Vorwärts, vorwärts, Ihr Deutschen Genossenschaftsmänner!: Sieben Flugblätter für die deutschen Vorschuß- und Kreditvereine [Reprint 2021 ed.] 9783112512340, 9783112512333


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German Pages 46 [45] Year 1871

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Vorwärts, vorwärts, Ihr Deutschen Genossenschaftsmänner!: Sieben Flugblätter für die deutschen Vorschuß- und Kreditvereine [Reprint 2021 ed.]
 9783112512340, 9783112512333

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Vorwärts, vorwärts, Ihr Deutschen Genossenschaftsmänner! Sieben Flugblätter für die

Deutschen Vorschuß- und Kreditvereine von

Lu-oU parisius (Gardelegen) Abgeordneten des ersten Berliner Wahlkreises, Herausgeber des Berliner „Volksfreund" und Mitredakteur von Schulze-Delitzsch' „Blätter für Genossenschaftswesen".

Inhalt: Vorwort. .............................................................................................................................. Seite II. Zur Einleitung: Die Deutschen Volksbanken I. Warum sollte jeder Landmann einem Vorschuß- oder Kreditvereine an­ gehören? ........................................................................................................................ 7 II. Schafft das überflüssige baare Geld aus dem Hause! 13 III. Wo sind die kleinen Ersparnisse anzulegen?.................................................... 19 IV. Wechseldiskontiren und Geldverborgen.................................................................... 25 V. Was bedeutet der Giroverband der Deutschen Genoffenschaften? . . . . 31 VI. Was nutzt die Aufhebung der Schuldhaft und des Lohnarrestes den Volks­ banken? ......................................................................................................................... 39 Anhang: Verzeichniß der Deutschen Bank- und Vereinsplätze 45

Berlin. Verlag von Otto Löwenstein.

1870.

Vorwort. Die sieben zu dieser Broschüre verbundenen Aufsätze sind in den letzten iy2 Jahren für das von mir herausgegebene politisch-volkswirthschaftliche Wochenblatt: „Der Volksfreund" geschrieben. Die Ent­ stehungsart möge es entschuldigen, wenn die logische Verbindung zwischen den einzelnen Aufsätzen eine lockere ist. Der einleitende Aufsatz soll im Allgemeinen die staunenswerthen Erfolge der Volksbanken seit der kurzen Zeit ihres Bestehens mit Zahlen belegen. Die übrigen Aufsätze, welche auch einzeln als besondere „Flugblätter für die deutschen Vorschuß- und Kreditvereine" erschienen sind, sollen zeigen, was ein guter Vorschußverein leisten kann, — was er leisten muß, sobald er die in den am besten organisirten Vereinen üblichen Geschäftsbranchen sammt und sonders bei sich ein­ führt und nach volkswirthschaftlich richtigen Grundsätzen betreibt. Der Vorschußverein muß dann nicht blos dem städtischen Gewerbetreibenden den ihm nöthigen Kredit beschaffen, er muß auch das Bedürfniß des Landwirths nach Personalkredit vollständig befriedigen (Flugbl. L); er muß gleich den Schottischen Banken durch laufende Rechnung — Konto­ korrent mit Checkbuch — allen Gewerbetreibenden in Stadt und Land das zeitweise überflüssige Geld verwahren und nutzbringend verwalten (Flugbl. II.); er bietet die beste und sicherste Sparkaffe für Arbeiter, Dienstboten, Kinder rc. (Flugbl. III.); er muß besser und billiger als die Banquiers mit Hülfe des Giroverbandes den Gewerbetreibenden ihre Geschäftswechsel diskontiren und Zahlungen nach andern deutschen Plätzen vermitteln (Flugbl. IV. u. V). Endlich muß er die wirthschaftliche und sittliche Erziehung seiner Mitglieder dadurch fördern, daß er nach den strengen Grundsätzen Schulze-Delitzsch' nur dem gesunden Kredite dient. (Flugbl. VI.)

Berlin, 1. März 1870.

Ludolf Parisius.

Zur Einleitung.

Die deutschen Volksbanken. Die alljährlich erscheinenden Jahresberichte über die auf Selbsthülfe gegründeten deutsch en Erwerbs- und Wirth­ schaftsgenossenschaften von Schulze-Delitzsch geben ein gar anschauliches Bild von dem stetigen Fortschritt der deutschen Ge­ nossenschaftsbewegung. Unter den verschiedenen Arten Genossenschaften stehen, auch nach dem letzten bisher veröffentlichten Jahresberichte, dem für 1868, die Vorschuß- und Kreditvereine, die Volks­ banken, den übrigen noch weit voran. Bei ihnen ist eine regel­ mäßige Vermehrung in der Zahl und ein regelmäßiges Wachsthum fast aller einzelnen Vereine nachweisbar. Bevor wir diesen Nachweis führen, wollell wir ein paar Bemerkungen über die Einrich­ tung der Volksbanken voranschicken. 'Die Volksbanken bezwecken, Jedermann denjenigen Kredit auf kurze Fristen und zu angemessenen Zinsen zu gewähren, welchen der große Gewerbtreibende, der Großhändler und Fabrikant, bei den Großbanken genießt. Die Volksbanken erreichen diesen Zweck durch eine strenge Durchführung der Grundsätze der Selb st Hülse, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung. Alle Mitglieder der Genossenschaft haben das gleiche Recht auf Kredit, sofern sie nur durch ihre persönlichen Eigenschaften sich kreditwürdig bezeigen und die geschäftlich erforderliche Sicherheit stellen. Jeder Kreditsucher ist zugleich Kreditgewährer, — er muß sich einen Geschäftsantheil ansammeln, der, so lange er Mitglied ist, seiner Verfügung vollkommen entzogen bleibt; jeder Kreditsucher ist ferner zugleich Theilhaber am Gewinn und Verlust des Geschäfts und stimmberechtigtes Mitglied der Generalversammlung; die General-

7 der Mitglieder berechnet eine Erhöhung von 54 Thlr. bis 131 Thlr., mithin im Verhältniß von 1 r 2H2Hierbei darf nicht übersehen werden, daß die Steigerung des eigenen Vermögens eine stärkere war als die der fremden Gelder, nicht etwa weil die letzteren nicht in gleich vermehrtem Grade zu Gebote standen, sondern weil man deren bei der schnellen Erhöhung des eigenen Vermögens nicht in so hohem Maße bedurfte. Nach den vorgeführten Vergleichungen kann Niemandem zweifel­ haft fein, daß die Volksbanken, welche schon jetzt einen erheblichen Einfluß auf die Kreditverhältnisse der gesummten Nation ausüben, bei gleichmäßigem Fortschreiten in wenigen Jahrzehnten den gesammten Geldmarkt mehr als alle anderen Großbankinstitute, mehr als die Preußische Staatsbank mit allen ihren Filialen beherrschen müßten. Aber wird ein gleichmäßiger Fortgang durch Jahrzehnte möglich sein? Sicherlich; denn der Fortschritt geht hier, wie jede kerngesunde Be­ wegung, von unten auf. Jeder Monat führt Tausende neuer Mit­ glieder den Volksbanken zu, knüpft Tausende von Familien m't ihrem Wohl und Wehe an die Volksbanken! Gespeist von den Ersparnissen der Massen, gestützt auf die Arbeit von Hunderttausenden, bald von Millionen nach einem und demselben Ziele ringender Menschen, müssen die Volksbanken in einem Zeitalter, welches bewußte Massen in die Geschichte als maßgebend einführt, zu einer unwiderstehlichen Macht heranwachsen l

I. Warum sollte jeder Landman« einem Vorschuß- oder

Lreditvereine angehören? Wer in unserem deutschen Vaterlande sich von Osten nach Westen, von Norden nach Süden, unbekümmert um Kreis-, Provinzial- und Staatsgrenzen, mit offenen Augen umsteht, wird in den Städten die Unterschiede in dem ganzen wirthschaftlichen Thun und Treiben des Volkes nicht halb so stark ausgeprägt finden, wie auf dem Lande. Man vergleiche nur Mecklenburg mit Wetterau und Rheinpfalz oder Masuren und Litthauen mit dem Magdeburgischen — find • größere Verschiedenheiten in allem, was mit der Landwirthschaft zusammen­ hängt, in Vertheilung des Grundbesttzes, in Bearbeitung des Grund und Bodens, in Bildung und Wohlstand der ländlichen Arbeiter,

8 innerhalb derselben Nation denkbar?

Aber merkwürdig, — in einem

stimmen zur Zeit die Landwirthe überall ziemlich zusammen: in der Klage über Kreditmangel. Freilich sind auch diese Klagen nicht gleich: hier klagt mehr der große Grundbesitz, dort mehr der kleine; hier verlangt man mehr nach Hypothekenkapitalien, wo möglich nach unkündbaren, dort mehr nach Kapitalien zur zeitweisen Aushülfe. Ob und wie weit daS erste Verlangen ein berechtigtes ist, und ob man ihm blos durch Verbes­ serung der in den meisten deutschen Ländern anerkannt höchst mangel­ haften Hypothekengesetze, oder wodurch sonst, abzuhelfen vermag —darüber wollen wir uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Für Nord­ deutschland mag eS zunächst der hohe BundeSraths-AuSschuß für Han­ del und Verkehr thun, welcher in seiner Untersuchung über das Hy­ pothekenbankwesen 24 Sachverständige der verschiedensten Lebens- und Berufsstellungen nicht blos aus Preußen, sondern auch aus Sachsen, Mecklenburg, Altenburg, Oldenburg, Braunschweig, Hamburg und Bremen ausführlich vernahm und darüber stenographische Berichte veröffentlichte. Weniger auf örtliche oder provinzielle, als auf allgemeine Ur­ sachen ist die überall laut werdende Klage der Landwirthe über den Mangel des persönlichen Kredites zurückzuführen. Der Land­ wirth muß heut zu Tage den persönlichen Kredit weit mehr als frü­ her in Anspruch nehmen. Dies beruht vor allem auf der verän­ derten wirthschaftlichen Stellung der Ackerbau Treibenden. An Stelle der Naturalwirthschaft ist die Geldwirthschaft, an Stelle der Frohnden, der persönlichen Leistungen, und der Zehnten und Naturalabgaben sind die Geldabgaben getreten. Dadurch ist der Landmann dem vom Geld beherrschten allgemeinen Verkehr einverleibt worden. Damit hat aber auch die ganze Landwirthschaft einen wunderbaren Aufschwung gewonnen. Die erforderlich gewordene neue Wirthschaftsweise erzielt weit größere Erträge, aber nur wenn ein größeres Kapital hinein­ gesteckt, wenn das umlaufende, das Betriebskapital bedeutend vermehrt wird. Bei einer tüchtigen Bewirthschaftung sind auf bessere Bear­ beitung des Ackers, tiefere Lockerung des BodenS, auf stärkere Dün­ gung durch natürliche oder künstliche Dungmittel, auf verbesserte Geräthschasten und Maschinen, zum Ankauf guter Saatfrüchte und ver­ edelter Vieharten, zur Drainirung der Felder und zu anderen Me­ liorationen beträchtliche Summen zu verwenden. Gleichzeitig ist der Tagelohn in die Höhe gegangen. Die Kräfte, auf welche die Land­ wirthschaft früher rechnen konnte, entziehen sich ihr mehr und mehr und treten in den Dienst der Industrie, werden zum Bergbau und zur Herstellung von Eisenbahnen, Chausseen, Kanälen und dergleichen Anlagen verwendet. Aber diese Steigerung der Ausgaben des land-

9 wirtschaftlichen Gewerbes hat keineswegs ihren Höhepunkt erreicht. Sie werden mit der Vermehrung der Verkehrsmittel, überhaupt mit den Fortschritten der Kultur noch weiter wachsen. In England, wo die so hoch in Blüthe stehende Landwirthschast fast nur von Päch­ tern betrieben wird, rechnet man zu einem Acker 8 bis 15 Pfund Sterling, also etwa zu einem preußischen Morgen 36 bis 66 Thlr. Betriebskapital für nothwendig. Auch wohlhabende Landwirthe können zu dem gesteigerten Betriebskapital nicht mehr des Kredites entbehren, insbesondere jetzt nicht, nachdem eine Reihe von Jahren die Landwirthschaft in der Vermehrung ihrer Kapitalien gegen früher erheblich zurückgeblieben ist. Nach der Berechnung eines rühmlichst bekannten Landwirths*) betrug der Ausfall, welchen die Landwirthschaft im norddeutschen Bundesgebiete zufolge der geringeren Getreidepreise in den Jahren 1863 bis 1865 und der schlechten Ernten von 1866 und 1867 im Vergleich zu den zehn gesegneten Jahren von 1853 bis 1862 erlitten hat, jährlich 100 Millionen Thaler, in fünf Jahren dem­ nach 500 Millionen Thaler. Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Wer früher auf kurze Zeit Geld gebrauchte, wandte sich in der Regel mit Erfolg an diesen oder jenen wohlhabenden Landmann, welcher stets baares Geld zu liegen hatte und davon kleine Beträge bereitwilligst an sichere Be­ kannte gegen mäßige Zinsen auslieh. Heute ist dies anders. Je mehr Deutschland von ausländischen Papieren überfluthet ist, die bei niedrigem Koursstande eine hohe Zinsrente abwerfen, um so mehr überkommt auch den kleinen Kapitalisten die Lust, sein Geld in solchen Papieren anzulegen; seit man auS Papieren, die bei weichendem Kourse jede Stunde verkäuflich sind, ohne Arbeit seine acht Prozent Zinsen genießen kann, schmilzt die Zahl derer, welche Geld vorräthig halten, um es zu vier bis fünf Prozent auszuleihen, gewaltig zusammen. Wo soll nun der Landwirth Befriedigung für sein gesteigertes Kreditbedürfniß suchen? wo soll er die Geldquelle suchen, aus der er in jedem eintretenden Falle seinen zeitweilig erhöhten Bedarf schöpfen kann? Die Antwort ist nicht schwer. Früher als an die Landwirthe trat die gleiche Noth an die kleinen und mittleren Gewerbtreibenden der Städte. Ihnen halfen die auf den Grundsätzen der Selbst­ hülfe beruhenden Vorschuß- und Kreditvereine. Diese, von Schulze-Delitzsch ursprünglich für den Klein-Handwerker und Arbeiter begründet, gewähren Jedermann denjenigen Kredit auf kurze Fristen und zu angemessenen Zinsen, welchen der große Gewerbtreibende, der Fabrikant und Großhändler, bei den Banken genießt. Auch in solchen *) Des Reichstagsmitgliedes Rittergutsbesitzers Sombart bei seiner Vernehmung vor dem Bundesraths-Ausschuß am 19. Januar 1868.

10 Gegenden, wo die Landwirthe sich bislang wenig oder gar nicht bei den Vorschußvereinen betheiligten, hat der von Jahr zu Jahr sich stetig steigernde Erfolg dieser Genossenschaften, welche 1868 schon Kredite von mindestens 160 bis 170 Millionen Thaler gewährten, die Blicke der Landwirthe auf sie hingelenkt. Man erörtert seit Jahren auf allen landwirthschaftlichen Versammlungen die Frage, ob die genossenschaftliche Selbfthülfe das Kreditbedürfniß der Landwirthe be­ friedigen könne. ES ist augenscheinlich, daß die Grundsätze der Selbsthülfe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung, auf denen die Vorschußvereine beruhen, ebenso für den Landwirth, wie für jeden anderen Gewerbtreibenden zutreffen müssen. Alle Mitglieder der Vorschußvereine haben das gleiche Recht auf Kredit, sofern sie nur durch ihre persönlichen Eigenschaften sich kreditwürdig bezeigen und die geschäftlich erforderliche Sicherheit durch Bürgschaft oder Pfand stellen. Gerade daß jeder Kreditsucher zugleich Theilhaber am Gewinn und Verlust des Geschäfts und stimmberechtigtes Mitglied der Ge­ nossenschaft ist, giebt dem Einzelnen die Garantie, daß die verantwort­ lichen absetzbaren Vorsteher und Beamten keinen vor dem andern be­ vorzugen, keinen hinter den andern zurücksetzen. Man hat nun aber weiter geforscht, wodurch sich der persönliche Kredit, welchen der Landwirth beansprucht, von demjenigen unterscheide, welchen der Handwerker, der Kaufmann verlangt. Man fand folgen­ des: des Landwirths Verwendungen auf das umlaufende oder Betriebs­ kapital schlagen sich regelmäßig im WirthschaftSjahre um, während die Verwendungen des Handwerkers und des Kaufmanns unregelmäßi­ gere, in der Regel aber weit kürzere Umschlagsfristen haben. Daraus würde zu folgern sein, daß der Landmann bedacht sein muß, einen längeren alS dreimonatlichen Kredit zu erhalten. Auf sechs- bis neun­ monatlichen Kredit, das heißt auf ein- bis zweimalige Verlängerung des Dreimonats - Kredites lassen sich nun zwar alle Vorschußvereine ein, und manche derselben werden getadelt, daß sie die ursprüngliche dreimonatliche Frist mehr als dreimal, also über ein Jahr hinaus verlängern. Dennoch aber und trotzdem in den 1600 bis 1700 deutschen Vorschußvereinen mindestens 12 Prozent aller Mitglieder Landwirthe sind, kam man in landwirthschaftlichen Reden und Schrif­ ten vielfach zu dem Ergebniß: man müsse nach den Grundsätzen der bestehenden Vorschußvereine besondere Kreditvereine für Landwirthe, landwirthschaftliche Kreditvereine begründen.*)

*) Anders der landwirtschaftliche Zentralverein für Litthauen und Masuren, in dessen Auftrage vor zwei Jahren die Herren Bück-Stannaitschen, Donalies-Milluhnen, Gutlmann-Insterburg einen vortrefflichen Aufruf „An die Landleute!" veröffentlichten, worin denselben der Beitritt zu den vorhandenen Borschußvereinen dringend angerathen wurde.

11 Diese Meinung ist grundverkehrt. Die Gründe liegen auf der Hand: „der landwirtschaftliche Kredit läßt sich am besten in solchen Vorschußvereinen befriedigen, welche nur zum Theil aus Landwirthen, zum Theil aus anderen Gewerbtreibenden — Arbeitern, Handwerkern, Fabrikanten, Kaufleuten — bestehen; Vereinen von lauter Land­ wirthen würden die Gelder je nach den Jahreszeiten bald in großer Menge zuströmen, bald ebenso stark abfließen, da ja in dem alljährlichen Kreisläufe der Bewirtschaftung des Bodens die für das Krediterforderniß wesentlichen Ereignisse in einer und derselben Landschaft fast gleichzeitig eintreten. Sie sind demnach ebenso wenig zu empfehlen, wie Vorschußvereine eines bestimmten Handwerks z. B. der Schuh­ macher, der Schneider u. dgl."*)

ES bedarf wohl kaum einer Erwähnung, daß der Unterschied

von Stadt und Land, welcher in industriellen Gegenden mehr und mehr verschwindet, für diese Fragen ganz unwesentlich ist. Schon jetzt giebt eS, namentlich in Nassau, der Rheinpfalz, dem Großherzogthum Hessen, in der Provinz Sachsen und im Königreich Sachsen viele trefflich geleitete Vorschußvereine, welche in Dörfern ihren Sitz haben und genau wie die städtischen Genossenschaften das Kreditbe­ dürfniß aller Berufsklassen befriedigen. „Aber" — wendet uns ein Landwirth aus einer schwach be­ völkerten Gegend ein — „mir kann die Mitgliedschaft in dem Vor-

*) Wörtlich aus einem von mir im Juli 1864 für den allgemeinen Vereinslag der Genossenschaften zu Mainz erstatteten Bericht über die Anwendbarkeit der genossenschaftlichen Kreditinstitute auf den Realkredit der ländlichen Grundbesitzer (Innung der Zukunft 1864 Nr. 7 Seite 71). Für die Mecklenburgischen großen Gutsbesitzer begründete Anfangs 1868 die gleiche Ansicht aufs Vortrefflichste der als feudaler Politiker bekannte Herr von Oertzen auf Brunn. Der Schluß seines vom 24. Januar 1868 datirten Aufsatzes lautet: „Weil der Mecklenburgische Landwirth das Geld stets auf, und nie länger als auf sechs Monate bedarf, weil alle Land­ wirthe das Geld zu gleicher Zeit bedürfen und zurückgeben, kann sich ein Personalkreditverein, der stets bereite Mittel halten soll, sie dann aber sechs Monate lang lahm liegen läßt, selbst nicht halten; ihm fehlt die Voraussetzung deü häufigen Umsatzes, und ungewöhnlich hohe Summen erfordern besonders umsichtige und geschäftskundige Beamte, die Kosten für diese absorbiren den Geschäftsgewinn, die Möglichkeit eines Reserve­ fonds. Darum gebe ich den Rath: Alle eines Personalkredites bedürftigen mecklenburgischen Landwirthe mögen sich den in ihrer Nähe befindlichen, mit ihren Verhältnissen am meisten betrauten Vorschußvereinen der be­ nachbarten Städte anschließen als Vereinsmitglicder und solchergestalt mitwirken, diese aufblühenden Vereine zum eigenen Vortheil und zum Segen des kleinen städtischen Gewerbes in aller Weise zu fördern, zu heben, zu kräftigen, aber von selstständiger Errichtung nur landwirthschaftlicher Genossenschaftsvereine ganz und gar absehen." (Vgl. Nr. 10 der Blätter für Genossenschaftswesen von 1868.)

12 schußvereine meiner Nachbarstadt wenig nützen, weil ich zu entfernt wohne und man mich dort nicht genügend kennt." Mag sein — unter demselben Umstande leidet jeder Landwirth, wenn er Personalkredit bei einem Bankier oder einer Großbank sucht. Aber es giebt auch dafür Hülfe. Dieser Nachtheil kann nur so lange bestehen, als sich die Landleute an dem Vorschußvereine in geringer Anzahl betheiligen. In vielen kleineren Städten gehören fast alle Gewerbtreibende und alle selbstständigen Arbeiter und außerdem noch viele Beamte und Rentiers dem Vorschußvereine deS Ortes als Mitglieder an; fände eine ähnliche Betheiligung statt hinsichtlich der Landleute einer Gemeinde, eines Kirchspiels, einer Bürgermeisterei oder wie sonst die landesüblichen Eintheilungen heißen, so würde der Dorschußverein der Stadt schon durch die eigene geschäftliche Bequem­ lichkeit genöthigt, erleichternde Anstalten zu treffen. Gerade wie die Preußische Bank in jedem Handelsplatz ihre Agentur hat, oder wie in dem Musterlande der Privatbanken, in Schottland, jede Privat­ bank in jedem Städtchen ihren Agenten besitzt, so wird naturgemäß die Entwickelung der Vorschußvereine dahin sühren, daß in jedem eine genügende Anzahl Mitglieder zählenden Dorfe oder Landbezirke eine oder mehrere Personen mit der Vertretung des Vereins beauftragt werden. Derartige Einrichtungen kommen bereits bei mehreren Ver­ einen vor. Die größte Betheiligung von Landleuten hat wohl der Bonner Kreditverein. Er zählt 3057 Mitglieder, etwa zur Hälfte der Stadt und zur Hälfte dem Lande angehörend. Zu zehn „Filialen" sind die Mitglieder mehrerer Ortschaften vereinigt, die geringste Zahl der zu einer Filiale geschlagenen Ortschaften ist 3, die höchste 48. Jede Filiale wählt ihren aus 7 bis II Mitgliedern bestehenden Vorstand, welcher Einzahlungen und Auszahlungen vermittelt und alle Kreditgesuche begutachtet. Die Gutachten über die Kredit­ fähigkeit des Einzelnen, erstattet von einer Anzahl am Gewinne und Verluste betheiligter Bewohner desselben Dorfes oder eines Nachbar­ dorfes sind das Wesentlichste; sie schaffen jedem Landwirth denjenigen Personalkredit, welchen er verdient und stellen ihn den übrigen Gewerbtreibenden darin gleich. Aehnliche Einrichtungen wird, bei entsprechender Betheiligung der Landleute, jeder städtische Vorschußverein treffen, der sich nicht etwa grundsätzlich auf die Ringmauern der Stadt beschränkt. In letzterem Falle läge die Nothwendigkeit vor, sofort einen neuen Vor­ schußverein zu begründen, welcher den Personalkredit der Landleute, gleichgültig, ob sie Landwirthe sind oder einem anderen Berufe hul­

digen, zum Gegenstände seiner Thätigkeit macht. Wir haben also dargethan: 1) Die' von Schulze-Delitzsch ins Leben gerufenen Vorschuß-

13 vereine sind vollkommen ausreichend, den Personalkredit der deutschen Landwirthe zu vermitteln. 2) Sie vermögen dies weit besser als besondere landwirthschaftliche Kreditvereine. 3) Die Landwirthe und landwirthschaftlichen Vereine mögen unS daher endlich mit den Klagen über Mangel an Personalkredit verschonen! Kein Landwirth ist zu einer Klage berechtigt, der nicht selbst Mitglied eines Vorschußvereins ist und nicht alles daran setzt, in seinem Dorfe dem Grundsatz allgemeine Geltung zu verschaffen:

Jeder Landman« mitp einem Vorschuß- oder Kreditvereine angehören!

II. Schafft das überflüssige baare Geld aus dem Hause! »Die Zeiten sind schlecht; Handel und Gewerbe liegen darnieder; die Landwirthschaft hat in einer Reihe schlechter Jahre von Erspar­ nissen der besseren Jahre gezehrt und möchte am liebsten vom Kredit leben. UeberflüssigeS baares Geld ist seltener als je — wer soll eS auS dem Hause schaffen?" — So fragt Mancher, der die Ueberschrift liest. Gemach! — wenn daS was ich in diesem Aufsatze anrathe, in schlechten Zeiten auch nur für eine geringere Anzahl Leser paßt, so sind ihrer doch noch genug. Und hoffen wir nicht Alle, daß für Deutsch­ land wieder bessere Zeiten kommen werden? Doch zur Sache. Schottland stand noch vor zweihundert Jahren an Wohlstand und Bildung weit hinter England zurück; wegen der Unfruchtbarkeit seines Bodens galt eS für daS ärmste Königreich der Christenheit. Heute ist es eins der wohlhabendsten und lachendsten Länder Europa'S. Diese Verwandlung verdankt es, so sagen die Schotten selbst, neben seinen vortrefflichen Schulen vorzugsweise seinen vortrefflichen Ban­ ken. Die Schottischen Banken sind so eingerichtet, daß sie der ge­ jammten Bevölkerung Gelegenheit bieten, auf die bequemste Weise Ersparnisse und überflüssiges Geld zinsbar anzulegen, und zugleich jedem kreditwürdigen Gewerbtreibenden denjenigen Bankkredit verschaffen, den anderwärts nur die Großindustrie genießt. In diesen und in

13 vereine sind vollkommen ausreichend, den Personalkredit der deutschen Landwirthe zu vermitteln. 2) Sie vermögen dies weit besser als besondere landwirthschaftliche Kreditvereine. 3) Die Landwirthe und landwirthschaftlichen Vereine mögen unS daher endlich mit den Klagen über Mangel an Personalkredit verschonen! Kein Landwirth ist zu einer Klage berechtigt, der nicht selbst Mitglied eines Vorschußvereins ist und nicht alles daran setzt, in seinem Dorfe dem Grundsatz allgemeine Geltung zu verschaffen:

Jeder Landman« mitp einem Vorschuß- oder Kreditvereine angehören!

II. Schafft das überflüssige baare Geld aus dem Hause! »Die Zeiten sind schlecht; Handel und Gewerbe liegen darnieder; die Landwirthschaft hat in einer Reihe schlechter Jahre von Erspar­ nissen der besseren Jahre gezehrt und möchte am liebsten vom Kredit leben. UeberflüssigeS baares Geld ist seltener als je — wer soll eS auS dem Hause schaffen?" — So fragt Mancher, der die Ueberschrift liest. Gemach! — wenn daS was ich in diesem Aufsatze anrathe, in schlechten Zeiten auch nur für eine geringere Anzahl Leser paßt, so sind ihrer doch noch genug. Und hoffen wir nicht Alle, daß für Deutsch­ land wieder bessere Zeiten kommen werden? Doch zur Sache. Schottland stand noch vor zweihundert Jahren an Wohlstand und Bildung weit hinter England zurück; wegen der Unfruchtbarkeit seines Bodens galt eS für daS ärmste Königreich der Christenheit. Heute ist es eins der wohlhabendsten und lachendsten Länder Europa'S. Diese Verwandlung verdankt es, so sagen die Schotten selbst, neben seinen vortrefflichen Schulen vorzugsweise seinen vortrefflichen Ban­ ken. Die Schottischen Banken sind so eingerichtet, daß sie der ge­ jammten Bevölkerung Gelegenheit bieten, auf die bequemste Weise Ersparnisse und überflüssiges Geld zinsbar anzulegen, und zugleich jedem kreditwürdigen Gewerbtreibenden denjenigen Bankkredit verschaffen, den anderwärts nur die Großindustrie genießt. In diesen und in

14 andern Punkten haben sie Ähnlichkeit mit unsern Deutschen Volksbanken oder Vorschußvereinen. Diese sind im Stande, für Deutsch­ land Gleiches zu leisten, sofern sie ihren Mitgliedern gute wirt­ schaftliche Gewohnheiten anzuerziehen verstehen. In Schottland hat sich ein Brauch, dem in England nur die reichen Leute huldigen, bei allen Gewerbetreibenden eingebürgert, der Brauch, keine Kasse im Hause zu haben, sondern seine Kasse durch die Bank führen zu lassen. Jedermann, der nicht geradezu von der Hand in den Mund lebt, steht mit der Bank in Verbindung. In seiner Wohnung hält er sich nur das allernöthigste kleine Geld, alles übrige liegt auf der Bank. Auf der Bank werden alle Zahlungen für ihn geleistet, die Bank empfängt für ihn das Geld, waS ihm Andere schuldig sind. Um das Vortheilhafte dieses Brauches zu erkennen, nehme man zunächst einen Beamten oder Rentner, bei dessen Kassen­ führung die Ausgaben mehr Arbeit machen, als die regelmäßig fließenden Einnahmen. Er läßt sich in den Büchern der Bank ein Konto, eine laufende Rechnung (Kontokorrent) eröffnen; er wird Inhaber eines Guthabens in laufender Rechnung. Jetzt braucht er keinen diebes- und feuersicheren Geldschrank, er läßt sein baares Geld, bis auf etwas Taschengeld, von der Bank aufbewahren; er zahlt ihr dafür nichts, sondern bekommt noch eine Kleinigkeit Zinsen. Müßte er nun jedesmal, wenn er eine Zahlung zu machen hat, erst auf die Bank gehen und Geld holen, so wäre der Vortheil zu theuer erkauft. Die Bank händigt ihm deshalb bei der Eröffnung der laufenden Rechnung ein Buch mit Formularen zu Zahlungs­ anweisungen, ein Checkbuch mit Checks auS. Jetzt bezahlt er dem Fleischer oder Bäcker die in sein HauS gelieferte Waare, dem Schneider oder Schuhmacher die Arbeit, dem Dienstboten den Lohn, dem Vermiether den MiethzinS nicht mehr baar, sondern er beschreibt im Checkbuch einen Check, er fügt der gedruckten Anweisung Summe, Datum und Namen bei, schneidet die Anweisung heraus und giebt sie dem Gläubiger. Dieser bringt den Check auf die Bank, welche sofort den Betrag baar auszahlt. Diese Einrichtung wird viel wichtiger, wenn man sich an Stelle des reinen Konsumenten, deS Rentners oder Beamten, einen Geschäfts­ mann: einen Kaufmann, einen Landwirth, einen Handwerker oder Fabrikanten denkt. Die Geschäftsleute in England und Schottland wissen noch besser als die unsrigen, daß zu einem vortheilhaften Ge­ schäftsbetrieb der Einkauf gegen Baar gehört. Dort kauft man weit mehr als in Deutschland gegen baar (per comptant) ein, und wer auS eigenen Mitteln dazu nicht im Stande ist, vermehrt lieber sein Betriebskapital durch baare Darlehne, als daß er auf Borg kauft. Denn der Käufer gegen baar kauft an sich schon billiger, als der

15 Käufer auf Ziel, weil er den theureren Borgkredit nicht mitzubezahlen braucht; vor allem aber ist derjenige, welcher jederzeit kaufen kann, im Stande, die günstigste Gelegenheit, welche der Markt oder die Versteigerung zum Kaufen bietet, jedesmal auszunuhen. Demgemäß gilt eS in England und Schottland für den Hauptgrundsatz eines tüchtigen Geschäftsmannes, stets bei Kasse zu sein. Um dies zu können, würde er zeitweise bedeutende Summen bei sich aufbewahren müssen. Die laufende Rechnung bei der Bank erspart es ihm. Auf dieser tritt aber auch sein ganzer Geschäftsverkehr zu Tage. Derselbe besteht nicht blos im Baarzahlen und Baarempfangen. Die Wechsel, welche er von seinen Kunden über Waaren bekommt, deren Kaufpreis ihnen kreditirt wird, übergiebt er der Bank, die sie rechtzeitig einlöst und ihm das Empfangene gut schreibt. Umgekehrt läßt er die Wechsel, welche er selbst über später zu leistende Zahlungen aussteüt oder annimmt, an die Bank senden, welche für ihn Zahlung leistet und den Betrag von seinem Guthaben abschreibt. Aber auch er erhält von seinen Kunden nur selten baareS Geld, auch sie geben in der Regel Checks, Anweisungen auf ihr Bankkonto. Haben sie nun bei derselben Bank ihre laufende Rechnung, so wird die ganze Zahlung mit der Feder abgemacht; die gemeinschaftliche Kassenführerin beider Geschäftsleute, die Bank, schreibt den Betrag dem einen Guthaben ab und dem andern zu. Diel anders wird eS aber auch nicht, wenn der Check, den unser Geschäftsmann erhält, ein Konto bei einer andern Bank betrifft. Nicht zu dieser trägt er nämlich den Check, sondern er giebt ihn an seine Bank als Zahlung auf sein Konto. Diese kassirt den Check bei der andern Bank ein. Wo viele Banken neben einander bestehen/ ist von baarem Einkassiren auch keine Rede; die Banken tauschen vielmehr an einem bestimmten Ort in bestimmten verabre­ deten Formen ihre Checks und Wechsel gegen einander aus und zahlen sich nur die Überschüsse als Ausgleichßsumme. Das wäre der Brauch, seine Kasse durch die Bank führen zu laffen. DaS Geschäft gewinnt nun eine etwas andere Gestalt, wenn mit der Kassenführung eine Kreditgewährung im Kontokorrent, auf laufenbe Rechnung, verbunden ist. In England kommt dies sel­ tener vor, da muß im Gegentheil der Kunde deS Bankinstituts im­ mer ein Guthaben von mindestens 100 Lstr. (666% Thlr.) stehen lassen, daS er nicht einmal verzinst bekommt. Die Schottischen Banken aber, welche abweichend von den Englischen auch den mittleren und kleineren Gewerbtreibenden dienen, haben die Kreditgewährung in laufender Rechnung vorzugsweise ausgebildet. Sobald ein Hand­ werker oder ein Handlungßdiener sich selbstständig macht, sobald ein Landwirlh ein kleines Gut, einen Hof pachtet, und seine Ersparnisse

werden durch die ersten Einrichtungskoften verschlungen, so giebt ihm

16 die Bank, sofern er ihr zwei oder drei Bürgen stellt, biß zu einer bestimmten Höhe einen Kredit in laufender Rechnung. Nun wird er seinem Verpächter oder Vermiether, seinen Arbeitern und Gehülfen statt deß baaren Geldes eine Anweisung auf die Bank geben. Er hat dabei die Verpflichtung, Tag für Tag alles Geld, was in seine Kasse eingeht, an die Bank abzuführen. Diese schreibt ihm täglich die Zinsen ab, welche er durch Verminderung seines Konto weniger verschuldet und schreibt ihm auch die Zinsen gut, welche er zu for­ dern hat, sobald sein Guthaben seine Schuld übersteigt. So laufen alle seine Ausgaben und Einnahmen durch die Bank. . Sie kennt genau den Gang seiner Geschäfte und ersieht daraus, ob sie seinen Kredit auf Verlangen erweitern kann, oder ob sie ihn einschränken oder ihm ganz entziehen muß. Letzteres wird namentlich dann der Fall sein, wenn der Kunde nicht ein- oder zweimal jährlich sein Konto ganz bereinigt, das heißt nichts darauf schuldet, sondern gut hat. In Schottland haben 13 große Banken 600 Filialen über daS ganze Land ausgebreitet; auf 5000 Einwohner kommt eine Bank­ filiale. In Schottland muß jeder selbstständige Handwerker oder

Kaufmann oder Landwirth, der einen guten geschäftlichen Ruf er­ werben oder bewahren will, seine laufende Rechnung bei einer Bank haben. Durch diese allgemeine Benutzung werden die Gefahren, welche für die Bank, also mittelbar wieder für den Kunden der­ selben, in dieser Art des Geschäftsbetriebes liegen, etwas ausge­ glichen. An sich ist nämlich die laufende Rechnung, gleichviel ob mit oder ohne Kreditgewährung, mit großen Gefahren verknüpft und darum sind in allen Ländern Banken durch ungemessene Depositen-Annahme ebenso gut bankerutt geworden als durch Banknotenschwindel. Wenn eine Bank einer großen Anzahl Kunden daS Recht einräumt, die bei ihr zinsbar niedergelegten (deponirten) Gelder jeden Tag ohne Kündi­ gung wieder zurückzunehmen, und denselben oder anderen Kunden noch außerdem bis zu einer bestimmten Höhe Kredit verspricht, so muß sie einen sehr großen baaren Kassenbestand halten, ein sehr be­

deutendes eigenes Vermögen besitzen und daS eigene und geborgte Geld zum größten Theil auf ganz kurze Rückforderungsfristen zinsbar anlegen. Weil beinahe alle Schottischen Banken diese Grund­ sätze stets streng befolgten, sind Bankerutte bei ihnen in den zwei Jahrhunderten ihres Bestehens fast gar nicht vorgekommen. In Deutschland hat sich der Brauch, sich seine Kasse auf der Bank zu halten, noch nirgends recht eingebürgert. An der Kre­ ditgewährung in laufender Rechnung, im Kontokorrent, findet man freilich überall Geschmack, wo sie eingeführt wird. Es giebt für den Schuldner, für den Geschäftsmann keine bequemere und vortheilhaftere Form des Kreditnehmens, als wenn man Geld beliebig holen

17 und wieder bringen kann; unbequem wird sie für unsolide Geschäfts­ leute erst, wenn daran die stillschweigende oder ausdrückliche Bedin­ gung geknüpft ist, nun auch bei allen Einnahmen und Ausgaben die Vermittelung der Bank in Anspruch zu 'nehmen. Im Jahre 1866 sind gerade dem übermäßigen Gebrauche der laufenden Rechnungen eine ziemliche Anzahl angesehener, reicher oder für reich gehaltener Bauquiers unterlegen; sie waren so unklug gewesen, über ihr eigenes Vermögen hinaus die ihnen in laufender Rechnung anvertrauten Gelder derartig auszuleihen , daß dieselben bei dem Andrang der Gläubiger nicht flüssig zu machen waren. Neuerdings führen mehr und mehr auch die Deutschen Vorschuß­ vereine namentlich in Gegenden, wo die laufende Rechnung schon bei den Privatbankiers üblich ist, z. B. in Südwestdeutschland, neben der eigentlichen Gewährung von Vorschüssen und neben dem Ankauf von Geschäftswechseln, dem Wechseldiskontiren, daS Darlehn in laufender Rechnung als besondere Geschäftsbräuche ein. Von ihnen muß man erwarten und verlangen, daß sie dieses schwierige Geschäfts wo sie es ein führen, bald eben so gut wie die Schottischen Banken erlernen. Vor den großen Gefahren desselben und namentlich vor dem Miß­ brauche, welchen die Mitglieder damit treiben können, ist außer in den Schriften und Aufsätzen von Schulze-Delitzsch, Sörgel*) und An­ deren, auch durch die Verhandlungen des vorletzten allgemeinen Vereins­ tages eindringlich gewarnt worden. Dort sind Anträge des Pfälzischen, also desjenigen Verbandes, welcher mit diesen Geschäften am vertrau­ testen ist, zum Beschluß erhoben. Darnach wird der Kontokorrent­ verkehr zwar da empfohlen, wo die nothwendigen Voraussetzungen vorhanden find, insbesondere auf einen regelmäßigen Umschlag gerech­ net werden kann, aber es wird auch dringend auf die möglichen Be­ denken und Nachtheile hingewiesen.**) Da die Vorschußvereine auS vielen gleichberechtigten für die Vereinsverpflichtungen haftenden und durch schlechte Geschäftsführung gleichbedrohten Mitgliedern bestehen, da ferner ihre ganze GeschäftSgebahrung sich in ziemlicher Oeffent*) Schulze-Delitzsch in „Vorschuß- und Kreditvereine rc / 4. Aufl. S. 131 ff. Sörgel in den Blättern für Genossenschaftswesen, 1866, S. 147. **) „Die Höhe des in laufender Rechnung im Ganzen bewilligten Kredits, sowie der Höchstbetrag der einzelnen Kreditbewilligungen müssen zu dem eigenen Vermögen des Vereins im angemessenen Verhältnisse stehen, und es dürfen fremde Gelder nur unter ganz besonderen Vorsichts­ maßregeln verwendet werden, um dem in laufenden Rechnung gewährten Kredit zu genügen. Wo der in laufender Rechnung bewilligte Gesammtkredit das eigene Vereinsvermögen übersteigt, muß nicht bloß die Regel befolgt werden, daß man nicht auf längere Zeit Kredit gewährt, als man selbst von seinen Gläubigern genießt, sondern es können sich die Vereine nur dadurch gegen jede Gefahr schützen, daß sie einestheils die für den

18 lichkeit vollzieht, so werden die Mißgriffe, welche Vorsteher einer Genoffenschaft machen sollten, durch die Mitglieder schneller bemerkt und an daS Licht gezogen werden können, als bei anderen Bankinstituten. Von größter Wichtigkeit für daS ganze Vaterland aber wäre eS, wenn eS den Vorschußvereinen gelänge, ihre gewerbtreibenden Mitglieder — sei eS im Anschluß an die Kreditgewährung in laufen­ der Rechnung oder auf andere Weise — daran zu gewöhnen, daß sie gleich den Schotten und Engländern einen großen baaren Kassen­ bestand halten, aber nicht in der eigenen Wohnung, sondern bei ihrer Bank, bei dem Vorschußvereine. Mag auch zur Zeit die Zahl der­ jenigen gering sein, welche so viel Kasse halten können und halten, daß sich die Aufbewahrung und Verwaltung durch den Vorschußverein lohnt, — immerhin wird ihre Zahl wachsen, und gute wirthschaftliche Gewohnheiten müssen stets erst von Einzelnen mit Erfolg angenommen werden, wenn sie sich nach und nach allgemein einbürgern sollen. Jeder Genossenschaftßmann, welchem dieses Blatt zu Gesicht kommt, möge sich und seinen Vereinsgenoffen klar machen, welchen großen Nutzen die zinsbare Hinterlegung aller überflüssigen Gelder bei sicheren, soliden Bankinstituten nicht bloß für den einzelnen Geschäftsmann, sondern für die Gesammtheit mit sich führt. Sie nimmt dem Ein­ zelnen, um eS nochmals zu wiederholen, die Arbeit der Kassenführung ab, sichert ihn gegen Diebstahl, erzieht ihn zu größerer Wirthschaftlichkeit und macht, wenn sie allgemein üblich wird, daS gesammte Geschäftsleben solider. Sie bewirkt, daS die kleinste Summe, welche in die Kasse des Geschäftsmannes eingeht und sonst müßig daliegt, sogleich für ihn zinstragend angelegt wird. Und diese kleinen Summen, welche dadurch zum Besten der nationalen Arbeit dem umrollenden Kapitale zugeführt werden, sind sie etwa gering? — Wahrlich nein! — Wenn von 500,000 großen und kleinen Gewerbtreibenden Deutschlands zur Zeit ein Jeder in sei­ ner Geschäftskasse durchschnittlich nur 100 Thlr. behält, welche in England oder Schottland zur Bank abqeführt wären, so macht dies 50 Millionen Thaler aus — fünfzig Millionen Thaler, entzogen dem zinstragenden werbenden Kapitale, aus welchem sich in fleißigen deut­ schen Händen der Wohlstand der deutschen Nation auferbaut! Kontokorrentverkehr zu verwendenden Gelder oder doch einen beträchtlichen Theil derselben nur mit längerer Kündigungsfrist aufnehmen, anderntheils aber sich vorbehalten, die Kreditbewilli'guiigen jederzeit zurückzuziehen und die auf Grund derselben bezogenen Gelder nach Ablauf einer ganz kurzen Kündigungsfrist zurückzuverlangen. In den Fällen, wo ein Mitglied, ohne Kredit zu beanspruchen, mit dem Vereine in laufende Rech­ nung treten will, ist der Höchstbetrag der Summe, welche der Verein als Einlage nimmt, in jedem einzelnen Falle durch die Vereinsverwaltung festzusetzen." Beschluß des Leipziger Vereinstages August 1868.

19 III. Wo find die kleinen Ersparnisse anzulegen? Fragen ist leichter als Antworten! — Wenn mir Einer die obenstehende Frage vorlegte, müßte ich ihn vor allen Dingen erst wieder fragen, um wessen Ersparnisse es sich handelt. Es versteht sich von selbst und bedarf keiner Ueberlegung, daß ein Geschäftsmann — gleichviel ob Fabrikant, Kaufmann oder Landwirth — seine kleinen Ersparnisse am besten im eigenen Geschäft anlegt. Im eigenen Ge­ schäft muß er das Geld am höchsten nützen, im eigenen Geschäft muß es am sichersten stehen. Wo von Anlegung kleiner Ersparnisse geredet wird, hat man als Sparer in der Regel Kinder, Dienstboten, Gesellen, Lohnarbeiter, allenfalls auch Hausfrauen und Beamte im Auge, also Personen, welche ihr Geld nicht im eigenen Geschäft unterbringen können. Wo sollen diese ihre Ersparnisse anlegen? ist eine Frage, die sich eher beantworten ließe. Indessen ich will es mir bequemer machen und darlegen, was ich einem, jenen Klassen angehörenden Sparer ant­ wortete, als er mich wegen seiner eigenen Ersparnisse um Rath fragte. Aus der Antwort vermag jeder Leser die Regel auch für sich zu ziehen. Also — ein junger Arbeiter außerhalb Berlins fragte mich: yäßie lege ich wol am besten meine Ersparnisse an?" — Sie sind doch Mitglied des Konsumvereins und des Vor­ schußvereins? — „Des letzteren nicht, weil ich meinen Aufenthaltsort bald ein­ mal wechseln könnte und dann ausscheiden und daß Eintrittsgeld ver­ lieren müßte. Im Konsumverein habe ich mir blos durch Waaren-Einkaufen 25 Thlr. Guthaben herangespart und kann doch zur Zeit noch einen hübschen Groschen baar Geld zurücklegen. Fünfzig Thaler habe ich schon, die ich noch nicht austhat, weil ich mir eigentlich ein Papier kaufen wollte." — Ein Papier? — Doch keinen Rumänier oder Finnen oder Longobarden oder anderes Schundzeug? — rief ich verwundert. „Warum nicht, oder wenigstens einen Amerikaner, oder wenn's solider und sicherer ist, einen Preußischen Staatßschuldschein. Da hat man nicht erst zu kündigen, sondern kann ihn verkaufen, wenn

man Geld braucht." Recht ernst war es ihm mit dem Vorsatz, sich ein Papier zu kaufen, nicht mehr, darum wurde es mir nicht allzuschwer, ihn davon abzubringen. In erster Linie kam es ihm, wie allen sparenden Ar-

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20 Bettern, auf die Sicherheit an; wem kleine Ersparnisse sauer wur­ den, der wird ihren Verlust nur schwer verschmerzen. Damit waren die Rumänen, Finnen, Russen u. s. w. gerichtet. Auch die Ameri­ kaner konnten nicht recht Stand halten; freilich können sie noch die drittehalb tausend Millionen Dollars Staatsschulden vertragen, aber nicht, daß die regelmäßigen Abzahlungen auf letztere mehrmals stockten. Alle fremdländischen Staatspapiere von niedrigem KourS unb hohem Zins, mit denen leider in Deutschland mehr als irgend wo in der Welt geschachert wird, sind nicht sicher. Auf die preußischen Staatspapiere wollen indeß diese Gründe nicht zutreffen. Sie geben niedrige Zinsen bei niedrigem Kours, zur Zeit 37z pCt. Zinsen bei einem Kourse von 79 pCt., 4 pCt. bei einem Kourse von 83 pCt., 41/a pCt. bei einem Kourse von 93 pCt. Und wenn auch in den übrigen festländischen Großstaaten, in Frankreich, Oesterreich, Italien und Rußland, die Schuldenlast so lawinenartig anwuchs, daß der Staatsbankerutt nur durch baldige Entwaffnung zu vermeiden ist, so stehen die Dinge in Preußen doch besser. Hier hat, wie Eugen Richter einmal im Volksfreund berechnete, von 1849 bis 1868 jede Familie durchschnittlich 215 Thlr. baar für das Militär ausgegeben, und dies verhinderte eine Ueberschuldung deß Staates. „Sicher" — sagte ich also — „baß heißt so sicher, als Staatspapiere überhaupt sein können, sind die Preußischen Staatspapiere. Auch das zweite Erforderniß, welches sparende Arbeiter zu machen pflegen, scheint zuzutreffen, — die leichte Verfügbarkeit. Sie können den Staatsschuldschein verkaufen, sobald sie Geld nöthig haben. Aber bei Licht besehen, ist dies doch mehr Schein als Wirklichkeit. Wenn Sie heute 80 Thlr. Ersparnisse besitzen nnd dafür einen Staatsschuldschein mit 100 Thlr. Nennwerth kaufen, und in vier Wochen giebt eS einen Krieg, der Sie arbeitslos macht — haben Sie da die freie Verfügung über Ihre Ersparnisse? Sie brauchen 10 Thlr. und müssen Ihren Staatsschuldschein verkaufen; ist dann der KourS 70, so haben Sie statt 10 Thlr. gerade 20 Thlr. ver­ braucht. — So große Koursschwankungen, meinen Sie, kämen bei preußischen Staatspapieren nicht vor? — Weit größere, sogar in Fnedenßzeiten. Vom 31. Dezember 1858 bis zum 20. Mai 1859 fielen die Kourse der Staatsschuldscheine von 84% bis 73% pCt., also um 117-pCt. und der Preußischen 4% Proc. Anleihe von 101 auf 89 pCt., also um 12 pCt.

Und wie war eS 1866? Es standen:

am 15. Febr. die 4% proc. Anleihe

die Staatsschuldscheine

1007-

887