersR 1994 973, 974. BGH 3.4.1985 VersR 1985 779; OLG Celle 13.6.1996 VersR 1997 820, 821; OLG Schleswig 2.9.1993 VersR 1994 973; OLG Zweibrücken 12.11.1993 VersR 1994 974, 975. OLG Hamm 10.1.1997 RuS 1997 393; Knappmann VersR 2000 11, 14. OLG Frankfurt a.M. 24.6.1980 VersR 1981 52, 53; OLG Hamm 2.12.1991 RuS 1992 250, 251; OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79; OLG Oldenburg 4.3.1996 RuS 1997 393. LG Kassel 4.10.1989 VersR 1991 215. OLG Hamm 11.11.1977 VersR 1980 1141, 1142; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 14. OLG Frankfurt 14.4.1982 VersR 1983 481, 482.
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Unfallversicherung
tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit. Umso geringer die Geschwindigkeitsgrenze liegt (z.B. verkehrsberuhigter Bereich, „Tempo 30 Zone“), desto schwerer können selbst geringfügige Überschreitungen wiegen. Letztlich ist eine Gesamtwürdigung durch den Tatrichter erforderlich.258 Kurvenbereiche: Das fehlerhafte Befahren einer (lang gestreckten oder leichten) Kurve ohne erkennbaren Grund kann einen Anhaltspunkt für eine Fahrunsicherheit geben;259 häufig ist es verbunden mit einem Abkommen von der Fahrbahn bzw. Gelangen auf die Gegenfahrbahn, Zusammenstoß mit einem Hindernis 260 oder Geschwindigkeitsüberschreitungen. Nach medizinischen Erkenntnissen sind Kurvenunfälle mit Abkommen von der Fahrbahn außerhalb geschlossener Ortschaften typisch für rauschbedingte Fahrunsicherheit.261 Für einen alkoholtypischen Fahrfehler spricht z.B. das reaktionslose Geradeausausfahren in einer Kurve.262 Rücksichtslosigkeit und Gedankenlosigkeit: Diese Verhaltensmuster sind typische Folgen von Alkoholgenuss (Rn. 7). Allerdings werden noch weitere Indizien zur Annahme einer Bewusstseinsstörung hinzukommen müssen, da ein rücksichtsloses und gedankenloses Verhalten im Straßenverkehr auch sonst (bzw. von Nüchternen) zu beobachten ist.263 Schlangenlinien: Das Fahren in Schlangenlinien (ohne jeden Anlass) ist nach medizinischen Erkenntnissen typische Folge einer rauschbedingten Fahrunsicherheit.264 Es ist Ausdruck dafür, dass die versicherte Person entweder die Gefährlichkeit ihrer Handlungsweise nicht erkannt hat, weil sie zur selbstkritischen Prüfung nicht mehr in der Lage war oder infolge dieses Mangels ihr fahrtechnisches Können überschätzt hat. Beide Verhaltensweisen sind typische Zeichen alkoholischer Beeinflussung (Rn. 7).265 Seitenabstand: Die gestörte Sehfähigkeit infolge Alkoholgenusses zeigt sich typischerweise beim Verschätzen des Seitenabstandes.266 Häufige Folge ist, dass der Fahrer ordnungsgemäß am Straßenrand parkende Kfz streift.267 Straßen- und Witterungsverhältnisse: Allein der Umstand, dass der Fahrer schwierigen Straßenund Witterungsverhältnissen (z.B. Glatteisbildung) nicht ausreichend Rechnung trägt (z.B. zu schnell fährt), lässt noch keinen Schluss auf eine relative Fahrunsicherheit zu; denn solche Fehlleistungen sind häufige und typische Fahrfehler, die auch voll fahrtauglichen Kraftfahrern unterlaufen können.268 Technische Defekte am Fahrzeug: Für Alkoholeinfluss spricht es, wenn die versicherte Person trotz technischer Defekte am Fahrzeug das Fahrzeug führt, z.B. bei schlechten Sichtverhältnissen mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 60 km weiterfährt, obwohl die Scheibenwischer ausgefallen sind.269 „Unfallflucht“: Für die Annahme einer Bewusstseinsstörung reicht es nicht aus, wenn die versicherte Person nach einem Zusammenstoß im Straßenverkehr etc. nicht zur Feststellung ihrer Personalien beiträgt und den Unfallort verlässt; denn eine „Unfallflucht“ begehen auch nüchterne Fahrer. Auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Fähigkeit zu situationsgerechtem Handeln lässt sich allerdings dann schließen, wenn die Beteiligung der versicherten Person an dem Geschehen jederzeit ohne große Mühe feststellbar ist (z.B. der Unfallgegner das Kennzeichen bereits festgestellt hat) und die versicherte Person dennoch wortlos, trotz Aufforderung zu warten, den Unfallort verlässt und nicht das Eintreffen der bereits verständigten Polizei abwartet.270
258 259 260 261 262 263 264 265
Lang NZV 1990 169, 172. LG Düsseldorf 19.3.1963 VersR 1963 1065. LG Düsseldorf 21.2.1986 RuS 1986 191. OLG Nürnberg 29.6.1989 VersR 1990 480, 481; Stamm VersR 1995 261, 263. OLG Hamm 2.12.1991 RuS 1992 250, 251; OLG Oldenburg 4.3.1996 RuS 1997 393. OLG München 3.5.1960 VersR 1961 1084, 1086. Stamm VersR 1995 261, 263. OLG München 2.3.1989 ZfS 1989 211.
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266 267 268 269 270
OLG Frankfurt 14.4.1982 VersR 1983 481, 482. Knappmann VersR 2000 11, 14; Stamm VersR 1995 261, 263. OLG Frankfurt a.M. 28.3.1984 VersR 1985 941. OLG München 4.7.1980 VersR 1981 373, 374. OLG Zweibrücken 12.11.1993 VersR 1994 974, 975.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
cc) Motorrad-, Krad- und Mofafahrer. Motorradfahrer (sowie Motorroller-, Kradund Mofafahrer) sind wie Autofahrer auch Kraftfahrer.271 Für sie gilt deshalb im Wesentlichen das zu Autofahrern Ausgeführte entsprechend: 272 Eine Bewusstseinsstörung ist bei absoluter Fahrunsicherheit gegeben. Die ältere Rechtsprechung neigte dazu, diese bei Fahrern von Motorrädern oder Motorrollern eher anzunehmen als bei Autofahrern, da Motorradfahrer im Vergleich zu Autofahrern zusätzliche Leistungen erbringen, nämlich das Gleichgewicht halten müssten und durch die ungeschützte Bewegung im Verkehrsraum einer stärkeren Gefährdung von Leben und Gesundheit ausgesetzt seien.273 Während z.B. Anfang der sechziger Jahre bei Autofahrern 1,5 ‰ gefordert wurden, genügte für Motorradfahrer 1,3 ‰.274 In der Folgezeit wurden die Grenzwerte für Autofahrer und Motorradfahrer aneinander – nämlich auf 1,3 ‰ 275 – angeglichen. Inzwischen wird – ebenso wie bei Autofahrern – absolute Fahrunsicherheit und damit eine Bewusstseinsstörung i.S.d. AUB bei einem Blutalkoholgehalt ab 1,1 ‰ angenommen.276 Ein geringerer Grenzwert ist auch bei Nachtfahrten nicht zuletzt aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit abzulehnen.277 Entsprechendes wie für Motorradfahrer gilt für Mofafahrer bzw. Fahrer von führerscheinfreien Fahrrädern mit Hilfsmotor. In älteren Entscheidungen lehnte der BGH noch die Festlegung eines allgemeinen Grenzwertes ab.278 Vielmehr musste die Fahrunsicherheit im Einzelfall nach allen Umständen, insbesondere anhand der Fahrweise oder etwaiger Ausfälle der Gesamtleistungsfähigkeit im Straßenverkehr ermittelt werden. Auch für Mofafahrer wurde dann in der Folgezeit der Grenzwert für die absolute Fahrunsicherheit an den für Autofahrer geltenden angeglichen, also zunächst auf 1,3 ‰279 und schließlich auf 1,1 ‰280 festgelegt. Der für Radfahrer geltende (höhere) Grenzwert ist nicht heran zu ziehen.281 Im Bereich der relativen Fahrunsicherheit reicht die Feststellung einer Alkoholisierung allein für die Annahme einer Bewusstseinsstörung nicht aus. Es müssen vielmehr Anzeichen für eine Fahrunsicherheit vorliegen, die sich entweder aus sonstigen Ausfallerscheinungen oder alkoholtypischen Fahrfehlern ergeben.282 Insofern kann auf die zu Autofahrern gemachten Ausführungen verwiesen werden. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Kraftradfahrer bei den von ihnen zu bewältigenden Verkehrsaufgaben im Vergleich zu Autofahrern erhöhten verkehrstechnischen Anforderungen unterliegen können. Dies kann dazu führen, dass einerseits bestimmte Beweisanzeichen bei einem Kraftradfahrer bereits relative Fahrunsicherheit begründen, andererseits dieselben Beweisanzeichen bei Autofahrern diesen Schluss noch nicht zulassen.283 Als typische alkoholbedingte Fahrfehler bei motorisierten Zweiradfahrern kommen etwa folgende Umstände in Betracht: 271 272 273 274
275 276
Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 46. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 13. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 182. BGH 20.3.1959 BGHSt 13 83, 89; BGH 5.4.1962 VersR 1962 461 = VerBAV 1962 259. LG Krefeld 16.2.1983 NJW 1983 2099 (zu § 316 StGB). Siehe nur Hentschel/Born Rn. 145 ff. und 924; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 11.
277 278 279
280
281 282 283
OLG Hamm 14.9.1988 RuS 1989 66, 67. BGH 29.8.1974 BGHSt 25 360, 362 ff.; BGH 14.3.1969 BGHSt 22 352, 356 ff. Grundlegend BGH 29.10.1981 BGHSt 30 251, 253 f.; BGH 17.7.1986 VersR 1987 475, 476; Mollenkott NJW 1981, 1307 f. Hentschel/Born Rn. 149 ff. und 924; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 46. LG Essen 13.11.1987 ZfS 1988 326. OLG Hamm 10.1.1997 RuS 1997 393; OLG Hamm 14.9.1988 RuS 1989 66, 67. Hentschel/Born Rn. 181.
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42 43
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
• Abkommen von der Fahrbahn auf einer fast völlig geraden Strecke, ohne dass eine schwierige Verkehrssituation zu bewältigen war.284 Typisches Symptom einer Trunkenfahrt ist z.B. das Abkommen von der Straße in Geradeausrichtung am Beginn einer Kurve.285 • (Nebeneinander) Fahren ohne Licht in stockfinsterer Nacht mit 50 bis 60 km/h.286 • Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeitsgrenze innerhalb einer Ortschaft bei offensichtlich schwierigen Straßenverhältnissen.287 • Übersehen eines anderen Verkehrsteilnehmers, z.B. beim Einbiegen auf eine Straße, obwohl sich ein anderer (vorfahrtsberechtigter) Verkehrsteilnehmer deutlich sichtbar nähert.288 Entsprechendes gilt für Links-Abbiegevorgänge trotz nahenden Gegenverkehrs, ohne dass ein Grund für die Fehleinschätzung der Verkehrssituation erkennbar ist. In diesen Fällen hat die versicherte Person entweder den anderen Verkehrsteilnehmer alkoholbedingt übersehen oder ihn gesehen, aber die Entfernung zu ihm infolge Alkoholeinfluss falsch eingeschätzt bzw. eine erhöhte Risikobereitschaft gezeigt.289 • Verkehrswidriges Verhalten wie z.B. ungebremstes Abbiegen bei gleich bleibender Geschwindigkeit, ohne den Abbiegevorgang durch Handzeichen oder Blinkzeichen dem hinterherfahrenden Verkehrsteilnehmer anzukündigen.290
46
dd) Radfahrer. Der Grenzwert für die absolute Fahr- und Verkehrsuntüchtigkeit von Radfahrern konnte ursprünglich nicht allgemein festgelegt werden, da es zunächst an ausreichend gesicherten Erkenntnissen fehlte.291 Im Jahr 1986 hat der BGH dann für das Strafrecht den Grenzwert auf 1,7 ‰ festgelegt, der sich aus einem Grundwert von 1,5 ‰ und einem Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ zusammensetzte.292 Dem ist die versicherungsrechtliche Rechtsprechung im Interesse der Rechtseinheit gefolgt.293 Heute wird bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ absolute Verkehrsunsicherheit angenommen (vgl. auch § 13 Nr. 2c FeV).294 Zwar ist nach wie vor von einem Grundwert von 1,5 ‰ auszugehen, jedoch ist der früher angenommene Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ auf 0,1 ‰ gesenkt worden.295 47 Bei einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 ‰ ist erforderlich, dass äußere Anzeichen für eine alkoholbedingte (relative) Fahrunsicherheit sprechen.296 Dabei müs-
284 285 286 287 288
289 290 291
292
293
KG 16.1.1998 RuS 1998 525. OLG Frankfurt 14.4.1988 RuS 1991 107; OLG Hamm 14.9.1988 RuS 1989 66, 67. OLG Köln 26.1.1995 RuS 1995 355 f. OLG Hamm 10.1.1997 RuS 1997 393. BGH 5.4.1962 VersR 1962 461, 462 = VerBAV 1962 259, 260; LG Bamberg 1.3.1996 RuS 1998 129, 130. OLG Koblenz 22.6.2001 VersR 2002 43. OLG Koblenz 22.6.2001 VersR 2002 43. BGH 7.8.1983 BGHSt 19 82, 83 ff.; Überblick zur älteren Rechtsprechung bei Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 190 f. BGH 17.7.1986 BGHSt 34 133, 134 ff.; relativierend bereits BGH 29.10.1981 BGHSt 30 251, 254 f. BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006, 1007; ferner etwa OLG Köln 20.9.2005 VersR 2006 255 = NJW-RR 2006 101 = RuS 2006 252 = RuS 2006 429.
812
294
295 296
OLG Hamm 15.10.1997 RuS 1998 216; OLG Schleswig 18.3.1992 RuS 1992 394; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 17; Kloth Rn. K 22; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 108; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 46; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 8; Rüther NZV 1994 457, 464; skeptisch Hentschel/Born Rn. 154 und 940, der 1,7 ‰ als Grenzwert annimmt; offen lassend LG Wuppertal 20.3.1996 RuS 1997 131; s.a. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 128 (1,6–1,7 ‰); ferner zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad BVerwG 21.5.2008 NJW 2008 2601 ff. OLG Celle 10.3.1992 NJW 1992 2169 f. zu § 316 StGB. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 13.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
sen, wenn nicht sonstige Ausfallerscheinungen vorliegen, jedenfalls Fahrfehler festzustellen sein, die typischerweise auf Alkoholgenuss zurückgehen.297 ee) Fußgänger. Bei einem Fußgänger im Straßenverkehr ist dann eine Bewusstseins- 48 störung anzunehmen, wenn seine Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit durch Alkohol so erheblich geschwächt ist, dass er nicht mehr imstande ist, eine Gefahrenlage wie ein nüchterner Mensch zu erkennen und zu meistern (Rn. 15). Auch mit dieser Fallgruppe hat sich die Rechtsprechung bereits mehrfach befassen müssen. Um bei einem Fußgänger eine Bewusstseinsstörung i.S.v. Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 49 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) annehmen zu können, muss zum einen ein erheblich höherer Grad der Alkoholisierung nachgewiesen werden als bei einem Kraftfahrer;298 denn die Anforderungen an die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit sind bei einem Fußgänger deutlich geringer.299 Der Fußgänger ist im Straßenverkehr nicht durch Fehler bei der Bedienung (Lenkung) von Maschinenkraft bedroht, sondern muss nur den eigenen Körper beherrschen.300 Darüber hinaus sind das periphere Bewegungssehen und die Tiefenwahrnehmung, aber bis zu einem gewissen Grad auch die Reaktionszeitverlängerung für einen Fußgänger wegen seiner geringen Eigengeschwindigkeit von nicht so großer Bedeutung wie für einen Autofahrer. Außerdem machen leichtere Störungen der motorischen Fähigkeiten den Fußgänger noch nicht ungeeignet, am Straßenverkehr teilzunehmen. Anders ist dies indes, sobald grobe Störungen auftreten wie Gleichgewichts- oder Bewegungskoordinationsstörungen, gröbere alkoholbedingte Aufmerksamkeitseinbußen oder Denk- und Urteilsstörungen.301 Zum anderen muss der Grenzwert für Fußgänger höher liegen als bei einem Radfahrer. Im Vergleich zu einem Fußgänger sind die an einen Radfahrer zu stellenden Anforderungen aufgrund dessen Geschwindigkeit, der von ihm zu benutzenden Fahrbahn (zusammen mit gleich schnellen oder schnelleren Fahrzeugen) und aufgrund des Erfordernisses, das Gleichgewicht zu halten, um vieles größer.302 Ein durchweg anerkannter Grenzwert für die absolute Verkehrsuntauglichkeit von Fußgängern hat sich bisher nicht durchgesetzt. Z.T. wird die Annahme eines festen Grenzwertes abgelehnt und stets anhand des Einzelfalls ermittelt, ob der Fußgänger aufgrund der alkoholischen Beeinflussung nicht mehr in der Lage gewesen ist, in der konkreten Verkehrssituation richtig zu reagieren und den auf ihn zukommenden Gefahren auszuweichen.303 Überwiegend kristallisiert sich jedoch in der Rechtsprechung in Anlehnung an eine ältere Entscheidung des BGH 304 heraus, dass absolute Verkehrsunsicherheit bei ungefähr 2,0 ‰ und darüber,305 aber auch im Bereich
297
298
299 300 301 302
BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006, 1007; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 49. BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343, 1344 = RuS 1991 35 = VerBAV 1991 262, 263; OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167; LG Kassel 17.3.2006 VersR 2006 1529; offen lassend noch BGH 8.7.1957 VersR 1957 509; OLG Hamm 28.9.1967 VersR 1968 86, 87. BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 464. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 192. OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38. LG Aurich 3.12.1986 VersR 1988 372.
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OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38 f.; OLG Hamm 23.12.1985 RuS 1986 138; KG 16.2.1956 MDR 1956 354; Hentschel/ Born Rn. 155 (s. aber auch 940 ff.); in diese Richtung auch OLG Saarbrücken 5.4.2006 ZfS 2006 338; Kloth Rn. K 20. BGH 8.7.1957 VersR 1957 509. OLG Braunschweig 12.3.1997 VersR 1997 1343; OLG Celle 17.5.1956 VersR 1956 401, 402; OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167; OLG Hamm 15.10.1997 RuS 1998 216; OLG Hamm 14.6.1989 VersR 1990 514, 515; OLG Köln 20.9.2005 VersR 2006 255 = NJW-RR 2006 101 = RuS 2006 252 = RuS 2006 429; OLG Köln 30.8.1990 RuS
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Unfallversicherung
ab 1,9–2,0 ‰,306 nicht jedoch darunter,307 also etwa bei einer Blutalkoholkonzentration von knapp 1,9 ‰,308 1,81 ‰,309 1,7 %310 oder 1,68 ‰311 angenommen werden darf.312 Zumindest der Festlegung des Grenzwertes auf 2,0 ‰ ist zuzustimmen. In Betracht kommt darüber hinaus, aufgrund des mittlerweile angenommenen Sicherheitszuschlags von 0,1 ‰ eine Absenkung auf 1,9 ‰ vorzunehmen, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass in dem vom BGH angenommenen Wert von 2,0 ‰ noch ein Sicherheitszuschlag von 0,5 ‰ enthalten war.313 Der dann angenommene Grundwert von 1,8 ‰ zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 0,1 ‰ läge noch immer deutlich über den bei Kfz-Führern und Radfahrern, so dass den unterschiedlichen Anforderungen an die versicherte Person im Rahmen der jeweiligen Art der Verkehrsteilnahme Rechnung getragen ist. Bei dem mit 1,9 ‰ oder mehr bestehenden Grad von Trunkenheit sind Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit auch bei einem Fußgänger so stark eingeschränkt, dass eine angemessene, besonnene und richtige Reaktion auf die verhältnismäßig schnell ablaufenden Verkehrsvorgänge stark erschwert ist.314 Unterhalb einer Blutalkoholkonzentration von ca. 2 ‰ besteht nur eine relative Ver50 kehrsunsicherheit. Bei ihr ist eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise notwendig. Eine zum Versicherungsausschluss führende Bewusstseinsstörung kann sich insbesondere bei einer Blutalkoholkonzentration im Bereich zwischen 1,9 ‰ und knapp 2,0 ‰ ergeben,315 sofern hier nicht ohnehin bereits eine absolute Verkehrsunsicherheit angenommen wird. Ausreichend können aber auch etwa Werte von 1,4 ‰ bis 1,9 ‰ sein.316 Ein Mindest-
306
1991 106, 107; OLG Köln 9.12.1982 VersR 1983 1153, 1154 (LS); OLG Nürnberg 8.1.1968 VersR 1968 893; OLG Oldenburg 14.7.1999 RuS 2000 303, 304; OLG Oldenburg 13.7.1994 RuS 1996 509, 510; LG Baden-Baden 27.2.1976 VersR 1976 982; LG Braunschweig 31.1.1968 VersR 1969 55; LG Hamburg 3.11.1981 VersR 1982 802; LG München I 22.2.1989 ZfS 1989 390; LG Oldenburg 9.7.1981 VersR 1982 394; LG Ravensburg 9.10.1995, Urteil vom 31.10.1995 – 3 O 1285/95; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 18; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 127 f.; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 11; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 108; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 46; Marlow RuS 2005 357, 359; ders. RuS 2004 353, 355; Millert VersR 1964 1138, 121; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 8; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 90; Stockmeier/Huppenbauer S. 44; ferner LG Oldenburg 9.7.1981 VersR 1982 394;. OLG Hamm 20.7.1984 VersR 1985 257 f.; OLG Hamm 28.9.1967 VersR 1968 86, 87; OLG Koblenz 19.9.1974 VersR 1975 514, 515; OLG Stuttgart 30.11.1959 VersR 1960 364 ; LG Hamburg 11.6.1969 VersR 1970 417, 418; Hentschel/Born Rn. 942; Rüther NZV 1994 457, 464.
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A.A. LG Detmold 27.11.1991 VersR 1992 864 (LS). OLG Köln 30.8.1990 RuS 1991 106, 107 = VersR 1991 686 (LS). KG 16.2.1956 MDR 1956 354. LG Aurich 3.12.1986 VersR 1988 372. LG Kassel 17.3.2006 VersR 2006 1529 = RuS 2007 118 (LS). I.E. offen lassend OLG Hamm 20.7.1984 VersR 1985 257, 258 (1,5 ‰); OLG Hamm 9.3.1977 VersR 1977 762, 763 (1,79 ‰); OLG Köln 17.3.1958 VersR 1958 281 (1,79 ‰); OLG Stuttgart 11.2.1972 VersR 1972 826, 827 (1,82 ‰); OLG Stuttgart 29.10.1968 VersR 1969 73 (1,92 ‰). OLG Hamm 9.3.1977 VersR 1977 762, 763; OLG Hamm 28.9.1967 VersR 1968 86, 87. OLG Hamm 14.6.1989 VersR 1990 514, 515; OLG Koblenz 19.9.1974 VersR 1975 514, 515; s.a. OLG Hamm 23.12.1985 RuS 1986 138. OLG Köln 30.8.1990 RuS 1991 106, 107; OLG Stuttgart 29.10.1968 VersR 1969 73. LG Kassel 17.3.2006 VersR 2006 1529 (für 1,41 bis 1,68 ‰); LG Detmold 27.11.1991 VersR 1992 864 (LS; für 1,5 ‰); OLG Braunschweig 12.3.1997 VersR 1997 1343 f. (für 1,71 ‰); LG Ravensburg 9.10.1995, Urteil vom 31.10.1995 – 3 O 1285/95 (1,73 ‰); OLG Hamm 9.3.1977 VersR 1977 762, 763 und OLG Köln 17.3.1958 VersR
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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wert ist in der Rechtsprechung noch nicht problematisiert worden. Neben der Feststellung der erheblichen Alkoholisierung müssen sich allerdings weitere Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der verunglückte Fußgänger in seiner Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit so gestört war, dass er der Gefahrenlage, in der er sich befand, nicht in ausreichendem Maße gewachsen war.317 Es muss ein konkretes (grobes) alkoholbedingtes Fehlverhalten festgestellt werden.318 Allein die Fehleinschätzung von Entfernung oder Geschwindigkeit reicht nicht aus, da dies auch einem nüchternen Fußgänger passieren kann. Auch müssen andere gesundheitliche Beeinträchtigungen als die einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung ausgeschlossen werden können.319 Erforderlich ist eine umfassende Einzelabwägung der Fakten zum Unfallort, zur Unfallzeit und zum Unfallhergang. Folgende Umstände können – jedenfalls in Kombination miteinander – für Ausfallerscheinungen bzw. ein alkoholbedingtes Fehlverhalten anzuführen sein: • Gehen mitten auf der Fahrbahn (entgegen der sich aus § 25 StVO ergebenden Verpflichtungen),320 Betreten einer Bundesautobahn (bei Dunkelheit) 321 oder (längeres) verbotswidriges Aufhalten mitten auf einer Autobahnabfahrt 322 bzw. einer unbeleuchteten Landstraße.323 • unreflektiertes, impulsiv-spontanes Losreißen von anderen Fußgängern, die gemeinsam mit der versicherten Person eine Straße überqueren;324 • erhebliche Risikobereitschaft und Kritiklosigkeit bei gefährdenden und gefährlichen Situationen (z.B. anlässlich der Bergung eines Pkw aus einem Straßengraben mit einem nicht vertrauten Gabelstapler bei Schneeglätte und Dunkelheit);325 • Unsicherer Gang der versicherten Person, insbesondere erhebliches bzw. auffälliges Schwanken des Fußgängers („Hin- und Hertorkeln“) vor dem Unfall;326 • Übersehen des herankommenden Fahrzeugs. Nach medizinischen Erkenntnissen gehört es zu den typischen Ausfallerscheinungen alkoholbeeinflusster Verkehrsteilnehmer, insbesondere auch von alkoholisierten Fußgängern, dass sie – bereits bei verhältnismäßig geringen Blutalkoholkonzentrationen – Entfernungen und Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen (Rn. 7) und daher auf sie zukommende Gefahren nicht erkennen und ihnen nicht mehr rechtzeitig ausweichen können.327 Zwar reicht allein die Fehleinschätzung von Entfernungen oder Geschwindigkeiten nicht aus, auf alkoholtypisches Fehlverhalten zu schließen. Kommen jedoch noch andere Umstände hinzu, so spricht dies für eine Bewusstseinsstörung.328 Solche Umstände hat die Rechtsprechung u.a. in Folgendem gesehen: Außerachtlassen jeglicher Vorsichtsmaßnahmen,329 unerklärliches Betreten der Fahrbahn ohne jede Hemmung und Kontrolle,330 Hineinlaufen in ein Fahrzeug auf einer Bundesautobahn bei Dunkelheit,331 schräges Überqueren der Fahrbahn,332 fehlende Ausweich- oder Fluchtreaktion;
317 318
319 320
321 322
1958 281 (jeweils für 1,79 ‰); OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167 (für 1,8 ‰); OLG Stuttgart 11.2.1972 VersR 1972 826, 827 (für 1,82 ‰); OLG Stuttgart 8.5.1989 VersR 1989 1037, 1038 (für 1,83 ‰). LG Kassel 17.3.2006 VersR 2006 1529. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 18; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 51; Marlow RuS 2004 353, 355. OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167, 168. OLG Braunschweig 12.3.1997 VersR 1997 1343, 1344; OLG Koblenz 19.9.1974 VersR 1975 514, 515; LG Ravensburg 9.10.1995, Urteil vom 31.10.1995 – 3 O 1285/95. LG Kassel 17.3.2006 VersR 2006 1529. LG Dortmund 5.12.2003 RuS 2004 299.
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327 328 329 330 331
OLG Saarbrücken 5.4.2006 ZfS 2006 338, 339. LG München I 22.2.1989 ZfS 1989 390, 391. OLG Stuttgart 8.5.1989 VersR 1989 1037, 1038. OLG Braunschweig 12.3.1997 VersR 1997 1343, 1344; OLG Köln 30.8.1990 RuS 1991 106, 107; OLG Stuttgart 11.2.1972 VersR 1972 826, 827. OLG Hamm 23.12.1985 RuS 1986 138. OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167, 168. OLG Stuttgart 11.2.1972 VersR 1972 826, 827; LG Trier 12.7.1996 RuS 1998 436. OLG Köln 17.3.1958 VersR 1958 281. LG Kassel 17.3.2006 VersR 2006 1529.
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Unfallversicherung
• Zugehen auf ein sich näherndes Fahrzeug (Hineinlaufen in ein Auto oder Motorrad) 333 z.B. beim Überqueren einer Landstraße, ohne die Gefahr zu erkennen oder den Versuch, eine Ausweichoder Fluchtreaktion zu unternehmen, um etwa auf dem kürzesten Weg die sichere gegenüberliegende Straßenseite zu erreichen.334
Nicht ausreichend zur Begründung einer relativen Verkehrsuntüchtigkeit (alkoholtypisches Versagen) ist dagegen das Überqueren der Straße außerhalb eines Fußgängerüberwegs. Hierbei handelt es sich um eine Verhaltensweise, die auch bei nüchternen Fußgängern zu beobachten ist.335
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ff) Mitfahrer. Anders als § 18 Abs. 3 AKB für die Insassenunfallversicherung stellen die AVB für die Unfallversicherung und für die UZV nicht nur auf Bewusstseinsstörungen des Fahrers ab. Eine Anpassung der AUB an die AKB im Wege der Inhaltskontrolle verbietet sich. Sowohl die Lösung in den AKB als auch in den AUB liegt innerhalb der Schranken, die der Gestaltungsfreiheit der VR bei der Aufstellung von AVB und durch das AGB-Recht gezogen sind. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von nüchternen und alkoholisierten Mitfahrern findet nicht statt. Dass durch die AUB der Versicherungsschutz auch für alkoholisierte (bewusstseinsgestörte) Mitfahrer versagt wird, ist gerechtfertigt. Die Absicht der VR ist nicht zu beanstanden, nur für Unfälle eintreten zu wollen, bei denen sich das allgemeine Lebensrisiko realisiert, und Versicherungsschutz auszuschließen, wenn sich bei dem Betrunkenen ein durch alkoholbedingte Bewusstseinsstörung gesteigertes Risiko verwirklicht (Rn. 6).336 Bei Mitfahrern von fahrunsicheren Fahrern bzw. Insassen ist danach zu differenzieren, welche Gefahr sich realisiert hat, also ob der Beifahrer aktiv in das zum Unfall führende Geschehen eingegriffen hat oder lediglich passiv beteiligt war.
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(1) „Aktiver“ Mitfahrer. Beruht der Unfall des Beifahrers auf einem eigenen Handeln (z.B. Griff ins Lenkrad, Tritt auf das Gaspedal, Öffnen der Autotür) oder Unterlassen (Verhindern eines Unfalls trotz Möglichkeit), sind je nach dem, ob das Kfz fuhr oder stand, entweder die Grenzwerte für Fahrer oder für Fußgänger als Vergleichsmaßstab heranzuziehen.337 Hier geht es anders als beim „passiven“ Beifahrer nicht um die Beurteilungs-, sondern wie bei Kfz-Führern usw. um die Aufnahme- und Gegenwirkungsfähigkeit.338 Solche Fälle sind indes selten. Regelmäßig beeinflusst der Beifahrer nicht die Fahrweise des Fahrers.339 Ausnahmen sind allerdings möglich. Sie kommen insbesondere bei dem Soziusfahrer auf einem Motorrad in Betracht, der ein nicht unbeträchtliches Maß an Reaktionsvermögen und Gleichgewichtssinn aufbringen muss, will er sich verkehrsgerecht verhalten. Entscheidend für die Anwendung des Grenzwertes von 1,1 ‰ ist, dass sich bei dem späteren Unfall die gerade dem Verhalten des Soziusfahrers eigentümliche Gefahr verwirklicht hat.340 Denkbar ist auch ein Eingreifen des Mitfahrers in einem Auto. So hatte die Rechtsprechung z.B. den Fall zu entscheiden, dass der Beifahrer trotz des langen Unfallweges nicht die ihm gegebene Möglichkeit nutzte, den (tödlichen) Aufprall auf einen Gegenstand bzw. Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmer zu verhindern oder die Geschwindigkeit vor dem Unfallereignis zu verringern (etwa
332 333 334 335 336
OLG Stuttgart 29.10.1968 VersR 1969 73 f. OLG Hamm 14.6.1989 VersR 1990 514, 515. OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167, 168. OLG Hamm 23.12.1985 RuS 1986 138. BGH 25.6.1986 VersR 1986 803, 804.
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337 338 339 340
Stockmeier/Huppenbauer S. 44. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 21. OLG Hamm 3.7.1996 VersR 1997 1344, 1345. Lang NZV 1990 169, 171.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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durch Herumdrehen des Zündschlüssels, Anziehen der Handbremse oder Schalten des Ganghebels auf Leerlauf).341 In einer solchen Sachverhaltskonstellation ist auf die für Kfz-Führer geltenden Grenzwerte und Grundsätze zur Feststellung der Bewusstseinsstörung zurückzugreifen. (2) „Passiver“ Mitfahrer. Bei dem passiven Beifahrer, der keine Möglichkeit hat, in 53 das Geschehen einzugreifen, geht es allein um das Vermögen, die ihm selbst drohenden Gefahren der in Aussicht genommenen Fahrt zu erkennen und bei seiner Entschließung zu berücksichtigen.342 Maßgebend ist also die Beurteilungsfähigkeit bzw. die Fähigkeit zur kritischen Wahrnehmung und Entscheidung, nicht die Aufnahme- und Gegenwirkungsfähigkeit; denn im Gegensatz zum Fahrer unterliegt der Beifahrer als nichtaktiver Verkehrsteilnehmer keinen nennenswerten Anforderungen in Bezug auf Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit.343 Abzustellen ist vorrangig auf die Fähigkeit der versicherten Person, die Fahrunsicherheit des Fahrers zu erkennen344 und dann entsprechend einer solchen Erkenntnis zu handeln.345 Die an den Beifahrer zu stellenden Anforderungen sind dagegen nicht von der Art des Verkehrsmittels – Auto oder Motorrad – abhängig. Unterschiede in den Anforderungen an die Fähigkeit zu einsichtiger Entscheidung sind bei Pkw- und Motorradbeifahrern nicht ohne weiteres auszumachen. Vielmehr lässt sich grundsätzlich die alkoholbedingte (absolute) Fahrunsicherheit nicht leichter erkennen, wenn der Kraftfahrer einen Pkw statt eines Motorrads steuern sollte:346 Zum einen kann nicht argumentiert werden, bei einer Motorradfahrt seien höhere Anforderungen an den Beifahrer zu stellen, weil die Zahl der möglichen Fahrfehler bei einem Motorrad größer und deren Auswirkungen schneller und gewichtiger seien; denn gerade größere Gefahren sind in der Regel leichter zu erfassen. Zum anderen lässt sich nicht pauschal feststellen, dass die Gefährlichkeit einer Autofahrt mit einem fahrunsicheren Fahrer geringer zu veranschlagen sei als die Gefahren einer Motorradtour. Für die Annahme einer Bewusstseinsstörung bei einem Mitfahrer reicht noch nicht die 54 gleiche Blutalkoholkonzentration aus wie bei einem Kraftfahrer; denn das Eingreifen der Ausschlussklausel hängt nicht allein von dem Maß der Blutalkoholkonzentration ab, sondern auch von der Lebenssituation, in der sich die versicherte Person befindet.347 An den Beifahrer werden im Straßenverkehr wesentlich geringere Anforderungen als an einen aktiven Verkehrsteilnehmer (Fahrer) gestellt, so dass ein Blutalkoholwert von 1,1 ‰ im Rahmen einer fallbezogenen Betrachtungsweise nicht genügt.348 Vielmehr kann von einer Bewusstseinsstörung i.S.v. Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) erst dann gesprochen werden, wenn die mitfahrende Person „schlechthin außerstande ist, die ihr drohenden Gefahren zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten“.349 Der Grenzwert für die absolute Verkehrsuntüchtigkeit des (passiven) Beifahrers i.S. eines Kompetenzverlustes liegt deshalb bei normaler Alkohol-
341
342 343
LG Münster 19.3.1963 VersR 1964 153; bestätigt durch OLG 5.8.1963 VersR 1964 154. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 50. BGH 25.6.1986 VersR 1986 803, 804; OLG Hamm 3.7.1996 VersR 1997 1344, 1345; LG Aachen 13.1.1966 VersR 1966 261, 262; Lang NZV 1990 169, 170 f.; Rüther NZV 1994 457, 464.
344 345 346 347 348
349
OLG Frankfurt/M. 17.5.1960 VerBAV 1961 5; OLG Hamm 15.1.1999 RuS 1999 297. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 12. BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584. LG Aachen 28.6.1978 MDR 1979 60. OLG Hamm 3.7.1996 VersR 1997 1344, 1345; OLG Nürnberg 23.5.1967 VersR 1969 275, 276. BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 90.
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verträglichkeit bei bzw. ab einer Blutalkoholkonzentration von ca. 2,0 ‰.350 Die Rechtsprechung hat sich bei der Festlegung durch den für Fußgänger geltenden Grenzwert leiten lassen. Dagegen ist eine Blutalkoholkonzentration von 1,89 ‰ für sich genommen noch kein starkes Indiz für eine Bewusstseinsstörung.351 Entsprechendes gilt folgerichtig für niedrigere Werte.352 Selbst Blutalkoholwerte von 1,9 ‰353 oder 1,95 ‰354 hat die Rechtsprechung allein nicht ausreichen lassen.355 Nach der Lebenserfahrung führt eine derartige Alkoholisierung noch nicht ohne weiteres zu einem Ausschluss oder einer wesentlichen Beeinträchtigung der Fähigkeit, die Fahrunsicherheit des Fahrzeugführers zu erkennen. Auch im Strafrecht genügt ein Blutalkoholwert von z.B. 1,89 ‰ noch nicht, eine erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit anzunehmen. Vielmehr kann der Betroffene mit diesem Alkoholwert die weit subtilere Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht treffen und sich nach dieser Erkenntnis verhalten. Steht zwar eine (erhebliche) Alkoholisierung, aber noch keine absolute Verkehrsun55 sicherheit fest, so kann eine Bewusstseinsstörung nur bei Vorliegen von besonderen Umständen bzw. Ausfallerscheinungen der versicherten Person angenommen werden,356 die in der Zusammenschau das bei derartigen Blutalkoholwerten gewöhnliche Maß übersteigen und sich nur mit einer „Denkstörung im Ausmaß einer Bewusstseinsstörung“357 bzw. einem Verlust oder einer erheblichen Beeinträchtigung der Fähigkeit erklären lassen, die Fahrunsicherheit des Fahrzeugführers zu erkennen.358 Z.T. wird verlangt, dass beim Mitfahrer Ausfallerscheinungen vorliegen müssten, die dem durch einen Schlaganfall oder eine Geistesstörung herbeigeführten Zustand annähernd gleichkämen.359 Bei der Bewertung der Ausfallerscheinungen kann nicht auf die Erfahrungssätze zurückgegriffen werden, die relative Fahrunsicherheit bei einem Kfz-Führer begründen; denn für einen (passiven) Mitfahrer gelten andere Anforderungen an die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit als bei aktiven Verkehrsteilnehmern.360 So reicht es nach der Rechtsprechung für die Annahme einer relativen Verkehrsunsicherheit bzw. Bewusstseinsstörung nicht aus, dass die versicherte Person • sorglos dem Alkohol zugesprochen hat. Zwar muss derjenige, der z.B. im Anschluss an ein geselliges Zusammensein noch ein Kfz führen will, sich seiner Verantwortung bewusst sein und
350
351 352
Siehe nur BGH 25.3.1992 VersR 1992 730; BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 90; OLG Frankfurt a.M. 24.6.1980 VersR 1981 52, 53; OLG Hamm 15.1.1999 RuS 1999 297; OLG München 11.11.1983 VersR 1984 261; LG Aachen 28.6.1978 MDR 1979 60; LG Baden-Baden 27.2.1976 VersR 1976 982; LG Saarbrücken 21.11.2005 ZfS 2006 279; ferner ÖOGH 9.4.1981 VersR 1982 588; abschwächend Lang NZV 1990 169, 171. BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584. BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88 ff. (1,66 ‰); OLG Frankfurt a.M. 5.2.1998 VersR 1999 1403, 1404 (0,86 bis 1,06 ‰); OLG Köln 21.9.1989 RuS 1989 414 (1,39 ‰); OLG Nürnberg 23.5.1967 VersR 1969 275, 276 (1,58 ‰); LG Aachen 13.1.1966 VersR 1966 261, 262 (1,4 bis 1,65 ‰); ferner
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353 354 355 356
357 358 359 360
ÖOGH 9.4.1981 VersR 1982 588 (1,46 ‰); a.A. noch LG Regensburg 18.5.1965 VersR 1966 32. OLG Hamm 3.7.1996 VersR 1997 1344, 1345. OLG Hamm 11.11.1970 VersR 1971 562. A.A. LG Braunschweig 6.6.1969 VersR 1969 795 (für 1,91 ‰). OLG Frankfurt a.M. 5.2.1998 VersR 1999 1403, 1404; OLG Hamm 11.11.1977 VersR 1980 1141, 1142; OLG Köln 21.9.1989 RuS 1989 414, 415; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 50. OLG Nürnberg 23.5.1967 VersR 1969 275, 276. BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 19. ÖOGH 9.4.1981 VersR 1982 588. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 19.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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im Alkoholgenuss starke Zurückhaltung üben. Für die übrigen Teilnehmer gilt dies jedoch grundsätzlich nicht.361 erklärt, sie fühle sich selbst nicht mehr imstande, den Wagen selbst zu fahren. Aus dieser Äußerung lässt sich nur entnehmen, dass die versicherte Person nicht mehr fahrtüchtig war, nicht aber, dass sie den geringen Anforderungen, die an einen Mitfahrer gestellt werden, nicht mehr genügte.362 äußerlich wahrnehmbare Alkoholisierungserscheinungen aufweist, also z.B. „zwischen lallend und normal“ spricht, beim Gehen schwankt oder während der Fahrt aus ungeklärten Gründen zur Seite kippt.363 Zumindest letzteres wird man jedoch als Indiz für eine Bewusstseinsstörung der versicherten Person zu werten haben. sich in nüchternem Zustand anders – nämlich gegen eine Mitfahrt bei dem alkoholisierten Fahrer – entschieden hätte;364 denn auch der angetrunkene Mitfahrer, der eine erhöhte Risikobereitschaft erkennen lässt, genießt grundsätzlich Versicherungsschutz, solange er in seiner Wahrnehmungsund Kritikfähigkeit noch nicht wesentlich beeinträchtigt und nicht festgestellt ist, dass sein Verhalten für den Unfall ursächlich war.365 ein auffälliges Verhalten an den Tag legt, das etwa die Geringschätzung eigener Sachwerte und der körperlichen Unversehrtheit anderer erkennen lässt, sofern dieses Verhalten auf jugendlicher Unüberlegtheit,366 gesteigertem Leichtsinn367 und/oder Großmannssucht beruht.368 Leistungsfreiheit des VR ist erst dann gegeben, wenn die alkoholische Beeinflussung des Beifahrers die Schwelle der alkoholischen Enthemmung und der gesteigerten Neigung zu leichtsinnigem Verhalten überschreitet.369
(Nicht zwingende) Indizien für eine Bewusstseinsstörung der versicherten Person infolge relativer Verkehrsunsicherheit können sein,370 dass die versicherte Person von vornherein damit rechnen musste, dass sie von einem angetrunkenen Fahrer mitgenommen wird (z.B. „geplante Zechtour“),371 ihr eigenes Fahrzeug einem mehr oder minder stark betrunkenen Fahrer überließ,372 sich einem besonders stark betrunkenen Fahrer anvertraut hat373 oder sich besonders leichtsinnig verhielt, weil sie sich z.B. in einen geöffneten Kofferraum eines Kfz gelegt hat.374 b) Unfälle außerhalb des Straßenverkehrs. Alkoholbedingte Unfälle, die sich außer- 56 halb der Teilnahme am Straßenverkehr ereignen, sind in der Regulierungspraxis der VR nicht gleichermaßen bedeutsam wie Bewusstseinsstörungen im Straßenverkehr. Bei ihnen kann nicht auf die zu §§ 315c, 316 StGB, § 24 StVG, § 2 ReV entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.375 Vielmehr ist stets nach einer fallbezogenen Betrachtungsweise zu entscheiden, ob die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit der versicherten Person nach
361 362 363 364 365 366 367 368 369
BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 91. OLG Hamm 11.11.1977 VersR 1980 1141, 1142. OLG Köln 21.9.1989 RuS 1989 414, 415. A.A. offenbar noch LG Düsseldorf 19.4.1966 VersR 1966 923. BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584. LG Aachen 13.1.1966 VersR 1966 261, 262. OLG Hamm 11.11.1977 VersR 1980 1141, 1142. BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584. OLG Hamm 11.2.1987 RuS 1987 207; OLG Köln 21.9.1989 RuS 1989 414, 415; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 19; Stockmeier/Huppenbauer S. 44.
370 371 372
373
374 375
S.a. OLG Nürnberg 23.5.1967 VersR 1969 275, 276. BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 90, 91; LG Aachen 28.6.1978 MDR 1979 60. Bejahend LG Düsseldorf 19.3.1963 VersR 1963 1065, 1066; verneinend OLG Hamm 11.11.1977 VersR 1980 1141, 1142. LG Braunschweig 6.6.1969 VersR 1969 795 f.; LG Düsseldorf 19.4.1966 VersR 1966 923; LG Düsseldorf 19.3.1963 VersR 1963 1065, 1066; LG Regensburg 18.5.1965 VersR 1966 32. OLG München 11.11.1983 VersR 1984 261. Noch zu § 2 StVZO a.F. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 10 und 22.
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Unfallversicherung
den Gesamtumständen so herabgemindert war, dass sie der jeweiligen Gefahrenlage nicht gewachsen war.376 Je nach Einzelsituation kann die Beeinträchtigung oder der Ausfall einzelner körperlicher oder geistiger Funktionen besonderes Gewicht erlangen.377 Zu verlangen ist jedenfalls ein erheblicher Grad der Alkoholisierung, von dem unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse und Verhaltensweisen der versicherten Person auf eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung geschlossen werden kann.378 (Absolute) Grenzwerte der Blutalkoholkonzentration bzw. generell feststehende Maßstäbe, die unzweifelhaft die Annahme einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung zulassen, haben sich – anders als für Unfälle im Straßenverkehr – für den häuslichen Bereich noch nicht abschließend herauskristallisiert. Meist wird ein Grenzwert bei 379 bzw. über 2,0 ‰ 380 angenommen. Zwingend ist dies indes nicht. Z.T. werden auch bei einem Alkoholgehalt von nicht weniger als 2,0 ‰ weitere Feststellungen zu der konkret zu meisternden Lebenssituation verlangt.381 Umgekehrt handelt es sich bei dem Wert von 2,0 ‰ auch nicht um einen Mindestwert. So können z.B. auch Werte von 1,1 bis 1,2 ‰382 ausreichen, um eine Bewusstseinsstörung zu begründen. Große Bedeutung für die Entscheidungsfindung hat mithin sehr häufig die Frage, ob neben einer erheblichen Alkoholisierung Ausfallerscheinungen der versicherten Person vor dem Unfall festgestellt werden können. Für eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung können z.B. folgende Ausfallerscheinungen anzuführen sein: • (Teilweises) Ausziehen von Kleidungsstücken 383 oder Umherlaufen ohne Schuhe,384 ohne dass hierfür ein Grund besteht; • Beeinträchtigung der Motorik und Koordinationsschwierigkeiten ohne erkennbaren Anlass;385 • höchst gefährliches und unverantwortliches Verhalten vor dem Unfall (z.B. Eingriff in das Fahrverhalten eines Dritten; eigenes verkehrswidriges Fahren);386 • Schaffung der zum Unfallereignis führenden Gefahrsituation (z.B. Hocken auf dem Sims eines offenen Fensters im 2. Stock, ohne sich fest zu halten);387 • aggressives und enthemmtes Verhalten;388 • (nächtliches) Lärmen.389
57
Im Straßenverkehr muss einem Fußgänger eine erheblich höhere Blutalkoholkonzentration nachgewiesen werden als einem Kfz-Führer, um eine Bewusstseinsstörung annehmen zu können. Erforderlich für eine absolute Verkehrsunsicherheit sind dort nach überwiegender Meinung 2,0 ‰ oder mehr. Entsprechende (Mindest-)Vorgaben gelten für einen Fußgänger, der sich nicht (mehr) im Straßenverkehr, sondern sich etwa im heimi376
377 378 379 380 381
BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 464; OLG Oldenburg 14.7.1999 RuS 2000 303, 304; OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 22; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 132; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 52; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 15. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 8. BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343, 1344 = RuS 1991 35 = VerBAV 1991 262, 263. OLG Hamm 26.5.1971 VersR 1972 244, 245. Stockmeier/Huppenbauer S. 44. OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242,
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382 383 384 385 386 387 388 389
243; OLG Nürnberg 12.8.1999 NVersZ 2000 169, 170 = RuS 2000 437; OLG Oldenburg 14.7.1999 RuS 2000 303, 304. OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436. OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436 f. LG Bückeburg 11.10.1985 VersR 1987 335, 336. LG Bückeburg 11.10.1985 VersR 1987 335, 336. OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436 f. OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436 f. OLG Nürnberg 12.8.1999 NVersZ 2000 169, 170 = RuS 2000 437. OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436, 437.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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schen Bereich (z.B. vor seiner Haustür oder im eigenen Haus) befindet und stürzt,390 ausrutscht,391 eine Rauchvergiftung erleidet,392 ertrinkt 393 usw.394 Aufgrund der Herabsetzung des Sicherheitszuschlags von 0,2 auf 01, ‰, sollte nicht nur für Fußgänger im, sondern auch für Fußgänger außerhalb des Straßenverkehrs ein Grenzwert von 1,9 ‰ ausreichen können.395 Die Festlegung eines Grenzwertes von 2,0 ‰ (oder 1,9 ‰) ist indes noch nicht Allgemeingut.396 Die für den Straßenverkehr geltende Grenze kann jedenfalls dann für Fußgänger außerhalb des Straßenverkehrs herangezogen werden, wenn die versicherte Person vergleichbare Gefahrensituationen zu bewältigen hat. Für Situationen, in denen der Fußgänger einer Gefährdung unterhalb des im allgemeinen Straßenverkehr üblichen Gefahrenniveaus ausgesetzt ist, kommt es dagegen auch in Betracht, dass – ggf. mit sachverständiger Hilfe – individuell festgestellt werden muss, ob in der konkreten Unfallsituation eine bedingungsgemäße Bewusstseinsstörung (Bewusstlosigkeit) gegeben war.397 Steht eine Alkoholisierung der versicherten Person fest, ohne dass ein absoluter Grenzwert überschritten ist, so sind Ausfallerscheinungen der versicherten Person zu prüfen und sonstige Umstände des Einzelfalles (Verhalten der versicherten Person vor dem Unfall, Unfallzeit und -ort, konkrete Unfallsituation) 398 zu würdigen. Beispiele: • Flucht vor Hoheitsorganen: Maßgebend für die Annahme einer Bewusstseinsstörung ist, ob in der Flucht vor der Polizei eine alkoholbedingte „Kurzschlusshandlung“ zu sehen ist oder die „Kurzschlusshandlung“ Gründe hat, die auch einen Nüchternen zu dem Verhalten hätten motivieren können. Dies hat die Rechtsprechung z.B. für den Fall angenommen, dass der alkoholisierte (und zuvor randalierende) Versicherte sich in einer familiären Konfliktsituation (gestörtes Verhältnis zur Ehefrau infolge Scheidungsverfahren mit heftigem Streit) die Pein ersparen wollte, von der Polizei festgenommen und an der triumphierenden Ehefrau vorbei abgeführt zu werden.399 • Schussverletzung: Klettert die stark alkoholisierte versicherte Person an der Hinterfront seines Hauses hoch, um über den Balkon in seine im dritten Stock gelegene Wohnung einzusteigen, und wird sie dabei von einem Nachbarn angeschossen, nachdem dieser die versicherte Person vergeblich zum Stehen bleiben aufgefordert worden ist, so ist von einer Bewusstseinsstörung auszugehen.400 • Stürze: Selbst wenn bei der versicherten Person eine hohe Alkoholisierung zu vermuten oder eine hohe Blutalkoholkonzentration (z.B. von 1,7 ‰) festgestellt werden kann, so lässt sich allein aus einem Sturz noch nicht auf eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung schließen.401 Voraussetzung ist, dass vor dem Sturz alkoholbedingte Ausfallerscheinungen erkennbar waren. Erforderlich ist die Ermittlung von Unachtsamkeiten, die typische Folgen von übermäßigem Alkoholgenuss sind. Ausreichend kann z.B. sein, dass die versicherte Person bei dunkler Nacht einen gefährlichen Weg
390
391 392 393 394
395
BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343, 1344 = RuS 1991 35 = VerBAV 1991 262, 263; BGH 8.7.1957 VersR 1957 509; OLG Celle 17.5.1956 VersR 1956 401, 402; LG Köln 28.7.1950 VersR 1951 113. LG Köln 5.10.1983 VersR 1984 756. OLG Hamm 5.11.1980 VersR 1981 330. LG Aachen 12.7.1967 VersR 1968 366, 367. OLG Köln 20.9.2005 VersR 2006 255 = NJW-RR 2006 101 = RuS 2006 252 = RuS 2006 429 (zust. Marlow RuS 2006 397 f.); LG Duisburg 28.12.1966 VersR 1967 1190. S. bereits OLG Köln 14.5.1958 VersR 1958 517; LG Heilbronn 28.5.1968 VersR 1968 1159 f.
396 397
398 399 400 401
Vgl. etwa LG Ellwangen 30.8.2002 RuS 2004 298 (LS). OLG Nürnberg 12.8.1999 NVersZ 2000 169, 170 = RuS 2000 437; OLG Oldenburg 14.7.1999 RuS 2000 303, 304; Rüther NZV 1994 457, 464; offenbar auch OLG Hamm 23.12.1985 RuS 1986 138. LG Bückeburg 11.10.1985 VersR 1987 335. BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 464. OLG Köln 14.5.1958 VersR 1958 517. OLG Koblenz 3.2.1989 RuS 1992 179, 180; ferner OLG Koblenz 5.3.1999 NVersZ 2000 171, 172 = RuS 2000 304 = VersR 1999 1405 (LS).
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am Rand eines Steinbruchs benutzt hat,402 der VN nicht plausibel erklären kann, wie es zu dem Sturz aus dem Fenster eines Hotelzimmers gekommen ist,403 die versicherte Person sich über das Balkongeländer beugt, um sich zu übergeben, und dabei das Gleichgewicht verliert 404 oder die versicherte Person beim Verlassen eines Gebäudes ins Stolpern gerät, aber nicht sofort, sondern erst ca. 10 m später ohne Abfangbewegung stürzt.405 Kein Schluss auf eine Bewusstseinsstörung ist dagegen möglich, wenn z.B. die versicherte Person infolge Glatteises und nicht infolge von Trunkenheit von einem Vordach oder einem Balkon gestürzt406 oder ein tätlicher Angriff auf die alkoholisierte versicherte Person die Ursache der Verletzung sein kann.407
58
Ob bei Reitern eine „absolute Reituntauglichkeit“ bei einem Blutalkoholgehalt von 1,7 ‰ angenommen werden kann, ist in der Rechtsprechung erwogen, aber noch nicht abschließend entschieden worden.408 Eine trunkenheitsbedingte Bewusstseinsstörung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Unfallgeschehen hinreichend sichere Schlüsse darauf zulässt, dass die versicherte Person nicht in der Lage gewesen ist, die zum Unfall führende Situation – ein reiterisches Missgeschick – zu meistern (z.B. Zügelriss, unruhiges oder durchgehendes Pferd usw.). Dies trifft etwa auf den Fall zu, dass eine erfahrene Reiterin beim Durchparieren des Pferdes vom Trab zum Schritt ohne funktionierende Zügel von dem „buckelnden Pferd aus dem Sattel katapultiert“ wird, dabei mit einer Hand irgendwie hängen bleibt und rückwärts mit dem Kopf auf den Asphalt aufschlägt.409 Absolute Fahrunsicherheit des Schiffsführers infolge Alkoholgenusses ist dann anzu59 nehmen, wenn seine psycho-physische Gesamtleistungsfähigkeit so herabgemindert ist, dass er den Anforderungen des Schiffsverkehrs nicht mehr durch adäquates Handeln zu genügen und insbesondere beim Auftreten plötzlicher Gefahren nicht schnell und sicher genug zu reagieren vermag (Rn. 15). Wo diese Grenze der Leistungsfähigkeit verläuft, ist bisher nicht abschließend geklärt, da anders als im Straßenverkehr – auch wegen der geringeren praktischen Bedeutung – eingehende und umfassende wissenschaftliche Untersuchungen fehlen. Die Rechtsprechung neigt dazu, sich weniger am Kraftfahrzeugverkehr zu orientieren, sondern den für Radfahrer geltenden Grenzwert heranzuziehen. Die Anforderungen an Kraftfahrtzeugführer seien einerseits u.a. wegen der auf Straßen herrschenden Verkehrsdichte und Geschwindigkeiten höhere als bei einem Schiffsführer. Andererseits sei einem Schiffsführer zumindest die Reaktionsfähigkeit wie einem Radfahrer abzuverlangen.410 Z.Z. ist deshalb bei einem Schiffsführer absolute Fahrunsicherheit ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ anzunehmen. Die Rechtsprechung hat bei einem Schwimmer allein eine Blutalkoholkonzentration 60 von 2,29 ‰ als nicht ausreichend erachtet, „absolute Schwimmunsicherheit“ und damit eine Bewusstseinsstörung anzunehmen. Erforderlich sei darüber hinaus das Auftreten von Ausfallerscheinungen. Der für Fußgänger im Straßenverkehr geltende Grenzwert könne nicht herangezogen werden, da an diesen höhere Anforderungen zu stellen seien als an einen Schwimmer (in einem abgelegenen Baggersee).411 Ob dem gefolgt werden
402 403
404 405 406 407
OLG Nürnberg 8.1.1968 VersR 1968 893. OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1216; KG 4.2.2003 RuS 2003 428, 429; ähnlich OLG Hamm 14.5.2008 VersR 2009 349 f. = RuS 2009 30. KG 10.2.1987 VersR 1987 777, 778; LG Berlin 27.5.1986 VersR 1987 67, 68. LG Ellwangen 30.8.2002 RuS 2004 298 f. BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 464. OLG Koblenz 5.3.1999 NVersZ 2000 171, 172.
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408
409 410 411
OLG Celle 11.4.2002 VersR 2002 1411; offen lassend auch LG Würzburg 18.2.1991 RuS 1992 106. OLG Celle 11.4.2002 VersR 2002 1411, 1412. OLG Köln 10.11.1989 NJW 1990 847 f. OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242, 243; zust. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 14.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
kann ist zweifelhaft. Offen bleibt, warum für den Schwimmer ein anderes Anforderungsprofil als für einen Fußgänger im Straßenverkehr gelten soll. Darüber hinaus dürften die Anforderungen an einen Schwimmer – gerade an einem einsamen Ort, wo er auf sich allein gestellt ist – genauso zu bemessen sein wie für einen Fußgänger im häuslichen Bereich, für den überwiegend ein Grenzwert von 2,0 ‰ angenommen wird. 3. Bewusstseinsstörung durch künstliche Mittel Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94) umfasst nach allgemeiner Mei- 61 nung auch Bewusstseinsstörungen durch künstliche Mittel. Zu diesen künstlichen Mitteln zählen:412 • (Weiche und harte) Drogen bzw. Rauschmittel (Cannabis, Heroin, Morphin, Kokain, Amphetamin, Designer-Amphetamin usw.), vgl. auch Anlage zu § 24a StVG;413 • Tabletten (z.B. Überdosis eines Beruhigungsmittel oder eines Schlafmittels).414
Der Rauschmittelkonsum kann die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit schwerwiegend beeinträchtigen.415 Er kann je nach Droge etwa zu Halluzinationen, einer Verkennung der Realität, einem (subjektiv) gesteigerten Leistungsgefühl sowie einer Erhöhung der Risikobereitschaft führen, wobei gleichzeitig die Kritikfähigkeit abnimmt, das Leistungsvermögen (infolge mangelnder Konzentration, Herabsetzung der Reaktionsschnelligkeit und -sicherheit und reduzierter Aufmerksamkeit) sinkt und Hemmungen abgebaut werden.416 So wird die Fähigkeit erheblich beeinträchtigt, Entfernungen und Geschwindigkeiten einzuschätzen oder komplexe Verkehrssituationen richtig zu erfassen. Die Einnahme von Rauschmitteln bewirkt damit gefährliche psychische Veränderungen vor allem im akuten Rauschzustand, aber auch – wenngleich selten – in der Nachwirkungsphase.417 So kann es bei Haschisch – selbst bei nur einmaliger Zufuhr – nach einem symptomfreien Intervall von mehreren Tagen zu einem Wiederaufflammen der Rauschsymptome (Flashback, Echorausch) kommen.418 a) Drogenkonsum im Straßenverkehr. Anhaltspunkte für den VR, Nachforschungen zu 62 einer Bewusstseinsstörung durch künstliche Mittel anzustellen, können sich insbesondere aus der Auswertung der Ermittlungs- oder Krankenhausakte ergeben. So kann z.B. die Blutentnahme trotz negativen Atemalkoholtests oder die Anordnung einer Urinprobe den Verdacht auf Fahrunsicherheit infolge Medikamenten- oder Drogeneinnahme ergeben.419 Anders als beim Alkoholkonsum gibt es beim Drogenkonsum keinen allgemein gülti- 63 gen wissenschaftlich begründbaren Grenzwert, der uneingeschränkt auf eine Bewusstseinsstörung schließen lässt.420 Insbesondere reicht die generell-abstrakte Eignung von
412 413 414 415 416
417
Salger DAR 1994 433, 434; Stockmeier/ Huppenbauer S. 44. OLG Karlsruhe 19.3.1992 VersR 1993 1120. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 53. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8. OLG Köln 7.9.1995 RuS 1998 261, 262; Harbort NZV 1996 219, 222; Hentschel NJW 1998 2385, 2386; Salger DAR 1994 433, 435 und 437. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8.
418 419 420
VGH Mannheimer 6.9.1988 NJW 1989 1625. Stamm VersR 1995 261, 266. OLG Bamberg 4.5.2006 NJW-RR 2006 1406, 1408; OLG München 30.1.2006 NZV 2006 275; OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574 = RuS 2006 252, 253; Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8 Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 53; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 16; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 92.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
berauschenden Mitteln nicht aus, absolute Fahrunfähigkeit unter Ausschluss jeden vernünftigen Zweifels zu begründen.421 Nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft ist allein aufgrund eines positiven Wirkstoffspiegels im Blut eine absolute Fahrunsicherheit nicht herzuleiten.422 Dies gilt selbst bei Einnahme „harter“ Drogen wie Heroin oder Kokain und unabhängig von der Höhe der festgestellten Blut-Wirkstoff-Konzentration. Während die Ergebnisse sowohl der biologisch-medizinischen als auch der statistischen Alkoholforschung unter besonderer Berücksichtigung der Auswertung von Fahrversuchen es erlauben, die Blutalkoholkonzentration festzulegen, bei der der Betreffende in seiner psycho-physischen Leistungsfähigkeit so vermindert und in seiner Gesamtpersönlichkeit so verändert ist, dass er den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr durch rasches, angemessenes und zielbewusstes Handeln zu genügen vermag, gibt es vergleichbares Datenmaterial und entsprechende objektivierbare Erkenntnisse im Bereich des Drogenkonsums (bisher) nicht.423 Die Werte unterliegen starken Schwankungen. Sie werden beeinflusst von Faktoren wie Alter, Gewicht, Körpergröße, Gesundheitszustand, Gewöhnungsgrad, Konsumatmosphäre und die mit dem Konsum verbundenen subjektiven Erwartungen an die Drogenwirkung. Hinzu kommt eine unübersehbare Wirkstoffvielfalt bei Drogen und Medikamenten, deren Kombinationsmöglichkeiten sowie die unterschiedlichen Einnahmeformen.424 Bei einem Alkoholwert unter 1,1 ‰ ergibt auch eine Addition des Alkohol- und des Drogenwertes keine absolute Fahrunsicherheit.425 Es kommt lediglich eine relative Fahr- bzw. Verkehrsunsicherheit infolge Drogen64 konsums in Betracht.426 In Anlehnung an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts427 wird zunächst zu fordern sein, dass es einer Konzentration bedarf, die eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest als möglich erscheinen lässt. Der sog. analytischen Grenzwert (Nachweisgrenzwert) der jeweiligen Substanz muss erreicht sein, denn geringere Konzentrationen lassen nicht die Annahme eines im Verhältnis zur Fahrt zeitnahen Konsums zu.428 Beim Wirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol – Cannabis) beträgt er derzeit 1 ng/ml,429 bei Morphin 10 ng/ml 430 und bei Amphetamin 25 ng/ml.431 Weiterhin ist die relative Fahrunsicherheit in jedem Einzelfall unter Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere anhand von Ausfallerscheinungen und Fehlleistungen, festzustellen.432 Die Beweisanzeichen lassen sich – wie bei der Beurteilung der Fahrunsicherheit infolge Alkoholgenusses – in drei Gruppen einteilen:433
421 422
423
424 425 426 427
A.A. Salger DAR 1994 433, 436, 437 f. und 441, der sich für einen 0,0 Wert ausspricht. OLG Köln 7.9.1995 RuS 1998 261, 262; OLG Zweibrücken 13.4.2005 NJW 2005 2168; VGH Mannheim 15.11.2005 NJW 2006 934, 935; R. Möller DAR 1993 7, 11; Trunk NZV 1991 258, 259. BGH 3.11.1998 NJW 1999 226 f. S. aber die Untersuchung von Drasch/von Meyer/ Roider/Jägerhuber Blutalkohol 2003 269 ff., die für Cannabis bei einem CIF-Wert von 10 die Annahme absoluter Fahruntüchtigkeit vorschlagen. Mettke NZV 2000 199, 200; Salger DAR 1994 433, 435. Kloth Rn. K 26. BGH 3.11.1998 NJW 1999 226, 227. BVerfG 21.12.2004 NJW 2005 349, 350 f.
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428 429
430 431 432
433
OLG Zweibrücken 13.4.2005 NJW 2005 2168; Hentschel NJW 2006 477, 481. OLG Bremen 17.2.2006 NZV 2006 276; OLG Saarbrücken 16.3.2007 NJW 2007 1373, 1374. OLG Köln 18.8.2005 DAR 2005 699, 700. OLG Zweibrücken 13.4.2005 NJW 2005 2168. OLG Köln 7.9.1995 RuS 1998 261, 262; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 134; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 53; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 16; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 92; Stamm VersR 1995 261, 264. Harbort NZV 1996 219, 221; Mettke NZV 2000 199.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
• Äußere Umstände: Äußere Bedingungen der Fahrt wie Straßen- und Witterungsverhältnisse; • Innere Umstände: Gegebenheiten in der Person des Fahrers wie Krankheit oder Ermüdung; • Ausfallerscheinungen: Das konkrete äußere Verhalten des Fahrers, das durch die Einnahme des Rauschmittels zumindest mit verursacht sein muss. Während die ersten beiden Indiziengruppen für den Nachweis der Fahrunsicherheit verzichtbar sein können, ist das Vorliegen einer Ausfallerscheinung zwingende Voraussetzung für die Annahme einer Bewusstseinsstörung.434
Im Straßenverkehr liegt die Annahme einer absoluten (strafbaren) Fahrunsicherheit umso näher und sind die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen umso geringer, je höher die Drogenkonzentration im Blut ist.435 Rauschmittelbedingte Ausfallerscheinungen können sich in Fahrfehlern auswirken; es 65 können aber auch Auffälligkeiten in der körperlichen Erscheinung oder im Verhalten der versicherten Person genügen, wenn sie konkrete Hinweise auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit geben. Häufig werden einzelne Indizien zur Annahme einer Bewusstseinsstörung noch nicht ausreichen. Es sind dann die Verdachtsmomente zu einem konkreten und aussagefähigem Bild zu verdichten.436 Anhaltspunkte für einen Rauschmittelkonsum der versicherten Person können sich zunächst aus körperlichen Erscheinungsmerkmalen der versicherten Person ergeben wie z.B. • Einstichstellen von Injektionsnadeln und Narbenbildung; • Sehbehinderungen, die die versicherte Person nicht aufgrund etwaiger Drogengewöhnung kompensieren kann. Typisch sind Pupillenveränderungen, Bindehautentzündungen, fieberglänzende oder tränende Augen. Eine bloße Pupillenverengung kann allerdings nur Indiz sein, reicht aber allein noch nicht zur Begründung einer relativen Fahrunsicherheit;437 • Schwitzen, Frieren oder Zittern,438 vertiefte Atmung, starke Nasensekretion und Austrocknen der Mund- und Nasenschleimhaut. Diese Symptome deuten auf Entzug hin; • äußeres Erscheinungsbild (z.B. kranker und vorzeitig gealterter Eindruck, abgemagertes Gesicht und Körper, fahle und blasse Gesichtsfarbe, Hautverfärbungen).
Des Weiteren erlauben auffällige Verhaltensweisen Rückschlüsse auf eine Bewusstseinsstörung. Zu nennen sind folgende Indizien:439 stark benommener, apathischer Eindruck, lallende bzw. verwaschene Aussprache (Artikulationsstörungen), unsicherer bzw. schwankender Gang, motorische Unruhe, besonders unbesonnenes bzw. übermütiges oder nicht angepasstes Verhalten, Stimmungsschwankungen, Mühe bei der Beantwortung von Fragen, nicht nachvollziehbare Denkabläufe oder das Mitführen von Rauschmittelutensilien. Rauschmittelkonsum hat ähnliche Auswirkungen auf die Aufnahme-, Reaktions- und 66 Leistungsfähigkeit der versicherten Person wie Alkoholgenuss. Insofern sind bei rauschmittelbeeinflussten Kraftfahrern ähnliche Fahrfehler zu verzeichnen wie bei alkoholisierten Fahrern. Typische – auf Rauschmittelkonsum beruhende – Fahrfehler sind etwa 440 das Schlangenlinienfahren, das Befahren der Gegenfahrbahn, das unerklärliche Abkommen von der Fahrbahn (insbesondere in Kurvenbereichen),441 eine erheblich überhöhte Geschwindigkeit, riskante Fahrmanöver, verkehrswidriges Überholen (mit Frontalzusam-
434 435
436
Aus strafrechtlicher Sicht Mettke NZV 2000 199, 200. BGH 3.11.1998 NJW 1999 226, 227; Stockmeier/Huppenbauer S. 44; kritisch Harbort NZV 1996 219, 221. Eingehend Harbort NZV 1996 219, 222 f.; ferner Salger DAR 1994 433, 437.
437 438 439 440 441
BGH 3.11.1998 NJW 1999 226, 228. OLG München 30.1.2006 NZV 2006 275. BGH 3.11.1998 NJW 1999 226, 227 f.; eingehend Mettke NZV 2000 199, 200 ff. Harbort NZV 1996 219, 222. OLG Köln 7.9.1995 RuS 1998 261, 262.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
menstoß, ohne Brems- und Ausweichmanöver einzuleiten) 442 oder einfache Fehler beim Lenken (z.B. Einparken). Nicht allein ausreichend sind dagegen z.B. die Verletzung der Gurtpflicht oder das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit.443
67
b) Medikamenteneinnahme. Entsprechendes wie für die auf Drogenkonsum zurückzuführende Verkehrsunsicherheit gilt für eine Beeinträchtigung durch Medikamente.444 Eine Bewusstseinsstörung durch künstliche Mittel liegt nach dem Genuss von Schlaftabletten,445 einer Überdosis von Beruhigungsmitteln 446 oder im Zustand der Narkose 447 vor. In diesen Fällen kommt es zu einer Störung des Bewusstseins auf einem nicht natürlichen Weg. 4. Sonstige Bewusstseinsstörungen
68
Die „sonstige“ Bewusstseinsstörung kann unterschiedlichste Ursachen haben. Unter den Ausschluss fallen allerdings nur krankhafte (auch psychische) 448 oder unnatürliche Beeinträchtigungen der Sinnestätigkeit, nicht dagegen Unfälle aufgrund natürlicher Ursachen.449 Realisieren sich vielmehr Gefahren, die im Rahmen des allgemeinen Unfallrisikos liegen und mit denen jedermann bei normaler körperlicher und geistiger Verfassung rechnen muss (die also nicht auf Alkoholeinfluss, Medikamenten oder auf krankhaften Anlagen beruhen), so findet Ziff. 5.1.1 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 94/88) keine Anwendung.450 Demnach sind Bewusstseinsstörungen nicht ohne weiteres ausgeschlossen, die durch äußere Einflüsse wie z.B. Hitze, Durst, Hunger oder Einnahme unverträglicher Speisen verursacht sind.451 Dies ergibt die vernunftgemäße und zweckentsprechende Auslegung des Tatbestandes:452 Zunächst deutet bereits der Kontext des Wortes „Bewusstseinsstörung“ zu „Geistesstörung“ und „Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle“ darauf hin, dass der Ausschluss nur krankhafte oder unnatürliche Beeinträchtigungen erfasst. Insbesondere ist der Sinn und Zweck des Ausschlusses nicht darauf ausgerichtet, jeden Unfall, für den der augenblickliche Körperzustand des Verletzten mitursächlich gewesen ist, vom Versicherungsschutz auszunehmen (Rn. 6). Nur für erhöhte Unfallrisiken besteht eine versicherungstechnische Rechtfertigung, einen Ausschluss zu formulieren. Anderenfalls wäre der Unfallversicherungsschutz in einem unerträglichen Maße ausgehöhlt; denn die meisten Unfälle sind mit darauf zurück zu führen, dass der eine oder andere Beteiligte im entscheidenden Augenblick geistig oder körperlich versagt. Gegen die wirtschaftlichen Folgen solcher „normalen“ Unfälle will der VN sich oder die versicherte Person aber gerade schützen. Bei krankhaften Bewusstseinsstörungen, die nicht auf Alkohol oder Drogen bzw. 69 Medikamente zurückzuführen sind, ist eine fallbezogene Betrachtung notwendig.453 Beispiele:
442 443 444
445 446 447
OLG Bamberg 4.5.2006 NJW-RR 2006 1406, 1409. OLG Naumburg 14.7.2005 VersR 2005 1573, 1574 = RuS 2006 252, 253. Stamm VersR 1995 261, 264; krit. Gaidzik S. 27, da aus dem Wortlaut nicht unmittelbar zu entnehmen. OLG Nürnberg 4.10.1956 VersR 1958 37. OLG Köln 15.9.1988 RuS 1988 348. LG Karlsruhe 2.6.1960 VersR 1960 913.
826
448 449 450
451 452 453
Stockmeier/Huppenbauer S. 42. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 77, 84 ff.; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 4. A.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 17. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 77, 84 ff. Stockmeier/Huppenbauer S. 42.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
• (Kurzfristige) Bewusstlosigkeit. Sie ist eine Bewusstseinsstörung i.S.d. AUB.454 Dies trifft besonders deutlich auf Unfälle im Straßenverkehr zu; denn in diesen Fällen ist der Fahrer nicht mehr in der Lage, den im Straßenverkehr stets vorhanden Gefahrenlagen so zu begegnen, dass er den notwendigen Anforderungen an die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit entspricht.455 • Ein akuter Depressionsschub kann den Ausschlusstatbestand der Bewusstseinsstörung erfüllen.456 • Ein Gehirntumor bzw. Tumor im Brückenhirn kann Ursache für eine Bewusstseinsstörung sein.457 Dafür spricht, wenn die versicherte Person als Kfz-Führer ohne irgendeine Veranlassung völlig reaktionslos mit unverminderter Geschwindigkeit gegen ein Hindernis prallt.458 • Ein Herzinfarkt kann Ursache für eine Bewusstseinsstörung sein. Entsprechendes gilt für Herzrhythmusstörungen.459 • Migräne (Kopfschmerz) reicht in der Regel allein nicht für die Anwendung des Ausschlusses aus. Bewusstseinsstörungen bis zur Bewusstlosigkeit stellen bei Migränezuständen eine ausgesprochene Seltenheit dar.460 • (Kurzfristige) Ohnmacht. Ob der Ausschluss in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94) eine Ohnmacht der versicherten Person erfasst, ist umstritten.461 Es gilt das zum (leichten) Schwindelanfall Ausgeführte entsprechend: Richtig ist es, auch eine Ohnmacht als plötzlichen, auf mangelnder Gehirndurchblutung beruhendem Schwächezustand mit Bewusstlosigkeit oder Bewusstseinstrübung unter die Ausschlussklausel zu subsumieren.462 Dem steht nicht entgegen, dass die Ohnmacht seit den AUB 61 nicht mehr explizit im Tatbestand genannt ist.463 Entscheidend ist allein, dass es zur Annahme einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung ausreicht, wenn die versicherte Person wegen ihrer gestörten Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit der jeweiligen Situation und den damit verbundenen Gefahren und Anforderungen nicht gewachsen ist (Rn. 15). • Der natürliche Schlaf infolge von Müdigkeit, Übermüdung bzw. Schlaftrunkenheit, der nicht auf Krankheit, anomale Anlagen, Alkoholgenuss oder Medikamenteneinnahme bzw. Narkose zurückzuführen ist, fällt nach allgemeiner Meinung nicht unter den Ausschlusstatbestand.464 Dies gilt selbst dann, wenn die Müdigkeit auf einer besonderen körperlichen Anstrengung beruht.465 Es handelt sich um einen rein physiologischen Vorgang und nicht um eine krankhafte Erschei-
454
455 456
457 458 459
460 461
462
LG Berlin 27.5.1986 VersR 1987 67, 68; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 170; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 42. OLG Stuttgart 5.9.1991 VersR 1992 1219; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8. LG München I 22.6.1993 VersR 1994 589, 590; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 80. Stockmeier/Huppenbauer S. 42 LG Aschaffenburg 17.2.1976 RuS 1978 73 f. OLG Hamm 28.6.1989 RuS 1989 415; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 126; Stockmeier/Huppenbauer S. 42 OLG München 25.6.1969 VersR 1970 33. Ablehnend OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 129; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 165; offen lassend OLG Oldenburg 8.8.1990 VersR 1991 803. OLG Hamm 14.8.1985 VersR 1986 1187 f.; Eichelmann VersR 1972 411, 414; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 4; Veith/Gräfe/
463 464
465
Lücke § 7 Rn. 107; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 42; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 7; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 80; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 17; s. auch BAV GB 1968 81. Millert VersR 1964 118, 121. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 77, 83 ff. = VerBAV 1958 72, 73 f. Nr. 185; OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 1041 f. = RuS 2004 166; OLG Nürnberg 4.10.1956 VersR 1958 37; OLG Oldenburg 28.10.1955 VersR 1956 27; LG Stuttgart VersR 1962, 365; AG Gera 5.7.1938 VA 1938 240 f. Nr. 3084; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8; Hentschel/Born Rn. 927; Hofmann S. 40; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 126; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 4; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 42; Marlow RuS 2004 353, 355 f.; Perret S. 8; Reichenbach S. 87; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 7. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 18.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
nung.466 Aus dem Wortteil „Störung“ im Tatbestandsmerkmal „Bewusstseinsstörung“ folgt in Übereinstimmung mit dem Sinn und Zweck des Ausschlusstatbestandes, nur unnatürliche Steigerungen des normalen Unfallrisikos vom Versicherungsschutz auszunehmen (Rn. 6), dass die Beeinträchtigung der Aufnahme- und Abwehrmöglichkeiten irreguläre Gründe haben muss.467 So stellt die Gefahr, einmal ungewollt am Steuer einzunicken, eine (vom Ausschluss nicht erfasste) allgemeine und normale Gefahr dar, der auch der völlig gesunde und keinen unnatürlichen Einflüssen unterliegende Kraftfahrer ausgesetzt ist, und zwar vor allem bei längeren Fahrten auf abwechslungsarmer Strecke, bei Dunkelheit oder schwüler Witterung. Wäre bereits das bloße Einschlafen ausgeschlossen, so ergäben sich darüber hinaus für die Praxis erhebliche Abgrenzungsund Beweisschwierigkeiten, weil zwischen der bloßen Unaufmerksamkeit infolge Übermüdung und dem Vollschlaf noch zahlreiche Zwischenstufen lägen.468 • Schlafwandeln. Somnambulismus in seiner akuten Phase ist als Bewusstseinsstörung anzusehen.469 Gemeint ist das Umherwandeln „im Schlaf“ – eventuell mit offenen Augen – im Zustand tiefer Hypnose. Es handelt sich um eine Form des Dämmerzustandes. In diesem Zustand können die Betroffenen schlafend umhergehen und durchaus komplizierte Handlungen verrichten, an die sie sich beim Erwachen nicht mehr erinnern. Sie handeln ohne Bewusstsein.470 Dieses Ergebnis wird z.T. in Zweifel gezogen. Natürliche Störungen wie z.B. Übermüdung und Schlaftrunkenheit würden vom Ausschluss nicht erfasst, sofern sie nicht auf Alkoholeinfluss, Medikamenten oder auf krankhaften Anlagen beruhten. Der normale Schlaf habe eine ausschließlich natürliche Ursache. Ein – möglicherweise krankhaftes – Verhalten in diesem Zustand sei folglich keine krankhafte Bewusstseinsstörung.471 Dem kann nicht zugestimmt werden. Ein durchschnittlicher VN wird sowohl dem Wortlaut als auch dem erkennbaren Sinn und Zweck von Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 3 AUB 61) entnehmen, dass der VR für das unkalkulierbare und erhöhte Risiko von Unfällen während des Schlafwandelns keinen Versicherungsschutz einräumen will. Handlungen während des Schlafwandelns erfolgen ohne jedes Bewusstsein. Es ist daher mit einer völligen Bewusstlosigkeit vergleichbar, die ihrerseits noch weitergehend ist als eine bloße Bewusstseinsstörung (Rn. 15). Auch handelt es sich beim Schlafwandeln um eine „Störung“;472 denn das Schlafwandeln ist keine normale oder typische Erscheinung des natürlichen Schlafs wie z.B. das Herausfallen aus dem Bett während des Tiefschlafs. • Ist ein Schmerz (z.B. bei einem Herzinfarkt) so stark, dass der Betroffene ganz auf sich fixiert und nicht mehr in der Lage ist, von außen kommende Sinneseindrücke überhaupt noch zu beachten (sog. Vernichtungsschmerz), so liegt eine Bewusstseinsstörung i.S.d. AUB-Ausschlussklausel vor; denn in diesem Fall geht die Fähigkeit verloren, Sinneseindrücke schnell und genau zu erfassen, sie geistig zu verarbeiten und auf sie sofort richtig zu reagieren.473 Dieses Ergebnis entspricht auch dem Zweck des Ausschlusses. Beim Vernichtungsschmerz handelt sich um einen Vorgang, bei dem der Gesundheitsschaden letzten Endes nicht auf das Unfallereignis, sondern auf den bei dessen Eintritt schon vorhandenen krankhaften Zustand der versicherten Person zurückzuführen ist. Die Unfallversicherung will aber nur für Unfälle leisten, die jedermann bei normaler körperlicher und geistiger Verfassung zustoßen können, nicht aber für Gefahren, die durch eine krankhafte Beeinträchtigung der Abwehrfunktionen bei der versicherten Person herbeigeführt oder sich auswirken können (Rn. 6). Nicht ausreichend für die Annahme einer Bewusstseinsstörung ist dagegen nach der BGH-Rechtsprechung die momentane Ablenkung durch plötzlich heftigen
466 467
468 469
470
OLG Celle 17.5.1956 VersR 1956 401, 403. OLG Oldenburg 6.5.1955 VersR 1955 513, 514; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 173. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 77, 85 f. OLG Hamm 14.5.2008 VersR 2009 349, 350 = RuS 2009 30; LG Memmingen 17.7.2002 VersR 2003 1525, 1526. LG Paderborn 10.9.1992 RuS 1993 396;
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471 472 473
zust. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 7. Marlow RuS 2004 353, 356. LG Paderborn 10.9.1992 RuS 1993 396. OLG Saarbrücken 21.5.1997 VersR 1998 310; zustimmend Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 7.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Schmerz.474 Diese Aussage ist indes nicht verallgemeinerungsfähig. Auch bei plötzlichen Schmerzattacken sollte danach differenziert werden, ob der Schmerz natürlichen oder krankhaften Ursprungs ist. Trifft letzteres zu, ist zu prüfen, ob der Schmerz in der konkreten Lebenssituation so zu einer Minderung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit geführt hat, dass die versicherte Person den an sie gestellten Anforderungen nicht gerecht werden konnte. • „Schwarz vor Augen werden“ infolge eines leichten Schwindelanfalls (Schwindelattacke) oder einer vorübergehenden Kreislaufreaktion. Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit eine Bewusstseinsstörung i.S.d. AUB z.T. verneint, wenn der Unfall darauf beruht, dass der versicherten Person (kurzfristig bzw. vorübergehend) schwarz vor Augen geworden ist und sie deshalb z.B. die Beherrschung über das von ihr geführte Verkehrsmittel verloren hat.475 Sofern hierfür überhaupt eine nähere Begründung gegeben wurde, erfolgte sie meist mit dem Hinweis darauf, dass in den vor den AUB 61 geltenden Unfallversicherungsbedingungen Schwindelanfälle noch ausdrücklich neben Geistes- und Bewusstseinsstörungen angeführt worden seien. Daraus folge, dass die Bedingungsgeber damals in Schwindelanfällen etwas anderes als eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung gesehen hätten. Da der Wille der Verfasser der neueren AUB darauf ausgerichtet gewesen sei, die Fallgruppe „Schwindelanfälle“ nicht mehr vom Versicherungsschutz auszuschließen, verbiete es sich, kurzzeitige Schwindelanfälle unter den Begriff der Bewusstseinsstörung zu subsumieren.476 Dieser Argumentation ist der BGH nicht gefolgt.477 Dem ist zu zuzustimmen. Richtig ist zwar, dass in den AUB 61 der Ausschluss der Ohnmacht- und Schwindelanfälle gestrichen wurde, um eine Übereinstimmung mit den AVB für die Volks-Unfallversicherung zu erreichen und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Nachweis der Schwindelanfälle vom VR in der Praxis schwer zu erbringen war und solche Fälle vielfach zu unangenehmen Meinungsverschiedenheiten führten.478 Ob damit jedoch die Bedingungsgeber i.E. eine materiell-rechtliche Änderung anstrebten, die einen Umkehrschluss rechtfertigt, wird aus den „Materialien“ zu den AUB 61 nicht deutlich. Der geänderte Wortlaut sollte vermutlich nur redaktionelle Bedeutung haben.479 Letztlich spielen diese Erwägungen aber auch keine entscheidende Rolle. Zutreffend argumentiert nämlich der BGH – seine bisherige Rechtsprechung konsequent fortführend –, dass es nicht auf die Frage ankommt, ob Schwindelanfälle in früheren Unfallversicherungsbedingungen noch neben Bewusstseinsstörungen angeführt waren, da bei der Auslegung auch von Risikoausschlussklauseln keine gesetzesähnliche historische Auslegung anzeigt ist, sondern es allein auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen VN ankommt (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57 und 76 ff.). Dieser nimmt einen (u.U. nur wenige Sekunden dauernden) Zustand, bei dem der versicherten Person „schwarz vor Augen“ wird und in dessen Folge es zu einem Unfall kommt, nicht von vornherein vom Anwendungsbereich des Ausschlusses aus. Entscheidend ist vielmehr, ob der Schwindelanfall (oder die Ohnmacht) von dem Begriff Bewusstseinsstörung erfasst ist.480 Der BGH stellt hierzu allein darauf ab, ob mit dem – wenn auch nur kurzen – „schwarz vor Augen werden“ eine
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476 477
BGH 7.6.1989 VersR 1989 902, 903; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 126; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 4; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 7; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 81. Für den Unfall im Straßenverkehr OLG Frankfurt a.M. 30.9.1998 NVersZ 1999 523; OLG Oldenburg 8.8.1990 VersR 1991 803; für den Absturz eines Segelfliegers OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 129. So Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 165. BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1091 f.;
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ferner BGH 24.9.2008 VersR 2008 1683 Rn. 4 = RuS 2008 521, 522; zuvor bereits auch OLG Stuttgart 5.9.1991 VersR 1992 1219 f.; des Weiteren OLG Hamburg 25.4.2007 RuS 2007 386, 387; OLG Hamm 14.5.2008 VersR 2009 349, 350 = RuS 2009 30; LG Düsseldorf 13.9.2006 VersR 2007 488; auch OGH 9.5.2007 VersR 2008 947, 948. Grewing AUB 61, S. 15. So OLG Hamm 14.8.1985 VersR 1986 1187, 1188 (LS). Bejahend Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8; Millert VersR 1964 118, 121; Schilling ZfV 1962 365, 367.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
gesundheitliche Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit in einem Ausmaß vorgelegen habe, dass die versicherte Person die konkret für sie bestehende Gefahrenlage nicht mehr habe beherrschen können. Dies sei anhand des konkreten Einzelfalles zu entscheiden.481 Zu berücksichtigen ist das Verhalten der versicherten Person vor dem Unfall, ihre allgemeine konstitutionelle Veranlagung und der Unfallhergang selbst.482 I.E. wird damit einerseits regelmäßig bei Straßenverkehrsunfällen auch bei einem „Schwarz vor Augen werden“ von nur wenigen Sekunden der Versicherungsschutz für den Kfz-Führer – insbesondere bei schwierigeren Verkehrssituationen, hoher Verkehrsdichte, hohen Geschwindigkeiten usw. – ausgeschlossen sein. Insofern besteht eine Parallele zum sog. Sekundenschlaf. Andererseits wird es für die Annahme einer Bewusstseinsstörung noch nicht allein ausreichen, wenn die versicherte Person als Ursache für einen Sturz angibt, ihr sei schwarz vor Augen geworden.483 Vorübergehende Kreislaufreaktionen, etwa durch plötzliche Lageveränderung des Körpers oder schweres Tragen, können jedermann bei normaler körperlicher und geistiger Verfassung treffen und führen noch nicht zwingend zum Eingreifen des Ausschlusses.484 Dies ist erst dann der Fall, wenn der Schwindelanfall Ausdruck einer krankhaften Beeinträchtigung der Abwehrfunktionen der versicherten Person ist.485 Letztlich ergibt sich eine ähnliche Abgrenzung wie bei den Schmerzzuständen. So liegt dann eine Bewusstseinsstörung vor, wenn bei der versicherten Person ein auf krankhafte Veränderung des Hirnstamms und des Kleinhirns zurückzuführender Schwankschwindel mit Gangunsicherheit, Fallneigung nach hinten und Sehstörungen zu einem Treppensturz geführt hat.486 • Schwerer Schwindelanfall ist grundsätzlich als Bewusstseinsstörung zu werten.487 Es gilt das zum „Schwarz vor Augen werden“ Gesagte entsprechend. Jedenfalls bei Unfällen im Straßenverkehr ist der schwere Schwindelanfall eine Bewusstseinsstörung; denn in einem solchen Fall ist der Fahrer nicht mehr in der Lage, den im Straßenverkehr stets vorhanden Gefahrenlagen den notwendigen Anforderungen entsprechend zu begegnen.488 • Ein Sekundenschlaf bzw. eine sog. Schlafapnoe, die nicht auf eine natürliche Ursache wie z.B. Übermüdung, sondern auf eine bei der versicherten Person diagnostizierten Erkrankung zurückzuführen ist, stellt eine Bewusstseinsstörung i.S.d. § 19 AKB dar.489 Entsprechendes gilt für die AUB.490
V. Kausalität zwischen der Geistes- und Bewusstseinsstörung und dem Unfall 70
Zwischen der Bewusstseinsstörung und dem Unfall muss ein Kausalzusammenhang i.S.d. Adäquanztheorie (vgl. § 178 Rn. 153) vorliegen.491 Es muss sich gerade die Gefahr verwirklicht haben, die die versicherte Person wegen ihrer Bewusstseinsstörung nicht mehr beherrschte. Nicht ausreichend ist, dass die Bewusstseinsstörung nur Ursache für einzelne Unfallfolgen (z.B. Invalidität) ist, der Unfall (Unfallereignis und Gesundheitsschädigung) aber auch sonst passiert wäre.492 So besteht etwa Versicherungsschutz,
481 482 483 484 485 486 487
BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090, 1092. OLG Hamburg 25.4.2007 RuS 2007 386, 387. So aber AG Völklingen 1.12.1982 RuS 1983 48 mit kritischer Anm. der Schriftleitung. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 17. Kloth Rn. K 13 f. LG Wiesbaden 10.6.1986 RuS 1987 356, 357; a.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 17. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 42; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 17.
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488
489 490 491
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OLG Stuttgart 5.9.1991 VersR 1992 1219; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 4. LG Hannover 31.1.1997 RuS 1997 481, 482. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 170. BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 90; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 15; Stockmeier/Huppenbauer S. 45. Lang NZV 1990 169, 171.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
wenn der stark angetrunkene Fußgänger vom Blitz getroffen wird oder einen Verkehrsunfall erleidet, dem auch ein Nüchterner nach Lage der Dinge nicht hätte ausweichen können.493 Der Kausalzusammenhang zwischen Bewusstseinsstörung und Unfall ist häufig ohne 71 weiteres zu bejahen; da nach der ständigen Rechtsprechung bereits Mitursächlichkeit genügt.494 Die Bewusstseinsstörung muss also nur eine von mehreren Ursachen für den Unfall und nicht alleinige Ursache sein, um den Versicherungsschutz vollständig auszuschließen.495 Soweit Gesetze oder andere Bestimmungen (wie die AUB) an die Verursachung eines Ereignisses bestimmte Rechtsfolgen knüpfen, werden sie allgemein dahin ausgelegt, dass auch die Mitverursachung genügt.496 Folge ist, dass das „Alles-oderNichts-Prinzip“ gilt. Der adäquate Ursachenzusammenhang ist auch dann gegeben, wenn der Unfall nicht 72 unmittelbar und spezifisch durch die Bewusstseinsstörung bewirkt wird.497 Vielmehr genügt auch mittelbare Kausalität. Die Kausalität wird regelmäßig selbst dadurch nicht unterbrochen, dass die versicherte Person im Zustand alkoholbedingter Bewusstseinsstörung einen Verkehrsunfall ohne Verletzungsfolgen verursacht hat und erst im Anschluss daran Verletzungen erleidet, z.B. weil sie bei der Absicherung der Unfallstelle oder dem Verlassen der Autobahn von einem anderen Fahrzeug erfasst wird.498 Des Weiteren beseitigen Willensentschlüsse Dritter als Zwischenursachen den Kausalzusammenhang nicht, wenn diese Entschlüsse ihrerseits adäquate Folge des Verhaltens der bewusstseinsgestörten versicherten Person sind.499 So ist z.B. Kausalität i.S.d. Adäquanztheorie auch dann noch zu bejahen, wenn der alkoholisierte Kraftfahrer während seiner Flucht vor einem Polizeifahrzeug durch einen auf die Reifen seines Pkw gezielten Schuss eines Polizeibeamten getötet wird.500 Entsprechendes gilt, wenn die alkoholisierte versicherte Person einen Polizisten mit einer Pistole bedroht und der Polizist daraufhin einen tödlichen Schuss abgibt.501 Einzelfälle: 73 • Kausalitätsprobleme ergeben sich in dem typischen Fall, dass die stark alkoholisierte versicherte Person bei einem fahruntüchtigen Kfz-Führer mitfährt (ohne in das Fahrgeschehen selbst aktiv
493 494
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 197. S. nur BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 464; BGH 8.7.1957 VersR 1957 509, 510; OLG Braunschweig 12.3.1997 VersR 1997 1343, 1344; OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1217; OLG Frankfurt 14.4.1982 VersR 1983 481, 482; OLG Hamm 10.1.1997 RuS 1997 393; OLG Karlsruhe 9.7.1999 VersR 2000 446, 447 = RuS 2000 438; OLG Koblenz 21.3.1991 RuS 1992 34; OLG Köln 20.9.2005 VersR 2006 255 = NJW-RR 2006 101 = RuS 2006 252 = RuS 2006 429, 430; OLG Nürnberg 8.1.1968 VersR 1968 893; OLG Oldenburg 4.3.1996 RuS 1997 393; OLG Saarbrücken 21.1.2009 VersR 2009 1109, 1111 = NJW-RR 2009 903, 906; OLG Stuttgart 29.10.1968 VersR 1969 73; auch OGH 25.1.2006 VersR 2007 1107.
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496 497
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OLG Hamm 14.6.1989 VersR 1990 514, 515; LG Heilbronn 28.5.1968 VersR 1968 1159, 1160; LG Saarbrücken 17.5.1976 VersR 1977 324; LG Zweibrücken 20.11.1975 VersR 1976 462. BGH 25.6.1986 VersR 1986 803, 804. OGH 25.1.2006 VersR 2007 1107; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 16. OLG Frankfurt a.M. 27.1.1983 VersR 1983 1130 f.; OLG Saarbrücken 21.1.2009 VersR 2009 1109, 1111; Rüther NZV 1994 457, 464; einschränkend Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 16. Fuchs NZV 1993 422, 423. OLG Köln 30.5.1985 VersR 1987 97 f. OLG Nürnberg 12.8.1999 NVersZ 2000 169, 170 = RuS 2000 437.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
einzugreifen bzw. ohne eine eigene Handlungsmöglichkeit zu haben) und der Fahrer anschließend infolge seines Alkoholkonsums einen Verkehrsunfall mit Gesundheitsschäden für den versicherten Mitfahrer verursacht. Die Bewusstseinsstörung der versicherten Person ist nur dann (mit) kausal für den von ihr infolge des Verkehrsunfalls erlittenen Gesundheitsschaden, wenn entweder die versicherte Person infolge ihres Alkoholgenusses außerstande war, die alkoholbedingte Fahrunsicherheit des Kfz-Führers zu erkennen, und die versicherte Person (in einem nicht bewusstseinsgestörtem Zustand) bei Kenntnis der Fahrunsicherheit des Kfz-Führers von einer Teilnahme an der Fahrt abgesehen hätte 502 oder die versicherte Person zwar die Fahrunsicherheit der versicherten Person erkannt hat, sich aber nur infolge ihrer eigenen alkoholbedingten Enthemmung in die Gefahr begeben hat.503 Die Kausalität ist dagegen nicht schon allein dadurch begründet, dass der Mitfahrer nüchtern die Fahrunsicherheit des Fahrers erkannt hätte;504 denn diese Feststellung besagt noch nichts darüber, ob die versicherte Person nicht auch im nüchternen Zustand (sei es auch aus unvernünftigen Gründen) mit gefahren wäre. Selbst dann, wenn sich die versicherte Person in nüchternem Zustand nicht dem alkoholisierten Kfz-Führer anvertraut hätte, ist der Ursachenzusammenhang zwischen Bewusstseinsstörung und Unfall immer noch nicht (zwingend) gegeben.505 Vielmehr bleibt der Versicherungsschutz auch in dem Fall unberührt, dass die versicherte Person in alkoholisiertem Zustand, ohne den Zustand einer Bewusstseinsstörung zu erreichen, eine erhöhte Risikobereitschaft an den Tag legt bzw. sich bewusst fahrlässig einer Gefahr ausgesetzt, weil sie hofft, das erkannte Unfallrisiko werde sich schon nicht realisieren.506 Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit einem nüchternen Beifahrer, der sich von einem alkoholbedingt fahruntüchtigen Fahrer mitnehmen lässt. Der nüchterne Beifahrer würde seinen Versicherungsschutz nur in dem seltenen Ausnahmefall verlieren, dass der VR ihm eine freiwillige Gesundheitsschädigung nachweisen könnte (§ 178 Abs. 2 S. 2), etwa weil der Beifahrer es trotz Möglichkeit unterlässt, den drohenden Zusammenprall zu verhindern, und er die Gesundheitsschädigung billigend in Kauf nimmt. Auf ein Mitverschulden – insbesondere eine grobe Fahrlässigkeit – der (nüchternen) versicherten Person kommt es dabei nicht an (Rn. 5).507 Nichts anderes kann für einen angetrunkenen Beifahrer gelten, dessen alkoholische Beeinflussung noch nicht den Grad einer bedingungsgemäßen Bewusstseinsstörung erreicht hat. Auch dieser genießt Versicherungsschutz, solange ihm nicht die Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung (Vorsatz) nachgewiesen wird.508 • Stürzt ein Reiter mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,31 ‰ von einem Pferd, so ist eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung für den Unfall selbst dann ursächlich, wenn das Wegstück schwierig ist. Sollte das Pferd plötzlich aufgestiegen oder davon galoppiert sein, so ist von einer Mitursächlichkeit der alkoholbedingten Bewusstseinsstörung auszugehen.509
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OLG Hamm 15.1.1999 RuS 1999 297; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 50; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 14; auch OLG Frankfurt/M. 17.5.1960 VerBAV 1961 5 f. BGH 25.6.1986 VersR 1986 803, 804; OLG Karlsruhe 3.4.1997 VersR 1998 836; ferner OLG Hamm 11.11.1970 VersR 1971 562 f. So aber OGH 25.1.2006 VersR 2007 1107; LG Baden-Baden 27.2.1976 VersR 1976 982; LG Bonn 9.6.1972 VersR 1973 125 (LS); Hentschel/Born Rn. 949a; Steffani VersR 1967 18. So aber (offenbar) noch OLG Frankfurt a.M. 24.6.1980 VersR 1981 52, 53; LG Braunschweig 6.6.1969 VersR 1969
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795; LG Regensburg 18.5.1965 VersR 1966 32; Pickel ZfV 1964 747, 748; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 185. BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584; OLG Frankfurt a.M. 5.2.1998 VersR 1999 1403, 1404; OLG Hamm 15.1.1999 RuS 1999 297; OLG Hamm 3.7.1996 VersR 1997 1344, 1345; OLG Hamm 11.2.1987 RuS 1987 207; OLG Karlsruhe 3.4.1997 VersR 1998 836; s.a. OGH 25.1.2006 VersR 2007 1107. A.A. Steffani VersR 1967 18; zu Recht dagegen Pürckhauer VersR 1967 542 f. OLG Hamm 3.7.1996 VersR 1997 1344, 1345; OLG Hamm 11.2.1987 RuS 1987 207; Rüther NZV 1994 457, 464. LG Würzburg 18.2.1991 RuS 1992 106.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
• Es liegt nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass ein Polizeibeamter sich gegen einen aggressiven Akt (Richten einer Schreckschusspistole auf den nicht uniformierten Polizisten, nachdem dieser an der Haustür geklingelt hatte) durch einen – tödlichen – Schuss zur Wehr setzt.510
VI. Wirksamkeit des Ausschlusses An der Formulierung „Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit 74 beruhen“ ist bemängelt worden, dass sich die Ausgestaltung dieser Wendung durch die Rechtsprechung und die Tragweite des Ausschlusstatbestandes einem durchschnittlichen VN keineswegs problemlos erschließe. Die AUB seien insofern intransparent 511 und ergänzungs- und präzisierungsbedürftig (Rn. 16). Diese Kritik hat indes nicht dazu geführt, dass die Wirksamkeit des Ausschlusses nach AGB-rechtlichen Gesichtspunkten bisher in Frage gestellt worden ist. Die Klausel war bereits mehrfach Gegenstand von Prüfungen des BGH, ohne dass eine Inhaltskontrolle erfolgt wäre. Vielmehr hat die z.T. intensive Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94 oder § 3 Nr. 4 AUB 61 mehrfach einen für den durchschnittlichen VN verständlichen und auch angemessenen Regelungsinhalt „bescheinigt“.512 So hat der BGH u.a. ausdrücklich festgestellt, dass die Versagung des Versicherungsschutzes für Mitfahrer, bei denen sich ein durch alkoholbedingte Bewusstseinsstörung gesteigertes Risiko verwirklicht, innerhalb der Schranken liegt, die der Gestaltungsfreiheit der VR bei der Abfassung von AVB durch §§ 307 ff. BGB gezogen sind (s.a. Rn. 51).513
VII. Konkurrenzen Den Fällen einer Geistesstörung liegt regelmäßig bereits eine Geisteskrankheit zu- 75 grunde, die – bei entsprechender Vereinbarung – Versicherungsunfähigkeit nach sich zieht (Ziff. 4 AUB 2008 Rn. 24 ff.). Neben einem Ausschluss nach Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 kann auch eine Anwendung 76 von Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 („Straftatenausschluss“) in Betracht kommen. Nach dieser Regelung ist der Unfallversicherungsschutz für Unfälle ausgeschlossen, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht. Im Zusammenhang mit Alkohol- als auch Rauschmittelfällen im Straßenverkehr kann leicht der Straftatbestand des § 315c oder § 316 StGB erfüllt sein.514 Sofern der Unfall Folge eines vorsätzlichen Trunkenheitsdelikts ist, entfällt die Leistungspflicht des VR. Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 kann im Übrigen dann eingreifen, wenn eine strafbare Beihilfe eines nicht alkoholisierten Beifahrers für die Vorsatztat des Fahrers festgestellt wird. Einerseits entfällt die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit des VN nicht schon des- 77 halb, weil sie eine der in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94) genannten Gesundheitsstörungen (z.B. Anfallleiden) betrifft. Der VN ist vielmehr grundsätzlich gehalten, den VR auch über solche Umstände aufzuklären, die einem Ausschlusstat-
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OLG Nürnberg 12.8.1999 NVersZ 2000 169, 170 = RuS 2000 437. A.A. Kloth Rn. K 7. S. etwa BGH 17.5.2000 VersR 2000 1090 mit Anm. E. Lorenz.
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BGH 25.6.1986 VersR 1986 803, 804. Stockmeier/Huppenbauer S. 44; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 168.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
bestand unterfallen; denn der VR soll im Rahmen der auch im Versicherungsvertragsrecht geltenden Vertragsfreiheit durch die Angaben des Antragstellers in die Lage versetzt werden, frei darüber zu entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen er ein bestimmtes Risiko versichern will (Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 3 f.). Nur bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Antragsfragen kann der VR eine umfassende und zutreffende Risikoeinschätzung und Prämienberechnung vornehmen sowie die Vereinbarung von Leistungsausschlüssen prüfen. Zulässig sind deshalb auch grundsätzlich Fragen nach Alkoholoder Drogenkonsum (Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 90). Trotz Geltung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit wird andererseits Ziff. 5.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94) nicht überflüssig. Dem Ausschluss verbleibt ein eigenständiger Regelungsgehalt; denn die Klausel erfasst auch solche Gefährdungstatbestände, die erstmals nach Vertragsschluss auftreten und zu einem Unfall führen, also bei Antragstellung noch gar nicht offenbart werden können.515 Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls beurteilen sich nach 78 Ziff. 7 und 8 AUB 99/2008. Im Kontext zu Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 erlangen insbesondere Falschangaben zum Alkoholgenuss und der Straftatbestand der Unfallflucht Bedeutung: • Nach Ziff. 7.2 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 2 AUB 88/94) ist der VN oder die versicherte Person dazu angehalten, die übersandte Unfallanzeige wahrheitsgemäß auszufüllen und an den VR zurückzusenden sowie darüber hinaus geforderte sachdienliche Auskünfte zu erteilen. Fragen des VR nach Alkoholkonsum der versicherten Person sind sachdienlich (Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 99). Falschangaben des VN gegenüber dem VR zur Frage nach Alkoholgenuss vor dem Unfall sind folgerichtig stets objektive Aufklärungsobliegenheitsverletzungen.516 Entsprechendes kommt für Angaben zu einem Nachtrunk in Betracht. • Begeht der VN eine Unfallflucht gemäß § 142 StGB, so kann diskutiert werden, ob darin eine Obliegenheitsverletzung gesehen werden kann. I.E. ist dies zu verneinen.517 Anders als etwa in § 7 I Abs. 2 S. 3 AKB wird der VN in den AUB nicht dazu angehalten, (unbeschränkt) alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich ist. In den AUB ist der Beginn der Aufklärungsobliegenheit des VN auf die Unterrichtung des VR vom Eintritt des Versicherungsfalls und der Inhalt der Obliegenheit auf die Erteilung wahrheitsgemäßer und umfassender Auskünfte gegenüber dem VR beschränkt. Für den verständigen durchschnittlichen VN ist nicht erkennbar, dass der VR ein darüber hinausgehendes Verhalten erwartet.518 Jedenfalls werden nur positive Handlungen zur Verdunkelung des strafrechtsrelevanten Sachverhalts, nicht aber reine Unterlassungen wie etwa die Verweigerung der Aussage am Tatort oder auch später gegenüber den Ermittlungsbehörden, eine Obliegenheitsverletzung begründen können.519 Eine andere Frage ist, ob mit der Unfallflucht oder Spurenbeseitigung eine Umkehr der Beweislast einhergeht (Rn. 96).
79
Die Prüfung des Ausschlusses in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94) ist verschuldensunabhängig (Rn. 5). Insbesondere dann, wenn die versicherte Person fahrlässig oder leichtsinnig in alkoholisiertem Zustand am Straßenverkehr teilnimmt, liegt zwar die Erwägung nahe, ihr ein Mitverschulden gemäß bzw. analog § 254 BGB anzulasten oder mögliche Leistungsansprüche mit dem Hinweis auf widersprüchliches Verhalten des VN nach Treu und Glauben abzuwehren.520 So kommt es etwa in Betracht, einen Verlust des Versicherungsschutzes für denjenigen anzunehmen, der ohne
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OLG Saarbrücken 3.11.2004 VersR 2005 929, 932 f. OLG Hamm 27.1.1984 VersR 1984 931, 932; Rüther NZV 1994 457, 465.
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A.A. R. Fischer VersR 1965 197, 201. Rüther NZV 1994 457, 465. R. Fischer VersR 1965 197, 201. Steffani VersR 1967 18 f.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Alkoholeinfluss oder ohne selbst bewusstseinsgestört zu sein bei einem betrunkenen Fahrer mitfährt.521 Die dahingehende Auffassung hat sich aber zutreffenderweise nicht durchgesetzt.522 § 81 (§ 61 a.F.) betrifft grundsätzlich nur die Schadens-, nicht aber die Unfallversicherung (§ 178 Rn. 127). Für eine Anwendung des § 254 BGB besteht ebenfalls kein Raum. Für die Berücksichtigung eines Mitverschuldens wäre vielmehr eine ausdrückliche Regelung notwendig.523 Dies ergibt zum einen der Umkehrschluss zu §§ 178 Abs. 2, 183, die Vorsätzlichkeit verlangen, nicht aber die Leistungspflicht für die fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls ausschließen. Zum anderen würde es dem Sinn der Unfallversicherung widersprechen, würde die Leistung der Versicherung nur bei unverschuldeten Unfällen eintreten. Nur wenige VN würden sich unter solchen Bedingungen zum Abschluss bereit finden.524 Ähnliche Erwägungen führen im Übrigen dazu, auch das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ im Unfallbegriff nicht mit einer Verschuldensprüfung aufzuweichen (§ 178 Rn. 101).
C. Anfälle Der Ausschluss von Unfällen, die auf krankheitsbedingter Beeinträchtigung der Kör- 80 perbeherrschung beruhen, ist seit langem üblich und findet sich in allen AVB für Unfallversicherungen.525
I. Zweck des Ausschlusses Schlag- und Krampfanfälle usw. sind als solche keine Unfälle. Sie beruhen regelmäßig 81 nicht auf einem Ereignis, das von außen auf den Menschen einwirkt.526 Vielmehr ist die Ursache des eingetretenen Gesundheitsschadens in der Körperbeschaffenheit des Geschädigten selbst begründet.527 Insofern bedarf es nicht der Anwendung des Ausschlusstatbestandes. Anders ist dies dagegen, wenn es um die Beurteilung von Unfällen geht, die Folge von Schlaganfällen, epileptischen Anfällen und solchen Krampfanfällen sind, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen. Für solche Sachverhaltskonstellationen bezweckt der Ausschluss, Risiken vom Versicherungsschutz auszunehmen, die über das normale Unfallrisiko hinausgehen (vgl. Rn. 6), weil die versicherte Person bei Schlag- und anderen Anfällen nicht in der Lage ist, eine ihr drohende Unfallgefahr klar zu erkennen oder überhaupt wahrzunehmen und sich zur Vermeidung des Unfalls entsprechend richtig zu verhalten.528 Der VR kann das gegenüber der als normal gedachten Gefahrenlage erhöhte Risiko aufgrund seiner Prämienkalkulation nicht decken.529 Sind 521
522
523 524
Pickel ZfV 1964 747, 748; Steffani VersR 1967 18 f.; s.a. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 50 mit Hinweis auf § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88. OLG Nürnberg 23.5.1967 VersR 1969 275, 276 f.; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 20; Hentschel/Born Rn. 950; Pürckhauer VersR 1967 542 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 186. OLG Celle 19.2.1998 VersR 1999 1403; Pürckhauer VersR 1967 542, 543. OLG Nürnberg 23.5.1967 VersR 1969 275, 277.
525 526 527 528
529
Zur Geschichte des Ausschlusses Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 158. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 14. Jannott S. 101. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 23; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 54; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 17; Stockmeier/Huppenbauer S. 46. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 159.
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umgekehrt die Anfälle adäquate Folge eines unter den Versicherungsvertrag fallenden Unfalls, so besteht hierfür Versicherungsschutz. Dies gilt nach S. 2 des Ausschlusses auch dann, wenn die nach dem Erstunfall auftretenden Anfälle weitere Unfälle auslösen, sofern nur Vertragsidentität besteht.
II. Begriffe 82
Die in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 bzw. den entsprechenden Vorgängerklauseln genannten Schlaganfälle, epileptischen Anfälle und Krampfanfälle haben den zeitweisen oder dauernden Verlust der Möglichkeit zur Körperbeherrschung durch die versicherte Person zur Folge. Ihnen ist gemeinsam, dass sie die versicherte Person hindern, einer drohenden und erkannten Gefahr wirksam zu begegnen.530 Der Schlaganfall umschreibt nach allgemeiner Ansicht nur den Gehirnschlag (Apo83 plexie).531 Erfasst ist auch der Hirninfarkt.532 Der Gehirnschlag ist definiert als das Aussetzen von Gehirnteilen durch Platzen von Blutgefäßen oder deren Verschluss (akute Hirnaderverstopfung).533 Häufigste Ursache ist erhöhter Blutdruck oder Brüchigkeit bzw. Verengung der Blutgefäße im Gehirn.534 Folge können Bewusstlosigkeit oder Bewusstseinstrübung, Verwirrtheit, Lähmungen, Gleichgewichtsstörungen, Schwächegefühl, Sprachstörungen aber auch Tod des Betroffenen sein.535 In der Regulierungspraxis der Unfallversicherung sind Fälle typisch, in denen ein Sturz (Unfall) behauptet und bewiesen wird, als Ursache des Sturzes aber ein Schlaganfall und damit ein Ausschluss in Betracht kommt.536 Kein Schlaganfall ist der Herzinfarkt („Herzschlag“ bzw. plötzlicher Herztod, also der Verschluss von Herzkranzgefäßen),537 das Abreißen von Brückenvenen nach einer Schädelprellung538 und die Lungenembolie („Lungenschlag“).539 Epileptische Anfälle sind Krampfanfälle, die mit (plötzlicher) Bewusstlosigkeit ver84 bunden sind 540 und ihre Ursache in – vererbter oder unfallbedingter – Epilepsie (Fallsucht) haben.541 Hirnfunktionen fallen aufgrund einer Hirnschädigung vorübergehend aus, so dass die versicherte Person die Möglichkeit verliert, ihren Körper zu beherrschen und auf Umwelteinflüsse sachentsprechend zu reagieren.542 Zwar sind Epileptiker
530 531
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534 535
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 160. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 136; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 18; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 55; Reichenbach S. 86; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 7; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 161. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 24; Hofmann S. 39; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 18; offen lassend Gaidzik S. 25. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 160; H. Weber NJW 1965 1997, 1998. OLG Düsseldorf 3.3.1937 VA 1937 156 Nr. 2974; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 27. Hofmann S. 39.
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536 537
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 161 m.w.N. zur älteren Rechtsprechung. Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 7; H. Weber NJW 1965 1997, 1998; s. auch OLG Hamm 13.2.1981 VersR 1981 830, 831. OLG Hamm 27.1.1984 VersR 1984 931, 932; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 24; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 55; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 18. Gaidzik S. 26; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 18; Reichenbach S. 86; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 27. Hofmann S. 39. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 28. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 160 und 162.
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grundsätzlich versicherungsfähig (Ziff. 4 AUB 2008 Rn. 9),543 da Epilepsie heute in den meisten Fällen erfolgreich medizinisch behandelt und geheilt werden kann. So kann auch die früher angenommene epileptische Wesensänderung mit der daraus resultierenden Verlangsamung, Schwerfälligkeit, Umständlichkeit u.ä. heute bei ärztlicher Behandlung weitgehend vermieden werden.544 Jedoch sind vom Versicherungsschutz Unfälle infolge epileptischer Anfälle und infolge von Krampfanfällen ausgeschlossen, die durch Epilepsie verursacht werden. Hat dagegen erst der Unfall die Epilepsie ausgelöst, so besteht Versicherungsschutz. Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind alle Unfälle (z.B. Sturz oder Ertrinken), 85 die sich wegen Auftretens von Anfällen, die den ganzen Körper ergreifen, oder während der durch sie verursachten Hilflosigkeit der versicherten Person ereignen.545 Krampfanfälle beruhen auf unwillkürlichen, d.h. vom Willen des Betroffenen unabhängigen bzw. von ihm nicht beherrschbaren Muskelkontraktionen.546 Nicht erfasst sind im Umkehrschluss zur Formulierung „die den ganzen Körper ergreifen“ Krämpfe in einzelnen Gliedmaßen (insbesondere Wadenkrämpfe).547 Bei diesem Relativsatz handelt es sich um eine bloße Klarstellung. Auch ohne den Einschub hatte die Rechtsprechung zu den älteren AUB Krampfanfälle nur dann vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn es sich um krankhafte Erscheinungen handelte, die den ganzen Körper des Kranken ergriffen.548 Das Erfordernis der Betroffenheit des ganzen Körpers entspricht dem Sinn und Zweck des Ausschlusstatbestandes, der nur unnatürliche Steigerungen des Unfallrisikos, nicht aber Risiken vom Unfallversicherungsschutz ausnehmen soll, die jedermann bei normaler Gesundheit nach Überanstrengung z.B. beim Schwimmen treffen können. Weiterhin betrifft Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 wie auch die entsprechenden Vorgängervorschriften nur den akuten Krankheitsfall, nicht dagegen Unfälle, die auf verbleibende Folgen eines Anfalls zurückzuführen sind (z.B. Vergesslichkeit, körperliche Beeinträchtigungen).549
III. Kausalität Der Ausschluss erfasst alle Unfälle, die sich als Folge des Anfalles während der Dauer 86 der anfallsbedingten Hilflosigkeit ereignen.550 So besteht z.B. kein Versicherungsschutz für eine Gasvergiftung, die während einer epileptischen Ohnmacht eintritt.551 Die Ausschlusswirkung geht dagegen nicht so weit, dass sämtliche Unfälle von der Versicherung ausgenommen sind, die zeitlich nach dem Anfall liegen. Der VR würde dann unabhängig vom Vorliegen anfallbedingten Beeinträchtigungen der versicherten Person von jeder Leistung frei werden. Dieses Ergebnis kann weder dem Bedingungswortlaut entnommen werden, noch entspricht es dem Willen verständiger Vertragsparteien. Es wäre sinnlos, den Versicherungsvertrag fortzusetzen, wenn ein Versicherungsschutz nicht mehr be543
544 545 546 547
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 19; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 56. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 25; s.a. Gaidzik S. 33. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 20. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 160 und 163. Grewing Entstehungsgeschichte S. 15; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 25; Terbille/
548 549 550 551
Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 136; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 57; Reichenbach S. 86; Stiefel/ Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 9. KG 13.10.1928 VA 1929 22 f. Nr. 1937; Millert VersR 1964 118, 121. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 20. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 54. OLG Düsseldorf 21.4.1932 JR 1932 326.
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stünde. Sollten die Parteien bei Vertragsabschluss tatsächlich die Möglichkeit zur Vertragsbeendigung nach einem Anfall der versicherten Person gewollt haben, so darf angenommen werden, dass sie ein besonderes Kündigungsrecht vorgesehen hätten.552
IV. Konkurrenzen 87
Meist wird bei Vorliegen eines Anfalls auch gleichzeitig eine Bewusstseinsstörung vorliegen.553 Dies dürfte ein maßgeblicher Grund dafür sein, weshalb der Ausschluss für Anfälle im Vergleich zum Ausschluss von Bewusstseinsstörungen in der Gerichtspraxis selten vorkommt. Einer gesonderten Regelung für Schlaganfälle hätte es deshalb nicht zwingend bedurft. Von einer Streichung haben die Bedingungsgeber der AUB 99 dagegen bewusst abgesehen (Rn. 3).
D. Störungen durch ein früheres Unfallereignis 88
Versicherungsschutz besteht, wenn die Geistes- oder Bewusstseinsstörung bzw. der (Schlag-)Anfall durch ein früher unter den Unfallversicherungsvertrag fallendes Unfallereignis verursacht war. Dies ist z.B. für den Fall bejaht worden, dass der versicherten Person beim Segelflug in zu großer Höhe der notwendige Sauerstoff fehlte (= Unfallereignis), sie dadurch eine Bewusstseinstrübung i.S. einer Handlungsunfähigkeit (= Bewusstseinsstörung) erlitt und deshalb mit tödlichen Folgen abstürzte.554 Die Kausalkette stellt sich mithin wie folgt dar: Bestehender Versicherungsschutz → Erstes Unfallereignis → Geistes- oder Bewusstseinsstörung bzw. Anfall → Zweites Unfallereignis/Gesundheitsschädigung ➔ Versicherungsschutz
Relevant werden kann die Sonderregelung fernerhin, wenn der Erstunfall eine Hirnschädigung oder unfallbedingte Epilepsie verursacht hat und diese Schädigung dann kausal für den Zweitunfall ist.555 Die Formulierungen „unter diesen Vertrag fallendes“ (AUB 88/94/99/2008) bzw. 89 „unter die Versicherung fallendes Unfallereignis“ (AUB 61) sollen – lediglich zur Klarstellung 556 – verdeutlichen, dass nicht nur irgendein Unfallereignis vorliegen, sondern das erste (genauso wie das zweite) Unfallereignis während des beim VR bestehenden Versicherungsschutzes eingetreten sein muss. Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine Vertragsidentität. „Unter diesen Vertrag“ umschreibt das Versicherungsverhältnis als Ganzes unter Einschluss aller Vertragsänderungen, unabhängig davon, ob sie durch einen Nachtrag oder einen Ersatzversicherungsschein dokumentiert sind.557 Zwar könnte aus dem Wortlaut „unter diesen Vertrag“ gefolgert werden, dass es auf den Vertragszustand ankommt, der z.Z. des Eintritts der Geistes- oder Bewusstseinsstörung (bzw. Anfalls) zwischen VR und VN vereinbart ist. Folge wäre, dass bei einer Vertragsänderung zwischen dem Erst- und dem Zweitunfall, der auf einer Bewusstseinsstörung beruht, kein Versicherungsschutz für die aus dem Zweitunfall resultierende Gesundheitsschädigung
552 553 554
OLG Hamm 5.10.1948 VA 1948 90. OLG Saarbrücken 21.5.1997 VersR 1998 310 f.; Stockmeier/Huppenbauer S. 47. OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 129.
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555 556 557
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 137. Millert VersR 1964 118, 120 f. Konen/Lehmann S. 14.
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bestünde. Die Auslegung ergibt jedoch, dass zu dem aktuellen Vertrag nur eine lückenlose (kontinuierliche) Kette von Verträgen bei demselben VR führen muss, in deren gegenständlichem Rahmen das damals eingetretene Risiko ununterbrochen versichert gewesen wäre.558 Der VN muss nicht damit rechnen, dass er nach Anpassungen an seinem Vertrag, die oftmals auf Initiative des VR und seines Außendienstes zurück zu führen sind, im Hinblick auf Ausschlusstatbestände schlechter steht, als wenn er seinen Ursprungsvertrag unangetastet gelassen hätte. Vielmehr wird der verständige VN die Formulierung „unter diesen Vertrag“ nicht in Einzelteile zerlegen, sondern auf die Frage abstellen, ob sich die Folgeverträge als eine Einheit zu dem Ursprungsvertrag darstellen. Er wird erwarten und den Regelungsgehalt der Klausel so deuten, dass der VR für adäquat kausale Folgen des ersten Unfalls ohne zeitliche Begrenzung eintritt, wenn er auch zum Zeitpunkt des Zweitunfalls noch VR ist.559 Nur dann, wenn gravierende Veränderungen vorgenommen worden sind, z.B. der Versicherungsvertrag zwischenzeitlich gekündigt war oder ein Wechsel des VN (z.B. Eingliederung einer Einzelunfallversicherung der versicherten Person in eine Gruppenunfallversicherung des Arbeitgebers als neuen VN) vereinbart wurde, wird der VN auch aus Laiensicht zwischen altem und neuem Versicherungsvertrag unterscheiden. Des Weiteren kann die Vertragsidentität des Erst- und Zweitunfalls nicht nur nach der Vertrags- bzw. Versicherungsscheinnummer beurteilt werden; denn die unterschiedliche technische Handhabung von Vertragsänderungen bei den einzelnen VR würde bei gleichen Sachverhalten zu verschiedenen Ergebnissen führen und den Versicherungsschutz von „zufälligen“ Umständen abhängig machen, die für den VN nicht vorhersehbar sind. Darüber hinaus hätte es jeder VR in der Hand, u.U. willkürlich eine (geringfügige) Vertragsänderung zum Anlass zu nehmen, den Versicherungsschutz nach Ziff. 5.1.1 S. 2 AUB 99/2008 durch Vergabe einer neuen Vertrags- bzw. Versicherungsscheinnummer (u.U. sogar ohne besonderen Hinweis) einzuschränken.560 Lediglich technische Änderungen unterbrechen mithin nicht den Vertrag. Ohne Auswirkungen für den Versicherungsschutz bleiben u.a.:561 • • • • • • • •
Erhöhung der Versicherungssummen; Änderung der Leistungsarten; Vereinbarung neuer AUB; Tarifumstellungen bei Änderung der Gefahrengruppe durch Berufswechsel (z.B. § 6 AUB 88/94); Umwandlung eines Risikovertrages in einen Vertrag mit Prämienrückgewähr und umgekehrt; Umwandlung einer Einzelunfallversicherung in eine Familienunfallversicherung und umgekehrt; Wechsel vom Kinder- zum Erwachsenentarif; Außerkrafttreten des Versicherungsschutzes infolge Kriegseinsatz i.S.v. § 4 Abs. 4 AUB 88/94, sofern beide Unfallereignisse in eine Zeit fallen, in der Versicherungsschutz nach dem Vertrag bestand.562
Aus der Verwendung des Wortes „Unfallereignis“ in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 folgt 90 zunächst, dass ein plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis i.S.v. § 178 Abs. 2 S. 1 (oder ein dem Unfallereignis gleichgestelltes Ereignis, insbesondere also eine Kraftanstrengung, Ziff. 1.4 AUB 99/2008) vorgelegen haben muss. Der Eintritt von Unfallereignisfolgen, d.h. einer unfreiwilligen Gesundheitsschädigung,
558 559
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 26; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 29. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 21; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 58.
560 561 562
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 29. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 26; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 29. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 58.
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bereits am Anfang der Kausalkette ist nicht notwendig.563 Wäre dies tatsächlich gewollt, so hätten die Bedingungsgeber den Begriff „Unfall“ oder „Versicherungsfall“ verwenden müssen, da nur dieser auch die Unfallereignisfolgen mit umfasst.564 Ferner ergibt sich aus der Wendung „unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis“, dass für das Unfallereignis am Anfang der Kausalkette keine Ausschlussgründe eingreifen dürfen.565 Maßgebend sind dabei die zum Zeitpunkt des (Vor-)Unfalls geltenden Vereinbarungen zwischen VN und VR.566 Zwischen dem früheren Unfallereignis und dem folgenden Unfall, der durch eine 91 Störung oder einen Anfall der in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 genannten Art hervorgerufen wurde, muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Mitursächlichkeit des Vorunfalls genügt.567 Unerheblich ist die Dauer der zwischen Erst- und Zweitunfall verstrichenen Zeit;568 ob die durch das Unfallereignis ausgelöste Störung oder der Anfall unmittelbar anschließend oder erst einige Zeit später zu einem weiteren Unfall führen, ist ohne Belang.569 Der Umfang der Versicherungsleistungen für den Zweitunfall bestimmt sich nach dem 92 Vertrag (den vertraglich vereinbarten Leistungsarten, Summen und sonstigen Bedingungen) zum Zeitpunkt des Zweitunfalls.570
E. Spezielle AVB 93
Im Einzelfall ist das Vorliegen zusätzlicher Bedingungen bzw. ein mögliches Abweichen der konkret vereinbarten AVB von den Muster-AUB zu prüfen. Der VR ist ungehindert, den Ausschluss in Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/99, § 3 Nr. 4 AUB 61) weiter zu fassen oder einzuengen bzw. Besondere Bedingungen für die Mitversicherung bestimmter Bewusstseinsstörungen (wie z.B. für die Mitversicherung von Medikamentenkonsum oder Anfallsleiden) 571 vorzusehen. In Betracht kommt insbesondere, dass der VR den Ausschlusstatbestand im Hinblick auf die Fälle alkoholbedingter Bewusstseinsstörungen im Straßenverkehr konkretisiert. Dahingehende Überlegungen haben sich zwar bisher im Rahmen der vom GDV vorgeschlagenen AUB nicht „flächendeckend“ durchgesetzt (Rn. 3 und 26), z.T. sind jedoch bereits in Einzelfällen Modifizierungen erfolgt. So hat das damalige BAV vor der Deregulierung folgende „Besondere Bedingungen für den Einschluss von Bewusstseinsstörungen in der Unfallversicherung“ (sog. Trunkenheitsklausel) genehmigt 572 Danach sind in Abänderung des regulären AUB-Ausschlusses auch Unfälle infolge von Bewusstseinsstörungen mitversichert, soweit diese durch Trunkenheit verursacht sind; beim Lenken bzw. Führen von Kraftfahrzeugen jedoch nur, wenn der Blutalkoholgehalt unter 1,1 ‰ (früher 1,3 ‰) liegt. Rechtlich sind derartige Vereinbarungen nicht zu beanstanden. Zweifelhaft ist aber, ob Versicherungs-
563 564 565 566 567 568
A.A. offenbar Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 26. Schilling ZfV 1962 365, 367. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 26. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 21. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 26. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 137; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 21.
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569 570
571 572
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 29. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 26; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 21; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 29. Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 54 f. VerBAV 1991 188 (dazu auch GB BAV 1991 87 Nr. 9.2.3); VerBAV 1987 430; VerBAV 1985 124; s.a. GB BAV 1984 88 Nr. 9.2.1.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
schutz eröffnende „Alkoholklauseln“ aus ethischer Sicht geeignet sind, den verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol gerade im Straßenverkehr zu fördern.573 Eine versicherte Person genießt aufgrund der erweiterten Alkoholklausel keine Deckung, wenn sie mit 1,5 ‰ mit ihrem Kfz mit der Leitplanke einer Bundesautobahn kollidiert und verletzt wurde sowie nach Verlassen des Wagens von einem anderen Kfz erfasst wurde und schwere gesundheitliche Schäden erlitt.574
F. Verfahrensfragen Folgende prozessuale Besonderheiten sind bei der Anwendung von Ziff. 5.1.1 AUB 94 99/2008 zu beachten:
I. Beweislastverteilung Der Anspruchsteller hat den anspruchsbegründenden Tatbestand (insbesondere den 95 Unfallbegriff mit Ausnahme des Tatbestandsmerkmals „unfreiwillig“) darzulegen und im Streitfall zu beweisen (§ 178 Rn. 168 ff.). Der VR hat dagegen nach allgemeinen Regeln den Nachweis für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes in Ziff. 5.1.1 S. 1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) zu erbringen (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32),575 muss also die Geistes- oder Bewusstseinsstörung oder den Anfall nebst Kausalität substantiiert vortragen und ggf. belegen. Allerdings trifft den Anspruchsteller eine sekundäre Darlegungslast. Er hat Informationen aus seiner Sphäre zu liefern, die dem VR nicht ohne weiteres zugänglich sind.576 Hierzu gehören etwa Angaben zum Unfallort und Unfallhergang. Die Beweislast für den Ausnahmetatbestand in Ziff. 5.1.1 S. 2 AUB 99/2008 (bzw. seine entsprechenden Vorgängervorschriften) trägt dagegen der Anspruchsteller. Die Beweislast für die Voraussetzungen in Ziff. 5.1.1 S. 1 AUB 99/2008 (bzw. die 96 jeweiligen Vorgängervorschriften) geht von dem VR auf den Anspruchsteller über, soweit er durch Vernichtung der entsprechenden Beweismittel dem VR die Beweisführung unmöglich macht.577 Eine Beweisvereitelung durch die versicherte Person geht zu Lasten des Anspruchstellers. Dies gilt nach der Rechtsprechung insbesondere für den Fall, in dem der Kraftfahrer (vorsätzlich) durch Fahrer- bzw. Unfallflucht (vgl. Rn. 79) die Entnahme einer Blutprobe und damit die Ermittlung der Blutalkoholkonzentration verhindert.578 In diesem Fall müsste der Anspruchsteller beweisen, dass sein Blutalkoholwert unter dem Grenzwert von 1,1 ‰ gelegen hat und deshalb eine Bewusstseinsstörung nicht gegeben war.579 573 574 575
Krebs VW 1985 1455, 1456; ferner Kloth Rn. K 25. OLG Saarbrücken 21.1.2009 VersR 2009 1109 = NJW-RR 2009 903. S. nur OLG Celle 17.5.1956 VersR 1956 401, 402; OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 1041, 1042 = RuS 2004 166; OLG Hamm 18.5.1988 VersR 1989 242, 243; OLG Karlsruhe 3.7.1980 VersR 1981 52; OLG München 25.6.1969 VersR 1970 33; OLG Nürnberg 1.7.1982 VersR 1984 436, 437; OLG Oldenburg 14.7.1999 RuS
576
577 578 579
2000 303, 304; OLG Schleswig 18.3.1992 RuS 1992 394; ferner OGH 25.1.2006 VersR 2007 1107; OGH 9.4.1981 VersR 1982 588. OLG Hamburg 25.4.2007 RuS 2007 386, 387; OLG Hamm 14.5.2008 VersR 2009 349, 350 = RuS 2009 30, 31. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 15. OLG Hamm 7.10.1960 VersR 1961 505; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 30. OLG Oldenburg 28.10.1955 VersR 1956 27.
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Unfallversicherung
II. Geistes- und Bewusstseinsstörungen 97
Die Zivilgerichte haben die Frage der Geistes- und Bewusstseinsstörung der versicherten Person in eigener Zuständigkeit zu beantworten. Zwar erfolgt eine Orientierung an die im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Grundsätze. Jedoch sind die Zivilgerichte nicht an die Bewertungen einzelner Sachverhalte durch Strafgerichte gebunden, zumal im Strafrecht andere Beweislastregeln zur Anwendung gelangen.580 1. Bewusstseinsstörung durch Alkoholgenuss
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Die hinreichende Alkoholisierung bzw. absolute oder relative Fahr- bzw. Verkehrsunsicherheit und damit die Bewusstseinsstörung hat der Tatrichter im Wege des Vollbeweises gemäß § 286 ZPO festzustellen. Erst bei der weiteren Frage, ob die Bewusstseinsstörung ursächlich für den Unfall geworden ist, können die Regeln über den Anscheinsbeweis angewandt werden.581
99
a) Beweis der Bewusstseinsstörung. Für die Feststellung der Bewusstseinsstörung ist der Vollbeweis notwendig. Insbesondere kann nicht von einer erheblichen Alkoholisierung, die unter dem jeweils maßgeblichen (absoluten) Grenzwert liegt, ohne weitere Beweisanzeichen auf eine Bewusstseinsstörung geschlossen werden; denn dem VR kommt die Erleichterung des Anscheinsbeweises nicht zugute.582 Zwar kann der Tatrichter auch Erfahrungssätze des Lebens in seine Überzeugungsbildung mit einbeziehen. Solche haben jedoch unterschiedlichen Beweiswert. Ihre Beweiskraft kann in besonderen Fällen so stark sein, dass der Erfahrungssatz allein geeignet ist, eine tatsächliche Vermutung für ein bestimmtes Geschehen zu begründen. Kraft dieses Erfahrungssatzes ist dann der Beweis des ersten Anscheins erbracht. Dahingehende Erfahrungssätze zur Feststellung der Bewusstseinsstörung gibt es aber nicht.583 Vielmehr muss die absolute oder relative Fahrbzw. Verkehrsunsicherheit individuell festgestellt werden.584 Dies kann allerdings im Wege des Indizienbeweises erfolgen.585 Dem VN obliegt eine sekundäre Darlegungslast. Er muss dem VR die Informationen aufzeigen, die in seiner Sphäre liegen. So muss er Angaben zum Unfallort und dem Unfallhergang machen.586
100
aa) Unfälle im Straßenverkehr. Sollte die versicherte Person den Tatbestand des § 24a StVG verwirklicht haben, so ist dies allenfalls ein Indiz für eine Bewusstseinsstörung. Es kann dann auf die im Ordnungswidrigkeitenrecht gewonnenen Erkenntnisse über Wirkung und Nachweisverfahren zurückgegriffen werden. Hat allerdings die versicherte Person andere Wirkstoffe eingenommen als die, die in der Liste zu § 24a StVG ausdrücklich 580 581
582
S. etwa OLG Bamberg 4.5.2006 NJW-RR 2006 1406, 1408. S. nur BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343, 1344 = RuS 1991 35 = VerBAV 1991 262, 264; BGH 24.2.1988 VersR 1988 733, 734. S. nur BGH 24.2.1988 VersR 1988 733, 734; OLG Celle 13.6.1996 VersR 1997 820, 821; OLG Zweibrücken 12.11.1993 VersR 1994 974; LG Kassel 17.3.2006 VersR 2006 1529; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 14; a.A. noch die ältere Rechtsprechung wie z.B. OLG Celle 7.11.1957
842
583 584 585 586
VersR 1958 38, 39; OLG Hamm 7.10.1960 VersR 1961 505; OLG Karlsruhe 7.2.1985 ZfS 1986 309, 310; OLG Köln 17.3.1958 VersR 1958 281; OLG München 11.11.1983 VersR 1984 261. BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343, 1344 = RuS 1991 35 = VerBAV 1991 262, 264. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 14. OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79; Lang NZV 1990 169, 171. Kloth Rn. K 28.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
aufgeführt sind, so muss der VR mit „herkömmlichen Mitteln“ den Beweis der Bewusstseinsstörung führen.587 (1) Führer von Kraftfahrzeugen. Beruft sich der VR auf Leistungsfreiheit wegen 101 unfallursächlicher alkoholbedingter Bewusstseinsstörung der versicherten Person, so genügt er der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast für die zunächst festzustellende Alkoholisierung grundsätzlich, wenn er sich auf einen im Ermittlungsverfahren festgestellten BAK-Wert beruft.588 Es reicht aus, wenn der VR den Inhalt der strafrechtlichen Ermittlungsakte vorträgt und sich die dortigen Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration zu eigen macht.589 Dieses ist auch sachgerecht, da der VR anders als die Staatsanwaltschaft keine eigenen Ermittlungen und Feststellungen zur Höhe der Blutalkoholkonzentration betreiben kann, sondern auf die Feststellungen im Strafverfahren angewiesen ist.590 Will die versicherte Person die im Strafverfahren festgestellte Blutalkoholkonzentration nicht gegen sich gelten lassen, so muss sie konkrete Tatsachen vortragen, die eine fehlerhafte Ermittlung des Blutalkoholgehalts als möglich erscheinen lassen. Hat der Alkoholgenuss zur absoluten Fahrunsicherheit geführt, so ist der volle Beweis 102 der Bewusstseinsstörung erbracht. Ein Gegenbeweis ist ausgeschlossen: • Als der Grenzwert für die absolute Fahrunsicherheit noch 1,3 ‰ betrug, konnte es zwar vorkommen, dass über die Frage, ob der Grenzwert auch tiefer angesetzt werden kann, unter Sachverständigen unterschiedliche Auffassungen bestanden. Sofern dies auch noch bei der heute angenommenen Grenze von 1,1 ‰ der Fall ist,591 hat der Tatrichter jedoch in versicherungsrechtlichen Streitigkeiten die Grenze der absoluten Fahrunsicherheit stets bei 1,1 ‰ anzunehmen, und zwar selbst dann, wenn sich ein von ihm gehörter Sachverständiger in überzeugender Weise für einen niedrigeren Wert ausspricht.592 Grund hierfür ist, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung es – sowohl auf straf- und straßenverkehrsrechtlichem als auch auf versicherungsrechtlichem Gebiet – im Interesse der Rechtseinheit für erforderlich gehalten hat, einen festen (unumstößlichen) Grenzwert zu bestimmen.593 • Bei der Festlegung des absoluten Grenzwertes dürfen konkrete Umstände des Einzelfalles nicht berücksichtigt werden, egal ob sie objektiver Art (z.B. schwierige Verkehrsbedingungen) oder subjektiv geprägt sind (z.B. Krankheit oder Ermüdung des Fahrers).594 Insbesondere ist auch der Einwand einer erhöhten Alkoholverträglichkeit ohne Bedeutung;595 denn weder bei zahlreichen Versuchen noch auf Grund der Erfahrungen aus Tausenden von Verkehrsunfällen ist ein Fall bekannt geworden, in dem die behauptete Alkoholverträglichkeit bestimmter Personen – etwa von Weinprüfern oder Bierfahrern – bei Überschreiten des maßgeblichen Grenzwertes eine im Vergleich zu anderen Personen geringere Herabsetzung der Gesamtleistungsfähigkeit zur Folge gehabt hat.596
587 588 589
590 591
592
Stockmeier/Huppenbauer S. 44. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 109. BGH 3.7.2002 VersR 2002 1135, 1136; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 44. OLG Hamm 16.12.1994 VersR 1995 949. Vgl. BGH 28.6.1990 BGHSt 37 89, 94; OLG Schleswig 2.9.1993 VersR 1994 973, 974. OLG Schleswig 2.9.1993 VersR 1994 973, 974; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 14; Lang NZV 1990 169, 170; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 28.
593
594 595 596
BGH 30.10.1985 VersR 1986 141; bestätigt durch BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006 f. Die Festlegung eines den Tatrichter als allgemeiner Erfahrungssatz bindenden Grenzwertes der alkoholbedingten absoluten Fahruntauglichkeit ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG 27.6.1994 NJW 1995 125 f.). BGH 30.10.1985 VersR 1986 141, 142; BGH 22.4.1982 BGHSt 31 42, 43. BGH 11.4.1957 BGHSt 10 265, 268 f. BGH 9.12.1966 BGHSt 21 157, 163; OLG Hamm 28.9.1967 VersR 1968 86, 87.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1 103
Unfallversicherung
Ist der Grenzwert von 1,1 ‰ nicht erreicht bzw. nicht (sicher) feststellbar, so muss der VR alkoholbedingte Ausfallerscheinungen oder alkoholbedingtes Fehlverhalten darlegen und beweisen. Zum Beweis können sämtliche Umstände des Einzelfalles dienen. Auch der klinische Befund des Entnahmearztes bzw. dessen Zeugnis kann mit der gebotenen Vorsicht herangezogen werden.597 Oftmals dienen die Tatsachen, die für eine Unfallursächlichkeit der alkoholbedingten Fahrunsicherheit sprechen, auch dazu, die Fahrunsicherheit zu beweisen.598 Es bedarf einer individuellen Feststellung; allgemeine Antworten gibt es nicht.599 Für das erkennende Gericht besteht vielmehr ein erheblicher Entscheidungsspielraum. Einerseits dürfen die Anforderungen an den Nachweis einer Bewusstseinsstörung kraft Alkoholgenusses nicht überspannt werden.600 Absolute Gewissheit ist für die Beweisführung – wie auch sonst im Rahmen des § 286 ZPO – nicht erforderlich.601 Andererseits gehen unzureichende Informationen über den Alkoholisierungsgrad und den Hergang des Unfalls sowie sonstige Zweifel zu Lasten des VR, da dieser die Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlusses trägt. Kann z.B. die Polizei nach einem Verkehrsunfall keine Unfallzeugen ermitteln oder das Unfallgeschehen nicht anderweitig rekonstruieren und können Dritteinflüsse mit der Folge von Ausweichmanövern nicht ausgeschlossen werden, so lässt allein der Umstand, dass die versicherte Person im Scheitelpunkt einer Linkskurve nach rechts von der Fahrbahn abgekommen ist, keine Feststellungen in Bezug auf einen Fahrfehler zu.602 Zweifel an einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung aufgrund relativer Fahrunsicherheit können sich z.B. bei einer (starken) Alkoholgewöhnung der versicherten Person infolge einer Alkoholkrankheit603 oder der möglichen Verursachung des Unfalls durch (natürliche) Übermüdung604 ergeben. Unerheblich ist dagegen: • Fehlerfreies Fahren vor dem Unfall. Solange eine kritische Verkehrslage nicht erhöhte Anforderungen an die Geistesgegenwart des Verkehrsteilnehmers stellt, kann er selbst nach reichlichem Alkoholgenuss erfahrungsgemäß noch in der Lage sein, durch Übung beherrschte Handlungen und Bewegungen einwandfrei ausführen, ohne sich dessen klar bewusst zu sein. Hat ein Kraftfahrer vor dem Unfall eine längere Strecke fehlerfrei zurückgelegt, so ist deshalb die auf den Blutalkoholspiegel gestützte Annahme einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung nicht widerlegt, weil sich diese oft erst im Augenblick der Gefahr erkennbar auswirkt.605 Übermüdung und sonstige Umstände können sich im übrigen dahin auswirken, dass erst nach längerer Zeit die durch Alkohol bedingte Bewusstseinsstörung in der Fahrweise bemerkbar wird, während der Fahrer vorher seinen psychischen Defekt durch mehr automatisch-mechanisches Handeln überdecken kann.606 • Kenntnis der Unfallstelle. Es besteht kein Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer gegenüber bekannten und täglich zu überwindenden Gefahrstellen abstumpft.607 • Nüchterner Eindruck des Fahrers. Es ist eine allgemeine Erfahrungstatsache, dass sogar sehr starke Trunkenheit nicht immer für jeden – auch für einen nüchternen, unbefangenen oder geübten Beobachter – erkennbar sein muss.608 Ein Betrunkener kann äußerlich noch einen nüchter-
597 598 599 600 601 602 603 604 605
Eingehend Hentschel/Born Rn. 204 ff. OLG Nürnberg 21.3.1996 RuS 1996 465; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 13. BGH 24.2.1988 VersR 1988 733, 734. BGH 5.4.1962 VersR 1962 461, 462. OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79. OLG Hamm 14.9.1988 RuS 1989 66, 67. OLG Düsseldorf 17.12.2002 VersR 2004 1041 = RuS 2004 166. Marlow RuS 2004 353, 355. BGH 5.4.1962 VersR 1962 461, 462; BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 316 = VerBAV
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606 607 608
1956 12, 13 Nr. 130; RG 10.5.1940 RGZ 164 49, 51; LG Kaiserslautern 28.2.1961 VersR 1961 973, 974. OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 667. BGH 5.4.1962 VersR 1962 461, 462. OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38, 39; OLG Celle 17.5.1956 VersR 1956 401, 402; OLG Frankfurt a.M. 24.6.1980 VersR 1981 52, 53; OLG Stuttgart 30.11.1959 VersR 1960 364; s.a. OLG Karlsruhe 20.11.1986 NJW-RR 1987 803, 804.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
nen Eindruck machen und fähig sein, durch Übung beherrschte Handlungen und Bewegungen durchzuführen, eine gewohnte Tätigkeit geordnet zu verrichten oder auch ein vernünftiges Gespräch zu führen, während das in Gefahrenlagen besonders wichtige Reaktionsvermögen bereits stark vermindert ist. Dies gilt namentlich im Anfangsstadium des Rausches, wenn der genossene Alkohol noch nicht völlig ins Blut übergegangen ist. Die Aufnahme des genossenen Alkohols und die darauf beruhende alkoholische Beeinträchtigung bilden einen fortschreitenden Prozess mit der Folge, dass die dabei alkoholtypischen Reaktionen auch erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten und nicht von Anfang an bemerkbar sein müssen.609 Zeugenaussagen über das Verhalten des Verunglückten vor dem Unfall können daher zwar positive Rückschlüsse auf das Vorliegen einer Bewusstseinsstörung zulassen. Umgekehrt kann jedoch aus dem Fehlen äußerer Trunkenheitszeichen nicht ohne weiteres gefolgert werden, eine Bewusstseinsstörung habe nicht vorgelegen.610
(2) Radfahrer. Für Radfahrer gilt das vorstehend zu Kfz-Führern Ausgeführte ent- 104 sprechend. So darf zugunsten des VR die in der Rechtsprechung festgesetzte Grenze der absoluten Fahrunsicherheit von Radfahrern von 1,6 ‰ auch dann nicht unterschritten werden, wenn sich ein Sachverständiger für einen niedrigeren Wert ausgesprochen hat.611 Steht einerseits fest, dass die versicherte Person einen Blutalkoholwert zwischen 1,6 und 2,0 ‰ hatte, sie also zwar als Radfahrer, nicht jedoch als Fußgänger absolut verkehrsunsicher war, und kann andererseits nicht (z.B. anhand der Schäden am Fahrrad, der Verletzungen der versicherten Person oder der Schäden des Unfallgegners) ermittelt werden, ob die versicherte Person zum Zeitpunkt des Unfalls mit dem Fahrrad gefahren ist oder das Fahrrad geschoben hat, so steht keine absolute Fahrunsicherheit fest.612 Zugunsten des Anspruchstellers ist dann davon auszugehen, dass die versicherte Person als Fußgänger am Straßenverkehr teilgenommen hat. Der VR muss dann weitere Anzeichen für eine Bewusstseinsstörung bzw. Indizien für eine relative Verkehrsunsicherheit der versicherten Person als Fußgänger vortragen und beweisen. Kommt nur relative Fahrunsicherheit in Betracht und lassen sich äußere Anzeichen für eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit der versicherten Person nicht feststellen bzw. nicht aufklären, so geht dies zu Lasten des beweispflichtigen VR.613 (3) Fußgänger. Auch für Fußgänger kann im Wesentlichen auf das zu Autofahrern 105 Gesagte verwiesen werden. So greift z.B. bei Vorliegen einer absoluten Verkehrsunsicherheit der Einwand einer besonderen Alkoholverträglichkeit nicht durch.614 Ferner ist es für den Nachweis der Bewusstseinsstörung eines Fußgängers – ebenso wie bei einem KfzFührer – nicht erforderlich, dass die erhebliche Alkoholisierung für die Umwelt offen zutage tritt; denn vielfach zeigen sich die Wirkungen des Alkohols erst im Augenblick der Gefahr, wenn es auf eine schnelle und sachgerechte Reaktion ankommt.615 (4) Beifahrer. Kommt es zu einem Verkehrsunfall mit einem Verkehrsmittel (insbe- 106 sondere Kfz, Motorrad), das neben der versicherten Person noch eine weitere Person genutzt hat, so trägt im Bestreitensfall der VR die Beweislast dafür, dass die versicherte
609 610
611 612
OLG München 2.3.1989 ZfS 1989 211. BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 316 = VerBAV 1956 12, 13 Nr. 130; LG Saarbrücken 17.5.1976 VersR 1977 324 f. BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006, 1007. S. dazu OLG Hamm 15.10.1997 RuS 1998 216 f.
613 614 615
BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006, 1007. OLG Hamm 28.9.1967 VersR 1968 86, 87. BGH 8.7.1957 VersR 1957 509; OLG Koblenz 19.9.1974 VersR 1975 514, 515; OLG Stuttgart 30.11.1959 VersR 1960 364; LG Braunschweig 31.1.1968 VersR 1969 55; LG Saarbrücken 17.5.1976 VersR 1977 324 f.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Unfallversicherung
Person Kfz-Führer war 616 oder als Soziusfahrer das Fahrverhalten des Fahrers beeinflusst und den Unfall „aktiv“ herbeigeführt hat. Gelingt dem VR dieser Nachweis nicht, so reicht es zur Annahme der Bewusstseinsstörung nicht aus, dass die versicherte Person eine Blutalkoholkonzentration aufwies, die bei einem Fahrer bzw. „aktiven“ Beifahrer zur absoluten Fahrunsicherheit führen würde.617 Vielmehr ist im Zweifel der für „passive“ Beifahrer maßgebliche Grenzwert zugrunde zu legen. Verunglücken z.B. zwei Motorradfahrer und hat die versicherte Person eine Blutalkoholkonzentration von 1,58 ‰, lässt sich zugleich aber nicht feststellen, dass die versicherte Person selbst gefahren ist oder das Motorrad durch Schwanken oder ähnliches aus der Bahn gebracht hat, so kann nicht der für Kfz-Führer maßgebliche Grenzwert von 1,1 ‰ herangezogen werden, sondern muss die Bewusstseinsstörung anhand der für (passive) Mitfahrer geltenden Grundsätze ermittelt werden.618 Die Feststellung der Bewusstseinsstörung (und ihrer Unfallursächlichkeit) kann den 107 VR vor kaum lösbare Probleme stellen. Kommt es zu einem Unfall, so wird die Blutalkoholkonzentration des verletzten oder getöteten Mitfahrers u.U. nicht oder jedenfalls nicht regelmäßig festgestellt, weil für die Verfolgungsbehörden in erster Linie die Fahrunsicherheit des Fahrers bedeutsam ist.619 Lässt sich aber der Blutalkoholwert der versicherten Person zur Zeit des Unfalls nicht ermitteln, weil bei ihr keine Blutprobe genommen worden ist und auch eine Rückrechnung aufgrund der genossenen Alkoholmenge nicht möglich ist, so geht dies zu Lasten des VR. Es kann auch dann nicht auf eine Bewusstseinsstörung des Beifahrers geschlossen werden, wenn absolute Verkehrsuntüchtigkeit des Fahrers feststeht. Selbst der Umstand, dass beide Kfz-Insassen gemeinsam erheblich dem Alkohol zugesprochen haben, reicht in diesem Fall nicht zur Annahme einer Bewusstseinsstörung aus, wenn ungeklärt bleibt, ob die versicherte Person soviel getrunken hat, dass der für Beifahrer geltende Grenzwert für die Annahme einer absoluten Verkehrsuntüchtigkeit erreicht wurde.620 Umgekehrt ist – wie bei Kfz-Führern – für die Annahme einer Bewusstseinsstörung unerheblich, ob außen stehende Dritte vor dem Unfall des versicherten Mitfahrers äußere Anzeichen für eine Trunkenheit wahrgenommen haben oder nicht, bzw. der Mitfahrer auf die Zeugen einen vernünftigen und orientierten Eindruck gemacht hat.621 Ist der Beifahrer nicht absolut verkehrsuntüchtig, sondern steht nur eine (erhebliche) 108 Alkoholisierung fest, so geht es zu Lasten des beweispflichtigen VR, wenn er keine weiteren Umstände vortragen bzw. substantiiert darlegen und ggf. beweisen kann, die auf eine erhebliche Alkoholbeeinflussung der versicherten Person hindeuten.622 Entsprechendes gilt, wenn zwar ein auffälliges Verhalten der versicherten Person nachweisbar ist, dieses jedoch sowohl auf – alkoholbedingtem – gesteigertem Leichtsinn und/oder Großmannssucht als auch auf einem Ausschluss der Fähigkeit zu kritischer Entscheidung über die Fahrtüchtigkeit des Fahrers beruhen kann.623 Erforderlich sind konkrete Anhaltspunkte dafür, ob und inwieweit die versicherte Person in ihrer Fähigkeit zur kritischen Wahrnehmung und Entscheidung beeinträchtigt war. Der Eindruck von Zeugen, die versicherte
616 617 618 619 620
LG Saarbrücken 21.11.2005 ZfS 2006 279. BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 90 f. OLG Nürnberg 23.5.1967 VersR 1969 275, 276. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 185. OLG Hamm 11.11.1977 VersR 1980 1141, 1142.
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621 622 623
OLG München 11.11.1983 VersR 1984 261; LG Aachen 12.7.1967 VersR 1968 366, 367. OLG Frankfurt a.M. 5.2.1998 VersR 1999 1403, 1404. BGH 27.2.1985 VersR 1985 583, 584.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Person hätte deutlich unter Alkohol gestanden, reicht genauso wenig aus wie pauschale ärztliche Beurteilungen.624 bb) Unfälle außerhalb des Straßenverkehrs. Steht nicht fest, wo und wie es zu den 109 Verletzungen eines Fußgängers gekommen ist (ob sich z.B. der Unfall bei oder außerhalb der Teilnahme am Straßenverkehr ereignet hat) und welche Situation die versicherte Person konkret zu meistern hatte (kann z.B. selbst eine Verletzung durch eine dritte Person nicht ausgeschlossen werden), so reicht die Feststellung einer erheblichen Alkoholisierung nicht aus, um eine Bewusstseinsstörung annehmen zu können.625 Kann nicht mehr ermittelt werden, welche Menge alkoholischer Getränke die versicherte Person zu sich genommen hat, so geht dies ebenfalls zu Lasten des beweispflichtigen VR.626 Kommt es z.B. bei ungeklärter Trinkmenge und -zeit zum Sturz beim Aufschließen der Haustür, so lässt sich noch nicht allein deshalb auf eine Bewusstseinsstörung durch Verlust des Gleichgewichtssinns schließen, weil die versicherte Person Lokalrunden für andere bezahlt, beim Verlassen des Lokals geschwankt hat und in Schlangenlinien gegangen ist sowie langsamer und träger gesprochen hat als zuvor.627 Hat der VR eine Bewusstseinsstörung nachweisen können, so kann der Anspruchsteller das Eingreifen des Ausschlusstatbestandes nicht damit ausräumen, dass er vor dem Unfallereignis schwierige Situationen gemeistert hat. Hier gilt das zu Kfz-Führern Ausgeführte entsprechend. Der Begriff der Bewusstseinsstörung darf nicht mit rein manuellen, körperlichen bzw. physischen Fähigkeiten verwechselt werden.628 b) Beweis der Kausalität zwischen Bewusstseinsstörung und Unfall. Auf die Frage 110 der Ursächlichkeit zwischen der Alkoholisierung der versicherten Person und dem Unfallereignis kommt es erst an, wenn die Bewusstseinsstörung positiv festgestellt worden ist.629 Für den Kausalzusammenhang ist der VR beweispflichtig.630 Seine Beweisführung kann allerdings insbesondere bei Straßenverkehrsunfällen, aber auch bei sonstigen Unfallgeschehen durch die Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises erleichtert sein. Eine zur Unfallzeit noch steigende Blutalkoholkonzentration (Anflutungsphase) spricht mehr als eine bereits fallende Kurve für die Ursächlichkeit.631 aa) Anscheinsbeweis. Gelingt dem VR der Nachweis der alkoholbedingten Bewusst- 111 seinsstörung, kommen ihm Beweiserleichterungen zugute. Der Beweis des ersten Anscheins spricht nach ständiger Rechtsprechung für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Bewusstseinsstörung und dem Unfallgeschehen.632 Der Begriff „Vermu-
624 625 626 627 628 629 630 631
OLG Hamm 3.7.1996 VersR 1997 1344, 1345. OLG Oldenburg 14.7.1999 RuS 2000 303, 304. OLG Hamm 27.1.1984 VersR 1984 931, 932. BGH 10.10.1990 VersR 1990 1343, 1344 = RuS 1991 35 = VerBAV 1991 262, 264. OLG Köln 14.5.1958 VersR 1958 517. BGH 24.2.1988 VersR 1988 733, 734; OLG Schleswig 2.9.1993 VersR 1994 973. OLG Hamm 26.5.1971 VersR 1972 244, 245. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 16.
632
S. nur BGH 24.2.1988 VersR 1988 733, 734; BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006 f.; BGH 30.10.1985 VersR 1986 141; BGH 30.10.1985 VersR 1986 141, 142; BGH 10.2.1982 VersR 1982 463, 464; BGH 16.1.1976 BGHZ 66 88, 89; BGH 7.1.1972 VersR 1972 292; BGH 5.4.1962 VersR 1962 461, 462; BGH 8.7.1957 VersR 1957 509; BGH 24.10.1955 BGHZ 18 311, 318 f. = VerBAV 1956 12, 13 Nr. 130; a.A. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 206, dessen Kritik sich in der Praxis nicht durchsetzen konnte.
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Unfallversicherung
tung“ 633 sollte in diesem Zusammenhang vermieden werden.634 Es entspricht der Lebenserfahrung, dass bewusstseinsgestörte Personen infolge der Störung ihrer Wahrnehmungsund Abwehrfähigkeit z.B. aufgrund der Beeinträchtigung ihres Gleichgewichtsinns oder ihres gesteigerten Leichtsinns besonders gefährdet sind und in einer solchen Situation eintretende Unfälle typischerweise durch die Bewusstseinsstörung zumindest mit verursacht sind. So darf z.B. davon ausgegangen werden, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen alkoholabhängiger Fahrunsicherheit bzw. -tüchtigkeit des VN und dem Unfall besteht, wenn der Unfall sich in einer (normalen) Verkehrssituation ereignet hat, die ein nüchterner Fahrer bei Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit und Sorgfalt gemeistert hätte.635 I.E. beweisen damit dieselben Tatsachen, aus denen auf die Bewusstseinsstörung zu schließen ist, auch deren Ursächlichkeit für den Unfall.636 Es ist Sache des Anspruchstellers, bei fraglicher Kausalität den Anscheinsbeweis zu 112 entkräften.637 Dazu ist es einerseits nicht notwendig, dass der Anspruchsteller das Fehlen des Kausalzusammenhangs nachweist;638 denn der Beweis des ersten Anscheins bewirkt keine Umkehr der Beweislast. Andererseits genügt ein Pauschalbestreiten nicht. Ins Blaue aufgestellte Behauptungen oder hypothetische Überlegungen muss der VR nicht widerlegen.639 Der Gegner des beweisbelasteten VR muss vielmehr Umstände nachweisen, aus denen sich die ernsthafte („reale“, nahe liegende bzw. nicht fern liegende) Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt.640 Erforderlich ist der Vortrag konkreter Tatsachen, die die Annahme zulassen, dass der Unfall andere Ursachen als die einer Bewusstseinsstörung der versicherten Person hat,641 nämlich ein Nüchterner eine solche Gefahrenlage selbst dann nicht gemeistert hätte, wenn er das übliche Maß an Aufmerksamkeit und Sorgfalt aufgewandt hätte.642 Eine rein theoretische („denkgesetzliche“) Alternative entkräftet allerdings den Anscheinsbeweis nicht.643 Insbesondere genügt es nicht, dass der Unfallhergang sich in gleicher Weise hätte abspielen können, wenn der Verunglückte keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen hätte 644 oder die Unachtsam-
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So z.B. LG Düsseldorf 21.2.1986 RuS 1986 191. BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006. OLG Hamm 17.9.1973 VersR 1974 236, 237; Lang NZV 1990 169, 172; Rüther NZV 1994 457, 459. LG Mönchengladbach 6.11.1986 VersR 1988 266, 267; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 48. S. nur OLG Celle 17.5.1956 VersR 1956 401, 402; OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 667; OLG Frankfurt 14.4.1982 VersR 1983 481, 482; OLG Hamm 3.2.1993 RuS 1993 236, 237; LG Wuppertal 20.3.1996 RuS 1997 131. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 17. OLG Köln 22.2.1991 RuS 1993 78, 79; LG Saarbrücken 17.5.1976 VersR 1977 324 f. OLG Celle 11.2.1983 VersR 1983 1131; OLG Hamm 2.10.2002 RuS 2003 167, 168; OLG Schleswig 7.2.1991 VersR 1992 436,
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437; OLG Zweibrücken 12.11.1993 VersR 1994 974, 975. OLG Frankfurt a.M. 27.1.1983 VersR 1983 1130; OLG Karlsruhe 3.7.1980 VersR 1981 52. BGH 8.7.1957 VersR 1957 509, 510; OLG Saarbrücken 21.1.2009 VersR 2009 1109, 1111 = NJW-RR 2009 903, 905 f. OLG Frankfurt 14.4.1982 VersR 1983 481, 482; OLG Hamm 2.12.1991 RuS 1992 250, 251; OLG Hamm 26.5.1971 VersR 1972 244, 245; OLG Köln 20.9.2005 VersR 2006 255 = NJW-RR 2006 101, 102 = RuS 2006 252 = RuS 2006 429, 430; OLG Oldenburg 13.7.1994 RuS 1996 509, 510; LG Hamburg 3.11.1981 VersR 1982 802. OLG Celle 7.11.1957 VersR 1958 38, 39; OLG Koblenz 19.9.1974 VersR 1975 514, 515; OLG Stuttgart 11.2.1972 VersR 1972 826, 827; OLG Saarbrücken 5.4.2006 ZfS 2006 338, 339; OLG Stuttgart 29.10.1968 VersR 1969 73; LG Wuppertal 20.3.1996 RuS 1997 131.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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keit auch einem Nüchternen bzw. Verkehrstüchtigem hätte unterlaufen können.645 Solche Möglichkeiten bestehen in allen Fällen, in denen die beweisbelastete Partei den vollen Beweis für ihre Behauptung nicht erbringen kann und deshalb auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises zurückgreifen muss.646 Scheidet ein anderer als der vom VR behauptete Geschehensablauf nach der Sachlage aus, so handelt es sich in Wahrheit gar nicht mehr um einen Anscheinsbeweis. Vielmehr ist dann der – wenn nicht sogar denkgesetzlich zwingende – Beweis für den behaupteten Tatbestand (Ursachenzusammenhang zwischen Bewusstseinsstörung und Unfall) geführt.647 Ist jedoch unter mehreren in realistischer Weise in Betracht kommenden Unfallalternativen eine gegeben, für die die Fahrunsicherheit nicht kausal war, so ist der Anscheinsbeweis erschüttert;648 die versicherte Person braucht die übrigen Varianten nicht auszuschließen. Es obliegt dann dem VR, den Vollbeweis zu führen.649 Der Anscheinsbeweis greift von vornherein dann nicht ein, wenn außer dem Vor- 113 liegen der Bewusstseinsstörung und des Unfallereignisses überhaupt keine Kenntnisse dazu bestehen, wo und wie es zu den Verletzungen gekommen ist und welche Situation die versicherte Person meistern musste;650 denn dann ist es auch möglich, dass ein Nüchterner in gleicher Situation einen Unfall erlitten haben könnte.651 Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des VR, der für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlusses beweispflichtig ist. bb) Alkoholbedingte Unfälle im Straßenverkehr. Um den zugunsten des VR bestehen- 114 den Anscheinsbeweis zu entkräften, muss der Anspruchsteller Tatsachen darlegen und beweisen, die eine reale Möglichkeit dafür ergeben, dass die versicherte Person die Gefahrenlage (z.B. als Kfz-Führer oder als Radfahrer) bei Anwendung üblicher Aufmerksamkeit und Sorgfalt auch nüchtern (bzw. bei geringerer Alkoholisierung unterhalb der Bewusstseinsstörung) nicht oder nicht ohne weiteres gemeistert hätte.652 Für Mitfahrer gelten indes Besonderheiten. (1) Vergleich zwischen dem Verhalten der versicherten Person mit und ohne Bewusst- 115 seinsstörung. Der Vergleichsmaßstab dafür, ob das Unfallereignis auch ohne Bewusstseinsstörung eingetreten wäre, orientiert sich an dem Verhalten der versicherten Person mit einem niedrigeren (nicht zu einer Bewusstseinsstörung führenden) Blutalkoholwert
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OLG Bamberg 4.5.2006 NJW-RR 2006 1406, 1408 f.; OLG Celle 12.1.1977 VersR 1979 223; OLG Frankfurt 14.4.1988 RuS 1991 107, 108. BGH 30.10.1985 VersR 1986 141, 142; OLG Hamm 16.12.1994 VersR 1995 949, 950; OLG München 11.11.1983 VersR 1984 261; LG Mönchengladbach 6.11.1986 VersR 1988 266, 267; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 16; Lang NZV 1990 169, 172. BGH 8.7.1957 VersR 1957 509, 510; OLG Hamm 26.5.1971 VersR 1972 244, 245. Lang NZV 1990 169, 172. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 17.
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OLG Oldenburg 14.7.1999 VersR 2000 1231; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 90. OLG Karlsruhe 9.7.1999 VersR 2000 446, 447 = RuS 2000 438; OLG Karlsruhe 20.11.1986 NJW-RR 1987 803, 804. BGH 21.1.1987 VersR 1987 1006, 1007; OLG Braunschweig 12.3.1997 VersR 1997 1343, 1344; OLG Celle 11.2.1983 VersR 1983 1131; OLG Hamm 2.12.1991 RuS 1992 250, 251; OLG Oldenburg 13.7.1994 RuS 1996 509, 510; auch OGH 25.1.2006 VersR 2007 1107 f.
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und nicht etwa an dem Verhalten eines durchschnittlich sorgfältig handelnden Dritten 653 oder gar eines beliebigen Dritten. Um dahingehenden Vortrag zu untermauern bzw. zu würdigen, die versicherte Person hätte den Unfall auch ohne Bewusstseinsstörung erlitten, ist allerdings die Kontrollfrage geboten, wie sich ein durchschnittlich sorgfältig handelnder Dritter in der gleichen Situation, die die versicherte Person konkret zu bewältigen hatte, verhalten hätte; denn zum einen kommt es anders als bei der Feststellung der relativen Fahrunsicherheit und der damit zusammenhängenden Bewusstseinsstörung bei der Entkräftung des Anscheinsbeweises für einen Kausalzusammenhang zwischen Bewusstseinsstörung und Unfall nicht nur auf die Individualität der versicherten Person, sondern auch darauf an, ob Grundsätze der allgemeinen Lebenserfahrung ernsthaft in Zweifel gezogen werden können. Zum anderen fällt der Schluss auf eine zu bejahende bzw. verneinende Kausalität umso leichter, je näher der konkrete Ablauf der typischen Norm für alkoholbedingtes bzw. nüchternes Verhalten entspricht. Will der Anspruchsteller aufgrund der in der versicherten Person liegenden Besonderheiten von allgemeinen Erfahrungssätzen abweichen, so bedarf dies der besonderen Begründung und ggf. weiterer Nachweise. Steht dagegen ausreichend sicher fest, dass die versicherte Person – gedacht als „Durchschnittsmensch“ – den Unfall auch ohne Bewusstseinsstörung erlitten hätte, so muss der VR darlegen und beweisen, dass die individuellen Besonderheiten der versicherten Person eine abweichende Beurteilung rechtfertigen.
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(2) Führer von Kraftfahrzeugen. Stehen alkoholbedingte Fahrfehler fest, so kann regelmäßig die Behauptung folgender Umstände die versicherte Person nicht entlasten bzw. die Annahme eines Unfalls infolge alkoholbedingter Fahrtüchtigkeit nicht beseitigen: • Bewältigung von schwierigen Verkehrssituationen vor dem Unfallereignis. Hat die versicherte Person vor dem Unfall eine normale Verhaltensweise gezeigt bzw. eine u.U. schwierige Verkehrssituation ohne Auffälligkeiten gemeistert, so ist der Anschein des Kausalzusammenhangs zwischen alkoholbedingter Bewusstseinsstörung und dem Unfall noch nicht ausgeräumt.654 Dies gilt auch dann, wenn die vorhergehende Situation vergleichbar mit dem eigentlichen Unfallgeschehen oder sogar noch schwieriger zu lösen war.655 Entscheidend ist allein, wie sich das Verhalten der versicherten Person bei dem zum Unfall führenden Ereignis darstellt. Unerheblich ist z.B., dass der Fahrer vor dem Unfall eine schwierige Kurvenstrecke durchfahren hat und erst anschließend eine einfache Kurvenstrecke nicht meistert; denn es entspricht einer Erfahrungstatsache, dass ein unter Alkoholeinfluss stehender Fahrer gerade dann zu relativ banalen Fahrfehlern neigt, wenn äußere schwierigere Reize fehlen und es deshalb zu einem Nachlassen der Konzentration kommt.656 • Einschlafen am Steuer. Die Behauptung, die versicherte Person sei möglicherweise infolge der nächtlichen Uhrzeit am Steuer „eingenickt“ entkräftet den Anscheinsbeweis nicht; denn das kurzzeitige Einschlafen am Steuer mit Kontrollverlust ist eine typische Folgeerscheinung übermäßigen Alkoholgenusses.657 • Fehlverhalten Dritter. Unvernünftiges Verhalten oder (Mit-)Verschulden anderer am Unfall beteiligter Personen beseitigt den Anscheinsbeweis nur selten.658 Entsprechendes gilt für eine (ver-
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654 655
So aber offenbar z.B. OLG Bamberg 4.5.2006 NJW-RR 2006 1406, 1409; LG Zweibrücken 20.11.1975 VersR 1976 462. OLG Koblenz 22.6.2001 VersR 2002 43; OLG München 4.7.1980 VersR 1981 373. OLG Koblenz 1.12.2000 VersR 2002 181 (LS).
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656
657 658
OLG Koblenz 13.7.2001 VersR 2001 1372, 1373; OLG München 4.7.1980 VersR 1981 373, 374; LG Kiel 27.8.1986 RuS 1987 357. OLG Saarbrücken 21.1.2009 VersR 2009 1109, 1111 = NJW-RR 2009 903, 906. Rüther NZV 1994 457, 459; ferner Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 16.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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meintliche) Behinderung durch andere Verkehrsteilnehmer.659 Keine Rolle spielt es z.B., dass bei einem Straßenverkehrsunfall der andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls alkoholisiert war,660 ein mangelhaft beleuchtetes Kfz führte,661 die Vorfahrt der versicherten Person missachtete,662 sein Fahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr 663 oder mit seinem Fahrzeug (teilweise) auf die Fahrbahn der versicherten Person gekommen ist,664 wenn nur die versicherte Person ohne ihre Bewusstseinsstörung den Unfall hätte vermeiden können. Zu berücksichtigen ist dabei, dass bereits Mitursächlichkeit der Bewusstseinsstörung der versicherten Person zur Begründung des Ursachenzusammenhangs mit dem Unfall ausreicht. Schlechte Fahrbahnverhältnisse. Rutschige 665 oder nasse Fahrbahnen, Fahrbahnverschmutzungen, Schneematsch usw. sind allein nicht geeignet, den Anscheinsbeweis für den Kausalzusammenhang zwischen der Bewusstseinsstörung und dem Unfall zu entkräften.666 Entscheidend ist substantiierter Vortrag des Anspruchstellers dazu, in welcher Weise die Fahrbahnverhältnisse unter Anwendung der üblichen Aufmerksamkeit und Sorgfalt auch auf einen nüchternen Verkehrsteilnehmer Einfluss gehabt hätten.667 Schlechte Sichtverhältnisse zum Unfallzeitpunkt. Der Anscheinsbeweis wird nicht schon dadurch entkräftet, dass es zum Unfallzeitpunkt dunkel und neblig war, wenn davon auszugehen ist, dass ein nüchterner Autofahrer sich auf die schlechten Sicht- und Witterungsverhältnisse ohne weiteres eingestellt hätte.668 Entsprechendes gilt für blendendes Scheinwerferlicht von entgegenkommenden Fahrzeugen oder schlechte Erkennbarkeit eines Hindernisses.669 Schlechte Witterungsverhältnisse. Es gilt das zu den Fahrbahn- und Sichtverhältnissen Gesagte entsprechend. Der Vortrag, dass zum Unfallzeitpunkt z.B. Schneeregen oder Sturm mit Böen herrschten, reicht allein nicht aus, den für den VR streitenden Anscheinsbeweis auszuräumen.670 Trunkenheit nicht erkennbar. Ist die Trunkenheit des Fahrers für Zeugen nicht erkennbar, so wird allein dadurch der Anscheinsbeweis nicht entkräftet.671 Gerade alkoholerfahrene Menschen können bei üblichen oder jedenfalls nicht ungewöhnlichen Tätigkeiten noch einen nüchternen oder geordneten Eindruck vermitteln. Unfallereignis auch ohne Bewusstseinsstörung. Der Einwand, der Unfall hätte sich auch ohne Bewusstseinsstörung ereignet, wird nur selten durchgreifen, da bereits Mitursächlichkeit der Bewusstseinsstörung ausreicht. So ist der Anscheinsbeweis für eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung nicht entkräftet, wenn es ohne eine alkoholbedingte Reaktionsverzögerung der versicherten Person nicht zu einem so schweren – wie tatsächlich eingetretenen – Unfall gekommen wäre.672 Gleiches gilt, wenn sich die versicherte Person durch eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung in eine lebensbedrohliche Situation gebracht hat, in der sie einen Unfall erleidet, den u.U. auch ein Nüchterner nicht hätte vermeiden können.673 Unfallhäufung am Unfallort. Der Anscheinsbeweis ist nicht schon durch den Nachweis dafür erschüttert, dass die Unfallstelle allgemein gefährlich sei, weil sich dort schon mehrere Unfälle
659 660 661 662 663 664 665
666 667
LG Stuttgart 11.3.1983 VersR 1983 1153. OLG Köln 26.1.1995 RuS 1995 355, 356. OLG Celle 11.2.1983 VersR 1983 1131. OLG Zweibrücken 12.11.1993 VersR 1994 974, 975. OLG Braunschweig 12.3.1997 VersR 1997 1343, 1344. LG Weiden 15.7.1993 RuS 1995 39. OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 667; OLG Frankfurt/M. 14.4.1988 RuS 1991 107. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 16. OLG Celle 12.1.1977 VersR 1979 223;
668 669 670 671 672 673
OLG Hamm 17.9.1973 VersR 1974 236, 237; LG Mönchengladbach 6.11.1986 VersR 1988 266. OLG Koblenz 13.7.2001 VersR 2001 1372, 1373. OLG Koblenz 1.12.2000 VersR 2002 181 (LS). OLG Celle 12.1.1977 VersR 1979 223. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 16; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 16. OLG Hamm 16.12.1994 VersR 1995 949, 950. OLG Saarbrücken 21.1.2009 VersR 2009 1109, 1111 = NJW-RR 2009 903, 906.
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Unfallversicherung
ereignet hätten.674 Erforderlich ist vielmehr der Nachweis konkreter Tatsachen, aus denen sich die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass auch ein nüchterner Fahrer die Situation am Unfallort nicht gemeistert hätte.675 • Unerwartetes Ereignis. Die Behauptung der versicherten Person, der Unfall sei Folge eines unerwartet aufgetauchten Hindernisses (z.B. Wildwechsel) ist so lange unerheblich, als nicht substantiiert vorgetragen werden kann, dass ein Vermeiden des Unfalls (z.B. durch rechtzeitiges Ausweichen) auch einem nüchternen Fahrer bei Aufwendung des üblichen Maßes an Aufmerksamkeit und Sorgfalt nicht gelungen wäre.676
117
(3) Radfahrer. Für Radfahrer gilt im Wesentlichen das für Kfz-Führer Ausgeführte entsprechend. Der Beweis des ersten Anscheins spricht für einen Kausalzusammenhang zwischen Fahrunsicherheit und Unfall, sofern der Unfall dem Radfahrer bei einer Verkehrslage unter Umständen zustößt, die ein nüchterner Radfahrer hätte meistern können.677 Der für den VR streitende Anscheinsbeweis kann durch den Anspruchsteller u.U. z.B. damit entkräftet werden, dass der Unfall auf ein plötzlich und unerwartet auftauchendes Fahrbahnhindernis zurückzuführen ist (z.B. Loch in der Straßendecke, auf der Fahrbahn liegender Gegenstand). Nicht ausreichend ist dagegen der Sturz des Radfahrers aufgrund eines Gullydeckels, der nicht exakt ebenerdig mit der Fahrbahn abschließt. Dies ist keine bauliche Besonderheit, sofern der Gullydeckel im Verhältnis zu den üblicherweise verlegten Gullydeckeln nicht besonders tief in die Fahrbahndecke eingelassen ist oder besonders hoch aus ihr hervorragt.678
118
(4) Fußgänger. Steht eine Bewusstseinsstörung des Fußgängers fest, so spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass sie mitursächlich für den Unfall war.679 Nach der Lebenserfahrung sind Betrunkene infolge alkoholbedingter Störungen der Wahrnehmungs- und Abwehrfunktionen sowie des Gleichgewichtssinns oder aufgrund einer alkoholbedingten Steigerung eigenen Leichtsinns besonders gefährdet. Stößt einem unter erheblicher Alkoholeinwirkung stehenden Fußgänger ein Unfall zu, so entspricht es dem typischen Geschehensablauf, dass der Unfall auf Trunkenheit zurückzuführen ist; denn alkoholisierte Personen sind oftmals unachtsam und verkennen deshalb Gefahrensituationen, während sich nüchterne Personen vorsichtig und aufmerksam bewegen.680 Der Anscheinsbeweis für eine Kausalität zwischen Bewusstseinsstörung und Unfall des Fußgängers ist nicht widerlegt, wenn sich der Fußgänger bei Eintritt des Unfalls sowohl am linken Fahrbahnrand als auch 2 m davon entfernt auf der Fahrbahn aufgehalten haben kann.681 Des Weiteren wird die Kausalität häufig nicht dadurch beseitigt, dass andere Ursachen wie z.B. eigene Unachtsamkeit, Müdigkeit der versicherten Person oder ein Fehlverhalten des Unfallgegners bzw. Dritter (z.B. überhöhte Geschwindigkeit 682 oder eine leichtsinnige bzw. „rasante“ Fahrweise des Kfz-Führers) 683 mitgewirkt haben; denn
674
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676 677 678 679
OLG Koblenz 1.12.2000 VersR 2002 181 (LS); OLG München 13.11.1986 VersR 1988 265, 266. OLG Hamburg 26.3.1997 RuS 1999 88; OLG München 13.11.1986 VersR 1988 265, 266. OLG Koblenz 21.3.1991 RuS 1992 34; Rüther NZV 1994 457, 459. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 22. LG Wuppertal 20.3.1996 RuS 1997 131. OLG Stuttgart 29.10.1968 VersR 1969 73.
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680
681 682 683
S. nur OLG Hamm 20.7.1984 VersR 1985 257, 258; OLG Hamm 9.3.1977 VersR 1977 762, 763; OLG Koblenz 19.9.1974 VersR 1975 514, 515; OLG Stuttgart 11.2.1972 VersR 1972 826, 827. OLG Oldenburg 13.7.1994 RuS 1996 509, 510. LG Saarbrücken 17.5.1976 VersR 1977 324. LG Hamburg 11.6.1969 VersR 1970 417, 418; ferner LG Braunschweig 31.1.1968 VersR 1969 55.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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Mitursächlichkeit der Bewusstseinsstörung der versicherten Person reicht aus.684 Insofern gilt das zu den Kfz-Führern Ausgeführte entsprechend. Läuft z.B. die versicherte Person in ein Motorrad hinein, das 70 km/h statt erlaubter 50 km/h fährt, so darf davon ausgegangen werden, dass ein nüchterner Fußgänger den Unfall trotz des verkehrswidrigen Verhaltens des Motorradfahrers durch Stehenbleiben oder Zurückgehen vermieden hätte.685 (5) Beifahrer bzw. Insasse. Für den VR gestaltet sich der Kausalitätsbeweis schwierig, 119 wenn es um die Beurteilung von Unfällen von Beifahrern bzw. Insassen eines Kfz mit fahruntüchtigen Fahrern geht.686 Der VR muss zwei Hürden nehmen: Zum einen ist zu beweisen, dass die versicherte Person die Fahrunsicherheit des Kfz-Führers definitiv erkannte bzw. nur deshalb nicht kannte, weil für sie eine Bewusstseinsstörung bestand. Zum anderen sind Feststellungen dazu zu treffen, dass die versicherte Person in jedem Zustand außerhalb der Bewusstseinsstörung die Mitfahrt unterlassen hätte. Grundvoraussetzung für den Beweis der Kausalität ist, dass überhaupt genügend Indi- 120 zien vorliegen, die in ihrer Gesamtheit darauf schließen lassen, dass die versicherte Person positive Kenntnis von der Fahrunsicherheit des Kfz-Führers hatte oder die versicherte Person die Fahrunsicherheit des Kfz-Führers erkannt hätte, wenn sie nicht selbst im Zustand einer Bewusstseinsstörung gewesen wäre. Für eine erfolgreiche Beweisführung benötigt der VR Feststellungen dazu, dass dem Fahrer seine Fahrunsicherheit bei Fahrtantritt unübersehbar anzumerken war. Folgende Umstände können Bedeutung erlangen: • Erkennbarkeit des Alkoholkonsums durch den Fahrer: Es reicht nicht aus, dass die Fahrunsicherheit des Kfz-Führers aufgrund der Ermittlung einer bestimmten Blutalkoholkonzentration feststeht;687 denn es entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass sogar sehr starke Trunkenheit nicht immer für jeden erkennbar sein muss und bei absoluter Fahrunsicherheit – z.B. bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 bis 1,5 ‰,688 aber auch von 2 bis 2,2 ‰689 – nicht stets so deutliche Ausfallerscheinungen vorliegen müssen, dass ein nüchterner oder unbefangener Beobachter daran die Fahrunsicherheit erkennen müsste.690 • Ort des Zusammentreffens von Fahrer und Mitfahrer: Für die Beweisführung des VR reicht es des Weiteren nicht aus, wenn sich der Fahrer und die versicherte Person an einem Ort (zufällig oder erstmals) getroffen haben, an dem üblicherweise Alkohol konsumiert wird (Fest, Lokal, Bar, Diskothek usw.).691 Gleiches gilt, wenn zwar Fahrer und Mitfahrer die Lokalität gemeinsam aufgesucht oder sich dort eine kurze Zeit gemeinsam aufgehalten haben, sich dann aber getrennt und erst zum Fahrbeginn wieder getroffen haben.692 Daraus lässt sich noch kein Anhaltspunkt ableiten, dass die versicherte Person eine Fahrunsicherheit des Fahrers annehmen musste; denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass Fest-, Bar- oder Diskothekenbesucher usw. Alkohol zu sich nehmen und sich in den Zustand der Fahrunsicherheit versetzen.693 • Kenntnisse zum Alkoholkonsum des Fahrers: Rückschlüsse auf die Fahrunsicherheit des Fahrers können sich dagegen ergeben, wenn dem Mitfahrer der Alkoholkonsum des Kfz-Führers und ggf.
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OLG Hamm 28.9.1967 VersR 1968 86, 87; OLG Stuttgart 11.2.1972 VersR 1972 826, 827. OLG Hamm 14.6.1989 VersR 1990 514, 515. Pürckhauer VersR 1967 542, 543; Steffani VersR 1967 18. BGH 25.3.1992 VersR 1992 730. OLG Frankfurt 24.6.1980 VersR 1981 52, 53. OLG Hamm 11.11.1970 VersR 1971 562.
690 691 692 693
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 12. BGH 25.3.1992 VersR 1992 730; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 19. OLG Frankfurt a.M. 5.2.1998 VersR 1999 1403, 1404. OLG Karlsruhe 3.4.1997 VersR 1998 836; a.A. offenbar OLG Frankfurt a.M. 24.6.1980 VersR 1981 52, 53; LG BadenBaden 27.2.1976 VersR 1976 982.
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das konkrete Ausmaß bis zum Fahrtantritt bekannt ist,694 z.B. weil beide gemeinsam die Lokalität aufgesucht und sich dort auch gemeinsam aufgehalten haben sowie der Mitfahrer den Alkoholkonsum des Fahrers beobachtet hat695 oder weil der versicherten Person das Trinkverhalten des Kfz-Führers aus anderen Gründen bekannt war. Hierzu ist ein konkreter Tatsachenvortrag durch den VR erforderlich, der darauf schließen lässt, dass dem versicherten Mitfahrer die Trunkenheit des Fahrers erkennbar war. Der allgemeine Hinweis auf eine gemeinsame Zechtour von Fahrer und Mitfahrer durch mehrere Bistros reicht nicht aus.696 Auch ist zu berücksichtigen, dass den Beifahrer keine Pflicht trifft, den Alkoholkonsum des Fahrers genau zu registrieren.697 • Ausfallerscheinungen des Fahrers: Entscheidend kann sein, ob der VR beweisen kann, dass der Kfz-Führer alkoholbedingte Ausfallerscheinungen (Trunkenheitsmerkmale) hatte, die dem Mitfahrer aufgefallen sein mussten.698 Dies können z.B. Auffälligkeiten in der Sprechweise oder ein schwankender Gang sein. Bloßer Alkoholgeruch des Kfz-Fahrers reicht dagegen noch nicht aus, weil eine solche Erscheinung bereits bei einem geringen Alkoholkonsum auftritt und im Übrigen auch für einen alkoholisierten, aber noch nicht alkoholbedingt bewusstseinsgestörten Mitfahrer nicht wahrnehmbar sein muss.699 • Fahrfehler des Fahrers: Aus einem möglichen Fahrfehler des Fahrers, der unmittelbar zum Unfallgeschehen geführt hat, kann nicht der Schluss gezogen werden, das diesem Fahrfehler vorangegangene Fahrverhalten habe die alkoholbedingte Fahrunsicherheit des Fahrers bereits erkennen lassen. Notwendig sind vielmehr Feststellungen dazu, dass die Fahrunsicherheit des Fahrers vor bzw. bei Fahrtantritt erkennbar war.700 Ausreichend ist es auch, wenn in der Kausalkette vor dem zum Unfall führenden Ereignis dem Beifahrer die Fahrunsicherheit aufgefallen war, weil dieser etwa unsicher, waghalsig oder grob verkehrswidrig fuhr. Erforderlich ist dann aber, dass die versicherte Person vor dem Unfallereignis überhaupt noch die Gelegenheit hatte, das Fahrzeug gefahrlos zu verlassen (z.B. weil ein Zwischenstopp eingelegt wurde), diese Möglichkeit jedoch nicht nutzte.
121
Nach der (neueren) Rechtsprechung genügt es zur Begründung des notwendigen Kausalzusammenhangs nicht, dass sich der verletzte oder getötete Beifahrer in nüchternem Zustand nicht in die Gefahr begeben hätte, von einem fahruntüchtigen Fahrer mitgenommen zu werden. Vielmehr muss ausgeschlossen werden, dass der Beifahrer dieses Risiko auch in einem unterhalb der Schwelle zur Bewusstseinsstörung liegenden Trunkenheitszustand nicht auf sich genommen hätte. Ein dahingehender Nachweis lässt sich für den VR praktisch kaum führen. Insbesondere kommt dem VR kein Anscheinsbeweis zugute. Aus dem Umstand, dass der bewusstseinsgestörte Mitfahrer bei einem alkoholisierten Kfz-Führer mitgefahren ist, lässt sich nicht auf die Ursächlichkeit der Bewusstseinsstörung für den Unfall schließen.701 Es handelt sich um keinen typischen Geschehensablauf. Es gibt auch keinen Lebenserfahrungssatz, dass ein Mitfahrer sich nur wegen eigener, alkoholbedingter Bewusstseinsstörung einem fahruntüchtigen Kraftfahrer anvertraut. Die möglichen Fallgestaltungen sind zu zahlreich und verschieden. Zum einen kann die Fahrunsicherheit des Fahrers unterschiedlich stark nach außen in Erscheinung treten. Zum anderen kommt es durchaus häufiger vor, dass auch nüchterne oder angetrunkene, aber noch nicht bewusstseinsgestörte Mitfahrer nicht von einer Fahrt bei einem
694
695 696 697
BGH 25.3.1992 VersR 1992 730; OLG Karlsruhe 3.4.1997 VersR 1998 836; ferner LG Bonn 9.6.1972 VersR 1973 125 (LS). OLG Hamm 11.11.1970 VersR 1971 562; Steffani VersR 1967 18. OLG Frankfurt a.M. 5.2.1998 VersR 1999 1403, 1404. LG Aachen 28.6.1978 MDR 1979 60.
854
698
699 700 701
OLG Hamm 11.2.1987 RuS 1987 207; OLG Hamm 11.11.1970 VersR 1971 562; LG Baden-Baden 27.2.1976 VersR 1976 982. OLG Karlsruhe 3.4.1997 VersR 1998 836; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 19. OLG Hamm 15.1.1999 RuS 1999 297. Offen lassend LG Baden-Baden 27.2.1976 VersR 1976 982.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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fahrunsichereren Fahrer Abstand nehmen (z.B. aus Leichsinn, aufgrund erhöhter Risikobereitschaft, wegen jugendlicher Unbekümmertheit oder weil die zu bewältigende Strecke kurz oder kaum befahren ist).702 Dem VR bleibt nur die Möglichkeit, Anhaltspunkte dafür vorzutragen und zu beweisen, dass die Fahrunsicherheit des Kfz-Führers sich der versicherten Person in so starkem Maße aufdrängen musste, dass ihre Entscheidung, sich dem Fahrer anzuvertrauen, schlechthin unverständlich und nur noch mit alkoholbedingter völliger Desorientierung zu erklären ist.703 cc) Alkoholbedingte Unfälle außerhalb des Straßenverkehrs. Rauchvergiftung. Der 122 Anscheinsbeweis für den Kausalzusammenhang zwischen einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung und den Tod durch Rauchvergiftung bei einem Wohnungsbrand ist entkräftet, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die versicherte Person die Gesundheitsschädigung bei dem Versuch erlitten hat, Wertsachen (Geld und Papiere) zu bergen. Es ist keine Seltenheit, dass die von einem Brand Betroffenen auch in nüchternem Zustand versuchen, selbst aus bereits stark verqualmten Räumen noch Wertsachen zu retten, weil sie die Gefahr einer Rauchvergiftung übersehen oder erheblich unterschätzt haben.704 Stürze. Steht eine erhebliche Alkoholisierung der versicherten Person (um die 2,0 ‰ 123 Blutalkoholkonzentration) fest und kommt es zu einem tödlichen Treppensturz, so liegt der prima-facie-Beweis der Mitursächlichkeit der alkoholbedingten Bewusstseinsstörung für den Sturz vor; denn tödliche Treppenstürze ohne erheblichen Alkoholeinfluss bilden eine große Ausnahme.705 Gleiches gilt für unerklärliche Fensterstürze.706 Vielmehr sind nach der Lebenserfahrung Betrunkene infolge der Störung ihrer Wahrnehmungs- und Abwehrfähigkeit und insbesondere ihres Gleichgewichtsinns besonders stark der Gefahr ausgesetzt, an unebenen Stellen, vor Bodenvertiefungen oder beim Begehen einer Treppe zu stürzen, wogegen sich nüchterne Personen in derselben Lage (insbesondere dann, wenn ihnen das Gelände vertraut ist), im allgemeinen mit der nötigen Vorsicht und Sicherheit bewegen und deshalb ohne Körperschäden davonkommen. Den Anscheinsbeweis kann der Anspruchsteller u.U. entkräften, indem er vorträgt und beweist, dass der Treppensturz sich auch völlig ohne Alkoholeinfluss hätte ereignen können, etwa weil die Eigenschaft der Treppe bzw. des Unfallorts besondere Gefahrenmomente begründet (steile, gewundene Treppe mit unregelmäßigen oder unebenen Trittstufen, schlechte Beleuchtung, schlechte Ortskenntnisse der versicherten Person usw.). Der Umstand, dass der Verunglückte eine lange Zeit vor dem Sturz ohne Schlaf und ohne ausreichende Mahlzeit unterwegs war, kann den auf erste Sicht anzunehmenden Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und der Trunkenheit der versicherten Person allerdings nicht ernstlich in Frage stellen.707 Der Anscheinsbeweis greift dagegen dann nicht ein, wenn eine alkoholgewöhnte Person auf dem vertrauten nächtlichen Heimweg mit einem Blutalkoholgehalt von ca. 2 ‰ in einen Straßengraben stürzt und nichts dazu bekannt ist, wie es zu dem Sturz der versicherten Person gekommen ist. Abhängig von den hier nicht bekannten Umständen kommt es in Betracht, dass ein alkoholunabhängiges Versehen zum Sturz geführt hat.708 Entsprechendes gilt, wenn die versicherte Person mit schweren
702 703 704 705
OLG Hamm 11.11.1970 VersR 1971 562, 563. OLG Hamm 11.2.1987 RuS 1987 207. OLG Hamm 5.11.1980 VersR 1981 330. OLG Celle 17.5.1956 VersR 1956 401, 402; OLG Hamm 26.5.1971 VersR 1972 244, 245.
706 707
708
OLG Celle 12.3.2009 VersR 2009 1215, 1217. BGH 8.7.1957 VersR 1957 509, 510; a.A. die Vorinstanz OLG Celle 17.5.1956 VersR 1956 401, 402 f. OLG Karlsruhe 9.7.1999 VersR 2000 446, 447 = RuS 2000 438; OLG Karlsruhe 20.11.1986 NJW-RR 1987 803, 804.
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Unfallversicherung
Kopfverletzungen neben einer Bahnstrecke tot aufgefunden wird und zum Geschehen lediglich ein Blutalkoholgehalt von 2 ‰ bekannt ist.709
124
c) Zeitpunkt des Vortrags. Es liegt keine Treuwidrigkeit des VR nach § 242 vor, wenn er in Unkenntnis des zur Leistungspflicht führenden Blutalkoholgehalts seine Leistungspflicht (mittels eines Zeugnisses gegen sich selbst) anerkannt hatte und sich erst im Laufe des Rechtsstreits zur Anspruchshöhe auf diesen Ausschlusstatbestand beruft, nachdem er erfahren hatte, dass eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,8 ‰ vorlag.710
125
d) Beweismittel. Zur Ermittlung, ob und in welchem Umfang die versicherte Person alkoholisiert ist, kommt die Bestimmung der Blutalkoholkonzentration entweder nach Blutentnahme durch medizinisch-chemische Analysen oder durch Errechnung unter Berücksichtigung der getrunkenen Alkoholmengen, aber auch die Feststellung der Atemalkoholkonzentration in Betracht.
126
aa) Bestimmung der Blutalkoholkonzentration nach Blutentnahme. Bei der ordnungsgemäß ermittelten Blutalkoholbestimmung handelt es sich nach allgemeiner Meinung um ein vollwertiges wissenschaftliches Beweismittel. Sie reicht allein für den Nachweis des Trunkenheitszustandes aus. Die Beweislast des VR würde überspannt, wenn er neben dem Blutalkoholbestimmungsergebnis noch durch Zeugen oder sonstige Beweismittel den Alkoholkonsum im Einzelnen nachweisen müsste.711 Zur Bestimmung der Blutalkoholwerte hat der VR zwei wichtige Erkenntnisquellen, nämlich die amtliche Ermittlungsakte 712 und die Krankenakte des behandelnden Krankenhauses. Insbesondere kann das ärztliche Protokoll der Blutentnahme auch wichtige Anhaltspunkte für Ausfallerscheinungen geben.
127
(1) Ermittlungsmethoden. „BAK-Werte“ beziehen sich üblicherweise auf Vollblut, d.h., sie werden in Milligramm Alkohol pro Gramm Vollblut (‰) angegeben. Liegt eine Angabe in Gramm Alkohol pro Liter Blutserum (g/I) vor, muss eine Umrechnung vorgenommen werden, bei der das Ergebnis der Serummessung durch den Divisor 1,2 (der dem Quotienten der Wassergehalte von Serum – 91 % – und Blut – 76 % – entspricht) geteilt wird.713 Die Blutalkoholkonzentration ist nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich 128 gemäß dem Gutachten des Bundesgesundheitsamtes „Alkohol bei Verkehrsstraftaten“ aus dem Jahr 1966 zu ermitteln.714 Danach soll zur Blutentnahme – regelmäßig aus der Ellenbeugenvene – eine Venüle verwendet werden, die unverwechselbar beschriftet werden muss. Die Einstichstelle darf nicht mit alkoholischen Lösungen desinfiziert werden.715 Die Blutprobe ist mehreren Kontrolluntersuchungen zu unterziehen, und zwar innerhalb jeweils zwei verschiedener Verfahren.716
709 710 711 712
OLG Oldenburg 14.7.1999 VersR 2000 1231 (LS). OLG Celle 4.4.1996 VersR 1997 98, 99. S. bereits OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 666. Zu dem strafprozessualen Rahmen eingehend etwa Hentschel/Born Rn. 7 ff.
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713 714
715 716
BGH 25.9.2002 NZV 2002 559 f. BGH 15.6.1988 VersR 1988 950; ferner etwa OLG Hamm 16.12.1994 VersR 1995 949, 950; eingehend Hentschel/Born Rn. 51a ff. Sachs NJW 1987 2915. OLG Nürnberg 21.6.1993 VersR 1994 167.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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• Entweder sind 5 Einzelanalysen, nämlich 3 Proben nach dem Verfahren von Widmark und 2 Proben nach der ADH-Methode, oder 4 Einzelanalysen, nämlich (anstelle der 3 Untersuchungen nach dem Widmark-Verfahren) 2 gaschromatographische Verfahren und 2 Proben nach dem ADH-Verfahren, durchzuführen.717 Dies dient dem Zweck, mittels wechselseitiger Kontrolle der gewonnenen Messergebnisse eine möglichst weitgehende Annäherung des Messergebnisses an den wahren BAK-Wert zu erreichen. Um Fehlermöglichkeiten in ihren Auswirkungen auszugleichen, kann bei Blutalkoholuntersuchungen für gerichtliche Zwecke grundsätzlich – jedenfalls beim jetzigen Erkenntnisstand und ohne genaue statistische Auswertungen – nicht auf zwei verschiedene Untersuchungsverfahren verzichtet werden; denn bei Messungen im Bereich der Naturwissenschaft ist absolute Genauigkeit, d.h. völlige Übereinstimmung des Messergebnisses mit der wirklich gegebenen Größe, selbst unter günstigsten Voraussetzungen nicht erreichbar. • Als zusätzliche Kontrolle ist aus den Ergebnissen der Einzelanalysen ein Mittelwert zu ziehen. Die Blutalkoholanalyse ist nur dann verwertbar, wenn die Differenz zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Einzelwert nicht mehr als 10 % des Mittelwertes, bei einem Mittelwert von unter 1 ‰ nicht mehr als 0,1 ‰ beträgt.718 • Ein Verzicht auf eine ausreichende Zahl von Einzelanalysen, die nach unterschiedlichen Methoden durchgeführt werden, kommt nicht in Betracht; denn es kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass die an sich gebotenen weiteren Einzelanalysen dann, wenn sie vorgenommen worden wären, sich im Rahmen der zulässigen Streubreite gehalten hätten. Ebenso wenig lässt sich von vornherein ausschließen, dass in dem Fall, in dem zu wenige Einzelanalysen durchgeführt wurden, die wirklich durchgeführten Einzelanalysen fehlerhaft gewesen sein könnten.719
129
Bei der Blutentnahme von Leichen sind Besonderheiten zu beachten. • Das Blut ist grundsätzlich aus einer durch Einschnitt freizulegenden Oberschenkelvene zu entnehmen,720 und zwar möglichst weit ab von Magen und Darm. Dahingehende Regelungen, die auch im Unfallversicherungsrecht zu beachten sind, finden sich sowohl in Nr. 9c des von den Bundesländern 1977 vereinbarten „Gemeinsamen Erlasses über die Feststellung von Alkohol im Blut bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten“ 721 als auch in Ziff. 3.5.1 der von den Bundesländern später vereinbarten „Richtlinien über die Feststellung von Alkohol-, Medikamenten- und Drogeneinfluss bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie für die Sicherstellung und Beschlagnahme von Fahrausweisen (RiBA)“, die seit 1995 von den Bundesländern als entsprechende Erlasse umgesetzt worden sind.722 Der Zweck dieser Vorgaben besteht darin, eine Verunreinigung der Blutprobe, etwa durch Trinkalkohol aus dem Magen oder Fäulniserscheinungen aus dem Darm auszuschließen.723 Fraglich ist, ob statt einer Entnahme von Blut aus dem Oberschenkel der Leiche auch an anderer Stelle (z.B. aus der Schlüsselbeinblutvene, der sog. vena subclavia, oder dem Herzen) entnommene Blutproben zur Ermittlung der Blutalkoholkonzentration geeignet sind.724 Praktische Bedeutung erlangt diese Frage etwa dann, wenn aus der freigelegten Oberschenkelvene keine Blutprobe mehr gewonnen werden kann. Einerseits kann eine Verwertbarkeit solcher außerhalb der Regel entnommener Proben nicht per se abgelehnt werden.725 Andererseits
717
718
719 720
BGH 25.9.2002 NZV 2002 559; BGH 15.6.1988 VersR 1988 950; OLG Hamm 3.7.1996 VersR 1997 1344; OLG Nürnberg 29.6.1989VersR 1990 480; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 44. Hentschel/Born Rn. 73 ff.; Lang NZV 1990 169, 171; Rüther NZV 1994 457, 458; Sachs NJW 1987 2915 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 23. BGH 15.6.1988 VersR 1988 950, 951. OLG Hamm 19.12.1984 VersR 1985 941, 942; OLG Koblenz 13.7.2001 VersR 2001
721 722 723
724 725
1372; Gaisbauer VersR 1968 893, 894; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 11. Abgedruckt in Hentschel/Born S. 337. Abgedruckt in Jagow/Burmann/Heß § 316 StGB Rn. 40. BGH 3.7.2002 VersR 2002 1135, 1136; BGH 20.4.1988 VersR 1988 690, 691; OLG Stuttgart 8.5.1989 VersR 1989 1037, 1038. Ablehnend Gaisbauer VersR 1968 893 f. BGH 20.4.1988 VersR 1988 690, 691; OLG Stuttgart 8.5.1989 VersR 1989 1037, 1038.
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Unfallversicherung
muss die Annahme der Verwertbarkeit besonders fachkundig begründet werden.726 I.E. bedarf es einer Aufklärung durch einen Sachverständigen darüber, ob die (z.B. aus dem Herzen) entnommene Blutprobe durch Trinkalkohol verunreinigt sein kann. Es muss geprüft werden, ob eine Diffusion des vor dem Unfall getrunkenen Alkohols aus dem Magen oder Darm in die Herzgegend stattgefunden haben, insbesondere ob sie durch innere Verletzungen begünstigt worden sein kann. Über dahingehenden Vortrag des Anspruchstellers muss Beweis erhoben werden, es sei denn, das erkennende Gericht verfügt über eigene Sachkunde, die entsprechend zu belegen ist (Anh. Ziff. 16 AUB 2008 Rn. 25 ff.). • Eine Blutalkoholbestimmung an einer Leiche ist praktisch genauso zuverlässig wie bei einem Lebenden, wenn Widmark- und ADH-Wert übereinstimmen und wenn das Auftreten von höheren Alkoholen ausgeschlossen werden kann.727 Bei der Untersuchung von Leichenblut sind zwei Einzelanalysen ausreichend. Das Fehlen einer zweiten Blutprobe ist unschädlich, da bei einer Leiche kein Alkoholabbau mehr eintritt.728 Unschädlich ist es weiterhin, wenn das Leichenblut erst ca. 40 Stunden nach Todeseintritt entnommen worden ist.729
130
(2) Rückrechnung. Das Blutalkoholergebnis eines Gutachtens bezieht sich in aller Regel auf den Zeitpunkt der ärztlichen Blutentnahme. Nicht immer aber kann zeitnah zum Unfallgeschehen eine Blutprobe entnommen werden. Da der Blutalkoholgehalt nach dem Trinken durch Aufnahme in das Blut eine zunächst rasch ansteigende Kurve zeigt (sog. Resorptions- bzw. Anflutungsphase), danach der Alkohol durch bio-chemische Prozesse wieder langsam abgebaut und in Folge der Blutalkoholgehalt geringer wird (Nachresorptionsphase), ist es möglich, dass die Blutalkoholkonzentration während des Unfallereignisses niedriger oder höher war als zum Zeitpunkt der ärztlichen Blutentnahme.730 Es ist deshalb danach zu unterscheiden, ob die Blutentnahme während oder nach der Resorptionsphase, d.h. innerhalb von 2 Stunden nach Ende der Alkoholaufnahme, erfolgt. Erfolgt eine Blutentnahme noch während der Resorptionsphase, so kann für die 131 Frage einer Bewusstseinsstörung der dabei ermittelte Blutalkoholwert ohne Zu- und Abschläge zugrunde gelegt werden;731 denn nach gesicherten medizinischen Erkenntnissen ist die alkoholische Beeinträchtigung in der Phase des Anstiegs der Blutalkoholkonzentration auf den später (innerhalb der Resorptionsphase) ermittelten Wert ebenso stark zu bewerten. Befindet sich also z.B. der Kraftfahrer noch in der Resorptionsphase, so sind seine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen nicht deshalb geringer, weil der Grenzwert von 1,1 ‰ erst am Ende der Anflutungsphase erreicht wird. Vielmehr entspricht die zwischen Trinkende und Invasionsgipfel liegende Schädigung derjenigen im Gipfelbereich der Kurve.732 Erfolgt die Blutentnahme nach der Resorptionsphase, muss eine Rückrechnung erfol132 gen. Dabei gelten die im Straf- wie im Versicherungsrecht gleichermaßen geltenden Rückrechnungsregeln.733 Folgerichtig ist zu unterscheiden, ob die Ermittlung Bedeutung für
726
727 728 729 730
BGH 3.7.2002 VersR 2002 1135, 1136 in Abweichung zur Vorinstanz (OLG Koblenz 13.7.2001 VersR 2001 1372). LG Aachen 12.7.1967 VersR 1968 366, 367. OLG Hamm 19.12.1984 VersR 1985 941, 942. OLG Frankfurt/M. 14.4.1988 RuS 1991 107. Stamm VersR 1995 261, 263 und 264 f. mit grafischen Darstellungen.
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731
732 733
OLG Köln 21.9.1989 RuS 1989 414; LG Wuppertal 20.3.1996 RuS 1997 131; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 11 und 15; Rüther NZV 1994 457, 458. Stamm VersR 1995 261, 263. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268 = RuS 1990 430; OLG Saarbrücken 28.1.2009 NJW-RR 2009 685.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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die Frage der Fahrunsicherheit bzw. Bewusstseinsstörung oder für die Frage der Schuldfähigkeit des Betroffenen hat. Es sind für den Betroffenen jeweils die günstigsten Berechnungsmethoden heranzuziehen („Günstigkeitsprinzip“). Während bei der Überprüfung der Schuldfähigkeit ein höchstmöglicher Abbauwert von 0,2 ‰ pro Stunde und ein zusätzlicher Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ hinzuzählen ist sowie die Rückrechnung unabhängig von dem Ende der Resorptionsphase für den gesamten Zeitraum von der Blutentnahme an bis zur Tat- oder Unfallzeit stattfindet, gelten für die Prüfung des Ausschlusstatbestandes der Bewusstseinsstörung in den AUB andere Vorzeichen. Hier ist zugunsten des Anspruchstellers vom niedrigstmöglichen Abbauwert (ohne zusätzlichen Sicherheitszuschlag) auszugehen und das Ende der Resorptionsphase zu berücksichtigen.734 Danach gilt: • Voraussetzung für jede Rückrechnung ist, dass das Trinkende feststeht.735 Ist das Trinkende nicht bekannt (z.B. weil das Unfallopfer keine Angaben zum Trinkvorgang gemacht hat), verbietet sich eine Rückrechnung.736 Des Weiteren scheidet eine Rückrechnung aus, wenn der Unfall zum Tod der versicherten Person geführt hat; denn dann ist ein Alkoholabbau ausgeschlossen.737 Vielmehr bleibt der Blutalkoholgehalt innerhalb der ersten Tage im Leichenblut konstant.738 Mit dem Tod hört der Stoffwechsel auf, und der aus dem Leichenblut ermittelte Promille-Wert entspricht dem, der zum Zeitpunkt des Unfalls vorlag.739 • Die Rückrechnung darf erst nach zweifelsfreier Beendigung der Resorptionszeit beginnen. Das grundsätzliche Verbot der Rückrechnung besteht – entsprechend der strafrechtlichen Beurteilung zur Feststellung der alkoholischen Beeinflussung eines Kraftfahrers auch im Versicherungsrecht – unter Berücksichtigung der medizinischen Forschung und eines gewissen Sicherheitszuschlags für die ersten beiden Stunden nach Trinkende.740 Der Unfallschock unterbricht die Resorptionsphase nicht.741 Eine Hochrechnung kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn im konkreten Fall ein früherer Abschluss der Resorption mit Hilfe eines Sachverständigen nachweisbar ist.742 • Der stündliche Abbauwert in der Nachresorptionsphase beträgt – ebenfalls in Parallele zur strafrechtlichen Beurteilung auch im Zivilrecht – 0,1 ‰.743 Bei der Rückrechnung eines durch Blutentnahme ermittelten Blutalkoholwertes ist für die Frage einer Bewusstseinsstörung – zugunsten der versicherten Person bzw. zu Lasten des beweispflichtigen VR – von einem niedrigsten möglichen Abbauwert auszugehen.744
(3) Schlusstrunk. Hat der Verkehrsteilnehmer unmittelbar vor Fahrtantritt eine be- 133 trächtliche Menge eines alkoholischen Getränkes zu sich genommen (sog. Schlusstrunk bzw. Schluss-Sturztrunk), so steigert dies seine Fahrunsicherheit.745 Deshalb muss es der
734 735
736 737
738 739 740
OLG Köln 21.9.1989 RuS 1989 414. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268; OLG Hamm 14.9.1988 RuS 1989 66, 67; LG Kiel 27.8.1986 RuS 1987 357. OLG Koblenz 22.6.2001 VersR 2002 43; OLG München 13.11.1986 VersR 1988 265. BGH 3.7.2002 VersR 2002 1135, 1136; a.A. die Vorinstanz OLG Koblenz 13.7.2001 VersR 2001 1372. LG Aurich 7.4.1955 VersR 1955 386. Gaisbauer VersR 1968 893 f. BGH 28.6.1990 BGHSt 37 89, 91; OLG Hamm 2.12.1991 RuS 1992 250, 251; OLG Köln 21.9.1989 RuS 1989 414; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 11 und 15; Rüther NZV 1994 457, 458
741 742 743
744 745
OLG Köln 30.8.1990 RuS 1991 106, 107. LG Kiel 27.8.1986 RuS 1987 357; Stamm VersR 1995 261, 264. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268; OLG Köln 20.9.2005 VersR 2006 255 = NJW-RR 2006 101; OLG Köln 21.9.1989 RuS 1989 414; OLG Saarbrücken 28.1.2009 NJW-RR 2009 685; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 11. S. bereits OLG Hamm 26.5.1971 VersR 1972 244, 245. OLG Braunschweig 10.5.1960 VersR 1960 722, 723.
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Unfallversicherung
Annahme einer Bewusstseinsstörung nicht entgegenstehen, wenn die Rückrechnung zwar einerseits ergibt, dass der maßgebliche Grenzwert für eine absolute Verkehrsuntüchtigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht erreicht war bzw. dies nicht sicher ist, jedoch andererseits feststeht, dass – erstens – der jeweilige Grenzwert zum Zeitpunkt der Blutentnahme nicht unerheblich überschritten und – zweitens – zur Unfallzeit nur geringfügig nicht erreicht worden ist.746 Aufgrund des Schlusstrunkes ist dann vielmehr die Annahme gerechtfertigt, dass die Auswirkung des zum Unfallzeitpunkt geringeren Blutalkoholgehalts auf die Fahrsicherheit der versicherten Person die gleiche war wie bei Erreichen des die absolute Fahrunsicherheit begründenden Grenzwertes. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass die Anflutungswirkung aufgrund eines Sturztrunkes derart starke Bewusstseinsbeeinträchtigungen hervorruft, wie sie sonst nur bei Erreichen des nachfolgenden Höchstwertes der Blutalkoholkonzentration auftreten.747 Der Schlusstrunk führt notwendig zu einer neuen Anflutungsphase, in der mehr Alkohol ins Blut aufgenommen als abgebaut wird. In dieser Phase (mit ansteigendem Blutalkoholgehalt) sind die alkoholbedingten Ausfallerscheinungen erfahrungsgemäß erheblich stärker als bei derselben Blutalkoholkonzentration in der Abbauphase.748 So hat z.B. ein Wert von 1,1 ‰ in der Anflutungsphase die gleichen Auswirkungen wie ein Wert von 1,3 ‰ bis 1,4 ‰ in der Abbauphase.749 Die Anflutungsphase dauert solange, bis die Resorptionsphase abgeschlossen ist.750
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(4) Nachtrunk. Behauptet die versicherte Person, nach dem Unfall Alkohol zu sich genommen zu haben (sog. Nachtrunk),751 so muss der VR diesen widerlegen, da er die Beweislast für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes trägt.752 Zuvor muss der Anspruchsteller aber den Nachtrunk schlüssig und substantiiert vortragen,753 also nähere Angaben zur Trinkmenge, zur Trinkzeit und den einzelnen Umständen des Nachtrunkes machen. Damit fallen die Vortrags- und Beweislast auseinander. Der Nachtrunk ist z.B. widerlegt, wenn die versicherte Person • bei der Blutentnahme keinerlei Ausfallerscheinungen zeigt, obwohl diese aus medizinischer Sicht angesichts eines Sturztrunkes (auf nüchternen Magen) und der damit verbundenen Anflutung zu erwarten waren; • gegenüber der Polizei oder dem Arzt der Blutentnahme einen Nachtrunk nicht erwähnt oder in Abrede stellt, • mögliche Beweise zur Stützung ihrer Nachtrunkversion nicht sichert.754
Darüber hinaus kann der Unfallhergang selbst als Indiz für die Fahrunsicherheit und damit gegen einen erheblichen Nachtrunk anzuführen sein.755 Wird festgestellt, dass die versicherte Person sich wahrheitswidrig auf einen Nachtrunk beruft, liegt eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit vor (vgl. Rn. 79 und 96). 746 747 748 749 750 751 752
Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 28. OLG Koblenz 19.9.1974 VersR 1975 514, 515. OLG Frankfurt a.M. 24.6.1980 VersR 1981 52, 53. OLG Hamm 19.12.1984 VersR 1985 941, 942. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 15; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 23. Dazu Hentschel/Born Rn. 101a. Knappmann VersR 2000 11, 14; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 6;
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753
754 755
Rüther NZV 1994 457, 458; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 90; a.A. KG 16.1.1998 RuS 1998 525 = ZfS 1998 343 (mit ablehnender Anm. Knappmann RuS 1999 128); OLG Nürnberg 1.7.1982 VersR 1984 436, 437. OLG Oldenburg 17.3.1983 VersR 1984 482; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 4 AUB 61 Rn. 8. OLG Hamm 3.2.1993 RuS 1993 236. Knappmann RuS 1999 128.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
(5) Verwertbarkeit der Blutprobenuntersuchung. Die im Rahmen des Ermittlungsver- 135 fahrens veranlasste Blutalkoholbestimmung führt in der Regel zu keinen Beanstandungen. Der VN muss konkrete Tatsachen für seine Behauptungen vortragen, dass entgegen dem Inhalt der Strafakte die Blutentnahme und die anschließende Analyse zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration nicht ordnungsgemäß waren.756 Bloße Schutzbehauptungen reichen nicht aus.757 Fehlerquellen können sich z.B. daraus ergeben, dass • eine Verunreinigung des Blutentnahmegefäßes vorliegen könnte. Bei einer Blutentnahme mit Venülen, aber auch bei anderen Blutentnahmegefäßen, die üblicherweise von Ärzten genutzt werden, kann indes davon ausgegangen werden, dass Verunreinigungen ausgeschlossen sind.758 War die Venüle nur angebrochen ist davon auszugehen, dass die Möglichkeit einer Verschmutzung oder eines Hineingelangens blutfremder Substanzen in die Blutprobe ausscheidet. In solchen Fällen kommt zwar eine Verdickung des Blutes durch Verdunstungserscheinungen in Betracht. Jedoch ist dann eher eine höhere Alkoholkonzentration anzunehmen.759 • die Blutprobe nicht an der richtigen Stelle entnommen worden ist, also nicht aus der Ellenbeugenvene bzw. bei Leichen aus der Oberschenkelvene. Hier sollte eine gutachterliche Beurteilung erfolgen.760 • eine Verwechselung der Blutproben nicht ausgeschlossen werden kann.761 Hierzu ist zu ermitteln, wie viele Blutproben gleichzeitig von anderen Personen entnommen worden sind. Bei Schwerverletzten, deren Blut für serologische Untersuchungen in der Blutbank verwendet werden soll, kann von Vorsorgemaßnahmen ausgegangen werden, die eine Verwechselung von Proben verhindern. In Zweifelsfällen besteht die Möglichkeit einer Identitätsprüfung durch Blutgruppenbestimmung.762 • der Blutalkoholgehalt nicht vorschriftsgemäß ermittelt worden ist,763 etwa weil das Messgerät nicht geeicht war,764 nicht genügend Messwerte vorliegen oder nicht zwei verschiedene Messverfahren durchgeführt wurden. • vor der Blutentnahme verabreichte Medikamente, Injektionen oder Infusionen die Blutalkoholkonzentration beeinflusst bzw. eine erhöhte Blutalkoholkonzentration vorgetäuscht haben könnten.765 Die in einigen Infusionen enthaltenen ganz geringfügigen Alkoholmengen können – sofern sie in deutschen Kliniken überhaupt noch zum Einsatz kommen766 – indes bei der Rückrechnung völlig außer Betracht bleiben.767 Die Gabe von Plasmaersatzmitteln oder Blutkonserven vor der Entnahme einer Blutprobe macht die Blutalkoholbestimmung ebenfalls nicht sinnlos. Die Frage einer – in der Regel nur geringfügigen – Veränderung des Blutalkoholwertes kann später gutachterlich diskutiert werden.768 • die festgestellte Blutalkoholkonzentration durch schwere Verletzungen und Blutungen (Blutverlust) zumindest mit beeinflusst worden ist. Ein solcher Fall kommt in Betracht, wenn der Alkohol zum Unfallzeitpunkt noch nicht vollständig resorbiert ist; denn dann kann der Alkohol aus dem Magen-Trakt nur in eine ggf. reduzierte Blutmenge fließen, was eine höhere Alkoholkonzentration als bei normalem Volumen zur Folge hat.769
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757 758 759 760 761
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OLG Hamm 15.1.1997 VersR 1997 1389 (LS); OLG Hamm 16.12.1994 VersR 1995 949; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 11. OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 666. Sachs NJW 1987 2915, 2916; s.a. OLG Düsseldorf 12.7.1955 VersR 1955 665, 666. LG Kaiserslautern 28.2.1961 VersR 1961 973. Sachs NJW 1987 2915, 2916. I.E. verneinend OLG Frankfurt 14.4.1988 RuS 1991 107; OLG Frankfurt 23.12.1987 ZfS 1988 152. Sachs NJW 1987 2915, 2916. OLG Hamm 19.12.1984 VersR 1985 941, 942 (i.E. verneint).
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OLG Köln 30.10.1996 RuS 1997 214 (i.E. verneint). I.E. verneinend OLG Hamm 2.12.1991 RuS 1992 250, 251; OLG Köln 30.10.1996 RuS 1997 214. Zweifelnd LG Hamburg 3.11.1981 VersR 1982 802; verneinend OLG München 4.7.1980 VersR 1981 373, 374. OLG München 13.11.1986 VersR 1988 265, 266. Sachs NJW 1987 2915, 2916. OLG München 13.11.1986 VersR 1988 265, 266.
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Unfallversicherung
Der Verwertbarkeit des Blutalkoholgutachtens stehen nicht entgegen, wenn • Ärzte, Polizisten oder sonstige Zeugen (z.B. Gaststättenbesucher) keinen Alkoholgeruch im Atem der versicherten Person festgestellt haben;770 • das Blutentnahmeprotokoll durch einen Polizeibeamtens und nicht durch den Arzt unterschrieben ist, sofern ein Arzt die Blutentnahme durchgeführt hat;771 • alkoholhaltige Desinfektionsmittel verwendet worden sind. Der Einsatz solcher Mittel führt zwar in der Regel zu Verfälschungen der Messung, die jedoch – jedenfalls bei Entnahme üblicher Blutmengen (5 bis 10 ml) – sicher im Bereich der Streubreite der Messung liegen. So belegen Versuche, dass auch dann keine Reste des zur Desinfektion benutzten Alkohols in den Proben enthalten sind, wenn die Haut durch kleine Pfützen von Desinfektionsmitteln durchstochen wird.772 Die Verwertbarkeit der Blutalkoholuntersuchung wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Körper der versicherten Person bzw. die Leiche möglicherweise vor der Blutentnahme mit ätherischen Ölen eingerieben wurde.773
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Streitig ist, wie in den Fällen zu verfahren ist, in denen das Standardverfahren zur Blutalkoholuntersuchung nicht eingehalten worden ist.774 Solche Sachverhaltskonstellationen können sich etwa bei der Würdigung der Blutalkoholkonzentration von Verletzten ergeben, die in der Krankenakte angegeben ist. Die dort genannten Werte werden häufig nicht entsprechend der Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern nur nach einer Untersuchungsmethode ermittelt. Während eine Auffassung hier die Verwertbarkeit schlechthin mit der Folge verneint, dass der VR die alkoholbedingte Bewusstseinsstörung nicht nachgewiesen hat,775 relativiert die Gegenauffassung dieses Ergebnis. Auch bei Abweichung vom Standardverfahren könne die Einzelanalyse der freien Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der konkreten Analyseumstände, eines großzügigen Sicherheitszuschlages und unter Beachtung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Bestimmung der Blutalkholkonzentration herangezogen werden.776 Dem ist zuzustimmen. Unabhängig davon, dass der VR anderenfalls vor unlösbare Probleme gestellt wird, ist im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO keine unumstößliche Gewissheit des Tatrichters erforderlich. Mängel in der Ermittlung der Blutalkoholkonzentration muss das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles – ggf. mit Hilfe eines Sachverständigen – in seine Erwägung einbeziehen. Dazu ist es nicht geboten, per se eine Unverwertbarkeit bei Abweichungen von der Norm anzunehmen. Mit nur sehr kleinen Abweichungen ist zu rechnen, wenn nur einer von 4 Messwerten fehlt oder wenn von jeder Methode nur ein Messwert vorliegt. Problematischer sind die Fälle, in denen nur eine Methode (entweder ADH- oder GC-Methode) angewandt wurde. Hier ist zu berücksichtigen, mit welcher Methode der Wert konkret festgestellt worden ist (z.B. manuell oder automatisiert bzw. maschinell) und ob andere kontrollierbare Ergebnisse aus der Serie fehlerfrei waren.777 Inzwischen hat auch der BGH festgestellt, dass ein Messergebnis, das nicht den Richtlinien des Gutachtens des Bundesgesundheitsamts entspricht, für sich genommen zwar keine verlässliche Aussage über den Grad der Alkoholisierung erlaubt, jedoch sich ein darüber hinausgehendes generelles Beweisverwertungsverbot rechtlich nicht begründen lässt. Vielmehr ist der Tatrichter zunächst lediglich an 770 771 772 773 774
OLG Frankfurt 23.12.1987 ZfS 1988 152; OLG Köln 30.10.1996 RuS 1997 214 f. OLG Köln 30.10.1996 RuS 1997 214. OLG Hamm 16.12.1994 VersR 1995 949; näher Sachs NJW 1987 2915, 2916. OLG Frankfurt 14.4.1988 RuS 1991 107. Offen lassend noch BGH 15.6.1988 VersR 1988 950, 951; Lang NZV 1990 169, 171.
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775 776
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OLG Nürnberg 21.6.1993 VersR 1994 167. OLG Hamm 15.1.1999 RuS 1999 297; OLG Hamm 16.12.1994 VersR 1995 949, 950; bestätigt durch OLG Hamm 3.7.1996 VersR 1997 1344; Hentschel/Born Rn. 67; s.a. OLG Nürnberg 29.6.1989 VersR 1990 480. Näher hierzu Sachs NJW 1987 2915, 2916.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
der Anwendung der von Medizin und Rechtsprechung erarbeiteten festen Beweisregeln für bestimmte Alkoholisierungsgrade gehindert. Stattdessen muss er die Frage der Alkoholisierung unter Heranziehung aller Indizien in freier Beweiswürdigung klären. Das setzt voraus, dass er – zumindest mit sachverständiger Hilfe – danach fragen muss, welche Aussagekraft dem jeweiligen Messwert konkret zukommt. Zu klären ist, in welcher Höhe und in welchem Umfang das zugrunde liegende Analyseverfahren Abweichungen erwarten lässt, um so eine statistisch abgesicherte Aussage über die Messgenauigkeit und den maximal erforderlichen Sicherheitsabschlag zu gewinnen.778 Entsprechende Wertungen wie bei der Frage der Verwertbarkeit von nicht ordnungsgemäß ermittelten Alkoholwerten aus Blutproben von Verletzten sind im Rahmen der Bewertung von Leichenblutanalysen vorzunehmen, wenn z.B. die Blutentnahme nicht aus der freigelegten Oberschenkelvene erfolgt ist. Mögliche Fehlerquellen und -bandbreiten sind ggf. mit sachverständiger Hilfe zu ermitteln und im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigen (Rn. 130). (6) Fehlende Blutprobenuntersuchung. Problematisch können für den VR die Fälle 138 sein, in denen überhaupt keine Untersuchung der Blutalkoholkonzentration durch Entnahme einer Blutprobe erfolgt ist oder durchgeführt werden konnte. Solche Informationslücken gehen zwar zu seinen Lasten, da er beweisbelastet ist. Die fehlende Blutprobe zwingt jedoch noch nicht dazu, sogleich eine Bewusstseinsstörung infolge Trunkenheit zu verneinen. Vielmehr ist eine freie Beweiswürdigung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. In Betracht kommt der Zeugenbeweis.779 Möglicherweise lässt sich durch Zeugenaussagen rekonstruieren, in welchem Zeitraum die versicherte Person welche Mengen von Alkohol zu sich genommen hat, so dass die Blutalkoholkonzentration errechnet werden kann. Selbst wenn dies scheitert, können ausnahmsweise andere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass die versicherte Person zum Zeitpunkt des Unfalls in ihrer Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit so weit gemindert war, dass sie sich in der konkreten Situation nicht mehr zweckdienlich und in erforderlicher Weise verhalten konnte. So kann z.B. bei einer Alkoholikerin, die an einer 14 Stunden dauernden Zechtour teilgenommen hat, die allgemeine Erfahrung den Schluss erlauben, dass sie zum Zeitpunkt der Heimfahrt, bei der es zu einem Sturz mit tödlicher Gehirnblutung kam, berauscht und nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte war, auch wenn die Tage später durchgeführte Obduktion keinen Alkoholgehalt ergab.780 bb) Bestimmung der Blutalkoholkonzentration ohne Blutentnahme durch Errechnen. 139 Die Blutalkoholkonzentration kann auch ohne Blutuntersuchung anhand der sog. Widmark-Formel ermittelt werden.781 Voraussetzung ist die genaue Kenntnis der genossenen Alkoholmenge, der Trinkzeit und des Körpergewichts der versicherten Person. Dieses Verfahren ermöglicht indes nur eine grobe Schätzung der Blutalkoholkonzentration. Zum Nachweis der Fahrunsicherheit (und damit der Bewusstseinsstörung) kann sie ohne genaue Bewertung der einzelnen Faktoren durch einen Sachverständigen nicht herangezogen werden.782 Ferner kommt eine Bestimmung des Blutalkoholgehalts mit Hilfe sog. Trinktabellen 140 in Betracht. Sie lassen bei Kenntnis der Getränkeart, des Alkoholgehalts in Volumen778 779
BGH 25.9.2002 NZV 2002 559, 560; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 11. AG St. Wendel 9.6.1983 ZfS 1986 25; Hentschel/Born Rn. 216.
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OLG Karlsruhe 3.7.1980 VersR 1981 52. S. etwa BGH 6.3.1986 NJW 1986 2384; eingehend Hentschel/Born Rn. 105 ff. Stamm VersR 1995 261, 265.
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Unfallversicherung
prozenten und der genossenen Getränkemenge sowie unter Berücksichtigung des Körpergewichts einen Rückschluss auf die Blutalkoholkonzentration (zur Eigenkontrolle) zu. Eine zuverlässige Hilfe bieten diese Tabellen indes nicht, da sie zum einen zu viele Faktoren wie Menge und Art der Magenfüllung, Trinkgeschwindigkeit und Restalkohol nicht berücksichtigen und zum anderen erhebliche Ergebnisschwankungen aufweisen.783
141
cc) Bestimmung der Atemalkoholkonzentration. § 24a Abs. 1 StVG (s.a. § 13 Nr. 2c FeV) sieht für das Straßenverkehrsrecht vor, dass für die Feststellung, ob ein ordnungswidriges Fahren im alkoholisierten Zustand vorliegt, zwei Verfahren in Betracht kommen, nämlich neben der Ermittlung der Blutalkoholkonzentration auch die Ermittlung der Atemalkoholkonzentration.784 Hierzu hat der Gesetzgeber eigene Grenzwerte für die Alkoholkonzentration in der Atemluft (Aveolarluft) festgelegt. Der Grenzwert von 0,55 mg/l Aveolaraluft entspricht einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰, 0,4 mg/l dem Wert von 0,8 ‰ und 0,25 mg/l dem Wert von 0,5 ‰.785 Der bei der Bestimmung der Atemalkoholkonzentration gewonnene Messwert ist bei der Anwendung des § 24a Abs. 1 StGV ohne Sicherheitsabschläge verwertbar, wenn das verwendete (bauartzugelassene) Atemalkoholgerät unter Einhaltung der Eichfrist geeicht ist und die Bedingungen für ein gültiges Messverfahren gemäß Gutachten des Bundesgesundheitsamtes „Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse“ gewahrt sind.786 Als Verfahrensbestimmungen sind zu beachten:787 • Einhaltung einer Wartezeit von 20 Minuten nach der Beendigung der Alkoholaufnahme (dem Trinkende) bis zum Beginn der ersten Atemalkoholmessung. Die Wartezeit ist erforderlich, weil sich erst nach dieser Zeit ein definiertes Verhältnis zwischen Atemalkohol- und Blutalkoholkonzentration einstellt, das kurzfristigen Schwankungen nur noch in geringem Maße bzw. auf ein zu vernachlässigendes Maß unterworfen ist.788 • Einhaltung eine Kontrollzeit von 10 Minuten, in der der Betroffene vor der Messung keine Substanzen durch Mund und Nase aufnehmen soll. Die Kontrollzeit dient dazu, die Gefahr der Verfälschung der Messwerte durch Mund- oder Mundrestalkohol auf das Messergebnis auszuschließen.789 Die Kontrollzeit darf in die Wartezeit eingerechnet werden.790 • Vornahme einer Doppelmessung im Zeitabstand von maximal 5 Minuten • Einhaltung der zulässigen Variationsbreite zwischen den Einzelwerten.
142
Sind die Voraussetzungen des standardisierten Messverfahrens zur Ermittlung der Atemalkoholkonzentration nicht vollständig erfüllt, so ist die rechtliche Verwertbarkeit des Messergebnisses zweifelhaft.791 So hat die Rechtsprechung z.B. angenommen, dass die Nichteinhaltung der Wartezeit von mindestens 20 Minuten zwischen Trinkende und erster Atemalkoholmessung zur Unverwertbarkeit der Messung führe.792 Auch könne eine Verwertbarkeit der Messung nicht dadurch herbeigeführt werden, dass von dem gewonnenen Messwert ein Sicherheitsabschlag vorgenommen werde.793 Dies bedeutet
783 784
785 786 787 788
Stamm VersR 1995 261, 265. Krit. noch Grüner/Penners NJW 1985 1377 ff.; auch Heifer NZV 1989 13, 14; ferner Hentschel/Born Rn. 32 ff. und 109 ff. BT-Drucksache 13/1439, S. 4. Eingehend BGH 3.4.2001 VersR 2001 726 ff. = NZV 2001 267 ff. Zu den notwendigen Angaben im Urteil Hentschel NJW 2006 477, 481. BayObLG 2.11.2004 NJW 2005 232, 233; OLG Karlsruhe 19.4.2004 VersR 2005
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789 790 791 792 793
1409, 1410; zur Frage, ob eine Verlängerung der Wartezeit angezeigt ist Schoknecht NZV 2003 67 ff. (i.E. verneinend). OLG Karlsruhe 19.4.2004 VersR 2005 1409, 1410. BayObLG 2.11.2004 NJW 2005 232, 233. S. etwa Hentschel NJW 2005 641, 645. A.A. OLG Celle 18.8.2003 NZV 2004 318 f. OLG Dresden 8.2.2005 DAR 2005 226 f.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
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m.a.W. für den Fall, dass nach dem Messergebnis der Gefahrengrenzwert von 0,25 mg/l Alkohol in der Atemluft nur ganz geringfügig überschritten worden ist, Verwertbarkeit nur dann ohne Rechtsfehler gegeben ist, wenn die Warte- und Kontrollzeiten eingehalten wurden.794 Ob auf Grundlage eines Atemalkoholwerts im Unfallversicherungsrecht eine Bewusst- 143 seinsstörung angenommen werden kann, ist – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden, sie ist aber zu bejahen, da im privaten Unfallversicherungsrecht keine strengeren Anforderungen an die Beweisführung zu stellen sind als im Straßenverkehrsrecht. Eine Blutentnahme ist jedoch weiterhin notwendig bei Verdacht auf andere forensisch bedeutsame Substanzen wie Medikamente oder Drogen.795 2. Bewusstseinsstörung durch Drogenkonsum Die Bewusstseinsstörung durch Drogen ist vom VR im Wege des Strengbeweises 144 nachzuweisen. Dies kann z.B. im Straßenverkehr – jedenfalls z.Z. noch – mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein.796 Die im Strafrecht bestehenden Nachweisprobleme für eine rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit, die zu einer ganz erheblichen Dunkelziffer führen,797 strahlen auf das private Unfallversicherungsrecht aus: • Die strafrechtliche Verfolgung von Rauschmittelfahrten bereitet erhebliche Probleme. Sie resultieren u.a. daraus, dass keine (bzw. nur wenige) technische Ermittlungshilfen zur Verfügung stehen, die der Polizei vor Ort eine sichere Beurteilung darüber ermöglichen, ob und in welchem Maße Rauschgift konsumiert wurde.798 Vergleichbare Untersuchungsmethoden wie den Atemalkoholtest bei Trunkenheitsfahrten fehlen. Hinzu kommt, dass keine festen Grenzwerte für eine drogenbedingte Fahrunsicherheit existieren. So kann nicht von einer bestimmten Blut-Wirkstoff-Konzentration auf eine absolute Fahruntüchtigkeit nach dem Konsum von Betäubungsmitteln geschlossen werden. Es müssen deshalb für jeden Einzelfall Ausfallerscheinungen bzw. drogentypische Fahrfehler festgestellt werden. Auch das Problem der Rückrechnung auf einen bestimmten (Unfall-) Zeitpunkt ist bisher nicht gelöst worden.799 • Der VR, der zum Unfallhergang nur begrenzt eigene Nachforschungen anstellen kann, ist im Regelfall auf die Qualität der Beweissicherung und Dokumentation durch die Ermittlungsbehörden angewiesen. Ist die aktuelle Drogendosis nicht bekannt, die die versicherte Person vor dem Unfall konsumiert hat, so geht dies zu Lasten des beweispflichtigen VR, zumal Rauschmittel nicht bei allen Menschen in gleicher Weise wirken. An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn sich die versicherte Person in einem sexuellen Erregungszustand befand, der zusammen mit den Rauschmitteln zu einer Bewusstseinsstörung geführt hat. Auch hier geht es zu Lasten des VR, wenn Feststellungen über das Ausmaß der Drogeneinwirkung nicht beweisbar sind; denn der sexuelle Erregungszustand kann keine Bewusstseinsstörung (mit) begründen, da es sich um einen Zustand handelt, der auch bei einem Menschen von normaler Verfassung zu einer Bewusstseinseinengung führt, in der das Streben und der Drang nach einem orgastischen Höhepunkt die Fähigkeit verringert oder aufhebt, andere als die sexuellen Sinneseindrücke zu erfassen, sie einzuordnen und zu verarbeiten.800
Steht eine drogenbedingte Bewusstseinsstörung fest, so spricht der Beweis des ersten 145 Anscheins dafür, dass sie für den Unfall kausal ist.801 Insofern gelten die zu alkoholbedingten Bewusstseinsstörungen gemachten Ausführungen entsprechend. Der Anscheins794
795 796 797
BayObLG 2.11.2004 NJW 2005 232, 233; OLG Karlsruhe 19.4.2004 VersR 2005 1409, 1410; Hentschel NJW 2006 477, 481. BT-Drucksache 13/1439, S. 4. Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 8. R. Möller DAR 1993 7 ff.
798 799 800 801
Harbort NZV 1996 219, 223 f.; R. Möller DAR 1993 7, 8; Salger DAR 1994 433, 436. Salger DAR 1994 433, 435. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951. OLG Köln 7.9.1995 RuS 1998 261, 262.
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beweis wird z.B. nicht dadurch entkräftet, dass möglicherweise auch einem nicht unter Drogeneinfluss stehenden Kraftfahrer die Verkehrswidrigkeit hätte unterlaufen können802 oder eine Windböe neben dem Drogenkonsum für das Abkommen von der Fahrbahn mitverantwortlich gewesen sein könnte.803 Zur Ermittlung, ob die versicherte Person bei dem Unfall unter dem Einfluss von 146 Drogen stand, kommen immunologische Untersuchungen in Betracht. Blutproben können Hinweise auf Drogenkonsum und den Konzentrationsgehalt der Drogen geben. Dahingehende Erkenntnisse lassen sich auch aus Urinproben gewinnen.804 Eine Haarprobe kann dagegen nur Aufschlüsse über einen chronischen bzw. längerfristigen, nicht jedoch einen akuten Drogenkonsum geben.805 Um bei Cannabis-Konsum den Nachweis der Fahrunsicherheit i.S. des Strafrechts zu 147 erleichtern, hat die Wissenschaft den „Cannabis-Influence-Faktor“ (CIF) entwickelt. Bei einem Wert von 10 oder mehr könne von absoluter Fahrunsicherheit ausgegangen werden.806 Allerdings ist auch bei den „CIF-Werten“ in der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, dass eine exakte Berechnung – vergleichbar der Vorgehensweise bei der Bestimmung der Blutalkoholkonzentration – wegen der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen dem psychoaktiv wirkenden Stoff THC (Tetrahydrocannabionol) und seinen Metaboliten selbst medizinischen Sachverständigen nicht möglich ist.807 3. Bewusstseinsstörung durch Medikamenteneinnahme
148
Ebenso wie beim Alkohol- und Drogenkonsum kommen dem VR auch für den Nachweis der Bewusstseinsstörung durch Medikamente nicht die Regeln des Anscheinsbeweises zugute.808 Vielmehr muss er den Strengbeweis führen. Dies kann sich für den VR beim Arzneimittelmissbrauch noch schwieriger als beim Drogenkonsum gestalten. Während Betäubungsmittel-Konsumenten – insbesondere bei bestehender Abhängigkeit – meist sicher identifiziert werden können, entfällt diese Möglichkeit bei der Einnahme von Arzneimitteln nahezu völlig. Das äußere Erscheinungsbild von Arzneimittelmissbrauchern ist eher unauffällig.809 Kommt es deshalb im Straßenverkehr zu Unfällen, besteht für die Ermittlungsbehörden nur selten Anlass, Medikamentenmissbrauch zu prüfen. Darüber hinaus erschweren das breite Substanzspektrum und die je nach Person individuell unterschiedlichen (Neben-) Wirkungen des Medikamentkonsums die gutachterliche Beurteilung.810 4. Krankheitsbedingte Bewusstseinsstörung
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Ob eine krankheitsbedingte Bewusstseinsstörung (z.B. Herzrhythmusstörung) vorlag, die den Unfall zumindest mit verursacht hat, hat der VR zu beweisen. Zweifel gehen zu seinen Lasten.811 Regelmäßig ist die Beweisfrage durch Einschaltung eines Sachverständigen zu klären. Um die für den Richter nach § 286 ZPO erforderliche Sicherheit zu begründen, ist es erforderlich, den auf einer Bewusstseinsstörung beruhenden Unfallver-
802 803 804 805 806
OLG Bamberg 4.5.2006 NJW-RR 2006 1406, 1408 f. OLG Köln 7.9.1995 RuS 1998 261, 262. Eingehend R. Möller DAR 1993 7, 9 f. OLG Köln 7.9.1995 RuS 1998 261, 262. So Drasch/von Meyer/Roider/Jägerhuber Blutalkohol 2003 269 ff.
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VGH Mannheim 15.11.2005 NJW 2006 934, 936. A.A. offenbar OLG Köln 15.9.1988 RuS 1988 348. Harbort NZV 1996 219, 222. Gaidzik S. 29. LG Berlin 18.6.2002 RuS 2005 343, 344.
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Bewusstseinsstörungen und Anfälle
AUB 2008 Ziff. 5.1.1
lauf mit einer durch objektive Befunde erhärteten, wissenschaftlichen Methoden standhaltenden Sicherheit feststellen. Mehr oder weniger gegebene Wahrscheinlichkeiten reichen nicht aus. Vielmehr muss der zu beweisende Umstand mit einer allen vernünftigen Zweifeln Einhalt gebietenden Sicherheit feststehen.812 Anhaltspunkte dafür, ob eine krankhafte Bewusstseinsstörung vorlag oder nicht, können das Verhalten der versicherten Person vor dem Unfall, ihre allgemeine konstitutionelle Veranlagung (z.B. Neigung zu Kreislaufschwächen oder cerebralen Durchblutungsstörungen) und der Unfallhergang selbst (etwa plötzlicher Sturz ohne erkennbaren Anlass oder ohne Abwehrreaktion) geben.813 So spricht es für eine unfallursächliche Bewusstseinsstörung, wenn die versicherte Person vor dem Unfall an massiven Herzrhythmusstörungen litt und das von ihr gelenkte Fahrzeug ohne erkennbare Brems- und Lenkspuren über 60 m geradeaus auf eine Hauswand zufuhr, ohne gefährdete Fußgänger durch Hupen zu warnen.814
III. Anfälle Hat die versicherte Person einen Schlaganfall bzw. Gehirnschlag erlitten, kann es 150 dem VR Schwierigkeiten bereiten, seiner Beweislast gerecht zu werden.815 Hier sind indes zwei Prüfungsschritte auseinander zu halten: Im ersten Schritt hat der Anspruchsteller nach allgemeinen Regeln die Voraussetzungen für die Annahme eines Unfalls einschließlich der haftungsbegründenden und -ausfüllenden Kausalität zu beweisen (§ 178 Rn. 168 ff.). Ausreichend ist regelmäßig, dass der Anspruchsteller eine plausible Schilderung des Unfalls gibt, die die festgestellten Gesundheitsschäden erklären kann (§ 178 Rn. 173 ff.). Beweisschwierigkeiten ergeben sich für den Anspruchsteller allerdings dann, wenn der VR die Plausibilität des behaupteten Kausalverlaufs – z.B. mit Hilfe eines ärztlichen Gutachtens 816 – widerlegt und schlüssig vorträgt, dass die Gesundheitsschädigung nicht nur Unfallereignisfolge, sondern auch ausschließlich auf einem körperinneren Vorgang beruhen kann (§ 178 Rn. 186 ff.). Dann ist es Sache des Anspruchstellers zu beweisen, dass das Unfallereignis für die Gesundheitsschädigung ursächlich war, wobei Mitursächlichkeit genügt (§ 178 Rn. 190). Gelingt dem Anspruchsteller der Nachweis für den Unfall (insbesondere die Mitursächlichkeit des plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkenden Ereignisses für die Gesundheitsschädigung), so muss er im zweiten Schritt nicht noch das Nichteingreifen bestimmter Ausschlusstatbestände beweisen. Vielmehr muss jetzt der VR die zum Ausschluss führende Kausalkette unter Beweis stellen (Rn. 95 und Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32).817 Dies gelingt regelmäßig nur, wenn sich der Zeitpunkt des Anfalls genau ermitteln lässt. Der VR muss zunächst für das Vorliegen eines Anfalls den Strengbeweis führen. Des Weiteren hat der VR den Kausalzusammenhang zwischen Anfall und Unfall nachzuweisen.818 Dabei kann er nicht auf die Regeln des Anscheinsbeweises zurückgreifen, da es in den meisten Fällen an typischen Geschehensabläufen fehlt, die den Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs vom Erfolg her auf die Ursache und umgekehrt erlauben. Dass eine Möglichkeit wahrscheinlicher ist als die andere, genügt noch nicht, um den An-
812 813
814
OLG Saarbrücken 29.10.2003 VersR 2004 1544, 1546. OLG Hamburg 25.4.2007 RuS 2007 386, 387; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 5. OLG Hamm 28.6.1989 RuS 1989 415.
815 816 817 818
Stockmeier/Huppenbauer S. 47. OLG Dresden 15.6.1933 VA 1933 356, 357 Nr. 2594 Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 24; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 136. OLG München 25.6.1969 VersR 1970 33.
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Unfallversicherung
scheinsbeweis anzuwenden.819 Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des VR, der für das Vorliegen der Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes beweispflichtig ist. So ergeht z.B. eine Beweislastentscheidung gegen den VR, wenn • nicht mehr mit dem erforderlichen Grad an Sicherheit zur Überzeugung des Gerichts aufklärbar ist, ob ein Schlaganfall den Sturz der versicherten Person ausgelöst hat oder der Schlaganfall erst Stunden nach dem Sturz auftrat.820 • ein Absturz eines Segelfliegers sowohl auf einer Bewusstseinsstörung als auch auf Turbulenzen beruht haben kann.821 • eine Reiterin „wie ein Sack“ vom Pferd fällt. Gerade bei jüngeren Personen kann dies sowohl das Erscheinungsbild eines Sportunfalls als auch eines (z.B. epileptischen) Anfalls sein.822
IV. Frühere Unfallereignisse 151
Die Gegenausnahme in Ziff. 5.1.1 S. 2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AUB 88/94) hat der VN zu beweisen.823
Ziff. 5.1.2 AUB 2008 5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: … 5.1.2 Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht. Schrifttum Fußhoeller Nochmals: Trunkenheit in der Insassenunfallversicherung, VW 1972 1362 und 1517; Hentschel/Born Trunkenheit im Straßenverkehr, 6. Aufl. (1992); Kessal-Wulf Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur privaten Unfallversicherung, RuS 2008 313; Kluitmann Trunkenheit in der Insassenunfallversicherung, VW 1972 1218 und 1516; Krebs Ausstrahlungen des Strafrechts in die Unfallversicherung – Insbesondere zur Auslegung des § 3 Ziff. 3 AUB, VersR 1960 289; Millert Die Ausschlüsse in § 3 der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB), VersR 1964 118; Rüther Die Gefährdung des Versicherungsschutzes durch Alkohol im Straßenverkehr, NZV 1994 457; Schilling Die neuen AUB, ZfV 1962 365.
Übersicht Rn. A. I. II. B. I.
Einführung . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . Entwicklung des Ausschlusses Tatbestand . . . . . . . . . Straftaten . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . 2. Auslandsstraftaten . . . . 3. Voraussetzungen . . . . . II. Ausführung . . . . . . . . .
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1 2 3 8 9 10 11 12 17
BGH 17.2.1988 RuS 1988 151, 152. OLG Koblenz 3.2.1989 RuS 1992 179 f. OLG München 27.10.1981 VersR 1983 127, 129. OLG München 25.6.1969 VersR 1970 33 f.
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Rn. III. Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kausalität zwischen Straftat und Unfall . . 1. Zeitlicher Zusammenhang . . . . . . . 2. Inhaltlicher Zusammenhang . . . . . . 3. Beteiligung mehrerer Personen . . . . . V. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Straftaten im Straßenverkehr nach StGB 2. Straftaten im Straßenverkehr nach StVG 3. Weitere Beispiele . . . . . . . . . . . .
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18 19 20 23 24 26 27 32 35
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 22; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 95; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 4; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 15.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
Rn.
Rn.
C. Wirksamkeit des Ausschlusses . . . . . . 43 D. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . 44 E. Spezielle AVB . . . . . . . . . . . . . . . 47
F. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . 48 I. Beweis der Straftat . . . . . . . . . . . . 49 II. Beweis der Kausalität . . . . . . . . . . . 53
A. Einführung Mit den jeweiligen AUB-Regelungen vergleichbare Ausschlusstatbestände finden sich 1 u.a. in der Kraftfahrtunfallversicherung, der Berufsunfähigkeits-(Zusatz-)Versicherung oder in der Erwerbsunfähigkeitsversicherung. A.4.10.1 AKB 2008 bzw. § 19 Nr. AKB stimmt mit den AUB-Texten wortgleich überein. Auch § 3 BUZ 90 entspricht den AUB nahezu vollständig, ordnet aber im Gegensatz zu diesen an, dass der Versuch „strafbar“ sein muss. In der Gerichtspraxis spielt der Ausschluss zwar immer wieder, aber keine herausragende Rolle. Dies dürfte an den häufig auftretenden Schwierigkeiten des VR liegen, den erforderlichen Vorsatz der versicherten Person nachzuweisen.
I. Zweck des Ausschlusses Der Ausschlusstatbestand enthält eine in der Form eines Risikoausschlusses gekleidete 2 Sonderregelung für gewisse Fälle der kurzfristigen Gefahrerhöhung.1 Das vom VR übernommene Risiko soll auf solche Versicherungsfälle begrenzt werden, die aus einer normalen Gefahrensituation heraus entstehen.2 Die Gefahrengemeinschaft soll m.a.W. nicht mit selbstverschuldeten besonderen Unfallrisiken belastet werden. Dazu ist es notwendig, die typischen Risiken unversichert zu lassen, die eine versicherte Person dadurch eingeht, dass sie sich bewusst außerhalb des Schutzes der Rechtsordnung begibt.3 Die Klausel dient vornehmlich der Ausschaltung des selbstverschuldeten besonderen Unfallrisikos, das mit der Ausführung einer strafbaren Handlung gewöhnlich verbunden ist und durch die Erregung und Furcht vor Entdeckung noch gesteigert wird.4 In solchen Situationen ist die Fähigkeit der versicherten Person reduziert, Gefahren zu bemerken und ihnen angemessen zu begegnen.5 Sie befindet sich in einem anderen als dem psychisch normalen Zustand.6 Außerdem soll der Leistungspflicht des VR für eine erhöhte Gefahrenlage begegnet werden, die aus Abwehrreaktionen resultierten. Bei einem Angriff auf andere (z.B. in Form einer gefährlichen Körperverletzung) könnte sich der Angegriffene wehren und dabei den versicherten Angreifer seinerseits verletzten oder auch töten.7 Dagegen liegen sittliche oder moralische Erwägungen dem Ausschluss nicht zugrunde.8 1
2 3 4
BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411 = NVersZ 1999 27; OLG Saarbrücken 22.3.1989 VersR 1989 1184; Krebs VersR 1960 289; Millert VersR 1964 118, 120. BGH 5.12.1990 NJW 1991 1357, 1358. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951. So u.a. OLG Frankfurt/M. 19.10.1984 VersR 1986 1018 und 1100; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 315; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 114; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 59; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 20; Bruck/Möller/
5
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Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 147; s. auch BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268, 1269 = RuS 1990 430; OLG Nürnberg 5.10.1965 VersR 1966 483, 484. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 145. Prölss NJW 1955 1035. BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411; Kloth Rn. K 30; Stockmeier/Huppenbauer S. 48. OLG Hamm 18.4.2008 VersR 2009 388; OLG Hamm 2.3.2007 VersR 2008 65, 66 = RuS 2007 297.
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Unfallversicherung
Spätestens seit der Einführung bzw. Klarstellung des Kausalitätserfordernisses in den AUB 61 ist ein dahingehendes Verständnis überholt (Rn. 4). Dem Wortlaut der Klausel ist ein Präventions- oder Sühnegedanke nicht zu entnehmen. Es ist nicht Aufgabe des VR, Straftaten zu verhüten oder zu ahnden.9 Ein etwa erforderlicher Schutz Dritter spielt bei dem Ausschlusstatbestand keine Rolle.10
II. Entwicklung des Ausschlusses 3
Der Ausschluss, der bereits in § 1 Abs. 5 S. 1 der Verbandsbedingungen von 1904 vorgesehen und seitdem weitgehend unverändert beibehalten worden war,11 wurde mit Einführung der AUB 61 überarbeitet. Die Klausel hat dann in den AUB 88/94 und AUB 99 nur noch redaktionelle, aber keine materiell-rechtlichen Änderungen mehr erfahren. In den AUB 2008 ist sie unverändert beibehalten worden: AUB 2008 12 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 13
AUB 94
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Ziff. 5 Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Ziff. 5 Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 2 Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 2 Nicht unter den Versicherungsschutz fallen
§ 3 Ausgeschlossen von der Versicherung sind:
Abs. 1 Nr. 2 Unfälle, die dem Versicherten dadurch zustoßen, dass er vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht.
Nr. 2 Unfälle, die der Versicherte erleidet infolge der vorsätzlichen Ausführung oder des Versuchs von Verbrechen oder Vergehen.
5.1 Kein Versiche5.1 Kein VersicheNicht unter den rungsschutz besteht rungsschutz besteht Versicherungsschutz für folgende Unfälle: für folgende Unfälle: fallen 5.1.2 Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht.
4
5.1.2 Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht.
Abs. 1 Nr. 2 Unfälle, die dem Versicherten dadurch zustoßen, dass er vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht.
Auch vor Einführung der AUB 61 gab es eine mit § 3 Nr. 2 AUB 61 vergleichbare Regelung. § 3 Nr. 3 AVBfU sah u.a. vor, dass Unfälle von der Versicherung ausgeschlossen sind, die der Versicherte bei der Ausführung oder dem Versuch von Verbrechen oder Vergehen erleidet. • Insbesondere zur Auslegung des Wortes „bei“ gab es Meinungsverschiedenheiten.16 Das Wort „bei“ konnte einerseits auf das Erfordernis eines zeitlichen17 und/oder örtlichen Zusammentref-
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10 11 12
BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 82; s. auch BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268, 1269; OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 395 = RuS 2006 28, 29 = NJW-RR 2006 174; OLG Düsseldorf 16.6.1961 VersR 1961 878, 879; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 27. BGH 5.12.1990 NJW 1991 1357, 1358. Zur Geschichte der Ausschlussbestimmung Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 144. Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de.
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13 14 15 16
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Stockmeier/Huppenbauer S. 48. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10, 11. Hierzu etwa OLG München 23.1.1937 VA 1937 154 f. Nr. 2972; Krebs VersR 1960 289, 290 f.; Schilling ZfV 1962 365, 366; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 145. So z.B. Wüstney S. 20.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
fens reduziert werden. Wer auf die zeitliche Komponente abstellte, der konnte dem Ausschluss sogar eine general-präventive, ethische oder sittliche Zweckbestimmung zuordnen; aus Angst seinen Versicherungsschutz zu verlieren, soll die versicherte Person von strafbarem Verhalten abgehalten werden. Stellte man dagegen den örtlichen Zusammenhang in den Vordergrund, so konnte dies Auswirkungen für die Teilnahmeformen der versicherten Person haben. Andererseits deutete das Wort „bei“ weitergehend auch auf die Notwendigkeit eines (adäquat) kausalen Zusammenhangs zwischen Unfall und strafbarem Verhalten hin.18 Eine weitere Auffassung wiederum schwächte das Kausalerfordernis ab und verlangte nur, dass die Tat den äußeren Rahmen des Unfalls bilden muss.19 Die Verfasser der AUB 61 haben diesen Streitstand durch die Ersetzung des Wortes „bei“ durch das Wort „infolge“ zugunsten des Kausalitätserfordernisses entschieden. Damit folgten sie der Lösung, die für den VN am Günstigsten war. • Die Vorgängerversion zu § 3 Nr. 2 AUB 61 ließ offen, ob die strafbare Handlung vorsätzlich oder fahrlässig begangen sein musste. Auch hierzu wurden unterschiedliche Auffassungen vertreten.20 Zwischen den beiden Extrempolen, die einfache Fahrlässigkeit genügen lassen wollten oder Vorsatz 21 forderten, wurde weiterhin die Meinung vertreten, bewusste Fahrlässigkeit sei ausreichend.22 Auch dieser Meinungsstreit ist mit den AUB 61 beendet worden. Die Bedingungsgeber nahmen das Erfordernis der „Vorsätzlichkeit“ in die Regelung auf, nicht zuletzt deswegen, um den Versicherungsausschluss für Unfälle nicht zu weit zu fassen, die durch Änderungen im Straßenverkehrsrecht veranlasst waren.23
Während in § 3 Nr. 2 AUB 61 Unfälle vom Versicherungsschutz ausgeschlossen 5 waren, die der Versicherte „infolge der vorsätzlichen Ausführung oder des Versuchs von Verbrechen oder Vergehen“ erlitt, wurden in den AUB 88 (und AUB 94) die beiden Begriffe „Verbrechen“ und „Vergehen“ zu dem Oberbegriff „Straftat“ zusammengefasst. Darin war lediglich eine redaktionelle Änderung zu sehen, die der Reform des § 12 StGB Rechnung trug.24 Der Ausschluss ist in den AUB 99 gegenüber den AUB 88/94 ohne inhaltliche Ver- 6 änderungen geblieben. Lediglich die Bezeichnung „Versicherter“ ist durch „versicherte Person“ ausgetauscht worden. Zwar wurde von den Verfassern der Musterbedingungen erwogen, die Klausel entweder auf volljährige versicherte Personen oder (in Anlehnung an § 101 Abs. 2 SGB 7; s.a. § 554 RVO) auf die vorsätzliche Begehung bzw. den vorsätzlichen Versuch einer Straftat mit gerichtlicher Verurteilung zu beschränken. Jedoch haben sich dann die Gremien gegen eine Änderung ausgesprochen. So kann ein Anknüpfen an ein Gerichtsurteil, die Ablehnung des Versicherungsschutzes unmöglich machen, wenn es um Antragsdelikte geht und ein Antrag auf Strafverfolgung nicht gestellt wurde, die versicherte Person vor Urteilsverkündung verstirbt oder wenn es zu einer Einstellung des Verfahrens bzw. zu einem Absehen von Strafe kommt. Darüber hinaus könnte die Leistungsregulierung bis zum Abschluss des u.U. langwierigen Strafverfahrens nicht abgeschlossen werden.25
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Grundlegend BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 81 f.; auch BGH 22.11.1962 VersR 1963 133 = VerBAV 1963 49 f.; OLG Düsseldorf 16.6.1961 VersR 1961 878, 879; ferner Millert VersR 1964 118, 119; a.A. Jannott S. 101. So Henke S. 63 ff. Krebs VersR 1960 289, 290; Millert VersR 1964 118, 120; Schilling ZfV 1962 365, 366 f. So etwa LG Frankfurt/M. 15.12.1954 NJW
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1954 1035, 1036 = VerBAV 1955 47 f. Nr. 82; s. auch VA 1939 105. S. etwa Henke S. 66 f.; Prölss NJW 1955 1035 f. Grewing Entstehungsgeschichte S. 14 f. Konen/Lehmann S. 14; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 27; Stockmeier/Huppenbauer S. 48; a.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 30 f. Stockmeier/Huppenbauer S. 49.
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Unfallversicherung
Weder die VVG-Reform 2008 noch die Rechtsprechung machte eine Anpassung von Ziff. 5.1.2 AUB 99 zwingend erforderlich. Die Klausel wurde folgerichtig unverändert in die AUB 2008 übernommen.
B. Tatbestand 8
Der Risikoausschluss in Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94) setzt voraus, dass die versicherte Person eine Straftat vorsätzlich ausgeführt oder versucht hat sowie zwischen der Straftat und dem Unfall ein Kausalzusammenhang besteht. • Die Voraussetzungen müssen von der versicherten Person erfüllt sein („dass sie“ – die versicherte Person „ausführt oder versucht“). Der versicherten Person nicht in strafrechtlich relevanter Weise zurechenbare Straftaten von anderen Personen bleiben außer Betracht. Insbesondere greift die Ausschlussklausel nicht ein, wenn die versicherte Person selbst aufgrund eines Verbrechens oder Vergehens einen Unfall erleidet. • Unerheblich für die Anwendung des Ausschlusses ist es, ob die versicherte Person wegen der Straftat in einem Strafverfahren rechtskräftig verurteilt wurde (Rn. 6); denn der VR ist am Strafverfahren nicht beteiligt und kann darauf kaum Einfluss nehmen. Vielmehr ist der Ausschluss des Versicherungsschutzes – dem Regelungszweck entsprechend – völlig unabhängig von der strafgerichtlichen Verfolgung.26 Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, die Durchführung, die Beendigung (Verurteilung) 27 bzw. die Einstellung des Strafverfahrens oder der Strafvollzug sind für die materiell-rechtliche Anwendung des Ausschlusses irrelevant 28 und können nur Bedeutung im Rahmen der Beweisführung durch den VR erlangen (z.B. durch Aktenbeiziehung). Auch die Besonderheiten des Einzelfalles, die Höhe der Strafe, die Schwere der Schuld oder das Vorliegen mildernder Umstände haben unberücksichtigt zu bleiben.29 Unerheblich sind des Weiteren die Stellung eines Strafantrags 30 oder sonstige Prozessvoraussetzungen sowie die Begnadigung, die Amnestie oder das Vorliegen von Strafausschließungs- bzw. Strafmilderungsgründen.31 Die mit der Verwirklichung einer Straftat einhergehende besondere Gefahrensituation ist von diesen Umständen unabhängig. Die Gefahrerhöhung liegt auf der Ebene des tatsächlichen Geschehens bzw. der Tathandlung, nicht jedoch auf dem Gebiet der Strafverfolgung.32
I. Straftaten 9
Was am jeweiligen Tatort unter dem Begriff Straftat i.S.d. AUB zu verstehen ist sowie ob und unter welchen Voraussetzungen eine Straftat vorliegt, ist nach deutschem (Straf-) Recht zu beurteilen. Dies folgt bereits aus Ziff. 18 AUB 99/2008. Die Maßgeblichkeit des deutschen StGB ergibt sich des Weiteren durch die Auslegung des Ausschlusses unter Berücksichtigung der Sichtweise eines durchschnittlichen und verständigen VN. Der VN wird erwarten, dass auf einen in Deutschland mit einem dort ansässigen VR abgeschlossenen Versicherungsvertrag unter Zugrundelegung der in der Bundesrepublik üblichen AUB das deutsche Rechtsverständnis heranzuziehen ist.33
26
27 28 29
KG 20.1.2004 RuS 2006 80, 82; LG Chemnitz 8.8.1994 RuS 1995 200; Hentschel/Born Rn. 959; Kloth Rn. K 35 f.; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 60. Krebs VersR 1960 289; Millert VersR 1964 118, 120. Stockmeier/Huppenbauer S. 49. So bereits Wüstney S. 19.
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OLG Düsseldorf 23.5.2000 VersR 2001 361; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 98. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24. Krebs VersR 1960 289. OLG Saarbrücken 22.3.1989 VersR 1989 1184.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
1. Begriff Die in den AUB 88/94/99 zum Oberbegriff „Straftat“ gebündelten Begriffe „Verbre- 10 chen“ und „Vergehen“ (Rn. 5) sind i.S.d. deutschen Strafrechts zu verstehen.34 Sie sind für Straftaten im Inland in § 12 StGB definiert. Verbrechen sind demnach rechtwidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§ 12 Abs. 1 StGB). Rechtswidrige Taten, die mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind, werden dagegen als Vergehen bezeichnet (§ 12 Abs. 2 StGB). Entscheidend für die Abgrenzung ist die abstrakte Strafandrohung des Gesetzes, nicht die im Einzelfall erkannte Strafe. Außer Betracht bleiben Strafschärfungen oder Strafmilderungen, die nach dem AT des StGB oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.35 • Unter Straftaten fallen nicht Ordnungswidrigkeiten.36 Versicherungsschutz hat die Rechtsprechung z.B. angenommen bei Fahren eines Kfz ohne Zulassung oder „Umbau“ von Feuerwerkskörpern bzw. Eigengefährdung mit pyrotechnischen Gegenständen.37 • Maßgebender Zeitpunkt für die rechtliche Qualifizierung des Verhaltens der versicherten Person als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit ist der Eintritt des Unfallereignisses (Tatzeit) 38 und nicht etwa der Abschluss des Versicherungsvertrages.39 Zweifelhaft ist, ob den VR gegenüber dem VN eine Hinweispflicht trifft, wenn eine Gesetzesänderung dazu führt, dass eine Ordnungswidrigkeit zukünftig als Straftat einzuordnen ist.40 Die Anforderungen an den VR würden überspannt, müsste er aus „schärferen Gesetzen“ folgende Risikominderungen dem VN unaufgefordert oder ohne konkreten Anlass mitteilen. Der VR ist umgekehrt auch nicht berechtigt, höhere Prämien vom VN zu verlangen, wenn der Gesetzgeber Straftatbestände zu Ordnungswidrigkeiten „umfunktioniert“.
2. Auslandsstraftaten
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Der Ausschluss erfasst nur Straftatbestände des geltenden deutschen Strafrechts. • Auslandsstraftaten sind darauf hin zu untersuchen, ob sie dem Geltungsbereich des deutschen Strafrechts unterliegen (§§ 3 ff. StGB). Für Taten eines deutschen Staatsangehörigen, die im Ausland begangen wurden, kommt z.B. nach § 7 StGB das deutsche StGB zur Anwendung, wenn die Tat am Tatort mit Strafe (d.h. mit einer Kriminalstrafe und nicht bloß mit einer Geldbuße i.S.d. deutschen Ordnungswidrigkeitsrecht) bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.41 Z.T. wird allerdings einschränkend gefordert, dass für die Anwendung des Ausschlusses in Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 bei Auslandsstraftaten Strafbarkeit nicht nur in Deutschland, sondern auch am Tatort gegeben sein müsse.42 Diese Auffassung ist abzulehnen. Zwar lässt sich anführen, dass bei einer fehlenden Strafbarkeit am Tatort die Gefahr eines erhöhten Unfallrisikos etwa durch Furcht vor Entdeckung oder Gegenwehr nicht in dem Maße gegeben sein mag wie bei einer Tatbegehung in Deutschland. Jedoch sind die mit dem Ausschlusstatbestand verfolgten Zwecke (Rn. 2) nicht vollständig hinfällig. Die versicherte Person weiß von der Strafbarkeit ihres Verhal-
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So u.a. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 138; Kloth Rn. K 31; Millert VersR 1964 118, 120; Wüstney S. 19. Krebs VersR 1960 289; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28. S. nur Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 23; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 59; Stockmeier/ Huppenbauer S. 48. OLG Düsseldorf 18.11.1997 RuS 1998 481 f. = VersR 1998 1148 (LS).
38 39 40 41
42
Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 12. Offen lassend LG Koblenz 3.2.1966 VersR 1966 867. So LG Koblenz 3.2.1966 VersR 1966 867 f. OLG München 11.7.1997 VersR 1999 881, 882; OLG Saarbrücken 22.3.1989 VersR 1989 1184, 1185. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; so wohl auch Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 113.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.2
Unfallversicherung
tens nach deutschem Recht und muss – unabhängig vom Recht des Tatorts – nach wie vor mit einer Strafverfolgung in Deutschland rechnen. Eine Gefahrerhöhung gegenüber dem normalen (erlaubten) Tun und Unterlassen ist mithin immer noch gegeben. Widerspricht die versicherte Person (bewusst) der im StGB zum Ausdruck kommenden Werteordnung, so kann sie weiterhin auch nicht sicher vor Gegenwehr im Ausland sein, selbst wenn dort das Verhalten nicht (ausdrücklich) unter Strafe gestellt sein sollte. Im Übrigen umfasst der Unfallschutz Unfälle in der ganzen Welt (Ziff. 1.2 AUB 99/2008, § 1 Abs. 2 AUB 88/94, § 6 AUB 61). Es ist dann konsequent (und für den verständigen VN nachvollziehbar), wenn der Ausschluss für weltweit ausgeführte Straftaten (i.S.d. deutschen Strafrechts) Anwendung findet.43 • Der Ausschluss greift dagegen nicht ein, wenn der im Ausland erlittene Unfall die Folge einer (ausschließlich) nach dem Recht des Tatorts als Straftat (Verbrechen oder Vergehen) zu bewertenden Handlung gewesen ist.44 Anderenfalls könnte der Fall auftreten, dass die versicherte Person ihren Versicherungsschutz verliert, weil nach dem Recht des Tatorts ein Vergehen oder Verbrechen vorliegt, obwohl die zum Unfall führende Handlung nach deutschem Recht straflos wäre. Ein solches Ergebnis gibt der eng auszulegende Ausschlusstatbestand (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 5) nicht her.45 Dem steht nicht entgegen, dass auch in diesen Fällen der mit Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94 und § 3 Nr. 2 AUB 61 verfolgte Zweck gegeben ist, die mit der Begehung oder dem Versuch von Straftaten verbundenen Risikoerhöhungen auszuschließen (Rn. 2); denn die Maßgeblichkeit auch des ausländischen Strafrechts müsste im Ausschluss deutlich und unmissverständlich geregelt sein.
3. Voraussetzungen
12
Die zivilrechtliche Beurteilung des Ausschlusstatbestandes richtet sich aufgrund der Formulierung „Ausführen oder Versuch einer Straftat“ nach den Grundsätzen des deutschen Strafrechts.46 Damit werden strafrechtliche Prüfungskriterien zu Tatbestandsmerkmalen eines versicherungsrechtlichen Ausschlusstatbestandes; Rechtsbegriffe außerhalb des Versicherungsrechts erlangen Bedeutung für die zivilrechtliche Anwendung der AUB.47 Folge kann sein, dass Änderungen des Strafrechts (z.B. die Einführung neuer Straftatbestände) kraft der Verweisung in den AUB zu einer Änderung des Versicherungsvertrages führen kann, die außerhalb der Disposition der Vertragspartner steht und – je nach Inhalt – dem Willen und Interesse eines der Vertragspartner widersprechen kann.48 Nach dem üblichen strafrechtlichen Verständnis setzt eine Straftat eine objektiv und subjektiv tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung voraus. 13 Die Straftatbestände (Verbrechen und Vergehen) sind dem gesamten materiellen Strafrecht innerhalb und außerhalb des StGB zu entnehmen.49 In Betracht kommen als u.a. auch Tatbestände aus dem StVG. Unerheblich ist, ob das Verbrechen oder Vergehen einen kriminellen Charakter hat;50 denn der Ausschluss hat nicht den Zweck, begangene
43 44
45 46 47
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28. A.A. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 59. OLG Saarbrücken 22.3.1989 VersR 1989 1184 f. BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411. BGH 29.6.2005 VersR 2005 1226, 1227; BGH 5.12.1990 NJW 1991 1357; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 27; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 316; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 12.
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48
49
50
Prölss NJW 1955 1035, 1036; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 146. Das LG Frankfurt/M. 15.12.1954 NJW 1954 1035, 1036 = VerBAV 1955 47 Nr. 82 hält dies für bedenklich. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28; Stockmeier/Huppenbauer S. 48; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 146. OLG Nürnberg 5.10.1965 VersR 1966 483, 484; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
Straftaten zusätzlich durch Zufügung eines auf zivilrechtlichem Gebiet liegenden Nachteils zu ahnden, sondern verfolgt das Ziel, für den VR das besondere Risiko des selbstverschuldeten Unfalls auszuschalten (Rn. 2). Der Wortlaut von Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 14 AUB 61) sieht ausdrücklich das Vorsatzerfordernis vor. Der Bedeutungsgehalt von „vorsätzlich“ ist in vollem Umfang dem deutschen Strafrecht, d.h. den Vorschriften der §§ 15 f. StGB, zu entnehmen.51 Gefordert wird mithin die Verwirklichung eines mit Strafe bedrohten Tatbestandes mit Wissen und Wollen der versicherten Person (vgl. auch § 15 StGB). Ausreichend sind bedingt vorsätzlich begangene Straftaten.52 Kenntnis der versicherten Person von der gesetzlichen Verhaltensregel ist nicht erforderlich. Sie muss lediglich die tatbestandlich relevanten Umstände kennen und diese verwirklichen wollen.53 Nach § 11 Abs. 2 StGB ist vorsätzlich im Sinne des StGB eine Tat auch dann, wenn sie einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, der hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt, hinsichtlich einer dadurch verursachten besonderen Folge jedoch Fahrlässigkeit ausreichen lässt. So genügt z.B. für die Anwendung des Ausschlusses bei vorsätzlichem Handeln die lediglich fahrlässig herbeigeführte Gefährdung gemäß § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB.54 Entsprechendes gilt für § 42 SprengG.55 • Bei einem Tatbestandsirrtum entfällt der Vorsatz (§ 16 Abs. 1 StGB), nicht dagegen beim sog. (vermeidbaren) Verbotsirrtum (§ 17 StGB).56 Der Ausschlusstatbestand kann nicht dahin verstanden werden, dass der versicherten Person bewusst sein müsste, dass sie gegen ein Strafgesetz verstößt, oder dass die versicherte Person jedenfalls die gesetzlichen Verhaltensregeln kennen müsste. Es genügt vielmehr, dass die versicherte Person die Umstände kennt, die zum Straftatbestand gehören, und diese verwirklichen will.57 • Vom Ausschluss nicht erfasst sind dagegen unbewusst oder bewusst fahrlässig begangene Straftaten.58 Zwar lässt sich ein Ausschluss der bewussten (im Gegensatz zur unbewussten) Fahrlässigkeit rechtfertigen; denn bei der sog. luxuria sieht der Täter – anders als bei der unbewussten Fahrlässigkeit – die Gefahr vor Eintritt des verbotenen Erfolgs und ändert dennoch nicht sein Verhalten, weil er hofft, es werde alles gut gehen. Ähnlich wie der vorsätzlich Handelnde erhöht also der bewusst fahrlässig Handelnde die allgemeine Gefahrenlage und befindet sich in einem anderen als den psychischen Normalzustand.59 Die Bedingungsgeber haben jedoch von einem Ausschluss der bewussten Fahrlässigkeit abgesehen, sondern vielmehr zugunsten des VN das Vorsatzerfordernis mit den AUB 61 gezielt eingeführt (Rn. 4). Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs stünde dem eindeutigen Wortlaut der Klausel entgegen. Hinzu kommt, dass dem Ausschluss der bewussten Fahrlässigkeit keine große Bedeutung zukommt, da der VR nachweisen muss, dass die versicherte Person den Erfolg voraussah. Auf einen Rechtsstreit hierzu wird er es nur selten ankommen lassen.60
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OLG Hamm 22.6.2005 VersR 2006 399 = RuS 2006 32; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 30; s. auch OLG Saarbrücken 22.3.1989 VersR 1989 1184, 1185. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 141; Kloth Rn. K 32; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 60; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 22; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 13; s. auch die Diskussion zwischen Fußhoeller VW 1972 1362 und Kluitmann VW 1972 1516. Kloth Rn. K 33. OLG Hamm 23.1.1981 VersR 1981 954.
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KG 20.1.2004 RuS 2006 80, 83. OLG Saarbrücken 22.3.1989 VersR 1989 1184, 1185; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28; Kloth Rn. K 32; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 22. OLG Hamm 22.6.2005 VersR 2006 399 = RuS 2006 32. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; Millert VersR 1964 118, 120; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 13. Krebs VersR 1960 289, 290 und Prölss NJW 1955 1035. Henke S. 66 f.
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Unfallversicherung
15
Die Anwendbarkeit des Ausschlusses setzt eine objektiv rechtswidrige Tat voraus. Der Leistungsausschluss greift nicht durch, wenn der versicherten Person ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht, sie also z.B. in Notwehr handelt,61 ein rechtfertigender Notstand vorliegt (§§ 32, 34 StGB) oder ein sonstiger Rechtfertigungsgrund wie etwa der Tatbestand der erlaubten Selbsthilfe (§ 229 BGB) eingreift.62 In diesen Fällen handelt es sich nicht um eine selbstverschuldete Erhöhung des Unfallrisikos, so dass der Normzweck von Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61) nicht zur Geltung kommt.63 Hat die versicherte Person die mit Strafe bedrohte Handlung nicht schuldhaft be16 gangen, so greift der Ausschluss in Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61) nicht durch.64 Sein Regelungszweck würde verfehlt; denn es würde an der „selbstverschuldeten“ Erhöhung des Unfallrisikos fehlen.65 Erforderlich sind m.a.W. Schuldfähigkeit 66 und das Fehlen von Schuldausschließungsgründen (z.B. entschuldigender Notstand nach § 35 StGB).67 Der Ausschluss greift folglich nicht durch • bei Kindern, die nach § 19 StGB schuldunfähig sind.68 • bei Jugendlichen, die nicht i.S.v. § 3 JGG strafrechtlich verantwortlich bzw. strafmündig sind.69 • im Fall der Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen nach § 20 StGB.70
Bei § 21 StGB (verminderte Schuldfähigkeit) ist nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden, in welchem Umfang die Schuldfähigkeit vermindert war.71 Fehlt es an einer schuldhaften Ausführung einer Straftat, so kann der Versicherungsschutz nach Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) z.B. aufgrund einer alkohol- bzw. drogenbedingten Bewusstseinsstörung ausgeschlossen oder gemäß Ziff. 4 AUB 99/2008 (§ 3 AUB 88/94, § 5 AUB 61) wegen Versicherungsunfähigkeit z.B. infolge einer Geisteskrankheit entfallen sein.
II. Ausführung 17
Der Begriff „Ausführung“ ist nach strafrechtlichen Grundzügen auszulegen.72 Die Straftat kann durch einen – unmittelbaren und mittelbaren – Täter (§ 25 Abs. 1 StGB) oder durch einen Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) ausgeführt werden. Des Weiteren reichen Anstiftung (§ 26 StGB) oder Beihilfe (§ 27 StGB) 73 aus.74 Ob und inwieweit Teilnahmehandlungen an vorsätzlichen Verbrechen oder Vergehen geeignet sind, den Deckungs61
62
63 64 65 66 67 68
OLG Hamm 14.6.1978 VersR 1978 1137; OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 31. Krebs VersR 1960 289; Millert VersR 1964 118, 120; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 148; Wüstney S. 20. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 148. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; Krebs VersR 1960 289. S.a. BGH 5.12.1990 NJW 1991 1357. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 13. Stockmeier/Huppenbauer S. 48; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 31.
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69 70 71
72 73 74
BGH 29.6.2005 VersR 2005 1226, 1227. BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28; zust. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 60. Millert VersR 1964 118, 120. LG Frankenthal 9.11.1976 VersR 1977 353. OLG Düsseldorf 23.5.2000 VersR 2001 361; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 29; Henke S. 65; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 140; Kloth Rn. K 31; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 113; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 60; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 34.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
schutz nach Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61) auszuschließen, ist allerdings nicht unstreitig. So wird – vornehmlich im älteren Schrifttum – argumentiert, (verbale) Anstiftung zu einer strafbaren Handlung 75 könne ebenso wie die mittelbare Täterschaft oder die psychische Beihilfe durch Raterteilung nicht dem Begriff „Ausführung“ einer Straftat (bzw. eines Verbrechens oder Vergehens) untergeordnet werden.76 Psychische Einwirkungen auf den Täter durch Erteilung eines Rates oder durch andere rein geistige Urheberschaft schaffe noch keine konkrete Unfallgefahr. Vielmehr fehle es an der äußerlichen physischen Betätigung, die die nach dem Sinn und Zweck des Ausschlusses erforderliche Risikoerhöhung begründe.77 Dem ist indes in dieser Absolutheit nicht zu folgen. Die genannten Teilnahmeformen unterfallen ohne weiters dem Begriff „Straftat“ (bzw. Verbrechen oder Vergehen) und dem allgemeinen Verständnis vom Wort „Ausführen“. Der Zielrichtung des Ausschlusstatbestandes, keine Leistungen für bestimmte schuldhaft herbeigeführte Gefahrerhöhungen erbringen zu müssen, lässt sich unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles im Rahmen der Kausalitätsprüfung ausreichend Rechnung tragen (Rn. 24), ohne bestimmte – mitunter schwer zu unterscheidende – Arten der Täterschaft oder Teilnahme pauschal dem Anwendungsbereich des Ausschlusses zu entziehen.
III. Versuch Ebenso wie der Begriff der „Ausführung“ ist auch der Begriff „Versuch“ nach straf- 18 rechtlichen Grundsätzen auszulegen.78 • Vom Ausschluss erfasst sind auch der nicht strafbare oder untaugliche Versuch (§ 23 Abs. 1 und 3 StGB):79 Der Ausschluss des Versuchs, der nicht strafbar ist (z.B. § 142 StGB), ist nicht nur mit dem Wortlaut „eine Straftat … versucht“ vereinbar, sondern ergibt sich auch aus dem Schutzzweck des Ausschlusses. Die versicherte Person, die bewusst beginnt, das Tatbestandsmerkmal einer strafbaren Handlung zu verwirklichen, schafft ein erhöhtes subjektives Unfallrisiko, das vom VR nicht übernommen werden soll.80 Entsprechendes gilt für den untauglichen Versuch (mit untauglichen Mitteln oder am untauglichen Objekt). Auch hier ist eine Anwendung von Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61) angemessen. Zum einen ist der untaugliche Versuch durch § 23 Abs. 3 StGB ausdrücklich unter Strafe gestellt. Zum anderen stellt sich die Risikolage nicht anders dar als bei dem straflosen Versuch einer Straftat. Da der Täter glaubt, eine strafbare Handlung zu begehen, führt seine psychische Situation zu einer Risikoerhöhung zum Nachteil des VR, die dieser durch die Ausschlussklausel beseitigen will.81 • Bloße Vorbereitungshandlungen genügen dagegen nicht, es sei denn, sie erfüllen ihrerseits einen Straftatbestand.82 Zwar würde es dem Klauselzweck entsprechen, in derartigen Fällen den Versicherungsschutz zu versagen. Jedoch bringt der Wortlaut von Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61 mit den Begriffen „Ausführung“ und „Versuch“ deutlich zum Ausdruck, dass er zumindest den Beginn einer Tatbestandsverwirklichung voraussetzt. So hat z.B. die versicherte Person Versicherungsschutz, wenn sie eine Brandstiftung beabsichtigt,
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Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 18; Wüstney S. 20. Krebs VersR 1960 289, 290; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 96. Millert VersR 1964 118, 120. Krebs VersR 1960 289, 290; Millert VersR 1964 118, 120. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 29; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 139; Prölss/
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Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 35 f. So auch Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 60; a.A. Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 149. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 149. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 29; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 60.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.2
Unfallversicherung
jedoch in der Planungsphase beim Hantieren mit brennbaren Substanzen eine Verletzung erleidet.83 • Die Abgrenzung zwischen dem Versuch, der zum Versicherungsausschluss führt, und der bloßen (versicherten) Vorbereitungshandlung erfolgt nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen. Ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes i.S.v. § 22 StGB liegt nach der ständigen Rechtsprechung vor, wenn der Täter eine Handlung vornimmt, die nach seinem Tatvorsatz der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert ist und im Falle eines ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmündet. Der Täter muss subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ und zur Gefährdung des geschützten Rechtsguts überschritten haben.84 • Ein Wahndelikt führt nicht zur Anwendung des Ausschlusses,85 obwohl es in gleicher Weise wie strafbares Handeln gefahrerhöhend wirken kann. Eine analoge Anwendung des Ausschlusses kommt nicht in Betracht.86 • Ein Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB) hebt die Anwendung der Ausschlussbestimmung nicht auf; denn der Rücktritt beseitigt nicht die bis dahin vom Täter geschaffene erhöhte Gefahrenlage.87 Dieser Strafaufhebungsgrund ist vielmehr versicherungsrechtlich genauso unbeachtlich wie ein Strafausschließungsgrund.88
IV. Kausalität zwischen Straftat und Unfall 19
Der Unfall muss in einem adäquat ursächlichen Zusammenhang mit der Ausführung oder dem Versuch einer Straftat eingetreten sein.89 Aus dem Wort „dadurch“ in Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 und § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94 90 bzw. dem Wort „infolge“ 91 in § 3 Nr. 2 AUB 61 ergibt sich das Kausalitätserfordernis. Der Beurteilungsmaßstab leitet sich – wie auch sonst im Zivil- und Unfallversicherungsrecht – aus der Adäquanztheorie ab. Konsequenz des adäquaten Kausalitätserfordernisses ist, dass die versicherte Person mit der Straftat eine Erfolgsbedingung gesetzt haben muss, die generell geeignet ist, einen Unfall der eingetretenen Art zu verursachen,92 und die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch der Unfall entfiele.93 Es genügt Mitursächlichkeit.94 Unter Berücksichtigung 83 84
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Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 38. OLG Hamm 17.8.2005 VersR 2006 399, 400 = NJW-RR 2005 1618, 1619 = RuS 2006 31. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 29; Kloth Rn. K 34; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 60. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 149. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 29; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 60. OLG Hamm 17.8.2005 VersR 2006 399, 400 = NJW-RR 2005 1618, 1619 = RuS 2006 31, 32; zust. Marlow RuS 2006 397, 398. S. nur BGH 22.11.1962 VersR 1963 133 = VerBAV 1963 49; BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 82; OLG Düsseldorf 16.6.1961 VersR 1961 878, 879; OLG Hamm 14.6.1978 VersR 1978 1137; LG Münster 19.3.1964 VersR 1964 163 f.; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 30; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 316; Konen/Lehmann S. 14.
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Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 142; Kloth Rn. K 37; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 15; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 37. Grewing Entstehungsgeschichte S. 14; Millert VersR 1964 118, 119. BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411; OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 395 = RuS 2006 28, 29 = NJW-RR 2006 174; OLG Hamm 18.4.2008 VersR 2009 388; OLG Hamm 2.3.2007 VersR 2008 65, 66 = RuS 2007 297; Kloth Rn. K 37; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 62; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 24; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 97; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 150. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 30. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 142; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 114; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 24.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
des Zwecks der Klausel ergibt sich, dass es weniger auf einem rein zeitlichen oder örtlichen, sondern insbesondere auf einen inneren Zusammenhang zwischen der Straftat und dem Unfall ankommt.95 Damit ist folgende Kausalkette zu prüfen: Ausführung einer Straftat → erhöhte Gefahrenlage → Unfall ➔ Versicherungsausschluss.
1. Zeitlicher Zusammenhang Fraglich ist, ob und welcher (unmittelbare) zeitliche Zusammenhang zwischen der 20 Ausführung der Straftat und dem Unfall bestehen muss.96 I.E. kommt es hierauf nicht entscheidend an. Kausalität kann auch nach Vollendung oder Beendigung der Tat gegeben sein: Der Ausschlusstatbestand i.S.v. Ziff. 5.1.2, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94 bzw. § 3 21 Nr. 2 AUB 61 greift nicht nur in dem Zeitraum ein, in dem der Straftatbestand verwirklicht wird (sog. Vollendung). Seine Anwendung kommt vielmehr nach allgemeiner Ansicht auch bis zur sog. Beendigung in Betracht, also bis zu dem Zeitpunkt nach Erfüllung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen, in dem der Täter alle Umstände verwirklicht hat, die er mit seiner Tat angestrebt und in seinen Vorsatz aufgenommen hat, und in dem er wieder zur Ruhe gekommen ist.97 Es kommt auch nicht auf die juristische Qualifikation dazu an, ob es sich bei der Straftat um ein Dauerdelikt handelt.98 Die Begründung hierfür liefert das Wort „ausführen“ in der Klausel, das nicht mit „verwirklichen“ der Straftat gleichzusetzen ist. Folglich können auch Unfälle beim Rückzug vom Tatort, bei der Beseitigung von Tatspuren, auf der Flucht nach einer Straftat,99 bei der Sicherung des Diebesguts usw. vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sein.100 So ist die Kausalität regelmäßig gegeben, wenn sich der Unfall unmittelbar nach Begehung der Straftat ereignet, also z.B. die versicherte Person nur wenige Minuten nach der Tat auf der Fahrt weg vom Tatort nach drei Kilometern einen Straßenverkehrsunfall hat.101 Entsprechendes gilt, wenn der unfallversicherte Halter sein Fahrzeug einem Fahrer überlässt, der nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis ist, und der Unfall erst nach Überlassung des Fahrzeugs und Beginn der gemeinsamen Fahrt eintritt.102 Selbst Unfälle, die sich nach Vollendung oder Beendigung der Straftat ereignen, kön- 22 nen noch in einem kausalen Zusammenhang zur Straftat stehen.103 Dies ist indes nicht unumstritten. Überwiegend wird der Ursachenzusammenhang bei Sachverhalten verneint, bei denen zwischen Ausführung der Straftat und dem Unfall ein längerer Zeitraum liegt,104 so etwa in dem Fall, dass der Täter mehrere Wochen oder Monate nach der Tat 95 96
97
98 99
BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 83; ferner BGH 22.11.1962 VersR 1963 133. Offen lassend OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 395 f. = RuS 2006 28, 29 = NJW-RR 2006 174, 175. OLG Oldenburg 6.5.1955 VersR 1955 513, 514; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 65; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 21; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 147; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 34. OLG Düsseldorf 16.6.1961 VersR 1961 878, 880. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 83; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 25.
100 101
102 103 104
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 29; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 142. OLG Frankfurt/M. 19.10.1984 VersR 1986 1018 und 1100; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 29. OLG Düsseldorf 16.6.1961 VersR 1961 878, 880. OLG Hamm 18.4.2008 VersR 2009 388; Kloth Rn. K 41. Kessal-Wulf RuS 2008 313, 316; s.a. OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 395 f. = RuS 2006 28, 29 = NJW-RR 2006 174 f. (Gesundheitsschädigung trat ein bis zwei Jahre nach der Straftat auf).
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AUB 2008 Ziff. 5.1.2
Unfallversicherung
bei der Flucht vor drohender Verhaftung (z.B. durch den Sprung aus einem Fenster) einen Unfall erleidet.105 Zutreffender ist es jedoch, darauf abzustellen, ob sich die auf die mit der Ausführung der Straftat bedingte (eigentümliche) Gefahrerhöhung realisiert hat 106 oder bei wertender Betrachtung als nicht mehr relevant anzusehen ist.107 Diese weite Auslegung ist nicht nur durch den Klauselzweck, sondern auch durch den Wortlaut der Bestimmung gedeckt, die nicht mehr verlangt, als dass der Unfall adäquat durch die strafbare Handlung (mit-) verursacht ist.108 So ist z.B. auch derjenige vom Versicherungsausschluss betroffen, der • nach einer Verfolgungsjagd seinen Fluchtversuch beendet und dann von der Polizei gestellt wird. Verletzt der Polizeibeamte bei der Festnahme die versicherte Person, weil er überreagiert, einen Fehler begeht und – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – vorschriftswidrig seine Dienstpistole einsetzt, so realisiert sich eine typische Gefahrensituation, die unmittelbar in Zusammenhang mit Straftat der versicherten Person steht.109 • infolge der Straftat noch nach Stunden so aufgeregt ist, dass er stürzt oder infolge mangelnder Aufmerksamkeit einen Straßenverkehrsunfall erleidet.110
Entsprechendes gilt bei Fluchtversuchen, mögen sie auch erst Monate nach der Tat unternommen werden.111 In solchen Fällen wird sich eher die Frage stellen, ob der VR seiner Beweislast genügen kann.112 Anders ist dagegen zu entscheiden, wenn die versicherte Person einen Unfall erleidet, • nachdem die durch die Straftat ausgelöste Gefahrerhöhung abgebaut ist, weil die Flucht geglückt ist, die versicherte Person den Entschluss zur Aufgabe gefasst hat und zuhause von der Polizei angetroffen wird.113 • der durch die seit Begehung der Straftat hervorgerufene psychische Labilität hervorgerufen ist. Hier greift Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94 bzw. § 3 Nr. 2 AUB 61) nicht ein.114 Es realisiert sich nicht das spezielle mit der Straftatausführung verbundene erhöhte Risiko.
2. Inhaltlicher Zusammenhang
23
Nicht jede in welcher Weise auch immer kausale Unfallfolge eines vorsätzlichen Verbrechens oder Vergehens führt zum Ausschluss des Versicherungsschutzes. Der Eintritt eines Unfalls gelegentlich einer Straftat („Gelegenheitsursache“) reicht genauso wenig wie ein rein zufälliger Zusammenhang aus.115 An einer zurechenbaren Kausalität fehlt es deshalb, wenn das Unfallereignis • unabhängig von der Ausführung einer Straftat (eines Verbrechens oder Vergehens) allein auf das Verhalten eines Dritten zurückzuführen ist, dessen fehlerhaftes Handeln durch die Rechtsverletzung der versicherten Person weder ausgelöst noch veranlasst oder mit veranlasst worden ist.116
105
106 107 108 109 110 111
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 29; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 142; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 61. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 37. OLG Düsseldorf 23.5.2000 VersR 2001 361. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 147. OLG Hamm 2.3.2007 VersR 2008 65, 66 = RuS 2007 297, 298. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 147. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 37.
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112 113 114 115
116
S. etwa den Fall des OLG Celle 19.2.1998 VersR 1999 1403. OLG Hamm 2.3.2007 VersR 2008 65, 66. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 29. So u.a. Hentschel/Born Rn. 954; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 62; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 37; s.a. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268, 1269. BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411; BGH 10.2.1982 VersR 1982 465; BGH 22.11.1962 VersR 1963 133; s.a. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268, 1269.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
• in einem rein zeitlichen Zusammenhang mit der Straftat steht.117 Die abweichende (früher vertretene) Auffassung ist spätestens durch die Neufassung der AUB 61 überholt (Rn. 4). Versicherungsschutz besteht z.B. in dem Fall, in dem ein Wilderer von einer Schneelawine getroffen wird.118 Hier besteht kein Grund, den Wilderer anders zu beurteilen als den Bergsteiger. Beide sind in gleicher Weise dem Naturereignis (der Lawinengefahr) ausgesetzt; es realisiert sich keine der Wilderei innewohnende erhöhte Gefahr.119 Entsprechendes gilt u.a., wenn die versicherte Person sich nach der Tat ins Ausland absetzen will und mit einer Linienmaschine abstürzt.120
Notwendig ist vielmehr, dass der Unfall in einem inneren Zusammenhang mit der (jeweils verwirklichten) Straftat steht. Es muss sich gerade die durch die Ausführung der Straftat bedingte erhöhte (spezifische) Gefahrenlage ausgewirkt haben bzw. der dem Delikt eigentümliche „Gefahrenbereich“ für den Schaden ursächlich geworden sein.121 Dies folgt aus dem Zweck der Ausschlussklausel (Rn. 2). Adäquate Kausalität wird z.B. regelmäßig zu bejahen sein, wenn der Täter auf der Flucht von seinen Verfolgern durch Unvorsichtigkeit, schnelles Fahren oder riskante Manöver einen Unfall erleidet.122 3. Beteiligung mehrerer Personen Wer mittelbarer Täter ist (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB), eine Anstiftung i.S.d. §§ 26 f. 24 StGB begeht oder durch Rat (psychische) Beihilfe leistet, erfüllt zwar das Tatbestandsmerkmal „Ausführen einer Straftat“ (Rn. 17). Jedoch kann es an der Kausalität fehlen. Entscheidend für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs ist nach dem Zweck des Ausschlusstatbestandes (Rn. 2), ob der Tatbeitrag bzw. die Teilnahme eine erhöhte Unfallgefahr für die versicherte Person bewirkt. Dies wird bei jemandem, der einen anderen verbal anstiftet oder durch Rat Hilfe leistet, eher selten der Fall sein. Entsprechendes gilt für die Fälle, in denen ein Dritter die Tat eigenhändig ausführt, der Täter aber im Hinblick auf die Tatausführung selbst untätig im Hintergrund bleibt. Letztlich bedarf es jedoch einer Beurteilung des Einzelfalles. So ist der Versicherungsschutz etwa für einen Gehilfen ausgeschlossen, der sich durch Zuruf (einen Ratschlag) an einen Teilnehmer einer Schlägerei zu dessen „Komplizen“ macht und dadurch in die Schlägerei einbezogen wird.123 Der Exzess eines Mittäters oder Täters beseitigt nicht den einmal gegebenen zeitlichen 25 und inhaltlichen Kausalzusammenhang. Der Umstand, dass sich ein Mittäter verselbständigt oder der Täter über das vom Gehilfen geförderte Maß der Tat hinausgeht, ist die Folge einer durch die Ursprungstat geschaffenen erhöhten Gefahrenlage und damit innerlich mit der Ursprungstat verknüpft. So liegt z.B. der Fall, wenn Jugendliche ohne Fahr-
117
118 119 120 121
BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 81 ff.; OLG Hamm 18.4.2008 VersR 2009 388; OLG Hamm 2.3.2007 VersR 2008 65, 66 = RuS 2007 297, 298; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 952; LG Münster 19.3.1964 VersR 1964 163. Beispiel nach Henke S. 63. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 150. Beispiel nach Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 40. OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 395 = RuS 2006 28, 29 = NJW-RR 2006 174 f.; OLG Düsseldorf 23.5.2000 VersR
122 123
2001 361; OLG Düsseldorf 16.6.1961 VersR 1961 878, 879; OLG Hamm 18.4.2008 VersR 2009 388; OLG Hamm 2.3.2007 VersR 2008 65, 66; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951 f.; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 30; KessalWulf RuS 2008 313, 316; Kloth Rn. K 39; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 114; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 150. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 83; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 40. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 148.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.2
Unfallversicherung
erlaubnis eine nächtliche Spritztour mit einem fremden Wagen unternehmen und der Fahrer sich mit der Fortsetzung der Fahrt nicht an den mit dem versicherten Beifahrer gemeinsamen Tatplan hält. Hier liegt die Gefahr besonders nahe, dass dem Fahrenden „die Gäule durchgehen“.124
V. Einzelfälle 26
Besondere praktische Relevanz für den Ausschluss haben Verhaltensweisen der versicherten Person im Straßenverkehr. 1. Straftaten im Straßenverkehr nach StGB
27
Unfallflucht (§ 142 StGB). Für einen (zweiten) Unfall der versicherten Person, der sich nach dem unerlaubten Entfernen der versicherten Person vom Ort des (ersten) Unfalls ereignet, kann der Ausschlusstatbestand eingreifen.125 Dies gilt allerdings z.B. dann nicht, wenn es zu einer Flucht nach einem Verkehrsunfall ohne Fremdschaden gekommen ist und auch nicht festgestellt werden kann, dass die versicherte Person beim Entfernen vom Unfallort von einem Fremdschaden ausgegangen ist.126 Nötigung (§ 240 StGB). Verkehrsrowdytum wie z.B. das Erzwingen oder das Verhin28 dern des Überholens kann den Straftatbestand der Nötigung erfüllen. Führt ein solches Verhalten der versicherten Person zu einem Unfall, so ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen.127 Anders liegt dagegen der folgende Fall: Bringt die versicherte Person ihren Pkw durch schrittweises leichtes Abbremsen zum Stillstand, um einen über eine längere Wegstrecke dicht auffahrenden anderen Verkehrsteilnehmer zum Anhalten zu bewegen und diesen dann auf die Gefährlichkeit des Auffahrens hinzuweisen, so ist dieses Verhalten als nicht verwerflich nach § 240 Abs. 2 StGB zu bewerten. Der Versicherungsschutz ist dann nicht nach Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 ausgeschlossen.128 Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs (§ 248b StGB). Eine Verletzung des § 248b 29 StGB kann zur Anwendung des Ausschlusses führen. Kommt es während des unbefugten Gebrauchs des Kfz zu einem Unfall, so ist Kausalität gegeben, auch wenn die versicherte Person das Fahrzeug nicht selbst gelenkt hat.129 Trunkenheitsfahrten (§§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316, 323a StGB). Die Leistungsfreiheit 30 kann nicht nur gegenüber dem fahruntüchtigen Fahrer,130 sondern auch gegenüber anderen (mit-)versicherten Fahrzeuginsassen bestehen, soweit sie bei einem Trunkenheitsdelikt der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316 oder § 323a StGB als Mittäter oder Gehilfen in Frage kommen.131 • Vom Versicherungsausschluss erfasste Mittäter bei Trunkenheitsfahrten können Personen sein, die die Fahruntüchtigkeit des Fahrers kennen und seinen Fahrtentschluss billigen. Mittäterschaft kommt insbesondere in den Fällen in Betracht, in denen jemand die Unfallfahrt durch den ange-
124 125 126 127 128
OLG Düsseldorf 23.5.2000 VersR 2001 361. LG Hannover 9.10.1985 VersR 1986 335; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 22. OLG Hamm 20.11.1970 VersR 1971 458 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 32. Näher OLG Hamm 11.7.2008 VersR 2009 389 = NJW-RR 2009 608; OLG Hamm 18.4.2008 VersR 2009 388, 389.
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129 130
131
OLG Düsseldorf 23.5.2000 VersR 2001 361. So z.B. die Fälle des BGH 5.12.1990 NJW 1991 1357; OLG Hamm 2.3.2007 VersR 2008 65, 66 = RuS 2007 297. Hentschel/Born Rn. 956.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
trunkenen Fahrer veranlasst, den Fahrer unterstützt oder sogar dessen Bedenken zerstreut hat.132 Nicht vom Ausschluss betroffen sind dagegen bloße Insassen bzw. Mitfahrer, die die Fahruntüchtigkeit des Fahrers weder kennen noch aufgrund besonderer Umstände kennen konnten oder mussten.133 Dies dürfte regelmäßig z.B. für Anhalter gelten.134 • Eine strafbare Beihilfe liegt vor, wenn die versicherte Person trotz Kenntnis der Fahrunsicherheit des Fahrers diesem ihr eigenes Fahrzeug zur Verfügung stellt und damit die Voraussetzung für die Trunkenheitsfahrt schafft.135 Fährt sie dann bei dem fahrunsicheren Fahrer mit und kommt es dabei zu einem Unfall infolge eines (Mit-)Verschuldens des alkoholisierten Fahrers, riskiert sie den Versicherungsausschluss.136 So ist die für Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61) erforderliche Kausalität gegeben. Auch wenn die versicherte Person als Mitfahrer nicht in das Geschehen aktiv eingreift, besteht der notwendige innere Zusammenhang zwischen dem Tatbeitrag bzw. der Beihilfe und dem Unfallereignis. Die versicherte Person hat durch die Mitfahrt bei einem als fahrunsicher erkannten Fahrer für sich erhöhte Unfallrisiken geschaffen.
In der Unfallversicherungspraxis erlangt die Kette in Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61) i.V.m. §§ 315c, 316 StGB indes keine große Bedeutung, da die meisten Trunkenheitsdelikte im Straßenverkehr entweder fahrlässig begangen werden oder der Vorsatz des Fahrers nicht nachweisbar ist.137 Gefährdung des Straßenverkehrs durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses 31 Fahren (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB). Die vorsätzliche Verkehrsgefährdung führt nur zum Ausschluss, wenn der Vorsatz der versicherten Person nicht nur den Verkehrsverstoß, sondern auch die Gefährdung mit umfasst.138 Dies ist typischerweise kaum zu beweisen; denn allein die Kenntnis der äußeren Umstände, aus denen sich die Gefährlichkeit ergibt, genügt nicht zur Annahme des Vorsatzes.139 2. Straftaten im Straßenverkehr nach StVG Fahren ohne Führerschein (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG). Vorsatz der versicherten Person 32 ist bereits gegeben, wenn sie die zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände kennt, also in Kenntnis von der fehlenden Fahrerlaubnis das Fahrzeug führt. Ein vermeidbarer Verbotsirrtum lässt den Vorsatz nicht entfallen (Rn. 14). Vermeidbar ist ein etwaiger Irrtum z.B., wenn die versicherte Person nicht beim Straßenverkehrsamt nachfragt, sondern sich auf fehlerhafte Auskünfte eines ausländischen Fahrzeugverleihers oder eines deutschen Händlers verlässt.140 Grundsätzlich ist das vorsätzliche Führen eines Kfz ohne Führerschein durch die versicherte Person eine adäquate Ursache für den während der Fahrt eintretenden Verkehrsunfall, so dass der Ausschlusstatbestand eingreift;141 denn mit dem Fahren ohne Fahrerlaubnis setzt die versicherte Person eine nicht hinwegzudenkende Erfolgsbedingung, die generell auch geeignet ist, einen Verkehrsunfall zu verursachen. Das zeigt die Erfahrung i.V.m. der allgemein bekannten Unfallstatistik. Die
132 133 134 135
136 137 138
Stiefel/Hofmann17 § 19 AKB Rn. 18. Hentschel/Born Rn. 957. Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 19. Hentschel/Born Rn. 958; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 18; s.a. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 32. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 140. Hentschel/Born Rn. 959; Rüther NZV 1994 457, 464 f. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 99.
139 140 141
OLG München 11.7.1997 VersR 1999 881, 882. OLG Hamm 22.6.2005 VersR 2006 399 = RuS 2006 32. BGH 14.11.1960 VersR 1960 1107, 1108 = VerBAV 1961 7, 9; OLG Nürnberg 5.10.1965 VersR 1966 483, 484; s.a. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268, 1269 = RuS 1990 430 f.
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Unfallversicherung
Vorschriften über die Haftung des Halters und des Führers für die Betriebsgefahr von Kfz tragen dem Rechnung. Auf weitere Umstände als das vorsätzliche Führen des Kfz kommt es (prinzipiell) nicht an. Unerheblich sind das Fahrverhalten, die Fahrfertigkeiten, die Kenntnisse und die Schuld der versicherten Person oder die Witterungs- und Fahrbahnverhältnisse zur Unfallzeit.142 Die Kausalität entfällt ausnahmsweise nur dann, wenn ein Fahrfehler der versicherten Person wegen der alleinigen Unfallverursachung durch einen Dritten nachweisbar ausscheidet,143 also das fehlerhafte Verhalten des Dritten von der versicherten Person weder veranlasst oder auch nur mitveranlasst worden ist. Dann hat sich der Unfall nur „gelegentlich“ des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ereignet; der Unfall wäre auch eingetreten, wenn die versicherte Person die vorgeschriebene Fahrerlaubnis gehabt hätte.144 Entsprechendes gilt für alle Unfälle, die unabhängig von der fehlenden Fahrerlaubnis eingetreten sind bzw. außerhalb des Einflussbereiches der versicherten Person liegen (z.B. nicht auf einer fehlenden Fahrpraxis, sondern auf Naturereignissen beruhen). Die entscheidende Kontrollfrage zur Verneinung der Kausalität lautet, ob die versicherte Person den Unfall auch mit der erforderlichen Fahrerlaubnis („zwingend“) erlitten hätte. Z.T. wird erwogen, den Ursachenzusammenhang in den Fällen zu verneinen, in denen die versicherte Person nicht die Fahrerlaubnis hat, die für das bestimmte Fahrzeug erforderlich ist, sondern mit einem „falschen Führerschein“ (z.B. für eine andere Fahrzeugklasse oder mit einer ausländischen Fahrerlaubnis) fährt oder in denen der versicherten Person der Führerschein entzogen worden ist.145 Hier stehe die Fähigkeit, ein Fahrzeug zu führen, nicht grundsätzlich in Zweifel. So wirke sich z.B. die fehlende Fahrberechtigung für eine „stärkere Maschine“ nicht aus, wenn die versicherte Person, die eine „schwächere Maschine“ führen darf, mit einer geringen Geschwindigkeit einen Unfall erleide.146 Vielmehr habe die Innehabung der Fahrerlaubnis nur einen formellen, aber keinen materiellen Gehalt. Adäquate Kausalität für den Unfall sei deshalb nur dann zu bejahen, wenn das Fehlen der (richtigen) Fahrerlaubnis beim Fahrer Furcht vor Entdeckung erzeuge und er deshalb so unsicher in der Bedienung des Fahrzeugs werde, dass er den Unfall verursache.147 Dieses Verständnis hat sich indes noch nicht durchgesetzt.148 Für den VR würde eine kaum zu überwindende Beweishürde aufgebaut. Trifft die versicherte Person ein (Mit-)Verschulden am Unfall, so ist es kaum beweisbar, ob der Unfall letztlich seine Ursache im rechtswidrigen Handeln und der Furcht vor Entdeckung hat.149 Zutreffender erscheint es hier unter Berücksichtigung des Klauselzwecks zu differenzieren: • Zugunsten des VR ist im Wege des Anscheinsbeweises Kausalität anzunehmen, wenn die versicherte Person weiß, dass sie keine Fahrerlaubnis hat oder ihre Fahrerlaubnis nicht ausreichend
142 143
144
BGH 10.2.1982 VersR 1982 465. OLG Saarbrücken 22.3.1989 VersR 1989 1184, 1185; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 31; Stiefel/Hofmann17 § 19 AKB Rn. 17; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 143; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 99; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 150; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 39. BGH 22.11.1962 VersR 1963 133 = VerBAV 1963 49, 50; s.a. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268, 1269; offen lassend, ob eine solche Ausnahme überhaupt möglich ist, BGH 10.2.1982 VersR 1982 465 f.
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146 147 148
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So u.a. Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 17; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 25; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 39. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 63. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 150. So hat das OLG Stuttgart 5.6.2003 VersR 2004 188, 189 Unfallversicherungsschutz für den Fall verneint, dass die versicherte Person mit niederländischem Führerschein ihre Fahrerlaubnis in Deutschland verloren hat. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 31.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
ist, das Kfz zu führen. In diesem Fall ist sie typischerweise aufgrund der im Normalfall vorhandenen Furcht vor Ahndung einem höheren Unfallrisiko aussetzt. Die versicherte Person kann dann Tatsachen vortragen, die die ernsthafte Annahme erlauben dass das von ihr (mit-)verursachte/ verschuldete Unfallereignis unabhängig von der Furcht vor Entdeckung eingetreten ist. • Hat dagegen die versicherte Person gar keine Kenntnis davon, dass ihre Fahrerlaubnis nicht für das gefahrene Kfz ausreicht, so greift der Ausschluss nicht ein.150 Es fehlt bereits an der „vorsätzlichen Ausführung“. Des Weiteren ist die Kausalität zweifelhaft. Rechnet die versicherte Person mit keiner Strafverfolgung und muss sie damit auch nicht rechnen, so wird auch die Reaktionsbereitschaft und Fähigkeit zur Abwehr von Unfallgefahren nicht abgesenkt.
Die versicherte Person ist („psychischer“) Gehilfe einer Straftat nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn sie in einem Kfz mitfährt, obwohl sie weiß, dass der Fahrer keine Fahrerlaubnis besitzt.151 Auch in diesem Fall kann der Ausschlusstatbestand Anwendung finden.152 Zwar greift die versicherte Person als Beifahrer bzw. Mitfahrer nicht aktiv in das Geschehen ein, sie setzt sich aber durch die Mitfahrt bewusst einem erhöhten Unfallrisiko aus, das darin liegt, dass der Fahrer aus Furcht vor Entdeckung in seiner Fähigkeit zur Vermeidung von Unfallgefahren eingeschränkt sein kann und damit sowohl sich als auch den Mitfahrer über das Normalmaß hinaus gefährdet. Die Schwierigkeit für den VR wird typischerweise allerdings darin liegen, den Vorsatz des mitfahrenden Versicherten nachzuweisen.153 Überlassen eines Kfz an einen Fahrer ohne Führerschein (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 und 2 33 StVG). Wer als Halter oder sonstiger Verfügungsberechtigter ein Kfz einem Fahrer ohne Fahrerlaubnis überlässt, ist Mittäter oder Gehilfe einer Straftat nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, wenn er weiß, dass der Fahrer nicht die vorgeschriebene Fahrerlaubnis besitzt.154 Fahrzeughalter ist, wer es für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt darüber besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt.155 Die nur kurzfristige Überlassung des Fahrzeugs an einen anderen, führt nicht zum Verlust der bzw. Begründung neuer Haltereigenschaft.156 Ist zwischen der vorsätzlichen Ausführung der Straftat und dem Unfall – wie regelmäßig – Kausalität gegeben, z.B. weil der Unfall eindeutig auf die fehlende Fahrpraxis des Fahrers zurückzuführen ist, so besteht kein Unfallversicherungsschutz.157 Darüber hinaus kommt bei solchen Sachverhaltskonstellationen eine Straftat der versicherten Person als Täter nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG in Betracht.158 Diese Vorschrift sieht vor, dass sich strafbar macht, wer als Halter eines Kraftfahrzeugs anordnet oder zulässt, dass jemand das Fahrzeug führt, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat oder dem das Führen des Fahrzeugs nach § 44 des StGB oder nach § 25 StVG aufgrund eines Fahrverbots untersagt ist. Der Tatbestand ist grundsätzlich bereits dadurch erfüllt, dass sich die versicherte Person nicht vor Fahrtantritt eine gültige Fahrerlaubnis vorlegen lässt. Ausnahmen von der Vorlagepflicht sind nur dann anzunehmen, wenn der Halter unter ganz besonderen Umständen bei ausreichender Sorgfalt die sichere Überzeugung haben konnte, der Fahrer besitze die erforderliche Fahrerlaubnis.159
150 151 152
153 154
OLG Düsseldorf 30.7.1998 VersR 2000 309 (LS). Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 32. Bejaht im Fall des OLG Düsseldorf 23.5.2000 VersR 2001 361; ferner Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 140. S. z.B. den Fall des OLG Celle 19.2.1998 VersR 1999 1403. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 32; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 20; Wussow/Pürck-
155 156 157 158 159
hauer 6 § 2 Rn. 32 und 39; ferner van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 99. LG Saarbrücken 21.11.2005 ZfS 2006 279, 280. BGH 3.12.1991 NJW 1992 900, 901 f. LG Frankenthal 9.11.1976 VersR 1977 353. OLG Düsseldorf 16.6.1961 VersR 1961 878, 879 f. LG Osnabrück 23.5.1984 VersR 1985 635, 636; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 32.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.2
Unfallversicherung
So liegt etwa der Fall, wenn der Halter sein Fahrzeug einem guten Bekannten überlässt, dem zu misstrauen kein Anlass besteht und der, wie der Halter weiß, schon seit längerer Zeit ein Fahrzeug derselben Klasse hält und fährt.160 Bedingter Vorsatz ist dagegen etwa anzunehmen, wenn der Halter sein Fahrzeug einem fremden Dritten überlässt, ohne ihn überhaupt nach den Besitz des erforderlichen Führerscheins zu befragen und der zudem noch über die Bedienung des Fahrzeugs belehrt werden muss.161 Gebrauchen eines Kfz ohne die vorgeschriebene Zulassung und/oder Haftpflichtver34 sicherung (§ 6 Abs. 1 PflVG). Das Fahren mit einem nicht zugelassenen und nicht versicherten Fahrzeug unterfällt dem Straftatbestand des § 6 PflVG. Erfolgt das Fahren in unbeleuchtetem Zustand bei „Stockfinsternis“, so ist auch Ursächlichkeit der Straftat für das Unfallgeschehen anzunehmen.162 Ähnliches gilt für Rollübungen auf einem Flugplatz mit einem nicht zugelassenen Ultraleichtflugzeug. Hier ist der Tatbestand des unerlaubten Luftverkehrs i.S.d. § 60 Abs. 1 Nr. 1 LuftVG erfüllt, so dass ein bei der Übung eintretender Unfall in Zusammenhang mit einer Straftat steht und damit vom Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen ist.163 3. Weitere Beispiele
35
Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 113 StGB). Widerstand gegen Polizeibeamte bei der Entnahme einer Blutprobe kann den Ausschlusstatbestand begründen. Voraussetzung ist aber u.a., dass die Beamten bei ihrem Vorgehen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Zwangsmittel gewahrt haben und die versicherte Person nicht in eine Notwehrsituation oder in den Zustand der Putationsnotwehr versetzt haben.164 Beleidigung (§ 185 StGB). Unfälle, die sich im Zusammenhang mit einer Beleidigungs36 tat ereignen, sind nur dann vom Ausschlusstatbestand erfasst, wenn sich die mit der Beleidigung verbundene eigentümliche Gefahr verwirklicht. Das kann zu verneinen sein, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass der Beleidigungsvorsatz erst gefasst wurde, nachdem der zur erhöhten Unfallgefahr führende Vorgang begonnen wurde bzw. abgeschlossen war.165 Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB). Der Ausschluss greift durch, wenn die 37 versicherte Person Verletzungen bei einem tätlichen Angriff gegen die körperliche Integrität einer anderen Person erleidet. In diesem Fall besteht die typische, vom Zweck des Risikoausschlusses mitumfasste Gefahrerhöhung darin, dass der Angegriffene sich wehrt und dadurch den Angreifer verletzt oder ihn – vorsätzlich oder fahrlässig – tötet. Dies gilt in besonderem Maße, wenn der Angegriffene eine Schusswaffe bei sich führt. Es ist naheliegend, dass er davon berechtigt oder auch die Grenzen des Notwehrrechts überschreitend Gebrauch macht.166 Der Ausschluss greift weiterhin ein, wenn die versicherte Person sich auf eine Schlägerei einlässt, nachdem sie beleidigt worden ist.167 Eigentumsdelikte (§§ 242, 248b StGB). Der Ausschluss greift nicht durch, wenn die 38 Beteiligung der versicherten Person an einem Einbruchdiebstahl unabhängig von der späteren zu einem Unfall führenden Mitfahrt in einem gestohlenen Fahrzeug zu sehen ist,
160 161
162 163
BGH 16.5.1966 VersR 1966 626, 627. LG Coburg 11.4.1957 VersR 1957 426; bestätigt durch OLG Bamberg 8.5.1957 VersR 1957 426 f. OLG Köln 26.1.1995 VersR 1996 178, 179. AG Nürnberg 3.11.1998 RuS 1999 215.
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164 165 166 167
OLG Hamm 14.6.1978 VersR 1978 1137. OLG Hamm 18.4.2008 VersR 2009 388, 389. BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411. AG Lübeck 2.10.1989 ZfS 1991 29.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
das durch einen alkoholisierten Jugendlichen ohne Fahrerlaubnis gesteuert wird. Geht es bei der Fahrt nicht etwa um Beutesicherung oder Flucht vor der Polizei, so fehlt es an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang. Gegen die Kausalität kann anzuführen sein, dass zwischen dem Einbruchdiebstahl und der Unfallfahrt schon längere Zeit vergangen ist und zwischen dem Ort des Diebstahls und dem Unfallort auch eine längere Strecke liegt.168 Betrug (§ 263 StGB). Begeht die versicherte Person einen Betrug gemäß § 263 StGB, 39 so fehlt es häufig an der Kausalität zwischen der Verwirklichung des Straftatbestandes und dem Unfall; denn der Straftatbestand des Betruges bezweckt den Schutz des Vermögens des Geschädigten. Die mit der Begehung von Betrugsstraftaten verbundenen Risiken sind typischerweise lediglich im Bereich der Vermögensinteressen zu sehen. Gesundheitliche Schäden der versicherten Person können dagegen nicht als auf einer durch die Verwirklichung des Betrugstatbestandes typischerweise beruhenden Gefahrerhöhung bewertet werden. Eine den Ausschluss begründende Kausalität ist z.B. im Rahmen der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu verneinen, wenn ein VN in seiner Eigenschaft als Versicherungsmakler bzw. -agent gegenüber anderen zum Konzern gehörenden Unternehmen einen Betrug begeht, dieser – mit familiären und sozialen Folgen – entdeckt und geahndet wird (u.a. Untersuchungshaft) sowie anschließend bei der versicherten Person Depressionen auftreten, die zur Berufsunfähigkeit führen. Es gibt keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür, dass Straftaten und die mit diesen verbundenen Folgen ursächlich für damit einhergehende psychische Beschwerden sind. Derartige „life events“ führen bei den meisten Menschen nicht zu Depressionen, so dass auch nicht mit den Grundsätzen des Anscheinsbeweises gearbeitet werden kann.169 Drogendelikte. Verabreicht die versicherte Person einem Dritten in einer als Straftat 40 verfolgbaren Weise Betäubungsmittel (Ecstasy oder LSD), so fehlt es an dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen der Ausführung der Straftat und dem Unfall, wenn anschließend der enthemmte Dritte die versicherte Person im Rahmen von sadomasochistisch-sexuellen Handlungen tötet (vgl. auch Anh. § 178 Rn. 87 ff.). Der Ausschlusstatbestand in Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61) greift damit nicht ein. Es handelt sich bei der Tötung der versicherten Person nicht um die Folge einer Risikoerhöhung, die aus der strafbaren Abgabe von Betäubungsmitteln erwächst, sondern es realisiert sich ausschließlich die mit den sadomasochistischen Praktiken verbundene erhöhte Gefahr, für die der VR keinen speziellen Ausschlusstatbestand geschaffen hat.170 Umgang mit Sprengstoff (§ 40 SprengstoffG). Noch nicht entschieden ist, ob die Ein- 41 fuhr von Sprengstoff, die gemäß §§ 15 Abs. 1, 40 SprengstoffG strafbar ist, den für den Ausschluss erforderlichen Ursächlichkeitszusammenhang zwischen Einfuhr und einem späteren Selbstmordversuch aufweist. Jedenfalls ist der Unfallversicherungsschutz für Verletzungen desjenigen ausgeschlossen, der ohne entsprechende Erlaubnis vorsätzlich mit Sprengstoff umgeht und diesen zündet.171 Hier realisiert sich das Risiko eines selbst verschuldeten Unfalls infolge einer strafbaren Handlung.172 Für die Annahme des
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169
OLG Celle 19.2.1998 VersR 1999 1403; bestätigt durch OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 395 = RuS 2006 28, 29 = NJW-RR 2006 174, 175. OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 395 = RuS 2006 28, 29 = NJW-RR 2006 174, 175.
170 171 172
So OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951 f. KG 20.1.2004 RuS 2006 80 ff.; LG Chemnitz 8.8.1994 RuS 1995 200. LG München I 22.6.1993 RuS 1993 479.
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Unfallversicherung
bedingten Vorsatzes reicht es aus, wenn der versicherten Person bewusst ist, dass sie nicht über die erforderliche Erlaubnis zum Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen verfügt. Umgang mit Waffen (§§ 51, 52 WaffG). Der unerlaubte Umgang mit Waffen gemäß 42 §§ 51, 52, 2 WaffG kann (bei vorsätzlicher Begehung) ohne weiteres den Ausschlusstatbestand begründen.173 In diesem Fall ist die Kausalität regelmäßig gegeben. So ist z.B. der erforderliche innere Zusammenhang zwischen unerlaubten Erwerb und Besitz und der tödlichen Schussverletzung nach Ansetzen der defekten, entsicherten Waffe an den Kopf gegeben. Der Umstand, dass die versicherte Person Lauf und Magazin der Waffe nicht sachgerecht überprüft hat, belegt ihre fehlende Sachkunde. Das Waffengesetz will gerade (Unfall-)Gefahren eindämmen bzw. ihnen vorbeugen, die typischerweise aus dem Umgang unreifer, unzuverlässiger und waffenunerfahrener Personen mit Schusswaffen erwachsen.174
C. Wirksamkeit des Ausschlusses 43
Der Ausschluss ist rechtlich unbedenklich175 und hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (§ 9 AGBG) stand.176 Die mit der Regelung bezweckte Risikobegrenzung (Rn. 2) und ihr Regelungsinhalt führen zu keiner unangemessenen Benachteiligung des VN entgegen Treu und Glauben. Der Klausel liegt vielmehr ein vernünftiger und billiger Zweckgedanke zugrunde.177 Das Einzelinteresse einer versicherten Person, die durch eine vorsätzliche Straftat eine erhöhte Gefahrenlage schafft, muss gegenüber dem Interesse der Versichertengemeinschaft zurückstehen, solche Risiken auszuschließen.
D. Konkurrenzen 44
Insbesondere bei strafrechtlich relevanten Alkohol- und Drogendelikten (vornehmlich im Straßenverkehr) kommt neben Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61) eine Bewusstseins- oder Geistesstörung i.S.v. § Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88/94, § 3 Nr. 4 AUB 61) in Betracht. Bedeutung kann dieser weitere Ausschlusstatbestand etwa erlangen, wenn es bei der versicherten Person an der Schuldfähigkeit fehlt, so dass Ziff. 5.1.2 AUB (bzw. die entsprechenden Vorgängervorschriften) keine Anwendung findet (Rn. 16). Haben allerdings die Parteien eine erweiterte Alkoholklausel vereinbart (Ziff. 5.1.1 AUB 2008 Rn. 93), nach der auch Unfälle infolge von Trunkenheitsfahrten bis 1,3 ‰ mitversichert sein sollen, so kann sich der VR nach Treu und Glauben nicht auf Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 berufen, wenn sich die versicherte Person strafbar macht (§ 316 StGB), weil sie mit einer Blutalkoholkonzentration zwischen 1,1 ‰ und 1,3 ‰ ein Fahrzeug führt.178
173 174 175
So im Fall des LG Köln 25.6.1986 RuS 1987 57. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268, 1269 = RuS 1990 430, 431 BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411; OLG Hamm 2.3.2007 VersR 2008 65, 66 = RuS 2007 297; Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 27; Kloth Rn. K 30; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 114; Beckmann/Matusche-Beck-
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176
177 178
mann/Mangen 2 § 47 Rn. 59; Stockmeier/ Huppenbauer S. 48. BGH 5.12.1990 NJW 1991 1357, 1359 zu § 3 I b BB-BUZ; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 10. BGH 10.1.1957 BGHZ 23 76, 82; s.a. BGH 26.9.1990 VersR 1990 1268, 1269. Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 71 ff.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2
Hat die versicherte Person nicht vorsätzlich gehandelt oder kann ihr der notwendige 45 Vorsatz nicht nachgewiesen werden, kann die Erwägung angestellt werden, es der versicherten Person anzulasten, dass sie u.U. das Unfallereignis und die Unfallfolgen grob fahrlässig herbeigeführt bzw. nicht verhindert hat. Dieser Gedanke greift indes nicht durch. § 81 (§ 61 a.F.) betrifft nur die Schadensversicherung, nicht aber die Unfallversicherung (Vorbem. § 178 Rn. 36). Sie kann auch im Rahmen von Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94) nicht herangezogen werden.179 Weiterhin besteht kein Raum für eine Anwendung des § 254 BGB (Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 Rn. 79).180 Der VR kann der versicherten Person, grobe Fahrlässigkeit, ein Mitverschulden oder gar ein überwiegendes Verschulden nur aufgrund dahingehender (ausdrücklicher) Regelungen anlasten. Diese sind indes in den AUB nicht enthalten. Verstößt der VN mit seinem Verhalten gegenüber dem VR gegen den Grundsatz von 46 Treu und Glauben (verübt er insbesondere eine arglistige Täuschung), so kann in Ausnahmefällen eine Verwirkung des Leistungsanspruchs in Betracht kommen (Ziff. 5 AUB Rn. 27 ff.). Dies ist in der Rechtsprechung z.B. für den Fall erörtert worden, dass der VN in seiner Eigenschaft als Versicherungsmakler bzw. -agent gegenüber dem VR, von dem er nun Leistungen begehrt, (lange) vor Eintritt des Versicherungsfalls Betrügereien begangen hat. I.E. wurde dann aber eine Verwirkung u.a. mit folgender Begründung verneint: Hätte der VR für den Fall, dass der VN sich ihm gegenüber einer Straftat schuldig macht, auch dann einen Leistungsausschluss vereinbaren wollen, wenn durch die Straftat die Gesundheitsschädigung nicht herbeigeführt wird, hätte er dies ausdrücklich in sein Bedingungswerk aufnehmen müssen.181
E. Spezielle AVB Die Parteien können im Rahmen der allgemeinen Grenzen, Abweichungen zu 47 Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 vorsehen. Denkbar ist es etwa durch Sonderbedingungen Unfälle beim berufsbedingten Raufhändel oder das Fahren ohne Fahrerlaubnis bei Minderjährigen mit in den Versicherungsschutz einzubeziehen.182
F. Verfahrensfragen Das Vorliegen der Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes hat der VR nach all- 48 gemeinen Regeln darzulegen und zu beweisen (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32).183 Der VR trägt damit die volle Beweislast sowohl für das Vorliegen des objektiven und subjektiven Tatbestandes einer vorsätzlichen Straftat sowie der Schuld des VN als auch für die adäquate Kausalität zwischen der Straftat und dem Unfall.184 Behauptet z.B. die ver-
179 180 181
182 183
BGH 29.6.2005 VersR 2005 1226, 1227; s.a. BGH 5.12.1990 NJW 1991 1357. OLG Celle 19.2.1998 VersR 1999 1403. OLG Celle 31.8.2005 VersR 2006 394, 396 = RuS 2006 28, 30 = NJW-RR 2006 174, 176. Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 75 f. OLG Hamm 18.4.2008 VersR 2009 388, 389; Krebs VersR 1960 289, 290; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 151.
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OLG Hamm 14.6.1978 VersR 1978 1137; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 33; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 115; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 26; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 97; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 14; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 39.
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Unfallversicherung
sicherte Person eine Notwehrsituation oder bestreitet sie ihre Zurechnungsfähigkeit zum Unfallzeitpunkt, so muss der VR diesen Vortrag widerlegen.185
I. Beweis der Straftat 49
Die zivilrechtliche Beurteilung der Beweislast richtet sich nach den Grundsätzen des Strafrechts, weil der Ausschlusstatbestand an die Ausführung einer Straftat knüpft.186 Dies bedeutet, dass der VR die Voraussetzungen der Strafbarkeit der versicherten Person darzulegen und zu beweisen hat.187 Dazu muss er ein genügendes Maß an Indizien aufzeigen, die den notwendigen Schluss auf ein strafbares (vorsätzliches und schuldhaftes) Verhalten des VN rechtfertigen. Typischerweise bestehen für den VR aufgrund der Unschuldvermutung erhebliche Schwierigkeiten, dem Gericht die erforderliche Gewissheit vom Vorliegen der subjektiven Elemente des Straftatbestandes zu verschaffen.188 Vorsatz, Rücksichtslosigkeit usw. der versicherten Person sind dem Beweis naturgemäß schwer zugänglich. Für die Feststellung des Vorsatzes kommen dem VR keine Beweiserleichterungen zugute, und zwar auch dann nicht, wenn die versicherte Person bei dem Unfall tödlich verunglückt ist.189 Mangelnde Aufklärungsmöglichkeiten gehen vielmehr zu seinen Lasten.190 Bestehen nicht behebbare Zweifel an der Schuldfähigkeit der versicherten Person, so 50 ist ebenfalls zu ihren Gunsten zu entscheiden.191 War die versicherte Person zur Tatzeit Jugendlicher i.S.v. § 1 Abs. 2 JGG, so ist nicht wie im Strafverfahren von Amts wegen zu prüfen, ob er nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§§ 3, 43 JGG). Eine solche Prüfung der sog. Strafmündigkeit ist dem Zivilprozess fremd. Vielmehr hat grundsätzlich der VR darzulegen und zu beweisen, dass der Jugendliche die Voraussetzungen des § 3 JGG zum Unfallzeitpunkt erfüllt hat. Allerdings knüpft diese primäre Darlegungslast des VR an die sekundäre Darlegungslast des Anspruchstellers an, soweit es um Umstände aus den persönlichen Lebensumständen der versicherten Person geht, die der VR aus eigenem Wissen nicht vortragen kann. Dies bedeutet, dass im Streitfall der Anspruchsteller die Umstände zu benennen hat, die Zweifel an der Strafmündigkeit der versicherten Person begründen. Dadurch wird der VR erst in die Lage versetzt, seinerseits sachdienliche Behauptungen aufzustellen und entsprechende Beweisangebote vorzulegen. Der Tatrichter muss ggf. im Rahmen seiner materiellen Prozessleitung (§ 139 ZPO) auf sachdienlichen Parteivortrag hinwirken.192 Zur Beweisführung ist der VR regelmäßig auf die Erkenntnisse aus dem strafrecht51 lichen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren angewiesen. Häufig wird er gutachterliche Hilfe benötigen. Trägt der Anspruchsteller etwa eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung der versicherten Person i.S.v. § 20 StGB vor, so lässt sich dies nur mit Hilfe eines Sachverständigen beurteilen.193
185 186 187 188
189
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 141; Kloth Rn. K 42. BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411. BGH 29.6.2005 VersR 2005 1226, 1227. Für Trunkenheitsfahrten: Fußhoeller VW 1972 1362; Kluitmann VW 1972 1218; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 14. OLG Koblenz 30.5.1997 VersR 1998 709,
890
190 191 192 193
710 = RuS 1998 392, 393; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 24. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 33. BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 28. BGH 29.6.2005 VersR 2005 1226, 1227; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 316. BGH 23.9.1998 VersR 1998 1410, 1411.
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Unfälle durch Straftaten
AUB 2008 Ziff. 5.1.2 52
Beispiele: • Körperverletzung/Schlägerei (§ 223 StGB). Für den Nachweis, dass die versicherte Person im Rahmen einer Schlägerei eine Körperverletzung begangen hat, muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass der Gegner der versicherten Person in Notwehr gehandelt hat. Ist nur eine einzelne der versicherten Person beigebrachte Verletzung nicht durch eine Notwehrhandlung des Schlagenden gedeckt, so liegt u.U. auf Seiten der versicherten Person Notwehr mit der Folge vor, dass der Ausschlusstatbestand nicht eingreift.194 Ein Anscheinsbeweis scheidet aus, da bei einer Rauferei von keinem typischen Geschehensablauf ausgegangen werden kann; denn soweit individuelles menschliches Handeln entscheidet, gibt es keine Erfahrungssätze.195 • Nutzung fremder Fahrzeuge (§§ 242, 248b StGB). Die Mitfahrt der versicherten Person in einem gestohlenen Unfallwagen reicht zur Annahme des Ausschlusses nicht aus, wenn ihre Beteiligung an dem Kfz-Diebstahl nicht ersichtlich bzw. erwiesen ist. Sind keine näheren Umstände zur Mitfahrt durch die versicherte Person (z.B. zu Einflussmöglichkeiten auf den Fahrer) bekannt, so reicht des Weiteren auch die unbefugte Nutzung des Fahrzeugs durch den Fahrer nicht aus, um Vorsatz der versicherten Person als Mittäter oder psychische Beihilfe zu begründen.196 • Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB). Der VR ist beweispflichtig dafür, dass sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 315c StGB vorliegen.197 Dies kann mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein.198 So wird sich z.B. im Fall des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB häufig nicht ausschließen lassen, dass die versicherte Person „nur“ (grob) fahrlässig und nicht vorsätzlich handelte.199 Ähnliche Probleme treten häufig bei der Prüfung des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB auf: Hier kann sich die Frage stellen, ob statt einer rücksichtslosen Einstellung des Fahrers lediglich eine falsche Einschätzung der Verkehrslage, Unaufmerksamkeit und/oder Bestürzung das Verhalten der versicherten Person bestimmt haben.200 Selbst wenn die Rücksichtslosigkeit noch aus der mit Zeugenaussagen belegten Gefährlichkeit der Fahrweise abgeleitet werden kann, so muss der VR darüber hinaus auch den Beweis dafür führen, dass der Täter die Gefährdung des Straßenverkehrs in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Das Bewusstsein des Täters zum Zeitpunkt des Unfalls ist aber einem Nachweis kaum zugänglich.201 Offene Fragen gehen zu Lasten des VR. • Fehlende Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG). Die Voraussetzungen für das Vorliegen des objektiven Tatbestandes wird der VR regelmäßig führen können. So kommt er z.B. seiner Beweisverpflichtung dafür, dass die versicherte Person keinen gültige Fahrerlaubnis zum Unfallzeitpunkt besaß, in ausreichendem Maße nach, wenn er belegt, dass die versicherte Person in den entsprechenden Archiven der zuständigen Verwaltungsbehörden nicht verzeichnet ist.202 Es ist dann Sache des Anspruchsstellers, den Beweis für die Behauptung einer vorhandenen gültigen Fahrerlaubnis anzutreten. Allerdings kann mitunter der Nachweis der Haltereigenschaft dem VR Schwierigkeiten bereiten. Die freie Verfügungsgewalt der versicherten Person über das Fahrzeug hat der VR z.B. durch Belege für eine Beteiligung der versicherten Person an den Fahrzeugkosten zu beweisen.203 Problematisch ist häufig die Beweisführung zum subjektiven Tatbestand. Ist etwa der VN bei einer Probefahrt mit einem 54 kw starken Motorrad eines Bekannten verunglückt, besaß er aber nur die Fahrerlaubnis für Motorräder mit nicht mehr als 20 kw, so greift der Ausschluss nicht ein, wenn der VR nicht die Kenntnis des VN von der höheren Leistung des gefahrenen Motorrades beweisen kann, weil sich äußerlich nicht erkennen ließ, ob die in beiden Versionen gelieferte Maschine eine Leistungsstärke von 20 kw oder 54 kw hatte.204 194 195 196 197 198 199
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 33. OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774. OLG Celle 19.2.1998 VersR 1999 1403. OLG München 11.7.1997 VersR 1999 881. S. etwa LG Saarbrücken 21.11.2005 ZfS 2006 279, 280 f. Vorsatz wurde im Fall des BGH 5.12.1990 NJW 1991 1357, 1358 bejaht.
200 201 202 203 204
OLG Hamm 23.1.1981 VersR 1981 954. OLG München 11.7.1997 VersR 1999 881, 882. LG Osnabrück 23.5.1984 VersR 1985 635, 636. LG Saarbrücken 21.11.2005 ZfS 2006 279, 280. OLG Düsseldorf 30.7.1998 VersR 2000 309.
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Unfallversicherung
II. Beweis der Kausalität 53
Im Straßenverkehrsrecht können dem VR die Regeln über den Anscheinsbeweis zugute kommen.205 Auf einen Kausalzusammenhang zwischen Straftat und Unfall bzw. die Verwirklichung einer erhöhten Unfallgefahr lässt sich häufig schließen, wenn zum einen die versicherte Person eine mangelhafte Reaktionsfähigkeit aufwies oder eine Fahrweise an den Tag legte, die erregungsbedingt unsicher oder unvorschriftsmäßig war, und wenn zum anderen keine andere Erklärung für den Unfall vorliegt.206 Immer muss aber feststehen, dass gerade der gefahrsteigernde Erregungszustand und das sonst nicht zu erwartenden Fehlverhalten der versicherten Person konkrete Unfallursache ist.207 So ist z.B. die Kausalität zwischen der Straftat und dem Unfall ausreichend bewiesen, wenn feststeht, dass der Fahrer bei überhöhter Geschwindigkeit in einer lang gezogenen Rechtskurve ohne Einwirkung Dritter nach links von der Fahrbahn abgekommen ist.208 Weitere Beispiele: • Trunkenheitsfahrten (§§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316, 323a StGB). Der Kausalitätsnachweis kann bei Trunkenheitsfahrten der versicherten Person mit Hilfe des Anscheinsbeweises geführt werden (vgl. Ziff. 5.1.1 AUB 2008 Rn. 110 ff.).209 Bei absoluter Fahrunsicherheit kann nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass die Trunkenheitsfahrt Unfallursache ist.210 Ist nur relative Fahrunsicherheit gegeben, so muss anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles festgestellt werden, ob der Unfall gerade auf die Trunkenheitsfahrt zurückzuführen ist (vgl. Ziff. 5.1.1 AUB 2008 Rn. 30).211 • Fahren ohne Führerschein (§ 21 StVG). Hier spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen Ursachenzusammenhang zwischen der Straftat und dem Unfall. Der Anspruchsteller hat den Anscheinsbeweis zu erschüttern. So hat er den Nachweis für den Ausnahmetatbestand eines allein durch einen Dritten verursachten Unfalls zu erbringen.212 Der für den VR streitende Anscheinsbeweis hat indes nicht zur Folge, dass es zu einer Umkehr der Beweislast kommt und der Anspruchsteller stets den Gegenbeweis für einen fehlenden Ursachenzusammenhang führen müsste (vgl. auch Ziff. 5.1.1 AUB 2008 Rn. 112). Notwendig und ausreichend ist es, dass der Anspruchsteller die ernsthafte Möglichkeit darlegt und beweist, der versicherten Person wäre der Unfall auch mit der erforderlichen Fahrerlaubnis zugestoßen.213 Verbleibende Zweifel am Kausalzusammenhang hat dann der VR auszuräumen.214
54
Anders als im Straßenverkehrsrecht ist der VR typischerweise vor Beweisschwierigkeiten gestellt, wenn es um sonstige Straftaten geht.215 Ereignet sich der Unfall lange Zeit nach der Beendigung der Straftat, so bedarf es einer spezifizierten Darlegung und Begründung des VR, um Kausalität annehmen zu können.216 Beispiele: • Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 113 StGB). Behauptet die versicherte Person, ihren Widerstand gegen die Entnahme einer Blutprobe im Zeitpunkt des Unfalls aufgegeben zu haben, so geht ein offenes Beweisergebnis darüber, ob die versicherte Person ihre Verletzung infolge ihres Wider-
205 206 207 208 209 210 211 212
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 151. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 39. Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 15. LG Osnabrück 23.5.1984 VersR 1985 635, 636. BGH 5.12.1990 NJW 1991 1357, 1358. Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 16. Hentschel/Born Rn. 955. OLG Saarbrücken 22.3.1989 VersR 1989 1184, 1185; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 33; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 39.
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213
214 215
216
OLG Hamburg 30.9.1981 VersR 1982 873 (die versicherte Person konnte eine ausreichende Fahrpraxis beweisen). Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 17. Überblick zur älteren Rechtsprechung bei Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 151. OLG Oldenburg 6.5.1955 VersR 1955 513, 514.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
standes erlitten hat, zu Lasten des VR. Selbst wenn feststeht, dass die versicherte Person im Verlauf des Gesamtvorgangs Widerstand i.S.v. § 113 StGB geleistet hat, so führt dies nicht dazu, dass sie nun die fehlenden adäquaten Zusammenhang zwischen Unfall und Straftat beweisen müsste.217 • Körperverletzung (§ 223 StGB). Kommt es anlässlich einer Rauferei zu einer Körperverletzung, so scheidet der Anscheinsbeweis für einen Zusammenhang zwischen Straftat und Unfall aus.218
Ziff. 5.1.3 AUB 2008 5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: … 5.1.3 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse verursacht sind. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die versicherte Person auf Reisen im Ausland überraschend von Kriegs- oder Bürgerkriegsereignissen betroffen wird. Dieser Versicherungsschutz erlischt am Ende des siebten Tages nach Beginn eines Krieges oder Bürgerkrieges auf dem Gebiet des Staates, in dem sich die versicherte Person aufhält. Die Erweiterung gilt nicht bei Reisen in oder durch Staaten, auf deren Gebiet bereits Krieg oder Bürgerkrieg herrscht. Sie gilt auch nicht für die aktive Teilnahme am Krieg oder Bürgerkrieg sowie für Unfälle durch ABC-Waffen und im Zusammenhang mit einem Krieg oder kriegsähnlichen Zustand zwischen den Ländern China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Russland oder USA.
Schrifttum Benzin Versicherbarkeit von Terrorismusrisiken, ZVersWiss 2005 709; Berliner Einige Gedanken zur Versicherbarkeit und Rückversicherbarkeit von Kriegsrisiken ZfV 1991 549; Bihr „Ein Vertragswerk der neuen Generation“ – wird jetzt alles besser? VW 1999 1329; Dahlke Terror als Schadensursache, VersR 2003 25; Dimski Wer haftet für Tumultschäden? VersR 1999 804; Ehlers Krieg, Kriegsereignisse, terroristische und politische Gewalthandlungen, Beschlagnahme, Eingriffe von hoher Hand, RuS 2002 133; Flesch London nach dem 11. September, VW 2001 1580; Franke Ausschlussklauseln in der Diskussion, VW 2004 393; Fricke Rechtliche Probleme des Ausschlusses von Kriegsrisiken in AVB, VersR 1991 1098; ders. Rechtliche Probleme des Ausschlusses von Kriegsrisiken in AVB – II. Folge –, VersR 2002 6; Gas Terrorversicherung und die Grenzen der Marktwirtschaft, VW 2006 8; Geitner Versicherungsrechtliche Probleme bei Tumultschäden, VersR 1983 5; Glotzmann Fragen zur Versicherbarkeit politischer Risiken im Zusammenhang mit der Reform des Staatshaftungsrechts VersR 1975 784; Haidinger Die Kriegsklausel in der Sachversicherung, VW 1947 93; Hübner Gestaltungsmöglichkeiten einer Versicherung gegen Tumultschäden, VersR 1982 1013; ders. Rechtsprobleme der Deckung politischer Risiken, ZVersWiss 1981 1; Krahe Der Begriff „Kriegsereignis“ in der Sachversicherung, VersR 1991 634; Langheid/Rupietta Versicherung gegen Terrorschäden, NJW 2005 3233; Luttmer Einige Gedanken zur Versicherung politischer Risiken VW 1971 145 und 208; Millert Die Ausschlüsse in § 3 der Allgemeinen UnfallversicherungsBedingungen (AUB), VersR 1964 118; Mortimer Der Markt geht zurück zu den Wurzeln, VW
217 218
OLG Hamm 14.6.1978 VersR 1978 1137. OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773, 774; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 33.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.3
Unfallversicherung
2002 165; Nickusch Demonstrationsschäden und Versicherungsschutz, NJW 1969 20; Präve Das Kriegsrisiko in der Lebensversicherung ZfV 1991 107; Prölss Anm. zu Urteil des OGH Br. Z. vom 23.6.1950 (II b ZS 200/49), VersR 1950 129; ders. „Kriegsereignisse“ im Versicherungsrecht, DRZ 1946 48; Raiser Versicherung und innere Unruhen, VW 1969 919; R. Schmidt/Gerathewohl Die Versicherung bei Gewalttätigkeiten gegen eine Gemeinschaft, wobei Personen oder Sachschäden entstehen, ZVersWiss 1973 277; John Benjamin Schroeder Die Kriegsgefahr im deutschen Versicherungsrecht, Diss. Hamburg 1996; Schubach Politische Risiken und Krieg in der Personenversicherung RuS 2002 177; Tita Zum Terrorrisiko in der IT-Versicherung, VW 2001 1779.
Übersicht Rn. A. I. II. III.
B. I.
II. III. IV.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Bedeutung . . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . . . . . . . Entwicklung des Ausschlusses . . . . . . 1. AUB 61 (Ausschluss für Teilnehmer an inneren Unruhen) . . . . . . . . . . . a) Innere Unruhe . . . . . . . . . . . aa) Objektiver Beurteilungsmaßstab bb) Voraussetzungen . . . . . . . . b) Teilnahme der versicherten Person . c) Kausalität . . . . . . . . . . . . . d) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . e) Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . f) Konkurrenzen . . . . . . . . . . . 2. AUB 88/94 . . . . . . . . . . . . . . 3. AUB 99 . . . . . . . . . . . . . . . . 4. AUB 2008 . . . . . . . . . . . . . . Kriegsausschluss . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektive Prüfung . . . . . . . . . . 2. Kausalitätskriterien . . . . . . . . . . Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bürgerkrieg . . . . . . . . . . . . . . . Kriegs- bzw. Bürgerkriegsereignis (Kausalität zwischen Krieg bzw. Bürgerkrieg und Ereignis) . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
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. . . . . . . . . . . . . . . . . .
8 9 10 11 15 16 17 21 22 23 24 26 27 28 29 31 36 41
Rn. V. Kausalität zwischen Kriegs- bzw. Bürgerkriegsereignis und Unfall . . . . . . . . VI. Sonderfall: Terror . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . a) Auslegungskriterien . . . . . . . . b) Terroranschlag mit begrenzter Wirkung . . . . . . . . . . . . . . c) Terroranschlag durch unbeteiligte Dritte . . . . . . . . . . . . . . . d) Terroranschlag unter Billigung und Förderung durch eine Kriegspartei . 3. Weitere Entwicklungen . . . . . . . . C. Überraschungsklausel . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . II. Dauer des Versicherungsschutzes . . . . III. Einschränkungen . . . . . . . . . . . . D. Wirksamkeit des Ausschlusses . . . . . E. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . F. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . G. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . I. Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wiedereinschluss (Überraschungsklausel) III. Innere Unruhen . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
48 55 56 59 60
. 61 . 62 . . . . . . . . . . . . .
63 67 70 71 75 76 77 78 81 82 83 87 88
. 44
A. Einführung 1
Das Kriegsrisiko ist in allen AUB-Generationen ausgeschlossen (s.a. A.4.10.4 AKB 2008). Der Ausschluss findet sich nicht nur in der Unfall-, Kfz-Unfall- und Unfallzusatzversicherung, sondern in ähnlicher Form auch in der • Sachversicherung (z.B. § 1 Nr. 7 AFB 30/87, § 1 Nr. 4 VGB 62 und § 9 Abs. 1b VGB 88, § 9 Nr. 1b VHB 84/92, § 2b Nr. 3a AKB), • Rechtsschutzversicherung (§ 4 Abs. 1a ARB 75, § 3 ARB 94), • Krankenversicherung (z.B. § 5 Abs. 1a MBKK 94, § 5 Abs. 1a MBKT 94) und in der • Lebensversicherung (z.B. § 7 Abs. 2 ALB 86 bzw. § 8 Abs. 2 ALB 94, § 3 Abs. 2a BB-BUZ) – hier allerdings in Form einer Leistungsbeschränkung (Anspruch lediglich auf Zahlung des für den Todestag berechneten Deckungskapitals).
In den jeweiligen AVB wird in verschiedenen sprachlichen Variationen von „Krieg“, „kriegerischen Ereignissen“ oder „kriegerischen Ereignissen jeder Art“ u.ä. gesprochen,
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
ohne dass damit inhaltliche Unterschiede verbunden sind.1 Zusammen mit dem Kriegsausschluss nehmen die AVB weiterhin regelmäßig Versicherungsfälle infolge der Realisierung anderer „politischer Gefahren“ vom Versicherungsschutz aus. Diese politischen Risiken werden in den einzelnen Sparten z.T. unterschiedlich mit Begriffen wie Bürgerkrieg, innere Unruhen, Aufruhr, Streik, Verfügungen von hoher Hand (wie z.B. Beschlagnahmen oder Enteignungen), Sabotage u.ä. umschrieben.2 Auch das Unfallversicherungsrecht kennt neben dem Kriegsausschluss – je nach AUB-Generation – den Ausschluss von Unfällen infolge von Bürgerkriegen und inneren Unruhen. Sämtlichen Ausschlusstatbeständen liegen in allen Sparten dieselben wirtschaftlichen Erwägungen zugrunde.3
I. Praktische Bedeutung Die praktische Bedeutung des Ausschlusses von kriegsbedingten Schäden und anderer 2 politischer Risiken in der Gerichtspraxis hat mit Ende des 2. Weltkrieges deutlich abgenommen. Die jeweiligen Ausschlusstatbestände sind jedoch in der Folgezeit immer wieder ins Bewusstsein der Versicherungswirtschaft gerückt. Zu denken ist etwa an die Studentendemonstrationen bzw. -bewegungen Ende der sechziger Jahre,4 die Flugzeugentführung nach Mogadischu oder der Flugzeugabsturz über Lockerbie. Zuletzt haben insbesondere der Golfkrieg5 und die dabei erfolgten Terrordrohungen des irakischen Regimes 6 Anfang der 90iger Jahre sowie der Anschlag auf das World Trade Center vom 11.9.2001 in New York 7 zu Erörterungen darüber geführt, welche Auswirkungen diese und ähnliche Ereignisse auf den Versicherungsschutz der Bestandskunden haben und ob für das Neugeschäft seitens der Bedingungsgeber mit Anpassungen der AVB zu reagieren ist. Zu streitigen Auseinandersetzungen bei der Schadenregulierung ist es durch die dramatischen Ereignisse der jüngeren Vergangenheit indes – soweit ersichtlich – nicht gekommen.
II. Zweck des Ausschlusses Bei dem Ausschluss von Unfällen durch Kriegs- und Bürgerkriegsereignisse in den 3 AUB 61/88/94/99/2008 und inneren Unruhen in den AUB 61/88/94 handelt es sich um sog. Gefahrumstandsausschlussklauseln (Ziff. 5 Rn. 17) bzw. sekundäre Risikobeschränkungen, d.h., es werden an sich versicherte Unfallgefahren vom Versicherungsschutz ausgenommen, wenn Ursache für diese Gefahr im Einzelfall ein Krieg- oder Bürgerkriegsereignis bzw. eine innere Unruhe war.8 Die Klauseln dienen vornehmlich den Interessen der VR. Ihnen liegt die gemeinsame Erwägung zugrunde, „politischen Gefahren“ bzw. „politischen Risiken“ und Gewalttatbeständen zu begegnen, die die Funktionsfähigkeit der VR gefährden, da sie infolge außergewöhnlicher Schadenkumulierung die Grenzen der
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Dahlke VersR 2003 25, 27; Fricke VersR 2002 6; Luttmer VW 1971 208; Martin SVR F I Rn. 6; a.A. J. B. Schroeder S. 115 ff., zusammenfassend 146 ff. Zu den Erscheinungsformen von politischen Risiken etwa Hübner ZVersWiss 1981 1, 4 ff. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 34. Luttmer VW 1971 145. Berliner ZfV 1991 549; Präve ZfV 1991 107.
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8
Fricke VersR 1991 1098; Krahe VersR 1991 634. Dahlke VersR 2003 25; Fricke VersR 2002 6; Ehlers RuS 2002 133; Schubach RuS 2002 177; Tita VW 2001 1779; auch Flesch VW 2001 1580 f.; aus der Sicht eines Rückversicherers Mortimer VW 2002 165. J. B. Schroeder S. 49.
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Unfallversicherung
Versicherbarkeit überschreiten (können).9 Mit der bei Vereinbarung der AUB 99/2008 geltenden Überraschungsklausel wird dagegen Interessen der versicherten Person Rechnung getragen. Die VR sind zur Berechnung der Prämieneinnahmen und Rückstellungen auf mög4 lichst exakte Schätzungen über den zukünftigen Finanzbedarf zur Deckung der in der Zukunft liegenden versicherten Schäden angewiesen, um die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge zuverlässig zu gewährleisten. Dazu werten sie regelmäßig statistisches Material aus, aus dem sich die Häufigkeit bestimmter Schadensereignisse in einer festgelegten Bezugsgruppe und die durchschnittliche Höhe dieser Schäden ergeben. Die den Statistiken zugrunde liegenden Schätzungen gehen von einer gewissen Ordnung, Stabilität und Kontinuität der Lebensverhältnisse, u.a. auch von dem friedensmäßigen Normalzustand aus.10 Kommt es nun zu einem konventionellen oder gar atomaren Krieg, so hat dies einen schlagartigen und dramatischen Anstieg der Schadenswahrscheinlichkeiten und -summen zur Folge, der unbegrenzt sein und jederzeit Katastrophencharakter annehmen kann. Bei Eintritt solcher Umstände können die ursprünglichen Kalkulationen des VR leicht gesprengt werden.11 Die Schäden (Unfälle) aufgrund des Eintritts solcher sog. Änderungsrisiken können sich m.a.W. in außergewöhnlicher Weise kumulieren und damit die Leistungsfähigkeit des VR übersteigen,12 ohne dass dieser der abnormen Gefahrenlage mit dem Einsatz normaler Mittel begegnen kann, insbesondere die Möglichkeit hat, die Gefahrenerhöhung mit §§ 181, 23 ff. aufzufangen13 oder gar bereits von vornherein durch vorsichtige Vorausberechnungen z.B. in Form von Prämienzuschlägen oder Rückstellungen (ausreichend) abzufedern.14 Es kann mithin an der Versicherbarkeit fehlen.15 Hier setzten die Ausschlüsse von Kriegsrisiken in den AUB 61/88/94/99/2008 an. Sie haben die Aufgabe, das aus dem Gleichgewicht geratene Verhältnis von Kalkulationsgrundlage und Schadensentwicklung auszugleichen.16 Die in allen AUB-Generationen enthaltenen Ausschlüsse für Unfälle in Folge von Kriegsereignissen bezwecken mithin, die sich aus dem Krieg ergebende unverhältnismäßig erhöhte sowie in ihrem Umfang unbeherrschbare, unübersehbare und damit auch (versicherungsmathematisch) unkalkulierbare und für die Finanzkraft des VR (u.U. existenziell) bedrohliche Gefahrensteigerung vom VR abzuwehren.17 In diesem Zusammenhang wird nicht der Kriegszustand als solcher bereits als erhöhte Gefahr angesehen. Vielmehr beschränken sich die Ausschluss-
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Eingehend Glotzmann VersR 1975 784 ff.; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 279 ff. Glotzmann VersR 1975 784 f.; Präve ZfV 1991 107; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 280; Tita VW 2001 1779, 1780. S.a. Berliner ZfV 1991 549, 555 f. Schubach RuS 2002 177, 180. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 34. Glotzmann VersR 1975 784, 785 f.; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 281 f. Eingehend dazu etwa J. B. Schroeder S. 128 ff. Fricke VersR 1991 1098, 1099. OLG Bamberg 29.7.1948 VW 1948 420; OLG Celle 8.1.1951 VersR 1951 82, 83;
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OLG Celle 27.10.1948 VW 1949 210; OLG Hamburg 30.4.1947 VW 1947 198; OLG Hamburg 9.4.1947 VW 1947 196, 197; OLG Kiel 17.6.1947 VW 1947 235; OLG Köln 8.5.1946 VW 1946 18; LG Düsseldorf 7.12.1950 VersR 1951 50 f.; LG Frankfurt/M. 14.11.1946 VW 1947 84; LG Hamburg 13.8.1946 VW 1947 85; Dahlke VersR 2003 25, 27; Fricke VersR 2002 6, 7; Ehlers RuS 2002 133, 134; Haidinger VW 1947 93; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 145; Krahe VersR 1991 634; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 64; Prölss DRZ 1946 48; auch OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298, 300; OGH Wien 17.9.1946 VA 1948 32; zusammenfassend J. B. Schroeder S. 31 ff.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
tatbestände in den AUB auf die Herausnahme solcher Unfälle vom Versicherungsschutz, die konkrete und spezifische Folge der durch den Kriegszustand erhöhten Gefahr sind (Rn. 31 ff.).18 Dadurch erfolgt ein angemessener Interessenausgleich: Einerseits wird die bei Vertragsabschluss vom VR vorausgesetzte Geschäftsgrundlage erhalten.19 Andererseits wird zugunsten der Versichertengemeinschaft die Leistungsfähigkeit des VR und damit die dauerhafte Erfüllbarkeit der Verträge gesichert, so dass der VR auch weiterhin im Interesse des Staates und der Gesellschaft seiner sozialen Funktion nachkommen kann.20 Sofern die AUB einen Ausschluss für innere Unruhen vorsehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 5 Halbs. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 1 AUB 61), wurde mit ihm ein ähnlicher Zweck wie mit dem Ausschluss von Kriegsrisiken verfolgt. Er trägt der besonderen Gefahrenlage bei inneren Unruhen Rechnung, die sich durch die Bereitschaft der teilnehmenden Menschen zur Begehung von Gewalt gegen Personen und Sachen erhöht.21 M.a.W.: Innere Unruhen bergen ebenso wie Kriegsereignisse – nicht zuletzt wegen massenpsychologischer Unwägbarkeiten – eine über die normale Prämienkalkulation hinausgehende Gefahrsteigerung, die in ihrem Umfang nicht über- und vorhersehbar ist.22 Das vom VR angenommene Wahrscheinlichkeitskalkül kann ins Wanken geraten, da die bei der Prämienberechnung unterstellte Stabilität der Lebensverhältnisse in einen Zustand der Unsicherheit und Verwirrung bis hin zu Chaos und Anarchie umschlagen kann und dadurch vom VR nicht berücksichtigte Möglichkeiten für gravierende Schadenereignisse entstehen.23 Ein Nebenaspekt für die Schaffung des Ausschlusses mag weiterhin sein, dass die versicherte Person es in aller Regel selbst in der Hand hat, sich der erhöhten Gefährdung zu entziehen, indem sie sich von der Menschenmenge trennt.24 Die „Überraschungsklausel“ in Ziff. 5.1.3 S. 2 AUB 99/2008 zielt auf Reisende, ins- 6 besondere Touristen ab, die während ihres Auslandsaufenthalts von Kriegsereignissen überrascht werden. Sie haben dann in der Regel keine Möglichkeit, sich noch rechtzeitig Versicherungsschutz zu besorgen. Vielmehr hat die versicherte Person bei einer plötzlichen Änderung der politischen Verhältnisse (z.B. bei einem Putsch) und dem oft damit einhergehenden Zusammenbruch der Infrastruktur meist keine Zeit, sich den erhöhten Gefahren zu entziehen, für eine geregelte Abreise zu sorgen bzw. überhaupt das betreffende Land (sofort) zu verlassen. In solchen Fällen soll die versicherte Person nicht „unschuldig“ mit einem Ausschluss überzogen werden. Zielgruppe der Überraschungsklausel sollen dagegen nicht Geschäftsleute, Journalisten und andere beruflich Reisende sein. Bei ihnen gingen die Bedingungsgeber davon aus, dass sie sich schon vor der Reise die erforderliche Zusatzdeckung gegen eine Mehrprämie besorgen würden, da die auf sieben Tage begrenzte Deckung der Klausel nicht ausreichen dürfte. Konsequenterweise wurde auf eine bedingungsgemäße Beschränkung der neuen Deckung auf Privatreisende verzichtet.25
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 139. OLG München 9.1.1948 VW 1948 87. Fricke VersR 1991 1098, 1099. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 142. BGH 13.11.1974 VersR 1975 126; BGH 23.4.1952 BGHZ 6 28, 30; RG 28.11.1919 RGZ 97 206, 208; KG 18.5.1973 VersR 1975
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175, 176; OLG Koblenz 26.10.1950 VersR 1951 19; Dimski VersR 1999 804, 807; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 42; Raiser VW 1969 919; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 280 ff. und 300. Glotzmann VersR 1975 784, 785. Schubach RuS 2002 177, 180. Stockmeier/Huppenbauer S. 50 f.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.3
Unfallversicherung
III. Entwicklung des Ausschlusses 7
Der Ausschluss von Unfällen, die durch Kriegsereignisse verursacht werden, beruht auf einer langen Tradition. Er findet sich schon in § 1 Abs. 5 der Verbandsbedingungen von 1904 und ist seitdem an unterschiedlicher Stelle in den Bedingungen und mit wechselnden Formulierungen beibehalten worden.26 Seit Einführung der AUB 61 ist die Kriegsklausel weitgehend unverändert geblieben. Neu ist die mit den AUB 99 eingeführte und in den AUB 2008 beibehaltene „Überraschungsklausel“ unter gleichzeitigem Verzicht auf den Ausschluss für innere Unruhen. AUB 2008 27 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
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5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 3 Ausschlüsse
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: …
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Ausgeschlossen von der Versicherung sind:
5.1.3 S. 1 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse verursacht sind.
5.1.3 S. 1 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse verursacht sind.
Abs. 1 Nr. 3 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse verursacht sind;
Abs. 1 Nr. 3 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse verursacht sind;
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die versicherte Person auf Reisen im Ausland überraschend von Kriegs- oder Bürgerkriegsereignissen betroffen wird.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die versicherte Person auf Reisen im Ausland überraschend von Kriegs- oder Bürgerkriegsereignissen betroffen wird.
S. 3 Dieser Versicherungsschutz erlischt am Ende des siebten Tages nach Beginn eines Krieges oder
S. 3 Dieser Versicherungsschutz erlischt am Ende des siebten Tages nach Beginn eines Krieges oder
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Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Nr. 1 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kriegsereignisse oder die durch innere Unruhen, sofern der Versicherte auf Unfälle durch innere Unfälle durch innere Seiten der UnruheUnruhen, wenn der Unruhen, wenn der stifter teilgenommen Versicherte auf Versicherte auf hat, verursacht Seiten der UnruheSeiten der Unruhewerden; stifter teilgenommen stifter teilgenommen hat. hat.
S. etwa VA 1920 92, 94; zur Geschichte der Kriegsklausel in der Unfallversicherung Henke S. 58 f.; J. B. Schroeder S. 40 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 138. Einen Überblick über alle Versicherungssparten gibt u.a. J. B. Schroeder S. 36 ff.; für die Lebensversicherung Präve ZfV 1991 107, 108.
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Die aktuelle Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 50. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10, 11.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
Bürgerkrieges auf dem Gebiet des Staates, in dem sich die versicherte Person aufhält.
Bürgerkrieges auf dem Gebiet des Staates, in dem sich die versicherte Person aufhält.
S. 4 Die Erweiterung gilt nicht bei Reisen in oder durch Staaten, auf deren Gebiet bereits Krieg oder Bürgerkrieg herrscht.
S. 4 Die Erweiterung gilt nicht bei Reisen in oder durch Staaten, auf deren Gebiet bereits Krieg oder Bürgerkrieg herrscht.
S. 5 Sie gilt auch nicht für die aktive Teilnahme am Krieg oder Bürgerkrieg sowie für Unfälle durch ABC-Waffen und im Zusammenhang mit einem Krieg oder kriegsähnlichen Zustand zwischen den Ländern China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Russland oder USA.
S. 5 Sie gilt auch nicht für die aktive Teilnahme am Krieg oder Bürgerkrieg sowie für Unfälle durch ABC-Waffen und im Zusammenhang mit einem Krieg oder kriegsähnlichen Zustand zwischen den Ländern China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Russland oder USA.
AUB 94
AUB 88
AUB 2008 Ziff. 5.1.3 AUB 61
1. AUB 61 (Ausschluss für Teilnehmer an inneren Unruhen) In den AUB 61 wurden zum einen beim Ausschluss für Kriegsereignisse die Worte 8 „unmittelbar oder mittelbar“ für das Wort „durch“ eingeführt. Mit der neuen Formulierung wollten die Bedingungsgeber den Erfahrungen Rechnungen tragen, die anlässlich des 2. Weltkrieges gemacht wurden.31 Unsicherheiten zu den Vorgängerbestimmungen, ob nur unmittelbar 32 oder auch mittelbar verursachte Unfälle 33 vom Ausschluss erfasst waren,34 sollten beseitigt werden. Zum anderen wurde der Gefahrumstandsausschluss für Unfälle, die durch innere Unruhen verursacht werden, inhaltlich beibehalten. Dieser entspricht in ähnlicher Weise wie der Ausschluss von Unfällen durch Kriegsereignisse einer langen Tradition, die nicht nur für die Personenversicherung, sondern auch für viele Zweige der Sachversicherung zu verzeichnen ist. Bereits die Verbands-Bedingungen von 1904 schlossen in § 1 Abs. 5 Unfälle durch bürgerliche Unruhen vom Versicherungsschutz aus. Die Folgebedingungen behielten dies mit Einschränkungen und Differenzierungen bei. Mit Einführung der AUB 61 wurden die Ausschlüsse „Kriegsereignisse“ und „Unruhen“ zusammengezogen. Dabei wurde der Begriff bürgerliche Unruhe durch den
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Grewing Entstehungsgeschichte S. 14. So etwa Wüstney S. 19.
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So etwa OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298, 300. Näher hierzu Henke S. 57 ff.
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Unfallversicherung
der inneren Unruhe ersetzt,35 ohne dass damit eine inhaltliche Änderung bezweckt war.36 Der Ausschluss greift ein, wenn eine innere Unruhe vorliegt, die versicherte Person auf Seiten der Unruhestifter teilgenommen hat und der Unfall durch die innere Unruhe verursacht worden ist. Vom Wortlaut der Klausel ist dagegen nicht gefordert, dass die durch die innere Unruhe hervorgerufenen Schäden einzeln oder in ihrer Summe den Rahmen sprengen, der von den VR versicherungstechnisch gezogen worden ist. Eine solche Forderung lässt sich – genauso wie beim Kriegsausschluss (Rn. 36) – auch nicht mit dem Klauselzweck (Rn. 5) begründen. Ihre praktische Umsetzung würde zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen; denn es bliebe offen, ab welcher Schadenhöhe sich der VR auf den Ausschluss berufen dürfte bzw. wo die Grenze zwischen (deckungspflichtigen) kleinen und mittelgroßen Schäden einerseits und (ausgeschlossenen) unkalkulierbaren Großschäden andererseits zu ziehen wäre.37 Darüber hinaus wäre mit erheblichen Verzögerungen in der Leistungsregulierung zu rechnen, da die VR vor Leistungserbringung das Ende der inneren Unruhen und die Summe aller Schadenmeldungen abwarten müssten, um eine abschließende Auswertung des insgesamt drohenden Schadenpotentials vornehmen zu können.
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a) Innere Unruhe. Im Gegensatz zum Krieg, der vornehmlich zwischenstaatliche Streitigkeiten umschreibt, betreffen innere Unruhen nach dem allgemeinen Sprachgebrauch innerstaatliche Streitigkeiten.38 Sie können sich als „Aufruhr“ (vgl. auch § 115 StGB a.F.)39 und „Aufstand“ gegen die Regierung eines Landes oder deren ausführende Organe richten. Der Begriff der inneren Unruhe ist aber noch weitergehender.40 Daraus folgt, dass ein Aufruhr bzw. Aufstand immer als innere Unruhe zu werten ist. Umgekehrt muss aber eine innere Unruhe nicht stets auch zugleich Aufruhr bzw. Aufstand bedeuten.
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aa) Objektiver Beurteilungsmaßstab. Für die Prüfung der Frage, ob eine innere Unruhe vorliegt, kommt es auf die Sichtweise eines neutralen Betrachters an, der das Gesamtgeschehen zu überblicken vermag.41 Feste Kriterien zu einer verlässlichen Beurteilung der Frage, ob innere Unruhen vorliegen, gibt es nicht. Letztlich ist eine objektiv wertende Gesamtschau aller Umstände im konkreten Einzelfall vorzunehmen.42 • Abzustellen ist ausschließlich auf die tatsächliche Lage. So stehen z.B. Anordnungen von staatlichen Hoheitsträgern zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung der Anwendung des Ausschlusses nicht zwingend entgegen. Versicherungsschutz kann selbst dann zu versagen sein, wenn die „Entfesselung“ der Massen „von hoher Hand“ hervorgerufen und gelenkt wurde. Kommt es also nach „formaler“ Beendigung von Massenausschreitungen immer noch zu massiven Übergriffen durch die Menschenmenge, so ist weiterhin der Ausschlusstatbestand erfüllt. Versicherungsschutz ist erst wieder gegeben, wenn die innere Unruhe tatsächlich beendet ist.43
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Zur Geschichte des Ausschlusses „innere Unruhen“ Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 141. Millert VersR 1964 118, 119. Raiser VW 1969 919. Dahlke VersR 2003 25, 27. Zur versicherungsrechtlichen Auslegung RG 28.11.1919 RGZ 97 206, 207 ff.; dazu auch BGH 23.4.1952 BGHZ 6 28, 30. RG 8.6.1923 RGZ 108 188, 190; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 42; Luttmer VW 1971 208, 209; Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 145 f. BGH 13.11.1974 VersR 1975 126; Dimski
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VersR 1999 804, 808; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 114; Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 146. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 17; Martin SVR F I Rn. 11; Nickusch NJW 1969 20, 21; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 115. Jeweils zu den sog. Judenaktionen im Jahr 1938: OLG Düsseldorf 24.7.1951 VersR 1951 244; bestätigt durch BGH 23.4.1952 BGHZ 6 28; LG Koblenz 2.6.1950 VersR 1951 19 bestätigt durch OLG Koblenz 26.10.1950 VersR 1951 19.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
• Unerheblich für die Beurteilung sind die Beweggründe, die das Handeln der Menge bestimmen.44 Sie können z.B. politischer, sozialer, wirtschaftlicher, rassistischer, religiöser oder krimineller Natur sein.45 Ein einheitliches Motiv46 oder gar ein formuliertes Programm bzw. eine einheitlich gesteuerte Organisation der Teilnehmer an der inneren Unruhe muss nicht bestehen.47 • Kriminalpolitische Bedenken können eine erweiternde Auslegung des Ausschlusses für Unfälle infolge innerer Unruhen nicht rechtfertigen.48 Zum einen sind Ausschlussklauseln eng auszulegen (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 5). Zum anderen wird ihre inhaltliche Reichweite vorrangig durch den Wortlaut (aus Sicht eines verständigen VN ohne Spezialkenntnisse) bestimmt (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57). Vielmehr ist es Sache des VR, den Klauselinhalt klar und unmissverständlich festzulegen.
bb) Voraussetzungen. Die Bejahung des Begriffs der „Inneren Unruhe“ setzt nach 11 ganz h.M. – in Anlehnung an den in § 125 StGB (a.F.) geregelten Landfriedensbruch – voraus, dass zahlenmäßig nicht unerhebliche Teile des Volkes in einer die öffentliche Ruhe und Ordnung störenden Weise in Bewegung geraten und Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen verüben.49 Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, der Begriff der inneren Unruhe sei eng – nämlich i.S.d. inneren Notstandes gemäß Art. 87a Abs. 4 GG – zu fassen.50 Die Anwendung des Ausschlusses hätte dann zur Voraussetzung, dass eine Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes bestehen müsste. Diese Ansicht ist abzulehnen. Das ergibt sich allerdings nicht aus der Überlegung, dass der ältere Begriff des Aufruhrs i.S.v. § 115 StGB a.F. deutlich geringere Voraussetzungen als der innere Notstand i.S.d. Art. 87a Abs. 4 GG aufstellte und der Aufruhr in den neueren Begriff der inneren Unruhe mit aufgehen sollte;51 denn die historische Auslegung ist für die Bewertung von AVB bedeutungslos (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Ausschlaggebender ist vielmehr, dass für ein einengendes Verständnis der Formulierung „innere Unruhe“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch kein Anhaltspunkt besteht. Der durchschnittlich verständige VN wird eine innere Unruhe nicht nur bei einer Gefährdung des Bundes oder eines Landes in seinen Grundfesten annehmen, sondern z.B. auch dann, wenn es durch zusammengerottete Menschenmengen zu schweren Ausschreitungen oder lang anhaltenden Krawallen mit erheblichen Auswirkungen in einer Großstadt kommt. Der Befürchtung, die von der Rechtsprechung entwickelte Definition für innere Unruhen greife zu kurz, weil sonst schon bei jedem größeren Fußballspiel der Ausschluss eingreifen würde, ist entgegen zu halten, dass bei sachgerechter Anwendung der von den Gerichten aufgestellten Kriterien keine ausufernde Anwendung des Ausschlusses droht. So reichen z.B. für das Merkmal
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RG 8.6.1923 RGZ 108 188, 190. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 42; R. Schmidt/ Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 300. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 16; Martin SVR F I Rn. 8; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 116. R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 300. So aber wohl Martin SVR F I Rn. 13. Grundlegend RG 8.6.1923 RGZ 108 188, 190; ferner BGH 13.11.1974 VersR 1975 126; BGH 23.4.1952 BGHZ 6 28, 30; KG 18.5.1973 VersR 1975 175, 176; LG Düsseldorf 26.9.1950 VW 1950 506;
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LG Koblenz 2.6.1950 VersR 1951 19; Dimski VersR 1999 804, 807; Berliner Kommentar/Dörner/Staudinger § 84 Rn. 9; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 42; Kloth Rn. K 51; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 16; Luttmer VW 1971 208, 209 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 68; Martin SVR F I Rn. 7; Tita VW 2001 1779, 1780; Stiefel/ Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 146. Römer/Langheid 2 § 84 Rn. 6. So aber van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 119.
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Unfallversicherung
„Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen“ nicht bereits Ausschreitungen von einzelnen oder wenigen Personen aus. Erforderlich sind massive Ausschreitungen, d.h. Unruheherde erheblichen Ausmaßes 12 oder eine Häufung von einzelnen schadenstiftenden Unruheherden. Wann es sich genau um einen erheblichen Teil des Volkes handelt, kann nicht mit absoluten Zahlen definiert werden.52 Maßgebend ist – je nach konkretem Einzelfall – das Verhältnis der Zahl der Teilnehmer zur Größe des betroffenen Gebietes.53 An Orten, an denen hohe Werte konzentriert und gefährdet sind (z.B. Einkaufspassagen oder Fußgängerzonen in Städten), genügt eine niedrigere Personenzahl als an anderen Orten.54 Einfluss auf die Beurteilung kann weiterhin die Organisation und Bewaffnung der Teilnehmer erlangen. Aufgrund der vagen Kriterien sind Rechtsunsicherheiten vorprogrammiert.55 • Gewalttätigkeiten oder Straftaten einzelner Personen fallen jedenfalls nicht unter diesen Ausschluss. Dies gilt etwa für einzelne strafbare Handlungen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Sabotageakte, Fälle von Vandalismus, gewalttätige Provokationen, Prügeleien bei öffentlichen Veranstaltungen (Volksfesten, Sportveranstaltungen).56 Auch können nur einmalige und kurz anhaltende oder regional begrenzte Aktionen nicht als innere Unruhe bezeichnet werden.57 Solche Sachverhalte bergen im Vergleich zu normalen Lebensumständen keine unüberschaubare und unkalkulierbare Risikosituation, die nach dem Sinn und Zweck des Ausschlusstatbestandes (Rn. 5) eine Versagung des Versicherungsschutzes rechtfertigen würde.58 • An den Voraussetzungen für innere Unruhen fehlt es dagegen nicht deshalb, weil möglicherweise einzelne Teilnehmer oder Gruppen innerhalb der Menschenmenge nicht gewillt sind, sich an Ausschreitungen zu beteiligen. Vielmehr ist auf das Gesamtgeschehen abzustellen, wie es sich aus Sicht eines objektiven Beobachters (hypothetisch) darstellt. Insbesondere ist der Ausgangspunkt für die zu dem Ausschluss führende erhöhte Unfallgefährdung der versicherten Person die Gesamtheit der Beteiligten: Personen in Menschenmengen sind unter dem Eindruck des Geschehens in erhöhtem Maße beeinflussbar, unberechenbar und eher geneigt, Risiken für sich selbst oder andere zu schaffen bzw. einzugehen. Durch die bloße Anwesenheit von Sympathisanten werden Hemmungen anderer Teilnehmer erfahrungsgemäß abgebaut. Hinzu kommt, dass Gegenmaßnahmen der Staatsgewalt (Polizei) sich nicht nur gegen die aktiven, sondern auch die passiven Teilnehmer der inneren Unruhe richten können.59
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Die Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung ist heute anders zu bewerten als noch zu Zeiten des RG. Der seit Ende des 2. Weltkrieges geänderten politischen Grundstruktur, dem größeren Freiraum für Willensäußerungen der Bevölkerung und der stärkeren demokratischen Kontrolle über den Einsatz staatlicher Machtmittel ist Rechnung zu tragen.60 So sind z.B. die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit nach Art. 5 und 8 GG grundrechtlich geschützte Lebenselemente der Demokratie und nicht ohne weiteres als innere Unruhe oder gar als Beginn einer Revolution zu werten.61 • Unter Berücksichtigung des Zwecks des Ausschlusstatbestandes, unkalkulierbare Risiken vom Versicherungsschutz auszunehmen (Rn. 5), wird nicht bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für die allgemeine Eingriffsermächtigung nach den jeweiligen Polizeigesetzen ausreichen. Es muss sich vielmehr um Vorgänge handeln, die von der Mehrheit der Bürger als außergewöhnlich sowie als reale Gefahr für die staatliche Grundordnung und Stabilität der Lebensverhältnisse empfun-
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Im Fall des BGH 13.11.1974 VersR 1975 126 waren ca. 700 Personen ausreichend. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 42. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 16; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 115. Geitner VersR 1983 5, 6.
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Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 42. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 45. S.a. BGH 13.11.1974 VersR 1975 126, 127. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 143. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 45. Nickusch NJW 1969 20, 21.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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den werden.62 Insoweit spielt die Beherrschbarkeit durch die Polizei eine erhebliche Rolle.63 In jedem Fall sind (erhebliche) Provokationen der Öffentlichkeit zu fordern.64 Nur dann besteht die Gefahr, dass einzelne Gewalttätigkeiten das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung im Ganzen erschüttern, die Gewalt auf weitere Teile der Bevölkerung „überschwappt“ und es zu einer versicherungstechnisch nicht zu kalkulierenden Eskalation kommt.65 • Bedenklich sind Überlegungen, Ereignisse könnten ihre Qualität als innere Unruhen verlieren, wenn sie häufiger auftreten und der Staat und die Gesellschaft sich an sie (wenn auch widerwillig) „gewöhnt“ haben.66 Dies soll z.B. für Vorgänge in Städten in Betracht kommen, die sich wiederholen und gegen die der Staat keine wirksamen Gegenmaßnahmen mehr ergreift.67 Zunächst sind solche Gewöhnungszustände kaum vorstellbar, da sie verwurzelten Grundwerten widersprechen. Die mögliche Absicht der Deeskalation, (situative) Resignation bzw. Machtlosigkeit der zuständigen staatlichen Behörden oder gar Vernachlässigung der Amtspflichten durch die Staatsorgane kann nicht mit einer Akzeptanz in der Bevölkerung gleichgesetzt werden. Gerade wenn es zu wiederholten Missachtungen der geltenden Rechtsordnung kommt, trägt dies nicht zu einer Gewöhnung bei, sondern zu einer zunehmenden Beunruhigung der Bevölkerung, da das Vertrauen in die staatliche Ordnung verloren geht. Des Weiteren wird kein verständiger VN den Ausschluss der inneren Unruhen so auslegen, dass wiederholte Toleranz des Staates gegenüber Ausschreitungen usw. zur Nichtanwendung des Tatbestandes führen kann. Der auch einem Versicherungslaien nachvollziehbare und erkennbare Zweck des Ausschlusses (Rn. 5) würde verfehlt. Fehlende Gegenmaßnahmen des Staates gegen Unruheherde führen zu einer Erhöhung der ohnehin schon kumulierten Schadengefahr.
Das Rechtsbewusstsein der Teilnehmer muss derart erschüttert sein, dass hieraus die 14 gemeinsam begangenen Gewalttaten (wie z.B. Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen) erwachsen.68 Die „zusammengerotteten“ Akteure müssen zu erkennen geben, dass sie in ihrer Masse gewillt sind, zur Erreichung ihrer Ziele (z.B. Plünderungen) auch aktiv Gewalt gegen Personen und Sachen anzuwenden und sich den Anordnungen der staatlichen Gewalt zu widersetzen.69 An solchen gemeinsam, mit vereinten Kräften verübten Gewalttätigkeiten fehlt es, wenn die weit überwiegende Menge an ihnen weder teilnimmt, noch sie gezielt unterstützt bzw. fördert, sondern die Gewalttaten nur von verhältnismäßig Wenigen aus der Menge heraus begangen werden.70 • Nicht erforderlich ist, dass sich die Unruhen primär gegen die Staatsgewalt richten.71 Selbst die Duldung, Förderung oder sogar die Veranlassung durch Träger der staatlichen Macht führt nicht zur Unanwendbarkeit des Ausschlusses; denn dieser Machtmissbrauch bzw. die Vernachlässigung oder Verletzung von Amtspflichten vergrößert noch die mit der Klausel abzuwehrenden Gefahrensteigerungen.72 • Werden Gewalttaten gegen Personen oder Sachen verübt, so sind regelmäßig auch die Voraussetzungen eines Straftatbestandes erfüllt wie z.B. Widerstand gegen die Staatsgewalt (§§ 111 ff.
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Martin SVR F I Rn. 11. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 114. Dahlke VersR 2003 25, 29; Geitner VersR 1983 5, 6; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 16; Martin SVR F I Rn. 8; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 116. Dimski VersR 1999 804, 808; Tita VW 2001 1779, 1780. Dimski VersR 1999 804, 808; Prölss/Martin/ Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 16; in diese Richtung (allerdings mit erheblichen Vorbehalten) auch van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 117. Martin SVR F I Rn. 11.
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BGH 13.11.1974 VersR 1975 126; RG 8.6.1923 RGZ 108 188, 190. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 45. OLG Frankfurt/M. 27.5.1993 RuS 1993 467, 468. OLG Düsseldorf 24.7.1951 VersR 1951 244; LG Koblenz 2.6.1950 VersR 1951 19 bestätigt durch OLG Koblenz 26.10.1950 VersR 1951 19; Millert VersR 1964 118, 119; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 45. BGH 23.4.1952 BGHZ 6 28, 30 ff. (zu den Judenpogromen 1938); zuvor bereits RG 8.6.1923 RGZ 108 188, 190; ferner LG Düsseldorf 26.9.1950 VW 1950 506.
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StGB), Landfriedensbruch (§§ 125, 125a StGB), Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB), Bildung bewaffneter Gruppen (§ 127 StGB), krimineller (§ 129 StGB) oder terroristischer Vereinigungen (§§ 129a, 129b StGB). Strafbares Handeln der versicherten Person und die Annahme des Ausschluss für innere Unruhen müssen indes nicht Hand in Hand gehen: Einerseits ist zwar häufig eine innere Unruhe insbesondere dann zu bejahen, wenn der Tatbestand des Landfriedensbruchs gemäß § 125 StGB n.F. vorliegt.73 Dies gilt indes nicht ausnahmslos, da die Definition des Landfriedensbruchs in § 125 StGB n.F. – anders als die Begriffsbildung in § 125 a.F. – nicht mehr synonym mit den Merkmalen der inneren Unruhe ist.74 Andererseits ist die (nachweisbar) rechtswidrige und schuldhafte Verwirklichung eines Straftatbestandes durch die versicherte Person oder andere Teilnehmer nicht zwingend notwendig, um den Versicherungsausschluss bejahen zu können.75 Die Ordnungskräfte müssen also einzelne Täter weder ergriffen noch identifiziert haben. Weiterhin ist nicht erforderlich, dass einzelnen Teilnehmern subjektiv eine Straftat nachzuweisen ist.76 Eine zwingende Koppelung des Ausschlusses für innere Unruhen an das Strafrecht wird der verständige VN aus dem Wortlaut des Klausel und ihrem erkennbaren wirtschaftlichen Zweck (Rn. 5) nicht ableiten. Vielmehr ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang zum Ausschluss des Versicherungsschutzes für Unfälle nach Straftaten (§ 3 Nr. 2 AUB 61 und § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94), dass § 3 Nr. 1 AUB 61 bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94 nur dann eigenständige Bedeutung erlangen können, wenn sie unabhängig von strafrechtlichen Bewertungen sind. Käme es auf die Verwirklichung von Straftatbeständen an, so würde dem VR im Übrigen die praktische Leistungsregulierung erheblich erschwert. Zum einen würde den Zivilgerichten die (u.U. schwierige) strafrechtliche Beurteilung aufgebürdet. Zum anderen müsste der VR den nur selten möglichen Beweis dafür führen, dass gerade die strafgerichtlich verurteilten Personen den Schaden (Unfall) verursacht haben.77
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b) Teilnahme der versicherten Person. Die versicherte Person muss auf Seiten der Unruhestifter an den inneren Unruhen teilgenommen haben. Hier lassen sich mehrere Fallgruppen unterscheiden: • Unstreitig vom Ausschluss erfasst ist derjenige, der selbst eine Straftat als Täter oder Teilnehmer begeht. Entsprechendes gilt für versicherte Personen, die die Unruhen aktiv herbeiführen oder durch anspornendes Verhalten (Provokationen i.w.S.) aufrechterhalten.78 • Einigkeit herrscht weiterhin darüber, dass der Ausschluss auch bei demjenigen eingreift, der zwar selbst keine Straftat begeht oder die Unruhe aktiv schürt, sich jedoch – für Dritte deutlich erkennbar – als (passiver) Mitläufer bewusst mit der Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung solidarisiert.79 Dies ist durch den Wortlaut der Klausel gedeckt, da diese keine aktive oder gar eine besonders herausragende Teilnahme verlangt.80 • Nach allgemeiner Ansicht ist derjenige kein Teilnehmer i.S.d. Ausschlusses, der ohne eigenes Zutun (z.B. als zufällig anwesender Passant) in den Gefahrenbereich hineingeraten ist 81 und keine
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KG 18.5.1973 VersR 1975 175, 176; näher hierzu R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 298 ff. OLG Frankfurt/M. 27.5.1993 RuS 1993 467 f. Berliner Kommentar/Dörner/Staudinger § 84 Rn. 9; Millert VersR 1964 118, 119; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 143. BGH 13.11.1974 VersR 1975 126; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 43; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 17; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 114; Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 146.
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Martin SVR F I Rn. 9. Millert VersR 1964 118, 119; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 143. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 44; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 28; Schubach RuS 2002 177, 179; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 121; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 47. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 68. Schubach RuS 2002 177, 179; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 120; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 143.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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zumutbare Möglichkeit hat, diesen zu verlassen. Entsprechendes gilt für versicherte Personen (z.B. Ordnungskräfte), die aktiv gegen die Unruhestifter vorgehen.82 • Umstritten ist der Fall, in dem die versicherte Person ohne ihr Zutun in innere Unruhen gerät und sich nicht von der Menschenmenge trennt (bzw. wenigstens den dahingehenden Versuch unternimmt), obwohl ihr dies möglich und zumutbar war. Während die wohl h.M. die Anwendung des Ausschlusses bejaht,83 verlangt die Gegenauffassung zumindest den Nachweis dafür, dass es sich bei der versicherten Person um einen Sympathisanten handelt. Könne dies nicht festgestellt werden, greife der Ausschluss nicht ein.84 Dieser Ansicht ist zu folgen. Zwar könnte einerseits eingewandt werden, dass sich eine versicherte Person bewusst einem Zustand erhöhter Gefährdung aussetzt, wenn sie sich in der Menschenmenge aufhält und nicht versucht, sich von ihr zu trennen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass nach dem maßgeblichen Verständnis eines durchschnittlichen VN (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57) unter die wenig gelungene Formulierung85 „Teilnahme auf Seiten der Unruhestifter“ nicht das bloße bzw. schlichte Verweilen im Bereich der Menschenmenge, zu der man zufällig gestoßen ist, gefasst werden kann, zumal Ausschlusstatbestände eng auszulegen sind (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 5). Würde der Ausschluss weit verstanden werden, so hätte dies konsequenterweise zur Folge, dass z.B. auch Journalisten, die zum Zwecke der Berichterstattung in der Menschenmenge verbleiben, oder versicherten Person, die einer Eskalation entgegen wirken wollen, keinen Versicherungsschutz hätten. Eine solche Reduzierung des Versicherungsschutzes wäre zwar noch mit dem Zweck, nicht aber mehr – unter Berücksichtigung des Alltagssprachgebrauchs – mit dem Wortlaut des Ausschlusses vereinbar.
c) Kausalität. Der Unfall muss durch die Teilnahme der versicherten Person auf Sei- 16 ten der Unruhestifter an den inneren Unruhen verursacht sein, also adäquat kausal sein („durch“). Erforderlich ist, dass der Unfall durch die innere Unruhe nicht nur (abstraktgenerell) möglich wurde, sondern konkret verursacht worden ist, auch wenn ähnliche Unfälle sich möglicherweise unabhängig von derartigen Unruhen hätten ereignen können. Zu prüfen ist, ob sich die durch die Unruhen geschaffene (erhöhte) Gefahrenlage bei der Herbeiführung des Unfalls ausgewirkt hat. Dies ist z.B. dann nicht der Fall, wenn die versicherte Person zwar zu den Unruhestiftern gehört, aber im Augenblick des Unfalls nicht an den inneren Unruhen teilnimmt, sondern im „normalen Alltagsleben“ stürzt und eine Verletzung erleidet.86 d) Einzelfälle. Arbeitskämpfe (Streiks und Aussperrungen) sind grundsätzlich keine 17 inneren Unruhen.87 Dies gilt selbst dann, wenn Kampfregeln von den Parteien verletzt werden, es also z.B. bei den Arbeitskämpfen zu Ausschreitungen kommt.88 Auch wilde Streiks werden nicht pauschal als innere Unruhe bezeichnet werden können.89 Voraussetzung ist indes, dass es nicht überregional zu rechtswidriger Gewaltanwendung gegen Personen oder Sachen kommt und die Schiedsfunktion der zuständigen Gerichte respektiert wird. M.a.W.: Arbeitskämpfe werden erst dann zu inneren Unruhen, wenn der Charakter des Arbeitskampfes in den Hintergrund tritt und rechtswidrige Gewaltanwendun-
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Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 68; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 28; Millert VersR 1964 118, 119. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 143. Schubach RuS 2002 177, 179; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 121 f. So bereits Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 143.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 47. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 68; Martin SVR F I Rn. 4; a.A. noch LG Koblenz 2.6.1950 VersR 1951 19 (ohne Begründung) Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 43. So aber Millert VersR 1964 118, 119.
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gen gegen Personen und Sachen in größerem Umfang die Situation prägen,90 so dass z.B. die Polizei militärische Hilfe in Anspruch nehmen muss.91 Entscheidend für die Frage, ob Demonstrationen, Versammlungen oder Protestmärsche 18 bzw. -veranstaltungen als innere Unruhen zu werten sind, ist das objektive Gesamtbild der Ereignisse. Das Rechtsbewusstsein der Teilnehmer muss so erschüttert sein, dass daraus gemeinsam begangene Straftaten hervorgegangen sind 92 oder Gewaltanwendung und die Bereitschaft zur Begehung von Straftaten in den Vordergrund rücken.93 Das in Art. 5 und 8 GG verbürgte Recht der freien Meinungsäußerung und das Demonstrationsrecht rechtfertigen nicht die Anwendung von Gewalt gegen Personen oder Sachen. • Unerheblich für die Prüfung des Ausschlusses ist der formale Aspekt der Genehmigung. Eine ungenehmigte und damit illegale Demonstration erfüllt den Ausschlusstatbestand nicht, wenn sie friedlich verläuft. Dagegen kann der Ausschluss eingreifen, wenn eine Demonstration zwar genehmigt ist, jedoch deren Teilnehmer von vornherein zur Gewalt gegen Personen und Sachen (z.B. Sitzblockaden, Sachbeschädigungen) entschlossen sind.94 • Ausschreitungen einzelner Teilnehmer bei einer genehmigten Demonstration reichen nicht aus, das Vorliegen innerer Unruhen zu bejahen.95 Hier gebietet der Zweck der Klausel (Rn. 5) nicht ihre Anwendung; denn Gewalttaten einzelner bringen kein über die normale Prämienkalkulation hinausgehendes Risiko mit sich, sondern sind in ihrem Umfang überschaubar.96 Die versicherten Risken werden vielmehr erst bei massiven Ausschreitungen unwägbar. Einzelne Ausschreitungen, die der Veranstaltung nicht das Gepräge geben, können dagegen zufällige Entgleisungen einer sonst legalen Demonstration sein.97
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Sabotage ist der absichtliche, meistens im geheimen durchgeführte Gewalt- oder Unterlassungsakt durch einzelne Personen oder Personengruppen, der mit dem Ziel durchgeführt wird, (möglichst großen) Schaden zu verursachen.98 Solche Verhaltensweisen sind regelmäßig – isoliert betrachtet – keine inneren Unruhen, mögen sie auch auf gezielte Beschädigung oder Zerstörung ausgerichtet sein.99 Es fehlt zum einen typischerweise an einer Beteiligung eines erheblichen Teils der Bevölkerung. Zum anderen folgen Sabotagen regelmäßig aus Handlungen im Verborgenen (Heimlichkeiten), so dass es zu keinen Provokationen der Öffentlichkeit kommt, die ebenfalls kennzeichnend für innere Unruhen sind.100 Aus der meist begrenzten Wirkung der Sabotagefolgen folgt keine (erhebliche) Beunruhigung oder Verängstigung weiter Teile der Bevölkerung. Anders ist dagegen zu urteilen, wenn der Sabotageakt in einem räumlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit inneren Unruhen begangen wird, etwa mit dem Sabotageakt Ziele der inneren Unruhen gefördert werden sollen.101 Dann kann der Ausschluss für innere Unruhen eingreifen, sofern die versicherte Person als „Teilnehmer“ anzusehen ist. Ähnlich wie Sabotageakte erfüllen Terroranschläge nicht den Tatbestand der inneren 20 Unruhe.102 Auch hier handelt es sich nicht um Massenbewegungen; denn terroristische 90
91 92 93 94 95
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 43; R. Schmidt/ Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 301; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 46. Luttmer VW 1971 208, 210. BGH 13.11.1974 VersR 1975 126. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 68. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 43. OLG Frankfurt/M. 27.5.1993 RuS 1993 467, 468; Dahlke VersR 2003 25, 30; Dimski VersR 1999 804, 808; Berliner Kommentar/ Dörner/Staudinger § 84 Rn. 9; Prölss/
906
96 97 98 99 100 101 102
Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 16; Martin SVR F I Rn. 8; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 115. BGH 13.11.1974 VersR 1975 126, 127. Nickusch NJW 1969 20, 21. Luttmer VW 1971 208, 210. Abw. Glotzmann VersR 1975 784, 787. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 16; Martin SVR F I Rn. 8. R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 307 Dahlke VersR 2003 25, 30 und 31.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
Anschläge werden meist von wenigen Personen heimlich und konspirativ vorbereitet und durchgeführt. Weiterhin werden die Folgen terroristischer Aktivitäten zwar die Bevölkerung beunruhigen und Ängste schüren, sie führen jedoch nicht unbedingt zu instabilen Lebensverhältnissen.103 e) Wirksamkeit. Der Ausschluss für Unfälle infolge innerer Unruhen hält einer Kon- 21 trolle nach dem AGB-Recht stand. Insbesondere ist er mit § 307 BGB vereinbar.104 Dies ist bisher – soweit ersichtlich – weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur in Frage gestellt worden. f) Konkurrenzen. Neben dem Ausschluss von Unfällen infolge innerer Unruhen wird 22 häufig auch der Ausschluss für Unfälle infolge der Ausführung oder des Versuchs von Straftaten eingreifen (Rn. 14). Unabhängig von der Leistungsverpflichtung des VR kommt nach allgemeinen Grundsätzen eine Haftung des Schädigers, des Veranstalters einer eskalierenden Großdemonstration oder eine Staatshaftung (für Tumultschäden) gegenüber der versicherten Person in Betracht.105 2. AUB 88/94 Die Ausschlussbestimmung über das Kriegsrisiko hat in § 2 Abs. 1 Nr. 3 AUB 88/94 23 gegenüber § 3 Nr. 1 AUB 61 lediglich insofern eine Ergänzung i.S. einer Klarstellung bzw. Verdeutlichung erfahren, als neben den Kriegs- ausdrücklich auch die Bürgerkriegsereignisse erwähnt werden.106 Eine materiell-rechtliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Kriegsrisikoklausel sollte damit nicht verbunden sein. Dies ist zutreffend, da der in den AUB 61 genannte „Krieg“ auch den in den AUB 88/94 zusätzlich erwähnten Begriff „Bürgerkrieg“ umfasst (Rn. 45). 3. AUB 99 Der Kriegsausschluss in § 2 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 1 AUB 88 selbst blieb unverändert 24 (Ziff. 5.1.3 S. 1 AUB 99). Die Klausel wurde jedoch im Interesse der versicherten Person um eine „Überraschungsklausel“ ergänzt (Ziff. 5.1.3 S. 2 bis 4 AUB 99). Die versicherte Person soll nicht ihren Unfallversicherungsschutz in einer Situation verlieren, auf die sie keinen Einfluss nehmen kann und in der sie regelmäßig auch keinen speziellen Versicherungsschutz mehr vereinbaren kann (Rn. 6). Die Bedingungsgeber der AUB 99 strichen – u.a. mit Hinweis auf das Ziel, die AUB 25 schlanker und kundenfreundlicher zu machen – den in § 2 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 AUB 88 noch vorgesehenen Ausschluss „innere Unruhen“. Für den Ausschluss sahen die Bedingungsgeber keine Notwendigkeit:107 Zum einen erlangte er in der Praxis keine nennenswerte Bedeutung. Zum anderen ist bei aktiver Teilnahme an inneren Unruhen grundsätzlich ein Straftatbestand erfüllt, so dass der Straftatenausschluss (Ziff. 5.1.2 103 104 105
Tita VW 2001 1779, 1780. Dimski VersR 1999 804, 807. Dazu etwa Dimski VersR 1999 804 ff.; Geitner VersR 1983 5 ff.; Glotzmann VersR 1975 784, 787 ff.; Hübner ZVersWiss 1981 1, 21 ff.; Martin SVR F I Rn. 15;
106
107
R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 302 ff. VerBAV 1989 242 (dazu auch GB BAV 1989 83 Nr. 9.2.1); Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 41. Stockmeier/Huppenbauer S. 51.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.3
Unfallversicherung
AUB 99/2008) eingreift.108 Hinzu kommt, dass Extremfälle von inneren Unruhen als Bürgerkrieg qualifiziert werden können. 4. AUB 2008
26
Die VVG-Reform 2008 hat keinen Einfluss auf die Formulierung der Ausschlussklausel erlangt. Ziff. 5.1.3 AUB 99 konnte unverändert in die AUB 2008 übernommen werden.
B. Kriegsausschluss 27
Der von Kausalitätsproblemen geprägte Kriegsausschluss wird typischerweise durch drei Verwirklichungsstufen gekennzeichnet, nämlich den Gefahrenzustand (Krieg), das schädigende Ereignis und den Schaden.109 Dieser Dreiklang spiegelt sich auch in den AUB wider. Kein Versicherungsschutz besteht nach Ziff. 5.1.3 AUB 99/2008 (bzw. den jeweiligen Vorgängerregelungen) generell für Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse verursacht sind. Unter sachgerechter Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Ausschlusses ist mithin zu prüfen, ob ein Kriegsoder Bürgerkriegszustand vorlag, aus dem ein Kriegs- oder Bürgerkriegsereignis resultierte, das einen Unfall (Unfallereignis mit Unfallereignisfolge bzw. unfreiwilligem Gesundheitsschaden) hervorgerufen hat, für den der Anspruchssteller Versicherungsschutz begehrt. Zwischen dem Kriegs- bzw. Bürgerkriegszustand, dem Kriegs- und Unfallereignis sowie dem Gesundheitsschaden (Unfallereignisfolge) und den Unfallfolgen (z.B. Invalidität) muss jeweils ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Bei der Kausalitätsprüfung sind also bei genauer Betrachtung – ähnlich wie bei der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität im Schadensersatz- und Deliktsrecht – mehrere Komplexe zu unterscheiden. Dies gilt auch für Unfälle infolge terroristischer Anschläge. Die zum Ausschluss führende Kausalkette lässt sich zusammenfassend wie folgt skizzieren: Krieg bzw. Bürgerkrieg („Gefahrzustand“) → erhöhte Gefahrenlage → Kriegsereignis („schädigendes Ereignis“) → Unfallereignis („schädigendes Ereignis“) → Gesundheitsschädigung („Schaden“ bzw. Unfallereignisfolge) ➔ Versicherungsausschluss
I. Allgemeines 28
Abstrakte Regeln dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen ein den Ausschluss begründendes Kriegsereignis vorliegt, lassen sich nicht aufstellen. Die Anwendbarkeit der Kriegsklausel ist für jeden Einzelfall nach den für seine Gestaltung und Bedeutung maßgeblichen Sachumständen – unter Berücksichtigung des erkennbaren Regelungszwecks des Ausschlusses (Rn. 4) – besonders zu prüfen.110
108
109
S.a. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 34 und 42; Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 2; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 69; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 113. J. B. Schroeder S. 89; s. auch Stiefel/ Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 148.
908
110
RG 3.7.1917 RGZ 90 378, 383; LG Ravensburg 23.2.1948 VW 1948 171; Fricke VersR 1991 1098, 1100; Haidinger VW 1947 93, 96; Prölss DRZ 1946 48, 51.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
1. Objektive Prüfung Maßgebend für die vorzunehmende Einzelfallbetrachtung sind – wie auch sonst bei 29 der Auslegung von AVB (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 59 ff.) – objektiv sachliche Gesichtspunkte und nicht etwa persönliche (bei Vertragsschluss nicht zum Ausdruck gekommene) Auffassungen der Vertragsschließenden.111 Da es sich um einen objektiven Risikoausschluss handelt, kommt es nicht auf ein Verschulden oder sonstige besondere Verhaltensweisen bzw. subjektive Vorstellungen der VN an. Rechtserheblich ist allein, dass ein bestimmter Sachverhalt erfüllt ist, der sich unter die Tatbestandsmerkmale der Klausel subsumieren lässt.112 Für die Prüfung des Tatbestandes sind insbesondere die jeweiligen (Lebens-)Umstände 30 unerheblich, die bei Vertragsschluss bestanden; auch kommt es bei der Auslegung der Kriegsklausel nicht auf eine Voraussehbarkeit an.113 Im Wortlaut unveränderte Vertragsregelungen in AVB zu einem Lebenssachverhalt (hier die Kriegsklausel) haben vielmehr für alle VN unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses und den zu dieser Zeit bestehenden (individuellen) Vorstellungen der Vertragspartner denselben Inhalt.114 Ein Abstellen auf die Vorhersehbarkeit von schadenträchtigen Ereignissen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses widerspräche dem erkennbaren Zweck der Kriegsklausel, gerade unübersehbare Risiken vom Versicherungsschutz auszunehmen. Wären tatsächlich die jeweiligen Umstände des Vertragsschlusses maßgebend, so wäre außerdem die Wahrung eines Leitgedankens der Versicherung – nämlich die Gleichbehandlung der VN – unmöglich. Weiterhin würden sowohl die außergerichtliche Leistungsregulierung als auch die Gerichtspraxis mit Rechtsunsicherheiten belastet, da – auch nach langer Vertragslaufzeit – die z.Z. des Vertragsabschlusses maßgeblichen (individuellen) Lebensumstände festgestellt, gewichtet und oftmals streitig entschieden werden müssten. Dadurch käme es zu Verzögerungen bei der Auszahlung von Versicherungsleistungen und zusätzlichen Kostenbelastungen, die letztlich dem VN bzw. der Versichertengemeinschaft zum Nachteil gereichen. Solche Konsequenzen wird der verständige VN weder dem Wortlaut des Kriegsausschlusses entnehmen noch vernünftigerweise erwarten. Ihm wird kaum zu erklären sein, dass ein Geschehen, das zwei VN einer Unfallversicherung gleichzeitig zustößt, eine völlig unterschiedliche rechtliche Behandlung erfahren kann, weil der eine VN vor bestimmten Kriegsereignissen und der andere VN (möglicherweise aus reinem Zufall) erst danach seinen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen hat.115 2. Kausalitätskriterien Da insbesondere bei einem „totalen Krieg“ mit seinen weit reichenden Auswirkungen 31 jedes schadenträchtige Ereignis mehr oder weniger mit ihm zusammenhängt, besteht seit jeher das Bestreben, einer ausufernden Anwendung der Kriegsklausel entgegenzuwirken. Ohne eine solche wertende Einschränkung der Kriegsklausel bestünde die Gefahr, dass in
111 112 113
OLG München 9.1.1948 VW 1948 87 (keine „psychologische Auslegung“). Dahlke VersR 2003 25, 27. So aber noch OGH Br. Z. 23.6.1950 VersR 1950 127, 128 = OGHZ 4 91, 95 mit abl. Anm. Prölss. Für die Beurteilung der Beweislast stellt auch J. B. Schroeder S. 178 f. auf die Risikosituation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab.
114
115
RG 3.7.1917 RGZ 90 378, 382 und 385; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 34; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 21. Ähnlich bereits Prölss VersR 1950 129, der AVB allerdings gesetzesähnlich auslegt (dazu Vorbem. Ziff. 1 AUB 99 Rn. 76 ff.).
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Unfallversicherung
Kriegszeiten der Versicherungsschutz vollständig ins Leere liefe, der VN also überhaupt keinen Versicherungsschutz hätte, obwohl die VR weiterhin Prämien vom VN entgegennähmen.116 Keinesfalls dürfen aber Schwierigkeiten, bestimmte Ereignisse (insbesondere in den Grenzbereichen der Kriegsführung) unter die Ausschlussbestimmung zu subsumieren, dazu führen, diese Ereignisse nur deshalb als Kriegsereignisse zu werten, weil sie in irgendeinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Krieg stehen. Dies kann von verständigen Vertragsparteien kaum gewollt sein.117 Um einer i.E. untragbaren Besserstellung des VR zum Nachteil des VN in Kriegszeiten gegenüber Zeiten durchschnittlichen Schadensanfalls entgegenzuwirken und Versicherungsschutz für „normale“ Schadenfälle zu gewährleisten, sind im Rahmen der Kausalitätsprüfungen Restriktionen zur reinen Äquivalenz vorzusehen. Hierfür bestehen zwei Ansatzpunkte, die in der Rechtsprechung und Literatur nicht immer scharf getrennt werden: Zum einen darf der Begriff des „Kriegsereignisses“ nicht überstrapaziert bzw. der Ursachenzusammenhang zwischen dem Kriegs- bzw. Bürgerkriegszustand und den darauf beruhenden Ereignissen nicht leichtfertig bejaht werden. Zum anderen hat bei der Beurteilung der Auswirkungen bzw. Folgen von Kriegsereignissen, also im Rahmen der Kausalitätserwägungen zwischen dem konkreten Kriegsereignis und dem Unfall (Unfallereignis und Unfallereignisfolge bzw. dem Gesundheitsschaden), eine Grenzziehung zu erfolgen. Beide Prüfungspunkte, können zusammenfallen (z.B. versicherte Person wird während Kampfhandlungen durch eine Bombenexplosion verletzt), müssen es aber nicht (z.B. versicherte Person wird verletzt, weil ein im Krieg zerbombtes Haus im Laufe der Zeit instabil geworden ist und zusammenstürzt); denn sie setzen denklogisch an unterschiedlichen Stellen in der Kausalkette an (Rn. 27). Übereinstimmung besteht indes bei den im Rahmen der Kausalitätsprüfung heranzuziehenden Instrumentarien. Dabei sind weniger persönliche, zeitliche oder räumliche, sondern vor allem sachlich wertende Aspekte bedeutsam. Der Risikoausschluss setzt einerseits nicht voraus, dass das Schadensereignis durch 32 einen (Staats-)Angehörigen einer kriegsführenden Nation bzw. Partei 118 oder eine Militärperson 119 verursacht wird. Er kann vielmehr auch in dem Fall eingreifen, dass ein kriegerischer Akt oder (Terror-)Anschlag durch Sympathisanten einer Kriegspartei verübt wird.120 Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Klausel auf Unfälle, für die Staatsangehörige der Kriegsparteien verantwortlich sind, lässt sich aus dem Wort „Kriegsereignis“ nicht ableiten. Sie wäre auch mit dem erkennbaren Sinn des Ausschlusstatbestandes nicht vereinbar. Der durchschnittliche VN wird nicht danach differenzieren, ob ein Staatsangehöriger der Kriegsnationen oder etwa ein „Söldner“ oder ein von den Kriegsparteien ausgesandter Terrorist den Unfall herbeiführt. In allen Sachverhaltsvarianten realisiert sich die durch den Krieg geschaffene potentielle Gefahrerhöhung.121 Keine Bedeutung hat andererseits, ob der VN oder die versicherte Person Kriegsteilnehmer i.e.S. ist122 oder zu einer der kriegsführenden Parteien zählt.123 Der Kriegsausschluss gilt unabhängig davon, ob die versicherte Person den Unfall z.B. als Privatmann, Geschäftsmann oder als Soldat bzw. Bundeswehrangehöriger erleidet.124
116
117 118 119 120
OLG Hamburg 9.4.1947 VW 1947 196, 197; Haidinger VW 1947 93, 94; J. B. Schroeder S. 150. Präve ZfV 1991 107, 108; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 34. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 35. Wüstney S. 19. J. B. Schroeder S. 163.
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121 122 123 124
Krahe VersR 1991 634, 636. KG 13.10.1917 VA 1918 Anh. S. 19 Nr. 1025. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 65. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 34; Stockmeier/Huppenbauer S. 50.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
Die Anwendung der Kriegsklausel ist nicht auf den Zeitraum der eigentlichen Kriegs- 33 handlungen beschränkt.125 • Es fallen zunächst auch Schäden durch vorbereitende Kriegsmaßnahmen unter den Ausschluss,126 so z.B. die Verminung von Landstrichen bzw. Gewässern 127 oder die Entlaubung von Wäldern durch chemische Stoffe.128 Bloße Vorstufen eines Krieges wie Handelsembargos, Blockaden, wirtschaftliche Repressalien oder Drohungen gegen fremde Staaten (z.B. mit Anwendung von Waffengewalt) reichen dagegen nicht aus, den Ausschluss zu begründen.129 Anderenfalls würde der Wortsinn der Klausel verkannt. Darüber hinaus fehlt es an der kriegstypischen Eskalation der Schadensrisiken. • Die Anwendung des Ausschlusses ist weiterhin nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Schadens- bzw. Unfallereignis nach Einstellung der Kampfhandlungen 130 oder Feindseligkeiten oder nach einem formalen Ende des Krieges durch Waffenstillstand, Kapitulation oder Abschluss eines Friedensvertrages 131 eingetreten ist.132 Eine andere Entscheidung würde den tatsächlichen Lebensvorgängen nicht gerecht.133 Maßgebend ist vielmehr, ob – unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des Ausschlusses (Rn. 4) – ein innerer Zusammenhang zwischen dem Krieg und dem Unfall besteht, also ob die Gefahr des gehäuften Schadenrisikos (noch) andauert mit der Folge, dass eine Anwendung des Ausschlusses in Betracht kommt, oder ob die typisch kriegsbedingt erhöhte Risikolage (bereits) weggefallen ist, so dass Versicherungsschutz besteht.134 Ausgeschlossen ist z.B. der Versicherungsschutz, wenn die versicherte Person durch eine liegen gebliebene Handgranate oder Mine kurz nach Kriegsende (während des Verfalls der staatlichen Ordnung) getötet wird.135
Der Kriegsausschluss greift allerdings nicht ohne zeitliche Beschränkung für alle Spätschäden ein. Anderenfalls würden die durch den Krieg in Gang gesetzten Kausalketten ins Uferlose weiterlaufen; die als Ausnahme gedachte Ausschlussklausel könnte leicht zum Regeltatbestand werden und damit den Versicherungsschutz entwerten. Die zeitliche Grenze ist erreicht, wenn die Verhältnisse sich wieder stabilisiert haben und die staatliche Sicherheit und Ordnung zurückgekehrt ist.136 Der Annahme von versicherungsrechtlich normalisierten Verhältnissen steht dabei nicht entgegen, wenn die neuen Lebensumstände auf einem gegenüber den Vorkriegsverhältnissen erhöhten Gefahrenniveau liegen;137 denn in solchen Fällen ist die Lage für den VR wieder übersehbar und kalkuliert, also ein Ausgleich über veränderte statistische Grundlagen und Prämienerhöhungen möglich,138 so dass der Zweck des Kriegsausschlusses (Rn. 4) seine Anwendung nicht mehr gebietet. 125 126 127
128 129
130 131
132
OLG Hamburg 30.4.1947 VW 1947 198. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 146. Haidinger VW 1947 93, 94; Luttmer VW 1971 208, 209; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 288. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 36. Fricke VersR 1991 1098, 1100; a.A. R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 283. OLG Hamburg 21.5.1948 VW 1948 223; LG Hamburg 4.2.1947 VW 1947 221. Auf das völkerrechtliche Kriegsende stellte offenbar noch das OLG Gera 16.1.1947 VW 1947 221 ab (s.a. OLG Gera 27.3.1947 VW 1947 234), was allerdings im konkreten Fall nicht streitentscheidend war. Ehlers RuS 2002 133, 134; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 36; Henke S. 56; Prölss DRZ 1946 48, 49; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 288; Schubach RuS
133 134
135
136 137
138
2002 177, 179; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 106. Haidinger VW 1947 93, 94. Fricke VersR 1991 1098, 1101; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 26; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 65. OLG Köln 8.5.1946 VW 1946 18; OLG Stuttgart 16.2.1949 VW 1949 186; AG Hannover 7.12.1950 VersR 1951 47; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140; ferner Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 146. LG Düsseldorf 7.12.1950 VersR 1951 50, 51; Luttmer VW 1971 208, 209. OLG Hamburg 21.5.1948 VW 1948 223; OLG Hamburg 9.4.1947 VW 1947 196, 197; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 36. Fricke VersR 1991 1098, 1101; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 23.
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Unfallversicherung
Versicherungsschutz kommt nach einer Stabilisierung der Lage folglich auch dann in Betracht, wenn immer noch nicht entschärfte Munition, Bomben oder Minen, durch den Krieg zerstörte Ruinen oder beschädigte bzw. einsturzgefährdete Gebäude existieren,139 sich die Kriminalitätsrate und -bereitschaft aufgrund eines erschütterten Rechtsbewusstseins, einer gesunkenen öffentlichen Moral oder steigenden Not (z.B. Mangel an Lebensbzw. Genussmitteln oder Gebrauchsgütern) erhöht hat 140 oder die Arbeit der Polizei bzw. Ordnungskräfte erschwert ist.141 Wann der fließende Übergang vom Krieg zum Frieden abgeschlossen ist, lässt sich nicht anhand allgemein verbindlicher Kriterien definieren, sondern muss wertend – unter Würdigung aller Einzelumstände142 – festgestellt werden. Als Kriterien können Überlegungen u.a. darüber dienen, ob und inwieweit (am jeweiligen Tat- bzw. Unfallort)143 • die öffentliche Sicherheit und Ordnung geschwächt ist, • die Polizei oder sonstige Ordnungskräfte in der Lage sind, ihren Aufgaben nachzukommen, bzw. machtlos sind,144 sich z.B. Personalmangel, Entwaffnung oder Umorganisationen auswirken,145 • das Nachrichten-, Fernmelde-, Rettungs- und Feuerlöschwesen funktionieren oder • die Täter bzw. Schadenverursacher mit Entdeckung und Sanktionen rechnen müssen bzw. die Auflösung der staatlichen Ordnung bewusst ausnutzen146
und wie lange • die vorstehenden Umstände herrschen. Handelt es sich um vorübergehende Erscheinungen, so ist der Zusammenhang mit dem Krieg eher zu bejahen als bei Dauerzuständen; denn bei lang anhaltenden Gefahrenerhöhungen kann möglicherweise bereits ein kalkulatorisch erfassbarer Normalzustand (u.U. auf einem gegenüber der Vorkriegszeit erhöhten Niveau) anzunehmen sein.147
Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass der VR gerade bei längeren Vertragslaufzeiten nicht kurzfristig bestehende Versicherungsverhältnisse anpassen kann.148 Insofern darf nicht nur nach tatsächlichen Gesichtspunkten, sondern muss auch aus versicherungstechnischer Sicht die Stabilisierung der Lage geprüft werden. Abstrakt lässt sich abschließend nur festhalten, dass die durch den Krieg gesteigerten Versicherungsrisiken und damit auch der innere Zusammenhang zwischen Krieg, Kriegsereignis und Unfall mit dem Ablauf der Zeit allmählich abnehmen und schließlich ganz entfallen.149 Der Kriegsausschluss greift jedenfalls spätestens nicht mehr bei Unfällen ein, die sich nach Januar 1949 ereignet haben 150 bzw. heute noch eintreten und auf Ereignisse aus dem 2. Weltkrieg zurückzuführen sind (z.B. Explosion von Blindgängern).151
139 140
141 142 143 144 145 146
147 148 149
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 36. OLG Hamburg 9.4.1947 VW 1947 196, 197; Haidinger VW 1947 93, 95; R. Schmidt/ Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 286. LG Hamburg 13.8.1946 VW 1947 85. OLG Hamburg 21.5.1948 VW 1948 223. OLG Hamburg 30.4.1947 VW 1947 198. LG Hannover 29.11.1945 VW 1946 17. OLG Hamburg 30.4.1947 VW 1947 198; OLG Hamburg 9.4.1947 VW 1947 196, 197. LG Frankfurt/M. 14.11.1946 VW 1947 84; LG Krefeld 18.12.1946 VW 1947 166; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 286 f. Haidinger VW 1947 93, 95. J. B. Schroeder S. 151. Ehlers RuS 2002 133, 135; Haidinger VW
912
150
151
1947 93, 94; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 289. LG Düsseldorf 7.12.1950 VersR 1951 50, 51; s.a. Millert VersR 1964 118, 119 (der damalige HUK-Verband hatte den VR nahegelegt, sich bei Unfällen nach dem 31.12.1956 nicht mehr auf die Ausschlussklausel zu berufen; dazu auch VerBAV 1954 139). Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 36; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 26; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 65; Schubach RuS 2002 177, 179; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 106; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 42 f.; s.a. OLG Celle 17.12.1920 VA 1921 17, 18 Nr. 1182; abw. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 24.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
Die Klausel zum Ausschluss von Unfällen durch Kriegsereignisse ist nicht auf den 34 Kriegsschauplatz bzw. den Ort der Kampfhandlungen, d.h. das eigentliche Operationsgebiet der Kampftruppen beschränkt.152 Ebenso ist nicht entscheidend, ob sich der Unfall auf dem Staatsgebiet der kriegführenden Staaten ereignet hat.153 Die Kriegsklausel kann vielmehr auch dann anwendbar sein, wenn ein Gebiet, das weder Kriegsgebiet noch Kriegsschauplatz ist, unter Auswirkungen des Krieges zu leiden hat bzw. sich dort die Auswirkungen des Krieges zeigen,154 so z.B. auf Botschaftsgeländen. Der z.Z. des 1. und 2. Weltkrieges vereinzelt vertretenen Meinung, die Kriegsklausel setze eine unmittelbare Nähe des Schadens zum Kampfgebiet voraus, vernachlässigt den erkennbaren Zweck der Klausel. Ihr ist spätestens durch die Entwicklung der Kriegstechnik die Grundlage entzogen worden. Durch die moderne Technologie kann der Krieg in weit auseinander liegende Operationsräume bzw. Kriegsgebiete geführt werden oder es weit hinter der Front zu Schäden kommen.155 Hinzu kommt, dass durch das Bestehen von Militär-, Waffen- und Wirtschaftsbündnissen (z.B. Nato) die Gefahr wächst, dass sich ein Krieg nicht auf den räumlichen Bereich der kriegführenden Staaten begrenzen lässt. Gerade hierin zeigt sich die Unkalkulierbarkeit des Kriegsrisikos, dem der Ausschluss entgegenwirken will.156 Zwischen dem Krieg, dem Kriegs- bzw. Bürgerkriegsereignis und dem Unfallereignis 35 mit seinen schädlichen Folgen ist nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen jeweils eine adäquate Kausalität und ein innerer Zusammenhang zu fordern. Letzterer ist unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Klausel anhand des Schutzzwecks der Norm zu ermitteln (Rn. 4). Keine Bedeutung für die Prüfung hat dagegen die Frage, ob der zum (Gesundheits-)schaden führende Lebenssachverhalt selten ist und deshalb als solcher keine für den VR unverhältnismäßige Gefahrensteigerung birgt.157 Ein solcher Prüfungspunkt ist – ebenso wie beim Ausschluss für Unfälle infolge innerer Unruhen (Rn. 8) – dem Wortlaut des Kriegsausschlusses nicht zu entnehmen. Es handelt sich um eine Gefahrumstandsausschlussklausel, die eine bestimmte Gefahr, nicht aber einen konkreten Schaden vom Versicherungsschutz ausschließt. Die Klausel stellt gerade nicht auf bestimmte Schadenhöhen oder -häufigkeiten ab. Die Berücksichtigung der Art des Schadensereignisses wäre im Übrigen auch nicht praktikabel. Anderenfalls müsste differenziert werden, ob ein Geschehen „selten“ oder „häufig“ vorkommt bzw. – isoliert betrachtet – „bezahlbar“ oder unkalkulierbar ist. Eine nachvollziehbare Grenzziehung wäre hier kaum möglich. Wenn der Krieg sich in vielen unterschiedlichen Arten von Einzelereignissen auswirkt, die für sich gesehen selten sind, dürfte konsequenterweise die Kriegsklausel selbst dann nicht eingreifen, wenn die Summe der unterschiedlich gelagerten Einzelfälle die Leistungsfähigkeit des VR zu übersteigen droht. Das entspricht nicht dem Zweck der Kriegsklausel (Rn. 4). Im Interesse der Rechtssicherheit muss deshalb allein entscheidend sein, ob sich mit dem Schadenseintritt eine kriegsspezifische Gefahrerhöhung gegenüber der in Friedenszeiten gegebenen Normalgefahr manifestiert hat. 152
Grundlegend RG 3.7.1917 RGZ 90 378, 379 ff.; ferner u.a. OLG Celle 8.1.1951 VersR 1951 82, 83; OLG Celle 27.10.1948 VW 1949 210; KG 13.10.1917 VA 1918 Anh. S. 19 Nr. 1025; OLG Köln 8.5.1946 VW 1946 18; LG Frankfurt/M. 14.11.1946 VW 1947 84; Ehlers RuS 2002 133, 135; Haidinger VW 1947 93; Henke S. 56; Präve ZfV 1991 107, 108; R. Schmidt/ Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 288; Wüstney S. 19.
153
154 155 156 157
Dahlke VersR 2003 25, 28; Prölss/Martin/ Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 23; s.a. OLG Hamburg 12.6.1947 VW 1947 234. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 37; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 65. Fricke VersR 1991 1098, 1101. Krahe VersR 1991 634, 635; J. B. Schroeder S. 153 f. So aber OLG Bamberg 29.7.1948 VW 1948 420; i.E. zustimmend, aber die Begründung ablehnend J. B. Schroeder S. 161 ff.
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Unfallversicherung
II. Krieg 36
Was unter „Krieg“ i.S.d. AVB konkret zu verstehen ist, wird weder im Gesetz noch in den weiteren Regelungen zum Versicherungsvertrag geregelt. Maßgebend für das Verständnis sind die allgemeinen Auslegungsmethoden (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 65 ff.). Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass der Begriff des Krieges nicht im völkerrechtlichen, sondern im versicherungsrechtlichen Sinne zu gebrauchen ist. Dieser stimmt mit dem alltäglichen Sprachverständnis des durchschnittlichen VN überein. 37 Sofern es überhaupt eine international anerkannte Kriegsdefinition geben kann,158 wird der völkerrechtliche Kriegsbegriff umschrieben als ein organisierter, mit Waffengewalt ausgetragener Machtkonflikt zwischen Völkerrechtssubjekten,159 der jedenfalls nach tradiertem Verständnis mit einer Kriegserklärung beginnt 160 und mit einer Kapitulation oder einem Friedensschluss endet.161 Diese herkömmliche Begriffsbestimmung entspricht ersichtlich nicht mehr der veränderten und verschärften Realität. Zunehmend wird deshalb in der völkerrechtlichen Vertragspraxis nicht mehr von Krieg, sondern „bewaffneten Konflikten“ gesprochen.162 38 Der versicherungsrechtliche Kriegsbegriff ist nach fast einhelliger (und zuzustimmender) Meinung – anders als im Straf- Handels- und Zivilprozessrecht 163 – weiter zu verstehen als der Kriegsbegriff im völkerrechtlichen Sinn.164 Letzterer wird dem Sinn und Zweck des Ausschlusses (Rn. 4), der sich auch einem verständigen durchschnittlichen VN ohne Fachkenntnisse erschließt, nicht gerecht. Erfasst ist vielmehr jeder tatsächliche kriegsmäßige Gewaltzustand 165 ohne Rücksicht auf die persönlichen, zeitlichen, räumlichen oder sachlichen Grenzen des Kriegszustandes im völkerrechtlichen Sinne.166 M.a.W.: Krieg im völkerrechtlichen Sinne ist immer auch Krieg im versicherungsrechtlichen Sinne, ohne dass diese Feststellung umgekehrt gelten muss.167 • Unter die versicherungsrechtliche Definition des Krieges fallen alle bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen mehreren Staaten oder Völkern bzw. Volksgruppen.168 Unerheblich ist, ob die Beteiligten als Völkerrechtssubjekte anerkannt sind oder nicht (z.B. Taliban).169 Ausschreitungen einzelner reichen dagegen nicht.
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Zweifelnd Fricke VersR 2002 6, 7 Fn. 23. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 41. Einschränkend Luttmer VW 1971 208. Hübner ZVersWiss 1981 1, 5; Krahe VersR 1991 634. Eingehend J. B. Schroeder S. 92 ff. (zusammenfassend S. 102). J. B. Schroeder S. 103. Dahlke VersR 2003 25, 27 f.; Ehlers RuS 2002 133, 134; Fricke VersR 2002 6, 7; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 282 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 41; Wüstney S. 19; a.A. Römer/Langheid 2 § 84 Rn. 3 (freilich nur für die Auslegung der gesetzlichen Vorschrift des § 84 a.F.); nicht ganz eindeutig Schubach RuS 2002 177, 180; eingehend J. B. Schroeder S. 104 ff.
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Berliner Kommentar/Dörner/Staudinger § 84 Rn. 4; Fricke VersR 1991 1098, 1099; Haidinger VW 1947 93; Prölss/Martin/ Kollhosser 27 § 84 Rn. 1; Prölss/Martin/ Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 21; Luttmer VW 1971 208; Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 149; Tita VW 2001 1779, 1780. OLG Kiel 17.6.1947 VW 1947 235; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 35; Henke S. 56; Kloth Rn. K 47; Krahe VersR 1991 634, 636; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 65. Dahlke VersR 2003 25, 28; Ehlers RuS 2002 133, 134; Prölss DRZ 1946 48, 49. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140. Ehlers RuS 2002 133, 134 f.; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 35; Kloth Rn. K 47.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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• Nach dem versicherungsrechtlichen Kriegsbegriff kann der Krieg schon vor dem völkerrechtlichen Beginn angefangen haben. Er kann darüber hinaus sein völkerrechtliches Ende überdauern.170 Eine formale zeitliche Begrenzung des Kriegszustandes besteht nicht. Für den Kriegsbeginn kommt es mithin auf eine förmliche Kriegserklärung,171 einen zeitlich definierten Beginn bewaffneter Auseinandersetzungen oder gar die Feststellung des Verteidigungsfalles (Art. 115a Abs. 1 GG) nicht an.172 Unerheblich ist auch die Feststellung bzw. Nichtfeststellung des Bündnisfalles nach Art. 5 des Nordatlantikvertrags vom 4.4.1949 (Nato-Vertrag).173 Umgekehrt ist für das versicherungsrechtliche Kriegsende der Abschluss eines Friedensvertrages, Waffenstillstandabkommens oder die „offizielle“ Kapitulation nicht ausschlaggebend (Rn. 33). • Krieg setzt den Waffeneinsatz durch wenigstens eine der beteiligten Seiten oder den Vorstoß von Streitkräften auf fremdes Gebiet voraus.174 Die Waffen können sowohl offensiv (z.B. Beschuss) als auch nichtoffensiv (z.B. Anlage von Minenfeldern) eingesetzt werden. Auch durch letzteres kann das Schadensrisiko erheblich gesteigert werden. Nicht ausreichend ist allerdings, wenn die Waffen nur zu Zwecken der Drohung genutzt werden. Mangels Waffengewalt genügen auch noch nicht rein diplomatische Interventionen, Friedensblockaden, Embargos oder wirtschaftliche Repressalien (Rn. 33). Des Weiteren müssen die Qualität und der Umfang der Waffengewalt über die bei Unruhen, Aufruhr oder Sabotageakte hinausgehen.175
Zweifelhaft ist, ob nach dem Sinn und Zweck der Kriegsklausel nur solche bewaffneten Auseinandersetzungen ausgeschlossen sind, die im jeweiligen Einzelfall für den betroffenen VR konkret zu einer Gefahr unkalkulierbarer Schäden führen können.176 Dagegen spricht zunächst, dass der Wortlaut für eine einschränkende Auslegung des Kriegsbegriffs keinen Anhaltspunkt gibt. Dem berechtigten Wunsch, den Anwendungsbereich des Ausschlusses nicht ausufern zu lassen, kann vielmehr auch mit allgemein anerkannten zivilrechtlichen Kausalitätserwägungen Rechnung getragen werden (Rn. 31 ff.). Eine teleologische Reduktion des Kriegsbegriffs birgt im übrigen die Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheiten, die von verständigen Vertragspartnern kaum gewollt sein können (s.a. Rn. 36): Zum einen ist es nicht praktikabel, Einzelfall bezogen darauf abzustellen, ob der Krieg für den betroffenen VR zu einer unkalkulierbaren Gefahr führt. In jedem Streitfall müsste der VR seine Berechnungsgrundlagen und wirtschaftliche Situation darlegen und beweisen. Darüber hinaus würde die Leistungsregulierung erschwert und verzögert, da der VR die Entwicklung des Kriegsgeschehens abwarten müsste, um ggf. doch noch die Gefahr unkalkulierbarer Schäden begründen zu können. Zum anderen hätte ein Abstellen auf den jeweiligen VR zur Folge, dass gleichlautende AVB (AUB) unterschiedlich ausgelegt werden könnten. Letztlich würde die Finanzstärke des VR über Versicherungsschutz oder Versicherungsausschluss entscheiden. Im Extremfall könnte die für den VN nicht mehr nachvollziehbare Situation eintreten, dass er bei Abschluss von zwei Unfallversicherungsverträgen bei verschiedenen Anbietern bei dem einen Leistungen erhält und bei dem anderen nicht, obwohl beiden Verträgen die AUB 99/2008 zugrunde liegen. Für die Auslegung des Kriegsbegriffs in den AUB kommt es weder auf das fachspezi- 39 fische juristische (völkerrechtliche) Verständnis 177 noch auf die Intention der Bedin170
171 172 173
Dahlke VersR 2003 25, 28; Fricke VersR 1991 1098, 1099; Haidinger VW 1947 93, 94; Henke S. 56; Krahe VersR 1991 634, 635; Prölss DRZ 1946 48, 49. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 21. Berliner Kommentar/Dörner/Staudinger § 84 Rn. 4; Ehlers RuS 2002 133, 134. Fricke VersR 2002 6, 7; a.A. offenbar Präve ZfV 1991 107, 109.
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Fricke VersR 1991 1098, 1100; ferner Dahlke VersR 2003 25, 28; Ehlers RuS 2002 133, 134; Tita VW 2001 1779, 1780. Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 119. So J. B. Schroeder S. 125 ff. (zusammenfassend S. 142 und 197). J. B. Schroeder S. 112 ff.
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gungsgeber bzw. auf Verbandempfehlungen (sofern diese nicht Vertragsbestandteil geworden sind) 178 oder gar auf die Sprachregelung von Terroristengruppen an.179 Entscheidend ist allein, was der durchschnittliche VN als Adressat des Bedingungswerkes aufgrund des alltäglichen Sprachgebrauchs unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinns und Zwecks der Klausel unter Krieg versteht (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57).180 Einen fest umrissenen „glasklaren“ politisch-umgangssprachlichen Inhalt gibt es nicht und kann es wohl auch nicht geben,181 da er häufig stark von politischen Interessen und ideologischen Standpunkten geprägt ist.182 Im Alltagssprachgebrauch wird der Bedeutungsinhalt des Wortes „Krieg“ sicherlich durch die Ereignisse des 1. und 2. Weltkrieges, aber auch durch die konventionell geführten Konflikte in der Folgezeit wie z.B. den Vietnamkrieg, die Luftschläge der NATO gegen Jugoslawien 1999, die Auseinandersetzung mit dem Taliban-Regime in Afghanistan oder den Irakkrieg geprägt. Unschärfen in Randbereichen werden bei der Auslegung jedoch – nicht zuletzt wegen der sich fortentwickelnden (Kriegs-)Technologie und den sich wandelnden (wirtschaftlichen, sozialen und religiösen) Verhältnissen – stets verbleiben; sie müssen im Einzelfall wertend beseitigt werden.183 Der durchschnittliche VN wird „Krieg“ jedenfalls nicht auf die völkerrechtliche Definition beschränken, zumal diese ihm regelmäßig unbekannt ist, sondern i.S.d. (weiter gefassten) versicherungsrechtlichen Auslegung verstehen.184 Krieg wird typischerweise nicht nur als bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten aufgrund einer Kriegserklärung bzw. Kampfansage, sondern auch als Feindschaft, zäher Kampf,185 größere Auseinandersetzung zwischen Völkern mit militärischen Mitteln oder als ein längerer mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt umschrieben.186 Synonyme sind bewaffneter Konflikt, Fehde, Gefecht, Kampfhandlungen, kriegerische bzw. militärische Auseinandersetzung, Schlacht oder Feldzug.187 Der Kriegszustand ist danach weder von einer Kriegserklärung, einem Ultimatum oder einem Abbruch diplomatischer Beziehungen noch von einem Friedensvertrag, Waffenstillstandsabkommen oder einer Kapitulation abhängig, sondern allein von einer tatsächlichen Auseinandersetzung zwischen Staaten oder einer Vielzahl von Menschen geprägt. Nach allgemeinem Sprachverständnis beginnt der Krieg folglich mit der Erstanwendung von Waffengewalt und endet mit der faktischen Einstellung des Waffeneinsatzes.188 Umgekehrt setzt Krieg nach dem Lebenssprachgebrauch mehr voraus als Unruhen oder Aufruhr.189 Entsprechendes gilt in der Regel weiterhin für die Zerstörungstätigkeit von Terroristen (Rn. 61). U.a. folgende Grenzfälle sind bei der Prüfung des Kriegsbegriffs zu erwähnen: 40 • Krieg ist nicht bereits jede militärische Einzelaktion (z.B. der Abschuss eines Verkehrsflugzeuges beim Überfliegen eines militärischen Sperrgebiets oder beim Eindringen in fremdes Hoheitsgebiet).190 • Grenzzwischenfälle bzw. Grenzkonflikte können nicht ohne weiteres den Ausschluss begründen.191 Voraussetzung ist, dass die gegenseitige Bekämpfung durch kriegsmäßige Maßnahmen
178 179 180 181 182 183 184 185
AG Hannover 7.12.1950 VersR 1951 47. S.a. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140. So bereits OLG Köln 8.5.1946 VW 1946 18; s.a. J. B. Schroeder S. 114 f. und 122. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 41. J. B. Schroeder S. 115 (s.a. S. 122). S.a. Fricke VersR 2002 6, 7. Abw. J. B. Schroeder S. 118. Mackensen Deutschese Wörterbuch, 10. Aufl. (1983) unter „Krieg“.
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Duden Bd. 10: Das Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl. (2002) unter „Krieg“. Duden Bd. 8: Das Synonymwörterbuch, 3. Aufl. (2004) unter „Krieg“. J. B. Schroeder S. 116 f. J. B. Schroeder S. 118 und 121; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140; ferner Präve ZfV 1991 107. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 35. So aber Berliner Kommentar/Dörner/Staudinger § 84 Rn. 4; Ehlers RuS 2002 133,
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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geschieht und diese zu mehr als einer nur einer kurzen bewaffneten Auseinandersetzung führen.192 Nur dann kommt die Ratio des Ausschlusses zum Tragen, da sich keine Einzelgefahren, sondern unkalkulierbare und unüberschaubare Risiken realisieren können. Nicht ausreichend sind dagegen (vereinzelte) Schießereien an der Grenze (auch Demarkationslinie). Es handelt sich hierbei um grenzpolizeiliche Maßnahmen, die nicht der Kriegsklausel unterfallen.193 • Truppenverlegungen oder Manöver (z.B. innerhalb des Nato-Gebiets) sind jederzeit möglich, ohne dass dadurch der Kriegsausschluss begründet wird. Dies gilt selbst dann, wenn eine Stationierung rein vorsorglich in der Nähe eines Kriegsgebietes erfolgt.194 Voraussetzung ist indes, dass noch keine erhöhte Gefährdung der Truppen zu befürchten ist, z.B. durch konkrete drohende Verwicklung der Truppen in Kampfhandlungen.
III. Bürgerkrieg Unter Bürgerkriegen werden organisierte bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen 41 Parteien bzw. Gruppen innerhalb desselben Staates um Macht- oder Rechtspositionen verstanden,195 wobei mindestens eine Partei nicht anerkannt ist.196 Gemeint sind vornehmlich Aufstände, Revolutionen und Widerstands- bzw. Befreiungsbewegungen gegen die herrschende Staatsgewalt mit dem Ziel, diese zu beseitigen oder andere Mächte an ihre Stelle zu setzen.197 Häufig werden die Konflikte als Guerilla-Krieg ausgetragen. Die Motivation der Akteure kann höchst unterschiedlich sein (z.B. klassischer Religionskrieg, ethnischer Konflikt, politische oder wirtschaftliche Interessen bzw. Unzufriedenheit),198 ist aber für die Anwendung des Ausschlusses ohne Bedeutung. Bloße Polizeieinsätze reichen dagegen nicht aus, den Ausschlusstatbestand zu begründen.199 Der Bürgerkrieg ist ein Extremfall der inneren Unruhe.200 Immer wenn die Voraus- 42 setzungen des Bürgerkrieges erfüllt sind, ist auch eine innere Unruhe anzunehmen.201 Dies gilt indes nicht umgekehrt. Der Bürgerkrieg unterscheidet sich von „nicht extremen“ bzw. „sonstigen“ inneren Unruhen dadurch, dass die Staatsgewalt beim Bürgerkrieg nicht nur vorübergehend außerstande ist, die Herrschaft über das gesamte Staatsgebiet auszuüben, und die Bürgerkriegsparteien eine militärähnliche (milizartige) Kommandostruktur und Bewaffnung aufweisen.202 Der Übergang von der inneren Unruhe zum Bürgerkrieg ist regelmäßig fließend und mangels feststehender objektiver Kriterien schwer zu bestimmen.203 Umstritten ist, ob der Bürgerkrieg bereits vom Kriegsbegriff umfasst ist. Dieser Streit 43 erlangt in der Unfallversicherung bei Geltung der AUB 88/94/99/2008 keine praktische Bedeutung. Auswirken kann er sich indes, wenn die AUB 61 vereinbart sind, in denen der
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193 194 195
196 197
134 f.; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 21. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 119. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 43. Präve ZfV 1991 107, 109. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 41; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 66. Luttmer VW 1971 208. R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 284.
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Hübner ZVersWiss 1981 1, 7. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 35; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140. Dahlke VersR 2003 25, 29; Ehlers RuS 2002 133, 135; Martin SVR F I Rn. 7; Schubach RuS 2002 177, 179. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 35; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 66. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 41; s. auch R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 301. Hübner ZVersWiss 1981 1, 36 f.
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Bürgerkrieg anders als in den AUB 88/94/99/2008 nicht explizit genannt ist und die Teilnahme der versicherten Person auf Seiten der Unruhestifter zweifelhaft ist, so dass auch der Ausschluss innerer Unruhen nicht eingreift. Die h.M. subsumiert den Bürgerkrieg zutreffend auch unter den Kriegsbegriff 204 und sieht deshalb folgerichtig die Ergänzung der AUB 88/94/99 um das Wort „Bürgerkrieg“ als bloße Klarstellung ohne materiell-rechtliche Auswirkung an (Rn. 23). Die Gegenauffassung führt dagegen an, der für die Auslegung maßgebliche durchschnittliche VN ohne Spezialkenntnisse (Vorbem. Ziff. 1 Rn. 57) vermöge nicht zu erkennen, dass der Bürgerkrieg als innerstaatlicher Vorgang ein Unterfall des Krieges sei.205 Dies belege gerade die Neufassung des Ausschlusses in den AUB 88.206 Dem kann nicht gefolgt werden. Im alltäglichen Sprachgebrauch (vgl. Rn. 41) wird Krieg als Oberbegriff zum Bürgerkrieg verwandt; das Wortbestandteil „Bürger“ ist lediglich ein einschränkender und konkretisierender Zusatz zum Wort „Krieg“. Im Übrigen erlauben die Beweggründe der Bedingungsgeber, den Bürgerkrieg ausdrücklich zu nennen, keine Rückschlüsse auf die Auslegung des Kriegsbegriffs (Vorbem. Ziff. 1 AUB Rn. 76 ff.).
IV. Kriegs- bzw. Bürgerkriegsereignis (Kausalität zwischen Krieg bzw. Bürgerkrieg und Ereignis) 44
Welcher Zusammenhang zwischen Krieg bzw. Bürgerkrieg (dem „Zustand“) und Kriegsereignis (dem „Geschehen“) bestehen muss, wird in den AUB nicht ausdrücklich geregelt. Der in der Klausel genannte unmittelbare oder mittelbare Zusammenhang betrifft nur die Kausalkette zwischen Kriegsereignis und Unfall, nicht aber die Verknüpfung von Krieg und Kriegsereignis. Weitgehende Einigkeit besteht aber auch hier, dass Kriegsereignis jedes Ereignis ist, das in einem unmittelbaren oder mittelbaren ursächlichen Zusammenhang mit dem Krieg steht,207 für den Krieg typisch ist und ohne Kriegszustand nicht eingetreten wäre.208 Solche Ereignisse können nach allgemeinen Kriterien sowohl während als auch nach dem Krieg eintreten. Eine enge räumliche Beziehung des Ereignisses zum Kriegsschauplatz ist weder notwendig noch ausreichend.209 Bei der Analyse des Zusammenhangs zwischen dem Krieg und dem Ereignis, dass 45 unmittelbar oder mittelbar bzw. sofort oder zeitlich versetzt zum Unfallereignis führen kann, sind die Adäquanztheorie und die Lehre vom Schutzzweck der Norm anzuwenden (Rn. 31 ff.).210 Erforderlich ist zunächst adäquate Kausalität, „sei es, dass die objektive Tat, sei es, dass die subjektive Willensrichtung der Täter durch den Kriegszustand oder etwaige von diesem hervorgerufene Zustände beeinflusst oder begünstigt sein kann“.211 Hinzukommen muss eine Abgrenzung. Es kann in den Fällen nicht von einem Kriegsereignis gesprochen werden, die sich in gleicher Weise auch im Frieden ereignen können 204
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Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 34; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 26; Konen/Lehmann S. 14; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 64; Präve ZfV 1991 107; Bruck/Möller/ Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 119; s.a. VerBAV 1989 242; a.A. Ehlers RuS 2002 133, 135; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 21; einschränkend auch Martin SVR F I Rn. 7 und Berliner Kommentar/Dörner/ Staudinger § 84 Rn. 4. J. B. Schroeder S. 118 ff. und 124.
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Schubach RuS 2002 177, 179 f. OLG Köln 8.5.1946 VW 1946 18; LG Krefeld 18.12.1946 VW 1947 166; Wüstney S. 19. OLG Braunschweig 22.7.1947 VW 1948 13; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 38; Haidinger VW 1947 93 f.; Krahe VersR 1991 634; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 42. J. B. Schroeder S. 154. J. B. Schroeder S. 84. So die Formulierung des RG 3.7.1917 RGZ 90 378, 381.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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und bei denen der Krieg nur ein zufälliges Moment (Gelegenheitsursache) darstellt.212 Vielmehr muss – unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des Ausschlusses (Rn. 4) – eine besondere Gefahrenlage bzw. anormale Situation vorliegen, die in ihrem Eintritt oder Ablauf unberechenbar ist und der mit dem Einsatz normaler Mittel nicht mehr begegnet werden kann.213 Dies setzt zunächst voraus, dass sich das Ereignis als Folge einer durch den Krieg bewirkten Gefahrerhöhung darstellt.214 Darüber hinaus muss zwischen dem tatsächlichen Kriegszustand und den darauf zurückzuführenden Ereignissen ein (objektiver und/oder subjektiver) innerer Zusammenhang bestehen.215 Maßgebend für die nicht immer leicht zu treffende Abgrenzung zwischen „Kriegsereignis“ und „nicht kriegsbedingtem Zufallsereignis“ sind jedoch nicht abstrakte Überlegungen oder Möglichkeiten, sondern vornehmlich die Klärung der Frage, ob das konkrete Ereignis (wahrscheinlich) auch ohne den Krieg eingetreten wäre.216 Beispiel: Kommt es in Kriegszeiten aufgrund von Straßenschäden zu einem Verkehrsunfall zwischen der versicherten Person und einem anderen Kfz-Führer, so kann der Zusammenstoß der Fahrzeuge als solcher nicht als Kriegsereignis gewertet werden. Das Kriegsereignis kann aber in der Beschädigung der Straße zu sehen sein, wenn sie nicht auf Verschleiß o.ä., sondern aus kriegstypischen Handlungen wie Explosionen nach Bombardierung oder Verminung herrührt. Diese Feststellung erlaubt allerdings noch nicht die Annahme eines Versicherungsausschlusses. Neben dem Vorliegen eines Kriegsereignisses ist weiterhin zu prüfen, ob das konkrete Kriegsereignis (hier die Straßenbeschädigung durch Bomben- oder Minendetonationen) in einem adäquaten und inneren (unmittelbaren oder mittelbaren) Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall steht, weil z.B. die versicherte Person die zerstörte Straße infolge ihrer Flucht vor feindlichen Soldaten zu schnell befuhr. Versicherungsschutz besteht dagegen etwa, wenn die Straße noch passierbar ist und der Unfall allein auf Verschulden oder Alkoholeinfluss eines anderen Kfz-Führers beruht.
Zu den Kriegsereignissen zählen ohne weiteres Kampfhandlungen.217 Erfasst werden 46 können aber auch andere Vorgänge; denn eine Beschränkung auf eigentliche Kriegshandlungen 218 steht weder im Einklang mit dem Wortsinn noch dem erkennbaren Zweck der Ausschlussklausel.219 Anderenfalls hätten die Bedingungsgeber statt „Kriegsereignis“ das Wort „Kampfhandlung“ in die AVB aufgenommen. Kriegsereignisse können nach dem natürlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Ziels der Klausel, nämlich unübersehbare, unkalkulierbare und anormale Gefahrsteigerungen auszuschließen (Rn. 4), vielmehr auch kausale Folgeereignisse zu Kampfhandlungen i.e.S. sein.220 Dazu zählen typischerweise etwa
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Haidinger VW 1947 93, 94; Henke S. 57. BGH 28.11.1951 VersR 1952 52 f.; BGH 2.5.1951 BGHZ 2 55, 60 f.; OGH Br. Z. 23.6.1950 VersR 1950 127, 128; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 42. OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298, 301; KG 13.10.1917 VA 1918 Anh. S. 19 Nr. 1025; OLG Kiel 17.6.1947 VW 1947 235; LG Frankfurt/M. 14.11.1946 VW 1947 84; LG Ravensburg 23.2.1948 VW 1948 171; Henke S. 56; Prölss DRZ 1946 48, 49 ff. (zusammenfassend 52); Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140; Bruck/ Möller/Winter 8 Bd. VI 1 Anm. G 119. Haidinger VW 1947 93, 94; J. B. Schroeder S. 157 f.
216 217 218
219 220
Fricke VersR 1991 1098, 1100; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 42. BGH 28.11.1951 VersR 1952 52. So aber noch LG Hamburg 22.11.1946 VW 194, 84, 85; zu Recht a.A. u.a. OLG Braunschweig 22.7.1947 VW 1948 13; OLG Celle 27.10.1948 VW 1949 210; Fricke VersR 2002 6, 7; Tita VW 2001 1779, 1780. J. B. Schroeder S. 156; näher hierzu bereits Haidinger VW 1947 93. OLG Hamburg 30.4.1947 VW 1947 198; Krahe VersR 1991 634, 635; s. auch Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 149.
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Unfallversicherung
das Verlegen oder Wegräumen von Minen,221 Vertreibungen, Verschleppungen, Ingewahrsamnahmen (Inhaftierungen) oder Internierungen, Zwangsräumungen, Besetzung oder Beschlagnahme von Gebäuden, Lagern usw.,222 Sachbeschädigungen, Brandstiftungen 223 oder sorgloser Umgang mit Gefahrgütern,224 Diebstähle bzw. Einbrüche,225 Plünderungen bzw. (Raub-)Überfälle 226 oder Angriffe mit körperlicher Gewalt 227
durch bzw. von feindlichen Soldaten, Flüchtlingen, (befreiten) Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern usw. 47 Die Besatzung selbst stellt ohne weiteres ein Kriegsereignis dar.228 Fraglich kann allerdings gerade bei längerer Stationierung von Besatzungstruppen sein, ob die Besatzung als solche in einem unmittelbaren oder mittelbaren (inneren) Zusammenhang mit dem Unfall steht. Bei der Beurteilung der Frage, ob einzelne Handlungen oder Verwaltungsakte durch feindliche Besatzungsstreitkräfte (noch) als Kriegsereignisse zu werten sind, ist zu differenzieren: • In Zeiten feindlicher Besatzung während des tatsächlichen Kriegszustandes können Handlungen oder Verwaltungsakte der Besatzungsstreitkräfte zu einem Ausschluss führen, wenn mit ihnen – im Vergleich zu Friedenszeiten – eine besondere Gefahrenlage geschaffen wird. Hierzu zählen etwa das Zulassen von Plünderungen, Brandschatzungen, Ausschreitungen von Soldaten oder befreiten Kriegsgefangenen bzw. Zwangsarbeitern oder die Vornahme von Zwangsräumungen etc. (Rn. 48). Handelt es sich dagegen um Anordnungen, die inhaltlich den auch im Frieden vorkommenden militärischen Abläufen entsprechen, so ist eine Anwendung der Kriegsklausel nicht gerechtfertigt. So liegt z.B. der Fall, wenn es bei der Ladung von Munition oder bei der Durchführung von Manövern zu Unfällen kommt.229 • Sind die eigentlichen Kriegsereignisse beendet, so ist entscheidend, wie weit sich die Lage stabilisiert bzw. normalisiert hat. Für die erste Zeit der Besatzung wird – genauso wie bei der Besatzung zu Kriegszeiten – häufig noch ein innerer Zusammenhang der Ereignisse mit dem Kriegsgeschehen anzunehmen und die Kriegsklausel anzuwenden sein.230 Dies kommt aber auch noch bei später eintretenden Ereignissen in Betracht. So ist z.B. zweifelhaft, ob ein Kriegsereignis verneint werden kann, wenn ein Posten der Besatzungsmacht mehrere Monate nach Kriegsende die auf einem LKW mitfahrende versicherte Person erschießt, weil der Fahrer des LKW an einer Kontrollstelle versehentlich nicht gehalten hat.231 Ein solches Ergebnis überzeugt nicht. Das Risiko, von dem
221 222
223 224 225
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OLG Stuttgart 16.2.1949 VW 1949 186. OLG Celle 8.1.1951 VersR 1951 82, 83; OLG Düsseldorf 15.2.1949 VW 1949 282; OLG Düsseldorf 1.2.1949 VW 1949 283; LG Hamburg 4.2.1947 VW 1947 221; Prölss DRZ 1946 48, 50 und 51. BGH 28.11.1951 VersR 1952 52; LG Ravensburg 23.2.1948 VW 1948 171. OLG Gera 27.3.1947 VW 1947 234; OLG Düsseldorf 15.2.1949 VW 1949 282. OLG Gera 16.1.1947 VW 1947 221; OLG Hamburg 21.5.1948 VW 1948 223; OLG Hamburg 30.4.1947 VW 1947 198. OLG München 9.1.1948 VW 1948 87; LG Hamburg 24.3.1947 VW 1947 198; LG Hannover 18.12.1946 VW 1947 166; LG Krefeld 18.12.1946 VW 1947 166. OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298; Prölss DRZ 1946 48, 50 f.
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OLG Bamberg 29.7.1948 VW 1948 420. Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 149; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 42. OLG Gera 27.3.1947 VW 1947 234; OLG Hamburg 30.4.1947 VW 1947 198; LG Hannover 30.12.1946 VW 1947 166; Haidinger VW 1947 93, 96; s. auch OGH Wien 17.9.1946 VA 1948 32. So aber OLG Bamberg 29.7.1948 VW 1948 420 (mit dem angreifbaren Argument [Rn. 36 und 40], dass bei einer solchen – seltenen – Sachverhaltskonstellation keine für den VR unverhältnismäßige Gefahrensteigerung zum Ausdruck komme). Zutreffend deshalb die ablehnende Urteilsanm. von Heibl; zust. dagegen Ehlers RuS 2002 133, 136; i.E. auch J. B. Schroeder S. 161; ebenfalls a.A. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 39; Schubach RuS 2002 177,
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
Angehörigen einer fremden Armee, der im Rahmen der Besetzung Einrichtungen sichert, beschossen zu werden, gehört zu den besonderen kriegstypischen Gefahren. Ist allerdings im Laufe der Zeit eine dauerhafte Konsolidierung der Verhältnisse (wenn auch u.U. auf einem erhöhten Gefahrenniveau) eingetreten, besteht Versicherungsschutz, sofern Gefährdungen von Einrichtungen und Mitgliedern der Besatzungs- und Stationierungs- oder Bündnistruppen (z.B. durch Überfliegen des besetzten Gebietes 232 oder durch Bau neuer Kasernen oder Demontagearbeiten) ausgehen.233 Kein Kriegsereignis liegt vor, wenn durch die zunehmende Dauer der Besetzung bestimmte Ereignisse zu einem gewohnten Bild des täglichen Lebens werden.234 Für eine Stabilisierung in der Nachkriegszeit spricht etwa, dass die Besatzungsstreitkräfte die Kampftruppen aufgelöst sowie ihre Mitglieder für friedensmäßige Aufgaben vorbereitet und vorgesehen haben.235 Allgemein verbindliche Aussagen lassen sich hier nicht treffen. So werden Geschehen mit vorwiegend militärischem Anstrich (z.B. Ausschreitungen von Soldaten) den inneren Zusammenhang mit dem Krieg länger bewahren als Vorgänge mit eher ziviler Prägung (z.B. Verkehrsunfälle mit Fahrzeugen der Besatzungstruppen).236
V. Kausalität zwischen Kriegsereignis und Unfall Der Unfall muss Folge eines Kriegsereignisses sein.237 Da die Bedingungsgeber seit 48 Einführung der AUB 61 (Rn. 8) ausdrücklich vorgesehen haben, dass neben einem unmittelbaren auch ein mittelbarer Zusammenhang zwischen Kriegsereignis und Unfall ausreicht, muss das eigentliche Schadensereignis bzw. das Unfallereignis nicht selbst ein Kriegsereignis 238 und das Kriegsereignis auch nicht das letzte Glied in der Ursachenkette vor dem Unfall darstellen. Ausreichend kann vielmehr sein, dass der Krieg das erste Glied einer Kette von Folgen ist, die schließlich zum Unfall führen.239 Den Unfall-VR bleibt es selbstverständlich unbenommen, aus Kulanz, aufgrund einer Einflussnahme der BaFin oder aus ähnlichen Erwägungen die zum Ausschluss führende Ursachenkette einzugrenzen und z.B. nur Unfälle vom Versicherungsschutz auszunehmen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen stehen. So ist bereits Ende des 2. Weltkrieges verfahren worden.240 Bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Kriegsereignis und dem 49 Unfall sind ganz ähnliche Überlegungen vorzunehmen wie bei der Prüfung, ob überhaupt ein für den Ausschluss relevantes Kriegsereignis besteht (Rn. 47): • Zunächst ist – wie auch sonst im Zivilrecht – adäquate Kausalität erforderlich.241 Zur Bejahung der Adäquanz ist einerseits kein enger räumlicher oder zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Krieg und dem Unfall erforderlich.242 Andererseits reicht ein nur natürlicher oder rein zeitlicher Zusammenhang nicht aus.243 Vielmehr muss das Kriegsereignis seiner allgemeinen Natur nach
232 233
234 235 236 237
178; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 103; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140. OLG Kiel 17.6.1947 VW 1947 235. LG Düsseldorf 7.12.1950 VersR 1951 50, 51; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 24; Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 149; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 42. Prölss DRZ 1946 48, 51. OLG Kiel 17.6.1947 VW 1947 235; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 36. Haidinger VW 1947 93, 96. Eingehend hierzu J. B. Schroeder S. 164 ff.
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LG Hannover 30.12.1946 VW 1947 166. Henke S. 57. VA 1948 5. S. nur BGH 28.11.1951 VersR 1952 52, 53; RG 3.7.1917 RGZ 90 378, 383 f.; OGH Br. Z. 23.6.1950 VersR 1950 127, 128; OLG Gera 27.3.1947 VW 1947 234; OLG Stuttgart 16.2.1949 VW 1949 186; Henke S. 56; Kloth Rn. K 57; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 42. OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298, 300 f. OLG München 9.1.1948 VW 1948 87; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 38.
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Unfallversicherung
(generell oder erfahrungsgemäß) geeignet erscheinen, den Unfall herbeizuführen; der Unfall darf nicht in einem so losen oder entfernten Zusammenhang mit dem Kriegsereignis stehen, dass dieser Zusammenhang vernünftigerweise nicht mehr in Betracht gezogen werden kann.244 Diese Beurteilung ist objektiv vom Standpunkt eines neutralen Beobachters zu treffen, der sich in die Zeit der entscheidenden Handlungen bzw. Unterlassungen zurückversetzt.245 • Zur adäquaten Kausalität hinzutreten muss weiterhin ein (enger) „innerer sachlicher Zusammenhang“ zwischen Kriegsereignis und Unfall.246 Dieser wird durch den Zweck der Ausschlussklausel bestimmt. Um eine Ausuferung des Ausschlusses zu vermeiden (Rn. 31), ist mithin dem „Schutzzweck der Norm“ Rechnung zu tragen. Gegenüber den allgemein stabilisierten Lebensverhältnissen in Friedenszeiten muss mit dem Unfall die Realisierung einer kriegsspezifischen Gefahr (anormalen Gefahrenlage) zum Ausdruck kommen.247 Daran fehlt es, wenn der Unfall nur ein zufälliges zusätzliches Moment zu einem Krieg darstellt und sich in gleicher Weise auch zu normalen Zeiten hätte ereignen können.248 Wie bei der Prüfung der adäquaten Kausalität ist für die Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen Kriegsereignis und Unfall eine einzelfallbezogene, objektive, nachträgliche Analyse anzustellen.249
50
Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Unfall und Kriegsereignis ist regelmäßig leicht festzustellen. Er besteht, wenn die Verletzung unmittelbar durch Kampfhandlungen oder deren Abwehr (z.B. Schusswaffengebrauch oder Bombardierung 250 durch Soldaten usw.) verursacht wurde.251 51 Schwierigkeiten kann die Bewertung eines mittelbaren Zusammenhangs zwischen Unfall und Kriegsereignis bereiten. Der Zusammenhang muss sich – unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles – aus dem Wesen des Krieges ergeben und das Schadenereignis (der Unfall) deutlich als seine Folgeerscheinung erkennbar sein.252 Erforderlich ist die wertende Feststellung, dass es sich um einen Unfall handelt, für den die aus dem Krieg resultierende erhöhte Gefahrenlage typisch ist.253 Dafür genügt es nicht, dass sich irgendeine kriegsbedingte Gefahrerhöhung im Versicherungsfall realisiert hat. Vielmehr ist zusätzlich zu fordern, dass gerade das Risiko, das sich verwirklicht hat und den Unfall prägt, kriegsspezifisch ist.254 Die Abgrenzung von kriegsbedingten/-spezifischen („außergewöhnlichen“) Unfällen einerseits, die vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, von („normalen“) Unfällen andererseits, für die der Krieg ohne relevante Bedeutung war (atypische Kriegs-/Unfallschäden), die also auch in Friedenszeiten in gleicher Art und in gleichem Umfang aufgetreten wären, daher nur zufällig mit dem Krieg in Verbindung stehen (Gelegenheitsursache) und somit nicht zu einem Versicherungsausschluss
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OLG Braunschweig 22.7.1947 VW 1948 13, 14; LG Düsseldorf 7.12.1950 VersR 1951 50, 51; LG Hamburg 4.2.1947 VW 1947 221, 222; Dahlke VersR 2003 25, 29. R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 284 f. OLG Celle 27.10.1948 VW 1949 210; in diese Richtung bereits OLG Hamburg 12.6.1947 VW 1947 234; zuvor schon OLG Hamburg 30.4.1947 VW 1947 198. Ehlers RuS 2002 133, 136; Fricke VersR 1991 1098, 1100; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 286 f.; Tita VW 2001 1779, 1781. BGH 2.5.1951 BGHZ 2 55, 61; Dahlke VersR 2003 25, 29; Prölss/Martin/Knapp-
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mann 27 § 2 AUB 94 Rn. 26; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 22. Krahe VersR 1991 634, 636. S. etwa KG 13.10.1917 VA 1918 Anh. S. 19 Nr. 1025. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 38; Schubach RuS 2002 177, 178; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 103; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140; Bruck/Möller/ Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 120. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 38. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140. Schubach RuS 2002 177, 178 f.; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 104; zustimmend Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 65.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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führen,255 kann erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Krieg regelmäßig zu einer Erschwerung der Lebensbedingungen der versicherten Person führt, so dass vielfach die Annahme nahe liegt, ein Unfall hätte sich in ruhigeren Friedenszeiten nicht ereignet. Diese allgemeine Erschwerung begründet indes nicht die Anwendung des Ausschlusstatbestandes.256 Streitig ist insbesondere die Beurteilung von Sachverhalten, bei denen das verwirklichte Risiko kein kriegsspezifisches ist, die versicherte Person aber einem allgemeinen Unfallrisiko nur durch (vorhergehende) kriegsbedingte Handlungen ausgesetzt wurde.257 Dauert die Besatzung noch nicht lange an, so werden sowohl einzelne Handlungen 52 der Besatzungs- oder Stationierungstruppen (z.B. Festnahmen, Beschlagnahmen oder Übergriffe auf die versicherte Person und ihr Eigentum bzw. ihren Besitz) wie auch die Besatzung selbst als Kriegsereignisse zu werten sein, die häufig in einem inneren Zusammenhang mit dem Versicherungsfall (Unfall) stehen.258 Kommt es dagegen nach einer Stabilisierung der Lage zu Schäden bzw. Unfällen, die durch Einrichtungen oder Mitglieder der Besatzungs- oder Stationierungstruppen hervorgerufen werden, so stellen diese Vorfälle (z.B. Zusammenstöße im Straßenverkehr) bereits keine Kriegsereignisse mehr dar (Rn. 49). Wird auf die kriegsbedingte Besetzung als solche abgestellt, so ist die Kausalität zwischen diesem Kriegsereignis und dem Versicherungsfall zu verneinen. Der eigentliche Besatzungsvorgang ist für das Unfallgeschehen ohne jede Bedeutung, wenn z.B. Explosionen anlässlich eines Manövers, bei Abbrucharbeiten oder Sprengungen auf Veranlassung einer Besatzungsmacht vorgenommen werden. Solche Ereignisse sind auch zu normalen Zeiten denkbar. Wären sie trotzdem vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, so entspräche dies nicht dem Zweck der Kriegsklausel. Anders könnte nur geurteilt werden, wenn nachgewiesenermaßen eine besonders große Anzahl von Schaden-/Unfallereignissen durch die Angehörigen der Besatzungsmacht hervorgerufen würde.259 Problematisch ist die Würdigung von Fällen, die in Zusammenhang mit kriegsbeding- 53 ter Gefangenschaft stehen: • Handelt es sich um einen Verkehrsunfall der versicherten Person während des Gefangenentransports, den der Führer des LKW durch leichtsinnige Fahrweise herbeigeführt hat, so greift der Ausschluss nach zuzustimmender Ansicht nicht ein, mögen auch Militärfahrzeuge am Unfall beteiligt sein.260 Hiergegen wird zwar eingewandt, dass die Verhaftung und Internierung eines politisch Belasteten typische und damit adäquate Folge des Kriegszustandes sei und die versicherte Person der Gefahr eines Verkehrsunfalls nur infolge des Krieges ausgesetzt sei. Jedoch ist dem entgegen zu halten, dass sich bei einem „normalen“ Verkehrsunfall ein alltägliches und nicht kriegsspezifisches Lebensrisiko realisiert. Die durch das typische Kriegsereignis (die Verhaftung der versicherten Person durch die Militärpolizei) erhöhte Gefährdungslage wirkt sich zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls nicht mehr aus. Anderes ist erst bei Hinzutreten weiterer kriegstypischer Umstände anzunehmen. So liegen etwa die Fälle, in denen der Fahrer des Gefangenentransporters verminten Straßen ausweichen will, deshalb über besonders schwer zu bewältigendes (für den Straßen-
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Millert VersR 1964 118, 119; R. Schmidt/ Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 316. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 120. Schubach RuS 2002 177, 178; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 104. LG Hannover 30.12.1946 VW 1947 166. LG Düsseldorf 7.12.1950 VersR 1951 50, 51.
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OGH Br. Z. 23.6.1950 VersR 1950 127, 128 = OGHZ 4 91 mit abl. Anm. Prölss (der Fall war sicherlich „grenzwertig“); zust. Schubach RuS 2002 177, 178 f.; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 104; a.A. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 39; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 146; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 139 und 140; Bruck/Möller/Winter 8 Bd. V 2 Anm. G 120.
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verkehr nicht bestimmtes) Gelände fährt und damit aufgrund der Kriegssituation erhöhte Risiken für sich und die Insassen eingeht oder der Fahrer nach Feindbeschuss wegen einer Verwundung den LKW nicht mehr sicher führen kann. • Unterschiedlich bewertet werden weiterhin Sachverhalte, bei denen Häftlinge oder Kriegsgefangene am Ort ihrer Gefangenschaft verunglücken. Auch bei Unfällen in Gefangenen- oder Internierungslagern u.ä. verbietet sich eine pauschale Betrachtung.261 Erleidet z.B. die versicherte Person in einem Bergwerk einen tödlichen Unfall, so besteht nach umstrittener Ansicht Versicherungsschutz.262 Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass die versicherte Person der Gefahr eines Bergwerkunglücks nur infolge des Krieges (ihrer Gefangenschaft) ausgesetzt war. Entscheidend ist, dass sich kein kriegstypisches, sondern ein allgemeines Risiko verwirklicht hat, dem die versicherte Person auch in Friedenszeiten hätte ausgesetzt sein können. Die Beurteilung verschiebt sich erst dann, wenn der Unfall durch weitere kriegsspezifische Umstände beeinflusst bzw. geprägt war, weil z.B. für die arbeitenden Kriegsgefangenen in Friedenszeiten übliche Sicherheitsstandards vernachlässigt wurden, eine Entkräftung der versicherten Person infolge der Entbehrungen durch die Gefangenschaft vorlag oder sonstige im Vergleich zur „Normalsituation“ erschwerte Arbeitsbedingungen herrschten, die erhöhte Unfallgefahren nach sich zogen. • Werden in Kriegszeiten (verschleppte) Gefangene freigelassen und kommt es anschließend zu Gewaltanwendungen gegenüber der versicherten Person, so ist adäquate Kausalität zu bejahen. Die Verschleppung im Krieg und die Freilassung begründen eine besondere Gefahrenlage, die typischerweise zu Gewalt zwischen den Befreiten und der Bevölkerung führen kann.263
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Kausalität zwischen den Kriegsereignissen und dem Versicherungsfall (Unfall) ist regelmäßig zu bejahen für Schäden durch Straftaten Dritter wie freigelassene Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter (Rn. 55), Flüchtlinge oder Obdachlose, marodierende Kampftruppen oder Kriminelle während des Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung z.B. infolge des Abzugs der eigenen und des Einzugs feindlicher Truppen und der Entwaffnung der Polizei.264 Der adäquate Kausalzusammenhang fehlt dagegen, wenn die Polizei trotz der Kriegswirren ihre ordentliche Tätigkeit noch bzw. wieder versieht.265 Entsprechendes gilt, wenn Besatzungsmächte (Militärpolizei) Vorkehrungen zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung getroffen haben.266 Zu prüfen ist jeweils, ob der Gefahrenzustand am Unfallort zur Unfallzeit durch ein entsprechendes Aufgebot an Polizeibzw. Ordnungskräften ausgeglichen war (dann kein Ausschluss) oder die Ordnungshüter trotz ihrer Zahl und Bewaffnung gegenüber den Ausschreitungen machtlos waren.267
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Zu Unfällen im Konzentrationslager hat das Bayrische Landesaufsichtsamt für das Versicherungswesen die Leistungspflicht der Unfall-VR grundsätzlich mit einem Hinweis auf (vermeintliche) „objektive Unversicherbarkeit“ verneint (VW 1948 399). LG Stuttgart 18.3.1949 DRZ 1950 182 = VersR 1950 66 (LS); Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 65; Schubach RuS 2002 177, 179; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 104; a.A. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 39; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 146; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140. OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298, 302;
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Schubach RuS 2002 177, 178; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 103. BGH 28.11.1951 VersR 1952 52 f.; OLG Celle 27.10.1948 VW 1949 210; OLG Düsseldorf 15.2.1949 VW 1949 282; OLG Gera 27.3.1947 VW 1947 234; OLG Gera 16.1.1947 VW 1947 221; OLG München 9.1.1948 VW 1948 87; LG Hannover 29.11.1945 VW 1946 17; LG Krefeld 18.12.1946 VW 1947 166. OLG Hamburg 12.6.1947 VW 1947 234; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 38. LG Hanau 5.12.1946 VW 1947 222. OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298, 302 f.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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VI. Sonderfall: Terror Die Gefahr von Terroranschlägen hatten die Verfasser der ersten Kriegsklauseln über- 55 haupt nicht bedacht. Sie lagen offenbar jenseits aller Vorstellungskraft der Bedingungsgeber,268 aber auch des Gesetzgebers des VVG von 1908.269 Dies hat sich in der jüngeren Geschichte leider geändert. Versicherungsschutz für Ereignisse (Unfälle) nach Terrorakten, die u.a. vom Mord, vom Bombenanschlag, von der Brandstiftung oder Verseuchung über den Versuch der Erpressung des Staates bis hin zum Kidnapping und Raubüberfall als Geldbeschaffungsmethode reichen, ist nicht erst seit dem 11.9.2001 mehrfach diskutiert worden.270 Dennoch sah in der deutschen „Bedingungswelt“ lediglich Ziff. 1.1.2.1 der Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen (ADS 73/94) ausdrücklich einen Ausschluss für „terroristische oder politische Gewalthandlungen, unabhängig von der Anzahl der daran beteiligten Personen“ vor, ohne allerdings den Begriff „terroristische Gewalthandlungen“ zu umschreiben. Terrorakte, für die es bis heute noch keine allgemein anerkannte Definition gibt, lassen sich nicht per se, sondern nur in Ausnahmefällen unter den Begriff „innere Unruhen“ oder unter den Kriegsausschluss subsumieren. Da der Terror erhebliche Risiken birgt, die für den VR kaum oder gar nicht zu kalkulieren sind, bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form die VR angesichts der neuen Dimensionen politischer Gefahren mit Bedingungsänderungen reagieren werden.271 1. Begriff Ein allgemeingültiges Verständnis von „Terror“ gibt es bisher weder auf internatio- 56 naler noch nationaler Ebene.272 Gemeinsam ist allen Definitionsversuchen nur, dass Terror nicht ohne weiteres mit Krieg gleichgesetzt werden kann. Das Völkerrecht hält keine „gebrauchsfertige“ Terrorismusdefinition bereit. Nicht 57 zuletzt deswegen hat die OECD eine Checkliste mit Schlüsselelementen erarbeitet, die von den OECD-Mitgliedsländern, aber auch Nichtmitgliedsländern in Betracht gezogen werden kann, um Terrorismus zum Zwecke der Schadenersatzleistung zu umschreiben. Die vorgeschlagenen Definitionskriterien sind nicht bindend und zielen ausdrücklich nicht darauf ab, eine einzige und erschöpfende Definition des Terrorismus zu schaffen, sondern sollen Unternehmen des Privatsektors sowie Regierungen lediglich als Hilfestellung dienen. Die OECD regt an, folgende Elemente in eine Terrorismusdefinition aufzunehmen:273 • „Mittel und Wirkungen: Terrorismus wird durch eine Handlung manifestiert, die unter anderem die Anwendung von Gewalt, die Menschenleben sowie materiellem und immateriellem Sachvermögen ernsten Schaden zufügt, oder die Androhung von Gewalt, die zu ernsten Schäden führt, einschließt. • Absicht: Eine terroristische Handlung wird begangen oder angedroht (1) mit der Absicht, eine Regierung oder eine staatliche Organisation zu beeinflussen oder zu destabilisieren oder Angst und Unsicherheit in der gesamten Bevölkerung oder in einem Teil von ihr auszulösen sowie (2) zur Unterstützung eines politischen, religiösen, ethnischen, ideologischen oder ähnlichen Ziels.“
268 269 270 271 272
Fricke VersR 1991 1098, 1100. Ehlers RuS 2002 133, 134. S. etwa Hübner ZVersWiss 1981 1, 7 ff. S.a. Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 83 ff. Eingehend Dahlke VersR 2003 25 f.; s.a. Ehlers RuS 2002 133, 138 f.
273
OECD, Direktion für finanzielle und unternehmensrelevante Angelegenheiten, OECD-Checkliste der Kriterien, die der Terrorismus-Definition zum Zweck von Schadenersatzleistungen dienen, vom Rat der OECD am 15.12.2004 angenommen.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.3 58
Unfallversicherung
Mangels gesetzlicher Regelung für Terrorschäden im VVG hat die OECD für Deutschland – offenbar im Anschluss an Ziff. 2 der „Allgemeinen Bedingungen für die Terrorversicherung“ (ATB) der Extremus-Versicherungs-AG, die Versicherungsschutz für Sachund/oder Betriebsunterbrechungsschäden infolge eines terroristischen Anschlags bietet,274 folgende Branchendefinition von Terrorakten für Zwecke der Schadenersatzleistung festgestellt:275 „Terrorakte sind jegliche Handlungen zur Erreichung politischer, religiöser, ethnischer oder ideologische Ziele, die geeignet sind, Angst oder Schrecken in der Bevölkerung oder in Teilen der Bevölkerung zu verbreiten und dadurch auf eine Regierung oder staatliche Einrichtungen Einfluss zu nehmen.“
In der Literatur zum deutschen Unfallversicherungsrecht finden sich nur wenige Definitionsversuche. Danach sind Terroranschläge heimlich oder überfallartig durchgeführte Aktionen einzelner oder weniger Personen, z.B. Sabotageakte, Bombenlegung, Überfälle oder Geiselnahmen.276 In der deutschen Alltagssprache, die für das Verständnis von AVB und damit der AUB maßgebend ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 66 ff.), wird Terror u.a. umschrieben als „gewalttätiges, rücksichtsloses Vorgehen, mit dessen Hilfe bestimmte Ziele erreicht werden sollen“.277 Synonyme sind z.B. „Angst und Schrecken verbreiten“ oder „Extremismus, Radikalismus“.278 Von terroristischen Gewaltakten werden umgangssprachliche Redensarten unterschieden wie z.B. „Konsum-, Psycho- oder Telefonterror“.279 2. Rechtliche Bewertung
59
Bei der rechtlichen Beurteilung von Unfällen durch terroristische Anschläge stehen Kausalitätsfragen im Vordergrund.280 Es ist wie folgt zu differenzieren: • Unfälle durch Terroranschläge oder Sabotageakte auf Territorien kriegführender Parteien sind – vorbehaltlich der „Überraschungsklausel“ – ausgeschlossen. Hier ist eine unmittelbare Verknüpfung mit Kampfhandlungen gegeben.281 Dies gilt etwa für die Fälle, in denen eine Kriegspartei im Rahmen der verdeckten Kriegsführung gezielte Sabotageakte gegen militärische oder zivile Einrichtungen (z.B. Kommunikationszentralen, Versorgungssysteme) des Gegners ausführen lässt.282 • Für Unfälle durch Terroranschläge außerhalb der Territorien kriegführender Parteien besteht grundsätzlich Versicherungsschutz.283 Dies gilt etwa für den Terroranschlag vom 11.9.2001 auf das World Trade Center,284 aber im Regelfall auch für Terroranschläge auf deutschem Boden durch internationale Terrorgruppen, und zwar auch dann, wenn sie durch kriegerische Auseinandersetzungen im Nahen Osten (mit-)motiviert sind.285 Liegt ein ursächlicher Zusammenhang mit Kriegs- oder Bürgerkriegsereignissen vor, so könnte zwar im Umkehrschluss zu Ziff. 2 BB Kriegsrisiko 99 bzw. Ziff. 1 S. 3 BB Kriegsrisiko 92 abgeleitet werden, dass der Ausschluss in den
274
275 276 277 278 279 280
Einzelheiten unter www.extremus.de; dazu auch Langheid/Rupietta NJW 2005 3233, 3234 f. Anhang III zu o.g. OECD-Checkliste; s.a. Ehlers RuS 2002 133, 139. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 37. Duden Bd. 10: Das Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl. (2002) unter „Terror“. Duden Bd. 8: Das Synonymwörterbuch, 3. Aufl. (2004) unter „terrorisieren“. Näher Dahlke VersR 2003 25. Tita VW 2001 1779, 1780.
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281 282 283 284
285
R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 307. J. B. Schroeder S. 158. Wohl auch Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 140. Dahlke VersR 2003 25, 28; Ehlers RuS 2002 133, 138; Fricke VersR 2002 6, 8; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 146; Beckmann/Matusche-Beckmann/Präve § 10 Rn. 209; relativierend Tita VW 2001 1779, 1780 f. J. B. Schroeder S. 160.
Kent Leverenz
Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
AUB eingreift.286 Dies ist jedoch nicht zwingend, da dem VN die BB Kriegsrisiko nicht bekannt sein müssen. Vielmehr ist dessen Verständnis von dem allgemeinen Kriegsausschluss maßgebend.
a) Auslegungskriterien. Für die versicherungsrechtliche Bewertung ist es unerheblich, 60 wie Terrorakte oder Reaktionen hierauf durch Staatsoberhäupter, Politiker, religiöse Führer bezeichnet werden (z.B. „Krieg gegen die zivilisierte Welt“, „Krieg gegen den Terrorismus“, „heiliger Krieg“ oder „Krieg gegen die Ungläubigen“).287 Auch kommt es nicht auf die subjektiven Einschätzungen der Terroristen oder ihrer Opfer an. So spielt es für die Leistungsregulierung keine Rolle, ob z.B. Kämpfer der Al Qaida davon ausgehen, einen Krieg gegen die USA zu führen. Nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 65 ff.) ist vielmehr allein entscheidend, wie der durchschnittliche VN die jeweilige AUB-Regelung – unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks der Klausel – verstehen wird. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch in Deutschland und Mitteleuropa wird Krieg nur selten Terrorakte (ohne weiteres) mit einschließen. Beide Begriffe haben einen unterschiedlichen Bedeutungsinhalt. Typischerweise werden von Terrorakten „klassische“ Kriegshandlungen vom Gebiet eines kriegführenden Staates wie z.B. Luftangriffe mittels Flugzeugen oder Raketen abgegrenzt.288 Dies liegt daran, dass der Kriegsbegriff – jedenfalls z.Z. noch – stark von der konventionellen Kriegsführung im 20. Jahrhundert geprägt ist, die mit der Erscheinungsform des heutigen internationalen Terrors nur wenig gemeinsam hat.289 Hinzu kommt, dass Terrorakte oftmals als Taten von radikalen Personen oder Gruppen wahrgenommen werden, die weitgehend selbständig und unabhängig von Kriegsparteien mit eigenen „Netzwerken“ agieren. Des Weiteren handelt es sich bei Terror- und Sabotageakten meist um punktuelle sowie zeitlich und örtlich eng begrenzte Einzelaktionen, zwischen denen auch kein enger inhaltlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Bei einem Krieg sind dagegen im Vergleich zu Terrorakten die Belastungen und Folgewirkungen regelmäßig dauerhafter sowie sowohl in der Quantität als auch Qualität noch weit reichender.290 Es bedarf deshalb einer besonderen Begründung, warum ein Terrorakt, mag er auch noch so schreckliche Folgen haben, als Kriegsereignis gewertet werden soll. Dies ist nur möglich, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen einem Krieg klassischer Prägung, der nach wie vor das alltägliche Verständnis bestimmt, und dem konkreten Terrorakt hergestellt werden kann. Um auch dem erkennbaren Regelungszweck des Kriegsausschlusses Rechnung zu tragen, ist bei der Prüfung deshalb zu fragen, ob durch die Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse in einem u.U. weit entfernten Land eine unkalkulierbare Gefahrerhöhung bzw. Ausnahmesituation im Anschlagsgebiet eingetreten ist, die sich in einem Terrorakt realisiert hat (dann greift der Ausschluss ein) oder ob der Terroranschlag einen eher zufälligen Bezug zu den Kriegsereignissen aufweist (dann besteht Versicherungsschutz). Wann das eine oder andere vorliegt, kann nur anhand des Einzelfalles entschieden werden, wobei zu beachten ist, dass Ausschlusstatbestände eng auszulegen sind (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 5). (Unbestimmter und damit unsicherer) Anhaltspunkt für die Bewertung kann die statistische Wahrscheinlichkeit dafür sein, dass die versicherte Person eine Gesundheitsschädigung durch einen Terroranschlag erleidet.291 b) Terroranschlag mit begrenzter Wirkung. Der Ausschluss findet keine Anwendung, 61 wenn es sich um einen vereinzelt bleibenden Terroranschlag handelt, der im Gegensatz 286 287 288
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 37. Ehlers RuS 2002 133, 135; s. auch Flesch VW 2001 1580, 1581. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 37.
289 290 291
Fricke VersR 2002 6, 8. Ähnlich J. B. Schroeder S. 117 f. und 160. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 37.
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Unfallversicherung
zum eigentlichen Kriegsgeschehen eine (lokal und sachlich) begrenzte Wirkung hat.292 Dieses Ergebnis lässt sich zwar noch nicht mit systematischen Bedenken begründen. Der Hinweis, es sei nicht einzusehen, dass der VR bei fehlendem Ausschluss für innere Unruhen (so z.B. bei Geltung der AUB 99/2008) einerseits für diese viel schwerer überschaubaren Risiken einzustehen hätte, anderseits aber nicht für einzelne Terrorakte mit begrenzter Wirkung,293 greift jedenfalls im Bereich der Unfallversicherung nicht durch: Bei Vereinbarung der AUB 61/88/94 schon deshalb nicht, weil bei ihnen der Versicherungsschutz nicht nur für Unfälle durch Kriegsereignisse, sondern auch infolge innerer Unruhen explizit ausgeschlossen ist. Aber auch bei Geltung der AUB 99/2008 überzeugt der Einwand nicht; denn für Versicherungsfälle infolge innerer Unruhen finden auch ohne ausdrückliche Regelung regelmäßig andere Ausschlusstatbestände Anwendung (Rn. 14). Die fehlende Versagung für Terrorakte mit begrenzter Wirkung ergibt sich jedoch aus dem allgemeinen Sprachverständnis und der ratio des Ausschlusses (Rn. 4). Bei solchen Anschlägen treten noch keine verheerenden Folgen wie bei einem Krieg klassischer Prägung ein, die die Leistungsfähigkeit des VR beeinträchtigen könnten.294 Problematisch kann allerdings je nach zu beurteilendem Sachverhalt die Entscheidung dazu sein, ob der (einmalige) Terrorakt kalkulatorisch unabsehbare Folgen befürchten lässt bzw. in seinen Auswirkungen einem herkömmlichen Krieg gleichkommen kann. Ist dies ausnahmsweise der Fall (z.B. bei einem Anschlag mit ABC-Waffen) ist weiterhin für die Anwendung des Kriegsausschlusses zu prüfen, ob die Täter einer Kriegspartei zuzurechnen sind (dazu sogleich Rn. 64 f.). Der Ausschluss greift jedenfalls nicht ein, wenn einzelne Personen oder Sachgüter von einem isolierten Angriff (Attentat, einem Giftanschlag, einer Geiselnahme usw.) betroffen sind.295
62
c) Terroranschlag durch unbeteiligte Dritte. Der Kriegsausschluss findet des Weiteren keine Anwendung, wenn z.B. unbeteiligte Dritte, die keiner Kriegspartei angehören oder zuzurechnen sind, aus eigenem Antrieb Terrorakte ausführen, sei es auch aus Anlass des Krieges.296 In diesem Fall handelt es sich „nur“ um einen (wenn auch politisch motivierten) Sabotageakt von Privatpersonen,297 der heute wohl schon zum „normalen“ Lebensrisiko gerechnet werden muss. Dieses Alltagsrisiko besteht auch in Friedenszeiten und kann deshalb nicht den erforderlichen inneren Zusammenhang mit spezifischen Kriegsereignissen begründen.298 Entsprechendes gilt, wenn es – wie in der Vergangenheit geschehen – durch eine international operierende Terrororganisation zu einer langen Kette von Terroranschlägen kommt, die sich in verhältnismäßig großen Zeitabständen und auf der ganzen Welt verstreut ereignen. Solche lokal und zeitlich begrenzten Anschläge können weder isoliert noch in ihrer Gesamtheit als kriegsmäßiger Gewaltzustand gewertet werden.299 Hinzu kommt, dass der innere Zusammenhang zwischen der Anschlagskette und einem Krieg häufig zweifelhaft sein wird. Dies trifft insbesondere auf den Fall zu, dass die Auseinandersetzungen zwischen den Kriegsparteien längst beendet sind, aber immer noch Terroranschläge provozieren oder von den Terroristen als Motivationsgrund bzw. „Rechtfertigung“ für ihre Tat herangezogen werden. Als Beispiel können die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern dienen. Die dramatischen Bom-
292 293 294 295
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 37. So Präve ZfV 1991 107, 108 für die Lebensversicherung. Präve ZfV 1991 107, 108. Fricke VersR 2002 6, 10; so auch bereits Glotzmann VersR 1975 784, 787.
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296 297 298 299
Dahlke VersR 2003 25, 28; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 37. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 23. Fricke VersR 1991 1098, 1101. Fricke VersR 2002 6, 8.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
ben- oder Selbstmordanschläge werden als solche im allgemeinen Sprachgebrauch wohl (noch) nicht als Krieg bezeichnet werden können. Ein Zusammenhang mit Kriegsereignissen lässt sich ebenfalls nicht bejahen. Zwar hat Israel mit seinen Nachbarn in der Vergangenheit konventionelle Kriege geführt, wodurch es sicher zu einer Verschärfung des Nahost-Problems gekommen ist. Diese sind aber beendet und einer weitgehend stabilisierten Lage (auf erhöhtem Niveau) gewichen. d) Terroranschlag unter Billigung und Förderung durch eine Kriegspartei. Eine An- 63 wendung des Ausschlusstatbestandes kommt bei Terrorakten durch Privatpersonen bzw. Privatorganisationen letztlich nur in Betracht, wenn eine der Kriegsparteien die Terrorakte nachweisbar – unmittelbar oder mittelbar – billigt und fördert, also der Anschlag einer Kriegspartei zuzurechnen ist.300 Unter welchen Voraussetzungen dies genau angenommen werden kann, ist bisher nicht abschließend geklärt.301 Jedenfalls kann es nach dem Sinn und Zweck der Kriegsklausel keine Rolle spielen, ob die Terrorakte geeignet sind, ideelle oder strategische Ziele der Kriegsführenden zu unterstützen.302 Von einem Terroranschlag durch eine Kriegspartei kann nur gesprochen werden, 64 wenn entweder die Täter selbst Kriegspartei sind oder zwischen einer Kriegspartei und dem Terrorakt ein innerer Zusammenhang hergestellt werden kann. Zunächst bedarf es einer Definition dazu, wer Kriegspartei sein kann. Hierzu zählen unstreitig Staaten, Völker oder Volksgruppen. Fraglich ist aber, ob auch einzelne Organisationen, terroristische Vereinigungen oder terroristische Zellen als solche Krieg führen können. Nach dem alltäglichen Sprachgebrauch, der noch von der konventionellen Kriegsführung geprägt ist, dürfte dies jedenfalls z.Z. noch zu verneinen sein. Zum einen dürfte zumindest ein Zusammenschluss von einer erheblichen Zahl gleichgesinnter und gewaltbereiter Personen mit einer internen Struktur (Befehlshaber, Hierarchie) erforderlich sein, um von einer Kriegspartei sprechen zu können. Dies trifft nicht auf Einzeltäter oder locker zusammengeschlossene Gruppenverbände zu. Zum anderen wird der verständige VN davon ausgehen, dass eine Kriegspartei bei der Kriegsführung gewisse Grundregeln einhält. Bei Personen, denen es etwa überwiegend auf die Verbreitung von Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung ankommt bzw. die gezielt nicht militärische, sondern rein zivile Objekte angreifen, wird jedenfalls im westlichen/europäischen Sprachgebrauch nicht von Soldaten, sondern von Terroristen gesprochen. Können also terroristische Gruppierungen nicht selbst Kriegspartei sein, so lässt sich die Anwendung des Kriegsausschlusses nur rechtfertigen, wenn zwischen einem konventionellen Kriegsgeschehen (einer Kriegspartei) und dem terroristischen Anschlag eine Verknüpfung besteht.303 Zu fordern ist eine Mittäterschaft (vgl. § 25 Abs. 2 StGB), mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB), Anstiftung (§ 26 StGB) oder Beihilfe (§ 27 StGB) einer der kriegsführenden Parteien am Terrorakt (s.a. § 830 BGB). Durch den sinngemäßen Rückgriff auf diese strafrechtlichen Institute lassen sich bewährte Instrumente und Abgrenzungsregeln heranziehen, die auch dem VN nachvollziehbar sind. Der durchschnittliche VN wird anerkennen, dass ein Terrorakt, der z.B. von einer Kriegspartei zur Verfolgung eigener Interessen (zumindest bedingt) vorsätzlich initiiert, geplant, finanziell oder logistisch gefördert wurde, als Kriegs-
300
Dahlke VersR 2003 25, 28, 29 und 31; Berliner Kommentar/Dörner/Staudinger § 84 Rn. 8; Ehlers RuS 2002 133, 135; Fricke VersR 1991 1098, 1101; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 37; Tita VW 2001 1779, 1781; s.a. Krahe VersR 1991 634, 636.
301 302 303
Fricke VersR 2002 6, 7 ff. R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 308. Ähnlich J. B. Schroeder S. 159.
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Unfallversicherung
ereignis anzusehen ist. Fehlt es dagegen an einer Täterschaft oder Teilnahmehandlung der Kriegspartei oder kann ihr nur fahrlässiger bzw. unbedachter Umgang mit möglichen Terrorgefahren vorgeworfen werden, so wird dies aus Sicht eines verständigen VN nicht ausreichen, einen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Krieg und dem Terrorakt zu begründen. Eine wenn auch weniger typische Kriegshandlung liegt vor, wenn ein Terrorakt von 65 Personen verübt wird, die unmittelbar einer Krieg führenden Partei zuzurechnen sind, weil sie auf deren Weisung handeln. Dies trifft etwa auf Geheimdienstmitarbeiter oder „Söldner“ bzw. angeheuerte Saboteure zu,304 die z.B. hinter den feindlichen Linien einen Anschlag verüben.305 In solchen Fällen von „Staatsterrorismus“ lässt sich ein innerer Zusammenhang zwischen dem Krieg und dem zum Unfall führenden Terrorakt ohne weiteres anhand der strafrechtlichen Kriterien für eine Täterschaft (Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft) oder wenigstens Teilnahme des kriegführenden Staates begründen. Fehlt es an einer unmittelbaren Unterstützung der Terroristen durch eine der Kriegs66 parteien, so kann die Abgrenzung zu Sympathisanten, sonstigen Fanatikern oder Trittbrettfahrern, deren Aktionen nicht die Anwendung des Kriegsausschlusses begründen, erhebliche – nicht nur materiell-rechtliche, sondern auch beweisrechtliche – Schwierigkeiten bereiten (Rn. 86). I.E. kommt es darauf an, ob sinngemäß noch von einer Anstiftung oder wenigstens einer (psychischen) Beihilfe durch eine der Kriegsparteien gegenüber den Terroristen als Tätern gesprochen werden kann. • Der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Krieg und dem schädigenden Ereignis kann zu bejahen sein, wenn eine der Kriegsparteien bei Dritten den Tatentschluss weckt, einen Terrorakt zu verüben.306 Voraussetzung ist, dass sinngemäß von einer Anstiftung i.S.v. § 26 StGB gesprochen werden kann. Dies setzt u.a. voraus, dass die Kriegspartei sich nicht nur an einen völlig undefinierten Personenkreis wendet, sondern sich wenigstens an die eine oder andere Person, die im einzelnen unbekannt sein kann, aus einem individuell bestimmten Personenkreis richtet und zum Taterfolg hinleitet. Ferner darf sich der Vorsatz der Kriegspartei nicht allein auf irgendwelche unbestimmten nur der Gattung oder dem Tatbestand nach umschriebene Handlungen beziehen. Die Kriegspartei muss vielmehr einen zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierten Terrorakt vor Augen haben. Daran fehlt es z.B., wenn die Kriegspartei allgemein zu Terroranschlägen aufruft. Zwar liegt eine Parallelwertung zu § 111 StGB nahe. Jedoch wäre es zu weitgehend, aus einem abstrakten Gefährdungsdelikt den konkreten Ursachenzusammenhang zwischen Krieg, Terrorakt und Unfall herzuleiten. • Physische oder psychische Hilfeleistungen einer Kriegspartei gegenüber den Terroristen können geeignet sein, Kausalität i.S.d. Ausschlusses zu begründen. Hierzu können etwa die logistische oder finanzielle Unterstützung, Ausbildung, Ratschläge, Auskünfte oder die Bestärkung eines vorhandenen Tatentschlusses zählen. Voraussetzung ist aber, dass in Anlehnung an § 27 StGB von einer Beihilfe gesprochen werden kann. Eine Hilfeleistung wird z.B. nicht angenommen werden können, wenn sich eine Kriegspartei gegenüber möglichen Terrorakten „neutral“ verhält und sich von solchen Vorhaben nicht bereits im Vorfeld distanziert oder ihnen aktiv entgegenwirkt. Auch die Billigung vorangegangener Tatbeiträge i.S. eines bloßen Einverständnisses reicht nicht aus, sofern dadurch nicht wenigstens die Bereitschaft zum Terror beim Täter bestärkt wird. Des Weiteren muss die Kriegspartei als Gehilfe die Aktivitäten der Terroristen fördern und damit zum Gelingen des Anschlages beitragen wollen. Dazu muss sie wenigstens die wesentlichen Merkmale der Haupttat kennen, auch wenn sie von den konkreten Einzelheiten keine bestimmte Vorstellung zu haben braucht. Allgemeine Hilfeleistungen reichen dagegen genauso wenig aus wie eine zufällige oder ungewollte Unterstützung.307 Keinen Kriegsausschluss begründet deshalb z.B. die
304 305
Fricke VersR 2002 6, 7; ferner Dahlke VersR 2003 25, 28. Ehlers RuS 2002 133, 135.
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306 307
Fricke VersR 2002 6, 8; zweifelnd Dahlke VersR 2003 25, 28. J. B. Schroeder S. 159.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
Unterstützung von Al Qaida durch das frühere Taliban-Regime in Afghanistan.308 Kein Vorsatz ist weiterhin gegeben, wenn die Kriegspartei ihre Handlungen für ungeeignet hält, den konkreten Anschlag zu fördern. • Eine nachträgliche Billigung des Terroraktes durch eine der Kriegsparteien reicht nicht aus.309 Solche Sympathiebekundungen sind für das Geschehen nicht (mit-)ursächlich, da sie keine Ursachenkette mehr in Gang setzen oder zumindest mit beeinflussen können.310 Nach Beendigung der Haupttat ist folgerichtig eine Beihilfe ausgeschlossen. Die Anerkennung eines Anschlages durch eine Kriegspartei in nachfolgenden Statements oder Interviews kann allenfalls Indiz dafür sein, dass sie auch im Vorfeld des schädigenden Ereignisses an der Planung oder Durchführung beteiligt war. Für eine erfolgreiche Beweisführung müssen dann allerdings noch andere Hinweise auf eine Verstrickung der Kriegspartei in den Terroranschlag vorhanden sein.
3. Weitere Entwicklungen Gezielte (terroristische) Zerstörungsakte bergen die Gefahr von außerordentlichen 67 Großschäden, denen der VR nicht ohne weiteres mittels kaufmännisch vertretbarer Schwankungszuschläge auf die Prämie begegnen kann.311 Auch die Kriegsausschlussklauseln können die durch den „modernen Terrorismus“ geschaffene erhöhte Gefahrensituation nicht ausgleichen. Insofern ist die bisherige Definition des Krieges ungenügend, drohende unkalkulierbare Schadenhäufungen vom VR sicher abzuwenden.312 Dies darf indes nicht dazu verleiten, das Verständnis von Krieg im versicherungsrechtlichen Sinne entgegen dem (noch) üblichen Sprachgebrauch zu erweitern. Legitim ist es dagegen, wenn die VR mit einer Anpassung des Kriegsausschlusses oder Schaffung eines neuen Ausschlusses auf die zunehmenden Terrorgefahren reagieren sollten. Z.T. wird vorgeschlagen, Krieg „moderner“ wie folgt zu definieren:313 68 „Krieg ist jeder mit physischer Gewalt vorgetragene Angriff auf einen Staat, eine Gesellschaft, nicht individualisierte Teile der Bevölkerung oder dessen/deren Eigentum, Repräsentanten, Willensbildungsorgane, Symbole oder organisatorische oder wirtschaftliche Grundlagen, sofern er sich nicht in einem einmaligen Ereignis von lokal beschränkter Wirkung und untergeordneter Bedeutung erschöpft.“
Dem Vorschlag nach ein extensiven Auslegung des Kriegsbegriffs liegt die nachvollziehbare Motivation zugrunde, sich vom traditionellen Erscheinungsbild militärischer Auseinandersetzungen zu lösen und statt dessen den immer stärker anzutreffenden neuen Formen der Anwendung physischer Gewalt Rechnung zu tragen, die z.B. häufig durch unklare Fronten gekennzeichnet ist. Hintergrund ist auch die Erwägung, dass Bedingungsanpassungen nur für Neuverträge, jedoch nicht bzw. nur mit erheblichen Schwierigkeiten für Bestandsverträge durchgeführt werden können. I.E. können diese Argumente indes nicht durchgreifen.314 Das bisherige versicherungsrechtliche Verständnis vom Kriegsereignis entspricht jedenfalls z.Z. noch dem alltäglichen Sprachgebrauch (Rn. 39 ff.). Gegenwärtig unterscheidet der VN, auf dessen Verständnis es bei der Interpretation von eng auszulegenden AVB ankommt, zwischen Krieg und Terror. Eine (vollständige) Gleichsetzung beider Begriffe kommt erst dann in Betracht, wenn die konventionelle Kriegsführung im Laufe der Zeit tatsächlich so sehr in den Hintergrund treten
308 309 310
Hierzu auch Fricke VersR 2002 6, 8 f. Dahlke VersR 2003 25, 28; J. B. Schroeder S. 159. Fricke VersR 2002 6, 8.
311 312 313 314
Glotzmann VersR 1975 784, 785. Fricke VersR 2002 6, 9 f. So Fricke VersR 2002 6, 9 f. Offen lassend Ehlers RuS 2002 133, 136.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.3
Unfallversicherung
sollte, dass der „Normalbürger“ mit dem Wort „Krieg“ sogleich auch terroristische Anschläge assoziiert. Gerade aufgrund der jüngsten Entwicklungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass 69 nicht nur in Krisenherden (z.B. Israel, Afghanistan, Irak), sondern auch in Europa, den USA oder USA-freundlichen Ländern terroristische Akte durch international operierende Gruppen bzw. Organisationen in weit reichender Form gegen die Zivilbevölkerung durchgeführt wurden und für die Zukunft weiterhin zu befürchten sind, bleibt abzuwarten, ob die (Unfall-)VR mit einer Ergänzung des Kriegsausschlusses oder Einführung einer „Terrorklausel“ in den Muster-AUB reagieren werden. Dies ist insbesondere dann zu erwarten, wenn die Rückversicherer Leistungsausschlüsse für Terroranschläge gegenüber den Erstversicherern einführen sollten.315 Bisher wurde das Problem der Versicherung von Terrorschäden vornehmlich im Bereich der Sachversicherung gesehen. In diesem Bereich besteht im Anschluss an den Anschlag vom 11.9.2001 weltweit die Tendenz, die Deckung von Terrorrisiken auszuschließen,316 da die Folgen des modernen Terrors als nur schwer oder sogar als überhaupt nicht versicherbar angesehen werden.317 Eine Terrordeckung ist gegenwärtig nur noch – gegen zusätzliche Prämie – bei Spezialversicherern oder über gesonderte Marktlösungen (Versicherungpools) und häufig auch nur im Zusammenspiel mit Staatshaftungsmodellen erhältlich.318 Im Unfallbereich hat der GDV seinen Mitgliedern für die UZV bisher folgende Ausschlussklausel für den vorsätzlichen Einsatz von ABC-Waffen/-Stoffen unverbindlich/fakultativ unterbreitet:319 „Soweit nichts anderes vereinbart ist, fallen jedoch nicht unter den Versicherungsschutz: … n) Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch vorsätzlichen Einsatz von atomaren, biologischen oder chemischen Waffen oder den vorsätzlichen Einsatz oder die vorsätzliche Freisetzung von radioaktiven, biologischen oder chemischen Stoffen verursacht sind, sofern der Einsatz oder das Freisetzen darauf gerichtet sind, das Leben einer Vielzahl von Personen zu gefährden.“
Ähnliche Ausschlüsse wie zur Unfall-Zusatzversicherung finden sich mittlerweile in allen Musterbedingungen zur Lebensversicherung. Es bleibt abzuwarten, ob der für die UZV schon erwogene Ausschluss zukünftig allgemein für die private Unfallversicherung eingeführt wird. Dann kann es allerdings zu Überschneidungen mit Ziff. 5.1.3 S. 5 AUB 99/2008 kommen. Die Unfall-VR haben nach dem Wegfall der Bedingungsgenehmigung – im Rahmen des AGB-Rechts – selbstverständlich auch die Möglichkeit, anstelle des Ausschlusses für Unfälle durch ABC-Waffen spezielle Terrorklauseln einzuführen.320 Hierzu liegen bereits Vorschläge vor.321 So kann z.B. erwogen werden, die Kriegsklausel generell zu überarbeiten,322 schlicht um die Wendung „oder Terror“ zu ergänzen oder sich an Ziff. 1.1.2.2 ADS zu orientieren. Denkbar sind auch summenmäßige, zeitliche und/oder räumliche Beschränkungen der Deckung.323 Die Schwierigkeit für die Rechtspraxis wird
315 316 317 318
319
Schubach RuS 2002 177, 181. Mortimer VW 2002 165, 166. Eingehend Benzin ZVersWiss 2005 709 ff. Gas VW 2006 8 ff.; Langheid/Rupietta NJW 2005 3233; zu Organisationsmöglichkeiten für eine umfassende Deckung für politische Risiken vgl. Hübner ZVersWiss 1981 1, 42 ff. Download unter www.gdv.de möglich; krit. zur Klausel Franke VW 2004 393 f. (insbesondere auch unter Rating-Gesichtspunkten).
932
320
321
322 323
Einen umfassenden Risikoausschluss für Terrorakte hält Tita VW 2001 1779, 1781 z.Z. noch für unangemessen. S. dazu etwa Dahlke VersR 2003 25, 31 ff.; Hübner ZVersWiss 1981 1, 29 f. und 37. So der Vorschlag von J. B. Schroeder S. 233 ff. (zusammenfassend S. 245 f.). Hübner ZVersWiss 1981 1, 39 ff.; ders. VersR 1982 1013, 1017 ff.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
AUB 2008 Ziff. 5.1.3
dann darin bestehen, eine „griffige“ Definition des Terrors zu finden. Eine erste Orientierung bieten die Vorschläge der OECD (Rn. 59).
C. Überraschungsklausel Die mit den AUB 99 eingeführte „Überraschungsklausel“ eröffnet der versicherten 70 Person mit Einschränkungen für eine begrenzte Dauer Unfallversicherungsschutz für Risiken, die „an sich“ ausgeschlossen sind. Es handelt sich mithin um eine „Ausnahme zur Ausnahme“ bzw. einen Wiedereinschlusstatbestand.
I. Voraussetzungen Im Gegensatz zu den AUB 61/88/94 besteht gemäß Ziff. 5.1.3 S. 2 bis 4 AUB 99/2008 Versicherungsschutz, wenn die versicherte Person auf Reisen im Ausland überraschend von Kriegs- oder Bürgerkriegsereignissen betroffen wird. Der Begriff „Reise“ umfasst jede Abwesenheit vom regelmäßigen Wohnort, wobei unerheblich ist, ob sie privaten oder beruflichen Zwecken dient. Abzugrenzen sind längere berufliche Entsendungen oder Auslandsaufenthalte, die einen „Zweiwohnsitzcharakter“ entfalten.324 Versicherungsschutz besteht für Unfälle im Ausland, mag der Krieg dort seine Wurzeln oder seinen Austragungsort haben. Anderes gilt dagegen für Unfälle im Inland bzw. innerhalb der Bundesrepublik. Für sie wäre Versicherungsschutz selbst dann zu versagen, wenn die Auseinandersetzungen (z.B. durch Terroranschläge) vom Ausland in deutsches Gebiet hineingetragen würden.325 Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob und ggf. wie lange sich eine Leistungspflicht des VR ergibt, wenn die versicherte Person während eines Auslandsaufenthalts einen kriegsbedingten Unfall erleidet, ohne dass sie das Gebiet der Kriegsparteien betreten hat, also z.B. während eines Urlaubs in einem Nachbarland der sich bekriegenden Länder durch einen fehlgeleiteten Angriff verletzt wird. Solange hier das Kriterium „überraschend“ bejaht werden kann, besteht Versicherungsschutz. Sollte für solche Fälle von den Bedingungsgebern ein Ausschluss gewollt sein, so kommt diese Intention im Klauseltext für den durchschnittlichen VN, auf dessen Sichtweise bei der Auslegung von AVB abzustellen ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008), nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck. Es wäre im Übrigen kaum verständlich, wenn die Überraschungsklausel Versicherungsschutz einerseits für Reisen in Kriegsgebiete eröffnen und andererseits in weniger risikoexponierten Drittstaaten versagen würde.326 Der Versicherungsschutz für Unfälle durch überraschende Kriegsereignisse während einer Reise in Nachbarländer kriegsführender Parteien unterliegt darüber hinaus nicht der zeitlichen Beschränkung in Ziff. 5.1.3 S. 3 AUB 99/2008. Die dort vorgesehene Frist von sieben Tagen bezieht sich nur auf Reisen in oder durch ein kriegsführendes Land.327 Fraglich kann sein, ob das Überraschungsmoment aus Sicht eines neutralen bzw. objektiven Dritten oder aus Sicht der versicherten Person anhand ihrer subjektiven Kenntnisse zu beurteilen ist. Von Letzterem ist auszugehen,328 wobei grundsätzlich nur die positive Kenntnis, nicht etwa „Kennen müssen“ bzw. (grob) fahrlässige Unkenntnis 324 325 326
Bihr VW 1999 1329, 1331 f. Bihr VW 1999 1329, 1332. Bihr VW 1999 1329, 1332.
327 328
Bihr VW 1999 1329, 1332. Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. Ziff. 5 AUB 99 Rn. 2.
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71 72
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zählt. Die Formulierung in Ziff. 5.1.3 S. 2 AUB gibt dem VN keinen eindeutigen Hinweis auf die Notwendigkeit einer objektiven Betrachtung und ist deshalb zugunsten des VN auszulegen. So wird das Kriterium „überraschend“ z.B. zu verneinen sein, wenn die versicherte Person bereits vor Reiseantritt Kenntnis von einer politisch brisanten Lage im Zielgebiet hat, die in einen Kriegs- oder Bürgerkriegszustand münden kann.329 • Was aus Sicht der versicherten Person „überraschend“ i.S.v. Ziff. 5.1.3 S. 2 AUB 99/2008 ist, kann in Anlehnung an das subjektive Element der Plötzlichkeit definiert werden. Der Krieg muss für die versicherte Person unerwartet und unvorhersehbar gewesen sein. Die Grenzziehung wird im Einzelfall nicht leicht zu treffen sein, da Kriege nur selten blitzartig ausbrechen, sondern sich eher über – erkennbare – Eskalationsstufen entwickeln. Reist die versicherte Person in eine frühere Kriegsregion, in der die Auseinandersetzungen wieder aufflammen, so kommt eine Anwendung der Überraschungsklausel in Betracht. Voraussetzung ist indes, dass sich vor Reiseantritt die Risikosituation zeitlich und substantiell stabilisiert hat.330 • Konkretisierungen dazu, was aus Sicht der Bedingungsgeber jedenfalls nicht als überraschend gelten soll, erfolgen in Ziff. 5.1.3 S. 4 und 5 AUB 99/2008. Bei diesen Regelungen ist ein objektiver Maßstab anzusetzen. So stellt z.B. Ziff. 5.1.3 S. 4 AUB 99/2008 nicht darauf ab, ob die versicherte Person Kenntnis vom Krieg oder Bürgerkrieg im Reiseland hat. Die Worte „gilt nicht“ bringen zum Ausdruck, dass es gerade nicht auf subjektive Momente bei der versicherten Person ankommen soll. Reist die versicherte Person in ein Land, in dem bereits Krieg herrscht, so ist auf das gesamte Staatsgebiet abzustellen. Kein Versicherungsschutz besteht mithin, wenn bei Eineise nur Teile des Territoriums vom Krieg betroffen waren.331
II. Dauer des Versicherungsschutzes 75
Der durch die Überraschungsklausel eröffnete Versicherungsschutz erlischt nach Ziff. 5.1.3 S. 3 am Ende des siebten Tages nach Beginn eines Krieges oder Bürgerkrieges auf dem Gebiet des Staates, in dem sich die versicherte Person aufhält. Der Kriegsbeginn bestimmt sich nach tatsächlichen Gegebenheiten, nämlich dem Waffeneinsatz. Nicht entscheidend ist dagegen etwa eine Kriegserklärung (Rn. 38).
III. Einschränkungen 76
Die Erweiterung des Versicherungsschutzes nach Ziff. 5.1.3 S. 2 und 3 AUB 99/2008 wird für mehrere Fälle in Ziff. 5.1.3 S. 4 und 5 AUB 99/2008 eingeschränkt: • Zunächst gilt die Erweiterung nicht bei Reisen in oder durch Staaten, auf deren Gebiet bereits Krieg oder Bürgerkrieg herrscht (Ziff. 5.1.3 S. 4 AUB 99/2008). Bei dieser Regelung handelt es sich um eine bloße Klarstellung; denn herrscht bei der Einreise bereits ein Krieg oder Bürgerkrieg dürfte in aller Regel das Kriterium „überraschend“ in Ziff. 5.1.3 S. 2 AUB 99/2008 nicht erfüllt sein. • Des Weiteren besteht kein Versicherungsschutz nach Ziff. 5.1.3 S. 2 und 3 AUB 99/2008 für Unfälle und ihre Folgen, die durch die aktive Teilnahme am Krieg oder Bürgerkrieg verursacht werden (Ziff. 5.1.3 S. 5 AUB 99/2008). Mit der Formulierung „aktive Teilnahme“ übernahmen die Bedingungsgeber bewusst den Ausdruck aus den BB Kriegsrisiko 92.332 Auch bei diesem Tatbestand dürfte es sich um eine bloße Klarstellung handeln. Der verständige VN wird der Überraschungsklausel den Regelungszweck (Rn. 6) entnehmen, dass der allgemeine Unfallversiche-
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Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 67. Bihr VW 1999 1329, 1332.
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Bihr VW 1999 1329, 1332. Stockmeier/Huppenbauer S. 51.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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rungsschutz nur für die „unschuldig“ und „passiv“ in Kriegswirren geratene versicherte Person zeitweise erhalten bleiben soll, der VR jedoch nicht für Unfälle leisten will, die die versicherte Person aufgrund einer erhöhten Risikolage durch aktive Kriegsteilnahme erleidet. • Ferner greift die Überraschungsklausel nicht für Unfälle durch ABC-Waffen ein (Ziff. 5.1.3 S. 5 AUB 99/2008). • Schließlich besteht kein Versicherungsschutz für Unfälle im Zusammenhang mit einem Krieg oder kriegsähnlichen Zustand zwischen den Ländern China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Russland oder USA (Ziff. 5.1.3 S. 5 AUB 99/2008). Da die Klausel von „zwischen“ spricht, reicht die Beteiligung eines dieser Staaten nicht aus, auch wenn es Deutschland ist. Des Weiteren genügen sog. Stellvertreterkriege nicht, bei denen die in Ziff. 5.1.3 S. 5 AUB 99/2008 genannten Staaten im Hintergrund der Ereignisse stehen und die unmittelbaren Kriegsgegner oder Bürgerkriegsparteien wechselseitig unterstützen.333
D. Wirksamkeit des Ausschlusses Die Wirksamkeit des Kriegsausschlusses in den AUB ist bisher – soweit ersichtlich – 77 grundsätzlich nicht bezweifelt worden.334 AGB-rechtliche Bedenken bestehen nicht.335 Die Klausel hält insbesondere einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (§ 9 AGBG) stand. Sie ist weder überraschend, noch sind die mit dem Ausschluss verfolgten Ziele (Rn. 3 ff.) unangemessen. Zwar besteht gerade wegen der erhöhten Schadengefahr in Kriegszeiten ein besonderes Bedürfnis der versicherten Person, Versicherungsschutz für Unfallrisiken zu erlangen. Jedoch können solche Extremsituationen zu Schadenkumulationen führen, die wirtschaftlich nicht mehr kalkulierbar sind und deshalb vom VR nicht mehr übernommen werden können, will er nicht seine eigene Existenz und Leistungsfähigkeit riskiere. Der Zweck des Kriegsausschlusses ist dem VN auch erkennbar;336 seine Berechtigung wird der VN bei verständiger Betrachtung nicht in Zweifel ziehen können. Vereinzelt wird allerdings eine Vereinbarkeit des Kriegsausschlusses mit § 307 Abs. 2 BGB (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) nur für den Fall bestätigt, in dem der Unfall an Orten eintritt, an denen zu dieser Zeit Kriegshandlungen im Gange sind.337 Für diese Einschränkung besteht indes kein Anlass. Der zeitliche und örtliche Anwendungsbereich des Begriffs Kriegsereignis ist aus guten Gründen weiter gefasst. Der VR hat insbesondere ein berechtigtes Interesse, Versicherungsschutz auch für Unfälle infolge von Kriegsereignissen an Orten auszuschließen, die außerhalb der eigentlichen Kampfzone liegen, etwa weil der Bündnisfall eingetreten ist oder sich die Auswirkungen des Krieges dort in sonstiger Weise zeigen.
333
334
Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 2; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 40a. Mit Vorbehalten im Sachbereich aber offenbar Martin SVR F I Rn. 5 (ohne nähere Begründung); auch J. B. Schroeder S. 234 mit Hinweis auf das Transparenzgebot. Dagegen hat bereits RG 3.7.1917 RGZ 90
335 336 337
378, 382 anerkannt, dass der VR ein berechtigtes Interesse an der Vereinbarung einer Kriegsklausel habe. Schubach RuS 2002 177, 180. OGH 7.10.1949 OGHZ 2 298, 300. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 26.
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E. Konkurrenzen 78
Die Abgrenzung der in den jeweiligen AUB-Generationen genannten „politischen Gefahren“ kann mitunter Schwierigkeiten bereiten. • Der Bürgerkrieg stellt nach umstrittener Ansicht einen Unterfall des Krieges dar (Rn. 43); dagegen kann nicht jeder Krieg zugleich als Bürgerkrieg gewertet werden. • Liegt ein Bürgerkrieg vor, so ist immer auch der Tatbestand der inneren Unruhe erfüllt; denn der Bürgerkrieg ist ein Extremfall der inneren Unruhe (Rn. 42) Dies gilt indes nur, wenn die AUB 61/88/94 vereinbart sind. In den AUB 99/2008 ist die Alternative „innere Unruhe“ gestrichen (Rn. 25). • Der Kriegsausschluss lässt sich regelmäßig relativ sicher vom Ausschluss für innere Unruhen abgrenzen. Beim Krieg handelt es sich meist um zwischenstaatliche, bei inneren Unruhen stets um innerstaatliche Auseinandersetzungen. Abgrenzungsschwierigkeiten können sich allerdings in Ausnahmefällen ergeben, da die Übergänge von innerstaatlichen zu zwischenstaatlichen Konflikten nach allgemeinem Sprachgebrauch fließend sind.338 Lediglich dann, wenn die innere Unruhe sich zu einem Bürgerkrieg steigert, wird sie auch unter den noch weiter gefassten Begriff „Krieg“ subsumiert werden können.
79
Die AUB weisen gegenüber den Bedingungswerken anderer Sparten eine Besonderheit auf: Der Ausschluss für Kriegsrisiken ist gegenstandslos für versicherte Personen, die gemäß Ziff. 10.4 AUB 99/2008, § 4 Abs. 4 AUB 88/94 bzw. § 4 Nr. 5 AUB 61 Dienst in einer militärischen oder ähnlichen Formation leisten. Sind die Voraussetzungen dieser Tatbestände erfüllt, tritt der Versicherungsschutz außer Kraft („Ruhensregelung“). Eines Rückgriffs auf Ziff. 5.1.3 AUB 99/2008 bedarf es nicht mehr. 80 Unberührt von dem Ausschluss für Unfälle durch Kriegsereignis (bzw. infolge innerer Unruhen) bleibt die Frage, ob der Unfall-VR für eigentlich ausgeschlossene Risiken dennoch nach den allgemeinen Grundsätzen der Vertrauenshaftung wegen fehlerhafter Beratung bei Abschluss des Vertrages Versicherungsleistungen erbringen muss. Dies kommt etwa in Betracht, wenn der Versicherungsvermittler in einer dem VR zurechenbaren Weise fälschlich bestätigt hat, das Kriegsrisiko sei in den Unfallversicherungsschutz eingeschlossen.339 Entsprechendes gilt, wenn der Versicherungsvermittler erkennbare Fehlvorstellungen oder Informationsdefizite des VN über den Umfang des Unfallversicherungsschutzes nicht beseitigt hat, so z.B., wenn der Versicherungsinteressent erklärt, er werde demnächst militärische Dienste in einer Krisenregion leisten und wolle deshalb Vorsorge für sich und seine Familie treffen. Keine Aufklärungspflicht trifft den Vermittler dagegen, wenn der Versicherungsinteressierte beim Ausfüllen des Unfallantrages gegenüber dem Vermittler lediglich die Berufsangabe „Berufssoldat“ oder „Zeitsoldat“ äußert. Hat der Versicherungsvermittler keinen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass der Versicherungsinteressierte mit einem Kriegsrisiko in Berührung kommt, so muss er nicht von sich aus auf die Kriegsklausel hinweisen. Anderenfalls würde die Beratungspflicht überspannt;340 denn die Wahrscheinlichkeit, dass die versicherte Person demnächst einen Auslandseinsatz haben wird, ist gering. Die Entsendung von Berufssoldaten in Krisengebiete dürfte z.Z. noch eher die Ausnahme sein.
338 339
J. B. Schroeder S. 118 f. RG 4.7.1919 VA 1919 Anh. S. 51, 52, Nr. 1095. Keine Zurechnung erfolgt dagegen bei Falschauskünften durch Bahn-
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340
angestellte, die am Gepäckschalter Versicherungskarten und -marken ausgeben (OLG Stuttgart 2.4.1949 VW 1949 282). Schubach RuS 2002 177, 182.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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F. Speziellere AVB Besondere Bedingungswerke, mit denen Versicherungsschutz für Unfälle durch innere 81 Unruhen vereinbart werden kann, werden im privaten Kundengeschäft – soweit ersichtlich – nicht angeboten. In Betracht kommen insoweit lediglich Individualvereinbarungen, die in der Praxis allerdings kaum vorkommen dürften.341 Dagegen kann dass passive Kriegsrisiko durch Besondere Bedingungen abgedeckt werden.342 Entsprechende Bedingungswerke gibt es seit Jahren mit weitgehend ähnlichen Tatbestandsmerkmalen auf dem Versicherungsmarkt. • Die „Besonderen Bedingungen für die Mitversicherung des passiven Kriegsrisikos in der Unfallversicherung (BB Kriegsrisiko 92)“343 lösten die Bedingungen gleicher Bezeichnung 344 sowohl mit formellen als auch materiellen Abweichungen ab.345 Die „BB Kriegsrisiko 92“ sind bei Einführung der AUB 99 überarbeitet worden. Die „Besonderen Bedingungen für die Versicherung des passiven Kriegsrisikos in der Unfallversicherung (BB Kriegsrisiko 99)“ 346 enthalten gegenüber der Vorgängerversion allerdings keine materiellen Änderungen, sondern sehen lediglich redaktionelle Anpassungen beim Aufbau und bei den Formulierungen an die AUB 99 vor.347 • Durch die Vereinbarung entsprechender Besonderer Bedingungen kann – meist gegen Beitragszuschlag – eine Deckungserweiterung für die Unfälle vereinbart werden, die durch Kriegsereignisse verursacht wurden und damit grundsätzlich nach den AUB ausgeschlossen sind. Auch bei Geltung der mit den AUB 99 eingeführten „Überraschungsklausel“ kann dies für den Fall sinnvoll sein, dass Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse im Besuchsland der versicherten Person vorhersehbar sind. Vollumfänglicher Versicherungsschutz für Unfallrisiken durch Kriege lässt sich indes auch bei Vereinbarung der „BB Kriegsrisiko“ nicht erreichen. Ausgeschlossen bleiben Unfälle durch ABC-Waffen, da sie ein unkalkulierbares Gefährdungspotential enthalten. Entsprechendes gilt für Unfälle, die im kausalen Zusammenhang mit einem Krieg unter den Weltmächten stehen; denn ein Weltkrieg birgt unabsehbare Folgen.348 Schließlich will der VR nicht für Kriegsunfälle leisten, wenn der Staat, in dem die versicherte Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, aktiv als kriegsführende Partei beteiligt oder passiv als Ort der Kriegshandlungen betroffen ist.
Denkbar ist es fernerhin, dass die Parteien Bedingungen für die Versicherung von Unfällen durch Terroranschläge vereinbaren.349
G. Verfahrensfragen Die Beweislastverteilung für den Ausschlusstatbestand stellt sich wie folgt dar:
82
I. Krieg Es ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber anderen Versicherungsausschlüssen 83 (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 31): Da bei Eingreifen der Kriegsausschlussklausel die an sich gegebene Leistungspflicht des VR entfällt und damit die Klausel für den VR günstig ist, 341 342 343 344
345
Dimski VersR 1999 804, 808. Dazu auch J. B. Schroeder S. 200 ff. VerBAV 1993 110 (dazu GB BAV 1992 77 f. Nr. 9.2.4). VerBAV 1989 242 f. (dazu GB BAV 1989 83 Nr. 9.2.1); s.a. VerBAV 1987 428; ferner VerBAV 1979 387 f. (dazu GB BAV 1979 86 Nr. 8124). Rundschreiben U 23/92 vom 18.8.1992 und
346 347 348 349
U 24/92 vom 21.8.1992 des damaligen HUK-Verbandes; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 41 f. Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 130. Stockmeier/Huppenbauer S. 131; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 41. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 41a. Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 96.
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trägt dieser nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln die Beweislast dafür, dass ein Schaden durch ein Kriegsereignis eingetreten ist.350 Dies kann insbesondere bei Terroranschlägen erhebliche Probleme nach sich ziehen. Die Beweissituation kann allerdings unter bestimmten Voraussetzungen durch die Zulassung des Anscheinsbeweises, nicht jedoch durch Beweislastvereinbarungen verbessert werden. Ausreichend kann der Anscheinsbeweis, d.h. die Darlegung typischer Geschehens84 abläufe durch den VR sein, die nach der Lebenserfahrung die hohe Wahrscheinlichkeit eines gewissen Ablaufs oder einer gewissen Ursache begründen.351 Der VN kann die für den VR sprechende Annahme dadurch entkräften, dass er Tatsachen vorträgt, die eine nicht zum Ausschluss führende Sachverhaltsvariante ernsthaft möglich erscheinen lassen (ein Verdacht, eine Vermutung oder Gerüchte reichen nicht).352 Der VR muss dann den Kriegsausschluss nach normalen Beweisregeln zur Überzeugung des Gerichts bringen. Der „Prima-facie-Beweis“ kommt dem VR indes nicht schon grundsätzlich bei der Frage von Kriegsschäden zugute; denn der Kriegszustand deckt so viele und unterschiedliche vorstellbare Lebenssachverhalte ab, dass nicht ohne weiteres und losgelöst vom konkreten Sachverhalt von einem Geschehensablauf ausgegangen werden kann, der typischerweise auf einen Ursachenzusammenhang von Kriegsereignis und Unfall schließen lässt.353 So mag zwar eine gewisse Vermutung dafür sprechen, dass Unfälle, die Kriegsgefangenen zustoßen, in einem engen Zusammenhang mit Kriegsereignissen stehen. Eine sichere Entscheidungsgrundlage bildet diese Vermutung jedoch nicht.354 Entsprechendes gilt für die Begehung von Straftaten in und nach Kriegszeiten. Ein den Beweis des ersten Anscheins begründendes kriegstypisches Geschehen liegt nur dann vor, wenn die Tat deutlich durch zum Tatzeitpunkt herrschende Machtlosigkeit und Lähmung der Polizei geprägt und begünstigt ist.355 Letztlich sind stets sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Für Schäden bzw. Unfälle, die sich nach Kriegsende ereignen, werden grundsätzlich umso strengere Anforderungen an die Beweisführung des VR zu stellen sein, je mehr sich die Verhältnisse normalisiert haben; denn dann steigen die Möglichkeiten für den Eintritt von Ereignissen, die nicht mehr kriegsbedingt sind, sondern auf einer normalen, wenn auch erhöhten Gefahrenlage beruhen.356 Beweisprobleme können sich für den VR ergeben, wenn nach Terroranschlägen 85 außerhalb der Territorien der kriegführenden Parteien der Nachweis dafür zu erbringen ist, dass eine der Kriegsparteien den Terrorakt gebilligt und gefördert hat (Rn. 63 ff.).357 Insbesondere der Nachweis der Billigung des Anschlags durch eine Kriegspartei wird mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, da es sich um eine innere Tatsache handelt, auf die typischerweise nur mit Hilfe unsicherer äußerer Anhaltspunkte geschlossen wer350
351
So bereits KG 13.10.1917 VA 1918 Anh. S. 19 Nr. 1025; OLG Stuttgart 18.12.1946 VW 1947 83; ferner Ehlers RuS 2002 133, 137; Fricke VersR 1991 1098, 1101; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 40; Kloth Rn. K 58; Krahe VersR 1991 634; s.a. BGH 2.5.1951 BGHZ 2 55, 56 ff. (zu einer entsprechenden Beweislastordnung des Rechtsaufsichtsamtes für Privatversicherungen gemäß § 81a S. 2 VAG); bestätigt durch BGH 28.11.1951 VersR 1952 52; differenzierend dagegen J. B. Schroeder S. 175 ff. (insbesondere S. 178 f.). BGH 28.11.1951 VersR 1952 52 f.;
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352 353 354 355 356 357
OLG Stuttgart 2.4.1949 VW 1949 282; OLG Stuttgart 18.12.1946 VW 1947 83; LG Frankfurt/M. 14.11.1946 VW 1947 84; Ehlers RuS 2002 133, 137; Krahe VersR 1991 634, 636; R. Schmidt/Gerathewohl ZVersWiss 1973 277, 290. OLG Braunschweig 22.7.1947 VW 1948 13; OLG Stuttgart 18.12.1946 VW 1947 83, 84. Fricke VersR 1991 1098, 1102; J. B. Schroeder S. 181 f. LG Stuttgart 18.3.1949 DRZ 1950 182. OLG Hamburg 9.4.1947 VW 1947 196, 197. Haidinger VW 1947 93, 95. Fricke VersR 1991 1098, 1102.
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Unfälle durch Kriegs- oder Bürgerkriegsereignisse
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den kann; denn der VR hat im Regelfall keine Kenntnis von Interna der Täter und wird diese auch kaum erlangen können.358 Kennzeichen staatlich gelenkter Terroraktion ist es gerade, dass der Zusammenhang zwischen der Terrorgruppe und Staatsorganen einer kriegführenden Partei verschleiert wird.359 Als (unsichere) Indizien für einen Staatsterrorismus kommen u.a. in Betracht:360 • Nähe der getroffenen Personen oder Objekte zum militärischen Einsatz oder deren Wichtigkeit für die militärische Logistik; • Häufung der Anschläge bei zivilen Objekten; • Kriminaltechnische und nachrichtendienstliche Erkenntnisse bzw. Untersuchungen, die auf eine Nähe der Tätergruppe zu einer der Kriegsparteien schließen lassen; • Bekennerschreiben der Täter, das eine kriegsbedingte Motivation zum Ausdruck bringt. • Äußerungen der kriegführenden Partei (offene Unterstützung der Terrorgruppe, „Lob“ für den Terrorakt, fehlendes Dementi einer Beteiligung am Anschlag usw.); • Gewährung von „Asyl“ für die mutmaßlichen Täter.
Der „gerichtsfeste“ Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Terrorakt und dem eigentlichen Kriegsgeschehen wird umso schwerer fallen, je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Anschlag und der Kriegshandlung ist. Es könnte daran gedacht werden, in den AUB Regelungen dazu vorzusehen, dass für 86 all die Fälle, in denen nicht festzustellen ist, ob Krieg, Bürgerkrieg oder innere Unruhen den Unfall verursacht haben, die überwiegende Wahrscheinlichkeit (§ 287) entscheiden soll. Vergleichbare Regelungen waren z.T. in der Sachversicherung vorgesehen (z.B. § 1 Nr. 7 S. 2 AFB, § 9 Abs. 1b VHB 84). Solche Beweislastvereinbarungen zum Nachteil des VN verstoßen indes jedenfalls im Privatkundengeschäft gegen § 309 Nr. 12 BGB (§ 11 Nr. 15 AGBG).361 Sie werden dort folgerichtig nicht mehr vereinbart.
II. Wiedereinschluss (Überraschungsklausel) Die Voraussetzungen für die „Überraschungsklausel“ hat der Anspruchsteller darzu- 87 legen und zu beweisen. Indizien gegen ein überraschendes Betroffensein der versicherten Person von einem Kriegs- oder Bürgerkriegsereignis können etwa Warnungen des auswärtigen Amtes oder Presseberichterstattungen sein.362
III. Innere Unruhen Sofern die Vertragsparteien noch den Ausschluss für innere Unruhen vereinbart haben, 88 (AUB 61/88/94) trägt der VR die Beweislast.363 Er hat den Tatbestand der inneren Unruhe sowie den Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Teilnahme der versicherten Person auf Seiten der Unruhestifter zu beweisen.364 Je näher der Unfall zeitlich und
358 359 360 361
Fricke VersR 2002 6, 9. J. B. Schroeder S. 160. Fricke VersR 1991 1098, 1102 f. Berliner Kommentar/Dörner/Staudinger § 84 Rn. 7; Ehlers RuS 2002 133, 137; Fricke VersR 1991 1098, 1101 f.; Prölss/ Martin/Kollhosser 27 § 84 Rn. 3; Prölss/
362 363 364
Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 87 Rn. 11; eingehend J. B. Schroeder S. 183 ff. Bihr VW 1999 1329, 1332. Dimski VersR 1999 804, 807. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 45; Martin SVR F I Rn. 10.
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örtlich am Unruheherd lag, desto eher lässt sich auf einen Ursachenzusammenhang schließen. Dann kann auch ein Anscheinsbeweis in Betracht kommen.365 Da für die Bejahung bzw. Verneinung von inneren Unruhen die Umstände des Einzelfalles und die Wertungen eines imaginären objektiven Betrachters entscheidend sind, lassen sich im Streitfall die Erfolgsaussichten und der Ausgang eines Rechtsstreits nicht oder jedenfalls nur schwer prognostizieren. Entscheidungskriterien können sich etwa aus folgenden Punkten ergeben:366 • • • • • •
89
Zahl der Unruhestifter; Organisation und eventuelle Bewaffnung der Teilnehmer; Dauer und Intensität der Übergriffe; Beherrschbarkeit durch die Polizei;367 Konzentration und Höhe der gefährdeten Werte; Größe und Lage des betroffenen Gebiets.
Schwierigkeiten bei der Beweisführung kann vornehmlich der Fall bereiten, dass die versicherte Person bloßer Mitläufer war. Der VR muss dann den Nachweis dafür führen, dass sich die versicherte Person mit der Menschenmenge solidarisiert hat bzw. Sympathisant der Unruhestifter war. Auf diese „innere Tatsache“ kann im Einzelfall u.U. durch „objektive Umstände“ geschlossen werden. Anhaltspunkt für eine Teilnahme der versicherten Person auf Seiten der Unruhestifter kann insbesondere die Dauer des Verweilens in der Menschenmenge sein. Ein Unbeteiligter wird sich vernünftigerweise nicht länger als notwendig unter Unruhestiftern aufhalten, von denen Gefahr für seine Gesundheit ausgeht. Entfernt sich die versicherte Person nicht unverzüglich, so wird sie hierfür nachvollziehbare Gründe angeben müssen.368
Ziff. 5.1.4 AUB 2008 5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: … 5.1.4 Unfälle der versicherten Person – als Luftfahrzeugführer (auch Luftsportgeräteführer), soweit er nach deutschem Recht dafür eine Erlaubnis benötigt, sowie als sonstiges Besatzungsmitglied eines Luftfahrzeuges; – bei einer mit Hilfe eines Luftfahrzeuges auszuübenden beruflichen Tätigkeit; – bei der Benutzung von Raumfahrzeugen.
Schrifttum Möhrle Die Luftfahrt-Unfallversicherung (2003).
365 366
Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 1 AFB 30 Rn. 18; Martin SVR F I Rn. 10. Martin SVR F I Rn. 12; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 116.
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368
KG 18.5.1973 VersR 1975 175, 176 (5000 Polizeibeamte konnten ca. 300 Personen nicht „in Schach“ halten). Schubach RuS 2002 177, 179.
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Unfälle infolge Luftfahrtrisiken
AUB 2008 Ziff. 5.1.4
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . . . I. Zweck des Ausschlusses . . . II. Entwicklung des Ausschlusses 1. AUB 61 . . . . . . . . . . a) Reise- und Rundflüge . b) Fluggast . . . . . . . . c) Fluggerät . . . . . . . . 2. AUB 88 . . . . . . . . . . 3. AUB 94 . . . . . . . . . . 4. AUB 99/2008 . . . . . . . B. Tatbestand . . . . . . . . . I. Flugpersonal . . . . . . . . 1. Betroffener Personenkreis . 2. Abgrenzung zu Fluggästen
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II. Berufsausübung mit Hilfe eines Luftfahrzeuges . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufsausübung . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenhang zwischen Berufsausübung und Unfall . . . . . . . . . . . III. Benutzung von Raumfahrzeugen . . . . C. Wirksamkeit des Ausschlusses . . . . . D. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . E. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . F. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . I. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . . . II. AUB 88/94/99/2008 . . . . . . . . . .
. 25 . 26 . . . . . . . .
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A. Einführung Unter Luftfahrt wird jede Fortbewegung eines Menschen in einer nicht unerheblichen 1 Höhe über der Erdoberfläche verstanden, bei der mittels eines Geräts – gleich welcher Art – der Erdanziehung entgegengewirkt wird.1 Dadurch können einerseits im Vergleich zur „normalen“ Fortbewegung des Menschen auf der Erde (etwa als Fußgänger oder Fahrradfahrer) erhöhte Gefahren für Leib und Leben entstehen. Andererseits gehört das Reisen mit Luftverkehrsmitteln genauso wie die Nutzung sonstiger Hilfsmittel zur schnellen Fortbewegung mittels Kfz usw. seit langem zum alltäglichen Leben. Hier setzen die „Luftfahrtklauseln“ in den AUB an: Das erhöhte Flugrisiko (und nur dieses) wird vom Versicherungsschutz ausgenommen. Nicht betroffen sind dagegen von vornherein versicherte Personen, die sich nicht in Luftflugkörpern aufhalten und etwa als Passanten, Fußgänger oder Kfz-Fahrer von Flugzeugabstürzen bzw. -explosionen, Notlandungen oder tief fliegenden Luftfahrzeugen in Mitleidenschaft gezogen werden. Für sie besteht nach Maßgabe der übrigen (vereinbarten) Vertragsbestimmungen Versicherungsschutz.2 Ähnliche Regelungen wie in Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008 – mit z.T. abweichenden Formulierungen und gestalterischem Aufbau – finden sich in der Unfall-Zusatzversicherung.3 Die praktische Bedeutung des Ausschlusses ist eher gering. Zum einen ist der Adressatenkreis der Regelungen sehr klein, da das normale Fluggastrisiko versichert ist. Zum anderen belegen die wenigen Gerichtsentscheidungen zum Thema Luftgefahren in der privaten Unfallversicherung, dass die jeweiligen AUB-Regelungen selten zur Anwendung kommen oder zu kontroversen Auseinandersetzungen in der Leistungsregulierung führen. Letztlich ist das Risiko von Luftfahrern nicht besonders hoch einzuschätzen; es liegt z.B. unter dem von Motorradfahrern.4
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LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298, 299 = RuS 1990 69; s.a. LG Oldenburg 22.2.1988 VersR 1989 178. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 218 Zum damaligen § 3 Nr. 3 BB UZV vgl.
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BGH 16.6.1999 VersR 1999 1224 = NVersZ 1999 476 (Vorinstanz OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146 = RuS 1999 260 = NVersZ 1998 117). GB BAV 1992 77 Nr. 9.2.1.
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Unfallversicherung
I. Zweck des Ausschlusses 2
Die jeweiligen Regelungen in den AUB Generationen seit 1961 bezwecken, den Versicherungsschutz (nur) für Personen auszuschließen, die sich nicht als bloßer Fluggast der erhöhten Gefährdung durch Luftfahrt aussetzen, sondern neben der „normalen“ Teilnahme am allgemeinen Luftverkehr typischerweise weitere Risiken (gewollt) eingehen.5 Die breite Masse der versicherten Personen, die sich nicht den besonderen Gefahren des Luftsports oder besonderen berufsbedingten Gefährdungen im Luftverkehr aussetzt und an der Versicherung solcher Risiken kein Interesse hat, soll nicht über erhöhte Prämien mit den Folgen dieser Tätigkeiten, die nur wenige verrichten, belastet werden.6 Für Personen, die sich aufgrund ihres Hobbys oder Berufes (als Besatzungsmitglied oder im Rahmen einer sonstigen beruflichen Tätigkeit) mit besonderen und gefahrenträchtigen Luftfahrtrisiken auseinandersetzen müssen, besteht die Möglichkeit, speziellen Versicherungsschutz (gegen eine entsprechende Mehrprämie) zu vereinbaren.
II. Entwicklung des Ausschlusses 3
Schon in den AVB für die Einzel-Unfallversicherung von 1920 war nach § 4 Abs. 2 Nr. 1b die Versicherung gegen Unfälle, die die versicherte Person „bei der Benutzung von Luftfahrzeugen sowie von ungewöhnlichen Transportmitteln“ erleidet, nur aufgrund besonderer Vereinbarung möglich.7 Das Fluggastrisiko war auch in der Folgezeit – mit Unterbrechungen 8 – entweder grundsätzlich nicht oder nur mit Einschränkungen bzw. begrenzten Versicherungssummen versichert. Nach dem 2. Weltkrieg war eine besondere Vereinbarung notwendig, um Versicherungsschutz für Flugwagnisse zu erlangen.9 Mit Einführung der AUB 61 wurde wieder Unfallversicherungsschutz für Fluggäste in Gestalt einer Sondergefahrenregelung vorgesehen.10 Ihr Regelungsgehalt wurde mit den AUB 88 in einen Ausschlusstatbestand übernommen, der in den AUB 94 überarbeitet wurde.11 Die AUB 99 führten schließlich nur noch zu geringfügigen redaktionellen Änderungen. Die AUB 2008 haben den Ausschluss nahezu unverändert übernommen:
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OLG Hamburg 26.1.1988 VersR 1989 177; LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298, 299. BGH 27.4.1988 VersR 1988 714 = RuS 1988 244 = VerBAV 1988 331, 332; LG Bielefeld 13.12.1977 VersR 1978 1017; Konen/Lehmann S. 14 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 48; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 46. VA 1920 102, 104.
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S. VA 1936 63 und 78. Näher hierzu Grewing Entstehungsgeschichte S. 19. Zum beitragsfreien Einschluss des Fluggastrisikos s. GB BAV 1958 51 f. Zur Geschichte des Ausschlusses Möhrle S. 9 ff.; ferner Grewing Unfallversicherung S. 51 f.; Riebesell S. 43 ff.; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 217; s. auch OLG Hamburg 26.1.1988 VersR 1989 177.
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Unfälle infolge Luftfahrtrisiken
AUB 2008 Ziff. 5.1.4
AUB 2008 12 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 13
AUB 94
AUB 88 14
AUB 6115
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Ziff. 5. In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 4 Änderung der
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: …
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
5.1.4 Unfälle der versicherten Person
5.1.4 Unfälle der versicherten Person
Abs. 1 Nr. 4 Unfälle des Versicherten
Abs. 1 Nr. 4 Unfälle des Versicherten
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Nr. 3a S. 1 Der Versicherungsschutz erstreckt sich auf – als Luftfahrzeug– als Luftfahrzeuga) als Luftfahrzeug- a) bei der BenutUnfälle, die der Verführer (auch Luftführer (auch Luftführer (auch zung von Luftsicherte bei Reisesportgeräteführer), sportgeräteführer), Luftsportgerätefahrzeugen (Flug- oder Rundflügen als soweit er nach soweit er nach führer), soweit er geräten) ohne Fluggast in einem Prodeutschem Recht deutschem Recht nach deutschem Motor, Motorpeller- oder Strahlflugdafür eine Erlaubdafür eine ErlaubRecht dafür eine seglern, Ultrazeug oder in einem nis benötigt, sowie nis benötigt, sowie Erlaubnis benöleichtflugzeugen Hubschrauber erleidet. als sonstiges Beals sonstiges Betigt, sowie als und Raumfahrsatzungsmitglied satzungsmitglied sonstiges Besatzeugen sowie S. 2 Fluggäste sind, eines Luftfahreines Luftfahrzungsmitglied beim Fallschirm- mit Ausnahme der zeuges; zeuges; eines Luftfahrspringen; Besatzungsmitglieder, – bei einer mit Hilfe – bei einer mit Hilfe zeuges b) als Luftfahrzeug- die Insassen, denen eines Luftfahreines Luftfahrb) bei einer mit führer oder als das Luftfahrzeug auszeuges auszuübenzeuges auszuübenHilfe eines Luftsonstiges Besatschließlich zur Beden beruflichen den beruflichen fahrzeuges auszuzungsmitglied förderung dient. Tätigkeit; Tätigkeit; übenden berufeines Luftfahr– bei der Benutzung – bei der Benutzung lichen Tätigkeit; zeuges; Nr. 3b Eine Ausdehvon Raumfahrvon Raumfahrc) bei der Benutc) bei einer mit nung des Versichezeugen. zeugen. zung von RaumHilfe eines Luftrungsschutzes auf fahrzeugen. fahrzeuges auszu- Luftfahrt-Unfälle, die übenden berufdie Voraussetzungen lichen Tätigkeit. des Absatzes a) nicht erfüllen, bedarf einer besonderen Vereinbarung.
1. AUB 61 Die Sondergefahrenregelung 16 in § 4 Nr. 3 AUB 61 hatte ursprünglich eine andere 4 Fassung.17 Sie sah u.a. vor, dass es sich um Reise- oder Rundflüge „über Gebieten mit organisiertem Luftverkehr“ handeln musste.18 Weiterhin wurde verlangt, dass die ver12 13 14 15
Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 52. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10, 11 (s. dazu auch GB BAV 1983 83 Nr. 910).
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OLG Köln 22.12.1988 RuS 1989 66. Abgedruckt z.B. in VerBAV 1961 211, 212 (zuvor etwa VerBAV 1959 69 f.). Dazu etwa Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 218.
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Unfallversicherung
sicherte Person reist „als Fluggast eines zum zivilen Luftverkehr zugelassenen Motoroder Strahlflugzeug oder als ziviler Fluggast eines Militärflugzeuges, das zur Personenbeförderung eingesetzt ist.“19 Insbesondere sah die Ursprungsfassung auch Höchstversicherungssummen für bestimmte Versicherungsleistungen vor.20 Dadurch sollte insbesondere einer Kumulierung von Risiken begegnet werden; denn die Gefahr des Kumulus wurde in der Luftfahrt viel größer als bei anderen Verkehrsmitteln eingeschätzt.21 Diese umfangreichen Regelungen sind in der letzten Variante der AUB 61 deutlich gekürzt worden.22 Nach § 4 Nr. 3a S. 1 AUB 61 erstreckt sich der Versicherungsschutz auf Unfälle, die die versicherte Person bei Reise- oder Rundflügen als Fluggast in einem Propeller-, Strahlflugzeug oder Hubschrauber erleidet. Für Luftfahrt-Unfälle, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, besteht gemäß § 4 Nr. 3b AUB 61 nur bei Vorliegen einer besonderen Vereinbarung Versicherungsschutz.
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a) Reise- und Rundflüge. Unter den Begriff „Flug“ wird der Vorgang vom Start bis zur folgenden Landung (einschließlich Be- und Entsteigens des Flugkörpers) subsumiert.23 Bei einem Flug mit Zwischenlandungen handelt es sich folgerichtig um mehrere Flüge.24 Dies ergibt sich zwar nicht schon zwingend aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, der unter einem „Flug“ auch das Geschehen vom ersten Start bis zur letzten Landung am Zielort versteht, selbst wenn dazwischen eine oder mehrere Zwischenlandungen liegen. Jedoch macht es für die versicherungsrechtliche Behandlung keinen Unterschied, ob die versicherte Person zu einem Reiseziel nach einer Flugreise mit Zwischenlandung oder durch zwei getrennte Flüge gelangt.25 Das Risiko des Insassen ist unabhängig davon, ob er zuvor an einem anderen Flug zum Abflugort als Besatzungsmitglied, als Fluggast oder überhaupt nicht teilgenommen hat. Die Gefahren des vorangegangenen Fluges haben sich nicht realisiert, sind erledigt und wirken beim Folgeflug nicht weiter.26 Die Unterscheidung von Reise- und Rundflügen ist praktisch und sachlich ohne 6 Bedeutung für den Versicherungsschutz.27 Ein Reiseflug führt vom Abflughafen an einen anderen Zielort;28 Rundflüge sind dagegen Flugfahrten, die ohne Zwischenlandung wieder am Abflugort enden.29 Auf den Zweck des Rund- oder Reisefluges kommt es nicht an.30 Auch eine zwangsweise Beförderung kann ein Reiseflug sein (Rn. 22). Von einem Reise- oder Rundflug kann dann nicht mehr gesprochen werden, wenn die 7 versicherte Person als Fallschirmspringer mit einem Luftfahrzeug aufsteigt. Entsprechendes gilt aber auch, wenn die versicherte Person als Insasse oder Passagier an Schul-, Wett-
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Näher Grewing Entstehungsgeschichte, S. 20 f.; zur Einbeziehung des Fluggastrisikos in Militärflugzeugen vgl. VerBAV 1970 224. VerBAV 1977 129; GB BAV 1975 63 Nr. 713; ferner GB BAV 1976 75 Nr. 811; GB BAV 1975 63 Nr. 713. VerBAV 1959 69; Grewing Entstehungsgeschichte, S. 21. VerBAV 1984 110; s.a. VerBAV 1992 236. BGH 30.11.1983 VersR 1984 155; OLG Oldenburg 20.8.1986 NJW-RR 1986 1474.
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BGH 30.11.1983 VersR 1984 155 (a.A. die Vorinstanz OLG Hamm 4.12.1981 VersR 1982 801); ferner Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 29. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 52. BGH 30.11.1983 VersR 1984 155. Wandt VersR 1989 580. LG Bielefeld 24.6.1977 VersR 1978 1014. BGH 30.11.1983 VersR 1984 155; Grewing Entstehungsgeschichte, S. 20; Prölss/Martin/ Kollhosser 27 § 4 AUB 61 Rn. 6; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 218. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 52.
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Unfälle infolge Luftfahrtrisiken
AUB 2008 Ziff. 5.1.4
bewerbs-, Probe- oder Testflügen u.ä., insbesondere an Kunstflügen 31 teilnimmt.32 Dieses Ergebnis lässt sich allerdings nicht aus der Entstehungsgeschichte des Ausschlusses ableiten. Zwar mag die Historie dieser Klausel, die von Restriktionen des Versicherungsschutzes für Flugrisiken gekennzeichnet ist, dafür sprechen, dass § 4 Nr. 3 AUB 61 z.B. keine Kunstflüge erfassen soll. Jedoch kommt es auf derartige Erwägungen bei der Auslegung von AUB nicht an, da der VN als Adressat der AUB die Vorgeschichte einer mit ihm vereinbarten Regelung nicht kennen muss (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Entscheidend ist vielmehr das Verständnis von „Reise- und Rundflug“ im alltäglichen Sprachgebrauch unter Berücksichtigung des für den VN erkennbaren Zwecks des Ausschlusses (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57). Der durchschnittliche VN differenziert zwischen Reise- und Rundflug einerseits und Kunstflügen o.ä. andererseits. Während erstere den Hauptzweck haben, Entfernungen – ohne besondere Risiken – zu überwinden, steht bei letzteren die Art und Weise des Fliegens im Vordergrund. Der Kunstflug ist typischerweise Quelle erhöhter Gefahren, für die der VR – auch aus Sicht eines vernünftigen VN – verständlicherweise keinen Versicherungsschutz vorsehen will.33 Um eine zuverlässige und nachvollziehbare Abgrenzung zwischen (versicherten) 8 Reise- oder Rundflügen und anderen (nicht versicherten) Flügen mit erhöhten Risiken vornehmen zu können, kommt es nicht auf die persönlichen Vorstellungen der versicherten Person, sondern auf objektive Kriterien an. Dabei spielt es keine Rolle, ob Vorschriften zum Luftverkehrsrecht eingehalten worden sind oder nicht.34 Zum einen gibt der Wortlaut des § 4 Nr. 3 AUB 61 keinen dahingehenden Anhaltspunkt. Zum anderen zielt das Luftverkehrsrecht auf die Erreichung von Luftverkehrssicherheit ab und nicht darauf, Abgrenzungshilfen für die AUB zu geben. Bei der Abgrenzung ist weiterhin weniger auf die Vereinbarung des Piloten mit der versicherten Person vor Flugantritt abzustellen, da die Akteure ihre Pläne – u.U. spontan – später noch geändert haben können. Maßgebend ist letztlich vielmehr der tatsächliche Flugablauf.35 So ändert sich der Charakter des Reise- oder Rundfluges noch nicht dadurch, dass der Pilot vereinzelt Kunstflugfiguren oder einzelne unnötig riskante Steuermanöver ausführt. Zwar wird dadurch in der Regel das Unfallrisiko gegenüber einem normalen Flug gesteigert. Mangels eindeutiger Anhaltspunkte im Wortlaut des § 4 Nr. 3a AUB 61 müssen jedoch solche vereinzelten Flugmanöver der „Gattung“ des Reise- oder Rundflug noch nicht zwingend einen anderen „Stempel“ aufdrücken, zumal eine gewollte (versuchte) Kunstflugaktion häufig nicht von Steuerungsfehlern im Rahmen eines normalen Flugverhaltens abgrenzbar ist.36 Anders ist dagegen zu urteilen, wenn nach den Gesamtumständen nicht der Transport im Vordergrund steht. So liegt der Fall etwa, wenn das Flugzeug nach dem Start im Bereich des Flugplatzes klassische Kunstflugfiguren ausführt.37 b) Fluggast. § 4 Nr. 3a S. 2 AUB 61 bezeichnet als Fluggäste Insassen, denen das 9 Luftfahrzeug ausschließlich zur Beförderung dient. Die Regelung stellt nicht auf die Häufigkeit der Reisetätigkeit ab. Folglich ist unerheblich, ob die versicherte Person oft
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OLG Hamburg 26.1.1988 VersR 1989 177 (mit ablehnender Anm. R. Schmid VersR 1989 507 f.); ferner Prölss/Martin/ Kollhosser 27 § 4 AUB 61 Rn. 6. Grewing Entstehungsgeschichte, S. 21; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 52. Wandt VersR 1989 580. So aber R. Schmid VersR 1989 507, 508.
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OLG Hamburg 26.1.1988 VersR 1989 177 f.; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 4 AUB 61 Rn. 6. LG Bielefeld 24.6.1977 VersR 1978 1014; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 52. OLG Hamburg 26.1.1988 VersR 1989 177, 178.
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oder selten als Fluggast ein Flugzeug benutzt.38 Die versicherte Person wird im Moment des Besteigens des Flugszeugs Fluggast (z.B. mit Tritt auf die an das Flugzeug gefahrene Treppe). Ihre Fluggasteigenschaft endet mit Betreten festen Bodens.39 Nicht versichert sind: • „Besatzungsmitglieder“, d.h. „fliegendes Personal“ und „Flugzeugpersonal“.40 Sie sind explizit von „normalen“ Fluggästen abzugrenzen. Kein Versicherungsschutz besteht mithin für Unfälle von Piloten, Flugschülern 41 oder Begleitpersonal.42 • Personen, die ihren Beruf in der Luft ausüben; denn ihnen dient das Luftfahrzeug nicht ausschließlich zur „Beförderung“. Zum ausgeschlossenen Personenkreis zählen etwa landwirtschaftliche Sprühflieger, Polizisten, Kameraleute bei Luftbildaufnahmen oder medizinisches Personal in Rettungshubschraubern.43 Entsprechendes gilt für Fallschirmspringer.44
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c) Fluggerät. § 4 Nr. 3a S. 1 AUB 61 setzt voraus, dass der Unfall der versicherten Person als Fluggast in einem Propeller- oder Strahlflugzeug oder in einem Hubschrauber zugestoßen ist. Entscheidend für die Auslegung ist hier – wie auch sonst (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 66 ff.) – das allgemeine Sprachverständnis. Dieses versteht unter einem Flugzeug Beförderungsmittel zur Fortbewegung in der Luft, deren Hauptbaugruppen aus Tragwerk, Leit- und Steuerwerk, Fahrwerk, Rumpf- und Triebwerksanlagen bestehen. Unerheblich ist dagegen die Definition in § 1 Abs. 2 LuftVG.45 Keine Bedeutung erlangt die Frage, ob es sich um ziviles oder militärisches Fluggerät handelt oder das Fluggerät von einem Luftfahrtunternehmen i.S.v. § 20 Abs. 1 LuftVG oder einem Privatmann betrieben wird. Zu den Propeller- oder Strahlflugzeugen sind auch Flugzeuge mit Propellerturbinen (Turboprop) zu rechnen.46 In Abweichung zu den AUB 88 sind weiterhin auch propellergetriebene Ultraleichtflugzeuge mit zwei Sitzen erfasst.47 Sollten die Bedingungsgeber Versicherungsschutz nur bei Verkehrsflugzeugen oder Propellerflugzeugen ab einer bestimmten Großen angestrebt haben, so hätten sie dies wie z.B. in § 2 Abs. 1 Nr. 4a AUB 88 klar zum Ausdruck bringen müssen.48 Vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind im Umkehrschluss zu § 4 Nr. 3a S. 1 11 AUB 61 Unfälle mit anderen als den genannten Luftfahrzeugen.49 Eine ausdehnende Auslegung der Regelung ist unter Berücksichtigung des klaren Wortlauts nicht möglich.50 Kein Versicherungsschutz besteht deshalb – vorbehaltlich § 4 Nr. 3b AUB 61 – z.B. für Flüge bzw. Sprünge mit Drachen,51 Fallschirmen,52 Gleitsegeln (Paraglidern bzw. Gleit-
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BGH 30.11.1983 VersR 1984 155; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 52. Grewing Entstehungsgeschichte S. 21. BGH 30.11.1983 VersR 1984 155; OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146, 1147; OLG Köln 22.12.1988 RuS 1989 66; OLG Oldenburg 20.8.1986 NJW-RR 1986 1474; LG Bielefeld 13.12.1977 VersR 1978 1017. LG Traunstein 11.11.1996 VersR 1997 1521 1522 = RuS 1998 262. LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298. VerBAV 1984 10; GB BAV 1983 83 Nr. 910. LG Oldenburg 22.2.1988 VersR 1989 178. OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146,
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1147; a.A. offenbar LG Traunstein 11.11.1996 VersR 1997 1521 1522; auch Wussow/Pürckhauer 5 § 4 Anm. 8. Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 4 AUB 61 Rn. 8. OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146, 1147; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 55. BGH 16.6.1999 VersR 1999 1224, 1225. LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 4 AUB 61 Rn. 8 f. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 57. OLG Nürnberg 12.11.1979 VersR 1980 233. LG Oldenburg 22.2.1988 VersR 1989 178.
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Unfälle infolge Luftfahrtrisiken
AUB 2008 Ziff. 5.1.4
schirmen),53 Luftschirmen,54 Motorseglern 55 oder Ultraleichtflugzeugen (ohne Propellerbetrieb).56 Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Fortbewegung mit Fluggerät, das von § 4 Nr. 3a AUB 61 nicht erfasst ist, zu Sportzwecken erfolgt. Zahlreiche Erscheinungsformen der Luftfahrt sind als Sport zu bezeichnen (z.B. Segelfliegen, Drachenfliegen oder Paragliding), ohne dass ihnen dadurch die gleichzeitige Zuordnung zur Luftfahrt genommen würde.57 2. AUB 88 Während § 4 Nr. 3 AUB 61 als Sondergefahrenregelung gestaltet war, deren besondere 12 Voraussetzungen der Anspruchsteller zu beweisen hatte (Rn. 35), wurden die nicht gedeckten Luftfahrtrisiken in § 2 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88 in einer Ausschlussbestimmung zusammengefasst. Für Luftfahrtrisiken besteht danach solange Versicherungsschutz, wie nicht einer der vom VR zu beweisenden (Rn. 37) Ausschlusstatbestände vorliegt.58 Materiell-rechtlich ist in den AUB 88 der Versicherungsschutz gegenüber den AUB 61 nicht weiter eingeschränkt, sondern im Wesentlichen unverändert geblieben.59 Zwar ist einerseits nun die Benutzung von Motorseglern und Ultraleichtflugzeugen, die den Propellerflugzeugen i.S.v. § 4 Nr. 3a AUB 61 zuzuordnen sind, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, jedoch wirkt sich dies in der Praxis nicht aus, da diese Art von Flugzeugen typischerweise nicht zur Beförderung von Fluggästen auf Reise- oder Rundflügen eingesetzt werden.60 Anderseits kann nach den AUB 88 der Fluggast eines (motorbetriebenen) Luftschiffes – in Abweichung von den AUB 61 – Versicherungsschutz beanspruchen.61 Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4a AUB 88 sind Unfälle der versicherten Person vom Versiche- 13 rungsschutz ausgeschlossen, die diese bei der Benutzung von Luftfahrzeugen (Fluggeräten) ohne Motor, Motorseglern, Ultraleuchtflugzeugen und Raumfahrzeugen sowie beim Fallschirmspringen erleidet. • Die Aufzählung der Fluggeräte in den AUB 88 erfolgte in Anlehnung an die damalige Fassung des § 1 Abs. 2 LuftVG.62 Auf diese Legaldefinition kann indes für die Auslegung des Begriffs „Luftfahrzeuge“ in den AUB nicht zurückgegriffen werden; denn die Vorschriften des LuftVG haben in erster Linie die Aufgabe, die Sicherheit des Luftverkehrs zu regeln.63 Sie zielen nicht darauf ab, versicherungsrechtliche Risikobegrenzungen zwischen VR und VN näher auszugestalten. Da sich die AUB an die Allgemeinheit wenden, ist vielmehr nach den für die Auslegung von AVB (AUB) geltenden Regeln (Vorbem. Ziff. 1 Rn. 57 ff.) auf den allgemeinen Sprachgebrauch des täglichen Lebens abzustellen.64 • Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und der allgemeinen Verkehrsanschauung werden zu den Luftfahrzeugen alle Gegenstände (Flugvorrichtungen) gerechnet, die (als Ganzes) für die Benutzung des Luftraums bestimmt sind und der Eigenschaft der Luft bedürfen, um sich in ihr zu
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LG Traunstein 11.11.1996 VersR 1997 1521 1522. BGH 27.4.1988 VersR 1988 714 = RuS 1988 244 = VerBAV 1988 331. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 55. LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298, 299. LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298, 299. Konen/Lehmann S. 14 f. LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298, 299.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 50. Konen/Lehmann S. 15; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 46 Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 29; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 50. BGBl. 1981 I 61; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 46; Konen/Lehmann S. 14. BGH 27.4.1988 VersR 1988 714 = RuS 1988 244 = VerBAV 1988 331; OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146, 1147. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 49; Kloth Rn. K 59.
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Unfallversicherung
halten.65 Unerheblich ist dabei, ob die Flugvorrichtung leichter oder schwerer als Luft ist, lenkbar, motorgetrieben, gefesselt oder frei beweglich ist, zu Lande oder Wasser startet oder landet, der sportlichen Betätigung oder der zielgerichteten Beförderung dient.66 Luftfahrzeuge i.S.d. Ausschlusses sind neben den in § 2 Abs. 1 Nr. 4a AUB 88 ausdrücklich angesprochenen Motorseglern, Ultraleichtflugzeugen, Raumfahrzeugen und Fallschirmen u.a. Ballons, Drachen (Hängegleiter, Drachenfallschirme oder Schirmdrachen),67 Gleitsegel (Paraglider bzw. Gleitschirme) 68 oder Luftschirme.69 Nicht unter den Ausschluss fallen dagegen Unfälle durch den Gebrauch von Flugmodellen, Kinderdrachen oder anderen Luftfahrzeugen bzw. Fluggeräten, die nicht der Fortbewegung von Menschen durch den Luftraum dienen.70 Hier handelt es sich typischerweise um Alltagsgefahren, auf deren Ausschluss vom Versicherungsschutz § 2 Abs. 1 Nr. 4a AUB 88 seinem Regelungszweck entsprechend nicht abzielt.
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Benutzung eines Luftfahrzeugs bedeutet, dass das Fluggerät zum Zweck der Fortbewegung im Luftraum eingesetzt wird.71 Die zeitliche Spanne der Benutzung umfasst den Vorgang vom Start bis zur Landung.72 Benutzung geht dabei über den eigentlichen Flug hinaus und schließt auch die unmittelbaren Vor- und Nacharbeiten mit ein.73 Dazu zählen etwa das Ein- und Ausladen von Gepäck, der eigentliche Ein- oder Ausstieg in das Fluggerät, aber auch das Betreten bzw. Verlassen der Hilfsmittel (Gangway, Treppe, Leiter), die notwendigerweise genutzt werden, um in das/aus dem Fluggerät zu gelangen. Der Ausschluss betrifft dagegen nicht Unfälle im Warteraum bzw. der Wartehalle des Flughafens.74 Die Benutzung eines Luftfahrzeugs erstreckt sich des Weiteren nicht auf das bloße Betreten des Luftfahrzeugs am Boden zur Wartung, Reparatur, Reinigung oder Besichtigung im Rahmen einer Veranstaltung, Ausstellung oder Inspektion.75 Ausgeschlossen sind im Übrigen nur versicherte Personen, die Benutzer sind. Der Tatbestand greift also nicht etwa für Zuschauer ein.76 15 Der Zusammenhang zwischen der Benutzung der in § 2 Abs. 1 Nr. 4a AUB 88 genannten Luftfahrzeuge und dem Unfall wird durch das Wort „bei“ bewirkt. Dieses Wort ist nicht i.S.v. adäquater Kausalität, sondern zeitlich zu verstehen.77 Anderenfalls hätten die Bedingungsgeber das Wort „durch“ verwendet; offenbar befürchteten sie aber Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen luftspezifischen und normalen Risiken. Synonyme für „bei“ sind „während“ oder „anlässlich“. Daraus folgt (nach allerdings umstrittener Ansicht), dass alle Arten von Unfallereignissen bei der Benutzung eines Luft- bzw. Raumfahrzeugs ausgeschlossen sind, und zwar unabhängig davon, ob sich in ihnen eine spezielle Gefahr der Luft- oder Raumfahrt verwirklicht oder nicht.78 Neben typischen Luftund Raumfahrtgefahren wie z.B. Explosion, Absturz, heftiger Aufprall bei der Landung, Sturzflug sind folglich auch Stürze, Bisse durch Tiere, Verletzungen durch Quetschungen, 65 66 67 68 69 70 71
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Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 71. BGH 27.4.1988 VersR 1988 714; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 49; Kloth Rn. K 59. OLG Nürnberg 12.11.1979 VersR 1980 233 f. LG Traunstein 11.11.1996 VersR 1997 1521 1522. BGH 27.4.1988 VersR 1988 714. S.a. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 51. BGH 27.4.1988 VersR 1988 714 = RuS 1988 244; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 48; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 71; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 51. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 48; Beck-
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mann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 71. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 30; zust. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 126; a.A. Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 71. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 48. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 51. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 30. So bereits Henke S. 77. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 47; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 52; a.A. Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 218; ferner Wüstney § 4 Anm. 7; zweifelnd auch Henke S. 77.
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herabstürzende Gegenstände usw. vom Ausschluss erfasst. Einschränkend ist allerdings dem Zweck des Ausschlusses Rechnung zu tragen. So begründet einerseits ein Unfall beim planmäßig betriebenen Fallschirmspringen unproblematisch keine Leistungspflicht des VR. Anders ist dies aber, wenn die versicherte Person zur Abwehr größerer Gefahren den Fallschirm nutzt, also z.B. als Fluggast mit einem Rettungsfallschirm abspringt, um wegen des drohenden Absturzes des Flugzeuges das eigene Leben zu retten. Erleidet die versicherte Person dann einen Unfall, so greift der Ausschluss nicht ein. Würde sich der VR trotzdem auf § 2 Abs. Nr. 4a AUB 88 berufen, so verhielte er sich arglistig. Die versicherte Person hat dem Gedanken der Schadenabwendungs- und Rettungspflicht (vgl. §§ 62, 183 VVG a.F) Rechnung getragen.79 Vom VR gewünschtes Verhalten der versicherten Person kann aber nicht mit Eingreifen eines Ausschlusses „bestraft“ werden. 3. AUB 94 Die AUB 94 änderten den Aufbau von § 2 Abs. 1 Nr. 4 AUB 88. Die in den AUB 88 16 getroffene Unterscheidung zwischen „Unfällen bei der Benutzung von Luftfahrzeugen …“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 4a AUB 88) und „Unfällen als Luftfahrzeugführer …“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 4b AUB 88) wurde für systematisch unbefriedigend erachtet. Des Weiteren war der neuen Fassung des § 1 LuftVG vom 23.7.1992 80 Rechnung zu tragen.81 Zukünftig sollte jede versicherte Person als Fluggast eines Luftfahrzeugs der im LuftVG unter § 1 Abs. 2 Nr. 1–11 genannten Art Unfallversicherungsschutz beanspruchen können, sofern sie nicht Fluggast eines Raumfahrzeugs gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4c AUB 94 ist.82 Bis dahin nicht gedeckte Tatbestände (z.B. Fluggastrisiko in einem Segelflugzeug oder Ultraleichtflugzeug, Ballonfahrten als Freizeitspaß) wurden in den Schutz der AUB einbezogen.83 4. AUB 99/2008 In Ziff. 5.1.4 AUB 99 wurde § 2 Abs. 1 Nr. 4 AUB 94 unverändert übernommen. Die 17 Bedingungsgeber lehnten die Schaffung eines neuen Ausschluss für das Bungee-Springen ab.84 Die VVG-Reform 2008 machte keine Anpassung des von Ziff. 5.1.4 AUB 99 notwendig. Da auch keine neueren Entwicklungen in der Rechtsprechung Rechnung zu tragen war, wurde der Ausschluss unverändert in die AUB 2008 übernommen.
B. Tatbestand 18
Der Ausschluss erfasst folgende Personengruppen:
I. Flugpersonal Keinen Versicherungsschutz nach Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008 (1. Spiegelstrich) bzw. § 2 19 Abs. 1 Nr. 4a AUB 94 (ähnlich § 2 Abs. 1 Nr. 4b AUB 88) hat die versicherte Person, die ein Luftfahrzeug (auch Luftsportgerät) führt, soweit sie dafür nach deutschem Recht eine
79 80 81 82
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 49. BGBl. 1992 I 1370. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 46. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 46.
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Stockmeier/Huppenbauer S. 52; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 70. Stockmeier/Huppenbauer S. 52.
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Erlaubnis benötigt (§ 4 LuftVG i.V.m. § 1 Abs. 2 LuftVG), oder ein sonstiges Besatzungsmitglied eines Luftfahrzeugs ist. 1. Betroffener Personenkreis
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Der Ausschluss betrifft das „fliegende Personal“ und „Flugzeugpersonal“, also alle Personen, die dazu bestimmt sind, das Luftfahrzeug zu führen oder den verantwortlichen Luftfahrzeugführer dabei zu unterstützen oder sonst im Auftrag des Veranstalters Dienste im Flugzeug zu verrichten haben.85 • Luftfahrzeugführer ist derjenige, der das Luftfahrzeug entsprechend seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch vom Start- bis zum Landevorgang auf dem Boden und in der Luft selbst verantwortlich steuert oder verantwortlich die dafür notwenigen Befehle erteilt.86 Dies trifft zunächst auf den Piloten zu. Ob entsprechendes auch für andere mit Führungsaufgaben betraute Personen wie z.B. den Copiloten gilt, kann offen bleiben; sie sind jedenfalls „sonstige Besatzungsmitglieder“. • Zu den Besatzungsmitgliedern gehören alle Insassen des Flugzeugs, die im Rahmen des Fluges Aufgaben zu erfüllen haben, also z.B. die Flugsicherheit gewährleisten, Technik des Luftfahrzeugs bedienen, den Service für die Insassen leisten oder Gepäck und Fracht verstauen und kontrollieren.87 Besatzungsmitglieder sind damit neben dem Luftfahrzeugführer der Copilot, Navigator, Funker, Bordmechaniker, aber auch Personen mit nichttechnischen Tätigkeiten wie Stewards/ Stewardessen, Bordkoch, Bordarzt oder Sicherheitsbeamte bzw. -angestellte.88 Erfasst sind weiterhin Personen, deren Aufgabe es ist, besondere Geräte oder Apparate medizinischer, militärischer, nachrichtentechnischer oder sonstiger Art zu bedienen, mit denen das Luftfahrzeug zur Wahrnehmung von Spezialaufgaben ausgerüstet ist (z.B. Rettungshubschrauber oder -flugzeuge).89 Keine Bedeutung für die Eigenschaft als Besatzungsmitglied hat der Umfang oder die Wichtigkeit der Dienste. Maßgebend ist allein, ob die Personen für ihre Ableistung im Luftfahrzeug von vornherein vorgesehen und bestimmt worden sind.90
Unerheblich ist, ob • die Personen zur Bedienung des Luftfahrzeugs notwendig sind oder weniger Personen ausreichend wären.91 Deshalb kommt es z.B. nicht darauf an, ob das Luftfahrzeug von einem Piloten ohne Mithilfe der versicherten Person geführt werden könnte.92 • welche Mindestanforderungen öffentlich-rechtliche Vorschriften stellen; sie stehen einer Ausweitung der Besatzung nicht entgegen.93 • die Tätigkeit häufig oder selten ausgeübt wird. Damit sind z.B. auch Teilzeitkräfte oder Aushilfen erfasst, die nur phasenweise oder selten als Flugpersonal arbeiten. • es sich um professionell tätige Personen oder um Hobby- bzw. Freizeitpiloten o.ä. handelt.
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Ferner sind Unfälle bei Übungs-,94 Trainings-, Schulungs-95 oder Probeflügen vom Ausschluss erfasst. Die Fluglehrer gelten als Luftfahrzeugführer.96 Dies entspricht sowohl dem allgemeinen Verständnis als auch § 4 Abs. 4 LuftVG. Jedenfalls sind sie Besatzungsmitglieder. Flugschüler bzw. die Personen, die zusätzliche fliegerische Erfahrung unter
85
86 87 88
BGH 30.11.1983 VersR 1984 155; OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146, 1147; OLG Oldenburg 20.8.1986 NJW-RR 1986 1474; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 29. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 50. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 54. Kloth Rn. K 60; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 72; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 29.
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89 90 91 92 93 94 95 96
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 55. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 50; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 58. OLG Oldenburg 20.8.1986 NJW-RR 1986 1474. BGH 30.11.1983 VersR 1984 155. BGH 30.11.1983 VersR 1984 155. LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298. LG Traunstein 11.11.1996 VersR 1997 1521 1522. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 50.
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Aufsicht eines erfahren Piloten gewinnen wollen, sind zwar nicht Luftfahrzeugführer, jedoch sonstigen Besatzungsmitgliedern gleichzustellen. Die planmäßige Vornahme fliegerischerer Verrichtungen schließt die (versicherte) reine Fluggasteigenschaft aus.97 Kein Versicherungsschutz besteht auch für sonstige Personen, die an einem Flug teilnehmen, um dabei in der Bedienung des Luftfahrzeugs oder der Betreuung und Sicherung der Gäste bzw. Fracht geschult zu werden. Dies gilt unabhängig davon, ob sie flugspezielle Tätigkeiten verrichten oder nicht.98 2. Abgrenzung zu Fluggästen Vom Flugpersonal sind die zu befördernden Fluggäste abzugrenzen. Deren allgemei- 22 nes Flugunfallrisiko ist versichert und zwar unabhängig davon, ob die Beförderung als Fluggast entgeltlich oder unentgeltlich,99 freiwillig oder unfreiwillig (als Strafgefangener oder Geisel) erfolgt.100 Für etwaige Differenzierungen gibt weder der Wortlaut der verschiedenen AUB-Generationen noch der Sinn des Ausschlusses etwas her. Anders als die AUB 61, die Versicherungsschutz nur für Reise- oder Rundflüge vorsahen, stellen die AUB 88/94/99 auch nicht mehr auf die Art des Fluges ab. Auf Grundlage der neueren Bedingungswerke besteht mithin Unfallversicherungsschutz für Fluggäste bei einem Kunstflug.101 Entsprechendes gilt für Probe- oder Erkundungsflüge.102 Versicherungsschutz besteht des Weiteren für den „blinden Passagier“,103 mag sein Unfall auch auf einer gegenüber der normalen Passagiersituation erhöhten Gefahrenlage beruhen (z.B. fehlender Sitzplatz mit Gurt). Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008 gibt ebenso wie seine Vorgängerregelungen für eine Sonderbeurteilung des blinden Passagiers keinen Anhaltspunkt. Der Versicherungsschutz kann aber nach Ziff. 5.1.2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 2 AUB 61) im Hinblick auf § 265a StGB ausgeschlossen sein. Versicherte Fluggäste können weiterhin Personen sein, die in der Luftfahrt als Besat- 23 zungsmitglied, z.B. als Pilot von Passagier-, Transport- oder Militärmaschinen tätig sind bzw. spezielle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse zum Luftverkehr haben, aber bei dem Unfallflug als „normale Passagiere“ (z.B. außerdienstlich bzw. in ihrer Freizeit) mitfliegen, also nur dem allgemeine Verkehrs- und Reiserisiko ausgesetzt sind.104 Die Fluggasteigenschaft beginnt in diesen Fällen mit Ende der Zugehörigkeit zur Besatzung bzw. endet mit dem Beginn der Besatzungszugehörigkeit.105 Die Eigenschaft als Fahrgast ist dann zu verneinen, wenn • im Voraus für den konkreten Unfallflug die Möglichkeit abgesprochen war, eine fliegerische Tätigkeit zu verrichten,106 also z.B. hilfsweise das Flugzeug zu steuern oder die Flugführung durch Hilfsdienste zu unterstützen.107 Vielmehr greift in einem solchen Fall – von Beginn des Fluges an – der Ausschluss in Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008 (1. Spiegelstrich) ein, und zwar unabhängig davon, ob die betreffende versicherte Person tatsächlich bis zum Eintritt des Unfalls zum Einsatz gekommen ist oder nicht 108 bzw. noch später (ohne das Unfallereignis) die vorgesehene
97 98 99 100 101 102 103
LG Bielefeld 13.12.1977 VersR 1978 1017. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 57. So bereits zu den AUB 61 Grewing Entstehungsgeschichte, S. 20. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 218. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 47. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 50. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 218.
104 105 106
107 108
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 53. BGH 30.11.1983 VersR 1984 155. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 29; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 125. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 54. OLG Oldenburg 20.8.1986 NJW-RR 1986 1474; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 29; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 57 f.
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Tätigkeit ausgeübt hätte; denn bereits durch die Absprache mit dem Halter des Flugzeugs, dessen Stellvertreter oder dem Piloten, die versicherte Person solle sich für den konkreten Flug zur Übernahme technischer Tätigkeiten bereit halten, wird die versicherte Person in die Besatzung eingegliedert. Sie übernimmt dadurch „besondere Besatzungswagnisse“,109 für die der VR auf Grundlage der AUB nicht einstehen will. • die versicherte Person auf dem konkreten Flug bereits als Besatzungsmitglied eingesetzt wurde. Sie wird nicht dadurch zum Fluggast, dass ihre berufliche Tätigkeit während des Fluges zu einem bestimmten Zeitpunkt endet und sie danach wie ein normaler Passagier auf einem Fluggastplatz mitfliegt.110 Im Regelfall wird davon auszugehen sein, dass die versicherte Person auch nach der eigentlichen Beendigung ihres Dienstes bei Bedarf „aushelfen“ wird.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei einem Flug mit Zwischenlandungen um versicherungsrechtlich mehrere Flüge handelt (Rn. 5). Reist also z.B. der Pilot des ersten Flugstücks nach der Zwischenlandung ohne berufliche Verpflichtung als „normaler“ Passagier in dem Flugzeug weiter, so besteht Unfallversicherungsschutz. 24 Fraglich ist, ob die Fluggasteigenschaft aufgehoben wird, wenn es ohne vorherige Absprachen mit den Verantwortlichen zu einem Eingriff durch die versicherte Person kommt. Z.T. wird die Auffassung vertreten, die Unterstützung des Piloten mit Hilfsdiensten führe dazu, dass sich die versicherte Person in den Bereich des Besatzungswagnisses begebe und dem fliegenden Personal zuzurechnen sei. Anderes gelte nur, wenn die Hilfsdienste des Fluggastes keinen Bezug zum Besatzungswagnis hätten (z.B. Halten von Karten, Versorgung des Personals oder anderer Passagiere mit Nahrungsmitteln).111 Dieser Ansicht ist nur begrenzt zuzustimmen. Richtig ist es, dass kleine Handreichungen oder gelegentliche Hilfeleistungen, wie sie auch sonst im täglichen Leben vorkommen, nicht dazu führen, dass die versicherte Person ihre Eigenschaft als Fluggast verliert und Besatzungsmitglied wird.112 Umgekehrt trifft es im Grundsatz auch zu, dass eine versicherte Person als Besatzungsmitglied anzusehen ist, wenn sie ohne vorherige Absprache, sondern erst während des Fluges auf eigene Anregung oder Bitten des Flugpersonals (ohne besondere Veranlassung oder zwingende Notwendigkeit) flugtypische Aufgaben eines Besatzungsmitglieds übernimmt.113 Sie ist dann ab dem Zeitpunkt der Vereinbarung Besatzungsmitglied.114 Indes ist hier eine Einschränkung vorzunehmen: Die Fluggasteigenschaft wird dann nicht aufgehoben, wenn es aufgrund einer besonderen Gefahrenlage oder eines Notfalls zu einem nicht vor Flugbeginn abgesprochenen Eingriff kommt.115 Hier trägt die versicherte Person – u.U. gerade aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse – zur Schadensminderung bei, die im Interesse des VR liegt. Ein Berufen des VR auf den Ausschluss, wenn die versicherte Person Maßnahmen zur Rettung des Luftfahrzeugs und seiner Insassen ergreift, müsste als arglistig gewertet werden. Es wäre z.B. nicht verständlich, wenn der auf Urlaubsreise befindliche Pilot die Bitte um Hilfe, die nur er aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung leisten kann, zur Wahrung seines Unfallversicherungsschutzes ablehnen und sich „sehenden Auges“ größeren Gefahren aussetzen müsste.
109
110 111 112 113 114
BGH 30.11.1983 VersR 1984 155 f.; OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146, 1147; Grimm 4 Rn. 54. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 54; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 59. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 54. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 56 und 60. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 57. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 58.
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BGH 30.11.1983 VersR 1984 155, 156; OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146, 1147; OLG Oldenburg 20.8.1986 NJW-RR 1986 1474; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 59; ferner Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 29; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 72; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 29.
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II. Berufsausübung mit Hilfe eines Luftfahrzeuges Der Versicherungsschutz ist gemäß Ziff. 5.1.4 (2. Spiegelstrich) bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 4b 25 AUB 94 bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 4c AUB 88 ausgeschlossen, wenn sich der Unfall der versicherten Person bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit mit Hilfe eines Luftfahrzeuges ereignet. Genauso wie bei dem fliegenden Personal (Luftfahrzeugführer und sonstige Besatzungsmitglieder) handelt es sich nicht um Fluggäste, bei denen die Benutzung des Fluggeräts der Beförderung oder dem (passivem) Vergnügen dient.116 1. Berufsausübung Die Formulierung des Ausschlusses ist nicht geglückt. Wird allein auf den Wortlaut 26 „bei einer mit Hilfe eines Luftfahrzeugs auszuübenden beruflichen Tätigkeit“ abgestellt, so kann daraus leicht eine ausufernde Anwendung des Ausschlusses resultieren; denn dann wären auch versicherte Personen erfasst, die berufsbedingt häufig wechselnde Einsatzorte mittels eines Fluggeräts erreichen wollen (z.B. Geschäftsleute, Politiker, Künstler). Dieses weite Verständnis wird indes nicht vom erkennbaren Zweck des Ausschlusses gedeckt.117 Nicht in den Anwendungsbereich des Ausschlusstatbestandes fallen deshalb Fluggäste, denen das Luftfahrzeug ausschließlich zur Beförderung von einem Ort zu einem anderen dient (vgl. auch § 4 Nr. 3a S. 2 AUB 61, Rn. 9),118 mag es sich bei ihnen auch um „Vielflieger“ oder Personen handeln, die an wechselnden Orten arbeiten oder die Flugzeit für ihre berufliche Tätigkeit nutzen. Anderenfalls bliebe es dem Zufall überlassen, ob solche Personen Unfallversicherungsschutz hätten: Wählen sie etwa das Flugzeug, so greift der Ausschluss ein. Der Versicherungsschutz besteht dagegen, wenn sie die Eisenbahn oder den Geschäftswagen nutzen. Eine dahingehende Differenzierung ist nicht nachvollziehbar. Der Ausschluss soll nur Tätigkeiten erfassen, die regelmäßig besonderer Flugbewe- 27 gungen bedürfen und ohne diese nicht denkbar wären. Hier kommt es durch außergewöhnliche Umstände oder Verhaltensweisen der versicherten Person zu einer Gefahrerhöhung, die die Anwendung des Ausschluss rechtfertigt.119 Mit Hilfe eines Luftfahrzeugs üben z.B. mitfliegende Personen ihren Beruf aus, wenn sie Aufgaben der Verkehrsüberwachung wahrnehmen, in der Landwirtschaft Schädlinge bekämpfen, als Pressefotograf usw. Luftbilder aufnehmen oder Straftäter verfolgen.120 Entsprechendes gilt für (Not-)Ärzte oder medizinisches Personal in speziellen Rettungshubschraubern oder „fliegenden Lazaretten“, sofern der Flug nicht ausschließlich zu Transportzwecken erfolgt.121 Solche Personen werden im übrigen jedenfalls als Besatzungsmitglieder zu bewerten sein und unter den Ausschluss nach Ziff. 5.1.4, 1. Spiegelstrich AUB 99/2008 fallen. Einigkeit besteht dagegen darüber, dass Personen, die lediglich zur Ausübung ihres Berufes auf dem Land oder Wasser als „normale Passagiere“ mit dem Flugzeug transportiert werden, Versicherungsschutz haben. Dies gilt etwa für Seelotsen oder Ärzte, die mit dem Hubschrauber zu einem Schiff oder zu einer Unglücksstelle gebracht werden.122 Muss die versicherte Person dann allerdings das Luftfahrzeug aufgrund ihrer beruflichen 116 117
118
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 51. I.E. genauso bereits Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 51; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 61; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 73. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 29.
119 120
121 122
Konen/Lehmann S. 15. S. etwa Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 30; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 62. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 51. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 53; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 62.
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Tätigkeit in allgemein nicht üblicher Art verlassen, so greift der Ausschluss wieder durch.123 Dies trifft etwa auf das Abseilen eines Arztes bei einer Bergwachtübung124 oder u.U. auf bestimmte Lotsentätigkeiten zu. Es kommt zu einer Gefahrerhöhung infolge Luftfahrtrisiken, die durch den Tatbestand ersichtlich gerade ausgeschlossen werden sollen. 2. Zusammenhang zwischen Berufsausübung und Unfall
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Ebenso wie § 2 Abs. 1 Nr. 4a AUB 88 formuliert Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008 „bei … beruflicher Tätigkeit“. Insofern kann auf die zu den AUB 88 getroffenen Auslegungsergebnisse verwiesen werden (Rn. 15). „Bei“ ist demnach umfassend zu verstehen und schließt alle Arten von Unfallereignissen ein, die in einem persönlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen: • Der Ausschluss erfasst nur den z.Z. des Unfalls Berufstätigen, nicht etwa Zuschauer (Rn. 14). • Der Ausschluss beschränkt sich nicht nur auf den eigentlichen Flug, sondern schließt auch die unmittelbaren Vor- und Nacharbeiten mit ein. • Eine Begrenzung auf die Verwirklichung typischer Luftfahrtgefahren findet nicht statt.
III. Benutzung von Raumfahrzeugen 29
Gemäß Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008 (3. Spiegelstrich) sind Unfälle der versicherten Person vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, die diese bei der Benutzung von Raumfahrzeugen erleidet. • Raumfahrzeuge, Raketen und ähnliche Flugkörper gelten nach § 1 Abs. 2 S. 2 LuftVG als Luftfahrzeuge, solange sie sich im Luftraum befinden. Daraus wird z.T. für Fluggäste geschlossen, der Ausschluss greife erst dann ein, wenn das Raumfahrzeug den Luftraum verlassen habe.125 Dieses einengende Verständnis ist indes mit dem Wortlaut der Klausel nicht vereinbar. Ausschlaggebend für die Auslegung ist das Verständnis eines durchschnittlichen VN ohne Spezialkenntnisse (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57). Der verständige VN, der regelmäßig Einzelbestimmungen oder Fiktionen des LuftVG nicht kennen wird, versteht die Formulierung „bei Benutzung von Raumfahrzeugen“ umfassend. Er wird davon ausgehen, dass der Versicherungsschutz für die versicherte Person bereits dann ausgeschlossen ist, wenn das Raumfahrzeug betrieben bzw. gestartet wird. • Der Begriff „Benutzung“ findet sich bereits in § 2 Abs. 1 Nr. 4a AUB 88 und § 2 Abs. 1 Nr. c AUB 94 (Rn. 14). Er ist in den AUB 99/2008 ebenso auszulegen. • Die Verknüpfung zwischen der Benutzung von Raumfahrzeugen und dem Unfall erfolgt in gleicher Weise wie in Ziff. 5.1.4 (2. Spiegelstrich) AUB 99/2008 (oder § 2 Abs. 1 Nr. 4b und c AUB 94, § 2 Abs. 1 Nr. 4a AUB 88) durch das Wort „bei“. Insofern kann auf die dort gemachten Ausführungen verwiesen werden (Rn. 15).
C. Wirksamkeit des Ausschlusses 30
Der Ausschluss ist – soweit ersichtlich – bisher AGB-rechtlich nur vereinzelt angegriffen worden. Er ist nicht überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB (§ 3 AGBG). Des Weiteren hält er einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB (§§ 9 AGBG) stand. Dass VR
123 124
A.A. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 29. LG München II 27.4.1989 VersR 1990 40; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 51.
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So Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 46.
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Unfälle infolge Luftfahrtrisiken
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bestrebt sind, besonders hohe Risiken der Luftfahrt vom Versicherungsschutz auszunehmen, dürfte jedem vernünftig Denkenden einleuchten.126 Bei einer Neuauflage könnte lediglich erwogen werden, noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, dass es für das Eingreifen des Ausschlusses nicht auf die Realisierung einer adäquat kausalen Gefahr des Luft- oder Raumverkehrs ankommt und insbesondere mit dem Wort „bei“ im Tatbestand vorrangig ein zeitlicher Zusammenhang zum Ausdruck gebracht wird (Rn. 15). Des Weiteren könnte in Ziff. 5.1.4, 2. Spiegelstrich AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 4b AUB 94, § 2 Abs. 1 Nr. 4c AUB 88) unmissverständlich klargestellt werden, welche beruflichen Tätigkeiten erfasst sein sollen, dass also Berufstätigkeiten gemeint sind, die besondere Flugbewegungen erfordern, nicht jedoch viel reisende Geschäftsleute, Politiker, Industrielle usw. betroffen werden. (Rn. 26 f.).
D. Konkurrenzen Trotz Vorliegens der Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes kann der VR ver- 31 pflichtet sein, nach den allgemeinen Grundsätzen der Vertrauenshaftung zu leisten oder Schadensersatz wegen eines Beratungsverschuldens zu zahlen.127 Dies gilt ohne weiteres, wenn der Versicherungsinteressierte nach dem Einschluss des Flugrisikos gefragt hat und der Versicherungsvermittler dies fälschlicherweise bestätigt hat. Die Leistungsverpflichtung für den VR ergibt sich aber auch in dem Fall, dass der Versicherungsvermittler nicht auf den Ausschluss hinweist, obwohl ihm deutlich erkennbar war, dass die Absicherung des Flugrisikos wesentliche Motivation für den Kunden zum Abschluss des Versicherungsvertrages ist, z.B. weil der Versicherungsinteressent erklärt, er nehme eine Ausbildung zum Piloten oder Flugbegleiter auf und wolle wegen der damit verbundenen Unfallrisiken für sich und seine Angehörigen eine Absicherung schaffen. Der Versicherungsvermittler muss selbst dann, wenn der Versicherungsinteressent ohne weitere Angaben zu seiner persönlichen Lebenssituation lediglich als Beruf „Pilot“ oder „Flugbegleiter“ mitteilt, auf den Ausschluss hinweisen. Da der durchschnittliche Versicherungsinteressierte den Ausschluss für Flugrisiken nicht kennt, wird er – wie im Regelfall üblich – eine 24-Stunden-Deckung erwarten. Das Eingreifen des Ausschlusses führt dagegen dazu, dass Unfallversicherungsschutz nur für den Privatbereich, nicht aber während der Arbeitszeit eingreift, also eine erhebliche Lücke im Unfallversicherungsschutz besteht.128
E. Speziellere AVB Der Ausschluss von Luftfahrtunfällen unterliegt der Disposition der Vertragsparteien. 32 Er kann zum einen vollständig gestrichen werden. Entsprechende Abweichungen von Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008 sehen die Besonderen Bedingungen für die Mitversicherung von Luftfahrt-Unfällen in der Allgemeinen Unfallversicherung 129 bzw. Besondere Bedingungen für die Versicherung von Luftfahrt-Unfällen 130 vor. Zum anderen kann – unabhän126
127
Jeweils zu § 4 Nr. 4 AUB 61: LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298, 299 = RuS 1990 69; LG Traunstein 11.11.1996 VersR 1997 1521 1522. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 126; s.a. LG München I 6.10.1989 VersR 1990 298, 299 (die Frage war i.E. mangels ent-
128 129 130
sprechendem Sachvortrag nicht entscheidungserheblich). Schubach RuS 2002 177, 182. VerBAV 1992 236 (dazu auch GB BAV 1992 77 Nr. 9.2.1). Stockmeier/Huppenbauer S. 144.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.4
Unfallversicherung
gig von der Ausgestaltung der AUB – durch besondere Vereinbarung Versicherungsschutz (gegen Zusatzbeitrag) für die wirtschaftlichen Folgen eines Unfalls im Zusammenhang mit dem Luftverkehr begründet werden (s.a. Vorbem. § 178 VVG Rn. 53). Die Flugunfallversicherung hat (als Ergänzung zur allgemeinen Unfallversicherung) schon eine längere Entstehungsgeschichte.131 Meist liegt eine Fremdversicherung für fremde Rechnung vor.132 Bei der Luftfahrt-Unfallversicherung handelt es sich – anders als bei der Luftfahrt-Haftpflicht- und der Luftfahrt-Kaskoversicherung – nicht um ein „Großrisiko“ i.S.v. Art. 10 EGVVG. Folgerichtig finden die für Großrisiken geltenden Ausnahmen von den besonderen Beratungs-, Informations- und Mitteilungspflichten des VR (§§ 6, 7) keine Anwendung. Der GDV hat seinem Mitgliedsunternehmen ein Muster für ein Produktinformationsblatt zur Verfügung gestellt. Es gibt verschiedene Arten der Luftfahrt-Unfallversicherung:133 33 • Die Luftfahrt-Unfallversicherung mit Namensangabe kann für versicherte Personen mit gleichen Risikomerkmalen in Form einer Einzel- oder Gruppen-Unfallversicherung sowohl für Fluggäste als auch Besatzungsmitglieder in Luftfahrtzeugen aller Art abgeschlossen werden. Sie kommt in der Praxis nur selten vor. • Die Luftfahrt-Unfallversicherung ohne Namensangabe zielt auf Personen oder Personengruppen ab, die nicht bestimmt, aber bestimmbar sind. Die Individualität der versicherten Person wird erst mit Eintritt des Versicherungsfalls bedeutsam. • Die Passagier-Unfallversicherung war bis zum 27.6.2004 obligatorisch bzw. als Pflichtversicherung in §§ 44, 50 LuftVG a.F. vorgesehen.134 Die meisten Länder (wie z.B. Deutschland) verlangen inzwischen nur noch den Abschluss einer Luftfrachtführer-Haftpflichtversicherung (vgl. § 50 LuftVG). • Die Sitzplatz-Unfallversicherung zielte ursprünglich auf die Personen ab, die nicht durch die obligatorische Passagier-Unfallversicherung erfasst waren. Über sie wurden im Wesentlichen Besatzungsmitglieder, Mitglieder von Luftsportvereinen oder Passagiere versichert, die den gesetzlichen Mindestversicherungsschutz überschreiten wollten. Ähnlich wie bei der Insassen-Unfallversicherung (Vorbem. § 178 Rn. 53) kommen bei der Sitzplatz-Unfallversicherung zwei Varianten in Betracht: Im Pauschalsystem werden pauschale Versicherungssummen für bestimmte Sitzplatzgruppen (z.B. Piloten- oder Fahrgastsitze) festgelegt. Tritt der Versicherungsfall ein, werden die pauschal festgelegten Versicherungssummen durch die Anzahlt der an Bord befindlichen versicherten Personen geteilt. Bei Zugrundlegung des Platzsystems ist dagegen für jeden einzelnen Platz eine bestimmte Versicherungssumme als Höchstbetrag festgelegt.
34
Die Luftfahrt-Unfallversicherung ist zunächst den gleichen gesetzlichen Vorschriften unterworfen wie die allgemeine Unfallversicherung.135 Vertraglich war sie zunächst in einer Reihe von Besonderen Bedingungen geregelt.136 Zu nennen sind etwa die: • Besonderen Bedingungen für die Boden-Unfallversicherung der Mitglieder von Luftsportvereinen;137 • Besonderen Bedingungen für die Boden-Unfallversicherung der Zuschauer bei gewerblichen Luftfahrtveranstaltungen;138 • Besonderen Bedingungen für die namentliche Luftfahrt-Unfallversicherung;139
131 132 133 134
135
Näher Möhrle S. 5 ff. Eingehend hierzu Möhrle S. 21 ff. Möhrle S. 17 ff. Zur Hinweispflicht des Anbieters eines Privatfluges gegenüber dem Fluggast im Fall fehlenden Versicherungsschutzes vgl. OLG Schleswig 1.7.2004 RuS 2005 391 (LS). S.a. Möhrle S. 40 ff.
956
136
137 138 139
Zu älteren Bedingungsfassungen s. etwa VerBAV 1966 110; VerBAV 1962 4 ff.; VerBAV 1959 5 f.; VerBAV 1958 106; VerBAV 1957 172; VerBAV 1954 130 ff.; VerBAV 1952 80 ff.; VerBAV 1951 21. VerBAV 1988 209; VerBAV 1985 347. VerBAV 1988 209; VerBAV 1985 347. VerBAV 1988 207; VerBAV 1986 419.
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Unfälle infolge Luftfahrtrisiken
AUB 2008 Ziff. 5.1.4
• Besonderen Bedingungen für die Sitzplatz-Unfallversicherung sowie die obligatorische PassagierUnfallversicherung (OPUV).140
Die Luftfahrt Unfallversicherungs-Bedingungen DLP 200/00 141 des Deutschen Luftpools fassten die spezifischen Risiken für Luftfahrtunfälle in ein umfassendes Bedingungswerk zusammen. Sie wurden in den Luftfahrt Unfallversicherungs-Bedingungen DLB 200/01142 überarbeitet. Auf den DLP 200/01 beruhen die unverbindlichen Musterversicherungsbedingungen für die Luftfahrt-Unfallversicherung (LUB 2008) des GDV,143 die den Vorgaben der VVG-Reform 2008 Rechnung tragen. Auf ihrer Grundlage besteht für die versicherte Person grundsätzlich Unfallversicherungsschutz vom Besteigen bis zum Verlassen eines Luftfahrzeugs unter Einschluss von Unfällen während des Ein- bzw. Aussteigens. Versichert sind auch Unfälle bei Zwischenlandungen während des Aufenthalts auf Flughäfen oder Landeplätzen, ferner bei Notlandungen im unmittelbaren Bereich des Luftfahrzeugs, bei der Benutzung von Luftsportgeräten, einschließlich der Landung, während einer erforderlichen Ersatzbeförderung für Fluggäste von Luftfahrtunternehmen (Ziff. 1 LUB 2008). Nicht versichert sind u.a. Unfälle von versicherten Personen, die sich nicht in Besitz der erforderlichen Erlaubnisse, Berechtigungen oder Befähigungsnachweise befunden haben oder Unfälle mit Luftfahrtzeugen, die sich nicht in einem ordentlichen Zustand befunden haben (Ziff. 4 LUB 2008). Vorlage für die LUB 2008 bilden die AUB 2008, ZB GruppenUV 2008, Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Serviceleistungen in der Unfallversicherung (BB Unfall-Service 99) und die Besonderen Bedingungen für die Versicherung der Kosten für kosmetische Operationen in der Unfallversicherung (BB KosmOp 99).
F. Verfahrensfragen Bei der Beurteilung der Beweislast ist zwischen den verschiedenen AUB-Generationen 35 zu unterscheiden:
I. AUB 61 Da § 4 Nr. 3 AUB 61 als Sondergefahrenregelung gestaltet ist, muss der VR den gene- 36 rellen Ausschluss „Luftfahrt“ – den Luftfahrunfall – beweisen, während demgegenüber der Anspruchsteller die Beweislast für die Gegenausnahme trägt, also dafür, dass die versicherte Person den Unfall als Fluggast bei einem Reise- oder Rundflug in einem Propeller- oder Strahlflugzeug oder in einem Hubschrauber erlitten hat.144 So hat z.B. der Anspruchsteller substantiiert vorzutragen und zu beweisen, dass es sich um einen Reiseoder Rundflug handelte, obwohl der Pilot Kunstflugfiguren durchgeführt hat.145 Des Weiteren gehen Unklarheiten darüber, ob die (im Besitz einer Flugerlaubnis befindliche) versicherte Person an dem Flug als Flugzeugführer oder als Fluggast teilgenommen hat,
140
141 142 143 144
VerBAV 1988 207 f.; VerBAV 1986 420; VerBAV 1980 232 (s. dazu auch GB BAV 1980 86 Nr. 811); VerBAV 1975 271; VerBAV 1972 290. Abgedruckt in Möhrle S. 167 ff. Abgedruckt in Möhrle S. 185 ff. Abrufbar unter www.gdv.de. OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146,
145
1147; OLG Köln 22.12.1988 RuS 1989 66; OLG Oldenburg 20.8.1986 NJW-RR 1986 1474; OLG Hamm 4.12.1981 VersR 1982 801; Prölss/Martin/Kollhosser 27 § 4 AUB 61 Rn. 10; offen lassend BGH 16.6.1999 VersR 1999 1224, 1225. OLG Hamburg 26.1.1988 VersR 1989 177, 178.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.4
Unfallversicherung
zu Lasten des beweispflichtigen VN. Dies gilt auch dann, wenn die versicherte Person auf dem Co-Pilotensitz Platz genommen hat, ohne dass sie ausdrücklich als Flugzeugführer im Flugplan eingetragen war.146 Um den Unfallversicherungsschutz im Interesse der versicherten Person oder bezugsberechtigten Person nicht unangemessen auszuhöhlen, wird z.T. erwogen, die Beweisanforderungen jedenfalls dann zu erleichtern, wenn sämtliche Insassen des Flugzeuges tödlich verunglückt sind und eine Klärung des tatsächlichen Geschehensablaufes ab Antritt nicht mehr möglich ist. In diesen Fällen soll es genügen, wenn der Anspruchsteller Mindesttatsachen nachweist, aus denen zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit folgt, dass die versicherte Person lediglich Fluggast gewesen sein kann.147 Diesem Ansatz ist indes nicht zu folgen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH hat der Anspruchsteller den Versicherungsfall (den Unfall mit Ausnahme der Unfreiwilligkeit) voll zu beweisen (§ 178 Rn. 168 ff.). Beweiserleichterungen kommen ihm dabei nicht zugute. Es besteht kein Anlass bei der Sondergefahrenregelung des § 4 Nr. 3 AUB 61 weniger streng zu verfahren. (Nicht zwingende) Indizien dazu, ob die versicherte Person als Fluggast oder als 37 Besatzungsmitglied mit geflogen ist, können sich aus dem Flugplan oder dem Bordbuch ergeben.148 Dafür, dass die versicherte Person die Unfallmaschine geführt hat, spricht es, wenn die versicherte Person den Sitz des verantwortlichen Luftfahrzeugführers eingenommen hatte. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um einen Übungsflug handelte und das Flugzeug von jedem der beiden Vordersitze aus bedient und gesteuert werden konnte. Auch ist dann die Annahme nicht gerechtfertigt, die versicherte Person habe sich nur zufällig auf dem Sitz des verantwortlichen Luftfahrzeugführers befunden, obwohl sie eigentlich nur mitfliegender Passagier sein sollte.149 Für die Zugehörigkeit der versicherten Person zum Flugpersonal spricht es, wenn sie am „Checking“ der Maschine beteiligt war, Anweisungen zum Tanken gegeben oder (zeitweise) den Funkverkehr übernommen hat.150
II. AUB 88/94/99/2008 38
Seit den AUB 88 sind die Regelungen über Luftfahrtrisiken als Ausschlusstatbestände gestaltet. Deren Voraussetzungen hat nach allgemeinen Regeln (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32) der VR darzulegen und zu beweisen.151 Beweiserleichterungen kommen dem VR nicht zugute.152
146 147 148 149 150
OLG Köln 22.12.1988 RuS 1989 66. OLG Koblenz 23.1.1998 VersR 1998, 1146, 1147. BGH 30.11.1983 VersR 1984 155. LG Köln 18.5.1983 VersR 1985 939, 940; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 57. OLG Oldenburg 20.8.1986 NJW-RR 1986 1474.
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151
152
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 57; Konen/ Lehmann S. 14; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 60. S. dazu auch BGH 16.6.1999 VersR 1999 1224, 1226.
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Unfälle durch Beteiligung am Rennsport
AUB 2008 Ziff. 5.1.5
Ziff. 5.1.5 AUB 2008 5.1 5.1.5
Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: … Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie sich als Fahrer, Beifahrer oder Insasse eines Motorfahrzeuges an Fahrtveranstaltungen einschließlich der dazugehörigen Übungsfahrten beteiligt, bei denen es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt.
Schrifttum Bentlage Rallye-Fahrten und Ausschlussklausel, VersR 1976 1118; Fritze Zum Ausschluss des Versicherungsschutzes bei Rallyes und Zuverlässigkeitsfahrten (§ 2 Abs. 3b AKB), VersR 1968 726.
Übersicht Rn. A. I. II. B. I. II. III.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . . . . . . . Entwicklung des Ausschlusses . . . . . . Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . Erfasster Personenkreis . . . . . . . . . Motorfahrzeug . . . . . . . . . . . . . Fahrtveranstaltung einschließlich Übungsfahrten . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 1 . 2 . 3 . 8 . 9 . 10 . 11
Rn. IV. Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten 1. Sachliche Anforderungen . . . . . . . 2. Räumliche und zeitliche Anforderungen V. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wirksamkeit des Ausschlusses . . . . . D. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . E. Spezielle AVB . . . . . . . . . . . . . . F. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . .
. 14 . 15 18 . 20 . 21 . 22 . 23 . 24
A. Einführung Grundsätzlich schließt die allgemeine Unfallversicherung die Gefahren ein, die sich 1 aus der Benutzung von Kraft- bzw. Motorfahrzeugen aller Art ergeben. Dies gilt indes aufgrund einer langen Tradition nicht für erhöhte Gefahrenlagen, in die sich die versicherte Person bei Teilnahme an Motorsportrennen usw. begibt. Eine Ziff. 5.1.5 AUB 99/2008 entsprechende Ausschlussbestimmung enthalten die Kraftfahrtversicherung (nämlich Kfz-Haftpflicht-, Kfz-Kasko-, Autoschutzbrief-, Kfz-Unfallversicherung, s. A.15.2, A.16.2, A.3.9.2, A.4.10.3 und D.2.2 AKB 2008; ferner etwa § 2b Nr. 3b AKB) und die Berufsunfähigkeits-(zusatz-)-Versicherung (§ 3d BUZ, § 5d BUV). Die dort getroffenen Auslegungsergebnisse können auch für Ziff. 5.1.5 AUB 2008 nutzbar gemacht werden. Die praktische Bedeutung des Ausschlusses für die Unfallversicherung ist indes nicht sehr groß; die Zahl der veröffentlichten Entscheidungen ist gering.
I. Zweck des Ausschlusses Die Teilnahme an Rennveranstaltungen oder Rekordfahrten ist mit einer erhöhten 2 Gefährdung der versicherten Person durch eigenes Verhalten oder durch das Verhalten anderer Personen verbunden. Diese Gefährdung geht nach Umfang und Auswirkung weit über das Risiko der Beteiligung am normalen Straßenverkehr hinaus.1 Für solche Sonder-
1
S.a. BGH 1.4.2003 VersR 2003 775, 776 = NJW 2003 2018, 2019.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.5
Unfallversicherung
gefahren bzw. Risikoerhöhungen soll (jedenfalls nicht zu denselben Prämien) kein Versicherungsschutz nach den AUB bestehen.2 Anderenfalls würde die breite Masse der VN über die Prämie mit den Folgen gefährlicher Betätigungen eines begrenzten Personenkreises belastet.3 Dies ist der Versichertengemeinschaft nicht zuzumuten.4
II. Entwicklung des Ausschlusses 3
Seit Einführung der AUB 61 hat der Tatbestand zur Regelung der Risiken von Fahrtveranstaltungen nur wenige Änderungen erfahren. In den AUB 88/94 ist er deutlich als Ausschlusstatbestand gestaltet worden. Die AUB 99/2008 haben die Formulierung der AUB 88/94 nahezu unverändert übernommen: AUB 2008 5 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 6
AUB 94
AUB 88 7
AUB 618
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 4 Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung – Sonderaufgaben …
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: …
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
5.1.5 Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie sich als Fahrer, Beifahrer oder Insasse eines Motorfahrzeuges an Fahrtveranstaltungen einschließlich der dazugehörigen Übungsfahrten beteiligt, bei denen es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt.
5.1.5 Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie sich als Fahrer, Beifahrer oder Insasse eines Motorfahrzeuges an Fahrtveranstaltungen einschließlich der dazugehörigen Übungsfahrten beteiligt, bei denen es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt.
Abs. 1 Nr. 5 Unfälle, die dem Versicherten dadurch zustoßen, dass er sich als Fahrer, Beifahrer oder Insasse eines Motorfahrzeuges an Fahrtveranstaltungen einschließlich der dazugehörigen Übungsfahrten beteiligt, bei denen es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt.
Abs. 1 Nr. 5 Unfälle, die dem Versicherten dadurch zustoßen, dass er sich als Fahrer, Beifahrer oder Insasse eines Motorfahrzeuges an Fahrtveranstaltungen einschließlich der dazugehörigen Übungsfahrten beteiligt, bei denen es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt.
2 3 4
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Bentlage VersR 1976 1118, 1119; Fritze VersR 1968 726, 727; Konen/Lehmann S. 15. Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 63. OLG Celle 12.1.2005 VersR 2005 778, 779 = RuS 2006 388, 389.
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5 6 7 8
Nr. 4 Besondere Vereinbarung ist erforderlich für die Ausdehnung der Versicherung auf Unfälle bei Beteiligung an Fahrtveranstaltungen mit Kraftfahrzeugen, bei denen es auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt und den dazugehörigen Übungsfahrten.
Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 53. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10, 11.
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Unfälle durch Beteiligung am Rennsport
AUB 2008 Ziff. 5.1.5
Die AUB 61 führten in mehrfacher Hinsicht zu einer Verbesserung des Versicherungs- 4 schutzes:9 • Ursprünglich war das Motorradwagnis ganz ausgeschlossen. Erst mit Einführung der AUB 61 entschlossen sich die Bedingungsgeber, grundsätzlich für Unfälle mit Motorrädern Versicherungsschutz vorzusehen. Überlegungen, wie beim Fluggastwagnis (Ziff. 5.1.4 AUB 2008 Rn. 5) Höchstversicherungssummen vorzusehen, wurden dabei verworfen. • Nach den AUB 61 sollte eine besondere Vereinbarung einheitlich für alle Kfz nur noch dann notwendig sein, wenn es um die Beteiligung an Fahrtveranstaltungen ging, bei denen es auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt. Die älteren Bedingungen hatten dagegen die Notwendigkeit einer besonderen Vereinbarung nicht nur an die Höchstgeschwindigkeit, sondern zusätzlich auch an die Kriterien „Durchschnittsgeschwindigkeit“ oder „Zuverlässigkeit“ geknüpft.
Kein Versicherungsschutz besteht für Fahrer, Beifahrer oder Insassen. Da allerdings anders als in den Folgegenerationen der AUB die Art der Beteiligung nicht weiter konkretisiert wird, ist zweifelhaft, ob z.B. für Streckenposten oder Mechaniker der beteiligten Fahrzeuge Versicherungsschutz bei Wettfahrten besteht.10 Für Zuschauer greift die Gefahrenregelung jedenfalls nicht ein. Sie sind nicht Beteiligte. Während § 4 Nr. 4 AUB 61 Motorsportveranstaltungen als Sondergefahren regelte, 5 für die nur unter Geltung besonderer Vereinbarungen Versicherungsschutz bestand, sind seit den AUB 88 die „Rennrisiken“ in den Katalog der Ausschlussbestimmungen aufgenommen. Dies führt zu einer Änderung auf der Beweisebene: Den Ausschlusstatbestand in den AUB 88/94 (auch AUB 99/2008) hat der VR zu beweisen (Rn. 24). Die Beweislast für die Sondergefahrenregelung in § 4 Nr. 4 AUB 61 trug dagegen der Anspruchsteller. Materiell-rechtlich ergeben sich zwischen § 4 Nr. 4 AUB 61 und § 2 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94 keine maßgeblichen Änderungen: • Seit den AUB 88 werden die Beteiligten ausdrücklich genannt, für die kein Versicherungsschutz besteht, nämlich Fahrer, Beifahrer und Insassen von Motorfahrzeugen (Rn. 9). • Statt „Kraftfahrzeug“ (AUB 61) heißt es nunmehr „Motorfahrzeug“ (AUB 88/94/99/2008). Ziel war es, neben Auto- und Motorradrennen auch Motorbootrennen zu erfassen, da diese heute weit höhere Geschwindigkeiten erzielen können als noch zur Zeit der Abfassung der AUB 61.11
Ziff. 5.1.5 AUB 99 hat gegenüber § 2 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94 keine Änderungen 6 erfahren. Lediglich das Wort „Versicherter“ ist – wie auch sonst in den AUB 99 – durch „versicherte Person“ ersetzt worden. Zwar sind Änderungen des Motorsport-Risikoausschlusses erwogen, i.E. aber verworfen worden:12 • Eine Klarstellung bzw. Erweiterung des Ausschlusses im letzten Halbsatz durch die Formulierung „… bei denen es insgesamt oder auf Teilstrecken auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt“ erfolgte nicht, um die Parallele zu den AKB (§ 2b Nr. 3b) beizubehalten. Die Streitfrage, ob der Ausschluss auch dann Anwendung findet, wenn nur auf Teilstrecken Fahrtveranstaltungen durchgeführt werden, bei denen es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt (Rn. 18), ist damit von den Verfassern der AUB 99 bewusst offen gelassen worden. • Nicht durchgesetzt haben sich Überlegungen, bestimmte Fahrtveranstaltungen wie z.B. Go-KartRennen, bei denen die Geschwindigkeit gedrosselt ist, durch ausdrückliche Nennung zugunsten des VN wieder einzuschließen. Die Bedingungsgeber sahen die Gefahr, dass ein Wiedereinschluss ein Präjudiz für die Nennung vieler weiterer neuer Beispiele werden könne. • Eine Anlehnung an die österreichische Fassung des Tatbestandes (Ausschluss von „motorsportlichen Wettbewerben“) erschien den Verfassern der AUB 99 zu weitgehend.
9 10
Grewing Entstehungsgeschichte S. 22. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 31.
11 12
Konen/Lehmann S. 16; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58. Stockmeier/Huppenbauer S. 53.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.5 7
Unfallversicherung
Die VVG-Reform 2008 machte keine Anpassungen des Ausschlusstatbestandes notwendig. Ziff. 5.1.5 AUB 99 ist unverändert in die AUB 2008 übernommen worden.
B. Tatbestand 8
Nach Ziff. 5.1.5 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94) besteht kein Versicherungsschutz für Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie sich als Fahrer, Beifahrer oder Insasse eines Motorfahrzeuges an Fahrtveranstaltungen einschließlich der dazugehörigen Übungsfahrten beteiligt, bei denen es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt.
I. Erfasster Personenkreis 9
Anders als in den AUB 61, die nur von „Beteiligten“ sprachen (Rn. 4), erfasst der Ausschluss nach AUB 88/94/99 ausdrücklich nur den Fahrer, Beifahrer und Insassen (z.B. den mitfahrenden Reporter). Im Umkehrschluss zu den im Ausschluss ausdrücklich genannten Personenkreisen ergibt sich, dass Zuschauer, Streckenposten, Fahrzeugmechaniker oder sonstige Angehörige des Fahrerlagers usw., die im weiteren Sinne auch als an einem Rennen Beteiligte angesehen werden könnten, nicht unter den von der Bestimmung erfassten Personenkreis fallen.13 An einer Fahrtveranstaltung nimmt z.B. nicht der auf einem Motorrad fahrende Schrittmacher bei einem Radrennen teil.14
II. Motorfahrzeug 10
Der im Vergleich zu „Kraftfahrzeug“ weiter gefasste Begriff „Motorfahrzeug“ verdeutlicht, dass nicht nur Auto- und Motorrad-, sondern auch Motorbootrennen vom Versicherungsschutz ausgenommen sind.15 Entsprechendes gilt für Quads 16 oder Jetskis.17 Für Fahrradrennen greift der Ausschluss dagegen nicht ein.18
III. Fahrtveranstaltung einschließlich Übungsfahrten 11
Mit dem Begriff „Rennveranstaltung“ bzw. der Umschreibung „Fahrtveranstaltungen, bei denen es auf Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt“ sind vornehmlich „Rennen mit Kraftfahrzeugen“ i.S.v. § 29 Abs. 1 StVO gemeint.19 Nach der Verwaltungsvorschrift zu § 29 StVO sind Rennen Wettbewerbe oder Teile eines Wettbewerbs
13
14
Konen/Lehmann S. 15; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 31; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 76; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 128. S.a. OLG Bamberg 5.3.1952 VersR 1952 385 f. mit zustimmender Anm. Prölss; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 59; Bruck/
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15 16 17 18 19
Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 219; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 64. Konen/Lehmann S. 16; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 66. Kloth Rn. K 65. Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 112. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32. OLG Köln 21.11.2006 VersR 2007 683, 684.
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Unfälle durch Beteiligung am Rennsport
AUB 2008 Ziff. 5.1.5
(z.B. Rekordversuche) zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit Kfz.20 Aus Sicht des durchschnittlichen VN (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57) ergibt sich nichts anderes.21 Unter Fahrtveranstaltung wird ein vorher geplantes Unternehmen mit dem Ziel ver- 12 standen, die Leistungsfähigkeit des Fahrers oder Fahrzeugs festzustellen.22 Voraussetzung ist, dass zwischen mindestens zwei Personen eine Absprache darüber besteht, eine Fahrt mit dem Ziel durchzuführen, die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.23 • Zu solchen Fahrtveranstaltungen gehören nicht nur Rennen bzw. Wettfahrten im engeren sportlichen bzw. klassischen Sinn, sondern auch organisierte Einzel- bzw. Testfahrten, die darauf ausgerichtet sind, die Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit eines Kfz durch Testfahrer von Kfz-Herstellern, Automobilclubs, Testinstitutionen oder Fachzeitschriften festzustellen.24 • Unerheblich für den allgemein gefassten Begriff „Veranstaltung“ ist es, ob eine behördliche Genehmigung eingeholt wurde oder vorliegt.25 Spontanveranstaltungen oder illegale Straßenrennen reichen aus.26 So genügt es bereits, dass zwei Fahrer verabreden, etwa nachts auf einsamer Straße oder auf der Autobahn um die Wette zu fahren.27 Eine solche Absprache kann ausdrücklich vor Fahrtbeginn, aber auch nach normalem Fahrtantritt während der Fahrt (z.B. nach Provokationen durch Zuruf beim Zwischenstopp an einer Ampel) erfolgen. Auch eine konkludente Verabredung ist ausreichend (z.B. durch Gesten). Keine Bedeutung hat fernerhin, ob die Veranstaltung auf einer nicht für den öffentlichen Verkehr freigegebenen (Rund- oder Renn-)Strecke abgehalten wird 28 oder die Fahrzeuge „renntauglich“ hergerichtet sind.29 • Mangels Verabredung mit einer anderen Person liegt dagegen keine Fahrtveranstaltung vor, wenn ein einzelner Kraftfahrer die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeugs „austesten“ will, also z.B. versucht, im Straßenverkehr mit Höchstgeschwindigkeit zu fahren oder einen anderen Kraftfahrer wettkampfartig zu überholen.30 Entsprechendes gilt, wenn zwei Fahrer sich ständig überholen und sich daraus tatsächlich ein Rennen entwickelt, bei dem jeder Fahrer höchstmögliche Geschwindigkeiten erzielen will.31 Hier fehlt es an der für eine Fahrtveranstaltung erforderlichen Verabredung zwischen den Fahrern vor Rennbeginn. • Go-Kart-Rennen fallen nicht immer unter den Ausschluss. Hier kann es sich mehr um ein „Herumfahren“ als um eine Fahrtveranstaltung handeln.32
Dadurch, dass die Klausel neben den „Fahrtveranstaltungen“ die „dazugehörigen 13 Übungsfahrten“ gesondert aufführt, wird deutlich, dass nicht nur Fahrten erfasst werden sollen, die wie ein Hauptrennen Wettkampfcharakter haben und auf Erzielung von guten Fahrtzeiten ausgerichtet sind, sondern auch andere Fahrten, in denen sich ebenfalls geschwindigkeitsbedingte erhöhte Gefahren verwirklichen.33 Aus dem Wort „dazugehörig“ ergibt sich einerseits, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Übungsfahrt und der konkreten Rennveranstaltung bestehen muss.34 Zweck muss es sein, dass der
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BGH 1.4.2003 VersR 2003 775 = NJW 2003 2018. OLG Karlsruhe 6.9.2007 VersR 2008 344 = RuS 2007 502, 503 = RuS 2008 64, 65. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 219. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 64; s. auch OLG Celle 9.10.2003 NJW-RR 2004 679, 681. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 75; Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 154; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 64. Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 155. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 75; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 31.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 64. OLG Karlsruhe 6.9.2007 VersR 2008 344 = RuS 2007 502, 503 = RuS 2008 64, 65 OLG Köln 21.11.2006 VersR 2007 683, 684. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 59; Stiefel/ Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 156; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 219. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 64; ferner Kloth Rn. K 65. Stockmeier/Huppenbauer S. 53. OLG Celle 12.1.2005 VersR 2005 778 = RuS 2006 388, 389. OLG Köln 21.11.2006 VersR 2007 683, 684.
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Fahrer im Hinblick auf die Teilnahme an der Fahrtveranstaltung übt, Höchstgeschwindigkeiten zu erzielen.35 In diesem Fall entspricht es dem erkennbaren Klauselzweck, den Ausschluss eingreifen zu lassen. Das Risiko der versicherten Person, einen Unfall zu erleiden, ist gegenüber den normalen Gefährdungen im Alltagsleben deutlich erhöht.36 Andererseits darf das Tatbestandsmerkmal „dazugehörige Übungsfahrt“ nicht „überinterpretiert“ werden: • Die Übungsfahrt bzw. Trainingsfahrt braucht keinen Qualifikationscharakter aufzuweisen. Käme es auf den Ausgang der Fahrt an, so hätte die Erwähnung der Übungsfahrt im Ausschluss keinen Sinn; denn bei Qualifikationsläufen, die ergebnis- bzw. wertungsorientiert sind, handelt es sich nicht mehr um bloße „Übungen“. Vielmehr sind sie bereits Teil einer Fahrtveranstaltung.37 • Die Übungs- bzw. Trainingsfahrten brauchen weder auf einer Rennstrecke stattzufinden noch vom Veranstalter bzw. der Rennleitung durch besondere Maßnahmen organisiert zu sein.38 Ein dahingehendes Erfordernis ist auch bei der gebotenen engen Auslegung des Risikoausschlusses (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 5) dem Wortlaut von Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008 nicht zu entnehmen.
IV. Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten 14
Wenn der Ausschluss in der Rechtsprechung relevant wurde, stand im Regelfall das Tatbestandsmerkmal „… bei denen es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt“ im Vordergrund. 1. Sachliche Anforderungen
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Die Höchstgeschwindigkeit muss zumindest mitbestimmend für die Veranstaltung sein. Die Erreichung einer möglichst hohen Geschwindigkeit muss den Charakter der Veranstaltung prägen und gleichsam das Haupt- und Endziel sein.39 Dies trifft insbesondere auf Rennen jeder Art zu.40 Sie werden dadurch charakterisiert, dass ein Wettbewerb zwischen den Teilnehmern um Fahrzeiten und eine Platzierung der Teilnehmer erfolgt.41 Unter den Begriff „Rennen“ fallen auch Wettbewerbe, bei denen die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit bei Zurücklegung der Strecke zwischen Start und Ziel ermittelt wird. Höchstgeschwindigkeiten sollen nicht nur bei klassischen Fahrzeugrennen (vgl. auch § 29 Abs. 1 StVO) erzielt werden, bei denen es (auf besonders gesicherten oder abgesperrten Straßen bzw. Strecken) auf die Erreichung der technisch möglichen absoluten Fahrgeschwindigkeit ankommt, also der „absolut schnellste“ Fahrer ermittelt werden soll.42 Das Tatbestandsmerkmal ist auch erfüllt bei Rennveranstaltungen, bei denen die nach dem jeweiligen Strecken- und Situationsbedingungen höchstmögliche Geschwindigkeit zu fahren ist, um den Sieg im Wettbewerb zu erringen,43 mithin der „relativ schnell-
35
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OLG Karlsruhe 6.9.2007 VersR 2008 344 f. = RuS 2007 502, 503 = RuS 2008 64, 65. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 60. OLG Celle 12.1.2005 VersR 2005 778 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 64; auch OLG Celle 12.1.2005 VersR 2005 778, 779; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 77; a.A. OLG Köln 21.11.2006 VersR 2007 683, 684; Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 157 f.
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OLG Hamm 20.9.1989 RuS 1990 43. BGH 1.4.2003 VersR 2003 775 = NJW 2003 2018. OLG Köln 21.11.2006 VersR 2007 683, 684. OLG Karlsruhe 6.9.2007 VersR 2008 344 = RuS 2007 502, 503 = RuS 2008 64, 65. BGH 1.4.2003 VersR 2003 775 = NJW 2003 2018; OLG Celle 12.1.2005 VersR 2005 778 = RuS 2006 388; OLG Celle 9.10.2003 NJW-RR 2004 679 680 f. = RuS 2004 164; OLG Düsseldorf 22.10.1996 VersR 1998
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Unfälle durch Beteiligung am Rennsport
AUB 2008 Ziff. 5.1.5
ste“ Fahrer gewinnt; denn die im Vergleich zur normalen Straßenverkehrsteilnahme erhöhten Gefahren können bei einem Wettbewerb, bei dem wegen aufgestellter Hindernisse, kurvenreicher oder enger Strecken usw. „nur“ die höchstmögliche Geschwindigkeit erzielt werden kann, noch größer sein als bei einem Rennen, bei dem die Fahrzeuge auf langen geraden Strecken ihre absolute Höchstgeschwindigkeit erreichen.44 Die Ausschlussvoraussetzungen sind damit erfüllt z.B. bei • Probe- und Testfahrten (einzelner Fahrzeuge, Rn. 12), bei denen die Höchstgeschwindigkeit eines Fahrzeugs oder das Verhalten eines Fahrzeugs bei Erzielung seiner Maximalgeschwindigkeit untersucht werden soll.45 Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn (außerhalb eines Wettbewerbs bei langsamer Fahrt oder bei „normalem Tempo“) lediglich die Betriebssicherheit, Bremsfähigkeit oder sonstige technische Eigenschaften des Fahrzeugs geprüft werden sollen, ohne dass es dabei auf Höchstgeschwindigkeiten ankommt.46 So liegt z.B. der Fall, wenn eine Rundfahrt mit einem Motorrad unternommen wird, um die korrekte Durchführung eines Reifenwechsels oder einer Reparatur (etwa der Benzinleitung) zu überprüfen. Unschädlich für den Versicherungsschutz ist dann auch, wenn die Probefahrt in der Pause eines Rennens auf der Kampfstrecke erfolgt.47 Gleiches gilt, wenn es um ein Sicherheitstraining bzw. Schulung der Fahrzeugbeherrschung geht.48 • Rallyes oder Wettfahrten, bei denen die Person Sieger wird, die im Rahmen der vorgegebenen Bedingungen, ohne Fahrfehler zu begehen, die höchstmögliche Geschwindigkeit erzielt.49 • Slalomfahrten, bei denen derjenige Sieger wird, der zwar nicht mit maximal möglicher Höchstgeschwindigkeit des jeweiligen Fahrzeugs, aber doch mit der in dieser Situation möglichen höchsten Geschwindigkeit fährt.50 • Trainings- und Qualifizierungsfahrten (mit mehreren Teilnehmern) für ein Rennen. Dies gilt zum einen, wenn der Ausgang des (Pflicht-)Trainings für die Teilnahme an der Endrunde (dem Hauptrennen) von Bedeutung ist. Der Ausschluss greift zum anderen aber auch dann ein, wenn das absolvierte Training nicht zur Qualifikation für den Hauptlauf erforderlich sein sollte. Die Rennsituation bleibt typischerweise erhalten; denn der Zweck des Trainings ist im Allgemeinen darauf ausgerichtet, die Teilnahme an der eigentlichen Fahrtveranstaltung zu üben und Höchstgeschwindigkeiten unter wettkampfähnlichen Bedingungen zu erzielen. Die dem Ausschluss zugrundeliegenden Erwägungen (Rn. 2) greifen dann ein, mag der einzelne Fahrer auch nicht „volles“ Risiko fahren oder das Training nur nutzen, um seine Maschine einzustellen, Fahrweisen anderer Rennteilnehmer zu beobachten oder sonstige nicht geschwindigkeitsbezogene Übungen auszuführen.51 Auch in diesen Fällen geht die versicherte Person regelmäßig im Vergleich zum Straßenverkehr erhöhte Risiken ein. So wird die Trainingsfahrt z.B. keinen Nutzen haben, wenn die im Hauptrennen eingesetzte Fahr- oder Motortechnik nicht auch unter Extrem- bzw. Wettkampfbedingungen simuliert wird. Im Übrigen wird nicht ausgeschlossen werden können, dass die anderen Trainingsteilnehmer riskante Manöver mit Höchstgeschwindigkeiten fahren und damit erhöhte Unfallgefahren für die „sich zurückhaltende“ versicherte Person schaffen. • Zuverlässigkeitsfahrten bzw. -turniere, bei denen bestimmte Sollzeiten einzuhalten sind, deren Überschreitung mit Strafpunkten belegt wird, und Sieger derjenige ist, der die geringsten Strafpunkte und bei Punktgleichheit die bessere Fahrzeit aufweist.52
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224; AG Köln 11.4.1990 RuS 1991 144; s.a. OLG Hamm 27.1.1989 NJW-RR 1989 732, 733; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 31; Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 154. OLG Braunschweig 15.4.1975 VersR 1976 81, 82 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 64. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 65. OLG Bamberg 5.3.1952 VersR 1952 385, 386. OLG Hamm 20.9.1989 RuS 1990 43.
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LG Hildesheim 17.7.1984 VersR 1986 783; AG Köln 11.4.1990 RuS 1991 144; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 219. OLG Braunschweig 15.4.1975 VersR 1976 81, 82 f.; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58. OLG Celle 12.1.2005 VersR 2005 778 f. = RuS 2006 388 f. LG Bielefeld 21.4.1967 VersR 1967 993, 994; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58; a.A. Fritze VersR 1968 726, 728 f.; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 75.
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Nicht vom Ausschluss erfasst werden dagegen • Touren-, Stern- und Rallye-Fahrten, bei denen es allein um reine Zuverlässigkeits- und Geschicklichkeitsprüfungen geht.53 Bei solchen Fahrtveranstaltungen kommt es nicht auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten als Haupt- oder Endziel, sondern in erster Linie auf die Betriebssicherheit des Fahrzeugs und die Erprobung der Fahrkunst des Fahrers an.54 Entsprechendes gilt für ein reines Fahrsicherheitstraining, und zwar selbst dann, wenn es auf einer Rennstrecke durchgeführt 55 oder unter Grenzsituationen (z.B. Glatteis) geübt wird.56 • Touristenfahrten auf einer Rennstrecke, die ohne Wertung, Platzierung und Zeitmessung erfolgen. Auch wenn es den Teilnehmern solcher Fahrten auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommen sollte, können sie nach der Rechtsprechung bei der gebotenen engen Auslegung des Ausschlusses (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 5) nicht eindeutig unter die Klausel subsumiert werden. Wenn die Bedingungsgeber die mit Touristenfahrten verbundenen erhöhten Risiken ausschließen wollen, müssten sie dies deutlich im Bedingungswerk regeln.57 • sog. Fuchsjagden (Funksignalsuchfahrten), bei denen die teilnehmenden Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr ein verstecktes, Signale aussendendes Fahrzeug finden müssen. Zwar ist bei solchen Veranstaltungen eine hohe Geschwindigkeit zumindest zeitweise von Vorteil. Jedoch haben sie insgesamt keinen Renncharakter. Solche Fahrten erhalten ihr Gepräge nicht durch die Höhe der gefahrenen Geschwindigkeit, da niedrigere Geschwindigkeiten durch Geschicklichkeit und Glück ausgeglichen werden können.58
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Schwierigkeiten kann die Abgrenzung machen, wenn neben der Fahrzeugsicherheit und Fahrergeschicklichkeit die Einhaltung einer gewissen, oft hoch angesetzten Durchschnittsgeschwindigkeit eine wesentliche Rolle für die Wertung spielt. Z.T. wird hier die Anwendung des Ausschlusses verneint, wenn von vornherein ausgeschlossen ist, dass bei der Fahrtveranstaltung höhere Geschwindigkeiten erzielt werden können.59 Eine solche generalisierende Betrachtung wird indes den vielfältig denkbaren Sachverhaltsvarianten nicht gerecht, zumal unklar bleibt, anhand welcher Kriterien eine „höhere Geschwindigkeit“ definiert werden soll. Vielmehr kann nur eine einzelfallbezogene Wertung erfolgen, in der die mit dem jeweiligen Fahrzeug erzielbaren und in der Veranstaltung konkret zu fahrenden Geschwindigkeiten ins Verhältnis zu den Streckenanforderungen zu setzen sind. So kann z.B. eine Fahrt mit 30 km/h auf einer gewundenen Buckel- oder Geröllpiste das noch vertretbare Maximum sein, während das gleiche Tempo bei der Bewältigung einer asphaltierten und geraden Strecke gering erscheinen mag. Entscheidend ist die Wertung, ob sich die Fahrtveranstaltung unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände (etwa der Ausschreibungsunterlagen und Wettkampfregeln) einem neutralen Beobachter als Rennsport darstellt, weil es auf „gute Zeiten“ ankommt und die versicherte Person angehalten wird, situationsbedingt gegenüber „Normalverhältnissen“ deutlich erhöhte Unfallrisiken einzugehen. Beispiele:
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BGH 26.11.1975 VersR 1976 381, 382 (s.a. BGH 1.4.2003 VersR 2003 775 f. = NJW 2003 2018); LG Wiesbaden 18.1.1973 VersR 1975 630, 631; Bentlage VersR 1976 1118, 1120; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58; Kloth Rn. K 63. OLG Celle 9.10.2003 NJW-RR 2004 679, 681; OLG Karlsruhe 6.9.2007 VersR 2008 344 = RuS 2007 502, 503 = RuS 2008 64, 65. OLG Karlsruhe 1.7.2004 VersR 2005 78; OLG Köln 21.11.2006 VersR 2007 683, 684.
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Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 154. OLG Karlsruhe 6.9.2007 VersR 2008 344, 345 = RuS 2007 502, 503 = RuS 2008 64, 65. OLG Hamm 27.1.1989 NJW-RR 1989 732, 733; krit. Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 154. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 75.
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Unfälle durch Beteiligung am Rennsport
AUB 2008 Ziff. 5.1.5
• Auch aus Praktikabilitätsgesichtspunkten fallen nach Ansicht des BGH jedenfalls (noch) nicht unter den Ausschluss von der Polizei genehmigte und überprüfte Fahrtveranstaltungen, die zwar auf die Erzielung einer hohen Durchschnittsgeschwindigkeit angelegt sind, jedoch in den allgemeinen öffentlichen Straßenverkehr einbezogen sind und bei denen die Teilnehmer zur Einhaltung der Verkehrsvorschriften und Geschwindigkeitsbegrenzungen verpflichtet sind sowie dahingehend auch überwacht werden.60 Dem ist zuzustimmen. Für die Auffassung des BGH spricht, dass der Wortlaut des Ausschlusses insoweit nicht eindeutig ist. Bei der vom Gericht zu beurteilenden Sachverhaltskonstellation kann das Tatbestandsmerkmal „Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten“ auch unter Berücksichtung des Zwecks der Klausel (Rn. 2) nicht ohne weiteres bejaht werden. Die Fahrweise der Teilnehmer der Fahrtveranstaltung wird von der Fahrweise der anderen Verkehrsteilnehmer kaum abzugrenzen sein; die versicherte Person ist insgesamt keinem deutlich höheren Risiko ausgesetzt als bei einer sonstigen „normalen“ Verkehrsteilnahme. • Gleichmäßigkeitsprüfungen, bei denen auch derjenige Sieger werden kann, der um 20 % langsamer gewesen ist als der schnellste Fahrer. Bei solchen Veranstaltungen greift der Ausschluss nicht durch, da sie nicht (zwingend) auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit abzielen und es deshalb an dem Tatbestandsmerkmal „ankommt“ fehlt.61 • Handelt es sich bei einem Motorradrennen um eine Zuverlässigkeitsfahrt, bei der eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h vorgeschrieben ist, so liegt nach der Rechtsprechung keine auf Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten i.S.d. Ausschlusses gerichtete Fahrtveranstaltung vor, wenn sowohl bei Überschreitung als auch bei Unterschreitung der Soll-Ankunftszeiten an den Zeitkontrollen Strafzeiten verhängt werden.62 Dem ist jedenfalls dann zuzustimmen, wenn die Einhaltung der für Motorräder relativ geringen Durchschnittsgeschwindigkeit unter Berücksichtigung der zu bewältigenden Strecke und Hindernisse bei normaler (vorsichtiger) Fahrweise eingehalten werden kann. • Die Frage nach der Anwendbarkeit des Ausschlusses kann sich weiterhin bei Moto-Cross-Rennen stellen, die keine höhere Rundendurchschnittsgeschwindigkeit als 50 km/h zulassen.63 Vorbehaltlich eines besonderen Haftungstatbestandes (Rn. 22) ist hier Unfallversicherungsschutz nach den AUB letztlich zu verneinen.64 Der verständige VN, der Ziff. 5.1.5 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94 bzw. § 4 Nr. 4 AUB 61) aufmerksam liest und dabei den zum Ausdruck kommenden Regelungszweck (Rn. 2) berücksichtigt, wird nicht erwarten, dass der VR für Unfälle bei gefahrträchtigen Moto-Cross-Rennen leistet. Zwar mag die Streckenführung darauf angelegt sein, dass die Teilnehmer nicht oder jedenfalls nicht für einen längeren Zeitraum die (bei normalen Verhältnissen erzielbare) Höchstgeschwindigkeit ihrer Maschinen erreichen. Jedoch ist die Veranstaltung darauf ausgerichtet, auf einer mit besonderen Tücken (z.B. Sprunghügel) hergerichteten und für andere Verkehrsteilnehmer abgesperrten Strecke maximale Geschwindigkeiten zu fahren, da Sieger derjenige wird, der in einer bestimmten Zeit die längste Strecke zurückgelegt hat. Die Fahrer sind mithin nicht zu einer den schwierigen und gefährlichen Verhältnissen angepassten und vorsichtigen, sondern zu einer extremen Fahrweise angehalten; sie sollen mit ihren Fahrzeugen bis an die Leistungsgrenze gehen. Dazu müssen u.a. – zumindest kurzfristig – erhebliche Beschleunigungen durchgeführt werden. • Ebenfalls noch nicht abschließend geklärt ist die Beurteilung von Fällen, in denen die Durchschnittsgeschwindigkeit für einzelne Etappen so hoch angesetzt ist, dass sie von keinem Teil-
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BGH 26.11.1975 VersR 1976 381, 382 f. (Rallye Automobile Monte Carlo 1972) mit zustimmender Anm. Bentlage VersR 1976 1118 ff.; ferner OLG Celle 12.1.2005 VersR 2005 778 = RuS 2006 388; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58. OLG Nürnberg 29.6.2007 VersR 2008 207 f. = NJW-RR 2007 1668 f.
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OLG Celle 9.10.2003 NJW-RR 2004 679, 681 = RuS 2004 164. I.E. offen lassend, aber mit deutlichen Zweifeln OLG Düsseldorf 22.10.1996 VersR 1998 224 = RuS 1997 485. A.A. Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 75; Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 115.
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nehmer erreicht werden kann und es darum geht, durch möglichst schnelles Fahren die wenigsten Strafpunkte zu erzielen. Hier greift der Ausschluss ein. Solche Veranstaltungen zielen auf ein verkapptes Rennen ab. Eine Differenzierung danach, ob die versicherte Person bemüht ist, die schnellste Zeit zu fahren (dann Ausschluss des Versicherungsschutzes) oder trotz der drohenden Strafpunkte normal weiterfährt (dann kein Ausschluss),65 ist weder praktikabel noch vom Wortlaut des Tatbestandes gefordert. Ziff. 5.1.5 AUB 99/2008 ist objektiv formuliert und zielt nicht auf die (kaum feststellbare) Absicht des Teilnehmers ab, sondern darauf, ob die versicherte Person gegenüber der normalen Verkehrsteilnahme (bewusst) ein erhöhtes Risiko eingeht.
2. Räumliche und zeitliche Anforderungen
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Fraglich ist, ob und in welchem Umfang auch Rennen von Ziff. 5.1.5 AUB 99/2008 bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94, jeweils letzter Halbs. erfasst sind, bei denen lediglich auf Teilstrecken Höchstgeschwindigkeiten gefordert werden. Nach einer Auffassung soll hier die Ausschlussbestimmung wegen des durchgehend erhöhten Risikos für die Gesamtveranstaltung gelten.66 Die Gegenansicht schließt den Versicherungsschutz nur für die jeweiligen Teilstrecken aus.67 Ihr ist zuzustimmen. Dem Wortlaut des eng auszulegenden (Ziff. 5 AUB Rn. 5) Ausschlusses ist nicht eindeutig zu entnehmen, dass kein Versicherungsschutz für die gesamte Fahrtveranstaltung besteht, sobald nur auf einer Teilstrecke Höchstgeschwindigkeiten erzielt werden sollen. Weiterhin erfordert es der Zweck der Klausel (Rn. 2) nicht, Versicherungsschutz über das zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten vorgesehene Teilstück hinaus für die gesamte Veranstaltung zu versagen. Der Zuverlässigkeitsteil einer Veranstaltung bzw. Rallye birgt (insbesondere soweit er auf öffentlichen Straßen stattfindet) keinen erhöhten Gefährdungsgrad in sich. Voraussetzung für die Unterteilung einer Fahrtveranstaltung in Abschnitte mit bzw. ohne Versicherungsschutz ist allerdings, dass die jeweiligen Teile deutlich voneinander abgrenzbar sind und die insgesamt vorgeschriebene Durchschnittsgeschwindigkeit nicht praktisch einer Höchstgeschwindigkeitsprüfung gleichkommt Für eine leichtere Abgrenzbarkeit zwischen Geschicklichkeits- und Geschwindigkeitsprüfungen bietet es sich an, einen versicherungstechnischen Halt in das Rennen einzubauen.68 Lässt sich nicht exakt zwischen dem Teil, in dem es um die Erzielung der Höchstgeschwindigkeit geht, und dem übrigen Teil der Veranstaltung trennen, so greift der Ausschluss für alle Veranstaltungsbestandteile ein. So liegt z.B. der Fall, wenn bei einem mit Geschwindigkeitsprüfungen verbundenen Marathonrennen nicht feststellbar ist, ob die verunglückte versicherte Person, die sich zwar selbst gerade nicht auf einer Geschwindigkeitsrunde befand, zusammen mit anderen Fahrzeugen fuhr, die zum Unfallzeitpunkt Höchstgeschwindigkeiten erzielen wollten.69
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So Bentlage VersR 1976 1118, 1120. LG Braunschweig 23.2.1966 VersR 1966 729, 730 („Niedersachsenfahrt“) mit zustimmender Anm. Klaiber; auch Konen/Lehmann S. 16. LG Wiesbaden 18.1.1973 VersR 1975 630, 631; Bentlage VersR 1976 1118, 1119; Dreger VersR 1966 1179; Fritze VersR 1968 726, 727; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 75; Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB
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Rn. 159; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 219; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 66; wohl auch OLG Braunschweig 15.4.1975 VersR 1976 81, 83. So z.B. im Fall des LG Wiesbaden 18.1.1973 VersR 1975 630, 631; s.a. BGH 26.11.1975 VersR 1976 381, 382 mit Hinweis auf Rundschreiben des damaligen HUK-Verbandes vom 5.1.1968 und 19.6.1968. LG Berlin 22.5.1967 DAR 1967 327 f.; i.E. zust. Fritze VersR 1968 726, 728.
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Unfälle durch Beteiligung am Rennsport
AUB 2008 Ziff. 5.1.5
Ähnlich wie Veranstaltungen, bei denen es nur auf Teilstrecken auf die Erzielung von 19 Höchstgeschwindigkeiten ankommt, sind Einzelveranstaltungen zu beurteilen, die zu einer Gesamtveranstaltung zusammengefasst werden. Es fallen nur die Veranstaltungen unter den Ausschluss, bei denen Höchstgeschwindigkeiten zu erzielen sind.70
VI. Kausalität Zwischen der Beteiligung der versicherten Person an der Fahrtveranstaltung (Übungs- 20 fahrt) und dem Unfallereignis muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen („dadurch zustoßen“). Der Unfall muss sich zum einen „bei“ der Beteiligung an der Veranstaltung ereignen (z.B. Zusammenprall des von der versicherten Person gelenkten Fahrzeugs mit anderen Fahrzeugen oder Hindernissen). Ein Unfallereignis „anlässlich“ eines Rennens reicht dagegen nicht aus. So ist der Versicherungsschutz z.B. nicht ausgeschlossen, wenn die versicherte Person in dem Gedränge vor der Rennbahn einen Verkehrsunfall erleidet.71 Zum anderen muss sich ein renntypisches Risiko realisiert haben. So findet etwa der Ausschluss – nach seinem Sinn und Zweck (Rn. 2) – keine Anwendung, wenn der versicherten Person ein schädigendes Ereignis widerfährt, das von der riskanten Art ihrer Tätigkeit beim Rennen unabhängig ist und ihr bei jeder anderen Gelegenheit auch hätte zustoßen können (Blitzschlag, Erdbeben u.ä.).
C. Wirksamkeit des Ausschlusses AGB-rechtlich ist der Ausschluss – soweit ersichtlich – bisher nicht in Zweifel gezogen 21 worden. Hierzu besteht auch kein Anlass, da die Klausel weder überraschend noch unbillig ist. Der Ausschluss ist interessengerecht; seine Zielsetzung (Rn. 2) ist für jeden verständigen VN nachvollziehbar. Die der Inhaltskontrolle vorangehende Auslegung des Ausschlusstatbestandes kann allerdings in Zweifels- bzw. Grenzfällen zu einer einengenden Anwendung führen. Dies gilt insbesondere für Fahrtveranstaltungen, bei denen Geschicklichkeitsprüfungen mit einer hohen Durchschnittsgeschwindigkeit durchlaufen werden oder ein schneller bzw. nicht deutlicher Wechsel bzw. Mix zwischen Rennabschnitten und reinen Zuverlässigkeits- oder Fertigkeitsprüfungen erfolgt. Hier kommt es in Betracht, ggf. die AUB bei einer Überarbeitung eindeutiger zu fassen und z.B. den Versicherungsschutz wie in den früheren AVB (Rn. 4) auszunehmen für die Beteiligung an Preis-, Wettbewerbs-, Zuverlässigkeits- und Tourenfahrten mit Motorfahrzeugen, bei denen es auf die Erzielung einer Höchst- oder Durchschnittsgeschwindigkeit oder Zuverlässigkeit ankommt. Da allerdings eine dahingehende Anpassung bzw. „Rückbesinnung“ seit den AUB 61 nicht unternommen worden ist, können offenbar die VR mit den wenigen Zweifels- und Grenzfällen in der Praxis leben.
D. Konkurrenzen Trotz gegebener Voraussetzungen des Ausschlusses kann der VN vom VR auf Grund- 22 lage der allgemeinen Regeln zur Vertrauenshaftung Versicherungsschutz oder Schadens-
70
BGH 26.11.1975 VersR 1976 381, 382; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 58.
71
Stiefel/Hofmann 17 § 2b AKB Rn. 156.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 5.1.5
Unfallversicherung
ersatz aus Verschulden bei Vertragsschluss, wegen positiver Vertragsverletzung oder Verletzung der Beratungs- und Dokumentationspflichten verlangen, sofern die jeweiligen Voraussetzungen vorliegen. Weiterhin können sich gegenüber dem Versicherungsmakler Schadensersatzansprüche aus dem Maklervertrag ergeben, wenn diesem eine Falschberatung vorzuwerfen ist. Die Erfüllungshaftung, nach der der VR Auskünfte seiner Vermittler über den Inhalt und die Bedeutung der Versicherungsbedingungen, über den Umfang des abzuschließenden oder des abgeschlossenen Versicherungsvertrages bzw. über sonstige vertragswesentliche Umstände (in den Grenzen des zwingenden Gesetzesrechtes) gegen sich gelten lassen muss, wenn der VN auf diese vertrauen durfte, kommt etwa in Betracht, falls der Versicherungsvertreter (etwa auf Nachfrage des VN) den Versicherungsschutz für Rennveranstaltungen fälschlicherweise ausdrücklich bejaht oder den VN nicht auf den Ausschluss hingewiesen hat, obwohl dieser erkennbar Versicherungsschutz für Fahrtveranstaltungen angenommen bzw. gesucht hat.72 Voraussetzung für einen Erfüllungs- oder Schadensersatzanspruch ist aber u.a., dass • der VR bzw. sein Vertreter weiß, dass die versicherte Person an Fahrtveranstaltungen i.S.d. Ausschlusses teilnimmt, z.B. nicht nur bei einer Rallye mit reinen Geschicklichkeits-, sondern (auch) mit Höchstgeschwindigkeitprüfungen mitfahren will.73 • eine falsche, unvollständige oder (pflichtwidrig) unterlassene Auskunft vorliegt. Fragt z.B. einerseits der VN, ob „Fahrten auf Rennstrecken, insbesondere auf dem Hockenheimring oder Nürburgring“ vom Versicherungsschutz erfasst sind, kann der VR (bzw. Versicherungsmakler) dies nicht schlicht bejahen oder verneinen, sondern muss dem VN den Ausschluss in der Richtung erläutern, dass Rennveranstaltungen ausgeschlossen sind, nicht dagegen z.B. ein Fahrsicherheitstraining.74 Andererseits kann zweifelhaft sein, ob und inwieweit den Versicherungsvermittler eine Nachfragepflicht trifft, wenn der VN bzw. die versicherte Person lediglich das Stichwort „Teilnahme an einer Rallye“ erwähnt. So lässt sich vertreten, dass der Versicherungsvermittler als „Rallye-Laie“ nicht zwangsläufig darauf kommen muss, dass es bei einer Rallye auch um Hochgeschwindigkeitsprüfungen gehen kann.75 • die falsche oder unterlassene Auskunft kausal für das Vertrauen des VN bzw. den Schaden geworden ist. Dies ist nicht der Fall, wenn die versicherte Person auf jeden Fall an der Fahrt – unabhängig von der Frage des Unfallversicherungsschutzes – teilnehmen wollte.76
Darüber hinaus ist zu prüfen, ob wegen eines erheblichen Mit- bzw. Eigenverschuldens des VN bzw. der versicherten Person der Erfüllungsanspruch entfällt oder der Schadensersatzanspruch zu mindern ist. Dies kommt etwa in Betracht, wenn sich für den VN eindeutig aus den AUB ergibt, dass für die konkrete Unfallfahrt kein Versicherungsschutz besteht.
E. Spezielle AVB 23
Die Vertragsparteien können innerhalb der allgemeinen rechtlichen Grenzen den Ausschlusstatbestand der AUB modifizieren. In Betracht kommt etwa Unfallrisiken von Hobby-Motorsportlern mitzuversichern.77
72 73 74
OLG Düsseldorf 22.10.1996 VersR 1998 224 f. LG Hildesheim 17.7.1984 VersR 1986 783. OLG Karlsruhe 1.7.2004 VersR 2005 78.
970
75 76 77
LG Hildesheim 17.7.1984 VersR 1986 783, 784. LG Bielefeld 21.4.1967 VersR 1967 993, 994. Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 121.
Kent Leverenz
Unfälle durch Kernenergie
AUB 2008 Ziff. 5.1.6
F. Verfahrensfragen Es gelten keine Besonderheiten. Der VR trägt nach allgemeinen Regeln die Beweislast 24 (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32). Er hat die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes in Ziff. 5.1.5 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 AUB 88/94) darzulegen und ggf. zu beweisen.78 Bei der Bewertung einer Veranstaltung sind auch die zutage getretenen Vorstellungen des Veranstalters zur Art der Veranstaltung zu berücksichtigen (z.B. Bezeichnung der Veranstaltung als „Rennwettbewerb“ oder des Umfeldes als „Rennstrecke“).79 Die Möglichkeit eines Kausalitätsgegenbeweises besteht nicht. Der Ausschluss greift auch dann ein, wenn sich das keine spezifischen Gefahren der Wettfahrt realisiert haben.80
Ziff. 5.1.6 AUB 2008 5.1 5.1.6
Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: … Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kernenergie verursacht sind.
Übersicht Rn. A. I. II. B.
Einführung . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . Entwicklung des Ausschlusses Tatbestand . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
Rn.
1 2 3 7
C. D. E. F.
Wirksamkeit des Ausschlusses . . Konkurrenzen . . . . . . . . . . . Speziellere AVB . . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
10 11 12 13
A. Einführung Der umfassende Ausschluss des Versicherungsschutzes für die unüberschaubaren 1 Unfallrisiken, die mit der Nutzung der Kernenergie in Zusammenhang stehen, ist spätestens seit den AUB 88 fester Bestandteil der Unfallversicherung. In der Gerichtspraxis hat er – soweit ersichtlich – bisher keine Bedeutung erlangt.
I. Zweck des Ausschlusses Unfälle, die unmittelbar und mittelbar durch unkontrollierte Atomenergie entstehen, 2 können unabsehbare Schäden und Folgen hervorrufen, die für den VR nicht kalkulierbar sind. Sie müssen mangels finanzieller Vorsorgemöglichkeiten ausgeschlossen werden.1
78 79 80
OLG Hamm 20.9.1989 RuS 1990 43; OLG Köln 21.11.2006 VersR 2007 683, 684. BGH 1.4.2003 VersR 2003 775, 776 = NJW 2003 2018, 2019. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 31; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 128.
1
Konen/Lehmann S. 16.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.6
Unfallversicherung
II. Entwicklung des Ausschlusses 3
Während die AUB 61 sich noch auf den Ausschluss bestimmter Gesundheitsschäden durch Strahlen beschränkten, schließen die AUB 88/94/99/2008 (s.a. A.4.10.5 für die Kfz-Unfallversicherung) Unfälle durch Kernenergie umfassend aus: AUB 2008 2 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 3
AUB 94
AUB 88 4
AUB 615
5. In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
5. In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Unfallbegriff und Grenzfälle …
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: …
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Nr. 3 Dagegen fallen nicht unter den Versicherungsschutz: …
5.1.6 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kernenergie verursacht sind.
5.1.6 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kernenergie verursacht sind.
Abs. 1 Nr. 6 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kernenergie verursacht sind.
Abs. 1 Nr. 6 Unfälle, die unmittelbar oder mittelbar durch Kernenergie verursacht sind.
Nr. 3c S. 1 Gesundheitsschädigungen durch energiereiche Strahlen mit einer Härte von mindestens 100 Elektronen-Volt, durch Neutronen jeder Energie, durch Laseroder Maserstrahlen 6 und durch künstlich erzeugte ultraviolette Strahlen;
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Nr. 3c S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn es sich um Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses handelt.
4
Bereits die Bedingungsgeber der AUB 61 hatten erwogen, einen echten Ausschluss für „Gesundheitsschäden durch Atomenergie“ vorzusehen. Davon wurde abgesehen. Stattdessen wurden nur bestimmte Strahlenschäden, zu denen auch Strahlenschäden durch Atomenergie zählen, als negativer Grenzfall geregelt (Ziff. 5.2.2 AUB 2008 Rn. 4). Hintergrund war, dass der Fachausschuss Unfallversicherung zu der Überzeugung kam, dass lediglich Strahlenschäden ein für den VR unübersehbares Wagnis darstellten. Dagegen
2 3 4
Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 54. VerBAV 1987 417, 418.
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5 6
VerBAV 1984 10. Die Aufnahme von Laser- und Maserstrahlen in die Klausel erfolgte mit VerBAV 1969 84 (s.a. VerBAV 1970 97).
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Unfälle durch Kernenergie
AUB 2008 Ziff. 5.1.6
kämen Hitze- und Luftdruckschäden beim Durchgehen eines Reaktors einer größeren Dampfkesselexplosion gleich, deren Ausmaß aber das Gefüge der deutschen Versicherungswirtschaft nicht erschüttern würde. Sie sollten deshalb nicht vom negativen Grenzfall erfasst sein.7 Der in § 2 Nr. 3 AUB 61 umschriebene Grenzfall wird seit den AUB 88 umfassender 5 in zwei Ausschlusstatbeständen geregelt: Zum einen sind Unfälle durch Kernenergie in § 2 Abs. 1 Nr. 6 AUB 88/94 (Ziff. 5.1.6 AUB 99/2008) umfassend ausgeschlossen; zum anderen sieht § 2 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94 (Ziff. 5.2.2 AUB 99/2008) einen allgemein gefassten Ausschluss für Strahlen vor (Ziff. 5.2.2 AUB 2008 Rn. 5). Unmittelbar durch Kernenergie verursachte Unfälle waren bereits in den AUB 61 ausgeschlossen. Insofern trat mit den AUB 88 keine Einschränkung des Versicherungsschutzes ein. Neu war der Ausschluss von Kernenergieschäden, die nicht durch Strahlung entstehen, insbesondere auch von Unfällen, die mittelbar durch Kernenergie verursacht sind. Insofern war zu berücksichtigen, dass die Bedingungsgeber der AUB 61 den Kenntnisstand zur Atomphysik aus den fünfziger Jahren zugrunde gelegt hatten. Aufgrund der rasanten technischen Weiterentwicklung, aber auch unter dem Einfluss der Ereignisse in Harrisburg und insbesondere in Tschernobyl, sahen die Verfasser der AUB 88 gegenüber den AUB 61 mangels finanzieller Vorsorgemöglichkeiten und aufgrund der Unkalkulierbarkeit von Schäden durch unkontrollierte Atomenergie die Notwendigkeit, einen umfassenderen Kernenergie-Ausschluss vorzusehen. Sie wollten auch den Fällen begegnen können, in denen Druck- und Unterdruckwellen oder Folgeereignisse wie Flächenbrände oder Paniken zu einer Unzahl von Opfern führen.8 Z.T. wird die Berechtigung des nunmehr weit gefassten Ausschlusses in Frage gestellt. Ausreichend sei der Ausschluss von Strahlenschäden, da selbst bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl einer unübersehbaren Menge von Strahlengeschädigten eine relativ kleine Zahl von Personen gegenüberstünde, die durch andere Ursachen verletzt oder getötet worden seien. Ihre Zahl sei geringer als bei manchen anderen Katastrophen technischer Art.9 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die Bevölkerungs- und Besiedlungsdichte der Bundesrepublik Deutschland ist mit der in der Region um Tschernobyl nicht vergleichbar. Die Ausmaße eines größeren Reaktorunfalls in Deutschland sind nicht vorhersehbar und damit nicht kalkulierbar, so dass ein umfassender „Kernenergieausschluss“ gerechtfertigt ist.10 Die Bedingungsgeber der AUB 99 haben den Kernenergieausschluss ohne materielle 6 oder sprachliche Veränderungen aus den AUB 88/94 übernommen. Die VVG-Reform 2008 gab keinen Anlass in Ziff. 5.1.6 AUB 2008 Anpassungen vorzunehmen.
B. Tatbestand Der Begriff Kernenergie (bzw. Atomenergie) umfasst die bei der Kernspaltung und 7 Kernfusion freigesetzte Primärenergie.11 Der Tatbestand von Ziff. 5.1.6 AUB setzt genauso wie § 2 Abs. 1 Nr. 6 AUB 88/94 voraus, dass zwischen der Kernenergie und dem Unfall ein unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang besteht, der adäquat ist. Der unmittelbare Zusammenhang ist gegeben, wenn eine von der Kernenergie aus- 8 gehende Kausalreihe direkt zu Gesundheitsschädigungen führt.12 Ausgeschlossen sind
7 8 9
Grewing Entstehungsgeschichte S. 10 f. Konen/Lehmann S. 16. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 68.
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Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 61. Kloth Rn. K 66. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 61.
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AUB 2008 Ziff. 5.1.6
Unfallversicherung
z.B. Unfälle infolge direkter Strahleneinwirkungen oder aufgrund von thermischen Einwirkungen (Hitze) oder Druckwellen, die bei einer Kernexplosion auftreten.13 Der Kausalzusammenhang zwischen Kernenergie und Unfall ist mittelbar, wenn ein 9 weiteres Ereignis als adäquate Folge eines Kernenergieunglücks hinzutritt und in fortgesetzter adäquater Kausalreihe den Gesundheitsschaden herbeiführt.14 Zu denken ist etwa an Flächenbrände oder Paniken,15 aber auch an die Folgen von Evakuierungsmaßnahmen.16 Solche Ereignisse können Schadendimensionen erreichen, die unversicherbar sind.17 Keine (mittelbare) adäquate Kausalität ist mehr zu bejahen, wenn in einem Unfall mit spaltbarem Material dieses hypothetisch durch jede andere Materialie ersetzt werden kann18 bzw. sich keine der Kernenergie zuzuordnende typische Gefahr auf den Unfall auswirkt.19 Nicht nach Ziff. 5.1.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 AUB 88/94) ausgeschlossen sind z.B. Gesundheitsschäden durch • herabfallende Brennelemente;20 • („normale“) Verkehrsunfälle unter Beteiligung eines Transportfahrzeugs, das spaltbares Material geladen hat.21 Der Ausschluss greift hier nur ein, soweit sich Gefahren kernenergietechnischer Art (hier die Besonderheit der Ladung) auswirken. • Nutzung (handelsüblicher) Elektrizität, die aus Kernenergie gewonnen worden ist; denn aus Kernenergie gewonnener Strom kann dieser selbst energetisch nicht gleichgesetzt werden.22
C. Wirksamkeit des Ausschlusses 10
Der Ausschluss hält einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht stand. Seine Wirksamkeit ist bisher – soweit ersichtlich – auch nicht in Frage gestellt worden. Insbesondere sind die jeweiligen Regelungen in den AUB-Generationen auch inhaltlich angemessen und gerechtfertigt (Rn. 2). Zu berücksichtigen ist im Übrigen, dass für Atomschäden umfassende Haftungsnormen existieren (§§ 25 ff. AtG).
D. Konkurrenzen 11
Neben dem Ausschluss für Unfälle durch Kernenergierisiken ist insbesondere an die Strahlenklausel (Ziff. 5.2.2 AUB 99/2008, § 2 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94, § 2 Nr. 3 AUB 61) zu denken. Ziff. 5.1.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 AUB 88/94) erlangt dann eigenständige Bedeutung, wenn sich nach Kernenergieunfällen nicht die Strahlung (dann greift auch Ziff. 5.2.2 AUB 99/2008 bzw. § 2 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94 ein), sondern andere Umstände schädlich auf die Gesundheit der versicherten Person auswirkt.
13
14 15 16 17 18
Kloth Rn. K 67; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 32; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 78. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 61. Konen/Lehmann S. 16. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 68. Grimm VW 1988 132, 137. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 61.
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19
20 21 22
Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 78; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 69. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 61. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 78. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 32; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 69.
Kent Leverenz
Schäden an Bandscheiben, Blutungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.1
E. Speziellere AVB Durch Kernenergie hervorgerufene Risiken können in Abweichung zu den AUB durch 12 Sondervereinbarungen eingeschlossen werden.
F. Verfahrensfragen Es gelten keine Besonderheiten. Wie bei anderen Ausschlüssen auch, trägt der VR 13 die Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von Ziff. 5.1.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 AUB 88/94, § 2 Nr. 3c AUB 61; s.a. Ziff. 5.2.2 AUB 2008 Rn. 16).
Ziff. 5.2.1 AUB 2008 5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: … 5.2.1 Schäden an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis nach Ziffer 1.3 die überwiegende Ursache ist.
Schrifttum Kötting Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 – (1992).
Übersicht Rn. A. I. II. B. I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . . . . . . . . Entwicklung des Ausschlusses . . . . . . . Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . Blutung aus inneren Organen und Gehirnblutungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 8 9
Rn. II. Wiedereinschluss . . . . . . . . . 1. Kausalität des Unfallereignisses . 2. Überwiegen des Unfallereignisses C. Wirksamkeit des Ausschlusses . . D. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . E. Verfahrensfragen . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
12 13 14 17 18 19
A. Einführung Der seit den AUB 88 weitgehend unveränderte Tatbestand erlangt eine erhebliche 1 praktische Bedeutung bei der Prüfung von Bandscheibenschäden (Anh. § 178 Rn. 29 ff.). Der Ausschluss von Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen hat dagegen in der Rechtsprechung eine geringere Relevanz.
I. Zweck des Ausschlusses Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 dient ebenso wie § 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94 und § 10 Nr. 2 2 AUB 61 (s.a. A.4.10.6 AKB 2008 für die Kfz-Unfallversicherung) vornehmlich der Abgrenzung von Risiken, die der Krankenversicherung zuzuordnen sind, von solchen, die
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 5.2.1
Unfallversicherung
in den Bereich der Unfallversicherung gehören.1 Im Ausschlusstatbestand der AUB werden einige Gesundheitsschäden angesprochen, die normalerweise bereits nicht den Unfallbegriff (§ 178 Abs. 2 S. 1) erfüllen. Schäden an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen sind meist Krankheitserscheinungen ohne traumatische Ursache.2 Diese Krankheiten entstehen nach medizinischer Erfahrung regelmäßig auch ohne äußere Einwirkung (allein) aufgrund schicksalhafter oder anlagebedingter Abnutzungserscheinungen bzw. degenerativer Vorgänge im Körper.3 Für Gesundheitsschäden, die auf konstitutionsbedingten Besonderheiten der versicherten Person beruhen, ist nicht die Unfall-, sondern die Krankenversicherung zuständig. Die Unfall-VR wollen folgerichtig für die in dem Ausschluss genannten Gesundheitsschäden nur dann eintreten, wenn für diese ausnahmsweise ein Unfallereignis bzw. ein (Unfall-)Versicherungsfall, nicht aber eine innere Erkrankung oder ein Gebrechen der Hauptfaktor ist.4 Der Ausschluss trägt dazu bei, in unklaren Fällen Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien zu vermeiden.5
II. Entwicklung des Ausschlusses 3
Die letzte gravierende Änderung des Ausschlusstatbestandes fand mit Einführung der AUB 88 statt. Neben den Blutungen aus inneren Organen und den Gehirnblutungen wurde die Ersatzpflicht für Bandscheibenschäden ausgenommen, es sei denn, ein Unfall i.e.S. ist für den Gesundheitsschaden die überwiegende Ursache. Die folgenden AUBGenerationen (für die Kraftfahrt-Unfallversicherung s. etwa § 19 Nr. 6 AKB) haben an dieser Regelung inhaltlich unverändert festgehalten:
AUB 2008 6 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 7
AUB 94
AUB 88 8
AUB 619
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 10 Einschränkung der Leistungspflicht …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
1
2 3
4
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …fallen: …
OLG Frankfurt/M. 18.2.2003 RuS 2004 431; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 34. Reichenbach S. 93. OLG Dresden 29.8.2000 RuS 2002 261; ferner u.a. Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 97. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 62; Kötting
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Nicht unter den Versicherungsschutz
S. 27; Stockmeier/Huppenbauer S. 55 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 97. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 154. Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 55. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1983 10, 14.
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Schäden an Bandscheiben, Blutungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.1
AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
5.2.1 S. 1 Schäden an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen.
5.2.1 S. 1 Schäden an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen.
Abs. 3 Nr. 2 S. 1 Schädigungen an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen.
Abs. 3 Nr. 2 S. 1 Schädigungen an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis nach Ziffer 1.3 die überwiegende Ursache ist.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis nach Ziffer 1.3 die überwiegende Ursache ist.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis nach Ziffer 1.3 die überwiegende Ursache ist.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis nach Ziffer 1.3 die überwiegende Ursache ist.
Nr. 2 Bei Blutungen aus inneren Organen und bei Gehirnblutungen wird eine Leistung nur gewährt, wenn für diese Schäden die überwiegende Ursache ein Versicherungsfall, nicht aber eine innere Erkrankung oder ein Gebrechen gewesen ist.
Regelungen in den AUB zu Blutungen aus inneren Organen haben Tradition.10 Die 4 Notwendigkeit, hierzu eine Vereinbarung mit dem VN zu treffen, ist auch seit Einführung der AUB 61 nicht in Frage gestellt worden. Zur Klarstellung wurden erstmals in den AUB 61 neben den Blutungen aus inneren Organen auch die Gehirnblutungen besonders genannt, weil seitens der Ärzteschaft mitunter die Auffassung vertreten worden war, das Gehirn sei kein Organ im medizinischen Sinne.11 § 10 Nr. 2 AUB 61 wird überwiegend als sekundärer Leistungsausschluss aufgefasst;12 denn der VR nimmt sein in § 1 AUB 61 gegebenes Leistungsversprechen teilweise wieder zurück.13 Dieses Verständnis hat Auswirkungen auf die Beurteilung der Beweislastverteilung (Rn. 20). Die in den AUB 61 enthaltene teilweise Einschränkung der Leistungspflicht für Blu- 5 tungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen wurde in die Ausschlüsse der AUB 88/94 ohne materielle Änderung des Inhalts übernommen. Dies stand außer Diskussion. Es wurde lediglich auf die Erwähnung von mitwirkenden inneren Erkrankungen oder Gebrechen verzichtet und der Tatbestand in den Ausschlusskatalog platziert. Die Umformulierung und neue systematische Anordnung hatte aber auch zur Folge, dass aus dem sekundären Leistungsausschluss ein genereller Leistungsausschluss mit Wiedereinschluss wurde. Dies führt im Vergleich zu den AUB 61 zu einer geänderten Beweislastverteilung (Rn. 21). Inhaltlich neu war, dass zusätzlich die Ersatzpflicht für Bandscheibenschädigungen grundsätzlich von der Ersatzpflicht ausgeschlossen wurde. Anlass für diese Veränderung zu Ungunsten des VN war, dass in der Regulierungspraxis häufig unter Berufung auf § 2 Nr. 2a AUB 61 (Kraftanstrengung) eine Leistung für Beeinträchtigungen verlangt wurde, die nur auf geringfügige äußere Einwirkungen oder normale Eigenbewegungen zurückzuführen waren. Sofern eine Kraftanstrengung zu bejahen war (Anh. § 178 Rn. 21 ff.), konnten die VR dem Leistungsbegehren nur begrenzt § 10 Nr. 1 AUB 61 entgegenhalten, da bei der Anspruchsminderung altersgerechter Verschleiß an den 10 11 12
Zur Entwicklung s. etwa Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 262. Grewing Entstehungsgeschichte, S. 48. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 64; s.a. Kötting S. 27 („Risikoausschlussklausel“);
13
abw. Gaidzik S. 45 („genereller Risikoausschluss“). BGH 19.12.1990 RuS 1991 143, 144 = NJW-RR 1991 539, 540.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.1
Unfallversicherung
Bandscheiben nicht als Krankheit oder Gebrechen qualifiziert werden konnte (Anh. § 178 Rn. 41 ff.). Um zukünftig solchen Fällen besser begegnen zu können, gingen die Bedingungsgeber zweigleisig vor:14 Zum einen wurde durch die Neufassung von § 1 Abs. 4 AUB 88/94 klargestellt, dass die Bandscheiben nicht dem erweiterten Unfallbegriff bzw. der Unfallfiktion zugeordnet werden können (Anh. § 178 Rn. 28). Zum anderen sollte durch die Schaffung des Ausschlusses die Grenze zur Krankenversicherung deutlicher gezogen werden. Bandscheibenschädigungen sind grundsätzlich Folge degenerativer Veränderungen (Anh. § 178 Rn. 4). Für diese will der Unfall-VR nur dann einstehen, wenn der „klassische Unfall“ – also eine massive Einwirkung von außen – die überwiegende Ursache war. Ziff. 5.2.1 AUB 99 hat gegenüber § 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94 keine materiell-recht6 lichen Änderungen erfahren. Lediglich in Satz 1 ist eine geringfügige sprachliche Änderung erfolgt, indem das Wort „Schädigungen“ durch „Schäden“ ersetzt worden ist. Die Bedingungsgeber sahen den Ausschluss als unverzichtbar an. Es sollte zum einen verhindert werden, dass die Unfallversicherung zur Krankenversicherung wird. Zum anderen sollte der außerordentlichen Verbreitung von Bandscheibenerkrankungen Rechnung getragen werden.15 Die VVG-Reform 2008 machte keine Anpassung des Ausschlusses erforderlich. 7 Ziff. 5.2.1 AUB 99 ist unverändert in die AUB 2008 übernommen worden.
B. Tatbestand 8
Für Bandscheibenschäden (näher Anh. § 178 Rn. 29 ff.), Blutungen aus inneren Organen oder Gehirnblutungen ist gemäß Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94) der Versicherungsschutz ausgeschlossen, es sei denn, ein Unfallereignis ist für diese Gesundheitsschädigungen die überwiegende Ursache. Ist letzteres nicht der Fall, so erfasst der Ausschluss nicht nur die im Tatbestand genannten Gesundheitsschäden, sondern auch die durch diese Schädigungen ausgelösten weiteren Störungen (z.B. Lähmungen).16
I. Blutung aus inneren Organen und Gehirnblutungen 9
Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen beruhen häufig auf Gefäßanomalien 17 bzw. auf Krankheitserscheinungen im Organgewebe (z.B. tuberkulöse Leiden der Lungen) oder krankhaften Veränderungen der Blutgefäße des Organs oder Gehirns (krampfaderförmige Gefäßerweiterungen, Gefäßwandveränderungen u.U. mit Ausbuchtungen oder Gefäßmissbildungen, z.B. Aneurysmen).18 Oftmals würden die Blutungen ohne die krankhafte Veränderung bei einem Unfall nicht auftreten;19 m.a.W.: In aller
14 15 16
Konen/Lehmann S. 21; Stockmeier/Huppenbauer S. 55 f. Stockmeier/Huppenbauer S. 56. OLG Hamburg 15.5.2007 RuS 2008 32; Kötting S. 27; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 35; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 97.
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17 18
19
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 40; Perret S. 16. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 123; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 269; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 96. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 64; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 268.
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Schäden an Bandscheiben, Blutungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.1
Regel bedarf es keines Unfalls, damit es bei solchen krankhaften Veränderungen zu Blutungen aus den erkrankten Organen kommen kann.20 Der Begriff „Blutung aus inneren Organen“ dient lediglich der Abgrenzung von:21 10 • „Blutungen durch äußere Verletzungen“,22 z.B. Hautverletzungen durch Schnittwunden; • „Blutungen im Körperinneren“. Der Begriff „Blutung aus inneren Organen“ ist deshalb nicht mit dem der „inneren Blutung“ gleichzusetzen, weil im Gegensatz zu „inneren Blutungen“ die „Blutungen aus inneren Organen“ auch äußerlich in Erscheinung treten können, z.B. bei einem Blutsturz infolge Magen- oder Lungenblutung.23
Im Übrigen lässt sich festhalten, dass jede Blutung im Körperinneren zugleich eine Blutung aus inneren Organen darstellt.24 Weitere Differenzierungen etwa dahingehend, ob das Blutkreislaufsystem ein Organ ist, ob also eine Aortenruptur eine Organblutung ist, sind bei der Prüfung des Tatbestandes nicht zu treffen.25 Vom Begriff „Blutung aus inneren Organen“ sind vielmehr auch die Aorta,26 Herzkranzgefäße und das gesamte Adersystem erfasst. Dies ergibt sich daraus, dass der Begriff „innere Organe“ weit zu verstehen ist: • Unter Organe werden aus Zellen und Gewebe zusammengesetzte Teile des Körpers verstanden, die eine Einheit mit bestimmter Funktion bilden.27 Innere Organe sind Organe im Körperinneren wie z.B. Leber, Lunge oder Magen. • Auch das Blutkreislaufsystem ist ein System innerer Organe. Es hat zwar keine speziellen Aufgaben wie die Aufnahme von Sauerstoff, Verwertung der Nahrung o.ä., ist aber notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit, bestimmte Aufgaben den spezialisierten Organen zuzuteilen; denn der Blutkreislauf übernimmt den notwendigen Transport der Körpersäfte, der für die Beförderung von Zellbrennstoffen, deren Abfallprodukten und deren Reinigung unerlässlich ist.28
Als Blutungen aus inneren Organen zu werten sind z.B. Blutungen aus Magen- oder Darmgeschwüren, der Lunge (als Folge von Lungentumoren, Lungentuberkulose oder verschiedenen Infektionen), Herzgefäßen oder aus der Speiseröhre.29 Ursache für eine Gehirnblutung kann entweder der Riss eines Blutgefäßes oder das 11 Platzen einer Ausstülpung eines Blutgefäßes (Aneurysma) sein.30 Unter den Ausschluss fallende Gehirnblutungen treten häufig nach einem Gehirnschlag (Schlaganfall) auf.31 Vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist z.B. eine tödliche Blutung im Gehirn, die einer Zerreißung eines Blutgefäßes beim Heben einer schweren Last (Bodentreppe) nachfolgt (cerebrale Rhexisblutung).32
20 21 22 23 24 25
26
Kötting S. 27; Reichenbach S. 93. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 65. OLG Frankfurt/M. 27.6.1990 VersR 1991 213, 214. Gaidzik S. 45; Hofmann S. 46; Kötting S. 27; Reichenbach S. 93 f. OLG Frankfurt/M. 27.6.1990 VersR 1991 213, 214; Kloth Rn. K 75. Reichenbach in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 – (1992), S. 42; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 65. BGH 17.4.1991 VersR 1991 916; Beck-
27 28 29
30 31
32
mann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 98. Pschyrembel unter „Organ“. OLG Frankfurt/M. 27.6.1990 VersR 1991 213, 214. S. jeweils m.w.N. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 65; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 269; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 96. Kloth Rn. K 76. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 66; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 98; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 96. LG Koblenz 5.12.1975 VersR 1976 1058.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.1
Unfallversicherung
II. Wiedereinschluss 12
Liegt ein Bandscheibenschaden, eine Blutung aus inneren Organen oder eine Gehirnblutung vor, so besteht nur dann Versicherungsschutz, wenn das Unfallereignis i.S.v. Ziff. 1.3 AUB 99/2008 bzw. § 1 Abs. 3 AUB 88/94 oder ein Versicherungsfall i.S.d. AUB 61 überwiegende Ursache war. Erhöhte Kraftanstrengungen bleiben mithin als Ursachenereignis ausgeschlossen. 1. Kausalität des Unfallereignisses
13
Bevor der Wiedereinschluss thematisiert wird, ist die vorrangige Frage zu unterscheiden, ob das Unfallereignis für die Gesundheitsschädigung überhaupt (mit-)ursächlich geworden ist. Daran fehlt es etwa, wenn die versicherte Person nach einem schweren Unfall aus rein inneren Ursachen eine Blutung erleidet und daran verstirbt.33 Weiterhin kommt es durchaus vor, dass der Unfall nicht Ursache sondern Folge z.B. einer Hirnblutung sein kann (§ 178 Rn. 188). Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn es sich um ein leichtes Trauma gehandelt hat.34 Im Bestreitensfall muss der Anspruchsteller bei solchen Sachverhaltskonstellationen zunächst die (Mit-)Ursächlichkeit des Unfallereignisses für die Blutung z.B. anhand ärztlicher Dokumentationen führen, bevor der Ausschlusstatbestand in Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 geprüft wird. 2. Überwiegen des Unfallereignisses
Bereits die Mitursächlichkeit des Unfallereignisses wird selten zu bejahen sein.35 Selbst wenn sie gegeben sein sollte, so ist damit der Wiedereinschluss noch nicht zwangsläufig begründet; denn „überwiegend“ ist ein Unfall nur dann, wenn er zu mehr als 50 % an den Gesundheitsschäden mitgewirkt hat.36 Unfallbedingte Gelegenheitsursachen (§ 178 Rn. 157) reichen mithin nicht aus.37 Überwiegen dagegen unfallfremde Ursachen bzw. liegt der Mitwirkungsanteil des Unfalls unter 50 %, so entfällt die Leistungspflicht des VR völlig. Es entsteht auch kein Anspruch auf eine Teilleistung gemäß Ziff. 3 AUB 99/2008, § 8 AUB 88/94 bzw. § 10 Nr. 1 AUB 61.38 15 Als unfallfremder Umstand ist im Gegensatz zu Ziff. 3 AUB 99/2008 auch der Verursachungsbeitrag durch altersgerechte Degeneration zu berücksichtigen.39 Fernerhin ist u.a. eine Blutverdünnung durch Einnahme des blutgerinnungshemmenden Medikaments „Marcumar“ zu nennen. In der Unfallversicherung will der VR nur dann leisten, wenn überwiegende Ursache der Blutung und damit des Gesundheitsschadens das plötzlich von außen auf den Körper des VN wirkende Ereignis gewesen ist, nicht aber dann, wenn die Blutung überwiegend durch innen im Körper wirkende Umstände herbeigeführt wurde, und zwar gleichgültig, ob es sich hierbei um gefahrträchtige „natürliche“ Gegebenheiten
14
33 34 35 36
OLG Hamm 21.9.1921 VA 1922 Anh. 20, 21 (Nr. 1246). Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 125 Reichenbach S. 93; Stockmeier/Huppenbauer S. 55. S. nur OLG Koblenz 16.3.2007 VersR 2008 67, 68 = RuS 2008 303; Hofmann S. 46; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 154; Konen/Lehmann S. 21; Beckmann/Matusche-
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Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 100; Riebesell S. 40; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 36. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 67. OLG Dresden 29.8.2000 RuS 2002 261; Kötting S. 27, 28; Reichenbach S. 94; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 97. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 131.
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Schäden an Bandscheiben, Blutungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.1
handelt oder um eine durch Medikamente beeinflusste und geänderte Beschaffenheit des Körpers.40 Eindeutig ist ein Überwiegen des Unfallereignisses, wenn nur ein Trauma als Ursache 16 der Gesundheitsschädigung (z.B. Hirnblutung) in Betracht kommt und sich andere denkbare Ursachen ausschließen lassen.41 Wirken dagegen mehrere Ursachen zusammen, so ist eine Gewichtung der unfallbedingten und unfallfremden (krankheits- oder anlagebedingten inneren) Umstände vorzunehmen.42 Dabei ist eine wertende Gesamtschau notwendig. Beispiele: • Bei einer Gehirnblutung ist nicht allein auf die Auflösung einer Gefäßruptur für den Blutungsbeginn, sondern die konkret aufgetretene Blutung insgesamt in ihrem Verlauf – auch hinsichtlich der Blutungsdauer und der Menge des ausgetretenen Blutes – zu betrachten und festzustellen, welche Faktoren im Einzelnen dazu beigetragen haben, dass eine Gehirnblutung des vorgefundenen Ausmaßes auftreten konnte.43 • Eine überwiegende Ursache des Unfallereignisses ist bei einer nach verbalem Streit ausgelösten Gehirnblutung zu verneinen.44 Entsprechendes gilt, wenn eine Gehirnblutung (Aneurysma) nach einem leichten Verkehrsunfall („Allerweltsunfall“) auftritt, der zu keinen nachweisbaren äußeren Verletzungen am Kopf der versicherten Person geführt hat. Hier kommt der als Ursache der Ruptur angenommenen Blutdrucksteigerung gegenüber dem schweren gesundheitlichen Vorschaden ein weit geringerer Mitwirkungsanteil zu, und zwar auch dann, wenn das Unfallgeschehen die versicherte Person subjektiv stark betroffen und deshalb ihren Blutdruck deutlich erhöht hat.45
Ist ein Unfallereignis überwiegende Ursache, so ist zwar im Grundsatz Versicherungsschutz gegeben, jedoch ist die Frage der Leistungsbegrenzung zu prüfen. Ziff. 3 AUB 99/2008 (§ 8 AUB 88/94, § 10 Nr. 1 AUB 61) finden Anwendung.46
C. Wirksamkeit des Ausschlusses Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 bzw. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94 ist rechtlich unbedenk- 17 lich 47 und verstößt nicht gegen AGB-Recht. Der Ausschlusstatbestand ist wirksam, klar formuliert und benachteiligt den VN nicht entgegen Treu und Glauben in unangemessener Weise.48 So erschließt sich für den VN aus dem Wortlaut der Bedingung ohne weiteres, dass bei einer erheblichen vorgeschädigten Bandscheibe eine bloße „Gelegenheitsursache“ nicht überwiegende Ursache sein kann, und zwar auch dann nicht, wenn der konkret eingetretene Schaden allein auf das Unfallereignis zurückzuführen ist.49 40 41 42
43 44 45
OLG Koblenz 16.3.2007 VersR 2008 67, 69 = RuS 2008 303, 304. OLG Hamm 17.8.1994 RuS 1995 117, 118; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 67. OLG Hamm 19.12.2001 VersR 2002 883, 884; einschränkend Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 268 (§ 10 Nr. 2 AUB 61 sei unanwendbar, wenn es um Todesfallentschädigungen ginge, da bei ihnen der Anteil verschiedener Ursachen quantitativ nicht messbar sei). OLG Koblenz 16.3.2007 VersR 2008 67, 68 = RuS 2008 303. OLG Stuttgart 30.4.1998 VersR 1999 1228 = RuS 1999 42, 43. OLG Hamm 19.12.2001 VersR 2002 883, 884.
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Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 62; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 40; Kötting S. 27, 28; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 100; Reichenbach S. 94; Stockmeier/Huppenbauer S. 55; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 97; a.A. offenbar Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 39. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 34; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 133. OLG Köln VersR 22.5.2002 2003 1120, 1121; OLG Oldenburg 21.8.1996 VersR 1997 821. OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969 = RuS 2006 296 (zust. Marlow RuS 2006 397, 399).
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Unfallversicherung
• Der Ausschluss hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (§ 9 AGBG) stand.50 Die Klausel trägt der Erfahrungstatsache Rechnung, dass Gesundheitsschädigungen aufgrund schicksalhafter oder anlagebedingter Abnutzungserscheinungen oder degenerativer Vorgänge im Körper grundsätzlich dem Krankheitsbereich und damit der Krankenversicherung zuzurechnen sind (Rn. 2). Dies gilt insbesondere für Bandscheibenschäden, die nach gesicherter medizinischer Erkenntnis nur selten aus traumatischen Einwirkungen, sondern regelmäßig aus natürlicher Gewebealterung und vorzeitigem Verschleiß resultieren (s.a. Anh. § 178 Rn. 4).51 Der VR hat ein berechtigtes Interesse daran, Gesundheitsschäden, die regelmäßig ihre Ursache im Krankheitsbereich haben, vom Unfallversicherungsschutz auszuschließen.52 Aber auch der verständige VN wird für Schädigungen der Bandscheiben im Rahmen der Unfallversicherung nur dann Versicherungsschutz erwarten, wenn ein Unfallereignis die überwiegende Ursache ist, also weniger körperinterne Vorgänge, die vom Krankenversicherungsschutz erfasst werden, sondern ein von außen wirkendes Ereignis überwiegend für die Schädigung ursächlich ist. Weiterhin verstößt der Deckungsausschluss nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.53 • § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB beinhaltet keine Beweislastumkehr zu Lasten des Anspruchstellers. Die Regelung führt dem VN klar vor Augen, dass Bandscheibenschäden grundsätzlich nicht unter den Schutz der Unfallversicherung fallen und er die zu seinen Gunsten vorgesehene Ausnahme zu beweisen hat (Rn. 21).54 Die Beweislast folgt der – hier klaren – sachlichen Regelung.55
D. Konkurrenzen 18
Häufig kommt es in der medizinischen Praxis bei oder nach Operationen zu Blutungen. In solchen Fällen liegt eine Anwendung des Ausschlusstatbestandes in Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 3 AUB 61) nahe. Ist jedoch die Operation durch einen Unfall veranlasst worden, so ist entsprechend der Regelungen zu Heilmaßnahmen und Eingriffen auch eine Blutung gedeckt.56
E. Verfahrensfragen 19
Die Höhe des unfallbedingten Mitwirkungsanteils kann in der Regel nur von medizinischen Sachverständigen beantwortet werden. Der VR wird deshalb während der Leistungsregulierung einen Gutachter mit der Prüfung des Gesundheitsschadens beauftragen und dabei – neben der Prüfung, ob überhaupt ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden vorliegt – um Feststellung dazu bitten, welcher Anteil den einzelnen Mitwirkungsfaktoren prozentual zukommt.57 Dies kann mit Schwierigkeiten verbunden sein. So ist z.B. im Regelfall die genaue Ursache von Blutungen aus inneren Organen bzw. von Gehirnblutungen schwer festzustellen.58 Des Weiteren
50 51
52 53 54
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 62; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 40. OLG Frankfurt/M. 18.2.2003 RuS 2004 431; Konen/Lehmann, S. 9 und 21; Stockmeier/ Huppenbauer S. 56. OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969; OLG Oldenburg 21.8.1996 VersR 1997 821. OLG Frankfurt/M. 20.7.2005 VersR 2006 1118 = RuS 2006 165. OLG Köln 22.5.2002 VersR 2003 1120, 1121.
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55 56 57 58
OLG Karlsruhe 17.3.2005 VersR 2005 969, 970. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 269. Kötting S. 27; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 97; ferner Reichenbach S. 94. OLG Hamm 21.9.1921 VA 1922 Anh. 20, 21 (Nr. 1246); Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 268; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 64; s. etwa OLG Köln 5.10.1989 RuS 1989 415, 416.
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Schäden an Bandscheiben, Blutungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.1
reicht allein der zeitliche Zusammenhang nicht aus, um auf Kausalität zwischen Unfall und Schädigung zu schließen.59 Damit kommt der Frage der Beweislastverteilung eine erhebliche Bedeutung zu. Sie ist je nach dem, welche AUB zwischen den Vertragsparteien vereinbart sind, unterschiedlich zu beantworten. Zu § 10 Nr. 2 AUB 61 war die Beweislastverteilung umstritten. U.a. der BGH wies 20 dem VR die Beweislast vollständig zu.60 Die Gegenauffassung nahm dagegen einschränkend an, der VR müsse „nur“ den Beweis für die innere Blutung oder die Gehirnblutung führen, während der Anspruchsteller die Beweislast dafür trage, dass ein Unfall überwiegende Ursache für die Blutung sei.61 Der BGH-Ansicht ist zu folgen. Dafür spricht, dass es sich bei § 10 Nr. 2 AUB 61 um einen sekundären Leistungsausschluss handelt, durch den der VR sein in § 1 AUB 61 gegebenes Leistungsversprechen teilweise wieder zurücknimmt. Einen Leistungsausschluss hat nach allgemeinen prozessualen Regeln aber derjenige zu beweisen, der aus ihm Vorteile ableitet. Insofern ähnelt die Rechtslage der beweisrechtlichen Beurteilung etwa von § 10 Nr. 5 AUB 61 (Ziff. 5.2.6 AUB 2008 Rn. 47 ff.). Die Voraussetzungen des Risikoausschlusses in Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008, § 2 Abs. 3 21 Nr. 2 AUB 88/94 – also das Vorliegen einer Bandscheibenschädigung, einer Blutung aus inneren Organen oder einer Gehirnblutung – hat der VR nach allgemeinen Regeln zu beweisen (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32).62 Die Beweislast für den Wiedereinschluss trägt dagegen der Anspruchsteller. Er muss die Voraussetzungen dafür vortragen und im Streitfall beweisen, dass ein Unfall überwiegende Ursache des Bandscheibenschadens (Anh. § 178 Rn. 36), der Blutungen innerer Organe oder der Gehirnblutung63 ist.64 • Die vereinzelt geäußerte Auffassung, der VR sei auch dafür beweispflichtig, dass keine überwiegende Unfallkausalität des Unfalls (etwa für die Schädigung der Bandscheibe) gegeben sei, hat sich nicht durchgesetzt. Dem ist zuzustimmen. Anders als bei § 10 Nr. 2 AUB 61 handelt es sich bei Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 und § 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94 nicht um einen sekundären Leistungsausschluss, sondern um einen „Ausschlusstatbestand mit Ausnahmeregelung“ bzw. „Ausschluss mit Wiedereinschluss“. Es wird m.a.W. nicht wie in den AUB 61 ein grundsätzlich gegebenes Versicherungsversprechen wieder eingeschränkt. Vielmehr schließen die AUB 88/94/ 99/2008 bestimmte Gesundheitsschäden eindeutig von vornherein vom Versicherungsschutz aus und räumen dann den Versicherungsschutz nur ausnahmsweise wieder für den Fall ein, dass das Unfallereignis überwiegende Ursache der Schädigungen ist. Diese Voraussetzungen des Wiedereinschlusses (Gegenausnahme) muss nach allgemeinen Prozessregeln derjenige beweisen, der dadurch begünstigt wird, also der Anspruchsteller. Bleibt mithin z.B. nach der Beweisaufnahme offen, ob die nach einem „Allerweltsunfall“ im Straßenverkehr ohne nachweisbare Kopfverletzung aufgetretene tödliche Gehirnblutung (Aneurysmenruptur) überwiegend durch den Verkehrsunfall verursacht wurde oder als Gelegenheitsursache zu werten ist, so geht dies zu Lasten des Anspruchstellers.65
59 60
61 62
63
van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 132. BGH 19.12.1990 RuS 1991 143, 144; OLG Köln 5.10.1989 RuS 1989 415, 416; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 268 a.E. Gaidzik S. 45; Hofmann S. 46. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 132; Stockmeier/Huppenbauer S. 56; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 97. OLG Schleswig 13.7.1990 VersR 1991 916; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 154; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 317; offen
64
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lassend OLG Dresden 29.8.2000 RuS 2002 261. OLG Hamm 19.12.2001 VersR 2002 883, 884; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 68; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 40; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 122 f.; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 132; Stiefel/ Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 39; Stockmeier/ Huppenbauer S. 56; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 97; offen lassend Kötting S. 27, 28. OLG Hamm 19.12.2001 VersR 2002 883, 884.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.2
Unfallversicherung
• Z.T. wird zugunsten des Anspruchsstellers eine überwiegende Beteiligung der traumatischen Einwirkungen vermutet, wenn Zeichen äußerer Einwirkung deutlich an den Körperstellen festgestellt werden können, wo die Schädigung an der Wirbelsäule bzw. den Bandscheiben oder wo die Blutungen aus inneren Organen bzw. Gehirnblutungen aufgetreten sind. Der VR müsse diese Vermutung dann widerlegen.66 Diese – nicht näher begründete – Annahme eines Anscheinsbeweises ist abzulehnen. Zwar wird davon ausgegangen werden können, dass bei äußeren Verletzungen Kausalität des Unfallereignisses gegeben ist. Jedoch folgt daraus noch nicht, dass das Unfallereignis auch zu mehr als 50 % mitgewirkt hat.
22
Der Nachweis dafür, dass der Unfall überwiegende Ursache war, ist für den Anspruchsteller häufig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Das gilt insbesondere für Bandscheibenverletzungen. Beweisprobleme können aber auch bei Gehirnblutungen auftreten. Bei einem nicht vorgeschädigten Patienten setzt eine Subarachnoidalblutung ein erheblich über eine bloße Kopfverdrehung hinausgehendes Trauma (wie eine schwere Gehirnerschütterung) voraus. Ein leichtes Trauma mit einem Sturz aus dem Stand ohne Kopfaufprall und ohne klinische Hinweise auf ein Schädel-Hirn-Trauma genügt nicht zur Annahme einer überwiegenden Unfallursache.67 Selbst bei einer Gewalteinwirkung auf den Kopf ist die Schädigung von Hirngefäßen nur in besonderen Fällen zu erwarten (z.B. bei extremen Winkelbeschleunigungen). Fehlt es an einem solchen Sachverhalt, ist bereits die (Mit-)Ursächlichkeit des Unfalls zu verneinen. Posttraumatische Gehirnblutungen sind zudem von bestimmten Voraussetzungen abhängig. Zunächst auftretende Kopfschmerzen und Sehstörungen lassen sich auch durch Bluthochdruck (Hypertonie) begründen.68
Ziff. 5.2.2 AUB 2008 5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: … 5.2.2 Gesundheitsschäden durch Strahlen.
Schrifttum Eckart Die Strahlen-Unfallversicherung, VerBAV 1965 61; Grewing Die Strahlenunfallversicherung (1965); ders. Zur Strahlenunfallversicherung, VW 1965 698.
Übersicht Rn. A. I. II. B. C.
66 67
Einführung . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . Entwicklung des Ausschlusses Anwendungsbereich . . . . . Kausalität . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
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. . . . .
. . . . .
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 97. OLG Dresden 29.8.2000 RuS 2002 261.
984
Rn.
. 1 . 2 . 3 . 8 . 12
D. E. F. G.
68
Wirksamkeit des Ausschlusses . . Konkurrenzen . . . . . . . . . . . Speziellere AVB . . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
OLG Schleswig 13.7.1990 VersR 1991 916.
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Gesundheitsschäden durch Strahlen
AUB 2008 Ziff. 5.2.2
A. Einführung Da der Unfallbegriff seit der Fassung durch die AVB von 1920 keine mechanische 1 Einwirkung mehr voraussetzt, kann auch eine Strahlung ein Unfallereignis darstellen.1 Um Abgrenzungsschwierigkeiten und eine Leistungspflicht für unwägbare Risiken zu vermeiden, finden sich deshalb seit 1920 (Ausschluss-)Regelungen zu Gesundheitsschäden durch Strahlen in den AVB. Ihre praktische Bedeutung ist – soweit ersichtlich – gering.2 Die Gerichte haben sich bisher mit der „Strahlenklausel“ nur selten auseinandergesetzt.
I. Zweck des Ausschlusses Der Zweck des Ausschlusses liegt vornehmlich darin, Auseinandersetzungen zwischen 2 den Parteien des Unfallversicherungsvertrages bei der Einwirkung von Strahlen zu vermeiden:3 Zum einen soll unübersehbaren Risiken aufgrund – rechtlicher – Interpretationsspielräumen bei der Anwendung des Unfallbegriffs, namentlich bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Plötzlichkeit, begegnet werden.4 Nachdem die Rechtsprechung eine Röntgenbestrahlung von über 40 Minuten noch als „plötzlich“ gewertet hatte,5 sah sich die Rechtspraxis außerstande, plötzliche von allmählichen (nicht versicherten) Strahleneinwirkungen abzugrenzen. Die Bedingungsgeber reagierten daraufhin mit der Schaffung der Strahlenklausel.6 Zum anderen bezweckt die Klausel auf tatsächlicher Ebene, die unwägbaren (und damit auch nicht kalkulierbaren) Risiken einer Gesundheitsschädigung durch die Einwirkung von Strahlen von vornherein aus dem Schutzbereich einer Unfallversicherung auszunehmen.7 Die Unwägbarkeit des Risikos ergibt sich zunächst aus der stetig fortschreitenden Ausweitung der Anwendungs- und Einsatzmöglichkeiten auch hochkomplizierter Strahlentechnik in vielfältigen Lebensbereichen.8 Des Weiteren lassen sich die – häufig schweren – Folgen von Strahleneinwirkungen kaum einschätzen. Die gesundheitsgefährdende Wirkweise von Strahlen ist vielmehr oft umstritten.9
II. Entwicklung des Ausschlusses Strahlenklauseln finden sich seit 1920 in den AVB. Mit den AUB 61 erfolgte eine 3 Modernisierung in der bis dahin üblichen Aufzählungskasuistik, die dann ab den AUB 88 zugunsten einer Sammelbezeichnung aufgegeben wurde:
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 238. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 155. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 69 f. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 155; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 79; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 38. RG 21.11.1919 RGZ 97 189, 190.
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 238; s.a. Henke S. 55. Kloth Rn. K 77; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 237. Auf die steigende Bedeutung der Bestrahlungen in der Medizin wies bereits Henke S. 55 hin. BGH 11.3.1998 VersR 1998 617, 618.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.2
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Unfallversicherung
AUB 2008 10 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 11
AUB 94
AUB 88 12
AUB 61 13
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Unfallbegriff und Grenzfälle …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
§ 2 Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
§ 2 Nicht unter den Versicherungsschutz
Nr. 3 Dagegen fallen nicht unter den Versicherungsschutz: …
5.2.2 Gesundheitsschäden durch Strahlen.
5.2.2 Gesundheitsschäden durch Strahlen.
Abs. 2 Nr. 1 Gesundheitsschäden durch Strahlen.
Abs. 2 Nr. 1 Gesundheitsschäden durch Strahlen.
Nr. 3c S. 1 Gesundheitsschädigungen durch energiereiche Strahlen mit einer Härte von mindestens 100 Elektronen-Volt, durch Neutronen jeder Energie, durch Laser- oder Maserstrahlen und durch künstlich erzeugte ultraviolette Strahlen;
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Nr. 3c S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn es sich um Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses handelt.
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Bereits die Bedingungsgeber der AUB 61 strebten anstelle einer kasuistischen Aufzählung die Verwendung eines allgemeinen Begriffs in der Strahlenklausel an. Nach Anhörung von Sachverständigen einigte man sich dann aber doch auf eine modernisierte Aufzählung, die den damaligen physikalischen Erkenntnissen entsprach.14 Der als negativer Grenzfall formulierte § 2 Nr. 3c S. 1 AUB 61 sollte (erstmals) insbesondere auch Strahlenschäden durch Atomenergie (kernenergetische Strahlung),15 nicht dagegen Hitzeoder Luftdruckschäden beim sog. Durchgehen eines Reaktors erfassen.16 Unter den Ausschluss fällt auch die Radiumbestrahlung zur Heilung von Krebskranken oder zu anderen medizinischen Zwecken;17 hier greift außerdem § 3 Nr. 3 AUB 61 ein.
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Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 57. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10. Näher Grewing Entstehungsgeschichte S. 11;
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Riebesell S. 39; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 74 f. Konen/Lehmann S. 16. Grewing Entstehungsgeschichte S. 10 f.; s.a. GB BAV 1958 30. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 74.
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Gesundheitsschäden durch Strahlen
AUB 2008 Ziff. 5.2.2
Der bisherige Grenzfall wandelte sich in den AUB 88 zu einem echten Ausschlusstat- 5 bestand. Die Verfasser der neuen Bedingungsgeneration entschlossen sich, auf eine enumerative Aufzählung der Strahlungsarten zu verzichten und stattdessen den Sammelbegriff „Gesundheitsschädigungen durch Strahlen“ einzuführen. Zum einen wurde die Gefahr gesehen, dass sich die Bedeutung einzelner Strahlungsarten dem VN entziehen könne. Zum anderen sei die bisher festgeschriebene Grenze von 100 Elektronen-Volt als Energiegrenzmenge überholt. Erst weit über diesem Grenzwert seien Gesundheitsschädigungen zu verzeichnen. Im praktischen Ergebnis war Deckungsgleichheit zwischen § 2 Nr. 3c S. 1 AUB 61 und § 2 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88 angestrebt.18 Für eine Beibehaltung des Wiedereinschlusses in § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 sahen die Bedingungsgeber der AUB 88 dagegen keinen Regelungsbedarf. Es sei wenig wahrscheinlich, dass die versicherte Person durch ein Unfallereignis einer schädigenden Strahleneinwirkung ausgesetzt sei, z.B. eine Raumpflegerin in einer Arztpraxis durch Sturz im Röntgenraum in ein Bündel Strahlen gerät und dabei eine Gesundheitsschädigung erleidet.19 Gesundheitsschädigungen durch strahlendiagnostische und -therapeutische Maßnahmen, die durch einen Unfall veranlasst waren, sollten dagegen nach dem Willen der Bedingungsgeber gedeckt sein (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 AUB 88, Ziff. 5.2.3 S. 2 AUB 99/2008). Gegenüber den AUB 88/94 wurde der Strahlen-Ausschluss in den AUB 99 nicht ver- 6 ändert. Lediglich das Wort „Gesundheitsschädigungen“ wurde – wie überall in den AUB 99 – durch „Gesundheitsschäden“ ersetzt. Zwar erörterten die Bedingungsgeber die Frage, ob der Ausschluss auf die im Zusammenhang mit der Kernenergie vorkommenden Strahlen (von radioaktiven Substanzen emittierte Alpha- Beta- und Gammastrahlen sowie Neutronen) oder in Teilchenbeschleuniger erzeugte Strahlen mit dem Ziel beschränkt werden könne, dem mit Laser umgehenden Privatmann Versicherungsschutz zu eröffnen.20 Dagegen sprachen jedoch die vielen noch ungeklärten wissenschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit Gesundheitsschäden durch Strahlen.21 Die VVG-Reform 2008 machte keine Anpassung des Ausschlusstatbestandes notwen- 7 dig. Ziff. 5.2.2 AUB 99 wurde unverändert in den AUB 2008 beibehalten.
B. Anwendungsbereich Der Ausschlusstatbestand ist umfassend.22 Ziff. 5.2.2 AUB 99/2008 findet grundsätz- 8 lich für sämtliche Strahlenarten Anwendung. Neben ionisierenden Strahlen, die aus elektromagnetischen Wellen (z.B. Gamma- und Röntgenstrahlen) oder Teilchenstrahlung (z.B. Alpha-, Betastrahlen, Neutronenstrahlung) bestehen können,23 erlangen insbesondere folgende Strahlen für den Ausschluss Bedeutung: • Laserstrahlen (light amplification by stimulated of radiation) und Maserstrahlen (Microwave amplification by stimulated emission of radiation) sind künstlich erzeugtes stark gebündeltes Licht von gleicher Wellenlänge und hoher Leistungsdichte, das hochgradige Hitze entwickelt.24 Beide Strahlungsarten unterscheiden sich lediglich im Frequenzbereich bzw. in den Wellenlängenbereichen der emittierten Strahlung; bei Laser sind es Lichtquellen, bei Maser Mikrowellen.25 Laserstrahlen können die Haut durch Verbrennungen schädigen. Wirkt ein Laser über längere Zeit auf die Haut ein, so kommt es zu Schädigungen durch UV-Strahlen. Akut tritt dann eine
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Konen/Lehmann S. 17; Riebesell S. 39. Konen/Lehmann S. 17. S.a. Bihr VW 1999 1329, 1332. Stockmeier/Huppenbauer S. 57 ff.
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VerBAV 1993 264. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 73. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 74. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 73.
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Unfallversicherung
Hautrötung (UV-Erythem) auf. Chronisch kommt es zu Lichtalterungen der Haut, die mit Austrocknungen, Pigmentanomalie und erhöhtem Hautkrebs-Risiko verbunden sein können. Ob Laserstrahlen für die Haut oder die Augen gefährlich sind, hängt von der Wellenlänge der Strahlungen und der Bestrahlungsdauer ab. Die Einsatzgebiete und -möglichkeiten von Laserstrahlen sind sehr vielfältig. Sie werden eingesetzt in der Medizin, (z.B. zur Behandlung von Tumoren und Krebsgeschwülsten sowie bei Netzhautoperationen), in der Industrie, zu Forschungszwecken, im Bereich der Nachrichten- und Vermessungstechnik (Navigation, Ortung, Höhen- und Entfernungsmessung), zur Analyse von Luftverschmutzungen oder zur Messung von stratosphärischen Ozon-Konzentrationen, zu Verwaltungszwecken (z.B. Lese- und Druckwerk in der Datenverarbeitung) oder im privaten Bereich (z.B. CD-Player, Laserstrahlen in Diskotheken).26 • Sonnenstrahlen gewinnen durch die dünner werdende Ozonschicht immer mehr an Gefährlichkeit. Aus dem Sonnenbrand resultiert ein erhöhtes Krebsrisiko. Da die Intensität der Sonnenstrahlen zunimmt, treten Hautschäden nach immer kürzerer zeitlicher Einwirkungsdauer auf, so dass es nicht fern liegend ist, bei einem Sonnenbad die zeitliche Komponente des Tatbestandsmerkmals „plötzlich“ zu diskutieren (§ 178 Rn. 96 ff.) und damit ein Unfallereignis i.e.S. anzunehmen.27 • Elektromagnetische Felder gehören zu den nicht ionisierenden Strahlen; sie unterscheiden sich mithin von Strahlen, die Elektronen von Materie ablösen können (Röntgen-, Gamma- und andere radioaktive Strahlen). Vielmehr handelt es sich bei elektromagnetischen Feldern – vereinfacht ausgedrückt – um elektrische Energie, die zu schwach ist, um Elektronen von Atomen zu lösen, wenn sie Materie durchdringt.28
Die Reichweite des Ausschlusses ist umstritten. Während eine Auffassung den Ausschluss unter Hinweis auf den allgemeinen und medizinischen Sprachgebrauch nur auf sog. ionisierende Strahlen (vorzugsweise Röntgen- und Gammastrahlen) bezieht,29 geht die Gegenansicht davon aus, dass der Tatbestand alle Arten von Strahlen erfasst.30 Der letztgenannten Meinung hat sich der BGH mit überzeugenden Argumenten angeschlossen, womit die Streitfrage für die Praxis entschieden ist. Insbesondere gibt der Wortlaut der Ausschlussklausel auch aus Sicht eines durchschnittlichen VN, auf dessen Verständnis es für die Auslegung von AVB maßgeblich ankommt (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57), nichts für eine Einschränkung des Wortes „Strahlen“ her. Damit sind z.B. auch Gesundheitsschäden durch Laserstrahlen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.31 Entsprechendes gilt aber auch für Gesundheitsschäden durch Sonnenstrahlen oder elektromagnetische Felder,32 einschließlich „Elektrosmog“ (etwa durch Telefone, Mikrowellen oder Hochspannungsleitungen).33 Sofern die Voraussetzungen des Unfallbegriffs i.S.v. § 178 Abs. 2 erfüllt sind, insbe10 sondere die Plötzlichkeit gegeben ist, besteht für Verbrennungen durch eine nicht atomare Hitzequelle auch ohne Berührungskontakt Versicherungsschutz. So ist z.B. Versicherungsschutz für Schäden durch plötzlich einwirkende Strahlen eines glühenden Eisenblocks zu bejahen.34 Zwar wirken hier Wärmestrahlen, jedoch wird der durchschnittliche VN die Einwirkung von Hitze auf den Körper der versicherten Person nicht unter den Strahlenausschluss subsumieren.35 Bereits der alltägliche Sprachgebrauch
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Stockmeier/Huppenbauer S. 58. Stockmeier/Huppenbauer S. 58. Stockmeier/Huppenbauer S. 59. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 72 f.; zust. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 33. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 70; Konen/ Lehmann S. 17. BGH 11.3.1998 VersR 1998 617 = VerBAV
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1999 143; zust. Kloth Rn. K 77; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 80; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 134. Stockmeier/Huppenbauer S. 59. Kloth Rn. K 78. Grewing Entstehungsgeschichte S. 11. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 70; zweifelnd Kloth Rn. K 78.
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Gesundheitsschäden durch Strahlen
AUB 2008 Ziff. 5.2.2
unterscheidet zwischen einer Verbrennung durch Wärmestrahlen und einer Strahlenschädigung.36 Folgerichtig verzichteten die Bedingungsgeber auf eine ausdrückliche Klarstellung.37 Im Gegensatz zu § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 enthalten die AUB 88/94/99/2008 – bewusst – 11 keine ausdrückliche Regelung dazu, dass für Strahlenschäden dann Versicherungsschutz besteht, wenn sie adäquate Folgen eines Unfallereignisses sind. Auf erste Sicht könnte beim Lesen der neueren Strahlenausschlüsse deshalb der Eindruck entstehen, Gesundheitsschädigungen durch Strahlen seien ausnahmslos nicht gedeckt. So ist die Schlussfolgerung nicht abwegig, dass z.B. Strahlenschäden nicht versichert sind, die die versicherte Person bei nicht sachgerecht durchgeführten Röntgenaufnahmen nach einem Verkehrsunfall erleidet. Ein solches Ergebnis wäre unbefriedigend. Allein der Hinweis darauf, dass die Bedingungsgeber der AUB 88 für solche Fälle Versicherungsschutz annahmen, hilft hier noch nicht weiter, da die Motive für die Auslegung keine Bedeutung erlangen (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Sachgerechte Ergebnissen lassen sich jedoch unter Berücksichtigung der Systematik erzielen. In Ziff. 5.2.3 S. 2 AUB 99/2008 bzw. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94 wird ausdrücklich angeordnet, dass dann Versicherungsschutz besteht, wenn strahlendiagnostische und -therapeutische Eingriffe oder Heilmaßnahmen durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst waren. Unfallversicherungsschutz besteht mithin für folgende Kausalkette: Unfallereignis → strahlendiagnostische oder -therapeutische Heilmaßnahme → Gesundheitsschädigung (Strahlenschaden) ➔ Versicherungsschutz
C. Kausalität Ausgeschlossen sind nur Gesundheitsschäden, die durch Strahlen adäquat kausal ver- 12 ursacht worden sind. Da eine Regelung fehlt, die z.B. Ziff. 5.1.1 S. 2, Ziff. 5.2.1 S. 2 oder Ziff. 5.2.3 S. 2 AUB 99/2008 entspricht, ist es unerheblich, ob die Strahleneinwirkung das Unfallereignis darstellt oder das Unfallereignis der Strahleneinwirkung vorgeht. So greift der Ausschluss z.B. durch, wenn die versicherte Person stürzt und dadurch in einen Strahlenbereich gerät (1. Kausalkette) 38 oder wenn beim Transport von radioaktiven Stoffen der Fahrer mit dem Fahrzeug verunglückt und anschließend einer Strahlung aus beschädigten Behältnissen ausgesetzt wird, die (weitere) Gesundheitsschäden hervorruft (2. Kausalkette).39 Der Ausschlusstatbestand erfasst dagegen nicht generell alle Unfälle, für die Strahlungen der Auslöser sind. Der Wortlaut des Ausschlusses verlangt, dass die „Gesundheitsschädigung“ durch Strahlen verursacht worden ist. Führt also die Strahleneinwirkung zwar zu einem Unfallereignis, wirkt sie sich aber nicht (mehr) auf die Gesundheitsschädigung aus, so greift der Ausschluss nicht durch. Versicherungsschutz ist z.B. anzunehmen, wenn ein Kfz-Führer durch die Strahlen der untergehenden Sonne geblendet wird, auf die Gegenfahrbahn kommt und dann einen Unfall (etwa durch Zusammenprall mit einem anderen Kfz) erleidet, der zu einer Gesundheitsschädigung (Knochenbruch usw.) führt.40
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Riebesell S. 39. Konen/Lehmann S. 17. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 33.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 74. Beispiel nach Stockmeier/Huppenbauer S. 59; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 81.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.2
Unfallversicherung
D. Wirksamkeit des Ausschlusses 13
Die Wirksamkeit des Strahlenausschlusses ist vom BGH nicht in Frage gestellt worden.41 Die Klausel verstößt nicht gegen das AGB-Recht. Die Einbeziehung aller Arten von Strahlen in den Ausschluss ist nicht so ungewöhnlich, dass der VN nicht mit ihr rechnen müsste (§ 305c Abs. 1 BGB bzw. § 3 AGBG).42 Insbesondere ist die Klausel auch nicht unangemessen i.S.v. § 307 BGB (§ 9 AGBG). Der VR hat ein berechtigtes Interesse daran, die unwägbaren Risiken auszuschließen, die sich sowohl aus der stetig fortschreitenden Ausweitung der Anwendungs- und Einsatzmöglichkeiten der Strahlentechnik in vielen Lebensbereichen als auch aus den häufig schwer einzuschätzenden Folgen der gesundheitsschädlichen Wirkungsweise von Strahlen ergeben (Rn. 2).
E. Konkurrenzen 14
Ziff. 5.2.2 AUB 99/2008 überschneidet sich teilweise mit dem Kernenergieausschluss in Ziff. 5.1.6 AUB 99/2008. Dies gilt jedenfalls insoweit als Strahlen, die durch Kernenergie erzeugt sind, plötzlich auf den Körper einwirken und Gesundheitsschäden verursachen.43 Die Überschneidung ließ sich nicht vermeiden, da die Bedingungsgeber der AUB 88 auch mit Hilfe beratender Physiker keine Formulierung gefunden hatten, mit der eine klare Trennung zwischen kernenergetischer und elektromagnetischer Strahlung vorgenommen werden könnte. Eine enumerative Aufzählung der Strahlungsarten berge die Gefahr, dass sie sich dem Verständnis des VN entziehe.44
F. Speziellere AVB 15
Der Strahlenausschluss kann durch Besondere Bedingungen abbedungen bzw. eingeschränkt sein. Zu nennen sind die „Besondere Bedingungen für die Strahlenunfallversicherung von Personen, die beruflich mit strahlenerzeugenden Stoffen oder Geräten in Berührung kommen“ 45 und die „Besondere Bedingungen für den Einschluss von Gesundheitsschäden durch Röntgen- und Laserstrahlen in die Unfallversicherung (BB Röntgen- und Laserstrahlen 99)“.46 Mit Einführung der AUB 99 ist die Strahlenunfallversicherung nicht mehr mit Hilfe Besonderer Bedingungen, die die AUB ergänzen, sondern zur besseren Übersichtlichkeit und Verständlichkeit als eigenständiges Bedingungswerk konzipiert worden. Die „Allgemeinen Strahlenunfallversicherungs-Bedingungen (AStUB 99)“ 47 entsprechen in Aufbau, Inhalt und Sprache den AUB. In Reaktion auf die
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BGH 11.3.1998 VersR 1998 617 f. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 70. BGH 11.3.1998 VersR 1998 617, 618; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 72. Konen/Lehmann S. 17. Die noch vom BAV genehmigten Fassungen der Bedingungstexte sind abgedruckt in VerBAV 1987 426 ff.; VerBAV 1975 459; VerBAV 1963 5, 6 f.; eingehend Grewing Strahlenunfallversicherung, S. 7 ff.; ferner
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Eckart VerBAV 1965 61 ff.; dazu Grewing VW 1965 698 ff. Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 129; die noch vom BAV genehmigten Vorgängerversionen finden sich in VerBAV 1993 264 (dazu auch GB BAV 1993 73 Nr. 9.2.3); VerBAV 1987 425; VerBAV 1963 79. Abgedruckt bei Grimm 4 Anh. I Nr. 18, S. 482 ff. mit Erläuterungen des GDV auf S. 494 ff.
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Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
VVG-Reform 2008 hat der GDV die AStUB 99 überarbeitet und die „Allgemeine Strahlenunfallversicherungs-Bedingungen (AStUB 2008)“ unverbindlich empfohlen. Produktspezifische Anpassungen sind dabei nicht erfolgt.
E. Verfahrensfragen Der Anspruchsteller muss im Schadensfall nach allgemeinen Regeln das Unfallereignis 16 nachweisen (§ 178 Rn. 168 ff.). Im Fall von Strahlenschäden ist für die Verteilung der Beweislast danach zu unterscheiden, welche AUB die Parteien vereinbart haben; denn während die AUB 61 einen negativen Grenzfall vorsehen, enthalten die neueren AUB einen Ausschlusstatbestand. • Auf Grundlage der AUB 61 trägt zunächst der VN die Beweislast dafür, dass die Strahleneinwirkung als Unfallereignis eine Gesundheitsschädigung i.S.v. § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 hervorgerufen hat. Hierzu gehört auch ein substantiierter Vortrag zur Strahlenquelle, für den der Anspruchsteller im Streitfall Beweis anzutreten hat. Steht das Unfallereignis fest, muss der VR die Voraussetzungen des negativen Grenzfalls in § 2 Nr. 3c S. 1 AUB 61 darlegen. So muss er etwa beweisen, dass die Grenze von 100 Elektronenvolt überschritten ist. Ist die Strahlenquelle bekannt, kann jeder Physiker die Strahlenhärte bestimmen.48 • Für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlusses in Ziff. 5.2.2 AUB 99/2008, § 2 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94 trägt der VR die Beweislast (s.a. Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32). In der Regel wird der VR keine Beweisschwierigkeiten haben. Da der Anspruchsteller zunächst das Unfallereignis und die Unfallfolgen darlegen und beweisen muss, wird über Art und Intensität sowie die Auswirkung der Strahlen typischerweise kein Streit bestehen.
Ziff. 5.2.3 AUB 2008 5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: … 5.2.3 Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe am Körper der versicherten Person. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Heilmaßnahmen oder Eingriffe, auch strahlendiagnostische und -therapeutische, durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst waren.
Schrifttum Kern Fremdbestimmung bei der Einwilligung in ärztliche Eingriffe, NJW 1994 753; Knappmann Unfallversicherungsschutz bei medizinischen Behandlungen, FS Schirmer (2005), 269; Marlow Aktuelle Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2004 353; Trompetter Der Unfall im Rahmen einer (auto)erotischen Handlung, VersR 1998 685.
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Grewing Entstehungsgeschichte S. 11; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 76; Riebesell
S. 39; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 239.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Unfallversicherung
Übersicht Rn.
Rn.
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Zweck des Ausschlusses . . . . . . . . . . 2 II. Entwicklung des Ausschlusses . . . . . . . 3 1. AUB 61/88/94 . . . . . . . . . . . . . . 4 a) Abweichung zwischen den AUB 61 und den AUB 88/94 . . . . . . . . . 5 b) Tatbestand; insbesondere das Merkmal „vornehmen lässt“ . . . . . . . 7 aa) Rechtfertigende Einwilligung . . . 8 bb) Mutmaßliche Einwilligung . . . . 9 cc) Erfordernisse nach AUB . . . . . 10 dd) Abweichung von der Einwilligung (ärztliche Kunstfehler) . . . . . . 14 2. AUB 99/2008 . . . . . . . . . . . . . . 15
B. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . I. Heilmaßnahmen . . . . . . . . . . II. Eingriff am Körper der versicherten Person . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einverständnis der versicherten Person IV. Gesundheitsschäden . . . . . . . . . V. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . VI. Wiedereinschluss . . . . . . . . . . C. Wirksamkeit des Ausschlusses . . . D. Verfahrensfragen . . . . . . . . . .
. . . 17 . . . 18 . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
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A. Einführung 1
Erfolgt eine Gesundheitsschädigung infolge einer Heilmaßnahme oder eines Eingriffs am Körper der versicherten Person mit Wissen und Wollen der versicherten Person, so fehlt es bereits am Tatbestandsmerkmal der Unfreiwilligkeit i.S.v. § 178 bzw. Ziff. 1 AUB 99/2008. In solchen Fällen ist der Unfallbegriff nicht erfüllt und ein Rückgriff auf den Ausschlusstatbestand nicht erforderlich. Kommt es jedoch zu unplanmäßigen Verläufen bzw. von außen wirkenden plötzlichen Ereignissen, die zu einer unfreiwilligen Gesundheitsschädigung der versicherten Person führen, oder ist die Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung vom VR nicht beweisbar, so ist der VR grundsätzlich leistungspflichtig. Die Anwendbarkeit des Ausschlusses in Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 (bzw. in den entsprechenden Vorgängerregelungen der AUB 61/88/94) wird entscheidungserheblich. In der Praxis wird oftmals die Frage nach dem Vorliegen eines Unfalls offen gelassen, wenn jedenfalls der Ausschlusstatbestand zu bejahen ist.1
I. Zweck des Ausschlusses 2
Mit dem Ausschluss sollen nach dem Willen der Bedingungsgeber sämtliche (besonderen) Risiken im Zusammenhang mit einer Heilmaßnahme oder einem Eingriff vom Versicherungsschutz ausgenommen werden;2 denn mit einer gewollten äußerlichen Behandlung des menschlichen Körpers bzw. einer mehr oder minder massiven Einwirkung auf den menschlichen Körper und Organismus sind regelmäßig erhöhte – über das normale Unfallrisiko hinausgehende – Gefahren verbunden.3 Keine Rolle spielt es dabei, wie auf den Körper der versicherten Person eingewirkt wird, ob insbesondere die körperliche
1
2
S. etwa OLG Stuttgart 25.8.2005 VersR 2007 786, 787 = NJW-RR 2007 316 = RuS 2007 257. Stockmeier/Huppenbauer S. 62; so auch OLG Hamm 4.5.1979 VersR 1979 1100; OLG Karlsruhe 18.10.2001 NVersZ 2002 216; ferner etwa Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 156.
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OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960; OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 958; OLG Stuttgart 25.8.2005 VersR 2007 786, 787 = NJW-RR 2007 316 = RuS 2007 257; s.a. Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 82.
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Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Unversehrtheit (z.B. die Haut mittels Skalpell oder Spritze u.ä. durchtrennt wird) oder nicht. Weiterhin soll der Ausschluss unabhängig von der Person des Handelnden und seiner medizinischen Ausbildung bzw. seiner Kenntnisse oder etwaiger Verschuldensfragen eingreifen:4 • In erster Linie bezweckt die Klausel, solche Gesundheitsschäden vom Deckungsschutz auszunehmen, die die Folge einer medizinischen Behandlung (i.w.S.) sind.5 Unerheblich ist, ob der ärztliche Eingriff normal oder anormal verläuft,6 regelgerecht oder regelwidrig vorgenommen wurde. Für die Folgen ärztlicher Kunstfehlers soll der VR nicht leisten müssen. I.E. wird jede medizinische Behandlung generell – abstrakt – als erhöhte Unfallgefahr gewertet,7 so dass sich die Klausel – überspitzt formuliert – als „Misstrauensvotum“ gegenüber jeder Heilbehandlung erweist.8 • Der Zweck des Ausschlusses geht aber noch weiter. Kein Versicherungsschutz soll auch für (riskante) Eingriffe durch medizinische Laien bestehen. Ziel ist es, sämtliche erhöhten Gefahren vom Unfallversicherungsschutz auszunehmen, die mit einer gewollten äußerlichen Behandlung des menschlichen Körpers verbunden sind.9
II. Entwicklung des Ausschlusses Die Tatbestände in § 3 Nr. 3 AUB 61,10 § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94 und Ziff. 5.2.3 3 AUB 99/2008 verfolgen denselben Zweck. Materiellrechtlich unterscheiden sie sich kaum.
AUB 2008 11 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
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5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Ausgeschlossen von der Versicherung sind …
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Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: … Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Stockmeier/Huppenbauer S. 62. BGH 21.9.1988 VersR 1988 1148, 1149. LG Ravensburg 5.1.1955 VersR 1955 165, 166. S.a. LG Köln 22.1.2003 VersR 2003 848, 849. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 153. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 950 f.; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 78 und 80.
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Zur Vorgeschichte des § 3 Nr. 3 AUB siehe Henke S. 68; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 152. Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 60. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10, 11.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Unfallversicherung
AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
5.2.3 S. 1 Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe am Körper der versicherten Person.
5.2.3 S. 1 Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe am Körper der versicherten Person.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Heilmaßnahmen oder Eingriffe, auch strahlendiagnostische und -therapeutische, durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst waren.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Heilmaßnahmen oder Eingriffe, auch strahlendiagnostische und -therapeutische, durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst waren.
Abs. 2 Nr. 2 S. 1 Gesundheitsschädigungen durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe, die der Versicherte an seinem Körper vornimmt oder vornehmen lässt.
Abs. 2 Nr. 2 S. 1 Gesundheitsschädigungen durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe, die der Versicherte an seinem Körper vornimmt oder vornehmen lässt.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Eingriffe oder Heilmaßnahmen, auch strahlendiagnostische und -therapeutische, durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst waren.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Eingriffe oder Heilmaßnahmen, auch strahlendiagnostische und -therapeutische, durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst waren.
Nr. 3 S. 1 Gesundheitsschädigungen durch Heilmaßnahmen und Eingriffe, die der Versicherte an seinem Körper vornimmt oder vornehmen lässt, soweit die Heilmaßnahmen oder Eingriffe nicht durch ein unter die Versicherung fallendes Unfallereignis veranlasst waren. S. 2 Das Schneiden von Nägeln, Hühneraugen, Hornhaut gilt nicht als solcher Eingriff.
1. AUB 61/88/94
4
Den nur geringfügig voneinander abweichenden Regelungen in § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94 und § 3 Nr. 3 AUB 61 liegt folgende Kausalkette zugrunde: Einverständnis der versicherten Person → Heilmaßnahme oder Eingriff am Körper der versicherten Person → Gesundheitsschaden ➔ Ausschluss der Versicherungsleistung
5
a) Abweichung zwischen den AUB 61 und den AUB 88/94. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94 ist inhaltsgleich mit § 3 Nr. 3 S. 1 AUB 61. Zum einen stellt die Ergänzung um strahlendiagnostische und strahlentherapeutische Heilmaßnahmen in § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94 gegenüber § 3 Nr. 3 S. 1 AUB 61 nur eine Klarstellung dar.15 Zum anderen wurde in den neueren AUB gegenüber den AUB 61 die Formulierung „nicht durch ein unter die Versicherung fallendes Unfallereignis veranlasst“ in „durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst“ geändert. Das Wort „Unfallereignis“ in den AUB 61 ist verfehlt,16 nämlich zu eng gefasst, da es nur das plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkende Ereignis umschreibt, nicht aber die Unfallereignisfolgen (die Gesundheitsschädigung). Es sind aber kaum Fälle denkbar, in denen sich die versicherte Person aufgrund eines Unfallereignisses ohne Gesundheitsschädigung einer Heilmaßnahme oder einem Eingriff unterzieht. Für einen Eingriff ist eine Unfallereignisfolge zwar nicht zwingend notwendig. Jedoch setzt jedenfalls eine Heilmaßnahme begrifflich eine Schädigung voraus.17 Ist aber neben dem Unfallereignis auch das Vorliegen von Unfallereignisfolgen (Gesundheitsschädigungen) der Regelfall für eine Heilmaßnahme
15 16
Konen/Lehmann S. 18. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 156.
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Henke S. 69.
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Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
oder einen Eingriff, so ist es zutreffender gleich einen Unfall für den Wiedereinschluss zu verlangen. Weiterhin wurde zwar in den neueren AUB auf § 3 Nr. 3 Satz 2 AUB 61 verzichtet. 6 Materielle Änderungen sind damit jedoch ebenfalls nicht verbunden. § 3 Nr. 3 Satz 2 AUB 61 enthielt lediglich eine (als entbehrlich angesehene) positive Klarstellung.18 Das Schneiden von Nägeln, Hühneraugen und Hornhaut ist als Eingriff des täglichen Lebens im Rahmen der Körperhygiene nicht vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.19 Entsprechendes gilt für übliche Hygiene- oder Reinlichkeitsmaßnahmen wie bloße Waschungen.20 Der Tatbestand bezweckt den Ausschluss riskanter Verhaltensweisen bzw. erhöhter Gefahren (Rn. 2), soll aber nicht Versicherungsschutz für Gesundheitsschäden versagen, die jedermann im Alltag zustoßen könnten. b) Tatbestand; insbesondere das Merkmal „vornehmen lässt“. Die Auslegung des 7 Tatbestandes des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94 bereitete in der Vergangenheit an mehreren Stellen Schwierigkeiten. Zum einen wurde der Bedeutungsinhalt des Wortes „Eingriff“ diskutiert (Rn. 24 ff.). Zum anderen gab es Meinungsverschiedenheiten dazu, wie das Tatbestandsmerkmal „vornehmen lässt“ – insbesondere bei ärztlichen Kunstfehlern – zu verstehen ist. Aus der Formulierung „vornimmt“ und „vornehmen lassen“ ergibt sich nach allgemeinem Sprachgebrauch das Erfordernis eines zielgerichteten Verhaltens der versicherten Person.21 Ein solches liegt ohne weiteres vor, wenn für die versicherte Person eine rechtfertigende oder mutmaßliche Einwilligung nach allgemeinen Regeln (in Anlehnung an das Strafrecht) festgestellt werden kann. Für das Eingreifen des Ausschlusstatbestandes reicht aber auch das Vorliegen weniger strenger Voraussetzungen aus. aa) Rechtfertigende Einwilligung. Um eine rechtfertigende Einwilligung annehmen zu 8 können, müssen mehrere Erfordernisse erfüllt sein. An die Person des Einwilligenden sind folgende Anforderungen zu stellen: • Einwilligung durch den Träger des geschützten Rechtsguts, also durch die unmittelbar betroffene Person (den Patienten); • Dispositionsbefugnis des Einwilligenden, die kraft gesetzlicher Entscheidung (§ 216 StGB) beim Rechtsgut Leben eingeschränkt ist; • Einwilligungsfähigkeit, d.h. die konkrete Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Erklärenden.22 Der Einwilligende muss nach seiner geistigen und sittlichen Reife das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite des ärztlichen Eingriffs einschließlich ihrer Folgen erfassen können. Dazu ist – grundsätzlich unverzichtbar – eine Aufklärung durch den Arzt gegenüber dem Einwilligenden erforderlich.23 Diese muss so frühzeitig wie möglich erfolgen, so dass dem Patienten unter Berücksichtigung der besonderen Umstände eine ausreichende Bedenkzeit zur Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe verbleibt. Inhaltlich muss der Arzt den Patienten über Risiken, Heilungschancen, Behandlungsalternativen und Dringlichkeit des Eingriffs aufklären. Fehlt im
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Konen/Lehmann S. 18; ferner Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 35; in der Wortwahl (nicht i.E.) abw. Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 157 („Tatbestandseinschränkung mit konstitutiver Wirkung“). Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 77; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 157; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 118; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 82 Fn. 264.
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22 23
OLG Königsberg 6.10.1911 VA 1912 29, 30 Nr. 651; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 78; Wüstney § 3 Anm. 5. BGH 25.9.1968 VersR 1968 1153, 1154 (zu § 23 Abs. 1 a.F.); angedeutet auch in BGH 25.9.1968 VersR 1968 1131, 1132; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 81. BGH 22.2.1978 NJW 1978 1206. BGH 16.11.1971 VersR 1972 153, 154 f.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Unfallversicherung
konkreten Fall die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen, so sind regelmäßig seine gesetzlichen Vertreter einzuschalten (z.B. bei Minderjährigen – jedenfalls bei schwierigen und weit reichenden Entscheidungen – grundsätzlich beide Elternteile,24 bei betreuten Personen der Betreuer).25
Die Erklärung der versicherten Person muss folgende Kriterien erfüllen: • Ausdrückliche oder konkludente und eindeutige Erklärung; • Einwilligung vor und Fortbestand während der Behandlung. Die Einwilligung darf nicht widerrufen sein. Eine nachträgliche Genehmigung hat keine rechtfertigende Kraft; • Wirksamkeit der Einwilligung. Unwirksam sind nicht freiwillig gegebene, durch Gewalt, rechtswidrige Drohung, Zwang oder arglistige Täuschung herbeigeführte Einwilligungen. Entsprechendes gilt bei Verstoß gegen die guten Sitten; • Kenntnis des Handelnden von der Einwilligung.
9
bb) Mutmaßliche Einwilligung. Die mutmaßliche Einwilligung erlangt Bedeutung, wenn die versicherte Person nicht einwilligungsfähig ist, weil sie etwa bewusstlos ist oder starke Schmerzen bzw. eine Bewusstseinsschwäche hat, und ein gesetzlicher Vertreter (z.B. Betreuer) nicht bzw. nicht rechtzeitig befragt werden kann. Hier stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Entscheidungen über Heilmaßnahmen oder Eingriffe durch Dritte (Arzt, Angehörige usw.) gerechtfertigt sind.26 Verläuft z.B. ein operativer Eingriff nicht plangemäß, weil etwa unerwartete Komplikationen auftreten, oder möchte der Arzt aufgrund des Behandlungsverlaufs seinen Auftrag überschreiten (etwa den Operationsumfang gegenüber der mit dem Patienten getroffene Verabredung erweitern), so kann er den Patienten nicht um seine Zustimmung bitten, wenn dieser sich bereits in Narkose befindet.27 Sofern bei solchen Sachverhaltskonstellationen Folgemaßnahmen nicht von einem ursprünglich abgegebenen Einverständnis mit umfasst sind, müssen folgende Voraussetzungen vorliegen, um die Behandlung legitimieren zu können: • Der Patient ist nicht in der Lage, die Einwilligung ausdrücklich oder konkludent zu erteilen. • Der wirkliche Wille des Patienten ist vorrangig zu ermitteln. Nimmt dies (in Notfällen) einen zu langen Zeitraum in Anspruch oder kann der wirkliche Wille des Patienten nicht ermittelt werden, so ist die Behandlung nach dessen mutmaßlichen Willen der versicherten Person durchzuführen. Dieser ist nach objektiven Gesichtspunkten zu ermitteln und bestimmt sich danach, was dem Willen eines vernünftigen Menschen unter den gegebenen Umständen entsprechen würde. • Der Arzt handelt in der Absicht, dem mutmaßlichen Willen des Patienten zu entsprechen.
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cc) Erfordernisse nach AUB. Für die Anwendung des AUB-Ausschlusses genügt es, wenn die Heilmaßnahme bzw. der Eingriff der versicherten Person bekannt ist und ihrem nach außen zum Ausdruck gekommenen Willen entsprochen hat.28 Notwendig, aber auch ausreichend ist es m.a.W., dass die versicherte Person von den beabsichtigten Heilmaßnahmen und Eingriffen weiß und mit ihren Risiken und Folgen bei laienhafter Wertung einverstanden ist.29 11 Grundsätzlich muss die versicherte Person das Einverständnis erklären. Es handelt sich indes nicht um eine höchstpersönliche Erklärung, so dass auch das Einverständnis
24 25
26 27
BGH 28.6.1988 BGHZ 105 45, 47 ff. BGH 16.11.1971 VersR 1972 153, 155; BGH 13.1.1970 NJW 1970 511, 512; Kern NJW 1994 753, 755 f. Eingehend Kern NJW 1994 753 ff. S. z.B. den Fall des OLG Naumburg 4.10.2007 VersR 2008 224, 225.
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28 29
OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 79. OLG Karlsruhe 18.10.2001 NVersZ 2002 216; OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951.
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Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
eines Dritten ausreicht, wenn die versicherte Person dies gegen sich gelten lassen muss.30 Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn • bei fehlender Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen ein Betreuer mit der entsprechenden Befugnis das Einverständnis erklärt; • in Notfällen eine mutmaßliche Einwilligung des Betroffenen angenommen werden kann (Rn. 9)31 bzw. – in Anlehnung an die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag – die Behandlung dem Interesse und mutmaßlichen Willen der versicherten Person entsprochen hat;32 • der Geschäftsführende (z.B. der Arzt) trotz entgegenstehendem Willen der versicherten Person eine Rechtspflicht zur Hilfeleistung gemäß § 323c StGB hat.33
Die Kenntnis der versicherten Person braucht sich bei medizinischen Heilmaßnahmen 12 nicht auf alle Einzelheiten zu erstrecken. Eine solche „Wissensvermittlung“ wäre oftmals gar nicht möglich. Regelmäßig hat nur der Arzt sämtliche Informationen.34 Anders als bei der rechtfertigenden Einwilligung ist weiterhin nicht erforderlich, dass der Patient über die Risiken der Heilmaßnahme bzw. des Eingriffs hinreichend aufgeklärt wurde.35 Die Forderung nach einer ärztlichen Aufklärungspflicht würde die weit gefasste und unjuristische Wendung „vornehmen lässt“ ohne Anhaltspunkt im Klauseltext auf eine rechtfertigende Einwilligung reduziert. Dadurch würde der dem VN erkennbare Sinn und Zweck des Ausschlusstatbestandes ausgehebelt; die Klausel würde gerade bei ärztlichen Kunstfehlern praktisch ins Leere laufen. Auf die Wirksamkeit der Einwilligung kommt es – ebenfalls in Abweichung zur recht- 13 fertigenden Einwilligung – nicht an.36 Ein rechtzeitig erklärter ausdrücklicher oder konkludenter Widerruf der Einwilligung in die von dem Dritten durchgeführt Maßnahme hat dagegen die Unanwendbarkeit des Ausschlusses zur Folge. dd) Abweichung von der Einwilligung (ärztliche Kunstfehler). Die Frage, ob über- 14 haupt eine Einwilligung des Patienten vorliegt bzw. wie weitgehend eine ausdrücklich oder konkludent erteilte Einwilligung des Patienten zu verstehen ist und eine Anwendung des Ausschlusses in § 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94 rechtfertigt, hat in der Vergangenheit wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen dem VN und dem VR geführt. Überwiegend ging es dabei um Sachverhalte, in denen der „Täter“ die Reichweite der Einwilligung der versicherten Person überschritten bzw. von ihrem Inhalt abgewichen ist.37 Solche Fallgestaltungen ergeben sich u.a. bei autoerotischen oder sadomasochistischen Handlungen (Anh. § 178 Rn. 87 ff.). Größere praktische Bedeutung erlangen sie bei (vermeintlichen) ärztlichen Kunstfehlern, sei es, dass dem Arzt oder seinem Hilfspersonal ein Behandlungsfehler unterläuft, sei es, dass ein Defekt am technischen Gerät auftritt. In solchen Fällen könnte argumentiert werden, dass von vornherein nicht von einem Heilungseingriff gesprochen werden könne. Vielmehr sei die Gesundheitsschädigung nicht durch, sondern nur bei Gelegenheit einer Heilmaßnahme erfolgt. Jedenfalls könne das Resultat des Eingriffs nicht von der versicherten Person gewollt sei, da der Eingriff keine Heilung, sondern das Gegenteil bewirke. Die rechtliche Beurteilung solcher Fälle ist streitig. Z.T. wird vertreten, dass bei einem außerplanmäßigem Verlauf oder einer
30 31 32 33 34 35
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 81. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 85. Kern NJW 1994 753, 755. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 81. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 79. OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587;
36
37
Knappmann FS Schirmer, S. 269, 273; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 85. OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 35. Stockmeier/Huppenbauer S. 61 f.
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Unfallversicherung
unsachgemäßen Durchführung nicht von einem Eingriff gesprochen werden könne.38 Die überwiegend vertretene Gegenauffassung kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass der Ausschluss nicht nur bei ordnungsgemäß und normal verlaufenden Heilmaßnahmen eingreife, die nach den anerkannten Regeln der Heilkunst (lege artis) durchgeführt würden, sondern auch bei misslungenen Eingriffen, also dann, wenn der Gesundheitsschaden durch unzulängliches bzw. regelwidriges Verhalten des Arztes oder des Heilpersonals bzw. durch Defekte an dem für die Heilbehandlung eingesetzten technischen Gerät ausgelöst werde.39 Unerheblich sei, ob sich der Fehler in einer auch bei sorgfältigem Handeln nicht ganz unwahrscheinlichen Schädigung halte, erheblich bzw. schwerwiegend oder als grob fehlerhaft zu bewerten sei;40 grobe Fahrlässigkeit der handelnden Person (des Arztes) stehe der Anwendung des Ausschlusses nicht entgegen. Dem ist zuzustimmen: • Aus dem Wort „vornehmen lassen“ lässt sich nicht ableiten, dass eine rechtfertigende Einwilligung des Geschädigten in den ärztlichen Eingriff zu fordern ist, zu deren Wirksamkeit der Geschädigte die Tragweite des Eingriffs kennen muss, oder die versicherte Person jeder konkreten Einzelhandlung des Geschehens zugestimmt haben muss. Dann müsste die Klausel etwa lauten: „Heilmaßnahme …, in die die versicherte Person (nach vorheriger Aufklärung über ihren Verlauf und ihre Risiken) eingewilligt hat“ oder „Heilmaßnahme …, der sich die versicherte Person freiwillig unterzogen hat.“ Der Wortsinn der Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94) ist aber bei verständiger Betrachtung – auch aus Laiensicht – weiter und „unjuristisch“ gefasst. Der alltägliche Sprachgebrauch verbindet mit der Formulierung „vornehmen lassen“ lediglich, dass die versicherte Person den bevorstehenden Eingriff veranlasst41 bzw. von diesem Kenntnis hat und mit ihm als solchen einverstanden ist, ohne dass sie alle Einzelheiten im Wesentlichen vorhersehen oder billigen muss. • Der verständige VN kann bei aufmerksamer Durchsicht der Klausel ihren Zweck erkennen, das bei jedem ärztlichen Eingriff gegebene Gesundheitsrisiko (incl. ärztlicher Behandlungs- und Kunstfehler) vom Versicherungsschutz auszunehmen. Wären nur reguläre Behandlungsverläufe ausgeschlossen, so hätte der Ausschluss zum einen keinen nennenswerten praktischen Anwendungsbereich bzw. nur deklaratorische Bedeutung; denn bei ordnungsgemäßen und normal verlaufenden Behandlungen treten regelmäßig keine Schäden auf.42 Darüber hinaus ist bereits nach allgemeinem Sprachverständnis der Unfallbegriff nicht erfüllt, wenn die Wirkungen des medizinischen Eingriffs wie gewollt eintreten. Für solche Sachverhalte ist die Regelung eines Ausschlusses überflüssig. Der Ausschluss erhält nur dann einen Sinn, wenn er sich auf Eingriffe erstreckt, deren tatsächliche Wirkung in schädigender Weise von der gewollten Wirkung abweicht.43 Zum anderen wird der VN nicht erwarten, dass der VR die Schadenregulierung mit Prüfungen zu ärztlichen Pflichtverstößen, medizinisch gebotenen Verhaltensweisen, Verschuldensfragen etc. belastet.
38 39
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 35. OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960 f.; OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587 (zust. Marlow RuS 2005 357, 360); OLG Stuttgart 25.8.2005 VersR 2007 786, 787 = NJW-RR 2007 316 = RuS 2007 257, 258; LG Duisburg 18.7.1996 VersR 1997 821 f.; LG Köln 22.1.2003 VersR 2003 848, 849; LG Ravensburg 5.1.1955 VersR 1955 165, 166; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 156; Kloth Rn. K 80; Konen/Lehmann S. 17 f.; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 117; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 83; Rüffer/Halbach/Schimikowski
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Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 40; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 77. OLG Hamm 4.5.1979 VersR 1979 1100; OLG Karlsruhe 18.10.2001 NVersZ 2002 216; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 80; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 154. OLG Hamm 4.5.1979 VersR 1979 1100; OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587; Marlow RuS 2004 353, 356. OLG Karlsruhe 18.10.2001 NVersZ 2002 216; LG Duisburg 18.7.1996 VersR 1997 821, 822; Knappmann FS Schirmer, S. 269, 273. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 80.
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Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Streitigkeiten im Verhältnis zwischen der versicherten Person und dem behandelnden Arzt würden in die Rechtsbeziehung zwischen VN (Anspruchsteller) und VR hineingetragen und damit die Leistungsregulierung verzögern und verteuern, was letztlich auch Einfluss auf das Prämienniveau haben könnte.
2. AUB 99/2008 Der Ausschluss wurde in den AUB 99 gegenüber den AUB 88/94 etwas modifiziert. 15 Neben der redaktionellen Änderung des Wortes „Gesundheitsschädigung“ in „Gesundheitsschaden“ stellt sich nunmehr die zum Ausschluss führende Kausalkette etwas verkürzt dar: Heilmaßnahme oder Eingriff am Körper der versicherten Person → Gesundheitsschädigung ➔ Ausschluss der Versicherungsleistung
Während in den AUB 88/94 „Gesundheitsschädigungen durch Eingriffe, die die versicherte Person an ihrem Körper vornimmt oder vornehmen lässt“, ausgeschlossen waren, erfasst der Ausschluss in den AUB 99 Gesundheitsschäden durch sämtliche Eingriffe am Körper der versicherten Person. Hintergrund war, dass der Halbsatz „die der Versicherte an seinem Körper vornimmt oder vornehmen lässt“ in den AUB 88/94 als überflüssig erkannt worden ist. Durch dessen Streichung sollten insbesondere die mit der Auslegung der Wendung „vornehmen lässt“ verbundenen Zweifelsfragen (Rn. 7 ff.) beseitigt werden. Ziel war die Klarstellung, dass der Ausschluss nicht nur für planvoll ablaufende Heilmaßnahmen gilt, sondern insbesondere auch Folgen unzulänglichen Handelns von Ärzten oder sonstigem Hilfspersonal erfasst. Streitigkeiten darüber, ob ärztliche Kunstfehler vorliegen, sollen zukünftig in der Schadenregulierung der Unfallversicherung vermieden werden.44 Ziff. 5.2.3 AUB ist unverändert in die AUB 2008 übernommen worden. Anpassungen 16 infolge der VVG-Reform 2008 waren nicht erforderlich.
B. Tatbestand Ziff. 5.2.3 setzt voraus, dass eine Heilmaßnahme oder ein Eingriff am Körper der ver- 17 sicherten Person einen Gesundheitsschaden bei der versicherten Person verursacht hat und die Heilmaßnahme bzw. der Eingriff im Ansatz vom Willen der versicherten Person gedeckt sind. Die – aus der Sprache des täglichen Lebens entnommenen – Begriffe „Heilmaßnahmen“ und „Eingriffe“ lassen sich nicht streng voneinander trennen, sondern überschneiden sich,45 ohne dass sie miteinander vollständig gleichgesetzt werden können. Gleichgültig ist, ob die Heilmaßnahme oder der Eingriff von der versicherten Person selbst, von einem Arzt bzw. dessen Hilfspersonal oder sonstigen Personen (z.B. Krankengymnast)46 vorgenommen wird.47
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Stockmeier/Huppenbauer S. 62; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 77; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 86. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 79; Knappmann FS Schirmer, S. 269, 271; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 155; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 78.
46 47
OLG Karlsruhe 18.10.2001 NVersZ 2002 216 = VersR 2002 562 (LS). Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 83; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 79.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Unfallversicherung
I. Heilmaßnahmen 18
Heilmaßnahmen sind alle zu therapeutischen Zwecken erfolgten Einwirkungen auf den Verletzten, die durch die versicherte Person oder einen Dritten, der nicht zwingend Arzt sein muss, vorgenommen werden.48 19 In zeitlicher Hinsicht werden vom Begriff Heilmaßnahmen alle Maßnahmen erfasst, die unmittelbar mit dem eigentlichen Behandlungsvorgang in Zusammenhang stehen, also alle Maßnahmen, die • den eigentlichen medizinischen Eingriff (nur) vorbereiten.49 Dazu zählt etwa die Beibringung von Betäubungsmitteln (z.B. Narkose);50 • während des eigentlichen Heileingriff durchgeführt werden (z.B. alle Einzelheiten einer Operation) 51 oder diesen begleiten (die Verabreichung von Arzneien jeder Art 52 o.ä.) • im Rahmen der Nachbehandlung bzw. Nachsorge oder der Erfolgskontrolle des Heileingriffs vorgenommen werden.
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Streitig ist, ob der Ausschluss auch für Diagnosen Anwendung findet. Dies ist zu bejahen,53 jedenfalls wenn sie bei vernünftiger Gesamtbetrachtung dazu dienen, geklagte Beschwerden zu therapieren oder eine erfolgte Therapie zu überprüfen.54 Die Vorgänge Diagnose und Heilung sind kaum voneinander zu trennen. Eine Therapie setzt zwingend eine Diagnose voraus. Wird bei medizinischen Maßnahmen zu Diagnosezwecken das Tatbestandsmerkmal „Heilmaßnahme“ dennoch verneint, so kommt in Betracht, die Diagnose als „Eingriff“ zu bewerten. Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 3 AUB 61) schließt 21 dagegen – nach umstrittener Ansicht – nicht die Untersuchung ohne konkreten Anlass bzw. der reinen Vorsorge dienende Maßnahmen wie z.B. Einstellungs-, Schul- oder Reihenuntersuchungen bzw. Krebsvorsorge aus.55 Solche Untersuchungen dienen noch nicht der Heilung, nämlich der Beseitigung eines Gesundheitsmangels, sondern finden – im Vorstadium zur Heilung – statt, um die Gesundheit zu erhalten bzw. Gesundheitsmängel überhaupt zu erkennen oder festzustellen.56 Der eng auszulegende Wortlaut des Ausschlusstatbestandes würde überdehnt, wenn bereits Vorsorgeuntersuchungen erfasst wären. Die Begriffe Vorsorge und Therapie werden im alltäglichen Sprachgebrauch mit unterschiedlichen Inhalten verbunden; die beiden Vorgänge lassen sich auch zeitlich und 48
49
OLG Karlsruhe 18.10.2001 NVersZ 2002 216; OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 958; OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587; OLG Stuttgart 25.8.2005 VersR 2007 786, 787 = NJW-RR 2007 316 = RuS 2007 257, 258; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 157; Kloth Rn. K 80; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 34; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 117; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 40. OLG Hamm 4.5.1979 VersR 1979 1100; zustimmend LG Duisburg 18.7.1996 VersR 1997 821; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 79; Knappmann FS Schirmer, S. 269, 271; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 76; auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 83.
1000
50 51 52 53
54 55
56
OLG Hamm 4.5.1979 VersR 1979 1100; LG Karlsruhe 2.6.1960 VersR 1960 913. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 155. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 78. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 79; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 117; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 154; a.A. Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 34; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 83; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 76. So Knappmann FS Schirmer, S. 269, 271 f. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 34; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 154; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 76; a.A. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 79 ohne Begründung. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 271 f.
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Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
gegenständlich voneinander unterscheiden. Will der VR Gesundheitsschäden im Zusammenhang mit Vorsorgemaßnahmen vom Versicherungsschutz ausschließen, so müsste die Klausel etwa durch „Vorsorge- und Heilmaßnahmen“ ergänzt oder allgemein auf „medizinische Behandlungen“ erstreckt werden. Des Weiteren erschließt sich dem verständigen und aufmerksamen VN nicht zwingend, dass der Zweck des Ausschlusses in Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 darauf ausgerichtet ist, Vorsorgemaßnahmen mit zu umfassen. Das Risiko von Gesundheitsschäden ist bei Vorsorgemaßnahmen (z.B. jährliche Routineuntersuchungen) deutlich geringer als bei Heilmaßnahmen (z.B. Operationen). In Betracht kommt nur, die Vorsorgeuntersuchung unter das Merkmal „Eingriff“ zu subsumieren. Im Gegensatz zu älteren AVB, die noch Worte wie „chirurgische“ Eingriffe oder 22 „Operationen“ vorsahen, heißt es seit den AVB ab 1920 bewusst „Heilmaßnahmen“, um eine Ausdehnung des Ausschlusses zu bewirken.57 In gegenständlicher Hinsicht ist zunächst die medizinische Behandlung krankhafter Zustände,58 vornehmlich die Operation erfasst. Darüber hinaus gehören aber zu Heilmaßmaßnahmen auch sonstige Körpereinwirkungen zum Zwecke der Gesundheitsförderung wie z.B. Krankengymnastik,59 Massagen, Einreibungen, medizinische Bäder,60 Behandlung mit Heißluft, Inhalationsvorgänge,61 Bestrahlungen, Verabreichen bzw. Einnahme von Medizin.62 Insbesondere werden ärztliche Handlungen zu Heilzwecken vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn sie mit dem Einsatz von Medikamenten oder technischen Hilfsmitteln verbunden sind.63 Eine medizinische Indikation ist nicht vorausgesetzt.64 Kunstfehler stehen der Annahme eines Heilungsmaßnahme nicht entgegen (Rn. 14 und 15). Entscheidend ist die vom Verletzten erbetene und vom Ausführenden verfolgte Zielrichtung der Maßnahme, nicht der konkret erzielte Erfolg.65 In persönlicher Hinsicht setzt eine Heilmaßnahme eine ärztliche Anordnung oder Be- 23 gründung voraus.66 Handlungen aufgrund laienhafter Vorstellung sind nicht gemeint. Nicht auf „Heilung“ ausgerichtet sind z.B. übertriebene und schädigende Hygienemaßnahme (etwa die Reinigung mit chemischen Mitteln).67
II. Eingriff am Körper der versicherten Person Überwiegend wird der Begriff „Eingriff“ weit ausgelegt. Danach erfasst dieses Tatbe- 24 standsmerkmal jede äußere physische Einwirkung auf die körperliche Integrität.68 Folge-
57 58 59
60 61 62
63
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Henke S. 68. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 79. OLG Karlsruhe 18.10.2001 NVersZ 2002 216 = VersR 2002 562 (LS); Knappmann FS Schirmer, S. 269, 271. KG 3.11.1934 VA 1935 13 Nr. 2762; OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960 f. Offen lassend OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 958. OLG Stuttgart 25.8.2005 VersR 2007 786, 787 = NJW-RR 2007 316 = RuS 2007 257, 258. BGH 21.9.1988 VersR 1988 1148, 1149; zust. OLG München 12.3.2003 VersR 2005 261, 262; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 78. OLG Stuttgart 25.8.2005 VersR 2007 786,
65 66 67 68
787; Kloth Rn. K 80; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 40. OLG Karlsruhe 18.10.2001 NVersZ 2002 216. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 958. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 79; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 78. OLG München 14.4.1989 RuS 1991 35, 36; OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287, 288; LG Heidelberg 14.12.1995 VersR 1997 99, 100; LG Magdeburg 13.6.1995 ZfS 1997 183 = RuS 1997 216; LG München 22.9.1988 RuS 1991 35, 36; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 35; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008
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AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Unfallversicherung
richtig wird der Versicherungsschutz nicht nur für Heilmaßnahmen, sondern auch für Maßnahmen ohne therapeutischen Zweck wie z.B. kosmetische Operationen, Tätowierungen,69 Warzenentfernung,70 Piercing oder autoerotische Handlungen (Anh. § 178 Rn. 86 ff.) versagt.71 In der Konkretisierung dieses Grundverständnisses werden allerdings mehrere von einander abweichende Auffassungen vertreten und unterschiedliche Einschränkungen vorgenommen. Eine Ansicht verlangt, dass die Maßnahmen unmittelbar auf die körperliche Integrität einwirken und dies auch (final) bezwecken müssten. Deshalb seien das Verabreichen einer Medizin, eines Klistiers, einer Röntgenbestrahlung, Beibringen eines Betäubungsmittels und das Einreiben mit Salbe oder Flüssigkeit nicht zu den ausgeschlossenen Eingriffen zu rechnen; diese Vorgänge könnten jedoch als Heilmaßnahmen in gleicher Weise geeignet sein, den Versicherungsschutz auszuschließen.72 Eine weitere Meinung schränkt dieses Ergebnis ein. Richtig sei es, nicht von einem Eingriff zu sprechen, wenn Maßnahmen ohne Beeinträchtigung der körperlichen Integrität durch allmähliche Einwirkung einen Heilerfolg erzielen sollen. Hierzu zähle etwa die Einnahme von Medikamenten.73 Vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sein müssten jedoch Einwirkungen, die direkte Körperfunktionen beeinflussen bzw. lahm legen oder direkt Körpergewebe verändern sollen.74 So finde der Ausschluss z.B. Anwendung, wenn bei einer Bestrahlung oder Anwendung von Ätzmitteln Körperzellen verödet oder verätzt würden.75 Den Gegenpol zur h.M. bildet die Ansicht, die vertritt, dass der Ausschluss auf Heilmaßnahmen bzw. Maßnahmen beschränkt werden müsse, die medizinisch indiziert und – final auf Besserung eines bestehenden pathologischen Zustandes ausgerichtet seien.76 Z.T. wird dieses Verständnis allerdings eingeschränkt. Danach sollen zu den Eingriffe i.S. von Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94) alle medizinischen und kosmetischen Behandlungen (i.w.S.) zählen,77 wobei es unerheblich sei, ob die Behandlung medizinisch erforderlich sei oder lediglich wissenschaftlichen Dokumentationszwecken diene.78 Der BGH hat zu dem Streitstand inzwischen Stellung genommen und im Grundsatz die h.M. bestätigt. Er definiert als Eingriffe am Körper solche gewollte Handlungen, die zu einer Substanzverletzung des Körpers führen oder Einwirkungen von außen sind, die eine Beeinträchtigung körperlicher Funktionen bezwecken.79 Der Auffassung des BGH ist zu folgen. Das Auslegungsergebnis des BGH entspricht dem für die Rechtsanwendung maßgeblichen Verständnis eines durchschnittlicher VN, der die Klausel verständig, aufmerksam und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs durchsieht und würdigt (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57). Der Zweck des Aus-
69 70 71
72 73 74
75
Rn. 43; einschränkend ohne Begründung LG Hamburg 2.5.1986 NJW-RR 1986 910, 911. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 157. Kloth Rn. K 83; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 155; Wüstney § 3 Anm. 5. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 80; Stockmeier/Huppenbauer S. 60 f.; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 78. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 155. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 78. OLG Saarbrücken 18.12.1996 VersR 1997 949, 951; OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 959. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 80.
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76 77
78 79
OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128, 1129. Prölss/Martin/Knappmann 26 § 2 AUB 88 Rn. 34 (anders aber in der Folgeauflage, § 2 AUB 94 Rn. 35); so auch OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587 (eine abschließende Stellungnahme). OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587. BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228; zust. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 158; Kloth Rn. K 82; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 35; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 118; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 84; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 42; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 136.
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Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
schlusses (Rn. 2) wird erreicht, wenn die Definition des Begriffs „Eingriffs“ durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt wird. Einer Modifikation der Klausel, die in der Vergangenheit im Zusammenhang mit autoerotischen Handlungen vereinzelt vorgeschlagen wurde,80 bedarf es deshalb nicht.81 Unter „Eingriff“ ist nach allgemeinem Sprachgebrauch jede – zielgerichtete – Einwir- 25 kung zu verstehen. • Für eine Reduktion allein auf Operationen bzw. medizinische oder kosmetische Behandlungen besteht kein Raum.82 Z.T. wird allerdings argumentiert, dass der Sprachgebrauch des täglichen Lebens dem Terminus „Eingriff“ keinen fest umrissenen Anwendungsbereich zuschreibe. So werde der Begriff z.B. als Synonym für eine Operation verwendet. Bei einem solchen Verständnis könne folglich nur von einem Eingriff gesprochen werden, wenn er medizinisch indiziert und (final) auf Besserung eines bestehenden pathologischen Zustands ausgerichtet sei. Auch wenn einzuräumen sei, dass es dem allgemeinen Sprachgebrauch noch entspräche, unter „Eingriff“ allgemein jede Einwirkung auf die Körpersphäre zu verstehen, so gingen dennoch Unklarheiten zu Lasten des VR; dieser müsse für eindeutige Formulierungen sorgen.83 Diese Argumentation ist indes nicht stichhaltig. Es bestehen keine Auslegungszweifel. Richtig ist zwar, dass „Eingriff“ häufig mit Operation gleichgesetzt wird. Zwingend ist dies aber nicht. Vielmehr handelt es sich beim Wort „Eingriff“ nach allgemeinem Verständnis um einen Oberbegriff zur Operation oder zur Heilmaßnahme.84 Der Begriff wird im Alltag üblicherweise nicht nur für Operationen, sondern darüber hinaus auch für eine Vielzahl von anderen Sachverhalten genutzt.85 Insbesondere hat der durchschnittliche VN – auch ohne medizinische Vorbildung – Kenntnis davon, dass neben medizinischen oder kosmetischen Eingriffen durch Ärzte auch andere Eingriffe bei der versicherten Person durch diese selbst oder einen Dritten (z.B. einen medizinischen Laien) erfolgen können. Er hat folgerichtig keine Veranlassung dazu, den allgemeinen und ohne Einschränkung verwendeten Begriff „Eingriff“ in Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94, § 3 Nr. 3 AUB 61) lediglich auf Operationen, Heilmaßnahmen, kosmetische Behandlungen u.ä. zu beschränken.86 • Mit dem Wort „Eingriff“ sind erkennbar nur solche Handlungen gemeint, die gezielt vorgenommen werden und im Allgemeinen auf einen bestimmten Zweck gerichtet sind. Nicht unter „Eingriff“ lassen sich folglich „ungewollte Zufallshandlungen“ subsumieren.87 Versehentliche Verletzungen oder unbewusste bzw. reflexartige Einwirkungen auf den Körper (z.B. Kratzen einer Wunde im Schlaf oder unbewusstes Scheuern bei Juckreiz) sind nicht vom Versicherungsschutz ausgenommen.88
Durch die Formulierung Eingriff „am Körper der versicherten Person“ wird deutlich, 26 dass jedenfalls die Folgen gewollter Substanzverletzungen des Körpers vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind. Gleiches gilt, wenn eine Handlung am Körper diesen zwar nicht verletzt, die Einwirkung durch die versicherte Person oder einen Dritten aber eine Beeinträchtigung körperlicher Funktionen bezweckt.89 Bei einem solchen zielgerichteten (schädlichen) Verhalten auf den Körper der versicherten Person wird der verständige VN keinen Versicherungsschutz erwarten. Zweifelhaft ist dagegen, ob „Eingriff am Körper“ mit „Einwirkung auf die Integrität des Körpers“ gleichgesetzt werden kann.90
80 81 82 83 84
85
Trompetter VersR 1998 685, 688. Stockmeier/Huppenbauer S. 61. LG Magdeburg 13.6.1995 ZfS 1997 183. OLG Oldenburg 25.6.1997 VersR 1997 1128, 1129. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 80; insofern auch OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587. BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228.
86 87 88
89 90
Stockmeier/Huppenbauer S. 61. BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 80; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 35; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 155. BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228. Verneinend Knappmann FS Schirmer, S. 269, 272.
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1003
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Unfallversicherung
Hier äußert der BGH zutreffend Bedenken. Der Wortlaut der Klausel wird lediglich durch eine andere Wendung ersetzt, die ihrerseits auslegungsbedürftig ist. So dürfte der durchschnittliche VN zum Wort „Integrität“ keine klar umrissenen Vorstellungen haben.91 Aus der zusammenhängenden Darstellung von „Heilmaßnahmen“ und „Eingriff“ in 27 Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 kann keine Reduktion des Begriffs Eingriff auf medizinische oder kosmetische Behandlungen hergeleitet werden. Die Ausdrücke „Heilmaßnahmen“ und „Eingriffe“ stehen in der Klausel vielmehr „gleichberechtigt“ nebeneinander. Für die Annahme „Heilmaßnahmen“ als Oberbegriff oder Synonym zu „Eingriff“ anzusehen, besteht kein Anlass.92 Es gibt keinen Grund, einen Regelungsinhalt mit zwei Begriffen zu umschreiben. Der Ausschlussbestimmung ist bei verständiger Würdigung der beabsichtigte Sinn 28 und Zweck (Rn. 2) zu entnehmen, die unwägbaren Risiken einer Gesundheitsschädigung durch (gewollte) Eingriffe jeglicher Art auf den Körper der versicherten Person vom Unfallversicherungsschutzes auszunehmen, und zwar unabhängig davon, ob sie medizinischer oder anderer Art sind.93 Insbesondere ist es dem durchschnittlichen VN bei unbefangener Lektüre des Ausschlusses nachvollziehbar, dass der VR den Versicherungsschutz nicht nur für Heilmaßnahmen bzw. medizinische oder kosmetische Behandlungen versagen will; denn auch aus Laiensicht ist die Gefahr einer Gesundheitsschädigung höher zu bewerten, wenn nicht ein Arzt, sondern die medizinisch ungeschulte versicherte Person selbst einen Eingriff an ihrem Körper vornimmt oder von einem nicht fachkundigen Dritten vornehmen lässt.94 Der Ausschluss erfasst damit: 29 • ärztliche Kunstfehler (Rn. 14 und 15); • autoerotische Handlungen (vgl. Anh. § 178 Rn. 91); • Heilmaßnahmen; denn „Eingriff“ ist gegenüber der „Heilmaßnahmen“ der weitergehende Begriff; • Diagnosemaßnahmen, durch die Abwehrfunktionen des Körpers ausgeschaltet oder eingedämmt werden sollen. Hierzu zählen auch Magen- oder Darmspiegelungen.95 Aber auch Verletzungen bei Blutuntersuchungen sind erfasst. Zwar mögen sie in aller Regel geringfügig sein, jedoch kommt es zu einem „Substanzverlust des Körpers“.96 Der durchschnittliche VN wird die Blutabnahme als Eingriff an seinem Körper qualifizieren; • Herzkatheteruntersuchungen;97 bei ihnen kommt es zu einer substanzverletzenden Punktion;98 • Injektion von Drogen;99 • kosmetische Operationen (Rn. 24); • Piercing (Rn. 24); • Sadomasochistische Handlungen (vgl. Anh. § 178 Rn. 91); • Tätowierungen (Rn. 24); • Warzenentfernung (Rn. 24).
91 92 93 94 95 96
BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228. Stockmeier/Huppenbauer S. 61. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 80. Stockmeier/Huppenbauer S. 62. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 272. A.A. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 272.
1004
97 98 99
OLG Schleswig 18.2.1999 VersR 2003 587; zustimmend Marlow RuS 2004 353, 356. Marlow RuS 2004 353, 356 Fn. 25. Offen lassend OLG Karlsruhe 3.3.2005 NJW-RR 2005 679, 680.
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Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe
AUB 2008 Ziff. 5.2.3 30
Vom Ausschluss nicht erfasst sind • Alltagshandlungen, insbesondere Eingriffe im Rahmen der Körperhygiene (Rn. 6), auch Massagen und Bäder 100 oder das Inhalieren von Kamillendämpfen;101 • (reine) Kosmetikmaßnahmen;102 • Schneiden von Nägeln, Hühneraugen oder Hornhaut (Rn. 6); • unbewusste oder reflexartige Einwirkungen (z.B. im Schlaf, Rn. 25); • versehentliche Verletzungen (Rn. 25); • reine Untersuchungshandlungen oder diese vorbereitende Maßnahmen wie z.B. Abtasten, Ultraschall oder Durchleuchtungen. Durch sie kommt es nicht zu einem Substanzverlust des Körpers oder einer Beeinträchtigung der körperlichen Funktionen.103
III. Einverständnis der versicherten Person Zwar verzichten die AUB 99/2008 in Abweichung zu den AUB 88/94 darauf, dass die 31 versicherte Person die Handlungen an ihrem Körper vornimmt oder vornehmen lässt (Rn. 15). Jedoch wird man sinnvollerweise nicht annehmen können, dass der Ausschluss deshalb auch Maßnahmen erfassen soll, die gegen den erklärten oder ersichtlichen Willen der versicherten Person erfolgen. Vielmehr wird ein generelles bzw. wenigstens ansatzweises Einverständnis der versicherten Person in die Heilmaßnahme bzw. den Eingriff zu verlangen sein, mag es auch etwa wegen fehlender oder unvollständiger Aufklärung fehlerhaft sein.104 Ein verständiger VN muss nicht damit rechnen, dass z.B. gegen seinen Willen beigebrachte Verletzungen nach Gewalttaten Dritter (z.B. Körperverletzung, Raub) vom Versicherungsschutz ausgenommen sind.
IV. Gesundheitsschäden Gesundheitsschäden sind alle Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität. Der 32 Begriff ist genauso auszulegen wie der Terminus Gesundheitsschädigung in § 178 Abs. 2 S. 1 (§ 178 Rn. 123 ff.).105 Erfasst sind z.B. auch Infektionen, selbst wenn sie nicht unter den spezielleren Ausschlusstatbestand in Ziff. 5.2.4 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94) fallen sollten.106
V. Kausalität Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 schließt genauso wie seine Vorgängervorschriften den Ver- 33 sicherungsschutz nur für Unfälle aus, die aus einer für die versicherte Person bestehenden Risikoerhöhung – adäquat kausal – resultieren, nicht aber für Unfälle, die zwar (rein zufällig) in einem Zusammenhang mit einer besonderen Gefahrenquelle stehen, mit dieser aber nicht naturgemäß verbunden bzw. dieser eigentümlich sind, bei denen sich m.a.W. Risiko des täglichen Lebens realisiert. 100 101 102
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 35. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 959. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 35.
103 104
105 106
Knappmann FS Schirmer, S. 269, 272. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 273; Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 4. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 78. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 273.
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1005
AUB 2008 Ziff. 5.2.3 34
Unfallversicherung
Zwischen der Heilmaßnahme bzw. dem Eingriff und dem Gesundheitsschaden muss ein Kausalzusammenhang bestehen („durch“).107 Dieser ist – wie auch sonst im Zivilrecht – anhand der Adäquanztheorie zu beurteilen.108 Die erste Kontrollfrage lautet, ob die Schädigung ohne den Eingriff überhaupt nicht hätte eintreten können.109 Als zweites bedarf es der Feststellung, dass sich mit der Körperschädigung oder dem Tod eine Gefahr verwirklicht haben muss, die der durchgeführten Heilmaßnahme bzw. dem vorgenommenen Eingriff eigentümlich ist.110 Zu prüfen ist m.a.W., ob sich die mit der Heilmaßnahme bzw. dem Eingriff innewohnenden typischen Gefahren realisiert haben.111 • Unerheblich ist, wer der versicherten Person in ihrer körperlichen Integrität beeinträchtigt hat. Der Gesundheitsschaden kann der versicherten Person unmittelbar durch eigenes Verhalten 112 oder fremdes Handeln (z.B. infolge ärztliche Kunstfehler) beigebracht werden. Möglich ist aber auch, dass der Gesundheitsschaden unmittelbare Folge technischer Mängel an medizinischen Geräten oder des Versagens von Körperersatzanteilen (z.B. einer künstlichen Herzklappe)113 ist.114 Ausgeschlossen sind etwa auch solche Gesundheitsschädigungen, die durch ein durch die Behandlung bedingtes, nicht ganz untypisches Verhalten der versicherten Person selbst herbeigeführt werden.115 So besteht z.B. kein Versicherungsschutz, wenn die versicherte Person sich infolge einer plötzlichen Eigenbewegung bei Punktion mit Lokalanästhesie eine (tödliche) Verletzung durch das beim Eingriff verwendete Instrument zuzieht.116 • Auf Grundlage der Adäquanztheorie ist der Ursachenzusammenhang noch nicht allein deswegen zu verneinen, weil die Heilmaßnahme bzw. der Eingriff zu ungewollten oder nicht vorhergesehenen Gesundheitsschäden geführt hat. Hat z.B. eine autorerotische Handlung nicht nur die beabsichtigte Reduzierung der Sauerstoffzufuhr, sondern sogar den ungewollten Tod der versicherten Person zur Folge, so ist der adäquate Zusammenhang dennoch gegeben (Anh. § 178 Rn. 90).117 Gleiches gilt, wenn die versicherte Person stirbt, nachdem sie in schlaftrunkenem Zustand einen zur Fiebersenkung eingenommenen Hustensaft eingeatmet hat; denn gerade im Zusammenhang mit dem Schlucken von flüssigen Medikamenten kann es im Hinblick auf deren Geruch oder
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109 110
OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960; zur Diskussion zu den AVB vor den AUB 1961, in denen es statt „durch“ noch „bei“ hieß, s. etwa KG 3.11.1934 VA 1935 13 f. Nr. 2762; Henke S. 69 ff. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 958; OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287, 288; LG Köln 22.1.2003 VersR 2003 848, 849; LG München 22.9.1988 RuS 1991 35, 36; Gaidzik S. 117 f.; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 78; Kloth Rn. K 79. LG Ravensburg 5.1.1955 VersR 1955 165, 166. BGH 21.9.1988 VersR 1988 1148, 1149; OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960; OLG München 12.3.2003 VersR 2005 261, 262; OLG München 14.4.1989 RuS 1991 35, 36; OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 958; OLG Stuttgart 25.8.2005 VersR 2007 786, 787 = NJW-RR 2007 316 = RuS 2007 257, 258; LG Berlin 18.6.2002 VersR 2003 54; LG Köln 22.1.2003 VersR 2003 848, 849; ferner Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94
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Rn. 34; Kloth Rn. K 79; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 119; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 83; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 40. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 78. LG Ravensburg 5.1.1955 VersR 1955 165, 166. BGH 21.9.1988 VersR 1988 1148, 1149. OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960 f.; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 78; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 77. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 958; LG Berlin 18.6.2002 VersR 2003 54. LG Ravensburg 5.1.1955 VersR 1955 165, 166; ferner Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 154. BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228; OLG München 14.4.1989 RuS 1991 35, 36; OLG Zweibrücken 27.11.1987 VersR 1988 287, 288; LG Magdeburg 13.6.1995 ZfS 1997 183; LG München 22.9.1988 RuS 1991 35, 36.
Kent Leverenz
Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Geschmack zu körperlichen (Abwehr-) Reaktionen kommen, die dazu führen, dass der Patient das Medikament nicht wie erwartet sofort und einfach herunterschluckt, sondern gleichzeitig Luft holt und es deshalb zur Aufnahme in die Luftröhre und/oder Lunge kommt.118 • Ohne Bedeutung ist es, wann der Schaden eintritt, wenn nur ein adäquater Zusammenhang mit der Heilmaßnahme bzw. dem Eingriff besteht.119 So greift der Ausschluss z.B. auch dann ein, wenn eine künstliche Herzklappe erst Jahre nach ihrem Einsetzen in den Körper der versicherten Person bricht und sich ein Teil von ihr mit tödlichen Folgen in der Aorta verklemmt.
Der Ausschluss greift nicht für einen Gesundheitsschaden verursachende Umstände 35 ein, die nur zufällig mit der Heilmaßnahme in Zusammenhang stehen bzw. sich nur bei Gelegenheit der Heilmaßnahme auswirkt haben („Zufallsschäden“).120 Für Risiken des täglichen Lebens besteht – unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks des Ausschlusses (Rn. 2) vielmehr Versicherungsschutz.121 Dies gilt z.B. für den Fall,122 dass die versicherte Person • auf dem Weg zum Arzt verunglückt (z.B. stürzt),123 • in der Arztpraxis ausrutscht oder hinfällt.124 Entsprechendes ist anzunehmen, wenn der Patient während der Heilmaßnahme den Kausalzusammenhang unterbricht, z.B. nach etwas greift und sich dabei stößt.125 Der Ausschluss findet jedoch Anwendung, wenn der Sturz der versicherten Person im adäquaten Zusammenhang mit dem ärztlichen Eingriff steht, z.B. der Patient in und unter Wirkung der Narkose vom Operationstisch fällt.126 • während der Durchführung der Heilmaßnahme eine Verletzung erleidet, weil ihr der Deckenputz auf den Kopf fällt127 oder sie von einem in das Fenster geworfenen Gegenstand getroffen wird.128 • beim Inhalieren zur Bekämpfung eines Schnupfens eine Schüssel mit heißer Flüssigkeit vom Tisch zieht und dabei umfangreiche Verbrühungen erleidet.129
VI. Wiedereinschluss Gemäß Ziff. 5.2.6 S. 2 AUB 99/2008 besteht (wie bereits nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 36 AUB 88/94) für Heilmaßnahmen und Eingriffe Versicherungsschutz, wenn sie durch einen unter den Versicherungsvertrag fallenden Unfall veranlasst waren. Skizziert bedeutet dies:
118
119
120
121
OLG Stuttgart 25.8.2005 VersR 2007 786, 787 = NJW-RR 2007 316, 317 = RuS 2007 257, 258. BGH 21.9.1988 VersR 1988 1148, 1149; zustimmend OLG München 12.3.2003 VersR 2005 261, 262. KG 3.11.1934 VA 1935 13, 14 Nr. 2762; Kloth Rn. K 80; Knappmann FS Schirmer, S. 269, 274; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 34; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 83; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 41; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 137. BGH 21.9.1988 VersR 1988 1148, 1149; OLG Köln 6.2.1973 VersR 1973 959, 960; OLG München 12.3.2003 VersR 2005 261, 262; OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR
122 123 124
125 126 127 128 129
1997 955, 959; OLG Stuttgart 25.8.2005 VersR 2007 786, 787 = NJW-RR 2007 316 = RuS 2007 257, 258. S.a. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 78. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 79; ferner Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 157. BGH 21.9.1988 VersR 1988 1148, 1149; zust. OLG München 12.3.2003 VersR 2005 261, 262. KG 3.11.1934 VA 1935 13, 14 Nr. 2762. LG Berlin 18.6.2002 VersR 2003 54 f.; LG Karlsruhe 2.6.1960 VersR 1960 913. Henke S. 70 und 72. Henke S. 73. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 958 f.
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1007
AUB 2008 Ziff. 5.2.3
Unfallversicherung
(Deckungspflichtiger) Unfall → Heilmaßnahme oder Eingriff am Körper der versicherten Person → Gesundheitsschaden ➔ Leistungspflicht des VR
Würde der VR den Versicherungsschutz auch dann versagen, wenn die Heilmaßnahme oder der Eingriff durch einen Unfall veranlasst waren, so verhielte er sich treuwidrig, wenn nicht gar arglistig. Gemäß Ziff. 7.1 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 1 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61) ist die versicherte Person gehalten, unverzüglich einen Arzt hinzuzuziehen. Anderenfalls riskiert sie den Verlust des Versicherungsschutzes infolge einer Obliegenheitsverletzung. Zwingt der VR aber einerseits die versicherte Person das Risiko einer u.U. schädlichen Heilbehandlung einzugehen, so kann andererseits der versicherten Person die damit verbundene Gefahrerhöhung billigerweise nicht zur Last gelegt und die Versicherungsleistung für Gesundheitsschäden ausgeschlossen werden, die aus der vom VR selbst geforderten Heilbehandlung möglicherweise resultieren.130 37 Der Einschub „auch strahlendiagnostische und -therapeutische“ Heilmaßnahmen oder Eingriffe enthält eine Klarstellung (Rn. 5). Zwar sind Strahlenschäden gemäß Ziff. 5.1.6 AUB 99/2008 grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Jedoch soll dies nicht gelten, wenn sie Folge eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses sind.131 38 Versicherungsschutz für Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe besteht, wenn ihnen ein Unfall (oder diesem gleichgestelltes Ereignis) i.S.v. § 178 vorausgegangen ist. Es müssen sämtliche Voraussetzungen des anspruchsbegründenden Tatbestandes vorliegen. So muss der Versicherungsfall während der materiellen Dauer des Versicherungsvertrages eingetreten und sämtliche Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllen.132 Aus der Wendung „unter diesen Vertrag fallenden Unfall“ ergibt sich ferner, dass der zum Eingriff führende Unfall nicht infolge eines Ausschlusses (z.B. Bewusstseinsstörung) von der Deckungspflicht ausgenommen sein darf.133
C. Wirksamkeit des Ausschlusses 39
Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008 ist genauso wie seine Vorgängervorschriften in § 2 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94 wirksam. Der Ausschluss steht in Einklang mit den Vorgaben des AGBRechts. Dies hat auch der BGH inzident bestätigt. Zwar hat das Gericht keine ausdrückliche Prüfung nach der Unklarheitenregel oder eine Inhaltskontrolle vorgenommen. Jedoch hat es im Rahmen der (vorrangigen) Auslegung des Tatbestandes (insbesondere des Merkmals „Eingriff“) festgestellt, dass die Regelung nicht unverständlich oder unklar sei und sie auch keine Widersprüche enthalte.134 Vielmehr müsse der durchschnittliche VN erkennen, dass der VR mit der Klausel besonders gefahrträchtige Handlungen der versicherten Person oder eines Dritten aus dem Versicherungsschutz herausnehmen wolle.135
130 131 132
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 82; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 156. Stockmeier/Huppenbauer S. 62. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 156.
1008
133 134 135
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 79; einschränkend Knappmann FS Schirmer, S. 269, 275. So auch OLG Karlsruhe 18.10.2001 NVersZ 2002 216. BGH 8.11.2000 VersR 2001 227, 228.
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Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
D. Verfahrensfragen Die tatsächlichen Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes hat der VR nach allge- 40 meinen Regeln zu beweisen (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32).136 Er hat die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Heilmaßnahme bzw. der Eingriff das erste Glied der Ursachenkette bilden.137 Macht der Anspruchsteller geltend, dass die Heilmaßnahme bzw. der Eingriff durch einen Unfall veranlasst waren, so hat er den Beweis für das Vorliegen des anspruchsbegründenden Tatbestands, insbesondere das Vorliegen der Voraussetzungen des Unfallbegriffs, zu führen.138 Kommt es im Rahmen der Heilbehandlung von Unfallfolgen zu weiteren Gesundheitsschädigungen, so kann zwischen dem Anspruchsteller und dem VR streitig sein, ob der neue Gesundheitsschaden unfallbedingt und damit zu regulieren ist oder ob die schädigende Heilbehandlung den Beginn einer neuen Kausalkette mit der Folge darstellt, dass der Ausschluss eingreift. Hier wird eine Vermutung dafür angenommen, dass der weitere Gesundheitsschaden durch die unfallbedingte Heilbehandlung verursacht wurde. Es sei dann Sache des die Eintrittspflicht ablehnenden VR die Vermutung zu widerlegen oder den Beweis der Unfallunabhängigkeit der gesundheitsschädigenden Heilbehandlung zu erbringen.139
Ziff. 5.2.4 AUB 2008 5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: … 5.2.4 Infektionen. 5.2.4.1 Sie sind auch dann ausgeschlossen, wenn sie – durch Insektenstiche oder -bisse – oder durch sonstige geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzungen
verursacht wurden, durch die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangten. 5.2.4.2 Versicherungsschutz besteht jedoch für – Tollwut und Wundstarrkrampf sowie für – Infektionen, bei denen die Krankheitserreger durch Unfallverletzungen, die nicht nach Ziffer 5.2.4.1 ausgeschlossen sind, in den Körper gelangten.
5.2.4.3 Für Infektionen, die durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe verursacht sind, gilt Ziffer 5.2.3 Satz 2 entsprechend.
Schrifttum Lock AIDS – Eine erste Zwischenbilanz aus der Sicht eines internationalen Rückversicherers, ZfV 1988 462 und 498; Wagner Bedeutung des AGB-Gesetzes für die Gefahrbeschreibung in den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen, ZVersWiss 1977 119; ders. Grenzfälle und Ausschlüsse in der privaten Unfallversicherung, ZVersWiss 1975 619.
136
137
OLG Karlsruhe 3.3.2005 NJW-RR 2005 679, 680 = RuS 2006 123, 124; LG Ravensburg 5.1.1955 VersR 1955 165, 166. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 157.
138 139
Kessal-Wulf RuS 2008 313, 317. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 80.
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1009
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Unfallversicherung
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . I. Zweck des Ausschlusses . . . . . . . . . II. Entwicklung des Ausschlusses . . . . . . 1. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wundinfektion . . . . . . . . . . . aa) Anwendungsbereich . . . . . . bb) Tatbestand . . . . . . . . . . . cc) Konkurrenzen . . . . . . . . . b) Infektionskrankheiten . . . . . . . c) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . 2. AUB 88/94 . . . . . . . . . . . . . . 3. AUB 99/2008 . . . . . . . . . . . . . B. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Infektion . . . . . . . . . . II. Präzisierungen . . . . . . . . . . . . . . 1. Infektionsverursachung durch Insektenstiche oder -bisse . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
Rn.
1 2 3 4 5 6 7 10 11 14 15 17 19 20 23
III.
IV. V. C. D. I. II. III. IV. E.
. 24
2. Infektionsverursachung durch sonstige geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzungen . . . . . . . . . . . . . 3. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . Wiedereinschluss . . . . . . . . . . . . 1. Tollwut und Wundstarrkrampf . . . . 2. Infektionen durch Unfallverletzungen . Heilmaßnahmen . . . . . . . . . . . . Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . Wirksamkeit des Ausschlusses . . . . . Speziellere AVB (Infektionssonderbedingungen) . . . . . . . . . . . . . . . Zweck der Regelungen . . . . . . . . . Entwicklung der Bedingungen . . . . . Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensfragen (Beweislastverteilung) .
. . . . . . . .
25 28 29 30 31 34 35 37
. . . . . .
38 39 40 41 43 44
A. Einführung 1
Infektionen – genauer Infektionsvorgänge, nicht Infektionskrankheiten als solche – sind typischerweise Unfälle i.S.d. AUB, da Erreger (z.B. durch Stiche oder Bisse von Insekten oder Zecken, s.a. § 178 Rn. 46) von außen – meist auch plötzlich – in den Körper der versicherten Person eindringen.1 Infektionsfolgen sind in den AUB 99/2008 – wie schon in den AUB 88/94 und teilweise auch in den AUB 61 – generell vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Der Ausschluss erlangt in der Praxis indes relativ selten praktische Relevanz.
I. Zweck des Ausschlusses 2
Die durch Infektionen hervorgerufenen Gesundheitsschädigungen haben in aller Regel reinen Krankheitscharakter 2 und gehören deshalb nicht zu den Lebensrisiken, die typischerweise mit einer privaten Unfallversicherung abgedeckt werden sollen.3 Der Infektionsvorgang (das – häufig von der versicherten Person nicht einmal wahrgenommene – Eindringen von Mikroorganismen in den Körper) z.B. durch Anhusten, Körperkontakt mit Erkrankten, Stich oder Biss eines Insekts wird bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht als Unfall verstanden.4 Gerade bei Infektionen aufgrund von Bagatellverletzungen steht als Ursache für die Erkrankung nicht das Unfallereignis, sondern die Infektion (die Übertragung von Krankheitserregern) im Vordergrund.5 1
2 3
Prölss/Martin/Knappmann27 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 5; a.A. offenbar LG Frankfurt/M. 14.5.1991 VersR 1992 178; AG Kulmbach 27.6.2005 RuS 2005 475, 476; Kloth Rn. K 87. Reichenbach S. 88. OLG Köln 19.3.2008 RuS 2008 345, 346; Konen/Lehmann S. 18; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 87; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 159.
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4
5
OLG Köln 19.3.2008 RuS 2008 345, 346; LG Köln 10.7.2002 RuS 2004 298; LG Bayreuth 15.8.2005 (13 S 75/05); Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 85; s.a. OLG Hamm 16.5.2007 VersR 2008 342, 343 = RuS 2007 387. OLG Hamm 23.2.2007 VersR 2008 342.
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Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
II. Entwicklung des Ausschlusses Der Ausschluss hat seit 1904 mannigfaltige Veränderungen erfahren.6 Auch zwi- 3 schen den AUB-Generationen seit 1961 bestehen erhebliche Unterschiede. Dies ergibt insbe-sondere der Vergleich des Unfallversicherungsschutzes nach den AUB 61 und nach den AUB 88/94 (für die Kfz-Unfallversicherung s. A.4.10.7 AKB 2008 bzw. § 19 Abs. 4 AKB): AUB 2008 7 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 8
AUB 94
AUB 88 9
AUB 61 10
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Unfallbegriff und Grenzfälle …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
5.2.4 Infektionen.
5.2.4 Infektionen.
Abs. 2 Nr. 3 S. 1 Infektionen.
Abs. 2 Nr. 3 S. 1 Infektionen.
5.2.4.1 Sie sind auch dann ausgeschlossen, wenn sie – durch Insektenstiche oder -bisse – oder durch sonstige geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzungen verursacht wurden, durch die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangten.
5.2.4.1 Sie sind auch dann ausgeschlossen, wenn sie – durch Insektenstiche oder -bisse – oder durch sonstige geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzungen verursacht wurden, durch die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangten.
6
7
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
Nr. 2 Unter den Versicherungsschutz fallen auch: ... Nr. 2b Wundinfektionen, bei denen der Ansteckungsstoff durch eine Unfallverletzung i.S.v. § 2 Nr. 1 in den Körper gelangt ist.
Näher Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 117 (zu Wundinfektionen; s.a. Henke S. 37) und Anm. G 228 (zu Infektionskrankheiten). Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de.
8 9 10
Stockmeier/Huppenbauer S. 63. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Unfallversicherung
AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
5.2.4.2 Versicherungsschutz besteht jedoch für – Tollwut und Wundstarrkrampf sowie für – Infektionen, bei denen die Krankheitserreger durch Unfallverletzungen, die nicht nach Ziff. 5.2.4.1 ausgeschlossen sind, in den Körper gelangten.
5.2.4.2 Versicherungsschutz besteht jedoch für – Tollwut und Wundstarrkrampf sowie für – Infektionen, bei denen die Krankheitserreger durch Unfallverletzungen, die nicht nach Ziff. 5.2.4.1 ausgeschlossen sind, in den Körper gelangten.
Abs. 2 Nr. 3 S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Krankheitserreger durch eine unter diesen Vertrag fallende Unfallverletzung in den Körper gelangt sind.
Abs. 2 Nr. 3 S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die Krankheitserreger durch eine unter diesen Vertrag fallende Unfallverletzung in den Körper gelangt sind.
Nr. 3c S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn es sich um Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses handelt.
S. 3 Nicht als Unfallverletzungen gelten dabei Hautoder Schleimhautverletzungen, die als solche geringfügig sind und durch die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangen; für Tollwut und Wundstarrkrampf entfällt diese Einschränkung.
S. 3 Nicht als Unfallverletzungen gelten dabei Hautoder Schleimhautverletzungen, die als solche geringfügig sind und durch die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangen; für Tollwut und Wundstarrkrampf entfällt diese Einschränkung.
5.2.4.3 Für Infektionen, die durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe verursacht sind, gilt Ziff. 5.2.3 Satz 2 entsprechend.
5.2.4.3 Für Infektionen, die durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe verursacht sind, gilt Ziff. 5.2.3 Satz 2 entsprechend.
Abs. 2 Nr. 3 S. 4 Für Infektionen, die durch Heilmaßnahmen verursacht sind, gilt § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 entsprechend.
Abs. 2 Nr. 3 S. 4 Für Infektionen, die durch Heilmaßnahmen verursacht sind, gilt § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 entsprechend.
S. 3 Die Entstehungsursache der Infektionskrankheiten selbst gilt nicht als Unfallereignis.
1. AUB 61
4
Haben die Vertragsparteien den Versicherungsvertrag noch unter Einbeziehung der AUB 61 geschlossen, so ist zwischen der Wundinfektion (§ 2 Nr. 2b AUB 61) und der Infektionskrankheit (§ 2 Nr. 3c AUB 61) zu unterscheiden.
5
a) Wundinfektion. Gemäß § 2 Nr. 2b AUB 61 besteht Versicherungsschutz für Wundinfektionen, bei denen der Ansteckungsstoff durch eine Unfallverletzung in den Körper der versicherten Person gelangt ist.11 Es handelt sich bei dem Tatbestand um einen „positiven Grenzfall“ zum Unfallbegriff.12 Seine Besonderheit liegt darin, dass die Wundinfektion (das Infektionsergebnis) nach ganz h.M., die allerdings angreifbar ist, selbst als Versicherungsfall qualifiziert wird,13 also in Form eines Einschlusstatbestandes die Deckung für ein weiteres Risiko übernommen wird und es sich bei § 2 Nr. 2b
11 12
S. bereits VA 1920 92, 93. Konen/Lehmann S. 18; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 90.
1012
13
S. etwa Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 90; Stiefel/Hofmann 17 § 18 AKB Rn. 20.
Kent Leverenz
Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
AUB 61 nicht um eine bloße Klarstellung des Unfallbegriffs handelt.14 Ob das der Wundinfektion vorausgegangene Unfallereignis versichert war, ist demnach unerheblich.15 Auch das Eindringen des Ansteckungsstoffes in den Körper (der Infektionsvorgang) muss nicht in die Versicherungszeit fallen. Die Unfallverletzung kann sich mithin vor Beginn der materiellen Vertragsdauer ereignet haben. Entscheidend für § 2 Nr. 2b AUB 61 ist allein, dass die Wundinfektion während des versicherten Zeitraums eingetreten ist.16 aa) Anwendungsbereich. Gelangen die Krankheitserreger schon mit dem Unfall 6 selbst, der während der materiellen Vertragsdauer eintritt, in den Körper, so ist bereits der allgemeine Unfallbegriff erfüllt. Es besteht folglich schon Versicherungsschutz nach § 2 Nr. 1 AUB 61, sofern es sich nicht um die Übertragung einer umfassenden Infektionskrankheit handelt, die nach § 2 Nr. 3c AUB 61 zu beurteilen ist.17 Entsprechendes gilt, wenn die Krankheitserreger als adäquate Folge des versicherten Unfalls übertragen werden.18 In diesen Fällen kommt es auf eine Anwendung des § 2 Nr. 2b AUB 61 nicht an. Die Regelung in § 2 Nr. 2b AUB 61 dient nach ihrem Wortlaut („auch“) als Erweiterung zu § 2 Nr. 1 AUB 61.19 Sie erfüllt erst in den Fällen einen eigenständigen Zweck, in denen • § 2 Nr. 1 AUB 61 nicht eingreift, weil die Unfallverletzung vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten ist, • die Infektionsstoffe kausal – und regelmäßig auch zeitlich nach dem Unfallereignis – durch die Unfallverletzung in den Körper gelangen (z.B. durch nachträgliche Verschmutzung der eigentlichen Unfallverletzung) 20 und • diese Krankheitserreger die Wundinfektion während der materiellen Vertragsdauer hervorrufen.21
bb) Tatbestand. Unter einer Wundinfektion wird eine Entzündung der Wunde durch 7 Eindringen von Erregern in die Wunde als Eintrittspforte verstanden.22 Die Infektion muss primär den Wundbereich entzünden bzw. die krankhaften Erscheinungen der Wundinfektion müssen sich primär weitgehend lokalisiert im engeren Wundbereich abspielen.23 § 2 Nr. 2b AUB 61 erfasst auch Folgeerscheinungen der Wundinfektion wie Blutvergiftungen,24 Eiterungen, Fäulnis usw.;25 denn die aus dem Übergang von Erregern oder deren Giftstoffen in die Blutbahn resultierenden Krankheitsbilder im Körper und die damit verbundenen allgemeinen Beeinträchtigungen entwickeln sich regelmäßig mit
14
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17
18
Krit. Henke S. 38 f.; Wagner ZVersWiss 1975 619, 634 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 19 und insbesondere G 118. Grundlegend RG 10.5.1938 RGZ 157 310, 312 f. = VA 1938 194 Nr. 3058; ferner Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 5; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 90; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 234. Grewing Entstehungsgeschichte, S. 9; ferner Reichenbach S. 88; Wussow/Pürckhauer 5 § 2 Rn. 17. So etwa OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 5. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 90; Reichenbach S. 88.
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OLG Hamm 21.11.1980 VersR 1981 673. LG Landshut 10.6.1987 VersR 1988 691, 692. RG 10.5.1938 RGZ 157 310, 313; OLG Hamm 21.11.1980 VersR 1981 673. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 90; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 90. LG Dortmund 8.12.2005 RuS 2006 254; Perret S. 5; Reichenbach S. 89; Wussow/ Pürckhauer 5 § 2 Rn. 17. Wagner ZVersWiss 1975 619, 634; ferner Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 120 f. Henke S. 38.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Unfallversicherung
den Lokalerscheinungen einer Wundinfektion und nicht sofort auf dem Blutweg. Infektionskrankheiten wie Wundstarrkrampf, Tollwut und Gasbrand setzen ebenfalls primär eine Wundinfektion voraus; ihre allgemeinen Krankheitserscheinungen gehen von der Entzündung der Wunde aus.26 Alle anderen Infektionskrankheiten, die nicht durch eine primär im Vordergrund stehende Wundinfektion gekennzeichnet sind, fallen nicht unter § 2 Nr. 2b AUB 61. Führt die Wundinfektion zu einer Erkrankung anderer Körperbereiche als der von der Unfallverletzung betroffenen, handelt es sich um eine Infektionskrankheit i.S.v. § 3 Nr. 3c AUB 61, für die grundsätzlich kein Versicherungsschutz besteht. Erforderlich ist eine „Unfallverletzung i.S.v. § 2 Nr. 1 AUB 61“. Der Begriff ist mehr8 deutig.27 • Mit dem Wortbestandteil „Unfall“ in Unfallverletzung und dem Bezug in § 2 Nr. 2b AUB 61 auf den Unfallbegriff in § 2 Nr. 1 AUB 61 soll lediglich eine Abgrenzung gegen Verletzungen anderer Art (z.B. infolge langen Liegens auf dem Krankenbett) vorgenommen werden.28 Die versicherte Person muss sich dagegen die Unfallverletzung nicht während der materiellen Vertragsdauer zugezogen haben (Rn. 6). Streitig ist, ob es bei einer freiwillig zugefügten Verletzung an einem vorhergehenden Unfall i.S.v. § 2 Nr. 2b S. 1 AUB 61 fehlt.29 Z.T. wird die Auffassung vertreten, selbst freiwillige Verletzungen könnten den Versicherungsschutz für eine nachfolgende Wundinfektion nicht ausschließen, wenn sich die Freiwilligkeit nur auf die Verletzung, nicht aber auch auf die Infektion beziehe.30 Hierfür spricht einerseits, dass die Wundinfektion als Fiktion eines Unfalls i.S. eines echten Einschlusses behandelt wird (Rn. 5).31 Andererseits ist der Formulierung „Unfallverletzung i.S.d. Ziff. 1“ nicht zu entnehmen, dass an die Prüfung des Unfallbegriffs geringere Anforderungen zu stellen sind und z.B. auf das Tatbestandsmerkmal der „Unfreiwilligkeit“ in § 2 Nr. 1 AUB 61 verzichtet werden soll. Vielmehr wird vollumfänglich auf § 2 Nr. 1 AUB 61 verwiesen. Hinzu kommt, dass kein verständiger VN Versicherungsschutz für eine Wundinfektion erwarten wird, die als – wenn auch ungewollte – Folge einer zunächst freiwillig vorgenommenen Selbstverstümmelung auftritt. • An die „Verletzung“ selbst sind keine besonderen Anforderungen zu stellen. Eine geringfügige Gesundheitsschädigung reicht aus, wenn sie nur geeignet ist, eine Wundinfektion hervorzurufen.32
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Der Ansteckungsstoff muss „durch“ eine Unfallverletzung i.S.v. § 2 Nr. 1 AUB 61 in den Körper gelangt sein. Gleichgültig ist, welcher Zeitraum zwischen Unfallverletzung und Wundinfektion liegt.33 Streitig ist, ob (jede) adäquate Kausalität zwischen der Unfallverletzung und der Wundinfektion genügt34 oder erforderlich ist, dass die Krankheitserreger „durch die (Haut-)Verletzung hindurch“ in den Körper gelangt sind, also die Unfallverletzung den Zugang für den Ansteckungsstoff in den Körper gebildet haben muss. Die Lesart „im Bereich der Unfallwunde“ 35 ist am ehesten mit dem Wortlaut von § 2 Nr. 2b AUB 61 zu vereinbaren („bei denen der Ansteckungsstoff durch eine Unfallverletzung … in den Körper gelangt“). Anderenfalls hätte die knappe Formulierung ausgereicht: „Wundinfektionen, die Folge eines Unfallereignisses sind.“ Allerdings wird nicht angenommen werden können, dass die Krankheitserreger genau durch die ursprüngliche
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Reichenbach S. 89; s.a. Perret S. 5. Näher hierzu Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 122 ff. RG 10.5.1938 RGZ 157 310, 313. So Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 5; s.a. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 90. Wussow/Pürckhauer 5 § 2 Rn. 17. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 129.
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 123; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 90. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 90; Wussow/ Pürckhauer 5 § 2 Rn. 17. So offenbar Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 124. So Henke S. 38.
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Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Haut- oder Schleimhautverletzung (z.B. gerade durch den Stichkanal nach einem Insektenstich) eingedrungen sein müssen. Der durchschnittliche VN, dessen Verständnis maßgebend ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57), wird eine solche Einschränkung der Formulierung in § 2 Nr. 2b AUB nicht entnehmen können, sondern vielmehr erwarten, dass auch Wundinfektionen erfasst sind, deren Erreger über die verletzte Körperstelle (z.B. über das durch den Stich verursachte Geschwulst) in den Körper eindringen.36 § 2 Nr. 2b AUB erfasst damit etwa den Fall, dass durch Kratzen oder Reiben der Wunde oder im Rahmen der (Heil-)Behandlung der eigentlichen Wunde Krankheitserreger in das Körperinnere geraten. Der Anwendungsbereich dieser Klausel ist dagegen nicht eröffnet, wenn die Wundinfektion auftritt, weil Krankheitserreger nicht über die verletzte Körperpartie, sondern etwa mit einer Infusion in den Körper gelangt sind. Hier kommt Versicherungsschutz nur nach § 2 Nr. 1 AUB 61 in Betracht. cc) Konkurrenzen. Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass § 2 Nr. 3c AUB 61 bei 10 einer Infektionskrankheit die Regelung in § 2 Nr. 2b AUB 61 verdrängt. Fraglich ist dagegen, wie sich § 3 AUB 61 auf den Versicherungsschutz für Wundinfektionen auswirkt, wenn einer der dort genannten Ausschlusstatbestände für die Unfallverletzung adäquat kausal sind. Während eine Auffassung Fälle als unschädlich ansieht, in denen der Unfall, der der Wundinfektion vorhergeht, unter einen Ausschluss nach § 3 AUB 61 fällt oder aus anderen Gründen nicht zur Leistung führt,37 versagt eine andere Ansicht hier den Deckungsschutz nach § 2 Nr. 2b AUB 61.38 Letzterem ist zuzustimmen. Es ist nicht nur erforderlich, dass sämtliche Tatbestandsmerkmale des Unfallbegriffs (also auch die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsschädigung, Rn. 8) erfüllt sind, sondern insgesamt ein „an sich“ deckungspflichtiger Unfall vorliegt, mag sich dieser auch vor dem materiellen Versicherungsbeginn ereignet haben. Zwar könnte argumentiert werden, dass § 2 Nr. 2b AUB 61 die Wundinfektion und nicht den Unfall als Versicherungsfall definiert (Rn. 5) sowie § 2 Nr. 2b AUB 61 nur auf § 2 Nr. 1 AUB verweist und nicht etwa auf eine „Unfallverletzung i.S.d. AUB“ oder eine „Unfallverletzung, für die kein Ausschluss oder Leistungseinschränkung besteht“. Jedoch würde damit dem erkennbaren Regelungszweck der AUB nicht ausreichend Rechnung getragen. Die VR wollen nur für alltägliche Gefahren und deren Folgen leisten. Kein verständiger VN wird erwarten, Versicherungsschutz für eine Wundinfektion zu erhalten, die sich die versicherte Person z.B. als Folge einer Verletzung im Rahmen eines Verkehrsunfalls nach einer Trunkenheitsfahrt im Zustand absoluter Fahrunfähigkeit zugezogen hat. b) Infektionskrankheiten. Von der Wundinfektion nach § 2 Nr. 2b AUB 61 ist die 11 Übertragung einer den ganzen Körper erfassenden Infektionskrankheit gemäß § 2 Nr. 3c AUB 61 zu unterscheiden. Bei diesem Tatbestand handelt es sich um einen echten Ausschluss, da er das Eindringen von Krankheitserregern in den Körper der versicherten Person als Unfallereignis vom Versicherungsschutz ausnimmt.39 § 2 Nr. 2b AUB 61 kann allerdings auch lediglich klarstellende Funktion haben, wenn der Infektionsvorgang nicht das Merkmal der „Plötzlichkeit“ im Unfallbegriff erfüllen sollte.40
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OLG Düsseldorf 17.5.1935 VA 1935 273, 274 Nr. 2839; zust. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 124. 37 OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773; Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 90; Wussow/ Pürckhauer 5 § 2 Rn. 17.
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 126. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 232. Henke S. 42 f.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 233.
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Nach § 2 Nr. 3c S. 1 Halbs. 1 AUB 61 besteht für Infektionskrankheiten grundsätzlich kein Versicherungsschutz. Unter Infektionskrankheit versteht der allgemeine Sprachgebrauch ansteckende, übertragbare Krankheiten,41 die sich nicht (wie reine Wundinfektionen) primär nur im Wundbereich, sondern in weiteren Bereichen des Organismus auswirken.42 Zu ihnen zählen neben der Malaria durch Mückenstich,43 dem Flecktyphus durch Läusebiss 44 oder der Nervenentzündung (Borreliose) durch einen Zeckenbiss 45 auch Hepatitis B 46 und die HIV-Infektion.47 Nicht erfasst ist dagegen der Biss durch eine Giftschlange oder der Stich eines Skorpions, da dieser zu einer Vergiftung durch chemische Reaktion und nicht zur Übertragung einer Infektionskrankheit führt.48 Entsprechendes gilt für den durch einen Bienen- oder Wespenstich hervorgerufenen allergischen Schock.49 Der generelle Versicherungsausschluss von Infektionskrankheiten wird durch § 2 13 Nr. 3c S. 2 und 3 AUB 61 eingeschränkt. Der Sinn und Zweck dieser Regelungen ist dem Wortlaut nicht leicht zu entnehmen,50 so dass sich die Frage nach der Anwendung der Unklarheitenregel in § 305c Abs. 2 BGB (§ 5 AGBG) stell.51 Zunächst sind Infektionskrankheiten nach § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 vom Versicherungsschutz umfasst, wenn sie sich als adäquate Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses darstellen. Diese Formulierung ging den Bedingungsgebern indes zu weit. Sie befürchteten, dass die zuvor ausgeschlossenen Infektionskrankheiten durch die Generalklausel in § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 wieder in den Versicherungsschutz eingeschlossen sein könnten. So wollten die Bedingungsgeber aber gerade verhindern, dass z.B. Unfallversicherungsschutz für Malaria besteht, obwohl der Stich der Anopheles-Mücke als bedingungsgemäßes Unfallereignis gewertet werden kann. Deshalb wurde in § 2 Nr. 3c S. 3 AUB 61 als Ausnahme zu § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 weiterhin noch die Regelung aufgenommen, dass die Entstehungsursache der Infektionskrankheit selbst nicht als Unfallereignis gilt. Mit dieser Formulierung wurde beabsichtigt, die Fälle vom Versicherungsschutz auszunehmen, in denen die Entstehungsursache eines der in § 2 Nr. 3c S. 1 AUB 61 genannten Tatbestände selbst ein Unfallereignis darstellt. Insbesondere sollte der Versicherungsschutz für Infektionen durch Stiche oder Bisse von Tieren 52 (z.B. Zeckenbiss,53 Stich der AnophelesMücke) versagt werden. Nicht gemeint waren dagegen solche Sachverhalte, in denen die in § 2 Nr. 3c S. 1 AUB 61 genannten Tatbestände als zufällige Folge eines völlig anders
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Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 82. Wussow/Pürckhauer 5 § 2 Rn. 21. OLG Hamm 3.7.1985 VersR 1987 253; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 230. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 231; s. auch Perret S. 5 f. OLG Hamm 21.11.1980 VersR 1981 673 (s.a. LG Bielefeld 19.12.1978 VersR 1981 674); LG Dortmund 8.12.2005 RuS 2006 254; LG Landshut 10.6.1987 VersR 1988 691, 692; ferner OLG Hamm 3.7.1985 VersR 1987 253; OGH 13.7.1994 VersR 1995 987, 988; Marlow RuS 2007 353, 356. LG Frankfurt/M. 14.5.1991 VersR 1992 178. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 6.
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OLG Hamm 3.7.1985 VersR 1987 253; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 127. LG Landshut 10.6.1987 VersR 1988 691, 692; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 5; s. aber auch OGH 26.4.2006 VersR 2007 1108 (LS). OLG Hamm 21.11.1980 VersR 1981 673; LG Landshut 10.6.1987 VersR 1988 691, 692; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 82. Bejaht von Wagner ZVersWiss 1977 119, 139 ff. OLG Hamm 21.11.1980 VersR 1981 673; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 90. LG Landshut 10.6.1987 VersR 1988 691, 692; ferner OGH 13.7.1994 VersR 1995 987, 988.
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Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
gearteten Unfallereignisses auftreten.54 Für diese war Versicherungsschutz gewollt. § 2 Nr. 3c S. 3 AUB 61 hätte also auch in etwa lauten können: „Die typische oder primäre“ – unmittelbare 55 – „Entstehungsursache der Infektionskrankheiten gilt nicht als Unfallereignis.“ 56
Ausgeschlossen sind damit nur die Fälle, in denen die Übertragung der Krankheitserreger (die Infektion als Übertragungsvorgang) das erste Glied in der zu den schädlichen Unfallfolgen (der Infektionskrankheit) führenden Kausalkette bildet.57 c) Fallgruppen. Folgende Fallkonstellationen lassen sich zu den AUB 61 unterschei- 14 den:58 • Wundinfektion als Folge eines versicherten Unfalls: Tritt die Wundinfektion in einem adäquaten Kausalzusammenhang zu einem Unfallereignis auf, das sich während des versicherten Zeitraums ereignet, so besteht Versicherungsschutz nach dem allgemeinen Unfalltatbestand in § 2 Nr. 1 AUB 61. Ein Rückgriff auf § 2 Nr. 2b AUB 61 ist nicht erforderlich (Rn. 6). Die Kausalkette lässt sich wie folgt skizzieren: Versicherungsbeginn → Unfallereignis/-verletzung → Wundinfektion (als adäquate Folge des Unfalls) ➔ Versicherungsschutz nach § 2 Nr.1 AUB 61. So liegt etwa der Fall, wenn die versicherte Person nach materiellem Versicherungsbeginn hinfällt und durch den Sturz selbst oder die anschließende Behandlung Schmutz in die Wunde gelangt und diese sich daraufhin entzündet. Auch Wundinfektionen infolge von Insektenstichen sind versichert.59 • Wundinfektion als Folge eines nicht versicherten Unfalls: Gelangen nach einem Unfall, der sich vor Versicherungsbeginn ereignet hat, Krankheitserreger durch die unfallbedingte Verletzung in den Körper der versicherten Person und rufen dort während der (materiellen) Vertragsdauer eine Infektion hervor, die sich auf den Wundbereich beschränkt, so besteht Versicherungsschutz nach § 2 Nr. 2b AUB 61: Unfallereignis/-verletzung → Versicherungsbeginn → Krankheitserreger gelangen unmittelbar durch die Unfallverletzung in den Körper → Wundinfektion ➔ Versicherungsschutz nach § 2 Nr. 2b AUB 61. Nicht erforderlich ist, dass zumindest das Eindringen des Erregers in den Körper (der Infektionsvorgang) in die Versicherungszeit fallen muss (Rn. 6). Versicherungsschutz besteht mithin auch bei folgender Kausalkette: Unfallereignis/-verletzung → Krankheitserreger gelangen unmittelbar durch die Unfallverletzung in den Körper → Versicherungsbeginn → Wundinfektion ➔ Versicherungsschutz nach § 2 Nr. 2b AUB 61. Solange die Wundinfektion (das Infektionsergebnis) in der versicherten Zeit erfolgt, ist es für die Bejahung des Versicherungsschutzes i.E. unerheblich, ob die Unfallverletzung während des versicherten Zeitraums eingetreten ist: Ist dies nicht der Fall, so findet ausschließlich § 2 Nr. 2b AUB 61 Anwendung. Ist die Unfallverletzung dagegen während der materiellen Versicherungsdauer eingetreten, so kann es zu einer Überschneidung mit der vorgenannten Fallgruppe kommen. Folge ist dann, dass § 2 Nr. 2b AUB 61 keine eigenständige Bedeutung hat (Rn. 6). Anders als bei § 2 Nr. 1 AUB reicht für § 2 Nr. 2b AUB 61 keine adäquate Kausalität. Vielmehr muss die Wundinfektion unmittelbare Folge der Unfallverletzung sein („durch eine Unfallverletzung“, Rn. 9). Als Beispiel mag der Fall dienen, dass die versicherte Person vor materiellem Vertragsbeginn durch einen Sturz eine leichte Wunde am Kopf erleidet. Für diese Unfallverletzung besteht kein Versicherungsschutz. Kommt es dann aber z.B. über eine Verunreinigung der Wunde durch Kratzen usw. in der versicherten Zeit zu einer Wundinfektion, so besteht gemäß § 2 Nr. 2b AUB 61 Versicherungsschutz. Anders ist dagegen der Sachverhalt zu beurteilen, wenn die Wundinfektion nicht durch eine Einwirkung auf den durch die Unfallverletzung betroffenen Körperteil (Kopf) verursacht wird, son-
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Grewing Entstehungsgeschichte, S. 13; Grewing Unfallversicherung S. 45. LG Landshut 10.6.1987 VersR 1988 691, 692. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 127 und 236.
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OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773. Stockmeier/Huppenbauer S. 64. Wussow/Pürckhauer 5 § 2 Rn. 17.
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Unfallversicherung
dern die Auslöser für die Wundinfektion über einen anderen Weg in den Körper gelangen. Dann ist der VR nicht zur Leistung verpflichtet. • Infektionskrankheit als unmittelbare Folge eines Unfallereignisses: Gelangen Krankheitserreger unmittelbar durch den Unfall in den Körper der versicherten Person und rufen dort (als erstes Glied in der Kausalkette) eine Infektion hervor, die sich nicht auf den Wundbereich beschränkt, sondern auch in anderen Bereichen auftritt, so ist der Versicherungsschutz gemäß § 2 Nr. 3c S. 1 und 3 AUB 61 ausgeschlossen: Versicherungsbeginn → Unfallereignis → Infektionskrankheit (als unmittelbare/direkte Folge des Unfallereignisses) ➔ Versicherungsausschluss nach § 2 Nr. 3c S. 1 und 3 AUB 61. Typische Beispiele für den Versicherungsausschluss sind Bisse und Stiche von Tieren, Insekten oder Zecken (Rn. 12). So sind etwa bei einem Biss durch ein tollwutkrankes Tier zwar die reinen Verletzungsfolgen (Fleischwunde, Knochenverletzung), nicht jedoch die eventuelle Erkrankung an Tollwut versichert;60 denn der Biss ist typische Ursache der Tollwut.61 Kein Versicherungsschutz wurde auch für den Fall anerkannt, in dem die völlige Durchnässung eines Feuerwehrmanns (Unfallereignis) zu einer tödlichen Hirnhautentzündung führte.62 • Infektionskrankheit als zufällige Folge eines Unfallereignisses: Gelangen Krankheitserreger nicht unmittelbar durch das Unfallereignis in den Körper der versicherten Person, sondern im Zuge der Behandlung der unfallbedingten Gesundheitsschäden oder bei Gelegenheit der Behandlung, so besteht Versicherungsschutz nach § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 (Rn. 13). Die Kausalkette kann wie folgt dargestellt werden: Versicherungsbeginn → Unfallereignis → Infektionskrankheit (als mittelbare/ zufällige Folge des Unfallereignisses) ➔ Versicherungsschutz nach § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61. Vorstehendes gilt etwa, wenn sich die versicherte Person bei der Behandlung ihrer Unfallverletzung mit Hepatitiserregern infiziert 63 oder sich eine Aids-Infektion nach einer Bluttransfusion bei der Operation der Unfallverletzung zuzieht.64 Ähnlich gelagert ist der Fall, wenn unfallbedingte Gesundheitsschäden eine Immunschwäche bewirken, die das Eindringen von Krankheitserregen ermöglicht. Hier ist die Infektion adäquate Folge des Unfallereignisses, so dass Versicherungsschutz gemäß § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 gegeben ist.65 Versicherungsschutz wurde auch für den Fall zugesprochen, dass Erreger (Polio-Erreger) bereits im Körper der versicherten Person vorhanden waren, ihre schädlichen Wirkungen (Tod durch Kinderlähmung) aber erst durch das Unfallereignis (Schlägerei) in Gang gesetzt wurden.66
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§ 2 Abs. 2 Nr. 3 AUB 88/94 sollte gegenüber den Regelungen in den AUB 61, die kompliziert und unübersichtlich sind,67 durch einen anderen Aufbau größere Verständlichkeit bewirken. Auf die Unterscheidung zwischen Wundinfektionen und Infektionskrankheiten wurde verzichtet, weil diese beiden Komplexe wissenschaftlich nicht eindeutig abgrenzbar sind und ihre unterschiedliche Behandlung nicht mehr erforderlich erschien.68 Stattdessen sind sämtliche Infektionen (d.h. sowohl Wundinfektionen als auch Infektionskrankheiten) grundsätzlich ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn die Infektion adäquate Folge eines Vorunfalls ist. Im Gegensatz zu den AUB 61, die noch Versicherungsschutz für sämtliche Wundinfektionen vorsahen, bei denen der Ansteckungsstoff durch eine Unfallverletzung i.S.d. Unfallbegriffs in den Körper gelangt ist, sind lokale, begrenzte Infektionen im Bereich einer Haut- oder Schleimhautverletzung, die als geringfügig zu qualifizieren ist, nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 AUB 88/94 nicht entschädi-
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Wussow/Pürckhauer 5 § 2 Rn. 21. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 127. OLG Bremen 11.10.1948 VersR 1951 18 in Abweichung zu LG Bremen 2.4.1948 VersR 1951 18. Wussow/Pürckhauer 5 § 2 Rn. 21.
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Stockmeier/Huppenbauer S. 64. S.a. Henke S. 43. OLG Nürnberg 28.11.1961 VersR 1962 773. Reichenbach S. 88. Konen/Lehmann S. 18; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 85.
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Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
gungspflichtig. Damit wurde der Versicherungsschutz gegenüber den AUB 61 eingeschränkt.69 Es sollte fortan unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Unfallversicherung – in Abgrenzung zur Krankenversicherung (Rn. 2) – für den Unfall-VR nur dort eine Leistungspflicht begründet werden, wo ein Unfall als erster Schritt in der Kausalkette vorausgegangen ist und Krankheitserreger durch die dadurch verursachte Unfallverletzung in den Körper gelangt sind.70 Anders als in den AUB 61 – dort kam es auf die Infektion an – muss darüber hinaus nach den AUB 88/94 die Unfallverletzung während der Wirksamkeit des Vertrages eingetreten sein („unter diesen Vertrag fallende Unfallverletzung“). Für Infektionen (Rn. 20 ff.) besteht auf Grundlage der AUB 88/94 nur unter engen 16 Voraussetzungen Unfallversicherungsschutz. Neben der Sonderregelung für Infektionen durch Heilmaßnahmen (Rn. 34) in § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 4 AUB 88/94 sieht § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 AUB 88/94 ausnahmsweise Versicherungsschutz für Infektionen vor, wenn die Krankheitserreger durch eine unter diesen Vertrag fallende Unfallverletzung in den Körper gelangt sind (vgl. Rn. 13). Die Regelung ist kompliziert und verschachtelt.71 Sie wird dadurch schwer lesbar. Der Wiedereinschluss (Ausnahme zum Ausschluss von Infektionen) beinhaltet eine Einschränkung (Wiederausschluss, „Ausnahme der Ausnahme“; § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 Halbs 1 AUB 88/94), die ihrerseits wieder relativiert wird („Ausnahme von der Ausnahme der Ausnahme“; § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 Halbs. 2 AUB 88/94): • Nicht als Unfallverletzung, die ausnahmsweise Versicherungsschutz begründen kann, gelten nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 Halbs. 1 AUB 88/94 Haut- oder Schleimhautverletzungen (Rn. 25 ff.), die als solche geringfügig sind und durch die die Krankheitserreger (als „Eintrittspforte“) sofort oder später in den Körper gelangen. Die Bedingungsgeber wollten mit dieser Formulierung Bagatellverletzungen vom Unfallversicherungsschutz ausnehmen, da hierdurch verursachte Gesundheitsbeschwerden eher dem Krankenversicherungs- als dem Unfallversicherungsbereich zugeordnet wurden. Zunächst sollten insbesondere Infektionskrankheiten ausgeschlossen werden, die durch Biss oder Stich eines Insekts übertragen werden.72 Erfasst werden damit Vorgänge, die die Entstehungsursache der Infektion i.S.v. § 2 Nr. 3c S. 3 AUB 61 (Rn. 13) darstellen.73 Kein Unfallversicherungsschutz besteht folglich z.B. für die Folgen eines Mückenstiches (Malaria).74 Entsprechendes gilt für Zeckenbisse, die zu einer Übertragung von Borreliose (eine durch Bakterien – Borrelien – hervorgerufene akute fieberhafte Infektionskrankheit) 75 führen.76 Des Weiteren war beabsichtigt, Infektionen durch AIDS-Erreger auszuschließen;77 denn die Immunschwäche Aids ist mit ihren z.T. schwerwiegenden Folgen ihrer Natur nach dem Krankheitsbereich zuzuordnen.78 Da Aids nach medizinischen Erkenntnissen in der Regel auf dem Weg über geringfügige, kleinflächige Haut- oder Schleimhautverletzungen übertragen wird, greift typischerweise § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 AUB 88/94 ein. Der Haupterreger von AIDS, das Virus HIV-1 kommt in verschiedenen Körperflüssigkeiten (Blut, Samenflüssigkeit, Zervikal- und Vaginalsekret, Speichel,
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Reichenbach S. 88 und 90; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 82 f. Konen/Lehmann S. 18 f.; s.a. Reichenbach S. 88. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 83. Konen/Lehmann S. 19. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 86. LG Köln 10.7.2002 RuS 2004 298; Riebesell S. 40. AG Kulmbach 27.6.2005 RuS 2005 475. OLG Hamm 23.2.2007 VersR 2008 342; OLG Koblenz 9.10.2003 RuS 2004 298 =
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VersR 2005 493 (LS); OLG Köln 19.3.2008 RuS 2008 345 f.; LG Dortmund 1.9.2005 NJW-RR 2006 102 = RuS 2006 253; LG Düsseldorf 14.1.2005 RuS 2005 475; Kloth Rn. K 88; Marlow RuS 2007 353, 356; ders. RuS 2005 357, 360; a.A. AG Dortmund 22.8.2003 NJW-RR 2003 1680; offen lassend OLG Düsseldorf 7.4.2009 VersR 2010 61, 62. Konen/Lehmann S. 19; Stockmeier/Huppenbauer S. 65. Reichenbach S. 90; Riebesell S. 40.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Unfallversicherung
Tränen, Urin u.a.) vor, so dass Mikroverletzungen z.B. im Genital- oder Afterbereich, die mit dem bloßem Auge nicht wahrnehmbar sind, für eine Infektion genügen können.79 • Von der „Einschränkung der Ausnahme vom generellen Ausschluss für Infektionen“ macht § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 Halbs. 2 AUB 88/94 wiederum eine Ausnahme. Für Tollwut und Wundstarrkrampf (Rn. 30) besteht auch dann Versicherungsschutz, wenn die Krankheitserreger durch eine geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzung in den Körper der versicherten Person gelangt sind.
3. AUB 99/2008
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Der Ausschluss ist in den AUB 99 trotz erheblicher redaktioneller Änderungen im Vergleich zu den AUB 88/94 materiell unverändert geblieben;80 auch eine Veränderung der Beweislastverteilung war nicht beabsichtigt. Zur besseren Übersichtlichkeit und Verständlichkeit haben die Bedingungsgeber allerdings den Aufbau der Regelung neu gestaltet: Zunächst wird zusammengefasst und präzisiert, was ausgeschlossen ist (Ziff. 5.2.4.1 AUB 99). Sodann erfolgt die Darstellung der Fälle, die wieder in den Versicherungsschutz eingeschlossen werden (Ziff. 5.2.4.2 AUB 99).81 Darüber hinaus erfolgten im Vergleich zu den AUB 88/94 Klarstellungen: Zum einen wird der Ausschluss für Infektionen durch Insektenstiche oder -bisse ausdrücklich angesprochen. Zum anderen wurden in Ziff. 5.2.4.3 AUB abweichend von § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 4 AUB 88/94 noch die Worte „oder Eingriffe“ ergänzt. Dadurch erfolgte die redaktionell gebotene Angleichung des Wortlautes in Ziff. 5.2.4.3 AUB 99 an die Formulierung in Ziff. 5.2.3 AUB 99/2008. 18 Ziff. 5.2.4 AUB 2008 stimmt mit Ziff. 5.2.4 AUB 99 überein. Die VVG-Reform 2008 hat keine Anpassungen notwendig gemacht.
B. Tatbestand 19
Infektionen sind grundsätzlich vom Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen. Wie die Krankheitserreger in den Körper gelangen, ist dabei generell unerheblich. Diese Kernaussage in Ziff. 5.2.4 AUB (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 1 AUB 88/94) wird in Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008 präzisiert und anschließend in Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008 und 5.2.4.3 AUB 99/2008 eingeschränkt bzw. modifiziert.
I. Begriff der Infektion 20
Unter dem Infektionsbegriff wird in Ziff. 5.2.4 AUB 99/2008 – wie in allen anderen AUB-Generationen auch – das Eindringen eines selbständig vermehrungsfähigen tierischen oder pflanzlichen Krankheitserregers in den Körper subsumiert, der durch seine Lebensfähigkeit bestimmte örtlich begrenzte oder allgemeine Störungen hervorruft.82 Zu solchen krankheitserregenden Mikroorganismen gehören Bakterien, Viren,83 Pilze, Wür-
79 80
81 82
Lock ZfV 1988 462, 464; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 86. LG Dortmund 1.9.2005 NJW-RR 2006 102 = RuS 2006 253; Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 5. Stockmeier/Huppenbauer S. 63 und 65. S. nur OLG Hamm 21.11.1980 VersR 1981
1020
83
673; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 87; Stockmeier/Huppenbauer S. 63; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 119 und G 229; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 81. LG Landshut 10.6.1987 VersR 1988 691, 692.
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Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
mer und Parasiten.84 Nicht erfasst ist dagegen Gift von Schlangen oder Skorpionen (Rn. 12). Nicht ganz deutlich ist, ob Infektion i.S.d. AUB nur den Übertragungsvorgang 85 oder 21 auch die Wirkung des Krankheitserregers (die Infektionskrankheit) im Körper meint.86 Erfasst ist beides. Der für die Auslegung maßgebliche Sprachgebrauch im Alltagsleben (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 66 ff.) versteht unter dem Wort Infektion sowohl den Vorgang der Infektion i.S. des Eindringens der Krankheitserreger in der Körper als auch die (Aus-)Wirkung der Krankheitserreger im Körper. Auch in den AUB werden beide Sachverhalte ohne scharfe Trennung nebeneinander behandelt. So spricht z.B. § 2 Nr. 2b AUB 61 im Zusammenhang von Wundinfektionen von „Ansteckungsstoffen, die durch eine Unfallverletzung … in den Körper gelangen“, während § 2 Nr. 3 S. 1 AUB 61 einerseits Infektionskrankheiten in Verbindung zu Malaria und Flecktyphus setzt und andererseits in S. 3 „Entstehungsursachen der Infektionskrankheiten“ nennt. § 2 Nr. 3 AUB 88 und AUB 94 setzten zunächst das „Gelangen von Krankheitserregern durch … eine Unfallverletzung in den Körper voraus“ und gehen später u.a. noch auf „Tollwut und Wundstarrkrampf“ ein. Ähnlich verfahren die AUB 99/2008. Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008 beschreibt bestimmte Infektionsvorgänge (z.B. Insektenstiche oder -bisse), in Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008 wird dagegen sowohl auf die Übertragung (2. Spiegelstrich) als auch auf Auswirkungen des Infektionsvorgangs („Tollwut und Wundstarrkrampf“, 1. Spiegelstrich) eingegangen. Die Übertragung der Infektion bzw. der infektiösen Krankheitskeime kann erfolgen 22 durch Anhauchen, Anhusten, Körperkontakt mit Erkrankten, Stich oder Biss eines Insekts, einer Spinne oder eines sonstigen Tieres usw.87
II. Präzisierungen Der generelle Ausschluss für Infektionen wird in Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008 weiter 23 präzisiert. 1. Infektionsverursachung durch Insektenstiche oder -bisse Insektenstiche erfüllen regelmäßig die Voraussetzungen eines Unfallereignisses (§ 178 24 Rn. 46), da der Stich von außen und plötzlich auf den Körper der versicherten Person einwirkt. Da Insektenstiche zu weitreichenden – dem Krankheitsbereich zuzuordnenden – Folgen führen können, bedurfte es seit jeher eines Ausschlusses in den AUB. Im Vergleich zu den AUB 61/88/94 wird der Ausschluss für Infektionen durch Insektenstiche oder -bisse nunmehr ausdrücklich in Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008, 1. Spiegelstrich angesprochen. Ohne weiteres vom Ausschluss erfasst ist – wie in den AUB-Generationen zuvor auch – der Stich der Anopheles-Mücke oder der Biss durch Kleiderläuse, so dass Malaria und Flecktyphus zu keiner Leistungspflicht des VR führen.88 Sofern mit Ziff. 5.2.4.1
84
85
OLG Köln 19.3.2008 RuS 2008 345, 346; LG Bayreuth 15.8.2005 (13 S 75/05); Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 85; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 159; Kloth Rn. K 87; Pschyrembel unter „Infektion“. So Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 229; s.a. Pschyrembel unter „Infektion“.
86 87
88
So Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 81. OLG Köln 19.3.2008 RuS 2008 345, 346; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 85; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 229. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 230 f.; ferner van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 139.
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1021
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Unfallversicherung
AUB 99/2008, 1. Spiegelstrich beabsichtigt gewesen sein sollte, den fehlenden Versicherungsschutz für Borreliose nach Zeckenbissen noch deutlicher zu regeln,89 ist zweifelhaft, ob dieses Ziel erreicht worden ist. Bei Zecken handelt es sich nicht um Insekten sondern um Spinnen. Bei einer Überarbeitung der AUB könnte deshalb erwogen werden, den ersten Spiegelstrich in Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008 etwa wie folgt umzuformulieren: „… durch Stiche oder Bisse von Insekten oder Spinnen“. I.E. bleiben unter Zugrundelegung der jetzigen Formulierung Infektionen durch Zeckenbisse – wie auch in den AUB 88/94 (Rn. 16) – durch den Auffangtatbestand in Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008, 2. Spiegelstrich („durch sonstige geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzungen“) ausgeschlossen.90 2. Infektionsverursachung durch sonstige geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzungen
25
Der Begriff „geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzung“ ist aus den AUB 88/94 übernommen worden. Der mit der „Geringfügigkeitsklausel“ angestrebte Zweck, Infektionen durch Bagatellverletzungen, insbesondere auch HIV-Infektionen auszuschließen (Rn. 16), wird in den AUB 99/2008 weiterverfolgt. Als Schleimhaut wird die Schutzschicht definiert, die das Innere von Hohlorganen auskleidet (z.B. Nasen-, Mund oder Darmschleimhaut, Bindehaut des Auges).91 „Geringfügig“ ist eine Haut- oder Schleimhautverletzung92 dann, wenn sie ohne Berücksichtigung der durch die Infektion hervorgerufenen Folgen für sich betrachtet keinen Krankheitswert hat, mithin keine ärztliche Behandlung erfordert.93 Bei der Beurteilung der Geringfügigkeit einer Hautverletzung ist abzustellen auf die 26 Größe des verletzten Hautvolumens und die Tiefe der Wunde, nicht aber auf die sonstigen Wirkungen der Verletzung.94 Dies ergibt sich in den AUB 88/94 aus der Formulierung „als solche geringfügig“ in § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 AUB 88/94. Diese Wendung fehlt zwar in Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008. Jedoch wird dort ebenfalls deutlich, dass sich das Tatbestandsmerkmal „geringfügig“ allein auf das objektiv gegebene Unfallereignis (die „Eintrittspforte“ für die Krankheitserreger) und nicht auf die – u.U. bereits bei Eintritt des Unfallereignisses – von der versicherten Person subjektiv befürchteten bzw. erwarteten oder später tatsächlich eingetretenen weiteren Gesundheitsschäden (Auswirkungen der Krankheitserreger im Körper) bezieht. Wann genau eine geringfügige Hautverletzung anzunehmen ist, wird unterschiedlich 27 beurteilt.95 Die Bedingungsgeber der AUB 88 gingen davon aus, dass die „Geringfügigkeit“ gegeben sei, wenn die Wunde über den Bereich der Haut mit ihren drei Schichten
89 90
91 92 93
Stockmeier/Huppenbauer S. 65. LG Bayreuth 15.8.2005 (13 S 75/05); AG Kulmbach 27.6.2005 RuS 2005 475; Marlow RuS 2007 353, 356. Kloth Rn. K 90. Nach Kloth Rn. K 90 bezieht sich „geringfügig“ allein auf Hautverletzungen. OLG Düsseldorf 29.9.2000 VersR 2001 449 f.; OLG Köln 19.3.2008 RuS 2008 345; LG Düsseldorf 14.1.2005 RuS 2005 475; LG Bayreuth 15.8.2005 (13 S 75/05);
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94 95
LG Köln 10.7.2002 RuS 2004 298; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 87; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 160; Konen/Lehmann S. 19; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 89; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 44. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 83; s. auch Reichenbach S. 90. Offen lassend Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 87.
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Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Oberhaut, Leder- und Unterhaut nicht hinausreicht.96 Die Gegenauffassung begrenzt die geringfügige Verletzung auf die beiden oberen Schichten (Ober- und Lederhaut) mit der Begründung, dass die Unterhaut (Subkutis) beim Menschen immerhin eine Dicke zwischen 2 und 9 mm (bei Fettleibigen bis zu 3 cm) erreichen kann, während Oberhaut (Epidermis) und Lederhaut (Corium) zusammen 0,3–6 mm dick sind, mithin an den meisten Körperstellen eine Hautdicke von 0,5–3,7 mm vorhanden ist.97 Die Rechtsprechung hat bisher noch keine abschließenden Qualifikationsmerkmale dafür entwickelt, wann von einer geringfügigen Haut- oder Schleimhautverletzung gesprochen werden kann. Letztlich läuft es auf eine Wertungsfrage hinaus, was der verständige VN, an den sich die AUB richten (Vorbem. Ziff. 1 Rn. 57 und 66 ff.), unter dem Begriff „geringfügig“ verstehen darf bzw. unter welchen Voraussetzungen er von einer Bagatellverletzung ausgeht. Auf die Zahl der durchtrennten Hautschichten wird der VN als medizinischer Laie dabei nicht abstellen. Entscheidender wird vielmehr sein, ob sich der durchschnittliche (nicht etwa der überängstliche oder besonders „hart gesottene“) VN veranlasst sieht, einen Arzt aufzusuchen. Dies wird u.a. zu verneinen sein, wenn die Verletzung im Normalfall ohne weitere Maßnahmen folgenlos ausheilt. Maßgebend hierfür ist zum einen die Schwere der Verletzung. Wunden, die (vorübergehend) zu einer bloßen Hautrötung, Juckreiz usw. führen oder deren Behandlung mit einem Pflaster erfolgen kann, reichen nicht aus. Zum anderen werden aus Sicht des VN die Zahl der Verletzungen und die betroffenen Körperstellen zu berücksichtigen sein. Zwar mögen die einzelnen Wunden isoliert gesehen harmlos erscheinen, jedoch wird der VN bei vielen leichten Verletzungen an empfindlichen Körperstellen nicht mehr von „geringfügig“ sprechen. Als geringfügig werden typischerweise (einzelne) Verletzungen durch Insektenstiche und -bisse,98 Zeckenbisse 99 und Nadelstiche 100 sowie sonstige „Alltagsverletzungen“ 101 wie kleinere Schürf- oder Schnittwunden 102 zu werten sein.103 Der „Geringfügigkeit“ steht nicht entgegen, dass sich die versicherte Person sofort nach dem Unfallereignis in ärztliche Behandlung begeben hat.104 Anderenfalls würde der Zufall bzw. die individuelle Sorgfalt oder Vorsicht der versicherten Person darüber entscheiden, ob der Versicherungsschutz eingreift. Der „Übervorsichtige“ soll aber keinen weitergehenden Versicherungsschutz als der „Sorglose“ haben. Statt einer subjektiven Bewertung der versicherten Person ist für die Prüfung der Geringfügigkeit ein objektiver Maßstab aus Sicht eines verständigen VN anzulegen. 3. Kausalität Zwischen dem Insektenstich oder -biss bzw. der geringfügigen Haut- oder Schleim- 28 hautverletzung und der Infektion muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Nicht von Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008 (bzw. § 2 Abs. 2 Nr. 3 AUB 88/94) ausgeschlossen sind etwa
96
97 98 99
Konen/Lehmann S. 19; ebenso OLG Hamm 23.2.2007 VersR 2008 342; LG Dortmund 1.9.2005 NJW-RR 2006 102 = RuS 2006 253; Kloth Rn. K 90. Reichenbach S. 90. LG Köln 10.7.2002 RuS 2004 298 (Mückenstich). OLG Koblenz 9.10.2003 RuS 2004 298; LG Dortmund 1.9.2005 NJW-RR 2006 102 = RuS 2006 253; LG Düsseldorf 14.1.2005 RuS 2005 475; AG Kulmbach 27.6.2005 RuS 2005 475.
100 101 102 103
104
LG Köln 10.7.2002 RuS 2004 298; LG Köln 24.5.1995 RuS 1996 39. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 36. OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450 = RuS 2001 390 391. Grimm 3 § 2 Rn. 81; Beckmann/MatuscheBeckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 89; Stockmeier/Huppenbauer S. 65; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 83; s. auch Reichenbach S. 90. OLG Hamm 23.2.2007 VersR 2008 342.
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1023
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Unfallversicherung
Insektenstiche und -bisse, die keine Infektion verursachen. Ihre Folgen sind vom Unfallversicherungsschutz umfasst, und zwar unabhängig davon, ob sie als Haut- oder Schleimhautverletzung zu qualifizieren sind.105 So sind z.B. Bienen- und Wespenstiche genauso wie Bisse von Giftschlagen oder Stiche von Skorpionen als Vergiftungen und nicht als Infektion zu qualifizieren (Rn. 12 und 20).
III. Wiedereinschluss 29
Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008 ordnet an, dass einschränkend zu Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008 für bestimmte Infektionen Versicherungsschutz besteht. Anders als in § 2 Nr. 2b AUB 61 werden damit jedoch nicht positive Grenzfälle zum Unfallbegriff bzw. Einschlusstatbestände geschaffen, die bestimmte Infektionen neben dem Unfall als eigenständigen Versicherungsfall definieren. Vielmehr entfallen in den AUB 99/2008 die Abgrenzungsfragen, die bei der Anwendung von § 2 Nr. 1 und § 2 Nr. 2b AUB entstehen (Rn. 6 und 14). Ziff. 5.2.4 AUB 99/2008 baut – wie alle anderen Ausschlusstatbestände in Ziff. 5 AUB 99/2008 auch – insgesamt darauf auf, dass zunächst ein Versicherungsfall (Unfall oder Unfallfiktion i.S.v. Ziff. 1.3 bzw. 1.4 AUB 99/2008) gegeben ist. Sodann werden Infektionen insgesamt ausgeschlossen, wobei partielle Ausnahmen zugelassen werden. Bei Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008 handelt es sich mithin um einen Wiedereinschluss. 1. Tollwut und Wundstarrkrampf
30
Versicherungsschutz besteht für Tollwut und Wundstarrkrampf (Ziff. 5.2.4.2 Spiegelstrich 1). Bei Tollwut und Wundstarrkrampf gelangt der Erreger regelmäßig durch eine Unfallverletzung der Haut oder Schleimhaut in den Körper; denn Tollwut als Infektionskrankheit wird durch den Tollwutvirus ausgelöst, der meist durch einen Hundebiss, selten durch Biss von einem Wolf, Fuchs oder Katze übertragen wird.106 Beim Wundstarrkrampf (Tetanus) handelt es sich um eine akute schwere Infektionskrankheit, deren Auslöser meist die Verunreinigung einer Wunde durch Erde von Gärten und Feldern ist.107 2. Infektionen durch Unfallverletzungen
31
Versicherungsschutz besteht für Infektionen, bei denen die Krankheitserreger durch Unfallverletzungen, die nicht nach Ziff. 5.2.4.1 ausgeschlossen sind, in den Körper gelangen (Ziff. 5.2.4.2 Spiegelstrich 2). Es muss sich mithin bei der Unfallverletzung nicht nur um eine geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzung, sondern um eine gravierendere Verletzung handeln. Die Klausel birgt Auslegungsfragen, so dass bei einer Neuauflage der AUB Klarstellungen erwogen werden sollten. Insbesondere empfiehlt es sich, den in den AUB 99/2008 sonst nicht weiter definierten und vieldeutigen Begriff „Unfallverletzung“ zu ersetzen. Ähnlich wie bei den in § 2 Nr. 2b AUB 61 geregelten Wundinfektionen (Rn. 5, 8 und 32 10) können sich die Fragen stellen, ob es genügt, dass die Unfallverletzung vor dem materiellen Versicherungsbeginn eingetreten ist, die Unfallverletzung freiwillig sein darf und ob es unschädlich ist, wenn der Unfallversicherungsschutz neben Ziff. 5.2.4.1 AUB 105 106
Konen/Lehmann S. 19; Reichenbach S. 89. Pschyrembel unter Tollwut.
1024
107
Pschyrembel unter Tetanus.
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Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
99/2008 durch andere Regelungen (z.B. 5.1.1 AUB 99/2008) ausgeschlossen ist. Hierfür könnte sprechen, dass die Bedingungsgeber der AUB 99/2008 anders als in § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 1 AUB 88/94, auf die Wendung „unter diesen Vertrag fallende Unfallverletzung“ verzichtet haben. Dennoch ist Versicherungsschutz für die in Ziff. 5.2.4.2 genannten Infektionen nur zu bejahen, wenn sich der Unfall während der materiellen Versicherungsdauer ereignet hat, die Gesundheitsschädigung unfreiwillig ist und der Versicherungsschutz nicht aus sonstigen Gründen ausgeschlossen bzw. eingeschränkt ist: • Der Unfall bzw. die Unfallfiktion muss während der materiellen Versicherungsdauer eingetreten sein. Zu berücksichtigen ist, dass Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008, anders als § 2 Nr. 2b AUB 61, nicht als Einschlusstatbestand bzw. positiver Grenzfall zum Unfallbegriff formuliert ist, sondern als Wiedereinschluss zu einem generellen Ausschlusstatbestand (Rn. 29). Die Wiedereinschlussvoraussetzungen in Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008 werden erst geprüft, wenn zuvor der Versicherungsfall i.S.v. Ziff. 1 AUB 99/2008 – nämlich der Unfall oder die Unfallfiktion während der materiellen Versicherungsdauer – und die grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgeschlossene Infektion gemäß Ziff. 5.2.4 bzw. 5.2.4.1 AUB 99/2008 festgestellt worden ist. • Richtig ist es des Weiteren, dass die Unfallverletzung unfreiwillig sein muss. Diese „Selbstverständlichkeit“ wird jedem verständigen VN einleuchten und erschließt sich (noch) ausreichend aus den AUB 99/2008. Sucht der VN eine Erläuterung zum Begriff „Unfallverletzung“, wird er auf den Unfallbegriff in Ziff. 1.3 AUB 99/2008 stoßen, der ebenso wie § 178 Abs. 2 „Unfreiwilligkeit“ der Gesundheitsschädigung voraussetzt. • Weiterhin besteht auch dann für Infektionen nach Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008 kein Versicherungsschutz, wenn für den Unfall ein anderer als der in Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008 genannte Ausschlusstatbestand eingreift. Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008 relativiert nur den generellen Infektionsausschluss. Ziff. 5.2.4 AUB 99/2008 steht insgesamt aber neben einer Reihe weiterer Regelungen zum Ausschluss bzw. zur Einschränkung der Versicherungsleistung, die nach der vorrangigen Feststellung, ob ein Versicherungsfall eingetreten ist, parallel Anwendung finden können. Ist z.B. ein Verkehrsunfall durch eine Bewusstseinsstörung der versicherten Person (Alkohol- oder Drogenmissbrauch) verursacht worden, so besteht nach Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008 Versicherungsschutz weder für die Verletzung (etwa offener Beinbruch) noch die Infektion, die durch Krankheitserreger über die Beinwunde in den Körper gelangt sind.
Die Krankheitserreger müssen „durch eine Unfallverletzung in den Körper gelangen“. 33 Die Formulierung ist interpretationsfähig. I.E. muss zwischen der Infektion und der Unfallverletzung ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen.108 Notwendig ist, dass die durch den Unfall geschädigte Körperstelle Eintrittspforte für die Krankheitserreger in den Köper der versicherten Person ist. Versicherungsschutz besteht folglich, wenn sich im weiteren Verlauf nach einem Unfall eine Wundinfektion einstellt oder es als weitere Folge der Unfallverletzung zu einer Infektion kommt,109 etwa weil die Unfallverletzung die Immunkräfte der versicherten Person geschwächt hat. Nicht ausreichend ist dagegen jede adäquat-kausal auf einen Unfall zurückzuführende Infektion.110 Zwar deutet das Wort „durch“ regelmäßig auf adäquate Kausalität hin. Jedoch würde dann der weitere Kontext in Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008 vernachlässigt. Dieser stellt mit dem Wort „Unfallverletzungen“ einen räumlichen Bezug zu der unfallbedingten Gesundheitsschädigung bzw. der Wunde her. Käme es allein auf den adäquaten Kausalzusammenhang an, hätte es ausgereicht, in Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008 „als Folge eines Unfallereignisses“ zu formulieren.
108
Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 88.
109 110
Stockmeier/Huppenbauer S. 64. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 88.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Unfallversicherung
IV. Heilmaßnahmen 34
Für Infektionen, die durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe verursacht sind, besteht Versicherungsschutz, wenn die Heilmaßnahme oder der Eingriff „durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst war“ (Ziff. 5.2.4.3 AUB i.V.m. Ziff. 5.2.3 S. 2 AUB 99/2008; näher dazu Ziff. 5.2.3 Rn. 36 ff.). Versicherungsschutz besteht z.B., wenn die versicherte Person bei der Behandlung ihrer Unfallverletzung mit Hepatitis- oder auch mit Aids-Erregern durch Blutübertragung infiziert wird.111 Fraglich ist, ob Versicherungsschutz nur dann besteht, wenn ein bestimmter ärztlicher Eingriff zu Heilungszwecken die Infektion hervorruft (z.B. durch die Verabreichung von Infusionen mittels einer infizierten Kanüle), oder ob Deckung auch dann besteht, wenn die versicherte Person sich lediglich bei Gelegenheit infiziert,112 z.B. sich wegen einer unfallbedingten stationären Behandlung eine Hepatitisinfektion zuzieht.113 Nach dem Wortlaut genügt geringste (adäquate) Mitursächlichkeit der Heilmaßnahme bzw. des Eingriffs.
V. Einzelfälle 35
AIDS-Infektionen. Sie sind in der überwiegenden Zahl von Fällen – sowohl bei Geltung der AUB 88/94 114 als auch der AUB 99/2008 – vom Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen,115 da die Übertragung regelmäßig durch belanglose Verletzungen der Haut oder Schleimhaut im Genital- oder Analbereich erfolgt (Rn. 16). Anders liegen dagegen die Fälle, in denen die Aids-Infektion durch eine Unfallverletzung in den Körper gelangt, die nicht als geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzung zu werten ist.116 Leisten sich z.B. bei einem Verkehrsunfall zwei verletzte, stark blutende Personen einander erste Hilfe und gelangt dabei das Blut des einen HIV-infizierten Helfers in die offene Wunde des anderen Verletzten und infiziert ihn, so besteht für diesen Unfallversicherungsschutz.117 36 Zeckenbisse. Für Zeckenbisse und ihre Folgen besteht weder nach den AUB 61 (Rn. 12 f.), AUB 88/94 (Rn. 16) noch nach den AUB 99/2008 (Rn. 27) Unfallversicherungsschutz.118 Bei dem Biss handelt es sich um eine Entstehungsursache, die nach § 2 Nr. 3c S. 3 AUB 61 nicht als Unfallereignis gilt, bzw. um eine geringfügige Verletzung der Haut oder Schleimhaut i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 AUB 88/94 und Ziff. 5.2.4.1 (zweiter Spiegelstrich) AUB 99/2008. Zwar handelt es sich bei Zecken nicht um Insekten (Rn. 24), jedoch führen ihre Bisse ebenso wie Insektenstiche nur zu geringfügigen Hautverletzungen. Die durch Zeckenbisse verursachten Verletzungen haben für sich genommen keinen Krankheitswert und bedürfen keiner ärztlichen Behandlung.119 Oftmals werden sie nicht einmal von der versicherten Person wahrgenommen. Für Zeckenbisse erwartet ein durchschnittlicher VN keinen Versicherungsschutz.
111 112 113 114 115
116
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 86. So Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 36. Offen lassend Stockmeier/Huppenbauer S. 64. Beiläufig LG Köln 10.7.2002 RuS 2004 298. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 36; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 89; Reichenbach S. 90. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 160.
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Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 88 mit Hinweis auf Rundschreiben U 17/91 M des damaligen HUK-Verbandes vom 9.4.1991. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 159; Kloth Rn. K 88; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 89 Fn. 291; Marlow RuS 2006 397, 398; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 139. OLG Hamm 23.2.2007 VersR 2008 342; OLG Köln 19.3.2008 RuS 2008 345 f.
Kent Leverenz
Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
C. Wirksamkeit des Ausschlusses 37
Die Ausschlussklauseln sind in allen AUB-Generationen wirksam: • Zu § 2 Nr. 3 AUB 61 ist die Unklarheitenregel (§ 305c BGB, früher § 5 AGBG) erörtert, i.E. ihre Anwendung aber abgelehnt worden.120 Darüber hinaus könnte zwar an „Intransparenz“ gedacht werden. Jedoch lassen sich die Verständnisschwierigkeiten zu den AUB 61 (Rn. 13) – noch – im Wege der vorrangigen Auslegung lösen. Dies gelingt auch einem durchschnittlichen (nicht mit versicherungsrechtlichen Spezialkenntnissen versehenen) VN, der die AUB aufmerksam liest. In den folgenden AUB-Generationen sind Inhalt und Aufbau des Tatbestandes stetig verbessert worden, so dass lediglich in Betracht kommt, noch redaktionelle Umformulierungen zu diskutieren (Rn. 31 ff.). • § 2 Abs. 2 Nr. 3 AUB 88/94 ist weder unwirksam nach § 307 Abs. 1 BGB noch sittenwidrig gemäß § 138 BGB.121 Insbesondere genügt § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 AUB 88/94 den Anforderungen des AGB-Rechts.122 Die Klausel ist nicht überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB. Des Weiteren hält § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 AUB 88/94 der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 2 BGB stand. Die Einschränkung des Unfallversicherungsschutzes ist nicht sinnwidrig, sondern rechtfertigt sich damit, dass die durch Infektionen hervorgerufenen Gesundheitsschädigungen nicht zu den Lebensrisiken gehören, die typischerweise durch die Unfallversicherung abgedeckt werden sollen (Rn. 2). Auch ist der VR nicht gehalten, den VN darüber aufzuklären, dass z.B. Zeckenstiche nebst Folgen keinen Anspruch begründen. Schließlich ist der „Wiederausschluss vom Wiedereinschluss“ nicht intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.123 Der um Verständnis bemühte durchschnittliche VN kann erkennen, dass sich das Tatbestandsmerkmal „geringfügig“ ausschließlich auf die „Haut- oder Schleimhautverletzung“ und nicht auf mögliche Folgen bezieht, die erst daraus entstehen, dass Erreger in den Körper gelangt sind.124 • Die Argumentation, Ziff. 5.2.4 AUB 99/2008 sei überraschend oder mehrdeutig i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB verspricht – ebenso wie bei den AUB 88/94 – keinen Erfolg. Die Berechtigung des mit dem Infektionsausschluss verfolgten Ziels (Rn. 2) kann jedenfalls kaum in Zweifel gezogen werden. Die Klausel hält einer Inhaltskontrolle stand. Sie verstößt auch nicht gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB).125
D. Speziellere AVB (Infektionssonderbedingungen) Der Versicherungsschutz für Infektionen kann durch spezielle Regelungen modifiziert 38 und erweitert werden.126 So kann z.B. durch eine Ergänzung des AUB-Ausschlusstatbestandes Versicherungsschutz für bestimmte Folgen eines Zeckenbisses vereinbart werden.127 Häufiger dürften sog. Infektionsklauseln, Infektionssonderbedingungen oder Besondere Bedingungen für Infektionen sein. Sofern solche Spezial-AVB zwischen VN und VR besonders vereinbart sind, gehen diese den Bestimmungen in den AUB vor, so dass auch andere als in den AUB genannte Infektionen versichert sind. Solche die AUB ergänzenden Vertragsregelungen werden seit Jahrzehnten insbesondere für Ärzte und medizinisches Fachpersonal angeboten: 120 121 122
123
LG Landshut 10.6.1987 VersR 1988 691, 692. OLG Köln 19.3.2008 RuS 2008 345, 346. OLG Hamm 16.5.2007 VersR 2008 342, 343 = RuS 2007 387 f.; OLG Hamm 23.2.2007 VersR 2008 342; ferner Kloth Rn. K 89. S.a. LG Dortmund 1.9.2005 NJW-RR 2006 102 = RuS 2006 253.
124 125
126 127
OLG Hamm 16.5.2007 VersR 2008 342, 343. LG Bayreuth 15.8.2005 (13 S 75/05); AG Kulmbach 27.6.2005 RuS 2005 475, 476. Beispiele bei Naumann/Brinkmann S. 178 ff. So offenbar in den AUB, die dem LG Düsseldorf 14.1.2005 RuS 2005 475 zugrunde lagen.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Unfallversicherung
I. Zweck der Regelungen 39
Zweck der Infektionssonderbedingungen ist es, für Angehörige (Ausübende) bestimmter Berufsgruppen das von den AUB gerade im Hinblick auf Infektionskrankheiten nicht umfasste Risiko abzudecken. Für die in den Spezialregelungen genannten Berufszweige ist eine dahingehende Versicherungsmöglichkeit von besonderer Bedeutung, da Ärzte, medizinisches Fachpersonal usw. zwangsläufig mit Infektionskrankheiten und daran Erkrankten in Berührung kommen und damit gegenüber dem Durchschnitt der Versichertengemeinschaft der erhöhten Gefahr von Infektionskrankheiten ausgesetzt sind.128
II. Entwicklung der Bedingungen 40
Zwischen den „Infektionsklauseln in der Unfallversicherung“ (zu den AUB 61) 129 und den „Besonderen Bedingungen für den Einschluss von Infektionen in die Unfallversicherung“ (zu den AUB 88) 130 bestehen keine inhaltlichen und materiellen Unterschiede. Es sind nur kleinere redaktionelle Anpassungen zu verzeichnen. Beide Klauselgenerationen sind vielmehr gleich aufgebaut und weisen auch im Wesentlichen übereinstimmende Regelungen auf. Lediglich für Chemiker und Desinfektoren ist ein Ausschluss von Schädigungen vorgesehen, die eine Folge berufsmäßiger Beschäftigung mit Chemikalien sind. In den „Besonderen Bedingungen für den Einschluss von Infektionen in die Unfallversicherung (BB Infektionen 99)“, die der GDV im Rahmen der Neufassung der AUB 99 vorgeschlagen hat,131 sind gegenüber den Vorgängerbestimmungen sowohl in der Gestaltung als auch inhaltlich Änderungen erfolgt:132 • Während ursprünglich die Besonderen Bedingungen in drei Bereiche, nämlich in Abschnitte für Humanmediziner und Pflegepersonal, Tierärzte sowie für Chemiker und Desinfektoren, gegliedert waren, sehen die Besonderen Bedingungen aus 1999 nur noch zwei Regelungsgruppen vor. Mangels Regelungsunterschieds wurden die Klauseln zu den Humanmedizinern und Pflegepersonal sowie zu den Tierärzten zusammengefasst. • In den „BB Infektionen 99“ waren Anpassungen an die Berufsbezeichnungen für Ärzte und Pflegepersonal an die geltenden Berufsordnungen notwendig. • Neu ist die Regelung des erweiterten Schutzes im Invaliditätsfall (jeweils Ziff. 2 der BB Infektionen 99). Mit der Schaffung einer Dreijahresfrist für die Geltendmachung der Invalidität reagierten die Bedingungsgeber auf ein Urteil des OLG Frankfurt/M.133 Das Gericht hatte die in den AUB vorgesehene Ausschlussfrist von 12 Monaten für den Eintritt der Invalidität im Fall einer berufsbedingten Hepatitits-Infektion eines Arztes als Verstoß gegen das AGB-Recht gewertet, da typischerweise die leistungsauslösenden Gesundheitsschäden erst nach Ablauf der 12-Monatsfrist aufträten.
128 129 130 131
LG Bielefeld 19.12.1978 VersR 1981 674. VerBAV 1969 138 f.; die Vorgängerversion ist in VerBAV 1954 18 abgedruckt. VerBAV 1987 425. Abgedruckt bei Stockmeier/Huppenbauer S. 126 f.
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132 133
Stockmeier/Huppenbauer S. 127 f. OLG Frankfurt/M. 5.5.1994 VersR 1995 904, 905.
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Beeinträchtigungen durch Infektionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.4
III. Tatbestand Versichert ist die Infektion, d.h. das Ereignis, das zum Eindringen der Krankheitserre- 41 ger in den Körper geführt hat.134 Dies kann z.B. der Biss eines Militärarztes durch eine Laus sein.135 In Betracht kommt u.a. auch die Verletzung der Haut an einer Kanüle, wenn mindestens die äußere Hautschicht durchtrennt ist. Ob überhaupt ein Unfall i.S.d. AUB vorliegt, ist dagegen unerheblich. Eine Schmierinfektion fällt dagegen nicht unter den Versicherungsschutz.136 Erforderlich ist, dass die Infektion „in Ausübung der versicherten Berufstätigkeit“ 42 aufgetreten ist; „bei Gelegenheit“ reicht dagegen nach dem Sinn und Zweck der Spezialbedingungen nicht aus.137 Es werden vielmehr nur solche Infektionen erfasst, die die versicherte Person gerade wegen ihrer ärztlichen bzw. medizinischen Tätigkeit und der damit verbundenen Gefahren, also ihrer berufstypischen erhöhten Gefährdung erlitten hat. Ungenügend ist es deshalb, wenn statt eines „inneren“ nur ein „äußerer“ Zusammenhang besteht,138 bei dem sich lediglich das allgemeine Infektionsrisiko realisiert, dem die versicherte Person ebenso wie andere Menschen an ihrem Arbeitsplatz und in ihrer Freizeit ausgesetzt ist. Solche Risiken werden durch die AUB geregelt. So besteht z.B. kein Versicherungsschutz, wenn ein Arzt während seiner Praxisstunden von einer Zecke gebissen wird und deshalb eine Rückenmarkserkrankung erleidet. Diese einschränkende Auslegung führt zu interessengerechten Ergebnissen: Wäre der äußere Zusammenhang entscheidend, so bestünde z.B. für den Biss einer Zecke, die sich in den Kleidern festgesetzt hat, dann Versicherungsschutz, wenn sie den Arzt während der Behandlung eines Patienten beißt, nicht aber dann, wenn sie den Arzt erst auf dem Heimweg in seiner Freizeit infiziert. Umgekehrt bestünde für den Arzt Versicherungsschutz, wenn die Krankheitserreger des Patienten während der Behandlung übertragen werden, nicht aber, wenn der Ansteckungsstoff erst während der Freizeit in den Körper gelangt, obwohl sich auch hier das berufstypische Risiko des Arztes verwirklicht.139
IV. Konkurrenzen Sofern zwischen den Parteien neben der Infektionsklausel die AUB 61 vereinbart sind, 43 kommt eine Anwendung des Ausschlusses für Berufs- und Gewerbekrankheiten (§ 2 Nr. 3a AUB 61) nur eingeschränkt in Betracht. Anderenfalls würde die Infektionsklausel mit ihrem besonderen Versicherungsschutz für Infektionen während der Berufsausübung leer laufen. Dies kann nicht gewollt sein. § 2 Nr. 3a AUB kann vielmehr nur dann Bedeutung erlangen, wenn es um „sonstige“ Berufskrankheiten geht, also Berufskrankheiten, die von der Infektionsklausel nicht erfasst sind.140
E. Verfahrensfragen (Beweislastverteilung) Die Voraussetzungen für den Einschluss gemäß § 2 Nr. 2b AUB 61 hat der Anspruch- 44 steller zu beweisen.141 Die Beweislast für den Ausschluss des § 3 Nr. 3 S. 1 AUB 61 trägt dagegen der VR. Steht eine Infektionskrankheit fest, muss der Anspruchsteller den Nach134 135 136 137
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 91. RG 14.3.1922 VA 1922 42 Nr. 1267. Perret S. 6. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 7.
138 139 140 141
Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 91 LG Bielefeld 19.12.1978 VersR 1981 674. LG Frankfurt/M. 14.5.1991 VersR 1992 178. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 129.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 5.2.4
Unfallversicherung
weis führen, dass es sich bei ihr um die Folge eines Unfallereignisses nach § 3 Nr. 3 S. 2 AUB 61 handelt. Der VR hat dann wiederum zu beweisen, dass das Unfallereignis unmittelbare Ursache der Infektionskrankheit ist und deshalb § 3 Nr. 3 S. 3 AUB 61 eingreift. Bei Vereinbarung der AUB 88/94 hat der VR den Infektionsausschluss zu beweisen. 45 Er trägt die Beweislast dafür, dass die Infektion Ursache der Gesundheitsschädigung ist. Die Beweislast für den folgenden Wiedereinschluss („Krankheitserreger durch Unfallverletzung“, § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 AUB 88/94) trägt dagegen der Anspruchsteller.142 Die an den Wiedereinschluss anknüpfende Einschränkung für geringfügige Haut- oder Schleimverletzungen muss allerdings der VR als für ihn günstige Tatsache darlegen und beweisen.143 Die Beweislast für die „Ausnahme von der Einschränkung“ in § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 Halbs. 2 AUB 88/94, also für die Tollwut oder den Wundstarrkrampf trägt wiederum der Anspruchsteller. Des Weiteren muss der Anspruchsteller die Voraussetzungen für § 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 4 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 AUB 88/94 (Infektion nach einer unfallbedingten Heilmaßnahme) darlegen und beweisen. I.E. ergibt sich im Vergleich der AUB 99/2008 zu den AUB 88/94 keine Änderung: 46 Für das Vorliegen des Ausschlusses, einer Infektion und die Erläuterungen hierzu in Ziff. 5.2.4.1 AUB 99/2008 (Insektenstiche und -bisse, Haut- oder Schleimhautverletzungen) trägt der VR nach allgemeinen Regeln die Beweislast.144 Er muss den Vollbeweis nach § 286 ZPO erbringen.145 Indiz für eine geringfügige Verletzung kann sein, dass die versicherte Person keinen Arzt aufgesucht hat 146 oder die Wunde nur mit einem Pflaster versorgt wurde. Entsprechendes gilt, wenn am Unfallort (Klinik) ein „Bagatellverletztenbuch“ geführt wird und die Verletzung nicht einmal dort eingetragen worden ist.147 Den Wiedereinschluss in Ziff. 5.2.4.2 AUB 99/2008 hat dagegen der Anspruchsteller zu beweisen.148 Erforderlich ist der Vollbeweis nach § 286 ZPO.149 Der Beweismaßstab des § 287 ZPO genügt nicht; denn es geht bereits um die Frage, ob eine versicherte Infektion festgestellt werden kann (Haftungsgrund) und nicht darum, ob eine versicherte Infektion bestimmte Invaliditätsfolgen ausgelöst hat (haftungsausfüllende Kausalität).150 Die Einhaltung dieses Beweismaßstabes kann den VN vor kaum lösbare Probleme stellen. So wird ihm z.B. kaum der Nachweis dafür gelingen, dass Hepatitis-C-Viren über eine beim Unfall blutende Verletzung in den Körper gelangt sind, da diese Annahme wegen der verhältnismäßig hohen Quote der nicht klärbaren Infektionsfälle lediglich eine theoretische Alternative darstellt. In 20 bis 50 % der Fälle von Hepatitis-C-Infektionen kann die Infektionsquelle und der Infektionsweg nicht zuverlässig ermittelt werden.151 Sind zwischen VN und VR Infektionssonderbedingungen vereinbart (Rn. 38 ff.), so 47 trägt der Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für den inneren Zusammenhang der Infektion mit der Berufstätigkeit.152 Die Beweisführung kann mit erheblichen Problemen verbunden sein. Während bei einer traumatischen Gesundheitsschädigung 142 143
144 145 146 147
Konen/Lehmann S. 19; Marlow RuS 2006 397, 398. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 84; a.A. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 36. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 161; Stockmeier/Huppenbauer S. 65. OLG Hamm 3.3.2006 RuS 2007 164. OLG Koblenz 9.10.2003 RuS 2004 298; LG Köln 24.5.1995 RuS 1996 39. OLG Düsseldorf 29.2.2000 VersR 2001 449, 450.
1030
148
149 150 151
152
Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 3; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 45. Kloth Rn. K 96. OLG Hamm 3.3.2006 RuS 2007 164. LG Paderborn 18.11.2005 RuS 2007 164 (bestätigt durch OLG Hamm 3.3.2006 RuS 2007 164). OLG Frankfurt/M. 21.10.1936 VA 1936 289 Nr. 2943; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 91.
Kent Leverenz
Beeinträchtigungen durch Vergiftungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.5
(z.B. Knochenbruch infolge eines Sturzes) das Unfallereignis (der Sturz) selbst und die Unfallereignisfolge (Knochenbruch) von dem Verletzten wahrgenommen wird sowie örtlich und zeitlich eindeutig feststellbar ist, lässt sich das eine Infektion verursachende Unfallereignis vielfach nicht feststellen, weil es zunächst überhaupt nicht bemerkt wird. Vielmehr wird beim Auftreten der Krankheitsanzeichen infolge der sowohl nach der Art der Infektion als auch nach der körperlichen Disposition des Infizierten ganz unterschiedlichen Inkubationszeiten zwischen Infektion und Ausbruch der Erkrankung eine Identifizierung des Infektionsereignisses nicht mehr möglich sein.153 Um den mit der Infektionsklausel verfolgten erweiterten Unfallversicherungsschutz nicht ins Leere laufen zu lassen, kommt es deshalb in Fällen, in denen eine naturwissenschaftlich exakte Beweisführung praktisch ausgeschlossen ist, in Betracht, Beweiserleichterungen zugunsten des Anspruchsstellers mit der Folge anzunehmen, dass er nicht darlegen und beweisen muss, wann und bei welcher Gelegenheit sich die versicherte Person bei Behandlung eines Patienten infiziert hat.154 Es soll dann ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit ausreichen, der sich – dem Wortlaut der Infektionsklausel entsprechend – aus der Krankheitsgeschichte, dem Befund oder der Natur der Erkrankung ergeben muss.155 Der Anspruchsteller muss dementsprechend nur noch nachweisen, dass • die Infektion nach Beginn des Versicherungsschutzes erfolgt ist; • die versicherte Person in dem Zeitraum, der für die Infektion in Betracht kommt, in einer der in den Spezialbedingungen genannten Berufsgruppe tätig war;156 • die versicherte Person aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit im Gesundheitsdienst usw. einem besonders hohen Infektionsrisiko ausgesetzt war. Dafür spricht etwa, wenn es sich bei der konkreten Infektion um die häufigste Berufskrankheit in der Berufsgruppe der versicherten Person handelt; • sich das für die versicherte Person bestehende erhöhte Infektionsrisiko realisiert hat; • eine solche Infektion typischerweise durch eine kaum oder gar nicht wahrnehmbare Verletzung in den Körper gelangte.157
Ziff. 5.2.5 AUB 2008 5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: … 5.2.5 Vergiftungen infolge Einnahme fester oder flüssiger Stoffe durch den Schlund. Versicherungsschutz besteht jedoch für Kinder, die zum Zeitpunkt des Unfalles das X. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Ausgeschlossen bleiben Vergiftungen durch Nahrungsmittel. Schrifttum Knappmann Unfallversicherungsschutz bei medizinischen Behandlungen, FS Schirmer (2005), 269; Wagner Grenzfälle und Ausschlüsse in der privaten Unfallversicherung, ZVersWiss 1975 619.
153 154 155
OLG Frankfurt/M. 5.5.1994 VersR 1995 904. In diese Richtung auch LG Bielefeld 19.12.1978 VersR 1981 674. OLG Frankfurt/M. 21.10.1936 VA 1936 289 Nr. 2943; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 91.
156 157
LG Frankfurt/M. 14.5.1991 VersR 1992 178, 179. OLG Frankfurt/M. 5.5.1994 VersR 1995 904, 905.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 5.2.5
Unfallversicherung
Übersicht Rn. A. I. II. B.
Einführung . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . Entwicklung des Ausschlusses Ausschlusstatbestand . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
Rn.
1 2 3 8
C. D. E. F.
Wiedereinschluss für Kinder . . . . . . . Vergiftung als Folge eines Unfallereignisses Wirksamkeit des Ausschlusses . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . .
13 14 15 16
A. Einführung 1
Ob und unter welchen Voraussetzungen Vergiftungen Unfallereignisse darstellen können, hängt vom Einzelfall ab. • Vergiftungen erfüllen im Regelfall die Merkmale des Unfallbegriffs (§ 178 Rn. 47). Insofern handelt es sich bei Ziff. 5.2.5 AUB 99/2008 und seinen Vorgängerregelungen um einen echten Ausschlusstatbestand.1 • Das Vorliegen eines Unfalls kann insbesondere bei schleichenden Vergiftungsvorgängen unterschiedlich beurteilt werden (§ 178 Rn. 83 und 117). Dies kommt etwa in Betracht bei einer Vergiftung, bei der die versicherte Person die giftige Substanz (z.B. Arsen) über mehrere Tage oder Wochen in kleinen und sich dann steigernden Dosen einnimmt. Sofern – entgegen der hier vertretenen Auffassung – bereits bei der Einnahme von Substanzen das plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkende Ereignis verneint wird, kommt es auf den Ausschlusstatbestand nicht mehr an. Der Ausschluss von Vergiftungen hat in diesen Fällen nur noch klarstellende Funktion2 und die Regelungen für Kleinkinder erlangen den Charakter eines echten Einschlusses.3
I. Zweck des Ausschlusses 2
Der Zweck der Klausel ist – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung bisher noch nicht deutlich benannt worden. Werden jedoch die Überlegungen der Bedingungsgeber zur Streichung des Ausschlusses herangezogen (Rn. 5 und 6), so kristallisiert sich heraus, dass es vorrangig darum geht, auf Nachweisprobleme des VR zu reagieren:4 • Geht ein Selbstmordversuch Hand in Hand mit einer Vergiftung, so wird der VR seiner Beweislast für die Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung (§ 178 Abs. 2 S. 2) regelmäßig nicht nachkommen können (§ 178 Rn. 249). Dagegen lässt sich der Vergiftungstatbestand als solcher leichter beweisen, da es nicht auf subjektive Wertungen wie bei der vorsätzlichen „Selbstbeschädigung“, sondern auf objektive medizinische Tatbestände ankommt. • Des Weiteren kann es bei Nahrungsmittelvergiftungen zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen. Hier kann es sich einerseits um eine „echte“ Vergiftung handeln, da die versicherte Person verunreinigte, giftige oder zersetzte Lebensmittel aufgenommen hat. Möglich ist aber auch, dass bakteriell infizierte Nahrungsmittel eine Krankheit hervorrufen, für die der VR keinen Versicherungsschutz vorsieht (Ziff. 5.2.4 AUB 99/2008).
II. Entwicklung des Ausschlusses 3
Der Ausschluss ist seit den AUB 61 weitgehend unverändert geblieben:
1 2
Wagner ZVersWiss 1975 619, 644. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 87; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 223; s.a. Henke S. 44.
1032
3 4
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 91. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 162.
Kent Leverenz
Beeinträchtigungen durch Vergiftungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.5
AUB 2008 5 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 6
AUB 94
AUB 88 7
AUB 61 8
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Unfallbegriff und Grenzfälle …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen …
Nr. 3 Dagegen fallen nicht unter den Versicherungsschutz
5.2.5 Vergiftungen infolge Einnahme fester oder flüssiger Stoffe durch den Schlund.
5.2.5 Vergiftungen infolge Einnahme fester oder flüssiger Stoffe durch den Schlund.
§ 2 Abs. 2 Nr. 4 Vergiftungen infolge Einnahme fester oder flüssiger Stoffe durch den Schlund.
§ 2 Abs. 2 Nr. 4 Vergiftungen infolge Einnahme fester oder flüssiger Stoffe durch den Schlund.
Nr. 3c Vergiftungen infolge Einführung fester oder flüssiger Stoffe durch den Schlund …
Versicherungsschutz besteht jedoch für Kinder, die zum Zeitpunkt des Unfalles das X. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Ausgeschlossen bleiben Vergiftungen durch Nahrungsmittel.
Versicherungsschutz besteht jedoch für Kinder, die zum Zeitpunkt des Unfalles das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Ausgeschlossen bleiben Vergiftungen durch Nahrungsmittel.
II Nr. 1 KiUV 909 In Abänderung von § 2 Abs. 2 Nr. 4 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 88) fallen unter den Versicherungsschutz auch Vergiftungen infolge versehentlicher Einnahme von für Kinder schädlichen Stoffen. Ausgeschlossen bleiben Vergiftungen durch Nahrungsmittel.
Zusatzbedingungen für die Kinder-Unfallversicherung mit Einschluss von Vergiftungen10 … Nr. 3a S. 1 In teilweiser Abänderung von § 2 (3)c) der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) fallen unter den Versicherungsschutz auch Vergiftungen infolge versehentlicher Einnahme von für Kinder schädlichen Stoffen.
II Nr. 2 KiUV 90 Dieser Einschluss gilt nur für Kinder, die im Zeitpunkt des Unfalls das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
S. 2 Ausgeschlossen bleiben Vergiftungen durch Nahrungsmittel.
5 6 7 8
Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 67. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10.
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
9
10
Nr. 3b) Dieser Einschluss gilt nur für Kinder, die im Zeitpunkt des Unfalls das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
VerBAV 1990 558; dazu auch BAV GB 1990 95 unter Nr. 9.2.1; zuvor VerBAV 1987 417, 422; VerBAV 1978 206 f. VerBAV 1978 206.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 5.2.5 AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 6
Unfallversicherung AUB 94
AUB 88
AUB 61
Nr. 3c S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn es sich um Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses handelt.
4
In den älteren Bedingungswerken war ursprünglich von „Ansteckungen und Vergiftungen“, seit 1910 von „inneren Vergiftungen“ und seit 1920 nur von „Vergiftungen“ die Rede.11 Das führte zu erheblichen Auseinandersetzungen darüber, ob auch Kohlenoxydgasvergiftungen erfasst waren. Das frühere Reichsaufsichtsamt vertrat mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Regelung einen einengenden Standpunkt.12 Die Rechtsprechung billigte dieses Ergebnis, stellte dabei aber nicht auf die „historische Auslegung“ ab, die bei der Prüfung von AVB keine Bedeutung hat (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.), sondern auf den allgemeinen Sprachgebrauch (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 66 ff.), der unter Vergiftungen nur die Einführung von flüssigen oder festen Stoffe verstehe.13 Dieses Verständnis, dem die Praxis gefolgt war, sollte in den AUB 61 durch die Ergänzung „infolge Einführung fester oder flüssiger Stoffe durch den Schlund“ deutlich festgelegt werden.14 5 Die Bedingungsgeber der AUB 88 hatten erwogen, den Ausschluss für Vergiftungen zu streichen. Dafür sprach, dass einerseits Vergiftungen selten sind, die nicht in Selbstmordabsicht erfolgen, und andererseits freiwillige Gesundheitsschädigungen bereits nicht vom Unfallbegriff erfasst sind. Aufgrund der für den VR ungünstigen Beweislastverteilung – er muss wegen der Unfreiwilligkeitsvermutung in § 178 Abs. 2 S. 2 (§ 180a a.F.) den Beweis für eine freiwillige Gesundheitsschädigung führen – entschied man sich dann doch dafür, den Ausschluss beizubehalten; denn die Absicht, Selbstmord zu begehen ist anders als die Einnahme giftiger Stoffe nicht oder nur schwer nachweisbar. Außerdem sollten Lebensmittelvergiftungen, speziell bei Auslandsreisen, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen bleiben,15 da sie die Leistungsregulierung vor erhebliche Probleme stellen. Bei Lebensmittelvergiftungen handelt es sich um Intoxikationserscheinungen, die sowohl auf der Aufnahme verunreinigter, giftiger und zersetzter Lebensmittel als auch auf der Aufnahme bakteriell infizierter Nahrungsmittel beruhen können. Während es sich im ersteren Fall um einen Unfall handelt, liegt im zweiten Fall eine nicht dem Unfallversicherungsschutz unterliegende Krankheit vor. Beide Ursachen mit ihren feinen Unterschieden können nicht immer sofort ermittelt bzw. im Nachhinein festgestellt werden.16 Im Vergleich
11 12 13
14
Grewing Unfallversicherung, S. 45. RAA VA 1926 136. Grundlegend RG 10.1.1928 RGZ 120 18, 20; ferner BGH 13.6.1955 VersR 1955 385; OLG Nürnberg 10.5.1929 VA 1929 231, 232 Nr. 1998; kritisch Henke S. 47. Grewing Entstehungsgeschichte, S. 10; Grewing Unfallversicherung, S. 45; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 92; Wagner
1034
15 16
ZVersWiss 1975 619, 644; näher zur Entwicklungsgeschichte Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 31–33 und 222. Einen dahingehenden Vorschlag hatte u.a. bereits Henke S. 47 unterbreitet. Konen/Lehmann S. 20. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 92; Stockmeier/Huppenbauer S. 68.
Kent Leverenz
Beeinträchtigungen durch Vergiftungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.5
zu den AUB 61 blieb der Ausschluss in den AUB 88 letztlich weitgehend unverändert. Anders als in § 2 Nr. 3c S. 1 AUB 61 wurden jedoch die Vergiftungen von den Infektionen getrennt. Infektionen und Vergiftungen sind fortan in jeweils eigenen Ausschlussbestimmungen geregelt. Darüber hinaus weichen die AUB 88 von den AUB 61 insofern ab, als es nicht mehr „Einführung“, sondern „Einnahme“ heißt. Ziel war es, nur willentliches Handeln der versicherten Person zu erfassen.17 Schließlich enthalten die AUBGenerationen ab den AUB 88 im Gegensatz zu § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 keinen Wiedereinschluss für den Fall, dass es sich bei der Vergiftung um die Folge eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses handelt. Wie bereits zu den AUB 88 diskutierten auch die Bedingungsgeber der AUB 99 da- 6 rüber, ob auf den Ausschluss für Vergiftungen ganz verzichtet oder der Ausschluss – im Gleichklang zu den Bestimmungen für die Kinderunfallversicherung – auf Nahrungsmittelvergiftungen beschränkt werden kann. Die dahingehenden Argumente wie z.B. die geringe praktische Relevanz versehentlicher Vergiftungen bzw. von Selbstmorden durch Vergiftung oder das häufige Eingreifen anderer Ausschlusstatbestände (z.B. des Ausschlusses für Geistes- und Bewusstseinsstörungen nach Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008) konnten sich i.E. nicht durchsetzen. Die Bedingungsgeber sahen weiterhin die Gefahr von Beweislastnachteilen und von Schwierigkeiten bei der Regulierung von Lebensmittelvergiftungen (insbesondere nach Auslandsaufenthalten). Ferner rechneten sie mit einer Erhöhung der Schadenhäufigkeit. Auch befürchteten sie, dass bei einer Reduzierung des Ausschlusses auf Nahrungsmittelvergiftungen der Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmissbrauch gedeckt sein könnte.18 Ziff. 5.2.5 S. 1 AUB 99 ist i.E. gegenüber § 2 Abs. 2 Nr. 4 AUB 88/94 unverändert geblieben. Neu ist, dass in Ziff. 5.2.5 S. 2 AUB 99 der Wiedereinschluss für Kinder integriert wurde. Die Kinderunfallversicherung, die bisher als Sonderbedingungen geregelt war (KiUV 90), wurde dafür aufgegeben. Ziff. 5.2.5 AUB 99 ist unverändert in die AUB 2008 übernommen worden. Die VVG- 7 Reform 2008 wirkte sich auf den Ausschlusstatbestand nicht aus. Lediglich die Altersvorgabe in Ziff. 5.2.5 S. 2 AUB 99 von zehn Jahren wurde durch einen – unternehmensindividuell auszufüllenden – Platzhalter „X.“ ersetzt.
B. Ausschlusstatbestand Vergiftungen sind vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern die versicherte Per- 8 son das Gift als flüssigen oder festen Stoff – freiwillig – durch den Schlund eingenommen hat. Unerheblich ist, ob die Schädigungen Folgen einer medizinischen Behandlung (z.B. Medikamenteneinnahme im Rahmen einer Therapie) sind.19 Für die Auslegung des Begriffs „Vergiftung“ ist nicht die fachmedizinische Ausdrucks- 9 weise der ärztlichen Wissenschaft, sondern der allgemeine Sprachgebrauch des täglichen Lebens maßgebend (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 66 ff.).20 Von einer Vergiftung wird danach gesprochen, wenn ein als Gift bezeichneter Stoff eine schädigende Wirkung in dem Sinne hat, dass das Gift in den Körper resorbiert wird.21 Der mehrdeutige Ausdruck 17 18 19 20
Konen/Lehmann S. 20; Stockmeier/Huppenbauer S. 67. Stockmeier/Huppenbauer S. 8 f. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 274. BGH 13.6.1955 VersR 1955 385; OLG Karlsruhe 4.11.1953 VersR 1953 474.
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LG Heidelberg 11.6.1953 VersR 1953 283; Henke S. 44; Knappmann FS Schirmer, S. 269, 274; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 88.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.5
Unfallversicherung
Blutvergiftung erlangt in den AUB keine eigenständige Bedeutung. Bei Geltung der AUB 61 ist die Blutvergiftung am ehesten in Zusammenhang mit § 2 Nr. 2a (Wundinfektionen) zu berücksichtigen (Ziff. 5.2.4 Rn. 5 ff.).22 Erfasst sind Giftstoffe aller Art,23 wobei es unerheblich ist, welche Konsistenz die Giftstoffe haben, wie sie genannt werden, insbesondere ob sie (fachwissenschaftlich) als Gift bezeichnet werden oder nicht.24 Giftstoffe können chemische Mittel, Arzneimittel (z.B. bei Verwechselung oder Überdosierung), verdorbene Nahrungs- bzw. Genussmittel (Fleisch 25 usw.) oder vermeintliche Nahrungsmittel (z.B. Giftpilze, giftige Beeren) sein. Keine Vergiftung ist die Verätzung bzw. Verbrennung des Mundes und der Speiseröhre durch versehentliches Trinken von Säure oder Lauge.26 In diesen Fällen wird kein Gift resorbiert. Vielmehr rufen Säuren und Laugen örtlich begrenzte, sofort wirksam werdende Primärschäden („physikalische Zerstörungen“) hervor, die sowohl auf der Außenhaut als auch im Körperinneren eintreten können und die deshalb im allgemeinen Sprachgebrauch nicht als Vergiftung umschrieben werden.27 Der Ausdruck „Einnahme“ in den AUB 88/94/99/2008 setzt – im Gegensatz zum 10 Wort „Einführung“ (AUB 61) 28 – ein willentliches Handeln der versicherten Person voraus.29 • Anders als in § 2 Nr. 3c AUB 61, bei dem sowohl die versicherte Person als auch andere Personen das Gift zuführen konnten, greift bei Geltung der AUB 88/94/99/2008 der Ausschluss nicht ein, wenn die giftigen Stoffe durch Dritte gegen den Willen der versicherten Person oder auch nur ohne ihren Willen (wie z.B. beim klassischen „Giftmord“) eingeführt werden.30 Gedeckt bleibt z.B. einerseits das gewaltsame bzw. erzwungene Einführen schädlicher Stoffe, wobei unerheblich ist, ob die versicherte Person von den Giftstoffen weiß oder nicht. Dies gilt etwa für den Fall, dass eine Geisel von Verbrechern zum Giftkonsum gezwungen wird. Versicherungsschutz besteht andererseits auch dann, wenn der bewusstlosen versicherten Person giftige Stoffe (z.B. durch einen Arzt) zugeführt werden. • Nicht erforderlich für ein Eingreifen des Ausschlusses ist ein eigenhändiges Einverleiben durch die versicherte Person.31 Anderenfalls wären Vergiftungen von versicherten Personen nicht ausgeschlossen, die zu einem eigenhändigen Handeln wegen Krankheit oder Körperbehinderung nicht in der Lage sind.32 Eine derartige Einschränkung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Klausel noch wird sie der verständige VN erwarten. Ausreichend ist vielmehr, dass ein Dritter einem Kranken oder der bewegungsunfähigen versicherten Person die Giftstoffe mit dessen Willen zuführt.
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 225. Kloth Rn. K 98; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 37; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 47. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 93; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 92; Stockmeier/Huppenbauer S. 67. OLG Nürnberg 10.5.1929 VA 1929 231 f. Nr. 1998. So u.a. OLG Karlsruhe 4.11.1953 VersR 1953 474; LG Heidelberg 11.6.1953 VersR 1953 283; ferner LG Hagen 6.7.1977 VersR 1980 234. BGH 13.6.1955 VersR 1955 385; ferner
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Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 93; krit. Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 33 und 226. Abw. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 Rn. 12. S. nur Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 162; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 37; Konen/Lehmann S. 20; Reichenbach S. 91; Stockmeier/Huppenbauer S. 67; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 87. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 93; Kloth Rn. K 99. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 92. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 93.
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Beeinträchtigungen durch Vergiftungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.5
• Unerheblich ist weiterhin, ob die versicherte Person die Schädlichkeit des Stoffes erkannt hat.33 Nicht nur gewolltes oder wissentliches, sondern auch versehentliches oder unwissentliches Verschlucken von Gift ist ausgeschlossen.34 Kein Versicherungsschutz besteht z.B., wenn die versicherte Person Flüssigkeiten verwechselt (z.B. Zyanid mit Mineralwasser),35 ein Pflanzenschutzmittel trinkt oder giftige Pilze isst.36 Entsprechendes gilt selbst dann, wenn die versicherte Person Opfer eines von ihr nicht erkannten Giftanschlages ist. Hier kommt nur eine Kulanzregelung in Betracht.37
Das Erfordernis der Einnahme (AUB 88/94/99/2008) bzw. Einführung (AUB 61) 11 „fester oder flüssiger Stoffe“ dient der Abgrenzung nicht gedeckter Vergiftungen von solchen, die Folge des Einatmens giftiger Gase oder Dämpfe sind.38 Für Gas- und Rauchvergiftungen soll – seit jeher – Versicherungsschutz bestehen, sofern die Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllt sind.39 Dies gilt etwa für Vergiftungen durch Kohlenmonoxyd bzw. -dioxid,40 Tetrachlorkohlenstoff 41 oder Leuchtgas.42 Das Tatbestandsmerkmal „durch den Schlund“, gemeint ist der Eingang der Speise- 12 röhre,43 hat den Zweck, den Ausschluss von den Vorgängen abzugrenzen, bei denen der Giftstoff durch die Haut – regelmäßig an der verletzten Stelle – in den Körper eindringt oder schon durch Berührung mit der Haut auf dieser zu Wirkungen führt, die als Gesundheitsschädigung anzusehen sind.44 Versicherungsschutz besteht z.B. für den Biss einer Giftsschlange,45 eines Skorpions oder einer Biene, für eine Giftinjektion 46 oder das Eindringen eines vergifteten Pfeils in die Haut.47
C. Wiedereinschluss für Kinder Für Kinder, die das in den Bedingungen festgelegte Lebensjahr noch nicht beendet 13 haben, sind gemäß § 5.2.5 S. 2 AUB 99/2008 Vergiftungen durch Unfälle grundsätzlich in den Versicherungsschutz eingeschlossen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Kleinkinder in ihrem „Forschungsdrang“ häufig alles, was sie erreichen können, in den Mund stecken und probieren wollen, ohne die Fähigkeit zu besitzen, die Gefährlichkeit ihres Tuns zu erkennen.48 Der Einschluss von Vergiftungen für Kinder hat Tradition. Er war in Nr. 3 der „Zusatzbedingungen für die Kinder-Unfallversicherung mit Einschluss von Vergiftungen“ enthalten, wurde nahezu unverändert in Ziff. II der 33
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S. nur Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 162; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 92; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 47. Reichenbach S. 91. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 93. Konen/Lehmann S. 20; Stockmeier/Huppenbauer S. 67; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 87. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 37. Stockmeier/Huppenbauer S. 67; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 224; ferner Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 162. RAA VA 1926 136; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 93; s.a. BGH 13.6.1955 VersR 1955 385; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2
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§ 47 Rn. 92; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 47. RG 10.1.1928 RGZ 120 18, 20; KG 11.6.1927 VA 1927 246 f. Nr. 1752; OLG Hamm 25.9.1981 VersR 1982 946; Reichenbach S. 91. LG Karlsruhe 25.2.1981 VersR 1981 1152. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 89. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 88. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 225; ferner Stockmeier/Huppenbauer S. 67. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 162. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 88. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 94; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 47. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 91.
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Unfallversicherung
„Zusatzbedingungen für die Kinderunfallversicherung (KiUV 90)“ übernommen und auch in den AUB 99/2008 weitgehend beibehalten (s.a. Vorbem. § 178 Rn. 41). Zwar wurde der Passus „versehentliche Einnahme von für Kinder schädlichen Stoffen“ in den KiUV 1990, d.h. das freiwillige Einverleiben eines schädlichen Stoffes in Unkenntnis seiner Schädlichkeit,49 in Ziff. 5.2.5 S. 2 AUB 99/2008 aufgegeben. Materielle Änderungen ergeben sich daraus jedoch nicht. • Voraussetzung für den Wiedereinschluss nach Ziff. 5.2.5 S. 2 AUB 99/2008 ist, dass die Kinder das bedingungsgemäß festgelegte Lebensjahr noch nicht beendet haben. Sind sie älter, greift der Wiedereinschluss nicht ein, und zwar auch dann nicht, wenn das jeweilige Kind noch nicht die nötige Einsicht haben sollte, die Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen, bzw. das Kind in seiner Entwicklung nicht den Entwicklungsstand anderer gleichaltriger Kinder aufweist.50 • Ausgeschlossen bleiben nach Ziff. 5.2.5 S. 3 AUB 99/2008 Vergiftungen durch Nahrungsmittel. Als Nahrungsmittel gelten nur Substanzen, die zur Nahrung in der Form bestimmt sind, in der das Kind sie zu sich nimmt.51 Nicht ausgeschlossen sind z.B. Stoffe, die das Kind roh einnimmt, die aber nur in gekochtem Zustand genießbar sind, oder der Genuss von giftigen Beeren oder Pilzen, die das Kind in der freien Natur gefunden hat.52
D. Vergiftung als Folge eines Unfallereignisses 14
Fraglich ist, ob Versicherungsschutz für Vergiftungen besteht, die die versicherte Person als Folge eines Unfalls erleidet (z.B. Verwechselung oder unrichtige Dosierung von Medikamenten während einer unfallbedingten Heilbehandlung), also ob folgende Kausalkette angenommen werden darf: Materieller Vertragsbeginn → Unfallereignis → Heilmaßnahme → (unfreiwillige) Vergiftung ➔ Versicherungsschutz
§ 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 sah Entsprechendes vor. Deckung hätte demnach z.B. der Fall gefunden, bei dem der Arzt der versicherten Person nach einer Unfallverletzung eine „falsche“, als Gift wirkende Medizin verabreicht.53 In den AUB 88/94/99 fehlt dagegen eine dem § 2 Nr. 3c S. 2 AUB 61 entsprechende Regelung. Die Verfasser der AUB 88 hielten den Wiedereinschluss für entbehrlich, da in der Praxis keine Anwendungsfälle bekannt geworden seien.54 Unabhängig davon, ob diese Annahme zutreffend ist, lassen die Ausführungen der Bedingungsgeber jedenfalls den Schluss zu, dass eine Verschlechterung des Versicherungsschutzes nicht beabsichtigt war.55 In der Rechtspraxis kann diese Schlussfolgerung jedoch keine Beachtung finden;56 denn nach der Rechtsprechung des BGH spielen die Motive der Bedingungsgeber bei der Auslegung keine Rolle (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Konsequenz ist, dass Vergiftungen auch dann vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, wenn sie adäquate Folge eines Unfallereignisses sind. Für Gesundheitsschädigungen durch falsch dosierte Arzneien oder versehentliche Medikamentenverwechslungen im Rahmen einer Unfallheilbehandlung können damit keine Leistungen beansprucht werden. Dieses Ergebnis wird zutreffend als unbefriedigend angesehen.57 Abhilfe kann aber nur eine Ergänzung des Ausschlusstatbestandes
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Grimm 4 KiUV 90 Rn. 3. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 91. Stockmeier/Huppenbauer S. 67. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 92; ferner Stockmeier/Huppenbauer S. 67 f. Wagner ZVersWiss 1975 619, 644.
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Konen/Lehmann S. 20; krit. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 275. So aber Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 90. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 275 f. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 94; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 163; Prölss/
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Beeinträchtigungen durch Vergiftungen
AUB 2008 Ziff. 5.2.5
schaffen. Daneben bleibt es den VR selbstverständlich unbenommen, in der Regulierungspraxis Kulanz zu zeigen. Die „Fiktion“ eines Wiedereinschlusses kann dagegen nicht im Wege der Auslegung gefordert werden: • Z.T. wird zwar Ziff. 5.2.3 S. 2 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 AUB 88/94) verallgemeinernd rekrutiert mit der Folge, dass Vergiftungen gedeckt sein sollen, wenn sie durch eine Heilmaßnahme veranlasst waren, die ihrerseits Folge eines unter den Vertrag fallenden Unfalls war.58 Gegen eine solche Analogiebildung spricht jedoch, dass Ziff. 5.2.3 S. 2 AUB 99/2008 aufgrund ihres systematischen Zusammenhangs nicht als allgemeine Spezialbestimmung zu Ziff. 5.2 AUB 99/2008 insgesamt gesehen werden kann, sondern nur den Ausschluss für Gesundheitsschädigungen durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe betrifft.59 Darüber hinaus wäre bei einer solchen Auslegung auch Ziff. 5.2.4.3 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 4 AUB 88/94) überflüssig.60 • Richtiger erscheint es deshalb, den Sinn und Zweck des Ausschlusses zu rekrutieren und Ziff. 5.2.5 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 AUB 88/94) eng zu verstehen, was bei Risikoausschlüssen im Zweifel geboten ist (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 5). Der aufmerksame VN wird Verständnis dafür aufbringen, dass der VR insbesondere Beweis- und Abgrenzungsschwierigkeiten bei Vergiftungsfällen vermeiden möchte (Rn. 2). Diese Probleme bestehen indes nur, wenn das Unfallereignis und die Vergiftung „Hand in Hand gehen“, nicht dagegen, wenn die Vergiftung in der Kausalkette dem Unfallereignis (deutlich) nachfolgt, weil z.B. bei der Behandlung einer Unfallverletzung eine „falsche“ Medizin(menge) verabreicht wird. Indes steht diesem (aus VN-Sicht wünschenswerten) Auslegungsergebnis der eindeutige Wortlaut des Ausschlusses entgegen. Ein verständiger Leser der AUB wird in der Formulierung des Ausschlusstatbestandes für Vergiftungen keinen Anhaltspunkt finden, der eine Ergänzung i.S.e. Wiedereinschlusses rechtfertigt.
E. Wirksamkeit des Ausschlusses Die Einschränkung des an sich umfassenden Versicherungsschutzes für alle Unfälle 15 bei Vergiftungen wird z.T. als unerwartet und überraschend (§ 305 c Abs. 1 BGB) sowie als unangemessene Regelung (§ 307 BGB) angesehen.61 Diese Auffassung ist indes abzulehnen.62 Aus dem Umstand, dass ein Wiedereinschluss für Vergiftungen infolge von Unfällen fehlt, lässt sich kein Überraschungs- bzw. Übertölpelungseffekt ableiten; denn dass der Unfallversicherungsschutz eingeschränkt wird sowie einzelne Ausschlüsse in ihrem Umfang und ihren Auswirkungen unterschiedlich geregelt sein können, ist nichts Ungewöhnliches. Mit einer einheitlichen Regelungstechnik (Ausschluss und Wiedereinschluss) kann der verständige VN nicht rechnen. Der fehlende Wiedereinschluss in Ziff. 5.2.5 AUB 99/2008 führt auch nicht zu einer Aushöhlung oder Entwertung des Unfallversicherungsschutzes. Die in Betracht kommenden Fälle sind im Vergleich zu der Gesamtheit der möglichen und versicherten Unfallfolgen verschwindend gering. Die Rechtsprechung hat sich – soweit ersichtlich – noch nicht mit der Wirksamkeit des umfassenden Ausschlusses für Vergiftungen befasst. Um AGB-rechtliche Auseinander-
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Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 37; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 93; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 48. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 90. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 94; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 93. Knappmann FS Schirmer, S. 269, 276; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 37.
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 37; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 48; wohl auch Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 163; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 93. So jetzt auch Knappmann FS Schirmer, S. 269, 276 f.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Unfallversicherung
setzungen von vornherein zu vermeiden, sollte bei einer Neuauflage der AUB erwogen werden, Ziff. 5.2.5 AUB 99/2008 mit einem Wiedereinschluss zu versehen, zumal der Ausschluss in den AUB 88/94/99 vermutlich von den Bedingungsgebern gegenüber den AUB 61 ungewollt weit gefasst wurde. So könnte analog zu Ziff. 5.2.4.3 AUB 99/2008 geregelt werden, dass für Vergiftungen Versicherungsschutz besteht, die durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe verursacht sind, wenn diese durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst waren.
F. Verfahrensfragen 16
Es gelten keine Besonderheiten. Wie bei allen Ausschlusstatbeständen (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32) trägt der VR die Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale von Ziff. 5.2.5 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 AUB 88/94).
Ziff. 5.2.6 AUB 2008 5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: … 5.2.6 Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden. Schrifttum Abel/Winkens Die Invaliditätsleistung bei krankhaften Störungen infolge psychischer Reaktionen, VersR 2009 30; Ayasse Das Schleudertrauma der Halswirbelsäule aus der Sicht der Schadenssachbearbeitung, VersR 1992 1195; Brandt Die Behandlung von psychischen Folgeschäden im Schadensersatzrecht VersR 2005 616; Fußhoeller Anm. zu Urteil des BGH vom 19.4.1972, VersR 1972 1167; Grewing Psychogene Erkrankungen in der Unfallversicherung, VersR 1973 8; Kessal-Wulf Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur privaten Unfallversicherung, RuS 2008 313; Knappmann Anm. zu OLG Jena, Urteil vom 20.3.2002 – 4 U 240/01, VersR 2002 1230; ders. Privatversicherungsrecht und Sozialrecht (Kranken- und Unfallversicherung): Unterschiede und Übereinstimmungen, RuS 2007 45; ders. Unfallversicherung: Kausalitäts- und Beweisfragen, NVersZ 2002 1; Ludolph/Lehmann Die psychische Reaktion in der Privaten Unfallversicherung, VersM 2001 166; Manthey Unfallbedingter Schock als Unfallereignis?, VersR 1974 225; Marlow Aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2005 357; ders. Aktuelle Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2004 353; ders. Aktuelles aus Rechtsprechung und Praxis zur privaten Unfallversicherung (Teil II), RuS 2006 397; ders. Die private Unfallversicherung – Aktuelles aus der Rechtsprechung, Praxis und VVG-Reform, RuS 2007 353; Rehfeldt/Sittaro/ Wehking Psychische Folgeschäden nach Unfällen, VersM 2001 22; Rixecker Anm. zu OLG Nürnberg, Urteil vom 21.3.2002 – 8 U 2788/01, ZfS 2003 306; Schwintowski Ausschluss krankhafter Störungen infolge psychischer Reaktionen in den AUB, NVersZ 2002, 395; Terno Die Rechtsprechung des BGH zur (Kraftfahrt-)Unfallversicherung, DAR 2005 314; Wagner Bedeutung des AGBGesetzes für die Gefahrbeschreibung in den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen, ZVersWiss 1977 119; ders. Grenzfälle und Ausschlüsse in der privaten Unfallversicherung ZVersWiss 1975 619; Wessels/Castro Ein Dauerbrenner: das „HWS-Schleudertrauma“ VersR 2000 284; Wehking Psychische Störungen nach Schädel-Hirn-Trauma – die Frage des Kausalzusammenhangs VersR 1992 1448; Winckler Grundlagen der psychiatrischen Begutachtung sogenannter „Rentenneurosen“ VersM 1998, 219; Wussow Ausschluss bei krankhaften Störungen infolge psychischer Reaktionen – Vorliegen eines subjektiven Ohrgeräusches (Tinnitus), WI 2004 205; Wussow Der Leistungsausschluss bei psychischen Beeinträchtigungen in der privaten Unfallversicherung, VersR 2000 1183.
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Kent Leverenz
Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Übersicht Rn. A. I. II. III.
B. I. II. III. IV. C.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . . . . . . Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung des Ausschlusses . . . . . 1. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . a) Grenzfall des § 2 Nr. 3b AUB 61 . b) Organische Erkrankung nach § 10 Nr. 5 AUB 61 . . . . . . . . . . aa) Zweck der Regelung . . . . . bb) Tatbestand . . . . . . . . . . cc) Wirksamkeit der Klausel . . . 2. AUB 88/94 . . . . . . . . . . . . . 3. AUB 99/2008 . . . . . . . . . . . . Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . Psychische Reaktionen . . . . . . . . Krankhafte Störungen . . . . . . . . . Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . Tinnitus . . . . . . . . . . . . . . . . Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . .
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Rn. I. Psychische Reaktion ohne ein Unfallereignis II. Psychogene Faktoren verursachen ein Unfallereignis . . . . . . . . . . . . . . . III. Psychische Reaktion folgt auf ein Unfallereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Psychische Reaktion folgt auf eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung . . . . . 1. Psychische Reaktion als Fehlverarbeitung 2. Psychische Reaktion als notwendige Begleiterscheinung . . . . . . . . . . . D. Wirksamkeit des Ausschlusses . . . . . . I. Klarheit des Ausschlusses . . . . . . . . . II. Kein überraschender Ausschluss . . . . . . III. Inhaltskontrolle des Ausschlusses . . . . . E. Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . . . F. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . I. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. AUB 88/94/99 . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einführung Die Beurteilung psychisch bedingter Umstände bereitet nicht nur dem allgemeinen 1 Schadensersatzrecht,1 sondern auch der Unfallversicherungspraxis seit langem Probleme,2 die bis heute nicht abschließend gelöst sind.3 Psychogene Faktoren können an den verschiedensten Stellen der Kausalkette Einfluss haben: Das Unfallereignis kann einerseits psychogene Ursachen haben. Andererseits können dem Unfallereignis, den Unfallereignisfolgen (Gesundheitsschädigung) und den Unfallfolgen jeweils psychische Reaktionen nachfolgen.4 Solche Sachverhalte, die von seelischen bzw. mentalen Momenten geprägt sind, sind nicht messbar und einer objektiven Betrachtung kaum bzw. nur schwer zugänglich. Hier setzt Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (genauso wie die Vorgängerbestimmungen in den AUB 61/88/84 oder auch A.4.10.8 AKB 2008 bzw. § 19 Nr. 7 AKB für die Kfz-Unfallversicherung) an. Der Ausschluss psychischer Beeinträchtigungen in der privaten Unfallversicherung – gelegentlich auch als „Psychoklausel“ bezeichnet – soll höhere Rechtssicherheit schaffen. Dieses Ziel ist indes erst mit den AUB 88 erreicht worden.
I. Zweck des Ausschlusses Zur Begründung des Leistungsausschlusses bei psychischen Beeinträchtigungen in der 2 privaten Unfallversicherung kann zunächst das historisch gewachsene „Leitbild“ der Unfallversicherung rekrutiert werden. Intention der privaten Unfallversicherung ist es in erster Linie, (anders als in der Krankenversicherung) nur objektive Risiken zu decken bzw. nur Versicherungsschutz für Unfallgefahren zu bieten, die von der besonderen Ver-
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Dazu etwa Brandt VersR 2005 616. Zur älteren Rechtsprechung Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 252 f.
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Übersicht bei Abel/Winkens VersR 2009 30 ff. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 98.
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Unfallversicherung
anlagung der versicherten Person unabhängig sind und die einer normalen, gesunden versicherten Person in gleicher Weise zustoßen können wie der kranken oder empfindsamen.5 Psychische Störungen und Erkrankungen sind dagegen subjektiv bzw. von extrem subjektiv bestimmbaren Faktoren beeinflusst. Sie sollen im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes aller versicherten Personen vom Deckungs- und Leistungsbereich der Unfallversicherungsschutz ausgegrenzt werden.6 Darüber hinaus kann eine zuverlässige Tarifkalkulation allein (oder zumindest verlässlicher) über medizinisch objektiv erfassbare Vorgänge erfolgen. Die psychische Fehlverarbeitung eines Unfallgeschehens ist dagegen nicht (bzw. kaum) kalkulierbar.7 Die Berücksichtigung psychischer Reaktionen würde vielmehr zu einem insgesamt höheren Prämienniveau führen.8 Dies liegt in Folgendem begründet: • Die besondere (seelische) Konstitution und Veranlagung der versicherten Person ist dem VR regelmäßig nicht – insbesondere nicht vor Abschluss des Versicherungsvertrages – bekannt.9 • Die Berücksichtigung psychischer Einwirkungen würde letztlich jedes Geschehen der Außenwelt zu einem potentiellen Unfallereignis machen.10 • Es entstünden erhebliche Beweisschwierigkeiten und damit Rechtsunsicherheiten. Das seelischgeistige Leben eines Menschen ist von unbewussten oder bewussten Vorgängen des Auffassens, Erlebens und Verarbeitens von Eindrücken geprägt, die einem Beweis nur schwer zugänglich sind.11 Folgerichtig besteht auch in der medizinischen Fachwelt noch keine einheitliche Auffassung über die Einflüsse psychischer Faktoren auf das Krankheitsgeschehen und die Heilungstendenzen. Trotz modernster Untersuchungsmethoden lässt sich häufig nicht eindeutig klären, ob und inwieweit Gesundheitsschäden durch psychische Faktoren ausgelöst oder beeinflussbar sind.12
Weiterhin erlaubt nur das Anknüpfen an objektiv erfassbare Vorgänge eine zeitnahe und mit vertretbarem Kostenaufwand ergehende Entscheidung über die Entschädigung. Eine zügige Leistungsregulierung durch den VR und die mit dem geringeren Prüfungsaufwand verbundenen günstigeren Prämien liegen auch im Interesse des VN.13 Die Einbeziehung psychogener Schäden in den Unfallversicherungsschutz würde dagegen regelmäßig mit großen Schwierigkeiten behaftet sein.14 Zumindest wären langwierige und ggf. stationäre Untersuchungen erforderlich, um zuverlässige Feststellungen dazu treffen zu können, ob eine unfallbedingte krankhafte Reaktion vorliegt.15 Solche Zweifelsfälle sollten deshalb von vornherein vom Versicherungsschutz ausgenommen sein.16
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Henke S. 40; Wagner ZVersWiss 1975 619, 643; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 251. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 100; Wussow VersR 2000 1183. OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389; OLG Jena 20.3.2002 VersR 2002 1019 und 1020; LG Waldshut-Tiengen 9.11.2000 VersR 2002 430. 431; Knappmann NVersZ 2002 1, 4; Wagner ZVersWiss 1975 619, 638; s.a. OLG Schleswig 11.12.2003 RuS 2005 119 (zu den AUZ). OLG Düsseldorf 27.11.1997 VersR 1998 886, 887; s.a. OLG Karlsruhe 15.11.2007 VersR 2008 524 = NJW-RR 2008 477, 478 (für eine Restschuldversicherung). Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 255.
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OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389; OLG Düsseldorf 27.11.1997 VersR 1998 886, 887; OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602, 604; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 100; Wagner ZVersWiss 1975 619, 638. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040 = NJW 2004 2589, 2591; Wussow VersR 2000 1183. OLG Frankfurt/M. 22.7.1999 – 3 U 262/94; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 108. OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602, 604; Terno DAR 2005 314, 319. OLG Düsseldorf 27.11.1987 VersR 1998 886, 887. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040. OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
II. Abgrenzung Der Ausschluss psychischer Reaktionen in der privaten Unfallversicherung gemäß 3 Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) weicht von der Rechtslage in der Haftpflichtversicherung ab. Er ist weitergehend.17 Im Haftungsrecht hat der Schädiger grundsätzlich auch für eine psychische Fehlverar- 4 beitung als haftungsausfüllende Folgewirkung des Unfallgeschehens einzustehen.18 Voraussetzung ist nur, dass eine hinreichende Gewissheit dafür besteht, dass die Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre.19 Die Zurechnung psychischer Schäden scheitert nicht daran, dass der Verletzte infolge körperlicher oder seelischer Anomalien oder Dispositionen besonders schadensanfällig ist,20 weil der Schädiger keinen Anspruch darauf habe, so gestellt zu werden, als habe er einen bis dahin gesunden Menschen verletzt.21 Vom Schädiger zu beweisende Ausnahmen gelten aus Billigkeitserwägungen und unter Berücksichtigung des Sinns des Schadensausgleichs nur bei Bagatellschäden oder Begehrensneurosen. • An die Annahme eines Bagatellschadens stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung strenge Anforderungen:22 Der Ausschluss der Haftung für psychische Folgeschäden soll lediglich dann gerechtfertigt sein, wenn – ähnlich wie der Versagung des Ersatzes von immateriellen Schäden gemäß § 847 BGB a.F. (§ 253 Abs. 2 BGB) bei Bagatellschäden – die Beeinträchtigungen sowohl von der Intensität als auch der Art der Primärverletzung nur ganz geringfügig sind und üblicherweise den Verletzten nicht nachhaltig beeindrucken, weil er schon aufgrund des Zusammenlebens mit anderen Menschen daran gewöhnt ist, vergleichbaren Störungen seiner Befindlichkeit ausgesetzt zu sein. Selbst wenn die Annahme eines Bagatellschadens in Betracht kommt, kann nach Auffassung des BGH der psychische Folgeschaden aber auch dann noch zuzurechnen sein, wenn das schädigende Ereignis gerade eine spezielle Schadensanlage des Geschädigten getroffen hat und nicht nur dessen allgemeine Anfälligkeit für neurotische Fehlentwicklungen. Darüber hinaus ist erforderlich, dass unter Würdigung der vorstehenden Punkte die psychische Reaktion im konkreten Fall schlechterdings nicht mehr verständlich ist. • Die Haftungszurechnung ist bei sog. Renten- oder Begehrensneurosen ausgeschlossen.23 Von solchen wird gesprochen, wenn durch die Folge eines Unfallereignisses beim Verletzten eine Begehrensvorstellung (mit Wunschtendenz) aktiviert wird, die auf Lebenssicherheit durch Ausnutzung einer vermeintlichen Rechtsposition ihr Gepräge erhält.24 Der Geschädigte nimmt in einem neurotischen (krankhaften) Bestreben nach Versorgung und Sicherheit den Unfall – als eine seinem Wesen nach auswechselbare Ursache (Kristallisationspunkt) – zum Anlass, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen.25 Solche Konstellationen werden im
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Stockmeier/Huppenbauer S. 72 BGH 12.11.1985 VersR 1986 240, 241; OLG Frankfurt/M. 22.7.1999 – 3 U 262/94. BGH 11.11.1997 BGHZ 137 142, 145; BGH 30.4.1996 BGHZ 132, 341, 344; eingehend Wessels/Casstro VersR 2000 284 ff. (zum HWS-Schleudertrauma). BGH 28.6.1972 VersR 1972 927, 928; Brandt VersR 2005 616. BGH 11.11.1997 BGHZ 137 142, 145; BGH 30.4.1996 BGHZ 132, 341, 345 und 348 f. BGH 11.11.1997 BGHZ 137 142, 146; BGH 30.4.1996 BGHZ 132, 341, 346;
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ferner OLG Braunschweig 3.3.1997 VersR 1999 201; Brandt VersR 2005 616, 617 und 618 f. BGH 11.11.1997 BGHZ 137 142, 148; BGH 30.4.1996 BGHZ 132, 341, 346; BGH 12.11.1985 VersR 1986 240, 242; Stockmeier/Huppenbauer S. 72; s.a. BGH 28.6.1972 VersR 1972 927, 928; eingehend hierzu etwa Brandt VersR 2005 616 ff. Wussow VersR 2000 1183, 1184. So etwa OLG Hamm 7.10.1983 VersR 1984 755, 756; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 259; Knappmann NVersZ 2002 1, 4; Wessels/Casstro VersR 2000 284, 286.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Unfallversicherung
Haftungsrecht selten angenommen, da sie nur schwer zu beweisen sind; 26 denn eine Rentenneurose setzt voraus, dass der Rentenwunsch der wesentliche oder allen ausschlaggebende Faktor für die behaupteten Beschwerden ist. Regelmäßig wird statt einer Renten- oder Begehrensneurose eine Konversionsneurose angenommen, bei der ein seelischer Konflikt in körperliche Störungen umgewandelt wird. Da die Konversionsneurose nicht (wesentlich oder ausschlaggebend) vom Wunsch nach Versorgung und Sicherheit getragen ist, wird sie samt ihren Folgewirkungen grundsätzlich dem Schädiger haftungsrechtlich zugerechnet.27 Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Schädiger beweisen kann, dass die Konversionsneurose Bagatellcharakter hat 28 bzw. sich durch das Unfallgeschehen letztlich nur das eigentliche Lebensrisiko des Geschädigten verwirklicht und sich dieser in eine Neurose flüchtet.29
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Die AUB 88/94/99 enthalten – wie zuvor mit § 10 Nr. 5 AUB 6130 – eine gegenüber dem Haftungsrecht eigenständige Regelung. Der Ausschluss in Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) bezweckt gerade, den schadensersatzrechtlichen Problemen zu entgehen.31 In der Unfallversicherung sind deshalb alle Unfallneurosen von der Entschädigungspflicht ausgeschlossen, also nicht nur solche, die im Haftpflichtprozess nicht zu einer Haftung des Schädigers führen.32
III. Entwicklung des Ausschlusses 6
Ein erster Ansatzpunkt dafür, psychische Beeinträchtigungen aus dem Deckungsumfang der privaten Unfallversicherung herauszunehmen, findet sich bereits in der Definition des Unfallbegriffes (§ 178 Abs. 2 S. 1, § 2 Abs. 1 AUB 61/88/94/99) mit der Formulierung „plötzlich von außen auf den Körper der versicherten Person wirkendes Ereignis“. Diese Tatbestandsmerkmale deuten bereits darauf hin, dass Vorgänge, die sich ohne Bezug zur Außenwelt im Körperinneren abspielen und allmählich entwickeln, in Abgrenzung zur Krankenversicherung nicht erfasst sind. Da insbesondere die Begriffe „Ereignis“, „Einwirkung“ und „von außen“ jedoch weit auszulegen sind und nicht alle Fallkonstellationen psychischer Reaktionen erfassen, bedarf es noch eines eindeutigen Ausschlusses. Nachdem die dahingehenden Regelungen in den AUB 61 noch nicht ausreichend gelungen waren, nahmen die Bedingungsgeber in den AUB 88/94 Anpassungen vor, die in den AUB 99/2008 weitgehend beibehalten wurden:
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Ayasse VersR 1992 1195, 1196 f. zum HW-Schleudertrauma. BGH 11.11.1997 BGHZ 137 142, 150 f. BGH 30.4.1996 BGHZ 132, 341, 346. BGH 12.11.1985 VersR 1986 240, 242. BGH 28.6.1972 VersR 1972 927, 928.
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BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040 = NJW 2004 2589, 2591. Ludolph/Lehmann VersM 2001 166 und 168; s.a. OLG Frankfurt/M. 22.7.1999 – 3 U 262/94.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
AUB 2008 33 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 34
AUB 94
AUB 88 35
AUB 61 36
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: …
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Unfallbegriff und Grenzfälle …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen …
Nr. 3 Dagegen fallen nicht unter den Versicherungsschutz
5.2.6 Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden.
5.2.6 Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden.
Abs. 4 Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig, wodurch diese verursacht sind.
Abs. 4 Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig, wodurch diese verursacht sind.
Nr. 3b Erkrankungen infolge psychischer Einwirkung.
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:
§ 10 Einschränkung der Leistungspflicht … Nr. 5 Für die Folgen psychischer und nervöser Störungen, die im Anschluss an einen Unfall eintreten, wird eine Entschädigung nur gewährt, wenn und soweit diese Störungen auf eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems oder eine durch den Unfall neu entstandene Epilepsie zurückzuführen sind.
1. AUB 61 Bereits § 2 Abs. 2 Nr. 2a der AUB aus 1940 sah vor, dass Erkrankungen infolge 7 psychischer Beeinträchtigungen nicht als Unfälle gelten. Aus dieser Formulierung wurde indes nur gefolgert, dass für eine Versagung des Versicherungsschutzes die psychische Erkrankung an erster Stelle der Kausalkette stehen musste.37 Wurde sie dagegen durch ein Unfallereignis ausgelöst, so bestand eine Leistungspflicht des VR,38 und zwar auch
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Abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 70. VerBAV 1987 417, 418. VerBAV 1984 10 und 14. OLG Düsseldorf 25.6.1963 VersR 1964 130, 131; OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843.
38
BGH 19.4.1972 VersR 1972, 582, 583; OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843; Wussow VersR 2000 1183; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 101 m.w.N.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Unfallversicherung
dann, wenn bei der versicherten Person bereits vor dem Unfallereignis eine neurotische Fehlentwicklung zu verzeichnen war, diese erst durch einen Unfall manifestiert wurde und die anschließend sich entwickelnde psychische Störung nicht auf dem Unfallereignis beruhte, sondern Folge der neurotischen Fehlentwicklung war.39 In den AUB 61 wurde § 2 Abs. 2 Nr. 2a etwas umformuliert und der Ausschluss für psychische Beeinträchtigungen an zwei Stellen – nämlich in § 2 Nr. 3b und § 10 Nr. 5 AUB 61 – geregelt. Bei § 2 Nr. 3b AUB 61 steht kein Unfall i.S.d. AUB am Anfang der Kausalkette. Dagegen ist bei § 10 Nr. 5 AUB 61 ein solcher der Ausgangspunkt.
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a) Grenzfall des § 2 Nr. 3b AUB 61. § 2 Nr. 3b AUB 61 bestimmt, dass Erkrankungen infolge psychischer Einwirkung nicht unter den Versicherungsschutz fallen. Ziel der damaligen Bedingungsgeber war es, mit § 2 Nr. 3b AUB 61 sämtliche psychisch-seelischen Reaktionen der versicherten Person auf Ereignisse der Außenwelt (durch Schreck oder Schock) vom Versicherungsschutz auszunehmen.40 Da rein innerorganische (krankhafte) Vorgänge oder sich allmählich entwickelnde Geschehen bereits kein Unfallereignis begründen, sollte der Ausschluss in den Fällen zur Anwendung kommen, in denen am Beginn der Kausalkette ein Unfallereignis ohne Gesundheitsschädigung steht.41 Gedacht wurde etwa an die Konstellation, dass die versicherte Person Opfer einer Misshandlung wird, die zwar für sich allein ohne Gesundheitsschädigung bleibt, jedoch infolge der Demütigung oder des Ärgers zu einer so großen Belastung für die versicherte Person wird, dass sie erkrankt oder stirbt.42 Weiterhin sollte der Ausschluss in dem Beispielsfall eingreifen, dass die versicherte Person in einem Verkehrsunfall eine Gehirnerschütterung erleidet, die keine Gesundheitsschädigung hervorruft, sondern der aus psychischen Gründen eine Erkrankung nachfolgt.43 Versicherungsschutz sollte mithin ausschließlich bei folgender Kausalkette bestehen: Unfallereignis → Gesundheitsschädigung (organische Erkrankung des Nervensystems) → psychische bzw. nervöse Störung (Schreck bzw. Schock) → Unfallfolge (dauerhafter Gesundheitsschaden) ➔ Leistungspflicht des VR.
Zur Begründung dieses Ergebnisses wurde zum einen der geänderte Wortlaut des § 2 Nr. 3b AUB 61 im Vergleich zu § 2 Abs. 2 Nr. 2a AUB angeführt. Es hieß nicht mehr „Erkrankungen infolge psychischer Einwirkungen gelten nicht als Unfälle“, sondern weitergehend „Erkrankungen infolge psychischer Einwirkungen fallen nicht unter den Versicherungsschutz“. Während die Vorgängerversion also lediglich beim Unfallbegriff ansetzte und den Kausalitätsablauf unberührt ließ, schränkte die Neuregelung in den AUB 61 den Versicherungsschutz für Erkrankungen infolge psychischer Einwirkungen generell ein.44 Des Weiteren sollte aus dem systematischen Zusammenhang zwischen § 2 Nr. 3b AUB 61 und § 2 Nr. 3c AUB 61 deutlich werden, dass auch dann kein Versicherungsschutz bestehe, wenn es sich bei der psychischen Erkrankung um Folgen eines Unfallereignisses handelt.45 Gemäß § 2 Nr. 3c AUB 61 bestehe nur für Vergiftungen infolge Einführung fester oder flüssiger Stoffe Versicherungsschutz, wenn es sich um Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses handele. Aus dieser Ausnahmeregelung, die nicht für § 2 Nr. 3b AUB 61 zur Anwendung gelange, sei im Um-
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Wussow VersR 2000 1183. Henke S. 40; Konen/Lehmann S. 21 f.; Manthey VersR 1974 225, 226. Stockmeier/Huppenbauer S. 70. Wagner ZVersWiss 1975 619, 639; Bruck/
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Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 257; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 100. Wussow VersR 2000 1183. Wussow VersR 2000 1183 f. Wagner ZVersWiss 1977 119, 140.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
kehrschluss zu folgern, dass psychische Einwirkungen auch dann ausgeschlossen seien, wenn es sich um Folgen eines Unfallereignisses handele.46 Den Vorstellungen der Verfasser der AUB 61, die für die Auslegung unerheblich sind (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 63 und 76 ff.), ist die Rechtsprechung z.T. gefolgt.47 Der BGH zeigte sich indes – auch unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der AUB 61 – nicht überzeugt.48 Insbesondere reichten dem BGH die Änderungen in § 2 Nr. 3b AUB 61 im Vergleich zur Vorgängervorschrift in § 2 Abs. 2 Nr. 2a AUB nicht aus. Eine als Unfall zu wertende Gesundheitsschädigung sei auch dann anzunehmen, wenn diese durch eine in unmittelbar kausalem, insbesondere zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehende psychische oder sonstige mittelbare Einwirkung hervorgerufen werde. Sei aber für derartige Gesundheitsschädigungen eine Deckung „an sich“ gegeben, dann könne der Versicherungsschutz für diese Fälle nur durch eine ausdrückliche und eindeutige Regelung ausgeschlossen werden. Die bloße Anführung der „Erkrankungen infolge psychischer Einwirkung“ in § 2 Abs. 2 Nr. 2a AUB a.F. und § 2 Nr. 3b AUB 61 seien aber als reine Klarstellung dahingehend zu verstehen, dass Versicherungsschutz nur dann auszuschließen sei, wenn am Anfang des Ursachenzusammenhangs eine psychische Einwirkung als Primärursache stehe;49 denn dann fehle es bereits an dem Merkmal „von außen“ im Unfallbegriff.50 Folgerichtig wurde dagegen Versicherungsschutz angenommen, wenn ein Unfallereignis einen Schock bei der versicherten Person auslöst, der zum Tod oder zu einer bleibenden Gesundheitsstörung führt.51 Die Beweislast für diese Kausalkette, insbesondere für das Vorliegen eines unfallbedingten Schocks,52 trägt nach allgemeinen Regeln der Anspruchsteller (§ 178 Rn. 168 ff.). Zusammenfassend gilt demnach: Unfallereignis → psychische bzw. nervöse Störung (Schreck bzw. Schock) → Gesundheitsschädigung (organische Erkrankung des Nervensystems) → Unfallfolge (dauerhafter Gesundheitsschaden) ➔ Leistungspflicht des VR.
Die Leistungspflicht des VR sollte etwa für den Fall gelten, dass ein vom voran fahrenden Fahrzeug aufgewirbelter Stein die Windschutzscheibe des Pkw der versicherten Person zertrümmert und die versicherte Person daraufhin (ohne äußere Verletzungen) einen Schock erleidet, der zum Tod führt.53 Die Entscheidung des BGH ist heftig kritisiert worden.54 Dieser Kritik ist i.E. zuzustimmen; denn bei einer rein sinnlichen Wahrnehmung des Zerspringens einer Windschutzscheibe kann ein Unfallereignis (nämlich eine Einwirkung auf den Körper der versicherten Person) nicht angenommen werden (§ 178 Rn. 49 ff.). Bei der Anwendung von § 2 Nr. 3b AUB 61 hat der BGH dagegen berechtigt strenge Maßstäbe angelegt.55 Zwar lässt sich einwenden, dass die Einschränkung des Versicherungsschutzes durch § 2 Nr. 3b gegenstandslos ist, wenn sie nur auf Fälle bezogen wird, die mit einer psychischen Einwirkung beginnen;56 denn an Hypnose oder
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Fußhoeller VersR 1972 1167, 1168; Manthey VersR 1974 225, 226; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 251; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 101. OLG Hamm 13.10.1967 VersR 1968 842, 843. BGH 19.4.1972 VersR 1972, 582, 583 f.; zust. LG Zweibrücken 12.1.1987 RuS 1988 29; ferner OLG Celle 20.7.1978 VersR 1979 51. So auch Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 11; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 102.
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BGH 27.9.1995 BGHZ 131 15, 16. OLG Düsseldorf 5.12.1995 VersR 1997 174. LG Zweibrücken 12.1.1987 RuS 1988 29. BGH 19.4.1972 VersR 1972 582. Fußhoeller VersR 1972 1167 f.; Grewing VersR 1973 8, 9 f.; Grimm 3 § 2 Rn. 105; Konen/Lehmann S. 22; Manthey VersR 1974 225, 226; Wagner ZVersWiss 1975 619, 640 ff.; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 253. S.a. Wagner ZVersWiss 1977 119, 139. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 101.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Unfallversicherung
Telepathie ist in den AUB nicht gedacht. Jedoch folgt daraus noch nicht, dass der Klausel ein weitergehender Regelungsinhalt zugemessen werden darf. Die historische Entwicklung des Ausschlusses und die (hier durchaus berechtigten, Rn. 2) wirtschaftlichen Vorstellungen der Bedingungsgeber spielen von vornherein bei der Prüfung eines – eng auszulegenden (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32) – Ausschlusses nur dann eine Rolle, wenn sie der jeweiligen Klausel zu entnehmen sind. Ob aber ein durchschnittlicher VN, dessen laienhafte Sicht maßgebend ist (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57), aus dem systematischen Verhältnis von § 2 Nr. 3b) und § 2 Nr. 3c) AUB 61 ohne weiteres ableiten kann, dass der Unfallschutz auch ausgeschlossen ist, wenn ein Unfallereignis am Anfang der Kausalkette steht, ist zu bezweifeln.
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b) Organische Erkrankung nach § 10 Nr. 5 AUB 61. § 10 Nr. 5 AUB 61 – verkürzt auch „Neuroseklausel“ genannt 57 – regelt, dass für die Folgen psychischer und nervöser Störungen, die im Anschluss an einen Unfall eintreten, eine Entschädigung nur gewährt wird, wenn und soweit diese Störungen auf eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems oder eine durch den Unfall neu entstandene Epilepsie zurückzuführen sind. Nicht gedeckt sind m.a.W. unfallbedingte nervöse und psychische Erkrankungen, für die organische Gründe nicht feststellbar sind bzw. die allein mit ihrer psychogenen Natur erklärt werden können. Keinesfalls werden alle „psychischen Folgen“ oder – wie in den AUB 88/94/99/2008 – alle „psychische Reaktionen“ vollständig vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.58
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aa) Zweck der Regelung. Ziel des § 10 Nr. 5 AUB 61 AUB war es, das Risiko des VR zu begrenzen. Dieser ist nur bei konkret fassbaren (medizinisch feststellbaren) Folgen psychischer und nervöser Störungen in der Lage, eine sachgemäße Risikokalkulation zu erstellen (Rn. 2). Anderenfalls wäre der VR für die Feststellung seiner Leistungspflicht lediglich auf die subjektiven Angaben des Versichten angewiesen, ohne dass im Streitfall das Vorliegen psychischer und nervöser Störungen nachgewiesen werden könnte.59 Insbesondere sollte gewährleistet werden, dass alle sog. Unfall- bzw. Rentenneurosen (Rn. 5) nicht zu einer Leistungspflicht des VR führen.60 Damit sind in der privaten Unfallversicherung nicht nur solche Unfallneurosen ausgeschlossen, die im Haftpflichtprozess nicht zu einer Haftung des Schädigers führen würden.61
11
bb) Tatbestand. § 10 Nr. 5 AUB 61 setzt folgende Kausalkette voraus: Unfallereignis → organische Erkrankung des Nervensystems bzw. neu entstandene Epilepsie → psychische oder nervöse Störung → Unfallfolgen ➔ Leistungspflicht des VR
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OLG Hamm 10.2.1989 VersR 1989 1142, 1143; OLG Hamm 7.10.1983 VersR 1984 755, 756; OLG Nürnberg 13.7.1989 VersR 1991 536, 538; Grewing Unfallversicherung S. 56; Wagner ZVersWiss 1977 119, 136; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 258. OLG Hamm 27.1.2006 VersR 2006 1352 = RuS 2006 430. AG Mülheim 22.11.1991 RuS 1992 251. OLG Düsseldorf 27.11.1987 VersR 1998 886, 887; OLG Hamm 13.10.1967 VersR
1048
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1968 842, 843; LG Koblenz 6.4.1990 VersR 1990 1384; Konen/Lehmann S. 23; Reichenbach S. 95; Wussow VersR 2000 1183, 1184; eingehend Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 259 f.; s. auch Jannott S. 105 f. OLG Celle 20.7.1978 VersR 1979 51; OLG Frankfurt 9.6.1995 RuS 1995 437, 438; OLG Nürnberg 13.7.1989 VersR 1991 536, 538; LG Kassel 28.4.1993 VersR 1993 1517 (LS).
Kent Leverenz
Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Als organische Erkrankung des Nervensystems hat die Rechtsprechung z.B. eine Ge- 12 hirnerschütterung 62 oder das Hinfallen der versicherten Person mit anschließendem Nervenschock.63 Verneint wurde dagegen das Tatbestandsmerkmal der organischen Erkrankung in folgenden Fällen • „Rentenhysterie“;64 • Tinnitus. Bei Tinnitus-Fällen ist zu differenzieren: Kein Anwendungsfall des § 10 Nr. 5 AUB 61 ist die unfallbedingte Schädigung des Hörorgans oder Hörnervs nach einem Knalltrauma. Daraus resultierende Beeinträchtigungen wie Schwindel oder Schwerhörigkeit sind ohne weiteres vom VR nach allgemeinen Regeln zu regulieren. So kann sich z.B. die (tatsächliche) Frage stellen, ob die vom Anspruchsteller zu beweisende unfallbedingte Kausalität besteht. Umstritten ist dagegen die Beurteilung, wenn es um die Schädigung der an der Oberfläche des Hörorgans im Innenohr (der Schnecke) befindlichen Härchen bzw. Haarzellen geht, die eine „Fehlsteuerung“ des unbeschädigten Hörnervs bewirkt und – selbst bei fehlenden Schallreizen bzw. „Stille“ – mit einem subjektiv pfeifenden Ohrgeräusch bzw. Ohrenrauschen, dem Tinnitus, einhergeht. Während eine Auffassung die Leistungspflicht mit Hinweis auf die Störung der Hörwahrnehmung und Verarbeitung infolge der primären Haarzellenschäden bejaht,65 geht die Gegenauffassung von einem Leistungsausschluss bei Ohrgeräuschen aus, da das Innenohr mit den Haarzellen anatomisch kein Teil des Nervensystems sei.66 • Verätzung, die zu einer Schädigung der distalen Hautnerven führt.67
Zu verlangen ist eine Störung des (normalen) Wohlbefindens, die eine solche Inten- 13 sität erreicht, dass von einer Gesundheitsschädigung gesprochen werden kann. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang von § 10 Nr. 5 AUB 61 zu § 8 AUB 61, in dem die Entschädigungsleistungen nur für bestimmte Gesundheitsschädigungen (z.B. Invalidität) geregelt sind.68 Mit den Worten „psychisch und nervös“ soll eine Einschränkung des Begriffs „Störung“ dergestalt erreicht werden, dass nur Gesundheitsschädigungen gemeint sind, die durch psychische oder nervöse Reaktionen und nicht organisch bedingt sind. Psychisch entspricht dabei seelisch; mit nervöser Reaktion ist die Auswirkung der Reizung oder Verletzung des Nervensystems umschrieben.69 Erfasst sind damit Schäden infolge von Schock-, Schreck- oder Angstreaktionen bzw. psychische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert, die auf einer psychischen Fehlverarbeitung beruhen.70 Dies trifft etwa auf Angstzustände zu.71 Eine unfallbedingte organische Erkrankung des Nervensystems bzw. eine durch den 14 Unfall neu entstandene Epilepsie muss die psychischen oder nervösen Störungen und deren Folgen hervorgerufen haben. Der Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und organischer Erkrankung (Epilepsie), organischer Erkrankung (Epilepsie) und psychischer oder nervöser Störung sowie zwischen psychischer oder nervöser Störung und den Unfallfolgen (z.B. Invalidität) ist anhand der Adäquanztheorie zu beurteilen.72 Der Ursachenzusammenhang ist z.B. zu bejahen, wenn ein Unfallereignis eine Gehirnerschütterung nach sich zieht und diese zu weiteren Beschwerden (Kopfschmerzen, Licht- und
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63 64 65 66
OLG Hamm 30.5.1990 VersR 1991 414; OLG Hamm 10.2.1989 VersR 1989 1142, 1143; offen lassend OLG Hamm 7.10.1983 VersR 1984 755, 756. RG 7.8.1936 VA 1936 229, 230 Nr. 2907. Näher hierzu Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 261. OLG Koblenz 8.7.2005 SVR 2006 104, 106. OLG Frankfurt/M. 9.6.1995 RuS 1995 437, 438.
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OLG Hamm 8.5.1991 RuS 1991 324. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 261. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 261; s.a. Wagner ZVersWiss 1977 119, 141. OLG Koblenz 8.7.2005 SVR 2006 104, 106; OLG Koblenz 27.5.2004 VersR 2005 1137, 1138 = RuS 2005 434, 435. AG Mülheim 22.11.1991 RuS 1992 251. BGH 28.6.1972 VersR 1972 927.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Unfallversicherung
Geräuschempfindlichkeit und mangelnde Merkfähigkeit) führt, die ihrerseits Teilinvalidität begründen.73 Mitursächlichkeit, insbesondere der organischen Erkrankung des Nervensystems oder der durch den Unfall neu entstandenen Epilepsie reicht aus.74 § 10 Nr. 5 AUB 61 kann schon nach seinem Wortlaut nicht so verstanden werden, dass der Leistungsausschluss bereits dann (uneingeschränkt) zur Anwendung gelangt, wenn die unfallbedingt entstandene organische Erkrankung des Nervensystems nicht die alleinige Ursache für die Unfallfolgen (Invalidität) ist. Aus der Formulierung „wenn und soweit die Störungen auf … zurückzuführen sind“ ergibt sich, dass Versicherungsschutz nur „quotenmäßig“ für Folgen psychischer und nervöser Störungen ausgeschlossen ist. Es ist zu differenzieren, welcher Anteil der Störungen auf einer organischen Erkrankung des Nervensystems oder eine durch den Unfall neu entstandene Epilepsie zurückzuführen ist und welcher Anteil nicht. Ein vollständiger Leistungsausschluss bei bloßer Mitursächlichkeit müsste klarer, eindeutig und unmissverständlich geregelt werden.75 Die psychische oder nervöse Störung muss auf eine unfallbedingte organische Erkran15 kung (bzw. neu aufgetretene Epilepsie) „zurückzuführen“ sein. Voraussetzung hierfür ist, dass die unfallbedingte organische Erkrankung der eigentliche Grund der psychischen Störung ist.76 Die psychische Störung muss zum Krankheitsbild der organischen Erkrankung gehören.77 Die psychische Störung ist dagegen nicht Ausdruck einer organischen Erkrankung, wenn die unfallbedingte organische Erkrankung lediglich Auslöser der psychischen Störungen bzw. der letzte Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt;78 denn das Wort „zurückzuführen“ setzt mehr als bloße Kausalität bzw. einen ursächlichen Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne voraus.79 Anderenfalls wären entgegen dem Sinn und Zweck der Klausel auch Neurosen erfasst, für die der verständige VN keinen Versicherungsschutz erwartet. Feststellungen dazu, ob die psychische Erkrankung zum Krankheitsbild der organischen Erkrankung gehört oder lediglich bloße Folgeursache ist, können regelmäßig nur mit Hilfe medizinischer Sachverständiger erfolgen. Beispiele: • Brandverletzung. Treten nach einer schweren Brandverletzung nicht organisch bedingte, psychoreaktive Depressionen auf, so sind diese vom Versicherungsschutz nach § 10 Nr. 5 AUB 61 ausgeschlossen.80 • Erektile Dysfunktion. Psychische Beeinträchtigungen wie z.B. depressive Verstimmungen gehören nicht zu dem Krankheitsbild einer (irreversiblen) erektilen Dysfunktion, die ihrerseits auf einer (sturzbedingten) organischen Erkrankung des Nervensystems beruht. Die erektile Dysfunktion bildet lediglich den Auslöser für eine vom Versicherungsschutz ausgeschlossene psychogene Fehlverarbeitung gemäß § 10 Nr. 5 AUB 61.81
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OLG Hamm 30.5.1990 VersR 1991 414. OLG Hamm 10.2.1989 VersR 1989 1142, 1143; Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn.102; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 103. BGH 27.9.1995 BGHZ 131 15, 21. OLG Frankfurt 9.6.1995 RuS 1995 437, 438; OLG Hamm 10.2.1989 VersR 1989 1142, 1143; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 102; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 103. So u.a. OLG Hamm 5.2.1992 VersR 1993 175, 176.
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OLG Hamm 10.2.1989 VersR 1989 1142, 1143; OLG Koblenz 27.5.2004 VersR 2005 1137, 1139; LG Kassel 28.4.1993 VersR 1993 1517; Marlow RuS 2004 353, 357; Wussow VersR 2000 1183, 1184. OLG Hamburg 13.10.1989 VersR 1990 513; OLG Hamm 8.5.1991 RuS 1991 324; OLG Hamm 30.5.1990 VersR 1991 414; LG Freiburg i.Br. 1.4.2003 VersR 2003 1245, 1246. Vgl. OLG Hamm 24.2.1988 RuS 1988 182. LG Freiburg i.Br. 1.4.2003 VersR 2003 1245, 1246.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
• Gehirnerschütterung. Nach Schädel-Hirn-Traumen klagen die Betroffenen häufig über psychische Symptombildungen wie Gedächtnisstörungen, vegetative Störungen (z.B. Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen), Stimmungsschwankungen, Antriebsminderung und Leistungseinbußen, Depressionen, Reizbarkeit, Verhaltensstörungen usw. Unstreitig sind die typischen Symptome einer Gehirnerschütterung wie Erbrechen, Schwindel und Fallneigung, die im Anschluss an ein Unfallereignis eintreten, nach Maßgabe der jeweils vereinbarten Versicherungsleistungen zu regulieren. Fraglich ist dagegen, ob und inwieweit weitergehende Beeinträchtigungen zur Leistungspflicht des VR führen. Auf eine Gehirnerschütterung zurückzuführen sind psychische Störungen in ihrem konkreten Ausmaß nur dann, wenn sie zum Gehirnerschütterungssyndrom gehören.82 Dies kann nur anhand des konkreten Einzelfalles durch medizinische Sachverständige möglichst nach Auswertung der Krankenunterlagen und Computertomogramme aus der Frühphase der Verletzung, sorgfältiger soziobiographischer Anamneseerhebung unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsstruktur der versicherten Person sowie ggf. nach Heranziehung eines Vorerkrankungsverzeichnisses und Beobachtung der versicherten Person unter stationären Bedingungen entschieden werden. Führt etwa eine unfallbedingte schwere Gehirnerschütterung als Folge einer traumatischen Einwirkung auf ein Körperorgan zu Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche und ähnlichem, so kann Versicherungsschutz zu bejahen sein.83 Dagegen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn eine leichte, allenfalls mittelgradige Gehirnerschütterung, die nach klinischer Erfahrung in einem Zeitraum von bis zu acht Wochen abklingt, eine neurotische Störung (z.B. lang anhaltende Denk- und Konzentrationsstörungen) auslöst, welche bei der versicherten Person bereits latent angelegt war.84 • Hundebiss. Musste die versicherte Person eine erhebliche Verletzung durch einen Hundebiss erleiden und hat sie in der Folgezeit Angst, einem Hund zu begegnen, so ist diese psychische Störung nicht Folge einer organischen Erkrankung des Nervensystems.85 • Schussverletzung. Selbstverständlich hat der VR für die durch die Schussverletzung verursachten organischen Beeinträchtigungen (z.B. der Bewegungs- und Funktionsunfähigkeit des verwundeten Körperteils) zu leisten. Die Verletzung von Nerven durch einen Schuss z.B. in der Hand rechtfertigt dagegen keine Invaliditätsleistung wegen (angstneurotischer) Depressionen, wenn diese darauf zurückzuführen sind, dass die versicherte Person durch ihre Schussverletzung an das (dramatische) Unfallgeschehen (bewaffneter Raubüberfall) erinnert wird.86 • Schmerzstörung. Erleidet die versicherte Person einen Verkehrsunfall, so reicht es für das Vorhandensein einer organischen Erkrankung nicht aus, dass ärztlicherseits eine somatoforme Schmerzstörung mit Schmerzlokalisation im Bereich der unfallbedingten Prellungen festgestellt wird, dieser Schmerzstörung jedoch kein ausschließlicher organischer Hintergrund beizumessen ist und der Unfall sich nur als Auslöser einer schwelenden somatoformen Schmerzstörung darstellt. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Unfallereignis zu einer Anpassungsstörung mit Angst- und depressiver Reaktion sowie zu einer somatoformen Schmerzstörung geführt hat, unfallunabhängig aber eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Anteilen besteht.87 • Verätzung. Die durch eine Verätzung eingetretene Schädigung der distalen Hautnerven stellt bereits keine organische Erkrankung des Nervensystems dar (Rn. 12). Darüber hinaus gehören neurotische Störungen nicht zum Verletzungsbild der Schädigung der distalen Hautnerven.88
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OLG Hamburg 13.10.1989 VersR 1990 513; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 102. OLG Hamm 7.10.1983 VersR 1984 755, 756. OLG Hamburg 13.10.1989 VersR 1990 513; OLG Hamm 30.5.1990 VersR 1991 414; den Versicherungsschutz i.E. ebenfalls ablehnend: OLG Hamm 10.2.1989 VersR 1989 1142,
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1143; OLG Karlsruhe 19.8.1993 RuS 1994 236. AG Mülheim 22.11.1991 RuS 1992 251. LG Koblenz 6.4.1990 VersR 1990 1384. OLG Koblenz 27.5.2004 VersR 2005 1137 (LS) = RuS 2005 434. OLG Hamm 8.5.1991 RuS 1991 324.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.6 16
Unfallversicherung
cc) Wirksamkeit der Klausel. Die „Neuroseklausel“ ist wirksam.89 Sie ist nicht etwa schon deshalb sittenwidrig, weil sich der VR einer unbestimmten Definition bedient und das Ausfüllen des Tatbestands im Streitfall regelmäßig der Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen bedarf. Der Tatbestand ist fernerhin ausreichend verständlich formuliert und lässt keinen rechtlich erheblichen Zweifel über seinen Inhalt.90 2. AUB 88/94
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In den AUB 88/94 wurden die beiden Tatbestände der §§ 2 Nr. 3b) und § 10 Nr. 5 AUB 61 zusammengefasst. Die in § 2 Nr. 3b AUB 61 genannten „psychischen Einwirkungen“ und die „psychischen Störungen“ in § 10 Nr. 5 AUB 61 sollten zukünftig in der Wendung „psychische Reaktionen“ zum Ausdruck kommen.91 Des Weiteren erfolgten inhaltlich im Vergleich der AUB 88/94 zu den AUB 61 eine Erweiterung und eine Einengung: Zum einen wurde der neue Ausschlusstatbestand in § 2 Abs. 4 AUB 88/94 gegenüber den AUB 61 erheblich zum Nachteil des VN erweitert.92 Hintergrund hierfür war, dass das mit den AUB 61 verfolgte Ziel, sämtliche psychischen Reaktionen der versicherten Person auf Ereignisse der Außenwelt vom Versicherungsschutz auszuschließen, nicht erreicht worden war, sondern der Ausschluss nur eingriff, wenn die psychische Einwirkung am Anfang der Kausalkette stand (Rn. 8). Der BGH verlangte vielmehr ausdrücklich, dass zur Erreichung des von den Bedingungsgebern der AUB 61 angestrebten Ziels, der Ausschluss in § 2 Nr. 3b AUB 61 ggf. etwa um den Halbsatz zu ergänzen sei: „… auch wenn diese Einwirkungen auf einem Unfall des Versicherten beruhen.“ 93 Diesem Hinweis sind die Bedingungsgeber in den AUB 88/94 nicht wörtlich gefolgt.94 Stattdessen stellten sie mit der Wendung „gleichgültig, wodurch diese verursacht worden ist“ klar, dass alle krankhaften Störungen infolge psychischer Reaktionen ausgeschossen sind, und zwar unabhängig davon, an welcher Stelle der Kausalreihe die psychische Reaktion die Gesundheitsschädigung bzw. den Tod herbeiführt.95 Zum anderen erfolgte eine für den VN positive Einengung gegenüber der früheren Fassung dergestalt, dass nur psychische, nicht aber nervöse Störungen ausgeschlossen wurden, soweit sie nicht ihrerseits psychogener Natur sind. 3. AUB 99/2008
18
Gegenüber § 2 Abs. 4 AUB 88/94 weicht Ziff. 5.2.6 99 nur insofern ab, als es früher hieß, dass krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen ausgeschlossen sind, „gleichgültig, wodurch diese verursacht sind“, und heute krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen ausgeschlossen sind, „auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“. Damit wird ein Formulierungsvorschlag des BGH aufgegriffen (Rn. 17), ohne dass eine inhaltliche Änderung gegenüber den AUB 88/94 zu verzeichnen ist.96
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OLG Hamm 27.1.2006 VersR 2006 1352 = RuS 2006 430. So OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423 zu einer mit § 10 Nr. 5 AUB 61 vergleichbaren Ausschlussklausel. Konen/Lehmann S. 23. S.a. BGH 13.5.2009 VersR 2009 1213, 1214 f. Rn. 17 = NJW-RR 2009 1193, 1195. BGH 19.4.1972 VersR 1972 582, 584;
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94 95
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so bereits auch OLG Düsseldorf 8.4.1935 VA 1935, 239, 240 Nr. 2811. S. dazu Konen/Lehmann S. 23. OLG Düsseldorf 27.11.1987 VersR 1998 886, 887; OLG Frankfurt/M. 22.7.1999 – 3 U 262/94; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 104; Wussow VersR 2000 1183, 1185. Stockmeier/Huppenbauer S. 70; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 101 a.E.
Kent Leverenz
Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Die VVG-Reform machte keine Anpassung von Ziff. 5.2.6 AUB 99 notwendig. Die 19 Bedingungsgeber der AUB 2008 übernahmen den Ausschluss unverändert, auch wenn die neuere Rechtsprechung praktische Anwendungsschwierigkeiten erzeugt (Rn. 28 und 50 ff.).
B. Tatbestand Um den Versicherungsausschluss annehmen zu können, müssen folgende Fragen 20 bejaht werden: • Liegt eine unfallbedingte psychische Reaktion vor? • Liegt eine krankhafte Störung vor? • Ist Kausalität zwischen der psychischen Reaktion und der krankhaften Störung gegeben?
I. Psychische Reaktionen Der Begriff „psychische Reaktion“ wird gelegentlich als nichts sagend bewertet. Er 21 könne inhaltlich nicht klar bzw. eindeutig und damit verständlich gefüllt werden. In den medizinischen Disziplinen gebe es keine einheitlich anerkannte Definition für „psychische Reaktionen“. Vielmehr seien psychogene Krankheitsbilder seit langem Gegenstand der sog. Leib-Seele-Diskussion.97 Diese Bedenken an der Transparenz des Tatbestandsmerkmals haben sich richtigerweise nicht durchsetzen können. Der durchschnittliche VN kann dem Begriff „psychische Reaktion“ durchaus einen Bedeutungsinhalt beimessen, indem er eine Abgrenzung zu „physischen Reaktionen“ vornimmt. Verbleibende Unsicherheiten gehen beweisrechtlich zu Lasten des Verwenders des Ausschlusses (also zu Lasten des VR). Psychische Reaktion können sowohl auf Einwirkungen von außen (mittels sinnlicher 22 Wahrnehmung bzw. ohne direkte Einwirkung auf den Körper der versicherten Person) über Schock, Schreck, Angst, Furcht, Ärger und Ähnliches 98 als auch – was der häufigere Fall ist – auf unfallbedingter (neurotischer oder psychischer) individueller Fehlverarbeitung beruhen.99 Erfasst sind einerseits z.B. psychische Störungen nach einem Blitzeinschlag.100 Zur Fehlverarbeitung eines Geschehens nach einer unfallbedingten Gesundheitsschädigung zählen andererseits insbesondere sog. Begehrensneurosen wie etwa Rentenneurosen (Rn. 4).101 Unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Klausel (Rn. 2) sollen sog. traumatische Neurosen ausgeschlossen werden. Diese Beeinträchtigungen beruhen auf Vorstellungen des durch einen Unfall Betroffenen, die zwar durch den Unfall ausgelöst wurden, jedoch – insbesondere i.S. medizinischer Wertung – nicht als dessen typische und regelmäßige Folge anzusehen sind.102 Charakteristisch für solche
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Schwintowski NVersZ 2002 395, 396. OLG Jena 20.3.2002 VersR 2002 1019; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 41; Reichenbach S. 95. BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039; BGH 19.3.2003 VersR 2003 634, 635; OLG Oldenburg 21.8.2002 RuS 2004 34; Schwintowski/ Brömmelmeyer § 178 Rn. 22; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 165 f.; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 314; Beckmann/Matusche-
100 101
102
Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 104; Rüffer/ Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 50; Terno DAR 2005 314, 319. LG Landshut 9.12.1996 RuS 1998 129 = ZfS 1998 23. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 104; Luckey SVR 2006 106; Schwintowski NVersZ 2002 395. OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389; OLG Rostock 24.8.2004 VersR 2006 105.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Unfallversicherung
psychischen Störungen sind multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome, die meist seit einigen Jahren bestanden haben, bevor der Patient zum Psychiater überwiesen wird. Die meisten Betroffenen haben in der Primärversorgung und in spezialisierten medizinischen Einrichtungen eine lange und komplizierte Patientenkarriere hinter sich mit vielen Untersuchungen und ergebnislosen Operationen. Die Symptome können sich auf jeden Körperteil oder jedes Körpersystem beziehen. So handelt es sich bei einer Somatisierungsstörung um eine psychische Reaktion i.S.d. AUB. Mit diesem Begriff werden Krankheitserscheinungen und Symptome umschrieben (z.B. Schmerz, Schwächegefühl und Sensibilitätsstörung in den Beinen sowie Harn- und Stuhlinkontinenz), von denen der Betroffene üblicherweise überzeugt ist, dass sie organischen Ursprungs sind.103 Nach dem Wortlaut von Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008, der keine Einschränkung vorsieht, ist es unerheblich, um welche Art von psychischer Reaktion es sich handelt oder welche Schwere sie aufweist. Erfasst sind nicht nur besondere psychische Reaktionen mit pathologischen Zügen, sondern auch Reaktionen, die sich (noch) in der normalen Bandbreite menschlichen Reagierens bewegen.104 Von den unfallbedingten psychischen (nicht versicherten) Reaktionen sind die unfall23 bedingten physischen Reaktionen, d.h. körperliche bzw. organische Vorgänge bei der versicherten Person, abzugrenzen. Sie fallen nicht unter den Ausschluss. So greift Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (bzw. § 2 Abs. 4 AUB 88/94) nicht ein, wenn die Beeinträchtigung der Funktionen der Haut nicht psychogen, sondern unmittelbare Folge der bei dem Unfallereignis erlittenen Verbrühungen ist.105 Gleiches gilt für pathologische Nervenschädigungen.106 Die Abgrenzung zwischen psychischen und physischen Reaktionen kann im Einzelfall (z.B. beim Schleudertrauma der Halswirbelsäule) 107 mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, nämlich dann, wenn neben einer körperlichen bzw. organischen Gesundheitsschädigung psychische Einflüsse hinzukommen. Die entscheidende Kontrollfrage (z.B. bei der Beurteilung der Folgen eines Tinnitus, Rn. 29) lautet in solchen Fällen, ob und in welchem Umfang der beweisbelastete VR – mit Hilfe medizinischer Sachverständiger – eine rein psychische Fehlverarbeitung bei der versicherten Person feststellen kann (Rn. 49 ff.). Von einer psychischen Reaktion (bzw. Fehlverarbeitung) kann von vornherein nicht 24 bei Vorgängen gesprochen werden, die einer Kontrolle der versicherten Person überhaupt nicht zugänglich sind.108 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Ausschlusses. Hat die versicherte Person keine Steuerungs- bzw. Einflussmöglichkeit, so kann nicht von einem „reagieren“, sondern nur von einem „erleiden“ gesprochen werden.109 Dies gilt z.B. für Schockreaktionen aufgrund unfallbedingter körperlicher Vorgänge, die durch Flüssigkeitsverluste oder -verschiebungen hervorgerufen sind oder aus dem Eindringen von Antigenen, Allergenen oder Toxinen resultieren.110 Der Ausschlusstatbestand greift des Weiteren nicht im Fall einer Aortendissektion (Riss) infolge eines Blutdruckanstiegs ein, wenn der Anstieg des Blutdrucks unmittelbar nach einem Unfallereignis aus der Ausschüttung von Stresshormonen und muskulären Reaktionen resultiert.111 Der Blutdruck-
103 104 105 106 107
OLG Hamm 25.1.2006 VersR 2006 1394, 1395 = RuS 2006 428, 429 = ZfS 2006 335 Wussow VersR 2000 1183, 1186. OLG Saarbrücken 8.5.1996 VersR 1997 955, 958. OLG Frankfurt/M. 24.8.2005 VersR 2006 964 = RuS 2007 207. Ayasse VersR 1992 1195, 1196.
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108 109 110 111
In diese Richtung bereits Henke S. 41. Ähnlich OLG Düsseldorf 27.11.1997 VersR 1998 886, 887. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 104. BGH 19.3.2003 VersR 2003 634, 635; zust. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 104; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 128 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
anstieg infolge unfallbedingten Stresses ist von der Psyche der versicherten Person weder beeinflussbar noch zeugt er von einer Überempfindlichkeit der versicherten Person. Vielmehr liegt eine unwillkürlich und automatisch ablaufende Reaktion vor, die unmittelbar von äußeren Reizeinflüssen beeinflusst, physischer Natur bzw. zwingender Bestandteil körpereigener Genese ist.112
II. Krankhafte Störungen Der Begriff „krankhafte Störung“ ist denkbar weit gefasst. Gleichgültig ist zunächst, 25 ob die Störung die Psyche, Nerven oder den Organismus betrifft.113 Da allerdings die krankhafte Störung Folge einer psychischen Reaktion sein muss, werden physische bzw. organische Erkrankungen spätestens durch das Kausalitätserfordernis aus dem Tatbestand eliminiert. Unter krankhafter Störung wird deshalb im Zusammenhang mit Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) oftmals von vornherein nur gesprochen, wenn eine psychische Fehlverarbeitung vorliegt, die ihrerseits Krankheitswert hat.114 Die psychische Beeinträchtigung kann sich äußern z.B. in Depressionen,115 Schmerzen,116 Gefühlstaubheit oder Konzentrationsschwäche.117 In der Medizin werden folgende Fallgruppen unterschieden: Undifferenzierte Somatisierungsstörung, depressive Entwicklungen, Angststörungen und Konversionssymptome.118 Der Tod der versicherten Person kann dagegen nicht als krankhafte Störung bewertet werden. Der Tod mag zwar noch als absolute Störung der Gesundheit angesehen werden können (vgl. § 178 Rn. 119). Jedoch fällt der Tod nach dem für die Auslegung von AUB maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch (Vorbem. Ziff. 1 AUB Rn. 66 ff.) nicht unter den Krankheitsbegriff. Krankheit setzt nach den Verständnismöglichen eines durchschnittlichen VN Leben einen vorübergehenden (heilbaren) Zustand voraus (vgl. § 182 Rn. 6).119 Vom Ausschluss nicht erfasst sind normale physiologische Vorgänge ohne Krankheits- 26 wert.120 So weist die durch ein Unfallereignis (z.B. im Straßenverkehr) ausgelöste, hormonell bedingte Stresssituation als solche noch keinen Krankheitswert auf. Die blutdrucksteigernde Hormonausschüttung stellt in dieser Situation einen normalen physiologischen Vorgang dar, der der bestmöglichen Bewältigung der Gefahrensituation dient (Rn. 24).121 Keine krankhafte Störung ist des Weiteren ein bloßes (augenblickliches) Fehlverhalten der versicherten Person. Unerheblich ist dabei, ob das Fehlverhalten auf besonderer Veranlagung wie Schreckhaftigkeit, Ängstlichkeit, Sensibilität, Labilität oder Unkonzentriertheit bzw. leichter Ablenkbarkeit (mit-)beruht.122 Nicht vom Ausschluss erfasst sind etwa Schreckreaktionen, die ein Unfallereignis verursachen,123 so z.B. wenn
112
113 114 115 116
§ 47 Rn. 105; a.A. in der Vorinstanz das OLG Jena 20.3.2002 VersR 2002 1019 mit Anm. von Knappmann VersR 2002 1230 und Schwintowski NVersZ 2002 395. S. u.a. Kessal-Wulf RuS 2008 313, 314; Kloth Rn. K 102; Terno DAR 2005 314, 319. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 106. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 41; Rixecker ZfS 2003 306 OLG Koblenz 6.9.2004 RuS 2005 391. OLG Koblenz 11.2.2004 RuS 2004 516, 517.
117 118 119 120 121 122 123
LG Landshut 9.12.1996 RuS 1998 129. Näher hierzu Rehfeldt/Sittaro/Wehking VersM 2001 22 ff. LG Dortmund 11.8.2005 RuS 2006 468 f. = NJW-RR 2005 320, 321. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 41; Terno DAR 2005 314, 319. BGH 19.3.2003 VersR 2003 634, 635; Kessal-Wulf RuS 2008 313, 314. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 104. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 104; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 103.
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Unfallversicherung
ein Fahrfehler der erschreckten versicherten Person im Straßenverkehr nach Beobachten einer gefährlichen, für ihn aber folgenlos verlaufenden Situation anschließend zu einem Zusammenstoß mit Verletzungsfolge führt. Unschädlich ist aber auch ein Fehlverhalten, das aus einer psychischen Reaktion auf ein Unfallereignis resultiert. Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist, dass der Fehler der versicherten Person ein weiteres Unfallereignis verursacht und erst dadurch eine Gesundheitsschädigung herbeigeführt oder verstärkt wird. Dies gilt etwa für den Fall, dass der versicherte Fahrradfahrer von einem Kfz angefahren wird, ohne verletzt zu werden, dann aber beim Weiterfahren mit dem Fahrrad infolge einer aufregungsbedingten Unachtsamkeit stürzt und dabei eine Gesundheitsschädigung erleidet.
III. Kausalität 27
Zwischen der psychischen Reaktion und der krankhaften Störung muss ein Kausalzusammenhang („infolge“) bestehen.124 Dieser ist nach der Adäquanztheorie zu beurteilen.125 Die Grundfrage lautet, ob in der Kausalkette eine psychische Reaktion – typischerweise und nicht nur unter ganz ungewöhnlichen Umständen – nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der weitere Verlauf der Kausalreihe oder der Erfolgt entfällt. Ist dies der Fall, so greift der Ausschlusstatbestand ein.126 Mitursächlichkeit der psychischen Reaktion lässt – anders als bei anderen Ausschlüssen – nach umstrittener, aber zustimmungswürdiger Ansicht den Versicherungsschutz nicht per se vollständig entfallen.127 Dieses Ergebnis kann in beweisrechtlicher Hinsicht zu erheblichen Schwierigkeiten für den VR führen (Rn. 49 ff.). Der Ausschluss in Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) erfasst nur krank28 hafte Störungen, die auf einer psychischen Reaktion und nicht auf einer Verletzung des Körpers beruhen. Notwendig ist, dass es an körperlichen Traumata fehlt oder die krankhafte Störung des Körpers allein mit ihrer psychogenen, d.h. seelisch bedingten, rein mentalen Natur (insbesondere mit einer Fehlverarbeitung, aber auch einer Persönlichkeitsstörung) 128 erklärt werden kann.129 • So liegt etwa der Fall, wenn nach einem Blitzeinschlag in unmittelbarer Nähe der versicherten Person bei dieser erst nach mehreren Tagen bzw. Wochen Gefühlsstörungen an Arm und Bein auf-
124 125
126 127 128 129
BGH 19.3.2003 VersR 2003 634, 635; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 129. OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602, 603; LG Köln 12.12.2007 VersR 2008 812; Marlow RuS 2006 397, 399; Stockmeier/Huppenbauer S. 73. Reichenbach S. 96. Offen lassend Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 129. LG Köln 12.12.2007 VersR 2008 812 f. BGH 15.7.2009 VersR 2010 60 mit Anm. Abel; BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449, 1450; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039; OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389; OLG Frankfurt/M. 22.7.1999 – 3 U 262/94; OLG Jena 12.1.2002 RuS 2003 379, 380; OLG Koblenz 11.2.2004 RuS 2004 516, 517
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(LS); OLG Rostock 24.8.2004 VersR 2006 105 = RuS 2006 124 (LS); OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602, 603; OLG Stuttgart 5.6.2008 VersR 2008 1343; LG Dortmund 26.3.2009 NJW-RR 2010 42; LG Köln 12.12.2007 VersR 2008 812; Grimm4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 104; Kloth Rn. K 101 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 106; Marlow RuS 2006 397, 398; ders. RuS 2005 357, 360; Rixecker ZfS 2003 306; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 50; Terno DAR 2005 314, 319; s.a. BGH 13.5.2009 VersR 2009 1213, 1215 Rn. 17 = NJW-RR 2009 1193, 1195; OLG Hamm 27.1.2006 VersR 2006 1352 = RuS 2006 430.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
treten. Hier fehlt es nach fachmedizinischen Erkenntnissen an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Blitzeinschlag und den ohne „Brückensymptome“ später auftretenden Beschwerden.130 Ähnliches gilt sowohl für eine posttraumatische Belastungsstörung als auch eine somotaforme Schmerzstörung.131 Die posttraumatische Belastungsstörung tritt typischerweise nach einem extrem belastenden Ereignis (z.B. Unfall oder Katastrophe) ein, welches mit starker Furcht und Hilflosigkeit verbunden ist. Bei ihr handelt es sich um eine psychische Störung als Reaktion auf den Unfall und nicht um eine (zwangsläufige) psychische Störung als Reaktion auf eine durch den Unfall erlittene physische Erkrankung, so dass der Ausschluss begründet ist.132 Zwar kann das Erleben bzw. Erleiden eines schwer belastenden Ereignisses als Stressreaktion eine Cortisolausschüttung (Ausschüttung von Steroid-Hormonen) hervorrufen. Jedoch ist dies zum einen nicht zwingend. Die bei jedem Menschen nach einem schwer belastenden Ereignis auftretende Cortisolausschüttung (ein biologisch-chemischer Prozess im Gehirn) bedingt nicht zwangsläufig eine posttraumatische Belastungsstörung. Vielmehr ist die postraumatische Belastungsstörung von vielen individuellen Umständen der versicherten Person abhängig. Zum anderen handelt es sich nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen bei der unfallbedingten Cortisolausschüttung nicht um eine unfallbedingte organische Ersterkrankung bzw. physische Reaktion und bei der posttraumatischen Belastungsstörung um eine psychische Folgeerkrankung. Der einheitliche Krankheitsprozess kann nicht in eine primäre organische Schädigung (biologische Ursache) und eine dann entstehende psychische Folgeerkrankung zergliedert werden.133 • Kein Ausschluss besteht dagegen für krankhafte Störungen, die eine physische bzw. organische Ursache haben (Rn. 23). Für diese hat der VR einzustehen,134 und zwar auch dann, wenn im Einzelfall das Ausmaß, in dem sich die organische Ursache auswirkt, von der psychischen Verarbeitung durch die versicherte Person abhängt.135 Solche seelische Beschwerden beruhen nicht, wie die Klausel in Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) wörtlich verlangt, ihrerseits auf psychischen Reaktionen.136 • Zu weitgehend ist die Schlussfolgerung, dass der Ausschluss nur dann eingreift, wenn die psychische Reaktion ohne nachfolgendes Dazwischentreten physischer Ursachenglieder die krankhafte Störung verursacht hat, also die psychische Reaktion zwar nicht einziges, jedoch letztes Glied der Ursachenkette war.137 Der Wortlaut von Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) setzt keinen unmittelbaren Kausalzusammenhang voraus. Ausreichend kann vielmehr auch eine mittelbare Verknüpfung zwischen psychischer Reaktion und krankhafter Störung sein, wenn und soweit die krankhafte Störung allein auf der psychischen Störung beruht bzw. (später eingetretene) physische Ursachen keinen Einfluss mehr erlangt haben.
Die Grenzziehung psychisch und physisch bedingter krankhafter Störungen wird oft nicht messerscharf möglich sein.138 Daraus resultierende Unsicherheiten sind auf der Beweisebene zu lösen (Rn. 49 ff.). Als Orientierung kann die Auslegung zu § 10 Nr. 5 AUB 61, insbesondere zum Tatbestandsmerkmal „zurückführen“ (Rn. 15), dienen: • Gehören die psychischen Symptombildungen zum (adäquat kausalen) Krankheitsbild der physischen Gesundheitsschädigung, so greift Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) nicht ein. Der VR ist grundsätzlich leistungspflichtig. Der Umfang der Leistungspflicht bestimmt sich danach, welche Folgen eines unfallbedingten Körperschadens nicht allein mit ihrer psychogenen
130 131
132 133 134
LG Landshut 9.12.1996 RuS 1998 129. S.a. OGH 30.5.2007 VersR 2008 1423; LG Dortmund 26.3.2009 NJW-RR 2010 42; LG Nürnberg-Fürth 23.10.2008 VersR 2009 922, 923. OLG Brandenburg 27.10.2005 VersR 2006 1251 f.; zust. Marlow RuS 2007 353, 357. So die Argumentation des OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389 f. So u.a. Terno DAR 2005 314, 319.
135
136
137 138
BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449, 1450; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 106; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 51; Wussow WI 2004 205. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039; s. auch OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602, 603. So aber Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 129. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 106.
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Unfallversicherung
Natur erklärt werden können, weil sie etwa in Anbetracht der Schwere des Unfalls oder der eingetretenen Körperschäden gleichsam verständlich und nachvollziehbar sind.139 • Sind die psychischen Symptombildungen lediglich aus Anlass der physischen Gesundheitsschädigung eingetreten bzw. waren der Unfall und seine physischen Folgen nur Auslöser einer (eventuell auch latent schon vorhandenen) psychischen Erkrankung, so ist Raum für die Anwendung von Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94).140 Es ist zu ermitteln, zu welchen Anteilen die physische und die psychische Reaktion für die krankhafte psychische Erkrankung adäquat kausal sind.
IV. Tinnitus 29
Hat die versicherte Person einen Tinnitus (Ohrgeräusche, Ohrenpfeifen, Rn. 12) aufgrund einer knalltraumatischen Schädigung der Haarzellen im Innenohr erlitten, so kann die Abgrenzung zwischen unfallbedingten psychischen (nicht versicherten) Faktoren/ Leiden einerseits und unfallbedingten physischen bzw. organisch bedingten (versicherten) Schädigungen problematisch sein; denn der Tinnitus kann einerseits eine organische (Haarzellenschädigung) und andererseits eine nicht organische Ursache (Nervenschädigung) haben.141 Unstreitig ist hier, dass der VR nach allgemeinen Regeln für organische Schäden wie Schwerhörigkeit oder Hörverlust, aber auch Schwindel- und Gleichgewichtsstörungen 142 zu leisten hat, die die versicherte Person aufgrund des Unfallereignisses (Knalltraumas) erlitten hat.143 Umgekehrt dürfte darüber Einigkeit bestehen, dass der Tinnitus als solcher keine Unfallfolge (Invalidität) begründet bzw. eine Leistungspflicht des VR auslöst,144 da er selbst keinen Krankheitscharakter aufweist.145 Es handelt sich um ein subjektiv wahrgenommenes, tatsächlich aber nicht vorhandenes Ohrgeräusch.146 Selbstständige Krankheitsbilder können sich allerdings aus den psychischen Auswirkungen des Tinnitus ergeben. Der Tinnitus kann – je nach subjektivem Empfinden der versicherten Person – zu schweren Belastungen und Beeinträchtigungen führen wie Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Depressionen oder Ähnlichem und dadurch Unfallfolgen begründen (z.B. Invalidität) oder verschärfen (z.B. Erhöhung des Invaliditätsgrades). Ob und unter welchen Voraussetzungen die Leistungspflicht des VR für diese Unfallfolgen ausgeschlossen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Das OLG Köln hat eine Leistungspflicht des VR verneint, und zwar auch für den Fall, dass der Tinnitus als solcher nicht ausschließlich auf einer psychischen Reaktion beruht, sondern auch als unmittelbare Folge eines Unfallereignisses eingetreten ist.147 Der BGH ist dem nicht gefolgt. Er verlangt eine genaue Abgrenzung dazu, ob und inwieweit die Beschwerden
139
140
141
OLG Hamm 25.1.2006 VersR 2006 1394, 1396 = RuS 2006 428 = ZfS 2006 335, 336; zust. Marlow RuS 2007 353, 357; ferner Kloth Rn. K 103 f.; abl. dagegen Abel/ Winkens VersR 2009 30, 34; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 107; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 143. OLG Hamm 25.1.2006 VersR 2006 1394, 1396; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 107. Abel/Winkens VersR 2009 30, 32 f.; Naumann/Brinkmann § 6 Rn. 33 ff.
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142 143
144 145 146 147
S. etwa van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 142. OLG Frankfurt/M. 9.6.1995 RuS 1995 437, 438; OLG Köln 12.1.2000 VersR 2000 1489 f.; Wussow WI 2004 205. Wussow WI 2004 205, 206. OLG Köln 12.1.2000 VersR 2000 1489 f. OLG Frankfurt/M. 9.6.1995 RuS 1995 437, 438. OLG Köln 12.1.2000 VersR 2000 1489 f.; ablehnend Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 104.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
von psychischen Faktoren abhängig sind (Dekompensation des Tinnitus) oder physische bzw. organische Ursachen haben (aus der Sinneszellenschädigung resultieren). Unklarheiten sollen dabei zu Lasten des VR gehen.148 Der Auffassung des BGH ist zuzustimmen. Maßgebend für das Eingreifen des Ausschlusses bei Tinnitus-Folgen ist letztlich, ob und inwieweit der VR eine psychische Fehlverarbeitung bei der versicherten Person feststellen kann. Sind organische Schädigungen (etwa der Haarzellen) nicht objektivierbar, so greift der Ausschluss ein.149 Sofern allerdings ernsthaft in Betracht kommt, dass psychische Störungen (auch) eine organische Ursache haben können, dürfen diese nicht einfach übergangen werden. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Ausschlusses, der einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen psychischer Reaktion und Krankheitsbild verlangt (Rn. 27). Ferner ist das Verständnis eines durchschnittlichen VN zu berücksichtigen. Er wird einerseits nachvollziehen können, dass der VR keinen Versicherungsschutz für den besonders Sensiblen oder Anfälligen bieten will. Andererseits wird er aber auch erwarten, dass der VR für psychische Folgen leistet, die „jedermann“ mit normaler Veranlagung treffen können und die außerhalb des Einflussbereichs der versicherten Person liegen (Rn. 2). Ob durch Tinnitus verursachte psychische Beschwerden nach einem traumatischen Unfallereignis „normal“ und unwillkürlich sein können (dann Versicherungsschutz) oder stets auf eine Dekompensation bzw. psychische Fehlverarbeitung eines Unfallereignisses zurückzuführen sind (dann Eingreifen des Ausschlusstatbestandes) 150 bzw. in welchem Verhältnis die jeweiligen Anteile zueinander stehen, kann wohl nur mit medizinischer Hilfe ermittelt werden. Zum Krankheitsbild des durch ein Unfallereignis verursachten Tinnitus gehört jedenfalls nach medizinischen Erkenntnissen nicht zwingend das Auftreten von psychischen Begleiterscheinungen mit Krankheitscharakter.151 Zusammenfassend gilt: Unfallereignis → (physische, organische) Gesundheitsschädigung (Knalltrauma mit Haarzellenschädigung) → Unfallfolge (Invalidität aufgrund Schwerhörigkeit) → psychische Reaktion (Dekompensation des Tinnitus)? → Unfallfolge (Erhöhte Invalidität aufgrund von Depressionen usw.) ➔ Leistungspflicht des VR für Invalidität aufgrund Schwerhörigkeit, aber auch für Folgen der Depression usw., wenn psychische Fehlverarbeitung nicht vorlag bzw. nicht nachweisbar ist.
C. Fallgruppen Folgende Fallgestaltungen lassen sich unterscheiden:152
30
I. Psychische Reaktion ohne ein Unfallereignis Kein Anwendungsfall des Ausschlusstatbestandes nach Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 liegt 31 vor, wenn die versicherte Person selbst keinen Unfall erleidet. Ist eine psychische Einwirkung die alleinige Ursache einer Erkrankung und Gesundheitsschädigung der versicher-
148
149 150
BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449, 1450; zur Entscheidung s.a. Kessal-Wulf RuS 2008 313, 315. LG Nürnberg-Fürth 23.10.2008 VersR 2009 922 f. Bezweifelnd, dass Beeinträchtigungen bei Tinnitus allein psychischer Natur sind
151 152
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 42. OLG Köln 12.1.2000 VersR 2000 1489, 1490. Stockmeier/Huppenbauer S. 71 f.; s.a. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 107; ferner Abel/Winkens VersR 2009 30, 31 ff.
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Unfallversicherung
ten Person bzw. liegt keine organische Schädigung der versicherten Person vor, so fehlt es bereits am Eintritt des Versicherungsfalls (§ 178 Abs. 2 S. 1), nämlich an dem Ereignis, das von außen auf den Körper der versicherten Person einwirkt.153 Auf den Ausschluss kommt es dann nicht mehr an. Psychische Reaktion → Gesundheitsschädigung (krankhafte psychische Störung) → „Unfallfolge“ ➔ Keine Leistungspflicht des VR
So liegt z.B. der Fall, wenn die versicherte Person eine schlechte Nachricht oder Trauerbotschaft (etwa die Meldung vom Tod eines Angehörigen) erhält,154 den (tödlichen) Unfall eines Angehörigen (aus nächster) Nähe beobachten muss oder einen Sachschaden wahrnimmt, dadurch einen Depressionsschub (Gesundheitsschädigung) erleidet, der zu einer Unfallfolge (z.B. Invalidität oder Notwendigkeit eines Krankenhausaufenthaltes) führt. Bei reinen Schock-, Schreck- und Angstneurosen ist schon das Unfallereignis zu verneinen.155 Entsprechendes gilt, wenn die versicherte Person eine bedrohliche Situation ohne jede mechanische Einwirkung auf ihren Körper oder ihr unmittelbares Umfeld erlebt (z.B. Vermeidung eines gefährlichen Zusammenstoßes im Straßenverkehr) und es deshalb zu einem tödlichen Schock 156 oder zur Ausschüttung von Stresshormonen kommt, die einen Gesundheitsschaden verursachen. Ein körperliches Trauma als Erstursache, das geringfügig sein kann, ist für den Versicherungsschutz unverzichtbar.157 Kann ein adäquater Kausalzusammenhang mit einem körperlichen Traumata nicht nachgewiesen werden, greift der Ausschlusstatbestand ein.158
II. Psychogene Faktoren verursachen ein Unfallereignis 32
Führen psychogene Faktoren zu einem Unfallereignis oder tragen sie dazu bei, so hat der VR für die durch die Gesundheitsschädigung eingetretenen Unfallfolgen zu leisten.159 Für die Anwendung der Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 besteht kein Raum. Zum einen stellt ein bloßes Fehlverhalten der versicherten Person etwa nach einem Schock noch keine krankhafte Störung dar (Rn. 26). Zum anderen fehlt es an der Kausalität zwischen der psychischen und der krankhaften Störung, da das Unfallereignis und nicht eine psychische Reaktion auf das Unfallereignis die Gesundheitsschädigung unmittelbar hervorgerufen hat. Vielmehr wirkt sich die Ursache für das Unfallereignis (das psychisch bedingte Verhalten) auf die Gesundheitsschädigung und die Unfallfolgen nicht aus. In Betracht kommt in solchen Fällen nur, dass ein anderer Ausschlusstatbestand eingreift, weil z.B. ein psychisch bedingtes Fehlverhalten aus einer Straftat resultiert oder Ausfluss einer Bewusstseinsstörung oder Geisteskrankheit ist. Psychogene Faktoren → Unfallereignis → Gesundheitsschädigung (krankhafte physische Störung) → Unfallfolge ➔ Leistungspflicht des VR
153
154 155
BGH 27.9.1995 BGHZ 131 15, 16; Abel/Winkens VersR 2009 30, 32; Fußhoeller VersR 1972 1167, 1168. LG München I 22.6.1993 RuS 1993 479, 480. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 104; Henke S. 40; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 99; a.A. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 61 Rn. 11.
1060
156 157 158 159
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 105. Knappmann RuS 2007 45, 49. OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 165; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 41; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 105; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 144; Wussow VersR 2000 1183, 1185.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Der VR ist z.B. zur Leistung verpflichtet, wenn die versicherte Person eine Straße befährt und sich aufgrund eines plötzlichen Wildwechsels, der nicht zu einem Zusammenstoß führt, erschrickt und dadurch einen Schock erleidet, anschließend mit dem Pkw mit einem anderen Verkehrsteilnehmer oder einen Gegenstand zusammenprallt und aus dem Verkehrsunfall eine Verletzung resultiert, die Unfallfolgen (z.B. Invalidität, Tod) begründet.160 Gleiches gilt, wenn der versicherte Kraftfahrer aus Zorn, Ärger oder aus Angst unkonzentriert ist oder sich falsch verhält.161 Versicherungsschutz besteht auch, wenn die versicherte Person ins Wasser stürzt und dann vor Aufregung oder Panik bestehende Rettungsmöglichkeiten nicht nutzt und deshalb ertrinkt.162
III. Psychische Reaktion folgt auf ein Unfallereignis Liegt ein Unfallereignis (ohne organische Schädigung) vor, dass bei der versicherten 33 Person wegen der erlebten angstvollen und bedrohlichen Situation eine psychische Reaktion auslöst, und führt der Schock zu einer Gesundheitsschädigung mit Unfallfolgen, so ist der Versicherungsschutz gemäß Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) ausgeschlossen.163 Auslegungszweifel, die zu den AUB 61 bestanden (Rn. 8), sind durch die eindeutige Formulierung „auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“ (AUB 99/2008) bzw. „gleichgültig, wodurch diese verursacht sind“ (AUB 88/94) ausgeräumt. Der Ausschluss erfasst alle krankhaften Störungen des Körpers, die allein mit ihrer psychogenen Natur erklärbar sind.164 Unfallereignis → psychische Reaktion → Gesundheitsschädigung (krankhafte psychische Störung) → Unfallfolge ➔ Keine Leistungspflicht des VR
Zertrümmert etwa ein Stein die Windschutzscheibe des von der versicherten Person gelenkten Pkw und erleidet die versicherte Person daraufhin einen Schock, der zu einem tödlichen Herzversagen führt, so ist der Versicherungsschutz jedenfalls gemäß Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 ausgeschlossen, selbst wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung (§ 178 Rn. 49 ff.) ein Unfallereignis im Zerspringen der Windschutzscheibe gesehen wird. Bei Bagatellunfallereignissen ohne (nennenswerten) objektivierbaren, krankhaften Befund wird darüber hinaus häufig zweifelhaft sein, ob der Anspruchsteller den von ihm gemäß § 286 ZPO zu erbringenden Beweis (§ 179 Rn. 168 ff.) für den adäquaten (haftungsbegründenden) Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung führen kann.
IV. Psychische Reaktion folgt auf eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung Die maßgebliche Weichenstellung für die Anwendbarkeit des Ausschlusses hängt von 34 der Wertung ab, ob es sich bei der psychischen Reaktion um eine Fehlverarbeitung oder um eine praktisch nicht vermeidbare Begleiterscheinung der unfallbedingten Gesundheitsschädigung handelt.165 160 161 162 163
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 105. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 98. Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 105. Abel/Winkens VersR 2009 30, 32; Knappmann NVersZ 2002 1, 4; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 41; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 127.
164 165
OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389. S.a. OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389; OLG Düsseldorf 23.5.2006 VersR 2006 1487, 1488 = RuS 2007 256, 257; LG Köln 12.12.2007 VersR 2008 812.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Unfallversicherung
1. Psychische Reaktion als Fehlverarbeitung
35
Durch Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) sind alle Gesundheitsschäden ausgeschlossen, die nach einer unfallbedingten Gesundheitsschädigung erst durch eine psychische Reaktion (Fehlverarbeitung) entstehen oder verschlimmert werden.166 Zwei Konstellationen lassen sich unterscheiden: Psychische Reaktion folgt auf eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung mit Unfall36 folge: Ruft ein Unfallereignis eine Gesundheitsschädigung mit dauerhaften Schäden hervor und werden diese Unfallfolgen anschließend (ausschließlich) durch eine psychische Reaktion noch weiter verschlimmert, so hat der VR nur die bereits vor Eintritt der psychischen Reaktion entstandenen Schäden zu regulieren. Die danach aufgrund der psychischen Folgereaktion eingetretene Verschlimmerung des Gesundheitszustandes wird vom Ausschluss der Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) erfasst.167 Zwar basiert die psychische Reaktion unmittelbar auf der ersten Unfallfolge und mittelbar auf dem Unfallereignis, jedoch spielt dies nach dem Wortlaut des Ausschlusses – anders als noch in den AUB 61 – in den AUB 88/94/99/2008 keine Rolle. Unfallereignis → Gesundheitsschädigung (krankhafte physische Störung) → Unfallfolge → Psychische Reaktion → Verschlimmerung der Unfallfolgen (krankhafte psychische Störung) ➔ Leistungspflicht des VR für die Unfallfolgen; keine Leistungspflicht des VR für die weiteren Unfallfolgen
Muss z.B. der versicherten Person nach einem Verkehrsunfall ein Bein amputiert werden, so hat der VR für die daraus resultierende Invalidität (nach der Gliedertaxe) zu leisten. Führt die Beinamputation darüber hinaus zu einer Depression der versicherten Person, die den Invaliditätsgrad weiter erhöht, so greift der Ausschlussgrund ein.168 Psychische Reaktion folgt auf eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung vor Eintritt 37 der Unfallfolge: Hat ein Unfallereignis eine (nicht dauerhafte) Gesundheitsschädigung hervorgerufen und treten die Unfallfolgen dann erst aufgrund einer psychischen Reaktion der versicherten Person (Fehlverarbeitung) ein, so ist der Versicherungsschutz gemäß Ziff. 5.2.6 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) ausgeschlossen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Unfallfolgen unabhängig von der psychischen Reaktion eingetreten sind. Unfallereignis → Gesundheitsschädigung (krankhafte physische Störung) → Psychische Reaktion → Gesundheitsschädigung (krankhafte psychische Störung) → Unfallfolge ➔ Keine Leistungspflicht des VR, soweit die psychische Reaktion die Unfallfolge verursacht hat
Führt etwa ein Unfallereignis zu einem Schädelhirntrauma (Gesundheitsschädigung) und klagt die versicherte Person anschließend über Leistungsminderungen ihres Gedächtnisses und Depressionen, wodurch erst Unfallfolgen (z.B. Notwendigkeit eines Krankenhausaufenthaltes) begründet werden, so sind die psychischen Symptombildungen nur dann nicht vom Ausschluss in Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 erfasst, wenn sie auf eine Hirnsubstanzschädigung bzw. einen organischen Hirnschaden zurück zu führen sind.169 Vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind weiterhin etwa posttraumatische Belastungsstörungen (Rn. 28). 166
OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389; OLG Frankfurt/M. 22.7.1999 – 3 U 262/94; OLG Jena 12.1.2002 RuS 2003 379, 380; OLG Koblenz 22.6.2001 VersR 2001 1550, 1551; OLG Oldenburg 21.8.2002 RuS 2004 34; OLG Rostock 24.8.2004 VersR 2006 105 = RuS 2006 124 (LS).
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167 168 169
So u.a. auch Schwintowski NVersZ 2002 395, 396. Wussow VersR 2000 1183, 1185. Knappmann NVersZ 2002 1, 4; Wehking VersR 1992 1448, 1449.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
2. Psychische Reaktion als notwendige Begleiterscheinung Abzugrenzen von der vorgenannten Fallgruppe sind die Sachverhalte, in denen ein 38 Unfallereignis eine organische Schädigung oder physische Reaktion hervorruft, die (ohne Fehlverarbeitung o.ä. durch die versicherte Person) zu einem psychischen Leiden bzw. Symptombildungen führt. Handelt es sich bei psychischen Reaktion um eine praktisch nicht vermeidbare Begleiterscheinung der organischen Schädigung, so findet der Ausschluss in Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 keine Anwendung.170 Es fehlt an der tatbestandlich vorausgesetzten psychischen Reaktion und dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen psychischer Reaktion und krankhafter Störung (Rn. 23 und 28). Unfallereignis → Gesundheitsschädigung (krankhafte physische Störung) → Gesundheitsschädigung (krankhafte psychische Reaktion) → Unfallfolge ➔ Leistungspflicht des VR
Versicherungsschutz besteht z.B., wenn die krankhafte Veränderung der Psyche der versicherten Person auf eine Hirnsubstanzschädigung bzw. einen organischen Hirnschaden zurück zu führen ist.171 So liegt z.B. der Fall, in dem die versicherte Person aufgrund einer unfallbedingten Hirngewebsläsion (physische Störung) an Depressionen (psychische Reaktion) leidet, die die Ursache für ihren Suizid (Tod als Unfallfolge) bilden.172 Entsprechendes kommt bei Tinnitus-Fällen in Betracht (Rn. 29).
D. Wirksamkeit des Ausschlusses Es ist streitig, ob der Ausschluss von krankhaften Störungen infolge psychischer Reak- 39 tionen gegen das AGB-Recht verstößt. Die dahingehende (vereinzelt geäußerte) Auffassung 173 hat sich nicht durchsetzen können. Vielmehr haben die Gerichte (insbesondere auch der BGH) unter weitgehender Zustimmung in der Literatur174 ausdrücklich für § 2 Abs. 4 AUB 88/94 175 und die gleich lautende Bestimmung des § 19 Abs. 7 AKB 176, aber auch § 10 Nr. 5 AUB 61 (Rn. 16) die Wirksamkeit des Ausschlusses bestätigt.177 Dem ist
170
171
172
173 174
BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449, 1450; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039; OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389; OLG Frankfurt/M. 22.7.1999 – 3 U 262/94; OLG Rostock 24.8.2004 VersR 2006 105 = RuS 2006 124 (LS); OLG Stuttgart 5.6.2008 VersR 2008 1343; LG Dortmund 26.3.2009 NJW-RR 2010 42. OLG Nürnberg 21.3.2002 ZfS 2003 304, 305 mit Anm. Rixecker; Knappmann NVersZ 2002 1, 4; zust. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039; auch Marlow RuS 2005 357, 360. LG Dortmund 11.8.2005 RuS 2006 468 = NJW-RR 2005 320, 321; zust. Marlow RuS 2007 353, 357. OLG Jena 20.3.2002 VersR 2002 1019 f.; Schwintowski NVersZ 2002 395, 396. Schwintowski/ Brömmelmeyer§ 178 Rn. 22; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 99; Kloth Rn. K 100; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 41; Veith/Gräfe/Lücke § 7
175
176 177
Rn. 130; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 104; Marlow RuS 2004 353, 357; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 52; van Bühren/ Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 143. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039 = NJW 2004 2589, 2590 f.; bestätigt durch BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449; ferner OLG Hamm 25.1.2006 VersR 2006 1394, 1395 = RuS 2006 428 = ZfS 2006 335 f.; OLG Brandenburg 27.10.2005 VersR 2006 1251; OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602 f.; LG Waldshut-Tiengen 9.11.2000 VersR 2002 430 f.; offen lassend noch BGH 19.3.2003 VersR 2003 634, 635. OLG Düsseldorf 27.11.1987 VersR 1998 886 f. Zur Wirksamkeit des Ausschlusses für Gesundheitsstörungen nervöser oder psychischer Art in der AUZ OLG Schleswig 11.12.2003 RuS 2005 119.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Unfallversicherung
zuzustimmen. Entsprechendes gilt für Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008. Auch diese Klausel ist mit dem AGB-Recht vereinbar, da sie sich nur marginal von ihren Vorgängerbestimmungen unterscheidet.178
I. Klarheit des Ausschlusses 40
Die Klausel ist nicht unklar i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB (§ 5 AGBG a.F.). Für den VN ist eindeutig und unmissverständlich geregelt, dass er keine Leistungen vom VR erhalten soll, wenn und soweit sich psychische Reaktionen auf seinen Zustand nach dem Unfall auswirken. Die Auslegung der Klausel lässt keine Zweifel offen bzw. führt nicht zu mehreren Interpretationsergebnissen.179 Dass die rechtliche Handhabung der Begriffe „krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen“ – namentlich die Abgrenzung zu „krankhaften Störungen infolge physischer Reaktionen“ – Schwierigkeiten bereiten kann (Rn. 28), steht dem nicht entgegen. Maßgebend für das Eingreifen des § 305c BGB ist allein, ob mehrere Auslegungsmöglichkeiten i.S.v. nicht behebbaren Zweifeln für die Unterscheidung zwischen physisch ausgelösten (versicherten) und psychogenen (nicht versicherten) Gesundheitsschäden bestehen. Dies ist nicht der Fall.180 Dass auf der Tatsachenebene Unsicherheiten bestehen können, begründet keine Unklarheit der anzuwendenden Vertragsregelung.
II. Kein überraschender Ausschluss 41
Der Ausschluss psychischer Reaktionen ist nicht überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB (§ 3 AGBG a.F.).181 Die Klausel ist weder objektiv ungewöhnlich noch ist ihr ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt beizumessen. • Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 ist nicht objektiv ungewöhnlich. Sie enthält nicht etwa eine krasse Abweichung von dem Leitbild des Unfallversicherungsvertrages.182 Auch wenn einerseits der Gesetzgeber nunmehr in § 178 ein gesetzliches Leitbild geschaffen hat, das „an sich“ auch den Deckungsschutz für psychische Erkrankungen nach einem Unfall oder einem diesen gleichzusetzenden Ereignis erfasst, so ist andererseits zu berücksichtigen, dass mit § 178 die bestehende und durch die AUB geprägte Rechtspraxis kodifiziert und nicht „umgekrempelt“ werden sollte (§ 178 Rn. 2 f.). Ein allgemein anerkanntes Verständnis oder eine Erwartung des Rechtsverkehrs in die Richtung, dass Unfallschutz auch für psychische Reaktionen typischerweise zu erwarten sei, hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht entwickelt. Im Gegenteil: Die Bedingungsgeber wollten solche Risiken von jeher eliminieren (Rn. 7). Zwar sind die „internen“ Erwägungen der Verwender von AGB für die Überprüfung einzelner Klauseln unerheblich (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 63 und 76 ff.), jedoch beruhen diese Überlegungen auf guten und nachvollziehbaren Gründen (Rn. 2), die es für den verständigen Betrachter eher ungewöhnlich erscheinen ließen, wenn der VR auf einen Ausschluss für psychische Reaktionen verzichten würde. • Aus ähnlichen Erwägungen kann auch nicht davon ausgegangen werden, der VN als Vertragspartner des VR brauche nach Maßgabe der Erkenntnismöglichkeiten eines „Durchschnittskunden“ nicht mit dem Ausschluss in Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 zu rechnen. Er wird vielmehr nachvollziehen können – u.U. sogar erwarten –, dass die Deckung stark subjektiv gefärbter Risi-
178 179 180 181
Stockmeier/Huppenbauer S. 74. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039; a.A. OLG Frankfurt/M. 22.7.1999 – 3 U 262/94. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039 f. S.a. OLG Karlsruhe 15.11.2007 VersR 2008
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182
524 = NJW-RR 2008 477 für eine Restschuldversicherung. LG Waldshut-Tiengen 9.11.2000 VersR 2002 430, 431.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
ken nicht Gegenstand der Unfallversicherung sein soll.183 Richtig ist zwar, dass der VN nicht mit Leistungsbeschränkungen für typische Unfallfolgen zu rechnen braucht. Jedoch trifft dies auf Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 nicht zu. Die Klausel schließt lediglich für die – untypische – Fehlverarbeitung eines Unfalls den Versicherungsschutz aus.184 • Es liegt des Weiteren auch deshalb kein Überraschungsmoment vor, da die – durch Auslegung verständliche – Klausel in den AUB weder falsch angeordnet noch versteckt ist.185 Jeder VN weiß, dass Unfallversicherungsschutz typischerweise nicht schrankenlos gewährt werden kann. Durch den Abdruck unter der Überschrift in Ziff. 5 AUB 99/2008 „In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen“ nebst Hinweis in Ziff. 1.5 AUB 99/2008 weist der VR den VN ausreichend deutlich auf die Existenz der Klausel hin, so dass ihre Kenntnisnahme durch den VN erwartet werden darf.
III. Inhaltskontrolle des Ausschlusses Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) unterliegt der Inhaltskontrolle nach 42 §§ 307 bis 309 BGB (§§ 9 bis 11 AGBG a.F.). § 307 Abs. 3 BGB steht dem nicht entgegen.186 Leistungseinschränkende Klauseln sind nach ständiger Rechtsprechung kontrollfähig (Vorbem. Ziff. 1 AUB Rn. 91). Der Ausschlusstatbestand hält einer Inhaltskontrolle stand:187 Die Ausgrenzung psychisch reaktiver Gesundheitsschäden gefährdet nicht den Ver- 43 tragszweck i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG a.F.).188 Von einer Gefährdung des Vertragszwecks kann nur gesprochen werden, wenn mit der Leistungseinschränkung der Vertrag ausgehöhlt werden kann und damit der Versicherungsvertrag in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 93). Dies wäre der Fall, wenn Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) Versicherungsschutz für jede Mitwirkung psychischer (Begleit-)Erscheinungen nach einem Unfallgeschehen (vollständig) ausschlösse, insbesondere die Klausel auch bei normalen und häufigen Reaktionen auf ein Unfallereignis (z.B. die von der versicherten Person nicht beeinflussbare Ausschüttung von Stresshormonen nach einem Verkehrsunfall) eingriffe.189 Das trifft aber nicht zu. Die Ausschlussklausel lässt den Unfallversicherungsschutz unangetastet, soweit sich die Beschwerden nicht als Folge psychischer, sondern als physisch vermittelte Unfallschädigungen manifestieren. In diesem weit gespannten Bereich wird der Zweck des Unfallversicherungsvertrags ausreichend erfüllt.190 Die Einschränkung betrifft nicht typische Unfallfolgen wie organische Schäden, die zu Invalidität führen, sondern untypische Folgen, nämlich die Situation, dass die versicherte Person einen Unfall nicht oder nicht fehlerhaft verarbeitet.191
183
184 185 186 187
LG Waldshut-Tiengen 9.11.2000 VersR 2002 430, 431; auch OLG Koblenz 1.6.2007 VersR 2008 384, 386. OLG Düsseldorf 27.11.1997 VersR 1998 886, 887. OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602. Offen lassend OLG Düsseldorf 27.11.1987 VersR 1998 886 f. S.a. zur Restschuldversicherung OLG Karlsruhe 15.11.2007 VersR 2008 524 =
188 189 190
191
NJW-RR 2008 477; OLG Stuttgart 5.6.2008 VersR 2008 1343. Terno DAR 2005 314, 319. So OLG Jena 20.3.2002 VersR 2002 1019, 1020. BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449, 1450; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040. OLG Düsseldorf 27.11.1997 VersR 1998 886, 887.
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Unfallversicherung
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Der VN wird durch den Ausschluss der psychischen Reaktionen nicht unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 9 Abs. 1 AGBG a.F.).192 Die Klausel ist sachgerecht und trägt durch das Anknüpfen an objektiv erfassbare Vorgänge (physisch vermittelte Schäden) berechtigten Interessen des VR Rechnung, ohne den VN entgegen Treu und Glauben zu benachteiligen (Rn. 2).193 Aus dem Umstand, dass der Schädiger im Haftungsrecht grundsätzlich für psychische Fehlverarbeitungen als Folge eines Unfalls einzustehen hat (Rn. 4), folgt nichts anderes. Die Forderung aus Billigkeitserwägungen eine Angleichung zwischen Unfallversicherungsschutz und deliktischer Schadensersatzpflicht herbeizuführen, findet ihre Grenze in der Vertragsgestaltung. Der zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Versicherungsschutz, der in den AUB klar und unmissverständlich umschrieben ist, steht darüber hinausgehenden Leistungswünschen entgegen.194 Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) genügt den Anforderungen des 45 Transparenzgebots (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 9 Abs. 1 AGBG a.F.).195 • Dem steht nicht entgegen, dass eine klare und eindeutige Grenzziehung zwischen physischen und psychischen Reaktionen nicht (immer) für jede denkbare Fallgestaltung leicht möglich ist und dem durchschnittlichen VN (aber auch dem Versicherungsagenten) schwer fallen kann. Der Klausel fehlt damit noch nicht ein halbwegs klarer justiziabler Begriffskern.196 Genauso wie Rechtsanwendungsschwierigkeiten auf der Tatsachenebene eine Klausel nicht gleich unklar machen (Rn. 40), führen Unsicherheiten auf tatsächlichem Gebiet nicht sogleich zur Intransparenz einer Vertragsregelung.197 Vielmehr ist das Verständnis bzw. die Auslegung einer Klausel von der juristischen Subsumtion eines Sachverhalts zu trennen.198 Entscheidend ist, dass dem VN deutlich vor Augen geführt wird, welcher rechtliche Beurteilungsmaßstab gelten soll, er hier also nur Versicherungsschutz erhält, wenn ein physisch vermittelter Gesundheitsschäden bzw. eine körperliche/organische Betroffenheit vorliegt. • Von dem transparent zu regelnden Vertragsinhalt zu trennen sind die Darlegungs- und Beweislasten, die dann Bedeutung erlangen, wenn der zu würdigende Sachverhalt nicht (vollständig) aufklärbar ist. Dass im Einzelfall bei der Feststellung der Wirkungszusammenhänge und der Anwendung des Feststellungsergebnisses auf den vorgegebenen rechtlichen Rahmen Probleme entstehen können, gehört zur üblichen forensischen Praxis. Ihnen ist durch sachverständige Unterstützung und eine ausgewogene Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten zu begegnen. • Einer Benennung und Konkretisierung einzelner Arten von psychischen Reaktionen bedarf es nicht, um den Ausschluss in Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) transparent zu gestalten.199 Der VR hat den mit einer Klausel verbundenen Inhalt nur insoweit detailliert darzustellen, als dies den Umständen nach gefordert werden kann (vgl. Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 96). Eine umfängliche Auflistung psychischer Vorgänge ist abschließend kaum möglich. Mit einer u.U. lückenhaften Liste könnte das berechtigte Ziel des VR nicht erreicht werden, psychische Reaktionen vollständig auszuschließen.
192
193 194 195
OLG Düsseldorf 27.11.1997 VersR 1998 886, 887; LG Waldshut-Tiengen 9.11.2000 VersR 2002 430, 431. Terno DAR 2005 314, 319. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040. BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1040 f.; Terno DAR 2005 314, 319.
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196 197 198 199
So aber Schwintowski NVersZ 2002 395, 396. OLG Saarbrücken 22.1.2003 NJW-RR 2003 602, 603. Marlow RuS 2004 353, 357. So aber Schwintowski NVersZ 2002 395, 396 f.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
E. Speziellere AVB Selbstverständlich steht es den VR frei, einzelne Vorschriften aus den AUB-Ausschlüs- 46 sen abzuändern.200 So kann z.B. abweichend von Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 bzw. § 2 Abs. 4 AUB 88/94 vereinbart werden, dass krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen versichert sind, „sofern sie auf ein Unfallereignis im Sinne dieser Bedingungen zurückzuführen“ sind.201
F. Verfahrensfragen Die Beweislastverteilung zwischen VR und VN erlangt bei dem Ausschluss für psychi- 47 sche Reaktionen sowohl bei Vereinbarung der AUB 61 als auch bei Zugrundelegung der AUB 88/94/99 erhebliche praktische Bedeutung; denn trotz aller medizinischen Fortschritte bleiben aufgrund der Unwägbarkeiten bei der Ermittlung subjektiv geprägter (seelischer, mentaler) Umstände häufig Zweifelsfragen offen bzw. erhebliche Bandbreiten bei der gutachterlichen Bewertung durch Sachverständige bestehen.202 Die prozentuale Bewertung von Krankheits- und unfallbedingten Verursachungsanteilen auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet ist außerordentlich schwer, wenn nicht gar unmöglich.203 Für die erfolgreiche Beweisführung reichen auch überwiegende Wahrscheinlichkeiten u.ä. nicht aus. Zwar kommt es für die richterliche Überzeugungsbildung nicht auf eine absolute Gewissheit an, jedoch dürfen keine vernünftigen Zweifel an der beweisbedürftigen Tatsache vorhanden bleiben.204
I. AUB 61 Zu § 10 Nr. 5 AUB 61 ist umstritten, wer die Beweislast zu tragen hat.205 Nach einer 48 Ansicht hat der Anspruchsteller zu beweisen, dass die psychischen und nervösen Störungen auf eine organische Erkrankung des Nervensystems oder eine durch den Unfall neu entstandene Epilepsie zurückzuführen sind.206 Die Gegenauffassung, die auch der BGH vertritt,207 weist dem VR die Beweislast zu.208 Ihr ist zu folgen. Maßgebend für die Entscheidung ist, wie der durchschnittliche VN als juristischer Laie die Regelungstechnik in
200 201 202
203 204 205
206
Naumann/Brinkmann § 4 Rn. 213 ff. Dazu Ludolph/Lehmann VersM 2001 166, 167 mit einem Beispielsfall (Raubüberfall). Ayasse VersR 1992 1195, 1196 f. (zum HWS-Schleudertrauma); zur psychiatrischen Begutachtung von „Rentenneurosen“ Winckler VersM 1998 219, 222 ff. Ludolph/Lehmann VersM 2001 166, 168. Siehe nur OLG Schleswig 11.12.2003 RuS 2005 119, 120. Offen lassend OLG Hamm 30.5.1990 VersR 1991 414; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 103; Konen/Lehmann S. 23. OLG Hamburg 13.10.1989 VersR 1990 513; OLG Hamm 5.2.1992 VersR 1993 175, 176; OLG Hamm 10.2.1989 VersR 1989 1142 f.;
207 208
OLG Karlsruhe 19.8.1993 RuS 1994 236; LG Koblenz 6.4.1990 VersR 1990 1384; LG Osnabrück 11.3.1992 RuS 1992 356, 357; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 262; Wussow VersR 2000 1183, 1184 f. BGH 27.9.1995 BGHZ 131 15, 18 ff. OLG Celle 20.7.1978 VersR 1979 51; OLG Hamm 24.2.1988 RuS 1988 182; OLG Hamm 7.10.1983 VersR 1984 755, 756; OLG Karlsruhe 21.10.2004 DAR 2005 29, 30; OLG Koblenz 8.7.2005 SVR 2006 104, 106; OLG Koblenz 27.5.2004 VersR 2005 1137, 1138; OLG Nürnberg 13.7.1989 VersR 1991 536, 538; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 10 Rn. 5.
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Unfallversicherung
§ 10 Nr. 5 AUB 61 versteht. I.E. wird er den Tatbestand als Ausschlussbestimmung auffassen,209 für dessen Voraussetzungen der VR – wie sonst auch – beweispflichtig ist. • Dieses Auslegungsergebnis wird z.T. mit der Begründung bezweifelt, aus der Formulierung, eine Entschädigung könne „nur“ unter bestimmten Voraussetzungen gewährt werden, sei zu folgern, dass es sich um anspruchsbegründende Tatsachen (nämlich eine Erläuterung zum Tatbestandsmerkmal „Gesundheitsschädigung“ des Unfallbegriffs) handele, die der VN nach allgemeinen Regeln zu beweisen habe.210 Indes kommt eine möglicherweise dahingehende Absicht der Bedingungsgeber nicht in der notwendigen Klarheit zum Ausdruck. Insbesondere wird der VN weitere von ihm zu beweisende Leistungsvoraussetzungen nicht in einem Tatbestand mit der Überschrift „Einschränkung der Leistungspflicht“ erwarten.211 Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, es wäre sachfremd, allein auf die Bedeutung einer Überschrift abzustellen. Richtig ist zwar, dass Klauseln vielgestaltig sein und sowohl den Charakter einer Klarstellung als auch eines Ausschlusses haben können. Jedoch darf der VN vom VR erwarten, dass er sein Leistungsversprechen übersichtlich regelt und Konkretisierungen nicht in einem einschränkenden Tatbestand „versteckt“. Wenn Versicherungsschutz von vornherein nur für eine bestimmte Art psychischer und nervöser Störungen eröffnet werden soll, hätte es nahegelegen einen solchen anspruchsbegründenden Tatbestand im Kontext zu § 2 AUB 61 zu regeln. • Überzeugender erscheint es deshalb, § 10 Nr. 5 AUB 61 als „Ausschluss-/Wiedereinschluss-Tatbestand“ zu bewerten.212 Letztlich greift indes auch diese Betrachtungsweise nicht durch: Zwar lässt sich der Wortlaut des § 10 Nr. 5 AUB 61 bei genauer Lesart durchaus so verstehen, dass die Regelung im Grundsatz den Versicherungsschutz für die Folgen psychischer und nervöser Störungen ausschließt und nur ausnahmsweise eine Leistungspflicht des VR in den Fällen vorsieht, in denen eine solche Störung auf eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems zurückzuführen ist. Es liegt dann der Schluss nahe, nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln dem VR die Beweislast für den Grundsatz des Ausschlusses (Eintritt psychischer Folgen nach einem Unfall) und dem Anspruchsteller die Beweislast für die den Ausschluss einschränkende Gegennorm (Zusammenhang zwischen psychischen und nervösen Störungen durch eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems …) aufzuerlegen. Jedoch ist gegen diese Argumentationskette einzuwenden, dass das angestrebte „Ausschluss-Wiedereinschluss-Prinzip“ in § 10 Nr. 5 AUB 61 unter Berücksichtigung der Verständnismöglichkeiten des VN, die für die nach strengen Maßstäben vorzunehmende Auslegung von Ausschlussbedingungen maßgeblich sind (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57), nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt. Dem VN muss die Kette „Versicherungsschutz – genereller Ausschluss – teilweiser Wiedereinschluss“ vielmehr unmissverständlich vor Augen geführt werden.213 Dies trifft etwa auf Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 AUB 88/94) zu. Dort wird zunächst „ohne wenn und aber“ klargestellt, dass u.a. Bandscheibenschädigungen, sofern sie überhaupt dem Unfallbegriff i.e.S. oder der Unfallfiktion zuzuordnen sind, nicht unter den Versicherungsschutz fallen. Anschließend folgt in einem gesonderten Satz der – vom Anspruchsteller zu beweisende – Wiedereinschluss für den Fall, dass ein Unfallereignis die überwiegende Ursache ist. An einer vergleichbar klaren Regelungstechnik fehlt es in § 10 Nr. 5 AUB 61. Hier ist es durchaus möglich, dass der VN die Vorschrift nur als Ausschluss begreift und die Notwendigkeit eines von ihm zu beweisenden Wiedereinschlusses nicht erkennt. Anders als in Ziff. 5.2.1 AUB 99/2008 wird die Leistungspflicht des VR an eine weitere Voraussetzung geknüpft, nämlich u.a. die organische Erkrankung des Nervensystems, ohne dass zunächst das zuvor nach §§ 1, 2 und 8 AUB 61 bestehende Leistungsversprechen deutlich sichtbar (vollumfänglich) ausgeschlossen wird. Für den VN könnte der Eindruck entstehen, sein Versicherungsschutz sei nicht generell, sondern nur insoweit ausgeschlos-
209 210 211
So bereits BGH 28.6.1972 VersR 1972 927, 928. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 262; Wussow VersR 2000 1183, 1185. Dahingehende Bedenken äußert auch Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 258.
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212 213
Dazu auch Wussow VersR 2000 1183, 1184 f. BGH 27.9.1995 BGHZ 131 15, 21.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
sen, als die Störungen nicht „auf eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems ... zurückzuführen sind“. Bei einem solchen Verständnis handelt es sich aber bei § 10 Nr. 5 AUB 61 nicht mehr um einen „Wiedereinschluss“, sondern um eine reine Ausschlussbestimmung, die der VR nach allgemeinen Regeln zu beweisen hat.
Der Umstand, dass der VR die Beweislast trägt, schließt indes nicht aus, dass der Anspruchsteller dezidiert dazu vortragen muss, warum die psychische oder nervöse Störung auf einer unfallbedingten organischen Erkrankung beruhen soll. Nur wenn er seiner Substantiierungspflicht nachkommt, kann er erhebliche Einwendungen gegen einen schlüssigen und den Ausschluss begründenden Sachvortrag des VR begründen. Sind z.B. weder aus der Aktenlage noch dem Vortrag des Anspruchstellers Anzeichen dafür ersichtlich, dass die Depression oder Angstphobie nach einer schweren Körperverletzung eine neurologische oder organische Ursache hat, so hat das Gericht keinen Anlass, eine weitere Begutachtung der Verletzung zu veranlassen. Es kann vielmehr den Ausschluss anwenden.214
II. AUB 88/94/99/2008 Durch die Neuregelung in § 2 Abs. 4 AUB 88/94 bzw. Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008/2008 49 hat sich der zu § 10 Nr. 5 AUB 61 bestehende Streit um die Beweislastverteilung entschärft. Zur Darlegungs- und Beweislast gelten die allgemeinen Grundsätze. Der Anspruchsteller hat demnach den Eintritt des Versicherungsfalls (mit Ausnahme der Unfreiwilligkeit) sowie die Unfallfolgen (Ausgestaltung und Dauerhaftigkeit der Invalidität) gemäß § 286 ZPO nebst haftungsbegründender Kausalität nach § 287 ZPO nachzuweisen (§ 178 Rn. 168 ff. und § 180 Rn. 43 ff.). Der VR trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausschlussklausel des Ziff. 5.2.6 AUB 99/2008 bzw. § 2 Abs. 4 AUB 88/94 (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 32).215 Beweismaßstab ist § 286 ZPO, d.h. es muss ein praktisch brauchbarer Grad an Gewissheit gegeben sein, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.216 Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Beweislast können dann entstehen, wenn 50 sowohl psychische als auch physische Ursachen in der zur Invalidität führenden Kausalkette mitgewirkt haben. Unproblematisch sind die idealtypischen Fälle, in denen sich die Ursachen für die Dauerschäden (insbesondere für die verbleibende Invalidität als Unfallfolge) klar trennen lassen in körperliche Beeinträchtigung und dadurch verursachte Depression. Hier besteht Einigkeit, dass der VR nur für die durch den physischen bzw. organischen Schaden bedingte Invalidität zu leisten hat. Die darüber hinausgehende Invalidität ist nicht zu entschädigen. Die rechtliche Würdigung ist dagegen umstritten, wenn keine Feststellung dazu möglich ist, in welchem Umfang organische oder psychische Faktoren für die Invalidität ursächlich sind, also insbesondere der begutachtende Mediziner zwar erklärt, die Invalidität sei zum Teil (unmittelbar) auf eine unfallbedingte organi-
214 215
OLG Koblenz 6.9.2004 RuS 2005 391. BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449, 1450; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1041 = NJW 2004 2589, 2592; OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389; OLG Frankfurt/M. 20.6.2007 VersR 2008 248, 249; OLG Rostock 24.8.2005 VersR 2006 105; LG Landshut 9.12.1996 RuS 1998 129;
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Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 105; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 168; Luckey SVR 2006 106, 107; Veith/Gräfe/ Lücke § 7 Rn. 127; Terno DAR 2005 314, 320; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 108. S. etwa OLG Köln 24.8.2005 VersR 2007 976 = RuS 2008 31; Kloth Rn. K 106.
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Unfallversicherung
sche Ursache zurückzuführen, er jedoch keine oder keine konkrete Gewichtung der psychischen und physischen Ursachen vernehmen kann. Vereinzelt wird die Meinung vertreten, der Versicherungsschutz entfalle in diesen Fällen insgesamt. Der VR müsse lediglich beweisen, dass überhaupt eine psychische Reaktion bei der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mitgewirkt habe. Ungewissheiten dazu, ob organische Schäden als Erklärung für das Beschwerdebild in Betracht kommen oder in welchem Verhältnis physische und psychische Umstände den Dauerschaden bei der versicherten Person beeinflussen, gingen stets zu Lasten des Anspruchstellers.217 Die Gegenauffassung, der auch der BGH folgt,218 weist dem VR die Darlegungs- und Beweislast dafür zu, dass und ggf. in welchem Umfang psychische Reaktionen krankhafte Störungen hervorgerufen haben.219 Verbleibende Unklarheiten gingen zu seinen Lasten.220 Daraus folge konsequenterweise, dass sich die Minderung an der unteren Grenze orientieren müsse, wenn die Schätzung eine Bandbreite ergebe.221 Dieser Ansicht ist zuzustimmen. • Würde bereits Mitursächlichkeit psychischer Reaktionen die Leistungsverpflichtung des VR vollständig entfallen lassen, würde das in den AUB vorgesehene Verhältnis von Leistungszusage (Regelfall) und Ausschluss (Ausnahme) missachtet. Der VR sagt als Regelfall Leistungen bei unfallbedingter Invalidität der versicherten Person zu. Der Invaliditätsbegriff, d.h. die Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit (§ 180), ist umfassend. Er schließt auch die Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit durch psychische Reaktionen ein. Wäre dem nicht so, hätte auf die Aufnahme eines speziellen Ausschlusstatbestandes in den AUB verzichtet werden können.222 Der Ausschluss ist eine den an sich gegebenen Anspruch ausschließende Gegennorm, für die der VR die Beweislast trägt.223 • Aus dem Grundsatz, dass Mitursächlichkeit für die Anwendung eines Ausschlusses genügt, lässt sich keine andere Beweislastverteilung ableiten.224 Dieser Grundsatz trifft nur zu, soweit die Verursachung des Unfallereignisses in Frage steht, so etwa, wenn es um den Einfluss von Bewusstseinsstörungen beim (Straßenverkehrs-)Unfall geht. Hier kann kaum zwischen Ursachenanteilen unterschieden werden. Vielmehr ist es in diesen Fällen für den vollumfänglichen Ausschluss der Versicherungsleistungen unerheblich, ob die unter den Ausschluss fallende Ursache (z.B. Alkoholisierung) die einzige, erste, überwiegende oder unmittelbare Ursache für den Eintritt des Unfallereignisses war bzw. noch andere Faktoren wie schlechte Witterungs- oder Straßenverhältnisse oder Verhalten Dritter mitgewirkt haben; denn könnte ein Anteil (die Bewusstseinsstörung infolge Alkoholisierung) hinweggedacht werden, ohne dass der Unfall selbst entfiele, wäre dieser Anteil gar nicht kausal. In Ziff. 5.2.6 (§ 2 Abs. 4 AUB 88/94) geht es aber nicht um die Ursachenanteile am Unfallereignis, sondern um das Mitwirken verschiedener Ursachen an den Unfallfolgen i.S.v. Ziff. 2 AUB 99/2008.225 Sie müssen nicht zwingend vollständig entfallen, wenn psychische Reaktionen festzustellen sind. Anhand des Einzelfalles ist zu prüfen, ob die Unfallfolge (Invalidität) ganz entfiele, wenn die psychische Reaktion als adäquate Ursache hinweggedacht würde. Bleiben dagegen die Unfallfolgen zumindest teilweise auch ohne Mitwirkung psychischer Reaktionen und
217 218
219
220
Wussow VersR 2000 1183, 1185 f.; zust. OLG Jena 20.3.2002 VersR 2002 1019. BGH 29.9.2004 VersR 2004 1449, 1450; BGH 23.6.2004 VersR 2004 1039, 1041; offen lassend noch BGH 19.3.2003 VersR 2003 634, 635. OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389; Knappmann VersR 2002 1230; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 42; Stockmeier/Huppenbauer S. 73; zust. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 105. OLG Frankfurt/M. 20.6.2007 VersR 2008 248, 249; OLG Frankfurt 22.7.1999 – 3 U
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221 222 223 224 225
262/94; Knappmann NVersZ 2002 1, 4; zust. Schwintowski NVersZ 2002 395, 396; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 107; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 51; Terno DAR 2005 314, 320. Knappmann NVersZ 2002 1, 5. Stockmeier/Huppenbauer S. 73. Knappmann NVersZ 2002 1, 4. A.A. OLG Jena 20.3.2002 VersR 2002 1019; Wussow VersR 2000 1183, 1186. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 1 AUB 94 Rn. 42.
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Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen
AUB 2008 Ziff. 5.2.6
der aus ihnen resultierenden krankhaften Störungen bestehen, so kann für diesen Teil des Gesamtschadens Versicherungsschutz nicht versagt werden.226 • Der vollständige Ausschluss bei Mitursächlichkeit der psychischen Reaktionen an den Unfallfolgen folgt auch nicht aus der Überlegung, der Zweck des Ausschlusses in Ziff. 5.2.6 bzw. § 2 Abs. 4 AUB 88/94 (Rn. 2) sei darauf ausgerichtet, dem VR Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen organischen und psychischen Unfallfolgen zu ersparen.227 Unabhängig davon, dass sich diese Intention aus den Erläuterungen und Motiven zu den AUB nicht ergibt, sondern von den Bedingungsgebern der AUB 99 rechtlich sogar anders bewertet wird,228 sind Überlegungen des AGB-Verwenders in der Rechtsanwendung nur insoweit zu beachten, als sie gegenüber dem Vertragspartner zum Ausdruck kommen (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Der vollständige und generelle Leistungsausschluss bei geringster Mitwirkung psychischer Faktoren an den Unfallfolgen müsste klar und unmissverständlich gegenüber dem VN zum Ausdruck kommen. Dies ist hier nicht der Fall. Der VN darf nach sachgerechter Auslegung der z.Z. gewählten Formulierung Versicherungsschutz erwarten, wenn Unfallfolgen auch ohne Berücksichtigung der psychischen Reaktion festzustellen sind.
Der VR kann den Beweis dafür, dass die Invalidität der versicherten Person allein 51 infolge psychischer Reaktion eingetreten ist, im Wege eines Ausschlussverfahrens dergestalt führen, dass er (mit Hilfe medizinischer Sachverständiger) das Fehlen einer vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Verknüpfung zwischen der psychischen Reaktion und einer unfallbedingten organischen Schädigung belegt. Es reicht m.a.W. der Beweis, dass keinerlei Anhaltspunkte für eine physische Verursachung der aufgetretenen psychischen Beeinträchtigungen festgestellt werden können;229 denn der Nachweis kann aus der Natur der Sache nur im Ausschluss denkbarer physischer Verknüpfungen bestehen. Nur insoweit ist naturwissenschaftlich eine zwingende Beweisführung möglich. Dagegen kann – jedenfalls nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft – die Annahme rein psychischer Wirkungszusammenhänge allein mit einer relativen Wahrscheinlichkeit bejaht werden, die auf Erfahrungswissen und statistischen Erkenntnissen gestützt ist.230 Hat z.B. ein Verkehrsunfall zu einem HWS-Schleudertrauma und einer Schädelprellung mit Gehirnerschütterung der versicherten Person geführt und klagt die versicherte Person später über Krankheitssymptome wie u.a. Bewegungsstörungen der Halswirbelsäule, migräneartigem Kopfschmerz, Schwindel, Gefühlsstörungen im Bereich der Arme und spastische Paresen beider Beine, so ist der VR für diese psychischen Beeinträchtigungen nicht leistungspflichtig, wenn weder auf orthopädischem noch auf neurologischem Fachgebiet dauerhafte organische Schädigungen der versicherten Person festzustellen sind.231 Noch nicht entschieden ist die Frage, ob dem VR seine (schwierige) Beweisführung erleichtert werden kann.232 So kann einerseits in Erwägung gezogen werden, dass der Gegner vorab einen möglichen physischen Ursachenzusammenhang darzulegen hat und sich der VR auf dessen Widerlegung beschränken darf. Andererseits kann der Standpunkt vertreten werden, dass (ähnlich wie in der Arzthaftungsrechtsprechung) wegen der Komplexität medizinischer Ursachenzusammenhänge die Anforderungen an den VN auch bei Berücksichtigung der Beweisschwierigkeiten des VR überspannt werden dürfen und deshalb der VN nur die allgemeine Behauptung eines physischen Zusammenhangs aufzustellen braucht. 226 227 228 229
Knappmann NVersZ 2002 1, 5. So aber Wussow VersR 2000 1183, 1186. Stockmeier/Huppenbauer S. 73. OLG Rostock 24.8.2004 VersR 2006 105 f. = RuS 2006 124 (LS); Abel/Winkens VersR 2009 30, 34; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 105; Kloth Rn. K 106.
230 231 232
OLG Koblenz 9.3.2001 – 10 U 1515/99. OLG Köln 24.8.2005 VersR 2007 976 f. = RuS 2008 31 f. Offen lassend OLG Koblenz 9.3.2001 – 10 U 1515/99.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.7 52
Unfallversicherung
Kann der VR den Beweis dafür antreten und führen, dass physische Ursachen für die festgestellten psychischen Störungen vernünftigerweise auszuschließen sind, weil z.B. die beim Unfall erlittene Verletzung folgenlos verheilt ist, so bleiben lediglich theoretisch denkbare Möglichkeiten eines naturwissenschaftlich bisher unbekannten, auch unter Sachkundigen nicht ernsthaft diskutierten physischen Zusammenhangs bei der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO außer Betracht.233 Die Behauptung, jede psychische Reaktion müsse eine organische Ursache aufweisen, genügt ebenso wenig wie bloße „Verdachtsdiagnosen“. Vielmehr muss der Anspruchsteller konkrete Anknüpfungstatsachen benennen, um eine weitere Beweiserhebung (insbesondere Neubegutachtung des Gesundheitszustandes der versicherten Person) zu erwirken.234
Ziff. 5.2.7 AUB 2008 5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: … 5.2.7 Bauch- oder Unterleibsbrüche. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn sie durch eine unter diesen Vertrag fallende gewaltsame von außen kommende Einwirkung entstanden sind.
Schrifttum Böhmer/Böhm Bauch und Unterleibsbrüche, in Hierholzer/Ludolph, Das ärztliche Gutachten in der Privaten Unfallversicherung – Gutachtenkolloquium 7 (1992).
Übersicht Rn. A. I. II. B. C.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . Zweck des Ausschlusses . . . . . . . . Entwicklung des Ausschlusses . . . . . Ausschlusstatbestand . . . . . . . . . Wiedereinschluss bei gewaltsamen von außen kommenden Einwirkungen . . .
. . . .
. . . .
1 2 3 6
. .
7
Rn. D. E. I. II.
Wirksamkeit des Ausschlusses . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . Beweis des Bauch- oder Unterleibbruches Beweis der gewaltsamen von außen kommenden Einwirkung . . . . . . . .
. 13 . 14 . 15 . 16
A. Einführung 1
Bei Ziff. 5.2.7 AUB 99 (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AUB 88/94, § 10 Nr. 3 AUB 61) handelt es sich um einen Ausschlusstatbestand besonderer Art, der sich sowohl auf das Unfallereignis als auch auf dessen Folgen bezieht:1 Das Unfallereignis ist betroffen, da Brüche nur entschädigt werden, wenn sie durch eine gewaltsame von außen kommende Einwirkung entstanden sind. Insofern enthält die Regelung gegenüber dem allgemeinen Unfalltatbestand (§ 178, Ziff. 1.3 AUB 99/2008, § 1 Abs. 3 AUB 88/94, § 2 Nr. 1 AUB 61), der keine „gewaltsame“ Einwirkung erfordert, eine erschwerende Modifizierung.2 Der Aus233 234
OLG Celle 22.5.2008 RuS 2008 389, 390; OLG Koblenz 9.3.2001 – 10 U 1515/99. OLG Rostock 24.8.2004 VersR 2006 105, 106.
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1 2
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 249. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 106.
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Beeinträchtigungen durch Bauch- und Unterleibsbrüche
AUB 2008 Ziff. 5.2.7
schluss wirkt sich des Weiteren auf die Unfallfolgen aus. Die Gesundheitsschädigungen „Bauch- oder Unterleibsbrüche“ sind selbst dann nicht geeignet, eine Entschädigungspflicht zu begründen, wenn sie Folge eines „normalen“ Unfallereignisses sind.
I. Zweck des Ausschlusses Der Ausschluss dient im Wesentlichen nur der Klarstellung, da Bauch- oder Unter- 2 leibsbrüche nur in Ausnahmefällen Folge eines Unfallereignisses (eines von außen auf den Körper wirkenden Ereignisses) sind.3 Vielmehr beruhen diese Gesundheitsschäden meist auf Bindegewebsschwächen, die anlagebedingt (angeborenen) oder krankheitsbedingt sind.4 Für solche Schäden ist aber die Kranken- und nicht die Unfallversicherung zuständig. So beruht etwa ein Leistenbruch meist auf einer entsprechenden konstitutionellen Veranlagung oder auf allmählich sich wiederholenden Einflüssen. Nur in Ausnahmefällen resultiert er aus von außen kommenden Ereignissen (z.B. Stoß, Tritt oder Stich in den Unterleib).5 Der Zweck des Ausschlusstatbestands wurde früher darüber hinaus darin gesehen, Beweisschwierigkeiten des VR auszuräumen. Bauch- oder Unterleibsbrüche würden oftmals irrtümlich oder missbräuchlich als Folge eines (vermeintlichen) Unfallereignisses behauptet. Vielfach könne dann nicht festgestellt werden, ob diese Behauptung zutreffend sei oder nicht, also der Bruch durch die Körperbeschaffenheit der versicherten Person unabhängig vom Unfall herbeigeführt wurde.6 Ob diese Probleme auf tatsächlicher Ebene auch heute noch angesichts der medizinischen Fortschritte bestehen, ist fraglich. Jedenfalls trifft den VN die Beweislast dafür, dass zwischen dem behaupteten Unfallereignis und dem Bauch- oder Unterleibsbruch ein Kausalzusammenhang besteht, so dass aus prozessualer Sicht kein zwingender Grund dafür besteht, den Ausschluss von Bauch- oder Unterleibsbrüchen explizit zu regeln. Die Regelung kann allerdings die außergerichtliche Schadenregulierung durch den VR vereinfachen.
II. Entwicklung des Ausschlusses Vergleichbare Regelungen zu Ziff. 5.2.7 AUB 99 finden sich seit jeher in den AVB zur 3 Unfallversicherung,7 aber auch in der Kfz-Unfallversicherung (A.4.10.9 AKB 2008 bzw. § 19 Nr. 5 AKB). Der Ausschluss ist materiell-rechtlich seit den AUB 61 unverändert geblieben:
3 4
Perret S. 16; Reichenbach S. 92; Stockmeier/ Huppenbauer S. 75. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 107; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 169; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 39; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 94; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 53; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 94.
5 6 7
OLG Hamburg 15.9.1988 ZfS 1988 401 = RuS 1990 102, 103. Henke S. 75; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 250; Wüstney § 3 Anm. 7. Zur Geschichte des Ausschlusses Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 248.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.7
Unfallversicherung
AUB 2008 8 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 9
AUB 94
AUB 88 10
AUB 61 11
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: … Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
Ziff. 5 In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen? Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: … Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: …
§ 2 Ausschlüsse
§ 2 Ausschlüsse …
§ 10 Einschränkung der Leistungspflicht …
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt: … Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
Nicht unter den Versicherungsschutz fallen: …
5.2.7 S. 1 Bauchoder Unterleibsbrüche.
5.2.7 S. 1 Bauchoder Unterleibsbrüche.
Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Bauch- oder Unterleibsbrüche.
Abs. 3 Nr. 1 Bauchoder Unterleibsbrüche
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn sie durch eine unter diesen Vertrag fallende gewaltsame von außen kommende Einwirkung entstanden sind.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn sie durch eine unter diesen Vertrag fallende gewaltsame von außen kommende Einwirkung entstanden sind.
S. 2 Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn sie durch eine unter diesen Vertrag fallende gewaltsame von außen kommende Einwirkung entstanden sind.
Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn sie durch eine unter diesen Vertrag fallende gewaltsame von außen kommende Einwirkung entstanden sind.
§ 10 Nr. 3 Bauchoder Unterleibsbrüche irgendwelcher Art werden nur dann entschädigt, wenn sie durch eine gewaltsame von außen kommende Einwirkung entstanden sind.
Die Erwägungen der Bedingungsgeber der AUB 99, den Ausschluss gänzlich zu streichen, haben sich nicht durchgesetzt.12 Für eine Streichung sprachen einerseits u.a., dass Bauch- oder Unterleibsbrüche nur selten aus Unfallereignissen resultieren und bei anlagebedingten Bindegewebsschwächen die Kürzungsmöglichkeiten nach Ziff. 3 AUB 99 (bzw. § 8 AUB 88/94) besteht, so dass ein Verzicht auf den – ohnehin nur klarstellenden – Ausschluss vermutlich nur zu einer geringen Steigerung des Schadenaufwandes führen würde. Andererseits wurde befürchtet, dass bei einer Streichung der Klarstellung in Ziff. 5.2.7 AUB 99 die Regulierungspraxis durch eine wesentlich größere Anzahl von Unfallanzeigen belastet würde, deren Ablehnung einen erhöhten Begründungsaufwand erfordern und steigende Gutachterkosten nach sich ziehen könnte. Die VVG-Reform 2008 machte keine Anpassungen des Ausschlusses notwendig. Er 5 wurde unverändert in die AUB 2008 überführt.
4
B. Ausschlusstatbestand 6
Bauch- und Unterleibsbrüche 13 unterscheiden sich lediglich durch den Ort (die Bruchpforte), an dem die Eingeweide aus der Bauchhöhle heraustreten.14 Mit ihnen werden alle bekannten selteneren wie häufigeren Hernien („Eingeweidebrüche“) wie Zwerch-
8 9 10
Neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. Stockmeier/Huppenbauer S. 75. VerBAV 1987 417, 418.
1074
11 12 13 14
VerBAV 1984 410, 14. Näher hierzu Stockmeier/Huppenbauer S. 75 f. Zur Anatomie Böhmer/Böhm S. 31. Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 34.
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Beeinträchtigungen durch Bauch- und Unterleibsbrüche
AUB 2008 Ziff. 5.2.7
fellbrüche, Bauchdeckenbrüche, Leisten-15 und Schenkelbrüche, Nabel-16 bzw. Narbenbrüche17 und die verschiedenen Brüche im Beckenbereich sowie Wasser- und Krampfaderbrüche umschrieben.18 Eine Hernie ist gekennzeichnet durch das Vortreten von Eingeweiden oder Organteilen (Bruchinhalt) aus der Bauchhöhle durch Bandwandlücken oder -schwachstellen (Bruchpforte) in eine abnorme Ausstülpung des parietalen Bauchfells (Bruchsacks).19
C. Wiedereinschluss bei gewaltsamen von außen kommenden Einwirkungen Bauch- oder Unterleibsbrüche werden nur dann entschädigt, wenn sie durch eine 7 unter diesen Vertrag fallende gewaltsame von außen kommende Einwirkung entstanden sind. Dies kommt nur in Ausnahmefällen vor.20 Der Unfall muss einen spezifischen Hergang aufweisen.21 Folgende Kausalzusammenhänge lassen sich bei Bauch- oder Unterleibsbrüchen unterscheiden:22
1
Ursache
Erläuterung
Bewertung
Anlage- oder krankheitsbedingte Ursache von Fettpolstern durch
Verantwortlich für erworbene Eingeweidebrüche sind z.B. Verlust von Fettpolstern durch Abmagerung, wiederholte Schwangerschaften, chronischer Husten oder sich entwickelnde Schwäche der Bauchdeckenschichten, des Bindegewebes und der Muskulatur.
Kein Wiedereinschluss; es fehlt am Tatbestandsmerkmal „von außen“ sowie am Kausalzusammenhang.
2
Traumatische Ursache
2.1
Direkte Gewalt
2.1.1
• Scharf
Gemeint ist die • Eröffnung der Bauch- oder Unterleibsregion durch Muskel- oder Bindegewebeverletzungen, verletzende Stich- oder Schnittwunden bzw. • operative Eröffnung der Bauchhöhle zur Therapie unfallbedingter Verletzungen im Bauch- bzw. Unterleibsraum
Der Wiedereinschluss greift durch. Der Unfallzusammenhang ist gegeben, wenn die Hernie (Narbenbruch) in unmittelbarem Verlauf oder in direkter Nachbarschaft der abgeheilten Wunde liegt.
2.1.2
• Stumpf
Gemeint sind Hernien ohne offene Durchtrennung von Gewebestrukturen, also Prellungen infolge von Schlägen oder Stößen.
Der Wiedereinschluss greift durch, wenn die die Region schützenden Muskel- und Gewebestrukturen verletzt wurden.
15
16 17 18
OLG Hamburg 15.9.1988 ZfS 1988 401 = RuS 1990 102; LG Berlin 14.2.1989 VersR 1989 1186; AG Braunschweig 22.6.1982 VersR 1984 841; AG Stuttgart 19.1.1984 VersR 1984 841, 842; AG Wuppertal 23.1.1997 RuS 1998 436. RG 13.12.1912 VA 1913 Anh. S. 22 Nr. 721 LG Frankfurt/M. 28.1.1993 RuS 1993 396. Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 95; Perret S. 16; Reichenbach S. 92;
19
20 21 22
Stockmeier/Huppenbauer S. 75; Wussow/ Pürckhauer 6 § 2 Rn. 94. Pschyrembel unter „Hernie“; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 107; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 169; Kloth Rn. K 107. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 107. Stockmeier/Huppenbauer S. 75. Böhmer/Böhm S. 31 und 32–34; ferner Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 107.
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1075
AUB 2008 Ziff. 5.2.7 Ursache
Unfallversicherung Erläuterung
Bewertung
2.2
Indirekte Gewalt
2.2.1
• Fortgeleitet
Die von außen auf die Bauchdecken Der Wiedereinschluss greift durch. einwirkende Kraft bewirkt eine Fraglich kann der Beweis des Kausalstarke Druckerhöhung im Bauchzusammenhangs sein. raum (z.B. wenn der Bauch durch den Reifen eines Kfz überrollt wird), die einen Bauch- oder Unterleibsbruch verursachen kann.
2.2.2
• Willentlich
Erhöhung der Bauchdeckenspannung (plötzliche Druckerhöhung des Bauchinnenraums) durch Eigenbewegungen, insbesondere Kraftanstrengungen (z.B. Aufheben oder Auffangen eines schweren Gegenstandes)
Der Wiedereinschluss kann eingreifen. Maßgebend ist, ob • eine vollständig willensgesteuerte Bewegung vorliegt (dann fehlt es am Tatbestandsmerkmal „von außen“) oder nicht (z.B. bei Vermeidungsreflex); • zumindest eine erhebliche Kraft auf die versicherte Person gerichtet war; • sich Kausalität begründen und nachweisen lässt.
3.
Kombination von anlagebedingter und traumatischer Ursache
–
Der Wiedereinschluss greift durch, aber die Leistung ist zu mindern (Ziff. 3 AUB 99/2008).
8
Das Tatbestandsmerkmal „unter diesen Vertrag“ ist genauso auszulegen wie die gleichlautenden Formulierungen in anderen Ausschlusstatbeständen. Die dort gemachten Ausführungen (Ziff. 5.1.1 AUB 2008 Rn. 89) können entsprechend herangezogen werden. 9 Das Tatbestandsmerkmal „von außen“ hat nur deklaratorische Bedeutung; 23 denn ohne Einwirkung von außen würde bereits kein Unfall i.e.S. vorliegen. Inhaltlich gelten die zum Tatbestandsmerkmal „von außen“ im Unfallbegriff gemachten Ausführungen entsprechend (§ 178 Rn. 38 ff.). Anlagebedingte (innere) Ursachen werden von dem Wiedereinschluss nicht erfasst. So reichen insbesondere reine (vollständig willensgesteuerte) Kraftanstrengungen i.S.v. Ziff. 1.4 AUB 99 bzw. § 1 Abs. 4 AUB 88/94 nicht aus, den Versicherungsschutz zu begründen.24 Anderes kommt in Betracht, wenn bei Arbeiten an einem Gegenstand reflexartige Kraftanstrengungen einen Zusammenprall verhindern sollen oder das Objekt der Bemühungen eine Eigendynamik entwickelt (z.B. ein schwerer Gegenstand abrutscht und die versicherte Person diesen festhält bzw. auffängt).25 10 Ein plötzlich von außen wirkendes Ereignis i.S.v. § 171 (Ziff. 1.3 AUB 99) reicht für die in Ziff. 5.2.7 AUB 99 vorausgesetzte Kausalkette nicht aus. Vielmehr muss die Einwirkung „gewaltsam“ gewesen sein. Fraglich ist, was genau unter diesem Tatbestandsmerkmal zu verstehen ist. Unstreitig erfasst sind mechanische Einwirkungen, die so gewaltsam – direkt/unmittelbar – auf den Bauch oder Unterleib der versicherten Person gerichtet sind, dass dadurch – sofort – ein Riss (Bruchpforte) in der Bauchwand herbei-
23 24
Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 95. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 53.
1076
25
LG Berlin 14.2.1989 VersR 1989 1186 = RuS 1990 103; a.A. AG Stuttgart 19.1.1984 VersR 1984 841 f.
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Beeinträchtigungen durch Bauch- und Unterleibsbrüche
AUB 2008 Ziff. 5.2.7
geführt wird (Rissbruch),26 wobei das Hervortreten von Eingeweiden aus der Bauchhöhle bzw. dem Unterleib in einem natürlichen Zusammenhang demnächst erfolgen kann.27 Versichert sind danach traumatisch bedingte, primär durch eine Unfallverletzung entstandene Brüche.28 Ursachen können etwa Stöße, Tritte oder Stiche sein.29 Streitig ist, ob darüber hinaus auch andere Sachverhalte als gewaltsame Einwirkung angesehen werden können. So wird vertreten, dass jede mit erheblicher Gewalt erfolgte mechanische Einwirkung auf den Körper des Verletzten ausreiche.30 Es genüge, wenn die von außen kommende Einwirkung mit erheblicher Kraftentfaltung auf den Körper der versicherten Person gerichtet sei.31 Dieser (großzügigeren) Auffassung ist zu folgen. Für sie spricht, dass das Erfordernis einer unmittelbar gegen den Bauch oder Unterleib gerichteten Gewalteinwirkung dem Wortlaut des Ausschlusstatbestandes nicht zu entnehmen ist. Zwar mag dies nach der Entstehungsgeschichte der AUB von den Bedingungsgebern so gewollt gewesen sein. Jedoch spielen die Motive der AUB-Verfasser für die Auslegung keine Rolle. Entscheidend sind allein die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen VN (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 56). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird „gewaltsam“ i.S.v. „unter Anwendung physischer Kraft“ 32 oder „mit roher Kraft“ bzw. „mit Wucht“ 33 verstanden. Das Erfordernis einer „Unmittelbarkeit gegen den Bauch oder Unterleib“ oder „sofortigen Auswirkung“ ergibt sich daraus nicht. Hinzukommt, dass es dem VN kaum vermittelbar wäre, wenn etwa einerseits ein Leistenbruch nach einem Zusammenprall der Leistengegend mit einem schweren Gegenstand versichert wäre, andererseits aber Versicherungsleistungen für einen Leistenbruch ausgeschlossen wären, der daraus resultiert, dass die versicherte Person eine erhebliche bzw. ungewöhnliche Kraftanstrengung (z.B. als Reflex) unternimmt, um einen Zusammenstoß mit einem schweren Gegenstand zu vermeiden. Zwischen der gewaltsamen von außen kommenden Einwirkung und dem Bauch- 11 oder Unterleibsbruch muss ein adäquater Ursachenzusammenhang bestehen, wobei Mitursächlichkeit genügt. Bei der Prüfung der Kausalkette ist zu unterscheiden zwischen dem eigentlichen „Bruch“, d.h. der Bildung der Bruchpforte durch Bruch des Bindegewebes, und den „Bruchfolgen“, also dem Austritt innerer Organe. Die zum Wiedereinschluss führende Einwirkung muss sich auf die Bildung der Bruchpforte beziehen.34 Äußere gewaltsame Einwirkung → Bruch des Gewebes → Austritt innerer Organe ➔ Wiedereinschluss
Keine Kausalität besteht dagegen, wenn das Austreten innerer Organe rein natürlichen Abläufen nachfolgt, weil z.B. ausschließlich körperinnere Vorgänge zu einer Erhöhung des Bauchinnendrucks mit anschließendem Gewebebruch geführt haben. Selbst wenn der Austritt der Eingeweide oder Organteile zwar gelegentlich eines Unfallereig-
26 27
28 29
Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 35. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 108; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 96; Stockmeier/Huppenbauer S. 75. AG Braunschweig 22.6.1982 VersR 1984 841. Reichenbach S. 92; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 53; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 250; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 95.
30 31 32 33 34
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 39. LG Berlin 14.2.1989 VersR 1989 1186 f. = RuS 1990 103, 104. Duden Bd. 10: Das Bedeutungswörterbuch (2002) unter „gewaltsam“. Mackensen Deutsches Wörterbuch 10. Aufl. (1983) unter „Gewalt“. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 108; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 170.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.7
Unfallversicherung
nisses auftritt, jedoch die Bruchpforte zuvor bereits unabhängig von einer äußeren gewaltsamen Einwirkung vorhanden war, greift der Ausschluss durch. Bruch des Gewebes → Äußere gewaltsame Einwirkung → Austritt innerer Organe ➔ Versicherungsausschluss
12
Keine gewaltsame Einwirkung von außen stellt nach h.M. der sog. „Pressbruch“ dar, der insbesondere bei Kraftanstrengungen (schwerem Heben, sog. Verhebetrauma),35 aber auch bei langanhaltendem Husten durch Bauchpresse (Erhöhung des Bauchinnendrucks) auftritt.36 Die Gegenauffassung bejaht dagegen den Wiedereinschluss mit Hinweis darauf, dass jede mit erheblicher Gewalt erfolgte Einwirkung auf die versicherte Person ausreiche37 bzw. eine gewaltsam von außen kommende Einwirkung bereits dann vorliege, wenn der Pressbruch Folge einer reflexartigen ungewöhnlichen Kraftanstrengung zur Abwehr der Gewalteinwirkung sei.38 Zwingend ist dies nicht. Auch wenn – wie hier – kein enges Verständnis des Begriffs „gewaltsam“ zugrunde gelegt wird, wird die Einzelfallprüfung in aller Regel ergeben, dass sich bei Pressbrüchen Versicherungsschutz nicht begründen lässt: • Beim langanhaltenden Husten dürfte stets, beim schweren Heben oftmals schon das Kriterium „von außen“ zu verneinen sein. Handelt es sich um einen rein körperinneren Vorgang, der zum Bauch- oder Unterleibsbruch führt, ist weder der Unfallbegriff i.e.S. erfüllt (so dass es „an sich“ schon gar nicht auf den Ausschluss ankommt) noch eine von außen wirkende Einwirkung i.S.v. Ziff. 5.2.7 AUB 99/2008 anzunehmen. Dies gilt etwa für die Fälle, in denen die versicherte Person eine vollständig willensgesteuerte (Kraft-)Anstrengung unternimmt. • Bei irregulären Vorgängen (z.B. Auffangen eines ins Rutschen geratenden Gegenstandes), die das Merkmal „von außen“ erfüllen, wird der Kausalzusammenhang oftmals zweifelhaft sein. Es reicht nicht aus, dass die Auswirkungen der Bauch- oder Unterleibsbrüche in irgendeinem Zusammenhang mit einer gewaltsamen Einwirkung von außen stehen. Die konkrete Einwirkung muss vielmehr die jeweilige Bruchpforte zumindest mitverursacht haben. Dagegen greift der Wiedereinschluss nicht ein, wenn ausschließlich innere Ursachen den Bauch- oder Unterleibsbruch hervorgerufen haben. Dies dürfte typischerweise der Fall sein. Zwar können willentliche Bewegungsabläufe bereits bestehende Brüche (den vorhandenen Bruchsack) mit Organen des Bauchraums füllen, sie sind jedoch nicht geeignet, „normale“ altersentsprechende Gewebestrukturen zu zerreißen und eine Bruchbildung zu verursachen.39 Aufgrund dieses Erfahrungssatzes wird der Anspruchsteller spätestens auf Beweisebene Schwierigkeiten haben, den geltend gemachten Wiedereinschluss zu begründen.
D. Wirksamkeit des Ausschlusses 13
Der Ausschlusstatbestand verstößt nicht gegen das AGB-Recht. Er ist weder überraschend (§ 305 c Abs. 1 BGB, § 3 AGBG) 40 noch inhaltlich unangemessen oder intransparent (§ 307 BGB).41 Schwierigkeiten bei der Formulierung „gewaltsame von außen 35
36
OLG Hamburg 15.9.1988 ZfS 1988 401 = RuS 1990 102, 103; AG Braunschweig 22.6.1982 VersR 1984 841; AG Stuttgart 19.1.1984 VersR 1984 841, 842; Böhmer/ Böhm S. 31, 34. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 108; Perret S. 16; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 96; Stiefel/Hofmann 17 § 19 AKB Rn. 34 f.; Stockmeier/Huppenbauer S. 75.
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37 38 39 40 41
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 39. LG Berlin 14.2.1989 VersR 1989 1186 f. Böhmer/Böhm S. 31, 34; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 108. Wussow/Pürckhauer 6 Vorbemerkungen Rn. 14. OLG Hamburg 15.9.1988 ZfS 1988 401; AG Stuttgart 19.1.1984 VersR 1984 841, 842 (zu § 10 Nr. 3 AUB 61, allerdings mit Hin-
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Beeinträchtigungen durch Bauch- und Unterleibsbrüche
AUB 2008 Ziff. 5.2.7
kommende Einwirkung“ lassen sich im Wege der vorrangigen Auslegung (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 81) lösen. Durch die Auslegungsbedürftigkeit der Klausel bleibt sie allerdings angreifbar.42 Bei einer Überarbeitung der AUB könnte es sich deshalb für die Bedingungsgeber anbieten, erneut einen Verzicht des Ausschlusses zu erwägen (Rn. 4) oder das Merkmal „gewaltsam“ (etwa i.S.v. „erheblicher Kraftentfaltung unmittelbar auf Bauch oder Unterleib“) zu konkretisieren.
E. Verfahrensfragen 14
Die Beweislast verteilt sich wie folgt:
I. Beweis des Bauch- oder Unterleibbruches Der VR hat das Vorliegen eines Bauch- oder Unterleibbruches nach allgemeinen 15 Regeln (Ziff. 5 AUB 99 Rn. 32) – im Wege des Strengbeweises (§ 286 ZPO) – zu beweisen. Dieser Beweis ist meist unproblematisch.43 Ein Bauch- oder Unterleibsbruch ist relativ leicht durch medizinische Untersuchungstechniken wie Palpation (Untersuchung durch Betasten) oder Sonographie (Ultraschalldiagnostik) festzustellen. Wichtige Informationsquelle ist der Operationsbericht.44
II. Beweis der gewaltsamen von außen kommenden Einwirkung Den Wiedereinschluss, also das Entstehen des Bauch- oder Unterleibbruches durch 16 eine gewaltsame von außen kommende Einwirkung, hat der Anspruchsteller zu beweisen.45 Es muss ausgeschlossen werden können, dass der Bruch ausschließlich auf körperinternen oder anlagebedingten bzw. krankhaften Ursachen beruht (z.B. angeborener Bruchsack, Übergewicht des Patienten). Fehlen „frische“ Verletzungsspuren bzw. können sie (z.B. anhand der Operationsberichte) nicht festgestellt werden, wird der Anspruchsteller regelmäßig seiner Beweislast für das Vorliegen des Wiedereinschlusses nicht gerecht werden können. Der VR ist dann leistungsfrei.46 • Für die gewaltsame von außen kommende Einwirkung hat der Anspruchsteller den Vollbeweis (§ 286 ZPO) anzutreten.47 Dies gilt auch für die haftungsbegründende Kausalität zwischen der gewaltsamen Einwirkung von außen auf die versicherte Person und dem Auftreten der Bruchpforte (Bruch des Gewebes). Es handelt sich bei diesen Tatbestandsmerkmalen um eine Modifizierung des allgemeinen Unfallbegriffs (Rn. 1), für den ebenfalls § 286 ZPO Anwendung findet (§ 178 Rn. 168 ff.). • Für den haftungsausfüllenden Kausalzusammenhang zwischen der von außen kommenden Einwirkung und dem Auftreten des Bruchsacks (Vortreten von Eingeweiden oder inneren Organen)
42 43 44 45
weis auf die Vorkontrolle durch das damalige BAV); Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 106. Stockmeier/Huppenbauer S. 75. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 170. Böhmer/Böhm S. 31, 35. OLG Hamburg 15.9.1988 ZfS 1988 401 = RuS 1990 102 f.; OLG Hamm 30.11.2005 RuS 2006 340; LG Frankfurt/M. 28.1.1993
46 47
RuS 1993 396; Böhmer/Böhm S. 31, 35; Grewing Entstehungsgeschichte S. 46; Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 106; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 170; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 2 AUB 94 Rn. 39. So z.B. im Fall des AG Wuppertal 23.1.1997 RuS 1998 436. OLG Hamm 30.11.2005 RuS 2006 340.
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AUB 2008 Ziff. 5.2.7
Unfallversicherung
gilt dagegen nach allgemeinen Regeln § 287 ZPO (§ 180 Rn. 48 ff.). Es reicht mithin aus, dass diese Unfallfolgen offenkundig Folge der von außen kommenden gewaltsamen Einwirkung sind bzw. hierfür nach ärztlichem Urteil eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht.48
17
Für den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen der gewaltsamen Einwirkung von außen und der Hernie lassen sich folgende Punkte anführen, wenn sie sich im sofortigen Anschluss an den Unfall zeigen:49 • Vorliegen von Ödemen, Blutungen, Zerreißungen von Muskel- und Sehnengewebe oder Hämatomen;50 • tastbare Lücke der Bauchwand; • klinische Symptome wie starke Schmerzen, Blässe, Schock,51 kleiner und beschleunigter Puls etc.;52 • Verhalten der versicherten Person nach dem Ereignis, z.B. sofortige schmerzbedingte Einstellung der Arbeit oder Tätigkeit und eine zeitadäquate ärztliche Konsultation.
So spricht es für einen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Leistenbruch, wenn die versicherte Person äußerlich sichtbare Verletzungen der Haut oder des Muskelgewebes im Bereich der Leiste erlitten hat.53 Traumatisch entstandene Leistenbrüche haben darüber hinaus eine kleine Bruchpforte und lassen sich schwer zurückbringen.54 Ähnliches gilt für einen Narbenbruch. Auf einen Ursachenzusammenhang lässt sich schließen, wenn unmittelbar nach dem Unfall eine ausgedehnte Blutergussbildung in der betroffenen Region zu beobachten ist.55 Gegen ein gewaltsam von außen kommendes Ereignis spricht das Fehlen der o.g. unfallspezifischen Symptome.56 Jedenfalls ist eine akute Entstehung des Bauch- oder Unterleibsbruchs ausgeschlossen, wenn • Blutergussbildungen im Bruchsackinhalt, im Bruchsack selbst oder in dem ihn umgebenden Gewebe fehlen; • Brüche mit großem Volumen, möglicherweise mit bereits aufgedehnter Bauchdeckenhaut, vorliegen; • Vernarbungen des Bruchsackinhalts mit der Bruchsackwand festgestellt werden.57
Daraus entstehende Zweifel an dem Kausalzusammenhang zwischen der gewaltsamen von außen kommenden Einwirkung und dem Auftreten der Bruchpforte wird der Anspruchsteller kaum ausräumen können. Blutergussbildungen und zerrissene Gewebestrukturen in unmittelbarer Nachbar18 schaft des entstandenen Bruches werden durch eine kurzfristig nach dem Ereignis durchgeführte Diagnostik, in erster Linie durch Sonographie, erkannt. Wird zur Therapie des Bruches wenige Tage nach dem Ereignis die Operation durchgeführt, so lassen sich leicht Einblutungen und Blutergussbildungen in der Nachbarschaft der Bruchstelle erkennen und zeitlich zu einem behaupteten Ereignis zuordnen. Dagegen ist der Nachweis der gewaltsamen Entstehung sowie eine Abgrenzung der behaupteten traumatischen Genese von Vorzuständen erschwert, wenn die medizinische Untersuchung und Therapie nicht rechtzeitig nach dem angegebenen Ereignis durchgeführt wird.58
48 49 50
51
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. G 250. Böhmer/Böhm S. 31, 33 f.; Reichenbach S. 92. OLG Hamburg 15.9.1988 ZfS 1988 401 = RuS 1990 102, 103; OLG Hamm 30.11.2005 RuS 2006 340, 341; AG Wuppertal 23.1.1997 RuS 1998 436. OLG Hamm 30.11.2005 RuS 2006 340, 341.
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52 53 54 55 56
57 58
AG Braunschweig 22.6.1982 VersR 1984 841. AG Braunschweig 22.6.1982 VersR 1984 841. Grimm 4 Ziff. 5 AUB 99 Rn. 107. LG Frankfurt/M. 28.1.1993 RuS 1993 396. OLG Hamburg 15.9.1988 ZfS 1988 401 = RuS 1990 102, 103; Wussow/Pürckhauer 6 § 2 Rn. 95. Böhmer/Böhm S. 31, 35. Böhmer/Böhm S. 31, 35.
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Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
Ziff. 6 AUB 2008 6
Was müssen Sie bei vereinbartem Kinder-Tarif und bei Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung beachten? 6.1 Umstellung des Kinder-Tarifs 6.1.1 Bis zum Ablauf des Versicherungsjahres, in dem das nach dem Kinder-Tarif versicherte Kind das X. Lebensjahr vollendet, besteht Versicherungsschutz zu den vereinbarten Versicherungssummen. Danach gilt der zu diesem Zeitpunkt gültige Tarif für Erwachsene. Sie haben jedoch folgendes Wahlrecht: • Sie zahlen den bisherigen Beitrag, und wir reduzieren die Versicherungssummen entsprechend. • Sie behalten die bisherigen Versicherungssummen, und wir berechnen einen entsprechend höheren Beitrag.
6.1.2 Über Ihr Wahlrecht werden wir Sie rechtzeitig informieren. Teilen Sie uns das Ergebnis Ihrer Wahl nicht bis spätestens zwei Monate nach Beginn des neuen Versicherungsjahres mit, setzt sich der Vertrag entsprechend der ersten Wahlmöglichkeit fort. 6.2 Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung 6.2.1 Die Höhe der Versicherungssummen bzw. des Beitrages hängt maßgeblich von der Berufstätigkeit oder der Beschäftigung der versicherten Person ab. Grundlage für die Bemessung der Versicherungssummen und Beiträge ist unser geltendes Berufsgruppenverzeichnis. (Unternehmensindividueller Text zur Fundstelle) Eine Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person müssen Sie uns daher unverzüglich mitteilen. Pflichtwehrdienst, Zivildienst oder militärische Reserveübungen fallen nicht darunter. 6.2.2 Errechnen sich bei gleichbleibendem Beitrag nach dem zum Zeitpunkt der Änderung gültigen Tarif niedrigere Versicherungssummen, gelten diese nach Ablauf eines Monats ab der Änderung. Errechnen sich dagegen höhere Versicherungssummen, gelten diese, sobald wir Kenntnis von der Änderung erlangen, spätestens jedoch nach Ablauf eines Monats ab der Änderung. Errechnen sich dagegen höhere Versicherungssummen, gelten diese, sobald uns Ihre Erklärung zugeht, spätestens jedoch nach Ablauf eines Monats ab der Änderung. Die neu errechneten Versicherungssummen gelten sowohl für berufliche als auch für außerberufliche Unfälle. 6.2.3 Auf Ihren Wunsch führen wir den Vertrag auch mit den bisherigen Versicherungssummen bei erhöhtem oder gesenktem Beitrag weiter, sobald uns Ihre Erklärung zugeht.
Schrifttum Bihr „Ein Vertragswerk der neuen Generation“ – wird jetzt alles besser? VW 1999 1329; Claßen Anwendbarkeit der §§ 23 ff. VVG (Gefahrerhöhung) in der privaten Unfallversicherung, VersR 1990 837.
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AUB 2008 Ziff. 6
Unfallversicherung
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zweck der Regelung . . . . . . . . . . . II. Entwicklung der Regelung . . . . . . . . 1. AUB 61 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. AUB 88 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. AUB 94 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. AUB 99 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. AUB 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . B. Umstellung des Kinder-Tarifs . . . . . . . C. Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . 1. Regelungskonzept . . . . . . . . . . . a) Verhältnis zu § 181 . . . . . . . . . b) Verhältnis zu §§ 23 ff. . . . . . . . . c) Verhältnis zu § 28 . . . . . . . . . . d) Verhältnis zu § 313 BGB . . . . . . . 2. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . II. Meldeobliegenheit des VN . . . . . . . .
Rn.
1 2 4 5 8 9 10 13 14
III.
15 16 17 18 19 22 23 24 27
D. I. II. III. IV. E. F.
1. Anzeigepflichtiger . . . . . . . . . . 2. Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . 3. Unverzügliche Mitteilung . . . . . . 4. Belehrungspflicht des VR . . . . . . 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . Gefahränderung . . . . . . . . . . . . 1. Tarif des VR . . . . . . . . . . . . 2. Gefahrerhöhung . . . . . . . . . . 3. Gefahrminderung . . . . . . . . . . 4. Wahlrecht des VN . . . . . . . . . Wirksamkeit der Regelung . . . . . . Umstellung des Kindertarifs . . . . . . Anzeigenobliegenheit . . . . . . . . . Summenanpassung . . . . . . . . . . Wahlrecht des VN . . . . . . . . . . . Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . . . .
. . 28 . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
29 34 35 36 38 39 42 43 44 45 46 47 48 52 53 54
A. Einführung 1
Die Beitragsbemessung und/oder inhaltliche Vertragsgestaltung ist in der Unfallversicherung typischerweise von mehreren Faktoren wie Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand (zum Einfluss des AGG Vorbem. § 178 Rn. 99 ff.) sowie Beruf und Beschäftigung der versicherten Person abhängig. Ziff. 6 AUB 2008 regelt den Komplex „Gefahränderung“ und gestaltet §§ 181, 23 ff. näher aus.
I. Zweck der Regelung 2
Ziff. 6.1 AUB 99/2008 zur Umstellung des Kindertarifs trägt dem Umstand Rechnung, dass in der Unfallversicherung die Schadenshäufigkeit und der Schadensbedarf bei Erwachsenen und Kindern unterschiedlich ist. Für Kinder besteht nach statistisch nachweisbarer Erfahrung ein geringeres Risiko. Dies rechtfertigt es, Kinder zu einer geringeren Versicherungsprämie zu versichern als Erwachsene. Daraus folgt aber zugleich, dass mit dem Übergang in das Erwachsenenalter die Fortgeltung des unveränderten Versicherungsschutzes zu der Prämie des Kindertarifs nicht mehr angemessen ist. Die in den Bedingungen geregelte Tarifumstellung soll das geänderte Äquivalenzverhältnis zwischen der Versicherungsprämie und dem vom VR übernommenen Risiko wiederherstellen.1 Insbesondere das Breitengeschäft der Allgemeinen (Einzel-)Unfallversicherung wird 3 ganz maßgeblich von den Angaben zum Beruf oder zur Beschäftigung der versicherten Person beeinflusst.2 Berufe mit einer vergleichbaren Unfallträchtigkeit werden in sog. Gefahrengruppen zusammengefasst. Üblicherweise wird zwischen der Gefahrengruppe A für Berufe bzw. Beschäftigungen mit leichteren Risiken und der Gefahrengruppe B für Berufe bzw. Beschäftigungen mit schwereren Risiken differenziert.3 1 2
OLG Hamm 9.10.1987 VersR 1988 263, 264. Wussow/Pürckhauer6 § 6 Rn. 2; ferner Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 177.
1082
3
Kloth Rn. L 1 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 131.
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Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
• Zur Gefahrengruppe A gehören Berufe mit überwiegender Büro- oder Verwaltungstätigkeit bzw. nur leichter körperlicher Tätigkeit. Erfasst werden z.B. Architekten, Ärzte, Bürokaufleute, Hausfrauen, Lehrer oder Juristen. • In der Gefahrengruppe B werden Berufe mit überwiegender körperlicher Tätigkeit zusammengefasst. Fernerhin werden ihr Tätigkeiten zugeordnet, die durch den Umgang mit gefährlichen Stoffen oder ein risikoreiches Umfeld gekennzeichnet sind. Zur Gefahrengruppe B gehören etwa Handwerker, Polizisten oder Soldaten.
Kommt es zu einem Wechsel zwischen den Gefahrengruppen, zieht dies eine Änderung des versicherten Risikos und damit des kalkulierten Beitrags nach sich (vgl. auch Ziff. 6.2.1 S. 1 AUB 2008). Solche Sachverhaltskonstellationen werden mit den Regelungen in den AUB zu Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung abgedeckt. Die jeweiligen Klauseln bezwecken, dass der VR als Gegenleistung für den gebotenen Versicherungsschutz die der Gefahränderung angepasste – tarifgerechte – Prämie vom VN erhält.4 • Die Erreichung dieses Ziels setzt voraus, dass der VR überhaupt Kenntnis von der Änderung gefahrrelevanter Umstände, also eines Berufs- oder Beschäftigungswechsels erlangt. Da der VR nach Vertragsschluss häufig keinen weiteren (bzw. keinen näheren) Kontakt mehr zur versicherten Person hat, ist es notwendig, für den VN eine Meldeobliegenheit vorzusehen. Auf diese wird der VN im Produktinformationsblatt aufmerksam gemacht (§ 4 Abs. 2 Nr. 6 VVG-InfoV). • Liegt eine beitragsrelevante Gefahränderung vor, so muss hierauf entweder durch eine Summenoder Prämienanpassung reagiert werden. Hier sehen die verschiedenen AUB-Generationen unterschiedliche Lösungskonzepte vor. In den AUB 99/2008 wird – genauso wie in § 181 Abs. 2 S. 1 – der Grundsatz der Beitragsstabilität verfolgt. Der VN hat allerdings ein Wahlrecht. Er kann entscheiden, ob er eine Anpassung der Versicherungssummen bei gleich bleibendem Beitrag oder eine Anpassung der Prämie bei gleich bleibenden Versicherungssummen wünscht.
II. Entwicklung der Regelung Bestimmungen zur Veränderung in der Risikolage finden sich in allen AUB-Generatio- 4 nen.5 Während in den AUB 61/88/94 noch (externe) Zusatzbedingungen zum Kindertarif heranzuziehen waren, sind diese in die AUB 99 integriert worden. Die VVG-Reform 2008 führte zu weiteren Anpassungen: AUB 2008 6 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99 7
AUB 94
AUB 88 8
AUB 61 9
6 Was müssen Sie bei vereinbartem Kinder-Tarif und bei Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung beachten?
6 Was müssen Sie bei vereinbartem Kinder-Tarif und bei Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung beachten?
§ 6 Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung, Wehrdienst
§ 6 Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung, Wehrdienst
§ 4 Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung – Sondergefahren
4 5 6
Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 2; ferner Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 141. S. bereits etwa VA 1920 92, 94. Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de.
7 8 9
Stockmeier/Huppenbauer S. 77 ff. VerBAV 1987 417, 419. VerBAV 1984 10, 11 und 15; zu § 4 der Verbandsbedingungen von 1904 vgl. Gerhard/ Hagen S. 744.
Kent Leverenz
1083
AUB 2008 Ziff. 6
Unfallversicherung
AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 94
AUB 88
AUB 61
6.1 Umstellung des Kinder-Tarifs
6.1 Umstellung des Kinder-Tarifs
–
–
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6.1.1 S. 1 Bis zum Ablauf des Versicherungsjahres, in dem das nach dem Kinder-Tarif versicherte Kind das X. Lebensjahr vollendet, besteht Versicherungsschutz zu den vereinbarten Versicherungssummen.
6.1.1 S. 1 Bis zum Ablauf des Versicherungsjahres, in dem das nach dem Kinder-Tarif versicherte Kind das 18. Lebensjahr vollendet, besteht Versicherungsschutz zu den vereinbarten Versicherungssummen.
KiUV 90 10 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 Die Versicherung wird bis zum Ende des Versicherungsjahres, in dem das versicherte Kind das 18. Lebensjahr vollendet, zum vereinbarten Beitrag fortgeführt.
Zusatzbedingungen für die Kinder-Unfallversicherung und Zusatzbedingungen für die Kinder-Unfallversicherung mit Einschluss von Vergiftungen 11
S. 2 Danach gilt der zu diesem Zeitpunkt gültige Tarif für Erwachsene.
S. 2 Danach gilt der zu diesem Zeitpunkt gültige Tarif für Erwachsene.
S. 2 Der Versicherungsnehmer hat dann folgendes Wahlrecht:
S. 3 Sie haben jedoch folgendes Wahlrecht: • Sie zahlen den bisherigen Beitrag, und wir reduzieren die Versicherungssummen entsprechend. • Sie behalten die bisherigen Versicherungssummen, und wir berechnen einen entsprechend höheren Beitrag.
S. 3 Sie haben jedoch folgendes Wahlrecht: • Sie zahlen den bisherigen Beitrag, und wir reduzieren die Versicherungssummen entsprechend. • Sie behalten die bisherigen Versicherungssummen, und wir berechnen einen entsprechend höheren Beitrag.
a) Die Versicherungssummen bleiben unverändert, und es ist der Beitrag zu zahlen, der sich aus dem zu diesem Zeitpunkt gültigen Tarif des Versicherers für Erwachsene ergibt. b) Der Beitrag bleibt unverändert, und die Versicherungssummen vermindern sich im Verhältnis des zu diesem Zeitpunkt gültigen Erwachsenen-Tarifbeitrages zum bisherigen Beitrag.
10
VerBAV 1990 556, 558.
1084
11
Nr. 1 S. 1 Die Versicherung wird zum vereinbarten Beitrag bis zum Ende des Versicherungsjahres fortgeführt, in dem das versicherte Kind das 18. Lebensjahr vollendet. S. 2 Damit endet die Anwendung des Tarifs für Kinder und es ist der Beitrag zu entrichten, der sich aus dem zu diesem Zeitpunkt gültigen Tarif des Versicherers für Erwachsene ergibt. Nr. 2 Tritt nach Ablauf eines Monats ab Beginn des Versicherungsjahres, für das gemäß Nummer 1 der erhöhte Beitrag zu entrichten ist, ein Versicherungsfall ein, ohne dass inzwischen eine Einigung über den Mehrbeitrag erzielt worden ist, so bemessen sich die Leistungen des Versicherers nach den im Verhältnis des neuerdings erforderlichen zu dem bisherigen Beitrag herabgesetzten Versicherungssummen.
VerBAV 1987 417, 422.
Kent Leverenz
Kindertarif und Gefahränderung AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
6.1.2 S. 1 Über Ihr Wahlrecht werden wir Sie rechtzeitig informieren.
6.1.2 S. 1 Über Ihr Wahlrecht werden wir Sie rechtzeitig informieren.
AUB 88
AUB 61
KiUV 90 Abs. 1 Nr. 2 Hat der Versicherungsnehmer sein Wahlrecht gemäß Nummer (1) S. 2 Teilen Sie uns S. 2 Teilen Sie uns nicht bis spätestens das Ergebnis Ihrer das Ergebnis Ihrer zwei Monate nach Wahl nicht bis späWahl nicht bis spä- Beginn des neuen testens zwei Monate testens zwei Monate Versicherungsjahres nach Beginn des nach Beginn des ausgeübt, setzt sich neuen Versicherungs- neuen Versicherungs- der Vertrag nach jahres mit, setzt sich jahres mit, setzt sich Nummer (1) Buchder Vertrag entspre- der Vertrag entspre- stabe b) fort. chend der ersten chend der ersten Wahlmöglichkeit Wahlmöglichkeit fort. fort.
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6.2 Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung
6.2 Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung
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6.2.1 S. 1 Die Höhe der Versicherungssummen bzw. des Beitrages hängt maßgeblich von der Berufstätigkeit oder der Beschäftigung der versicherten Person ab.
6.2.1 Eine Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person (Pflichtwehrdienst, Zivildienst oder militärische Reserveübungen fallen nicht darunter) müssen Sie uns unverzüglich mitteilen, weil die Höhe der Versicherungssummen bzw. des Beitrags maßgeblich von diesen Umständen abhängt.
§ 6 Abs. 1 S. 1 Während der Vertragsdauer eintretende Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten sind unverzüglich anzuzeigen.
§ 6 Abs. 1 S. 1 Während der Vertragsdauer eintretende Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten sind unverzüglich anzuzeigen.
§ 15 Abs. 1 Während der Vertragsdauer eingetretene Änderungen der beruflichen Tätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten sind unverzüglich anzuzeigen (§ 4 Nr. 1 und Nr. 2).
S. 2 Die Ableistung von Pflichtwehrdienst oder Zivildienst sowie die Teilnahme an militärischen Reserveübungen gelten nicht als Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung.
S. 2 Die Ableistung von Pflichtwehrdienst oder Zivildienst sowie die Teilnahme an militärischen Reserveübungen gelten nicht als Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung.
§ 4 Nr. 1 S. 2 Die Ableistung von Pflichtwehrdienst oder Zivildienst sowie die Teilnahme an militärischen Reserveübungen gelten nicht als Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung.12
S. 2 Grundlage für die Bemessung der Versicherungssummen und Beiträge ist unser geltendes Berufsgruppenverzeichnis. (Unternehmensindividueller Text zur Fundstelle) S. 3 Eine Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person müssen Sie uns daher unverzüglich mitteilen.
AUB 94
AUB 2008 Ziff. 6
S. 4 Pflichtwehrdienst, Zivildienst oder militärische Reserveübungen fallen nicht darunter.
12
Der Text geht zurück auf VerBAV 1979 387 (dazu auch GB BAV 1979 85 Nr. 8101).
Kent Leverenz
1085
AUB 2008 Ziff. 6 AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
6.2.2 S. 1 Errechnen sich bei gleichbleibendem Beitrag nach dem zum Zeitpunkt der Änderung gültigen Tarif niedrigere Versicherungssummen, gelten diese nach Ablauf eines Monats ab der Änderung.
6.2.2 S. 1 Errechnen sich bei gleichbleibendem Beitrag nach dem zum Zeitpunkt der Änderung gültigen Tarif niedrigere Versicherungssummen, gelten diese nach Ablauf von zwei Monaten ab der Änderung.
Unfallversicherung AUB 94
§ 6 Abs. 2 Nr. 1 Ergibt sich für eine neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten nach dem zur Zeit der Änderung gültigen Tarif des Versicherers ein niedrigerer Beitrag, so ist nach Ablauf eines Monats vom ZuS. 2 Errechnen sich S. 2 Errechnen sich gang der Anzeige an dagegen höhere Ver- dagegen höhere Ver- nur dieser zu zahlen. sicherungssummen, sicherungssummen, gelten diese, sobald gelten diese nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 uns Ihre Erklärung Ablauf eines MoErgibt sich ein höhezugeht, spätestens nats ab der Änderer Beitrag, so wird jedoch nach Ablauf rung. noch für zwei Moeines Monats ab der nate von dem ZeitÄnderung. S. 3 Die neu errech- punkt der Änderung neten Versicherungs- der Berufstätigkeit S. 3 Die neu errech- summen gelten sooder Beschäftigung neten Versicherungs- wohl für berufliche an Versicherungssummen gelten soals auch für außerschutz nach den wohl für berufliche berufliche Unfälle. bisherigen Verals auch für außersicherungssummen berufliche Unfälle. geboten.
AUB 88
AUB 61
§ 6 Abs. 2 Nr. 1 Ergibt sich für eine neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten nach dem zur Zeit der Änderung gültigen Tarif des Versicherers ein niedrigerer Beitrag, so ist nach Ablauf eines Monats vom Zugang der Anzeige an nur dieser zu zahlen.
§ 4 Nr. 2a Ergibt sich für die neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung nach dem zur Zeit der Veränderung gültigen Tarif des Versicherers ein niedrigerer Beitrag, so ist nach Ablauf eines Monats vom Zugang der Anzeige (§ 15 I) an nur dieser zu zahlen.
§ 6 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 Ergibt sich ein höherer Beitrag, so wird noch für zwei Monate von dem Zeitpunkt der Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung an Versicherungsschutz nach den bisherigen Versicherungssummen geboten.
§ 4 Nr. 2b S. 1 Ergibt sich ein höherer Beitrag, so wird auf Dauer eines Monats von dem Zeitpunkt an, an dem dem Versicherer Anzeige hätte zugehen müssen, auch für die erhöhte Gefahr der volle Versicherungsschutz gewährt.
S. 2 Tritt ein auf die erhöhte Gefahr zurückzuführender S. 2 Tritt nach AbS. 2 Tritt nach AbVersicherungsfall nach lauf dieser Frist ein lauf dieser Frist ein dem Ablauf dieses Unfall ein, ohne Unfall ein, ohne Monats ein, ohne dass dass eine Ändedass eine Ändeinzwischen eine Einirungsanzeige erfolgt rungsanzeige erfolgt gung über den Mehroder eine Einigung oder eine Einigung betrag erzielt worden über den Beitrag über den Beitrag ist, so bemessen sich erzielt worden ist, erzielt worden ist, die Leistungen des so vermindern sich so vermindern sich Versicherers nach den die Versicherungsdie Versicherungsim Verhältnis des summen im Versummen im Verneuerdings erforderhältnis des erforder- hältnis des erforder- lichen zu dem bislichen Beitrages zum lichen Beitrages zum herigen Beitrag bisherigen Beitrag. bisherigen Beitrag. herabgesetzten Versicherungssummen
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1086
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§ 6 Abs. 2 Nr. 3a – S. 1 Bietet der Versicherer für die neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung nach seinem Tarif keinen Versicherungsschutz, kann der Versicherer den Vertrag kündigen.
Kent Leverenz
§ 4 Nr. 1 S. 1 Änderungen in der sich aus dem Vertrag ergebenden Berufstätigkeit oder Beschäftigung des Versicherten sind ohne Einfluss auf den Fortbestand des Vertrages, sofern der Versicherer für die neue Berufstätigkeit oder
Kindertarif und Gefahränderung AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
AUB 99
AUB 94
AUB 88
S. 2 Die Kündigung wird einen Monat nach Zugang wirksam.
AUB 2008 Ziff. 6 AUB 61
Beschäftigung überhaupt Versicherungsschutz gewährt.
S. 3 Das Kündigungsrecht erlischt, • wenn es nicht innerhalb eines Monats von dem Zeitpunkt an ausgeübt wird, zu dem der Versicherer von der Änderung Kenntnis erlangt hat, oder • wenn der Versicherte seine vorherige Berufstätigkeit oder Beschäftigung wieder aufgenommen hat. –
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§ 6 Abs. 2 Nr. 3b S. 1 Hat der Versicherungsnehmer die Änderungsanzeige nicht unverzüglich gemacht, ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Unfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, zu welchem die Anzeige dem Versicherer hätte zugehen müssen.
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S. 2 Die Verpflichtung des Versicherers bleibt bestehen, wenn ihm die neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung zu dem Zeitpunkt bekannt war, zu dem ihm die Anzeige hätte zugehen müssen.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 6 AUB 2008 (Änderungen gegenüber den AUB 99 sind gekennzeichnet)
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Unfallversicherung AUB 94
AUB 88
AUB 61
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S. 3 Das gleiche gilt, wenn bei Eintritt des Unfalles • die Frist für die Kündigung des Versicherers abgelaufen und eine Kündigung nicht erfolgt ist oder • wenn die neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung keinen Einfluss auf den Eintritt des Unfalles und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat. 6.2.3 Auf Ihren Wunsch führen wir den Vertrag auch mit den bisherigen Versicherungssummen bei erhöhtem oder gesenktem Beitrag weiter, sobald uns Ihre Erklärung zugeht.
6.2.3 Auf Ihren Wunsch führen wir den Vertrag auch mit den bisherigen Versicherungssummen bei erhöhtem oder gesenktem Beitrag weiter, sobald uns Ihre Erklärung zugeht.
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1. AUB 61
5
Die praktisch kaum relevante Bestimmung des § 4 Nr. 1 S. 1 AUB 61 sieht noch ausdrücklich vor, dass Änderungen in der sich aus dem Vertrag (in der Regel dem Antrag) ergebenden Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person ohne Einfluss auf den Fortbestand des Vertrages sind, sofern die versicherte Person für die neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung überhaupt Versicherungsschutz vom VR erhalten kann. Hält der Tarif des VR für die neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung keinen Versicherungsschutz vor, konnte der VR unter Geltung des alten VVG kündigen (§§ 24, 27 a.F.) oder bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurücktreten (§§ 17, 18, 21 a.F.).13 Das Kündigungsrecht im Falles eines nicht versicherbaren Berufs besteht nach der VVG-Reform 2008 nicht mehr (Rn. 41). 6 Ein gefahrmindernder Wechsel der Berufstätigkeit oder Beschäftigung führt – bei gleich bleibenden Versicherungssummen – zu einem niedrigeren Beitrag (§ 4 Nr. 2a AUB 61, § 6 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94), also zu einer Prämienanpassung. Die angepasste Prämie ist nach Ablauf eines Monats vom Zugang der Anzeige zu zahlen, es sei denn, die
13
Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 10.
1088
Kent Leverenz
Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
Änderung der Gefahr tritt tatsächlich erst später ein. Unterlässt der Kunde die Anzeige der Gefahrminderung, besteht weder ein vertraglicher oder bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Prämienerstattung noch ein Anspruch auf (rückwirkende) Erhöhung der Versicherungssummen.14 Dies gilt selbst dann, wenn der VR auf andere Weise Kenntnis von der Gefahrminderung Kenntnis erlangt. Der (nur) für die Anzeige des Versicherungsfalls geltende § 30 Abs. 2 (§ 33 Abs. 2 a.F.) findet keine Anwendung.15 Das Anknüpfen der Prämienanpassung an die Erfüllung der Meldeobliegenheit wirkt deshalb i.E. wie eine Vertragsstrafe.16 Ein gefahrerhöhender Wechsel der Berufstätigkeit oder Beschäftigung führt – bei gleich 7 bleibenden Versicherungsprämien – nach zwei Monaten von dem Zeitpunkt der Änderung an zu niedrigeren Versicherungssummen (§ 4 Nr. 2b AUB 61, § 6 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88/94), also zu einer Summenanpassung. Für die ersten zwei Monate ab der Gefahrerhöhung gelten demnach noch die bisherigen Versicherungssummen, und zwar unabhängig davon, ob der Unfall auf dem erhöhten Risiko beruht oder nicht.17 Tritt der Unfall nach Ablauf der Zweimonatsfrist ein, ohne dass eine Änderungsanzeige erfolgt oder eine Einigung über den Beitrag erzielt worden ist, so vermindern sich die Versicherungssummen im Verhältnis des erforderlichen Beitrags zum bisherigen Beitrag. • Aus der Formulierung „Einigung über den Beitrag“ in § 4 Nr. 2b S. 2 AUB 61 und § 6 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 AUB 88/94 ergibt sich, dass die Beiträge nicht automatisch dem neuen Risiko angeglichen, sondern für eine Beitragsanpassung noch Handlungen der Vertragsparteien notwendig sind. Nicht notwendig ist dafür allerdings eine vertragliche Vereinbarung i.S.v. § 145 BGB. Insofern ist der Ausdruck „Einigung“ ungenau; denn der VR ist nicht berechtigt, dem VN die seinem Tarif entsprechende und in den AUB 61 vorgesehene Anpassung zu verweigern. Vielmehr genügt die rechtsgestaltende – einseitig empfangsbedürftige – Erklärung des VN, er sei mit der ihm aufgrund des Tarifes bekannt gegebenen neuen (höheren) Prämie einverstanden.18 Der VN hat mithin ein Wahlrecht, ob er die ursprünglichen Versicherungssummen zu einem erhöhten Beitrag oder den ursprünglichen Beitrag mit abgesenkten Versicherungssummen behalten will.19 • Kommt es zu einer Minderung der Versicherungssummen, so berechnen sich diese nach der folgenden Formel:20 (Vereinbarte Versicherungssumme * alter Beitrag) / neuer Beitrag = Neue Versicherungssumme. • Anders als in den AUB 88/94 erfolgt auf Grundlage der AUB 61 eine Herabsetzung der Versicherungssummen nur für den Fall, dass der Unfall auf die erhöhte Gefahr zurückzuführen ist. Fehlt es an der Ursächlichkeit der veränderten Tätigkeit der versicherten Person für den Unfall, so gelten die ursprünglich vereinbarten Versicherungssummen. Es mindert sich m.a.W. für denjenigen, der entweder die Anzeigeobliegenheit nicht erfüllt oder die Zustimmung zur angepassten Prämie verweigert, der Versicherungsschutz nur für berufliche Unfälle, während die Versicherungssumme für außerberufliche Unfälle unverändert bleibt. Dies führt zu unbilligen Ergebnisse, da derjenige, der sich nach § 4 Nr. 2b S. 2 AUB 61 ordnungsgemäß verhält und die Gefahränderung unverzüglich anzeigt oder kooperativ an der Vertragsanpassung mitwirkt, benachteiligt wird. Für ihn gelten die verminderten Versicherungssummen stets bzw. sowohl im beruflichen als auch außerberuflichen Bereich. Demgegenüber kann derjenige, der die geforderte Anzeige der Berufsänderung unterlässt, darauf spekulieren, für Freizeitunfälle den unverminderten Versicherungsschutz zu erhalten.21
14
15 16 17
LG Kempten 10.4.1991 VersR 1992 307; Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 6; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 180. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 16. Stockmeier/Huppenbauer S. 80; s.a. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 17. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 7.
18 19
20 21
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. E 11. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 7; Stockmeier/ Huppenbauer S. 81; Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 23. Beispielsberechnung bei Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 20. Konen/Lehmann S. 32.
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AUB 2008 Ziff. 6
Unfallversicherung
2. AUB 88
8
Die AUB 88 haben die Bestimmungen in den AUB 61 im Wesentlichen übernommen. Es wird weiterhin zwischen Berufstätigkeiten und Beschäftigungen der versicherten Person unterschieden, die gefahrmindernd bzw. gefahrerhöhend sind. An folgenden Stellen weichen die AUB 88 von den AUB 61 ab: • Ersatzlos entfallen ist in den AUB 88 die Regelung in § 4 Nr. 1 S. 1 AUB 61 zum Fortbestand des Vertrags. Zu materiellen Änderungen kam es dadurch nicht.22 Zum einen ergibt sich die Zusage, dass der Vertrag fortbestehen bleibt, sofern der VR für die neue Berufstätigkeit oder Beschäftigung überhaupt Versicherungsschutz vorsieht, aus § 6 Abs. 2 AUB 88/94.23 Zum anderen gibt es kaum Berufe oder Beschäftigungen, für die die Unfallversicherer keinen Versicherungsschutz bieten. In solchen Ausnahmefällen konnte vor der VVG-Reform 2008 auf §§ 23 ff. a.F. mit der Folge zurückgegriffen werden, dass der VR ein Kündigungsrecht hatte (vgl. Rn. 41). • Der Übergangszeitraum im Fall einer Gefahrerhöhung wurde von einem Monat ab Zugang der Anzeige (§ 4 Nr. 2b AUB 61) auf zwei Monate ab Zeitpunkt der Änderung (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88) verlängert. Die Zweimonatsfrist dient dazu, den Vertragsparteien eine angemessene Frist zur Überlegung und Vertragsumstellung einzuräumen.24 • Während nach § 4 Nr. 2b S. 2 AUB 61 die Herabsetzung der Versicherungssummen und die damit verbundene Leistungsreduzierung nur für den Fall vorgesehen war, dass nach Ablauf der Monatsfrist „ein auf die erhöhte Gefahr zurückzuführender Versicherungsfall“ eintrat, stellt § 6 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 AUB 88/94 lediglich darauf ab, dass „ein Unfall“ eintritt. Folgerichtig kommt auf Grundlage der AUB 88/94 eine Leistungsreduzierung nicht nur dann in Betracht, wenn es sich um einen Unfall bei Ausübung der geänderten Berufstätigkeit oder Beschäftigung handelt, sondern ist die Summenanpassung „nach unten“ weitergehend sowohl bei beruflichen als auch außerberuflichen Unfällen zu beachten. Durch die Neufassung in den AUB 88 sollte der unbefriedigende Zustand beseitigt werden, dass bei Vereinbarung der AUB 61 der vertragswidrig Handelnde, der die Gefahrerhöhung nicht angezeigt oder der erforderlichen Beitragsanhebung nicht zugestimmt hat, besser gestellt wird als der vertragstreue Partner (Rn. 7). Weiterhin sollte mit der Neufassung des § 6 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 AUB 88/94 dem Umstand Rechnung getragen werden, dass versicherte Personen, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit in eine Gefahrengruppe mit einer höheren Schadenstatistik (z.B. Gefahrengruppe B) gehören, auch im außerberuflichen Bereich risikogeneigter sind.25
3. AUB 94
9
Aufgrund der VAG- und VVG-Neuregelungen im Jahr 1994 wurden die Regelungen über nicht versicherbare Berufe und die Folgen einer Fristversäumnis bei der Änderungsanzeige in § 6 Abs. 2 Nr. 3a und b AUB 94 neu aufgenommen. Hintergrund war, dass die Änderungen im VAG es im Zuge der Deregulierung erforderlich machten, vertragliche Gestaltungsrechte wie die Kündigungsmöglichkeiten und den Anspruchsverlust bei einer Fristversäumnis abschließend in den AVB zu regeln (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 und 5 VAG). § 6 Abs. 2 Nr. 3 AUB 94 stellte eine vertragliche Ausgestaltung der §§ 23 ff. a.F. dar. Dem VR sollte u.a. eine Kündigungsmöglichkeit für den (seltenen) Fall eingeräumt werden, dass er der Gefahrerhöhung nicht zustimmt, weil er das geänderte Risiko nach seinem Tarif nicht versichern will.
22 23
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 6. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 13.
1090
24 25
Konen/Lehmann S. 32; ferner Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 179. Konen/Lehmann S. 32 f.
Kent Leverenz
Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
4. AUB 99 Die Zusatzbedingungen für die Kinder-Unfallversicherung (KiUV 90) 26 sind in die 10 AUB 99 integriert worden. Die in Ziff. 6.1 AUB 99 27 geregelte „Umstellung des KinderTarifs“ entspricht inhaltlich – bis auf redaktionelle Anpassungen – Abs. 1 KiUV 90. Neu im Vergleich zu den AUB 94 und den KiUV 90 ist lediglich die • Formulierung in Ziff. 6.1.1 S. 1 AUB 99 betreffend das: „nach dem Kinder-Tarif versicherte Kind“. Es handelt sich um eine Klarstellung. Dieser Zusatz war in den KiUV 90 nicht notwendig, weil sie nur dann vereinbart wurden, wenn der Kinder-Tarif auch tatsächlich zugrunde gelegt war.28 • kundenfreundliche Regelung in Ziff. 6.1.2 S. 1 AUB 99, die vorsieht, dass der VR den VN rechtzeitig über sein Wahlrecht nach Ziff. 6.1.1 S. 3 bis 5 AUB 99 unterrichtet. Damit wurde einem zu den KiUV 90 geäußerten Verbesserungsvorschlag 29 Rechnung getragen.
Die Regelungen zur Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung in Ziff. 6.2 11 AUB 99 haben gegenüber den AUB 88/94 mehrere Änderungen erfahren. • Lediglich redaktionelle Auswirkungen hat die Begründung für die Mitteilungsobliegenheit in Ziff. 6.2.1 Halbs. 2 AUB 99. Dem Kunden wird mit der Formulierung „weil die Höhe der Versicherungssummen bzw. des Beitrags maßgeblich von diesen Umständen abhängt“ erklärt, warum die Kenntnis über Beruf und Beschäftigung für die Vertragsparteien wichtig ist. Durch die Nennung der „Versicherungssummen“ vor dem „Beitrag“ soll der Grundsatz der Beitragsstabilität nach Ziff. 6.2.2 AUB 99 betont werden.30 • In Ziff. 6.2.2 AUB 99 ist nunmehr der Grundsatz der Beitragsstabilität aufgenommen. Die komplizierte Regelung in § 6 Abs. 2 AUB 88/94 wurde dadurch erheblich zu Gunsten des VN vereinfacht. Während die AUB 88/94 noch zwischen gefahrmindernden und gefahrerhöhenden Änderungen der Berufstätigkeiten und Beschäftigungen der versicherten Person mit der Folge differenzierten, dass eine Gefahrminderung zu einem niedrigeren Beitrag bei gleich bleibenden Versicherungssummen und eine Gefahrerhöhung zu einer Summenanpassung bei gleich bleibenden Versicherungsprämien führte, haben solche Änderungen nach den AUB 99 grundsätzlich Summenanpassungen (nach oben oder unten) bei gleich bleibenden Prämien zur Folge. Dadurch sollte größere Klarheit und Praxisfreundlichkeit erreicht werden.31 • Ziff. 6.2.3 AUB 99 eröffnet dem VN ein kundenfreundliches Wahlrecht. Er hat die Möglichkeit, statt gleich bleibender Versicherungsbeiträge mit geänderten Versicherungssummen die Fortführung des Vertrags mit gleich bleibenden Versicherungssummen und geänderten Beiträgen zu wählen. An diesem Konzept ist kritisiert worden, dass es relativ starr sei. So könne z.B. ein konstanter Beitrag auch erreicht werden, indem Leistungen wie das (Krankenhaus-)Tagegeld reduziert würden, jedoch elementare Versicherungsleistungen wie die für Invalidität unangetastet blieben.32 Fraglich ist nur, wie ein solch flexibles Konzept bedingungsgemäß geregelt werden soll. Den Parteien bleibt es zudem unbenommen, nach einer Gefahrengruppenänderung eine Vertragsanpassung (individuell) auszuhandeln.
Die erst mit § 6 Abs. 2 Nr. 3a AUB 94 eingefügte Bestimmung über die nicht ver- 12 sicherbaren Berufe ist in den AUB 99 nicht beibehalten worden. Es wurde kein Regelungsbedarf mehr gesehen, weil es kaum Berufe gebe, die nicht versicherbar seien.33 In der Praxis hat § 6 Abs. 2 Nr. 3a AUB 94 folgerichtig keine Bedeutung erlangt.34 Weiterhin wurde auch § 6 Abs. 2 Nr. 3b ersatzlos gestrichen. Offenbar fehlte es auch hier an
26 27 28 29
VerBAV 1990 556, 558. Krit. zur systematischen Anordnung Bihr VW 1999 1329, 1332. Stockmeier/Huppenbauer S. 79. Grimm 4 KiUV 90 Rn. 2.
30 31 32 33 34
Stockmeier/Huppenbauer S. 79. Stockmeier/Huppenbauer S. 80. So Bihr VW 1999 1329, 1333. Stockmeier/Huppenbauer S. 83. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 142.
Kent Leverenz
1091
AUB 2008 Ziff. 6
Unfallversicherung
einem praktischen Regelungsbedürfnis der VR, auf eine Säumnis des VN bei der Erstattung der Änderungsanzeige mit der Geltendmachung von Leistungsfreiheit reagieren zu können. 5. AUB 2008
13
Die AUB 2008 haben zu weiteren Veränderungen geführt. Zunächst enthält Ziff. 6.1.1 S. 1 der Musterbedingungen keinen Vorschlag mehr dafür, welches Lebensjahr des Kindes für die Tarifumstellung maßgebend sein soll. Die Festlegung muss unternehmensindividuell erfolgen. Des Weiteren machte die VVG-Reform 2008 Anpassungen in Ziff. 6.2 AUB 2008 notwendig. • Während Ziff. 6.2.1 S. 1, 3 und 4 AUB 2008 zwar umformuliert sind, inhaltlich aber den Vorgängerklauseln in den AUB 99 entsprechen, ist Satz 2 neu. Mit der Ergänzung (Hinweis auf das Berufsgruppenverzeichnis) wird den neuen Vorgaben des Gesetzgebers Rechnung getragen. Ziff. 6.2.1 AUB 99 konnte nicht unverändert in den AUB 2008 beibehalten werden, da diese Regelung jede Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person erfasst, auch wenn sie nicht ausdrücklich zwischen den Parteien vereinbart ist. Damit kommt es zu einer Abweichung zu § 181 Abs. 1, die für den VN nachteilig i.S.v. § 191 ist. • Ziff. 6.2.2 AUB 2008 hat Modifizierungen erfahren. Der in Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99 vorgesehene Zweimonatszeitraum wurde in den AUB 2008 in Übereinstimmung mit § 181 Abs. 2 S. 1 auf einen Monat verkürzt. Ziff. 6.2.2 S. 2 AUB 99 stellte für den Zeitpunkt der Geltung der höheren Versicherungssummen auf den Ablauf eines Monats nach der Gefahränderung ab. Nach den AUB 2008 kann dagegen die Umstellung zugunsten des VN schon vor Ablauf eines Monats ab der Änderung, nämlich mit dem Zugang der Erklärung des VN erfolgen.
B. Umstellung des Kinder-Tarifs 14
Erstmals in den AUB 99 wurden die bis dahin verwendeten Zusatzbedingungen für die Kinder-Unfallversicherung (KiUV 90; s.a. Vorbem. § 178 Rn. 41) ohne inhaltliche Änderungen in die AUB integriert (Rn. 12). Das in Abs. 1 Nr. 1 KiUV 90 geregelte Wahlrecht des VN zwischen einer Summen- und Beitragsanpassung findet sich nunmehr in Ziff. 6.1 AUB 99/2008. • Die Altersgrenze betrug ursprünglich 17 Jahre, wurde jedoch 1979 auf das 18. Lebensjahr angehoben, um den Wechsel von der Kinder- zur Erwachsenen-Unfallversicherung mit dem Eintritt der Volljährigkeit zusammenfallen zu lassen. Hinzu kam die Erwägung, dass Jugendliche heute in der Regel ihre Schul- und Berufsausbildung nicht vorher abschließen.35 Mit Einführung der AUB 2008 ist das maßgebliche Alter unternehmensindividuell zu bestimmen. • Mit Vollendung des „X. Lebensjahres“ gilt zwingend der „zu diesem Zeitpunkt gültige Tarif für Erwachsene“, also der im Änderungszeitpunkt und nicht etwa der bei Vertragsabschluss gültige Tarif.36 Der VN kann gemäß Ziff. 6.1.1 S. 3 bis 5 AUB 99/2008 wählen, ob er den bisherigen Beitrag zahlt und die Versicherungssummen dem Erwachsenentarif angepasst wird (Summenanpassung) oder die bisherigen Versicherungssummen beibehalten werden und sich der Beitrag gemäß dem Erwachsenentarif entsprechend erhöht (Prämienanpassung). Übt der VN sein Wahlrecht – nach einem rechtzeitigen Hinweis des VR – nicht spätestens bis zwei Monate nach Beginn des neuen Versicherungsjahres aus, gilt der Grundsatz der Beitragsstabilität, d.h. die Versicherungssummen reduzieren sich bei gleich bleibendem Beitrag (Ziff. 6.1.2 AUB 99/2008). 35
VerBAV 1980 121 und GB BAV 1979 86 Nr. 811; dazu auch GB BAV 1982 79 f. Nr. 811 (Umstellung im Altbestand); ferner Grimm 4 KiUV 90 Rn. 2.
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OLG Hamm 9.10.1987 VersR 1988 263, 265.
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Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
C. Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung Nach den AUB (Ziff. 6.2.1 AUB 99/2008, § 6 Abs. 1 AUB 88/94 und § 15 Abs. 1 15 AUB 61) trifft den VN die Obliegenheit, eine Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person – mit Ausnahme von Pflichtwehrdienst, Zivildienst oder militärische Reserveübungen – unverzüglich anzuzeigen. Es handelt sich um die einzige Obliegenheit in den AUB, die der VN bzw. die versicherte Person vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen hat. Die Folgen der Gefahränderung ergeben sich vorrangig aus Ziff. 6.2.2 AUB 99/2008 (§ 6 Abs. 2 AUB 88/94, § 4 Nr. 2 AUB 61) und – in bestimmten Ausnahmefällen – subsidiär aus §§ 181, 23 ff.
I. Anwendungsbereich Ziff. 6 AUB 99/2008 konkurriert mit §§ 181, 191, 23 ff. und § 313 BGB. Die Klausel 16 erfasst fernerhin nur Gefahränderungen im Beruf oder in der Beschäftigung, nicht dagegen sonstige Risikoverhältnisse. 1. Regelungskonzept Den AUB-Regelungen zum Wechsel der Berufstätigkeit oder Beschäftigung liegt ein 17 grundsätzlich abschließendes Regelungskonzept zugrunde, das bis zum Inkrafttreten der VVG-Reform 2008 nur wenig Raum für die Anwendung der Vorschriften zur Gefahränderung in §§ 23 ff. a.F. ließ. Entsprechendes galt für § 6 a.F. Die Rechtslage hat durch die Einführung des § 181, der den inhaltlich veränderten §§ 23 ff. vorgeht, zwar Änderungen erfahren, jedoch bleibt der vorrangige Charakter von Ziff. 6 AUB 99/2008 im Wesentlichen weiterhin bestehen. a) Verhältnis zu § 181. Ziff. 6.2 AUB 99/2008 geht als vertragliche Bestimmung dem 18 halbzwingenden Gesetzesrecht in § 181 vor. Für einen Rückgriff auf § 181 Abs. 2 S. 1 besteht grundsätzlich weder Raum noch Anlass. Die Folgen der Gefahrerhöhung sind insofern abschließend und in zulässiger Weise in den AUB – insbesondere durch Ziff. 6.3 AUB 99/2008 – zugunsten des VN geregelt. Lediglich im Fall der arglistigen Verletzung der Anzeigeobliegenheit sind § 181 Abs. 2 S. 2 i.V.m. §§ 23 ff. heranzuziehen (Rn. 21). b) Verhältnis zu §§ 23 ff. §§ 23 ff. sind nicht in die gegenüber dem halbzwingenden 19 Gesetzesrecht (§ 32) vorrangigen Sonderbestimmungen in Ziff. 6.2 AUB 99/2008 aufgenommen worden. Vielmehr sind die Gefahränderungen durch einen Wechsel der Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person in den AUB weitgehend – wenn auch nicht generell37 – abschließend und eigenständig (losgelöst vom Gesetz) geregelt.38 Das VVG kann folgerichtig im Regelungsbereich der AUB allenfalls Lückenfüllungsfunktion erlangen. Relevant wird dies, wenn es um eine arglistige Verletzung der Meldeobliegenheit oder einen Wechsel in einen nach dem Tarif des VR nicht versicherba-
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 25 und Anm. A 38 f.; zust. Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 7; ferner Claßen VersR 1990 835, 836. LG Kempten 10.4.1991 VersR 1992 307;
AG Hamburg 2.2.1977 VersR 1977 540, 541; Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 2 und 24; offen lassend OLG Hamm 2.3.1984 VersR 1985 561 = ZfS 1985 250.
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AUB 2008 Ziff. 6
Unfallversicherung
ren Beruf geht. Grund für den ansonsten abschließenden Regelungscharakter der Ziff. 6 AUB 99/2008 ist, dass zum einen die vertraglichen Regelungen beim VN den Eindruck eines in sich geschlossenen Regelungskomplexes erwecken.39 Zum anderen käme es bei einem Nebeneinander von §§ 23 ff. einerseits und § 181 sowie Ziff. 6 AUB 99/2008 andererseits zu Widersprüchlichkeiten. Insgesamt führen die AUB 2008, die AUB 99 40 – wie auch schon die AUB 88/94 41 und AUB 61 42 – zu einer Besserstellung des VN gegenüber §§ 23 ff. (a.F.): Eine Erhöhung der Gefahr durch Änderung der Berufstätigkeit bzw. Beschäftigung ist 20 in der Unfallversicherung nicht von der Einwilligung des VR abhängig. § 23 Abs. 1 (entspricht § 23 Abs. 1 a.F.) greift nicht ein.43 Vielmehr willigt der VR grundsätzlich in Gefahrerhöhungen ein. Dies ergibt sich im Umkehrschluss zu Ziff. 6.2 AUB 99/2008 (§ 6 AUB 88/94 und § 4 AUB 61).44 Dem VN wird zum einen in Ziff. 6.2.1 AUB 99/2008 lediglich eine Meldeobliegenheit und keine „Abstimmungspflicht“ auferlegt. Zum anderen erhält der VN durch das Wahlrecht in Ziff. 6.2.3 AUB 99/2008 einen weiten – vom Willen des VR unabhängigen – Gestaltungsspielraum. Im Übrigen müsste eine an § 23 Abs. 1 orientierte Vertragsregelung an den halbzwingenden Vorschriften der §§ 181, 191 scheitern. § 181 Abs. 2 S. 2 macht deutlich, dass der VR lediglich eine Anzeige der Gefahrerhöhung durch den VN verlangen kann. Kommt es zu einer (vorsätzlichen, fahrlässigen oder schuldlosen) Verletzung der 21 Meldeobliegenheit, sind die für den VN nachteiligen Reaktionsmöglichkeiten des VR durch die halbzwingende Vorschrift des § 181 Abs. 2 S. 1 beschränkt. Es finden ausschließlich Ziff. 6.2.2 und 6.2.3 AUB 99/2008 Anwendung. Folge ist, dass • dem VR nicht das Kündigungsrecht nach § 24 (vgl. §§ 24, 27 a.F.) zusteht, wenn der VN seine Meldeobliegenheit (schuldhaft) verletzt.45 • der VR keine Prämienanpassung (nach oben) gemäß § 25 vornehmen kann. Vielmehr hat der VN nach Ziff. 6.2.3 AUB 99/2008 ein Wahlrecht zwischen Prämien- und Summenanpassung. • der VR selbst bei einer vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit des § 23 (bzw. von Ziff. 6.2.1 AUB 99/2008) dem VN nicht Leistungsfreiheit entsprechend § 26 (§ 25 a.F.) entgegenhalten kann.46 Zwar gelten die niedrigeren Versicherungssummen einerseits auch dann, wenn sich die erhöhte Gefahr nicht realisiert hat. Jedoch besteht andererseits im Falle des Eintritts der erhöhten Gefahr die (geminderte) Leistungspflicht des VR fort. Für den ersten Monat nach Eintritt der Änderung gilt noch der ursprünglich vereinbarte Versicherungsschutz voll weiter. Dies entspricht auch der Intention der Bedingungsgeber. Anders als in § 6 Abs. 2 Nr. 3b AUB 94 wurde in den AUB 99/2008 (bewusst) auf die Regelung einer Kündigungsoption des VR verzichtet (Rn. 14).
Außer der (verschuldensunabhängigen) Herabsetzung der Versicherungssumme i.S.v. Ziff. 6.2 AUB 99/2008 kommen weitergehende Rechte des VR nach §§ 181 Abs. 2 S. 2, 23 ff. nur im Fall einer arglistigen Anzeigepflichtverletzung in Betracht. Hier vermag das 39
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Stockmeier/Huppenbauer S. 83; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 133. Stockmeier/Huppenbauer S. 82. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 7; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 181; Wussow/ Pürckhauer 6 § 6 Rn. 22; a.A. Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 6. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 6; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 29. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 2.
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Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 2; s.a. Schwintowski/Brömmelmeyer § 181 VVG Rn. 4; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 6; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 26 und F 32. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 2 und 24. OLG Hamm 30.5.1986 VersR 1987 354 f. (LS); Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 178; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 2; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 214.
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Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
Argument nicht durchzugreifen, bei den AUB-Regelungen handele es sich um ein dem Gesetz vorrangiges und abschließendes Regelungskonzept. Der Umstand, dass die Musterbedingungen § 181 Abs. 2 S. 2 nicht umgesetzt haben, bewirkt nicht, dass auch bei arglistiger Meldeobliegenheitsverletzung die Anwendung der §§ 23 ff. ausgeschlossen ist.47 Folge wäre eine nicht nachvollziehbare Privilegierung des Arglistigen. Kein verständiger und redlicher VN wird erwarten, dass arglistige Meldeobliegenheitsverletzungen die gleichen Rechtsfolgen haben sollen wie etwa fahrlässige Versäumnisse und die Bedingungsgeber auch für Fälle der Arglist auf eine Heranziehung der §§ 181 Abs. 2 S. 2, 23 ff. verzichten wollen. c) Verhältnis zu § 28. Eine Verletzung der Meldeobliegenheit führte nach bisher gel- 22 tendem Recht weder zu einer Anwendung von § 6 a.F. noch von Ziff. 8 AUB 99 (bzw. § 10 AUB 88/94, § 17 AUB 61),48 zumal der VN im Regelfall mangels Kenntnis des VRTarifs entschuldigt war.49 Durch die VVG-Reform 2008 hat sich an dieser Rechtslage i.E. nichts geändert. • § 28 greift nicht ein. Ein Kündigungsrecht des VR besteht nicht, da Ziff. 6 AUB 99/2008 insofern vorrangig und abschließend ist. Im Übrigen dürfte es häufig an dem nach § 28 erforderlichen Verschulden des VN (grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz) fehlen. Hinzu kommt, dass die gegenüber § 28 speziellere Vorschrift des § 181 Abs. 2 im Fall einer Gefahrerhöhung eine Summenanpassung vorsieht und die Ausübung weitergehender Rechte durch den VR von einer Arglist des VN abhängig macht. • Ziff. 7 und 8 AUB 99/2008 (§ 9 und 10 AUB 88/94) sind schon deshalb nicht anwendbar, weil sie nur Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls ansprechen.
d) Verhältnis zu § 313 BGB. Eine Änderung der Berufstätigkeit oder der Beschäfti- 23 gung führt – von Extremfällen abgesehen – nicht zu einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB. Zweifelhaft ist bereits, ob für die Anwendung der allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze überhaupt Raum besteht. Dies ist zu verneinen. Ziff. 6 AUB 99/2008 sowie § 181 und (subsidiär) §§ 23 ff., 40 f. enthalten vorrangige Sonderregelungen.50 Weiterhin liegen auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 313 BGB nicht vor: • Zunächst müsste die fortdauernde Ausübung einer bestimmten Berufstätigkeit oder Beschäftigung bei Abschluss des Versicherungsvertrages erkennbar Geschäftsgrundlage geworden sein. Daran wird es typischerweise fehlen. Ein dahingehender Wille der Vertragsparteien müsste hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen und nicht nur inneres Motiv bei Vertragsschluss geblieben sein. • Des Weiteren fehlt es von vornherein an einer schwerwiegenden Veränderung der Vertragsgrundlagen, wenn die versicherte Person innerhalb einer Gefahrengruppe ihren Beruf oder ihre Beschäftigung wechselt.51 Es kommt dann nicht zu einer Änderung des Verhältnisses zwischen Versicherungsleistung und Prämie. Führt die Änderung der Berufstätigkeit oder der Beschäftigung tatsächlich zu einer Gefahränderung, tragen die vertraglichen und spezialgesetzlichen Regelungen
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A.A. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 214. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 2; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 2 und 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 132; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 29; Wussow/ Pürckhauer 6 § 6 Rn. 15 und 16. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94
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Rn. 7 (allerdings keine Entschuldigung, wenn sich die Unkenntnis nur auf die Anzeigepflicht bezieht, da sich diese deutlich aus den AUB ergibt). BGH 30.10.1979 VersR 1981 621, 622 zu § 41a a.F. AG Hamburg 2.2.1977 VersR 1977 540, 541.
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AUB 2008 Ziff. 6
Unfallversicherung
der Interessenlage ausreichend Rechnung. Es kommt zu einer angemessenen Vertragsanpassung, so dass eine Vertragsaufhebung nicht verlangt werden kann. Im Fall einer Summenerhöhung oder einer Prämienherabsetzung wird sich kaum behaupten lassen, die geänderte Risikoverteilung mache für den VN als „besser gestellte“ Vertragspartei oder den VR als Bedingungsgeber ein Festhalten am Vertrag unzumutbar. Entsprechendes gilt aber auch, wenn die Gefahränderung eine Herabsetzung der Versicherungssummen oder (nach entsprechender Wahl des VN) eine Prämienerhöhung nach sich zieht. Der ursprünglich angenommene Bedarf an Versicherungsschutz entfällt nicht, sondern erhöht sich eher. Auch darf unterstellt werden, dass der Tarif des VR das ursprünglich – zu einer niedrigeren Gefahrenlage – angenommene Verhältnis von Versicherungsleistung und Prämie proportional bzw. unter Berücksichtigung der neuen (höheren) Gefahrenlage aufgrund sachgerechter Kalkulationen verschiebt. • In den (seltenen) Fällen, in denen der Tarif des VR für den neuen Beruf bzw. die neue Beschäftigung keinen Versicherungsschutz vorsieht, könnte zwar an eine Anwendung des § 313 Abs. 3 BGB gedacht werden. Jedoch stellt sich auch hier die Frage, ob das Festhalten am Vertrag dem VR tatsächlich unmöglich und unzumutbar ist. Vorrangig ist jedenfalls bei solchen Sachverhaltskonstellationen die Wertung des § 181 Abs. 1 zu beachten: Fehlt es an einer Vertragsregelung zur Gefahrerhöhung, muss der Vertrag grundsätzlich unverändert fortgesetzt werden. Liegt eine ausdrückliche Vereinbarung zur Gefahrerhöhung vor, sind ergänzend die §§ 23 ff. heranzuziehen. Es besteht für den VR ein Recht zum Ausschluss der erhöhten Gefahr (§ 181 Rn. 13 ff.).
2. Abgrenzungen Nicht von Ziff. 6.2 AUB 99/2008 (§ 6 Abs. 2 AUB 88/94, § 4 Nr. 2 AUB 61) erfasst sind Änderungen von Risikoverhältnissen außerhalb des Berufs bzw. der Beschäftigung. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Klausel. Solche Änderungen können aufgrund des neuen § 181 Abs. 1 auch nicht §§ 23 ff. unterworfen werden. Alle AUB-Generationen betreffen nur die Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäf25 tigung der versicherten Person. Außer Betracht bleiben sonstige Risikoverhältnisse wie:
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• Gefahrerhöhungen, die sich aus der Natur der Sache ergeben und von vornherein absehbar sind. Dies gilt insbesondere für Alterungsprozesse der versicherten Person.52 • Änderungen des Gesundheitszustands der versicherten Person nach Vertragsschluss. Die Bestimmungen zu Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung kommen nicht (auch nicht entsprechend) zur Anwendung.53 Auf eine Klarstellung, dass eine Verschlechterung in den Gesundheitsverhältnissen der versicherten Person ohne Einfluss auf den Fortbestand der Versicherung bleibt, wurde seit Einführung der AUB 61 verzichtet, da die Bedingungsgeber sie (zutreffend) als überflüssig ansahen.54 Veränderten Risiken durch Gesundheitsverschlechterungen der versicherten Person tragen bereits die AUB-Regelungen zur Vorinvalidität, Mitwirkung und Nichtversicherbarkeit ausreichend Rechnung.55 Sie betreffen zwar nur die Bewertung der unfallbedingten Gesundheitsschädigung sowie der Unfallfolgen und nicht das erhöhte Risiko infolge einer Erkrankung überhaupt einen Unfall zu erleiden (§ 182 Rn. 11), jedoch erweckt das Regelungskonzept der AUB (z.B. Ziff. 6 AUB 99/2008 einerseits und Ziff. 2.1.2.2.3 und Ziff. 3 AUB 99/2008 andererseits) insofern einen abschließenden Eindruck. Der verständige Leser wird bei Durchsicht der detaillierten Regelungen nicht auf die Idee kommen, dass Erkrankungen nach Vertragsschluss nicht nur im Versicherungsfall zu Leistungskürzungen, sondern darüber hinaus auch zu einer Vertragsanpassung führen sollen.
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Wüstney § 4 Anm. 4. A.A. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 182. Grewing Entstehungsgeschichte S. 19; ders. Unfallversicherung S. 50.
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Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 2; Wussow/ Pürckhauer 6 § 6 Rn. 2.
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Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
• der Eintritt der Nichtversicherbarkeit oder dauernden Pflegebedürftigkeit der versicherten Person im Rahmen der laufenden Vertragsbeziehung. In § 3 AUB 88/94 und § 5 AUB 61 wird keine Gefahrerhöhung, sondern ein Wegfall des versicherten Interesses geregelt (Ziff. 4 AUB 2008 Rn. 2).56 • subjektive Risikoerhöhungen (wie z.B. Alkohol- oder Drogenkonsum oder das Nichtanlegen von vorgeschriebener Schutzkleidung). Kurzfristige Gefahrsteigerungen wie etwa Bewusstseinsstörungen erfüllen bereits begrifflich nicht die Voraussetzungen für eine Gefahrerhöhung (§ 181 Rn. 6). So steht bei einer Trunkenheitsfahrt von vornherein fest, dass sie die Gefahr nur für die absehbar kurze Dauer der Trunkenheit steigert und die Gefahr schon nach wenigen Stunden mit der Ernüchterung des Fahrers wieder auf ihren normalen Stand zurückfällt.57 Für Unfälle aufgrund von einmaligen oder kurzfristigen Gefahrsteigerungen können aber Ausschlusstatbestände begründet sein (z.B. Ziff. 5.1.1 AUB 99/2008). • allgemeine Erhöhungen der Unfallgefahr durch fortschreitende Technisierung, Ausweitung des Kraftfahrzeugverkehrs, Umweltverschmutzung oder Ansiedlung gefahrerhöhender Industrie in der Nachbarschaft.58 Sie gehören zum „allgemeinen Lebensrisiko“, für die der VN Versicherungsschutz erwarten darf und der VR auch Versicherungsschutz vorsehen will.
Der Sonderregelungscharakter von Ziff. 6 Abs. 2 AUB 99/2008 und seiner Vorgänger- 26 klauseln zu Gefahränderungen bei der Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person schloss bis zum Inkrafttreten des VVG 2008 nicht zwingend aus, dass andere Gefahrerhöhungen nach dem relativ zwingenden Recht in §§ 23 ff. a.F. beurteilt wurden.59 Solche Überlegungen sind aber in der Unfallversicherung – soweit ersichtlich – nicht praktisch relevant geworden,60 sondern eher theoretischer Art: • Beitragsrelevante Faktoren wie Alter oder Geschlecht sind bereits bei Vertragsschluss bekannt. • Gesundheitsverschlechterungen nach Vertragsabschluss verändern zwar das übernommene Risiko, sind jedoch in den AUB bereits detailliert durch Bestimmungen zur Nichtversicherbarkeit, zu Leistungskürzungen oder zu Ausschlüssen geregelt. Entsprechendes gilt für subjektive Risikoerhöhungen, sofern diese überhaupt Gefahränderungen darstellen (Rn. 27). • Denkbar ist zwar, dass ungewollte objektive Gefahrerhöhungen wie z.B. der dauerhafte oder wiederholte Aufenthalt in einer baufälligen Wohnung oder an einem nicht ausreichend gesicherten Arbeitsplatz zu einer Anwendung der §§ 23 ff. a.F. führen konnten.61 Jedoch lassen sich solche Sachverhalte kaum feststellen und beweisen. So hat das OLG Hamm für einen Fall, in dem der VN mit abgefahrenen Reifen am Straßenverkehr teilgenommen und einen Unfall erlitten hatte, eine Gefahrenerhöhung mit der Begründung verneint, es könne nicht bewiesen werden, dass der VN die Abnutzung der Reifen gekannt und damit eine Gefahrerhöhung i.S.v. § 23 Abs. 1 a.F. „vorgenommen“ habe.62
Nach Inkrafttreten der VVG-Reform 2008 können Gefahränderungen nur noch relevant werden, wenn die Parteien dazu eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen haben.63 Da (bisher) in den üblichen Vertragsunterlagen und AUB ausschließlich der Beruf und die Beschäftigung als Gefahränderung angesprochen und andere Gefahrumstände typischerweise im Antrag auch nicht (detailliert) abgefragt bzw. festgelegt werden, verschließt die Spezialvorschrift des § 181 Abs. 1 eine Anwendung der subsidiären §§ 23 ff. auf Veränderungen in sonstigen Risikoverhältnissen. Will der VR eine Summenanpassung (§ 181 56 57 58 59
BGH 25.1.1989 VersR 1989 351; Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 10. BGH 18.10.1952 BGHZ 7 311, 322. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 23 und F 33. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 7; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. A 38 f. und F 33; ferner Claßen VersR
60 61 62 63
1990 835, 836; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 182. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 33. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 33. OLG Hamm 2.3.1984 VersR 1985 561 f. = ZfS 1985 250. Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 182.
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Unfallversicherung
Abs. 2 S. 1) oder ein Wahlrecht des VN zwischen einer Summen- und Prämienanpassung für Risiken außerhalb des Berufs oder der Beschäftigung vorsehen, muss er dies zukünftig ausdrücklich mit dem VN vereinbaren (§ 181 Rn. 7).
II. Meldeobliegenheit des VN 27
Zur Obliegenheit des VN, Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung dem VR unverzüglich anzuzeigen, gilt im Einzelnen: 1. Anzeigepflichtiger
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Obliegenheitsbelastet ist der VN als Vertragspartner des VR. Das gilt auch dann, wenn er nicht zugleich versicherte Person ist, also keine Eigen-, sondern eine Fremdversicherung vorliegt. Es ist Aufgabe des VN, die Benachrichtigung des VR über eine Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung sicherzustellen. Das Risiko der Rollenspaltung zwischen VN und versicherter Person trägt der VN (vgl. § 179 Abs. 3 und 47 Abs. 1). Den anzeigepflichtigen Tatbestand (Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung) setzt dagegen die versicherte Person bzw. Gefahrperson. Nur ihr Wechsel in Beruf oder Beschäftigung ist meldepflichtig.64 2. Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung
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Jede Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung ist nach dem Wortlaut der Ziff. 6.2.1 AUB 99/2008 anzuzeigen. Die Anzeigeobliegenheit reduziert sich nicht nur auf etwaige Veränderungen der Berufstätigkeiten oder Beschäftigungen, die bei Vertragsschluss (im Antrag) abgefragt 65 und angegeben sowie in der Police zugrunde gelegt sind.66 Diese Einschränkung ist dem Bedingungstext nicht zu entnehmen. Sie kann auch bei verständiger Betrachtung erkennbar nicht gemeint sein. Anderenfalls wären Wechsel der Tätigkeiten während der Vertragslaufzeit (z.B. Jobhopping) nicht erfasst, obwohl auch diese Einfluss auf die Höhe der Versicherungssummen bzw. den Beitrag erlangen können.67 Entscheidend ist, dass der „durchschnittliche“ VN aus der ausdrücklichen Vereinbarung mit dem VR i.S.v. § 181 Abs. 1 bei verständiger Betrachtung erkennen kann, wann eine anzuzeigende Gefahrerhöhung vorliegt. Sowohl Berufstätigkeit als auch Beschäftigung setzen voraus, dass eine Tätigkeit über 30 einen gewissen Zeitraum planmäßig ausgeübt wird.68 Eine Änderung liegt nur vor, wenn sie im Vergleich zur Ausgangssituation als länger andauernder Zustand neue Gefahren begründet (§ 181 Rn. 6). Die einmalige oder gelegentliche Ausübung neuer Tätigkeiten bzw. die nur kurzfriste Änderung oder Unterbrechung der bisherigen Tätigkeit reicht m.a.W. nicht aus.69 Dies ergibt sich zunächst aus Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99/2008 (§ 6
64 65
66 67
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 31. A.A. (jeweils ohne nähere Begründung) Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 131; Rüffer/Halbach/ Schimikowski Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 3. A.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 5 f. Stockmeier/Huppenbauer S. 79.
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Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 4; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 3. S. nur Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 180; Kloth Rn. L 6; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 141; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 131; Wussow/ Pürckhauer 6 § 6 Rn. 5.
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Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94). Aus dieser Regelung lässt sich ableiten, dass eine Gefahrerhöhung nur dann relevant ist, wenn sie voraussichtlich mindestens einen Monat andauert.70 Das Ergebnis wird weiterhin durch § 27 (§ 29 S. 1 a.F.) bestätigt.71 Vorübergehende Gefahrerhöhungen werden in den AUB vielmehr durch Ausschlüsse berücksichtigt (z.B. durch die „Kriegsklausel“).72 Weiterhin wäre eine Anzeige der Gefahränderung in solchen Fällen kaum praktikabel, da sie alsbald vom VN rückgängig gemacht werden müsste und einen nicht angemessen Verwaltungsaufwand beim VR erzeugen würde.73 Unter Berufstätigkeit wird jede außerhalb der Freizeit ausgeübte, auf längere Dauer 31 berechnete Tätigkeit der versicherten Person verstanden.74 Berufstätigkeit liegt auch vor, wenn eine Neben- oder Teilzeittätigkeit (planmäßig über längere Zeit) ausgeübt wird.75 Nicht erfasst sind dagegen kurzfristig ausgeübte Berufstätigkeiten wie etwa die gelegentliche Mithilfe der Ehefrau im Geschäft bzw. im (z.B. landwirtschaftlichen) Betrieb ihres Ehemannes76 oder vorübergehende Aushilfe (z.B. Urlaubsvertretung), wenn dieser Beruf sonst nicht ausgeübt wird.77 Ob eine Änderung der Berufstätigkeit vorliegt, hängt vom Inhalt der nach dem Wechsel ausgeübten Tätigkeit ab; denn die AUB stellen nicht schlicht auf den „Beruf“ als solchen, sondern die „Berufstätigkeit“ ab. Nur die „Tätigkeit“ ist maßgebend dafür, ob sich die Risikosituation der versicherten Person verändert. Unerheblich ist dagegen für sich genommen,78 • • • • •
welche Ausbildung und Kenntnisse die ausgeübte Tätigkeit erfordert. ob die Tätigkeit einem hergebrachten oder anerkannten Berufsbild zugeordnet werden kann. ob nach dem Lebenssprachgebrauch der Beruf anders bezeichnet wird. ob und wie die Tätigkeit vergütet bzw. ob sie entgeltlich oder unentgeltlich ausgeübt wird.79 ob ein Arbeitgeberwechsel statt gefunden hat. Keine Gefahränderung liegt vor, wenn die beim neuen Arbeitgeber ausgeübte Tätigkeit mit der beim früheren Arbeitgeber vergleichbar ist. Anders ist dagegen der Fall gelagert, in dem zu den bisherigen Tätigkeiten andere Aufgaben hinzukommen.80
So stellt z.B. die Änderung der Berufstätigkeit vom Angestellten zum Geschäftsführer keine Gefahränderung dar, wenn die Bürotätigkeit beide Berufe prägt. Anders fällt die Beurteilung dagegen aus, wenn statt der Büroarbeit eine Tätigkeit übernommen wird, bei der die versicherte Person stärker körperlich beansprucht oder einem anderen (gefährlicheren) Umfeld ausgesetzt ist, etwa während wesentlicher Teile der Arbeitszeit ein Kraftfahrzeug lenken muss.81 Entsprechendes gilt u.a., wenn ein Laborant innerhalb eines Betriebes seine Arbeitsstelle wechselt, nach der Versetzung aber nicht mehr wie bisher mit ungefährlichen Stoffen und Chemikalien, sondern zukünftig mit ätzenden, giftigen, leicht entzündlichen oder explosiven Materialien in Kontakt kommt.82 Typischerweise führt die Beendigung des Erwerbslebens durch Pensionierung oder aus anderen
70 71 72 73 74 75
76
Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 19. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 7. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 30. OLG Nürnberg 26.1.1989 RuS 1989 202. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 3. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 4; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 180; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 30. OLG Nürnberg 26.1.1989 RuS 1989 202.
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Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 180; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 141; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 131; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 3. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 4. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 30. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 5. RG 8.6.1928 VA 1928 229 f. Nr. 1885. Beispiel nach Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 4.
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Gründen zu einer Änderung der Berufstätigkeit.83 Keine Änderung i.S.d. AUB liegt dagegen bei einer Einschränkung der Tätigkeit (z.B. durch Kurzarbeit) vor. U.U. muss der VN die gleiche Prämie wie bisher weiter zahlen.84 Kein Berufswechsel liegt weiterhin vor, wenn die versicherte Person von Anfang an einen anderen als den im Vertrag festgelegten Beruf ausübt. Z.T. wird hier erwogen, einen Risikoausschluss für Unfälle anzunehmen, die mit der tatsächlichen Berufsausübung in Zusammenhang stehen.85 Zutreffender dürfte es sein, eine Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten nach §§ 19 ff. bzw. Ziff. 13 AUB 99/2008 zu prüfen. Neben Gefahränderungen im Berufsleben sind auch andere Beschäftigungen im täg32 lichen Leben anzeigepflichtig, vorausgesetzt sie werden mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübt und überschreiten eine bestimmte Intensität.86 Erfasst sind nicht nur planmäßige Tätigkeiten, die auf eine Berufstätigkeit vorbereiten (z.B. Ausbildung, Studium, Lehre),87 sondern auch reine Freizeitbeschäftigungen wie Spiel, Sport und Hobbys.88 Eine Beschränkung des Begriffs „Beschäftigung“ auf berufsspezifische oder berufsähnliche Tätigkeiten folgt nicht aus dem für die Auslegung der AUB maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 66 ff.). Das Wort „Beschäftigung“ steht zwar häufig, nicht aber zwingend im Kontext mit dem Arbeitsleben. Es wird darüber hinaus auch als Synonym für Aufgabe, Betätigung, Hobby, Tätigkeit, Verrichtung oder Zeitvertreib verwendet.89 Für die Frage, ob eine Änderung der Beschäftigung vorliegt, ist zu prüfen, ob die als Normalgefahr anzusehende Beschäftigung eines Durchschnittsbürgers überschritten wird. Dies ist nicht der Fall bei der („normalen“) Ausübung von Freizeitsport, dem Betreiben von Hobbys oder dem Antritt einer Erholungsreise (z.B. eines mehrwöchigen Wintersporturlaubs). In solchen Fällen des normalen Alltagslebens wird auch der verständige VN aus dem Bedingungswortlaut keine Gefahränderung ableiten. Eine dahingehende Folgerung würde zu einer erheblichen Belastung des VN führen, die in den AUB klar zum Ausdruck kommen müsste. Hinzukommt, dass der VN aus Laiensicht bei einer gewöhnlichen Änderung seines Freizeitverhaltens (z.B. bei einem Wechsel vom Bastelhobby zum Judovereinssport) keinen Anlass zu einer Meldung gegenüber dem VR hat. Der allgemein übliche und als normal anzusehende Rahmen kann dagegen überschritten werden, wenn die versicherte Person z.B. nicht mehr Freizeitsport betreibt, sondern Leistungssport mit intensivem Training (insbesondere zu besonders gefährlichen oder verletzungsträchtigen Sportarten wie Eishockey, Fußball, Skifahren u.ä.) aufnimmt oder sich für einen längeren Zeitraum extremen Gefahren (z.B. Hochgebirgs- oder Klettertouren) aussetzt.90 Hier wird der verständige VN nicht erwarten, dass der bisherige Versicherungsschutz in gleicher Weise für die Zukunft erhalten bleiben kann. Einzelfälle: 33 • Freiheitsentzug durch Strafhaft oder Internierung stellen als solche noch keine Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung dar. Entscheidend ist, ob die versicherte Person während der
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Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 4. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 7 und 12. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 4. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 4; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 131; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 3. So aber Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 4.
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Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 3. Duden Bd. 8. Das Synonymwörterbuch, 3. Aufl. (2004) und Duden Bd. 10: Das Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl. (2002) jeweils unter „Beschäftigung“. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 4; a.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 4.
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Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
Haft mit einer gewissen Regelmäßigkeit bestimmte Arbeiten verrichtet, die von den zuvor ausgeübten Tätigkeiten abweichen91 und in der Gefahränderungsvereinbarung nach § 181 Abs. 1 berücksichtigt sind. Herrschen während der Strafhaft oder Internierung Willkür und Rechtlosigkeit, die eine ständige akute Lebensbedrohung bewirken, so kommt es in Betracht, einen Fortfall der Geschäftsgrundlage zu erörtern (§ 313 BGB).92 Die dabei zu nehmenden Hürden sind indes hoch (Ziff. 5 AUB Rn. 24 ff.; s.a. Rn. 25). • Keine Gefahränderung i.S.v. Ziff. 6.2 AUB 99, § 6 AUB 88/94, § 4 AUB 61 liegt vor, wenn sich in einem Gruppen-Unfallversicherungsvertrag die Anzahl der versicherten Person verändert. Dies gilt auch dann, wenn durch den Wechsel die Voraussetzungen für die Gruppenversicherung entfallen.93 • Pflichtwehrdienst, Zivildienst oder militärische Reserveübungen sind nach Ziff. 6.2.1 AUB 99/ 2008, § 6 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 und § 4 Nr. 1 S. 2 AUB 61 nicht meldepflichtig. Diese Tätigkeiten gelten nach den AUB nicht als Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung, obwohl sie zu einer erheblichen Gefahränderung führen können, z.B. weil die bisher kaufmännisch tätige versicherte Person im Umgang mit Waffen geschult wird. Während des Pflichtwehrdienstetes usw. besteht der vereinbarte Versicherungsschutz weiter, allerdings auch nur in dem bisherigen Umfang.94 So sind z.B. Unfälle beim Fallschirmspringen oder als Besatzungsmitglied eines Luftfahrzeugs weiterhin ausgeschlossen (s. z.B. Ziff. 5.1.4 AUB 99/2008). Bei kriegsmäßigem Einsatz finden Ziff. 10.4 AUB 99/2008, § 5 Abs. 4 i.V.m. § 5 Abs. 4 AUB 88/94, § 4 Nr. 5 AUB 61 mit der Folge Anwendung, dass der Versicherungsschutz außer Kraft tritt. Abzugrenzen sind die Fälle, in denen die versicherte Person freiwillig in den Militärdienst (als Zeit- oder Berufssoldat, „Söldner“ o.ä.) eintritt. Hier handelt es sich um eine anzeigepflichtige Änderung der Berufstätigkeit,95 und zwar auch dann, wenn der Entschluss während der Ableistung des Pflichtwehrdienstes oder der militärischen Reserveübung gefasst wird. Ähnliches gilt, wenn der Unfallversicherungsvertrag während der Ableistung des Pflichtwehrdienstes oder Zivildienstes abgeschlossen und der für dieses Risiko zugrunde gelegte Beitrag berechnet wurde. Nimmt die versicherte Person eine Ziviltätigkeit auf, ist dies anzeigepflichtig, sofern die Vertragsparteien den Wechsel der Tätigkeit nicht bereits bei Vertragsschluss berücksichtigt haben.96
3. Unverzügliche Mitteilung Die Meldung hat unverzüglich nach Eintritt der Gefahränderung zu erfolgen. Unver- 34 züglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB). Welcher Zeitraum dem VN zur Verfügung steht, ergibt sich aus der Würdigung des Einzelfalls. Die Anzeige kann auch vor Eintritt der Änderung wirksam erfolgen. Sie wird gegenstandslos, wenn die vom VN angenommene Änderung seiner Tätigkeit tatsächlich nicht eintritt und er dies dem VR mitteilt.97 4. Belehrungspflicht des VR Der VR ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, den VN (ständig) über seine Melde- 35 obliegenheit zu belehren oder ihn zu befragen.98 Schon gar nicht ist er gehalten, etwaige Änderungen in der Berufstätigkeit der versicherten Person zu überwachen.99 § 186 findet
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OGH Br. 23.6.1950 VersR 1950 127, 129; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 30; Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 8. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 32. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 4. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 10. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 5.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 11. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 15. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 2; Wussow/ Pürckhauer 6 § 6 Rn. 17. BGH 16.2.1967 BGHZ 47 101, 107 = VersR 1967 441 443.
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auf Obliegenheiten des VN keine Anwendung (§ 186 Rn. 12 und 15). Allerdings besteht für den VR eine vorvertragliche Informationspflicht. Im Produktinformationsblatt ist der VN auf die Meldeobliegenheit hinzuweisen (§ 4 Abs. 2 Nr. 6 VVG-InfoV). Des Weiteren kann sich der VR nach § 6 Abs. 4 (nachvertragliche Befragungs-, Beratungs- und Dokumentationspflicht) bzw. den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung schadensersatzpflichtig machen, wenn er den VN nicht „anlassbezogen“ über Ziff. 6 AUB 99/2008 (§ 6 AUB 88/94, §§ 4, 15 Abs. 1 AUB 61) berät bzw. entgegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die Anzeigepflicht hinweist.100 So kann etwa der Fall liegen, in dem der VR aus sonstigen Umständen weiß (oder wissen müsste), dass eine Änderung der Berufstätigkeit der versicherten Person eingetreten ist, der VN aber offensichtlich die Meldeobliegenheit übersehen hat.101 Bei Geltung der AUB 99/2008 wird eine Verletzung der Hinweispflicht durch den VR allerdings regelmäßig keinen Schaden des VN begründen, da die Summenerhöhung bei einer Gefahrminderung – unabhängig von der Anzeige durch den VN – spätestens nach Ablauf eines Monats ab der Änderung eintritt. Anders ist dies dagegen, wenn die AUB 61/88/94 zugrunde liegen. Hier tritt die Verringerung der Prämienzahlungspflicht im Fall einer Gefahrminderung erst dann ein, wenn die Anzeige des VN dem VR zugegangen ist. Der VR könnte bei Unterlassen des gebotenen Hinweises also weiterhin eine materiell unberechtigte Prämie einnehmen, obwohl er positiv von der Gefahrminderung Kenntnis hat. Ein etwaiges Mitverschulden des VN ist bei der Ermittlung des zu zahlenden Schadensersatzes zu berücksichtigen. Die Anwendung des § 254 BGB kann insbesondere dann relevant werden, wenn der VN die AUB nicht (aufmerksam) gelesen hat. 5. Rechtsfolgen
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Die (schuldlose, fahrlässige oder vorsätzliche) Verletzung der Meldeobliegenheit führt weder zur Leistungsfreiheit des VR noch begründet sie ein Kündigungsrecht für den VR. Ziff. 6.2.2 und 6.2.3 AUB 99/2008 sind insofern abschließend. Besonderheiten gelten bei arglistiger Nichtanzeige der Gefahrerhöhung. Hier können §§ 181 Abs. 2 S. 2, 23 ff. ergänzend zu den AUB zur Anwendung gelangen (Rn. 23). Nach Eingang der Meldung hat der VR unverzüglich darüber zu entscheiden, ob eine 37 Vertragsanpassung erfolgen muss oder nicht.102 Von ihm wird auch zu verlangen sein, dass er den VN über die Auswirkungen konkret informiert und die neuen Versicherungssummen bzw. -beiträge mitteilt.103 Nur so wird der VN in die Lage versetzt, sein Wahlrecht sachgerecht auszuüben.
III. Gefahränderung 38
Eine relevante Gefahränderung liegt nur vor, wenn es infolge der geänderten Tätigkeit der versicherten Person nach dem Tarif des VR zu einem Wechsel der Gefahrgruppe bzw. Gefahrklasse kommt.104 Andere Änderungen sind irrelevant, und zwar unabhängig
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Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 6; Terbille/ Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 180; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 8; Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 16. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 8; Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 17.
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Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 15. Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 23. OLG Nürnberg 26.1.1989 RuS 1989 202; Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 4.
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Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
davon, ob sie angezeigt worden sind oder nicht.105 Liegt eine Gefahränderung vor, so gilt der Grundsatz der Beitragsstabilität. Es kommt zu einer Summenanpassung: • Wechselt die versicherte Person in einen risikoreicheren Beruf, mindern sich nach einem Monat die Versicherungssummen bei gleich bleibenden Prämien. • Wechselt die versicherte Person in einen risikoärmeren Beruf, steigen spätestens nach einem Monat die Versicherungssummen bei gleich bleibenden Prämien.
Das Prinzip konstanter Beiträge ist insbesondere für die Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr von Vorteil.106 Auf Wunsch der versicherten Person kann vom Grundsatz der Beitragsstabilität zugunsten einer Summenstabilität bzw. einer Prämienanpassung abgewichen werden: • Wechselt die versicherte Person in einen risikoärmeren Beruf, sinken die Versicherungsprämien bei gleich bleibenden Versicherungssummen. • Wechselt die versicherte Person in einen risikoreicheren Beruf, erhöhen sich die Versicherungsprämien bei gleich bleibenden Versicherungssummen.
1. Tarif des VR Für die Vertragsanpassung ist der Tarif des VR maßgebend. Die Festsetzung durch ein 39 Gericht kann der VN mangels eines entsprechenden vertraglichen oder gesetzlichen Anspruchs nicht verlangen.107 Maßgebend für die Vertragsanpassung ist nach allen AUB-Generationen der „nach 40 dem zum Zeitpunkt der Änderung gültige Tarif“ des VR. Abzustellen ist damit nach einem Tarifwechsel auf den aktuellen und nicht auf den bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Tarif.108 Das Datum der Gefahränderung ist mithin genau festzustellen. Diese Konkretisierung bzw. Klarstellung zu § 181 Abs. 2 S. 1 ist zulässig (Rn. 12). Sie steht auch sonst in Einklang mit dem VVG. Zwar wird zu § 41 (§ 41a a.F.) die Auffassung vertreten, für die Bemessung der verminderten Prämie sei nicht entscheidend, welche Prämie der VR im Zeitpunkt der Gefahrminderung verlangt hätte, sondern es sei weiterhin das im Versicherungsvertrag zugrunde gelegte Prämienberechnungssystem heranzuziehen und folgerichtig nur die während der Vertragslaufzeit eingetretenen, veränderten Umstände in die bei Vertragsschluss zugrunde gelegte Rechnung einzusetzen.109 Jedoch kann dieses Verständnis nicht einfach auf die Unfallversicherung übertragen werden. Zum einen enthält § 41 (§ 41a a.F.) anders als die AUB keine Umschreibung dazu, welcher Tarif bei einer Vertragsanpassung (u.U. Jahre nach Vertragsbegründung) heranzuziehen ist. Zum anderen sind die AUB insgesamt gegenüber § 41 für den VN vorteilhafter (Rn. 50). Sieht der Tarif keine Position für das erhöhte Risiko vor, hatte der VR auf Grundlage 41 des VVG a.F. eine Kündigungsbefugnis.110 Z.T. wurde diese allerdings davon abhängig gemacht, dass die Bedingungen eine dem § 6 Abs. 2 Nr. 3 AUB 94 entsprechende Regelung vorgesehen haben.111 Dem ist indes nicht zu folgen. Zwar ist davon auszugehen, 105 106 107 108
109
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 30. Bihr VW 1999 1329, 1333. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 9. Stockmeier/Huppenbauer S. 81; Wussow/ Pürckhauer 6 § 6 Rn. 16; a.A. Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 3 und Ziff. 6 AUB 99 Rn. 3. BGH 5.2.1981VersR 1981 621, 624 zu
110
111
§ 41a a.F. zur Betriebsfeuerversicherung. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 9 und 10; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 7; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 142; Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 14; Bruck/ Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 32. Stockmeier/Huppenbauer S. 83.
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dass die Verfasser der AUB 99 auf das Kündigungsrecht verzichtet haben, weil sie in Ziff. 6 AUB 99 bewusst von einer Übernahme des § 6 Abs. 2 Nr. 3a AUB 94 abgesehen haben (vgl. Rn. 14). Diese Intention ist für den VN jedoch nicht ersichtlich und für die Auslegung von AGB unerheblich (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Für den VN stellt sich die Lage vielmehr so dar, dass der Fall eines nicht versicherbaren Berufs in den AUB 99 nicht geregelt und die Vertragslücke – genauso wie bei Vereinbarung der AUB 61 (Rn. 7) und AUB 88 (Rn. 9) – durch dispositives Gesetzesrecht (nämlich Anwendung der §§ 24, 27 a.F.) zu schließen ist. Die aufsichtsrechtliche Verpflichtung des VR, Kündigungsrechte abschließend in den AVB zu regeln (Rn. 10), steht der zivilrechtlichen Lückenfüllung nicht entgegen.112 Eine andere Frage ist, ob der VR sich schadensersatzpflichtig macht oder sich treuwidrig verhält, wenn er die Kündigung nach §§ 24, 27 a.F. erklärt, obwohl er bei einem Vertragsschluss nach der Deregulierung bewusst – entgegen Aufsichtsrecht – von einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung in den AUB abgesehen hat (zur ähnlichen Thematik bei Abweichen des VR von geschäftsplanmäßigen Erklärungen s. Vorbem. § 178 Rn. 71 ff.). Unter Geltung des VVG 2008 kommt jedenfalls eine Kündigung des VR nach § 24 – außer in Arglistfällen – nicht in Betracht. Der VR kann allerdings die Absicherung der höheren Gefahr gemäß § 25 Abs. 1 VVG ausschließen, vorausgesetzt die Parteien haben nach § 181 Abs. 1 eine entsprechende (ausdrückliche) Vereinbarung in Textform getroffen (§ 181 Rn. 13 ff.). Liegt keine Regelung vor, die den weitergehenden Anforderungen des § 181 Abs. 1 entspricht, ist der VR bei einem Berufswechsel der versicherten Person an den Vertrag auch dann gebunden, wenn der neue Beruf extrem gefährlich ist. Erhöhte Risiken lassen sich ohne explizite Vereinbarung nur über die Annahmepolitik, Beitragsregelungen oder Ausschlüsse steuern bzw. reduzieren.113 2. Gefahrerhöhung
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Kommt es zu einer Gefahrerhöhung, werden die Versicherungssummen nach Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99/2008 herabgesetzt. Dabei sind zwei Zeitpunkte zu unterscheiden: • Maßgebend für die Berechnung der herabgesetzten Versicherungssummen ist der „nach dem zum Zeitpunkt der Änderung gültige Tarif“ des VR (Rn. 40). • Die niedrigeren Versicherungssummen gelten (automatisch) nach Ablauf von einem Monat (so jetzt die AUB 2008) bzw. zwei Monaten (so noch die AUB 99) ab der Änderung. Diese Übergangsfrist gibt dem VN ausreichend Zeit zur Prüfung, ob er sein Wahlrecht nach Ziff. 6.2.3 AUB 99/2008 dahingehend ausübt, statt einer Summen- eine Prämienanpassung zu verlangen.
Folgende Zeitabläufe lassen sich differenzieren: • Vertrag nach „Tarif 1“ → (Interne) Umstellung beim VR auf „Tarif 2“ → Gefahrerhöhung → Unfall → Ablauf der Monatsfrist ➔ Versicherungsleistung nach den ursprünglich vereinbarten Summen gemäß „Tarif 1“ • Vertrag nach „Tarif 1“ → (Interne) Umstellung beim VR auf „Tarif 2“ → Gefahrerhöhung → Ablauf der Monatsfrist → Unfall ➔ Versicherungsleistung nach den angepassten Summen gemäß „Tarif 2“ • Vertrag nach „Tarif 1“ → Gefahrerhöhung → Ablauf der Monatsfrist → (Interne) Umstellung beim VR auf „Tarif 2“ → Unfall ➔ Versicherungsleistung nach den ursprünglich vereinbarten Summen gemäß „Tarif 1“
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Prölss/Präve 12 § 10 VAG Rn. 20.
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3. Gefahrminderung Im Fall einer Gefahrminderung (insbesondere eines Wechsels von Gefahrengruppe B 43 in Gefahrengruppe A) gelten spätestens nach Ablauf eines Monats ab der Änderung höhere Versicherungssummen. Im Gegensatz zu Ziff. 6.2.2 S. 2 AUB 99 sowie § 6 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94 und § 4 Nr. 2a AUB 61 berechnet sich nach den AUB 2008 der Anpassungszeitpunkt nicht ausschließlich nach dem „Zugang der Anzeige“ (so AUB 61/88/94) oder dem „Zeitpunkt der Änderung“ (so AUB 99). Vielmehr werden die Regelungen in den älteren AUB-Generationen nunmehr kombiniert: • Gefahrminderung → Anzeige der Gefahrminderung → Unfall → Ablauf der Monatsfrist ➔ Versicherungsschutz mit erhöhten Versicherungssummen • Gefahrminderung → Ablauf der Monatsfrist → Unfall → Anzeige der Gefahrminderung ➔ Versicherungsschutz mit erhöhten Versicherungssummen
Die Anwendung der Ziff. 6.2.2 S. 2 AUB 99/2008 kann für der VR mit Schwierigkeiten verbunden sein: • Im Einzelfall kann die Anpassung dazu führen, dass die dann geltenden – erhöhten – Versicherungssummen im Verhältnis zwischen VN und VR nicht nur intern in Annahmerichtlinien des VR gezogene Grenzen, sondern auch das Limit für die obligatorische Rückversicherung des VR überschreiten.114 Da beide Rechtsverhältnisse zivilrechtlich völlig unabhängig voneinander sind, hat das Überschreiten der Summengrenzen für den Bestand oder die Wirksamkeit des Unfallversicherungsverhältnisses keine Auswirkungen. Außer einer Vertragskündigung hat der VR keine Möglichkeit, sich von den erhöhten Summen zu entlasten. Etwaige Differenzen muss der VR vielmehr fakultativ rückversichern oder durch Beteiligung anderer VR decken.115 • Ein schleppendes Meldeverfahren des VN kann dazu führen, dass zwischen der Summenerhöhung und der Kenntnisnahme durch den VR ein erheblicher Zeitraum liegt. Die nachträgliche Ermittlung der gültigen Versicherungssummen kann – gerade bei Dynamikvereinbarungen – mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand verbunden sein.116
4. Wahlrecht des VN Nach Ziff. 6.2.3 AUB 99/2008 hat der Kunde die Wahl, ob er von dem in Ziff. 6.2.2 44 AUB 99/2008 vorgesehenen Grundsatz der Beitragsstabilität abweichen und stattdessen den Vertrag mit den bisherigen Versicherungssummen bei erhöhtem oder gesenktem Beitrag weiterführen möchte. Die Wahlmöglichkeit zwischen Beibehaltung der Versicherungssumme oder Beibehaltung des Beitrags besteht erst ab dem Zeitpunkt, zu dem eine entsprechende Erklärung des VN dem VR zugeht (Ziff. 6.2.3 Halbs. 2 AUB 99/2008). Erfolgt keine Anzeige, gilt der Grundsatz der Beitragsstabilität in § 181 Abs. 2 S. 1, Ziff. 6.2.2 AUB 99/2008. Ggf. sind dann die Versicherungssummen anzupassen.117 Liegen Änderungs- und Meldedatum weit auseinander, kann sich für den VR die Frage stellen, wie er dies in seiner Bestandsführung berücksichtigt.118 Da der ursprüngliche Vertrag fortgeführt wird, handelt es sich bei den neuen Beiträgen um Folgeprämien nach § 38 (§ 39 a.F.).119 Der neue Beitrag bestimmt sich nach dem Tarif des VR, der z.Z. der Ausübung des Wahlrechts des VN gilt (Rn. 42).
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Bihr VW 1999 1329, 1333. Stockmeier/Huppenbauer S. 83. Bihr VW 1999 1329, 1333. Stockmeier/Huppenbauer S. 80.
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Bihr VW 1999 1329, 1333. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 6; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 6; Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 23.
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D. Wirksamkeit der Regelung 45
Bis zur VVG-Reform 2008 unterlagen sowohl die Regelungen in den AUB 61 als auch in den AUB 88/94 oder auch AUB 99 keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dies galt etwa für § 4 Nr. 2b AUB 61 120 oder § 6 Abs. 2 Nr. 3a AUB 94.121 Nach Inkrafttreten der VVG-Reform 2008 steht zumindest § 6 Abs. 2 Nr. 3b AUB 94 nicht mehr in Einklang mit den neuen bzw. modifizierten Vorschriften in §§ 181, 191, 23 ff.122 So kommt eine Leistungsfreiheit des VR wegen Gefahrerhöhung unter Rückgriff auf § 26 von vornherein nur in Betracht, wenn die Vertragsparteien eine ausdrückliche Vereinbarung zur Gefahrerhöhung i.S.v. § 181 Abs. 1 getroffen haben und der VN gemäß § 181 Abs. 2 S. 2 die Gefahrerhöhung arglistig nicht angezeigt hat. Die dem neuen Recht angepassten Klauseln in Ziff. 6 AUB 2008 halten dagegen einer rechtlichen Kontrolle stand:
I. Umstellung des Kindertarifs 46
Die (zwingende) Einordnung in den Erwachsenentarif enthält keine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des VN. Dem steht nicht entgegen, dass der VN vor die Alternative gestellt wird, entweder mehr zu zahlen oder geringeren Versicherungsschutz zu erhalten. Es ist unschädlich, dass dem VN kein Recht eingeräumt wird, sich einseitig aus dem Vertrag zu lösen. Die Kriterien für die Änderung des „Preis-/ Leistungsverhältnisses“ liegen fest und sind bestimmbar. Zwar wird dabei auf den Tarif für Erwachsene abgestellt, der zum Zeitpunkt der Vollendung eines bestimmten Jahres gültig ist, jedoch ist die damit bei Vertragsabschluss für den VN verbundene Ungewissheit über die auf ihn zukommende (indirekte) Beitragserhöhung nicht unangemessen. Die Tarifgestaltung erfolgt nicht willkürlich, sondern ist von (sachgerechten) aktuariellen Erwägungen abhängig.123 Ein Tarifwechsel während der Vertragslaufzeit muss – gerade unter Berücksichtigung des verschärften Wettbewerbs – nicht nachteilig für den VN sein. Möchte der VN Unwägbarkeiten vermeiden, kann er die Laufzeit des Vertrags so gestalten, dass sie nicht über das in den Bedingungen für den Tarifwechsel maßgebliche Alter des versicherten Kindes hinausgeht.
II. Anzeigeobliegenheit 47
Ziff. 6.2.1 S. 1 AUB 2008 enthält eine deklaratorische Erläuterung für den VN, die ihm den Regelungszweck der Klausel verdeutlichen soll. Einen eigenen „rechtlichen Gehalt“ hat der Satz nicht. Ziff. 6.2.1 S. 2 AUB 2008 trägt § 181 Abs. 1 ausreichend Rechnung. Durch die Bezugnahme auf das Berufsgruppenverzeichnisses in den AUB liegt eine „ausdrückliche Vereinbarung“ über die als Gefahrerhöhung geltenden Umstände vor. Die in Ziff. 6.2.1 S. 3 AUB 2008 vorgesehene Mitteilungsobliegenheit ist gesetzeskonform. Das Bestehen einer Anzeigeobliegenheit wird in § 181 Abs. 2 S. 2 vorausgesetzt, auch wenn ihre Verletzung nur bei Arglist mit Rechtsfolgen behaftet ist.124
120 121 122
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 27 f. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 11 f. Marlow/Spuhl 3 S. 264; Rüffer/Halbach/ Schimikowski § 181 Rn. 3.
1106
123
124
OLG Hamm 9.10.1987 VersR 1988 263, 265 (allerdings für die Zeit vor der Deregulierung). Marlow/Spuhl 3 S. 264.
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Kindertarif und Gefahränderung
AUB 2008 Ziff. 6
III. Summenanpassung Die in Ziff. 6.2.2 AUB 99/2008 vorgesehene Summenanpassung ist sowohl mit dem 48 VVG als auch dem AGB-Recht vereinbar.125 Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99/2008 sieht vor, dass im Fall einer Änderung der Berufstätig- 49 keit oder Beschäftigung der versicherten Person und einer daraus resultierenden Gefahrerhöhung nach Ablauf von einem Monat ab der Änderung – bei gleich bleibendem Beitrag – niedrigere Versicherungssummen heranzuziehen sind, die sich nach dem zum Zeitpunkt der Änderung gültigen Tarif bemessen. Die Regelung steht im Einklang mit dem VVG: • Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99/2008 widerspricht nicht §§ 181, 191.126 Zwar stellt Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB auf den „zum Zeitpunkt der Änderung gültigen Tarif“ ab, während § 181 Abs. 2 S. 1 lediglich von „dem geltenden Tarif des VR“ spricht. Diese unterschiedlichen Formulierungen stellen indes keine inhaltlichen Abweichungen dar, da auch in § 181 Abs. 2 S. 1 der „geltende“, d.h. der aktuelle VR-Tarif angesprochen wird (§ 181 Rn. 12). Selbst wenn § 181 Abs. 2 S. 1 dahingehend verstanden werden sollte, dass der bei Vertragsschluss gültige Tarif maßgebend sei, führt Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99/2008 zu einer für den VN insgesamt günstigeren Regelung. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass das Abstellen auf den aktuellen Tarif dem VN nicht zwingend zum Nachteil gereichen muss. Aktualisierungen im Vergleich zum Ursprungstarif können sich auch vorteilhaft für den VN auswirken. Des Weiteren sind die AUB 99/2008 im Vergleich zur Gesetzeslage insofern günstiger, als dem VN ein Wahlrecht zwischen Summen- und Prämienanpassung eingeräumt wird. • §§ 23 ff. stehen der Wirksamkeit von Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99/2008 nicht entgegen. Zum einen sind diese Vorschriften ohnehin subsidiär gegenüber der mit der VVG-Reform 2008 neu eingeführten Spezialregelung des § 181 Abs. 2. Diese Sondervorschrift für die Unfallversicherung ist im Vergleich zu den allgemeinen Regeln in §§ 23 ff. für den VN vorteilhaft (§ 181 Rn. 2). Wenn aber Ziff. 6.2.2 AUB 99/2008 schon den strengeren Maßstab des § 181 Abs. 2 wahrt, kann nichts anderes gegenüber den subsidiären Gesetzesregelungen in §§ 23 ff. gelten. Zum anderen sind die §§ 23 ff. halbzwingend. Unwirksamkeit einer AUB-Bestimmung tritt folglich nur dann ein, wenn mit ihr zum Nachteil des VN abgewichen wird (§ 32 S. 1). Dies trifft auf Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99/2008 nicht zu. Zwar wird z.T. (zu den AUB 88/94) eine Benachteiligung des VN darin gesehen, dass die Verringerung der Versicherungssummen auch dann erfolge, wenn sich bei dem Unfall die erhöhte Gefahr nicht verwirklicht habe und somit ein Verstoß gegen § 26 Abs. 3 Nr. 1 (§ 25 Abs. 3 Nr. 1 a.F.) vorliege (Rn. 11).127 Dieser Auffassung ist indes nicht zu folgen. Sie berücksichtigt noch nicht § 181 Abs. 2, der die Herabsetzung der Versicherungssummen vorsieht, ohne dass es darauf ankommt, ob die Gefahrerhöhung für den Unfall Bedeutung erlangt hat. Weiterhin folgt aus einer punktuellen Bewertung nicht schon das Postulat der Unwirksamkeit. Für die Anwendung des § 32 S. 1 (§ 34a a.F.) kommt es nicht darauf an, ob die zu prüfende Klausel den VN im konkreten Einzelfall schlechter stellt als das Gesetz. Vielmehr ist abzuwägen, ob die jeweilige Bestimmung generell ungünstiger ist als das Gesetz.128 Dies ist hier insbesondere wegen des dem VN eingeräumten Wahlrechts nach Ziff. 6.2.3 AUB 99/2008 nicht der Fall.
125
126 127
Stockmeier/Huppenbauer S. 80 ff.; ferner Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 6; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 133. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 6 AUB 2008 Rn. 4. So Prölss/Martin/Knappmann 27 § 6 AUB 94 Rn. 6; a.A. Grimm 4 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 7;
128
Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 181; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 132; Wussow/Pürckhauer 6 § 6 Rn. 22. Martin VersR 1971 189, 191; Prölss VersR 1988 347, 348; Stockmeier/Huppenbauer S. 82.
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1107
AUB 2008 Ziff. 6
Unfallversicherung
• §§ 41, 42 (§§ 41a, 42 a.F.) widersprechen der Bestimmung in Ziff. 6.2.2 S. 1 AUB 99/2008 schon deshalb nicht, weil § 181 Abs. 2 S. 1 eine vorrangige Spezialvorschrift enthält. Im Übrigen betrifft die halbzwingende Vorschrift des § 41 nicht die Gefahrerhöhung, sondern den Fall der Herabsetzung der Prämie nach einer Gefahrminderung.
50
Nach Ziff. 6.2.2 S. 2 AUB 99/2008 führt eine Gefahrminderung dazu, dass spätestens nach Ablauf eines Monats ab der Änderung höhere Versicherungssummen bei gleich bleibendem Beitrag gelten, sofern sich solche aus dem zum Zeitpunkt der Änderung gültigen Tarif des VR errechnen. Diese Bestimmung widerspricht nicht dem VVG. • §§ 181, 191 stehen schon deshalb nicht entgegen, da diese Spezialvorschriften für die Unfallversicherung nur den Fall der Gefahrerhöhung, nicht den der Gefahrminderung betreffen. Für die Gefahrminderung findet nach der Gesetzessystematik § 41 Anwendung (§ 181 Rn. 3). • Die in den AUB vorgesehene Summenanpassung widerspricht nicht dem in §§ 41, 42 (§§ 41a, 42 a.F.) halbzwingend geregelten Grundsatz der Prämienanpassung bei Gefahrminderungen.129 Im Gegenteil: Die in Ziff. 6.2.2 und 6.2.3 AUB 99/2008 enthaltenen Bestimmungen weichen zugunsten des VN vom Gesetzesrecht ab.130 Zum einen wird dem VN nicht das Recht beschnitten, eine angemessene Herabsetzung seiner Prämie zu verlangen. Vielmehr hat der VN nicht nur ein Recht auf Prämienkorrektur (§ 41), sondern darüber hinaus die freie Wahl, ob er Beitragsstabilität (mit höheren Versicherungssummen) oder gleich bleibende Versicherungssummen mit herabgesetzten Prämien haben möchte. Der Gesetzgeber bringt in der Begründung deutlich zum Ausdruck, dass diese in den AUB vorgesehene und für den VN vorteilhafte Wahlmöglichkeit auch nach der VVG-Reform 2008 erhalten bleiben soll (§ 181 Rn. 3). Zum anderen tritt die in den AUB vorgesehene Summenanpassung in jedem Fall einen Monat nach Eintritt der Änderung der Berufstätigkeit ein (Rn. 43). Demgegenüber kommt es nach § 41 S. 1 – genauso wie in § 6 Abs. 2 Nr. 1 AUB 88/94, § 4 Nr. 2a AUB 61 – ausschließlich auf den „Zugang des Verlangens beim VR“ an.
51
Ziff. 6 AUB 99/2008 hält einer Kontrolle nach dem AGB-Recht stand. • § 308 Nr. 5 BGB greift nicht ein. Zwar bestimmt Ziff. 6.2.2 AUB 99/2008, dass unter bestimmten Voraussetzungen neue Versicherungssummen „gelten“. Damit wird indes keine Erklärung eines Vertragspartners fingiert. Insbesondere wird der VN nicht mit einer Rechtsfolge überrascht, die er nicht gewollt hat und auf die er sich nicht einstellen konnte.131 Es werden vielmehr bei Vertragsschluss (vorsorglich) die Rechtsfolgen im Fall einer Gefahränderung geregelt. • Die Anwendung des § 307 BGB führt zu keiner Unwirksamkeit von Ziff. 6.2.2 AUB 99/2008. Die Rechtsposition des VN ist klar und durchschaubar sowie sachgerecht geregelt.132
IV. Wahlrecht des VN 52
Das in Ziff. 6.2.3 AUB 99/2008 vorgesehene Wahlrecht des VN, bei einer Gefahrerhöhung entweder die Versicherung mit niedrigeren Versicherungssummen bei gleicher Prämie oder die Versicherung mit gleich bleibenden Versicherungssummen bei erhöhtem Beitrag fortzuführen, ist zulässig. Es handelt sich dabei um keine für den VN nachteilige Regelung. Sie ist auch im Hinblick auf § 191 wirksam.133
129 130 131
Prölss/Martin/Knappmann 27 Ziff. 6 AUB 99 Rn. 3. Stockmeier/Huppenbauer S. 80 f. Stockmeier/Huppenbauer S. 83.
1108
132 133
Stockmeier/Huppenbauer S. 82 f. So ausdrücklich Begründung RegE zu § 181 Abs. 2, BT-Drucksache 16/3945 vom 20.12.2006, S. 108.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
E. Speziellere AVB Ziff. 6.2 AUB 99/2008 findet keine Anwendung, wenn die Parteien die „Besonderen 53 Bedingungen für die Versicherung gegen außerberufliche Unfälle (BB Außerberufliche Unfälle)“ vereinbart haben.134 Diese Bedingungen enthalten – wie auch ihre Vorgängerbestimmungen135 – eine eigene (speziellere) Regelung zur Gefahränderung. Die „BB Außerberufliche Unfälle“ verfolgen das Ziel, den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz zu komplettieren bzw. die Lücken des gesetzlichen Versicherungsschutzes im Freizeitbereich zu schließen. Sie haben am Markt nur eine eingeschränkte Bedeutung erlangt.
F. Verfahrensfragen Es gelten keine Besonderheiten. Die Beweislast verteilt sich nach allgemeinen zivilpro- 54 zessualen Regeln. Derjenige, der Rechte für sich in Anspruch nehmen will, muss die dafür erforderlichen Tatsachen darlegen und beweisen.
Ziff. 7 AUB 2008 7
7.1
7.2
7.3
7.4
7.5
134
Der Leistungsfall Was ist nach einem Unfall zu beachten (Obliegenheiten)? Ohne Ihre Mitwirkung und die der versicherten Person können wir unsere Leistung nicht erbringen. Nach einem Unfall, der voraussichtlich eine Leistungspflicht herbeiführt, müssen Sie oder die versicherte Person unverzüglich einen Arzt hinzuziehen, seine Anordnungen befolgen und uns unterrichten. Die von uns übersandte Unfallanzeige müssen Sie oder die versicherte Person wahrheitsgemäß ausfüllen und uns unverzüglich zurücksenden; von uns darüber hinaus geforderte sachdienliche Auskünfte müssen in gleicher Weise erteilt werden. Werden Ärzte von uns beauftragt, muss sich die versicherte Person auch von diesen untersuchen lassen. Die notwendigen Kosten einschließlich eines dadurch entstandenen Verdienstausfalles tragen wir. Die Ärzte, die die versicherte Person – auch aus anderen Anlässen – behandelt oder untersucht haben, andere Versicherer, Versicherungsträger und Behörden sind zu ermächtigen, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Hat der Unfall den Tod zur Folge, ist uns dies innerhalb von 48 Stunden zu melden, auch wenn uns der Unfall schon angezeigt war. Uns ist das Recht zu verschaffen, gegebenenfalls eine Obduktion durch einen von uns beauftragten Arzt vornehmen zu lassen.
Abgedruckt mit weiteren Anmerkungen bei Stockmeier/Huppenbauer S. 133.
135
VerBAV 1975 459; VerBAV 1964 119.
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
Schrifttum Bartsch Die postmortale Schweigepflicht des Arztes beim Streit um die Testierfähigkeit des Patienten, NJW 2001 861; Berg Rechtliche Möglichkeiten des Informationsaustausches zwischen Sachversicherern, Polizei und Staatsanwaltschaft, VersR 1994 258; Borchert Zur Unwirksamkeit der Schweigepflichtentbindungserklärung in Versicherungsanträgen, NVersZ 2001 1; Egger Schweigepflichtentbindung in privater Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung, VersR 2007 905; Hans-Joachim Fricke Die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten bei Dritten, VersR 2009 297; Höra Materielle und prozessuale Klippen in der Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung, RuS 2008 89; Knappmann Der Eintritt des Versicherungsfalls und die Rechte und Pflichten der Vertragsbeteiligten, RuS 2002 485; ders. Verpflichtung zur Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht nach dem Tod des Versicherten, NVersZ 1999 511; ders. Versicherungsschutz bei arglistiger Täuschung durch unglaubwürdigen Versicherungsnehmer, NVersZ 2000 68; Krebs Zur Frage der Kenntniserlangung des Versicherers vom Versicherungsfall i.S. des § 33 Abs. 2 a.F. – Haftpflichtund Unfallversicherung, VersR 1962 13; Langheid Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes, NJW 2007 3665; ders. Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht 1989/90, NJW 1991 268; ders. Rechtsprechungsübersicht zum Versicherungsvertragsrecht 1991/92, NJW 1993 695; W. Lücke Aktuelle Rechtsprechungsübersicht zur Betrugsproblematik in der Sachversicherung, VersR 1994 128; ders. Versicherungsbetrug in der Sachversicherung, VersR 1996 785; Marlow Aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2005 357; ders. Aktuelle Rechtsprechung zur privaten Unfallversicherung, RuS 2004 353; Möhrle Die LuftfahrtUnfallversicherung (2003); Neuhaus Aktuelle Probleme in der Personenversicherung, RuS 2009 309; Neuhaus/Kloth Gesundheitsdaten(schutz) im Versicherungsrecht – Der aktuelle Stand, NJW 2009 1707; Niewerth/Vespermann Beweislastverteilung bei der Verletzung von Anzeigeobliegenheiten, VersR 1995 1290; Notthoff Die Zukunft genereller Schweigepflichtentbindungserklärungen in der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, UfS 2008 243; Rein Der Schutz der Geheimnisse Verstorbener und Dritter in der Privaten Personenversicherung, VersR 1977 121; Röhr Die vorvertragliche Anzeigepflicht (1980); Schirmer Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum allgemeinen Versicherungsvertragsrecht – Ein Überblick, ZVersWiss 1992 381; Spickhoff Postmortaler Persönlichkeitsschutz und ärztliche Schweigepflicht, NJW 2005 1982; Voit/Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl. (2009); Weichert Die Krux mit der ärztlichen Schweigepflichtentbindung für Versicherungen, NJW 2004 1695; Sylvia Wolf Die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten bei Dritten, ZVersWiss 2009 35; Wussow Obliegenheiten in der privaten Unfallversicherung, VersR 2003 1481.
Übersicht Rn. A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . I. Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck der Obliegenheiten . . . . . . . 2. Begriff der Obliegenheit . . . . . . . . 3. Arten der Obliegenheiten . . . . . . . 4. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . 5. Zeitliche Geltung der Obliegenheiten . a) Beginn . . . . . . . . . . . . . . . b) Ende . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwicklung der Regelung . . . . . . . . 1. AUB 88/94 . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . b) Hinwirkung auf die Erstattung von Berichten und Gutachten . . . . . . 2. AUB 99 . . . . . . . . . . . . . . . . 3. AUB 2008 . . . . . . . . . . . . . . . B. Adressaten der Obliegenheiten . . . . . . C. Einzelne Obliegenheiten . . . . . . . . . I. Hinzuziehung eines Arztes, Befolgung ärztlicher Anordnungen und Unterrichtung des VR . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1110
1 2 3 4 5 6 7 8 9 13 14 15 16 19 20 21 22
23
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Rn. 1. Schadensminderungspflicht . . . . . . a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeinsame Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eintritt eines Unfalls . . . . . . bb) Voraussichtliche Leistungspflicht des VR . . . . . . . . . . . . . cc) Unverzüglich . . . . . . . . . . 2. Hinzuziehung eines Arztes . . . . . . . 3. Befolgung ärztlicher Anordnungen . . . a) Regelungszweck . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . . . . c) Ärztliche Anordnungen . . . . . . . d) Grenze der Duldungspflicht . . . . . 4. Unterrichtung des VR . . . . . . . . . a) Regelungszweck . . . . . . . . . . b) Verpflichteter . . . . . . . . . . . . c) Empfänger . . . . . . . . . . . . . d) Inhalt der Unterrichtung . . . . . . e) Form und Frist . . . . . . . . . . . f) Rechtzeitige Kenntnis des VR . . . .
24 25 29 30 31 32 36 40 41 42 43 45 48 49 50 51 52 53 55
Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
Rn. II. Unfallanzeige und Auskunftserteilung . . 1. Wahrheitsgemäßes Ausfüllen der Unfallanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungszweck . . . . . . . . . . b) Verpflichteter . . . . . . . . . . . . c) Empfänger . . . . . . . . . . . . . d) Gestaltung der Unfallanzeige . . . . aa) Formale Anforderungen . . . . . bb) Inhaltliche Anforderungen . . . e) Beantwortungspflicht . . . . . . . . f) Erkundigungs- und Nachforschungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . g) Wahrheitspflicht . . . . . . . . . . aa) Gegenstand der Wahrheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . bb) Verletzung der Wahrheitspflicht . cc) Nachfrageobliegenheit des VR . dd) Kenntnis des VR . . . . . . . . ee) Berichtigung falscher Angaben . h) Pflicht zur unverzüglichen Rücksendung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auskünfte . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungszweck . . . . . . . . . . b) Auskunftsberechtigter und -empfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auskunftsverpflichteter . . . . . . . d) Auskunftsverlangen . . . . . . . . . e) Sachdienliche Auskünfte . . . . . . aa) Sachdienliche Fragen . . . . . . bb) Beantwortung der Fragen . . . . f) Wahrheitsgemäße Auskünfte . . . . g) Form und Frist . . . . . . . . . . . III. Untersuchung durch einen vom VR beauftragten Arzt . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungszweck . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . 3. Auftragserteilung . . . . . . . . . . . 4. Durchführung der Untersuchung . . . 5. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schweigepflichtentbindung . . . . . . . . 1. Regelungszweck . . . . . . . . . . . .
Rn.
59 60 61 62 64 65 66 67 71
4.
74 75 76 77 81 83 87 88 89 90 91 93 94 95 96 101 102 103 104 105 106 108 111 114 115 116
V.
D. I. II. III.
IV. V. E. F. I. II.
2. Rechtsrahmen (§ 213) . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . aa) Pauschaleinwilligung . . . . . bb) Einzelfalleinwilligung . . . . . 3. Obliegenheit zur Ermächtigung . . . a) Adressat . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . Abgabe der Schweigepflichtentbindungserklärung . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärender . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsnachfolger . . . . . . . bb) Fehlende Schweigepflichtentbindungserklärung . . . . . . . . b) Zeitpunkt der Erklärung . . . . . c) Form der Erklärung . . . . . . . . d) Inhalt der Erklärung . . . . . . . 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . a) Einwilligung liegt vor . . . . . . . b) Einwilligung liegt nicht vor . . . . Unfalltod . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meldung des Todes . . . . . . . . . 2. Obduktion . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungszweck . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . c) Zustimmung . . . . . . . . . . . d) Durchführung . . . . . . . . . . . Wirksamkeit der Regelung . . . . . . . Hinzuziehung des Arztes . . . . . . . . Untersuchungsobliegenheit . . . . . . . Schweigepflichtentbindung . . . . . . . 1. Schweigepflichtentbindungserklärung 2. Obliegenheit zur Schweigepflichtentbindung . . . . . . . . . . . . . . . Todesfallmeldung . . . . . . . . . . . Obduktion . . . . . . . . . . . . . . . Speziellere AVB . . . . . . . . . . . . Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . Beweislast des VR . . . . . . . . . . . Beweislast des VN . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
119 120 125 126 129 130 131 132
. 133 . 134 . 135 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136 142 143 144 146 147 149 153 154 161 162 163 166 169 170 171 172 173 174
. . . . . . .
175 176 177 178 181 182 184
A. Einführung § 10 Abs. 1 Nr. 4 VAG bestimmt, dass die Versicherungsbedingungen vollständige 1 Angaben über die vertraglichen Gestaltungsrechte des VR und VN sowie die Obliegenheiten und Anzeigepflichten vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls enthalten müssen. Diesen Vorgaben des Aufsichtsrechts tragen Ziff. 6.2, 7, 8 und 13 AUB 2008 Rechnung. In Ziff. 7 AUB 99/2008 (§ 9 AUB 88/94, §§ 15, 9, 8 Abs. 7 Nr. 2 AUB 61) werden alle nach Eintritt eines Unfalls gegenüber dem VR zu erfüllenden Obliegenheiten zusammenhängend und abschließend geregelt. Die in Betracht kommenden Rechtsfolgen bei einer Verletzung ergeben sich aus Ziff. 8 AUB 2008. Ähnliche Regelungen enthalten etwa die Regelungen für die Kraftfahrtversicherung (E.1 und E.5 AKB 2008).
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
I. Obliegenheiten 2
Obliegenheiten haben typischerweise Anzeige-, Verhaltens-, Mitteilungs- und Duldungspflichten zum Gegenstand. Ihre Einhaltung liegt allein im Interesse des VN, obwohl mit ihrer Vereinbarung häufig auch Belange des VR verfolgt werden. 1. Zweck der Obliegenheiten
3
Das Obliegenheitensystem hat Hilfsfunktion für die ordnungsgemäße Erfüllung und Durchführung des Versicherungsvertrages. Dem VN werden Verhaltensnormen auferlegt, um die Leistung des VR zu ermöglichen oder zu erleichtern 1 sowie um den VR und damit die Versichertengemeinschaft vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen.2 Die Obliegenheiten tragen dazu bei, dem VN möglichst umfassenden Versicherungsschutz zu einer bezahlbaren Prämie zu bieten.3 Dies liegt bei objektiver Betrachtung sowohl im Interesse der versicherten Person, des VN, des VR und der Versichertengemeinschaft. Der VR soll zum einen in die Lage versetzt werden, die gegen ihn erhobenen Ansprüche aus dem Unfallversicherungsvertrag sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach (sachgerecht) zu prüfen sowie Beweise ordnungsgemäß zu sichern.4 Nur so kann einem etwaigen Betrugsrisiko oder der Erbringung von sachlich nicht gerechtfertigten Leistungen entgegengewirkt werden. Zum anderen soll der VR den Eintritt der Unfallfolge oder aber ihre Schwere durch geeignete Maßnahmen und Anordnungen mindern können.5 2. Begriff der Obliegenheit
4
Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, den Begriff der Obliegenheit zu definieren, damit die Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung nicht erschwert wird.6 Begriff und Bedeutung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten waren in der Vergangenheit Gegenstand zahlreicher und umfangreicher Abhandlungen.7 Als Obliegenheiten i.S.v. Ziff. 7 AUB 99/2008, § 9 AUB 88/94 bzw. § 15 AUB 61 werden – genauso wie in § 6 a.F. – üblicherweise (bloße) Verhaltensnormen bzw. Verhaltensregeln definiert, die dem VN (und ggf. auch anderen Personen wie z.B. der versicherten Person oder den Erben des VN) bestimmte Aufgaben auferlegen, die dann zu erfüllen sind, wenn er seinen Versicherungsanspruch (ungekürzt) erhalten will (sog. Voraussetzungstheorie).8 Bei den Obliegenheiten handelt es sich dagegen nach h.M. um keine echten, in irgendeiner Art erzwingbaren Verbindlichkeiten bzw. Vertragspflichten,9 deren Nichterfüllung eine (einklagbare) Schadensersatzpflicht auslöst.10 1 2 3 4 5 6 7 8
BGH 7.11.1966 VersR 1967 27, 29. BGH 22.12.1976 VersR 1977 272, 274. Wussow VersR 2003 1481, 1482. OLG Bremen 27.3.1980 VersR 1981 977, 979; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 28 und 50. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 2; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 35. Begründung RegE zu § 28, BT-Drucks. 16/3945 vom 20.12.2006 S. 68. S. etwa die Zusammenfassung von Bruck/ Möller/Heiss § 28 Rn. 32 ff.; Möhrle S. 97 ff. KG 9.6.1961 VersR 1962 31; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 2.
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BGH 14.12.1967 VersR 1968 185, 186; BGH 7.11.1966 VersR 1967 27, 29; RG 29.1.1909 VA 1909 Anh. 51 f. Nr. 455; OLG Düsseldorf 8.11.1916 VA 1917 Ahn. 15 Nr. 977. BGH 13.6.1957 BGHZ 24 378, 382; RG 19.6.1931 RGZ 133 117, 122; RG 21.12.1905 RGZ 62 190 192; RG 28.6.1904 RGZ 58 342, 346; OLG Hamm 12.11.1969 VersR 1970 319, 320; OLG Köln 19.11.1992 VersR 1993 310, 311; OLG Nürnberg 26.11.1981 VersR 1982 695; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 2; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 143; Beckmann/
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
3. Arten der Obliegenheiten Während es bei den vorvertraglichen Obliegenheiten (§§ 19 ff.) im Wesentlichen um 5 die Verminderung der Vertragsgefahr geht, zielen die nach Abschluss des Versicherungsvertrags bis zum Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegenheiten (§ 28 Abs. 1) regelmäßig darauf ab, Gefahren zu vermindern oder Gefahrerhöhungen zu verhindern, um dadurch die Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts zu reduzieren. Solche Obliegenheiten enthalten die AUB indes nicht. Ziff. 6.2 AUB 99/2008 (§ 6 AUB 88/94, §§ 15 Abs. 1, 4 AUB 61) sieht lediglich eine Meldeobliegenheit im Fall von Gefahränderungen vor. Die nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegenheiten (§ 28 Abs. 2 bis 5; Ziff. 7 und 8 AUB 99/2008, § 9 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 AUB 61) dienen der sachgerechten Leistungsregulierung (Rn. 3). 4. Abgrenzungen Obliegenheiten sind von Risikoausschlüssen (dazu Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 9) sowie 6 von Ausschlussfristen und Fristen als Anspruchsvoraussetzungen abzugrenzen: • Die Ausschlussfrist wie z.B. die Geltendmachung der Invalidität vor Ablauf von 15 Monaten dient dazu, unabhängig vom Verhalten des VN eine zeitliche Grenze für die Leistungspflicht des VR zu schaffen, um insbesondere Probleme bei der Prüfung von Spätschäden zu vermeiden (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 74). Ihr Versäumnis kann indes entschuldigt sein (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 127 ff.). Auch kann dem VR die Berufung auf die Ausschlussfrist nach § 186 oder § 242 BGB verwehrt sein (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 155 ff.). Dagegen begründen die Fristen für Anzeigen und Auskünfte des VN in Ziff. 7 AUB 2008 Verhaltensnormen für den VN, die an Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit und Kausalität geknüpft sind. • Fristen wie z.B. die Regelung, die Invalidität innerhalb von 15 Monaten ärztlich feststellen zu lassen (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 118 f.), können eine Anspruchsvoraussetzung darstellen. Ihr Versäumnis führt zum Anspruchsverlust, ohne dass es auf ein Verschulden des VN ankommt. Ausnahmen können sich indes aufgrund einer Verletzung der Hinweispflichten des VR aus § 186 und aus Treu und Glauben ergeben (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 135 ff.).
5. Zeitliche Geltung der Obliegenheiten Der Inhalt der einzelnen Obliegenheiten bestimmt, in welchem Zeitraum sie zu erfül- 7 len sind. Die zur Verfügung stehende Zeitspanne ergibt sich oftmals aus den AVB; sie muss zumutbar sein.11 a) Beginn. Während z.B. vorvertragliche Anzeigepflichten im Antragsverfahren typi- 8 scherweise bis zur Antragstellung zu beachten sind, sind Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls frühestens ab diesem Zeitpunkt zu erfüllen.12 Aus Sicht des VR ist für den Beginn spätestens der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Versicherungsvertreter,13 allerspätestens aber der entscheidungsbefugte Sachbearbeiter des VR 14 unter normalen
Matusche-Beckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 4; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 2; abw. die Vertreter der sog. Verbindlichkeitstheorie, die in Obliegenheiten echte Rechtspflichten sehen: Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 3 und § 34 Rn. 2; Möhrle S. 103 ff.; Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 30 f.; s. auch Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 12 f.
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Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 25. So z.B. in der Kfz-Haftpflichtversicherung: OLG Hamm 9.5.1958 NJW 1958 1498. So Wussow VersR 2003 1481, 1486. So OLG Hamm 19.11.1999 VersR 2000 577, 578.
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
Umständen die Möglichkeit hat, von der Obliegenheitsverletzung Kenntnis zu nehmen. Fraglich ist, ob eine Auskunftsobliegenheit auch dann verletzt werden kann, wenn der VN bzw. sein Repräsentant oder sein beauftragter „Wissensvertreter“ eine unrichtige Auskunft erteilt, bevor der VR diese überhaupt angefordert hat.15 Dagegen könnte einerseits der Wortlaut von Ziff. 7.2 Halbs. 2 AUB 99/2008 (§ 8 Abs. 2 S. 2 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 4 Halbs. 2 AUB 61) sprechen. Dort wird die wahrheitsgemäße Auskunft erst verlangt, wenn sie vom VR „gefordert“ bzw. „verlangt“ wird. Andererseits läuft ein Recht auf „ungefragte Falschauskunft“ dem Regelungszweck der Auskunftsobliegenheit evident zuwider. Dies ist auch dem verständigen VN erkennbar. Behindert er die sachgerechte Leistungsregulierung oder lenkt er durch schnelles Handeln die Recherchen des VR in die falsche Richtung, so wird er nicht annehmen können, sich vertragsgemäß verhalten zu haben. b) Ende. Die Obliegenheiten entfallen erst dann, wenn sich ihr Zweck erledigt hat.16 Der VN hat sie zu erfüllen, solange er es mit einem VR zu tun hat, der noch prüfungsund damit verhandlungsbereit ist.17 Der VR ist berechtigt, dem VN eine letzte (angemessene) Frist zur Erfüllung der ihn treffenden Obliegenheiten zu setzen.18 Grundsätzlich treffen den VN nach (endgültiger) – ausdrücklicher oder konkludenter – 10 Ablehnung des Leistungsanspruchs durch den VR keine (Aufklärungs- oder Mitwirkungs-)Obliegenheiten mehr,19 wobei die Abgabe, nicht der Zugang der Leistungsablehnung entscheidend ist.20 Das Ziel der vertraglich vereinbarten Aufklärungsobliegenheiten, eine sachgerechte Leistungsregulierung durch den auf Angaben des redlichen VN angewiesenen VR zu gewährleisten (Rn. 90), lässt sich nach der Leistungsablehnung des VR nicht mehr erreichen.21 Nimmt der VN gerichtliche Hilfe in Anspruch, so gilt folgerichtig nach h.M. – selbst bei (versuchter) arglistiger Täuschung 22 – die vertraglich vereinbarte Wahrheitspflicht im Prozess nicht fort, solange der VR an seiner Leistungsablehnung festhält;23 denn der VN tritt dem VR nicht mehr als Verhandlungspartner gegenüber, sondern richtet seinen Tatsachenvortrag nur noch an das Gericht.24 Dies darf
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Offen lassend BGH 30.4.1981 VersR 1981 948, 950. Näher Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 54 ff. BGH 7.6.1989 BGHZ 107 368, 370. LG Berlin 3.5.1983 VersR 1986 353, 354. S. nur BGH 22.9.1999 NVersZ 2000 87, 88; BGH 23.6.1999 VersR 1999 1134, 1136; BGH 8.7.1991 VersR 1991 1129, 1130; OLG Hamm 29.4.1988 VersR 1988 1289; OLG Karlsruhe 19.2.2009 VersR 2009 923 f.; OLG Koblenz 12.1.2007 RuS 2008 124 f.; OLG Köln 25.2.1997 VersR 1998 317 = RuS 1997 179, 180; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 7; Römer/ Langheid 2 § 34 Rn. 3; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 144 und 157; Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 33; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 29 und 142 ff. BGH 7.6.1989 BGHZ 107 368, 372; Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 55. BGH 7.11.1966 VersR 1967 27, 28; OLG Hamm 12.6.1991 VersR 1992 301, 302.
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So ausdrücklich OLG Hamm 12.6.1991 VersR 1992 301 f.; Knappmann NVersZ 2000 68, 70; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 144; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 47; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 124 und 263. BGH 22.9.1999 NVersZ 2000 87, 88; BGH 7.6.1989 BGHZ 107 368, 372; OLG Hamm 29.4.1988 VersR 1988 1289; OLG Köln 25.2.1997 VersR 1998 317 = RuS 1997 179, 180; Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 56. Prölss/Martin/Prölss 27 § 6 Rn. 33; Römer/ Langheid 2 § 6 Rn. 142 und 144; krit. Baumgärtel VersR 1992 601; Bach VersR 1992 302; Langheid NJW 1993 695, 697; ders. NJW 1991 268, 269; Römer/Langheid 2 § 34 Rn. 4 und 39 f.; für eine differenzierende Betrachtung Schirmer ZVersWiss 1992 381, 413.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
indes nicht dahingehend missverstanden werden, dass der VN nun falsche Angaben machen oder arglistig täuschen darf. Für den VR entfällt mit der Leistungsablehnung nur die Möglichkeit, auf Besonderheiten des VVG zugreifen zu können; unrichtiger Prozessvortrag des VN reicht dann allein nicht aus, um zusätzlich Leistungsfreiheit bzw. ein Leistungskürzungsrecht des VR zu begründen.25 Im Übrigen können bei Falschangaben des VN weiterhin die allgemeinen Rechtsfolgen des Zivil- und Strafrechts wie z.B. Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 826 BGB eingreifen.26 Wird grundsätzlich eine vertragliche Wahrheitspflicht des VN nach Leistungsab- 11 lehnung durch den VR verneint, so kommen jedenfalls Obliegenheitsverletzungen nach Ziff. 7, 8 AUB 99/2008 u.a. für die Fälle in Betracht,27 in denen der VR • nach den Umständen des Einzelfalls gegenüber dem VN (unmissverständlich) zu erkennen gibt, dass er Wert auf die Erfüllung der Obliegenheiten auch nach Ablehnung des Versicherungsfalls legt und dies für den VN nach Treu und Glauben zumutbar ist.28 Kommt etwa die versicherte Person in einem bereits laufenden Rechtsstreit der Aufforderung des VR „freiwillig“ nach, sich von einem Vertrauensarzt des VR untersuchen zu lassen, so muss sie Aggravationen unterlassen.29 • nach früherer Leistungsablehnung – für den VN deutlich erkennbar – erneut (etwa aufgrund nachträglich bekannt gewordener Umstände bzw. neuer Informationen) in die Schadenregulierung eintritt.30 Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der VN die Leistungsablehnung angegriffen und der VR aufgrund einer Gerichtsentscheidung erneut in die Sachprüfung einzutreten hat.31 • (für den VN erkennbar) eine Kulanzprüfung vornimmt.32 Nicht ausreichend ist allerdings die bloße Prüfung einer Vergleichsmöglichkeit im Rechtsstreit.33
Zeigt sich der VR gegenüber dem VN wieder prüfungsbereit, so lebt auch die Auf- 12 klärungsobliegenheit des VN erneut auf. Weiterhin ist der VN gehalten, falsche Angaben aus der Vergangenheit bzw. aus der Zeit zwischen Leistungsablehnung und erneuter Aufnahme der Leistungsregulierung zu berichtigen.34 Erfolgt keine Berichtigung, liegt eine Obliegenheitsverletzung vor, da der VN durch sein Stillschweigen seine Falschangaben (konkludent) bestätigt.35
II. Entwicklung der Regelung Die nach Eintritt des Leistungsfalls zu erfüllenden Obliegenheiten haben im Laufe der 13 Zeit sowohl redaktionelle als auch inhaltliche Änderungen erfahren:
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BGH 23.6.1999 VersR 1999 1134, 1136; OLG Hamm 12.6.1991 VersR 1992 301, 302; OLG Hamm 29.4.1988 VersR 1988 1289. BGH 7.6.1989 BGHZ 107 368, 372; Knappmann NVersZ 2000 68, 69. Näher hierzu Bach VersR 1992 302 f. OGH 29.1.1987 VersR 1988 530 f.; Wussow VersR 2003 1481, 1486. OGH 2.7.2008 VersR 2009 997, 999 f. BGH 8.7.1991 VersR 1991 1129, 1130; BGH 7.6.1989 BGHZ 107 368, 371 f.
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OLG Köln 25.2.1997 VersR 1998 317 = RuS 1997 179, 180; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 30; Schirmer ZVersWiss 1992 381, 412; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 122 f.; Wussow VersR 2003 1481, 1486. Wussow VersR 2003 1481, 1486. BGH 23.6.1999 VersR 1999 1134, 1136. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 46; a.A. Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 57. Knappmann NVersZ 2000 68, 69.
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AUB 2008 Ziff. 7 AUB 99 36/2008 37
Unfallversicherung AUB 88 38/94
AUB 61 39
Der Leistungsfall 7 Was ist nach einem Unfall § 9 Die Obliegenheiten nach Eintritt zu beachten (Obliegenheiten)? des Unfalles
§ 15 Obliegenheiten
Ohne Ihre Mitwirkung und die der versicherten Person können wir unsere Leistung nicht erbringen.
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§ 15 Abs. 2 Nach Eintritt eines Unfalls sind dem Versicherer gegenüber folgende Obliegenheiten zu erfüllen:
7.1 Nach einem Unfall, der voraussichtlich eine Leistungspflicht herbeiführt, müssen Sie oder die versicherte Person unverzüglich einen Arzt hinzuziehen, seine Anordnungen befolgen und uns unterrichten.
§ 9 Abs. 1 S. 1 Nach einem Unfall, der voraussichtlich eine Leistungspflicht herbeiführt, ist unverzüglich ein Arzt hinzuzuziehen und der Versicherer zu unterrichten.
§ 15 Abs. 2 Nr. 1 Ein Unfall, der voraussichtlich eine Entschädigungspflicht herbeiführen wird, ist unverzüglich anzuzeigen (§ 18).
S. 2 Der Versicherte hat den ärztlichen Anordnungen nachzukommen und auch im Übrigen die Unfallfolgen möglichst zu mindern.
§ 15 Abs. 2 Nr. 3 Spätestens am vierten Tag nach dem Unfall ist ein staatlich zugelassener Arzt (Ärztin) zuzuziehen; die ärztliche Behandlung ist bis zum Abschluss des Heilverfahrens regelmäßig fortzusetzen; ebenso ist für angemessene Krankenpflege sowie überhaupt nach Möglichkeit für Abwendung und Minderung der Unfallfolgen zu sorgen. § 15 Abs. 2 Nr. 6c Den von diesen Ärzten nach gewissenhaftem Ermessen zur Förderung der Heilung getroffenen sachdienlichen Anordnungen ist Folge zu leisten. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass die Behandlung oder Untersuchung des Versicherten in einer Heilanstalt angeordnet wird. In beiden Fällen darf dem Versicherten nichts Unbilliges zugemutet werden.
7.2 Die von uns übersandte Unfallanzeige müssen Sie oder die versicherte Person wahrheitsgemäß ausfüllen und uns unverzüglich zurücksenden; von uns darüber hinaus geforderte sachdienliche Auskünfte müssen in gleicher Weise erteilt werden. –
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§ 9 Abs. 2 S. 1 Die vom Versicherer übersandte Unfallanzeige ist wahrheitsgemäß auszufüllen und umgehend an den Versicherer zurückzusenden. S. 2 Darüber hinaus geforderte sachdienliche Auskünfte sind unverzüglich zu erteilen. § 9 Abs. 3 Der Versicherte hat darauf hinzuwirken, dass die vom Versicherer angeforderten Berichte und Gutachten alsbald erstattet werden.
Stockmeier/Huppenbauer S. 84. Die neuste Fassung ist abrufbar unter www.gdv.de. VerBAV 1987 417, 421.
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§ 15 Abs. 2 Nr. 4 Binnen einer Woche nach Zustellung des von dem Versicherer zu liefernden Vordrucks für Schadenanzeigen ist dieser sorgfältig auszufüllen und ihm zurückzusenden; außerdem sind alle weiter verlangten sachdienlichen Auskünfte zu erteilen.
§ 15 Abs. 2 Nr. 5a Auf Verlangen des Versicherers ist der behandelnde Arzt zu veranlassen, auf den Vordrucken des Versicherers alsbald einen Bericht über den Unfall und nach Abschluss der ärztlichen Behandlung einen Schlussbericht zu erstatten; außerdem ist dafür Sorge zu tragen, dass alle weiter noch von dem Versicherer eingeforderten Berichte des behandelnden Arztes geliefert werden.
VerBAV 1984 10, 13 und 15 f.; zu älteren Klauselfassungen s. etwa § 5 der Verbandsbedingungen von 1904 (vgl. Gerhard/Hagen S. 746) und VA 1910 185 f.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
AUB 99/2008
AUB 88/94
AUB 61
7.3 Werden Ärzte von uns beauftragt, muss sich die versicherte Person auch von diesen untersuchen lassen. Die notwendigen Kosten einschließlich eines dadurch entstandenen Verdienstausfalles tragen wir.
§ 9 Abs. 4 Der Versicherte hat sich von den vom Versicherer beauftragten Ärzten untersuchen zu lassen. Die notwendigen Kosten einschließlich eines dadurch entstandenen Verdienstausfalles trägt der Versicherer.
§ 15 Abs. 2 Nr. 6a Der Versicherte ist verpflichtet, sich, sofern dies sein Zustand erlaubt, den von dem Versicherer bezeichneten Ärzten zur Untersuchung zu stellen. Im Falle der aufgeschobenen Kapitalzahlung (§ 13 Nr. 3) hat er sich auf Verlangen des Versicherers von Jahr zu Jahr einer ärztlichen Untersuchung und Begutachtung zu unterwerfen. § 15 Abs. 2 Nr. 6b Den von dem Versicherer beauftragten Ärzten ist jederzeit Zutritt zum Versicherten und dessen Untersuchung zu gestatten. § 9 Nebenleistungen Die Kosten der vom Versicherer zugezogenen oder befragten Ärzte übernimmt der Versicherer, desgleichen die notwendigen Kosten, die für die Erfüllung der in § 15 Abs. 2 Nr. 6 aufgeführten Obliegenheiten erwachsen, einschließlich eines nachgewiesenen Lohnausfalls, dagegen die Gebühren für die zur Begründung des Versicherungsanspruchs erforderlichen Zeugnisse für Gewährung des Tagegeldes nur bis zum Betrage eines versicherten Tagegeldsatzes, für Gewährung der Übergangsentschädigung bis zu 1 % der versicherten Summe; etwaige Mehrkosten hat der Versicherungsnehmer zu tragen.
7.4 Die Ärzte, die die versicherte Person – auch aus anderen Anlässen – behandelt oder untersucht haben, andere Versicherer, Versicherungsträger und Behörden sind zu ermächtigen, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen.
§ 9 Abs. 5 Die Ärzte, die den Versicherten – auch aus anderen Anlässen – behandelt oder untersucht haben, andere Versicherer, Versicherungsträger und Behörden sind zu ermächtigen, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen.
§ 15 Abs. 2 Nr. 5b Die behandelnden Ärzte, auch diejenigen, von denen der Versicherte aus anderen Anlässen behandelt oder untersucht worden ist, und die Berufsgenossenschaften, wenn dort der Unfall gemeldet ist, sind zu ermächtigen, dem Versicherer auf Verlangen Auskunft zu erteilen.
(S. Ziff. 2.2.1 S. 3 AUB 99/2008)
§ 9 Abs. 6 Der Versicherungsnehmer hat einen Anspruch auf Zahlung der Übergangsleistung spätestens sieben Monate nach Eintritt des Unfalls geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Attestes zu begründen.
§ 8 Abs. 7 Nr. 2 Der Versicherungsnehmer hat den Anspruch auf Zahlung der Übergangsentschädigung unverzüglich geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Attestes zu begründen.
7.5 S. 1 Hat der Unfall den Tod zur Folge, ist uns dies innerhalb von 48 Stunden zu melden, auch wenn uns der Unfall schon angezeigt war.
§ 9 Abs. 7 S. 1 Hat der Unfall den Tod zur Folge, so ist dies innerhalb von 48 Stunden zu melden, auch wenn der Unfall schon angezeigt ist.
§ 15 Abs. 2 Nr. 2 Hat der Unfall den Tod zur Folge, so ist dies spätestens innerhalb von 48 Stunden anzuzeigen (§ 18), und zwar auch dann, wenn der Unfall bereits angemeldet ist.
S. 2 Uns ist das Recht zu verschaffen, gegebenenfalls eine Obduktion durch einen von uns beauftragten Arzt vornehmen zu lassen.
S. 2 Die Meldung soll telegrafisch erfolgen. S. 3 Dem Versicherer ist das Recht zu verschaffen, eine Obduktion durch einen von ihm beauftragten Arzt vornehmen zu lassen.
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S. 2 Diese Anzeige soll telegrafisch erfolgen. S. 3 Der Versicherer hat das Recht, durch einen von ihm beauftragten Arzt die Leiche besichtigen und öffnen zu lassen.
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
1. AUB 88/94
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Die AUB 88/94 sehen gegenüber den AUB 61 einige systematische, redaktionelle und materiell-rechtliche Veränderungen vor:
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a) Überblick. § 15 AUB 61 ist zwar weitgehend in § 9 AUB 88/94 übernommen worden. Jedoch wurden die während der Vertragsdauer und nach Eintritt des Versicherungsfalls zu beachtenden Obliegenheiten wieder getrennt. Während die Anzeige der Berufsoder Beschäftigungsänderung aus § 15 Abs. 1 AUB 61 in § 6 Abs. 1 AUB 88/94 überführt wurde, erfuhren die nach Eintritt des Versicherungsfalls geltenden Obliegenheiten eine Festlegung in § 9 AUB 88/94. Redaktionelle Änderungen im Vergleich zu § 15 Abs. 2 AUB 61 ergaben sich40 • durch die Neuordnung in der Reihenfolge der einzelnen Obliegenheiten. Die den AUB 88/94 insgesamt zugrunde liegende Story-Idee wurde aufgegriffen, so dass die Darstellung in Anlehnung an den Ablauf eines Versicherungsfalls erfolgte: Unfall → Hinzuziehung eines Arztes → Unterrichtung des VR → Auskunfts- und Mitwirkungspflichten. So war in § 15 Abs. 2 Nr. 1 AUB 61 die Anzeigepflicht noch zuerst geregelt. Dagegen stellen die neueren Bedingungswerke zunächst auf die Hinzuziehung des Arztes ab und sehen erst dann die Unterrichtungspflicht vor. • in § 9 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94. Während sich das Tatbestandsmerkmal „voraussichtlich eine Leistungs- bzw. Entschädigungspflicht herführt“ vom Wortlaut des § 15 Abs. 2 Nr. 1 AUB 61 nur auf die unverzügliche Unterrichtung des VR vom Unfall bezog, erstreckt es sich nunmehr (ausdrücklich) auch auf die Obliegenheit zur Konsultation eines Arztes. • in § 9 Abs. 2 AUB 88/94. Dort wurde der noch in § 15 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61 vorgesehene Begriff „Schadenanzeige“ durch „Unfallanzeige“ ersetzt. Ferner wurde die Obliegenheit der „sorgfältigen“ Ausfüllung durch die treffendere Pflicht zur „wahrheitsgemäßen“ Ausfüllung ersetzt. • am Ende des Obliegenheitstatbestandes. Dort wurden noch Besonderheiten für einzelne Leistungsarten – nämlich die Übergangsleistung (zuvor § 8 Abs. 7 Nr. 2 AUB 61) und den Unfalltod (früher § 15 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61) – geregelt.
Inhaltlich sahen die AUB 88/94 im Vergleich zu den AUB 61 folgende Veränderungen vor: • In § 9 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94 wurde auf die in § 15 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 1 AUB 61 vorgesehene Wendung „staatlich zugelassener“ Arzt verzichtet. Hintergrund war die Weltgeltung der AUB und die weltweit unterschiedlichen Zulassungsvoraussetzungen. Als entscheidend wurde angesehen, dass die versicherte Person überhaupt eine ärztliche Behandlung in Anspruch nimmt.41 Weiterhin entfiel die in den AUB 61 enthaltene Viertagesfrist. Sie war wenig glücklich; denn ist eine ärztliche Behandlung erkennbar geboten, muss sie von der versicherten Person sinnvollerweise sofort herbeigeführt werden. Umkehrt kann sich die Notwendigkeit, einen Arzt zu konsultieren, oft auch erst nach Ablauf von vier Tagen herausstellen. Sucht die versicherte Person dann sogleich einen Arzt auf, ist ihr nichts vorzuwerfen.42 • Während § 15 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61 eine Rücksendung der Schadenanzeige „binnen einer Woche nach Zustellung des Vordrucks“ vorsah, verlangt § 9 Abs. 2 AUB 88/94 eine „umgehende Rücksendung“. • In § 9 Abs. 4 AUB 88/94 wurde auf in § 15 Nr. 6b AUB 61 vorgesehene Regelung verzichtet, nach der den von dem VR beauftragten Ärzten jederzeit Zutritt zur versicherten Person zu gestatten ist. Die Regelung kann vom Kunden leicht als Einengung empfunden werden. Sie hatte in der Praxis auch keine Bedeutung erlangt, zumal die versicherte Person ein eigenes Interesse daran hat, dass sie den Heilungsprozess fördert bzw. ärztlichen Anordnungen Folge leistet. Die Regelung in § 9 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 wurde deshalb als ausreichend angesehen.43 40 41 42
S.a. Konen/Lehmann S. 51 f. Konen/Lehmann S. 52. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 51.
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Konen/Lehmann S. 52; ferner Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 1.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
• § 9 Abs. 7 S. 3 AUB 88/94 nennt nun ausdrücklich die Obduktion. Das in § 15 Abs. 2 Nr. 2 S. 3 AUB 61 vorgesehene Recht des VR, durch einen von ihm beauftragten Arzt die Leiche besichtigen und öffnen zu lassen, reichte den Bedingungsgebern nicht aus, um z.B. im Hinblick auf vorbestehende Gesundheitsbeeinträchtigungen umfassende Untersuchungen veranlassen zu können; denn beim Öffnen der Leiche werden lediglich die Organe besichtigt oder entnommen, deren Verletzung (wahrscheinlich) zum Tode geführt hat.44
Bewusst beibehalten wurden die imperativen Formulierungen wie „ist zuzuziehen“ oder „hat nachzukommen“. Sie sollen Missverständnisse beim Kunden vermeiden helfen und ihn zu ordnungsgemäßem Verhalten anleiten.45 b) Hinwirkung auf die Erstattung von Berichten und Gutachten. Gemäß § 9 Abs. 3 16 AUB 88/94, der inhaltlich § 15 Abs. 2 Nr. 5a AUB 61 entspricht, jedoch in den AUB 99/2008 nicht mehr enthalten ist (Rn. 20), hat die versicherte Person darauf hinzuwirken, dass die vom VR angeforderten Berichte und Gutachten alsbald erstattet werden. Hintergrund der Hinwirkungspflicht ist folgender: Hat der VR nach der Unterrichtung vom Unfall und der Rücksendung der Unfallanzeige erfahren, welche Ärzte mit der Untersuchung und Behandlung der versicherten Person betraut waren (§ 9 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AUB 88/94 bzw. § 15 Abs. 2 Nr. 1 und 4 AUB 61), wird der VR häufig nähere Informationen über die objektiven und subjektiven Befunde, Art und Dauer der Behandlung, über die zu erwartenden Unfallfolgen und zur (haftungsbegründenden und -ausfüllenden) Kausalität zwischen Unfallereignis, Gesundheitsschädigung und etwaigen Unfallfolgen einholen.46 Die Informationen sind notwendig, um eine sachgerechte Leistungsregulierung zu gewährleisten (z.B. eine Entscheidung über Vorschusszahlungen herbeizuführen). Dies gilt insbesondere für die Fälle, denen eine geringe materielle Bedeutung zukommt und bei denen der VR ein Interesse daran hat, Kosten und Zeitaufwände durch die Beauftragung weiterer Gutachter (§ 9 Abs. 4 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 6 AUB 61) einzusparen, indem er sich mit dem Urteil des behandelnden (von der versicherten Person hinzugezogenen) Arztes begnügt.47 Zur medizinischen Sachverhaltsermittlung verwendet der VR typischerweise standardisierte Fragebögen, die unter Mitwirkung von Ärzten erarbeitet worden sind.48 Diese übersendet er entweder direkt den mit der Behandlung befassten Ärzten mit der Bitte um Beantwortung oder er stellt sie der versicherten Person zu, damit diese die vorgedruckten Fragen dem Arzt zur Beantwortung weiterleitet. An diese Ausgangssituation knüpft nun die Obliegenheit in § 9 Abs. 3 AUB 88/94 an. Sie soll sicherstellen, dass die versicherte Person die zügige Klärung und Beantwortung der ihren Unfall betreffenden medizinischen Fragen fördert und nachhält.49 Dies liegt nicht nur im Interesse des VR, sondern vornehmlich im Interesse des Anspruchstellers. Verzögert sich z.B. infolge einer erheblichen Arbeitsbelastung des Arztes die Beantwortung der sachdienlichen Fragen des VR (z.B. die Erstellung von Attesten, Berichten oder Gutachten), so ist der VR gehindert, die Leistungsregulierung zügig abzuschließen. Zwar haben im Regelfall weder der VR noch die versicherte Person gegenüber dem Arzt eine (rechtliche) Handhabe, den Prozess zu beschleunigen. Häufig kann aber die versicherte Person aufgrund ihres Patientenverhältnisses gegenüber dem Arzt zumindest auf persönlicher Ebene Einfluss nehmen.50
44 45 46 47
Konen/Lehmann S. 52. Konen/Lehmann S. 51 Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 14. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 46.
48 49 50
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 47. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 14. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 19.
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AUB 2008 Ziff. 7 17
Unfallversicherung
§ 9 Abs. 3 AUB 88/94 erstreckt sich nicht auf Fälle, in denen der VR • eine Untersuchung der versicherten Person durch einen von ihm beauftragten Arzt veranlasst (§ 9 Abs. 4 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 6a AUB 61). Hier können Verzögerungen nicht der versicherten Person angelastet werden, zumal sie keine persönliche Beziehung zu dem Arzt hat, die für eine zügige Gutachtenerstellung nutzbar gemacht werden könnte.51 • Auskünfte von Ärzten einholt, die die versicherte Person – auch aus anderen Anlässen – behandelt oder untersucht haben, oder der VR Gutachten anfordert, die gegenüber Behörden (Sozialversicherungsträgern) oder anderen VR erstattet worden sind (§ 9 Abs. 5 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 5b AUB 61).
Hier ist in erster Linie der VR für die alsbaldige Erledigung verantwortlich.52 18 Von der versicherten Person darf nichts Unmögliches oder Unzumutbares verlangt werden. Hat der VR den Fragebogen direkt dem Arzt übersandt, so kann die versicherte Person von vornherein nur dann eine Pflicht treffen, auf die Erstattung des Gutachtens oder Berichts hinzuwirken, wenn sie der VR von der Übersendung der Formulare an den Arzt informiert hat.53 Weiterhin dürfen die Anforderungen an die versicherte Person nicht überspannt werden; denn der übliche Behandlungsvertrag zwischen Patient und Arzt verpflichtet den Arzt nicht zur Erteilung von Auskünften gegenüber Dritten und zur Erstattung von Gutachten.54 Die versicherte Person kann lediglich versuchen, mit dem Arzt die (zügige) Berichterstattung an den VR zu vereinbaren. Was die versicherte Person im Einzelfall zu tun hat, hängt auch von ihrem Verhältnis zum Beauftragten (Arzt) ab.55 Gegenüber dem langjährigen Hausarzt wird mehr Nachdruck in den Bemühungen verlangt werden können als gegenüber dem Krankenhausarzt, der etwa am Urlaubsort die Erstversorgung vorgenommen hat. Ausreichend wird es jedenfalls sein, wenn die versicherte Person den ihr zugegangenen Fragebogen unverzüglich an den Arzt weiterleitet und um die möglichst zügige Erstattung des Gutachtens bzw. Berichts bittet sowie in kürzeren Zeitabständen den Arzt (wiederholt) an die Erstattung des Gutachtens bzw. Berichts erinnert.56 Etwaige Pflichtwidrigkeiten oder Auskunftsverweigerungen des Arztes können der versicherten Person in aller Regel nicht zugerechnet werden. § 278 BGB findet keine Anwendung (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 27). Entscheidend ist, ob die versicherte Person selbst ein Verschulden trifft.57 2. AUB 99
19
Die AUB 99 sehen im Vergleich zu den AUB 88/94 zunächst redaktionelle Änderungen vor:58 • Neu ist der klarstellende Einleitungssatz, dass nicht nur den VN, sondern auch die versicherte Person Mitwirkungspflichten treffen. • Anders als in den älteren Bedingungswerken, die die Obliegenheiten z.T. allgemein formulierten („ist hinzuzuziehen“, „ist zu unterrichten“, „ist auszufüllen“ usw.), werden nunmehr die jeweiligen Adressaten – der VN und/oder die versicherte Person – genannt. • Der Begriff „Versicherte“ wurde durch die Bezeichnung „versicherte Person“ ersetzt.
51 52 53 54 55
Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 20. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 14. Grimm4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 14; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 19. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 47; a.A. LG Trier 23.12.1958 VersR 1959 281. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 14; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 14.
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57 58
Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 143; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 19. Wüstney § 9 Anm. 9. Stockmeier/Huppenbauer S. 85.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
• In Ziff. 7.2 AUB 99 heißt es nunmehr „unverzüglich“ statt „umgehend“ zurückzusenden (§ 9 Abs. 2 AUB 88/94). • Die Meldung vom Unfalltod sollte bisher telegrafisch erfolgen (§ 9 Abs. 7 S. 2 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 2 AUB 61). Diese Sollvorschrift ist in den AUB 99 ersatzlos entfallen. Sie wäre auch nicht mehr zeitgemäß.
Gegenüber den AUB 88/94 sind in den AUB 99 zwei Obliegenheiten gestrichen worden:59 • Entfallen ist die Pflicht zur Minderung der Unfallfolgen (§ 9 Abs. 1 S. 2 a.E. AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61 a.E.). Die Bedingungsgeber hielten den Zusatz „und auch im übrigen die Unfallfolgen möglichst zu mindern“ für überflüssig, zumal sich die Minderungspflicht bisher auch aus § 183 a.F. ergab, dessen Regelungsgehalt indes nicht in das neue VVG übernommen wurde (§ 184 Rn. 1). Die Schadensminderungspflicht ist ausreichend dadurch konkretisiert, dass die versicherte Person die ärztlichen Anordnungen zu befolgen hat.60 • Verzichtet wurde auf die Beibehaltung der Hinwirkungspflicht auf alsbaldige Erstattung der ärztlichen Stellungnahme (§ 9 Abs. 3 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 5a AUB 61). Grund hierfür war, dass der versicherten Person die tatsächlichen Möglichkeiten fehlen, gegenüber dem Arzt auf eine alsbaldige Erstellung des angeforderten Gutachtens hinzuwirken.61
Darüber hinaus ist die in den AUB 88/94 unter „Obliegenheiten“ geregelte Frist zur Geltendmachung der Übergangsleistung in den AUB 99/2008 bei der Übergangsleistung selbst (Ziff. 2.2 AUB 99/2008) geregelt. Es handelt sich nunmehr um eine subjektive Anspruchsvoraussetzung (Ziff. 2.2 AUB 2008 Rn. 19). Nach vorangegangenen Diskussionen wurde bewusst beibehalten die Obliegenheit zur „Hinzuziehung des Arztes“ (Ziff. 7.1 AUB 99) und die Verpflichtung, dem VR die Möglichkeit zur Obduktion zu verschaffen (Ziff. 7.5 S. 2 AUB 99).62 Die Bedingungsgeber erörterten die Schaffung weiterer Obliegenheiten, verwarfen dies aber i.E.63 Nicht übernommen wurden Obliegenheiten zur Erleichterung der Regulierung in Fällen mit Auslandsbezug sowie eine Begrenzung der Kostenerstattung für ärztliche Berichte und Gutachten in Höhe der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). 3. AUB 2008 Die AUB 2008 sind gegenüber Ziff. 7 AUB 99 unverändert geblieben. Der Inhalt der 20 Obliegenheit ist – anders als die aus Obliegenheitsverletzungen resultierenden Rechtsfolgen (Ziff. 8 AUB 2008) – durch die VVG-Reform 2008 nicht betroffen.
B. Adressaten der Obliegenheiten Der Einleitungssatz zu Ziff. 7 AUB 99/2008 stellt klar, dass nach einem Unfall sowohl 21 der VN als auch die versicherte Person mitwirken müssen, damit der VR seinen Leistungspflichten nachkommen kann. Bei der Fremdversicherung (für fremde oder eigene Rechnung) reicht die Nennung nur des VN nicht aus, da VN und versicherte Person personenverschieden sind. Die Obliegenheiten treffen auch die Rechtsnachfolger des VN sowie sonstige Anspruchsteller (Ziff. 12.2 AUB 99/2008, § 12 Abs. 2 AUB 88/94, § 16 Abs. 2 AUB 61).64 59 60 61
Stockmeier/Huppenbauer S. 86. Wussow VersR 2003 1481, 1484. S.a. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 14; Veith/ Gräfe/Lücke § 7 Rn. 165; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 143.
62 63 64
Stockmeier/Huppenbauer S. 85 ff. Näher dazu Stockmeier/Huppenbauer S. 87. Näher hierzu Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 62 ff.
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
C. Einzelne Obliegenheiten 22
Der objektive Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung ist erfüllt, wenn der Adressat der Obliegenheit die ihm obliegende Handlung unterlässt oder entgegen einer ihm obliegenden Unterlassung handelt.65 Der jeweils festzustellende Zweck der zu erfüllenden Obliegenheiten bestimmt die Auslegung der betreffenden AUB-Regelungen. Er konkretisiert Inhalt und Grenzen des dem VN bzw. der versicherten Person obliegenden Verhaltens. Verhaltensverstöße ziehen nur Sanktionen nach sich, wenn schutzwürdige Interessen des VR verletzt werden.66
I. Hinzuziehung eines Arztes, Befolgung ärztlicher Anordnungen und Unterrichtung des VR 23
Ziff. 7.1 AUB 99/2008 sieht drei zu beachtende Obliegenheiten vor, deren Reihenfolge in der Darstellung dem regelmäßigen Ablauf nach Eintritt eines Versicherungsfalls entspricht. Der VN bzw. die versicherte Person haben unverzüglich einen Arzt hinzuziehen, seine Anordnungen zu befolgen und den VR zu unterrichten. 1. Schadensminderungsobliegenheit
24
Die Pflicht zur Einleitung und Duldung der ärztlichen Behandlung bzw. zur Einschaltung eines Arztes dient – als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben – der Minderung der Unfallfolgen (z.B. Invalidität). Von der versicherten Person darf verlangt werden, dass sie unter Abwägung aller Umstände in gleicher Weise wie ein vernünftiger Verletzter ohne Unfallversicherungsschutz alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergreift, die für eine schnelle Heilung der Folgen eines Unfallereignisses erforderlich sind (s.a. § 183 a.F.). Insofern können bei der Auslegung von Ziff. 7.1 AUB 99/2008 die von der Rechtsprechung zu § 254 BGB entwickelten Grundsätze ergänzend herangezogen werden.67
25
a) Inhalt. Die Obliegenheiten nach Ziff. 7.1 AUB 99/2008 (entsprechendes gilt für die Vorgängerregelungen) betreffen nicht nur die Erstversorgung nach dem Unfall. Sie erstrecken sich vielmehr auf den gesamten Behandlungszeitraum und Heilungsprozess einschließlich aller Maßnahmen zur Abwendung eines Dauerschadens (Invalidität).68 Folgerichtig ist es z.B., bis zum Abschluss des Heilverfahrens die regelmäßigen ärztlichen Behandlungen fortzusetzen (so noch ausdrücklich in § 15 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 AUB 61 vorgesehen) und den ärztlichen Anordnungen nachzukommen.69 Die Schadensminderungspflicht betrifft nur die Unfallfolgen. Dies ergibt sich bereits 26 aus dem Wortlaut – etwa den Überschriften – der Obliegenheitstatbestände in den jeweiligen AUB-Generationen. Die Obliegenheit setzt erst „nach einem Unfall“ bzw. „nach Eintritt des Unfalls“, d.h. in der Kausalkette nach dem Unfallereignis und der Unfallereignisfolge (Gesundheitsschädigung) ein. Eine Obliegenheit, einen unmittelbar bevor-
65
66 67
Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 19; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 19; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 41. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 35. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 50.
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Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 197; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 1. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 136.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
stehenden Versicherungsfall zu vermeiden (eine „Schadensverhinderungspflicht“), besteht dagegen nicht. Die Obliegenheit bezieht sich m.a.W. nicht auf das Unfallereignis 70 und die Gesundheitsschädigung als Unfallereignisfolge.71 Die versicherte Person ist weder gehalten, unfallträchtige Risiken zu meiden, noch kann eine Leistungsfreiheit des VR bei fahrlässig oder grob fahrlässig herbeigeführten Unfällen abgeleitet werden. Indes sind solche Fallgestaltungen selten;72 denn ein konkret vorgesehenes Unfallereignis wird in vielen Fällen nicht plötzlich eintreten und eine unfreiwillige Gesundheitsschädigung hervorrufen. Zweifelhaft ist, ob die Schadensminderungspflicht soweit geht, dass sich die versicherte Person bereits während oder unmittelbar nach dem Unfall so verhalten muss, dass die Unfallfolgen im Rahmen des ihr Zumutbaren möglichst gering gehalten werden kann. Folge wäre, dass die versicherte Person z.B. verpflichtet sein könnte, für die Bergung eines beim Unfall amputierten Gliedes zu sorgen oder zumindest alles zu unterlassen, was die Vernichtung oder Beseitigung des Gliedes fördert.73 Solche Minderungspflichten konnten den älteren AUB-Generationen (§ 9 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94 und § 15 Abs. 2 Nr. 3 jeweils a.E.) ohne weiteres entnommen werden. In den AUB 99 und AUB 2008 fehlt dagegen der Zusatz „im Übrigen die Unfallfolgen möglichst zu mindern“ bzw. „nach Möglichkeit für Abwendung und Minderung der Unfallfolgen zu sorgen“. Der VR kann aber wie folgt argumentieren: Zum einen kann das „schädliche Verhalten“ der versicherten Person Indiz für eine freiwillige Gesundheitsschädigung sein (§ 178 Abs. 2). Zum anderen kommt es in Betracht, dem VN einen Verstoß gegen Treu und Glauben entgegenzuhalten (Ziff. 5 AUB 2008 Rn. 27 ff.). Es besteht keine Verpflichtung des VN oder der versicherten Person, die Leistungen 27 des VR gering zu halten.74 So kann der VR von der versicherten Person nicht verlangen • von riskanten Operationen abzusehen, solange diese medizinisch vertretbar sind;75 denn es unterliegt der höchsteigenen Entscheidung des Patienten, ob er sich einem wesentlichen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit angesichts der Risiken einerseits und der Heilungschance andererseits unterzieht.76 • eine ambulante Behandlung durchzuführen, damit kein Krankenhaustagegeld anfällt.77
Auch sind weder der VN noch die versicherte Person gegenüber dem VR gehalten, die Geltendmachung von begründeten Ansprüchen durch Anspruchsberechtigte zu verhindern, oder gehindert, bei Anspruchsberechtigten auf mögliche Unfallleistungen hinzuweisen bzw. den Entschluss zu wecken oder zu fördern, berechtigte Leistungen vom VR zu verlangen. Allerdings darf der VN selbstverständlich aus allgemeinen (straf- und zivilrechtlichen) Erwägungen nicht daran mitwirken, dass gegen den VR unberechtigte Ansprüche erhoben werden78 oder der Eintritt von Unfallfolgen (zur Wahrung von Fristen) beschleunigt bzw. ihr Umfang (zur Erhöhung begehrter Versicherungsleistungen) „künstlich“ gesteigert wird.79
70 71 72 73
Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 8. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 12 f. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 50. So Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 6 mit Hinweis auf OLG Celle 16.5.1983 VersR 1984 90 (das Urteil befasste sich indes mit der Haftung des Krankenhausträgers und der behandelnden Ärzte gegenüber dem Patienten für die Folgen mangelnder Sicherung eines Amputats).
74 75 76
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Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5; Wussow/ Pürckhauer 6 § 9 Rn. 15. Kessal-Wulf RuS 2008 313, 320. BGH 20.4.2005 VersR 2005 927, 929 = NJW-RR 2005 974, 976; ferner Schwintowski/Brömmelmeyer § 184 VVG Rn. 5. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 8; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 144. BGH 25.4.1955 VersR 1955 340, 342. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 15.
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
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Bei den zu erfüllenden Obliegenheiten darf der versicherten Person nichts Unbilliges oder Unzumutbares zugemutet werden.80 Dies ergab sich früher ausdrücklich aus § 183 S. 1 a.F., ist aber ohnehin unbestritten. Grundsätzlich können von ihr nur Maßnahmen erwartet werden, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Anwendung und Minderung der Unfallfolgen ergreifen würde (zu Operationen s.a. Rn. 46).81 Hierbei ist auch die soziale, familiäre und wirtschaftliche Lage der versicherten Person zu berücksichtigen.82 I.E. ist eine Güterabwägung aus objektiv-neutraler Sicht vorzunehmen. Es können keine Maßnahmen verlangt werden, die die finanzielle Leistungsfähigkeit der versicherten Person überschreiten oder die Versorgung der Familie gefährden bzw. die versicherte Person hindern, den Unterhalt für die Familie zu erwirtschaften.83 In solchen Fällen kommt eine Obliegenheitsverletzung nur in Betracht, wenn der VR bereit ist, die Kosten zu tragen, die über das für die versicherte Person zumutbare Maß hinausgehen.84 Er muss allerdings nicht die gesamten Kosten des Heilverfahrens übernehmen, es sei denn, der VN und der VR haben eine Unfall-Heilkostenversicherung vereinbart.85 Denkbar ist auch, dass die Erfüllung von Obliegenheiten (z.B. sofortiger Krankenhausaufenthalt) zurückgestellt werden darf, wenn anderenfalls wichtige geschäftliche Vorhaben zu scheitern drohen.86
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b) Gemeinsame Tatbestandsmerkmale. Alle in Ziff. 7.1 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 1 AUB 88/94) geregelten Obliegenheiten setzen voraus, dass ein Unfall vorliegt, „der voraussichtlich eine Leistungspflicht herbeiführt“ und der VN bzw. die versicherte Person „unverzüglich“ bestimmte Maßnahmen ergreift.
30
aa) Eintritt eines Unfalls. Die Obliegenheiten in Ziff. 7.1 AUB 99/2008 bestehen erst „nach einem Unfall“. Erforderlich ist zunächst (objektiv) der Eintritt des Versicherungsfalls, also des Unfalls i.S.v. § 178. Das versicherte Risiko muss sich verwirklicht haben oder zu verwirklichen beginnen. Des Weiteren ist (subjektiv) die positive Kenntnis des Anzeigepflichtigen vom Bestehen des Versicherungsvertrages (auch vom VR) 87 und vom Eintritt des Versicherungsfall vorausgesetzt.88 Damit werden subjektive Elemente Gegenstand des objektiven Tatbestands.89 Anderenfalls würde von ihm Unmögliches verlangt werden.90 Die Kenntnis vom Versicherungsvertrag kann z.B. für die Unterrichtungsobliegenheit Bedeutung erlangen, wenn bei einer Eigenversicherung der VN verstorben ist und einem Bezugsberechtigen der Anspruch auf die Unfalltodesfallleistung zusteht. Eine ähnliche Situation kann eintreten, wenn der VN ohne Kenntnis der versicherten Person eine Fremdversicherung für fremde Rechnung abgeschlossen hat. Der Berechtigte muss die Tatsachen kennen, aus denen sich der Charakter eines Ereignisses als Versicherungsfall
80 81
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84
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 50. Zu § 254 BGB BGH 5.10.1965 VersR 1965 1173, 1174; BGH 7.6.1951 NJW 1951 797, 798; ferner OLG Düsseldorf 30.1.2009 VersR 2009 774, 775; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5. Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 1; Wüstney § 9 Anm. 14 B. OLG Colmar 3.11.1905 VA 1906 Anh. 16 f. Nr. 184; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 14 und 15. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 191.
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Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 6. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 5. KG 30.1.2007 VersR 2008 69, 70; a.A. noch LG Lüneburg 1.8.1950 VerBAV 1951 90, 91. BGH 30.4.2008 VersR 2008 905, 906 Rn. 15 = NJW-RR 2008 1062, 1063 = RuS 2008 336, 337; BGH 13.12.2006 VersR 2007 389, 390 Rn. 13 ff. = RuS 2007 93, 94; OLG Hamm 19.2.1997 RuS 1997 391. A.A. noch BGH 30.4.1969 VersR 1969 694. BGH 3.11.1966 VersR 1967 56, 58.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
ergibt. Erforderlich ist positives Wissen, ein bloßes Kennenmüssen reicht nicht aus.91 Es besteht keine Nachforschungs- oder Erkundigungspflicht, wenn lediglich der Verdacht für eine Risikoverwirklichung gegeben ist.92 Es ist deshalb fraglich, ob und unter welchen Voraussetzungen (auch unter Berücksichtigung von Treu und Glauben) das Nichtergreifen bestimmter Ermittlungsbemühungen einem Sichverschließen vor einer besseren Kenntnis und damit einer Kenntnis gleichstehen kann.93 Insofern besteht eine Parallele zur Frage, in welchen Fällen die Nichtkenntnis des VR unbeachtlich ist, weil er die Kenntniserlangung ungebührlich verzögert (Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 102 ff. und 139). Die Kenntnis Dritter kann dem Anzeigepflichtigen zurechenbar sein (§ 179 Rn. 61 ff.). Abzugrenzen von der Tatsachenkenntnis ist die Kenntnis des Anzeigepflichtigen von der Obliegenheit selbst; sie ist Gegenstand der Verschuldensprüfung (s. etwa Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 109).94 bb) Voraussichtliche Leistungspflicht des VR. Die zu beachtenden Obliegenheiten 31 entstehen, wenn der VN oder die versicherte Person erkennen muss, dass eine durch ein Unfallereignis hergerufene Gesundheitsschädigung möglicherweise zu Leistungsansprüchen gegen den VR führt.95 • Das Merkmal „voraussichtlich“ bringt subjektive Elemente in den objektiven Tatbestand der Obliegenheit; denn die unterlassene Unterrichtung des VR ist nur dann vorwerfbar, wenn überhaupt erkennbar ist, dass der Unfall möglicherweise eine Leistungspflicht des VR nach sich zieht.96 Darüber hinaus muss der VN bzw. die versicherte Person eine wertende Prognose treffen. Gewissheit über die Leistungspflicht des VR ist nicht vorausgesetzt.97 Zum einen wären VN und versicherte Person in vielen Fällen mit einer solchen Prüfung mangels fachlicher, medizinischer und versicherungsrechtlicher Spezialkenntnisse überfordert. Zum anderen dürfen VN und versicherte Person die Erfüllung der Obliegenheiten nicht so lange hinauszögern können, bis sie über die Unfallfolgen und die zu erwartende Versicherungsleistung Klarheit gewonnen haben.98 Anderenfalls würde der Klauselzweck vereitelt. Wird gewartet bis Gewissheit vorliegt, sind etwaige (zeitgebundene) Recherchen des VR nicht mehr möglich.99 Es gilt ein objektiver Maßstab. Abzustellen ist auf die Sorgfalt eines ordentlichen und verständigen Menschen.100 Individuelle Besonderheiten des VN oder der versicherten Person sind erst in der Verschuldensprüfung zu berücksichtigen. Der Unterrichtungspflichtige muss unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt zu dem Schluss kommen (können), dass die versicherte Person eine Gesundheitsschädigung durch ein Unfallereignis erlitten hat, der Unfall Unfallfolgen hervorrufen und folglich der VR leistungspflichtig werden kann.101 Mit der Leistungspflicht des VR muss ernsthaft zu rechnen sein.102 Sie muss nahe liegen.103 Die bloße (entfernte) Möglichkeit eines Unfalls, begründet noch keine Ob-
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S. nur Prölss/Martin/Prölss 27 § 33 Rn. 1. Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 9. Offen lassend KG 30.1.2007 VersR 2008 69, 70. Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 20. Stockmeier/Huppenbauer S. 86. RG 1.4.1910 VA 1910 Anh. 62 Nr. 528; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 37. RG 17.11.1911 VA 1911 Anh. 101, 102 Nr. 623; OLG Köln 21.12.2007 RuS 2009 75, 76 = VersR 2008 528 (LS); LG Köln 8.8.2007 VersR 2008 953, 954; Bruck/ Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 16; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 182 Rn. 5; Wussow VersR 2003 1481, 1484.
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OLG Köln 24.1.1991 ZfS 1991 172; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 9. RG 25.10.1912 VA 1913 Anh. 25, 27 f. Nr. 723. RG 17.11.1911 VA 1911 Anh. 101, 102 Nr. 623. OLG Frankfurt/M. 22.4.1998 NVersZ 2000 479, 480; LG Köln 8.8.2007 VersR 2008 953, 954. RG 25.10.1912 VA 1913 Anh. 25, 28 Nr. 723; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 182 Rn. 5; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 11. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 2.
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
liegenheiten des VN, sich in ärztliche Behandlung zu begeben oder dem VR Anzeige zu machen. Dies wäre dem VN nach der Anschauung des Lebens nicht zuzumuten und praktisch undurchführbar.104 Erforderlich wird damit eine Abgrenzung von obliegenheitsbegründenden Verletzungsbildern zu schnell und folgenlos verheilenden Bagatellverletzungen.105 Hierbei können die allgemeine Lebenserfahrung oder Auskünfte eines konsultierten Arztes herangezogen werden.106 Durfte der gegen Invalidität versicherte VN aufgrund des Unfalls und der erlittenen Verletzungen davon ausgehen, dass kein Dauerschaden zu erwarten ist, so liegt keine Verletzung der Verpflichtung zur unverzüglichen Unfallmeldung vor.107 Sobald jedoch eine zunächst geringfügig erscheinende Verletzung ernstere Folgen befürchten lässt, ist die Anzeige unverzüglich nachzuholen.108 • Ob der Unfall eine Leistungspflicht des VR herbeiführen kann, bestimmt sich nach dem vereinbarten Vertragsinhalt. Es bestehen keine Obliegenheiten zu Leistungsansprüchen, die nicht versichert sind. So ist z.B. eine drohende Invalidität nicht anzuzeigen, wenn im Versicherungsvertrag keine Invaliditätsleistung bzw. Leistungsart, die Invalidität voraussetzt, vorgesehen ist.109 Fernerhin braucht der VN nach der ratio legis der Obliegenheit (Rn. 49) keine Schadensvorgänge anzeigen, die ohnehin keine Leistungspflicht des VR zu begründen vermögen, weil etwa von vornherein ein Leistungs- bzw. Risikoausschluss eingreift.110
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cc) Unverzüglich. Sobald dem VN bzw. der versicherten Person alle Tatsachen bekannt sind, die voraussichtlich eine Leistungspflicht des VR herbeiführen, müssen „unverzüglich“ die in Ziff. 7.1 AUB 99/2008 genannten Obliegenheiten erfüllt werden. Unverzüglich bedeutet nicht „sofort“, sondern nach der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern.111 Es ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass auf das Handeln eines ordentlichen und verständigen VN abzustellen ist.112 33 Die Frist beginnt erst, wenn der Anzeigepflichtige vom Unfall und den Unfallfolgen Kenntnis hat (Rn. 30 f.). Keine Obliegenheitsverletzung liegt deshalb vor, wenn der VN aus vertretbaren Gründen nicht mit für den VR relevanten Unfallfolgen rechnen musste. So lassen objektive Befunde wie Gehirnerschütterung, Schleudertrauma und Prellungen nicht auf dauerhafte Unfallfolgen schließen. Hinzukommen müssten ein nicht absehbarer schlechter Heilungsverlauf oder hartnäckige Beschwerden (ggf. auch in Kombination mit Vorerkrankungen).113 34 Die einzuhaltende Frist kann nicht allgemeingültig festgelegt werden. Maßgebend sind die besonderen Umstände des Einzelfalls.114 Die in § 104 Abs. 1 (§ 153 Abs. 1 a.F.) für die Haftpflichtversicherung vorgesehene Wochenfrist ist für die Unfallversicherung nicht relevant. Im Umkehrschluss zu der in Ziff. 7.5 S. 1 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 7 S. 1 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 AUB 61) bestimmten Frist von 48 Stunden wird sich aber ableiten lassen, dass die Frist nicht zu kurz bemessen werden muss.115 Es ist i.E. – auch unter Berücksichtigung der Interessen des Betroffenen – eine gewisse Überlegungsfrist zuzugestehen.116 In der Praxis kommt es hier selten zu Auseinandersetzungen, was
104 105
106 107 108
RG 23.11.1920 VA 1922 Anh. 14, 15 Nr. 1241. OLG Frankfurt/M. 22.4.1998 NVersZ 2000 479, 480; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 138. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 9; Wussow VersR 2003 1481, 1484. OLG Hamm 29.10.1997 RuS 1998 302 (LS). OLG München 12.10.1931 VA 1932 34 f. Nr. 2393; Wüstney § 9 Anm. 2.
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109 110 111
112 113 114 115 116
Stockmeier/Huppenbauer S. 86. Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 8. OLG Neustadt 28.7.1958 VersR 1958 837, 838; LG Köln 8.8.2007 VersR 2008 953, 954. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 10. OLG Hamm 11.11.1988 RuS 1989 167, 168. OLG Koblenz 15.12.2006 VersR 2007 1694, 1695. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 11. OLG Hamburg 12.7.1989 VersR 1990 304.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
darauf hindeutet, dass die VR in der Leistungsregulierung nicht kleinlich vorgehen. Abzustellen ist etwa auf • den (für den VN erkennbaren) Zweck der Obliegenheit. So ist die Frist für die Unfallmeldung gegenüber dem VR großzügiger zu bemessen als bei der Hinzuziehung des Arztes; denn der VN soll sich primär um seine Genesung kümmern. Die Information des VR ist demgegenüber sekundär.117 • die Schwere der erlittenen Verletzung und die damit verbundene Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung.118
Unverzügliches Handeln liegt vor, wenn • sich bei einer vermeintlichen Bagatellverletzung erst nach einigen Tagen die Behandlungsbedürftigkeit herausstellt und dann sogleich ein Arzt konsultiert und der VR benachrichtigt wird.119 • die versicherte Person aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht früher handeln konnte, z.B. weil sie eine unfallbedingte Gehirnerschütterung mit Bewusstlosigkeit erlitten und deshalb erst nach einem stationären Aufenthalt von einigen Tagen die Anzeige gegenüber dem VR erstattet hat.120
Verspätung ist dagegen anzunehmen, wenn • der VR über den Unfall erst 12 Tage nach Feststellung des Schadensereignisses,121 nach vier,122 acht 123, neuneinhalb Monaten,124 (trotz ärzlicher Behandlung wegen dauernder und sich nicht bessernder Schmerzen) einem Jahr,125 15 Monaten 126 oder gar 2 Jahren 127 unterrichtet wird. • der VN mit der Unfallanzeige abwartet, bis er Gewissheit über den unfallbedingten Dauerschaden hat.128
Eine Fristversäumnis kann – unabhängig von der Anwendung von Ziff. 8 AUB 2008 – 35 entschuldigt sein.129 Dies ist zwar in den AUB nicht ausdrücklich bestimmt, folgt jedoch aus den das Versicherungswesen beherrschenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Die Berufung auf die Fristversäumnis widerspricht den Grundsätzen von Treu und Glauben, wenn die Versäumnis unverschuldet ist.130 Da bei der Beurteilung jedoch ein objektiver Maßstab anzulegen ist, reicht die Behauptung des VN bzw. der versicherten Person nicht aus, • geschäftlich ungewandt zu sein oder aus eigenem Zeitmangel nicht gehandelt zu haben.131 • auch sonst nicht sorgfältig zu handeln.132 • infolge Unkenntnis der AUB (s. dazu auch Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 25) von einem Handeln abgesehen zu haben.133 Dies gilt auch bei (vermeintlichen) Verständigungs- und Sprachschwierigkeiten.134 • wegen dauernder und sich nicht bessernder Schmerzen in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein.135
117 118 119 120 121 122 123 124 125
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Kloth Rn. M 7. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 10. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 10. OLG Hamm 2.7.1980 VersR 1980 1117, 1118. OLG Hamburg 12.7.1989 VersR 1990 304. OLG Hamm 30.10.1985 VersR 1987 403 (LS). LG Köln 11.2.2004 RuS 2005 167. OLG Koblenz 29.11.1996 RuS 1997 348 f. OLG Köln 21.12.2007 RuS 2009 75 f. = VersR 2008 528 (LS); LG Köln 8.8.2007 VersR 2008 953, 954. OLG Köln 24.1.1991 ZfS 1991 172. OLG Köln 14.4.1999 RuS 2000 303.
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129 130 131 132 133
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OLG Köln 21.12.2007 RuS 2009 75, 76 = VersR 2008 528 (LS); OLG Köln 24.1.1991 ZfS 1991 172; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 10; Wüstney § 9 Anm. 2. LG Berlin 3.5.1983 VersR 1986 353, 354. RG 25.10.1912 VA 1913 Anh. 25, 26 Nr. 723. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 9. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 10. OLG Celle 31.10.1996 VersR 1997 690; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 138; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 10. OLG Celle 31.10.1996 VersR 1997 690. OLG Celle 31.10.1996 VersR 1997 690; OLG Koblenz 29.11.1996 RuS 1997 348, 349.
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Unfallversicherung
Die Fristversäumnis ist dagegen entschuldigt, wenn zwar die Mitteilung des VN • dem VR verspätet zugeht, der VN die Anzeige aber ohne schuldhaftes Zögern bzw. rechtzeitig zur Absendung gebracht und die Verzögerung der Zustellung nicht zu vertreten hat.136 Dies ist indes zweifelhaft. „Anzeige“ bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch, dass die anzeigerelevanten Umstände auch zur Kenntnis des Adressaten (VR) gelangen, also zugehen.137 Eine mit §§ 8 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2, 104 Abs. 3, 119 Abs. 1 Halbs. 2 vergleichbare Regelung enthält § 30 Abs. 1 gerade nicht. • verspätet ist, die versicherte Person jedoch wegen der Schwere ihrer Verletzungen oder starker seelischer Depressionen nicht zur Unterrichtung des VR gekommen ist.138 Gleiches kann in Betracht kommen, wenn der VN aufgrund seines leidenden Zustandes verhindert ist, sich durch Einsicht der AVB über die fristgebundene Obliegenheit zu informieren und sich stattdessen an eine unzuständige Stelle des VR wendet.139 • einer unzuständigen Abteilung des VR zugeht und es nicht oder verspätet zu einer Weiterleitung an die bearbeitende Stelle kommt (Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 19 ff.).
Ist das Unterlassen des fristgerechten Handelns wegen psychischer oder physischer Unmöglichkeit entschuldigt, so beginnt die zu wahrende Frist mit Wegfall des entschuldigenden Umstandes. 2. Hinzuziehung eines Arztes Die in Ziff. 7.1 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 1 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61) vorgesehene frühzeitige Hinzuziehung eines Arztes trägt dazu bei, die Unfallursachen und etwaige Unfallfolgen leichter und besser aufzuklären sowie die Behandlung der Unfallfolgen medizinisch kompetent einleiten zu können.140 Etwaige Unfallfolgen können in vielen Fällen abgewendet oder wenigstens gemindert werden. Die Regelung ist damit Ausdruck einer sich aus Treu und Glauben ergebenden „Unfallfolgenminderungspflicht“, die mit der im allgemeinen Zivilrecht geltenden „Schadensminderungspflicht“ korrespondiert. Dies gilt auch, nachdem der Gesetzgeber die bisherige gesetzliche Verankerung in § 183 a.F. aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen nicht in § 184 übernommen hat (§ 184 Rn. 1). Es herrscht der Grundsatz der freien Arztwahl.141 Die versicherte Person kann frei 37 bestimmen, von wem sie sich behandeln lassen möchte. Sie kann auch während der Behandlung den Arzt wechseln.142 In dieses Recht kann der VR nicht eingreifen.143 Der Arzt muss allerdings nach den Zulassungsvoraussetzungen des Unfallortes praktizieren dürfen. Auf eine staatliche Zulassung144 kommt es seit den AUB 88 nicht mehr an; auf das noch in § 15 Abs. 2 Nr. 3 AUB 61 vorgesehene Kriterium wurde wegen der weltweiten Geltung der AUB verzichtet (Rn. 15). Fraglich ist, ob der Arzt eine Ausbildung
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OLG Hamm 18.5.1988 RuS 1988 302; OLG Köln 16.8.1994 VersR 1995 567; OLG Nürnberg 11.12.1931 VA 1932 39, 40 Nr. 2397; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 10; Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 15; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 182 Rn. 5; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 152; Prölss/ Martin/Prölss 27 § 33 Rn. 3; s.a. OLG Hamburg 27.8.1993 VersR 1994 668; OLG Nürnberg 22.12.1967 VerBAV 1969 180. Römer/Langheid 2 § 33 Rn. 15. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 11.
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143 144
RG 1.4.1910 VA 1910 Anh. 62, 63 Nr. 528. Stockmeier/Huppenbauer S. 85; Wussow VersR 2003 1481, 1484. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 146. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5; Wussow VersR 2003 1481, 1484; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 14. LG Köln 4.4.1990 VersR 1990 616, 617; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 23. Auf sie stellte auch noch RG 29.11.1909 RGZ 72 219, 220 (zu § 254 BGB) ab.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
haben muss, die deutschen Verhältnissen (wenigstens annähernd) entspricht, oder ob allein die örtliche Bezeichnung „Arzt“ ausreichend sein kann. Ersteres ist vermutlich von den Bedingungsgebern (stillschweigend) unterstellt worden.145 Für die Auslegung der AUB sind die Motive der AUB-Verfasser indes unerheblich (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 76 ff.). Es ist aber auch die Annahme gerechtfertigt, dass der verständige VN dem Wortlaut und Kontext von Ziff. 7.1 AUB 2008 entnehmen kann und wird, dass die behandelnde Person zur Erreichung des Klauselzwecks gewisse Qualifikationsanforderungen erfüllen und eine besondere Sachkunde aufweisen muss; denn für die Auslegung eines nach deutschem Recht geschlossenen Vertrages ist auf das deutsche Sprachverständnis abzustellen. Eine Eigen- bzw. Selbstbehandlung der versicherten Person reicht in vielen Fällen dann aus, wenn sie selbst Arzt ist.146 Zusätzlich zum Arztstatus ist zu verlangen, dass die versicherte Person über die für die Behandlung der Verletzung erforderlichen medizinischen Fachkenntnisse verfügt147 sowie diese in der konkreten Situation sachgerecht einsetzen kann. Bei schwerwiegenden Verletzungen verbietet sie sich von selbst.148 Nicht ausreichend ist die Konsultation eines Heilpraktikers oder Naturheilkundigen.149 Entsprechendes gilt für ärztliches Hilfspersonal wie Krankenschwestern oder Krankenpfleger. Die versicherte Person muss sich nur dann in ärztliche Behandlung begeben, wenn die 38 Verletzung nicht ganz geringfügig ist.150 Bei geringfügigen Verletzungen ist der Unfall typischerweise nicht geeignet, eine Leistungspflicht des VR herbeizuführen. Zur Beurteilung der Geringfügigkeit ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Auf die Vorstellungen der versicherten Person kommt es nicht an. Unerheblich ist es, ob sie aus Sorglosigkeit, Leichtfertigkeit, Bequemlichkeit, besonderer Leidensfähigkeit oder aus weltanschaulichen Gründen keinen Arzt hinzugezogen hat.151 Bei kleinen äußeren Verletzungen, die verständigerweise keinen Arztbesuch erforderlich erscheinen lassen, wird es jedenfalls an einem Verschulden fehlen, wenn kein Arzt beauftragt wird (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 83). Bei einer deutlichen Verschlimmerung ist jedoch unverzüglich ein Arzt hinzuziehen, will die versicherte Person sich nicht dem Vorwurf einer schuldhaften (grob fahrlässigen) Obliegenheitsverletzung aussetzen.152 „Hinzugezogen“ ist ein Arzt, wenn er die versicherte Person berät, untersucht oder 39 behandelt und dabei die durch ein Unfallereignis verursachte Gesundheitsschädigung mit einbezieht. Unerheblich ist es,153 • wie es zur Hinzuziehung des Arztes gekommen ist, also ob der Arzt aufgesucht, herbeigerufen oder zufällig eingebunden wurde. • ob sich die versicherte Person oder der Arzt des Unfallzusammenhangs bewusst sind. • wie die Hinzuziehung erfolgt. Da eine Form nicht vorgeschrieben ist, kann auch eine telefonische Konsultation genügen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arzt nach telefonischer Beratung eine nähere Untersuchung nicht für erforderlich hält. In solchen Fällen wird es sich typischerweise um Bagatellverletzungen handeln, die keine Leistungspflicht des VR hervorrufen.
145 146 147 148 149
Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 5. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5. Wüstney § 9 Anm. 6. Schwintowski/Brömmelmeyer § 184 VVG Rn. 3; Kloth Rn. M 5; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 6.
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151 152 153
Wussow VersR 2003 1481, 1484; s.a. RG 29.11.1909 RGZ 72 219, 220 (zu § 254 BGB). Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5. Wüstney § 9 Anm. 5. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 4.
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Unfallversicherung
3. Befolgung ärztlicher Anordnungen
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Sofern weder das Gesetz (wie § 183 a.F.) noch der Vertrag der Parteien eine entsprechende Grundlage enthält, kann der VR nicht vom VN verlangen, ärztliche Anordnungen zu befolgen oder medizinische Ratschläge entgegenzunehmen. Ungeschriebene Obliegenheiten, deren Missachtung die Leistungsfreiheit des VR nach sich ziehen, sind rechtlich unzulässig (Rn. 179). Verzichtet der VR im Rahmen seiner Produktgestaltung bewusst auf eine entsprechende Regelung, erkennt er seine Leistungspflicht auch im Fall nicht ausgeschöpfter medizinischer Maßnahmen an. Deshalb ist auch fraglich, ob es während der Dauer der Leistungen des VR eine nach Treu und Glauben bestehende Nebenpflicht des VN gibt, sich einer ärztlichen Beratung oder Behandlung zu unterziehen. Dies dürfte zu verneinen sein, sofern es nicht um eine im Alltag selbstverständliche Heilbehandlung geht. Eine teil- oder vollstationäre psychiatrische Therapie und die Verordnung von Psychopharmaka kann der VR vom VN jedenfalls nicht nach § 242 BGB verlangen.154 Um eine rechtliche Handhabe gegen den VN zu haben, die Unfallfolgen möglichst gering zu halten, sieht Ziff.7.1 AUB 2008 vor, dass der VN oder die versicherte Person ärztliche Anordnungen befolgen müssen, sofern diese objektiv zumutbar sind.
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a) Regelungszweck. Pflicht zur Befolgung ärztlicher Anordnungen verfolgt denselben Zweck wie die Pflicht zur Hinzuziehung eines Arztes. Sie dient der Abwendung und Minderung von Unfallfolgen. Dass die versicherte Person den nach den Regeln ärztlicher Behandlung gegebenen Anordnungen seines Arztes nachkommt, ist – auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Schadensminderungspflicht – eine Selbstverständlichkeit.155
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b) Anwendungsbereich. Die Schadensminderungsobliegenheit kann den VN auch nach Ablauf der Dreijahresfrist in §§ 180 S. 2, 188 Abs. 1 (§ 11 Abs. 4 AUB 88/94, Ziff. 9.4 AUB 99/2008) treffen (s. aber auch Rn. 9 ff.). Zum einen ist Ziff. 7.1 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 1 S. 2 AUB 88/94) keine zeitliche Begrenzung zu entnehmen. Zum anderen wären bei einem Wegfall der Obliegenheit nach Ablauf von drei Jahren unangemessene Ergebnisse zu befürchten. Stellt der medizinische Sachverständige im Rahmen der Prognoseentscheidung für die Invaliditätsbemessung zum Ablauf der Dreijahresfrist aufgrund konkreter Befunde fest, dass nach Fristablauf eine (sinnvolle und zumutbare) ärztliche Behandlung bzw. Operation die Invalidität beseitigen oder den Invaliditätsgrad reduzieren wird, so wäre es nicht nachvollziehbar, wenn die versicherte Person die Befolgung der ärztlichen Anordnung (willkürlich) verweigern könnte.156
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c) Ärztliche Anordnungen. Es kommt ausschließlich auf die Anordnungen des Arztes („seine“) an. Unerheblich sind einerseits das Vertrauen der versicherten Person zum Arzt und ihre subjektive Überzeugung von der ärztlich empfohlenen Maßnahme.157 Der versicherten Person steht es aber natürlich frei, bei Bedenken gegen den Arzt einen anderen Arzt ihres Vertrauens hinzuziehen oder den Arzt zu wechseln (Rn. 37). Andererseits besteht kein Weisungsrecht des VR.
154 155 156
OLG Saarbrücken 17.10.2006 VersR 2007 635 f. = RuS 2008 387. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 52. Wussow VersR 2003 1481, 1487.
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157
Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5; Wussow/ Pürckhauer 6 § 9 Rn. 14; s. aber auch Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 5 („sind weitgehend anzuerkennen“).
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
• Die versicherte Person ist nach dem Wortlaut von Ziff. 7.1 AUB 99/2008 nicht gehalten, einen vom VR benannten Arzt aufzusuchen.158 Entscheidend ist, ob der hinzugezogene Arzt eine entsprechende Anordnung trifft („Überweisung“) und der versicherten Person nichts Unzumutbares abverlangt wird. Für die Untersuchung durch einen vom VR beauftragten Arzt ist ansonsten auf Ziff. 7.3 S. 1 AUB 99/2008 abzustellen. • Die versicherte Person braucht etwaigen vom VR vorgeschlagenen speziellen Maßnahmen zu Heilbehandlungen oder Eingriffen nur freiwillig nachzukommen.
Befolgt die versicherte Person den eindeutigen und konkreten Verhaltensvorschlag des VR oder des von diesem benannten Arztes, wird der VR die Kosten und Aufwendungen der initiierten Heilmaßnahmen oder Eingriffe sowie etwaige mit der Behandlung verbundene Schäden jedenfalls dann zu übernehmen haben, wenn die spezielle Maßnahme mit Nachdruck bzw. „alternativlos“ zur Erhaltung des Versicherungsschutzes verlangt wurde.159 So liegt etwa der Fall, in dem es zu einer Ansteckung während der vom VR oder dessen Vertrauensärzten gewünschten Krankenhausbehandlung kommt. Hier hat der VR die Aufwendungen für die weitere Behandlung der Infektionskrankheit zu tragen.160 Gleiches gilt, wenn die vom VR angeordnete Untersuchung zu einem Gesundheitsschaden mit anschließender Erwerbsminderung führt. Den kausalen Schaden hat dann der VR zu ersetzen. Hintergrund ist die Erwägung, dass es der Billigkeit und den Anforderungen von Treu und Glauben widerspricht, wenn die versicherte Person auf Wunsch des VR ihre Gesundheit gefährdet, ohne eintretendenfalls vollen Schadensersatz zu erhalten.161 Übernimmt der VR durch konkrete Handlungsanweisungen die Verantwortung, so soll er auch alle damit verbundenen Schäden ersetzen müssen.162 „Anordnungen“ müssen bestimmt und detailliert sein. Sie sind mehr als allgemeine 44 oder jedermann bekannte medizinische Empfehlungen oder Ratschläge.163 Es müssen konkrete, vom Arzt erarbeitete Verhaltensanweisungen bzw. Behandlungsvorschläge gegeben werden.164 Diskutiert wird, ob es im Hinblick auf das geänderte Arzt-PatientenVerhältnis „Anordnungen“ überhaupt gibt bzw. ob und unter welchen Voraussetzungen hierunter auch ärztliche „Empfehlungen“, „konkrete Weisungen“ oder „dringliche Ratschläge“ fallen. Welchen Anordnungen in welchem Umfang Folge zu leisten ist, richtet sich danach, was der behandelnde Arzt nach dem objektiven Stand der ärztlichen Wissenschaft für erforderlich hält.165 So muss die versicherte Person eine medizinisch begründete stationäre Heilbehandlung hinnehmen, wenn diese eine schnellere und bessere Heilung erwarten lässt.166 Auf die Überzeugung der versicherten Person von der angeordneten Behandlung kommt es nicht an. Sie muss sich auf die Sachkunde des Arztes verlassen.167 d) Grenze der Duldungspflicht. Die Pflicht, ärztlichen Anordnungen zu folgen, be- 45 steht nicht grenzenlos. Dem Selbstbestimmungsrecht des Verletzten über seinen Körper muss Rechnung getragen werden. Es muss unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ein angemessener Interessenausgleich stattfinden. Entscheidendes Kriterium dafür ist die 158 159 160 161 162 163
So aber Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5. RG 14.2.1908 RGZ 68 108, 112 ff. = VA 1908 58, 59 f. Nr. 388. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 28. RG 14.2.1908 RGZ 68 108, 114 f. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 28. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 5; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 191.
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OLG Karlsruhe 3.4.2003 RuS 2006 79 (zu § 4 BUZ). Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 197; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 191. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 136; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 14. Wussow VersR 2003 1481, 1484.
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Erforderlichkeit und Zumutbarkeit. Allgemeingültige Grundsätze lassen sich nicht aufstellen.168 Vielmehr sind sämtliche Umstände des Einzelfalls abzuwägen. So ist u.a. auch auf die persönliche Situation und Konstitution der versicherten Person abzustellen.169 Bei der Beurteilung sollte darüber hinaus zwar den subjektiven Vorstellungen der versicherten Person über die Gefährlichkeit einer Operation, ihrer subjektiven Einstellung gegenüber Schmerzen und ihrem Vertrauen gegenüber dem verantwortlichen Arzt und der von ihm angeordneten Behandlungsmethoden Rechnung getragen werden,170 jedoch muss letztlich im Interesse der Rechtssicherheit ein objektiver Maßstab gelten. Anderenfalls könnten nicht spezifizierte Überängstlichkeiten, Vorbehalte der versicherten Person u.ä., die einem Beweis kaum zugänglich sind, den Inhalt des objektiven Obliegenheitentatbestands bestimmen. Zu berücksichtigen ist fernerhin der jeweilige Stand der ärztlichen und technischen Wissenschaft.171 Letztlich sind der versicherten Person unter ergänzender Berücksichtigung der Rechtsprechung zu § 254 Abs. 2 BGB172 die Maßnahmen zuzumuten, die jeder vernünftige Verletzte – ohne Rücksicht auf einen Schadensersatzanspruch gegen einen Schädiger bzw. unabhängig von einem Versicherungsverhältnis – bei objektiver Betrachtung zur Heilung unternehmen würde.173 Die Anordnungen müssen sachdienlich sein.174 Behandlungsmethoden, insbesondere 46 Operationen, brauchen nicht geduldet zu werden, wenn sie175 • von den behandelnden Ärzten nicht für erforderlich gehalten werden. Dies gilt auch dann, wenn ein vom VR eingeschalteter Sachverständiger zur Schadenminderung eine bestimmte Behandlung vorschlägt und sich damit in Widerspruch zu den von der versicherten Person ausgewählten Ärzten setzt. Anderes gilt freilich dann, wenn die versicherte Person und ihre Ärzte bei der Ablehnung der sachverständig angeratenen Therapie mit dem Ziel zusammenwirken, der versicherten Person die Versicherungsleistung zu erhalten, und dabei den Nichteintritt des wahrscheinlichen Heilerfolgs in Kauf nehmen.176 • keine sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bieten.177 Ein Misslingen muss indes nicht gänzlich ausgeschlossen sein.178 • (nach den individuellen Umständen der versicherten Person) besondere Risiken bzw. Gefahren bergen.179 Einem operativen Eingriff mit Vollnarkose und den üblichen Narkose- und Opera-
168 169 170 171 172
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Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 52. RG 15.12.1932 RGZ 139 131, 133; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5. So Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 6; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 14. RG 15.12.1932 RGZ 139 131, 134; RG 27.6.1913 RGZ 83 15, 19. S. etwa BGH 4.11.1986 VersR 1987 408 = RuS 1987 70 (LS) mit Anm. Deutsch VersR 1987 559 f.; BGH 13.5.1953 BGHZ 10 18, 19; RG 15.12.1932 RGZ 139 131, 132 ff.; RG 27.6.1913 RGZ 83 15, 16 ff.; KG 8.12.1952 VersR 1953 257. RG 3.4.1906 VA 1906 Anh. 60, 61 Nr. 217; RG 13.2.1905 RGZ 60 147, 149; OLG Frankfurt/M. 13.7.2005 VersR 2006 828, 829 = RuS 2006 164, 165; OLG Hamm 4.10.1935 VA 1935 276 Nr. 2842; LG Deggendorf 26.5.1987 RuS 1987 297 f.; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 5; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 147;
1132
174 175
176 177
178 179
Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 2; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 193; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 14; Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 52. Wüstney § 9 Anm. 14 A. Siehe auch Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 5; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 6; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 136; Wussow VersR 2003 1481, 1484. OLG Nürnberg 26.6.1997 VersR 1998 43, 44. RG 3.4.1906 VA 1906 Anh. 60, 61 Nr. 217; OLG Hamm 4.10.1935 VA 1935 276 Nr. 2842; OLG Karlsruhe 3.4.2003 RuS 2006 79 (zu § 4 BUZ); KG 8.12.1952 VersR 1953 257. Wüstney § 9 Anm. 14 C. RG 3.4.1906 VA 1906 Anh. 60, 61 Nr. 217; Terbille/Hormuth 2 MAH § 24 Rn. 197.
Kent Leverenz
Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
tionsrisiken braucht sich die versicherte Person nicht zu unterziehen.180 Verspricht eine operative Fusion sicheren Erfolg, bezeichnet der Sachverständige das mit ihr verbundene Risiko jedoch lediglich als „vertretbar“ und nicht als „gering“ oder „minimal“, so ist die Weigerung der versicherten Person, den Eingriff vornehmen zu lassen, nicht als unvernünftig zu bewerten.181 Entsprechendes gilt, wenn unvorhersehbare Umstände, die eine Gefahr bedingen, auch bei sorgfältigem Operieren im Voraus nicht mit Sicherheit auszuschließen sind.182 • besonders schmerzhaft sind.183 • noch nicht ausreichend erprobt sind.184 • aus sonstigen Gründen unzumutbar sind, weil sie z.B. die finanzielle Leistungsfähigkeit der versicherten Person übersteigen (Rn. 28). Unzulässig ist es auch, die Aufnahme in eine Heilanstalt nur deshalb zu fordern, um durch Beobachtung der versicherten Person zu ermitteln, ob sie die behaupteten Gesundheitsschäden tatsächlich erlitten hat oder nur simuliert.185
Zumutbar sind dagegen Operationen, die einfach und gefahrlos möglich sowie nicht mit besonderen Schmerzen verbunden sind und die sichere – zumindest begründete – Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes bieten.186 Mit diesen Vorgaben werden recht hohe Hürden aufgebaut.187 Beurteilungsschwierigkeiten bestehen indes nicht nur in objektiv-medizinischer, sondern auch in subjektiver Hinsicht. Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung kann das individuelle Empfinden der jeweiligen versicherten Person nicht völlig außer Acht gelassen werden, sofern etwaige Einlassungen der versicherten Person nicht nur auf bloßer Einbildung beruhen. Neben den medizinischen Voraussetzungen ist vielmehr auch zu prüfen, ob im Einzelfall eine Vorstellung der versicherten Person (z.B. Angst vor einer Narkose infolge schlechter Erfahrungen bei früheren Eingriffen) bei verständiger Bewertung als berechtigt anzusehen ist.188 So sind zwar die Erfolgsaussichten der Operation bei der Frage nach der Zumutbarkeit, insbesondere im Hinblick auf die Furcht vor den allgemeinen Gefahren einer Operation zu berücksichtigen. Jedoch kann nicht jede Aussicht auf Besserung höher bewertet werden als die subjektiv bestehende und verständliche Furcht vor den allgemeinen Gefahren einer Operation; denn bei einem erforderlichen wesentlichen Eingriff in die körperliche Integrität sind strenge Maßstäbe anzulegen.189 In der Praxis kann es zu schwierigen Abwägungsfragen kommen: Je günstiger nach sachverständig-objektiver Betrachtung die Besserungsaussichten infolge einer Operation zu beurteilen sind, desto eher wird sie dem Verletzten zuzumuten sein und ein desto strengerer Maßstab wird 180
181
182 183 184
OLG Hamm 29.9.1999 VersR 2000 962, 963 = NVersZ 2000 84, 85 = RuS 2000 216; a.A. RG 15.12.1932 RGZ 139 131,134 (sofern sich aus der körperlichen Beschaffenheit des Verletzten keine besonderen Bedenken ergeben) in Abweichung zu RG 27.6.1913 RGZ 83 15, 19; Prölss/Martin/ Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 6; van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 192 f. OLG Frankfurt/M. 13.7.2005 VersR 2006 828, 829 = RuS 2006 164, 165; zustimmend Marlow RuS 2006 397, 404. OLG Düsseldorf 19.12.1974 VersR 1975 1031, 1032. Abw. noch Wüstney § 9 Anm. 14 A. van Bühren/Schubach 4 Hdb. § 16 Rn. 193; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 14.
185 186
187 188
189
Wüstney § 9 Anm. 14 B. S. nur BGH 4.11.1986 VersR 1987 408 = RuS 1987 70 (LS); RG 27.6.1913 RGZ 83 15, 19 f.; OLG Hamm 26.6.1991 VersR 1992 1120, 1121; OLG Karlsruhe 3.4.2003 RuS 2006 79 (zu § 4 BUZ); LG Hamburg 16.12.1991 VersR 1992 1122, 1123; Schwintowski/Brömmelmeyer § 184 VVG Rn. 3; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 147; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 14; s. auch ÖOGH 19.10.1989 VersR 1990 1139. Deutsch VersR 1987 559. RG 27.2.1906 VA 1906 Anh. 61, 62 Nr. 218; LG Deggendorf 26.5.1987 RuS 1987 297, 298. OLG Düsseldorf 19.12.1974 VersR 1975 1031, 1032.
Kent Leverenz
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
auch an eine bei ihm etwa subjektiv bestehende und verständliche Furcht vor den allgemeinen Gefahren einer Operationen anzulegen sein.190 Zumutbarkeit ist jedenfalls dann gegeben, wenn die Weigerung der versicherten Person letztlich auf reinem Eigensinn beruht oder aus Rücksichtslosigkeit und Selbstsucht die Leistungspflicht des VR ausgenutzt werden soll.191 Umgekehrt findet die Duldung von Behandlungsmethoden unstreitig dort ihre Grenze, wo eine wesentlich weniger eingriffsintensivere Methode zum Ausgleich einer Funktionsbeeinträchtigung eines Organs zur Verfügung steht.192 Dies ist z.B. der Fall, wenn sich eine Sehschwäche durch eine Brille oder Kontaktlinse anstelle eines operativen Eingriffs (LASIK-Operation) weitgehend ausgleichen lässt (Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 215). Offen ist, ob das Ansinnen einer Psychotherapie grundsätzlich aus dem Bereich des 47 Zumutbaren fällt,193 wurde doch der Aufenthalt in einer geschlossenen Anstalt in der Rechtsprechung als zumutbar angesehen.194 4. Unterrichtung des VR
48
Der VN oder die versicherte Person haben nach einem Unfall, der voraussichtlich eine Leistungspflicht des VR herbeiführt, den VR unverzüglich zu unterrichten (Ziff. 7.1 AUB 99/2008, § 9 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 1 AUB 61). Die Regelung entspricht § 30 Abs. 1 S. 1 (§ 33 Abs. 1 a.F.; s. ferner die Sonderregelungen für die Haftpflichtversicherung in §§ 104, 119 Abs. 1 sowie §§ 92 Abs. 1 S. 1, 110 S. 2, 153 Abs. 3, 171 Abs. 1 S. 2 a.F.). Bei der Anzeige des VN handelt es sich nicht um eine Willens-, sondern um eine Wissenserklärung. Die Anzeige stellt eine geschäftsähnliche Handlung dar, auf die die Vorschriften über Willenserklärungen weitgehend analoge Anwendung finden (z.B. §§ 107 ff., 130, 133, 157 BGB).195 Abzugrenzen ist die Geltendmachung von Ansprüchen.196 Die Anspruchserhebung ist typischerweise erst sinnvoll, wenn die Sachverhaltsaufklärung abgeschlossen ist.
49
a) Regelungszweck. Die Unterrichtungspflicht soll den VR vornehmlich in die Lage versetzen, sich möglichst zeitnah in Ermittlungen und Verhandlungen zum Versicherungsfall einschalten und notwendige eigene Feststellungen – beweiskräftig – treffen zu können.197 Der Regelungszweck erschöpft sich nicht schon darin, dem VR lediglich Kenntnis von einem möglichen Versicherungsfall zu verschaffen, damit er veranlasst wird, ein Unfallanzeige-Formular zu versenden.198 Anderenfalls bliebe unberücksichtigt, dass nach einem Versicherungsfall rasches eigenes Handeln des VR zur Tatsachenermittlung und ggf. Beweissicherung geboten sein kann,199 um z.B. die Ursachen des Schaden-
190 191 192 193 194 195 196
BGH 13.5.1953 BGHZ 10 18, 121 f. RG 15.12.1932 RGZ 139 131, 133; RG 27.6.1913 RGZ 83 15, 19. OLG Düsseldorf 30.1.2009 VersR 2009 774, 775. OLG Karlsruhe 3.4.2003 RuS 2006 79, 80 (zu § 4 BUZ). RG 13.2.1905 RGZ 60 147, 149 f. Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 14; Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 11. OLG Köln 21.12.2007 RuS 2009 75, 76; LG Köln 8.8.2007 VersR 2008 953, 954.
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197
198 199
S. nur BGH 24.6.1981 VersR 1982 182, 183; BGH 15.11.1965 VersR 1965 1190, 1191; OLG Köln 21.12.2007 RuS 2009 75, 76; LG Köln 8.8.2007 VersR 2008 953, 954; Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 3 f.; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 137; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 3; Bruck/Möller/ Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 35. So aber OLG Frankfurt/M. 20.2.1992 VersR 1992 1458. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 7.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
vorgangs (auch mitwirkende Ursachen) objektiv festzustellen.200 Weiterhin dient die Obliegenheit dazu, den VR in die Lage zu versetzen, den VN zu einem schadensmindernden Verhalten anzuleiten201 oder sonstige sachdienliche Maßnahmen zu treffen.202 b) Verpflichteter. Nach dem Wortlaut von Ziff. 7.1 AUB 99/2008 sind sowohl der 50 VN als auch die versicherte Person zur Unterrichtung verpflichtet (nicht so deutlich dagegen die Formulierung in § 9 Abs. 1 S. 1 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 1 AUB 61: „ist … zu unterrichten“ bzw. „ist … anzuzeigen“, Rn. 21). Die Anzeigeobliegenheit des VN bzw. seines Rechtsnachfolgers ist in § 30 Abs. 1 S. 1 (entspricht § 33 Abs. 1 a.F.) ebenfalls explizit vorgesehen. Entsprechendes gilt nach der neuen – in Anlehnung an § 171 Abs. 2 a.F. (s.a. § 182 a.F.) gestalteten – Vorschrift des § 30 Abs. 1 S. 2 für andere Personen, wenn diesen ein Recht auf die vertragliche Leistung des VR zusteht. Gemeint sind damit Dritte, denen das Recht auf die Leistung des VR vertraglich (als Bezugsberechtigter) oder durch Zession zusteht.203 Ihre Anzeigeobliegenheit tritt neben, nicht an die Stelle der Anzeigeobliegenheit des VN.204 Sind mehrere Personen anzeigepflichtig, reicht die Anzeige durch einen von ihnen aus.205 Für die versicherte Person besteht nach § 30 Abs. 1 S. 2 nur bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung, nicht aber bei der Fremdversicherung für eigene Rechnung eine Anzeigepflicht.206 Dennoch braucht Ziff. 7.1 AUB 99/2008 nicht etwa – einschränkend – umformuliert zu werden z.B. in: „… müssen Sie oder – bei der Fremdversicherung für fremde Rechnung – die versicherte Person uns unterrichten“. Dies ergibt sich zum einen aus § 179 Abs. 3. Zum anderen weicht Ziff. 7.1 AUB 99/2008 nicht i.S.v. § 32 zum Nachteil des VN ab; denn § 30 ist dort nicht genannt. Hinzu kommt, dass die AUB lediglich eine Unterrichtungsmöglichkeit durch die versicherte Person, also eine zusätzliche Handlungsoption, nicht aber eine neben der Anzeigepflicht des VN kumulativ zu erfüllende Obliegenheit vorsehen. Sofern der Anzeigepflichtige Dritte einbindet, gelten die allgemeinen Zurechnungsregeln (zur Haftung für Repräsentanten oder Wissenserklärungsvertreter § 179 Rn. 62 ff.). c) Empfänger. Der VN bzw. die versicherte Person haben den VR („uns“) zu unter- 51 richten. Nach Ziff. 17.1 AUB 99/2008 sollen Anzeigen und Erklärungen an die Hauptverwaltung oder an eine näher bezeichnete Geschäftsstelle gerichtet werden. Bei Mitversicherung und Führungsklausel ist die Mitteilung an den führenden VR zu richten.207 Der Versicherungsvertreter ist gesetzlich u.a. dazu bevollmächtigt, während der Dauer des Versicherungsverhältnisses zu erstattende Anzeigen vom VN entgegenzunehmen (§ 69 Abs. 1 Nr. 2);208 seine Kenntnisse muss sich der VR grundsätzlich zurechnen lassen (§ 70; näher Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 25). Die Anzeige ist eine empfangsbedürftige Mitteilung.209 Der VN bzw. die versicherte Person müssen also nicht nur für ihre Abgabe, sondern auch für ihren Zugang beim VR Sorge tragen (str., Rn. 35).210 Der VR muss die 200 201
202 203 204 205
OLG Koblenz 29.11.1996 RuS 1997 348, 349. OLG Braunschweig 20.12.1955 VersR 1956 172, 173; Römer/Langheid 2 § 33 Rn. 1; Wussow VersR 2003 1481, 1484. OLG Saarbrücken 19.11.1974 VersR 1976 157, 158; Krebs VersR 1962 13. Begründung RegE zu § 30 VVG, BT-Drucksache 10/3945 vom 20.12.2006 S. 70. Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 30 Rn. 36. Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 12.
206
207 208 209 210
S.a. Begründung RegE zu § 30 VVG, BT-Drucksache 10/3945 vom 20.12.2006 S. 70 (Die Anzeigepflicht „gilt in allen Fällen einer Versicherung für fremde Rechnung“). Prölss/Martin/Knappmann 27 § 182 Rn. 7. S. z.B. LG Potsdam 27.8.2007 VersR 2008 1390, 1391. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 9. A.A. z.B. Kloth Rn. M 7.
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
Anzeige entgegennehmen. Lehnt der VR dies ab, weil er von vornherein den geschilderten Sachverhalt nicht als Unfall oder sich nicht als leistungspflichtig ansieht, so kann er sich später nicht auf eine Unterlassung der Anzeige berufen.211 Dem VN wird es jedenfalls kaum als grobes Verschulden anzulasten sein, wenn er aus der Empfangsverweigerung des VR bzw. seines Vertreters den Schluss zieht, der VR lege auf weitere Aufklärung keinen Wert.212
52
d) Inhalt der Unterrichtung. Die Anforderungen an den Inhalt der Unterrichtung sind anhand des für einen verständigen VN erkennbaren Sinn und Zwecks der Obliegenheit zu bestimmen. Einerseits wird nicht verlangt werden können, dass die Unterrichtung bereits alle erheblichen Einzelheiten des Versicherungsfalls enthält 213 oder gar die für § 15 (§ 12 Abs. 2 a.F.) geltenden Mindestanforderungen für eine Anspruchsanmeldung mit verjährungshemmender Wirkung wahrt.214 Der jeweilige Sachverhalt wird ohnehin mit der Unfallanzeige oder mittels weiterer Anfragen des VR noch detailliert aufgeklärt (Ziff. 7.2 AUB 99/2008). Hinzu kommt, dass weder VN noch versicherte Person – gerade kurz nach dem Unfall – beurteilen können, welche Informationen der VR im Einzelnen zur Prüfung seiner Leistungspflicht benötigt.215 In einem so frühen Stadium der Leistungsregulierung ist der VN typischerweise noch nicht in der Lage, eine nachvollziehbare Darstellung der Umstände zu liefern, aus denen sich der Unfall i.S.d. AUB ergibt, und darüber hinaus die geltend gemachten Ansprüche (Leistungsarten, Leistungshöhe) zu konkretisieren. Keinesfalls sind Angaben zu den Unfallfolgen 216 oder Stellungnahmen zu Rechtsfragen notwendig.217 Andererseits reicht die bloße Mitteilung, es habe ein Schadenereignis bzw. ein Unfall stattgefunden, nicht aus.218 Der VR muss sich zumindest ein Bild über das Geschehen machen können.219 Erforderlich ist zunächst, den VR unmissverständlich über das Vorliegen eines Unfallereignisses zu informieren.220 Weiterhin muss der Anzeigepflichtige sein Wissen in den wesentlichen Punkten vollständig und wahrheitsgemäß, entsprechend seiner ehrlichen Überzeugung,221 wiedergegeben. Dazu sind auch Kernangaben zu den Begleitumständen und den erlittenen Gesundheitsschaden erforderlich.222 Zu schildern sind Unfallort, Unfallzeit sowie – soweit schon bekannt (wenigstens in knapper Form) – der Unfallhergang und die Unfallfolgen.223 Anderenfalls hat der VR – entgegen dem Klauselzweck (Rn. 49) – keine Chance, sachgerecht und ggf. in der gebotenen Eile zu handeln, um eine schnelle Beweissicherung durchzuführen und zu einer Schadenminderung beizutragen. So kann die zeitnahe Besichtigung des Unfallortes, Sicherstellung bzw. Dokumentation von relevanten Beweismitteln entscheidend für die Leistungsregulierung sein. Die Anforderungen an den VN dürfen indes nicht über-
211 212 213
214 215 216 217 218
Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 9. RG 22.3.1932 VA 1932 242 f. Nr. 2437. OLG Frankfurt/M. 20.2.1992 VersR 1992 1458; OLG Köln 27.9.1994 RuS 1994 428 f.; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 2; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 7. Offen lassend OLG Köln 14.4.1999 RuS 2000 303. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 7. OLG Hamm 18.5.1988 RuS 1988 302, 303 (zur Schadenshöhe in der Sachversicherung). Krebs VersR 1962 13. OLG Braunschweig 20.12.1955 VersR 1956
1136
219 220 221 222 223
172, 173; OLG Köln 21.4.1998 RuS 1998 458; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 137; Prölss/Martin/ Prölss 27 § 33 Rn. 6; a.A. Bruck/Möller/ Brömmelmeyer § 30 Rn. 28; Fleck VersR 1956 316; Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 16. Kloth Rn. M 7. OLG Köln 14.4.1999 RuS 2000 303. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 8. OLG Braunschweig 20.12.1955 VersR 1956 172, 173; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 7. OLG Köln 21.4.1998 RuS 1998 458 (mit kritischer Anm. Schimikowski).
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
steigert werden. Es darf keine Überforderung eintreten. So reicht es z.B. aus, wenn der VN zur Unterrichtung des VR über die erlittenen Gesundheitsschäden die Diagnose und Einschätzung des hinzugezogenen Arztes weitergibt.224 Entsprechendes gilt für die unterbliebene Anzeige von Beschwerden.225 Bei Unklarheiten hat der VR eine Nachfrageobliegenheit.226 Gleiches gilt für die Unfallanzeige nach Ziff. 7.2 AUB 99/2008 (Rn. 81). e) Form und Frist. Die Unterrichtung des VR kann auch mündlich oder fernmündlich 53 erfolgen.227 Das persönliche Gespräch oder das Telefonat reicht zumindest für eine Kenntniserlangung auf andere Weise i.S.v. § 30 S. 2 (§ 33 Abs. 2 a.F.) aus.228 Zwar eröffnet § 32 S. 2 die Möglichkeit für die Anzeige Schrift- oder Textform zu vereinbaren. Jedoch haben die Bedingungsgeber hiervon in Ziff. 7.1 AUB 99/2008 keinen Gebrauch gemacht. Auch in Ziff. 17 AUB 2008 ist das Schriftformerfordernis (abweichend etwa zu Ziff. 17.1 S. 1 AUB 99) entfallen. Hinzu kommt, dass § 30 Abs. 2 als zwingendes Recht angesehen wird.229 Selbst wenn eine Formhürde aufgebaut werden könnte, würde diese ohnehin nur im Verhältnis zum VR, nicht aber gegenüber dem Versicherungsvertreter eingreifen (vgl. § 72).230 Im Übrigen ist die mündliche oder fernmündliche Entgegennahme von Schadenanzeigen durch den VR Handelsbrauch geworden.231 Die Unterrichtung muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB) 54 erfolgen (Rn. 32 ff.). In der Regel wird eine Meldung spätestens zwei Wochen nach dem Unfallereignis erwartet werden können.232 Eine Anzeige erst fast vier Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls genügt dagegen im Normalfall nicht.233 Kommt es zu einer Verzögerung infolge grober Fahrlässigkeit, so ist der Zeitraum der Verspätung bei der Bestimmung der Leistungsquote zu berücksichtigen (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 108). f) Rechtzeitige Kenntnis des VR. Auf eine Vereinbarung, nach welcher der VR im 55 Fall der Verletzung der Anzeigepflicht nicht zur Leistung verpflichtet ist, kann sich der VR nach § 30 Abs. 2 (entspricht § 33 Abs. 2 a.F.) nicht berufen, wenn er auf andere Weise vom Eintritt des Versicherungsfalls rechtzeitig Kenntnis erlangt hat. § 30 Abs. 2 verhindert nur die Leistungsfreiheit des VR, beseitigt aber nicht die Obliegenheit des VN als solche.234 Der „VR“ muss die Kenntnis erlangt haben (näher Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 15 ff.). 56 Kenntnis des VR kann z.B. anzunehmen sein, wenn ein Dritter den Versicherungsfall angezeigt hat oder dem VR der Versicherungsfall durch Meldung zu einer anderen Sparte (z.B. Haftpflichtversicherung) bekannt geworden ist.235 Voraussetzung ist indes, dass die für die Leistungsregulierung zuständige Stelle des VR Anlass hatte, anderweitig vorliegende Informationen „einzusammeln“. Eine Pflicht zur Einrichtung eines spartenüber-
224 225 226
227 228
Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 7; Wussow/ Pürckhauer 6 § 9 Rn. 8. BGH 2.11.1967 VersR 1968 41, 42 mit Anm. Senger VersR 1968 545 f. Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 2; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 137. OLG Hamm 10.2.1972 VersR 1973 339, 340; OLG Köln 21.4.1998 RuS 1998 458. BGH 9.12.1965 VersR 1966 513, 154; LG Paderborn 9.5.2007 RuS 2008 65, 66; Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 19.
229
230 231 232 233 234 235
BGH 9.12.1965 VersR 1966 513, 154; OLG Hamm 10.2.1972 VersR 1973 339, 340. S.a. Begründung RegE zu § 72, BT-Drucksache 10/3945 vom 20.12.2006 S. 78. AG Hamburg 22.3.1955 VersR 1955 315; Krebs VersR 1962 13, 14. Kloth Rn. M 7. AG Mainz 27.1.1984 RuS 1984 129, 130. Knappmann RuS 2002 485, 487. Knappmann RuS 2002 485, 487.
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Unfallversicherung
greifenden Alarmsystems dagegen besteht nicht. Fernerhin muss sich der VR grundsätzlich auch die Kenntnis des Versicherungsvertreters zurechnen lassen. Ausreichend kann des Weiteren etwa die Mitteilung des Hausarztes sein, wenn sie die für den VR notwendigen Tatsachen enthält.236 Die „Kenntnis“ muss positiv bestehen. Ein Kennenmüssen des VR genügt nicht. Die 57 Kenntnis muss sich nicht vollständig auf alle Einzelheiten des Unfallsachverhalts erstrecken. Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass dem VR zuverlässige Anhaltspunkte vorliegen, die es ihm ermöglichen, weitere Maßnahmen und Ermittlungen einzuleiten.237 Bloße Mutmaßungen oder Gerüchte über den Eintritt des Unfalls reichen dagegen nicht aus.238 Die Art und Weise der Kenntniserlangung ist unerheblich.239 Der VR muss die Kenntnis „rechtzeitig“ erlangt haben. Dies setzt voraus, dass der 58 VR Kenntnis innerhalb der Frist erlangt hat, in der ihm eine vom VN unverzüglich erstattete Anzeige zugegangen wäre.240 Erhält er zu einem späteren Zeitpunkt über den vom VN bzw. der versicherten Person verschwiegenen Sachverhalt Kenntnis, kann er sich – vorbehaltlich der Verschuldens- und Kausalitätsprüfung i.S.v. Ziff. 8 AUB 2008 – auf die Anzeigepflichtverletzung berufen.241
II. Unfallanzeige und Auskunftserteilung 59
Hat der VN bzw. die versicherte Person den VR vom Unfall unterrichtet, übersendet der VR dem Anzeigenden in der Praxis eine Unfallanzeige. Diese hat der VN oder die versicherte Person nach Ziff. 7.2 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 2 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 4 AUB 61) wahrheitsgemäß auszufüllen und unverzüglich zurückzusenden. Weiterhin besteht die Obliegenheit, auf Verlangen des VR sachdienliche Auskünfte zu erteilen. Im Verhältnis zwischen VN bzw. versicherter Person und VR wird m.a.W. die Unterrichtungspflicht durch eine Aufklärungs- und Wahrheitspflicht komplementiert. Während die Anzeigeobliegenheit nach Ziff. 7.1 AUB 99/2008 originär mit dem Versicherungsfall entsteht, resultiert die Auskunftsobliegenheit gemäß Ziff. 7.2 AUB 99/2008 erst aus einem entsprechenden Verlangen des VR bzw. seines Vertreters („von uns … geforderte …“). Der Zweck der Obliegenheiten in Ziff. 7.2. AUB 99/2008 liegt für den VN erkennbar darin, den VR in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen seiner Eintrittspflicht sachgerecht zu prüfen. Gewährleistet werden sollen die Information des VR, die Beweissicherung durch den VR und die Anleitung der versicherten Person durch den VR zur Schadensminderung.242 Von einem VN, der vom VR eine Leistung fordert, darf billigerweise erwartet werden, dass er dem VR auch alle Auskünfte zur Hand gibt, die der VR braucht, um Art und Umfang seiner Leistung möglichst genau und frühzeitig übersehen zu können.243
236 237 238 239 240
Krebs VersR 1962 13, 14. RGZ 127, 367; Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 7. Krebs VersR 1962 13; Wüstney § 9 Anm. 2. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 8. Berliner Kommentar/Dörner § 33 Rn. 21; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 8 und Ziff. 8 AUB Rn. 8; Kloth Rn. M 7; Krebs VersR
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241 242 243
1962 13, 15; Prölss/Martin/Prölss 27 § 33 Rn. 17. LG Kaiserslautern 13.1.1981 RuS 1981 48, 49. Wussow VersR 2003 1481, 1484 f. BGH 16.2.1967 BGHZ 47 101, 105 = VersR 1967 441, 442 = NJW 1967 1226, 1228.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
1. Wahrheitsgemäßes Ausfüllen der Unfallanzeige
60
Wichtigstes Instrument zur Sachverhaltsklärung ist die Unfallanzeige.
a) Regelungszweck. Es entspricht den Erfahrungen der Versicherungspraxis, dass 61 vielfach weder VN noch versicherte Person in der Lage sind, eine Unfallmeldung zu erstatten, die dem Informationsinteresse des VR (vollständig) genügt. Das wird besonders in der Personenversicherung augenfällig, wenn der VN zugleich versicherte Person ist und durch den Unfall in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Die AUB nehmen hierauf Rücksicht, indem sie vorsehen, dass der VN (die versicherte Person) im ersten Schritt nur eine relativ knappe Unfallmeldung machen muss, die wiederum den VR in die Lage versetzt, dem VN in einem zweiten Schritt einen detaillierten Fragenbogen zuzusenden, in dem alle für die Leistungsregulierung wesentlichen Punkte angesprochen sind.244 b) Verpflichteter. Der VN bzw. die versicherte Person sind für die Richtigkeit und 62 Vollständigkeit der Antworten auch dann verantwortlich, wenn die Unfallanzeige von einem Dritten (z.B. Versicherungsvermittler, Ehefrau) ausgefüllt wurde und der VN bzw. die versicherte Person sie (ohne Nachprüfung „blind“) unterschrieben hat.245 Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der VN bzw. die versicherte Person (nach Belehrung durch den VR) durch Unterschrift ausdrücklich bestätigt, die Angaben wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen gemacht zu haben.246 Der VN (die versicherte Person) hat sich dann die Angaben der von ihm eingeschalteten Personen zu Eigen gemacht. Der Dritte gibt die Erklärungen nicht selber anstelle des VN ab. Vielmehr erscheint aus Sicht des Erklärungsempfängers (VR) das vom VN unterschriebene Formular als dessen Erklärung und nicht als die eines mit der Erfüllung von Obliegenheiten betrauten Dritten. Für eine entsprechende Anwendung des § 166 BGB besteht deshalb kein Raum.247 Eine etwaige Sorglosigkeit oder „Blauäugigkeit“ des Anzeigepflichtigen ist im Rahmen der Verschuldensprüfung zu berücksichtigen (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 93). Der VN (die versicherte Person) muss sich ein Fehlverhalten eines Dritten entspre- 63 chend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen, wenn er diesen zur Erfüllung seiner Aufklärungsobliegenheit beauftragt hat bzw. es sich bei dem Dritten um einen Repräsentanten (§ 179 Rn. 62 ff.) oder Wissenserklärungsvertreter (§ 179 Rn. 75 ff.) handelt.248 Dies ist u.a. dann anzunehmen, wenn dem Dritten das Ausfüllen der Unfallanzeige zur selbständigen Bearbeitung übertragen wurde.249 Ehegatten sind noch nicht per se Repräsentanten oder Wissenserklärungsvertreter, wenn sie die Schadensanzeige ausfüllen. Falschauskünfte eines vom VN bestellten Streithelfers sind unerheblich. Der VN bestellt den Streithelfer, um seine eigenen Rechte zu wahren und nicht zur Erfüllung von Obliegenheiten gegenüber dem VR.250
244 245
246
247
Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 36. OLG Saarbrücken 12.7.2006 RuS 2007 298, 299; LG Hamburg 9.12.1986 VersR 1987 1189 (LS); Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 142. BGH 14.12.1967 VersR 1968 185; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 13 und Ziff. 8 AUB 99 Rn. 3; a.A. LG Aachen 6.12.1985 RuS 1986 107, 108 (mit krit. Anm. der Schriftleitung). BGH 14.12.1994 BGHZ 128 167, 169 = RuS 1995 81; OLG Saarbrücken 12.7.2006
248
249 250
RuS 2007 298, 299; a.A. offenbar OLG Stuttgart 24.6.1975 VersR 1979 366, 367. BGH 25.10.1952 VersR 1952 428; OLG Hamm 27.6.1986 RuS 1986 267; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 13; eingehend Bruck/Möller/Heiss § 28 Rn. 73 ff. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 13; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Mangen 2 § 47 Rn. 142. BGH 30.4.1981 VersR 1981 948, 950; Grimm 4 Ziff. 8 AUB 99 Rn. 3.
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
64
c) Empfänger. Die Unfallanzeige ist an den VR („uns“) zurückzusenden (zu Zurechnungsfragen – etwa bei Ausfüllen der Schadenanzeige durch den Versicherungsvertreter – Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 19 ff.). Verweigert der VR bzw. sein empfangsberechtigter Vertreter die Entgegennahme, so wird dem Auskunftspflichtigen im Regelfall keine grob schuldhafte Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen sein. Insofern gilt hier nichts anderes wie bei der Unterrichtung des VR vom Unfall (Rn. 52).
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d) Gestaltung der Unfallanzeige. Es empfiehlt sich, bei der Gestaltung der Unfallanzeige hohe Sorgfalt walten zu lassen; denn bei jeder Prüfung einer etwaigen Obliegenheitsverletzung ist zunächst Inhalt und Reichweite der zu beantwortenden Fragen zu klären Das Fragen sind – wie AGB (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57) – aus Sicht eines durchschnittlichen VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse auszulegen.251 Zu prüfen ist, wie der Kunde die Fragen des VR bei verständiger Würdigung und aufmerksamer Durchsicht unter Berücksichtigung des dabei erkennbar werdenden Sinnzusammenhangs verstehen muss. Erst wenn der objektive Erklärungswert der Frage feststeht, kann geprüft werden, ob die gegebenen Antworten in objektiver Hinsicht unrichtig sind.252 Keinesfalls darf der VR vom VN bzw. der versicherten Person mit der Unfallanzeige Unmögliches oder Unzumutbares verlangen.
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aa) Formale Anforderungen. Eine sachgerechte Schadenanzeige setzt in formaler Hinsicht voraus, dass das Frageformular lesbar und übersichtlich gestaltet ist. Damit der Wahrheitspflicht Genüge getan werden kann, muss auch ausreichend Raum für Antworten vorgesehen werden.253 Es empfiehlt sich der Hinweis im Formular, dass ggf. weitere Seiten beigefügt werden können.254 Anderenfalls droht der Einwand, dass gerade bei allgemeinen Fragestellungen und Zurverfügungstellung nur einer Antwortzeile keine wahrheitsgemäßen Antworten erwartet werden könnten oder der VN aufgrund des engen Raums nur gehalten sei, „nahe liegende“ bzw. den angezeigten Schäden ähnliche Umstände mitzuteilen.255 Die Unfallanzeige sollte im Übrigen ein Unterschriftenfeld für den Auskunftspflichtigen vorsehen. Durch seine den Urkundentext deckende Unterschrift begründet er den Beweis dafür, dass er die in der Urkunde enthaltenen Erklärungen abgegeben hat (§ 416 ZPO).256
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bb) Inhaltliche Anforderungen. Die Schadenanzeige ist sachdienlich, vollständig, klar und unmissverständlich zu gestalten. Die Fragen sind so zu verstehen, wie sie nach ihrem Wortlaut, ihrem systematischen Zusammenhang und ihrem erkennbaren Zweck von einem verständigen VN auszulegen sind (s.a. Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 35).257 Der Vordruck ist inhaltlich entsprechend dem (berechtigten) Klauselzweck zu gestal68 ten, also auf reine Sachverhaltsermittlung auszurichten. Es dürfen nur Tatsachen erfragt werden. Werturteile des VN oder der versicherten Person (z.B. Fragen nach der mutmaßlichen Unfallursache oder eigenen Einschätzungen) sind für die Beurteilung der Leis-
251 252 253 254 255
BGH 26.10.1988 RuS 1989 5, 6. Lücke VersR 1996 785, 797 f. OLG Köln 6.3.2001 NVersZ 2001 562. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 11. So OLG Nürnberg 18.4.1996 RuS 1997 305 = VersR 1997 1137 (LS); offen lassend
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256 257
LG Arnsberg 21.8.2003 VersR 2004 1405, 1406. OLG Frankfurt/M. 5.12.1991 VersR 1993 343, 344. OLG Saarbrücken 30.4.2008 VersR 2008 1643 = RuS 2008 465.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
tungspflicht irrelevant.258 Insbesondere müssen die Fragen sachdienlich für die ordnungsgemäße Leistungsregulierung sein. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von Ziff. 7.2 Halbs. 1 AUB 99/007, folgt aber aus dem Kontext zu Ziff. 7.2 Halbs. 2 AUB 99/2008 sowie dem Klauselzweck. Insofern gelten für die Unfallanzeige die gleichen Maßstäbe wie für andere Auskunftsersuchen des VR (Rn. 96). Der VN oder die versicherte Person begehen keine Obliegenheitsverletzung, wenn sie 69 einen für die Sachverhaltsbeurteilung wichtigen Umstand, nach dem nicht gefragt war, nicht von sich aus erwähnen.259 Dies gilt selbst dann, wenn den VR ersichtlich Weiteres interessiert.260 Es besteht keine allgemeine Auskunftspflicht (Rn. 76). Unklarheiten in den Fragen des VR an den Auskunftspflichtigen gehen zu Lasten des 70 VR.261 Sie sind deshalb präzise und deutlich und möglichst der jeweiligen Situation angepasst zu formulieren. Geben sie aufgrund ihres Wortlauts – auch unter Berücksichtigung ihres für den VN erkennbaren Sinn und Zwecks – Anlass zu Missverständnissen oder Interpretationen, kann es bei unvollständigen oder unrichtigen Antworten am objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung oder am Vorsatz fehlen. Kann der VN (bei objektiver Betrachtung) die gestellten Fragen in einem engeren Sinn verstehen, als sie aus Sicht des VR gemeint sind, so begeht er keine Obliegenheitsverletzung, wenn er die Fragen nur in dem notwendigen Umfang beantwortet und keine weiteren Angaben macht. Beispiele: • Wird in dem Formular zur Schadenanzeige nach „Erkrankungen, Gebrechen und früheren Unfällen“ gefragt, so liegt nach teilweise vertretener Auffassung keine Anzeigepflichtverletzung vor, wenn der VN keine „Beschwerden und Schmerzen“ angibt.262 Diese Differenzierung erscheint indes gekünstelt, auch wenn sie nach medizinischen Maßstäben gerechtfertigt ist. Nach dem normalen Sprachgebrauch lassen sich die Begriffe „Erkrankungen und Gebrechen“ einerseits und „Beschwerden“ andererseits gleichsetzen.263 • Die Frage „Bestehen oder bestanden unabhängig von den Folgen des jetzigen Unfalls Krankheiten oder Gebrechen? Ggf. welche, Name(n) und Anschrift(en) behandelnder Ärzte“ wird in der Rechtsprechung als mehrdeutig angesehen. Sie sei nicht dahingehend auszulegen, dass der VN alle früheren und aktuellen Krankheiten oder Gebrechen (auch Bagatellen wie z.B. einen Kinderschnupfen) anzugeben habe. Vielmehr werde der Befragte zum einen nicht auf den Gedanken kommen, dass der VR etwas verlange, was jedenfalls einem auch nur etwas älteren VN in vielen Fällen ohne Weiteres gar nicht möglich sei, nämlich eine vollständige Auflistung aller früheren Krankheiten mit Namen und Anschriften von Ärzten. Zum anderen werde der VN nicht annehmen, dass der VR auch nach solchen früheren Krankheiten frage, welche für die Entscheidung des VR bei jedweder Betrachtung keinerlei Bedeutung habe. Der VR sollte deshalb nach einer ersten Unfallmeldung je nach den konkret beklagten Unfallfolgen spezifisch nach bestimmten Vorerkrankungen fragen. Des Weiteren komme in Betracht, die Worte „unabhängig von den Folgen des jetzigen Unfalls“ dahingehend zu interpretierten, dass nur nach Krankheiten oder Gebrechen gefragt sei, die bei der Entstehung und/oder Auswirkung der Unfallfolgen eine Rolle gespielt hätten.264 Selbst wenn zugunsten des VR eine Falschbeantwortung durch den VN unterstellt werden kann, weil der VN massive und aktuelle Krankheiten oder Gebrechen verschwiegen hat, die
258
259 260
KG 25.5.1984 VersR 1986 353, 355 (mit ablehnender Anm. Hellmuth); s.a. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 11; a.A. Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 9; offenbar auch BGH 6.5.1965 VersR 1965 654, 655 f.; BGH 27.2.1964 VersR 1964 475, 477. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 38; ferner Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 11. Lücke VersR 1996 785, 797.
261
262 263 264
BGH 26.10.1988 RuS 1989 5, 6; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 13; Beckmann/ Matusche-Beckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 21. OLG Koblenz 22.6.2001 VersR 2001 1550 = ZfS 2002 32. S. etwa Duden Bd. 8: Das Synonymwörterbuch 3 unter „Erkrankung“. So OLG Hamm 15.2.2008 NJW-RR 2008 1481 f. = RuS 2008 481, 482.
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Unfallversicherung
für den Unfall und seine Folgen relevant sein können, erleichtert jedenfalls die vom VR gewählte weite Formulierung der Frage die Verneinung des Vorsatzes (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 89). • Eine Frage nach „früheren Unfällen oder Kriegsbeschädigungen“ kann als zu unbestimmt angesehen werden; denn der Auskunftspflichtige müsste sämtliche Unfälle zurück bis zur Geburt angeben.265 Es empfiehlt sich deshalb eine zeitliche Grenze (z.B. für einen Zeitraum von fünf Jahren) aufzunehmen. • Die Frage nach ärztlichen Behandlungen „in den letzten Jahren vor dem Unfall“ verlangt dem VN ein Werturteil ab und ist deshalb unzulässig.266 • Hat der VR nach dem Gesundheitszustand der versicherten Person vor dem Unfall gefragt und konnte die Frage nach dem Gesamtzusammenhang so verstanden werden, dass nur Angaben zum unmittelbar vor dem Unfall liegenden Zeitraum zu machen sind, so braucht die versicherte Person keine Beschwerden angeben, die auf einer zwölf Jahre zurückliegenden Verletzung beruhten und deren Beschwerden 2 bis 3 Jahre vor dem Versicherungsfall völlig abgeklungen waren.267
71
e) Beantwortungspflicht. Grundsätzlich liegt eine Obliegenheitsverletzung vor, wenn der Auskunftspflichtige die zugegangene Unfallanzeige (ganz oder teilweise) nicht ausfüllt bzw. offen lässt und (sachdienliche Fragen unbeantwortet) an den VR zurücksendet.268 Entsprechendes wie für die Nichtbeantwortung kommt für die Erklärung mit Nichtwissen (z.B. durch Vermerk eines Fragezeichens im Antwortfeld) in Betracht,269 wenn der VN Kenntnis der fraglichen Tatsache270 oder jedenfalls einen – über bloße Spekulation hinausgehenden – (starken oder konkreten) Verdacht hat.271 Anderes gilt dagegen, wenn die Ausfüllung des Unfallanzeigeformulars sich als nutzlose Förmlichkeit darstellt.272 Besteht beim VN Unsicherheit darüber, ob ein Umstand anzugeben ist oder nicht, so muss er dies zum Ausdruck bringen. Von einem redlichen VN ist zu erwarten, dass er von Anfang an auf Unsicherheiten und Erinnerungslücken hinweist und keinesfalls Behauptungen aufstellt, die objektiv wahrheitswidrig sind.273 Die Unfallschadensanzeige ist nicht deshalb überflüssig, weil der VR vom Unfall 72 unterrichtet worden ist. Die Unterrichtung ist im Regelfall als Unfallanzeige untauglich, da sie typischerweise zu wenige Einzelheiten über den Unfall und seine Folgen enthält.274 Anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die vom VR in der Unfallanzeige gestellten Fragen vom VN oder der versicherten Person bereits mit der Unterrichtung nach Ziff. 7.1 AUB 99/2008 vollständig beantwortet sind. In diesem Fall ist eine erneute Auskunft nicht erforderlich,275 und zwar auch dann nicht, wenn die Unfallmeldung in freier Form erfolgt ist. In diesem Fall ist das Interesse des VR an Informationen und Beweissicherung in ausreichender Weise Genüge getan. Weitere Angaben brauchen nur gemacht zu werden, wenn sie vom VR verlangt und sachdienlich sind.276 Stellt sich nach einer Informationsverweigerung heraus, dass die vorhergehende Unterrichtung durch den VN bzw. die
265 266 267 268
In diese Richtung OLG Nürnberg 18.4.1996 RuS 1997 305 = VersR 1997 1137 (LS). So OLG Nürnberg 18.4.1996 RuS 1997 305 = VersR 1997 1137 (LS). OLG Hamm 5.1.1996 RuS 1996 506, 507. BGH 20.12.1968 VersR 1969 214 f.; OLG Frankfurt/M. 20.2.1992 VersR 1992 1458; OLG Frankfurt/M. 3.12.1981 VersR 1983 390; OLG Hamm 16.8.1989 RuS 1990 34, 35; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 15; Beckmann/Matusche-Beckmann/ Marlow 2 § 13 Rn. 35.
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269 270 271 272 273 274 275 276
Römer/Langheid 2 § 34 Rn. 7. OLG Hamm 22.6.1998 RuS 1998 363 f.; OLG Köln 21.3.1985 RuS 1985 262. LG Hanau 16.4.1985 VersR 1986 1093, 1094; Prölss/Martin/Prölss 27 § 34 Rn. 8. OLG Hamm 16.8.1989 RuS 1990 34, 35. OGH 29.5.2000 VersR 2001 1183, 1184. OLG Frankfurt/M. 20.2.1992 VersR 1992 1458. A.A. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 16. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 11.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
versicherte Person nicht dazu ausreicht, das mit der Unfallanzeige verfolgte (berechtigte) Aufklärungsinteresse des VR (vollständig) zu befriedigen, so geht dies zu Lasten des VN. So liegt insbesondere der Fall, in dem das Unfallanzeigeformular gegenüber den dem VR bereits bekannten Informationen weitergehende Fragen enthält. Kann der VN indes davon ausgehen, dass der VR bereits hinreichend informiert ist, so kommt fehlendes Verschulden in Betracht.277 Die Auskunftspflicht des VN erschöpft sich nicht in der formalistischen Beantwor- 73 tung des Wortlauts der gestellten Frage. Zu berücksichtigen ist auch ihr Sinn und Zweck, vorausgesetzt dieser erschließt sich einem durchschnittlichen VN, der keine besonderen versicherungsrechtlichen Kenntnisse hat (Vorbem. Ziff. 1 AUB 2008 Rn. 57). Der VN genügt seiner Auskunftspflicht insbesondere dann nicht, wenn der Sachverhalt – für ihn erkennbar – von den üblichen Umständen der Schadensfälle abweicht, die die Grundlage standardisierter Fragen bilden.278 Der VN kann auch ausnahmsweise gehalten sein, ungefragt Auskünfte zu erteilen (s.a. Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 39), wenn für jedermann erkennbar das Aufklärungsinteresse des VR in ganz elementarer Weise berührt ist.279 Unvollständige oder missverständliche Fragen gehen jedoch in aller Regel zu Lasten des VR (Rn. 76). f) Erkundigungs- und Nachforschungspflicht. Anders als bei Anzeigeobliegenheiten 74 kommt es bei der Auskunftsobliegenheit nicht darauf an, ob der Auskunftspflichtige das zu vermittelnde Wissen bereits selbst hat. Er muss sich in den Grenzen des § 242 BGB über die Tatsachen, zu denen der VR berechtigt Auskunft verlangt, ggf. erkundigen und Informationen beschaffen.280 Das Beibringen von Belegen als Realakt kann der VR insoweit verlangen, als deren Beschaffung dem VN billigerweise zugemutet werden kann (§ 31 Abs. 1 S. 2; entspricht § 34 Abs. 2 a.F.). Dies setzt voraus, dass die Belege für die Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht relevant bzw. sachdienlich sind.281 Der VN wird typischerweise ein Interesse daran haben, dem VR beweiskräftige Unterlagen (im Original) zu liefern. Dadurch kann er nicht nur seiner Beweislast für den Unfall und die Unfallfolgen nachkommen, sondern auch die zügige Leistungsregulierung fördern. Zumutbar sind etwa das Heraussuchen abgelegter Unterlagen und die Beschaffung von Urkunden, die sich im Besitz Dritter befinden.282 Unzumutbar ist es dagegen, wenn der VR vom VN die Beibringung von polizei- bzw. staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten verlangt (§ 187 Rn. 20). Des Weiteren ist der VN nicht verpflichtet, dem VR Einblick in die Rentenakten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu verschaffen.283 Keine Obliegenheitsverletzung liegt weiterhin vor, wenn offenkundig Unmögliches verlangt wird oder die Beschaffung für den VN mit einem wirtschaftlich sinnlosen Aufwand verbunden ist.284
277 278
279 280
OLG Karlsruhe 19.12.1996 VersR 1996 45 f. BGH 21.4.1993 VersR 1993 828, 829; OLG Hamm 28.6.2000 VersR 2001 709, 710 = NVersZ 2001 120, 121 = RuS 2001 347, 348; Prölss/Martin/Prölss 27 § 34 Rn. 10. Römer/Langheid 2 § 34 Rn. 7. BGH 21.4.1993 VersR 1993 828, 829 (mit ablehnender Anm. Lücke, VersR 1993 1098, 1099; s.a. Lücke VersR 1996 785, 798 f.);
281 282 283 284
OLG Celle 5.7.1989 VersR 1990 376; OLG Köln 29.4.1997 VersR 1997 1395 f.; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 12; Prölss VersR 2008 673, 674; Prölss/Martin/ Prölss 27 § 34 Rn. 4. Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 21. Römer/Langheid 2 § 34 Rn. 11. OLG Hamm 11.12.1991 VersR 1993 600, 601. LG Kiel 14.5.1971 VersR 1972 871 f.; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 22.
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Unfallversicherung
75
g) Wahrheitspflicht. „Wahrheitsgemäß“ bedeutet vollständig und zutreffend 285 bzw. richtig und lückenlos.286 Jede Verschleierung des Sachverhalts oder seiner Begleitumstände verstößt gegen die Aufklärungsobliegenheit.287 „An sich“ zutreffende Antworten können irreführend sein, wenn relevante Informationen verschwiegen werden.288 Zur Verneinung einer Frage genügt die Vornahme eines Strichs.289 Er ist nicht nur mit der fehlenden Beantwortung einer Frage gleichzusetzen.290
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aa) Gegenstand der Wahrheitspflicht. Die Wahrheitspflicht erstreckt sich nur auf die vom VR gestellten Fragen.291 Es ist grundsätzlich Sache des VR zu beurteilen, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, um seine Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu können.292 Der VN wird häufig gar nicht beurteilen können, ob und welche Informationen der VR im Einzelnen benötigt. Müsste er von sich aus die Initiative ergreifen, dann könnte dies dazu führen, dass der VR vom gewissenhaft handelnden VN mit einer Vielzahl überflüssiger Angaben eingedeckt würde, ohne dass zugleich Vollständigkeit der für die Leistungsentscheidung relevanten Informationen sicher gestellt wäre.293 Daraus folgt, dass für den VN keine allgemeine Aufklärungspflicht besteht.294 Er muss keine Angaben, die die Leistungspflicht des VR betreffen bzw. für den Grund und die Höhe des Versicherungsanspruchs wesentlich sind, unaufgefordert (von sich aus) zu machen.295 Vielmehr darf der VN abwarten, bis der VR an ihn herantritt und die aus seiner Sicht für die Leistungsregulierung benötigten Informationen anfordert.296 Erstellt und übersendet der VR einen vorgefertigten Fragebogen, so übernimmt er die Verantwortung dafür, dass möglicherweise relevante Fragen (zu diesem Zeitpunkt) ungeklärt bleiben.297 Der VN und die versicherte Person begehen folglich keine Obliegenheitsverletzung, wenn sie ungefragte Umstände nicht erwähnen. Entsprechendes gilt, wenn der Fragebogen Anlass zu Fehlinterpretationen oder Missverständnissen gibt. Indes darf auch keine formalistische Betrachtung an den Tag gelegt werden; dem erkennbaren Sinn und Zweck der Aufklärungsobliegenheit ist Rechnung zu tragen. Der Auskunftspflichtige hat die Fragen des VR auch unter Berücksichtigung ihres erkennbaren Sinns auszulegen (s.a. Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 35).298
77
bb) Verletzung der Wahrheitspflicht. Nur wahrheitsgemäße Angaben gewährleisten eine sachgerechte und vertragskonforme Leistungsregulierung. Gleichgültig ist für die
285 286 287 288
289
Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 14; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 11. OLG Saarbrücken 6.12.1989 VersR 1990 1142. LG Berlin 22.3.2007 RuS 2008 101. LG Hanau 16.4.1985 VersR 1986 1093, 1094; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 14; Beispielsfall: BGH 9.11.1977 VersR 1978 74, 76 f. (zur Feuerversicherung). OLG Bremen 29.7.1997 VersR 1998 1149 f.; OLG Hamm 27.6.1986 RuS 1986 267; OLG Köln 5.7.1990 VersR 1991 766, 767; OLG München 30.12.1976 VersR 1977 539, 540; LG Aachen 6.12.1985 RuS 1986 107, 108; LG Stuttgart 9.6.1989 ZfS 1989 426; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 14.
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290 291 292 293 294 295 296 297
298
LG München I 11.4.2001 RuS 2003 120, 121. OLG Karlsruhe 1.4.1999 RuS 1999 447, 448. BGH 16.11.2005 NJW-RR 2006 460, 461 Rn. 14 zu § 20 Nr. 1d VGB 88. BGH 11.6.1976 VersR 1976 821, 823. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 17. BGH 21.4.1993 VersR 1993 828; BGH 11.6.1976 VersR 1976 821, 823. BGH 16.11.2005 NJW-RR 2006 460, 461 Rn. 16 zu § 20 Nr. 1d VGB 88. Bruck/Möller/Wagner 8 Bd. VI 1 Anm. F 38; ferner Beckmann/Matusche-Beckmann/ Mangen 2 § 47 Rn. 140. Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 158.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
ordnungsgemäße Erfüllung der Aufklärungsobliegenheit, ob die anzugebenden Tatsachen für den Leistungsanspruch des VN vorteilhaft oder nachteilig sind. Müsste der VN nur die ihm günstigen oder subjektiv genehmen Tatsachen angeben, würde der Zweck der Aufklärungsobliegenheit vereitelt. Gerade in der Feststellung solcher Umstände, aus denen sich eine Leistungsfreiheit gegenüber dem VN bzw. ein Anspruchsverlust des VN ergeben kann, entfaltet sich die Bedeutung der Obliegenheit; denn zur Ermittlung der ihm günstigen Tatsachen (insbesondere Anspruchsvoraussetzungen) wird der VN schon im eigenen Interesse beitragen. Der VN hat daher auf entsprechendes Verlangen auch solche Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu offenbaren, die seinen eigenen Interessen widerstreiten, weil sie dem VR erst ermöglichen, sich auf Leistungsfreiheit (z.B. bestimmte Ausschlusstatbestände) zu berufen.299 Es ist ein objektiv-abstrakter Maßstab anzulegen bzw. auf den objektiven Erklärungs- 78 wert aus Sicht eines verständigen VR abzustellen und eine Momentaufnahme vorzunehmen. Auf die subjektive Auffassung des Aufklärungspflichtigen bzw. seine Motive kommt es nicht an.300 Eine subjektive Bewertung des VN zu den Fakten, die er dem VR weitergeben will, hätte eine Aushöhlung der Aufklärungsobliegenheit zur Folge. Vielmehr muss es dem VR überlassen bleiben, welche Umstände erheblich sind und wie mit ihnen umzugehen ist.301 Unterlassene, unvollständige oder falsche Angaben sind nicht deshalb unbeachtlich, gerechtfertigt bzw. entschuldigt, weil z.B. • die Erfüllung der Wahrheitspflicht der versicherten Person peinlich bzw. unangenehm ist. Ggf. sind auch Angaben über das Privatleben zu machen, vorausgesetzt die zu beantwortenden Fragen sind abstrakt zur Aufklärung des Schadensereignisses geeignet und zielen – bei objektiver Beurteilung – nicht auf eine sachfremde Verletzung des Intimbereichs ab.302 • ordnungsgemäße Mitteilungen beim VN zu einem Interessenkonflikt führen, insbesondere den VN oder eine ihm nahe stehenden Person der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder sonstiger Nachteile (z.B. Entzug der Fahrerlaubnis, Beschlagnahme) aussetzen.303 Die Aufklärungsobliegenheit bzw. Wahrheitspflicht entfällt nicht wegen eines (vermeintlich) unzumutbaren Zwangs zur Selbstanzeige.304 Ein eigenes Verschulden am Unfallereignis darf grundsätzlich nicht verschwiegen werden.305 Gleiches gilt, wenn der VN eine ihm nahe stehende Person vor Strafverfolgung schützen will und sich deshalb selbst belastet.306 Zwar ist der Auskunftspflichtige im Straf- bzw. Ermittlungsverfahren zu wahrheitsgemäßen Angaben und zur (wirklichen oder scheinbaren) Selbstbelastung nicht verpflichtet. Jedoch entbinden ihn diese strafprozessualen Grundsätze nicht von der versicherungsrechtlichen Obliegenheit, gegenüber dem VR die uneingeschränkte Wahrheit zu sagen,307 zumal der VR den VN im Strafprozess nicht (von sich aus) belasten darf, wenn dieser sich dort mit einer anderen Darstellung oder durch Schweigen zu verteidigen sucht.308 Der VN muss sich eigenverantwortlich entscheiden, ob ihm der Versicherungsschutz oder der Schutz
299
300
301 302 303
BGH 16.11.2005 NJW-RR 2006 460, 461 Rn. 13; BGH 1.12.1999 VersR 2000 222, 223. OLG Düsseldorf 31.10.1961 VersR 1962 345, 346; OLG Kassel 1.10.1953 VersR 1953 443, 444. LG Hanau 16.4.1985 VersR 1986 1093, 1094. OGH 12.9.1974 VersR 1975 554, 555. S. nur BGH 12.3.1976 VersR 1976 383, 384; BGH 16.2.1967 BGHZ 47 101, 105 f. = VersR 1967 441, 442 = NJW 1967 1226, 1228; OLG Hamm 9.5.1958 NJW 1958 1498 f.; OLG Kassel 1.10.1953 VersR 1953
304
305 306 307 308
443, 444; OLG Saarbrücken 30.4.2008 VersR 2008 1643 f. = RuS 2008 465, 466; LG Hanau 16.4.1985 VersR 1986 1093, 1094; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 13; Prölss/Martin/Prölss 27 § 34 Rn. 21. Jeweils zu § 142 StGB: BGH 1.12.1999 VersR 2000 222, 223; OLG Köln 24.11.1998 VersR 1999 963; LG Frankfurt/M. 17.2.1994 VersR 1994 1414, 1415. Wussow/Pürckhauer 6 § 9 Rn. 16. OLG Düsseldorf 31.10.1961 VersR 1962 345, 346. BGH 9.11.1977 VersR 1978 74, 77. BGH 12.3.1976 VersR 1976 383, 384.
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AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
vor Strafverfolgung wichtiger ist.309 Wenn der VN einer Konfliktlage infolge eines drohenden Strafverfahrens entgehen will, darf er eben den VR nicht in Anspruch nehmen. Tut er es dennoch, so muss er die Wahrheit sagen, auch wenn er sich selbst (oder andere) damit belastet.310 Anderenfalls würde das Ziel der Aufklärungsobliegenheit, dem VR eine sachgerechte Leistungsregulierung zu ermöglichen, in ihr Gegenteil verkehrt. Der VN hätte ein Recht zur Lüge. Die Aufklärungsobliegenheit würde praktisch außer Kraft gesetzt. • sich die Versäumnisse nach dem Abschluss der Prüfung als für die Beurteilung der Leistungspflicht des VR tatsächlich als unwesentlich erweisen311 oder i.E. nicht rechtserheblich sind,312 weil z.B. die Haftungslage eindeutig ist.313 Entscheidend ist die abstrakte Gefährdung der Interessen des VR. Eine fehlende Beeinträchtigung der konkreten Interessen des VR kann im Rahmen der Kausalitätsprüfung berücksichtigt werden (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 29 ff.). • das Fehlverhalten dem geltend gemachten Versicherungsanspruch des VN zum Nachteil gereicht (bzw. gereichen könnte).314
79
Die Verletzung der Wahrheitspflicht setzt auf der Ebene des objektiven Tatbestands – genauso wie bei der Unterrichtungsobliegenheit – voraus, dass der Auskunftspflichtige die zu erteilende Information kennt.315 Anderenfalls würde ihm Unmögliches abverlangt werden.316 Ausreichend, aber auch notwendig ist bereits die Kenntnis des VN von Tatsachen, die die Möglichkeit einer Aufklärung der für den VR relevanten Umstände so nahe legen, dass eine an der Aufklärung interessierte Person ihnen nachgegangen wäre;317 denn die Auskunftsobliegenheit des VN geht Hand in Hand mit einer (innerhalb der Grenzen der Zumutbarkeit liegenden) Erkundigungsobliegenheit (Rn. 74). Die Kenntnis der Ungewissheit ist in einem solchen Fall mit der Kenntnis der Unrichtigkeit gleichzusetzen.318 Die Kenntnis des VN muss sich auf die anzugebende Tatsache erstrecken. Die Mitteilung bloßer Verdächtigungen gehört nicht zur Erfüllung der Aufklärungsobliegenheit.319 Anderes gilt für Verdachtsmomente, die über reine Spekulationen oder Vermutungen hinausgehen und deren Relevanz bzw. Informationswert für den VR dem verständigen VN ohne weiteres ersichtlich ist. Für den objektiven Tatbestand ist dagegen unerheblich, ob der Auskunftspflichtige auch Kenntnis von der Obliegenheit als solche hat; dieser Punkt ist Gegenstand der Verschuldensprüfung. Fehlt es an der erforderlichen Kenntnis des VN von den mitzuteilenden Umständen, kommt es auf eine Verschuldensprüfung nicht mehr an. Die Einordnung des Erfordernisses erlangt dadurch durchaus praktische Relevanz; denn der VR muss die objektiven Voraussetzungen der Obliegenheitsverletzung beweisen (Rn. 182). Zwar muss der VR nach der VVG-Reform 2008 auch Vorsatz des VN beweisen. Jedoch trägt der VN die Beweislast für fehlende grobe Fahrlässigkeit (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 127). Kann mithin der VR die Kenntnis des VN von den mitzuteilenden Umständen nicht beweisen, kommt der VN bei im Raum stehender grober Fahrlässigkeit gar nicht erst in die Verlegenheit, sich exculpieren zu müssen.320
309 310 311 312 313 314
315
LG Frankfurt/M. 17.2.1994 VersR 1994 1414, 1415. BGH 25.10.1952 VersR 1952 428, 429. BGH 16.11.2005 NJW-RR 2006 460, 461 Rn. 14. OLG Hamm 27.1.1984 VersR 1984 931, 932. BGH 1.12.1999 VersR 2000 222 f. BGH 16.2.1967 BGHZ 47 101, 106 f.; OGH 18.3.1976 VersR 1979 560; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 15; Prölss/ Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 12. OLG Karlsruhe 18.10.2007 VersR 2008
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316
317 318 319 320
250 = NJW-RR 2008 44 = RuS 2008 149, 150; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 156; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 20. BGH 12.12.2007 VersR 2008 484 Rn. 4 = NJW-RR 2008 623, 624 = RuS 2008 186, 187; BGH 13.12.2006 VersR 2007 389, 390 Rn. 14 = RuS 2007 93, 94. Prölss VersR 2008 673, 674. OLG Köln 2.9.2008 VersR 2009 215, 216. BGH 21.1.1998 VersR 1998 447, 448. Prölss VersR 2008 673, 674.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
Weiterhin ist eine Verletzungshandlung bzw. ein Tun oder Unterlassen des Auskunfts- 80 pflichtigen erforderlich. Schädlich sind falsche oder unterlassene Angaben. Eine Obliegenheitsverletzung liegt aber auch bei bewussten Angaben ins Blaue hinein vor.321 Die Wahrheitspflicht ist verletzt, wenn die versicherte Person trotz entsprechender (sachdienlicher) Fragen des VR322 • weitere Unfallversicherungen nicht oder nur unvollständig angibt bzw. verschweigt 323 oder das Vorhandensein weiterer Unfallversicherungen verneint.324 Auch wenn der VN die Frage nach anderweitig bestehenden Unfallversicherungsverträgen im Versicherungsantrag beantwortet hat, muss er sie in der Unfallschadenanzeige erneut mitteilen.325 Es liegt auf der Hand, dass zwischenzeitlich Änderungen eingetreten sein können.326 Wahrheitswidrig ist es des Weiteren, wenn der VN die Frage nach weiteren Unfallversicherungen mit „ja bekannt“ beantwortet, er gegenüber dem fragenden VR in der Vergangenheit aber nur zwei von sechs bestehenden Unfallversicherungen genannt hat.327 • wegen des Unfalls bereits von anderen VR gezahlte Versicherungsleistungen nicht angibt.328 • weitere (frühere) Unfälle nicht oder nur unvollständig angibt.329 Dies gilt auch für den Fall, dass der Auskunftspflichtige zwar die Frage nach früheren Unfällen bejaht, dann aber jede nähere Präzisierung unterlässt und den falschen Eindruck hervorzurufen sucht, es habe sich um belanglose Dinge gehandelt.330 Wenn Ärzte den VN auf einen früheren Unfall hingewiesen haben, an den der VN sich nicht erinnern kann, darf der VN die Frage nach einem Vorunfall nicht schlicht verneinen. Er hat die Frage vielmehr entweder offen zu lassen oder seine Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Vorunfalls in das Anzeigeformular einzutragen.331 • Vorverletzungen oder Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes)332 bzw. zum Zeitpunkt des Unfalls bestehende Leiden, Gebrechen oder Krankheiten verschweigt.333 Folgerichtig hat der VN die ungünstigen Abweichungen vom Normalbefund mitzuteilen, die ihn veranlassen, wegen hart-
321
322 323
324
325
OLG Karlsruhe 18.10.2007 VersR 2008 250 = NJW-RR 2008 44 = RuS 2008 149, 150; OLG Köln 2.9.2008 VersR 2009 215, 216. S.a. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 13. BGH 24.6.1981 VersR 1982 182, 183; OLG Frankfurt/M. 13.5.1992 VersR 1993 344; OLG Frankfurt/M. 14.4.1988 RuS 1990 395 (LS); OLG Frankfurt/M. 3.12.1981 VersR 1983 390; OLG Karlsruhe 16.1.1997 VersR 1997 955; OLG Köln 7.6.1984 VersR 1986 544; OLG Oldenburg 19.3.1984 ZfS 1985 249; OLG Saarbrücken 28.2.1990 VersR 1990 1143 f.; OLG Saarbrücken 18.6.1985 VersR 1987 98, 99. OLG Hamm 16.8.1989 RuS 1990 34, 35; OLG Koblenz 14.1.2005 VersR 2005 1524 = RuS 2006 298 (LS); OLG Köln 9.2.1995 VersR 1995 1435, 1436; OLG Köln 10.11.1986 RuS 1987 82; OLG München 28.9.1999 RuS 2000 392, 393; OLG Saarbrücken 22.11.2006 VersR 2007 977 = RuS 2007 336; OLG Stuttgart 24.6.1975 VersR 1979 366, 367. OLG Frankfurt/M. 13.5.1992 VersR 1993 344; OLG Frankfurt/M. 5.12.1991 VersR
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332 333
1993 343, 344; Wussow VersR 2003 1481, 1485. OLG Saarbrücken 31.7.1992 VersR 1993 569, 570. OLG Saarbrücken 6.12.1989 VersR 1990 1142. OLG Frankfurt/M. 13.5.1992 VersR 1993 344; OLG Köln 25.5.1987 RuS 1988 243. OLG Oldenburg 19.3.1984 ZfS 1985 249; LG Mainz 25.6.1991 ZfS 1992 237. OLG Koblenz 22.10.1982 RuS 1983 115, 116. OLG Hamm 28.6.2000 VersR 2001 709, 710 = NVersZ 2001 120, 121 = RuS 2001 347, 348; Grimm 4 Ziff. 8 AUB 99 Rn. 2. LG Köln 26.2.2008 RuS 2009 76. OLG Hamm 30.10.1985 VersR 1987 403 (LS); OLG München 11.4.1994 RuS 1995 39 (LS); OLG Oldenburg 19.3.1984 ZfS 1985 249; LG Mainz 25.6.1991 ZfS 1992 237 = VersR 1992 1458 (LS); LG Ravensburg 17.4.1958 VersR 1958 558; LG Regensburg 21.4.2004 RuS 2005 124 (LS); LG Stuttgart 9.6.1989 ZfS 1989 426; LG Wiesbaden 10.6.1986 RuS 1987 356.
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• • • • •
•
Unfallversicherung
näckiger, andauernder Beschwerden ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.334 Weiterhin verhält sich der VN wahrheitswidrig, wenn er die Frage in der Schadensanzeige nach Vorerkrankungen oder Vorunfällen lediglich mit einem Hinweis auf den behandelnden Arzt beantwortet.335 eine Berufsgenossenschaftrente nicht angibt und die Folgen eines vorangegangenen Arbeitsunfalls nur unvollständig schildert.336 unrichtige oder unvollständige Angaben zu den behandelnden Ärzten macht.337 längere ärztliche Behandlungen oder stationäre Aufenthalte verschweigt.338 den Unfallhergang oder die Unfallursache verschleiert339 oder Falschangaben zum Unfalltag, zur Unfallzeit oder zum Unfallverlauf macht.340 Alkoholkonsum tatsachenwidrig verneint oder falsche Angaben darüber macht.341 Unerheblich ist, ob dem Anzeigenden die Menge des genossenen Alkohols bekannt war, sofern der Alkoholgenuss als solcher feststeht.342 unfallbeteiligte (Zeugen) nicht angibt.343 Entsprechendes gilt, wenn der VN zunächst im Gespräch mit einem Mitarbeiter des VR Zeugen erwähnt, deren Namen dann aber trotz ausdrücklicher Aufforderung des VR nicht mitteilt (oder diese erst im späteren Prozess benennt).344
Indes muss nach dem Sinn und Zweck der Auskunftspflicht nicht jede Bagatellerkrankung bzw. -verletzung angegeben werden. Das Risiko einer Fehlbeurteilung trägt dabei der Anzeigepflichtige (Rn. 101). Die Bagatellgrenze ist z.B. überschritten, wenn die Verletzung länger zurückliegt und dem VN immer noch Probleme bereitet oder über einen längeren Zeitraum regelmäßig ärztlich behandelt wird.345 Ist eine Verletzung oder Vorerkrankung folgenlos ausgeheilt, bedeutet dies nicht, dass sie nicht anzuzeigen wäre. Jedoch kann dieser Umstand in der Kausalitäts- und Verschuldensprüfung zu berücksichtigen sein.
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cc) Nachfrageobliegenheit des VR. Bei Unklarheiten, Widersprüchen, offenkundigen Unrichtigkeiten oder dem Nichtbeantworten einer Formularfrage kann für den VR – ebenso wie nach Erhalt der Unterrichtung nach Ziff. 7.1 AUB 99/2008 (Rn. 52) oder im Rahmen der vorvertraglichen Anzeigepflicht (Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 102 ff.) – eine Nachfrageobliegenheit bestehen.346 Verletzt er sie, kann er keine Leistungsfreiheit (bzw. Leistungskürzung) wegen Obliegenheitsverletzung herleiten.347 Indes darf die Nach-
334 335
336 337 338
339 340 341
OLG Hamm 11.11.1988 RuS 1989 167, 168; Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 12. OLG Saarbrücken 12.3.2003 NJW-RR 2003 814, 816 (zum Urteil auch Marlow RuS 2004 353, 361 f.). OLG Hamm 30.10.1985 VersR 1987 403 (LS). LG Stuttgart 9.6.1989 ZfS 1989 426. OLG Koblenz 22.10.1982 RuS 1983 115, 116; LG Arnsberg 21.8.2003 VersR 2004 1405, 1406; LG Ravensburg 17.4.1958 VersR 1958 558; LG Wiesbaden 10.6.1986 RuS 1987 356. OLG Bamberg 11.1.1971 VersR 1972 1162, 1163 (zur Kfz-Haftpflichtversicherung). OLG Hamm 31.3.1971 VersR 1972 1164. BGH 14.12.1967 VersR 1968 185; BGH 11.3.1965 VersR 1965 451, 452; BGH 13.6.1957 BGHZ 24 378, 386; OLG Saarbrücken 12.7.2006 RuS 2007 298, 299.
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OLG Hamm 27.1.1984 VersR 1984 931, 932. BGH 15.11.1965 VersR 1965 1190, 1191; LG Flensburg 19.8.1986 VersR 1988 263. OLG Hamm 8.1.1986 VersR 1986 882 (LS). LG Regensburg 21.4.2004 RuS 2005 124 (LS). So etwa OLG Hamm 23.1.2008 VersR 2008 958, 959; OLG Karlsruhe 6.8.1998 RuS 1999 169, 170; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 159; Rüffer/Halbach/Schimikowski Ziff. 7 AUB 2008 Rn. 5; a.A. Prölss/ Martin/Prölss 27 § 34 Rn. 9. BGH 6.11.1996 RuS 1997 84; OLG Hamm 18.2.2000 VersR 2001 1419, 1420; OLG Köln 2.12.1997 RuS 1998 102, 103; Prölss/Martin/Knappmann 27 § 9 AUB 94 Rn. 2; Lücke VersR 1996 785, 798.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
forschungsobliegenheit des VR nicht pauschal bejaht werden.348 Voraussetzung ist vielmehr, dass für den VR erkennbarer Anlass für eine Nachfrage und Beratung des VN besteht (§ 6 Abs. 4 S. 1) 349 oder Treu und Glauben ein Tätigwerden des VR gegenüber dem Anzeigepflichtigen gebieten (§ 242 BGB). Anlass für eine Nachfrage durch den VR besteht, wenn sich aus der Schadensanzeige selbst (oder aus anderen Quellen wie z.B. aus den der Schadenanzeige beigefügten Unterlagen) 350 konkrete Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit, Unrichtigkeit oder Unklarheit ergeben 351 und nicht ersichtlich ist, dass der Anzeigepflichtige etwas bewusst verheimlicht oder verschleiert. Hat der VN vielmehr für den verständigen VR erkennbar eine Frage missverstanden oder liegt ein offensichtliches Versehen des Anzeigepflichtigen vor, so ist der VR gehalten, den Sachverhalt weiter aufzuklären. So können z.B. die Fälle gelagert sein, in denen • Fragen (gänzlich) offen gelassen werden.352 Eine Nachfragepflicht des VR besteht hier jedenfalls dann, wenn der Sachbearbeiter nicht erkennen kann, aus welchen Gründen die Frage unbeantwortet geblieben ist 353 und z.B. ein Flüchtigkeitsfehler oder schlichtes Überlesen der Frage nicht ausgeschlossen werden kann. Keine Nachfragepflicht ist dagegen anzunehmen, wenn der VR bei objektiver Betrachtung davon ausgehen darf, dass der VN die Antwort bewusst unbeantwortet gelassen hat. Dies kommt grundsätzlich in Betracht, wenn der VN in einer nicht zu übersehenden Weise auf die Rechtsfolgen hingewiesen worden ist, mit denen er bei einem bewusst unrichtig oder unvollständig erstatteten Schadenbericht rechnen muss. In einem solchen Fall braucht der VR selbst dann nicht zu einer Berichtigung oder Ergänzung der Angaben zu einer für den VN offensichtlich bedeutsamen Frage auffordern, wenn die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des VN für den VR offensichtlich ist.354 • der VN seine Angabe unter einen Vorbehalt gestellt hat, dessen Reichweite aus dem Formular noch nicht ausreichend hervorgeht.355 • der VN ersichtlich davon ausgeht, dass der VR die fraglichen Informationen schon hat.356 • (für den VR erkennbar) der VN einem Irrtum unterliegt357 bzw. ihm ein Fehler unterläuft,358 der „ungewollt“ sein kann.
In solchen Fällen kann der VR durch einfache Nachfrage Klarheit herbeiführen. Es wäre dann treuwidrig, wenn der VR eine Frage, auf deren Beantwortung es ankommt, in der Schwebe lässt, um später daraus zu gegebener Zeit Sanktionen herzuleiten.359 Des Weiteren kann die Nichtbeantwortung einer Frage in der Schadenanzeige – nach umstrittener Ansicht (s.a. Ziff. 13 AUB 2008 Rn. 85) – nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände mit einer Verneinung gleichgesetzt werden. „Ein Nichts bleibt ein Nichts“ und hat dementsprechend keinen Erklärungswert.360 Kein Anlass für eine Nachfrage ist dagegen regelmäßig u.a. dann geben, wenn der Anzeigepflichtige 348 349 350 351
352
So aber noch BGH 21.12.1961VersR 1962 153, 155. So bereits auch OLG Saarbrücken 18.6.1985 VersR 1987 98, 99. OLG Brandenburg 27.6.2007 RuS 2008 325. OLG Düsseldorf 24.6.2008 RuS 2009 368, 369; KG 15.10.2002 VersR 2003 1119, 1120. OLG Köln 21.1.1997 VersR 1997 962; OLG Köln 2.12.1997 RuS 1998 102, 103; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 23; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 43; wohl auch OLG Saarbrücken 18.6.1985 VersR 1987 98, 99; a.A. OLG Frankfurt/M.
353 354
355 356 357 358 359 360
14.4.1988 RuS 1990 395 (LS); Römer/ Langheid 2 § 34 Rn. 9. OLG Hamm 8.2.1995 VersR 1996 53. BGH 20.12.1968 VersR 1969 214, 215 in Abweichung zu BGH 21.12.1961VersR 1962 153, 154 f. BGH 6.11.1996 RuS 1997 84. BGH 11.6.1976 VersR 1976 821, 824 f. Prölss/Martin/Prölss 27 § 34 Rn. 13. BGH 14.11.1979 VersR 1980 159, 160. OLG Hamm 8.2.1995 VersR 1996 53. OLG Köln 21.1.1997 VersR 1997 962; zust. Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 23; a.A. Römer/Langheid 2 § 34 Rn. 9.
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• eine Frage schlicht (ohne Erläuterungen oder Zusätze) verneint, wofür die Vornahme eines Strichs ausreicht. Hier besteht typischerweise kein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Missverständnisses oder einer Unvollständigkeit. • die Auskunft verweigert. Dem VR ist durch die Auskunftsverweigerung provozierte „Mehrarbeit“ nicht zuzumuten.361 • die Frage des VR eindeutig beantwortet und der VR aufgrund der ihm vorliegenden Informationen keinen Zweifel an der Richtigkeit der Antwort haben muss.362 • dem VR (erkennbar) vorsätzlich oder arglistig etwas verschweigt.363 Bestünde hier eine Nachfragepflicht des VR, würde Zweck, Rechtfertigung und Grundgedanke der Aufklärungsobliegenheiten verkannt. Es ist Sache des VN, die ihm bekannten Umstände dem VR von sich aus vollständig zu offenbaren.364 Weiß der Anzeigepflichtige, dass er falsche oder unvollständige Angaben macht, bedarf er keiner weiteren Beratung durch den VR, insbesondere dann nicht, wenn das Schadenformular eine Rechtsbelehrung enthält. Treu und Glauben gebieten es nicht, den vorsätzlich vertragswidrig Handelnden zu „bekehren“. Kann dagegen nicht ausgeschlossen werden, dass der VN einem Irrtum oder Missverständnis unterliegt, empfiehlt es sich aus Sicht des VR nachzufragen; denn bis zum Vorliegen eindeutiger Anhaltspunkte für Vorsatz oder Arglist des VN ist von dem Grundsatz auszugehen, dass der VN redlich ist.
Ob der Anzeigepflichtige versehentlich oder vorsätzlich bzw. arglistig unzutreffende oder unvollständige Angaben macht, wird sich häufig erst im Nachhinein unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände beurteilen lassen. Für die Nachfragepflicht des VR ist indes der Zeitpunkt maßgebend, in dem ihm die Schadenanzeige zugeht. Später (z.B. nach Zeugenvernehmungen im Prozess) gewonnene Erkenntnisse zu den Motiven des Anzeigepflichtigen können ihm weder zum Vor- noch zum Nachteil gereichen. Da die subjektive Seite des Anzeigepflichtigen für Außenstehende kaum zu ermitteln ist, kann es zu schwierigen Bewertungsfragen für den VR kommen. Beantwortet z.B. der VN die Frage nach früheren ärztlichen Behandlungen mit der Angabe, seine letzte Behandlung habe im Jahr 1993 stattgefunden und verschweigt er dabei eine frühere Behandlung im Jahr 1987, so folgt die erkennbare Unvollständigkeit der Antwort aus der Formulierung „letzte Behandlung“. Eine Nachfragepflicht des VR dürfte hier im Regelfall bestehen, wenn die unvollständige Angabe des VN in der ersten (allgemeinen) Schadensmeldung enthalten ist. Ein erneutes Nachhaken dürfte dagegen nicht mehr erforderlich sein, wenn der VR – für den VN erkennbar – ergänzend und gesondert zu dem ersten Schadenformular spezielle Vorerkrankungen recherchiert und der VN wiederholt auf Anfrage des VR nur die Behandlung aus dem Jahr 1993, nicht aber die aus dem Jahr 1987 angibt.365 Im Zweifel wird der VR Unklarheiten nicht in der Schwebe lassen können, wenn er nicht Gefahr laufen will, mit der Geltendmachung von Sanktionen infolge der Obliegenheitsverletzung ausgeschlossen zu sein. Fraglich ist, ob der VN schlicht auf das Wissen von Dritten verweisen darf oder 82 gehalten ist, zu von ihm unschwer selbst zu beantwortenden Fragen entsprechende Informationen zu erteilen.366 Unzureichend ist es, wenn der VN die Frage • nach dem Bestehen anderer Unfallversicherungen bejaht und die Frage nach Namen und Anschriften bei anderen Gesellschaften mit einem Verweis auf einen Versicherungsvermittler
361
362 363
Prölss/Martin/Prölss 27 § 34 Rn. 9a; a.A. OLG Hamm 19.12.1997 RuS 1998 233, 234 (ohne Begründung). OLG Hamm 23.1.2008 VersR 2008 958, 959. Offen lassend OLG Hamm 18.2.2000 VersR 2001 1419, 1420.
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366
BGH 17.1.2007 VersR 2007 481, 482 Rn. 22 mit Anm. Langheid VersR 2007 629. So i.E. LG Arnsberg 21.8.2003 VersR 2004 1405, 1406; krit. Marlow RuS 2004 357, 364. Offen lassend OLG Saarbrücken 12.3.2003 NJW-RR 2003 814, 816.
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beantwortet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht alle erfragten VR über den angegebenen Vermittler ermittelt werden können und offen ist, ob der Vermittler freiwillig, umfassend und zutreffend Angaben machen wird.367 • in der Schadensanzeige nach Vorerkrankungen oder Vorunfällen – trotz mehrmaliger Nachfrage des VR – lediglich mit einem Hinweis auf den behandelnden Arzt beantwortet. Bringt der VR mehrfach zum Ausdruck, dass ihm die Verweisung auf den behandelnden Arzt nicht genügt, sondern er Wert darauf legt, selbst vom VN unterrichtet zu werden, liegt eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit vor. Der VN wird nicht überfordert, wenn er alles ihm mögliche zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht des VR beiträgt. Soweit der VN Einzelheiten der ärztlichen Beurteilung seiner gesundheitlichen Entwicklung nicht mehr vollständig oder zutreffend erinnert, kann er dies offen legen und seinem VR anheim stellen, sich etwa erforderlich gehaltene Auskünfte von einer anderen Stelle zu beschaffen. Sich jeglichen Angaben entziehen darf er jedenfalls nicht.368
dd) Kenntnis des VR. Die Kenntnis des VR von den anzeigepflichtigen Umständen 83 kann der Annahme einer Verletzung der Anzeige- bzw. Auskunftsobliegenheit entgegenstehen. Dies gilt indes nicht bei bloßer Erkennbarkeit des wahren Sachverhalts oder Kenntniserlangung des wahren Sachverhalts nach der wahrheitswidrigen Anzeige oder Auskunft. Entscheidend ist, ob der VR im Moment der Verletzung der Wahrheitspflicht bereits positive Kenntnis hat. In diesem Zusammenhang kann es zu Zurechnungsfragen kommen. So ist ggf. zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen sich der VR Kenntnisse von unzuständigen Sachbearbeitern, Versicherungsvermittlern oder anderen Konzerngesellschaften zurechnen lassen muss (dazu Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 28 ff.). VN und versicherte Person können sich nicht dadurch entlasten, dass der VR die 84 erforderlichen Informationen selbst von dritter Seite hätte beschaffen können.369 Unerheblich ist des Weiteren die Möglichkeit des VR, bei Durchsicht der ihm nachträglich vorliegenden Unterlagen, zu Erkenntnissen zu kommen, die die Unrichtigkeit der Angaben in der Schadenanzeige offenkundig werden lassen.370 Die Erkennbarkeit der unrichtigen Angaben räumt den Vorwurf der Obliegenheitsverletzung nicht aus.371 Die Verantwortung für die Erfüllung der Aufklärungspflicht liegt allein beim VN und kann nicht auf den VR abgewälzt werden. Anderenfalls bestünde für den VN ein Recht auf Lüge.372 Folgerichtig ist der VR nicht etwa verpflichtet, seine Archive ohne erkennbaren Anlass (s.a. Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 17 f.) auf frühere (z.B. u.U. viele Jahre zurückliegende) Angaben des VN durchzusehen.373 Vielmehr müssen sich grundsätzlich alle Angaben, die zur Schadensregulierung erforderlich sind, aus der Schadensanzeige (ohne weitere Nachforschungen des VR) entnehmen lassen.374 Eine Ausnahme kommt dann in 367 368 369
OLG Saarbrücken 31.7.1992 VersR 1993 569, 570. OLG Saarbrücken 12.3.2003 NJW-RR 2003 814, 816; s.a. Marlow RuS 2004 353, 361 f. S. nur BGH 11.7.2007 RuS 2007 366, 467 Rn. 16 = NJW 2007 2700, 2701; BGH 26.1.2005 VersR 2005 493, 495; BGH 24.6.1981 VersR 1982 182, 183; OLG Braunschweig 30.11.1994 ZfS 1995 64, 65; OLG Köln 25.4.1995 VersR 1996 449 (LS); OLG München 28.9.1999 RuS 2000 392, 393; OLG Saarbrücken 12.3.2003 NJW-RR 2003 814, 816; OLG Saarbrücken 6.12.1989 VersR 1990
370 371 372 373 374
1142; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 12; Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 19. OLG Frankfurt/M. 15.6.1993 VersR 1994 927. BGH 11.3.1965 VersR 1965 451, 452; BGH 25.10.1952 VersR 1952 428, 429. OLG Kassel 1.10.1953 VersR 1953 443, 444; LG Ravensburg 17.4.1958 VersR 1958 558. OLG Bremen 29.7.1997 VersR 1998 1149, 1150. KG 15.10.2002 VersR 2003 1119, 1120; KG 18.2.1992 VersR 1993 92, 93; zust. BGH 26.1.2005 VersR 2005 493, 495; Marlow RuS 2004 353, 361.
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Betracht, wenn dem zuständigen Sachbearbeiter bei der Bearbeitung des Versicherungsfalls die Informationen aus abgewickelten Schadenfällen tatsächlich vorliegen. Ob dies der Fall ist, hängt indes von Zufälligkeiten ab.375 Dem Tatbestand der objektiven Obliegenheitsverletzung steht nicht entgegen, dass 85 der VR den wahrheitsgemäßen Sachverhalt später noch (z.B. durch Einblick in die Strafakten) anderweitig erfahren hat.376 • § 30 Abs. 2 (§ 33 Abs. 2 a.F.) findet keine Anwendung.377 Die Vorschrift bezieht sich nach ihrem Wortlaut nur auf die Anzeige des Versicherungsfalls, nicht aber auf Aufklärungsobliegenheiten. § 30 Abs. 2 kann auch nicht entsprechend herangezogen werden.378 Der Zweck der Anzeigeobliegenheit, dem VR die frühzeitige Sachverhaltsermittlung und Beweissicherung zu ermöglichen (Rn. 49), lässt sich selbst dann noch erreichen, wenn der VR anderweitig und rechtzeitig vom Eintritt des Versicherungsfalls Kenntnis erlangt hat. Bei einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ist dies nicht unbedingt der Fall. Die Aufklärungsobliegenheit zielt darauf ab, den VR in die Lage zu versetzen, im Rahmen der Leistungsprüfung sachgerechte Entschlüsse fassen zu können (Rn. 90). Hat nun aber der VN unvollständige oder fehlerhafte Angaben in der Unfallanzeige gemacht, so können diese den VR in die falsche Richtung lenken. Nach Erhalt der Unfallanzeige ergriffene (überflüssige bzw. unnötige) Maßnahmen entfallen nicht deshalb, weil der VR später doch noch – u.U. aufgrund mühsamer, zeitaufwändiger oder kostenintensiver Eigenrecherchen – Kenntnis vom wahren Sachverhalt erlangt. Die Leistungsregulierung ist i.E. durch die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit erschwert worden. Der VN kann deshalb nicht davon entbunden werden, (sogleich) wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Vielmehr muss der VR, um sachgemäße Entschlüsse fassen zu können, sich darauf verlassen können, dass der VN von sich aus richtige und lückenlose Angaben über den Versicherungsfall macht. Anderenfalls würde die Aufklärungsobliegenheit in ihr Gegenteil verkehrt und in ein Recht auf Lüge für den unredlichen VN verwandelt.379 Die nach Eingang der Unfallanzeige und vor der Leistungsregulierung erlangte Kenntnis des VR von bestimmten Daten kann allerdings im Rahmen der Kausalitätsprüfung Bedeutung erlangen (§ 28 Abs. 3, Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 38). • Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es nicht, dem VR die Berufung auf die Obliegenheitsverletzung zu versagen, weil er später Kenntnis vom wahren Sachverhalt erlangt hat. Es greifen die Argumente durch, die einer analogen Anwendung des § 30 Abs. 2 entgegenstehen: Den VN trifft eine Aufklärungspflicht; ihm steht kein Recht auf Lüge zu.380
86
Die Annahme einer Obliegenheitsverletzung ist nur dann und solange gerechtfertigt, wie der VR selbst noch keine (sichere) Kenntnis über die angegebenen Umstände besitzt.381 Eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit scheidet mithin aus, wenn dem VR bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der Unfallanzeige (ohne eigene Nachforschungen) die fehlenden bzw. unvollständigen oder falschen Angaben des VN positiv bekannt sind.382 375 376
377
S. z.B. OLG Frankfurt/M. 18.5.1995 VersR 1996 704, 705. BGH 11.7.2007 RuS 2007 366, 367 Rn. 16 = NJW 2007 2700, 2701; BGH 17.1.2007 VersR 2007 481, 482 Rn. 15 zur Uni-Wagnis-Datei mit Anm. Langheid VersR 2007 629; BGH 26.1.2005 VersR 2005 493, 495; BGH 24.6.1981 VersR 1982 182, 183; BGH 15.11.1965 VersR 1965 1190, 1191; BGH 11.3.1965 VersR 1965 451, 452; BGH 25.10.1952 VersR 1952 428, 429; OLG Saarbrücken 6.12.1989 VersR 1990 1142. BGH 15.11.1965 VersR 1965 1190, 1191; Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 27.
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378 379
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382
BGH 26.1.2005 VersR 2005 493, 495; BGH 24.6.1981 VersR 1982 182, 183. BGH 17.1.2007 VersR 2007 481, 482 Rn. 15; BGH 24.6.1981 VersR 1982 182, 183; BGH 25.10.1952 VersR 1952 428, 429; s.a. OLG München 28.9.1999 RuS 2000 392, 393. BGH 24.6.1981 VersR 1982 182, 183. BGH 26.1.2005 VersR 2005 493, 494 f.; OLG Saarbrücken 30.4.2008 VersR 2008 1643, 1644 = RuS 2008 465, 466; Römer/ Langheid 2 § 6 Rn. 20 und 75. OLG Köln 25.4.1995 VersR 1996 449 (LS); Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 22.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
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Fehlt es an einem Aufklärungsbedürfnis des VR, so verletzen unzulängliche Angaben des VN keine schutzwürdigen Interessen des VR, die Sanktionen gegen den VN rechtfertigen würden. Der Sinn und Zweck der Aufklärungsobliegenheit wird nicht verfehlt. Ab (anderweitiger) Kenntniserlangung kann der VR sachgemäße Entschlüsse fassen.383 Jedenfalls ist es nicht primäres Ziel der Anzeige, die Wahrheitsliebe des VN zu erforschen.384 ee) Berichtigung falscher Angaben. Hat der VN (schuldlos oder schuldhaft) eine Aus- 87 kunftsobliegenheit verletzt bzw. erkennt er, dass ein Dritter (z.B. Angehöriger, Versicherungsvertreter oder Sachverständiger) den VR falsch oder unvollständig informiert hat, so trifft ihn bereits nach Treu und Glauben eine Berichtigungspflicht, sobald er den wahren Sachverhalt erfährt.385 Erkennbar irrige Vorstellungen des VR sind richtig zu stellen.386 Es genügt nicht, dass er sich nach umfangreichen Ermittlungen des VR letztlich deren – richtigen – Ergebnissen anschließt.387 Die Aufklärungspflicht erstreckt sich auf die gesamte Dauer des Schadensregulierungsverfahrens. Sie besteht solange, wie noch Verhandlungen über die Leistungsregulierung im Gange sind und der Versicherungsfall noch nicht durch die Leistung des VR abgeschlossen ist (s.a. Rn. 9 ff.). Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit durch nachträgliches Verhalten des VN wegfällt bzw. geheilt werden kann,388 lässt sich nicht generell, sondern nur anhand des Einzelfalls beantworten.389 Dabei wird zu berücksichtigen sein, ob fehlende Angaben zu gestellten Fragen nachgeholt, unvollständige Angaben ergänzt, Unterlagen nachgereicht oder falsche Angaben berichtigt werden. Für die Berichtigung falscher Angaben gilt Folgendes: • Keine objektive Obliegenheitsverletzung liegt vor, wenn die korrigierte Information dem für die Schadenbearbeitung zuständigen Mitarbeiter des VR bereits zu dem Zeitpunkt vorliegt, an dem er sich erstmals mit dem Vorgang befasst.390 In diesem Fall ist das berechtigte Aufklärungsinteresse des VR niemals objektiv tangiert worden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der VN zunächst gegenüber den ermittelnden Behörden oder gegenüber dem die Schadensanzeige aufnehmenden Vermittler Falschangaben macht und diese im weiteren Verlauf des Gesprächs berichtigt 391 bzw. der Schadensachbearbeiter die unrichtige Anzeige nebst Korrektur zeitgleich durch postalische Zustellung oder Übermittlung durch einen Außendienstmitarbeiter erhält.392 • Die Berichtigung falscher Angaben kann gegen Vorsatz des VN sprechen (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 86). • Sind dem VR durch die Falschangaben noch keine Nachteile entstanden, weil der VR zum Zeitpunkt der Obliegenheitsverletzung den wahren Sachverhalt bereits kannte oder in der Folgezeit
383
384 385
386 387
BGH 26.1.2005 VersR 2005 493, 495; bestätigt durch BGH 11.7.2007 RuS 2007 366 Rn. 13 = NJW 2007 2700, 2701; BGH 17.1.2007 VersR 2007 481, 482 Rn. 20. Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 20. BGH 2.5.1963 VersR 1963 547; BGH 24.5.1956 VersR 1956 365, 366; OLG Karlsruhe 29.7.1966 VersR 1967 174, 175; LG Osnabrück 25.6.1980 VersR 1982 136, 137; Prölss/Martin/Prölss 27 § 34 Rn. 21. LG Hannover 15.2.1995 VersR 1996 182 f. OLG Hamm 8.12.1982 VersR 1983 1124 (LS).
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Offen lassend BGH 2.5.1963 VersR 1963 547; OLG Köln 27.5.1997 VersR 1998 46, 47; abl. Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 18. Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 31 Rn. 67 ff. BGH 5.12.2001 VersR 2002 173, 174; OLG Köln 8.4.2008 RuS 2008 236, 237; OLG Saarbrücken 30.4.2008 VersR 2008 1643, 1644 = RuS 2008 465, 467; Prölss/ Martin/Prölss 27 § 34 Rn. 11a. BGH 30.11.1967 VersR 1968 137. OLG Hamm 19.11.1999 VersR 2000 577, 578.
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bis zur Berichtigung keine Aufklärungsmöglichkeiten verhindert worden sind bzw. der VR noch keine Maßnahmen getroffen hat, so fehlt es an der Kausalität (Ziff. 8 AUB 2008 Rn. 99). Dieser Gedanke fand bereits in der Rechtsprechung zum alten VVG Berücksichtigung. Danach durfte sich der VR nach Treu und Glauben nicht auf die Obliegenheitsverletzung berufen, wenn der VN darlegen und ggf. beweisen konnte, dass er den wahren Sachverhalt (nachträglich) aus eigenem Antrieb vollständig und unmissverständlich offenbart, nichts verschleiert oder zurückgehalten hatte sowie eine Gefährdung der Vermögensinteressen des VR durch die (zunächst) falschen Angaben nicht zu befürchten war.393 Anders liegt dagegen der Fall, in dem bereits trotz Berichtigung Aufklärungsmöglichkeiten verhindert wurden 394 oder der VR schon Maßnahmen getroffen hat.395 Die spätere Berichtigung ändert dann nichts an der Obliegenheitsverletzung.396 So liegt z.B. der Fall, in dem der VN das Bestehen weiterer Unfallversicherungsverträge erst zehn Monate nach der Schadensanzeige mitteilt, zu diesem Zeitpunkt der VR das Bestehen der weiteren Verträge selbst ermittelt und dem VN den Versicherungsschutz versagt hat.397
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h) Pflicht zur unverzüglichen Rücksendung. Die Rücksendung der Unfallanzeige an den VR hat „unverzüglich“ (AUB 99/2008), d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB, Rn. 32 ff.) bzw. „umgehend“ (AUB 88/94), bzw. „binnen einer Woche nach Zustellung“ (AUB 61) zu erfolgen. Die Rücksendepflicht setzt objektiv erst dann ein, wenn der VN aus dem Unfall mit Unfallfolgen rechnen muss, die für den VR relevant sein können.398 Erfolgt keine Rücksendung, liegt eine objektive Obliegenheitsverletzung vor.399 Streitig ist, ob der VN lediglich die Absendung oder auch den Zugang der Schadenanzeige sicher zu stellen und im Streitfall zu beweisen hat (s.a. Rn. 35 und 182). Z.T. wird das Ausfüllen und Absenden der Schadenanzeige durch den VN für ausreichend gehalten.400 Die Gegenauffassung verlangt ein tatsächliches zugänglich machen des Schadenformulars beim VR.401 Dieser Auffassung ist zu folgen. Wissenserklärungen sind genauso wie Willenserklärungen empfangsbedürftig. Kann allerdings der VN die Absendung der Anzeige beweisen, so kann auch bei fehlendem Zugang der Anzeige das Verschulden fehlen (s.a. Ziff. 2.1 AUB 2008 Rn. 128). 2. Auskünfte
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Die Regelung in Ziff. 7.2 Halbs. 2 AUB 99/2008 (§ 9 Abs. 2 S. 2 AUB 88/94, § 15 Abs. 2 Nr. 4 Halbs. 2 AUB 61) ist Ausfluss von § 31 (§ 34 a.F.).402 Eine Verletzung zieht die gleichen Rechtsfolgen nach sich wie die Verletzung der Anzeigeobliegenheit.403
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BGH 5.12.2001 VersR 2002 173, 174; OLG Hamm 23.1.2008 VersR 2008 958, 959; KG 15.10.2002 VersR 2003 1119, 1120; OLG Köln 8.4.2008 RuS 2008 236, 237; OLG Saarbrücken 30.4.2008 VersR 2008 1643, 1645 = RuS 2008 465, 467; OLG Saarbrücken 9.1.2008 VersR 2008 1528, 1530; Grimm 4 Ziff. 8 AUB 99 Rn. 2; Veith/Gräfe/Lücke § 7 Rn. 160; Beckmann/Matusche-Beckmann/Marlow 2 § 13 Rn. 34; i.E. auch Prölss/Martin/Prölss 27 § 34 Rn. 11a. OLG Hamm 9.5.1958 NJW 1958 1498. Römer/Langheid 2 § 6 Rn. 22; Berliner Kommentar/Schwintowski § 6 Rn. 43. So offenbar in den Fällen des OLG Düssel-
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397 398 399 400 401 402 403
dorf 31.10.1961 VersR 1962 345, 346; OLG Köln 5.7.1990 VersR 1991 766, 767; LG Hannover 15.2.1995 VersR 1996 182, 183. OLG Saarbrücken 31.7.1992 VersR 1993 569, 570. Grimm 4 Ziff. 7 AUB 99 Rn. 11; s.a. OLG Hamm 11.11.1988 RuS 1989 167, 168. OLG Saarbrücken 6.1.1993 VersR 1993 346, 347. OLG Hamm 3.11.1989 VersR 1991 49, 50; Wüstney § 9 Anm. 8. Römer/Langheid 2 § 34 Rn. 19. Näher zu § 31 etwa Bruck/Möller/Brömmelmeyer § 31 Rn. 1 ff. Begründung RegE zu § 31 VVG, BT-Drucks. 16/3945 vom 20.12.2006 S. 70.
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Obliegenheiten nach einem Unfall
AUB 2008 Ziff. 7
a) Regelungszweck. Die Aufklärungsobliegenheit des VN erschöpft sich nicht in der 90 korrekten und vollständigen Beantwortung der in dem Schadenanzeigeformular gestellten Fragen. Vielmehr muss der VN auch auf ein zusätzliches Auskunftsersuchen des VR Informationen erteilen.404 Die Erteilung „darüber hinaus geforderter sachdienlicher Auskünfte“ ist die logische Folge der Obliegenheit, die Unfallanzeige wahrheitsgemäß auszufüllen und dem VR unverzüglich zurückzusenden. Die Erfüllung der Auskunftsobliegenheit versetzt den VR in die Lage, sachgemäße Entschließungen über die Behandlung bzw. Abwicklung des Versicherungsfalls zu treffen.405 Er ist mangels eigener Tatsachengrundlagen und aufgrund seiner eingeschränkten Nachprüfungsmöglichkeiten auf zutreffende Angaben des VN angewiesen, um den geltend gemachten Anspruch des VN sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach beurteilen zu können. Des Weiteren stellt sich nicht selten heraus, dass die Antworten in der Unfallanzeige unvollständig, ungenau oder widersprüchlich sind bzw. nicht ausreichen, damit der VR seine vertragliche Leistungspflicht ordnungsgemäß beurteilen kann. Der VR muss dann die Möglichkeit haben, dem VN bzw. der versicherten Person Nachfragen zu stellen. Insbesondere können auch die Recherchen des VR (z.B. Nachfragen bei anderen VR, eingeholte Gutachten von Sachverständigen) es sinnvoll erscheinen lassen, dem VN bzw. der versicherten Person Gelegenheit zu Ergänzungen, Änderungen oder Bestätigungen ihrer bisherigen Angaben zu geben. Weiterhin dient die Aufklärungsobliegenheit auch der Glaubwürdigkeitsprüfung.406 Letztlich trägt die Aufklärungsobliegenheit dazu bei, die Gefahrengemeinschaft vor einer unberechtigten Inanspruchnahme zu schützen.407 b) Auskunftsberechtigter und -empfänger. Der VR kann den VN selbst zur Auskunft 91 auffordern, diese Aufgabe aber auch einem Stellvertreter (Rechtsanwalt oder Sachverständigen) übertragen (§§ 164 ff. BGB). Liegt Mitversicherung vor, so kann jeder VR die Auskunft verlangen. Bei Vereinbarung einer sog. Führungsklausel genügt die Aufforderung des führenden VR.408 Die gewünschten Angaben sind dem VR, dessen Stellvertreter oder bei entsprechender 92 Aufforderung auch anderen Hilfspersonen (z.B. Rechtsanwalt oder Sachverständigem) zu übermitteln.409 Der Versicherungsvertreter ist u.a. gesetzlich dazu bevollmächtigt, das Versicherungsverhältnis betreffende Erklärungen des VN entgegenzunehmen (§ 69 Abs. 1). Kenntnisse des Versicherungsvertreters muss sich der VR grundsätzlich zurechnen lassen (§ 70; Ziff. 17 AUB 2008 Rn. 25). Liegt Mitversicherung vor, sind alle beteiligten VR zu informieren, bei einer Führungsklausel nur der führende VR.410
404 405
OLG Saarbrücken 30.4.2008 VersR 2008 1643 = RuS 2008 465. S. nur BGH 11.7.2007 RuS 2007 366 Rn. 13 = NJW 2007 2700, 2701; BGH 26.1.2005 VersR 2005 493, 495; BGH 5.12.2001 VersR 2002 173, 174; BGH 14.12.1994 BGHZ 128 167, 171 = RuS 1995 81, 82; BGH 21.4.1993 VersR 1993 828, 829; BGH 24.6.1981 VersR 1982 182, 183; BGH 20.11.1970 VersR 1971 142, 143; BGH 16.1.1970 VersR 1970 241, 242; BGH 14.12.1967 VersR 1968 185, 187 f.; BGH 16.2.1967 BGHZ 47 101, 105 = VersR
406 407 408 409 410
1967 441, 442 = NJW 1967 1226, 1228; BGH 15.11.1965 VersR 1965 1190, 1191; BGH 27.2.1964 VersR 1964 475, 477; BGH 25.10.1952 VersR 1952 428, 429. OLG Frankfurt/M. 5.12.1991 VersR 1993 343, 344. OLG Düsseldorf 31.10.1961 VersR 1962 345, 346. Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 4. BGH 11.6.1976 VersR 1976 821, 823 (nicht dagegen an unabhängige Schiedsgutachter). Berliner Kommentar/Dörner § 34 Rn. 8.
Kent Leverenz
1155
AUB 2008 Ziff. 7
Unfallversicherung
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c) Auskunftsverpflichteter. Es gilt das zur Unfallanzeige Ausgeführte entsprechend (Rn. 62 f.). Neben dem VN (bzw. seinem Wissenserklärungsvertreter, § 179 Rn. 75 ff.) kann ggf. auch ein Rechtsnachfolger, Bezugsberechtigter oder im Fall einer Versicherung für fremde Rechnung die versicherte Person obliegenheitsbelastet sein.411
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d) Auskunftsverlangen. VN und versicherte Person brauchen nicht von sich aus, eine vollständige Aufklärung des VR betreiben. Sie trifft keine allgemeine (aktive) Aufklärungs-, sondern nur eine (passive) Antwortpflicht (Rn. 76). Dies ergibt sich bereits aus dem Begriff der Auskunft; wird doch darunter im allgemeinen Sprachgebrauch eine Mitteilung verstanden, die auf eine Anfrage hin gemacht wird. Weiterhin folgt aus der Wendung „von uns … geforderte“ in den AUB und der Formulierung in § 31 Abs. 1 „Der Versicherer kann … verlangen“, dass der VN nur dann zu tatsächlichen Angaben, die über den notwendigen Inhalt der Schadenanzeige hinausgehen, verpflichtet ist, wenn er vom VR nach den betreffenden Umständen befragt wird.412 Das Auskunftsverlangen muss dem VN oder dessen Vertreter zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB).413 Es kann ausdrücklich oder konk