Von der Weisheit Gottes und der Menschen: Studien zur israelitisch-jüdischen Weisheit [1 ed.] 3161620984, 9783161620980, 9783161620997

In this collection of essays, Markus Witte offers a survey of genres in the wisdom literature of the Old Testament as we

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German Pages 256 [279] Year 2023

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis und Hinweise zur Zitation
Einleitung
Literarische Gattungen in der alttestamentlichen Weisheit
Hiob als jüdisches, christliches und paganes Werk. Überlegungen zur Hermeneutik heiliger Schriften
Hiobs letzte Worte
Kosmologie und Schöpfungsvorstellungen in Hiob 38 nach der Septuaginta
Beobachtungen zur Bedeutung und Funktion der Begriffe σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob
Menschenbilder des Sirachbuchs
Beobachtungen zum Abrahamporträt des Sirachbuchs (Sir 44,19–21)
Gelebte und reflektierte Religion in der Sapientia Salomonis
Gott und das Böse. Beobachtungen zur Theologie und Anthropologie der Sapientia Salomonis
Psalmen Salomos 3. Vom Gotteslob der Gerechten
Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen. Fünf Thesen aus der Perspektive des Alten Testaments
Literatur
Nachweis der Erstveröffentlichungen
Autorenregister
Namen- und Sachregister
Begriffsregister
Stellenregister
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Von der Weisheit Gottes und der Menschen: Studien zur israelitisch-jüdischen Weisheit [1 ed.]
 3161620984, 9783161620980, 9783161620997

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Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von

Corinna Körting (Hamburg) · Konrad Schmid (Zürich) Mark S. Smith (Princeton) · Andrew Teeter (Harvard)

163

Markus Witte

Von der Weisheit Gottes und der Menschen Studien zur israelitisch-jüdischen Weisheit

Mohr Siebeck

Markus Witte, geboren 1964; Studium der Ev. Theologie, Judaistik und Semitischen Philologie; 1993 Promotion; 1997 Habilitation; 2001–2009 Professor für Altes Testament an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M.; seit 2009 Professor für Exegese und Literaturgeschichte des Alten Testaments an der Theologischen Fakultät an der Humboldt-Universität zu Berlin. orcid.org/0000-0001-9358-1147

ISBN 978-3-16-162098-0 / eISBN 978-3-16-162099-7 DOI 10.1628/978-3-16-162099-7 ISSN 0940-4155 / eISSN 2568-8359 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Otterweier gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die in diesem Band gesammelten Beiträge sind in den Jahren 2016–2021 entstanden und an unterschiedlichen Orten erschienen. Für den Neudruck wurden sie durchgesehen, an einigen wenigen Stellen bibliographisch aktualisiert und aufeinander abgestimmt sowie formal vereinheitlicht. Für die Unterstützung bei der formalen Bearbeitung der Aufsätze, bei der Anfertigung der Register und beim Lesen der Korrekturen danke ich herzlich Margareta Diedrich, Veronika E. Ein­mahl, Lucas Müller, Stephan Mende und Felix Zander. Für die Erstellung der Druckvorlage bin ich Herrn Dipl. Theol. Matthias Müller zu großem Dank verpflichtet. Den Verlagen, in denen die hier aufgenommenen Aufsätze ursprünglich erschienen sind, danke ich für die Erlaubnis zum revidierten Nachdruck. Schließlich danke ich herzlich den Kollegen Konrad Schmid, Mark S. Smith, Hermann Spieckermann und Andrew Teeter für die Bereitschaft, die Aufsatzsammlung in der von ihnen herausgegebenen Reihe der FAT zu publizieren, sowie Frau Elena Müller und Betina Burkhart für die hervorragende verlegerische Betreuung. Berlin, im September 2022

Markus Witte

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Abkürzungsverzeichnis und Hinweise zur Zitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literarische Gattungen in der alttestamentlichen Weisheit . . . . . . . . . . . . .

7

Hiob als jüdisches, christliches und paganes Werk. Überlegungen zur Hermeneutik heiliger Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Hiobs letzte Worte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Kosmologie und Schöpfungsvorstellungen in Hiob 38 nach der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Beobachtungen zur Bedeutung und Funktion der Begriffe σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Menschenbilder des Sirachbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Beobachtungen zum Abrahamporträt des Sirachbuchs (Sir 44,19–21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Gelebte und reflektierte Religion in der Sapientia Salomonis . . . . . . . . . . . 147 Gott und das Böse. Beobachtungen zur Theologie und Anthropologie der Sapientia Salomonis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Psalmen Salomos 3. Vom Gotteslob der Gerechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen. Fünf Thesen aus der Perspektive des Alten Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

VIII

Inhalt

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Nachweis der Erstveröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis und Hinweise zur Zitation Die Abkürzungen biblischer sowie außerkanonischer frühjüdischer und frühchristlicher Schriften folgen dem Abkürzungsverzeichnis der vierten Auflage der RGG,1 Schriften der klassischen Antike werden nach dem Neuen Pauly angegeben,2 wobei die Namen der Autoren ausgeschrieben und die Werke kursiv gesetzt sind. Bibliographische Abkürzungen richten sich nach der dritten Auflage des IATG.3 Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen für grammatische Bezeichnungen, Quellen und Sekundärliteratur verwendet: Grammatische Bezeichnungen hap. leg. Hapaxlegomenon P. Person

Quellen A Codex Alexandrinus B Codex Vaticanus Aq Aquila CodA Codex von Aleppo: http: //aleppocodex.org/newsite/index.html CodL Codex Leningradensis: https://archive.org/details/Leningrad_Codex H Hebräische Version des Sirachbuchs; hochgestellte Buchstaben indizieren die jeweilige hebräische Handschrift (HA, HB, HC, HD, HE, HF, HM) G Griechische Version des Sirachbuchs Kgtm Bücher der Königtümer (1–4 Kgtm: 1–2 Sam LXX; 1–2 Kön LXX) La Altlateinische Übersetzung LXX Septuaginta OG Old Greek (ursprüngliche griechische Übersetzung) S Codex Sinaiticus: https://codexsinaiticus.org/de/  Sym Symmachos Syr Syrische Übersetzung (Peschitta) 1 Religion

in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, vierte, völlig neu bearbeitete Auflage, hg. v. H. D. Betz / D. S. Browning / B. Ja­ now­ski / E. Jüngel, Tübingen 1998–2005. 2 Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. v. H. Cancik / H. Schneider, Stuttgart 2003 /  2012. 3 S. M. Schwertner, IATG3 – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenz­gebiete. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin / Boston 2014.

X

Abkürzungsverzeichnis und Hinweise zur Zitation

Th Theodotion Vg Vulgata WKG Weisheitsschrift aus der Kairoer Geniza

Sekundärliteratur KAHAL LXX.D LXX.E LXX.H SAHG

Konzise und aktualisierte Ausgabe des Hebräischen und Aramäischen Lexikons zum Alten Testament, hg. v. W. Dietrich / S. Arneth, Leiden / Boston 2013. Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hg. v. W. Kraus / M. Karrer, Stuttgart 22010. Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Tes­tament, I–II, hg. v. M. Karrer / W. Kraus, Stuttgart 2011. Handbuch zur Septuaginta, hg. v. M. Karrer / W. Kraus / S. Kreuzer, Gütersloh 2016ff. Falkenstein, A. / Soden, W. von: Sumerische und akkadische Hymnen und Gebe­ te, Zürich 1953.

Die Zählung zitierter Qumrantexte folgt, sofern nicht anders vermerkt, der zwei­ bändigen Ausgabe von Florentino García Martínez und Eibert J. C. Tigche­laar (32005). Antike und spätantike griechische Quellen sind, wenn keine andere Edition genannt wird, nach dem Thesaurus Linguae Graecae (TLG) zitiert,4 bei griechischen Kirchenvätern wird zusätzlich die entsprechende gedruckte Version (CCSG, GCS, PG etc.) in Klammern angegeben, ohne dass dies im abschließenden Literaturverzeichnis eigens aufgeführt ist. Angaben aus dem Babylonischen Talmud folgen dem Soncino Talmud.5 Darüber hinaus wurden die entsprechenden Textmodule von Accordance benutzt.6 In den Fußnoten wird die Sekundärliteratur jeweils mit dem Nachnamen des Verfassers und einem Kurztitel angegeben; die vollständigen bibliographischen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis am Ende des Bandes. Hebräische Wörter werden mit wenigen Ausnahmen unvokalisiert wiedergegeben. Lediglich im Beitrag „Hi­ obs letzte Worte“ wird durchgehend die masoretische Vokalisierung und Akzentuierung angegeben, da diese im Rahmen der Segmentierung der Verse und der Poetologie diskutiert wird.

4 http://stephanus.tlg.uci.edu/inst/fontsel.

5 The Soncino Babylonian Talmud, includes Soncino English Text, Talmud Hebrew Ara­ maic Texts, Rashi’s Commentary on the Talmud, The CD-Rom Judaic Classics Library™, CD-Rom 1991–1993 (2005). 6 Accordance Bible Software. Version 13.3.3., Oak Tree Software, Inc., 2022.

Einleitung Τί ἐστι σοφίας καρπός; Was ist die Frucht der Weisheit? (Aristeasbrief 260)

Die in diesem Band gesammelten Beiträge kreisen um göttliche und menschliche Weisheit, wie sie in ausgewählten alttestamentlichen und frühjüdischen nicht kanonisch gewordenen Schriften reflektiert und artikuliert wird. Vier As­ pekte finden eine besondere Berücksichtigung: die Sprache der Weisheit, die Vielfalt der Textformen der israelitisch-jüdischen Weisheitsschriften sowie die Anthropologie und die Theologie der israelitisch-jüdischen Weisheit. Zudem wird den traditions- und literaturgeschichtlichen Beziehungen zwischen jüdischen Weisheitskonzeptionen der hellenistisch-römischen Zeit und paganen Überlegungen zur Gestaltung eines gelingenden Lebens, zu Wegen der Erkenntnis und zum Wesen Gottes bzw. der Götter nachgegangen. Der Band wird mit einem Überblicksartikel zu literarischen Gattungen der Weisheit im Alten Testament eröffnet. In diesem Artikel werden die horizontal ausgerichtete Kommunikationsstruktur, der dialogisch-diskursive Charakter, die spezifische Begrifflichkeit und die didaktische Tendenz der alttestamentlichen und frühjüdischen Weisheitsliteratur beschrieben. Dabei werden sowohl die kleineren literarischen Einheiten der Weisheitsschriften als auch deren kanonisch gewordenen Buchgestalten gattungsgeschichtlich klassifiziert. Vier Beiträge sind dem Buch Hiob gewidmet, das hinsichtlich seiner Mischung weisheitlicher, kultischer, juridischer und prophetischer Sprachformen zwar ein Werk sui generis darstellt, aufgrund seiner Thematisierung von Weisheit und Erkenntnis als Merkmal sowohl des kategorialen Unterschieds zwischen Gott und Mensch als auch der Bezogenheit des Menschen auf Gott häufig zur Weisheitsliteratur gezählt wird. Zunächst wird hier ein Versuch präsentiert, das Buch Hiob als ein jüdisches, christliches und paganes Werk zu lesen und beispielhaft eine multireligiöse Hermeneutik heiliger Schriften zu skizzieren. Die im Buch Hiob verhandelten Themen des Glaubens, der Gerechtigkeit, des Leidens, der Macht Gottes und des Segens erweisen sich als interkulturell: Die Theologie vermittelt hier zwischen Kulturen, zunächst ägyptischer, babylonischer, syrisch-palästinischer, persischer und griechischer Traditionen, sodann jüdischer, christlicher und islamischer Vorstellungen von Gott, Welt und Mensch. Der anschließende Aufsatz „Hiobs letzte Worte“ konzentriert sich auf

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Einleitung

die Semantik und die Pragmatik der Schlusswörter in den Reden Hiobs und zeigt, wie sich in diesen der Inhalt und die Tendenz der gesamten Rede, die sie jeweils abschließen, spiegelt. Die Schlusswörter der Reden Hiobs sind ein hermeneutischer Schlüssel zu den im Buch aufgeworfenen Fragen nach der Nähe und Ferne Gottes, nach dem Wesen der Gerechtigkeit Gottes und des Menschen, nach Gottes­erkenntnis und Selbsterkenntnis, nach dem Grund und Sinn des Lebens. Sodann werden in zwei Fallstudien zur Fassung des Hiobbuches in der Septuaginta die sprachlichen und theologischen Besonderheiten der Übertragung des hebräischen Werks ins Griechische nachgezeichnet. Während die Septuaginta als Ganze betrachtet schon eine besondere Frucht der frühjüdischen Wissenskultur darstellt, kennzeichnet die griechische Übersetzung des Hiobbuches im Speziellen eine doppelte Sapientialisierung. So ist zum einen das Thema der Erkenntnis im griechischen Hiobbuch gegenüber der mutmaßlichen hebräischen Vorlage noch einmal verstärkt, wobei die griechische Übersetzung tendenziell die jüngeren Redaktionen des Hiobbuches (der Ergänzung der Elihureden und der sogenannten Majestätsredaktion) fortsetzt.1 Zum anderen wird das Hiobbuch in seiner griechischen Gestalt Teil der griechischen Literaturgeschichte und partizipiert, wie an der Kosmologie in der ersten Gottesrede (Hi LXX 38) dargestellt wird, am paganen griechischen Diskurs über die Beschreibung der Welt. Das kosmotheistische Wissen2 des griechischen Hiobbuchs bewegt sich, wie auch das der Bücher Jesus Sirach und Sapientia Salomonis, die an späterer Stelle in diesem Band behandelt werden, im Kontext altorientalischer Wissensbestände und griechischer Philosophie. Die anschließende Untersuchung der Bedeutung und Verwendung der Begriffe σωτηρία und σῴζειν im griechischen Hiobbuch vertieft exemplarisch zum einen den im Eröffnungsaufsatz angesprochenen linguistischen Aspekt der alttestamentlichen Weisheitsliteratur, und entfaltet zum anderen an den Größen Heil und Rettung einen zentralen Topos biblischer Theologie. Dieser Beitrag verdeutlicht die Profilierung Hiobs als Paradigma göttlicher Rettung und zeigt, wie dieses in dem von einem griechischen Hiobbuch abhängigen Testament Hiobs fortgeschrieben wird. Die Hiob-Septuaginta und das Testament Hiobs werden sowohl als Teil der Redaktionsgeschichte des bzw. eines Hiobbuchs als auch als eigenständige Werke mit je eigenen literarischen und rezeptionsgeschichtlichen Kontexten gewürdigt. Die Vielfalt der textlichen Gestalten des Hiobbuchs erklärt auch die Vielfalt der Aneignungen der Gestalt Hiobs.3 Sie fordert letztlich zu einer kanonspluralen, die frühe Rezeptionsgeschichte in die Redaktionsgeschichte einbeziehenden Auslegung heraus. Die Notwendigkeit einer solchen Auslegung wird in den beiden folgenden Aufsätzen, die dem Buch Jesus Sirach gewidmet sind, in besonderer Weise deutlich. 1 Siehe

dazu Witte: Das Buch Hiob, 45–59. diesem Begriff und zu seiner Anwendung auf die alttestamentliche Weisheit – in Abgrenzung zu edukativen Wissenskonzeptionen – siehe Schipper: Sprüche, 19–27. 3 Siehe dazu auch Vicchio: Image, I–II; Witte: Gesichter; ders.: Hiobs Gestalten. 2 Zu

Einleitung

3

Ein Durchgang durch die Anthropologie des Sirachbuchs in seinen hebräischen, griechischen, syrischen und lateinischen Überlieferungsformen zeigt, wie sich dieses weisheitliche Lehrbuch als eine Anleitung zum wahren Menschsein lesen lässt. Die grundsätzliche didaktische Anlage des Sirachbuchs spiegelt sich erstens im Selbstverständnis seines mutmaßlichen Autors als eines inspirierten Weisen, zweitens in dessen Charakterisierung als Lehrer von Weisheit, Erkenntnis, Bildung und Torah durch den griechischen Übersetzer im Prolog sowie drittens in der literarische Gestaltung der Lehrreden. So entwirft das Sirachbuch eine menschliche Bildungsgeschichte mit den Stationen der Gottessohnschaft des Weisen, der Freundschaft und der Verwirklichung der Gottesebenbildlichkeit in Gestalt eines von Gottesfurcht, Torahgehorsam, Weisheit und Gebet geprägten Lebens. Dem Gleichklang von göttlich geschenkter Torah und Weisheit stellt das Sirachbuch in allen seinen Versionen das Zusammenspiel menschlichen Betens und Segnens gegenüber. Als ein Fallbeispiel der geschichtlichen Verifikation der allgemeinen Bildungs­geschichte lässt sich dann die Abrahamperikope des „Lobs der Väter“ (Sir 44,19–21) lesen. Die Verdichtung der nach der masoretischen Überlieferung 15 Kapitel umfassenden Lebensgeschichte Abrahams auf vier Verse zeigt die literarische Technik Ben Siras. Die Gegenüberstellung der hebräischen, griechischen, syrischen und lateinischen Version von Sir 44,19–21 lässt die unterschiedlichen Übersetzungstechniken, die verschiedenen intertextuellen Bezüge, zu denen auch die unterschiedlichen kanonischen Verortungen in der Septuaginta, der Peschitta und der Vulgata gehören, und die besonderen theologischen Schwerpunkte erkennen. Die synoptische Auslegung von Sir 44,19–21 verdeutlicht den Charakter Abrahams als einer schon in der Spätantike ökumenischen Figur – so wie es zu Beginn des Bandes für Hiob gezeigt wird. Das Phänomen einer bewussten sapientiellen Begrifflichkeit prägt nicht nur das Sirachbuch, sondern in noch stärkerer Weise die um rund 150 Jahre jüngere Sapientia Salomonis, mit der sich zwei weitere Aufsätze dieses Bandes be­schäftigen. Diese – neben dem Buch Kohelet – „philosophischste“ Schrift der kanonisch gewordenen Bücher des Alten Testaments rezipiert nicht nur eindeutig platonische und stoische Vorstellungen, sondern ist durchgehend von hellenistischer Kultur der Metropolen des Mittelmeerraums, zumal Alexandri­ as, geprägt. Dazu gehören auch die Erfahrungen mit dem hellenistischen Herrscherkult, mit der Verehrung der Göttin Isis und mit der Vielfalt der bildlichen Repräsentation von Gottheiten. Dies wird im Folgenden zunächst am Beispiel gelebter und reflektierter Religion in der Sapientia Salomonis gezeigt. Dabei werden die spezifische Frömmigkeitssprache der Sapientia Salomonis und ihr Verständnis des Heiligen in personaler, lokaler, temporaler, sozialer und medialer Hinsicht vorgestellt. So entwirft die Sapientia Salomonis letztlich eine weisheitliche Theologie jüdischer Gottesverehrung, wie sie unter den Bedingungen der Diaspora ausgeübt werden kann. Die Teilhabe der Sapientia Salomonis an zeitgenössischen intellektuellen Diskursen zeigt sich sodann auch an

4

Einleitung

ihrer Reflexion des Verhältnisses von Gott zu dem Bösen. Zu dem die gesamte israelitisch-jüdische Weisheitsliteratur prägenden Thema der Gerechtigkeit Gottes trägt die Sapientia Salomonis in besonderer Weise Überlegungen zum personalen und strukturellen Bösen sowie zu dessen Ursprung und Überwindung bei. Die Motive der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, des Leidens des Gerechten und der Weisheit als Retterin spielen dabei ebenso eine zentrale Rolle wie die Eschatologie. Insofern die Sapientia Salomonis im Rahmen der Septuaginta (und der Vulgata) kanonische Bedeutung bekommen hat, zeigt sich hier erneut die besondere Bedeutung der Septuaginta für eine gesamtbiblische Anthropologie, Soteriologie und Theologie sowie für eine kanonsplurale Auslegung. Die folgende Interpretation von Psalmen Salomos 3 belegt jüdische Psalmendichtung nunmehr in römischer Zeit und die zunehmende Artikulation der Vorstellung von einem ewigen Leben. So berührt sich die Eschatologie dieser in gewisser Hinsicht als poetische Hiobparaphrase anzusprechenden weisheitlichen Meditation in PsSal 3 mit eschatologischen Einsprengseln in den jüngeren Versionen des Sirachbuchs (G II; La), mit dem wohl noch vororigenis­ tischen Nachtrag zum griechischen Hiobbuch in Hi LXX 42,17a und mit der Sapientia Salomonis. PsSal 3 bezeugt aber nicht nur die Eschatologisierung der Weisheit, sondern auch deren maßgeblich vom Sirachbuch in der Fluchtlinie von Dtn 4 geprägte Nomisierung: Der wahre Weise hält sich an die Torah, nimmt – wie insbesondere die Elihuredaktion des Hiobbuchs lehrt – Leiden als eine göttliche Erziehungsmaßnahme an, hofft auf Gott als seinen Retter, betrachtet wie Ben Sira und die Verfasser der Sapientia Salomonis das Gebet als ein wesentliches Mittel der Kommunikation mit Gott und rechnet mit der Auferstehung der Gerechten. Die in der Überschrift von PsSal 3 vorgenommene Identifikation der Gottesfürchtigen mit den Gerechten provoziert auch bei diesem frühjüdischen Weisheitstext die Frage, wie ihn wohl ein zeitgenössischer nichtjüdischer, philosophisch Gebildeter wahrgenommen hätte. Die den Band beschließenden Ausführungen zum Glauben an den Allmächtigen und zu Vorstellungen von der Bosheit des Menschen aus alttestamentlicher Perspektive bieten eine Art literaturgeschichtliche und theologische Syn­these der vorangehenden zehn Aufsätze. So verortet dieser Beitrag die Rede von Gott als dem Allherrscher (παντοκράτωρ, omnipotens) in jüdischen Reflexionen der hellenistischen Zeit. Er bestimmt grundlegende religiöse und theologische Merkmale des frühen Judentums wie die Fokussierung auf die To­ rah, die Vorstellung von dem einen und einzigen, bildlos zu verehrenden Gott Jhwh, von der Erwählung des Gottesvolkes, von Jerusalem als heiliger Stadt und die weitergehende Ausbildung von ortsunabhängig zu vollziehenden Riten und beschreibt das Verhältnis zwischen göttlicher Allmacht, Herrschaft, Gerechtigkeit und Güte. Dieser theologischen Profilierung stehen Überlegungen zum Wesen des Menschen, zu seiner Freiheit und zu seiner Bosheit zur Seite. Auch hier wird der hohe Anteil der Weisheit an frühjüdischer Theologie und

Einleitung

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Anthropologie und deren besondere Bedeutung im Rahmen einer gesamtbiblischen Theologie und für christliche Glaubensvorstellungen sichtbar. Erneut zeigt sich, dass das Gebet ein, wenn nicht der zentrale Ort der Begegnung und Vermittlung der Weisheit Gottes und des Menschen ist. So schließt der Band mit dem der frühjüdischen Gebetssprache entnommenen Gottestitel des Erbarmers, der wie die Figuren Hiob und Abraham jüdische, christliche und islamische Gottesreflexionen verbindet.

Literarische Gattungen in der alttestamentlichen Weisheit [D]ie entscheidenden Fragen zu jeglicher G(attungs)-Klassifikation lauten: „Wer nimmt die Klassifizierung vor?“ und „Warum?“ (Richard Hunter)1 This essay briefly traces the history of research into Wisdom genres (Gattungen) in the Old Testament. It outlines the following as essential linguistic, semantic, and pragmatic criteria of a Wisdom genre: (1) a horizontal form of communication that contains a dialogical element, even in monologues or didactic poems; (2) terminology that is directed at knowledge; and (3) a pedagogical focus. Two major genres can be distinguished in the literary history of Israelite-Jewish Wisdom: the instructional book and the commentary. In the Old Testament, only the instructional book is found. Its sub-genres include instruction, to which belong also treatise and testament as well as diatribe and protreptic, the didactic poem, with its special variants of the Wisdom psalm and the meditation, didactic dialogue, which can develop into dispute, and the didactic story. The smallest common linguistic unit of the poetically composed Wisdom texts is the saying. Inner-textual commentaries are offered by the “Praise of the Fathers” in Sir 44–49 and the “midrash on Exodus” in SapSal 11–19. Extra-textual commentaries are performed by Jewish-Hellenistic exegetes, by Philo, and the pesharim from Qumran.

1. Auf dem Weg zu einer literarischen Gattung 1.1 Grundsätzliche Aspekte des Klassifizierens Zu den grundlegenden Mitteln des Menschen, sich in dieser Welt zu orientieren und das eigene Leben zu gestalten, gehört das Klassifizieren von Phänomenen. Das beständige bewusste oder unbewusste Vergleichen, Ordnen und Zusammenstellen von Erfahrungen und Wahrnehmungen bildet die Basis für das Leben und Überleben in einer oft undurchschaubaren Welt. Dabei umfasst das Klassifizieren in gleicher Weise natürliche Phänomene, gesellschaftliches Verhalten und vom Menschen Geschaffenes. Im Klassifizieren selbst spiegeln sich schöpferische und spielerische Aspekte. In der Bildung von Gruppen vergleichbarer Erscheinungen und in der Festlegung von Kriterien zeigt sich der homo faber. In der steten Neuanordnung, Problematisierung und Verfremdung 1 Hunter:

Gattung, 263.

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Literarische Gattungen in der alttestamentlichen Weisheit

dieser Gruppen und Kriterien wirkt der homo ludens. Zugleich schlagen sich in einzelnen Ordnungsmustern geographische, gesellschaftliche und sprachliche Spezifika nieder. Klassifikationen sind, auch wenn sie grundsätzlich überzeitlich sind, kulturell und zeitlich bedingt. Je differenzierter und komplexer sich menschliches Leben und die Wahrnehmung der Wirklichkeit gestalten, desto vielfältiger sind die Objekte, die klassifiziert werden, und die Parameter, nach denen klassifiziert wird. Das Klassifizieren dient aber nicht nur der Sicherung der Existenz und der Bildung von Identität, sondern ist auch eine Voraussetzung für Kommunikation. Die Klassifikation von Literatur als einer komplexen Form menschlicher Kommunikation zieht dementsprechend differenzierte Ordnungskategorien nach sich. Mit der Entstehung schriftlicher Texte geht die Einordnung dieser in bestimmte Textgruppen einher. So lassen sich für den Alten Orient und für Ägypten bereits im ausgehenden 3. Jahrtausend bzw. im frühen 2. Jahrtausend v. Chr. Klassifikationen von (zumeist anonym verfassten und anonym tradierten) Texten nachweisen. Dabei werden vor allem sprachliche, strukturelle, situative, thematische und pragmatische Kriterien angewendet. Im Bereich der antiken griechischen und römischen Literatur kommen verstärkt auktoriale, das heißt an (mutmaßlichen) Autoren orientierte Kriterien hinzu. Mitunter bieten die Texte selbst in einer Überschrift oder einer Unterschrift entsprechende Informationen zu ihrer Textsorte, ihrer Verwendung, ihrem Anlass, ihrem Autor oder Tradenten. Einen wesentlichen Anteil an der literarischen Klassifikation haben Archive, Bibliotheken und Schulen. In diesen Institutionen etabliert sich ein bestimmter Kanon von Textsorten im Blick auf unterschiedliche soziale und funktionale Bereiche (Alltag, Kult, Politik, Recht, Unterhaltung, Wissen). Einzelnen realen oder fiktiven Autoren kommt eine paradigmatische Bedeutung zu. Einzelne Gattungen erhalten dadurch einen autoritativen und normativen Charakter. Für den Bereich der israelitisch-jüdischen Literatur zeigen sich prinzipiell dieselben Kriterien der Klassifikation wie in Mesopotamien, Ägypten und Griechenland, auch wenn die archäologische Evidenz von Archiven, Bibliotheken und Schulen im vorhellenistischen Israel und Juda umstritten ist. Gleichwohl sprechen Angaben in der Hebräischen Bibel (2 Kön 22,8; Jer 36; Neh 8,1–2), soziologische Überlegungen sowie die Textfunde auf Elephantine (5. Jahrhundert v. Chr.) dafür, dass es auch im vorhellenistischen Judentum entsprechende Institutionen gab.2 Auch die Funde vom ostjordanischen Tell Deir ʿAlla lassen sich in dieser Richtung deuten, wenn man in dem Gebäude, auf dessen Wände u. a. die sogenannte Bileam-Inschrift (8. Jahrhundert v. Chr.) angebracht war, eine Schule sieht.3 Spätestens seit der persischen und hellenistischen Zeit finden sich im Judentum erstens binnentextliche Angaben zu Textsorten, Verwendungssituationen und Verfassern (vgl. Ps 7,1; Spr 1,1; Pred 1,1; Klgl LXX 2 Siehe

dazu auch Schmid: Literaturgeschichte, 43–47. Wandinschriften.

3 Blum:

Literarische Gattungen in der alttestamentlichen Weisheit

9

1,1), zweitens extratextliche Angaben zu Autoren und Gattungen (vgl. 11QPsa XXVII,2–11; Sir 47,8–9.14–17) sowie drittens Orte systematischer Sammlungen von Literatur (vgl. 2 Makk 2,13–15 und die Funde der Schriftrollen vom Toten Meer). 1.2 Etappen der alttestamentlichen Gattungsforschung Die Zuweisung eines konkreten Textes zu einer bestimmten Gattung berührt prinzipiell, wie jede Klassifikation, drei Zeithorizonte: Sie erfolgt immer in der Rückschau auf den produzierten Text, sie zielt auf ein gegenwärtiges Verstehen und sie begründet ein Muster für künftige Texte und für künftiges Verstehen. Dementsprechend unterliegt die vorgenommene literarische Klassifikation Wandlungen in der Sprache und im Verstehen. Definitionen von Gattungen sind nie statisch und dürfen es auch nicht sein, wenn sie ihre orientierende und normierende Funktion nicht verlieren wollen. Zu unterschiedlichen Zeiten können unterschiedliche Gattungsbestimmungen sinnvoll sein. Ein besonderes Problem bei der Klassifikation von Texten als schriftgewordener Artikulation und Kommunikation entsteht, wenn die zu klassifizierenden Texte aus einem anderen Sprachraum und einem anderen Kulturkreis stammen als dem der klassifizierenden Person. In der Geschichte der alttestamentlichen Gattungsforschung spiegeln sich diese grundsätzlichen kulturell und hermeneutisch bedingten Wandlungen und Probleme vielfältig wider. Die moderne Klassifikation der biblischen Literatur – und damit auch der weisheitlichen Texte des Alten Testaments – gründet in der gattungstypologischen Diskussion des 18. Jahrhunderts. Wegweisend wurden die Vorlesungen des Oxforder Professors für Rhetorik Robert Lowth über die heilige Poesie der Hebräer (1753).4 In Anlehnung an die im 18. Jahrhundert herrschende, aus der Gattungstypologie der klassischen antiken griechischen und römischen Literatur stammende Trias Epik, Lyrik und Dramatik präsentierte Lowth unter der Überschrift ‫ משלים‬Sive carmina didactica die Sprüche Salomos, Kohelet und Jesus Sirach sowie alphabetische Psalmen. Als Grundform der didaktischen Dichtung bestimmte Lowth den einzelnen Spruch (‫)משל‬, näherhin die Parabel und die Sentenz. Von der didaktischen Dichtung unterschied er die dramatische Dichtung, unter der er beispielhaft das Buch Hiob behandelte, die prophetische Dichtung (‫ )נבואה‬sowie die Lyrik, unterteilt in die Elegie (‫)קינה‬, die Ode (‫)שיר‬ und den Hymnus (‫)שיר‬.5 Ziel seiner Vorlesungen und damit auch seiner Gattungsbestimmungen war die Erhebung des ästhetischen Gehalts der biblischen Poesie und deren Vermittlung an gegenwärtige Leser. Charakteristisch für die Typologie Lowths ist, dass er einerseits aus den Schriften der Hebräischen Bibel selbst stammende Gattungsbezeichnungen aufgreift, andererseits seine übergeordneten Kriterien zur Bestimmung der Gattungen (genera und species) 4 Lowth: 5 Siehe

Praelectiones. dazu Witte: Gattung.

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aus der klassischen griechischen und römischen Dichtung nimmt. Lowths Vergleich der biblischen Dichtung mit Homer, Sophokles, Pindar oder Horaz bewegt sich ganz in den Bahnen der schon in der Antike selbst vorgenommenen Orientierung an paradigmatischen Autoren. An diesem Punkt setzte die Kritik von Johann Gottfried Herder an. So warf Herder, der neben dem Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis maßgeblichen Anteil an der europaweiten Verbreitung der Vorlesungen Lowths hatte, diesem vor, er klassifiziere die biblische Poesie nach einem ihr fremden Schema. Nach Herder müssen bei der Bestimmung einer Gattung nicht nur textimmanente Bezeichnungen berücksichtigt werden, sondern vor allem auch die Lebenswelt, der die einzelnen Texte entstammen. In seinem Fragment gebliebenen Werk Vom Geist der Ebräischen Poesie (1782 / 1783), das mit Lowths Vorlesungen erstens das Interesse an der Ästhetik der biblischen Texte und zweitens eine starke apologetische Tendenz teilt, versuchte Herder dementsprechend die spezifische biblische Ausprägung von Spruch und Gesang als den zwei Grundformen der Dichtung aus der Kultur und der Mentalität der Hebräer abzuleiten. Im ‫ משל‬sah Herder den wesentlichen Baustein der „Bilderrede“, welcher der Gesang als der zweiten „Hauptpforte“ der hebräischen Poesie gegenüberstehe.6 Dabei differenzierte Herder die Bilderrede funktional und temporal: „In der Bilderrede spricht Einer; er lehret, straft, tröstet, unterrichtet, lobpreiset, sieht die Vergangenheit und enthüllet die Zukunft“.7 Aus dieser Definition ergibt sich dann die soziologische Verteilung des ‫ משל‬auf Weisheitslehrer und auf Propheten sowie die funktionale Unterscheidung zwischen Paränese, Paraklese, Interpretation und Doxologie. Der Unterschied zu Lowth zeigt sich exemplarisch bei der Herleitung des Buches Hiob aus „der Denkart eines Arabers, eines Idumäers sowohl im Umkreise der Bilder als in jenen kleinen Lieblingszügen, die eben am meisten charakterisiren“ und an der Klassifikation des Buches Hiob als eines morgenländischen „Consessus einiger Weisen (…), die pro und contra die Sache der Gerechtigkeit des obersten Weltmonarchen verhandeln“.8 Herders Mahnung, die hebräische Poesie in ihrem vorderorientalischen Kon­text zu verstehen, hat die weitere Gattungsforschung des 19. Jahrhunderts bestimmt. Nach der Erschließung mittelalterlicher und neuzeitlicher Dichtung aus Vorder- und Mittelasien durch den Juristen, Indologen und Sprachwissenschaftler William Jones (1746–1794) und der Verbreitung seiner Ergebnisse durch Johann Gottfried Eichhorn wurde die Klassifikation der hebräischen Literatur im Rahmen der levantinischen und vorderorientalischen Literatur stark durch die umfangreichen Textfunde in Ägypten und in Mesopotamien beeinflusst. Vor allem im Bereich der Weisheitsliteratur wurde damit die an der klassischen Antike orientierte Gattungstypologie seit der zweiten Hälfte 6 Herder:

Geist, Teil 2, 22. Geist, Teil 2, 22. 8 Herder: Geist, Teil 1, 309.314. 7 Herder:

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des 19. Jahr­hunderts allmählich durch ein orientalisches Paradigma abgelöst, bevor sie dank der Entdeckung ganzer Bibliotheken in Babylon, Ur und Ninive am Ende des 19. Jahrhunderts ganz neue Impulse erhielt. Im Programm seiner biblischen Literaturgeschichte führte Hermann Gunkel (1906 / 1913) den Vergleich der biblischen Texte mit der Literatur Mesopota­ miens und Ägyptens zu einer Synthese. Zugleich kam Gunkel zu einer epochalen Bestimmung von drei wesentlichen Kriterien einer Gattung: erstens der sprachlichen Struktur, zweitens dem Inhalt und drittens der soziokulturellen Verwendung (Sitz im Leben). Begleitet wurde Gunkels literaturgeschichtliche Synthese von der Zusammenstellung wichtiger Vergleichstexte aus dem Alten Orient durch seinen Freund Hugo Gressmann. Die nach geographischen Räumen und nach Gattungen gegliederte Anthologie Gressmanns Altorientalische Texte zum Alten Testament (1906 / 1926) bot erstmals leicht zugänglich eine repräsentative Auswahl ägyptischer, babylonisch-­assy­rischer, nordsemitischer und altsüdarabischer Texte, darunter ägyptische Spruch­sammlungen und Lehren (wie die für die Traditionsgeschichte von Spr 22,17–­24,22 wichtige Leh­ re des Amenemope), mesopotamische Weisheitssprüche, Lehrgespräche und Fabeln sowie die aramäischen Aḥiqar-Sprüche. Mit ihrem Programm, Literaturgeschichte als Gattungsgeschichte und als Kulturgeschichte zu schreiben, standen Gunkel und Gressmann einerseits auf den Schultern von Herder und Ernst Heinrich Mei­er (1856). Andererseits bereiteten sie den gattungs- und religionsgeschichtlich grundlegenden Sammelwerken wie Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament (1955, 1969), Texte aus der Umwelt des Al­ ten Testaments (1982–2001, 2004–2020) und The Context of Scrip­ture (1997– 2002, 2016) den Weg, die gleichfalls eine nach Gattungen und Sprach- / Kulturräumen klassifizierte Auswahl altorientalischer Texte bieten. An den Kriterien Gunkels – wie an seinem trotz vereinzelter Versuche nicht befriedigend umgesetzten Programm einer biblischen Literaturgeschichte – hat sich die weitere Forschung bis heute abgearbeitet. Das seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Entdeckungen der Archive von Elephantine, Ugarit (Rasch Schamra) und von Qumran explosionsartig angestiegene Vergleichsmaterial und die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts intensiv betriebenen linguistischen, literaturwissenschaftlichen und sprachtheoretischen Diskussionen lassen sich als umfangreiche Kommentare zu Gunkels dreigliedriger Typologie lesen. Versuche, stärker als Gunkel zwischen sprachlicher Struktur (Form) und Inhalt zu unterscheiden, haben sich nicht bewährt. Ebenso wenig waren Versuche zielführend, die Begriffe Form und Gattung (Genre) synonym zu verwenden. So lassen sich bei der Bestimmung einer Gattung weder Form und Inhalt strikt voneinander trennen, noch sind Form und Gattung identisch. Der Begriff Form bezeichnet die sprachliche Struktur eines konkreten Textes. Der Begriff der Gattung hingegen meint das übergeordnete Muster, dem sich Texte vergleichbarer sprachlicher Merkmale, vergleichbarer Inhalte und vergleichbarer Verwendungen zuordnen lassen. Mit Gunkel ist daher weiterhin

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von einer Gattungsgeschichte zu sprechen, nicht von einer Formgeschichte.9 Allerdings hat sich in der neueren Forschung das Ziel der Gattungsbestimmung gegenüber Gunkel verschoben. Zielte Gunkel auf die Verortung einzelner Gattungen in der mündlichen Überlieferung, auf die Rekonstruktion der ursprünglichen Verwendung und auf die Bestimmung der ursprünglichen Institutionen, so steht im Mittelpunkt der gegenwärtigen Gattungsforschung die Frage nach den literarischen Gattungen und ihren Funktionen in den einzelnen Texten.10 Für die Verschiebung von der Vorgeschichte des Textes auf den Text selbst sind vor allem drei Faktoren verantwortlich: erstens die zeitgleich zu Gunkel einsetzende literaturästhetische Betrachtung, die in Richard G. Moultons Li­ terary Study of the Bible (1896) einen Klassiker besitzt und die sich vor allem den poetischen und rhetorischen Strukturen eines Textes und seiner Wirkungen auf die Leser widmet, zweitens die redaktionsgeschichtliche Forschung, die ausgehend vom sogenannten Endtext das literarische und sachliche Profil der sukzessive erfolgten Fortschreibungen eines Textes nachzeichnet, und drittens die Erkenntnis der kategorialen Differenz zwischen mündlichen und schriftli­ chen Texten und der damit verbundenen methodischen Schwierigkeit, auf der Basis eines schriftlichen Textes die diesem mutmaßlich vorausgehende mündliche Überlieferung zu rekonstruieren. Gegenwärtig erfolgt eine weitere Verschiebung der gattungsgeschichtlichen Fragestellung aufgrund des besonderen Interesses an der Rezeptionsästhetik und an der Rezeptionsgeschichte biblischer Texte. Mit anderen Worten: Neben die Frage Gunkels nach dem Sitz im Leben einer Gattung ist die Frage nach dem Sitz in der Literatur und die Frage nach dem Sitz in der Welt der Leser getreten.11

2. Merkmale einer weisheitlichen Gattung In der Bestimmung einer Gattung fließen bestimmte generelle und spezielle, formale und inhaltliche Merkmale zusammen. 2.1 Generelle und spezielle Parameter einer Gattung Orientiert man sich weiterhin an Gunkels Kriterien und berücksichtigt man neuere sprachwissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Erkenntnisse, so lassen sich für die Bestimmung einer mündlichen und einer schriftlichen Gattung zunächst drei generelle Parameter benennen: (1) die Kommunikations­ ebene – dabei lässt sich die Kommunikation zwischen Menschen (horizontale Kommunikation) von der Kommunikation zwischen Menschen und einer Gottheit (vertikale Kommunikation) unterscheiden; geht bei letzterer die Richtung 9 Vgl.

J. Barton: Criticism; Blum: Formgeschichte. Fohrer: Form; Müller: Lehrerzählung; Murphy: Literature. 11 Exum / Clines: Criticism, 18–19; Melugin: Form Criticism. 10 Vgl.

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vom Menschen zur Gottheit, kann ein Gebet vorliegen, geht die Richtung von der Gottheit zum Menschen, kann es sich um ein Orakel oder einen Segensspruch handeln –, (2) morphologische, syntaktische und morpho-syntaktische Phä­nomene, zum Beispiel ein Imperativ oder ein Bedingungssatz, (3) die Funk­ tion, zum Beispiel zu belehren, zu danken, zu ermahnen, zu informieren, zu interpretieren, zu loben, zu normieren oder zu regulieren. Zu den drei generellen Parametern müssen aber drei spezielle Parameter hin­ zukommen: (1) der Inhalt und das Thema, (2) bestimmte Wörter (Lexeme) und Wortverbindungen (Syntagmen), (3) die konkrete Situation der Verwendung, also der soziologische Ort und Kontext. Diese Parameter stehen in einer wechselseitigen Relation: Parameter einer Gattung Kommunikationsebene ↕ Inhalt und Thema

Sprache (Morphologie, Syntax) ↕ Sprache (Lexeme, Syntagmen)

Funktion ↕ Situation

Stilmittel, darunter auch die in der jüngeren Forschung vielfach untersuchten Phänomene wie die Allegorie, die Metapher und die Paronomasie, oder „Po­e­ sie“ und „Prosa“ sind zwar wesentliche Größen zur Beschreibung und Unterscheidung von Texten, aber keine Merkmale einer Gattung, auch wenn bestimmte Gattungen vornehmlich poetisch oder prosaisch geprägt sind und einzelne Gattungen stilistisch stärker geprägt sind als andere. Poetologische und rhetorische Studien, wie sie exemplarisch von Eduard König (1900) über Luis Alonso Schökel (1988) und Wilfried G. E. Watson (1984) bis zu Jan Fokkel­ man (1998–2004) und Jürg Luchsinger (2010) vorgelegt wurden, flankieren die Gattungsforschung, ersetzen diese aber nicht. Dasselbe gilt für die aus dem Strukturalismus kommende Gliederung eines Textes in movements und seg­ ments, aus deren Wechselspiel sowie aus der Verwendung und Verfremdung traditioneller Formen der eigentliche plot und das literarische genre eines Textes erhoben werden.12 2.2 Generelle und spezielle Merkmale einer weisheitlichen Gattung Wesentliche generelle Merkmale einer weisheitlichen Gattung sind: (1) eine ho­rizontale Kommunikation, (2) Formulierungen im Imperativ, Adhortativ, De­ li­berativ oder als Frage, (3) eine belehrende (didaktische, paränetische), zur Re­ flexion anregende (diskursive, konfrontative, kritische, meditative) oder die­se bündelnde (resultative), auf Überzeugung setzende (persuasive) und zu einem bestimmten Handeln motivierende oder direktive Funktion, also Unterweisung. Hinzu kommen als spezielle Merkmale: (1) ein das Leben des Menschen in seiner Gesamtheit umfassender Inhalt, (2) Wörter und Wortverbindungen, 12 Vgl.

Habel: Job; Dell: Book of Job, 109–157.

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die sich auf Erkenntnis, Sinn, Ethik und Orientierung in der Welt beziehen, (3) eine Verortung in Situationen und Institutionen, die auf Erziehung und Bildung zielen, wie Familie und – in einem weiten Sinn – Schule. Dabei ist zu bedenken, dass die Größe „Schule“ im Laufe der Geschichte Israels und Judas mehrfach sozialen und lokalen Veränderungen unterworfen war. So erfolgte im Schatten des Zusammenbruchs des judäischen Königtums 587 v. Chr. sowie der wachsenden jüdischen Diaspora in persischer und hellenistischer Zeit eine Verlagerung von der Ausbildung von Schreibern am Königshof hin zum Unterricht von Schriftgelehrten (literati) im Umkreis des Zweiten Tempels, entstehender Lehrhäuser und Synagogen (katechetische Weisheit). Im Blick auf den speziellen Parameter des Inhalts einer weisheitlichen Gattung ist schließlich das Verständnis von Weisheit selbst von entscheidender Bedeutung. Bezeichnet der Begriff Weisheit (‫חכמה‬, σοφία) im Alten Testament – wie auch in der altgriechischen Literatur – zunächst in einem technischen Sinn handwerkliches Wissen und Kunstfertigkeit (vgl. Ex 31,1–5; 35,35), so steht er in einem weitergehenden Sinn für ein auf Erfahrung und Tradition beruhendes Differenzierungs- und Orientierungsvermögen, mittels dessen der Mensch das Leben bewältigt. Weisheit zielt in dieser Hinsicht auf ein gelingendens Leben und erweist sich als Lebenskunde. Ihr Ausgangspunkt ist die Beobachtung von typischen Phänomenen in der Natur und in der Kultur. Genaues Hinsehen (‫בין‬, νοεῖν) gilt als Klugheit (‫בינה‬, ἐπιστήμη / σύνεσις / φρόνησις). Weisheit ist verdichtete, über Generationen weitergegebene und behutsam an neue Lebensverhältnisse angepasste Erfahrung. Aus Erfahrung, die zu einem intensiven Vertrautwerden (‫ידע‬, εἰδέναι) mit etwas führt, entstehen Wissen und Erkenntnis (‫דעת‬, σύνεσις / αἴσθησις, γινώσκειν). Der gedankliche Hintergrund ist die Vorstellung, dass der Schöpfergott oder der Urhebergott in diese Welt eine gerechte Ordnung eingesenkt hat, deren Befolgung dem Einzelnen wie der Gemeinschaft den „Weg des Lebens“ (Spr 6,23) zeigt sowie Gerechtigkeit und Glück in jeder Beziehung in Aussicht stellt. Konstitutiv ist die Überzeugung, dass zwischen dem Tun und dem Ergehen eines Menschen ein enger Zusammenhang besteht („Tun-Ergehen-Zusammenhang“) und dass es innerhalb der Gesellschaft ein Netz von sozialen Verantwortlichkeiten gibt („konnektive Gerechtigkeit“). Es dominiert eine synthetische Wahrnehmung der Wirklichkeit, das heißt Tat und Folge, Individuum und Gemeinschaft werden in einer engen Beziehung gesehen. Gerechtigkeit (‫צדקה‬, δικαιοσύνη) erscheint als ein Handlungsmaßstab und als ein Lebensraum: Wer gerecht, das heißt der Gemeinschaft, in der er lebt, entsprechend handelt, erlebt Gerechtigkeit. Die Verbindung von Gerechtigkeit und Leben (‫חיים‬, ζωή) ist konstitutiv für weisheitliche Existenz (vgl. Spr 11,19; 12,28; 21,21). Gerechtigkeit als ein zentraler Begriff und ein zentrales Thema von Weisheit im Alten Testament und in den frühjüdischen Schriften bezeichnet dementsprechend eine heilvolle Gemeinschaft. Als weise (‫חכם‬, σοφός) gilt also, wer sich und seine Umwelt genau beobachtet, wer offen ist für neue Erfahrungen, wer auf die Weisungen seiner Vorfahren

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hört und wer sein Leben und Verhalten an der gerechten Weltordnung ausrichtet. Wenn Weisheit eine prozesshafte Addition von Lebenserfahrung ist, dann gilt derjenige, der sich nicht um eine exakte Wahrnehmung seiner Lebenswelt kümmert und der die Erfahrung vorangegangener Traditionen missachtet, als dumm (‫כסיל‬, ἄφρων / ἀσεβής) und als töricht (‫אויל‬, ἄφρων / ἀσεβής). Die Vorstellung von einer auf Erfahrung beruhenden und auf einer den Kosmos durchwaltenden Schöpfungsordnung gründenden Weisheit teilen das Alte Testament und das frühe Judentum mit dem gesamten alten Nahen Osten und Ägypten. Der Horizont einer solchen Deutung der Wirklichkeit sind alle Lebensbereiche des Menschen in der Familie und der Gesellschaft, aber auch die natürliche Umgebung und der gesamte Kosmos. So lässt sich Weisheit untergliedern in lebenskundliche Bildung und in kosmologisches Wissen, letzteres schließt astronomisches und theologisches Wissen ein. Zwischen beiden Bereichen kann es Überschneidungen geben. Sie treffen sich funktional hinsichtlich einer Orientierung in Raum und Zeit, wobei im Bereich der lebenskundlichen Bildung die Erde und die Gegenwart, einschließlich der (nahen) Vergangenheit und der (nahen) Zukunft im Mittelpunkt stehen und im Bereich des kosmologischen Wissens der Himmel sowie die Protologie und die Eschatologie. Wo allerdings das kosmologische Wissen auf eine besondere göttliche Offenbarung zurückgeführt wird, also eine vertikale Kommunikation vorliegt, wie beispielsweise in den Himmelsreisen Henochs (1 Hen 17–36), handelt es sich nach der hier vorgenommenen Definition nicht um eine weisheitliche Gattung, sondern um eine prophetische, näherhin eine apokalyptische. Der Weise erscheint hier im Gewand des Apokalyptikers. Zwischen beiden steht der inspirierte Weise, wie er punktuell in späteren Fortschreibungen des Hiobbuches und noch deutlicher konturiert in esoterischen Lehren aus Qumran erscheint (vgl. Hi 4,12–21; 32,8.18; Dan 1,4 bzw. 4QInstruction; 1 / 4QMysteries). Merkmale einer weisheitlichen Gattung horizontale Kommunikation ↕ Gerechtigkeit, Leben, Zeit

Unterweisung Imperativ, Adhortativ, Frage ↕ ↕ Familie, „Schule“, Synagoge *‫בין‬, *‫חכם‬, *‫ידע‬, *‫יסר‬, *‫למד‬, *‫שכל‬, )*‫(יכח‬

3. Literarische Gattungen in der Weisheit Geht man von der Endgestalt der Schriften des Alten Testaments und des frühen Judentums aus, so lassen sich zwei literarische Großgattungen unterscheiden, die den oben entfalteten Kriterien entsprechen: erstens das Lehrbuch und zweitens der Kommentar. Im Alten Testament ist nur das Lehrbuch in Gestalt der Proverbien und Kohelets sowie des Sirachbuches und der Sapientia Salomonis vertreten. Das oft zur Weisheitsliteratur gerechnete Buch Hiob besteht

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zwar aus vielen weisheitlichen Gattungen und hat auch eine starke didaktische Tendenz, bildet aber gattungsgeschichtlich ein Werk sui generis.13 Während die Proverbien und Kohelet in ihrer in der Hebräischen Bibel vorliegenden Fassung aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. stammen, ist das hebräische Sirachbuch um 180 v. Chr., seine griechische Übersetzung zwischen 132 und 117 v. Chr. sowie die genuin griechische Sapientia zwischen 30 v. Chr. und 30 n. Chr. entstanden. 3.1 Das Lehrbuch Das Lehrbuch bildet eine redaktionelle Zusammenstellung verschiedener, aber durchgehend didaktisch ausgerichteter Kleinkompositionen, zu denen erstens die Lehrrede, zweitens das Lehrgedicht und drittens das Lehrgespräch zählen. Als Gliederung dienen erstens Überschriften, die originäre Gattungsbegriffe bzw. Elemente zur einer Gattungsbestimmung enthalten können (vgl. Spr 1,1; 25,1; die Überschrift der Bileam-Inschrift vom Tell Deir ʿAlla 14 und den Epilog des Buches Kohelet in Pred 12,9–11), zweitens der Aufmerksamkeitsruf oder die Lehreröffnungsformel (‫)שמע בני‬, in der ein Schüler als Sohn angesprochen und zum genauen Zuhören aufgefordert wird (vgl. Spr 1,8; 2,1) und drittens formelhafte Zusammenfassungen (summary appraisal, vgl. Spr 1,19; Hi 18,21). Im Fall der Proverbien und des Buches Kohelet kennzeichnet der Einleitungsvers die gesamte Schrift als eine Königslehre (Spr 1,1; Pred 1,1), wie sie in Ägypten schon im Alten und Mittleren Reich in Gestalt der Lehre für Merikare und der Lehre des Königs Amenemhet belegt ist.15 Den traditionsgeschichtlichen Hintergrund bildet die im gesamten Alten Orient bis in die hellenistische Königsideologie belegte Vorstellung von einem weisen König. Ihr biblisches Ideal ist Salomo (vgl. 1 Kön 5,9–14; 10,1–7; Sir 47,14–17), so dass diesem, teilweise schon innerbiblisch, die Lehrbücher Proverbien, Kohelet und Sapientia und die auch weisheitlich geprägten Schriften Hoheslied 16 und Psalmen Salomos zugewiesen wurden. 3.1.1 Die Lehrrede Die Lehrrede wendet sich unmittelbar an ein zu lehrendes Gegenüber, das entweder imperativisch zu einem lebensförderlichen Verhalten und Handeln aufgefordert wird oder persuasiv und selbstreflexiv zur Erkenntnis dessen geführt wird, was getan und unterlassen werden muss. Im Anschluss an Bernd U. Schipper könnte man die beiden Formen der Lehrrede auch zwei unterschiedlichen pädagogischen Konzepten zuweisen: einem indikativischen Konzept, demgemäß der Weisheitsschüler Subjekt des Erwerbs von Einsicht (‫ )בינה‬ist, 13 Vgl.

Dell: Book of Job, 63–88; Witte: Gattung. Wandinschriften, 29. 15 Lichtheim: AEL I, 97–109.135–139. 16 Vgl. Kingsmill: Song of Songs. 14 Blum:

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und einem imperativischem Konzept, demgemäß der Weisheitsschüler Objekt der Unterweisung (‫מוסר‬, παιδεία) ist.17 Die Lehrrede kann auch als Instruk­ tion bezeichnet werden.18 In ihrem darlegenden, mahnenden und / oder warnenden Hauptteil kann sie eine Beschreibung (vgl. Spr 5,3–6) oder eine Beispielerzählung (vgl. Spr 7,6–23 par. 4Q184) enthalten. Besondere Stilmittel der Lehrrede sind die rhetorische oder didaktische Frage (vgl. Pred 2,19), das Frage-­Antwort-Spiel (vgl. Spr 23,29–30) oder das Rätsel (Spr 30,4). Letzteres wird in der Forschung gelegentlich als eine genuin weisheitliche Gattung angesprochen, zumal der Begriff ‫( חידה‬in der Septuaginta προβλήμα / αἴνιγμα) innerbiblisch als eine Gattungsbezeichnung erscheint (vgl. Spr 1,6; Sir 8,8 [HA par. ‫ ;]שיחה‬39,3 [G]; 47,17 [HB]). Ihre nächsten Verwandten findet die alttestamentliche Lehrrede in den vom Alten Reich (2655–2310 v.Chr.) bis in die ptolemäische Zeit (323–31 v. Chr.) tradierten und komponierten ägyptischen Lebenslehren (ägypt. sebajt), aber auch für den mesopotamischen Raum sind Lehren belegt.19 3.1.2 Traktat, Diatribe und Protreptikos Wenn die Lehrrede einen stärker argumentativen und diskursiven Charakter annimmt, kann von einem Traktat gesprochen werden. Eine charakteristische Ausformung des Traktats bieten die Reflexionen Kohelets, die eine spezifische Argumentation in vier Schritten aufweisen: Den Ausgangspunkt bilden Fragen zum Wesen des Menschen (A). Diese werde mit eigenen Beobachtungen und Erfahrungen in der Natur und der Kultur korreliert (B) – daher tritt bei Kohelet neben die schon genannten Begriffe der Wahrnehmung (‫ידע‬, ‫ )בין‬immer wieder der Begriff des „Sehens“ (‫)ראה‬. Mittels einer kontrastierenden Zitation traditioneller Weisheitssätze (C) wird eine thetisch, zumeist als Negation formulierte Schlussfolgerung gezogen, die auf die eingangs gestellt Frage antwortet (D) (vgl. Pred 1,4–11). Angesichts der Entstehungszeit und der inhaltlichen Berührung mit griechischer Philosophie ist nicht ausgeschlossen, dass das Buch Kohelet insgesamt gattungsmäßig vom Lehrvortrag hellenistischer Popularphilosophen beeinflusst ist, die in der modernen Gattungstypologie antiker Literatur als Diatribe bezeichnet werden. Hingegen können die Lehrreden in den ersten beiden Teilen der Sapientia aufgrund ihres für die Weisheit werbenden Charakters auch mit der aus der griechischen und römischen Literatur bekannten Gattung des Protreptikos zusammengestellt werden. Als Untergattungen begegnen dabei das Enkomium (Preis- / Loblied SapSal 6,22–10,21 / 11,4), die Beispielreihe (SapSal 9,18–10,21 / 11,4) und die Synkrisis (Vergleich: SapSal 11,5–­14; 16,1–19,17).20 17 Schipper:

Sprüche, 45–48. Instruction, 4–66. 19 Vgl. die Instruktionen des Shuruppak (Lambert: BWL, 92–95; COS 1.176; TUAT III, 48–67). 20 A. Schmitt: Gegenwart. 18 Weeks:

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3.1.3 Das Testament Eine Sonderform der rein literarischen Lehrrede stellen die in hellenistischrömischer Zeit entstandenen Testamente dar, die in der Regel nicht zur Weisheitsliteratur gezählt werden. Aufgrund der oben vorgestellten Merkmale, vor allem wegen ihrer paränetischen Tendenz, lassen sie sich aber gattungsmäßig als weisheitlich klassifizieren. Der fiktive Sprecher, zumeist eine aus der biblischen Überlieferung bekannte Figur, blickt in der Situation eines Abschiedes oder des bevorstehenden Todes auf sein bisheriges Leben zurück, gibt seinem Sohn oder seinen Kindern ethische Unterweisungen und wagt einen Blick in die Zukunft. Die Bezeichnung Testament rekurriert auf die Überschrift δια­ θή­κη / testamentum, die einige, aber bei weitem nicht alle dieser durchgehend pseud­epigraphen Texte tragen. Alternativ können diese Texte auch als Ab­ schiedsrede oder Vermächtnisrede bezeichnet werden. Vorbilder innerhalb der israelitisch-jüdischen Literatur bilden erstens die dem sterbenden Jakob in den Mund gelegten Worte an seine zwölf Söhne in Gen 49, bei denen es sich in der Endgestalt um teilweise eschatologisierte Stammessprüche handelt (so im Fall des messianisch zu deutenden Judaspruches in Gen 49,8–12), zweitens die makrokompositionell, strukturell und motivisch mit dem Jakobssegen korrespondierende Segnung der zwölf Stämme Israels durch Mose in Dtn 33 sowie drittens die Abschiedsreden Josuas (Jos 23), Samuels (1 Sam 12), Salomos (1 Kön 12) und Davids (1 Chr 28–29). Abschiedsreden aus dem Bereich der jüdischen Literatur der hellenistischen Literatur finden sich in Tob 4 und 14, 1 Makk 2,49–70; Jub 22,10–23,8 und 36,1–18. Charakteristisch für die Testamentenliteratur im engeren Sinn, die vor allem durch das vollständig nur auf Griechisch vorliegende Testament der Zwölf Patriarchen präsentiert wird, ist die Mischung aus einer genuin jüdischen Ethik mit einer paganen Tugendlehre, insofern jede einzelne Rede eines Jakobssohnes einem bestimmten Affekt oder einer bestimmten Tugend gewidmet ist. Stärker im Bereich genuin israelitischjüdischer Traditionen bleiben die aramäischen Fragmente des Testaments Kehats (4Q542) und der Visionen Amrams (4Q543–548). 3.1.4 Das Lehrgedicht Das Lehrgedicht beschreibt ein bestimmtes, als weise oder als töricht qualifiziertes Verhalten oder Handeln, mitunter auch in personifizierter Form, zum Beispiel in der Gestalt der Frau Weisheit oder der Frau Torheit. Nach einer Einleitung, welche die redenden Personen einführt, werben Frau Weisheit oder Frau Torheit in einer weitgehend im Ich-Stil formulierten Rede um Anhänger (vgl. Spr 1,20–33; 8,1–36; 9,1–18). Der eigentliche Impuls zum richtigen Verhalten und Handeln ergibt sich entweder indirekt oder direkt, wenn in einem Abschlussteil die Konsequenzen genannt werden, die eine Hinwendung zur Weisheit bzw. zur Torheit haben wird (vgl. Spr 1,32–33; 8,32–36; 9,6.18; Hi 28,28).

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Eine weiter entwickelte Form des Lehrgedichts bieten die Hymnen auf die (kosmische) Weisheit in Sir 24 und in SapSal 6,22–11,1 (vgl. auch Sir 51,13– 30). Obgleich sich in diesen beiden Texten der Einfluss hellenistischer IsisAretalogien sowie stoischer und – im Fall der Sapientia – auch platonischer Philosophie zeigt, sind beide Texte fest in der israelitisch-jüdischen Weisheit verankert und mittels der Identifikation von Weisheit und Torah (vgl. Sir 24,23 und als Vorstufe Dtn 4,5–6) bzw. Weisheit und Exodustradition (vgl. SapSal 11–19) als jüdische Lehrbücher profiliert. Das Sirachbuch und die Sapi­entia bieten darüber hinaus mit dem „Lob der Väter“ (Sir 44–49) und der Beschreibung des Handelns der σοφία in der Ur- und Frühgeschichte (SapSal  10) weisheitlich modifizierte und didaktisch funktionalisierte Gedichte, deren gat­­tungsgeschichtliche Ursprünge in poetischen Geschichtssummarien („Ge­ schichts­psalmen“) der israelitisch-jüdischen Überlieferung (vgl. Ps 78; 105; 106; Neh 9) und im paganen Enkomium liegen. Zur Gattung des Lehrgedichts lassen sich schließlich auch die sogenannten Weisheitspsalmen oder Meditationen zählen, die ausschließlich eine horizontale, selbstreflexive Kommunikationsstruktur aufweisen (wie Ps 1 und 37, nicht aber Ps 19; 49; 73 und 119) und die ihren Namen ihrer Stellung im Psalter verdanken, obgleich ihr gattungsmäßiger Ort eher die Proverbien wären. Umgekehrt finden sich in den Lehrbüchern Gebete, also eine von einer vertikalen Kommunikation gekennzeichnete kultisch-liturgische Großgattung, deren genuiner Ort eine Psalmenanthologie wäre (vgl. Spr 30,5–7; Sir 23,1–6; 36,1–22; 51,12a–o [HB]; Sir 51,13–30 [HB / 11QPsa XXI,11–XXII,1]; SapSal 8,21–9,18). Ihre Integration in ein Lehrbuch zeigt, dass das Gebet den jüdischen Weisen der hellenistischen Zeit ein Gegenstand und ein Mittel der weisheitlichen Unterweisung war. 3.1.5 Das Lehrgespräch Die Lehrrede, insbesondere der Traktat, können einzelne dialogische Elemente enthalten, wenn z. B. Positionen eines fiktiven Gegenübers zitiert werden (vgl. Pred; SapSal). Insgesamt dominiert aber die monologische Struktur. In einem als Lehrgespräch oder der Lehrdialog stilisierten Lehrbuch werden explizit unterschiedliche Gesprächspartner genannt, die stilistisch und thematisch eigenständig profilierte Reden halten. Die Gesprächspartner können narrativ eingeführt sein, die Reden können unterschiedlich lang sein. Entscheidendes Merkmal des Lehrgesprächs ist seine diskursive und kritische Anlage, die auf Überzeugung oder Widerlegung des jeweiligen Gesprächspartners und letztlich auf die Belehrung der Leser zielt. Die Reden des Lehrgesprächs tragen häufig einen polemischen und einen apologetischen Charakter, weshalb sie auch als Streitreden (Disputationsreden) klassifiziert werden können. Das Grundmuster bilden einerseits die in der Hiobdichtung vorliegenden Reden zwischen Hiob und seinen drei Freunden Eliphas, Bildad und Zophar (Hi 3–28) – die Reden Elihus (Hi 32–37) sind trotz ihrer namentlichen Anrede Hiobs letztlich Mono-

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loge, die eher als Traktat zu bezeichnen sind. Dabei weisen gerade die Reden innerhalb der Hiobdichtung eine literaturgeschichtlich in dieser Form einmalige Mischung, Verfremdung (Parodie) und Neuprägung von Gattungen aus.21 Aufgrund ihrer Auseinandersetzung mit traditionellen weisheitlichen Überzeugungen von der göttlichen Weltordnung, des funktionierenden Tun-ErgehenZusammenhangs oder der Gerechtigkeit, kann diese Form der kritischen Weisheit literaturgeschichtlich der auch in Ägypten und Mesopotamien belegten Auseinandersetzungsliteratur oder theodizeeanalogen Dichtung zugewiesen werden. Dorothea Sitzler (1995) spricht hierbei passend von „Vorwurfdichtung“. Neuere Übersetzungen ausgewählter ägyptischer und mesopotamischer Texte aus dieser Textgruppe bieten u. a. Miriam Lichtheim (1973–1980), Wilfried G. Lambert (1960 / 1996), Yoram Cohen (2013) und Takayoshi Oshima (2014). Demgegenüber weist das im sogenannten Brief des Aristeas (1. Jahrhundert v. Chr.) in den Rahmen eines Symposions eingebettete Lehrgespräch zwischen dem ägyptischen König Ptolemaios II. und den jüdischen Weisen, die als Übersetzer der Torah aus dem Hebräischen ins Griechische nach Alexandria gekommen sind, stärker den Charakter einer einfachen Gegenüberstellung von weisheitlichen Sentenzen auf.22 In diesen Gesprächen erweisen sich die Juden als Gelehrte, die aufgrund ihrer besonderen Weisheit ohne weiteres mit griechischen Philosophen konkurrieren können, ohne die Grundsätze der jüdischen Religion aufzugeben. Von seiner Gattung her bildet der Aristeasbrief keinen Brief, sondern eine narrativ gerahmte Weisheitsschrift, auch wenn er rezeptionsgeschichtlich vor allem als Gründungslegende der Septuaginta verstanden wurde. 3.1.6 Der Spruch Sowohl die Lehrrede als auch das Lehrgedicht und das Lehrgespräch sind poe­ tisch gestaltet. Kleinster gemeinsamer Baustein ist, wie schon Robert Lowth und Johann Gottfried Herder herausgearbeitet haben, der Spruch (‫משל‬, παρα­ βο­λή / παροιμία). Martin Leberecht de Wette (1817) hat das nach Lowth und Herder knapp auf den Punkt gebracht: Bei allen Völkern prägt sich Verstand, Witz und Lebensweisheit zuerst in Sprüchen (‫מ ָשׁל‬, ָ ‫)ח ָידה‬ ִ aus […] so erwuchs der Spruch durch die Unterredung der Weisen und den Gebrauch der Schrift zum Lehrvortrage und zum Lehrgedichte […].23

Ähnliche Formulierungen ziehen sich seither durch die Erforschung weisheitlicher Gattungen. Dabei meint ‫ משל‬wörtlich Gleichnis (Parabel), weil in diesem sprachlichen Ausdruck eine konkrete Erfahrung als Hinweis auf eine allgemein zu machende Erfahrung oder auf eine hinter dieser Erfahrung stehende Wirk21 Vgl.

Fohrer: Form; Hartley: Job, 37–43; Dell: Book of Job. Aristeas, 7–34. 23 De Wette: Lehrbuch, § 264. 22 Shutt:

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lichkeit gesehen und gewissermaßen eine sprachliche Gleichung hergestellt wird. In den alttestamentlichen Büchern liegen fast ausschließlich zweigliedrige Sprüche vor, die, dem Grundgesetz der hebräischen Poesie folgend, im Pa­rallelismus membrorum gestaltet sind, das heißt: die wesentlichen Elemente der im Hebräischen zumeist durch die Kopula ‫ ו‬verbundenen Glieder (Kola, Stichoi) eines Verses entsprechen sich formal und inhaltlich. Diese Entsprechung kann synonym sein, insofern der im ersten Versteil ausgedrückte Gedanke im zweiten Versteil mit ähnlichen Worten wiederholt wird – die beide Versteile verbindende Kopula ist dann mit „und“ zu übersetzen (vgl. Spr 10,18). Die Entsprechung kann aber auch antithetisch sein, insofern die im ersten Versteil ausgedrückte Aussage im zweiten Versteil mit einer gegenteiligen Aussage kontrastiert wird – in diesem Fall ist die beide Versteile verbindende Kopula mit „aber“ zu übersetzen (vgl. Spr 14,34). Schließlich kann der im ersten Versteil ausgedrückte Gedanke durch einen diesen ergänzenden Gedanken weitergeführt werden, so dass eine Art synthetischer Parallelismus vorliegt und die Kopula die Funktion einer konsekutiven oder finalen Konjunktion erfüllt (vgl. Spr 14,27). Diese Klassifikation der Parallelismen geht ebenfalls auf Robert Lowth zurück. Sie wurde seither mehrfach erweitert – unter anderem um den parabolischen oder komparativen Parallelismus, bei dem sich die beiden Kola auf eine Bild- und eine Sachhälfte verteilen (vgl. Spr 10,26), und um den kli­ maktischen, auch repetierenden oder tautologisch genannten Parallelismus, bei dem die zumeist drei Versteile (Trikola) stufenartig einen Gedanken fortführen, wobei ein Schlüsselwort beibehalten wird (vgl. Spr 30,33). Die Klassifikation in drei bzw. fünf Formen von Parallelismen hat sich trotz teilweise heftiger Kritik, vor allem an der Bestimmung des formal weniger eindeutig abgrenzbaren synthetischen Parallelismus, grundsätzlich bewährt. Durch die Berücksichtigung neuerer kommunikationstheoretischer und linguistischer Ansätze, vor allem auch der Integration der von John L. Austin (1962) und John R. Searle (1969) entwickelten Sprech-Akt-Theorie, wurde sie ausdifferenziert.24 Da Weisheit im altorientalischen und alttestamentlichen Sinn vor allem auf der Addition von Erfahrungen, der Zusammenschau möglichst vieler Aspekte eines Phänomens sowie der Typisierung von sozialen Rollen und Konstellationen und von Erscheinungen in der Tier- und in der Pflanzenwelt, beruht, ist der Parallelismus membrorum in besonderer Weise dazu geeignet, Erkenntnis in sprachlich sehr dichter Form zu bündeln und in einer Sentenz auf den Punkt zu bringen.25 Er prägt die israelitisch-jüdische Dichtung – nicht nur im Bereich der Weisheit – so stark, dass er auch in der griechischen Übersetzung hebräischer Texte bewahrt wurde und in genuin griechisch abgefassten Schriften verwendet wurde, wie z. B. in der Sapientia. Hingegen bediente sich der unbekannte, zwischen 50 v. Chr. und 50 n. Chr. wirkende jüdische Verfasser der 24 Luchsinger: 25 Vgl.

Poetik, 120–158. T. Krüger: Erkenntnisbindung.

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unter dem Namen des griechischen Dichters Phokylides (6. Jahrhundert v. Chr.) überlieferten Weisheitssprüche des Hexameters (im alten ionischen Dialekt). Die frühere gattungsgeschichtliche Forschung bemühte sich stark um die Erhellung der mündlichen Vorstufe einzelner Weisheitssprüche (Sentenzen), unterschied zwischen dem „volkstümlichen“ Sprichwort und dem künstlich gebildeten Spruch und versuchte mittels breit angelegter, Kulturgrenzen überschreitender ethnologischer Vergleiche die Spruchweisheit Israels im Kontext eines universalen Menschheitswissens zu verorten.26 Die Berechtigung dieses Vergleichs ergibt sich aus dem Phänomen der über den gesamten Alten Orient, das Alte Ägypten und das antike Griechenland nachweisbaren Spruchweisheit. Die gegenwärtige an Form und Gattung interessierte Forschung konzentriert sich allerdings vor allem auf die genaue Beschreibung der sprachlichen und stilistischen Gestalt der in den Weisheitsbüchern vorliegenden literarischen Sprüche und auf die Herausarbeitung der poetologischen und sachlichen Spezifika der israelitisch-jüdischen Sprüche im Kontext der unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Nachbarn. Dabei kommt drei Textgruppen eine besondere Bedeutung zu: erstens den aus ptolemäischer Zeit stammenden, auf Demotisch abgefassten ägyptischen Weisheitsbüchern, hier vor allem dem Großen Demo­ tischen Weisheitsbuch (Phibis / Papyrus Insinger) aus der späteren Ptolemäerzeit,27 zweitens dem aramäischen Aḥiqar-Roman (7. / 6. Jahrhundert v. Chr.),28 und drittens der altgriechischen Spruchweisheit (Theognis, Mimnermus, 7.–5. Jahrhundert v. Chr.),29 die sich – nach einer im 5. / 4. Jahrhundert v. Chr. erfolgten Klassifikation – im Sprichwort (παροιμία), in der Sentenz (γνώμη), im situationsbezogenen Denkspruch (ἀπόφθηγμα) und im Rat (ὑποθήκη) niedergeschlagen hat. Nach sprachlichen und inhaltlichen Kriterien lassen sich folgende Typen von Sprüchen in der Weisheitsliteratur unterscheiden: (1) Im Aussage- oder Wahrspruch bzw. in der feststellenden Sentenz werden Phänomene, Verhaltensweisen und ihre Folgen dargestellt, mitunter auch einfach gegenübergestellt (Kontrastspruch). Eine Handlungsanweisung ergibt sich indirekt (vgl. Spr 11,30; 21,21; 26,27; Pred 2,14; 7,11; 11,4). Gattungsgeschichtlich könnte der Aussage- oder Wahrspruch aus dem einzeiligen Sprichwort erwachsen sein (vgl. Ri 8,2.21; 1 Kön 20,11). Ein besonderer, inhaltlich geprägter Aussagespruch ist der Gottesfurcht-Spruch, in dem der Wert der Gottesfurcht (‫יראת אלהים‬/ ‫יראת יהוה‬, φόβος κυρίου / θεοσέβεια) für ein gelingendes Leben konstatiert wird (vgl. Spr 10,27; Sir 10,22).

26 Westermann:

Wurzeln. AEL III, 184–217; Hoffmann / Quack: Anthologie, 272–308. 28 Lindenberger: Ahiqar; Niehr: Aḥiqar; Kottsieper: Aḥiqarsprüche; Weigl: AchikarSprüche. 29 Gerber: Poetry; Hansen: Theognis. 27 Lichtheim:

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(2) Der Vergleichsspruch oder der komparative ṭôb-Spruch („besser-alsSpruch“) stellt fest, was lebensförderlicher ist. Auch hier ist die Handlungsanweisung nur implizit vorhanden (vgl. Spr 17,1; Pred 4,6; 7,1.8; 9,18). (3) Der Zahlenspruch besteht aus einer Titelzeile und einer sich anschließenden Aufzählung (Liste). Die erste Zeile nennt das gemeinsame Merkmal der beschriebenen Objekte und die Zahl derer, die dieses Merkmal besitzen. Die Liste führt die einzelnen Objekte auf und beschreibt deren spezifische Ausprägung des gemeinsamen Merkmals (vgl. Spr 30,24–28). Der einfache Zah­ lenspruch nennt in der Titelzeile nur eine Zahl (vgl. Spr 30,24), der gestaffelte Zahlenspruch enthält zwei Zahlen, von denen die zweite um eins größer ist als die vorangegangene (vgl. Spr 30,18–19). Gattungsgeschichtlich stehen im Hintergrund des Zahlenspruchs wohl die Rätselfrage und magische Vorstellungen von der besonderen Bedeutung und Symbolik einzelner Zahlen. Mit dem Zahlenspruch vergleichbar sind Onomastika, das heißt enzyklopädisch angelegte Listen, in denen Erscheinungen aus der Tier- und Pflanzenwelt, aber auch meteorologische und astronomische Phänomene nach bestimmten formalen und sachlichen Aspekten zusammengestellt sind. Wie im Zahlenspruch soll mittels der Zusammenstellung von Phänomenen umfassendes Wissen vermittelt und die Wirklichkeit erschlossen werden. Onomastika sind vor allem im Alten Ägypten belegt, sie begegnen poetisch breit entfalt in hellenistischer kosmologischer Lehrdichtung (vgl. Aratos, phain.) und biblisch dramatisch modifiziert in den Gottesreden des Buches Hiob (vgl. Hi 38–39; 40,15–41,26). (4) Das Mahnwort oder die auffordernde Sentenz ist im Imperativ bzw. im Vetitiv formuliert und enthält im Unterschied zum Aussagespruch und zum Vergleichsspruch eine ausdrückliche Handlungsanweisung. In der Regel ist das Mahnwort mit einer Begründung (‫„ כי‬denn“; ‫„ פן‬damit / dass nicht“) verbunden, die eine Motivation für das geforderte Verhalten und / oder einen Hinweis auf dessen Folgen enthält. Positiv formuliert begegnet das Mahnwort als Rat (vgl. Spr 22,17–19; Pred 11,1–2), negativ als Warnung (vgl. Spr 22,22–23; Pred 7,9.16–17). (5) Der Glückwunsch oder Makarismus wird mit dem Ausruf ‫ אשרי‬/ μακά­ ρι­ος „Selig ist / Glück hat / Wohl dem“ eingeleitet (Spr 3,13; Pred 10,17; Sir 14,20). Er stellt die stärkste Form des Rates dar. Die Handlungsanweisung ergibt sich implizit, indem ein bestimmtes Handeln oder Verhalten ausdrücklich als gesegnet benannt und so zur Imitation empfohlen wird. Der Glückwunsch ist wohl eine genuin weisheitliche Gattung, findet sich aber auch außerhalb der eigentlichen Weisheitsbücher des Alten Testaments (vgl. Ps 1,1; Jes 30,18; PsSal 6,1; 4Q525 frgm. 2 II + 3,3). Die Weisheitsprüche lassen sich weiterhin hinsichtlich der Situation ihrer Verwendung und hinsichtlich des Raums der Erkenntnis unterscheiden. So mahnt ein Weisheitsspruch im Bereich des Ethos zu richtigem sozialem Verhalten. In der Kosmologie deutet er die Natur und ihre Phänomene. In der Theologie artikuliert er die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes („Theodizee“).

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Auch wenn der einzelne Weisheitsspruch die Basis der alttestamentlichen Lehrbücher bildet, so sind diese, wie die oben genannten Gliederungselemente zeigen, nicht einfach Spruchsammlungen, in denen Sprüche bzw. Spruchreihen beliebig aus unterschiedlichen Kontexten aneinandergereiht sind – diese Einschätzung mag für die sumerischen Spruchsammlungen zutreffen.30 Bereits die Teilkompositionen, die den Proverbien und dem Sirachbuch auf einer älteren Stufe der Komposition zugrunde liegen, sind nach bestimmten sprachlichen, stilistischen, thematischen und funktionalen Aspekten gestaltet. Und die Lehrreden im ersten und zweiten Hauptteil der Sapientia (Kap. 1,1–6,21; 6,22–11,1) sowie die kontrastive und kreative Gegenüberstellung von traditionellen Weisheitssprüchen mit eigenen Beobachtung und Schlussfolgerungen im Buch Kohelet weisen durchgehend die kompositionelle Gestaltung durch einen Autor auf. 3.1.7 Die Lehrerzählung Die wichtigste in Prosa verfasste Gattung der Weisheitsliteratur bildet die Lehr­ erzählung. Sie zielt auf die erzählerische Vermittlung einer grundlegenden Erkenntnis und der aus ihr zu ziehenden intellektuellen und ethischen Konsequenzen. Hinsichtlich ihrer pädagogischen Ausrichtung trifft sich die Lehr­ erzählung mit der Lehrrede und dem Traktat. Hinsichtlich ihrer prosaischen Gestaltung und ihrer Konzentration auf einen bestimmten Leitgedanken, der szenisch und dialogisch artikuliert und auf ein bestimmtes Ziel hin fokussiert wird, entspricht sie einer Novelle. Im Zentrum steht häufig eine weisheitliche Sentenz, die poetisch gestaltet sein kann (vgl. Hi 1,21; Tob 4,13). Solche Sentenzen können geradezu als eine Keimzelle der Lehrerzählung und der in ihr transportierten narrativen Theologie bezeichnet werden. Der Novelle gemäß wird in der Lehrerzählung am Beispiel einer außergewöhnlichen Begebenheit ein theologisches oder ethisches Problem entfaltet und zu einer Lösung geführt. Der Leser ist dabei, stärker als in anderen narrativen Gattungen, zur aktiven Mitarbeit aufgefordert, sei es, dass er durch die Problematisierung einer in der Tradition als unumstößlich geltenden Überzeugung zu einer Stellungnahme provoziert wird, sei es, dass sich der Erzähler direkt mit einer Frage an sein Publikum wendet. In der israelitisch-jüdischen Literatur ist diese Gattung vor allem durch die ursprünglich selbstständig entstandene und vor ihrer Verbindung mit der Hiobdichtung selbstständig überlieferte Hiobnovelle (Hi 1,1–5*.13–21; 42,11*.12–17) und durch das Buch Jona vertreten. Literaturgeschichtliche Parallelen aus der Umwelt des Alten Testaments sind z. B. die ak­ka­dische Erzählung vom armen Mann aus Nippur und die sekundär um die Aḥi­qar-­Sprüche gelegte Aḥiqar-Erzählung.31 Eine spezielle, kurze Form der Lehrerzählung ist die Fabel, bei der die Handlungsträger Tiere oder Pflanzen 30 Alster:

Proverb, 563. Hiobrahmenerzählung.

31 Müller:

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sind. Im Alten Testament nur wenig vertreten (vgl. Ri 9,8–15; 2 Kön 14,9), begegnet sie häufiger in der sumerischen und in der klassischen griechischen und römischen Weisheitsliteratur. Weisheitliche Züge tragen auch die Erzählungen von Rut, Ester und Tobit sowie Passagen der Josephsgeschichte (Gen 37–­50), des Danielbuches (Dan 1–6; DanSus) und des Genesis-Apokryphon (1QGenAp XIX,10–XX,32), ohne dass hier reine Lehrerzählungen vorliegen. Wie das Buch Jona zeigt, konnten auch Lehrerzählungen als Lehrbücher tradiert werden. 3.2 Der Kommentar Der Kommentar, der aufgrund seiner kommunikativen Struktur und seiner belehrenden Tendenz hier als eine Großgattung der Weisheitsliteratur betrachtet wird, bietet eine auf einen bestimmten Text bezogene Auslegung, die im Gegensatz zur älteren israelitisch-jüdischen Literatur nicht mehr binnentextlich im Modus der aktualisierenden Fortschreibung erfolgt, sondern literarisch eigenständig neben einen als autoritativ angesehenen Text tritt. Extratextliche Schriftauslegung ist geradezu eine genuin weisheitliche Gattung. Sie ist, wenn man von der kommentarähnlichen Exodus-Paraphrase im dritten Teil der Sapientia (SapSal 11,2–19,22) und den punktuellen Schriftauslegungen im Sirachbuch sowie Ben Siras „Lob der Väter“ (Sir 44–49) absieht, aber nur in frühjüdischen exegetischen Schriften belegt, die nicht kanonisch wurden. Zu ihnen zählen in der formalen und sprachlichen Gestaltung sowie in der soziokulturellen Herkunft ganz unterschiedliche Texte und Textgruppen. Zu ihnen zählen u. a. (1) das nur fragmentarisch erhaltene, auf Griechisch abgefasste exegetische Werk des Aristobulos (2. Jahrhundert v. Chr.), (2) die auf Hebräisch geschriebenen, in Qumran gefundenen kontinuierlichen und thematischen Pescharim zu einzelnen prophetischen Büchern und einzelnen Psalmen (1. Jahrhundert v. Chr.) – dabei zeigen die kontinuierlichen Pescharim aus Qumran eine gattungstypologisch interessante Verschiebung, insofern eine von vertikaler Kommunikation geprägte prophetische Schrift mittels einer von horizontaler Kommunikation geprägten didaktischen Schrift ausgelegt wird – und (3) die umfangreichen Kommentare Philons von Alexandria (ca. 25 v. Chr. bis ca. 50 n. Chr.). Diese sind, wie die Fragmente des Aristobulos, von der in der hellenistischen Homer-Auslegung beliebten Allegorie und von philosophischer Gelehrsamkeit geprägt.

4. Zusammenfassung und Ausblick In der Bestimmung einer Gattung kommt es zu einem Zusammenspiel von sprachlichen, funktionalen, situativen, inhaltlichen und pragmatischen Aspekten. Wesentlich für eine weisheitliche Gattung sind die horizontale Kommuni-

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kation, die auch im Monolog oder im Lehrgedicht ein grundsätzlich dialogisches Element beinhaltet, und die pädagogische Ausrichtung. Literaturgeschichtlich lassen sich im Bereich der israelitisch-jüdischen Weisheit zwei Großgattungen unterscheiden: das Lehrbuch und der Kommentar. In der kanonisch gewordenen Literatur des Alten Testaments findet sich ausschließlich das Lehrbuch. Zu dessen untergeordneten Gattungen gehören die Lehrrede, zu der auch der Traktat und das Testament sowie die Diatribe und der Protreptikos zählen, das Lehrgedicht mit der Sonderform des Weisheitspsalms, das Lehrgespräch, das sich zum Streitgespräch entfalten kann, und die Lehrerzählung, die selbst als ein kleines Lehrbuch tradiert werden kann. Binnentextliche Kommentare bieten das „Lob der Väter“ im Sirachbuch (Sir 44–­49) und vor allem der „Exodus-Midrasch“ in der Sapientia (SapSal 11–19), eigentliche extratextliche Kommentare werden durch jüdisch-hellenistische Exegeten, durch Philon von Alexandria und die Pescharim aus Qumran repräsentiert. Wichtige Felder der künftigen Forschung der Gattungen der Weisheitsliteratur betreffen die Sozialgeschichte, die Kulturgeschichte, die Methodologie und die Hermeneutik. (1) Sozialgeschichtlich muss es um eine noch genauere historische Verortung der Trägerkreise weisheitlicher Überlieferungen und der von ihnen gewählten Sprachformen gehen. Hier besitzt die klassische, historisch ausgerichtete Gattungsforschung weiterhin ihre volle Berechtigung. (2) Kulturgeschichtlich steht eine weitergehende Korrelation mit Weisheitsgattungen in der paganen Literatur der persischen und vor allem hellenistischen Zeit an. Die hellenistische Zeit ist die Epoche, in der die alttestamentlichen Weisheitsbücher ihre wesentliche Gestalt finden. Textliche Schwerpunkte des Vergleichs müssen daher die auf Demotisch überlieferten ägyptischen Weisheitstexte der ptolemäischen Zeit 32 und die pagane griechische Weisheit sein. Letzteres gilt speziell für die auf Griechisch tradierten Weisheitsbücher, die über die Septuaginta auch ein Teil der paganen griechischen Literatur- und Gattungsgeschichte sind. Dabei könnte es, ohne den Blick auf die vorderorientalischen Parallelen zu vernachlässigen, zu einer methodisch gesteuerten Neuaufnahme des Gesprächs zwischen biblischer „Philosophie“33 und griechischer Philosophie kommen,34 wie es z. B. bei Aristobulos präfiguriert ist, wenn dieser Pythagoras, Sokrates und Platon in ein Verhältnis zu Mose setzt.35 (3) Methodologisch ist von einer Kooperation zwischen alttestamentlichen, neutestamentlichen, patristischen und rabbinischen Studien zu erwarten, dass 32 Schipper:

Sprüche, 27–34. Spruchbuch, 31; Moulton: Study, 253. 34 Collins: Wisdom; Kaiser: Zwischen Athen und Jerusalem; ders.: Vom offenbaren und verborgenen Gott. 35 Frgm. 4,4 (nach Eusebius, Pr. Ev. XIII, 12,4; Denis: Fragmenta, 223; JSHRZ III / 2, 274; OTP II, 840). 33 Delitzsch:

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das gemeinsame Entstehungsmilieu der Weisheitsliteratur, Querverbindungen zwischen den weisheitlichen Überlieferungskreisen und spezifische, religionsbedingte Transformationen einzelner Gattungen erhellt werden.36 (4) Hermeneutisch sind auch weiterhin klärungsbedürftig erstens die Pragmatik der weisheitlichen Gattungen unter Berücksichtigung ihrer Dynamik und ihres prozesshaften Charakters, zweitens die anthropologische und psychologische Dimension einzelner Gattungen37 sowie drittens die Bedeutung der weisheitlichen Gattungen im Alten Testament für gegenwärtige epistemologische und ethische Diskurse.

36 Vgl. Küchler: Weisheitstraditionen; von Lips: Traditionen; Collins: Wisdom; Kaiser: Anweisungen; Löning: Konfrontation. 37 Vgl. Müller: Formgeschichte.

Hiob als jüdisches, christliches und paganes Werk Überlegungen zur Hermeneutik heiliger Schriften The hero of the Book of Job is no Jew, even though he is assigned to Abraham’s family in an epilogue to the Septuagint. However, he is well versed in the traditions of Israel: his exemplary behaviour towards God and humans complies with the norms of the Torah; he makes complaints and requests using the words of the Psalms; he speaks in sapiential and prophetic aphorisms and plays with Old Testament law. His words are also reminiscent of Egyptian and Babylonian wisdom. Hence a dual reading arises solely from the literary form and the tradition of the Book of Job: it is a Jewish work which is also significant for non-Jews. With its translation into Greek, it entered the world of Classical Antiquity. The recourses to the figure of Job in the New Testament demonstrate the potential for multiple readings of the Book of Job from the perspective of the reception history. This article illustrates these various readings of the Book of Job and, using it as an example, identifies fundamental coordinates for an understanding of sacred scriptures and for an interreligious hermeneutic.

1. Eine These und zwei Definitionen Am Buch Hiob, an seiner Kompositions-, Redaktions- und Rezeptionsgeschich­ te, lassen sich Grundlinien einer Hermeneutik heiliger Schriften ablesen. Diese ist genuin immer eine interreligiöse Hermeneutik – oder sollte zumindest eine solche sein. Als heilige Schrift definiere ich einen Text, der erstens existentiellen Sinn konstruiert, konstituiert und erschließt, der zweitens zeichenhaft auf eine trans­ zendente Wirklichkeit verweist, der drittens von einer sich auf diesen Text beziehenden Gemeinschaft in einer nicht alltäglichen Situation interpretiert und tradiert wird und der viertens mittels der Rückführung auf eine autoritative Person mit einer besonderen Beziehung zu der in dieser Trägergruppe verehrten Gottheit legitimiert wird. Eine heilige Schrift wirkt wesenhaft als ein Medium des auf Grundfragen menschlichen Lebens bezogenen Sinns und ist funktional ein Gegenstand desselben. Sie vermittelt Sinn, indem sie Leben deutet beziehungsweise lebensdeutende Symbole enthält, und sie lässt Sinn im Leben entdecken, indem sie ausgelegt und angewendet wird. Ein Text ist also nicht von sich aus schon heilige Schrift, sondern wird zu dieser. Die Möglichkeit zu einer dem Leben dienenden und das Leben bewahrenden Interpretation, Rezeption, Integration und Applikation ist sowohl ein entscheidender Faktor,

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dass ein Text zu einer heiligen Schrift werden kann, als auch ein wesentliches Kriterium, dass ein Text eine heilige Schrift ist. Als interreligiöse Hermeneutik betrachte ich die Kunst des Verstehens heiliger Schriften, die erstens in diesen selbst angelegt ist und von diesen nahegelegt wird, die zweitens die in diesen Schriften ausgedrückte Religion im Horizont ihrer Geschichte freilegt und die drittens Strukturen der im Laufe der Redaktion und Rezeption erfolgten religiösen Transformationen verdeutlicht. Eine interreligiöse Hermeneutik erhellt die innerhalb heiliger Schriften explizit oder implizit geführte Auseinandersetzung von Religionen in ihrer literarischen und historischen Dimension und sie übersetzt diese – Zeit, Raum und Kultur übergreifend – für einen Dialog der Religionen sowie für einen Dialog über Religion. Eine so verstandene interreligiöse Hermeneutik ist nicht identisch mit einer Hermeneutik des interreligiösen Gesprächs, sie leistet aber einen notwendigen Beitrag zu dieser.

2. Hiob aus Uz und die Schriften Israels Hiob ist kein Jude. Sein Name, der sich in vielfältiger Weise im Alten Orient findet, enthält kein Element, das auf den Gott Israels verweist. ‫– אי אב – איוב‬ „Wo ist der Vater?“: So heißen nachweislich seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. viele, nicht näher bekannte Gestalten verschiedener Regionen des Alten Orients,1 die nach ganz unterschiedlichen göttlichen Vätern suchen. Die Suche nach dem Vater, nach Gott, nach dem „Grund des Seins“,2 nach der „Alles bestimmenden Wirklichkeit“3 ist nicht spezifisch jüdisch, sie ist die Grundfrage des homo re­ ligiosus, der nach dem Sinn seiner selbst und seines Lebens fragt und der nach Halt und Orientierung in einer oft chaotischen Welt verlangt. Auch Hiobs Heimatland ‫( עוץ‬Hi 1,1) ist kein jüdisches Land. Wollte man es topographisch fassen, so könnte man es entweder in Aram (vgl. Gen 10,23; 22,21) oder in Edom (vgl. Klgl 4,21) lokalisieren. Wahrscheinlich ist es aber, gemäß der Ableitung von der Verbalwurzel ‫ יעץ‬/ ‫„( עוץ‬raten“) und einem symbolischen Verständnis, im Reich der Phantasie zu verorten. Schon der Kirchenvater Didymos der Blinde (um 310–398) stellt das Land ‫ עוץ‬mit dem griechischen Wort βουλή („Rat“) in Zusammenhang,4 und der mittelalterliche jüdische Gelehrte Maimonides (1135 / 1138–1204) löst ‫ עוץ‬als einen an den Leser gerichteten Imperativ „rate!“ auf: Geh hin erwäge dieses Gleichnis, suche die darin enthaltenen Lehren zu erfassen und verstehe sie, und sieh, welcher der wahre Glaube sei!5 1 Vgl.

amurritisch Ḫa-ja-a-bu-um, keilschriftlich A-ja-bu, A-ja-ab (Gesenius18 s. v. ‫)איוב‬. Theologie, 273. 3 Bultmann: Sinn, 129. 4 Didymos: Kommentar, 50–51. 5 Mose Ben Maimon: Führer der Unschlüssigen, 3. Buch, Kap. 22, 131. 2 Tillich:

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Auch die Einordnung Hiobs unter die ‫( בני קדם‬Hi 1,3) verweist entweder auf die „Söhne des Ostens“6 oder auf die „Söhne der Vorzeit / der mythischen Urzeit“,7 aber nicht auf eine unmittelbare Einordnung in den Raum oder die Zeit Israels. Dasselbe gilt schließlich für die Freunde Hiobs (Hi 2,11): Eliphas, Bildad und Zophar – sie alle tragen keinen Jhwh-haltigen Namen und sie kommen, unabhängig davon, wo man nun genau Teman, Schuach und Naama lokalisiert,8 nicht aus Israel. So führt das setting der Hioberzählung auf einen nichtjüdischen Helden und auf einen nichtjüdischen Schauplatz. Dies entspricht dem universalen und pa­ ra­digmatischen Geschick des Helden, das zunächst keine konfessionelle Prägung verträgt. Diese Stilisierung wird mit wenigen Ausnahmen auch im Hauptteil des Buches gewahrt, wenn in den Reden Hiobs und seiner Freunde Gott überwiegend als ‫אל‬, ‫אלוה‬, ‫ אלהים‬oder ‫ שדי‬bezeichnet wird. Nur in Hi 1,21 gibt sich Hiob ausdrücklich als Verehrer des Gottes ‫ יהוה‬zu erkennen und nur in den Himmelszenen (Hi 1,6–12; 2,1–7), in den Überschriften der Gottesreden (Hi 38,1; 40,1.3.6; 42,1) und im Epilog (Hi 42,7–12) vermerkt der Autor namentlich, dass ‫ יהוה‬hinter dem Geschehen steht.9 Indem Hiob aufgrund existentieller Betroffenheit die in Hi 23,3–5 in das mythische Bild vom fernen Thron des über das Recht wachenden Himmelsgottes gekleidete Frage nach Gerechtigkeit und Erkenntnis stellt, steht er beispielhaft für die menschliche Suche nach Sinn als einem überindividuellen Zusammenhang, innerhalb dessen das eigene Leben verstanden, gedeutet und bewältigt werden kann.10 Doch es gibt auch eine gegenläufige Linie im Buch. So sind die Reden Hiobs und seiner Freunde von einem ständigen Rekurs auf biblische Psalmen und Weisheitssprüche, auf Redewendungen aus den Prophetenbüchern und aus der Torah geprägt.11 Auch hierfür ist Hi 23 beispielhaft, wenn die Verse 8–9 auf Ps 139 anspielen und die Verse 10–12 Wendungen aus der Torahfrömmigkeit aufgreifen.12 Hiob und seine Freunde erscheinen vor diesem Hintergrund als Schriftgelehrte. Sie kennen Kernsätze der im Entstehen befindlichen Hebräischen Bibel, sie zitieren und pervertieren diese und erweisen sich dabei als jüdische Theologen. So entpuppt sich das Buch Hiob als eine über mehrere 6 Vgl.

Gen 29,1; Ri 6,3; 7,12; 1 Kön 5,10; Ez 25,4; Blumenthal: Sinuhe, § 8,7; 25,11; 31,2. Gen 2,8; Dtn 33,15; Jes 19,11; Ps 68,34; Sir 16,7. 8 Zu den unterschiedlichen Lokalisierungen von Teman, Schuach und Naama siehe Knauf: Alter; ders.: Supplementa Ismaelitica; ders.: Hiobs Heimat; Witte: Elifas; ders.: Bil­dad; ders.: Zofar. 9 In Hi 12,9 dürfte die Lesart ‫ יהוה‬sekundär sein und mit einigen Handschriften ‫ אלוה‬zu lesen sein. In Hi 28,28 lesen zahlreiche Handschriften ‫יהוה‬, während der Codex Leningraden­ sis, der Codex von Aleppo und andere Manuskripte einmalig im Hiobbuch ‫ אדני‬bieten. 10 Wenn die Septuaginta im Kontext dieser tief in der altorientalischen und altgriechischen Mythologie verankerten Szene einmalig im Hiobbuch in Hi 23,5 das Wort αἰσθάνεσθαι (für hebräisch ‫ )בין‬gebraucht, dann hat sie die Sinnsuche Hiobs auch auf den Begriff gebracht. 11 Siehe dazu Dell / Kynes: Reading Job. 12 Vgl. Dtn 8,6; 11,22; 30,14–16; Ps 25,4; 37,31–34; 119,11. 7 Vgl.

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Generationen verlaufende schriftgelehrte Diskussion über das angemessene Reden über Gott. Es ist, wie es Johann Gottfried Herder (1744–1802) treffend charakterisierte, ein „Consessus einiger Weiser“, die aber nicht nur „pro und contra die Sache der Gerechtigkeit des obersten Weltmonarchen verhandeln“,13 sondern die in einem nichtjüdischen Milieu die Tiefen jüdischer Theologie ausloten (vgl. Hi 11,5–9). Diese Spannung, zwischen dem nichtjüdischen Schauplatz des Geschehens und der nichtjüdischen Herkunft der menschlichen Handlungsträger einerseits und der tiefen Verwurzelung der Gesprächspartner in israelitisch-jüdischen Traditionen andererseits, hat bereits in der Spätantike zu der Frage geführt, wie jüdisch Hiob und das seinen Namen tragende Buch denn eigentlich seien. Ausdrücklich wird diese Frage erstmals in den Traditionen verhandelt, die sich im babylonischen Talmud im Traktat Bava Bathra 14b–16b niedergeschlagen haben. Wenn dort darüber nachgedacht wird, ob Mose der Verfasser des Buches Hiob sei (bBB 14b)14 und ob Hiob eher in die Zeit der Patriarchen, des Exodus, des Babylonischen Exils oder gar des Xerxes gehöre (bBB 15a–b), dann spiegelt sich darin nicht nur die Frage nach der Autorität und Legitimität des Buches, sondern auch die Frage, ob der Held und damit sein Buch jüdisch ist. Ausdrücklich wird in bBB 15a–b die Meinung zitiert, Hiob gehöre zu den sieben Propheten der Heiden. An der Seite dieser Einschätzungen stehen die annähernd zeitgleichen Bemerkungen des Theodor von Mopsuestia (um 350–428 / 429).15 Aus den scharfen Anklagen Hiobs gegen Gott und aus einzelnen mythologischen Begriffen und Motiven schließt Theodor auf eine pagane Abfassung des Buches. In struktureller Analogie zur rabbinischen Debatte über die Mosaität und Fiktionalität bestreitet der christliche Theologe, dass das vorliegende Buch vom heiligen Geist inspiriert sei. Dabei ist (zunächst) von untergeordneter Bedeutung, dass die Mutmaßungen Theodors auf der Hiob-Septuaginta beruhen, die sich markant von der hebräischen Gestalt des Hiobbuches unterscheidet. Die Frage nach dem jüdischen Charakter des Buches Hiob und damit verbunden nach seinem Charakter als heilige Schrift führt tief in seine Entstehungsgeschichte. Diese ist von ihren Anfängen an geprägt von einem ständigen Wechselspiel zwischen allgemein altorientalischen Traditionen und 13 Herder:

Geist, Teil 1, 314. Annahme mosaischer Abfassung steht wohl auch hinter der Verwendung althebräischer Buchstaben in der in Qumran gefundenen Hiobhandschrift 4Q101 (4QpaleoHic). Dieses älteste bekannte Fragment einer Hiobhandschrift mit Teilen von Hi 13,18–20.23–27; 14,13–­ 18 stammt paläographisch aus der Zeit zwischen 225–150 v. Chr. (Skehan / Ulrich / Sander­ son: Qumran Cave 4 / IV, 155). Vgl. weiterhin die Stellung des Buches Hiob unmittel­bar im Anschluss an den auf Mose zurückgeführten Pentateuch in der Peschitta sowie einzelne Kir­ chenväter, z. B. Leontius von Byzanz, In Iob (homilia 5), 86 und 94 (CCSG 17, 214), Po­ly­ chro­nios von Apamea, Fragmenta in Iob, Prolog 3 (Hagedorn / Hagedorn: Katenen, 37–­ 38), aber auch noch Michaelis: Einleitung, 72–92. 15 Theodor von Mopsuestia, In Iobum (PG 66, 697–698). 14 Die

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spe­zifischen jahwistischen Adaptionen. Man könnte auch von einem stetigen Chan­gieren zwischen religiöser Universalität und Konfessionalität, zwischen dem Bild Hiobs als dem unvergleichlichen Menschen auf der Erde und als einzigartigem Knecht Jhwhs (Hi 1,8), zwischen Hiob als dem Repräsentanten des hin­fälligen Menschen (Hi 14,1) und als dem Modell wahren (‫)נכונה‬, das heißt authentischen, jüdischen Redens über Gott (Hi 42,7) sprechen.16 So gehören auf der einen Seite das Motiv des leidenden Gerechten, die Suche nach der Verlässlichkeit des persönlichen Schutzgottes, die Erfahrung der Polarität des Handelns der Gottheit, die Leben schenkt und Leben nimmt, die verletzt und verbindet, die zürnt und sich erbarmt, die zum Tode führt und wieder aus ihm befreit, die Problematisierung des Verhältnisses von gerechter Schöpfungsordnung und von einem in der Welt erlebten Chaos seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. zum Grundbestand der vorderorientalischen und ägyptischen Literatur. Ebenso bilden die Sprachmuster der Klage und der Elendsmeditation, der weisheitlichen Mahnung und der Streitrede, der sozialen Anklage und der Offenbarungsschilderung wesentliche Elemente der von Mesopotamien bis Ägypten nachweisbaren Auseinandersetzungsliteratur.17 Vor diesem Hintergrund ist das Buch Hiob als Teil der vorderorientalischen Literaturgeschichte potentiell auch von einem babylonischen Leser, der in der Enzyklopädie babylonischer Klagegebete und Vorwurfdichtungen zu Hause ist,18 oder von einem ägyptischen Weisen, der den Streit des Lebensmüden mit seinem Ba und königliche Lehren kennt,19 zu verstehen. Auf der anderen Seite stehen die genannten Einspielungen des Gottes ‫יהוה‬, der als der unbestritten eine Gott für das Geschick Hiobs verantwortlich ist und der in Anlehnung an das Schema Israel (Dtn 6,4) als der einzige schlechthin (‫ )אחד‬bezeichnet wird (Hi 23,13; 31,15), der Rekurs auf den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht in Gen 1 in der Eröffnungsklage Hiobs in Hi 3 und in der ersten Gottesrede in Hi 38–39, die Umkehrung der anthropologischen Hoheitsaussage von Ps 8 in Hiobs Klage in Kapitel 7 und das mehrfach im Buch

16 Zum paradigmatischen, gleichwohl außergewöhnlichen Charakter Hiobs vgl. Hi 31,33 (‫„ כאדם‬wie ein Mensch /Adam“), worin möglicherweise, wie auch in anderen Abschnitten des Hiobbuches, eine Anspielung auf die biblische Urgeschichte (Gen 1–11) zu sehen ist (vgl. Gen 3,8–10). 17 Zu den einzelnen altorientalischen Parallelen, unter denen die sogenannte Babyloni­ sche Theodizee (COS 1.154, 492–495; TUAT III, 143–157; Oshima: Poems, 115–168) herausragt, siehe Sitzler: Vorwurf; Uehlinger: Hiob-Buch; Sedlmeier: Ijob; Oshima: Poems. 18 Vgl. z. B. das Ludlul bēl nēmeqi (COS 1.153, 486–492; TUAT III, 110–135; Oshima: Poems, 78–114); die Babylonische Theodizee (s. Anm. 17); ein Klagelied an Ištar (AOT, 257–­260); einen Klagepsalm aus einer Inschrift Assurbanipals (SAHG Nr. 17, 269–270) oder ein Klagegebet des Nabû-šuma-ukīn (TUAT.NF VII, 91–94), siehe dazu auch Sitzler: Vorwurf, 61–109. 19 Lichtheim: AEL I, 58–80.134–192; AEL II, 135–163; AEL III, 125–217; Sitzler: Vorwurf, 33–53; Schellenberg: Hiob.

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nachweisbare Spiel mit Ps 107 und Ps 139,20 die Rezeption einzelner Doxologien aus Deuterojesaja oder die Anlehnung von Hiobs Unschuldsbekenntnis in Kapitel 31 an den Dekalog und an zentrale Passagen aus dem Deuteronomium, vor allem an Dtn 4 und Dtn 28. Besonders deutlich wird das Gegenüber von Universalität und Konfessio­ nalität in Hi 31: Das hier (wie auch in Hi 29) vertretene Ethos entspricht einerseits dem weisheitlichen Ethos, wie es sich in babylonischen, vor allem in ägyptischen Lehren findet. Mit diesen teilt es die traditionsgeschichtliche Übertragung eines königlichen Ethos auf den einzelnen Weisen oder das Motiv der göttlichen Waage des Gerichts.21 Andererseits ist Kapitel 31 in der vorliegenden Form, der zufolge Hiob das von Gott selbst geschriebene Buch (‫)ספר‬ wie eine Krone trägt (Hi 31,35–36), auf die Frage der Leistungsfähigkeit der To­rah als der von Gott selbst verfassten Schrift (vgl. Ex 24,12) 22 und auf den Erweis der göttlichen Gerechtigkeit in diesem Leben zugespitzt: Mit Hi 31 steht und fällt die grundsätzliche Aussage von Dtn 30, dass die Torah demjenigen, der sie hält, im Hier und Jetzt das Leben schenkt (Dtn 30,10–20).23 Dieser Hiob, der einerseits das grundsätzliche Ethos des Alten Orients gehalten hat und der andererseits mit der Torah an der Stirn Gott gegenübertritt, ist paradigmatisch für den Charakter des Buches als eines zutiefst intertextuellen und interreligiösen Werks. Der Wechsel zwischen der Rezeption nichtjüdischer Traditionen und jahwistischer Adaptionen zieht sich durch die gesamte Redaktionsgeschichte des Hiobbuches. Zu dieser gehört nicht nur die von den Masoreten tradierte Gestalt des Buches, sondern auch die in der Septuaginta und die im Targum aus Höh­ ­le 11 in Qumran (11QTgHi) überlieferte. Denn in den jüngsten Phasen der Entstehung des Buches überlagern sich die Redaktionen seiner hebräischen, griechischen und aramäischen Gestalten, so dass die späte Redaktionsgeschichte und die frühe Rezeptionsgeschichte nicht scharf voneinander zu trennen sind. Ich kann hier nicht im Detail auf die mutmaßliche Redaktionsgeschichte des hebräischen Hiobbuches und seine frühen Rezeptionen eingehen,24 sondern beschränke mich auf ausgewählte Beispiele, an denen das Muster der Aufnahme von fremden Traditionen und die Modellierung Hiobs nach genuin eigenen, zunächst jüdischen, später auch christlichen, Vorstellungen deutlich wird. Aus den dabei angestellten Beobachtungen leite ich abschließend Grundlinien einer Hermeneutik heiliger Schriften ab.

20 Vgl.

Kynes: Psalm, 80–121. Opel: Anspruch, 49–58.96–103. 22 Vgl. Ex 34,1; Dtn 4,13; 5,22; 10,2–4 sowie im Blick auf die gesamte Torah 2 Kön 17,37. 23 Siehe dazu ausführlich Witte: Zeichen, 114–116; ders.: Conversation; ders.: Torah, 121–­132. 24 Siehe dazu ausführlich Witte: Das Buch Hiob, 45–59. 21 Vgl.

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3. Vom leidenden Gerechten zum Zeugen der Auferstehung 3.1 Elihu, der erste Hermeneut Hiobs Die Reden Elihus in Hi 32–37, die zu Recht von einem überwiegenden Teil der Forschung für eine spätere Einschreibung in das Buch angesehen werden,25 bewahren grundsätzlich das nichtisraelitische Milieu, in dem der Prolog das Geschehen verankert. Dennoch wird das Buch durch die Figur Elihus ein Stück jüdischer. Der Name Elihu (‫)אליהוא‬, der von seiner Grundstruktur gut vorderorientalisch ist, verweist als Programmname mit der Bedeutung „Mein Gott ist Er“ deutlicher als die Namen der anderen Protagonisten auf ein Bekenntnis zu ‫ יהוה‬als Gott (Hi 32,2).26 Das Patronym Barakel (‫ )ברכאל‬nimmt ein Leitwort des Prologs, ‫ברך‬, auf.27 Es verspricht, den Segen, den Hiob verloren zu haben scheint, zurückzubringen (vgl. Hi 42,12). Die Herkunft aus der Sippe Ram (‫ )רם‬rückt Elihu sprachlich in die Nähe Abrams /Abrahams (‫ אברם‬/ ‫ )אברהם‬und damit in den gedanklichen Horizont, dass Gott unbedingtes Vertrauen als Gerechtigkeit anerkennt (vgl. Gen 15,6 versus Hi 33,23; 35,2–8).28 Einzelne Passagen der Elihureden weisen eine noch höhere Dichte intertextueller Bezüge zu anderen Texten der im Werden begriffenen Hebräischen Bibel auf, vor allem zum Dtn.29 Andererseits kommt das Buch durch Elihus Ausführungen zur Meteorologie und Kosmologie (vgl. Hi 36,26–37,22a), wie sein Seitenstück in Sir 42,15–43, stärker neben pagane hellenistische Lehrdichtungen zu stehen. Zudem berührt sich die besondere rhetorische Gestaltung der Elihureden deutlich mit klassischer griechischer Rhetorik.30 Mit der Kennzeichnung Elihus als ‫( מוכיח‬Hi 32,12) und mit der vom Elihu­ dichter als Gegenüber zum Satan geschaffenen Figur des himmlischen ‫מליץ‬ (Hi 33,23) wird nicht nur in doppelter Weise auf Hiobs Wunsch nach einem Schlichter (Hi 9,33) und einem Vermittler (Hi 16,20 cj.) zwischen ihm und Gott reagiert, sondern auch ein grundsätzliches Modell der Hermeneutik im Buch selbst angelegt. Die Sinnsuche Hiobs bedarf einer doppelten räumlichen Übersetzung: auf menschlicher Ebene mittels des sich auf Inspiration mit dem gött25 Siehe dazu die Übersichten bei Wahl: Schöpfer, 189–207; Pilger: Erziehung, 10–16; Lauber: Weisheit, 1–40. 26 Vgl. Dtn 32,39; Jes 43,10; 48,12; Ps 102,28. 27 Hi 1,5.10.11.21; 2,5.9; 42,12. 28 Für eine genaue geographische Einordnung Elihus trägt der Sippenname ‫ רם‬/ Ram (vgl. Rut 4,19; 1 Chr 2,9–10.25.27) ebenso wenig etwas aus wie seine Kennzeichnung als Buziter, wodurch sachlich aber seine Nähe zu Hiob aus Uz verdeutlicht werden soll (vgl. Gen 22,21). Im frühmittelalterlichen TgHi wird ‫ רם‬ausdrücklich mit Abraham gleichgesetzt, und Eleazar Ben Azarja erkennt in Elihu Isaak; vgl. Bacher: Agada, 225; Weiss: Targum, 257; Witte: Vä­ter Israels, 175 (Anm. 19). 29 Vgl. Witte: Conversation, 95–96. 30 Vgl. dazu bereits knapp Fries: Gespräch, 61–63, sowie ausführlich Lauber: Weisheit, 308–­374.

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lichen Geist berufenden Elihu (Hi 32,8.18), der dem Schicksal Hiobs einen Sinn abzugewinnen versucht und dabei immer wieder Worte Hiobs (sowie der Freunde) modifizierend aufnimmt,31 und auf göttlicher Ebene mittels eines Engels, der zugunsten Hiobs spricht (Hi 33,23–26). Der besondere hermeneutische Akzent der Elihureden zeigt sich auch an ihrem Schluss, wenn Elihu abschließend Hiob auffordert, sich hinzustellen (‫ )עמד‬und genau auf die Wunder Gottes zu achten (‫ בין‬Hitpolel, Hi 37,14): Die Umkehrung der Klage Hiobs, der sich selbst vor Gott hingestellt hat, damit dieser auf ihn achte (Hi 30,20), markiert eine Hermeneutik der Änderung der Wahrnehmungsrichtung. Aus dem dichten Stehen vor Gott kann ein Verstehen seiner Zeichen und Wunder (‫ )נפלאות‬werden.32 Darüber hinaus signalisiert die stete Hinwendung Elihus zu den das Gespräch schweigend verfolgenden Weisen eine ausdrückliche Einladung der Leser zur Mitarbeit am theologischen Diskurs. Sie begründet damit noch deutlicher als der Wunsch Hiobs, seine Worte mögen auf Dauer im Felsgestein verschriftet werden (Hi 19,23–24), schon buchimmanent eine Zeit und Raum übergreifende Auslegungsgemeinschaft.33 3.2 Hiob und Sokrates – Die Hiob-Septuaginta Das in der Septuaginta überlieferte Hiobbuch geht auf eine im 2. oder 1. Jahrhundert v. Chr. angefertigte griechische Übersetzung (Old Greek Text) zurück. Diese war ursprünglich ungefähr ein Sechstel kürzer als der von den Masoreten überlieferte Text und wurde sekundär von Origenes (185–254) aus der wohl um 50 v. Chr. entstandenen Übersetzung des Theodotion aufgefüllt. Während der Old Greek Text eine relativ freie, literarische Übersetzung darstellt, die sich in einzelnen Versen deutlich vom Masoretischen Text unterscheidet, ohne dass daraus auf eine substantiell andere hebräische Vorlage geschlossen werden kann, zeigen die auf Theodotion zurückgeführten Verse weitestgehend eine wörtliche Entsprechung zum Masoretischen Text. Mit der Übersetzung ins Griechische ist das Buch in die griechisch-hellenistische Welt eingetreten. Die schon in den Elihureden des hebräischen Hiobbuches erkennbare Hellenisierung kommt in der griechischen Buchgestalt voll zum Tragen. Dies lässt sich an einzelnen Begriffen, an der literarischen Gestaltung und an der Stilisierung Hiobs zeigen. Bei der Wiedergabe der Begriffe ‫ נפש‬mit ψυχή und ‫ שאול‬mit ᾅδης wird einerseits der ursprüngliche Bedeutungsgehalt im Hebräischen beibehalten, andererseits erscheint das Hiobbuch damit auch als Teil des paganen Diskurses über die Seele und das Totenreich.34 Aus 31 Vgl.

Hi 32,13; 33,8–11.15; 34,5–6.9.23; 35,2–3.14. enge sachliche Zusammenhang zwischen ‫ עמד‬und ‫ בין‬findet im Deutschen seine Entsprechung in der Etymologie des Wortes „verstehen“, das ursprünglich ein „dicht vor etwas stehen“ meint. 33 Vgl. Hi 32,10 (v. l.); 34,2.10.34; 35,4; 37,24. 34 Vgl. besonders Hi 2,4.6; 7,15; 12,10; 13,14; 33,18.20.22.(28 Τh).30; 36,14 bzw. Hi 7,9; 11,8; 14,13; 17,13.16; 21,13; 26,6 (Τh). In Hi 40,20 und 41,24 begegnet der Tartaros (vgl. 32 Dieser

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der paganen Mythologie und Ikonographie stammen Begriffe wie σειρῆνες („Sirenen“),35 μονόκερως („Einhorn“),36 ἑωσφόρος („Morgenstern“) 37 oder der Name der dritten Tochter Hiobs Ἀμαλθείας κέρας („Füllhorn“).38 Einzelne „Homerismen“ entsprechen der Homer-Imprägnierung der griechisch-hellenistischen Literatur.39 Hinzu kommen terminologische Berührungen mit paganer Hymnensprache.40 Wie auch sonst in der Septuaginta wird das Tetragramm im griechischen Hiobbuch mit κύριος übersetzt. Dadurch wird einerseits die Fiktion des nicht vorisraelitischen Milieus des Hiobbuchs aufgebrochen, insofern Hiob und seine Freunde ausdrücklich als Verehrer des einen Gottes Israels gekennzeichnet sind. Andererseits erscheint das Hiobbuch nun auch als Teil der hellenistischen religiösen Literatur, in der unterschiedliche Götter den Titel (ὁ) κύριος tragen.41 Eine Besonderheit der griechischen Übersetzer des Hiobbuches stellt die Wiedergabe von ‫ שדי‬mit dem Wort παντοκράτωρ dar. Dieses klingt an die (seltene) Bezeichnung griechischer Götter, zum Beispiel des Zeus, als παγκρατής an,42 ist aber wohl ein Neologismus des ägyptischen Judentums, so dass sich in diesem Titel in nuce die Verschmelzung paganer und jüdischer Gotteskonzeptionen im Hiobbuch zeigt.43 Die über den hebräischen Text hinausgehende Klage der Frau Hiobs in Hi 2,9a–e basiert einerseits auf Wendungen aus der hebräischen Bibel bzw. der noch Spr 30,16). Auf eine Kenntnis des Übersetzers von griechischer Mythologie deutet auch die Wiedergabe von ‫( אסירים‬die [in der Scheol] „Gefesselten“) in Hi 3,18 mit οἱ αἰώνιοι („die Verewigten“) hin (vgl. Fernández Marcos: Septuagint Reading, 259). 35 Hi 30,29 vgl. Jes 13,21; 34,13; 43,20; Jer 27 (50),39; Mi 1,8; 4 Makk 15,21; aus der Fülle der paganen griechischen Literatur vgl. Homer, Il. 8, 19.25; Od. 12, 39–200; Hesiod, frgm. 150, 33; Euripides, Hel. 169 (hier in einem mit Hi 30,25–31 vergleichbaren Kontext der Trauerklage); zur frühchristlichen Rezeption vgl. Physiologus, Nr. 13 (Treu: Physiologus, 29–31). Zur Sache siehe auch Gerleman: Job, 44. 36 Hi 39,9 vgl. Num 23,22; 24,8; Dtn 33,17; Ps 21 (22),22; 28 (29),6; 77 (78),69; 91 (92),11. Zum realen Hintergrund und zur Bedeutung von Einhörnern in der griechischen Naturkunde (und Mythologie) siehe Bloch: Einhorn. 37 Vgl. Hi 11,17; 38,12; 41,10; 1 Sam 30,17; Jes 14,12; Ps 109 (110),3 sowie Homer, Il. 23, 226; Hesiod, theog. 381; Platon, Tim. 38d; leg. 821c; epin. 986e; 987b. 38 Anakreon, frgm. 16,1; Kallimachos, In Iovem 49; Plutarch, proverbia 2,27. 39 Siehe dazu ausführlich Ziegler: Vokabeln; Witte: Greek Book of Job, 40. 40 Vgl. Hi 5,9 (9,10; 34,24) mit Kallimachos, In Iovem 92–93. 41 Siehe dazu grundsätzlich noch immer Baudissin: Kyrios, 246–260, sowie zu charakteristischen Differenzen zwischen jüdischem und paganem Gebrauch von κύριος in religiösem Kontext Rösel: Adonaj, 6–7. 42 Vgl. Aischylos, Sept. 255; Suppl. 816; Eum. 918; Sophokles, Phil. 679; frgm. 684, 4; Euripides, frgm. 431, 4; Hymnus auf Zeus vom Berg Dikta (Furley / Bremer: Hymns, 1; 3); Kleanthes, frgm. 1, 1 bzw. Bakchylides, Epinicia 11.44; zu weiteren Belegen siehe Witte: El Shaddai, 23–24. 43 Vgl. Hi 5,17; 8,5; 11,7; 15,25; 22,17.25; 23,16; 27,2.11.13; 32,8; 33,4; 34,10.12; 35,13; 37,22 (23). Einmalig wird in 8,3 ‫ שדי‬mit ὁ τὰ πάντα ποιήσας umschrieben. Siehe dazu Witte: El Shaddai.

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Septuaginta, insbesondere aus dem Hiobbuch selbst,44 andererseits steht sie begrifflich und motivisch den Klagen einzelner Frauen in griechischen Tragödien, vor allem des Euripides, nahe.45 Die eigenständige Profilierung der Frau Hiobs in der Hiob-Septuaginta lässt diese auf der einen Seite als eine Schwester der klagenden Rebekka und Noemi erscheinen, auf der anderen Seite als eine Schwester der Medeia, der Andromache und der Hekabe oder auch der Xanthippe.46 Über die Ausgestaltung der kurzen Rede der Frau, die im hebräischen Text nur eine Frage und einen knappen Aufruf umfasst, zu einer sich über mehrere Zeilen erstreckenden Klage im griechischen Text, hat der Prolog einerseits ein zusätzliches dramatisches Element enthalten, wodurch das Buch sich der Gestalt einer griechischen Tragödie weiter annähert. Andererseits entspricht die dadurch erzielte Figurenkonstellation nun noch stärker dem biblischen Gegenüber von Adam und Eva (Gen 3), von Abraham und Sara (Gen 16; 21) sowie von Tobit und Hanna (Tob 2). Die rhetorisch so stark ausgestalteten Elihureden, die in der Septuaginta nun dezidiert mit dem Terminus technicus λέξις bezeichnet werden,47 bieten in Hi 37,20 ein charakteristisches jüdisches Element: So stellt der griechische Elihu die rhetorische Frage, ob ihm etwa ein Buch (βίβλος) oder ein Schriftgelehrter (γραμματεύς) zur Seite stünden, um Hiob zu widerlegen. Die Septuaginta unterscheidet sich hier inhaltlich stark vom Masoretischen Text, auch wenn sie sich auf einen vergleichbaren hebräischen Konsonantentext zurückführen lässt. Entscheidend ist die Einspielung des im paganen Bereich zur Bezeichnung eines Sekretärs verwendeten Begriffs des γραμματεύς im Sinne jüdischer Schriftgelehrsamkeit.48 Schon in ihrer hebräischen Gestalt haben die Gottesreden (Hi 38–41), zumal die erste (Hi 38–39), neben ihren Parallelen zur ägyptischen Listenweisheit und zu ägyptischen Hymnen sowie zu biblischen Psalmen – besonders die Psalmen 104, 147 und 148 leuchten hier (wie auch in Hi 37) auf – eine motivische Nähe zur hellenistischen Lehrdichtung. In ihrer griechischen Gestalt ist diese Nähe noch deutlicher, insbesondere zum Zeushymnus des Stoikers Kle­anthes und zu den Phainomena des Aratos.49 Die Verdopplung des Ausdrucks ‫סערה‬ („Sturm“) in der Überschrift der Gottesreden zu λαῖλαψ und νέφη („Sturm und Gewölk“, Hi 38,1) unterstreicht, über den hebräischen Text hinausgehend, die Einbettung der Gottesreden in eine Theophanie und intensiviert damit die Parallele zu Gotteserscheinungen in griechischen Tragödien, nicht nur zu dem in der Forschung immer wieder zum Vergleich herangezogenen, dem Aischylos 44 Siehe

dazu Heater: Translation, 31–36. dazu knapp Kepper / Witte: Job (LXX.E), sowie ausführlich Witte: Frau, 141–147. 46 Vgl. Gen 25,22 und Rut 1,21 bzw. Euripides, Med. 797–799; 1029–1031; Tro. 757–760; Hec. 154–164; Platon, Phaid. 59e–60a; Aelian, varia historia 9,7; Xenophon, symp. 2,10–11. 47 Hi 36,2; 38,1; vgl. Aristoteles, rhet. 1408b21; 1414a8.18. 48 Vgl. 4 Kgtm 22,8 par. 2 Chr 34,15; 2 Esd 7,11; 18,1–18. 49 Kleanthes, In Iovem (Thom: Hymn); Aratos, phain. (Erren: Aratos). 45 Vgl.

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zugeschriebenen „Gefesselten Prometheus“, sondern vor allem zu den Dramen des Euripides.50 Das griechische Hiobbuch schließt mit einer Einordnung Hiobs alias Jobab in die Genealogie Esaus bzw. Edoms (Hi 42,17b–e). Der Abschnitt basiert, wie sich an den Namen dieser Genealogie, zumal an der Benennung des Sohnes Hiobs mit dem Namen Ennon ablesen lässt,51 auf der hebräischen Fassung von Gen 36. Mittels der ausdrücklichen Verortung Hiobs als des „fünften nach Abraham“ und der damit verbundenen Synchronisierung Hiobs mit der Generation Amrams, des Vaters des Mose (vgl. Ex 6,16–20), wird Hiob in der Heilsgeschichte Israels verortet. Dass Hiob alias Jobab in diesem griechischen Nachspann, wie seine Freunde in der Septuaginta, als Herrscher (βασιλέυς) erscheint (Hi LXX 42,17d–e, vgl. Hi LXX 2,11), beruht ebenfalls auf Gen 36, daneben auch auf dem Motiv seines besonderen Reichtums in Kapitel 1 und seiner königlichen Stilisierung in Kapitel 29,52 ist also das Ergebnis einer binnentextlichen jüdischen Schriftauslegung. Das Gespräch zwischen Hiob und seinen Freunden ist damit nicht nur ein Dialog von Weisen, sondern auch ein Disput zwischen Königen, der Streitgesprächen zwischen Königen bzw. zwischen einem König und einem Weisen in der paganen Welt an die Seite tritt. Zwar fehlt es im paganen griechischen Raum an einer echten Parallele zur weisheitlichen dialogischen Auseinandersetzung zwischen Hiob und seinen Freunden als Königen. Formal wird durch die Kennzeichnung Hiobs und seiner Freunde als Könige aber auf der einen Seite eine Nähe zu den königlichen Helden der Ilias und der Tragödien erzielt, auf der anderen Seite zu Dialogen zwischen Königen über grundsätzliche Fragen des Lebens bei Herodot.53 Hiob, der aufgrund seiner besonderen Stilisierung in der Septuaginta als frommer Gerechter (δίκαιος, Hi LXX 1,1) neben den Sokrates des Xenophon und des Aelian zu

50 Aischylos, Prom. 1080–1093; Euripides, Ion 1549–1622; 1615; Iph. T. 1435–1499; Or. 1625–1693; vgl. auch das Lob des göttlichen Schöpfers und Ordners der Welt in der Rede des Theseus in Euripides, Suppl. 195–249. Siehe dazu auch Dell: Sceptics, 11–18; Simon: Job; Witte: Väter Israels, 188–189; Hirschfeld: Job. 51 Witte: Sohn. 52 Das hier entworfene Bild Hiobs entspricht gleichermaßen altorientalischer und hellenistischer Königsideologie (vgl. z. B. Ps 45,7–8; 72; Jes 11,4, die phönizischen Königsinschriften des Kilamuwa [KAI5 I, Nr. 24,9–13], des Jechimilk von Byblos [KAI5 I, Nr. 4,6] und des Jechaumilk von Byblos [KAI5 I, Nr. 10,8–9], den neuassyrischen Krönungshymnus für Assurbanipal [SAA III, Nr. 11] bzw. Pindar, P. 1 sowie ausführlich Xenophon, Ag.; Kyr.; Isokrates, ad Nicodem (= or. 2); Evagoras (= or. 9); Nicocles (= or. 3); Kallimachos, In Io­ vem 80–90; Arist 187–294); vgl. dazu Janowski: Frucht bzw. Schmitt: Herrscherideal. 53 Vgl. z. B. das Gespräch zwischen Kroisos und Solon (Herodot, hist. I, 29–33), zwischen Kroisos und Kyros (hist. I, 86–91) oder zwischen Xerxes und Demaratos (Herodot, hist. VII, 101–105); vgl. auch das Gespräch zwischen dem Dichter Simonides und dem sizilianischen König Hieron in Xenophon, Hier., über die Tyrannis. Für diese Hinweise danke ich meinen Kollegen Markus Asper (Berlin) und Rainer Thiel (Jena).

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stehen kommt,54 erscheint als die Personifikation des platonischen Ideals der Philosophen als Könige und der Könige als Philosophen.55 Insgesamt weist die griechische Fassung des Hiobbuches eine höhere Anzahl intertextueller Bezüge zur Hebräischen Bibel bzw. zur Septuaginta auf. Dies gilt vor allem für Passagen, in denen sich der hebräische und der griechische Text voneinander unterscheiden und wo man den Eindruck hat, dass die griechischen Übersetzer einen in ihrer Vorlage besonders schwer verständlichen oder auch korrupten Text unter Rückgriff auf „Formelverse“ aus anderen biblischen Büchern wiedergegeben haben.56 Das Buch Hiob ist mittels dieser Schriftbezüge jüdischer geworden. Auf der anderen Seite ist es in seiner griechischen Gestalt lexikalisch, dramaturgisch und tendenziell auch paganer geworden. Das griechische Hiobbuch ist ein Teil der griechisch-hellenistischen Literaturgeschichte und für einen gebildeten nichtjüdischen Leser, der die Werke Homers, Platons, der Tragiker und der alexandrinischen Dichterschule kennt, als ein sinngebender und sinnerhellender Text verstehbar, auch wenn er nicht alle Bezüge zu den heiligen Schriften des antiken Judentums als solche zu erkennen vermag. 3.3 Hiob, der Prophet – Ben Siras Hiobbild In die Kategorie der „Einholung Hiobs“ ins Judentum gehört auch die Kennzeichnung Hiobs als Prophet (‫ )נביא‬im Väterlob des Sirachbuchs (Sir 49,9 [HB]).57 Die Erwähnung Hiobs findet sich nur in der hebräischen und in der syrischen Version des Sirachbuchs. Sollte sie ursprünglich sein, fällt sie entstehungsgeschichtlich in die Zeit zwischen der Beendigung der produktiven literarischen Bearbeitung des hebräischen Hiobbuches, die ausweislich einzelner Fragmente aus Qumran um 220 v. Chr. abgeschlossen gewesen sein muss, und der Anfertigung des Old Greek im 2. Jahrhundert v. Chr. Innerhalb der von Noah bis Nehemia reichenden Ahnengalerie, die von einer doppelten Erwähnung Henochs gerahmt wird und am Ende über die Patriarchen Joseph, Sem, Set, Enosch sowie den Urvater Adam zu dem Hohenpriester Simeon führt (Sir 44–­49.50), begegnet Hiob zwischen Ezechiel und den zwölf Propheten (Sir 49,8–­10). Diese Position erklärt sich zum einen aus der Nennung Hiobs in 54 Xenophon, mem. IV, 8,11; Aelian, varia historia 2,13, vgl. auch Aristoteles, rhet. 1357b12 sowie grundsätzlich zum Ideal von Frömmigkeit und Gerechtigkeit Platon, Phil. 39e. Zur altkirchlichen Gegenüberstellung von griechischen Philosophen, zumal von Sokrates, mit Hiob als Ideal eines wahrhaft philosophischen Umgangs mit dem Leiden siehe z. B. Gregor von Na­zianz, ep. 32 (Gallay: Grégoire, 40–42). 55 Platon, rep. 473c–d (vgl. Polybios, hist. XII, 28,2–3; Philon, Mos. II, 2 [das Ideal ist in der Gestalt des Mose verwirklicht]). 56 Vgl. z. B. – jeweils in der LXX – Hi 10,13 = 42,2a.b; Hi 22,2 = 21,22a; Hi 22,28b = 8,6b; Hi 34,24b = 5,9b; 9,10b; zur „anaphorischen Übersetzungstechnik“ in der Hiob-LXX siehe grundsätzlich Heater: Translation, 6–7.11–130. 57 Siehe dazu knapp Burchard: Hiob, 18, sowie ausführlich Witte: Propheten, 28–32.35.

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Ez 14 und aus dem Verständnis Hiobs als Muster des in Ez 18 beschriebenen Ideals individueller Gerechtigkeit und Verantwortung. Zum anderen verweisen Ben Siras Charakterisierung der zwölf Propheten als Tröster Israels und als Vorbilder an Glauben und Hoffnung sowie sein Wunsch, die Gebeine der Propheten mögen aufsprossen (Sir 49,10), auf die Haltung und die Erwartungen Hiobs.58 Möglicherweise spricht aus der Hiobnotiz Ben Siras auch, analog zur Kennzeichnung Daniels als Prophet in Mt 24,15, die Einordnung des Buches Hiob unter die prophetischen Bücher. In diesem Fall wäre Sir 49,9 der älteste Beleg für die Betrachtung des Hiobbuches als Teil der heiligen Schrift des antiken Judentums.59 In diese Richtung weisen die zahlreichen Anspielungen und zitatähnlichen Bezugnahmen auf das Buch Hiob bei Ben Sira.60 Ben Sira zeigt sich in seiner Weisheitsschrift mit paganen hellenistischen Vorstellungen, vor allem aus der Stoa, vertraut und greift bei der Gestaltung des Väterlobs, außer auf biblische Geschichtspsalmen, auch auf hellenistische Enkomien zurück. Dennoch bleibt seine Hiobrezeption ganz im jüdischen Rahmen. Dabei kann Ben Siras Hiobsequenz in ihrer hebräischen Gestalt motivisch – zumindest theoretisch – auch einem paganen Leser verständlich sein, insofern dieser in seiner Tradition auch Propheten und Personen, die in besonderer Weise „alle Wege der Gerechtigkeit erfüllen“ (Sir 49,9 [HB]), kennt. Die griechische (und die davon abhängige) lateinische Version von Sir 49,8–10 hingegen, die sich markant von HB unterscheidet, setzt eine Kenntnis des biblischen Ezechielbuchs voraus.61 3.4 Hiob, der Athlet – Das Testament Hiobs Das spannungsreiche Gegenüber der Einschreibung Hiobs in jüdische Vorstellungen und der Rezeption paganer Vorstellungen setzt sich im Testament Hiobs fort. Die aus dem 1. / 2. Jahrhundert n. Chr. stammende, auf Griechisch abgefasste Schrift ist jüdischen Ursprungs, auch wenn sie überwiegend christlich tradiert wurde und im christlichen Bereich als monastische Erbauungsschrift eine besondere Wirkungsgeschichte aufweist.62 Sie basiert auf der Septuaginta, integriert und transportiert zahlreiche Stoffe aus einer offenbar mündlichen Hiob-­Haggada, die sich dann auch in islamischen Hiob-Legenden wiederfindet,63 und rezipiert umfassend griechische pagane Vorstellungen. Hiob, der hier als ein über sein Leiden völlig erhabener Verehrer des einen und einzigen Gottes erscheint, wird einerseits in paganer Manier als ein Athlet stilisiert (TestHiob 2–5). Als solcher ringt er mit dem Satan, dessen Götzenbilder er, nun im Sinne 58 Vgl.

Hi 14,13; 16,17–22; 19,25–27. dazu Witte: Kanon, 50–51. 60 Siehe dazu Reiterer: Verhältnis Ijobs; Egger-Wenzel: Gebrauch. 61 Zu den textlichen Problemen von Sir 49,8–10 siehe Witte: Propheten, 28–35. 62 Siehe dazu Haralambakis: Testament. 63 Vgl. TestHiob 6,4; 7,2; 23,7; 31,2 und dazu Schaller: JSHRZ III / 3, 319.331.343.350; vgl. Grünbaum: Beiträge, 262–271. 59 Siehe

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des jüdischen Bilderverbots und der prophetisch-­weisheitlichen Polemik, aber auch paganer Kritik an Götterbildern,64 zerstört. Nach dem Tod seiner ersten Frau, Sitidos, heiratet Hiob die Tochter Jakobs, Dina (vgl. Gen 34), so dass die mit ihr gezeugten Kinder nun vollends in die heilsgeschichtliche Linie Israels gehören, auch wenn sie – und hier schlägt dann wieder die pagane Imprägnierung durch – teilweise nichtjüdische griechische oder gräzisierende Namen tragen.65 Letztlich schildert das Testament Hiobs, an dessen Ende die glanzvolle Aufnahme Hiobs in die himmlische Welt steht, womit Hi 19,25–27 und vor allem die nur in der Septuaginta überlieferte Notiz von der Auferstehung Hiobs (Hi 42,17a) ausgeschrieben werden, eine mehrfache Konversion Hiobs zum Judentum. Hiob geht gewissermaßen den Weg des jungen Abraham, wie ihn das im 2. Jahrhundert v. Chr. verfasste Jubiläenbuch zeichnet (vgl. Jub 11–12). 3.5 Hiob und die Väter Israels – Das rabbinische Hiob-Targum Die Identifikation der im Masoretischen Text und in der Septuaginta66 namenlosen (ersten) Frau Hiobs mit der Jakobstochter Dina (‫ )דינה‬teilt das Testament Hiobs mit dem schwer zu datierenden und hinsichtlich seiner Literargeschichte sehr komplexen frühmittelalterlichen Hiob-Targum,67 das sich hinsichtlich seiner zahlreichen haggadischen Einspielungen konzeptionell stark von dem in Qumran in Höhle 11 gefundenen Hiob-Targum aus der Zeit um 100 v. Chr. unterscheidet.68 Die Benennung der Frau Hiobs mit Dina (TgHi 2,9) ist sprachlich das Ergebnis einer gelehrten Verbindung des Verdikts Hiobs über seine Frau, sie rede wie eine von den Törinnen (‫אחת הנבלות‬, Hi 2,10), mit der Bezeichnung der Vergewaltigung der Dina als einer Schandtat (‫ נבלה‬, Gen 34,7). Vielleicht steht zusätzlich auch eine Anspielung auf die Wurzel ‫ דין‬im Hintergrund.69 Sachlich rückt Hiob über die Ehe mit Dina, wie im Testament Hiobs, noch näher an das Judentum. Diese Tendenz durchzieht das gesamte frühmittelalterliche Targum. So schreibt es die im hebräischen Hiobbuch begrifflich nur angedeutete Auseinandersetzung mit der Torah fort, wenn es nun ausdrücklich die Torah nennt oder aus ihr zitiert.70 Ausgangspunkt ist dabei zumeist die bereits in den Proverbien und in späten Psalmen angelegte Gleichsetzung der 64 Vgl. Jes 41,6–7; 44,9–20; 46,1–7; Jer 10; SapSal 13–15; EpJer 6; Jub 11,4–7; Sib 3,547–­ 548.721–723 bzw. Xenophanes (DK 21 B 15 und B 16); Strabon, geogr. XVII, 1,28 (vgl. 1,38.40); Cicero, Tusc. V, 78; Plutarch, Is. 71 (= mor. 379C–E); siehe dazu Ammann: Götter. 65 Tersi, Choros, Hyon, Nike, Phoros, Phiphe, Phruon, Hemera, Kasia, Amaltheias Keras; siehe dazu Schaller: JSHRZ III / 3, 325. 66 Auch die im Septuaginta-Nachspann (Hi 42,17b) genannte arabische Frau Hiobs / Jobabs bleibt anonym. 67 Zum Text siehe Stec: Targum of Job. 68 Zu 11QTgHi siehe jetzt R. Luther: Hiob, sowie Seow: Reception. 69 Vgl. Hi 19,29; 35,14; 36,17.31. 70 Vgl. TgHi 3,16–17; 5,7 (v. l.); 11,8; 22,22; 24,13; 30,4; 36,33; 37,21 (v. l.), siehe dazu Witte: Väter Israels.

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Wörter für Licht (‫ )אור‬und für die Torah (vgl. Spr 6,23; Ps 119,105). Parallel dazu spielt das frühmittelalterliche Targum immer wieder die Erzväter, insbesondere Abraham, ein. Darin spiegelt sich die bei den Rabbinen breit geführte Diskussion über die Vergleichbarkeit Hiobs und Abrahams (vgl. bBB 15b–­ 16a),71 die nicht nur das Prädikat der besonderen Gottesfurcht und der großen Gastfreundschaft teilen, sondern auch die Erfahrung des fremden Gottes (vgl. Gen 22), das Bekenntnis zur eigenen Geschöpflichkeit (Gen 18,27; Hi 30,19; 42,6) oder den dialogischen Streit mit Gott über das Wesen seiner Gerechtigkeit (Gen 18,22–33). Weitere Rekurse auf biblische Figuren wie Noah, Korach, Jona oder Jeremia folgen.72 Zudem implementiert das Targum explizit eschatologische Motive, die im masoretischen Hiobbuch nur in sehr späten Eintragungen (Hi 14,12*; 19,28–29; 29,18–20; 31,11–12.28) und in der Septuaginta zusätzlich nur in dem vorhexaplarischen Zusatz in 42,17a anklingen.73 Das Bild der „Gehenna“ als postmortalem Gerichtsort entspricht der in der Spätantike und im frühen Mittelalter entwickelten jüdischen Eschatologie.74 Hinzu kommt eine entfaltete jüdische Angelologie, die bereits im masoretischen Hiobbuch mit den sekundären Himmelsszenen (Hi 1,6–12; 2,1–7) und den gegenüber diesen ihrerseits sekundären Ausführungen Elihus über den Fürsprachenengel (Hi 33,23–26) sowie in angelologischen Modifikationen der Septuaginta angelegt ist.75 Alle diese Einspielungen sind midraschartige Kurzerläuterungen, die sich in erster Linie an die Leser des Targums wenden. Sie treten damit aus der eigentlichen Handlung und dem eigentlichen Dialog zwischen Hiob und seinen Freunden heraus und setzen eine genaue Kenntnis der Hebräischen Bibel voraus. Insofern sich diese Eintragungen aber nicht nur in dem aus der Perspektive des allwissenden Erzählers verfassten Rahmen finden, sondern vor allem auch in den Reden der Figuren, kennzeichnen sie diese als Kenner der jüdischen Tradition. Nach diesem Targum ist das Hiobbuch ein jüdisches Werk, das sich voll im Rahmen jüdischer Enzyklopädie bewegt. Hinsichtlich seiner intertextuellen Bezüge ist es nur von Lesern zu verstehen, die mit der Hebräischen Bibel und jüdischen Glaubensvorstellungen der Spätantike und des frühen Mittelalters vertraut sind. 3.6 Hiob, der Zeuge der Auferstehung – Das Hiobbuch als heilige Schrift des frühen Christentums Mit dem Targum bin ich bereits weit in die nachbiblische jüdische Rezeptionsgeschichte vorgedrungen und habe beispielhaft eine jüdische Lesart – oder ge71 Vgl.

auch TestAbr 15,15 (A). TgHi 3,5 (Jeremia; Jona); 15,29 (Korach); 22,19 (Noah); 24,22 (Noah). 73 Vgl. TgHi 11,17; 14,14; 15,21; 36,7. 74 Vgl. TgHi 3,17; 5,4; 15,21; vgl. dazu Mangan: Targum, 15–16. 75 Vgl. in der LXX Hi 1,6; 2,1; 4,18; 5,1; 20,15; 36,14; 38,7; 40,11.19; 41,25 und in TgHi 1,6; 3,3; 18,13; 25,2 (v. l.); 28,7.22.27. 72 Vgl.

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nauer, da das frühmittelalterliche Targum eine längere Entstehungsgeschichte und die Kompilation unterschiedlicher Übersetzungen aufweist – verschiedene jüdische Lesarten aufgezeigt. Ich gehe nun chronologisch noch einmal um einige Jahrhunderte zurück und skizziere knapp erste Spuren einer christlichen Lektüre des Hiobbuches. Namentlich wird Hiob im Neuen Testament nur im Jakobusbrief 5,10–11 genannt. Diese Erwähnung braucht nicht auf das Hiobbuch selbst zurückzugehen, sondern kann auch auf einer im antiken Judentum verbreiteten mündlichen Tradition basieren.76 Wesentlich ist, dass Hiob hier im unmittelbaren Kontext mit dem Beispiel der leidenden Propheten Israels als ein Vorbild für Christen erscheint. Die Zusammenstellung Hiobs mit den Propheten erinnert an die Hiobnotiz im hebräischen Sirachbuch (s. o. 3.3). Die ausdrückliche Hervorhebung von Hiobs „Geduld“ (ὑπομονή), die auch im Testament Hiobs eine besondere Rolle spielt (TestHiob 1,5), und seines durch Gott herbeigeführten glücklichen Endes (τέλος)77 könnte ein von Jakobus verfasstes Summarium der Rahmenerzählung des Hiobbuches darstellen (vgl. Hi 1,21–22; 2,9–10; 42,10–­ 11). Neben dem häufigen Gebrauch der Verbalwurzel ὑπομένειν in der HiobSeptuaginta78 ist dabei auch die vom Masoretischen Text abweichende griechische Textform von Hi 19,26aβ zu berücksichtigen, in der ausdrücklich auf die von Hiob seitens Gottes erwartete Vollendung (συνετελέσθη) geblickt wird. Dabei hat das Wort συντελεῖν im frühjüdischen und im neutestamentlichen Umfeld auch eine eschatologische Konnotation.79 So erklärt sich Jakobusʼ Erwähnung des durch die Barmherzigkeit Gottes (vgl. Ex 34,6–7) 80 geschenkten Endes Hiobs wohl auch vor dem Hintergrund der Auferstehungsnotiz in Hi 42,17a (vgl. Jak 1,12). Wenn der Erwähnung Hiobs unmittelbar eine Warnung vor dem Erscheinen Gottes zum Gericht vorausgeht (Jak 5,9), dann deutet dies darauf hin, dass Jakobus auch die Theophanie in Hi 38 vor Augen hatte. Die im Jakobusbrief vorgelegte Hiobrezeption ist für sich betrachtet nicht genuin christlich, sie wird es aber durch den unmittelbaren Kontext, insofern Jakobusʼ Aufruf zur Geduld angesichts des Wartens auf die Parusie Jesu Christi ergeht 76 Zur Diskussion siehe Schaller: Textcharakter, 21; Burchard: Hiob, 16–17; Gray: Points, 420–424; Vicchio: Image, I, 140–143; Herzer: Jakobus, 333–338. 77 Vgl. TestBen 4,1; TestAss 6,4, zum Motiv siehe auch Hebr 13,7. 78 Hi 6,11; 7,3; 9,4; 14,14; 17,13; 22,21, vgl. ἀναμένειν in Hi 2,9a (vgl. auch 4 Makk 7,22–­23), die Buchüberschriften in den Minuskeln 130 und 261 („die Ehrensäule der Geduld des gerechten Hiob“) sowie TestHiob 1,5; Tob Vg 2,12 (Vg); 1 Clem 26,3; Tertullian, De patientia 14; Clemens Alex., stromata 4,17,106,3 (GCS Clemens, II, 295); Visio Pauli 49 (Silverstein / Hilhorst: Apocalypse of Paul, 166–167), und dazu Schaller: JSHRZ III / 3, 326–327; Hainthaler: Ausdauer. 79 Vgl. Mk 13,4; Röm 9,28 als Zitat aus Jes LXX 28,22; Dan LXX 5,28; Hebr 8,8 als modifi­ ziertes Zitat aus Jer LXX 38,31. 80 Zur hier (verkürzt) vorliegenden Gnadenformel als einem gesamtbiblischen roten Faden vgl. Joel 2,13; Jon 4,2; Ps 86,15; 103,8; 145,8; Neh 9,17; Sir 2,11 sowie CD-A II,4; 1QHa VIII,24; 4Q511 frgm. 52, 54–55, 57–59,1 (Kol. III,1).

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(vgl. Jak 5,7–8).81 Damit deutet sich innerbiblisch eine Einschreibung Hiobs in die christliche Heilsgeschichte und eine Typologisierung Hiobs an, wie sie die weitere frühchristliche Lektüre des Hiobbuches bestimmen wird. Eindeutige Belege einer neutestamentlichen Rezeption des Hiobbuches finden sich neben der Notiz im Jakobusbrief nur in drei Zitaten bei Paulus im Römerbrief (Röm 11,35), im ersten Korintherbrief (1 Kor 3,19) und im Philipperbrief (Phil 1,19). Bei allen weiteren im Index der loci citati vel allegati des Nestle-Aland28 und in der Literatur sonst noch als Hiob-Zitate bezeichneten Stellen handelt es sich lediglich um begriffliche, motivische oder intertextuelle Bezüge. Häufig spiegeln sie einfach eine im Griechischen verbreitete Redewendung, die nur zufällig auch einmal in der Hiob-Septuaginta und bei Paulus begegnet.82 Darüber hinaus steht die Parallelisierung in vielen Fällen unter dem Einfluss einer christlichen Rückprojektion, die in Hiob einen Typos Jesu Christi sieht. Eine solche Hiob-Christus-Typologie, in deren Rahmen das Hiobbuch immer mehr zu einem christlichen Buch im Kontext einer christlichen Enzyklopädie wird, begegnet erst bei den Kirchenvätern, aber noch nicht im Neuen Testament. So stehen die Rückgriffe des Paulus auf Hi 5,13 in 1 Kor 3,19 und auf Hi 41,3 in Röm 11,35 im Zusammenhang der paulinischen Verhältnisbestimmung von Gotteserkenntnis, Gerechtigkeit und menschlicher Weisheit.83 Die Zitate, mittels derer Paulus die Unbegreiflichkeit des Handelns Gottes und die Relativität menschlicher Erkenntnis unterstreicht, sind keine eigentlichen Auslegungen des Hiobbuches. Sie dienen seiner theologischen und ekklesiologischen, nicht christologischen, Argumentation. Sie gleichen in struktureller Hinsicht den wenigen Rekursen auf das Hiobbuch bei Philon von Alexandria84 und haben den Charakter eines Schriftbelegs für die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes. Insofern das Zitat aus Hi 5,13 in 1 Kor 3,19 mit der Formel γέγραπται eingeleitet wird, setzt es eine Benutzung des Hiobbuches als heiliger Schrift voraus. Ob dies bereits für die ursprünglichen Adressaten des ersten Korintherbriefes gilt, ist fraglich. Sicher gilt es aber für Paulus, so dass davon auszugehen ist, dass mit dem Rückgriff auf Hi 5,13 nicht nur die einzelne Textstelle, sondern auch der Kontext, in dem sie sich befindet, mit in die Zitation transportiert wird: In die Argumentation in 1 Kor 3,19 fließt somit die in Hi 5 entfaltete Vorstellung von der göttlichen Erziehung (Hi 5,17) und vom göttlichen Rettungshandeln (Hi 5,18–­26) ein. Die exklusive Zuordnung der korinthischen Gemeinde zu Christus und damit zu Gott, mit der die Aus81 Zum Bezug von Jak 5,7 auf die Parusie Jesu (nicht auf das Erscheinen Gottes) vgl. Di­ be­lius: Jakobus, 223–224; Mussner: Jakobusbrief, 201; Johnson: James, 319. 82 Vgl. z. B. ἐλπὶς σωτηρίας (Hi LXX 2,9; 1 Thess 5,8); οὐ / οὐδὲν γὰρ σύνοιδα ἐμαυτῷ (Hi LXX 27,6; 1 Kor 4,4). 83 Herzer: Jakobus, 339–350. 84 Vgl. mut. 48,4 mit dem Zitat aus Hi 14,4–5. Dabei handelt es sich um das einzige expli­ zite Zitat aus dem Hiobbuch bei Philon; hinzu kommen Anspielungen auf Hi 1,21 in spec. I, 295, auf Hi 28 in prob. 65, auf Hi 28,24 in det. 61 und QG I, 69 sowie auf Hi 38,4 in migr. 136.

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führungen in 1 Kor 3 enden, ist vor dem Hintergrund der in Hi 5 beschriebenen Verheißungen zu lesen, so dass hier das Hiobbuch selbst zu einem hermeneutischen Schlüssel wird. Dieselbe Funktion erfüllt das Hiobzitat in Röm 11,35, wenn der Lobpreis des undurchschaubar die Schöpfung lenkenden Gottes aus Hi 38–41 die Reflexionen über das Geheimnis der Geschichte Israels in Röm 9–11 abschließt. Aufgrund der Identifizierung des Gottes, dessen Handeln und dessen Weisheit das Buch Hiob bezeugt, mit dem Gott, den Paulus in seinem Handeln an Jesus Christus erfahren hat, und aufgrund der Benutzung des Buches Hiob in der Vermittlung des Glaubens an Jesus Christus und in der Anrede der christlichen Gemeinde wird das Buch Hiob als heilige Schrift auch zu einem christlichen Buch. Eine Stufe weiter in der Integration des Buches Hiob in die christliche Theologie und in der Adaption auf christliche Glaubensvorstellungen geht der erste Clemensbrief. Dieser bietet Hi 19,26 – neben einem Rückgriff auf die pagane Mythe vom Vogel Phönix, auf die bereits im hebräischen Hiobbuch auf der Ebene einer der jüngsten Fortschreibungen angespielt wird,85 und zitatähnlichen Bezugnahmen auf Ps 3,6; 22,4; 27,7 und 87,11 (jeweils LXX) – als einen Beleg für die Auferstehung von den Toten (1 Clem 26,1–3).86 Hi 19,26 wird hier, vor dem Hintergrund der Auferstehungsnotiz in Hi LXX 42,17a, eindeutig eschatologisch interpretiert. Eine solche eschatologische Interpretation begegnet dann auch in der von Hieronymus (347–420) aus dem Hebräischen erstellten lateinischen Übersetzung von Hi 19,26, die sich in der Vulgata niedergeschlagen hat und die die ebenfalls auf eine Revision des Hieronymus zurückgehende altlateinische Version abgelöst hat, sowie in frühchristlichen Grabinschriften, in denen die Hoffnung auf die Auferstehung des Fleisches ar­tikuliert wird,87 und bei einzelnen Kirchenvätern.88 Für das Testament Hiobs jüdischer Provenienz und für die ursprünglich auf Griechisch abgefasste Apokalypse des Paulus (Visio Sancti Pauli) 89 christlicher Herkunft (4. / 5. Jahrhundert n. Chr.) ist das postmortale Verständnis von Hi 19,26, sei es mittels der Annahme einer Auferstehung, einer Himmelfahrt oder der Unsterblichkeit der Seele, grundlegend.90 Neben dem Beleg für die Auferstehung ist Hiob für den Christen Clemens, ähnlich wie für den Juden Philon,91 aber auch ein Beispiel der Erkenntnis menschlicher Sündhaftigkeit (Hi 14,4–5), von der selbst der Ge­rechte (Hi 1,1) befallen ist. Dabei reiht der christliche Autor Clemens, dem 85 Hi 29,18–20 gehört zusammen mit Hi 14,12*; 19,28–29 und 31,11–12.28 zu einer sehr späten eschatologisierenden Redaktion des Hiobbuches. 86 Im Einzelnen unterscheidet sich der Wortlaut des Zitats charakteristisch von der in der LXX überlieferten Fassung. 87 Siehe dazu Dresken-Weiland: Auferstehung, 376. 88 Siehe dazu ausführlich Tremblay: Job, 281–380. 89 Visio Pauli 49 (Silverstein / Hilhorst: Apocalypse of Paul, 166; 206). 90 Vicchio: Image, I, 146–157. 91 Philon, mut. 48,4; vgl. Anm. 84.

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literarischen Muster des Väterlobs des jüdischen Schriftgelehrten Ben Siras fol­gend,92 Hiob in eine Kette alttestamentlicher Glaubenshelden, wie sie sich später auch bei zahlreichen Kirchenvätern findet, zwischen Abraham und Mose ein, die sich gleichfalls als Gerechte zur menschlichen Niedrigkeit und Sündhaftigkeit bekannt haben (1 Clem 17,3–4).93 Hinzu kommen weitere Zitate im ersten Clemensbrief, welche die zunehmende Lektüre und Aneignung des Hiob­buches im christlichen Bereich zeigen.94 Bei einzelnen Kirchenvätern erfolgt dann eine wachsende christliche Prägung der Figur Hiobs, die strukturell der jüdischen Konfessionalisierung Hiobs im frühmittelalterlichen Targum entspricht. Exemplarisch und abschließend nenne ich hier die Bezeichnung Hiobs als πα­ρά­δειγμα Χριστοῦ bei Origenes (185–254) und die Parallelisierung des außerhalb der Stadt leidenden Hiob (Hi LXX 2,8) mit dem außerhalb der Mauern Jerusalems leidenden Christus bei Severian von Gabala (4. / 5. Jahrhundert).95 Die Verwendung der Hiob-Septuaginta, die wie die gesamte Septuaginta jüdischen Ursprungs ist, aber fast ausschließlich christlich bezeugt und tradiert ist,96 bildet hier die eigentliche Voraussetzung.

4. Zusammenfassung Das Buch Hiob konstruiert, konstituiert und erschließt Sinn. Es veranschaulicht, wie sich aus der existentiellen Krise die Frage nach Sinn erhebt, wie im Dialog Sinn begründet und relativiert wird und wie in der unmittelbaren Begegnung mit Gott der eigene Status grundlegend verändert und erlebbar wird. Dabei greift das Buch gleichermaßen auf pagane Motive und Traditionen so92 Sir

44–49, vgl. auch SapSal 10; 1 Makk 2,51–60; Hebr 11. Stellung Hiobs zwischen Abraham und Mose gründet sich vor allem auf die zitathafte Verbindung von Hi 42,6 mit Gen 18,27 und auf ein biblisch so nicht belegtes Niedrigkeitsbekenntnis des Mose, er sei „Dampf aus einem Topf“. Die Fortsetzung mit David basiert auf dem diesem zugeschriebenen Bußgebet in Ps LXX 50,3–19; vgl. dazu auch Vicchio: Image, I, 144–146. 94 Vgl. 1 Clem 20,7 (Hi 38,11); 30,4 (Hi 11,2–3); 39,3–9 (vgl. Hi 4,16–5,5; 15,15); 56,6– 15 (Hi 5,17–26) und 59,3 (Hi 5,11). 95 Origenes, Comm. in Matt. XIII, 8 (PG 13, 1113,17–18) bzw. Severian, In Iob (PG 56, 578,21–26); vgl. auch Johannes Chrysostomus, De diabolo tentatore (PG 49, 273–276). Zur christologischen Interpretation Hiobs in den Werken weiterer griechischer und lateinischer Kir­chenväter (vor allem Tertullian, Zenon, Hieronymus, Augustin und Gregor) siehe den vom Centre d’Analyse et de Documentation Patristiques herausgegebenen Sammelband: Job, sowie knapp Dassmann: Akzente, 44–45; Kalman: Resurrection, 387–393; Trem­blay: Job, 272–280. 96 Zur Überlieferungsgeschichte des griechischen Hiobbuches siehe Witte: Job / Ijob / Hiob, 410–412. Die ältesten Repräsentanten des vollständigen griechischen Hiobbuches sind die Codizes Alexandrinus, Sinaiticus und Vaticanus. Die derzeit ältesten bekannten Papyri, die zumindest Fragmente des griechischen Hiobbuches enthalten, stammen aus dem 1. bzw. dem 3. Jahrhundert n. Chr. 93 Die

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wie ihm vorliegende, mitunter bereits in einem autoritativen Rang stehende israelitisch-jüdische Schriften zurück. Es verbindet diese Elemente zu einem vielschichtigen, sich über mehrere Generationen erstreckenden theologischen Diskurs, wird Teil eines solchen und wird schließlich, wie die Erwähnung Hiobs in Sir 49, die Übersetzung ins Griechische und Aramäische sowie das Zitat in 1 Kor 3 zeigen, selbst heilige Schrift. Als solche findet es seinen Weg in unterschiedliche Kanones und Liturgien, so dass sich zu seiner Produktions­ intertextualität eine vielfältige Rezeptionsintertextualität gesellt und sich an ihm die Pluralität und Relativität zumindest des jüdischen und christlichen Kanons heiliger Schriften ablesen lässt. Mit den Elihureden und dem geographisch-genealogischen Nachspann der Septuaginta, der auch eine Quelle der Übersetzung angibt,97 ist eine Herme­ neutik im Buch selbst angelegt: Einzelne Elemente dieser buchimmanenten Her­meneutik lassen sich leicht im Blick auf die Interpretation einer heiligen Schrift verallgemeinern, wenn diese entsprechend der eingangs vorgestellten Definition (s. o. 1.) und als ein dialogisches Gegenüber verstanden wird. Das heißt, die Interpretation heiliger Schriften erfordert die Operationalisierung der Sinnfrage, das sich Einlassen auf fremde Worte und Bilder, das Wissen um die Unverfügbarkeit des Verstehens, die Partizipation an der jeweiligen Auslegungsgemeinschaft und ein ständiges Übersetzen.98 Unter den Bedingungen historischen Denkens tritt notwendig eine Identifikation der Konstruktion und Konzeption von Sinn, mit anderen Worten eine Bestimmung der in der entsprechenden heiligen Schrift vorliegenden religiösen Traditionen und Redaktionen sowie ihrer Interaktionen vor. Das Hiobbuch zeigt in dieser Hinsicht, sowohl entstehungsgeschichtlich als auch rezeptionsgeschichtlich, beispielhaft ein ständiges Wechselspiel zwischen der Aufnahme fremder oder allgemein altorientalischer und ägyptischer, mitunter auch griechisch-hellenistischer Stoffe und der genuinen jüdischen, später auch christlichen Imprägnierungen. Für die Bezugnahmen auf Hiob (arab. ʾAyyūb) im Koran und in der islamischen Tradition, worauf ich aus Zeitgründen nicht eingehen konnte, gilt Analoges, wenn hier entsprechend der Basmala die Barmherzigkeit Gottes betont wird (Sure 21,83–­84).99 97 Vgl. Hi LXX 42,17b. Dies ist der einzige Beleg für ἑρμενεύειν neben Esr 4,7 in der LXX, wobei umstritten ist, ob sich die Notiz auf das ganze Hiobbuch bezieht oder nur auf das Nachwort, zur Diskussion siehe Kepper / Witte: Job (LXX.E), 2048–2050.2125–2126. 98 Zur Reflexion der Bedingungen und des Ziels des Übersetzers heiliger Schriften im Umfeld der Septuaginta vgl. den griechischen Prolog zum Sirachbuch (Sir 0,20) und den Aristeasbrief (Arist 11; 32; 39; 121–122; 301–311). Während der Enkel Ben Siras die besondere Schwierigkeit der Übertragung hebräischer Wörter ins Griechische thematisiert, definiert Aristeas als Voraussetzung einer Übersetzung Bildung (παιδεία), die genaue Kenntnis der zu übersetzenden Schriften und der Zielsprache (Arist 121–122) sowie kultische Reinheit und das Gebet (Arist 305–306). 99 Vgl. Sure 38,40–44 (sowie knapp zur Nennung Hiobs in der Aufzählung von Propheten: Sure 4,161; 6,84); Grünbaum: Beiträge, 262–271; Apt: Hiobserzählung; Johns: Narrative.

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Der schon zitierte jüdische Religionsphilosoph Maimonides hat einst die von Hiob und seinen Gesprächspartnern vertretenen Positionen mit denen des Aristoteles (so Hiob), der Torah (so Eliphas) sowie der islamischen Philosophenschulen der Mutaziliten (so Bildad) und der Aschariten (so Zophar) identifiziert.100 Aus diesem Vergleich spricht die richtige Erkenntnis, dass das Buch Hiob erstens einen existentiellen theologischen Diskurs bietet, der gleichnishaft und überzeitlich, universal und konfessionell ist,101 zweitens wesenhaft und funktional ein zutiefst interreligiöses Werk darstellt und drittens, wie letztlich jede heilige Schrift, ein Spiegel von Religion ist, in dem nicht nur seine ursprünglichen Autoren, Adressaten und Tradenten Sinn erblicken können.

100 Mose

Ben Maimon: Führer der Unschlüssigen, Buch 3, Kap. 23, 146. stimmt in dieser Hinsicht der im babylonischen Talmud (negativ konnotierten) Einschätzung des Buches Hiob als einer Parabel (‫משל‬, bBB 15a) zu (Mose Ben Maimon: Führer der Unschlüssigen, Buch 3, Kap. 22, 129). 101 Maimonides

Hiobs letzte Worte Last words often have a special significance, in real life and in literature. This essay shows that the last words of each of Job’s speeches summarise the corresponding speech and provide a key to its overall understanding. This study focuses on the closing words of Job’s original speeches in Job 3:26; 7:21; 10:22; 14:22; 17:16; 19:27; 21:34; 24:12, and 31:37. This approach is also valuable when looking at the redaction-history of the book of Job. Thus, the last words of Job’s speeches, which are later in terms of their redaction-history, reflect the tendency of that redactional layer; exemplars of this are the Fortschreibungen in Job 19:29; 26:14; 28:28, and 42:6.

Letzte Worte haben ein besonderes Gewicht. Sie kennzeichnen das erwartete oder tatsächliche Ende eines Gesprächs. In der Situation des Abschieds, womöglich des letzten, erhalten sie den Charakter eines Vermächtnisses. In ihnen verdichten sich Rückblicke und Ausblicke. Letzte Worte sind Summe und Wegweisung zugleich, in ihnen verbinden sich Diagnose und Prognose. Dies gilt für letzte Worte im täglichen Leben wie in der Literatur. Der Jubilar, dem diese Zeilen gewidmet sind, hat das im Blick auf die biblische Literatur beispielhaft in einer feinfühligen Analyse der letzten Worte Hiobs in Hi 42,6 gezeigt.1 Die Beobachtung, dass diese eine zentrale hermeneutische Bedeutung für das Gesamtverständnis des Hiobbuches haben, lässt sich auch schon für die Schlusswörter der einzelnen Hiobreden anstellen. Diese stehen im Mittelpunkt der folgenden Darstellung. Dabei konzentriere ich mich auf die Hiobdichtung, als deren ursprünglichen Bestand ich den Makrotext von Hi 3,2–24,12*; 27,1– 6*; 29,2–31,37*; 38,1–39,30* ansehe.2

1. Ein Durchgang durch die Reden Hiobs Die Eingangsklage Hiobs, welche die Dichtung eröffnet und die inhaltliche und argumentative Basis für das sich daran anknüpfende Gespräch Hiobs mit seinen Freunden legt, endet pointiert mit dem Wort ‫( ר ֹגֶ ז‬Hi 3,26): 1 T.

Krüger: Did Job Repent. dazu Witte: Das Buch Hiob, 51–59. Im Gegensatz zu den anderen Beiträgen in diesem Band werden die hebräischen Texte hier durchgehend mit masoretischer Vokalisierung und Akzentuierung wiedergegeben, da diese im Rahmen der Segmentierung der Verse diskutiert werden. 2 Siehe

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‫א־נ ְח ִּתי וַ ָּי֥בֹא ֽר ֹגֶ ז׃‬ ָ֗ ֹ ‫֤ל ֹא ָׁש ֨ ַלוְ ִּתי ׀ וְ ֖ל ֹא ׁש� ַ ָ֥ק ְט ִּתי ְ ֽול‬ Ich war nicht ohne Sorge und habe nicht geruht und hatte keine Ruhe, da kam schon wieder Aufregung.

Damit fasst Hiob seine gegenwärtige, von Lebensmüdigkeit und Todessehnsucht geprägte Lage zusammen und deutet sie zugleich: Hiob sieht sich von einer Welle ihn in Unruhe und Aufregung stürzender Ereignisse heimgesucht. An die Stelle eines von Frieden gekennzeichneten Lebens ist das Chaos getreten. Raum und Zeit haben ihre Übersichtlichkeit, ihre Ordnung und ihre orientierende Kraft verloren. Die Abfolge der dreifachen Negation ‫ ל ֹא‬in V. 26 unterstreicht die negativen Erfahrungen des ins Leid Gestürzten. Die Klimax gipfelt in dem Wort ‫ר ֹגֶ ז‬. Dieses bringt nicht nur die heftige Erregung und Verstörung Hiobs zum Ausdruck. Es lässt auch anklingen, dass Hiob die Erfahrung des Zornes Gottes macht (vgl. 16,9; 19,11). Darauf verweisen der Wortgebrauch in Hab 3,2; Sir 5,6 (HA / C) und 16,11 (HA / C) sowie die Übersetzung der Septuaginta, in der die Eingangsklage mit dem Wort ὀργή „Zorn“ endet.3 Gemäß der ausdrücklichen Gegenüberstellung von göttlicher Barmherzigkeit und göttlichem Zorn in Sir 5,6 und 16,11 (vgl. auch Jes 14,1.3) könnte die Eingangsklage Hiobs zumindest indirekt einen Appell an das Erbarmen Gottes enthalten. Dann wäre in der Eingangsklage, die viele Sprachfiguren und Motive mit den Individualklagen des Alten Testaments teilt, im Unterschied zu diesen aber keine ausdrückliche Bitte um eine Wende der Not enthält, wenigstens implizit die Hoffnung auf ein Nachlassen des göttlichen Zorns angelegt (vgl. Hi 14,13). Auf der Textoberfläche dominiert aber der Ausdruck der Verneinung und Infragestellung all dessen, was ein gesegnetes Leben ausmacht. Dies zeigt Hiobs Elendsmeditation in 14,1–2, in der ‫ ר ֹגֶ ז‬ein Wesensmerkmal menschlicher Existenz und ein Korrelat zur absoluten Flüchtigkeit und Vergänglichkeit ist. Das Schlusswort der ersten Rede Hiobs innerhalb des Wechselgesprächs mit den Freunden (Kap. 6–7) führt die in 3,26 artikulierte Erfahrung weiter und richtet den Blick auf Hiobs Tod (7,21aβ.b): ‫י־ע ָּתה ֶל ָע ָ ֣פר ֶא ְׁש ָ ּ֑כב וְ ִ ׁ֖ש ֲח ְר ַ ּ֣תנִ י וְ ֵא ֶינּֽנִ י׃‬ ֭ ַ ‫ִ ּֽכ‬ Denn jetzt muss ich mich zum Staub legen, und suchst du mich, so bin ich weg.4

Im Gegensatz zur Eingangsklage in Kap. 3, die rein monologisch strukturiert ist, wendet sich die erste eigentliche Rede Hiobs dialogisch in einem Du an ein doppeltes Gegenüber. Zunächst setzt sich Hiob mit den von Eliphas vor3 Vgl. Hi LXX 6,2 (μου τὴν ὀργήν: „der gegen mich gerichtete Zorn“, vgl. Vg); 10,17; 16,9; 19,11. 4 Literarkritisch scheint mir in Hi 7,20aα.21aα ein sekundär eingefügtes Sündenbekenntnis Hiobs vorzuliegen. Für die Fokussierung auf das Schlusswort der Rede in Hi 6–7 ist diese Einschätzung aber nachrangig, da ich ‫ ֵאינֶ ּנִ י‬in jedem Fall als einen ursprünglichen Bestandteil der Rede betrachte.

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getragenen Versuchen, sein Leiden zu deuten und ihm Zuversicht zu schenken, auseinander (6,2–30). Sodann richtet er sich nach einer kurzen Elendsreflexion (7,1–6) direkt an Gott und klagt diesen der dämonischen Heimsuchung und Unterdrückung seines Geschöpfs an (7,7–21). Angesichts der Erfahrung eines gewalttätigen Gottes sind Gott und Mensch für Hiob zu einem Rätsel geworden, das sich in Anbetracht des nahen Todes nicht mehr wird lösen lassen – weder von Hiob selbst noch von Gott. Der mehrfach in den Psalmen aufleuchtende Aufruf an Gott, er möge sein Geschöpf nicht (vorzeitig) in die Scheol hinabsteigen lassen, da dort das Gotteslob verstumme und Gott somit einen Verehrer verliere,5 ist hier verschärft und begrifflich verdichtet. Gott, dem Hiob ein grundsätzliches Interesse an seiner Person unterstellt, wird sich aufgrund seines unverhältnismäßigen Handelns selbst schaden und Hiob vergeblich suchen. Das in der Eingangsklage beschriebene Chaos, das Hiob angesichts des Zusammenbruchs der eigenen Welt über den gesamten Kosmos hereinbrechen sieht, ergreift hier auch Gott. Es ist eine verkehrte Welt, wenn Gott den Menschen vergeblich sucht und selbst den Tod als Grenze erlebt, wenn der Mensch auf den an ihn ergangenen Ruf Gottes nicht ‫„ ִהּנֵ נִ י‬hier bin ich“ antwortet,6 sondern diesem vorgreifend sagt ‫„ ֵאינֶ ּנִ י‬weg bin ich“. Im Gegensatz zur Beschreibung der gegenwärtigen Situation als ‫„ ר ֹגֶ ז‬Aufregung / Unruhe“ in 3,26 blickt das Schlusswort der ersten Rede Hiobs auf die nahe Zukunft. Zwar unterstreicht Hiob mit dem Schlussvers in 7,21 eine noch bestehende Beziehung zu Gott, er sieht aber deren Ende nahe. Das Bikolon in 7,21aβ.b dient als (indirekter) und gegenüber 3,26 verstärkter Appell an Gott, er möge sich Hiob wieder heilvoll zuwenden. Insofern steckt in der Negation nicht nur Resignation. Diese überwiegt aber im Schlusswort der zweiten Rede Hiobs (Kap. 9–10) mit der Aussicht auf den letzten Weg Hiobs (10,22): ‫א ֶפל׃‬ ֹ ֽ ‫ּת ַפע ְּכמֹו־‬ ֹ ֥ ַ‫א ֶפל ַ ֭צ ְל ָמוֶ ת וְ ֥ל ֹא ְס ָד ִ ֗רים ו‬ ֹ ֗ ‫יפ ָתה ׀ ְּכ ֥מֹו‬ ָ ֨ ‫ֶ ֤א ֶרץ ֵע‬ Ins Land von tiefem Finstern wie (von) Dunkelheit, von dunklem Schatten und von Ordnungslosigkeit, und wo es strahlt wie Dunkelheit.

So endet die zweite Rede wie die erste mit einem Ausblick auf das Todesgeschick, das hier, nimmt man 10,21 hinzu, siebenfach als absolute Finsternis und als Verlust zeitlicher und räumlicher Ordnung charakterisiert wird. Das Schlusswort der Rede in Kap. 9–10, die in eigentümlicher Weise gerichtstheologische und schöpfungstheologische Argumente miteinander verknüpft, liegt auf der Linie des Schlusswortes in 7,21. Es verstärkt dieses aber, insofern das Totenreich, das „Land ohne Wiederkehr“ (10,21), zweifach mit dem Wort ‫א ֶֹפל‬ „Dunkelheit“ beschrieben wird. Die Einschätzung der Intensivierung von 7,21 5 Vgl. Ps 6,6; 30,10; 88,11–13; 115,17–18; Jes 38,18–19; Sir 17,27 (G); Bar 2,17–18; 11QPsa XIX,1–2. 6 Vgl. Gen 22,1; 46,2; Ex 3,4; 1 Sam 3,4.

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gilt unabhängig davon, ob 10,22 als ein ursprüngliches Trikolon angesehen wird oder ob angesichts der doppelten Formulierung ‫ּכמוֹ־א ֶֹפל‬, ְ des nur hier in der Hebräischen Bibel verwendeten Wortes ‫„ ֵס ֶדר‬Ordnung“ und der starken Unterschiede zwischen dem MT und den antiken Übersetzungen mit einem Schreiberirrtum bzw. einem Textwachstum gerechnet wird. So bietet 10,22 in Verbindung mit dem vorangehenden Vers ein Kompendium der alttestamentlichen Vorstellung von der Unterwelt mit zahlreichen Analogien in der vorderorientalischen Unterweltstopographie. Dabei dient das Wort ‫א ֶֹפל‬, das im Hiob­buch nur in Reden Hiobs gebraucht wird,7 hier als Zusammenfassung der vorangehenden Beschreibungen der Unterwelt. Wie in der letzten großen Klage Hiobs in 30,26 bildet ‫ א ֶֹפל‬den absoluten Gegensatz zum Licht als der Größe, die Heil, Sinn und erfülltes Leben signalisiert. Der Aufruf Hiobs, Gott möge sich der liebevollen Erschaffung seines Geschöpfs erinnern (10,9–12), mündet wie seine Frage nach dem Wesen des Menschen angesichts der Heimsuchung durch Gott in der ersten Rede (7,17–18) in einer Anklage des Schöpfergottes: Wenn kein Licht aufleuchtet, sondern – paradox formuliert – Finsternis und absolute Dunkelheit aufstrahlt (‫ יפע‬vgl. 3,4; 37,15), dann ist die Welt auf ihre ungeordneten Anfänge zurückgeworfen (vgl. Gen 1,2–3 versus Hi 3,4–6). Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, weshalb Gott in seiner ersten Rede (Hi 38–39) Hiob fragt, ob er wirklich die Tore des tiefsten Schattens (‫)צ ְל ָמוֶ ת‬, ַ 8 mithin die Unterwelt, gesehen habe (38,17). Insofern Hiob in seinem vom Leid geprägten Leben an den Rand des Todes gekommen ist, hat er die Pforten des Totenreichs gesehen. Insofern er aber noch am Leben ist, fehlt ihm doch eine letzte Kenntnis des Totenreichs, so enzyklopädisch 10,21–22 auch erscheint. Die Frage Gottes in 38,17 relativiert nicht nur die Schlussworte Hiobs in 7,21 und 10,22, sondern fordert Hiob – wie die Fragen in der ersten Gottesrede insgesamt – zu einer neuen Sicht Gottes, der Welt und seiner selbst heraus. Sie befreit Hiob damit auch von seiner Negation und Depression. Doch der Weg zu dieser neuen Perspektive ist noch weit. Auch die dritte Rede Hiobs (Kap. 12–14) schließt mit Schmerz und Trauer (14,22): ‫ְך־ּב ָׂשרֹו ָע ָל֣יו יִ ְכ ָ ֑אב וְ ֝נַ ְפ ׁ֗שֹו ָע ָ ֥ליו ֶּת ֱא ָ ֽבל׃‬ ֭ ְ ‫ַא‬ Nur solange sein Fleisch um ihn ist, kann es empfinden und seine Lebenskraft ihn umgibt, kann sie trauern.9

7 Vgl.

Hi 3,6; 10,22; 23,17; (28,3); 30,26. das Wort ‫צ ְל ָמוֶ ת‬, ַ das die Septuaginta etymologisierend, sachlich aber passend mit „Todesschatten“ übersetzt, erscheint im Hiobbuch mit der Ausnahme von 38,17 und 34,22 (hier sekundär) nur in Hiobreden (vgl. 3,5; 10,21.22; [12,22]; 16,16; [24,17]; [28,3]). 9 Mit Tur-Sinai: Job, 244; Bobzin: Tempora, 214–215, und Kaiser: Hiob, 30, verstehe ich die Wendungen ‫ְך־ּב ָׂשר ֹו ָע ָליו‬ ְ ‫ ַא‬und ‫ נַ ְפׁשֹו ָע ָליו‬als adverbiale Zustandssätze und beziehe in V. 22b ‫ ָע ָליו‬gegen die masoretische Akzentuation auf ‫נַ ְפׁשֹו‬. 8 Auch

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Der Vers setzt die unmittelbar zuvor geäußerte Erwartung Hiobs fort, dass ein Toter kein Wissen um das Schicksal seiner Nachkommen habe (14,21). Diese Sentenz entspricht der Vorstellung, dass die Verstorbenen entweder gar keine oder nur noch eine sehr eingeschränkte Empfindung haben.10 Sie beschließt Hiobs Ausführungen über die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit menschlichen Lebens, in denen er den unmöglichen Wunsch geäußert hatte, vorübergehend in der Scheol vor dem Zorn Gottes verborgen zu sein, und den Tod als absolutes Ende beschrieben hatte (14,1–20). Der Abschluss in 14,22 blickt nicht auf einen im Leid nur noch auf sich selbst Fixierten, sei es vor der Grenze des Todes, sei es in der Unterwelt.11 Der Vers resümiert vielmehr, dass die Fähigkeit, Schmerz und Trauer zu empfinden, allein dem Lebenden vorbehalten sei. Gegenüber dem Abschluss der Reden Hiobs in Kap. 6–7 und 9–10 liegt damit der Akzent trotz der erneuten Verwendung eines grundsätzlich negativ bestimmten Wortes, hier des Trauerns (‫)אבל‬,12 auf der Betonung des Lebens (vgl. 19,26). Dies entspricht der Tendenz der polemischen Auseinandersetzung mit den Freunden und der Herausforderung Gottes zu einem Rechtsstreit im ersten Teil der dritten Rede (12,2–13,27*),13 die in der Ankündigung Hiobs in 13,14 eine Spitze hat, um sein ,Fleisch‘ (‫)ּב ָש ֹר‬ ָ und seine ,Seele‘ (‫ )נֶ ֶפׁש‬und somit um seinen Antrieb zum Leben zu kämpfen. Die sich in 14,22 andeutende Überwindung der Vorstellung, der Tod und die Unterwelt könnten angesichts des Leidens und der offenen Fragen an Gott eine Lösung sein, setzt sich in der vierten Rede Hiobs (Kap. 16–17) fort und wird in deren Schlussvers in Gestalt einer rhetorischen Frage auf den Punkt gebracht (17,16): ‫ל־ע ָ ֣פר ָ ֽנ ַחת׃‬ ָ ‫ם־י ַ֖חד ַע‬ ַ ‫אל ֵּת ַ ֑ר ְדנָ ה ִא‬ ֹ ֣ ‫ַּב ֵ ּ֣די ְׁש‬ Stiege sie mit mir zur Scheol hinab oder zögen wir gemeinsam in den Staub?14

10 Vgl.

Hi 21,19–21; Pred 9,5–6. entsprechenden und weiteren Deutungen, die in der Forschung diskutiert werden, siehe Gordis: Job, 152–153; Clines: Job 1–20, 336–337, und Seow: Job 1–21, 680–681.693 (mit dem Hinweis auf die Doppeldeutigkeit der Wurzel ‫ אבל‬im Sinn von [I] „klagen“ und [II] „vertrocknen“). 12 Das Wort kommt wie seine Derivate ‫„ ָא ֵבל‬trauernd“ und ‫„ ֵא ֶבל‬Trauerlied“ nur in Hiob­ reden vor (vgl. 14,22; 29,25; 30,31), erscheint aber trotz seiner semantischen Nähe zur Hiobthematik auffallend selten im Hiobbuch. 13 In Hi 12,4–6.7–13,2 und 13,28 liegen wohl Nachträge unterschiedlicher Herkunft vor. 14 Der Vers ist eine Doppelfrage (vgl. 11QTgHi; LXX), das einleitende ‫ ה‬ist wohl durch Haplographie des Schluss-‫ ה‬von ‫( ישורנה‬V. 15) ausgefallen. ‫„ ַּב ֵּדי‬Schranken / Riegel“ (vgl. DCH II, s. v. ‫ ַּבד‬II) ist wohl mit 11QTgHi (und LXX) in ‫ ִע ִּמי‬oder ‫ ִע ָּמ ִדי‬zu korrigieren. ‫ ֵּת ַר ְדנָ ה‬ist 3. P. Sg. fem. mit der seltenen Endung ‫( נָ ה‬vgl. Waltke / O’Connor: Introduction, § 31.7.2 Anm. 63). Anstelle von ‫ נַ ַחת‬/ ‫„ נָ ַחת‬Ruhe“ ist ‫ נֵ ַחת‬zu lesen (vgl. Th καταβησόμεθα und 11QTgHi ‫ ]נ[שכב‬sowie Hi 20,11; 21,26; zur Konstruktion von ‫ נחת‬mit ‫ ַעל‬im Sinn von „hinab“ vgl. Jer 21,13 und ähnlich Hi 34,15). 11 Zu

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Dieser im MT nicht unversehrt erhaltene Vers beschließt eine Sequenz von vier Bikola (17,13–16), die syntaktisch und stilistisch eng miteinander verknüpft sind, und artikuliert die Frage, ob Hiobs Hoffnung (‫)ּת ְקוָ ה‬ ִ mit ihm zusammen in die Scheol hinabstiege und gemeinsam mit ihm in den Staub, d. h. in die Unterwelt zöge (v. l. ‫)נֵ ַחת‬. Hiob löst sich hier von seinem früheren Wunsch, angesichts seines Leidens vorzeitig gestorben zu sein (vgl. 3,10–26), und von der Vorstellung, er könne sich zeitweise in der Scheol vor Gott verstecken (vgl. 14,13–22). Die Scheol, so sicher sie als „Haus des Todes“ (vgl. 10,21–22; 30,23; Spr 7,27) am Ende seines Lebens steht, kann Hiob kein Ersatz für das Leben sein. Als Gegenstand der Hoffnung fallen die Scheol, das Grab (‫)ׁש ַחת‬ ַ 15 16 und das Gewürm (‫ִ)ר ָּמה‬ aus (17,14). In einem Wortspiel mit dem eigenen Namen („Wo ist der Vater?“)17 verabschiedet Hiob die Vorstellung, dass das Totenreich, das wie die Erde in 16,18 personifiziert im Du angesprochen wird, ihm ein Vater sein könne (17,14). Mindestens indirekt äußert er den Wunsch, Gott selbst möge sich endlich als der lebenstiftende Vater (Dtn 32,6) erweisen. Weil Hiobs Hoffnung, die in 17,15 bewusst zweimal genannt wird, untrennbar mit seiner Person im Leben verbunden ist, wäre, so die Logik dieser Argumentation, mit Hiobs Tod auch seine Hoffnung tot, und keiner könnte seine Hoffnung mehr wahrnehmen. Denn diese zöge, wie es der Dichter in seinem die Leser rhetorisch einbeziehenden Schlusswort formuliert, mit Hiob in die Scheol hinab (V. 16, vgl. 20,11), ohne dass dort, anders als in Ps 139,8, mit der Anwesenheit Gottes gerechnet werden könne. So endet diese Rede Hiobs wie die bisherigen mit einem Ausblick auf den Tod (vgl. 7,21; 10,22; 14,22). Doch dahinter leuchtet stärker als bisher der Wille zum Leben auf. Die nicht ausgesprochene Antwort auf die Frage „zögen wir hinab?“ lautete „Ja“.18 Der implizite Kontrapunkt zur Erwartung des Abstiegs ist zumindest das Bleiben im Hier und Jetzt, wenn nicht gar der Aufstieg, jedenfalls der sehnliche Wunsch nach einer besseren Zukunft.19 Von dieser handelt die fünfte Rede Hiobs (Kap. 19), die einerseits besonders eindringlich die Erfahrungen des göttlichen Zorns sowie das körperliche und soziale Leiden schildert, andererseits am klarsten Hiobs Hoffnung auf ein rettendes Eingreifen Gottes bietet. Angesichts der für die bisherigen Reden Hiobs zu beobachtenden hermeneutischen Bedeutung der Schlusswörter ist eine solche Funktion auch für den Abschluss der Rede in Kap. 19 zu erwarten. Die Bestimmung des Schlusswortes ist hier allerdings text- und literarkritisch unsicher. Nach meiner literar15 Vgl.

Hi 33,18.22.24.28.30; Ps 16,10; 49,10. Hi 21,26; Jes 14,11; Sir 7,17; 10,11. 17 Ich halte die Deutung des Namens ‫ ִאּיֹוב‬als Kombination aus dem Fragewort ‫ ֵאי‬mit dem Substantiv ‫ ָאב‬für philologisch und hermeneutisch nach wie vor am überzeugendsten (vgl. Gesenius18 s. v. ‫;)אּיֹוב‬ ִ kritisch dazu Seow: Job 1–21, 266. 18 Zu einer mit „Ja“ zu beantwortenden rhetorischen Frage vgl. auch Hi 20,4. 19 Diese Deutung von Hi 17,16 bewährt sich auch, wenn man mit dem MT ‫ נַ ַחת‬/ ‫ נָ ֵחת‬liest: Dann bildet der Vers in Gestalt der Frage einen Kontrapunkt zu der in 3,13–19 ausgesprochenen Erwartung, dass im Totenreich Ruhe herrsche. 16 Vgl.

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und redaktionsgeschichtlichen Analyse, die ich hier nicht im Detail vorführen kann, endete die Rede ursprünglich mit V. 27.20 Gemäß dem poetischen Grundmuster der Rede, bei dem jeweils vier Bikola eine Strophe bilden, könnte nach V. 27b – möglicherweise im Zusammenhang der Bearbeitung von V. 25–27 und der Fortschreibung in V. 28–29 – ein Kolon ausgefallen sein. Welches Wort dann aber das ursprüngliche Schlusswort bildete, beispielsweise ‫( ֵלב‬vgl. Ps 26,2), gehört in den Bereich der Spekulation.21 Angesichts des textlichen Befundes muss von V. 27b ausgegangen werden: ‫�ֵקי׃‬ ֽ ִ ‫ָּכ ֖לּו ִכ ְלי ַ ֹ֣תי ְּבח‬ Es verschmachten meine Nieren in meinem Schoß.

Allerdings bleibt auch hier in der Schwebe, ob mit dem Motiv des Verschmachtens (‫ )כלה‬der Nieren im Schoß bzw. im Inneren (‫)חק‬ ֵ eindringlich der Wunsch der erlösenden und ins Recht setzenden Gottesbegegnung ausgedrückt wird oder ob das endgültige Vergehen (‫ )כלה‬der Lebenskraft beschrieben wird, das mit der Erwartung des Sehens Gottes kontrastiert wird (V. 26–27a). Für das letztere Verständnis sprechen die in V. 26 ausgesprochene Hoffnung Hiobs, auch in seinem geschundenen Leib Gott zu sehen,22 und die Parallele in Ps 73,26. Unabhängig davon bildet aber das Wort ‫„ ְּב ֵח ִקי‬in meinem Innern“ das Schlusswort der Rede. Die Verwendung eines Körperbegriffs23 fasst die zumal in der Elendsbeschreibung in 19,17–20 und in der Erwartung der Gottesschau in V. 26–27a gebrauchten Körperbegriffe zusammen und signalisiert zusammen mit dem Suffix der 1. P. Sg., dass es in dieser Rede ganz um die Person Hiobs geht. Weil die Freunde Hiobs auch angesichts seiner Abwendung von ihnen nicht verstummen, in der Gestalt Zophars Hiob vielmehr ein drittes Mal das böse Ergehen eines Frevlers vor Augen stellen und damit indirekt Hiobs Schicksal auf eine Strafe Gottes zurückführen (20,1–29), ist nochmals eine Auseinandersetzung Hiobs mit den Freunden nötig. Diese bietet die als weisheitliche Streitrede gestaltete Rede in Kap. 21, in der Hiob die Theorie der innerweltlichen ge­rechten Vergeltung argumentativ auf der Basis der Erfahrung des gesegneten Lebens und Sterbens der Frevler zu widerlegen versucht und abschließend die 20 Vgl.

Witte: Das Buch Hiob, 298–299.309–313. in der Hiobdichtung (sehr selten) Trikola bewusst am Ende einer Strophe oder einer Rede stehen, könnte Hi 19,27b aber auch ursprünglich sein (vgl. 7,11 bzw. 10,22; 26,14; 28,28; 34,37). Ein Sonderfall sind die Trikola in Hi 3. 22 In diesem Fall sind die Verse der (ursprünglichen) Schlussstrophe der Rede in Hi 19 dann auch chiastisch aufeinander bezogen, insofern V. 25 und V. 27b über die Motivik des Lebens und Sterbens miteinander korrespondieren und V. 26 und V. 27a über das Motiv des Sehens eng miteinander verbunden sind. 23 ‫ ֵחק‬erscheint in der masoretischen Version des Hiobbuches nur in 19,27, dürfte aber ursprünglich auch in 23,12 verwendet worden sein (vgl. LXX), wo Hiob bekennt, nicht von den Geboten Gottes abgewichen zu sein und die Worte Gottes in seinem Inneren (‫ ְּב ֵח ִקי‬anstelle ‫„ ֵמ ֻח ִּקי‬mehr als mein eigenes Gesetz“) bewahrt zu haben. 21 Da

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Trostbemühungen und Antworten der Freunde als sinnlos und verlogen qualifiziert (21,34): ‫ר־מ ַעל׃‬ ֽ ָ ‫יכם נִ ְׁש ַא‬ ֶ֗ ‫ְו ֵ֭איְך ְּתנַ ֲח ֣מּונִ י ָ ֑ה ֶבל ּו ְ֝ת ֽׁשּוב ֵֹת‬ Aber ach, ihr tröstet mich mit Nichtigkeiten, und von euren Antworten bleibt nur Trug.

Dieser Vers, der dieser Rede durch die direkte Anrede und die terminologische Anknüpfung an die Eröffnung in 21,2 den Charakter der besonderen Geschlossenheit verleiht, unterstreicht mit scharfer Begrifflichkeit die hier beabsichtigte grundsätzliche Widerlegung der Position der Freunde und die enttäuschte Abwendung Hiobs von ihren verfehlten Tröstungen (vgl. 16,2).24 Erneut schließt die Rede mit einem Negationsbegriff (‫ ָ מ ַעל‬/ ‫)מ ַעל‬. ַ 25 Mit ihren Reden haben die Freunde sich selbst als Frevler offenbart und vor Gott und den Menschen diskreditiert. Denn ‫„ ַמ ַעל‬Lug und Trug“, „Falschheit und Treulosigkeit“ sind bei Gott und Menschen „verhasst“ (Sir 10,7). Der Begriff fasst zusammen, was Hiob letztlich von allen Reden der Freunde, die eigentlich zu seinem Trost gekommen sind, hält. Er kennzeichnet ein Verhalten, das der Weisheitslehrer Ben Sira auf einer Stufe mit Unzucht (‫)פחז‬, Lüge (‫)כחש‬, Betrug (‫ )קשר‬26 und Sünde (‫ )פשע‬sieht (Sir 41,17f ). Hiob ist, dafür steht das Schlusswort der sechsten Rede, mit den Freunden fertig. In der kleinen, das Buch beschließenden Gottesrede, die wohl auf eine die Hiobdichtung mit der Hiobnovelle verbindende Redaktion zurückgeht,27 heißt es, dem Schlusswort Hiobs in 21,34 entsprechend, zweimal, die Freunde hätten nicht ‫„ נְ כֹונָ ה‬recht“ geredet (42,7–8). Ich verstehe dieses Wort, das selbst fortwährende Diskussionen in der Forschung veranlasst,28 synthetisch im Sinn eines inhaltlich richtigen und habituell aufrichtigen Redens. Das heißt, Hiob hat im Gegensatz zu seinen Freunden in doppelter Hinsicht ‫„ נְ כֹונָ ה‬recht“ gesprochen: erstens, weil er die Komplexität der Welt und des Handelns Gottes besser erfasst hat, und zweitens, weil er authentisch zu Gott geredet hat. Hiob ist dem innergöttlichen Disput zwischen Gott und dem Satan (1,6–12; 2,1–6) deutlicher auf die Spur gekommen als die Freunde; er hatte mehr Recht als die Freunde, wenn auch nicht vollkommen.29 24 Vgl.

Klgl 1,2.9.16–17.21; Ps 69,21. Esr 9,2.4; 10,6; Sir 10,7 (HA); 48,16 (HB). 26 So nach der auf Masada gefundenen Sirachhandschrift / HM (M 1h 3:21). Die Genizah­ handschrift B / HB (11r:12) liest hier ‫„ שקר‬Lüge“, G setzt mit πλημμελεία „Übertretung“ ei­nen eigenen Akzent. 27 Vgl. knapp Witte: Das Buch Hiob, 683–685, und Kaiser: Hiob, 127, sowie ausführlich Wanke: Praesentia Dei, 120–147.430. 28 Aus der Fülle der Literatur sei hier nur auf Nam: Talking about God, 178–192; Kottsieper: Thema, 775–785, und T. Krüger: Job Spoke the Truth, 71–80, verwiesen. 29 Vgl. T. Krüger: Did Job Repent, 227, und ders.: Job Spoke the Truth, 71–80, mit der Modifikation zu einer noch stärker inhaltsbezogenen Deutung und mit dem Hinweis auf die Beschreibung des ambivalenten Handelns Gottes in Hi 2,10 und Jes 45,6–7 bzw. der Götter 25 Vgl.

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Zurück zur ursprünglichen Hiobdichtung: Die siebte Rede Hiobs, in der sich Hiob angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe sozialer Vergehen (22,6–9) an Gott als Richter wendet und zugleich das Ausbleiben eines göttlichen Gerichts mit der Beschreibung sozialen Unrechts in der Welt konstatiert (23,1–24,12*),30 endete in ihrer Grundschicht mit einer scharfen Anklage Gottes (24,12b): ‫וֶ ֱא ֗ל ַֹוּה לֹא־יָ ִ ׂ֥שים ִּת ְפ ָ ֽלה׃‬ Aber Eloah achtet nicht auf den Widersinn.31

Die Bedeutung des Wortes ‫ ִּת ְפ ָלה‬changiert zwischen Anstoß (1,22; Jer 23,13) und Unfug. Damit weist Hiob nicht nur Eliphas’ Aussicht auf die Erhörung seines Gebets ab (22,27).32 Mit der Beschreibung des unerhört verhallenden Rufes der Sterbenden (24,12a) sind auch die Verheißungen der Torah, Gott erhöre den Hilfeschrei der Armen (Ex 22,21–26) und wahre ihr Recht (Dtn 10,17–18), ebenso radikal in Frage gestellt wie die Vorstellung, der Gott des Lebens habe keinen Gefallen am Tod der Gerechten (Ez 18,23–32). Folgt man in Hi 24,12b zwei masoretischen Handschriften und der Peschitta, die eine Vokalisierung von ‫„ ְְּת ִפ ָּלה‬Gebet“ voraussetzen,33 wird der Bezug auf den Abschluss der Eliphasrede in 22,27, aber auch auf die Eröffnung der Rede in 23,2 noch deutlicher (vgl. auch 34,28). Hingegen setzt die dritte Rede Elihus, in der auf die Beschreibung der Unterdrückung der Armen in 24,1–12 Bezug genommen wird (35,9–10), voraus, dass in 24,12b nicht das Gebet gemeint ist. Dementsprechend empfiehlt es sich, bei der Lesart des Codex von Aleppo und des Co­dex Leningradensis sowie der Mehrzahl der masoretischen Handschriften zu bleiben34 und das Schlusswort der letzten (ursprünglichen) Rede innerhalb der Auseinandersetzung mit den Freunden mit „absurd“ zu paraphrasieren, und zwar in dem Sinn, wie ihn Diethelm Michel35 zur Wiedergabe von Kohelets Leitwort ‫( ֶה ֶבל‬Pred 1,2 u. ö.) in die Diskussion über die alttestamentliche Weisheit eingeführt hat: Das Geschehen in der Welt entzieht sich nur allzu oft menschlicher Logik. Die von den Frevlern verschobenen Grenzsteine (Hi 24,2) in den mesopotamischen Vorwurfdichtungen des Ludlul bēl nēmeqi (I, 4–6; II, 39–47 [COS 1.153, 487.488–489; TUAT III, 115.123; Oshima: Poems, 88–89]) und der Babylonischen Theodizee (276–280 [COS 1.154, 495; TUAT III, 276–277; Oshima: Poems, 164–165]). 30 Wie in Hi 19,27 (s. o. Anm. 21.23) ist unsicher, ob das Trikolon in 24,12 ursprünglich ist oder ein Kolon bei der Ergänzung von V. 13–25 fortgefallen ist. 31 ‫ׂשים‬ ִ steht hier ähnlich wie in Hi 23,6 elliptisch für ‫„ ִׂשים ֵלב ַעל‬das Herz auf etwas richten“ (vgl. Hi 1,8; 2,3 bzw. Hi 4,20; Jes 41,20). 32 Vgl. Ps 10,17–18; 30,3; 31,23; 34,5.16.18; 50,15; 65,3; 66,19–20; 72,12; 88,14; 91,15; 102,18. 33 Unter den neueren Auslegern halten u. a. Strauss: Hiob, 84.86; Gray: Job, 316–317, und Greenstein: Job, 108, diese Lesart für ursprünglich. 34 Vgl. Aq; Sym; Th. Auch LXX; Vg und Tg stehen trotz ihrer Differenzen gegenüber dem MT näher bei der Vokalisierung ‫ ִּת ְפ ָלה‬als bei der Vokalisierung ‫ּת ִפ ָּלה‬. ְ 35 Michel: Untersuchungen, 43–51.

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sind nur ein Symptom für die verrückten Verhältnisse in der Kultur und in der Natur (vgl. 9,22–24). Wenn das Chaos herrscht – im Leben des einzelnen Gerechten wie in der ihn umgebenden Gesellschaft – dann ist das ‫„ ִּת ְפ ָלה‬Widersinn“. Dies ist, wie die Schlusswörter aller Hiobreden, ein Negationsbegriff, mittels dessen Hiob (fast am Ende) seine Enttäuschung über Gott und die Welt, die er nicht mehr versteht, auf den Begriff bringt. Weil Hiob sich aber nicht damit abfinden will, dass Gott das Leben auf der Welt nicht wahrnimmt, weil er trotz allem auf eine Gottesbegegnung hofft, die Licht in das Dunkel seiner Existenz bringt, setzt er zu einer erneuten, nun letzten Rede an. In der ursprünglichen Hiobdichtung bildet diese der Grundbestand von 27,1–6*; 29,2–16.21–25a; 30,1*.10–31; 31,4–37*. Ihr eigentlicher Adressat ist Gott (27,2; 31,35), vor dem Hiob sein einst vom Segen, nun aber vom Fluch geprägtes Leben ausbreitet (29,2–30,31*) und den er im Rückgriff auf rechtliche Sprach- und Denkformen zu einer endgültigen und ausdrücklichen Anerkennung seines Rechts bringen will (27,2–6; 31,4–37*). Um eine solche Anerkennung zu erfahren, muss Hiob seine Integrität, seine Gerechtigkeit, seine Treue gegenüber der Torah36 unmittelbar vor Gott selbst belegen (31,37): ‫מֹו־נ ֗ ִגיד ֲא ָק ֲר ֶ ֽבּנּו׃‬ ָ֝ ‫ידּנּו ְּכ‬ ֑ ֶ ִ‫ִמ ְס ַ ּ֣פר ְ ֭צ ָע ַדי ַאּג‬ Die Zahl meiner Schritte will ich ihm verkünden, wie ein Fürst will ich mich ihm nahen.

In dem einen Wort ‫„ ֲא ָק ֲר ֶבּנ ּו‬ich will mich ihm nahen“ fasst Hiob nicht nur seine abschließende Herausforderungsrede zusammen, sondern seine gesamte Suche nach Gerechtigkeit, die nichts anderes ist, als der im Verlauf der Dichtung immer eindringlicher unternommene und die gesamte Person umfassende Versuch der Annäherung an Gott. Mit diesem Wunsch in 31,37, der in besonderer Weise juridische und militärische Sprache verbindet, tritt selbstbewusste Aggression an die Stelle der Depression, der Resignation und der zunächst verhalten, dann offen artikulierten Hoffnung, wie sie sich komprimiert in den Schlusswörtern der vorangehenden Hiobreden zeigte. Hiob, der sich am Tiefpunkt seines Leidens weg von dem ihm bedrohlich nahen Gott wünschte, will nun Gott ganz nahe kommen. Es ist der Widerruf des eingangs geäußerten Fluchwunsches, Gott möge sich nicht mehr um Hiobs Geburtstag, mithin um Hiobs Leben kümmern (3,4), und es ist der ultimative Aufruf, Gott solle sich Hiob endlich stellen. Wie die in der ursprünglichen Hiobdichtung unmittelbar auf 31,37 folgende Gottesrede zeigt, erzielt dieser Aufruf die erhoffte Wirkung: Gott spricht mit Hiob (38,1). Er nimmt Hiobs erste und letzte Worte auf (38,2–3) 37 und antwortet seinem Herausforderer auf eine Weise, dass dieser sich stumm in den kosmischen Plan (‫)ע ָצה‬ ֵ einfügt und kein Wort mehr sagt. 36 Siehe

dazu Witte: Zeichen, 114–116; ders.: Conversation; ders.: Torah, 121–132. Hi 38,2 (‫ חׁשך‬Hifil „verfinstern“) mit 3,4 (‫„ ח ֶֹׁשך‬Finsternis“) sowie 38,3 (‫ּגֶ ֶבר‬ „Mann“) mit 3,3 und 31,37 (‫„ נָ גִ יד‬Fürst“). 37 Vgl.

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Hiobs letztes Wort zielte auf Gott („nahen will ich mich ihm“), Gottes erstes Wort zielt auf den Menschen (‫„ ִמי זֶ ה‬wer ist es, der …?“) und auf die Erkenntnis seiner Stellung in der Welt (38,4 vgl. Gen 3,9). Mit dieser dialogischen Zuordnung von Gott und Menschen erweist sich der Hiobdichter als ein zutiefst biblischer Denker, so verstörend und provozierend seine Worte für einzelne theologische Schulen seiner Zeit, zumal die der Deuteronomisten,38 gewesen sein mögen.

2. Die letzten Worte Hiobs im Spiegel der Redaktionsgeschichte des Buches Das Phänomen, dass Schlusswörter eine besondere hermeneutische Funktion haben, lässt sich auch bei den Reden der Freunde und Elihus, weniger deutlich bei den Gottesreden, sowie klar in redaktionell erweiterten Hiobreden beobachten. Aus Platzgründen kann hier nur auf die letzteren eingegangen werden. Im Fall von 17,16 konnte dies schon im Blick auf die masoretische Akzentuation, welche ja die jüngste redaktionelle Bearbeitung des hebräischen Hiob­ buches darstellt, gezeigt werden. Die fünfte Rede Hiobs (Kap. 19) endet nach der im MT vorliegenden Fassung mit einer Warnung an die Freunde Hiobs (19,29): ‫י־ח ָמה ֲעֹונ֣ ֹות ָ ֑ח ֶרב ְל ַ ֖מ ַען ֵּת ְד ֣עּון ַׁש ּֽדּין׃‬ ֭ ֵ ‫י־ח ֶרב ִ ּֽכ‬ ֶ֗ ֵ‫ּג֤ ּורּו ָל ֶ֨כם ׀ ִמ ְּפנ‬ Dann fürchtet euch vor dem Schwert um euch selbst, denn dies39 sind Verschuldungen des Schwertes, auf dass ihr nun wisst, dass es ein Gericht gibt.

Folgt man dem Ketiv, ruft Hiob die Freunde (und über diese die Leser) dazu auf, zu erkennen, dass es ein Gericht (‫ ִ)ּדין‬gibt.40 In der ‚Endgestalt‘ erscheint das Schlusswort in 19,29 mit dem Hinweis auf das (Gerichts-)Schwert (‫)ח ֶרב‬ ֶ erstens als Bestätigung der Erwartung eines Gerichts an einem ‫„ ָר ָׁשע‬Frevler“ (vgl. 15,20.22), zweitens als verschärfte Vorwegnahme der Qualifikation des Trostes der Freunde als ‫„ ֶה ֶבל‬sinnlos“ (21,34), drittens als Vorausschau auf die 38 S. o.

Anm. 36. von ‫„( ֵה ָמה‬Zorn“, im Sinn von „Zorn verursacht“?) lies ‫( ֵה ָּמה‬vgl. BHK3). 40 Vgl. Aq; Sym; Th; La und Vg sowie Hi 35,14; 36,17 und Spr 20,8. Das Qere ‫ׁשּדּון‬ ַ setzt ein bedeutungsgleiches hap. leg. ‫ ּדּון‬voraus. Auch denkbar, aber aufgrund des Wortgebrauchs im Hiobbuch eher unwahrscheinlich, ist die Konjektur ‫ יֵ ׁש ַּדּיָ ן‬bzw. ‫„ ֶׁש ַּדּיָ ן‬es gibt einen Richter“ (nämlich Gott, vgl. Tg [wohl mit einer Doppelübersetzung: „ein wahrhaftiger Richter, der Herr des Gerichts“]; 1 Sam 24,16; Ps 68,6; 11QPsa XXIV,6 sowie Gray: Job, 269). Beer: Text, 130, ändert in ‫„ ַׁש ַּדי‬der Allmächtige“ (vgl. DCH VIII, s. v. ‫ ַׁש ָּדיָ ן‬mit der Annahme, die Lesart ‫ ׁשדין‬/ ‫ ַׁש ָּדיָ ן‬sei eine archaische Variante zu ‫ׁש ַּדי‬, ַ inschriftlich in KAI5 I, Nr. 312,5–6); Seow: Job 1–21, 828–829, liest ‫ ׁש ִֹּדין‬bzw. ‫„ ׁש ָֹּדן‬Verwüstungen“ bzw. „ihre Verwüstungen“ (vgl. ‫ ׁש ֹד‬in Hi 5,22; Spr 21,7; 24,2). Greenstein: Job, 87, vokalisiert, wie auch in Hi 5,22 (MT: ‫)ׁש ֹד‬, ‫„ ֵׁש ִדין‬Dämonen“ (vgl. Dtn 32,17; Ps 106,37). 39 Anstelle

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Abrechnung Gottes mit den Freunden in 42,8 und viertens als Erwartung eines Gerichts an all denen, die sich gegenüber dem Gerechten ungerecht verhalten haben.41 Das Motiv des Gerichtsschwertes und die Nähe zu den ebenfalls sekundären Passagen, in denen Hiob mit einem (endzeitlichen) Gericht Gottes rechnet (31,2–3.11–12.23.28), deuten darauf hin, dass 19,29 eschatologisch zu verstehen ist.42 Als Zusammenfassung der fünften Rede Hiobs in ihrer ,Endgestalt‘ besitzt das Schlusswort ‫ ִּדין‬eine besondere hermeneutische Kraft. Es enthält im Kern die Botschaft der gerechtigkeitstheologischen Bearbeitung des Hiobbuchs.43 Mit der theologischen Figur Gottes als Richter und dem Motiv eines endgültigen (endzeitlichen) Gerichts verbindet es nicht nur die einzelnen Buchteile miteinander, sondern weist auch weit über das Hiobbuch hinaus. Charakteristisch für den Abschluss der fortgeschriebenen oder redaktionell ergänzten Hiobreden in 26,1–14 und 27,7–28,28 ist, dass diese nicht mit Begriffen der Negation enden, sondern der Erkenntnis. Hiobs sekundäre Ausführungen über die kosmische Macht Gottes, die als Replik auf und als Ergänzung zu Bildads Wiederholung des Motivs der geschöpflichen Unwürdigkeit des Menschen (Kap. 25) gedacht sind, gipfeln in der Frage, wer die Wege Gottes „verstehe“ (‫ בין‬Hitpol., 26,14). Die Gegenüberstellung göttlicher und menschlicher Weisheit in Kap. 28 zielt auf die abschließende Definition der dem Menschen zugewiesenen „Einsicht / Erkenntnis / Klugheit“ (28,28 ‫)ּבינָ ה‬. ִ In 26,14 endet erstmals innerhalb des Dialogs eine Hiobrede mit einem Wort bzw. einer Wurzel (‫)בין‬, die von allen beteiligten Rednern gebraucht wird.44 Die Fokussierung auf Weisheit (‫ח ְכ ָמה‬, ָ LXX: σοφία) und Erkenntnis (‫ּבינָ ה‬, ִ LXX: ἐπιστήμη) ist in kommunikativer Hinsicht durch das gleichermaßen sekundäre Schlusswort ‫„ ִמ ָּל ִתי‬meine Rede“ in 24,25 vorbereitet und verstärkt in kompositioneller Hinsicht das in 21,34 angedeutete Ende der argumentativen Auseinandersetzung mit den Freunden. Tendenziell entsprechen die Schlussworte in 26,14 und 28,28 der ersten Gottesrede (Kap. 38–39) und den später eingefügten Elihureden (Kap. 32–37). Als redaktionsgeschichtlich nochmals jüngere Prolepsen reagieren die Schlusssentenzen Hiobs in 26,14 und 28,28 auf die Reden Elihus und modifizieren dessen Schlusswort in 37,24: ‫י־לֽב׃‬ ֵ ‫ל־ח ְכ ֵמ‬ ַ ‫א־י ְ֝ר ֶ֗אה ָּכ‬ ִ ֹ ‫ָ ֭ל ֵכן יְ ֵר ֣אּוהּו ֲאנָ ִ ׁ֑שים ֽל‬ Deshalb fürchten ihn die Männer, nicht jeder, der weisen Herzens ist, vermag (das) zu sehen.45 41 Vgl. Ps 76,9–10; Jes 66,16; SapSal 5,1–8.15–23; 11QMelch II,11 (mit Rekurs auf Ps 7,9; 82,2). 42 Siehe dazu auch Feldmar: Fortschreibungen, 79–80.86. 43 Vgl. zu dieser Witte: Das Buch Hiob, 56–59, sowie mit Modifikationen Wanke: Praesentia Dei, 275–340.430 („Rechtskritische Bearbeitung“). 44 Die Wurzel ‫ בין‬gehört mit 44 Belegen zu den am häufigsten im Hiobbuch gebrauchten Wurzeln und ist zusammen mit den Wurzeln ‫( ידע‬78mal) und ‫( חכם‬28mal) ein Indikator dafür, dass es im Hiobbuch wesentlich auch um Fragen der Erkenntnis geht. 45 Die Übersetzung des Verses, zumal des zweiten Kolons ist umstritten. Denkbar wäre

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Der Hiob, der in 26,14 und 28,28 spricht, hat sich mit den Grenzen der menschlichen Erkenntnis abgefunden. Mit dem Bekenntnis, die Gottesfurcht sei Weisheit und das Meiden des Bösen sei Klugheit, hat Hiob die Wende von der Ne­ gation zur Position vollzogen. Im Verbund mit der prosaischen Charakteristik Hiobs in 1,1 bestätigt Hiob ausdrücklich, über diese Form der Weisheit zu verfügen. Hinsichtlich der formalen Gestalt von 28,28 als einer referierten Rede Gottes trägt der Vers unter den Schlussworten Hiobs am deutlichsten den Charakter eines Vermächtnisses, das sich über den buchimmanenten Dialog hinaus direkt an die Leser wendet. Gleichwohl warten diese – wie Hiob selbst – noch auf eine göttliche Antwort. Deshalb hat die Majestätsredaktion, auf welche die Passagen in 26,1–14 und 27,11–12; 28,1–28 zurückgehen und deren Theologie sich in den Schlusswörtern in 26,14 und 28,28 spiegelt, die Grundstruktur der Hiobdichtung bewahrt und an der folgenden Herausforderungsrede Hiobs in Kap. 29–31 festgehalten. Diese endet in ihrer ,Endgestalt‘ in 31,40a mit der Verwünschung, dass im Falle eines Vergehens Hiobs gegen das Land und seine Besitzer 46 auf seinem eigenen Feld anstelle von fruchtbarem Getreide Unkraut (‫)ּב ְא ָׁשה‬ ָ sprossen solle. Das in seiner genauen Bedeutung nicht sicher gedeutete Wort ‫„( ָּב ְא ָׁשה‬Taumellolch“?) ist das einzige unspezifische Schlusswort in einer Hiobrede. Dies überrascht, da alle anderen redaktionell eingefügten Schlusswörter in Hiob­ reden jeweils die vorangehende Rede zusammenfassen, diese inhaltlich fokussieren und einen hermeneutischen Schlüssel für ihr Verständnis bieten. Vor dem Hintergrund, dass das große Unschuldsbekenntnis Hiobs mit der ausdrücklichen Herausforderung Gottes in 31,35–37 einen wirkungsvollen Abschluss erreicht hat, ist nachvollziehbar, dass schon seit Beginn der historisch-kritischen Forschung am Hiobbuch versucht wurde, die Beschreibung eines zusätzlichen potentiellen Vergehens Hiobs an einer anderen Stelle in Kap. 31 einzufügen.47 Eine solche Verlegung ist aber methodisch problematisch. Bleibt man daher bei der jetzt vorliegenden, gleichwohl sekundären, Textanordnung und versucht in dem Schlussvers bzw. dem Schlusswort eine über dieses selbst hinausweisende hermeneutische Funktion innerhalb des Unschuldbekenntnisses zu entdecken, dann zielt die potentielle Sanktion in 31,40a wie 31,8 auf eine Vernichtung auch die Übertragung „keinen, der weisen Herzens ist, sieht er (d. h. Gott) an“ (vgl. Strauss: Hiob, 264.325). Für die oben gebotene Übersetzung (vgl. Spieckermann: Wunden, 24) sprechen erstens die in der vierten Elihurede vertretene Überzeugung, dass die hymnische Beschreibung der Werke Gottes allen Menschen möglich und geboten ist (Hi 36,22–37,18), die tiefere Einsicht in das Handeln und Wesen Gottes aber nur Wenigen unter den Weisen vorbehalten ist (Hi 37,19–24), und zweitens die Funktion von Kap. 37, als Schilderung einer Theophanie auf die Rede Gottes aus dem Sturm (Hi 38,1) hinzuführen. 46 Unter diesen sind vordergründig die Vorbesitzer gemeint, von denen Hiob das Land zu einem diese zufriedenstellenden Preis erworben hat (vgl. Gen 23,15–17; 33,19; Lev 25,14– 17; Jer 32,9.15; Neh 5,3), hintergründig ist Gott als der eigentliche Besitzer des Landes im Blick (vgl. Lev 25,1–23; Ps 24,1; PsSal 2,29). 47 Zahlreiche Vorschläge einer Umstellung verzeichnet Clines: Job 21–37, 973.

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der wirtschaftlichen Lebensgrundlage des Täters. Dies entspricht dem Nichtigkeitsfluch in Dtn 28,18.38–4248 und den Verwünschungen der Frevler in den Reden der Freunde Hiobs (15,30–33; 18,16). Darüber hinaus könnte man auch eine Anspielung auf die Paradieserzählung erwägen (vgl. Gen 3,17–19). Hiob würde sich dann wie in 31,33 von dem Urmenschen absetzen und sähe sich selbst als der bessere Adam.49 Hingegen scheint es mir keine Option zu sein, in 31,40b (‫„ ַּ֗תּמּו ִּד ְב ֵ ֥רי ִאּיֽ ֹוב‬Zu Ende sind die Worte Hiobs“) das Schlusswort dieser Hiobrede zu sehen,50 auch wenn der Abschluss mit der Nennung des Namens Hiob ein Gegenüber in dem Abschluss der vierten und letzten Gottesrede in 42,8 (‫„ ַע ְב ִּדי ִאּיֹוב‬mein Knecht Hiob“) fände (vgl. 1,8; 2,3): Gottes letztes Wort im Buch ist Hiob! Demgegenüber sind Hiobs letzte Wörter, die literargeschichtlich wohl auf die Fortschreibung seitens der Niedrigkeitsredaktionen und in ihrer im MT vorliegenden Aufteilung auf zwei Antworten auf die Gerechtigkeitsredaktion zurückgehen, ein ausdrückliches Schweigebekenntnis (40,5: ‫אֹוסיף‬ ִ ‫„ לֹא‬ich fah­ re nicht fort“) und das Bekenntnis zur eigenen Geschöpflichkeit (42,6: ‫ָע ָפר‬ ‫„ וָ ֵא ֶפר‬Staub und Asche“). Mit letzterem und seiner semantischen Vieldeutigkeit hat sich Thomas Krüger eindringlich auseinandergesetzt und dabei gegenüber einer Deutung als Widerruf und Bußritus Hiobs (so schon Vg) die Interpretation als Bekenntnis Hiobs zu seiner Vergänglichkeit, aber auch zu seinem Getröstetsein (‫ )נִ ַח ְמ ִּתי‬vertreten.51 Unabhängig von der Frage, ob ‫( נחם‬Nifal) hier nicht doch eher mit „Reue empfinden“ als mit „getröstet werden / sein“ wiederzugeben ist, scheint mir erstens in dem Ausdruck ‫ל־ע ָפר וָ ֵא ֶפר‬ ָ ‫ ַע‬die Präposition ‫ ַעל‬weniger in einem instrumentalen oder lokalen Sinn von „über / auf“ (so mit unterschiedlichen Akzenten Tg, Syr und Vg) als in einem kausalen Sinn gebraucht zu sein und zweitens V. 6b gemäß der masoretischen Akzentuation eine selbstständige Einheit zu sein, die einen Nominalsatz darstellt: „weil ich Staub und Asche bin“ (vgl. Gen 18,27; 1QHa XVIII,5 [7]; Sir 10,9).52 Infolge der ihm zuteil gewordenen Audition (Hi 42,5a) und Vision (42,5b) 53 bekennt 48 Vgl.

auch die aram. Inschrift von Sefire A 28–29.32–33 (KAI5 I, Nr. 222 A) und Sophokles, Oid. T. 269–271. 49 Dass im Hiobbuch mythische Motive des Urmenschen verarbeitet sind, ist in der Forschung unbestritten (vgl. besonders Hi 15,7–8; 20,4), fraglich sind ihr Umfang und ihre in­ tertextuelle Funktion (vgl. Oeming: Adam, 19–29). 50 In diesem Sinn Oeming in: Oeming / Schmid: Hiobs Weg, 65. Dagegen spricht die Tatsache, dass Hiob in den vorangehenden Versen von sich selbst in der 1. P. Sg. redet und dass sich Hiob nie mit eigenem Namen nennt. Hi 31,40b ist ein Kolophon unbekannter redaktionsgeschichtlicher Herkunft (vgl. Ps 72,20; Jer 48,47; 51,64), der am Übergang zu den se­kundär eingefügten Elihureden (Kap. 32–37) das Ende, aber auch die Vollkommenheit der Wor­te Hiobs festhält (vgl. 1,22; 2,10). 51 T. Krüger: Did Job Repent, 217–219. 52 In diese Richtung deuten bereits die Wiedergaben in der LXX („ich aber halte mich für Staub und Asche“) und in 11QTgHi („ich aber werde zu Staub und Asche“). 53 Gegenüber dem häufig vertretenen antithetischen Verständnis von V. 5a und V. 5b, dem

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sich Hiob abschließend zur eigenen Geschöpflichkeit (V. 6). Hiob, der mit Gott und sich selbst um sein Gottesbild ringt, findet hier ausdrücklich zu einer vertieften Gottesgemeinschaft und bleibt am Leben – gerade weil ihm dieses zerbricht und er sich und sein Gottesbild aufgibt. Mit dieser Erkenntnis geht in der ,Endgestalt‘ des Hiobbuches das letzte Wort Hiobs über das Schlusswort seiner ersten als wörtliche Rede gekennzeichneten Doxologie in 1,21 hinaus, mit dem es gleichsam theologisch korrespondiert: Das Gegenüber des Lobpreises Gottes (‫הו֖ה ְמב ָ ֹֽרְך‬ ָ ְ‫„ יְ ִ ֛הי ֵ ׁ֥שם י‬gesegnet sei der Name des Herrn“, 1,21b) ist das Eingeständnis der eigenen Niedrigkeit (‫ל־ע ָ ֥פר וָ ֵ ֽא ֶפר‬ ָ ‫„ ַע‬weil ich Staub und Asche bin“, 42,6b). Es wäre nun reizvoll, einen ähnlichen Durchgang durch die Schlusswörter der Hiobreden in der Septuaginta, der Peschitta, den Targumen und der Vulgata zu machen. Ein solcher kann in diesem Rahmen aber nur thetisch angedeutet werden. Wie die Redaktionen des hebräischen Textes setzen die alten Übersetzungen mit ihren Schlusswörtern eigene Akzente, sei es, dass jene eine isomorphe Übersetzung darstellen, aber durch den Kontext anders konturiert sind, sei es, dass sie sich semantisch vom MT unterscheiden. Dabei spiegelt sich in den Schlusswörtern der Versionen deren grundsätzliche Übersetzungstechnik, deren spezifische kompositionelle Strukturierung, die eigene intra- und in­tertextuelle Bezüge hervorbringt, sowie deren religionsgeschichtliche Entwicklung und inhaltliche Profilierung wider. Dies gilt schließlich auch für das Testament Hiobs, das sich gleich zu Beginn als ein „Buch [der Worte] Hiobs“ (βίβ­λος [λόγων] Ιωβ, vgl. Hi 31,40b) zu erkennen gibt und mit dem Ausblick Hiobs auf die Bewunderung der Geschöpfe Gottes – gemeint sind wohl die Engel54 – schließt (TestHi 47,11).

3. Zusammenfassung Die Schlusswörter der Reden Hiobs lassen sich als eine Zusammenfassung und als ein hermeneutischer Schlüssel der Reden lesen, die sie beschließen. Zugleich lassen sich an ihnen der Spannungsbogen der Hiobdichtung und eine innere Entwicklung Hiobs nachzeichnen. Diese verläuft von der Nega­ tion (3,26) über die Resignation (7,21; 10,22), die sich aufhellende Depres­ sion (14,22; 17,16) und die Artikulation einer Position hinsichtlich der eigenen Person (19,27), des zwischenmenschlichen Gegenübers (21,34) und Gottes zufolge Hiob bisher nur vom Hörensagen, aus der Tradition, gekannt habe, jetzt aber – nach und in seinem Leiden sowie der Gottesrede – Gott gesehen habe, verstehe ich V. 5 klimaktisch und im Sinn einer ganzheitlichen Wahrnehmung (vgl. Hi 13,1; 29,11; Spr 20,12; Sir 16,5): Hiob hat Gott gehört und sogar gesehen (vgl. 1QS XI,3.6, aber auch Sophokles, Phil. 1412). 54 In diesem Sinn deutet Schaller: JSHRZ III / 3, 368, die κτίσματα (vgl. Jub 2,2; 2 Hen 29,3; LibAnt 60,2).

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Hiobs letzte Worte

(24,12) hin zu einer selbstbewussten Aggression (31,37). Die Schlusswörter der Fortschreibungen der Hiobreden tragen zusätzliche Aspekte ein und bilden zugleich das inhaltliche Profil dieser Redaktionen ab. Auf der Ebene der ,Endgestalt‘ markiert Hiobs absolut letztes Wort in 42,6 die Integration seines Leidens an und mit Gott in sein Leben. Damit wird Hiob seiner im Prolog beigelegten Prädikation als eines ‫( ִאיׁש ָּתם‬1,1.8) gerecht: Auch und gerade am Ende erweist er sich als eine mit sich selbst identische, vollkommen integre Gestalt und als ein Paradigma der Bewältigung von Leid. Dies unterscheidet ihn vielleicht von Aischylos’ Prometheus, mit dem das Hiobbuch sonst viele formale und inhaltliche Elemente teilt und dessen Schlusswort gleichermaßen eine wesentliche hermeneutische Funktion erfüllt, wenn der Protagonist eines Dramas über Macht, Gerechtigkeit und Leiden ganz am Ende sagt: ἐσορᾶις μ’ ὡς ἔκδικα πάσχω „Du siehst mich, wie ich ungerecht leide“ (Z. 1093).55

55 Auf die Bedeutung der Schlussverse für das Gesamtverständnis einer Tragödie hat im Blick auf die Dramen des Euripides Wildberg: Gerechtigkeit, 1–20, hingewiesen. Wildbergs Beobachtung lässt sich auch an einzelnen Tragödien des Aischylos und Sophokles oder, wie T. Krüger: Job Spoke the Truth, 79, bemerkt hat, an der Babylonischen Theodizee (295–297 [COS 1.154, 495; TUAT III, 157; Oshima: Poems, 166–167]) machen.

Kosmologie und Schöpfungsvorstellungen in Hiob 38 nach der Septuaginta This article describes the cosmology in the Greek version of Job 38 in comparison with the Masoretic text. It interprets the special anthropological and cosmological profile of the Greek text in the context of the whole Greek book of Job and of deuterocanonical and cognate literature (Ben Sira; Wisdom of Solomon; Testament of Job). It thereby demonstrates how the Greek translators of Job transfer elements of Near Eastern cosmologies into the Greek world, and how Job 38 in its Greek form participates in the cosmological discourse of Hellenistic philosophy (Plato, Timaeus; Aratus, Phaenomena).

1. Zwei Vorbemerkungen Das Buch Hiob ist weder in seiner hebräischen Gestalt noch in seinen griechischen Versionen deuterokanonisch. Dennoch gehört es literatur- und religionsgeschichtlich, zumal in seinen griechischen Übersetzungen, in den Kontext der deuterokanonischen Literatur. Diese Verortung basiert auf zwei Gründen: Zum einen ist das Buch Hiob mindestens in motiv- und traditionsgeschichtlicher Hinsicht, in einzelnen Fällen auch in direkter literargeschichtlicher Perspektive, ein wesentlicher Spendertext für einzelne deuterokanonische Schriften. An erster Stelle ist hier das im 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr. entstandene, von einer griechischen Übersetzung abhängige Testament Hiobs zu nennen. Aber auch ältere jüdische Literatur neben der Hebräischen Bibel, wie das im ersten Drittel des 2. Jahrhundert v. Chr. abgefasste Buch Ben Sira oder einzelne in den Hodajot gesammelte Lieder aus Qumran aus dem 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. setzen sich entweder explizit mit dem Buch Hiob auseinander – so im Fall Ben Siras – oder verwenden zentrale theologische Motive aus ihm – so im Fall der Niedrigkeitsdoxologien in 1QHodajot und im Schlusshymnus von 1QSerek.1 Zum anderen gehört das Buch Hiob in seinen griechischen Gestalten entstehungs- und geistesgeschichtlich in das zeitliche Umfeld eines großen Teils der deuterokanonischen Literatur. So ist die ursprüngliche griechische Übersetzung des Buches Hiob, der Old Greek Text, im ausgehenden 2. Jahrhundert v. Chr., möglicherweise in Alexandria, entstanden. Damit steht das ursprüng1 Vgl. Witte: Leiden, 194–205; Reiterer: Verhältnis Ijobs; Egger-Wenzel: Gebrauch; Szpek: Influence; Newsom: Reception.

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Kosmologie und Schöpfungsvorstellungen in Hiob 38

liche griechische Buch Hiob in unmittelbarer Nähe zur griechischen Übersetzung von Ben Sira und zu der nur drei Generationen jüngeren Sapientia Sa­lo­ monis. Die griechische Übersetzung des Theodotion, aus der Origenes den Old Greek an den Stellen, zu denen er kein Äquivalent zum mutmaßlichen hebräischen Original vorgefunden hat, aufgefüllt hat, steht chronologisch im Umfeld der jüngeren deuterokanonischen Schriften und der frühen Schriften des Neuen Testaments.2 Die griechischen Übersetzer des Buchs Hiob kennen – wie Ben Sira und die Sapientia Salomonis – Homer und die Tragiker, die alexandrinische Dichterschule und stoische Philosophie. Schließlich weist das griechische Buch Hiob im Modus der Übersetzung exegetische Muster auf, wie sie sich in der Schriftauslegung und im Schriftgebrauch der deuterokanonischen Literatur finden. So dürfte es berechtigt sein, das griechische Buch Hiob trotz seines in dogmatischer Hinsicht protokanonischen Status auf einer Tagung, die sich dem deu­terokanonischen Schrifttum widmet, zu behandeln. Inhaltlich ist eine Präsentation von Hi 38 im Rahmen der Thematisierung von „Kosmos und Schöpfung“ ohnehin unstrittig. Die erste Gottesrede im Buch Hiob bietet – neben Gen 1–2, einzelnen Schöpfungspsalmen3 und Sir 42,15–43,33 – die ausführlichste biblische Kosmologie. Sie verbindet typisch allgemein altorientalische kosmologische Formeln und Motive 4 mit genuin israelisch-jüdischen und buchimmanenten Vorstellungen. Im Rahmen des jüdischen Schrifttums der hellenistisch-römischen Zeit wird die Kosmologie in Hi 38 nur von Henochs Reisen durch den Kosmos (1 Hen 17–36) und das Astronomische Buch (1 Hen 72–82) übertroffen. Dabei verstehe ich unter Kosmologie eine systematische Reflexion der Anordnung, der Veränderung und der kausalen Zusammenhänge der Ereignisse im Universum.5 Überlegungen zur Erschaffung der Welt, einschließlich des Menschen, und ihrer Erhaltung bilden ebenso zentrale Bestandteile einer Kosmologie wie Reflexionen über die Zeit und über die Konstellation der Gestirne samt ihres Einflusses auf das Leben. An eine bestimmte literarische Gattung ist eine Kosmologie nicht gebunden, sie kann in der Gestalt eines Hymnus, in einer mythischen Erzählung, im philosophischen Dialog, in einer naturkundlichen Abhandlung, in Sentenzen, in Omina, in einem Epos oder in einem Lehrgedicht begegnen. Was diese unterschiedlichen kosmologischen Gattungen in sprachlicher Hinsicht verbindet, ist ihr Gebrauch von Ordnungsbegriffen.6 Pragmatisch zielen diese Begriffe auf die Vermittlung von Erkenntnis und Orientierung in einer als ambivalent erfahrenen Welt.

2 Siehe

dazu Gentry: Asterisked Materials. Ps 8; 104; 147; 148. 4 Vgl. A. Krüger: Himmel. 5 So in Anlehnung an Grasshoff: Kosmologie. 6 Vgl. ἀριθμός, καιρός, μέτρον, ὅριον, τάξις, τόπος, τρόπος, ὥρα. 3 Vgl.

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Die griechische Übersetzung des Buchs Hiob richtet sich – zumindest primär – an eine jüdische Leserschaft, die kein Hebräisch kann. Insofern ist es als ein griechisches Werk zu lesen und aus sich heraus zu verstehen. Dennoch muss die Auslegung der griechischen Übersetzung von Hi 38 – wie die Auslegung jedes anderen Textes der Septuaginta, der nachweislich auf einer hebräischen (oder aramäischen) Übersetzung beruht – auch die mutmaßliche Vorlage berücksichtigen. Bestimmte sprachliche und motivische Besonderheiten lassen sich nur vor dem Hintergrund erklären, dass der griechische Text die Übersetzung eines hebräischen Textes ist, der traditionsgeschichtlich tief im Alten Orient verankert ist. Zudem zeigt sich das Profil des griechischen Textes besonders deutlich, wenn man diesen mit dem hebräischen Text vergleicht. Aus überlieferungsgeschichtlichen und aus pragmatischen Gründen kommt für diesen Vergleich nur der MT in Frage, auch wenn das ursprüngliche griechische Buch Hiob auf einer hebräischen Vorlage basiert, die zwar mit der des MT verwandt, aber nicht identisch war. Dies zeigen mikrotextliche und kompositionelle Differenzen, die sich nicht übersetzungstechnisch, textkritisch oder mittels der Annahme bewusster Ergänzung oder Kürzung erklären lassen und die in vielen Fällen ihre Parallele in dem aus Qumran bekannten, wohl noch im 2. Jahrhundert v. Chr. entstandenen Targum zum Buch Hiob haben.7

2. Eine Auslegung von Hi 38 in seiner griechischen Gestalt 2.1 Das kosmologische Profil von Hi LXX 38 Die in Hi 38 gebotene Beschreibung der Erschaffung, Lenkung und Versorgung des Kosmos wird mittels der Überschrift in V. 1 als eine Offenbarungsrede Gottes gekennzeichnet. Über die Wendung „Nachdem aber Elihu (LXX: Elius) mit der Rede aufgehört hatte“ und über die Angabe, dass die Rede „aus den Wolken (νέφη)“ erfolgte, ist diese Offenbarungsrede kontextuell enger an die vorangehenden Monologe Elihus angeschlossen als das im MT der Fall ist (vgl. Hi 35,5; 37,21–22).8 Über das Hendiadyoin διὰ λαίλαπος καὶ νεφῶν, das sprachlich auf eine Doppelübersetzung von ‫ מן הסערה‬zurückgeht, ist der Charakter von Hi 38 als Theophanie unterstrichen9 und die Anspielung auf die Rede Gottes zu Mose „mitten aus der Wolke (νεφέλη)“ in Ex 24,16 hervorgehoben. Auf der Ebene des von Origenes erstellten „kirchlichen Textes“ erscheint Hi 38 als eine ausdrückliche Antwort Gottes auf den Vorwurf Hiobs, Gott verberge sich „hinter den Wolken“ (Hi Th 22,14a). So ergibt sich bereits aus dieser Über7 Zu den qumranischen Hiobfragmenten siehe jetzt auch R. Luther: Hiob, sowie Seow: Reception. 8 Auch im Corpus der Gottesrede(n) zeigen sich begriffliche und kompositionelle Adaptionen an die Elihureden, vgl. Hi LXX 34,26 // 38,13.15; 36,12 // 38,13.15; 36,27 // 38,21.37; 37,15 // 38,19. 9 Vgl. Nah 1,3; Ez 1,4; Ps 18 (17),12–13.

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schrift, dass die Rede von der Schöpfung und vom All der Belehrung durch Gott bedarf: Kosmologie ist in diesem Sinn wesenhaft Theologie. Der als rhetorische Frage gestaltete Auftakt in V. 2 stilisiert Gott als denjenigen, der den Menschen in seinem tiefsten Inneren kennt. Anstelle des im MT gegenüber Hiob erhobenen Vorwurfs, er verdunkle mit seinen unbedachten Worten Gottes Weltplan (‫)עצה‬, bietet der griechische Übersetzer eine Variation des Motivs von Gott, der in das Herz des Menschen sieht.10 Gott kennt Hiob, so dass dieser nicht, wie er es im Fortlauf des Dialogs mit seinen Freunden bis hin zu seinem großen Unschuldbekenntnis in Kapitel 31 immer eindringlicher artikulierte, seine Gerechtigkeit darlegen müsste.11 Die sich an diesen Auftakt anschließende Entfaltung der kosmischen Ordnung ist damit – anders als im MT – weniger ein Nachweis der göttlichen Weltlenkung als eine kosmologische Begründung für Gottes Wissen um Hiob. Auf der Weltkenntnis Gottes basiert seine Menschenkenntnis. Der kosmologische Eigenwert von Hi 38 bleibt bei dieser anthropologischen Akzentverschiebung gegenüber dem MT aber gewahrt. Die ab V. 4 gebotene Beschreibung der Schöpfung und ihrer göttlichen Lenkung folgt einerseits einem klaren kosmologischen Muster. Andererseits ist sie auf die Fragen Hiobs hinsichtlich seines Verhältnisses zu Gott bezogen. Den Rahmen bilden Fragen zur vermeintlichen Anwesenheit Hiobs bei der gött­ lichen Grundsteinlegung der Erde (V. 4–6) und zur alleinigen Verfügungsge­ walt Gottes über den Himmel (V. 37–38). Mit der Nennung von Erde und Himmel sind die wesentlichen kosmologischen Eckpunkte benannt. Die Reihenfolge „Erde – Himmel“ entspricht der Sequenz im redaktionellen Übergang vom pries­terschriftlichen zum sogenannten jahwistischen Schöpfungsbericht in Gen 2,4b (im MT) 12 und den auf seine irdische Existenz bezogenen Fragen Hi­obs ab Kapitel 3. Hinter der Frage ποῦ ἦς (V. 4) steht traditionsgeschichtlich das Motiv von der Weisheit des Urmenschen13 und theologisch die Vorstellung, dass sich der Mensch, der Gott begegnet, als gefragt und in seiner Existenz in Frage gestellt erlebt. Diese Frage spielt gleich zu Beginn der kosmologischen Ausführungen das Phänomen der Zeit ein. Damit korreliert am Ende das „Zählen (ἀριθμεῖν) der Wolken“ als ein kosmologisch-metaphorischer Ausdruck für die göttliche Macht über die meteorologischen Zeiten (V. 37). Eine solche Thematisierung der Zeit entspricht altorientalischen und antiken Schöpfungsvorstellungen, denen zu Folge die Einrichtung der Zeit und ihre Gliederung in Tage, Monate, Jahre und besondere astrale Zeiten ein wesentliches Merkmal der Schöpfung

10 Vgl. Hi LXX 34,21.23–25; Ps 17 (16),3; 26 (25),2; Spr LXX 24,12; Sir 39,19; 42,18; Jer 32 (39),19; Hebr 4,13. 11 Vgl. Hi 23,10–12; 31,5–6. 12 Vgl. Gen 14,19.22; Ps 50,4; 57,12 (A. Krüger: Himmel, 66). 13 Vgl. Hi 15,7–8; Gen 3,22; Ez 28,12–17.

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darstellt.14 Sie rekurriert aber auch auf Hiobs Klagen über sein Leiden in der Zeit und auf dessen vergeblichen Wunsch der Umkehrung der Zeiten, mit dem die Dichtung eröffnet wird (Hi 3,1–9). Schließlich kennzeichnet das Gegenüber von Hiobs mutmaßlicher „Einsicht“ (σύνεσις, V. 4) und Gottes eigentlicher „Weisheit“ (σοφία, V. 37) einerseits die für biblische, aber auch für klassische antike Kosmologien grundlegende Überzeugung, dass sich die kosmischen Phänomene nur dank göttlicher Unterweisung angemessen beschreiben und erfassen lassen (vgl. Sir 43,33; SapSal 7,17). Andererseits markiert die Kontrastierung von Hiobs begrenzter Einsicht und Gottes umfassender Weisheit den kategorialen Unterschied von Gott und Mensch, der im gesamten Buch hinsichtlich der Größen Gerechtigkeit und Leben reflektiert wird. Ein Spezifikum des griechischen Textes des hinteren Rahmens von Hi 38 ist, dass erstens mit dem Motiv des „Neigens (κλίνειν) des Himmels“ – gegenüber dem „Neigen der Himmelskrüge“ im MT – nochmals der Aspekt der Theophanie eingespielt wird,15 dass zweitens das Handeln Gottes besonders herausgestellt wird (V. 38b: „ich habe zusammengefügt“) und dass drittens der Himmel (metaphorisch) mit einem Würfel (κύβος) verglichen wird.16 Die Erschaffung der Erde (V. 4–7) selbst wird in Bildern aus dem Bauwesen beschrieben. Gott erscheint als ein weiser Bauherr und Architekt (θεμελιοῦν, vgl. Ps LXX 23,2; Spr LXX 3,19).17 Er hat selbst den Grundriss der als großes Haus vorgestellten Erde vermessen18 und ihren Eckstein (λίθος γωνιαῖος)19 als den besonders wichtigen Ausgangspunkt eines Bauwerkes, zum Beispiel auch eines Tempels, gelegt. Die Gründung beinhaltet das Eigentumsrecht. Gott ist daher Besitzer all dessen, was die Erde füllt und auf ihr lebt (vgl. Ps LXX 23,1–2). Gegenüber dem MT nennt die griechische Version ausdrücklich die Erschaf­ fung der Sterne (V. 7a).20 Mit deren Nennung und der Anspielung auf den Lobpreis des Schöpfers durch die Engel (V. 7b) bietet die Gottesrede aber nicht nur ein zentrales schöpfungstheologisches Motiv,21 sondern auch einen Rekurs auf 14 Vgl. 15 Vgl.

Gen 1; Sir 42,18–19; Platon, Tim. 37d–40c. Ps LXX 17,10; 143,5 und dazu Heater: Translation, 125; Hartenstein: Wolkendun­

kel, 130. 16 Zur Diskussion, ob die Erde ein Würfel sei, siehe Empedokles, frgm. 96, 8; Aristoteles, cael. 307a 8. Das hellenistische Synagogengebet 4,16, das in den Apostolischen Konstitu­ tionen 7,35,1–10 überliefert ist (OTP II, 690–682), zitiert Hi LXX 38,38 (vgl. van der Horst / Newman: Prayers, 60; 69–70). 17 Vgl. Ps LXX 101,26; 103,5.8; Jes 48,13; 51,13; 54,11; Am 9,6; Sach 12,1; Ps 89 (88),12; Platon, Tim. 29a (der Schöpfer, ποιητής, als τεκταινόμενος); siehe dazu auch Hartenstein: Wol­kendunkel, 133. 18 Vgl. 2 Kön 21,13; Sach 1,16; Ez 40,3. 19 Vgl. Jes 28,16; Jer 51 (28),25–26; Ps 117 (118),22; Mt 21,42; 2Q23 frgm. 1,6. 20 Sprachlich mag das auf eine Lesung von ‫ בהברא‬/ ‫ בברא‬anstelle von ‫ ברן יחד‬zurückgehen, vgl. Beer: Text, 237; Heater: Translation, 123. 21 Vgl. Ps LXX 28,1–2. Gegenüber dem MT betont der griechische Übersetzer von Hi 38,7 aus­drücklich, dass das Lob Gott gilt (με). Zum Motiv vgl. auch Enuma Elisch V, 77–89 (Lam­ bert: Creation Myths, 102–103).

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den Eingangsfluch Hiobs, der gerade die Verfinsterung der Sterne über seinen Geburtstag herbeigewünscht hatte (Hi 3,9). Die Stellung Hiobs, und damit des Menschen überhaupt, im Rahmen des Kosmos wird relativiert, indem Hiob auf seine absolute Nachzeitigkeit gegenüber den Sternen und den Engeln hingewiesen und auf die Doxologie als angemessenen Modus des Redens zu Gott verwiesen wird.22 Zugleich erschließt sich von V. 7 die Funktion der Engel in den Himmelszenen des Prologs (Hi 1,6; 2,1): Aufgabe der Engel ist es, von Urzeiten an, Gott zu loben.23 Zur Kosmologie gehört danach die Angelologie. In den himmlischen Liturgien der aus Qumran bekannten Sabbatopferlieder ist dieses mythische Motiv breit entfaltet.24 Im Gotteslob der um den 520 / 515 v. Chr. neu gegründeten Jerusalemer Tempel versammelten Gemeinde findet es sein irdisches Gegenüber (vgl. Esr 3,10–11). Auf die Gründung der Erde folgt die Begrenzung des Meeres (V. 8–11). Im Hintergrund der Beschreibung des urzeitlichen Hervorbrechens des Meeres aus dem Schoß der Erde und seiner Eindämmung leuchten verschiedene mythologische Motive auf, besonders von der Geburt des Meeres, wie es sich in Hesiods Theogonie findet, und vom Kampf zwischen Baal und Jammu im ugaritischen Baal-Zyklus.25 Diese Motive sind hier in eigentümlicher und sich von Gen 1,9–10, wo das Meer als Schöpfungswerk Gottes erscheint, unterscheidender Weise verbunden. Wie in den mythischen Bildern in Hi 7,12 und 26,12 wird das Meer personifiziert. Trotz seiner Selbstständigkeit untersteht es allein der Macht des einen Gottes (vgl. 2 Makk 9,8). Er „wickelt“ (σπαργανοῦν, V. 9) das Meer, womit sowohl seine Bindung als auch seine rechtliche Anerkennung ausgedrückt wird,26 und bändigt es nur mit seinem Wort.27 Damit ist der Göttlichkeit des Meeres eine klare Absage erteilt. Die Passage unterstreicht Gottes Macht über das Chaos – auch über das über Hiob hereingebrochene. Die Wellen des Meeres haben eine gleichsam gesetzmäßige Begrenzung (ὅρια V. 10, vgl. Ps 148,6 [MT]).28 So wird am Ende dieser Passage die alleinige Gewalt Gottes über jegliche kosmische und menschliche Hoheit betont (V. 11).29 Der dritte Abschnitt des ersten Hauptteils (V. 12–15) entfaltet am Beispiel des morgendlichen Lichtscheins (φέγγος πρωινόν) und des Morgensterns (ἑωσ-

22 Vgl. Hi 35,10 (MT); Sir 39,14; 43,28. Im griechischen Hiobbuch ist die Angelologie in­tensiviert, vgl. Hi LXX 1,6; 2,1; 4,18; 5,1; 20,15; 33,23; 36,14; 40,11.19; 41,25. 23 Vgl. Ps LXX 102,20–21; 148,1–3; Dan LXX 3,58. 24 Vgl. 4QShirShabbf (4Q405) XIV; XIX; XX u. a. 25 Hesiod, theog. 131–132; Baal-Mythos II / KTU 1.2 (COS 1.86, 245–249; TUAT III, 1118– 1134; TUAT.NF VIII, 195–202); siehe auch Hi 9,8.13; 26,12; Ps 74 (73),13–14; 89 (88),10– 11; Jes 51,9. 26 In diesem Sinn deutet G. Fuchs: Mythos, 197–199. 27 Vgl. Hi 26,12; Jer 5,22. 28 Vgl. Ps LXX 64,8; 88,10; Jes 48,18. 29 Vgl. Hi LXX 38,15; 15; 24,20 (συντρίβειν); Ps LXX 73,13.

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φόρος) 30 nun ausdrücklich das Thema Zeit. Auch hier fließen Vorstellungen über die Begründung der Zeit in der Schöpfung und über die alltägliche Aufrechterhaltung der zeitlichen Ordnung (τάξις) ineinander.31 Die exklusive Verantwortlichkeit Gottes ist im griechischen Text noch deutlicher als im MT betont (V. 12). Erneut müsste Hiob die Frage verneinen, ob Gott auf Hiobs Befehl hin die zeitliche Ordnung eingerichtet habe. Hiob leidet ja gerade darunter, dass er die Zeiten nicht ändern kann.32 Eng verknüpft mit dem Bild des aufgehenden und sich über die Erde verbreitenden Lichts33 ist das Motiv des Gerichts an den ἀσεβεῖς (V. 13.15). Bei den ἀσεβεῖς muss es sich nicht um urzeitliche Repräsentanten des Chaos handeln, die der Schöpfergott einst niedergerungen hat.34 Es können auch „Gottlose“ gemeint sein, die nicht Hiob, wie die Septuaginta gegenüber dem MT explizit sagt, sondern der Schöpfer, der zugleich der Richter ist, zu jeder Zeit vernichtet. Denn der Morgen gilt im Alten Testament – religionsgeschichtlich eine Folge der Übertragung von solaren Motiven auf Jhwh – als steter Ausgangspunkt des rettenden und richtenden Eingreifens Gottes. Die aufgehende Sonne bringt alles ans Licht bringt, so auch die „Gottlosen“, deren Licht verlöschen und deren Hybris wie der Stolz des Meeres (V. 10–11) von Gott gebrochen (συντρίβειν) wird.35 Damit reagieren diese Verse auch auf Hiobs Vorwurf, Gott habe die Erde in die Hand eines ἀσεβής gegeben (Hi 9,24) und in der Welt gingen die ἀσεβεῖς straflos aus (Hi 21,7–34; 24,1–12). Sie bestätigen im Grundsatz eine zentrale These der Freunde, zu der sich am Ende auch Hiob bekennt,36 und deuten ein Thema der zweiten großen Gottesrede an (vgl. Hi 40,12): Im von Gott geschaffenen Kosmos hat das Böse letztlich keinen Platz. Der grundsätzliche Zusammenhang von theologischer Kosmologie und Theodizee wird an dieser Stelle der Gottesrede explizit. Wie ein Fremdkörper innerhalb der Ausführungen zu den kosmischen Lichtphänomenen wirkt die rhetorische Frage an Hiob, ob er aus Lehm ein Lebewesen geformt (πλάσσειν) und ein sprachfähiges Wesen auf die Erde gesetzt 30 Zum ἑωσφόρος siehe auch Hi LXX 11,17; 41,10; 1 Kgtm 30,17; Jes 14,12; Ps LXX 109,3; Ho­ mer, Il. 23, 226; Hesiod, theog. 381; Platon, Tim. 38d; leg. 821c; Eudoxos, astronom. frgm. 124, 88. 31 Vgl. Hi LXX 36,28; Gen 1,3–5; Jub 2,2; Jes 45,7; Jer LXX 38,36 bzw. Ps 104 (103),19–20; Am 4,13; Sir 43,6–8; zum Begriff der τάξις in kosmologischen Zusammenhängen siehe auch Platon, Tim. 30a. 32 Vgl. Hi 3,3–9; 7,17–19; 14,13; 29,2. 33 Vgl. Hi 37,3; Jes 24,16. 34 Keel: Entgegnung, 56, versteht die ‫ רשעים‬als Repräsentanten der gottfeindlichen Mächte und verbindet sie motivisch mit der ägyptischen Vorstellung von der Besiegung der Dämonen durch den Sonnengott; vgl. auch Cornelius: Epiphany, und dazu das Motiv der Bindung der Götter durch Marduk im Enuma Elisch IV, 123 (Lambert: Creation Myths, 92–­93) und das Motiv der Bindung der Titanen in der griechischen Mythologie (Hesiod, theog. 717–721.­ 729–730; Homer, Il. 5, 898). 35 Vgl. weiterhin Ps LXX 2,9; 3,8; 9,36; 36,17; 57,7. 36 Siehe Hi 8,22; 11,20; 15,20; 18,5; 20,5.29 (vgl. Spr 13,9) bzw. Hi 24,13–14a; 27,7–10.­ 13–20.

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habe (V. 14). Der Vers erwähnt im Gegensatz zum MT an prominenter Stelle die Menschenschöpfung. Sein Wortlaut könnte auf eine hebräische Vorlage zurückgeführt werden, deren Konsonantentext sich nicht wesentlich von der des MT unterschied.37 Für die Frage nach der Kosmologie in Hi 38 sind die Traditionsgeschichte und die theologische Funktion, die V. 14 im Buch Hiob hat, relevant. Motivisch basiert der Vers auf dem breit im Alten Orient und in der klassischen Antike belegten Mythologem der Formung des Menschen aus Erde, womit letztlich die Zerbrechlichkeit und Sterblichkeit des Menschen umschrieben wird.38 Mit dem Hapaxlegomenon λαλητός („sprechendes Wesen“) wird möglicherweise auf Gen 2,19 und die den Menschen vom Tier unterscheidende Begabung mit der Sprache angespielt39 und somit ein Bezug zwischen den Kosmologien der Torah und der ersten Gottesrede hergestellt. Mikrotextlich ist durch das Motiv der Menschenschöpfung der Gedanke des Gerichts an den ἀσεβεῖς (V. 13.15) stärker verankert. So hängen diese nicht in der Luft wie im MT, sondern erscheinen als Geschöpfe Gottes, die gleichsam dem Gericht unterliegen. Makrotextlich wird Hiob an die Macht des einen Schöpfergottes, aber auch an seine bleibende dialogische Bezogenheit auf diesen Gott erinnert.40 So zeigt Gott hier Hiob zwar weitergehend im Stil der polemischen Bestreitung Grenzen auf.41 Er führt ihm aber zugleich vor Augen, dass er ein Gott des Lebens ist,42 der dem Menschen die Sprache und damit die Fähigkeit zur Artikulation geschenkt hat. Der Vers ist im Gewand der rhetorischen Frage das urgeschichtliche Pendant zu dem die Gottesrede eröffnenden Aufruf, Hiob möge Gott antworten (V. 3). Gegenüber der weitgehenden Ausblendung des Menschen in der masoretischen Gestalt der ersten Gottesrede (vgl. V. 26), die als eine bewusste Korrektur an der Anthropozentrik der priesterschriftli37 Vgl. Beer: Text, 238, mit der Rückführung von ζῶον auf ‫ חיתם‬anstelle auf ‫„( חותם‬Siegel“) wie im MT (vgl. Heater: Translation, 124–125.136–137). 38 Vgl. Gen 2,7–8, 15; Hi 10,8–9; 34,15 (LXX: πλάσσειν); Ps 119 (118),73; 139 (138),5; 2 Makk 7,23; Sib 3,24; 8,260; Philon, opif. 134; Röm 9,20. Das Motiv begegnet oft im Alten Orient, vgl. Enki und Ninmach, 31–32; 58–59 (COS 1.159, 518; TUAT III, 391; 393); Gilgamesch I, ii,33–34 (ANET, 74; TUAT III, 675); Babylonische Theodizee 277–278 (COS 1.154, 495; TUAT III, 156; Oshima: Poems, 164–165); Ludlul bēl nēmeqi IV, 110–112 bzw. V, 80–83 (COS 1.153, 492; TUAT III, 135; Oshima: Poems, 110–111); Amenemope XXIV, 13 (COS 1.47, 121; TUAT.NF VIII, 344); Pettinato: Menschenbild, 39–42; aber auch in der klassischen Antike, vgl. z. B. Aesop, fab. 110; 111; 228; 229; Apollodor, bibliotheke I, 45; Kallimachos, fragmenta incertae sedis 493,2; Philemon Comicus, fragmenta 95,3; Properz, elegiae III, 5 u. a. 39 Vgl. Aristoteles, pol. 1253a; hist. an. 536a,33–b3; Kleanthes, In Iovem 3–5 (siehe dazu Thom: Hymn, 54–67); Isis-Aretalogie von Kyme 31 (Totti: Texte, 2; TUAT.NF VII, 278); Philon, LA II,14–15; opif. 148, aber auch TO, TPsJ und TNeof zu Gen 2,7 sowie 1QHa IX,27–­31 (29–33) und dazu Koch: Spuren, 238–248, der ‫ נשמה‬in Gen 2,7 als „Sprachgeist“ interpretiert. 40 Vgl. Hi 10,8–12; 30,19; 33,6. 41 Vgl. Jes 40,12–31. 42 Vgl. Ez 18,23–32; Jon 4,10–11; SapSal 11,26.

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chen Kosmologie in Gen 1 und in Ps 8 verstanden werden kann, gehört für die griechische Version von Hi 38 der Mensch fest zum kosmischen Gefüge (vgl. Ps 104). Daher muss seine Erschaffung auch in der Beschreibung, die so stark auf die Erde, das Meer, den Himmel, die Sterne und das Wetter fokussiert ist, ausdrücklich erwähnt werden (vgl. Hi LXX 34,15). Von den Zeiten auf der Erde führt Gott Hiob – und die Leser – auf seiner imaginären Reise durch den Kosmos zu den gemäß altorientalischer und antiker Weltvorstellung unter der Erde gelegenen Quellen des Meeres, zur Ur­ tiefe (ἄβυσσος),43 und zu den Weiten des Raums „unter dem Himmel“ (ὑπ᾿ οὐ­ρανόν) 44 (V. 16–18). Natürlich ist Hiob auch in diese Dimensionen nicht vorgedrungen, ebenso wenig zu den noch darunter verorteten „Toren des Totenreichs“ (πύλαι θανάτου) und den „Türhütern des Hades“ (πυλωροὶ ᾅδου, V. 17).45 Der Abyssos und der Hades markieren die größtmögliche kosmische Tiefe. Diese Räume sind – wie der Himmel selbst (vgl. Hi 22,14b) – allein Gott zugänglich, vor dem der Hades offen daliegt und der bis zu den Enden der Erde blickt.46 Das war in der Geschichte der Jhwh-Religion nicht immer so. Erst im Laufe der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. ist Jhwh im Zuge der fortschreitenden Monotheisierung auch die Macht über den einstigen Herrscher der Unterwelt, den Gott Mot, zugewachsen (vgl. Jes 25,8; 26,19).47 Für die Dichter des Buchs Hiob und seine Übersetzer sind die alten Götter der Unterwelt längst entmachtet.48 Allein Jhwh verfügt über die Tiefen49 und über den Hades, so dass Hiob, selbst wenn er sich in seinem Leid am Rand des Todes sieht,50 Gott nicht über sie belehren kann (Hi 11,7–8). Erneut wird Hiob die Begrenztheit seiner Weltkenntnis vor Augen geführt und zugleich sein Wunsch pervertiert, er könne sich im Hades vor Gottes Zugriff verbergen.51 Die hier angedeutete Topographie, nach der das Totenreich ein unterirdischer Palast oder eine unterirdische Stadt mit Toren darstellt (vgl. Hi 17,13; Jes 38,10), ist allgemein altorientalisch und hat zahlreiche Parallelen in der klassischen Antike.52 43 Vgl. Gen LXX 1,2; 7,11; 8,2; Spr LXX 8,24; Sir 42,18; Hesiod, theog. 282.720–731.736– 741; Homer, Il. 8, 14–16.481. 44 Vgl. Hi LXX 5,10; 9,6.13; 28,24; 34,13; 38,24.33; 41,3; Spr LXX 8,26, 28; Est LXX 4,17c. 45 Vgl. Jes 38,10; Ps 9,14; Hesiod, theog. 726–727; Homer, Il. 8, 15–16; 8, 367; 23, 71– 74; Od. 11, 571; Aischylos, Ag. 1291; Apollodor, bibliotheke, III, 159. 46 Vgl. Hi MT / Th 26,6; 28,24; Ps LXX 138,7–12; Am 9,2–3. 47 Siehe dazu Witte: Weg. 48 Vgl. Ps 139 (138),8; SapSal 16,13. 49 Vgl. Ps 135 (134),6; Spr 8,28. 50 Hi 7,21; 10,20–22; 19,17–20, vgl. Jes 38,10; Ps 9,14; 107 (106),18; Sir 51,9; 3 Makk 5,51; PsSal 16,2; 1QHa XIV,24. 51 Vgl. Hi 3,11–19; 14,13, vgl. Am 9,2; Ps 139 (138),8. 52 Vgl. z. B. die akkadische Dichtung vom Abstieg der Göttin Ischtar in die Unterwelt (COS 1.108, 381–384; TUAT II, 760–766) oder Hesiod, theog. 767; Homer, Il. 5, 646; 9, 312; 23, 71; Od. 24, 203; Theognis, elegiae I, 427 (Hansen); Aischylos, Ag. 1291; Euripides, Alc. 126; u. a.

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Für die Kosmologie von Hi 38 ist wesentlich, dass die Unterwelt als eigener Raum hier ausdrücklich angesprochen wird, was sowohl kosmisch-topographisch als auch buchimmanent (hinsichtlich Hiobs Erwähnungen der Scheol) schlüssig ist.53 Die folgenden Fragen an Hiob zum Aufenthaltsort und zu den Verbreitungs­ wegen von Licht und Finsternis (V. 19–21) verwenden das auch in der klassischen Antike bekannte Mythologem des Hauses von Licht und Finsternis.54 Die Verse stellen nochmals Hiobs Verfügungsgewalt über die Phänomene des Lichts in Frage. Mittels des Begriffs τόπος (V. 19b) kennzeichnen sie Kosmologie als eine Orientierung in Raum und Zeit (vgl. Hi 28,12.20.23). Die Sequenz schließt mit der halb ironischen Selbstprädikation Gottes als dem Herrn der Zeit, der Hiobs Alter genau kennt (V. 21): Aufgrund der Formulierung von V. 21a in der 1. P. Sg. (οἶδα) klingt das Motiv von der Weisheit des Urmenschen (vgl. V. 4), das im MT mittels der direkten Anrede Hiobs in der 2. P. Sg. (‫)יָ ַד ְע ָּת‬ vorliegt, im griechischen Text nur von ferne an. In einer Kultur, in der Erkenntnis wesentlich erfahrungsbezogen ist, steigt mit zunehmendem Alter der Grad an Weisheit.55 Doch abgesehen davon, dass Erkenntnis auch immer verloren geht (vgl. Pred 1,11.16–17; 2,16), reicht kein Menschheitswissen an die Anfänge zurück. Diese sind allein Gott als dem Herrn von Zeit und Ewigkeit bekannt (vgl. Ps 90,2.10; Sir 18,8–10) – das weiß an sich auch Hiob, doch wird es ihm hier nochmals vor Augen geführt. Er muss offenbar (wieder) lernen, so schwer das in seiner Situation auch ist, seine Zeit ins Verhältnis zur Zeit Gottes zu stellen, damit er am Ende sagen kann, ἐν ταῖς χερσίν σου οἱ καιροί μου (Ps LXX 30,16).56 Den Ausführungen zur grundsätzlichen Gliederung der Zeit nach Licht und Finsternis folgt ein dreigliedriger Abschnitt zu besonderen Zeiten, zum Wetter. So werden zunächst in neun Versen (V. 22–30), von denen zwei aus Theodotion nachgetragen sind (V. 26–27), meteorologische Erscheinungen wie Schnee, Hagel, Reif, Wind, Regen, Stürme und Eis behandelt. Schnee (χιών) und Hagel (χάλαζα) werden hier als in Schatzkammern (θησαυροί) aufbewahrt gedacht, die Gott jeweils zu bestimmten Zeiten leert (V. 22).57 Sie erscheinen nicht nur als natürliche Größen,58 sondern hinsichtlich ihrer zerstörerischen Kraft auch als Mittel des richtenden und kriegerischen Gottes (V. 23).59 Wie die Septuaginta im Gegensatz zum MT ausdrücklich vermerkt, setzt Gott diese Mittel für 53 Vgl.

Hi 7,9; 14,13; 17,13–16; 26,6. theog. 745–757. 55 Vgl. Hi 8,8–13; 15,9; 32,6. 56 Vgl. Ps 90,12; Hi 1,21. 57 Vgl. Ps 33 (32),7; Sir 39,30; 43,14. 58 Vgl. Ps 147,16–17; 37,6; Sir 43,17–18; Jub 2,2; Hom., Il. 12, 278–286. 59 Vgl. Ex 9,13–35; Jos 10,11; Ps 18,13–14; Sir 39,28–31; 43,13–17; SapSal 16,16; Jes 28,17; 30,30; Ez 13,13; Hag 2,17. TgHi 38,23 identifiziert diesen Tag der Schlacht dann vor dem Hintergrund von Ex 9,13–35 midraschartig mit dem Krieg des Pharao und der Ägypter (vgl. TgHi 5,12–13). 54 Hesiod,

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Hiob ein. Zugleich wird mit dem ἡμέρα πολέμου καὶ μάχης (V. 23) die urgeschichtliche und kosmologische Beschreibung um den Aspekt der Geschichte erweitert.60 Unmittelbar mit dem Phänomen von Schnee und Hagel sind die Erscheinungen von Reif (πάχνη) und Wind (νότος) verbunden (V. 24).61 Dabei zeigt sich ein charakteristischer Zug der Septuaginta: Während der MT entsprechend der syrisch-palästinischen Landschaft von einem Trockenheit bringenden Ostwind (‫)ק ִדים‬ ָ spricht,62 erwähnt die Septuaginta den stürmischen Südwestwind (νότος), der Nässe mit sich führt und an der Syrte mit Dünensand gesättigt ist.63 Damit fügt sich in der Septuaginta die Beschreibung heftigen Regens in V. 25 nicht kontrastiv, wie im MT, sondern komplementär an. Die in V. 26–27 folgende Beschreibung des Regens im MT fehlt dann im ursprünglichen griechischen Text. Möglicherweise hat sie der Übersetzer als redundant empfunden. Jedenfalls steht im griechischen Text, genau wie im MT, im Zentrum der Fragen an Hiob der Gedanke, dass auch für Gewitter und schwere Regengüsse sowie für Frost, Kälte und weite Eisflächen kein anderer als Gott verantwortlich ist (V. 25–30*).64 Spielerisch kommen Motive aus der Mythologie des Wettergotts zum Einsatz (V. 25, vgl. Ps 29 [28],3–9). Im Gegensatz zum MT werden diese aber nicht durch eine rationalisierende Tendenz flankiert, vielmehr erscheint der Gott Israels mythopoetisch als der einzige wahre Vater des Regens (V. 28), ganz ähnlich können pagane Dichter von Zeus reden.65 In meteorologisch nachvollziehbarer Weise schließt sich an die Darstellung der Niederschläge und des Frosts ein Abschnitt zu den Gestirnen an (V. 31–33). Von der „Tiefe“ (ἄβυσσος, V. 30) 66 geht der Blick noch einmal zum Himmel (vgl. V. 7) und thematisiert die Plejaden und den Orion (V. 31).67 V. 32, der im Old Greek fehlte, möglicherweise weil der Übersetzer das hebräische Wort

60 Vgl. Hos 10,14; Am 1,14; Zeph 1,15; Sach 14,3; Ps 78 (77),9, aber auch inschriftlich, bezogen auf Baal und El in den Inschriften von Kuntillet ‛Aǧrūd (KAgr (9),7, in: HAE I, 59). Zu einem eschatologischen Gebrauch dieser Wendungen siehe Dan 12,1 bzw. 1QM I,11–12; VII,6; XIII,14; XV,12. 61 Vgl. Hi 37,6; Ps 148,8; Sir 43,16–20. 62 Vgl. Gen 41,6; Ez 17,10; 19,12; Hos 13,15; Jon 4,8. 63 Zur Übersetzung von ‫ קדים‬mit νότος siehe auch Ex 10,13; 14,21 und Ps 78 (77),26. 64 Vgl. Ps 104 (103),13; 147,8.17; Sir 43,20; Jub 2,2. 65 Vgl. allgemein zur Güte des Zeus als Vater: Aratos, phain. 15; Kallimachos, In Iovem 94; Kleanthes, In Iovem 34. Belege für Zeus als Vater des Regens bieten z. B. Homer, Il. 12, 25; 14, 345–351; Herodot, hist. II, 13,3. In der babylon. Mythologie ist Marduk der Herr der Winde und des Regensturms (vgl. Enuma Elisch V, 50–52 [Lambert: Creation Myths, 100–­ 101]). 66 Die griechischen Manuskripte bieten die Lesart ἀσεβοῦς (vgl. La: impii), die wohl auf einen Fehler im Überlieferungsprozess zurückgehen (vgl. Ziegler: Iob, 388). 67 Vgl. Hi 9,9; Jes LXX 13,10; Am 5,8.

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‫ מזרות‬nicht kannte (vgl. 2 Kön LXX 23,5),68 trägt die Venus (ἕσπερος) nach.69 Diese Sternbilder wurden im Alten Orient und in der Antike in einem engen kausalen Zusammenhang mit dem Wetter betrachtet. Die Plejaden und der Orion galten als Eckpunkte des jahreszeitlichen Wechsels.70 In der babylonischen Mythologie unterstehen sie der Verfügung des Marduk, in der griechischen der des Zeus. In Hi 38 ist es allein der Gott Israels, der den Wechsel der Zeiten bestimmt und die „Wendungen des Himmels“ (τροπαὶ οὐρανοῦ) kennt.71 Doch auch wenn die Sterne Hinweise für die Landwirtschaft, für die Navigation auf See oder für die Einrichtung von Festzyklen geben und sie sich durch astronomische Beobachtungen klassifizieren lassen,72 vermag der Mensch sie letztlich ebenso wenig zu verstehen wie die Vorgänge auf der Erde. Die Passage zu den Wetterphänomenen wird mit einer erneuten Fragenreihe an Hiob zu dessen vermeintlicher Macht über die Wolken, den Regen und die Blitze beschlossen (V. 34–35). Die dichterisch personifizierten Blitze (κεραυνοί, V. 35)73 sind sowohl natürliche Erscheinungen als auch Waffen des strafenden Wettergotts, sei es Jhwh, sei es Zeus.74 Auch sie entziehen sich selbstverständlich dem Zugriff Hiobs. Die kosmische Macht Gottes zeigt sich einmal mehr darin, dass er „in Weisheit“ (σοφίᾳ)75 die Wolken zu zählen und den Himmel zur Erde zu neigen vermag (V. 37–38). Aus den kosmologisch-meteorologischen Fragen wie aus der gesamten ersten Gottesrede fällt die Frage an Hiob heraus, ob er den Frauen Weisheit 68 Siehe dazu ausführlich Albani: Sternbilder. Demnach handelt es sich bei den ‫ מזרות‬um „‚Standortgestirne( )‘, eine bestimmte Gruppe von Sternen (…), die mit ihren heliakischen Aufgängen eine Art Jahresuhr für die Landwirtschaft und das irdische Leben darstellten und die zwölf Monate des Jahres astral kennzeichneten“ (199). Auch Theodotion, aus dem V. 32 in der LXX stammt, transkribiert einfach. 69 Vgl. Hi 9,9; Parmenides, frgm. 40a; Platon, leg. 821c. Hi MT 38,32 nennt den ‫עיִ שׁ‬, ַ den Al­debaran, der von kleineren Sternen, den Hyaden, begleitet wird (siehe dazu Albani: Sternbilder, 204–205). 70 Siehe dazu besonders Hesiod, erg. 382–386.563–568.571–572.608–616, und Aratos, phain. 255–267, aber auch Homer, Il. 18, 483–489; Apollonios Rhod., Argon. 2, 1099; 3, 226, und Kallimachos, frgm. gram. 407,41–42. 71 Vgl. Gen 1,14–19 (vgl. Enuma Elisch V, 1–26 [(Lambert: Creation Myths, 98–99); Ps 147 (146),4; 148,6; Jes 13,10; 40,26; Jer 31,35–36; 33,25–26; PsSal 18,10–12. Mit dem Begriff τροπή verwendet der griechische Übersetzer einen meteorologischen und astronomischen terminus technicus griechischer Kosmologie, vgl. Homer, Od. 15, 404; Hesiod, erg. 479; Platon, Tim. 39d; Aristoteles, hist. an. 542b; Epikur, epistula ad Pythocles 93.3; aber auch Philon, agr. 51.5. 72 Vgl. Hesiod, erg. 382–383.571–572.608–610 bzw. Homer, Od. 5, 270–277; Apollonios Rhod., Argon. 3, 745. 73 Vgl. Sir 43,13; Bar 3,33–35. 74 Vgl. Ps 77 (76),19; 135 (134),7; SapSal 19,13; Hom., Il. 8, 133; Od. 12, 415–416; 14, 305; Hesiod, theog. 141; Pindar, N. 9,24; Aischylos, Prom. 667–668; Sophokles, Oid. T. 202; Kleanthes, In Iovem 10; u. a. 75 Vgl. Ps 104,24; Spr 3,19; Jer 10,12.

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zum Weben und Wissen zum Sticken gegeben habe (V. 36). Der Vers unterscheidet sich markant vom MT, in dem mit den Wörtern ‫ ֻטּחֹות‬und ‫ ֶשּׂ ְכוִ י‬auf zwei Vögel angespielt wird: Im MT fügen sich der ‫טּחֹות‬, ֻ der Ibis, als Künder der Nilschwemme76 und der ‫שּׂ ְכוִ י‬, ֶ der Hahn, als Zeichen für den anbrechenden Tag77 gut in den Katalog von Wetterphänomen und kosmischen Zeichen. Sie leiten schon über zu den Tierbildern im zweiten Hauptteil der ersten Gottesrede (Hi 38,41–39,30). Der griechische Übersetzer scheint die zwei seltenen hebräischen Wörter nicht gekannt zu haben. Er bietet, wie schon in V. 14, ausdrücklich ein anthropologisches Motiv innerhalb der Kosmologie: Menschliche Weisheit und Einsicht sind allein eine Gabe Gottes des Schöpfers.78 Dass nun ausgerechnet die Kunst des Webens (ὕφασμα) und des Stickens (ποικιλτικός) als Beispiel für die von Gott geschenkte Weisheit genannt werden, deutet auf ein genuin israelitisch-jüdischen Kultmotiv hin.79 So erscheint das Wort ὕφασμα innerhalb der Septuaginta vornehmlich im Kontext der Herstellung der Priestergewänder (vgl. Ex 28,8.17; 36,17 [39,10].29 [39,21])80. Das Wort ποικιλτικός verwendet die Septuaginta nur noch einmal im Zusammenhang des Zeltheiligtums (vgl. Ex 37,21 [23]). Die Formulierung der Begabung der Frauen mit Weisheit berührt sich eng mit der Beschreibung heiliger Gewänder und des Zeltheiligtums in Ex 35,25–26. Eine solche Eintragung kulttheologischer Elemente findet sich auch an anderen Stellen des griechischen Hiob.81 Für die Kosmologie von Hi 38 ist bedeutsam, dass – wie auch in anderen Passagen des Alten Testaments und in altorientalischen Texten – Schöp­ fung, Kosmos und Tempel eng zusammengedacht werden.82 Dem zu Beginn der Gottesrede genannten himmlischen Lobpreis der Engel (V. 7) wird am Ende der Prototyp des irdischen Heiligtums zur Seite gestellt. Dass mit dieser Eintragung das nichtisraelitische Milieu, in dem die Septuaginta eindeutig Hiob verortet,83 aufgebrochen wird, nimmt der Übersetzer in Kauf – die Fragen an Hiob zu Himmel und Erde sind ja letztlich Fragen an die zeitgenössischen 76 Der Ibis nimmt mit seinem langen Schnabel Insekten aus feuchten Böden auf und zeigt so das bevorstehende Anschwellen des Nils. Als solcher ist er das Symboltier des ägyptischen Gottes Thot (äg. Ḏḥwtj), dem Gerichtsschreiber beim Totengericht und dem Gott der Zeit. 77 Vgl. 3 Makk 5,23; Mk 14,30 par.; Theognis, elegiae I, 863–864 (Hansen); Plinius, nat. X, 46. 78 Zur Gabe von Weisheit durch Jhwh siehe Ex 31,6; 1 Kön 5,26; Spr 2,6; Pred 2,26; SapSal 7,15; 8,21; Sir 1,10; 43,33. 79 Philologisch könnte der griechische Übersetzer bei ‫ טחות‬an ‫„( טוה‬spinnen“) gedacht haben, vgl. Beer: Text, 240. Auch im paganen Bereich begegnet das Motiv göttlicher Vermittlung des Spinnens im Kontext von Schöpfung und Kosmologie (vgl. Hesiod, erg. 63–64). 80 Daneben nur noch in Ri 16,14. 81 Vgl. Hi LXX 1,5d (vgl. Lev 4,8.13–14.20); 8,20b; 20,6. 82 Vgl. Ps 24; 36; 93 und dazu Janowski: Tempel; Albani: Haus; Hartenstein: Wolkendunkel. 83 Vgl. Hi 1,1 und den Appendix der Septuaginta in 42,17b, dem zufolge Hiob in der Au­ sitis an den Grenzen von Idumäa und Arabien lebte.

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Leser des Buches. Im rabbinischen Targum zum Buch Hiob begegnen vielfach solche „Anachronismen“,84 die aber auch schon in der Hebräischen Bibel nachweisbar sind – man denke nur an die Unterscheidung der reinen und unreinen Tiere in der Sintfluterzählung (Gen 7,2–3.8; 8,20) oder an die Anspielung auf den Jerusalemer Hohenpriester in Gen 14,18–22. 2.2 Klassifikation der Unterschiede zwischen Hiob 38 in der Septuaginta und im MT Blickt man abschließend noch einmal auf die Differenzen zwischen Hi 38 in der Septuaginta und im MT zurück, so lassen sich diese dreifach klassifizieren. Erstens zeigen sich mikro- und makrotextliche „Überschüsse“ im griechischen Text, mittels derer einzelne poetische Einheiten stilistisch stärker aufeinander abgestimmt und einzelne Abschnitte des Buches kompositionell enger aufeinander bezogen sind.85 Zweitens finden sich punktuelle „Auslassungen“ von einzelnen Kola oder Wörtern, die der Übersetzer offenbar als redundant angesehen (so V. 26–27) oder nicht verstanden hat (so V. 32).86 Drittens begegnen sachliche Unterschiede. Diese betreffen: (1) die Hervorhebung des Theophanie- und Offenbarungscharakters der Gottesrede (vgl. V. 1.34.37); (2) die weitergehende Relativierung menschlicher Macht bei gleichzeitiger Steigerung der Allmacht und des Allwissens Gottes (vgl. V. 2.21.38), dabei ist das Verhältnis zwischen Gott und Hiob intensiviert;87 (3) die Betonung des göttlichen Ichs als Schöpfer (vgl. V. 7.8a.12.38); (4) die ausdrückliche Erwähnung der Erschaffung des Menschen (V. 14), wodurch die Thematik des göttlichen Gerichtshandelns an den Frevlern (V. 13.15) kontextuell verankert und die Kosmologie von Hi 38 anthropologisch vertieft wird; (5) die besondere Betonung der Gabe der Weisheit an die Weberfrauen in V. 36, wodurch in Anspielung auf ExLXX 28, 35 und 37 ein kultisches Motiv begegnet und der auch sonst im Alten Testament und im Alten Orient zu beobachtende Zusammenhang von Kosmologie und Tempeltheologie herausgestellt wird. Die genannten Differenzen lassen sich teilweise auf ein anderes Verständnis einer unpunktierten hebräischen Vorlage zurückführen, teilweise auf eine sich von der des MT unterscheidende Vorlage, teilweise auf eine bewusste Modi84 So erwähnt TgHi beispielsweise explizit die Torah (3,16–17; 5,7; 11,8; 22,22; 24,13), nennt den Garten Eden (28,6; 38,18), die Sintflut (4,8; 6,17; 22,17; 24,2) sowie die Patriarchen (3,19; 4,7; 5,17; 14,18; 15,10; 30,19; 32,2) und spielt auf das Land oder die Geschichte Israels an (3,5; 4,18; 5,10.12; 18,17; 38,13), siehe dazu Mangan: Targum, 15–16; Witte: Vä­ter Israels, 172–184. 85 Vgl. V. 2b.17b. 86 Dabei ist das Maß der „Auslassungen“ in Hi 38 im Vergleich zu den „Auslassungen“ im gesamten Buch Hiob, zumal in den Kapitel 31–42, unterdurchschnittlich. 87 Siehe dazu die über den MT hinausgehenden Personalpronomina in V. 2.4b.12.18b.­20. 21.23 sowie die über den MT hinausgehende Kontrastierung des möglichen Handelns Hiobs und des wirklichen Handelns Gottes in V. 12a.14.15.20.34a.

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fikation. Durchgehend haben sie eine eigene sachliche Bedeutung und profilieren die Kosmologie von Hi 38 in seiner griechischen Übersetzung. Sie markieren die fortschreitende Vermittlung altorientalischer Vorstellungen in den griechisch-hellenistischen Raum.88

3. Die griechische Version von Hi 38 in ihren literaturgeschichtlichen Kontexten Das griechische Buch Hiob hat, wie die anderen Bücher der Septuaginta und wie in der Einleitung angesprochen, neben seiner motiv- und traditionsgeschichtlichen Verankerung im Alten Orient und im Alten Ägypten drei literatur- und traditionsgeschichtliche Kontexte: erstens das gesamte frühjüdische Schrifttum, einschließlich der Septuaginta selbst, zweitens die sich aus diesem ergebenden frühchristlichen Schriften und drittens die pagane griechische Li­ teratur. Denn mit der Übersetzung ins Griechische sind die jüdischen Schriften Teil der griechischen Literaturgeschichte geworden. Bezogen auf die hier skizzierte Kosmologie von Hi 38 heißt das, dass nach Bezügen zu jüdischen Schriften der hellenistisch-römischen Zeit, zum Neuen Testament und zu paganen Autoren zu fragen ist. Dieser Frage soll im Folgenden kurz an ausgewählten Beispielen nachgegangen werden. Dabei unterscheide ich zwischen expliziten Bezugnahmen und möglichen impliziten Bezügen innerhalb des Corpus der Septuaginta und schließe mit einem intertextuellen Gedankenspiel. 3.1 Zwei Beispiele für explizite Bezugnahmen Im Testament Hiobs, einer breit angelegten Nachdichtung des Buchs Hiob, die überwiegend als Lebensrückblick Hiobs gestaltet ist, der über sein Leiden völlig erhaben ist und sich der Auferweckung bewusst ist,89 wird zweimal ausdrücklich aus der ersten Gottesrede zitiert und einmal auf ein Motiv aus ihr angespielt. In TestHiob 42,1 wird die Überschrift der ersten Gottesrede in der Langform der Septuaginta aufgenommen. Dabei wird, über Hi 38,1 hinausgehend, die Gottesrede ausdrücklich als eine Theophanie bezeichnet (ἀνα­ φαίνειν) und vermerkt, dass auch die Freunde Hiobs die Stimme Gottes hörten. In TestHiob 47,5 wird das Motiv, dass sich Hiob zur Begegnung mit Gott gürten solle (ζωννύειν / ζωννύναι), midraschartig ausgebaut. So erhält Hiob im Zusammenhang seiner Heilung durch Gott drei Gürtel, die als φυλακτέρια schützen und die eine besondere Erkenntnis, zum Beispiel der Engel, verleihen (TestHiob 47,11). Das Motiv erinnert an die Investitur Josuas mit dem Gürtel des Moses, der besonderes Wissen verleiht, bei Pseudo-Philon (LAB 20,2). Hi 38,3 erscheint vor diesem Hintergrund nicht als ironische Herausforderung 88 Siehe 89 Vgl.

dazu Keel: Weltbilder. TestHiob 4,9–11.

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Hiobs zum Kampf, sondern als ein Ritus der wunderbaren Verwandlung: „denn Schmerz konnte ihn nicht mehr ergreifen wegen des wunderwirkenden Gurtes, mit dem er sich umgürtet hatte“ (TestHiob 52,1).90 In TestHiob 43,5–6 wird das Motiv des Entzugs des Lichts der Frevler (Hi 38,13.15) namentlich auf Elihu / Elius angewendet. Dieser wird im TestHiob – im Gegensatz zum MT und zur Septuaginta – eindeutig negativ und als Werkzeug des Satans an­ gesehen, aus dem „kein Mensch, sondern ein Tier spricht“ (TestHiob 42,2, vgl. TestHiob 41,5; 43,17). Daher werden die „Türhüter (θυρωροί) der Finsternis“ Eli­hu / Elius beerben (TestHiob 43,5). Der Hades, der in Hi 38,17 neutral als ein Raum im Kosmos beschrieben wird, ist im TestHiob ein Strafort der Gottlosen,91 während die Seele der Gerechten, wie Hiob, in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen werden (vgl. TestHiob 52,6–10). Der eigentliche kosmologische Inhalt der ersten Gottesrede wird im TestHiob nicht mitgeteilt. Es wird lediglich, in Verbindung mit Hi 42,12, resümiert, dass Gott machtvoll mit Hiob sprach und ihm Vergangenheit und Zukunft (τὰ γένομενα καὶ τὰ μέλλοντα) offenbarte (TestHiob 47,9). Hiob wird damit – noch sehr viel deutlicher als in Hi 38 LXX – zu einem Offenbarungsempfänger wie Mose im Buch der Jubiläen: „Und Moses war auf dem Berge 40 Tage und 40 Nächte, und Gott zeigt ihm die frühere und die künftige Geschichte von der Einteilung aller Tage des Gesetzes und des Zeugnisses“ (Jub 1,4).92 Der Offenbarungscharakter von Hi 38 LXX wird damit besonders hervorgehoben. An die Stelle der Kosmologie im biblischen Buch Hiob ist im pseudepigraphen TestHiob mittels der Erzählung von der wunderbaren Heilung eines Märtyrers eine explizite Soteriologie getreten, neben der Schilderung der Schöpfung und ihrer Erhaltung steht nun das Wunder der Neuschöpfung. Im Neuen Testament wird nicht eindeutig auf die erste Gottesrede rekurriert. Allerdings spielt Hi 38,17, unter anderem in Verbindung mit Apk 1,18, wonach Jesus Christus die „Schlüssel des Todes und des Hades“ (κλεῖς τοῦ θανάτου καὶ τοῦ ᾅδου) besitzt, in der altkirchlichen Exegese eine wichtige Rolle bei der Begründung des dogmatischen Topos der Hadesfahrt Christi.93 Im Kontext einer auf das Alte und das Neue Testament bezogenen christologischen Exegese erscheint Jesus Christus als die Figur, die im Gegensatz zu Hiob bis zu den „Toren des Todes“ hinabgestiegen ist und nun die Macht über Leben und Tod 90 Übersetzung

von Schaller: JSHRZ III / 3, 371. 1 Hen 63,10; 2 Hen 10; 40,12–42,2; PsSal 14,6; 15,11; SapSal 2,1; 17,14; 3 Bar 4; Philon, somn. I, 151; Josephus, bell. III, 375; Lk 16,23; 1 Petr 3,19. Siehe dazu Jeremias: ᾅδης. 92 Übersetzung von Littmann: Jubiläen, 39; vgl. Schaller: JSHRZ III / 3, 368. 93 Vgl. Symbolum Apostolicum (DH 16; 17). Zu weiteren neutestamentlichen Voraussetzungen und Bezugsstellen gehören Mk 16,1–2; 1 Kor 15,4; Apk 9,1; 20,1–3.14. Mt 16,18 bietet die mit Hi LXX 38,17 vergleichbare Wendung πύλαι ᾅδου, die aber auch in anderen frühjüdischen Texten (und vielen antiken Texten, s. o. Anm. 45) begegnet, so dass kein eindeutiges Indiz für eine direkte Bezugnahme auf Hi 38,17 vorliegt (vgl. Jes LXX 38,10; 3 Makk 5,51; SapSal 16,13; PsSal 16,2). 91 Vgl.

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hat. Wie in der altkirchlichen Exegese der leidende Hiob als Paradigma Christi verstanden werden kann,94 wird damit auch der Hiob der ersten Gottesrede zu einem Prototyp Christi, vor dem sich gemäß dem Evangelium des Nikodemos selbst der Hades fürchtet (EvNik 20,2). Damit begegnet ein Stück alttestamentlicher Kosmologie im Gewand der Christologie.95 3.2 Zwei Beispiele für mögliche implizite Bezugnahmen im Corpus der Septuaginta Den in materialer und tendenzieller Hinsicht nächsten biblischen Verwandten zu Hi 38 bildet der hier schon mehrfach angesprochene Hymnus auf Gottes Schöpfungswerke in Sir 42,15–43,33. Zu beinahe jedem Vers lassen sich Parallelen aus Hi 38 nennen. Wie in Hi 38 in der griechischen Version werden Kosmologie und Anthropologie eng zusammengesehen (vgl. Sir 42,18; 43,24.33). Im Gegensatz zu Hi 38 werden der Sonne und dem Mond breiter Raum eingeräumt, während die Unterwelt nicht thematisiert wird. Die wichtigste formale Differenz markiert die Gestaltung von Sir 42,15–43,33 als hymnenähnliche Beschreibung der Schöpfung, in der von Gott in der 3. P. Sg. gesprochen und ausdrücklich zum Gotteslob aufgerufen wird (Sir 43,28–30). Hinsichtlich der Systematik bei der Beschreibung kosmischer und meteorologischer Phänomene und seiner eindeutig auf stoische Philosophie zurückgreifenden Formulierungen96 wirkt Sir 42–43 moderner als Hi 38, hinsichtlich der hymnischen Gestaltung traditioneller und hinsichtlich der expliziten Aussagen zum Wesen Gottes theologischer. Das Eingeständnis der nur partiell möglichen Erkenntnis der Werke Gottes und Gottes selbst (42,15b; 43,27.31–33) liest sich wie ein Kommentar zu den Fragen, die Gott an Hiob stellt. Die theologische Komplexität von Hiob erreicht Sir 42–43 aber nicht: Denn im Gegensatz zu Sir 43,31 hat Hiob Gott gesehen (Hi 42,5) – die Schau Hiobs, die auch den Blick in die Abgründe Gottes einschließt, ist mehr als die Weisheit, die Ben Sira Gott den Frommen schenken lässt. Was die Dimension der Offenbarung betrifft (vgl. Sir 42,19), so berührt sich Hi 38 noch enger mit dem Gebet Salomos in SapSal 7,15–22a. Der Text bietet auf dichtestem Raum eine weisheitliche Kosmologie. Sie enthält alle wesentlichen Teile einer klassischen Kosmologie (Schöpfung, Chronologie, Astronomie, Meteorologie, Zoologie und Pharmakologie). Ihr erkenntnistheoretisches Zentrum ist die Antwort auf die göttlichen Fragen an Hiob in Hi 38: Gott selbst hat Pseudo-Salomo untrügliche Erkenntnis (γνῶσις) des Seins, des Aufbaus des Kosmos und der Wirkkraft der Elemente, des Verborgenen und des Offenbaren geschenkt – mittels der σοφία (SapSal 7,17.22a). Unmythologisch 94 Vgl. Origenes, Comm. in Matt. XIII,8 (PG 13, 1113, 17–18); Severian, In Iob (PG 56, 578, 22). 95 Siehe dazu ausführlich Gounelle: Frémissement. 96 Vgl. Sir 42,23–25; 43,27.

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und stark von paganer Philosophie geprägt, wird hier der Weisheit als τεχνῖτις (SapSal 7,22a, vgl. 8,6; 14,2) fast die kosmische Rolle zugewiesen, die in Hi 38 Gott selbst hat. Gerade im Vergleich mit Sap 7 erweist sich Hi 38 trotz seiner mythologischen Einschläge, die auch in der griechischen Übersetzung vorhanden sind, als eine strikt „monotheistische“ Kosmologie. 3.3 Ein intertextuelles Gedankenspiel als Abschluss Hinsichtlich seiner dialogischen Struktur und seiner an Erscheinungen des Zeus erinnernden Abschlusstheophanie,97 seiner Mischung und Verfremdung unterschiedlicher Gattungen und Traditionen, aber auch der in ihm verhandelten Thematik, steht das Buch Hiob mindestens in seiner griechischen Gestalt neben den klassischen Tragödien – das ist bekanntlich schon einzelnen Kirchenvätern aufgefallen.98 Die nur im griechischen Text von Hi 38 vorhandene rhetorische Frage an Hiob, ob er ein Lebewesen aus Ton geformt habe (V. 14), mag vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Mythe von der Erschaffung des Menschen durch Prometheus zur dieser Einschätzung beigetragen haben.99 Bezogen auf die in Hi 38 vorliegende Kosmologie mit ihren vielfältigen doxologischen, epistemologischen, mythischen und naturkundlichen Elementen leistet das griechische Buch Hiob einen selbstständigen Beitrag zu dem vielfältigen kosmologischen Diskurs der paganen hellenistischen Welt. Bisher gibt es keine Belege dafür, dass das Buch Hiob in seiner Zeit von Nichtjuden gelesen wurde. Dennoch konnte ein gebildeter paganer Leser, der mit den Reflexionen der ionischen Naturphilosophen und dem kosmologischen Standardtext der klassischen Antike, Platons Timaios, vertraut war, sicher gut den engen Zusammenhang von Theologie und Kosmologie in Hi 38 nachvollziehen.100 Die Betonung der Fürsorge des Schöpfers für den gesamten Kosmos, die sich trotz aller der Dramaturgie des Buches Hiob geschuldeten Ironie und Polemik durch Hi 38 zieht, und die theozentrische Verknüpfung von Ätiologie, Kausalität und Teleologie der ersten Gottesrede korreliert mit der Überzeugung von der grundlegenden Güte und Vorsehung (πρόνοια) des platonischen Demiourgen (Tim. 28c–29a; 29e–30c). Die Relativierung menschlicher Einsicht in die kosmologischen Zusammenhänge, die sich aus dem Auftakt der ersten 97 Vgl.

37.

98 Vgl.

Homer, Il. 16, 364–365 u. v. a.; Aischylos, Prom. 1080–1093. Theodor von Mopsuestia, In Jobum (PG 66, 697–698), siehe dazu Witte: Gattung,

99 Vgl. Aesop, fab. 229, 1; Kallimachos, fragmenta incertae sedis 493,1–2; Flavius Philostratus, De gymnas­tica 16, 14–15; Cornutus, nat. deor. 18,1 (Busch / Zangenberg: 102– 103). Zu modernen Ge­genüberstellungen des Buchs Hiob und Aischylos’ Prometheus siehe Witte: Väter Israels, 188–189 (mit Anm. 82). 100 Siehe besonders die Anrufung der Götter, die den eigentlichen kosmologischen Ausführungen vorgeschaltet ist (Tim. 27b–d), deren Wiederaufnahme zu Beginn des zweiten, auf die Kausalität (ἀνάγκη) bezogenen Hauptteils (Tim. 48d) und die den Dialog beschließende Doxologie (Tim. 92c).

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Gottesrede und aus ihren rhetorischen Fragen ergibt, dürfte dem Kenner des Ti­maios, dessen Darlegungen durchgehend als eine wahrscheinliche Aussage (εἰκώς μῦθος / εἰκότες λόγοι) charakterisiert werden (Tim. 29d; 48d), ebenso einleuchten wie die Integration mythologischer Motive in eine naturwissenschaftlich anmutende Darstellung von meteorologischen und astralen Phänomenen und die Thematisierung der Erschaffung des Menschen, die im Timaios einen sehr breiten Raum einnimmt (Tim. 41e–47e).101 Wenn ein gebildeter Grieche des 2. oder 1. Jahrhundert v. Chr. auch die Phai­ nomena des Aratos von Soloi kannte, was angesichts der Tatsache, dass diese bereits in der ersten Hälfte des 2. Jahrhundert v. Chr. als Schultext gebraucht wurden,102 nicht unwahrscheinlich ist, so wird er in Hi 38 noch mehr Bekanntes entdeckt haben, zumal es umgekehrt Indizien dafür gibt, dass die Übersetzer des griechischen Buches Hiob selbst Aratos gelesen hatten. So zeigt gerade der Blick in die Phainomena die Interdependenz altorientalischer und paganer hellenistischer Kosmologien. Von Aratos’ Lobpreis auf Zeus als dem menschenfreundlichen Vater herkommend und mit der stoischen Idee von der das All durchdringenden göttlichen Weisheit vertraut,103 wird er die auf die Erhaltung der Welt zielenden Selbstprädikationen des Gottes Hiobs verstanden haben. Die Beschreibung der Wetterphänomene in Hi 38 wird ihn an den zweiten Hauptteil der Phainomena, die Meteorologie ( phain. 733–1154), erinnert haben. Der kleine Ausblick auf die Plejaden und den Orion in Hi 38,31 mag ihm wie ein Exzerpt aus den ausführlichen Beschreibungen der Gestirne im ersten Hauptteil von Arats Lehrgedicht vorgekommen sein ( phain. 415– 732) 104. Der mythische Exkurs über den Rückzug der Dike könnte ihn für den Zusammenhang von Schöpfung und Recht in Hi 38 sensibilisiert haben ( phain. 96–136).105 Vielleicht könnte der pagane Leser Ausführungen zur Theogonie oder zu göttlichen Genealogien vermisst haben, wie sie sich bei Platon und Ara­tos106 – ganz zu schweigen von dessen großem Vorbild, Hesiod – finden. Aber die aus Hi 38 sprechende Relativität menschlicher Einsicht in kosmische Zusammenhänge, wie sie ausdrücklich in dem oben zitierten Summarium des Schöpfungshymnus Ben Siras formuliert wird (Sir 43,27.31), wird ihm 101 Dazu kommt die ausführliche Beschreibung der sinnlichen Wahrnehmung, der mensch­ lichen Seele und des Körpers mit seinen Organen sowie die Differenzierung der Geschlechter (Tim. 61c–68e; 69c–91d). 102 Vgl. P. Hamb. 121 (zitiert bei Fantuzzi: Aratos, 960); zur besonderen Wertschätzung des Werks von Aratos bei hellenistischen und römischen Autoren sowie im frühen Christentum und in der Alten Kirche siehe – neben dem Zitat aus phain. 5 in Aristobulos, frgm. 4,6 (nach Eusebius, Pr. Ev. XIII, 12,6; DenisFragmenta, 223; JSHRZ III / 2, 275; OTP II, 841) und in Apg 17,28 – Fantuzzi: Aratos. 103 Vgl. Aratos, phain. 1–18.96–136.758–772. 104 Vgl. Hesiod, theog. 383–387; erg. 608–616. 105 Auch bei Parmenides spielt Dike eine wichtige Rolle bei der Vermittlung kosmologischer Erkenntnis (Mansfeld: Vorsokratiker, I, 312–313). 106 Vgl. Platon, Tim. 40d–41b; Aratos, phain. 15–16.97–99.179–180.

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aus der Lektüre des Timaios und der Phainomena wohlbekannt vorgekommen sein: „Denn noch wissen wir Menschen nicht alles von Zeus, sondern vieles ist uns noch verborgen“ ( phain. 768–770). Eine solche Erkenntnis ist typisch für antike Kosmologie, für jüdische wie für nichtjüdische. Ihr Gegenüber ist die Doxologie, das gilt für die biblischen Psalmen ebenso wie für Platons Timaios, Aratos’ Phainomena oder den biblischen Hiob, der am Ende sagt: „Ich weiß, dass Du alles kannst und dass Dir nichts unmöglich ist“ (Hi LXX 42,2).

Beobachtungen zur Bedeutung und Funktion der Begriffe σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob The deliverance of humanity by God and the salvation given to humanity by God are among the central themes of biblical theology. This article shows the special theological profile of the book of Job in the Septuagint by the example of the terms “deliverance / salvation” (ἡ σω­τηρία) and “save” (σῴζειν). Both the presumed Hebrew Vorlage of the Greek book of Job and the specific techniques of its Greek translation are taken into account as well as its literary- and tradition-historical contexts. Specifically, the following texts of the Greek book of Job are analysed: Job 2:9a–e; 5:3–5; 6:22–23; 11:20; 13:15–16; 27:6–8; 30:15; 35:7–14*; 40:6–14; and 42:2–6*. Finally, the “soteriology” of the early Jewish Testament of Job is examined and parallels between the Greek book of Job and the New Testament are pointed out.

1. Vorbemerkung zum Buch Hiob in der Septuaginta1 In seiner 53. Homilie über die Genesis bezeichnet Johannes Chrysostomos (344 / 349–407 n. Chr.) Hiob als eine σωτηρίας ὑπόθεσις.2 Die Klassifikation beruht auf einer Auslegung von Ez 14,14 und listet daher neben Hiob auch Noah und Daniel auf, die aufgrund ihrer Gerechtigkeit aus einer Notsituation gerettet wurden. Unabhängig von der Bestimmung des traditions- und literaturgeschichtlichen Verhältnisses zwischen Ez 14 und dem Buch Hiob provoziert die von Chrysostomos vorgenommene Charakterisierung die Frage, was im Buch Hiob selbst unter σωτηρία zu verstehen ist. Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht das griechische Buch Hiob, zum einen, weil sich Chrysostomos – wie alle griechischsprachigen Väter der Ostkirche – auf dieses bezieht, zum anderen, weil das Neue Testament dort, wo es einen Text der heiligen Schriften Israels zitiert oder auf einen solchen mehr oder weniger wörtlich anspielt, auf eine griechische Textfassung zurückgreift.3 Der von den östlichen Kirchenvätern und dem Neuen Testament 1 Sämtliche in diesem Beitrag angegebenen Stellen aus dem Buch Hiob beziehen sich, sofern nicht anders vermerkt, auf die LXX. Ebenso folgt in diesem Beitrag die Schreibweise der Personen- und Ortsnamen im Buch Hiob der LXX. 2 Johannes Chrysostomos, In Genesim (PG 54, 397,17–18). 3 Gesicherte Zitate oder Entlehnungen aus dem bzw. einem griechischen Buch Hiob finden sich in Röm 11,35 (vgl. Hi 41,3), in 1 Kor 3,19 (vgl. Hi 5,12–13) und in Phil 1,19 (vgl.

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Σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob

gebrauchte Text ist in vielen Fällen zwar nicht mit dem in der Septuaginta überlieferten identisch, steht diesem bzw. einer seiner Vorformen aber sehr viel näher als dem in der Hebräischen Bibel tradierten. Nun unterscheidet sich das in der griechischen Bibel tradierte Buch Hiob vielfach von dem der Hebräischen Bibel. Es ist in seiner mutmaßlich ältesten Fassung, dem Old Greek (OG), insgesamt nicht nur etwa ein Sechstel kürzer als das masoretische Buch.4 Es weist auch neben zwei substantiellen Überschüssen gegenüber diesem, einerseits eine lange Rede der Frau Hiobs in 2,9a–e, andererseits eine Genealogie Hiobs in 42,17b–e,5 wesentliche Unterschiede in der Profilierung Hiobs, im Gottesverständnis und in der Eschatologie auf. So erhält beispielsweise Hiob bereits in der Vorstellung in 1,1 den Titel eines δίκαιος – ein Attribut, das er im gesamten masoretischen Buch nicht trägt (auch nicht in 32,2).6 Gott wird auch im Hauptteil des Buches, den Reden zwischen Hiob und seinen Freunden, als κύριος („Herr“) und als παντοκράτωρ („Allherrscher“) bezeichnet.7 Dadurch erscheinen die Antagonisten durchgehend als Verehrer des einen Gottes Israels. Das an die priesterschriftliche Vorstellung einer gestuften Offenbarung von Gott, zunächst als ‫אלהים‬, dann als ‫ שדי‬und schließlich als ‫( יהוה‬vgl. Gen 17,1; Ex 6,2–3), angelehnte Offenbarungskonzept ist damit aufgebrochen. Das Schicksal Hiobs ist ausdrücklich und vollständig in die alles umfassende Herrschaft des einen gerechten Schöpfergottes eingebunden. Schließlich ist durch die gegenüber dem MT überzählige Notiz, dass Hiob zu denen gehören werde, die der Herr auferstehen lässt (42,17a), eine eschatologische Lösung des Problems, dass gerade der Gerechte leidet, angedeutet.8 Der von Origenes (184–253 Hi 13,16), siehe dazu auch Schaller: Textcharakter, 21–26; Herzer: Jakobus, 331; Sigismund: Textform. 4 Siehe dazu ausführlich die Monographie von Gorea: Job. 5 In beiden Fällen dürfte es sich um frühe Zusätze (unterschiedlicher Herkunft) zum OG handeln; zu ihrer Herkunft siehe Witte: Job / Ijob / Hiob, 415–417, und Cox: Text, 5–7. Cook beurteilt 2,9a–e und 42,17b–e als originäre Zusätze des ursprünglichen Übersetzers und hält nur 42,17a für einen Nachtrag zum OG (Cook: Additions, 275–284; ders.: Search, 213–232). 6 Die einzige Ausnahme könnte der späte Zusatz in HiMT 12,4b sein, wenn sich hinter dem ‫ צדיק תמים‬indirekt Hiob verbirgt (vgl. zu dieser Bezeichnung Gen 6,9 [Noah!]). Im OG, in dem 12,4 verkürzt erscheint, ist die Anspielung auf Hiob deutlicher (δίκαιος γὰρ ἀνὴρ καὶ ἄμεμπτος ἐγενήθη); die von den Minuskeln 336 und 644 (korrigiert) gebotene Lesart ἐγεννήθην ist textgeschichtlich sicher sekundär, bezieht die Aussage dann aber eindeutig auf Hiob (vgl. auch den Codex Alexandrinus sowie die Minuskeln 406 und 575 [ἐγενόμην] und Hi LXX 10,15; 13,18). Zu „Gerechtigkeit“ als Leitmotiv des griechischen Buches Hiob siehe Karrer: Job, 66–89. 7 Siehe dazu Witte: El Shaddai, 7–27. 8 Die Notiz in Hi 42,17a dürfte eine vororigenistische Ergänzung sein (vgl. Anm. 5), da der OG sonst, wie der MT, keine explizite Auferstehungsvorstellung aufweist. Allerdings finden sich schon im hebräischen Buch Hiob eschatologische Glossen (14,12aβ; 19,28–29; 29,18–20; 31,11–12.28), welche die Vorstellung eines jenseitigen Gerichts eintragen, die im griechischen Text dann noch deutlicher aufscheint. Zur Diskussion siehe Orlinsky: Studies 1961, 241–249; Schnocks: Rettung, 43–53; Cimosa / Bonney: Hope, 697–701; Kar-

Σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob

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n. Chr.) mittels einer Auffüllung des OG aus der Übersetzung des Theodotion erstellte „kirchliche Text“ gleicht zumindest vom Umfang dem MT, bewahrt aber die grundsätzliche Tendenz des griechischen Textes.

2. Eine „soteriologische“ Lektüre des griechischen Buches Hiob Das besondere Profil des griechischen Buches Hiob zeigt sich auch hinsichtlich der Verwendung der Begriffe σωτηρία und σῴζειν. Der OG bietet sechsmal den Begriff σωτηρία 9 und zehnmal den Begriff σῴζειν10. Berücksichtigt man die asterisierten, aus Theodotion stammenden Verse, so kommen ein Beleg für σωτηρία und drei für σῴζειν hinzu.11 Nimmt man mangels eines anderen hebräischen Textes den Konsonantenbestand des MT als Referenztext einer mutmaßlichen Vorlage des OG, so erscheinen σωτηρία und σῴζειν zumeist als Übersetzung für die Wurzel ‫( ישע‬5,4; 13,16; 22,29*; 30,15; [30,22*]; 40,14) oder für die Wurzel ‫( מלט‬1,15.16.17.19; 6,23; 20,20b*) sowie je einmal als Äquivalent zu ‫( שלו‬20,20a), ‫( שריד‬18,19), ‫( ברח‬20,24) und ‫( פדה‬33,28*). Daneben stehen die Stellen, an denen sich im MT kein entsprechendes Gegenüber aus dem Wortfeld „retten“ findet (Hi 2,9a; [11,20, MT: ‫„ מנוס‬Zuflucht“]; 27,8; 35,14). Das griechische Buch Hiob weist damit auf sprachlicher Ebene eine höhere Kohärenz auf als das masoretische. Das aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. stammende Targum zum Buch Hiob aus Höhle 11 in Qumran (11QTgHi), das sich punktuell immer wieder mit dem OG gegen den MT überschneidet, hat, soweit angesichts des nur fragmentarisch erhaltenen Textes gesagt werden kann, nicht die Tendenz des OG zur Vereinheitlichung von Rettungsaussagen.12 Eine kursorische Lektüre der Belege für σωτηρία und σῴζειν kann deren spezifische Bedeutung und Funktion innerhalb des OG verdeutlichen. Dabei soll in diesem Beitrag nicht die Technik des Übersetzers oder sein Verhältnis zu seiner hebräischen Vorlage im Mittelpunkt stehen,13 sondern das griechische Buch Hiob als ein eigenständiges Werk, näherhin die Frage, was der Übersetzer und seine ursprüngliche Leserschaft unter σωτηρία und σῴζειν verstanden haben. rer: Job, 84–86; Ausloos: Man (mit der These, Joh 11,11 beziehe sich auf die griechische Fassung von Hi 14,12, in der V. 12b aus Th nachgetragen ist, vgl. auch Joh 11,23–24) sowie Feld­mar: Fortschreibungen. 9 Hi 2,9a; 5,4; 11,20; 13,16; 20,20a; 30,15. 10 Hi 1,15.16.17.19; 6,23; 18,19; 20,24; 27,8; 35,14; 40,14. 11 Hi 30,22* bzw. 20,20b*; 22,29*; (22,30b* διασῴζειν, var. σῴζειν); 33,28*. Vgl. weiterhin noch einmal σωτηρία bei Theodotion in Hi 12,16, was von Origenes nicht in den OG eingefügt wurde, und einmal σῴζειν in der nur sehr fragmentarisch erhaltenen Übersetzung des Symmachus in Hi 34,9. 12 Zum Text siehe García Martínez u. a.: Qumran Cave 11, 79–180. 13  Siehe dazu vor allem die Arbeiten von Orlinsky: Studies 1957 / 1958 / 1959 / 1961 / 1962 / 1964 / 1965, und Heater: Translation.

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Σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob

Der stereotype Satz der vier Boten, die Hiob die Nachricht überbringen, dass seine Herden und seine Kinder ums Leben gekommen sind, während allein sie gerettet wurden (σωθείς bzw. ἐσώθην), um Hiob eben diese Botschaft zu übermitteln (1,15.16.17.19), bleibt im Bereich des allgemeinen Gebrauchs von σῴζειν zur Bezeichnung einer Rettung aus einer unmittelbaren Gefahr, aus einer konkreten Not, aus einer Krankheit oder auch vor dem Tod.14 Programmatisch ist die Verwendung des Begriffs σωτηρία innerhalb einer Rede der Frau Hiobs, die nur im griechischen Text und davon abhängig in der von Hieronymus bearbeiteten altlateinischen Fassung (La)15 vorhanden ist: (2,9) (9a) (9b) (9c) (9d) (9e)

Nachdem aber viel Zeit vorübergegangen war, sagte seine Frau zu ihm: Wie lange wirst du standhaft sein und sagen: Siehe, ich warte noch eine kleine Zeit ab und erwarte die Hoffnung auf meine Rettung (ἐλπίδα τῆς σωτηρίας)? Denn siehe, ausgelöscht ist dein Andenken von der Erde, (die) Söhne und Töchter, Geburtsschmerzen und Beschwernisse meines Schoßes, mit denen ich mich umsonst abgemüht habe mit Qualen. Und du selbst sitzt im Moder des Gewürms, und verbringst die Nacht im Freien. Und ich irre umher, und zwar als Tagelöhnerin, von Ort zu Ort und von Haus zu Haus (und) warte darauf, wann die Sonne untergehen wird, damit ich ausruhe von den Qualen und Beschwerden, die mich jetzt umfangen. Also: Sage irgendein Wort zum Herrn und stirb!16

Die in der Gräzität spätestens seit Thukydides bei Historikern, Tragikern (Euripides) und Rednern oft belegte Wendung ἐλπὶς σωτηρίας ist einmalig in der Septuaginta. Sie begegnet im Bereich des jüdischen Schrifttums aus hellenistisch-römischer Zeit nochmals als Zitat aus Hiob 2,9a im Testament Hiobs (24,1), weiterhin im griechischen Henochbuch (98,14), mehrfach bei Philon von Alexandria und bei Flavius Josephus17 sowie in frühchristlichen Schriften (1 Thess 5,8; 2 Clem 1,7).18 Der Ausdruck signalisiert zum einen die enge sachliche Verbindung von ἐλπίς (ἐλπίζειν) und σωτηρία, die sich auch durch das 14 Vgl.

in diesem Sinn auch διασῴζειν in Hi 21,10 und in 29,12. bei Sabatier: Vetus Italica I, 826–910; Lagarde: Hieronymus; Caspari: Hiob. Zu der sehr komplexen Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte von La siehe die umfassenden Studien von Trenkler: Rezensionen, 18–34.293–310, und Warns: Textvorlage, 15–152. 16 Der Übersetzung liegt hier und in allen folgenden Textbeispielen die Ausgabe von Ziegler: Iob, zugrunde (vgl. Kepper / Witte: Job (LXX.D); zu allen textlichen Fragen siehe Kepper / Witte: Job (LXX.E), 2067–2126; zur Diskussion, ob εἰς in 2,9e „zu / zum“ oder „gegen“ bedeutet, siehe ebenda, 2072). Zum Bild der Frau Hiobs siehe Witte: Frau. 17 Z. B. Philon, legat. 329; spec. III, 115; QG IV, 198; Josephus, ant. I, 327; VI, 24; XIII, 399; bell. I, 390; III, 204 u. ö. 18 Siehe dazu S. 102. Vergleichbar ist schließlich die in einigen Handschriften von 4 Makk 11,7 belegte Wendung ἐλπὶς παρὰ θεῷ σωτηρίου (vgl. Rahlfs: Septuaginta I, 1173). 15 Text

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griechische Buch Hiob zieht (vgl. 11,20; 27,8; 30,15). Zum anderen kennzeichnet er die Haltung Hiobs als eines wahren Frommen, der auch in einer aktuellen Not – und möglicherweise über diese hinaus – auf Gott vertraut (vgl. 4,6). Dieses Frömmigkeitsideal prägt die alttestamentlichen Psalmen und frühjüdische Gebete.19 Es begegnet auch im paganen Bereich: οἱ γὰρ θεὸν σέβοντες ἐλπίδας καλὰς ἔχουσιν εἰς σωτηρίας (Philemon Comic. [4. / 3. Jahrhundert v. Chr.], frgm. 181,1). Für die weitere Lektüre des Buchs ergibt sich aus der Frage der Frau, ob und wie Hiob an der Hoffnung auf Rettung festhalten wird, ob und wie sich die erhoffte Rettung verwirklicht und wie dementsprechend Rettung weitergehend bestimmt werden kann. Zunächst ist es nicht Hiob, der das Stichwort „Rettung“ aufgreift, sondern Eliphas, der Thaimaniter, der in Entgegnung auf Hiobs Verfluchung seines Geburtstags (Hi 3) über das Schicksal eines Unbesonnenen räsoniert: (5,3) Ich habe Unverständige Wurzeln schlagen sehen, aber sofort wurde ihre Wohnstätte verzehrt. (4) Fern mögen20 ihre Söhne von Rettung sein (πόρρω … ἀπὸ σωτηρίας), verspottet mögen sie sein an den Türen der Geringen,21 und kein Befreier wird da sein. (5) Denn was jene sammelten, werden Gerechte essen, aber sie selbst werden nicht aus Übeln (ἐκ κακῶν) befreit sein, ihre Stärke möge abgezapft werden.

Die Passage spiegelt die weisheitliche Grundüberzeugung, dass zwischen dem sozialen und religiösen Tun und Verhalten eines Menschen einerseits und seinem Schicksal andererseits eine enge Beziehung besteht: Dem Menschen, der sich den sozialen und religiösen Normen seiner Lebensgemeinschaft gemäß verhält, geht es gut; dem, der gegen sie verstößt, geht es schlecht.22 Das Glück derjenigen, die sich nicht an die entsprechenden Regeln halten, währt nur vorübergehend.23 Der Wunsch bzw. die Erwartung des Eliphas, dass die Söhne von Unverständigen (ἄφρονες) keine Chance auf eine Rettung haben, wenn sie in eine aktuelle Notlage kommen (5,4), ist stereotyp für die Beschreibung des letztlich bösen Schicksals eines Frevlers in der alttestamentlichen Weisheit. Sie begegnet mit kleinen Variationen mehrfach in Reden der Freunde (11,20; 18,19; 20,20a.b*.24) 24 und mit einer besonderen Modifikation auch einmal im 19 Vgl.

Ps LXX 7,2; 16,7; 21,6.9; 36,40; 43,7; 85,2; Sir 34,13 (G); PsSal 15,1. der Übersetzung des reinen Optativs als Wunsch könnte auch die Übersetzung mit „werden wohl“ im Sinn eines partikellosen Potentialis erwogen werden (vgl. Hi 5,5.14.­ 15.16; 12,25; 15,28.30.33; 18,7.8.9.13.14.17.18; 19,26; 20,10.16.17.23.24.25.26.27.28; 33,14; 36,14 und zur Sache Dhont: Style, 149–151). 21 Zu den Differenzen zum MT („und im Tor [d. h. an der Stätte des Gerichts] werden sie zermalmt“) siehe Orlinsky: Studies 1958, 266. 22 Vgl. als Beispiel für viele die Spruchreihe in Spr 10,1–31; Hi 34,11; Sir 16,14. Zur Zi­ta­ tion von Hi 4,16–5,5 im Rahmen der frühchristlichen Paränese siehe 1 Clem 39,3–9. 23 Vgl. Hi 20,10; 27,14; Spr LXX 13,23; Ps 37 (36),1–2.35–36. 24 Vgl. in diesem Sinn auch διασῴζειν „durch etwas hindurchretten“ (mit Negation) in Hi 20 Anstelle

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Mund Hiobs selbst (27,8). In 5,4 soll sie, auch wenn es sich um eine generelle Aussage handelt, der Warnung Hiobs dienen, sich durch die als unangemessen empfundene Klage nicht als ἄφρων zu erweisen (vgl. 1,22; 2,10; 34,36) und damit den Untergang seiner Familie zu riskieren. Vor dem Hintergrund der Notiz des Todes der Kinder in 1,19 und der Kennzeichnung Hiobs als eines umfassend gerechten und frommen Menschen in 1,1 erscheint aber die Aussicht auf die Rettungslosigkeit der Söhne als eine Perversion der Lage Hiobs, der sich nun, zumindest indirekt, selbst als ein Frevler verstehen muss. Auf der Stufe des ursprünglichen hebräischen Buches könnte man die Spannung zwischen 5,4 und 1,19 literargeschichtlich mit der Annahme erklären, dass der prosaische Rahmen (1,1–2,13; 42,7–17) und der poetische Hauptteil (3,1–42,6) von unterschiedlichen Verfassern stammen und erst redaktionell miteinander verbunden wurden.25 Doch bereits auf der Ebene der redaktionellen Zusammenstellung ergibt sich die Notwendigkeit einer inhaltlichen Verhältnisbestimmung. Auf der Stufe des griechischen Buches gilt dies umso mehr, als dass der Übersetzer das weitgehend abgeschlossene hebräische Werk vor sich hatte.26 Der Wunsch bzw. die Erwartung des Eliphas nach einem Ausbleiben von Rettung für die Söhne des ἄφρων markiert dann in rhetorisch-dramatischer Perspektive mindestens ein unbedachtes Vorbeireden an Hiob. Dass am Ende Hiobs „Haus“ fortbestehen wird, zeigt aber auch die Ambivalenz der Unheilsaussagen der Freunde, die Hiobs zukünftiges Schicksal indirekt voraussagen (vgl. besonders 18,19–20 versus 42,12).27 In theologischer Hinsicht tendiert die Aussage des Eliphas in 5,4 ( par.) jedenfalls zu einer Festlegung des göttlichen Gerichts- und Rettungshandelns. 21,20b (im Gegensatz zur Metapher „vom Zorn Schaddais zu trinken“ im MT) und 36,12a (der MT spricht einfach vom Vergehen bzw. Sterben) sowie positiv gewendet im Sinn der Rettung des Demütigen in 22,29a* (Th). Im MT werden in den genannten Stellen unterschiedliche Begriffe verwendet, so dass sich die Bezüge zwischen 5,4; 11,20; 20,20; 21,20 und 36,12 nicht so deutlich zeigen wie in der LXX. Die von Cox: Iob (in NETS) vorgelegte Übersetzung bildet diese Linie in der LXX aufgrund unterschiedlicher Wiedergaben von σῴζειν nicht ab. 25 Siehe dazu knapp Witte: Das Buch Hiob, 47.52–55. 26 Gegen die Annahme, der Übersetzer habe rein mechanisch übersetzt, spricht, dass das Fehlen zahlreicher Stichen, die im MT vorhanden sind, mehrheitlich auf eine bewusste Kürzung zurückgeht und dass anstelle von Passagen, die im MT sehr schwer zu übersetzen oder offenbar korrupt sind, der OG formelhafte Wendungen aus anderen Versen wiederholt (vgl. 5,9b / 9,10b / 34,24b; 8,6b / 22,28a; 10,13 / 42,2; 21,22a / 22,2a; 40,19b / 41,25b u. a.; und dazu Heater: Translation, 6.10–130, der von „anaphoric translation technique“ spricht, sowie Dhont: Style, 27–28.204.). Hinzu kommen die eingangs genannten inhaltlichen Unterschiede zum MT, die sich der eigenständigen theologischen Arbeit des bzw. der griechischen Übersetzer verdanken. 27 In den direkten (bedingten) Heilsankündigungen für Hiob (5,24–26; 8,6–7; 11,13–19; 22,23.25–28) wird im OG bezeichnender Weise nie die Wurzel *σωζ- verwendet (vgl. dagegen Th in 22,30b; Sym bietet hier διαφεύξεται; zu 22,30b siehe auch Anm. 11.32.67).

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Dass Eliphas mit seinen Worten, obgleich sie als Trost und Mahnung gedacht sind, die Fragen und die Situation Hiobs verfehlt, zeigt sich auch in der folgenden Rede (Kap. 6–7), in der nun erstmals der Begriff σῴζειν im Mund Hiobs erscheint (6,23): (6,22) (23)

Was denn? Habe ich euch um etwas gebeten, oder bedarf ich der Stärke, die bei euch ist, mich zu retten (σῶσαι) vor Feinden oder aus der Hand von Mächtigen mich zu reißen (ῥύσασθαι)?

Die Sequenz spiegelt die Zurückweisung der Bemühungen des Freundes und fokussiert das Gespräch mittels der Frage nach Rettung ganz auf die Person Hiobs. Die Ankündigung fehlender Rettung für die Nachkommen eines ἄφρων (5,4) verfängt im Fall Hiobs nicht, da sich dieser erstens selbst nicht als einen solchen betrachtet, er zweitens seine Nachkommen bereits verloren hat und er drittens um eine Rettung für sich in der Gegenwart kämpft. Mit der Abweisung der Freunde in 6,22–23 ist zugleich eine (erste) Antwort auf die sich aus der Rede der Frau ergebenden Fragen gegeben: Hiob hält die Hoffnung auf Rettung aufrecht und geht davon aus, dass er gerettet wird. Das Subjekt und die Grundlage des Rettens bleiben dabei (noch) in der Schwebe. So viel ist klar: Es sind nicht die Freunde.28 Die Kombination der Begriffe σῴζειν und ῥύεσθαι deutet darauf hin, dass Hiob wie die Psalmbeter seine Rettung allein von Gott erwartet (6,8).29 In diese Richtung der Gewährung von Rettung weist die erste Rede Sophars, des Minäers (Kap. 11).30 Die ausführliche Mahnung an Hiob, alles, was ihn von Gott trennen könne, zu entfernen (V. 13–14) und dann umfassendes Heil zu erlangen (V. 15–19), endet mit einer Sentenz zum rettungslosen Schicksal der ἀσηβεῖς: (11,20) Aber Rettung (σωτηρία) wird sie im Stich lassen: Denn ihre Hoffnung ist Verderben, und die Augen der Gottlosen (ἀσηβεῖς) werden zerfließen.31

Nach den vorangehenden bedingten Zusagen von Leben (ζωή), Hoffnung (ἐλπίς) und Frieden (εἰρήνη) (11,17–18) bezeichnet σωτηρία hier nicht nur die Rettung aus einer konkreten Notsituation, sondern die Gewährung einer um28 Zu den in V. 23 genannten Größen, vor denen zu retten wäre, gibt es eine Reihe inhaltlich gewichtiger Varianten. So bietet die Mehrzahl der Handschriften der lukianischen Rezension anstelle von ἐχθρῶν wie in 5,5 κακῶν, und anstelle von δυναστῶν lesen die Minuskeln 637 und 644 (in korrigierter Fassung) θανάτου (vgl. Hi 5,20; 33,30; Ps LXX 32,19; 55,14; 88,49; Est LXX 4,8; Tob 4,10 [A, B]; 12,9) bzw. die Minuskel 249 δυνάστου (vgl. Ps LXX 17,18.20). 29 Vgl. Ps LXX 3,9; 6,5; 7,2; 36,39–40; 58,3; 68,15 (siehe auch Dan LXX 3,88; Est LXX 10,9). 30 Nach dem MT ist Sophar ein Naamatiter (‫)נעמתי‬, was auf den aramäischen oder den arabischen Raum verweist. Die Minäer als Bewohner von Ma‛īn sind eindeutig in Arabien zu verorten (vgl. Strabo, geogr. XVI, 4,2). 31 Im MT begegnen diese Stichen in der Folge c – a – b; zu Hi 11,20b vgl. 8,13b; 27,8a.

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fassenden heilvollen Gottesgemeinschaft (vgl. 5,24–26).32 Genau danach sucht Hiob, und deshalb bewahrt er seine Hoffnung. Das Problem ist nur, dass er die von Sophar genannten Bedingungen, nämlich Gesetzloses (ἄνομον) und Unrecht (ἀδικία) beseitigt zu haben (11,14), in seinen Augen längst erfüllt hat und dass er meint, obgleich er sich entsprechend der Torah (νόμος) 33 und der Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) 34 verhalten hat, aus eben dieser Gottesgemeinschaft herausgefallen zu sein. Daher erhofft sich Hiob allein von einer unmittelbaren Begegnung mit Gott eine Wandlung seiner Situation: (13,15) Auch wenn der Mächtige (δυνάστης) 35 mich überwältigt, da er auch (damit) begonnen hat: Wahrlich, ich werde reden und ihm Beweise vorlegen. (16) Und dieses wird für mich zur Rettung (σωτηρία) werden, denn Trug (δόλος) wird nicht vor ihn eintreten.

Basis der Rettung, die hier eindeutig als Gewährung göttlichen Heils erscheint, ist nach Hiobs Verständnis, dass er selbst ein δίκαιος ist und dass er sich als solcher auch in der unmittelbaren Begegnung mit Gott, die hier wie mehrfach im Buch als eine gerichtliche Auseinandersetzung vorgestellt wird, erweisen würde – wenn er dazu die Möglichkeit bekäme (vgl. 13,18). Mit dieser Einschätzung steht Hiob auf dem Boden eines traditionellen Frömmigkeitsverständnisses (vgl. Ps LXX 23,4; 31,2; Spr LXX 12,5). So bestätigt Hiob erneut, dass er an seiner Hoffnung auf Rettung (2,9a) festhält.36 Er weist nochmals den Vorwurf zurück, selbst ein Frevler zu sein, und bestimmt σωτηρία als ein im Zusammenwirken von menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit gewirktes und erfahrenes Heil. Hi 13,16 ist in wirkungsgeschichtlicher Hinsicht besonders interessant. Paulus zitiert den Vers teilweise in Phil 1,19: An die Stelle der Berufung Hiobs auf seine Gerechtigkeit als Ausgangspunkt der Rettung versprechenden Gottesgemeinschaft ist der unbedingte Einsatz des 32 Vgl. in diesem Sinn auch in direkter Applikation auf Hiob διασῴζειν in dem aus Th stammenden Vers 22,30. Zu der Lesart διασώθητι, die von der Mehrheit der Handschriften geboten wird, gibt es eine Vielzahl von Varianten, in denen sich die Schwierigkeit des hebräischen Textes widerspiegelt. Mitunter wird in ihnen Hiob aufgrund seiner eigenen Integrität als Retter des Unschuldigen angesehen (so in den Minuskeln 336, 728 und 795), vgl. zu diesem Bild Hiobs 22,30 (MT) sowie 42,8–10 (MT, LXX). 33 Zum Nachweis, dass bereits im hebräischen Buch Hiob ein kritischer Diskurs über Geltung und Leistung der Torah geführt wird, siehe Witte: Torah. In der Hiob-LXX wird zwar nur einmal der Begriff νόμος gebraucht (34,27), sehr häufig aber die auf das „Gesetz“ hinweisenden Begriffe ἀνομία (7,21; 8,4; 10,6; 13,23 u. ö.), ἄνομος (5,22; 27,7 [S]; 34,8.17; 35,14 u. ö.) oder παράνομος (17,8; 20,5; 27,7). 34 Vgl. Hi 8,6; 22,28; 24,13; 27,6; 29,14; 33,26; 35,8*. 35 Zu diesem göttlichen Epitheton vgl. Sir 46,5 (G); 2 Makk 12,15; 15,3; 3 Makk 2,3; Sib 3,718; 1 Tim 6,15 und dazu Zimmermann: Namen, 313–319. 36 Siehe dazu auch Heater: Translation, 32–33, der in der Parallelität zwischen Hi 13,16 und 2,9a ein Indiz dafür sieht, dass der Zusatz in 2,9a–e sekundär aus Versatzstücken aus dem OG komponiert sei (s. o. Anm. 5).

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Apostels für die Verkündigung und die Verherrlichung Jesu Christi getreten, von dessen Gemeinschaft ihn nichts, schon gar nicht der Tod, trennen kann (Phil 1,18–25, vgl. Röm 8,28). Hieronymus übersetzt den Vers (aus dem Hebräischen) als ein Bekenntnis Hiobs zu Gott als Retter (salvator); das ist zugleich der einzige Beleg für dieses Epitheton in der Hiob-Vulgata.37 In seiner Bearbeitung der altlateinischen Übersetzung hält sich Hieronymus eng an die LXX (et hoc mihi eveniet in salutem) und gibt die Begriffe σῴζειν, σωτηρία und διασῴζειν fast durchgehend mit dem Stamm *salv- wieder. Nur in 1,15.16.17.19 und 20,24 verwendet La als Äquivalent liberare.

Nach drei neuerlichen Hinweisen der Freunde, dass es für einen ἀσεβής und für sein direktes Umfeld keine Rettung in akuter Not geben werde (18,19; 20,20.24), unterstreicht Hiob in seiner letzten an die Freunde gerichteten Rede (Kap. 27–28) 38 indirekt seine Hoffnung auf eine umfassende Rettung: (27,6) (7) (8)

Auf Gerechtigkeit zu achten, werde ich gewiss nicht aufgeben. Denn ich bin mir selbst nicht bewusst, etwas Unpassendes getan zu haben. Aber meine Feinde mögen doch wie das Ende der Gottlosen sein, und die, die sich gegen mich aufstellen, wie das Verderben der Gesetzesübertreter. Und welche Hoffnung hat denn der Gottlose, dass er (an ihr) festhält? Wird er etwa, wenn er auf den Herrn vertraut, gerettet werden (σωθήσεται)?39

Als Grund der Hoffnung und der Rettung erscheinen Gottesfurcht (θεοσέβεια) und die Meidung des Bösen (τὸ ἀπέχεσθαι ἀπὸ κακῶν), wie es Hiob, gleichsam als Bestätigung seiner Charakterisierung durch den Erzähler im Prolog, ganz am Ende dieser Rede formuliert (28,28, vgl. 1,1.7; 2,3; Sir 34,13–20 [G]). Einen scharfen Kontrast zu der aus 13,16 und 27,8 ablesbaren Rettungsgewissheit bildet dann Hiobs Verzweiflungsschrei im Rahmen seiner direkt an Gott gerichteten dreiteiligen Abschlussrede (Kap. 29–31): (30,15) Meine Schmerzen wenden sich gegen mich, meine Hoffnung 40 ist entschwunden wie ein Wind und wie Gewölk meine Rettung (σωτηρία).

Gerahmt von einem ausführlichen Rückblick auf sein vergangenes glückliches Leben (Hi 29) und einem umfassenden, an den Normen des jüdischen Ethos orientierten Unschuldsbekenntnis (Hi 31), begegnet im Zentrum einer brei37 Vgl. dann aber in der Vg Ps 16,7; 17,3; 24,5; 26,9; 64,6; 69,6; 143,2; SapSal 16,7; Sir 51,1. 38 Zu den redaktionsgeschichtlichen Problemen dieser Passage im hebräischen Buch Hi­ob siehe Witte: Leiden, 155–166; ders.: Das Buch Hiob, 52–53. 39 Vgl. Hi 8,13.19a; 11,20; Spr LXX 10,28; 11,23; 29,25; Jes LXX 12,2; 33,2. Nach dem MT, der hier philologisch und poetologisch problematisch ist, fragt Hiob, was die Hoffnung eines Gottlosen (‫)חנֵ ף‬ ָ sei, wenn Gott ihm die Lebenskraft entziehe (‫ יֵ ֶׁשל‬von ‫ שׁלה‬II / ‫) שׁלל‬. OG (πεποιθώς) könnte auf eine Ableitung von ‫( שאל‬im Sinn von „bitten“) zurückgehen (Heater: Translation, 83–84.139). 40 Die Versionen unterscheiden sich hier vielfach. MT (nach der Mehrzahl der Handschriften) bietet „meine Ehre“ (‫)נדבתי‬, Aq „meine Wünsche“ (καταθύμιά μου), 11QTgHi „mein Glück und meine Würde“ (‫)טבתי ורבותי‬, dagegen lesen einige hebräische Handschrif̈ ten und Syr (wie in 30,13) „meine Pfade“ (‫ נתיבתי‬bzw. ‫)ܫܒܝܠܝ‬.

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ten Leidschilderung (Hi 30) letztmals der Begriff σωτηρία im Mund Hiobs (30,15).41 Damit scheint Hiob nun doch seine Hoffnung auf Rettung, und zwar aus dem konkreten Leiden wie aus der Gottesferne, aufgegeben zu haben und dem Rat seiner Frau gefolgt zu sein (vgl. 17,15; 19,10). Für dieses Verständnis spricht auch, dass die feierliche Aufzählung möglicher Vergehen, die Hiob nicht begangen hat, im griechischen Text anders als im MT nicht in einer Herausforderung Gottes zu einer unmittelbaren Antwort gipfelt (31,35–37), sondern ein weiteres potentielles Vergehen aufführt.42 So ist Hiob allein das Bewusstsein geblieben, dass Gott seine Unschuld (ἀκακία) kennt (31,6, vgl. 10,7; 23,10). Höchstens indirekt könnte man daraus ablesen, dass er noch mit einem rettenden Eingreifen Gottes rechnet. An diesem Punkt setzt der vierte Weise, Elius, der Sohn des Barachiel, ein, der weder im MT noch in der LXX als „Freund“ Hiobs bezeichnet wird (Kap. 32–37), obgleich er das Gespräch entscheidend weiterbringt und wesentliche Aspekte zur Theologie des Buches beiträgt, gerade auch zum Verständnis von σωτηρία.43 Die von Elius vorgebrachte Kritik betrifft sowohl Hiob als auch die Freunde: Hiob, weil dieser sich vor Gott für gerecht (δίκαιος) erklärt habe (32,2; 34,5), die Freunde, weil sie Hiob (zunächst) für einen Frevler (ἀσεβής) gehalten hätten, ohne ihn wirklich zu widerlegen (32,3), und (dann) in Anerkennung seiner mutmaßlichen Gerechtigkeit verstummt seien (32,1). In seinen fünf folgenden Monologen bemüht sich daher Elius um eine Bestimmung von menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit.44 Stark komprimiert, erfolgt dies in der kurzen vierten Rede (Kap. 35). Für Elius gilt die göttliche Gerechtigkeit absolut, und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen werde Gottes Wesen in keiner Weise von menschlicher Gerechtigkeit wie von menschlicher Sünde betroffen, zum anderen sei der Mensch nicht von einem gerechten und frommen Handeln freigestellt, vielmehr unterliege dieses dem Gericht Gottes.45 Bei dieser Ver41 In der von Origenes bearbeiteten Fassung nach Th begegnet σωτηρία noch einmal im Mund Hiobs in Hi 30,22b („du [Gott] hast mich von Rettung weggerissen“). Th hat hier offenbar ‫ תשועה‬gelesen – ein Wort, das häufig in den Psalmen (z. B. Ps 37,39; 119,41.81), aber nicht im hebräischen Buch Hiob vorkommt. Der MT bietet hier nach dem Ketiv ‫ְּת ֻשּׁוָ ה‬ („Donner“) und nach dem Qere ‫„( ֻּת ִשּׁיָ ה‬Gelingen“). Sollte der OG wie Th gelesen haben, hat er den Stichos wegen seiner Schärfe möglicherweise bewusst ausgelassen. Für diese Annahme könnte auch die Differenz zwischen dem OG und MT in V. 23 sprechen (vgl. Opel: Anspruch, 189). 42 Zu den damit verbundenen Auswirkungen auf das Bild Hiobs im OG siehe auch Gard: Method, 21–22, und Opel: Anspruch, 199–202. 43 Das Urteil über Elius / Elihu ist seit der frühesten Rezeptionsgeschichte geteilt. Das Testament Hiobs sieht aus ihm letztlich den Satan reden (TestHiob 41,5, vgl. 42,2), der „kein Gedächtnis unter den Lebenden hat“ (TestHiob 43,1). Dagegen attestiert ihm z. B. der jüdische Religionsphilosoph Mose Ben Maimon (1135 / 1138–1204) die richtige Theologie (Mose Ben Maimon: Führer der Unschlüssigen, Buch 3, Kap. 23, 146–149). 44 Gegenüber dem MT ist der Block der Monologe Elius’ in der LXX auf fünf Reden aufgeteilt: (I) 32,6–16; (II) 32,17–33,33; (III) 34,1–37; (IV) 35,1–16; (V) 36,1–37,24. 45 Vgl. Hi 34,10–12.17.21–27; 36,12.

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hältnisbestimmung Elius’, der wie Hiob und die Freunde im Gegensatz zu den Lesern des Buches ja nicht weiß, dass für Gott tatsächlich etwas von Hiobs Verhalten abhängt,46 kommt dann auch der Begriff σῴζειν ins Spiel (35,14): (35,7) (10b) (11) (12a) (13) (14)

Da du nun gerecht bist, was wirst du ihm geben? (ihm), der die nächtlichen Wachen aufstellt, der mich von den Vierfüßlern der Erde trennt und von den Vögeln des Himmels und von dem Übermut der Bösen. Denn Unpassendes will der Herr nicht sehen; denn er, der Allherrscher, ist ein Beobachter (ὁράτης) 47 derer, die das Gesetzlose vollenden,48 und er wird mich retten (σώσει). Und du gehe ihm gegenüber ins Gericht, wenn du ihn loben kannst, wie er ist.49

Die Passage weist eine für die Reden Elius’ charakteristische Verbindung kosmologischer, anthropologischer, soteriologischer und doxologischer Aussagen auf. Gott ist für Elius gerechter Schöpfer und Herr der Zeit (V. 10b, vgl. 36,28; 38,12),50 Wahrer des Rechts und einzigartiger Retter, und dies in universaler wie in individueller Hinsicht (V. 14: „er wird mich retten“51). Rettung erscheint als alleinige Tat Gottes, die sich von Seiten des Menschen nicht einfordern lässt. Ihr Horizont ist, wie die absolute Formulierung in V. 14 zeigt, nicht nur die Rettung aus einer aktuellen Not, sondern die Gewährung eines besonderen Gottesverhältnisses. Hinsichtlich der Unterscheidung von Mensch und Tier erinnert dieses an die in der Erschaffung des Menschen grundgelegte ideale Gottesbeziehung (vgl. Gen 1,26–30).52 Hiobs Preisgabe seiner Hoffnung auf Rettung (30,15) erteilt Elius damit ebenso eine Absage, wie er dessen eindringliches Beharren auf seiner Unschuld samt ihrer bedingten Selbstverwünschung im Fall eines möglichen Vergehens (Kap. 31) relativiert und kritisiert. Als angemessene Weise der Kommunikation mit Gott gilt allein das Lob (αἰνεῖν, vgl. 46 Vgl.

Hi 1,8–12; 2,3–6. Epitheton begegnet in der LXX und im gesamten frühjüdischen Schrifttum nur in Hi 34,21 und 35,14; vgl. den Titel ἐπίσκοπος in Hi 20,29; SapSal 1,6, der auch im paganen Bereich für Götter belegt ist (Homer, Il. 22, 255; Aischylos, Sept. 272; Platon, leg. 717d). Zum Motiv siehe Hi 21,16; 22,12; 34,23. 48 Zu dieser Formulierung vgl. Spr LXX 1,19. 49 Kap. 35 ist in der LXX wesentlich kürzer als im MT. Die von Origenes aus Th nachgetragenen Stichen (V. 7b–10a.12a.15–16) haben die Struktur und den Gedankengang des OG erheblich verändert, siehe dazu auch Gard: Method, 75–76, und Gorea: Job, 179–182. 50 Der Ausdruck φυλακὰς νυκτερινάς bezieht sich entweder auf die Einteilung der Nacht nach Nachtwachen (vgl. Ex 14,24; Mk 6,48) oder auf die Einsetzung von Engeln in der Nacht (vgl. grHen 100,5 [Stuckenbruck: 1 Enoch, 440]; Jes LXX 62,6; Dan MT 4,14; in diesem Sinn Origenes, Hom. in Job (PG 12, 1044,46–1045,2). Nach Heater: Translation, 116, steht die sich vom MT („der Lieder [‫ ]זמרות‬gibt in der Nacht“, vgl. Aq, Sym, Th) unterscheidende Formulierung des OG unter dem Einfluss von Hi 7,12b. 51 La übersetzt σῴζειν nur hier (und in 36,12 [διασῴζειν]) mit aliquem salvum facere und unterstreicht damit die Rettungsaussage. 52 Vgl. Ps LXX 8,6–9 (versus Hi 40,10!); Sir 17,1–32 (G). 47 Dieses

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Σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob

33,30; 38,7),53 nicht die Klage oder der Rechtsstreit, und zwar ein Lob, das Gott in seinem gesamten Handeln preist, so, wie er ist, bzw. so, wie er sich dar­stellt (ὡς ἔστιν, V. 14). Elius versucht Hiob damit zu seinem einstigen Bekenntnis zurückzuführen: (1,21)

Ganz nackt ging ich aus dem Schoß meiner Mutter hervor, nackt werde ich auch (nach) dorthin weggehen. Der Herr hat gegeben, der Herr hat weggenommen. Wie es dem Herr gefallen hat, so ist es geschehen.54 Der Name des Herrn sei gepriesen (εὐλογημένον).

Zugleich bereitet Elius in 35,7–14 seine stark doxologisch geprägte Abschlussrede (Kap. 36–37) vor. In dieser unterstreicht er nochmals, dass Gott den Unbescholtenen (ἄκακος) nicht verwirft (36,5a.10a), während er die Frevler, die nichts von ihm wissen wollten oder nicht auf ihn hörten, nicht retten wird (36,12).55 Auch hier dürfte σῴζειν in einem umfassenden Sinn gemeint sein.56 Beide Rettungsaussagen Elius’ (35,14; 36,12), welche die letzten Verwendungen des Wortstammes *σωζ- im Mund einer menschlichen Figur überhaupt darstellen,57 zielen schließlich auch auf die Gottesreden (Kap. 38,1–41,26) und auf Hiobs abschließende Konfession (42,1–6). In den Gottesreden erscheint der Begriff σῴζειν nur einmal (40,14). Als Schlusswort des Proömiums der zweiten Gottesrede (40,6–41,26) 58 kommt ihm eine besondere Bedeutung zu. 53 Vgl.

Sir 51,1 (G). Stichos ist ohne Äquivalent im MT, er findet sich aber auch in La (sicut domino placuit, [ita] factum est). Es könnte sich um einen freien Zusatz des griechischen Übersetzers handeln (Heater: Translation, 23–34). Zu den Varianten in La siehe Warns: Textvorlage, 342 (Anm. 18) und 345. 55 Im OG stehen die Aussagen über das Schicksal des Gerechten (36,5a.10.12) unmittelbar nebeneinander. Die „masoretischen“ Verse 5b.6–9.10b–11 sind erst von Origenes aus Th eingefügt, siehe dazu auch Heater: Translation, 116–119, und Gorea: Job, 182–189. 56 Die wichtigsten Handschriften lesen hier διασῴζει, ohne dass ein Unterschied zu einfachem σῴζει  (so u. a. die Minuskeln 252, 336, 728, 745 [in ursprünglicher Fassung]) ersichtlich ist. Zur Wiedergabe von La ( facit [ faciet] salvos) siehe Anm. 51. 57 Der „kirchliche Text“ bietet noch einen dritten Beleg für den Begriff σῴζειν in einer Rede Elius’ in HiTh 33,28 in einem fiktiven Gebet des von Gott gezüchtigten und zur Einsicht gekommenen Menschen: „Rette mich (meine Seele), dass (ich) nicht zur Vernichtung hinausgehe, und mein Leben wird Licht sehen.“ Da die Rettung aus der aktuellen Not bereits erfolgt ist (vgl. V. 23–27), dürfte sich V. 28 auf eine postmortale Aufnahme in die heilvolle Gottesgemeinschaft beziehen. Allerdings sind auch in dieser Passage die klaren grammatischen und sachlichen Bezüge des OG (V. 27.30) durch die Einfügung von V. 28–29 (Th) gestört (vgl. Go­rea: Job, 163–170). 58 Da im OG kein Äquivalent zu Hi MT 40,1–2 vorhanden ist, verfügt das ursprüngliche griechische Buch Hiob im Rahmen der Dichtung nur über zwei Gottesreden. Insofern es sich bei 40,1–2 um einen sehr späten Zusatz handelt, dürfte das „Fehlen“ im OG nicht auf eine Kürzung des Übersetzers zurückgehen (so aber Gorea: Job, 211), sondern auf dessen heb54 Dieser

Σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob

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(40,6) Da entgegnete der Herr nochmals und sagte zu Hiob aus dem Gewölk: (7) Nein, sondern umgürte deine Hüfte wie ein Mann, und ich werde dich fragen, du aber antworte mir! (8) Weise mein Urteil nicht zurück! Glaubst du aber, dass ich anders an dir gehandelt hätte als so, damit du als gerecht (δίκαιος) erscheinst? (9) Hast du etwa einen Arm gegen den Herrn, oder donnerst du mit einer Stimme wie er? (10) Nimm doch Höhe und Kraft an, und lege dir Herrlichkeit und Ehre um! (11) Und sende Boten (ἄγγελοι) 59 aus im Zorn, und erniedrige jeden Übermütigen! (12) Und lösche den Überheblichen aus, und lasse die Gottlosen sofort verfaulen!60 (13) Und verbirg sie alle gemeinsam in der Erde außerhalb, und fülle ihre Gesichter mit Schande an.61 (14) Dann werde ich zustimmen, dass deine Rechte retten kann (δύναται … σῶσαι).

Im Mund Gottes beschreibt diese rhetorisch stark stilisierte Passage „retten“ als ein ausschließlich göttliches Gerichtshandeln in einer kosmischen Dimension. Dass σῴζειν in 40,14 ohne Objekt gebraucht wird, unterstreicht die Komplexität des göttlichen Rettens.62 Zwischen Macht, Recht, Rechtfertigung und Retten besteht ein enger Zusammenhang. Die Fähigkeit zu retten ist ein Wesensunterschied zwischen Gott und Mensch. Der Prolog der zweiten Gottesrede liegt auf der Linie der Rettungsaussagen Elius’ (35,14a; 36,12). Er aktiviert die Hoffnung Hiobs auf Rettung (2,9a; 30,15), weist Hiobs Anklagen Gottes zurück, verteidigt die absolute Souveränität Gottes und begründet zugleich, aus welchem Grund und mit welchem Ziel Gott so an Hiob gehandelt hat, wie er gehandelt hat (40,8, vgl. 35,14b). Der Spitzensatz in 40,8, der sich stark von seiner Fassung im MT unterscheidet,63 bietet eine Rechtfertigung Gottes und Hiobs. Er ist nur vor dem Hintergrund der „Himmelsszenen“ (1,6–12; 2,1–7) zu verstehen: Gott musste Hiob in tiefes Leiden stürzen, damit er sich auch in räische Vorlage. Die im „kirchlichen Text“ gebotenen Verse stammen aus Th, daneben sind Fragmente zu V. 2 von Sym und Aq erhalten. 59 D. h. Engel; zur besonderen Angelologie des griechischen Buches Hiob vgl. 1,6; 2,1; 4,18; 5,1; 33,23; 36,14; 38,7; 40,19 sowie dazu Gammie: Angelology, 4–12, und Cimosa / Bon­ney: Angels, 544–549. 60 Vgl. Hi 22,12b; 34,26. Zur Parallelisierung des Überheblichen (ὑπερήφανος) gegenüber der Gottheit und dem Gottlosen (ἀσεβής) siehe auch Diodor Siculus, bibliotheca his­ torica VI, 7,1. 61 Zur Formulierung von V. 13b vgl. Ps LXX 82,17 und dazu Dhont: Style, 28: 204. 62 Die von der Minuskel 795 und La gebotene Lesart („dich retten kann“) entspricht dem MT. Sie engt die Aussage des OG ein. 63 Nach dem MT bietet 40,8 eine Frage, ob Hiob das Recht Gottes zerbrechen (V. 8a) und Gott schuldig sprechen (d. h. als Frevler darstellen [‫ )]תרשיעני‬wolle, um selbst Recht zu behalten (V. 8b). Siehe dazu auch Gard: Method, 24–25; Usener: Hiob 40 LXX, 53–55; Karrer: Job, 80–81.88. Die erhaltenen Fragmente von Aq und Sym entsprechen dem MT.

100

Σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob

diesem als gerecht erweisen konnte,64 d. h. als einer, der die Gemeinschaft mit Gott auch dann nicht aufgibt, wenn Gott an ihm ungerecht handelt. Der An­ spruch Hiobs auf sein Recht wird damit abgewiesen, während gleichzeitig eine Anerkennung seiner Gerechtigkeit erfolgt. Hiob wird dieser Aussage – und damit der kategorialen Asymmetrie im Verhältnis von Gott und Mensch – in seinem Schlusswort Recht geben (42,1–6), ebenso wie Gott am Ende Hiob zugestehen wird, dass er Wahres (ἀληθές) vor ihm geredet habe (42,7). Gott allein kann retten. Rettung ist nach ihrem eigentlichen Wesen die von Gott gewährte Gemeinschaft mit ihm, durch welche gegenwärtige Lebensbedingungen und Lebenserfahrungen grundlegend transzendiert werden: (42,2) (5) (6)

Ich weiß, dass du alles kannst und dir nichts unmöglich ist.65 Vom Hörensagen zwar hörte ich von dir früher, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen. Deshalb verachte ich mich selbst und zerfließe und halte mich selbst für Erde und Asche.66

3. Zusammenfassung und ein kurzer Ausblick auf das Testament Hiobs Im griechischen Buch Hiob werden mit den Begriffen σῴζειν und σωτηρία, die bezeichnenderweise im Mund aller redenden Figuren mit Ausnahme des „Verleumders“ (διάβολος) (!) erscheinen, zwei Aspekte von „retten“ beschrieben: erstens Rettung als Befreiung aus einer konkreten kriegerischen, wirtschaftlichen, sozialen oder gesundheitlichen Gefahr mit dem Ziel der Rückkehr in ein gelingendes Leben und zweitens Rettung als Aufnahme in eine besondere Gottesgemeinschaft. Diese kann sich in einem von Frieden, Wohlstand, Ansehen und Gesundheit gekennzeichneten Leben spiegeln, muss es aber nicht. 64 Vgl.

Olympiodor, Comm. in Job (Hagedorn: Olympiodor, 358): Durch die Versuchun­ gen wurde Hiobs Gerechtigkeit öffentlich, zum Ruhme Hiobs und zum Nutzen der ganzen Welt; ähnlich Origenes, Hom. in Job (PG 12, 1045). Ein ganzes Set von Deutungen von Hi 40,8 diskutiert Johannes Chrysostomos, Comm. in Job (Hagedorn: Johannes Chrysostomos, 195–196). 65 Zu diesem „Formelvers“ vgl. Hi 10,13; Gen LXX 18,14; SapSal 11,23; 1 Hen 84,3; Mk 10,27; 14,36. 66 Auf die enormen textlichen und sachlichen Probleme von Hi 42,6 im MT, die vor allem mit der Deutung der Wörter ‫ מאס‬und ‫ נחם‬zusammenhängen, kann hier nicht eingegangen werden; siehe dazu Witte: Leiden, 175–178; ders.: Das Buch Hiob, 672–680; T. Krü­ger: Did Job Repent; Willi-Plein: Mensch, 555–560 (siehe dazu auch den Beitrag „Hiobs letzte Worte“, in diesem Band, S. 51–66). In LXX handelt es sich bei ἐφαύλισα und ἐτάκην grammatisch um gnomische Aoriste und sachlich um eine Doppelübersetzung von ‫אמאס‬ (Kepper / Witte: Job [LXX.E], 2123 – zur Diskussion der griechischen Übersetzung siehe Dhont: Double Translation, 486 und künftig M. Häberlein).

Σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob

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Explizites oder implizites Subjekt von σῴζειν oder der Gewährung von σωτη­ ρία ist durchgehend Gott.67 Moralische und religiöse Integrität kann eine Voraussetzung für göttliches Retten sein, garantiert dieses aber ebenso wenig, wie soziale und kultische Vergehen automatisch von göttlicher Rettung ausschließen. Denn diese hängt allein von der Freiheit Gottes ab. Die mit σῴζειν und σωτηρία beschriebenen Rettungsaussagen des griechischen Buches Hiob bleiben auf dieses Leben bezogen.68 Sie sind aber, zumindest in den Fällen, in denen die Rettung umfassend auf die Hinnahme in eine besondere Gottesgemeinschaft zielt, für eine postmortale relecture offen und stehen dann auch für das von Gott geschenkte Heil im engeren, theologischen Sinn. Ausdrücklich und programmatisch begegnet dieses Verständnis von Rettung im Testament Hiobs (1. / 2. Jahrhundert n. Chr.),69 welches das Schicksal Hiobs als Geschichte eines Kampfes gegen den Satan neu schreibt. Dieser Kampf Hiobs gegen den Satan steht im Dienst der Erkenntnis des wahren Gottes (TestHiob 2,1–3), der Rettung (σωτηρία) seiner Seele (3,5) und seiner „Auferweckung in der Auferstehung“ (4,9).70 Die in TestHiob 24,1 aus Hi 2,9a zitierte Wendung der Hoffnung auf Rettung (ἐλπὶς τῆς σωτηρίας) erhält damit noch einmal eine ganz neue Bedeutung. Im TestHiob wird sie als beispielhafte Geduld (μακροθυμία) ausgelegt (26,5; 27,7). Die Hoffnung und Geduld Hiobs basiert auf der Überzeugung, dass seine toten und von seiner Frau Sitidos71 beklagten Kinder (vgl. Hi 2,9b) nicht mehr unter den Trümmern des über ihnen zusammengestürzten Hauses liegen (vgl. Hi 1,19), sondern „aufgenommen sind (ἀνελήφθησαν)72 in den Himmel von ihrem Schöpfer, (ihrem) König“ (TestHiob 39,12). Wird diese Annahme von Eliphas zunächst noch als Irrsinn bezeichnet (39,13), so sehen kurz darauf sowohl die Freunde als auch Sitidos nach einem Gebet Hiobs die Kinder „bekränzt vor der Herrlichkeit des Himmlischen“, was Sitidos selbst zum Bekenntnis der Auferstehung 67 Lediglich in Hi 29,12 (und in der Variante zu 22,30*, vgl. Anm. 11.32) erscheint Hiob als Subjekt von διασῴζειν, dort bezogen auf die Rettung des Armen aus der Hand des Mächtigen, womit Hiob ein königliches Ideal verwirklicht (vgl. Ps 72,4.12); siehe dazu Opel: An­spruch, 52–58. 68 Zu Hi 33,28* siehe Anm. 57. 69 Das TestHiob basiert auf einer hebraisierenden Rezension des OG (einschließlich der Zusätze in Hi 2,9a–e und 42,17a–e), vgl. Schaller: Septuaginta-Übersetzung; zum Text sie­ he Brock: Testamentum; Schaller: JSHRZ III / 3. 70 Vgl. Hi 42,17a und die TestHiob-Handschrift V(aticanus graecus 1238, fol. 340r–349v), die Hi 42,15–16.17a am Ende von TestHiob 53,8 zitiert (Brock: Testamentum, 59) sowie 1 Clem 26,3 als den mutmaßlich ältesten Beleg für ein auferstehungstheologisches Verständnis von Hiob 19,26. 71 Dieser (ersten) Frau Hiobs ist im TestHiob ein ganzer Erzählzyklus gewidmet, der einzelne Verse aus dem griechischen Buch Hiob aufgreift und Leerstellen haggadisch ausmalt, siehe dazu Witte: Frau, 151–158. 72 Zu ἀναλαμβάνεσθαι als terminus technicus der Entrückung vgl. 2 Kön 2,9–11; Sir 48,9 (G); 49,14 (G); 1 Makk 2,58; ApkEsr 1,7; TestAbr A 15,4; B 7,9; Mk 16,19; Apg 1,2.11; 1 Tim 3,16.

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von den Toten veranlasst (40,3–4). Rettung bedeutet hier, ohne dass dies am Ende des TestHiob nochmals ausdrücklich terminologisch so gefasst würde und ohne dass die unterschiedlichen eschatologischen Bilder (Auferstehung, Auferweckung, Unsterblichkeit der Seele) ausgeglichen wären,73 Aufnahme in das endgültige Heil Gottes. Diese Auffassung von σωτηρία konvergiert grundsätzlich mit der des Paulus und des Verfassers des Zweiten Clemensbriefes, die beide, gleichfalls in Verwendung des Ausdrucks ἐλπὶς τῆς σωτηρίας (Hi 2,9a; TestHiob 24,1), Rettung nun aus christologischer Perspektive beschreiben (1 Thess 5,8; 2 Clem 1,7).74 Hiob erscheint damit in frühchristlicher relecture als ein Ideal von Glaube, Liebe und Hoffnung.

73 Siehe

dazu auch Cimosa / Bonney: Hope, 698–699. in den schwer zu datierenden griechischen Fragmenten des Henochbuches (Black: Apocalypsis) steht die Wendung ἐλπὶς σωτηρίας in einem eschatologischen Kontext (grHen 98,14 – noch deutlicher ist der äthiopische Text, der hier von der „Hoffnung auf [ewiges] Leben“ spricht; vgl. grHen 5,6 und 99,1 und dazu Black: Book of Enoch, 114, und Stuckenbruck: 1 Enoch, 358.371, sowie 4 Makk 11,7 [nur in einzelnen Handschriften, vgl. Rahlfs: Septuaginta, I, 1173]). 74  Auch

Menschenbilder des Sirachbuchs Zum Gedenken an Otto Kaiser (30.11.1924 – 14.12.2017) This essay interprets the book of Ben Sira as a history of human education and demonstrates that it reflects and constructs a variety of images of humanity. The number of these images becomes particularly evident when one considers the Hebrew, Greek, Syriac, and Latin versions of the book and examines each in its own right and with regard to its unique context. Thus, the polyglot character of the book requires a polyglot presentation of its anthropology. A synoptic exegesis of key anthropological texts (Sir 4:10; 6:15–16 [16–17]; 14:15–19; 18:13–14; 23:27; 33 [36]:7–15; 39:11; 43:32–33; 50:22–24; and 50:28–29) exposes the differences between H, G, Syr, and La regarding the image of humanity. This approach also demonstrates the specific intertextual relations of the different versions to the Pentateuch, Prophets, Proverbs, Psalms, Job and the New Testament and thereby provides an outline of Ben Sira’s own history of reception. The fundamental principles of the creation of humans and their relation to God, which all versions share, are examined for their anthropological differences under the following headings: life and death; wisdom and knowledge; the individual and society; family and gender; mercy and justice; freedom and dependence.

1. Weisheit und Anthropologie1 Alttestamentliche Weisheit zielt auf Orientierung des Menschen in einer als ambivalent, häufig auch als chaotisch erfahrenen Welt. Genaue Beobachtung und Erfahrung sollen dem Einzelnen wie der Gemeinschaft Wege zu einem gelingenden Leben zeigen. Schlagen sich solche lebensorientierenden Erkenntnisse zunächst in knappen Sentenzen nieder, so führt die systematische Sammlung von Einzelsprüchen und die Komposition von thematisch und stilistisch verwandten Spruchreihen zu ausgeführten Lehrreden.2 Das im ersten Drittel des 2. Jahrhundert v. Chr. entstandene Sirachbuch stellt literatur- und traditionsgeschichtlich – neben der um etwa fünf Generationen jüngeren Sapientia Salomos – die reifste Frucht der israelitisch-jüdischen 1 Folgende Ausgaben des Sirachbuchs liegen den in diesem Beitrag gebotenen Übersetzungen zugrunde: Für H: Beentjes: Book of Ben Sira, für LXX / G: Ziegler: Sirach, für Syr: Calduch-Benages u. a.: Wisdom, für La / Vg: Weber / Gryson: Biblia Sacra. Daneben wurden berücksichtigt: Vattioni: Ecclesiastico; Ben-Ḥayyim: Book of Ben Sira; Rahlfs: Septuaginta; Liber Hiesu Filii Sirach sowie Thiele / Forte: Sirach. 2 Siehe dazu den Beitrag Literarische Gattungen, in diesem Band S. 7–27.

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Menschenbilder des Sirachbuchs

Weis­heit dar. Mit seinen 51 Kapiteln ist es die umfangreichste alttestamentliche Weisheitsschrift. Hinsichtlich seiner langen Lehrreden, seiner Mischung von unterschiedlichen weisheitlichen und psalmistischen Gattungen, seinen übergreifenden Kompositionsstrukturen sowie seiner Verschmelzung genuin weisheitlicher Traditionen mit Elementen der geschichtlichen und prophetischen Überlieferungen Israels überragt es alle älteren israelitisch-jüdischen Weisheitsbücher. Wie diese ist das Sirachbuch Teil einer von Ägypten bis Mesopotamien nachweisbaren Weisheitstradition und basiert gleichermaßen auf der grundsätzlichen Überzeugung einer vom Schöpfergott in diese Welt eingesenkten gerechten Weltordnung, die dem Menschen, der sich an ihr ausrichtet, ein glückliches Leben gewährt. Gleichzeitig integriert es Vorstellungen paganer griechischer, vor allem stoischer Philosophie und entwickelt eine eigene Theologie, die sich aus einer allgemeinen weisheitlichen Empirie und einer besonderen auf die Torah bezogenen und mittels der heiligen Schriften Israels und paganer Texte gedeuteten Offenbarung speist. In der Figur der kosmischen Weisheit, die sich am Jerusalemer Tempel niederlässt, in der Torah des Mose inkarniert und als Gottesfurcht verwirklicht, besitzt diese Theologie ihre sachliche Mitte. In der Komposition ausführlicher Mahnreden und in der schriftgelehrten Auseinandersetzung mit der eigenen Überlieferung hat diese Theologie ihre literarische Gestalt gefunden. Der die Weisheitsliteratur von ihren Anfängen an kennzeichnende anthropologische Grundzug ist im Sirachbuch voll entfaltet. So steht in seinem Zentrum die aus Ps 8 und Ps 144 bekannte Frage nach dem Wesen des Menschen, nach seiner Stellung in der Welt und nach seinem Handeln (Sir 18,8 [G]): Was ist ein Mensch und was ist sein Nutzen? Was ist sein Gutes und was ist sein Schlechtes?

Zwar wird man auch beim Sirachbuch noch nicht von einer Lehre vom Menschen im engeren Sinn sprechen, wohl aber von einer systematischen Reflexion menschlichen Lebens in unterschiedlichen Lebensbezügen und Lebensverhältnissen. Wie jede Reflexion menschlichen Lebens setzt auch das Nachdenken über den Menschen im Sirachbuch einerseits ein bestimmtes Menschenbild voraus und konstruiert andererseits ein solches. In jüngerer Zeit hat Oda Wischmeyer die grundsätzlichen Strukturen der Anthropologie des Sirachbuchs herausgearbeitet.3 So sei die Anthropologie Ben Siras erstens theologisch referen­ tiell, insofern er den Menschen durchgehend im Blick auf seine Beziehung zu Gott betrachte und als ein dialogisches Wesen verstehe.4 Diese Anthropologie sei zweitens exklusiv, das heißt gruppen-, religions- und geschlechtsspezifisch, 3 Wischmeyer:

Theologie, 18–33. diesem Punkt trifft sich Wischmeyers Definition mit der vor allem von Bernd Janowski im Schatten der grundlegenden Studie von Hans Walter Wolff (Wolff: Anthropologie) vertretenen These, die alttestamentliche Anthropologie kennzeichne durchgehend ein dialogischer Charakter (Janowski: Mensch; ders.: Koordinaten). 4 In

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insofern zwar allgemein vom Menschen geredet werde, letztlich aber der jüdische schriftgelehrte Mann gemeint sei. Die Verbindung einer Schöpfungstheologie, wie sie für die Weisheit im Alten Testament und im Alten Orient grundlegend ist, mit einer sich an der Torah, den Bundesschlüssen, wie sie der Pentateuch beschreibt, und an der Geschichte Israels orientierten Theologie belegen diesen exklusiven Charakter. Drittens sei die Anthropologie des Sirachbuchs prozessual, insofern es mit seinen Mahnungen zur Gottesfurcht und zu einem an den Zehn Geboten ausgerichteten Handeln auf die Selbsterziehung des Weisen ziele. Wischmeyer konnte in diesem Zusammenhang von einer „panethischen“ Pragmatik sprechen, mittels derer zwar nicht der Tod, wohl aber die Sünde überwunden werden könne.5 Meine Überlegungen zu Menschenbildern des Sirachbuchs setzen an dem dritten Punkt von Wischmeyers Bestimmung der Anthropologie Ben Siras ein. Dabei sollen zwei Thesen entfaltet werden. (1) Das Sirachbuch lässt sich als ein Buch der Menschwerdung lesen. Anders gesagt: Das Sirachbuch stellt in seiner kompositionellen Anlage eine Art menschliche Bildungsgeschichte dar. Hintergrund dieser These ist die Beobachtung, dass die einzelnen Buchteile jeweils mit einer grundsätzlichen anthropologischen Reflexion enden. Den anthropologischen Schlüsseltexten in Sir 16,24–18,14; 33 (36),7–15; 40,1–41,13 und 42,15–43,33, die in Wischmeyers strukturellen Überlegungen, aber auch in Otto Kaisers basalen Ausführungen zur Anthropologie Ben Siras im Mittelpunkt stehen,6 sind damit weitere Texte zum Wesen, Werden und Handeln des Menschen zur Seite zu stellen. (2) Das Sirachbuch enthält, reflektiert und konstruiert nicht nur ein Men­ schenbild, sondern eine Vielzahl von Menschenbildern. Damit meine ich, dass angesichts der Überlieferungs- und Kanonsgeschichte des Buches die unterschiedlichen hebräischen, griechischen, lateinischen und syrischen Textformen als selbstständige und eigengewichtige anthropologische Zeugen wahrzunehmen sind. Ich bestreite nicht, dass sich mittels eines Vergleichs von H, G, La und Syr ein hebräischer Ausgangstext rekonstruieren lässt. Ein solcher text­geschichtlicher Zugang prägt die genannten Studien von Wischmeyer und Kaiser wie alle neueren Kommentare. Er hat in historischer und philologischer Hinsicht seine volle Berechtigung. Man muss sich aber bewusst sein, dass der von Ben Sira um 180 v. Chr. selbst verfasste Text nur annäherungsweise erreichbar ist und dass die Rezeptionsgeschichten des Buches auf den überlieferten Textformen basieren. Eine der überlieferungs- und wirkungsgeschichtlichen Komplexität des Buches gerecht werdende Darstellung seiner Anthropologie muss daher synoptisch geschehen. Das heißt die Unterschiede zwischen den hebräischen, griechischen, lateinischen und syrischen Textformen sind, auch wenn sie sich textgeschichtlich entweder auf eine divergierende Vorlage oder auf ein Missverständnis oder auf eine binnensprachliche Verschreibung 5 Wischmeyer:

Theologie, 30. Der Mensch als Geschöpf Gottes; ders.: Was ist der Mensch; ders.: Furcht; ders.: Göttliche Weisheit; ders.: Oikeiosis-Lehre. 6 Kaiser:

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zurückführen und als solche erklären lassen, jeweils inhaltlich zu gewichten, buchimmanent zu verorten sowie traditions- und zeitgeschichtlich zu bestimmen. Im Folgenden versuche ich am Beispiel ausgewählter Texte eine solche polyglotte Darstellung der Menschenbilder des Sirachbuchs. Dabei orientiere ich mich weitgehend an der von Otto Kaiser vorgelegten Gliederung des Buches und unterstelle, dass die älteste erhaltene Vollversion, die zwischen 132 und 117 v. Chr. angefertigte griechische Übersetzung (G-I), abgesehen von der Blattvertauschung im Bereich der Kapitel 30–36, die Kompositionsstruktur repräsentiert, die auch für den bis heute nur fragmentarisch erhaltenen hebräischen Text anzunehmen ist.7 Dementsprechend unterscheide ich die Abschnitte Sir 1,1–4,10; 4,11–6,17; 6,18–14,19; 14,20–18,14; 18,15–23,27 (28); 24,1–33,15; 33,16–39,11; 39,12–43,33; 44,1–50,24 sowie den Buchschluss in 50,27–29 und werte jeweils die letzten Verse dieser Abschnitte anthropologisch aus.

2. Auf dem Weg zur Sohnschaft Gottes (Sir 4,10) HA

G

La

Syr

Sei wie ein Vater für die Waisen und anstelle des Ehemanns für die Witwen. Und Gott wird dich Sohn nennen und dir gnädig sein und dich aus der Grube retten.

Sei den Waisen wie ein Vater und anstelle des Ehemanns für ihre Mutter. Und du wirst sein wie ein Sohn des Höchsten, und er wird dich mehr lieben als deine Mutter.

(10) Beim Rich­ ten sei den Wai­sen gegenüber barm­ herzig wie ein Vater und anstelle des Ehemanns für die Mutter jener. (11) Und du wirst sein wie ein Sohn des Höchsten, gehorsam, und er wird sich deiner erbarmen mehr als eine Mutter.

Sei wie ein Vater für die Waisen und anstelle des Ehemanns für die Witwen, und du wirst für Gott wie ein Sohn sein, und er wird sich über dich erbarmen.

Die Abschlusssentenz des ersten Teils (Sir 1,1–4,10) spiegelt gleich drei Grundsätze der Anthropologie Ben Siras: erstens die Verpflichtung zu zwischenmenschlicher Gerechtigkeit, die sich gemäß einem im Alten Testament breit belegten Ethos im Einsatz für rechtlich und wirtschaftlich Benachteiligte auswirkt,8 zweitens die wesenhafte Bezogenheit des Menschen auf Gott und drittens die generelle Gefährdung und Verletzlichkeit menschlicher Existenz. Das Handeln des Menschen und seine Gottesbeziehung werden in einem unmittelbaren Zusammenhang gesehen, ohne dass ein Automatismus zwischen 7 Vgl.

Kaiser: Jesus Sirach, 5. dazu ausführlich Witte: Ethos.

8 Siehe

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beiden konstruiert wird. Die Ankündigung der Gottessohnschaft beschreibt keine zwangsläufige Folge sittlich verantwortlichen Verhaltens, sondern soll zu diesem motivieren. So weiß Ben Sira als aufmerksamer Leser des Buches Hiob, dass auch ein vorbildliches Verhalten gegenüber Witwen und Waisen nicht vor der Erfahrung bewahrt, am Rande oder gar in der Grube des Todes zu sein (vgl. Hi 29–31). Die Zusage der Gottessohnschaft an den, der Gerechtigkeit übt, überträgt ein Element der altorientalischen und hellenistischen Königsideologie auf den Einzelnen und weist diesem mittels Gerechtigkeit einen königlichen Rang zu, der sich in unmittelbarer Zugehörigkeit zu Gott ausdrückt (vgl. 2 Sam 7,14; Ps 2,7).9 Insofern in der Ben Sira vorgegebenen Tradition auch die Beziehung zwischen Israel und seinem Gott mit der Metapher der Sohnschaft ausgedrückt werden kann (vgl. Ex 4,22; Hos 11,1),10 hat die anthropologisch-ethische Sentenz Ben Siras auch einen heilsgeschichtlichen Aspekt: Durch sein gerechtes Handeln erweist sich der Einzelne als wahres Glied des Gottesvolkes. Das die Verheißung in HA beschließende Bild von der Errettung vor oder aus der Grube (‫ )ויצליך משחת‬bezieht sich wie seine Parallelen im Psalter und in den Proverbien wohl zunächst auf die Bewahrung vor Gefährdungen in diesem Leben, es ist aber offen für ein postmortales Verständnis.11 Insofern Ben Sira sonst den Tod als absolute Grenze versteht und wie Kohelet oder die Grundschicht des Hiobbuchs nicht von einer grundsätzlichen Überwindung des Todesgeschicks oder einer den Tod überdauernden Beziehung zu Gott auszugehen scheint,12 erhebt sich die Frage nach der Ursprünglichkeit der Wendung ‫( ויצילך משחת‬V. 10d). Die griechische Version teilt die anthropologischen Grundsätze der hebräischen Fassung. Die ethische Mahnung des zweiten Kolons ist aber auf die eine Witwe und deren Kinder (τῇ μητρὶ αὐτῶν) konzentriert.13 Ein Ausblick auf den Tod oder tödliche Gefährdung fehlt. Der relationale und funktionale Charakter der Gottessohnschaft des Gerechten besteht auch in G, insofern ein Vergleich formuliert wird. Gleichwohl zeigt sich die Tendenz zu einem stärker seinsmäßigen Verständnis. Mit der Wendung „Sohn des Höchsten“ (υἱὸς ὑψίστου) erklingt zudem ein anderer Intertext als in HA, namentlich Ps 82 (81),6. Damit wird einerseits menschliches gerechtes Handeln als Entsprechung zu einem göttlichen Handeln charakterisiert (vgl. Ps 82 [81]),2–4), andererseits der Gedanke des göttlichen Gerichts über die, die sich gegenüber den Armen und Elenden nicht als gerecht erweisen, eingespielt (vgl. Ps 82 [81],1.8). Gegenüber der Aussicht auf eine Errettung vor der Grube in HA steht die Aussicht auf umfassende Gottesliebe. Der Ausdruck „er wird dich mehr lieben als deine 9 Siehe

dazu auch Beentjes: Waisen, 44–46. weiterhin Jes 43,6; 45,11; 49,15. 11 Vgl. Ps 16,10; 33,19; 56,14; 103,4; Spr 10,2; 11,4. 12 Vgl. Sir 14,15–19; 17,28–30 (G); 40,1.11. 13 Darin mag sich eine verschärfte jüdische Sexualethik zur Zeit des griechischen Übersetzers widerspiegeln. 10 Siehe

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Mutter“ (ἀγαπήσει σε μᾶλλον ἢ μήτηρ σου) in V. 10d beinhaltet den Gedanken der Gnade Gottes, den HA bietet. Er verleiht der Sentenz aber eine höhere stilistische und theologische Dichte, als sie HA aufweist. So werden nicht nur das Vatersein des Gerechten und die Vaterschaft Gottes korreliert (vgl. Ps 103,13), sondern auch die Sorge des Gerechten um die Mutter der Waisen und die jede Mutterliebe übertreffende Liebe Gottes (vgl. Jes 49,15; 66,13). Noch deutlicher als im hebräischen Text werden die wesenhafte Differenz zwischen Gott und Mensch und gleichzeitig die Aufgabe des Menschen, der göttlichen Liebe zu entsprechen, mithin der Auftrag der imitatio dei, unterstrichen (vgl. Lk 6,35).14 Ich werde auf dieses Motiv im Kontext von Sir 18,13–14 zurückkommen. Die lateinische Version steht hier grundsätzlich der griechischen näher als der hebräischen, weist aber eigene Akzente und gegen G auch Übereinstimmungen mit HA auf. Der Rat zum angemessenen Verhalten gegenüber Waisen und Witwen wird in eine gerichtliche Situation eingeordnet. Dies entspricht Normen der Torah (vgl. Dtn 10,18; 24,17) und beispielsweise auch den paradigmatischen Unschuldserklärungen Hiobs in Hi 29,12–13 und 31,16–18, bedeutet aber gegenüber G und HA eine Einschränkung der Maxime. Das an­ gemessene Verhalten gegenüber den gesellschaftlich und ökonomisch Benach­ teiligten wird ausdrücklich als Barmherzigkeit und als Akt des Gehorsams (ob­ au­di­ens)15 gegenüber Gott gekennzeichnet. Die Reziprozität menschlichen und göttlichen Handelns und Verhaltens, hier verdeutlicht durch das Gegenüber der Wörter „barmherzig“ (misericors, V. 10a) und „er wird sich erbarmen“ (mise­ rebitur, V. 11b), wird dadurch unterstrichen. Für das Menschenbild des lateinischen Sirach ergibt sich hieraus, dass der Mensch eine Anlage zum Richten und Gerichtetwerden, zum Üben und zum Empfang von Barmherzigkeit sowie zum Gehorsam und Ungehorsam gegenüber Gott hat. Liest man Sir 4,10 (La) im Kontext der christlichen Bibel – und eine solche Lektüre ist für die lateinische Version des Sirachbuchs auch entstehungsgeschichtlich anzunehmen –,16 dann ist nicht ausgeschlossen, dass sich die besondere Betonung des Gehorsams in La vor dem Hintergrund des Motivs des vorbildhaften Gehorsams des Gottessohnes Jesus Christus erklärt (vgl. Phil 2,8.12). Die syrische Version bietet die kürzeste Fassung der Sentenz und die schwächste Form des Motivs der Gottessohnschaft des Barmherzigen. Dabei steht sie HA am nächsten, enthält aber weder einen Ausblick auf die Todesgefahr wie HA noch den Vergleich der Liebe Gottes mit der Liebe einer Mutter wie G und La. Dadurch liegt der Schwerpunkt ganz auf der Korrelation der Barmherzigkeit des Menschen mit der Barmherzigkeit Gottes.

14 Zur

Aufnahme von Sir 4,10 (G) in Lk 6,35 siehe Pistone: Sage, 310–311. obaudieris /oboedieris, vgl. Gen 22,18; Dtn 30,20. 16 Zum christlichen Hintergrund der lateinischen Sir-Version siehe bereits Smend: Jesus Sirach, sowie Legrand: Ben Sira, 234. Kritisch gegenüber christlichem Einfluss auf La ist Gilbert: Vetus Latina. 15 Varianten:

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3. Auf dem Weg zur wahren Freundschaft (Sir 6,15–16 [16–17]) HA

G

La

Syr

(15) Ein Beutel des Lebens ist ein treuer Freund, der, der Gott fürchtet, wird es erlangen. (16) Denn wie einer selbst ist, so ist sein Nächster, und wie sein Name ist, so sind seine Taten.

(16) Ein treuer Freund ist ein Medikament des Lebens, und die, die den Herrn fürchten, werden ihn finden. (17) Wer den Herrn fürchtet, wird sei­ ne Freundschaft stärken, denn wie er selbst ist, so ist auch sein Nächster.

(16) Ein treuer Freund ist ein Medikament des Lebens und der Unsterb­ lichkeit, und die, die den Herrn fürchten, werden jenen finden. (17) Wer Gott fürchtet, wird gleichsam gute Freundschaft haben, denn gemäß jenem wird jener Freund sein.

(16) Ein treuer Freund ist ein Medikament des Lebens, und wer Gott fürchtet, der ist so. (17) Diejenigen, die Gott fürchten, werden ihre Freundschaft stärken, denn wie er ist, so sind seine Freunde, 17

Freundschaft ist ein zentrales Thema des Sirachbuchs.18 Vielleicht deutlicher als in anderen Passagen zeigt sich hier der kulturgeschichtliche Ort Ben Siras, insofern sich in hellenistischer Zeit traditionelle politische und soziale Ordnungssysteme auch in Syrien-Palästina auflösen und sich der einzelne Mensch stärker als in früheren Zeiten als Individuum in einer räumlich immer größer und kulturell immer vielfältiger werdenden Welt erlebt. So ist es nicht überraschend, dass der zweite Teil der weisheitlichen Mahnungen Ben Siras mit einem Lobpreis der Freundschaft endet und diese der Gotteskindschaft als zweiter Stufe der Menschwerdung zur Seite stellt. Der „Beutel des Lebens“ (‫)צרור חיים‬, der traditionell als Beutel, in den bei der Zählung von Vieh Zählsteine eingelegt wurden, verstanden wird,19 der aber auch als ein versiegeltes Dokument, vergleichbar dem „Buch des Lebens“ (‫)ספר חיים‬, gedeutet werden kann,20 taucht im Bereich der israelitisch-jüdischen Schriften nur in 1 Sam 25,29 und in den Lobliedern aus Qumran (1QHa X,22–23) auf.21 In Sir 6,15–16 dient das Motiv – zumal vor dem Hintergrund von 1 Sam 25,29 – der Betonung des Wertes eines wahren Freundes, der sich in lebensbedrohlichen Situationen, so wie Abigail, als Retter erweisen kann. Dass 1 Sam 25,29 hinter Sir 6,15–16 17 Diese Zeile findet sich nicht in allen syrischen Handschriften, aber im Codex Ambrosi­ anus (7a1), vgl. Calduch-Benages u. a.: Wisdom. 18 Siehe dazu ausführlich Reiterer: Freundschaft; Corley: Friendship. 19 Vgl. Stoebe: Erste Buch Samuelis, 450; Stolz: Samuel, 161; Hentschel: 1 Samuel, 141. 20 Vgl. Ps 69,29; vgl. Ex 32,32; Dan 12,1, und DCH VII, s. v. ‫ ְצרֹור‬I.2. 21 Der Beleg in 4Q419 frgm. 8 I,2 ist zu fragmentarisch, als dass er sich hier auswerten ließe. Zu inschriftlichen Belegen aus der Spätantike siehe Horbury / Noy: Inscriptions, 204–­ 205 (Nr. 119), und Rüger: Weisheitsschrift, 93 (zu WKG III,14).

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steht, ergibt sich auch aus der Gegenüberstellung von Name und Tat, in der eine Anspielung auf den aus 1 Sam 25 bekannten Nabal, den sprichwörtlichen Toren (‫)נבל‬, gesehen werden kann.22 Dass die Sentenz aber wohl noch auf mehr als einen verlässlichen Freund, nämlich auf den Gewinn des Lebens selbst und auf die Bewahrung vor dem Tod zielt, zeigen erstens die Formulierung „er wird es erlangen“ (‫)ישיגם‬, die sich nur auf den Erwerb des Lebens (‫ )חיים‬beziehen kann,23 und zweitens die Parallele in 1QHa X,22–23: Ich danke dir, Herr, dass du meine „Seele“ (‫ )נפשי‬in den Beutel des Lebens gelegt und mich vor allen Fallen der Grube beschützt hast. (vgl. Sir [HA] 4,10d)

Charakteristisch für Sir 6 ist die Verbindung von Leben, Freundschaft und Gottesfurcht in V. 15. Der Spiegelsatz in V. 16 unterstreicht lediglich den weisheitlichen und empirisch nachvollziehbaren Grundsatz, dass eigenes Verhalten und Handeln auf das eigene Ergehen zurückwirken und dass es zwischen dem Wesen eines Menschen und seinen Taten eine Entsprechung gibt. In anthropologischer Hinsicht ergibt sich aus Sir 6,15–16, dass der Mensch auf Gemeinschaft hin angelegt ist und dass Gottesfurcht ein entscheidendes Lebensmittel ist. Letztere Vorstellung ist ein roter Faden im Sirachbuch.24 Die Versionen weisen charakteristische Differenzen auf. In G erscheint anstelle des möglicherweise aus der Handelssprache stammenden Bildes für den Wert eines treuen Freundes die in hellenistischen Mysterienkulte bekannte magisch-medizinisch geprägte Metapher vom „Medikament des Lebens“ (φάρμακον ζωῆς).25 Gegenüber HA wird die Bedeutung der Freundschaft noch stärker betont, wenn nun denen, die Gott fürchten, nicht das Leben, sondern der treue Freund in Aussicht gestellt und die Gottesfurcht als Mittel, die Freundschaft zu stärken, qualifiziert wird. So ist eine gelingende Beziehung zwischen zwei Menschen Folge (und Motivation) einer intakten Gottesbeziehung. Dabei ist die Formulierung von G in V. 16b („ihn“, αὐτόν) und in V. 17a („seine“, αὐτοῦ) durchaus offen für einen Bezug auf Gott, und zwar in dem Sinn, dass derjenige, der Gott fürchtet, Gott selbst findet (vgl. Am 5,6) und die Freundschaft zu Gott stärkt (vgl. SapSal 7,27). Damit wäre dann in den Lobpreis der menschlichen Freundschaft das Motiv der Gottesfreundschaft eingespielt, wie es alttestamentlich – auch bei Sirach – seinen exemplarischen Ausdruck in dem Gottesfreund Mose findet (vgl. Sir 45,1 in Weiterführung von Ex 33,11 und Dtn 34,10) und im paganen Bereich als Ideal des Philosophen begegnet.26 Das vierte Kolon, das dem dritten in HA entspricht, kehrt dann eindeutig wieder 22 Zum 23 Zum

Nachweis siehe Beentjes: Mensch, 73–74, und Corley: Friendship, 52.60.63. Bezug des Plural-Suffixes auf das rectum siehe auch Dtn 9,4b sowie Sauer: Jesus

Sirach, 80. 24 Vgl. Sir 6,37 (HA); 9,16; 10,22; 16,2; 32,12 (HA); 40,26–27; 50,29 (HB) und dazu den Klassiker Haspecker: Gottesfurcht. 25 Siehe dazu Bultmann: ἀθανασία, 24. 26 Vgl. Jes 41,8; 2 Chr 20,7; Jak 2,23; Jub 30,20–21; Sib 2,245; TestAbr A 1,6; ApkSedr 9,1; CD-A III,2–3; 4Q252 II,8; Jes LXX 51,2; Dan LXX 3,35; Philon, Mos. I,156; Cher. 49 sowie

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zu dem im ersten Kolon ausgedrückten Gedanken der zwischenmenschlichen Freundschaft zurück.27 In der lateinischen Version wird die in HA mittels der Metapher vom „Beutel des Lebens“ nur angedeutete Vorstellung, dass Freundschaft eine Bedeutung über den Tod hinaus haben könnte, expliziert. Zwar teilt das lateinische Sirachbuch mit den hebräischen Fragmenten und dem griechischen Kurztext (G-I) die Überzeugung von der grundsätzlichen Sterblichkeit des Menschen (vgl. 17,29: non est inmortalis filius hominis). Es leuchten aber immer wieder eschatologische Motive auf, denen zufolge eine Überwindung der Todesgrenze punktuell möglich erscheint.28 Dazu zählt Sir 6,16 (La), was zugleich der einzige Beleg im lateinischen Sirach für den Begriff inmortalitas ist.29 Die traditions- und rezeptionsgeschichtliche Bedeutung der lateinischen Version wird noch deutlicher, wenn man im Hintergrund von V. 16a die Wendung φάρμακον ἀθανασίας („Medikament der Unsterblichkeit“) annimmt und damit einerseits unmittelbar eine Formulierung aus der Beschreibung der Heilung bringenden Wunder der Göttin Isis bei Diodor Siculus vor sich hat, andererseits die Qualifikation der Eucharistie im Brief des Ignatius an die Epheser 20,2.30 Wie schon bei Sir 4,10 erhält die lateinische Version von Sir 6,16–17 im Rahmen der christlichen Bibel eine besondere Nuance, insofern dieser Text offen ist für eine Identifikation des treuen Freundes mit dem johanneischen Christus, der sein Leben für seine Freunde gibt und ihnen damit das Leben in unmittelbarer Gottesgemeinschaft schenkt (Joh 15,13–17).31 Syr entspricht einerseits G und La (so in V. 16a und 17a), andererseits HA (so in V. 17b). Ein eigenständiges anthropologisches Profil erhält Syr durch die Identifikation eines treuen Freundes mit einem, der Gott fürchtet (V. 16b): Frömmigkeit ist somit ein Merkmal eines wahren Freundes. Die von Oda Wischmeyer als Kennzeichen der Anthropologie des Sirachbuchs angesprochene Gruppen- und Religionsspezifik ist hier offensichtlich.32

im paganen Bereich bei Platon, leg. 716c–d; Tim. 53d; symp. 193b; rep. 621c; Epiktet, diss. ab Arriano 4,3,9 – siehe dazu auch Winston: Wisdom of Solomon, 188–189. 27 Johannes Chrysostomos zitiert Sir 6,16a im Rahmen der Auslegung von 1 Thess 2,8 (In epistulam I ad Thessalonicenses [PG 62, 403,45]); zur Buße als φάρμακον ἀθανασίας siehe z. B. Johannes Chrysostomos, De paenitentia (PG 60, 766,57). 28 Vgl. Sir (La) 1,19; 3,10; 14,25; 15,8.16; 17,20; 18,22; 24,31; 27,9 u. v. a.; siehe dazu nach wie vor Kearns: Ecclesiasticus, 87–88; 108–110; 123; 132–209; Legrand: Ben Sira, 227. 29 Vgl. außerhalb von Sir: SapSal Vg 3,4; 4,1; 8,13.17; 15,3; 4 Esr Vg 7,13; 8,54. 30 Diodor Siculus, bibliotheca historica I, 25,6. Siehe dazu auch Bultmann: ἀθανασ­ία, 24. 31 Zur Bezeichnung Jesu Christi als Medikament des Lebens in der altkirchlichen syrischen Literatur siehe Skehan / Di Lella: Ben Sira, 189. 32 Wischmeyer: Theologie, 26–27.

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4. Auf dem Weg durch das Leben (Sir 14,15–19) HA

G

(16) Gib dem Bruder 33 und gib 34 und verwöhne dich selbst („deine Seele“), denn in der Scheol gibt es kein Suchen nach Vergnügen. Und alle Dinge, die schön sind zu tun vor Gott, tue.35 […] (19) Alle seine Taten werden gewiss vermodern, und das Werk seiner Hände wird ihm nachfolgen.

(16) Gib und emp­ fange und lenke dich selbst („deine Seele“) ab, denn im Hades gibt es kein Suchen nach Genuss. […]

La

(16) Gib und empfange und rechtfer­ tige deine Seele, (17) vor deinem Abgang tue Gerechtigkeit, weil es bei den To­ ten / in der Unterwelt kein Finden von Speise gibt. […] (20) Jedes verdor­ (19) Jedes vermo­ dernde Werk schwin- bene Werk wird am Ende schwach det dahin, und der, der es wirkt, werden, wird mit ihm dahin- und der, der jenes wirkt, wird mit ihm gehen. dahingehen. (21) Und jedes auserlesene Werk wird gerechtfertigt werden, und der, der jenes tut, wird in jenem geehrt werden.

Syr (16) Gib und empfange und stärke deine Seele, und jede Tat, die schön ist zu tun vor Gott, die tue. […]

(19) Und alle seine Werke sind offenbar vor ihm36, und das Werk seiner Hände geht mit ihm dahin.

Auch der dritte Buchteil (Sir 6,18–14,19) endet mit einer Gegenüberstellung eines ethisch verantwortlichen Handelns und eines Ausblickes auf den Tod. So gipfeln die an Mahnungen Kohelets und an Ps 49 erinnernden Ratschläge zu einem sinnvollen Umgang mit Besitz, zur Fähigkeit, zu schenken und sich beschenken zu lassen, sowie zum Genuss des Augenblicks im Resümee der abso33 ‫ אח‬wird häufig als Fehler für ‫ לקח‬angesehen (vgl. G, La, Syr; Smend: Jesus Sirach, 135; Rey: L’espérance, 273–274; Beentjes: Concept, 253: „the result of a dictation error“) oder als Dittographie von ‫ לאחר‬aus V. 15 gestrichen (so Morla: Ben Sira, 131). Allerdings ist HA gut verständlich (vgl. Schreiner: Jesus Sirach 1–24, 82–83; Sauer: Jesus Sirach, 126). 34 Nach Beentjes: Concept, 252, weisen ein Querstrich über dem ungewöhnlich punktierten ‫ ֶת‬und drei Punkte am Rand von HA darauf hin, dass der Schreiber das Wort ‫ ותין‬als sekundär betrachtete, womit er Recht haben könnte (vgl. Sauer: Jesus Sirach, 126). 35 Die Segmentierung und damit der syntaktische Bezug der Zeile ‫וכל דבר שיפה לעשות‬ ‫ לפני אלהים עשה‬sind umstritten. Nach der Gliederung von HA bildet die Wendung ‫וכל דבר‬ ‫ שיפה‬ein zweites, zu ‫ תענוג‬paralleles Objekt zu ‫לבקש‬. Doch sprechen die Poetologie und Syr dafür, in der Zeile ein eigenes Bikolon zu sehen, dessen erstes Kolon die Wörter ‫וכל דבר שיפה‬ ‫ לעשות‬umfasst (vgl. Segal: ‫ספר‬, 88). 36 Das heißt: Gott.

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luten Vergänglichkeit alles Geschaffenen.37 Die sich aus allgemein weisheitlichen Sentenzen und Bildern zur Sterblichkeit speisende Collage zeigt deutlich, dass Ben Sira die sich vom alten Mesopotamien bis zum antiken Griechenland nachweisbare Vorstellung von der Freudlosigkeit des Daseins in der Unterwelt und der generellen Todverfallenheit teilt.38 Angesichts der Endgültigkeit des Todes ist es die Aufgabe des Menschen, dieses Leben in Verantwortung gegenüber dem Nächsten (‫ )אח‬und gegenüber Gott (‫ )אלהים‬zu genießen. Dabei liegt der Schwerpunkt von V. 19 auf der Hinfälligkeit jeglichen menschlichen Werks. Der menschlichen Hoffnung, aus eigener Kraft etwas schaffen zu können, das den eigenen Tod überdauert, wird eine Absage erteilt. Ben Siras universale Formulierung „alle seine Taten“ (‫כל‬ ‫ )מעשיו‬schließt dabei zeitgenössische monumentale Bauwerke und Mausoleen, die scheinbar für die Ewigkeit errichtet sind, ebenso ein wie die Etablierung politischer Macht oder die Produktion von Schriften, die in großen Bibliotheken wie in Alexandria gesammelt werden. Der griechische Text entspricht prinzipiell der Tendenz von HA. Allerdings fehlt in G eine Entsprechung zur Aufforderung, das Gute und Schöne in diesem Leben in Achtung vor Gott zu tun.39 Die Korrelation der Verantwortung gegenüber dem Nächsten und Gott ist durch die objektlose Formulierung des Imperativs „gib“ (δός ) weniger deutlich als in HA. Der Schwerpunkt der Abschlusssentenz liegt auf der Vergänglichkeit des Menschen selbst, nicht seines Werks; letzteres wird gegenüber HA ausdrücklich als ein „vermoderndes“ (σηπόμενον) qualifiziert,40 so dass zumindest theoretisch auch die Möglichkeit besteht, ein beständiges Werk zu schaffen. Damit deutet sich eine ethische Differenzierung des Todesgeschicks an. In der lateinischen Version erscheint dieser Gedanke ausdrücklich. So bringt La mittels des dreifachen Gebrauchs der Wurzel ius-* auf den Punkt, dass es bei der Gestaltung des sozialen und religiösen Lebens um Gerechtigkeit (iustitia) geht. Sie spitzt die Aussagen zur allgemeinen Vergänglichkeit ethisch und eschatologisch („vor deinem Abgang … am Ende“) zu (vgl. Sir 14,13 [La]). Letzteres wird durch die gegenüber allen anderen Versionen hinausgehende Antithese unterstrichen, dass „jedes auserlesene Werk“ 37 Vgl.

Pred 2,24–26; 3,12; 5,17–19; 7,14; 8,15; 9,7–10. Sir 17,27–28; 41,1–4; Hi 10,20–22; 14,7–12; Pred 9,4–5; Theognis, elegiae I, 973–­978 (Hansen); Aischylos, Pers. 840–842; Gilgamesch Epos Meissner-Millard III, 1–10 (TUAT III, 665–666); Lied des Antef (TUAT II, 905–906); siehe dazu auch Kaiser: Carpe diem, 247–250. 39 Die Passage in HA und in Syr wird daher häufig als ein von Pred 9,10 beeinflusster sekundärer Einschub angesehen (Skehan / Di Lella: Ben Sira, 258; siehe auch Kaiser: Jesus Sirach, 36). 40 σηπόμενον dürfte attributiv als Partizip Aktiv zu übersetzen sein (so auch Marböck: Je­sus Sirach, 181; B. G. Wright: Sirach; Rey: L’espérance, 272–273 – anders Becker u. a.: Sophia Sirach (LXX.D), 1109 [Partizip Passiv: „verfault“] und Einheitsübersetzung, 794 [prä­ dikativ: „modert und …“]). 38 Vgl.

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(opus electum) gerechtfertigt wird und es dem, der es getan hat, Ehre (honor) einbringt. Der Zusatz kann sich innerweltlich auf postmortalen Ruhm beziehen,41 ist aber offen für einen Bezug zu einem Totengericht, wie es sich auch an anderen Stellen des lateinischen Sirach zeigt (vgl. Sir [La] 10,28; 15,8; 20,28 u. v. a.).42 In jedem Fall beschließt La den dritten Buchteil nicht negativ mit der Aussicht auf den Tod als absoluter Grenze, sondern positiv mit der Verheißung einer den Tod überdauernden Ehrung durch Gott (vgl. SapSal 19,22 [20]). Neben den vergänglichen Menschen tritt der von Gott gerichtete und geehrte. Die syrische Version setzt nochmals eigene Akzente. Zwar bietet auch sie in Sir 14,15–19 eine Beschreibung der allgemeinen Vergänglichkeit (V. 18). Sie enthält aber keine Aussage zur absoluten Freudlosigkeit in der Unterwelt und betont vielmehr, dass alle menschlichen Werke vor Gott offenbar sind. Damit teilt Syr den von La ausdrücklich eingespielten Gedanken des göttlichen Gerichts,43 differenziert dieses aber nicht aus, sondern formuliert universal (vgl. Röm 14,10; 2 Kor 5,10). Der Schwerpunkt verlagert sich von der Anthropologie auf die Theologie, vom Bild des vergehenden und gerichteten Menschen hin zum richtenden Gott, vor dem nichts verborgen ist (vgl. Sir 42,18–20). Komprimiert zeigt sich hier der für das gesamte Sirachbuch in allen seinen Versionen charakteristische enge Zusammenhang von Theologie und Anthropologie.

5. Von der imago dei zur imitatio dei (Sir 18,13–14) Sir 18,13–14 beschließt den Abschnitt des Sirachbuchs, in dem am grundsätzlichsten über das Wesen des Menschen und seine Stellung in der Welt und vor Gott nachgedacht wird (Sir 16,24–18,14). Die Passage ist ab Sir 16,27 nur in der griechischen, lateinischen und syrischen Version erhalten, so dass sich eine Nachzeichnung des mutmaßlich ältesten Argumentationsgangs an G orientieren muss. Unter Rückgriff auf die biblische Urgeschichte, zumal auf Gen 1–3 und Gen 9, auf einzelne Psalmen (u. a. Ps 8 und 144) und das Hiobbuch, auf die Sinaiperikope und auf Deuterojesaja, aber auch auf stoische Vorstellungen wird der Mensch als ein von Gott geschaffenes, mit Vernunft begabtes, gleichwohl von Gott durch die Sünde und die Vergänglichkeit kategorial unterschiedenes Wesen beschrieben, das mittels der als „Gesetz des Lebens“ (Sir 17,11;

41 Vgl.

Sir 37,26; 39,10–11 (G); 41,11–13; 44,13–15; Spr 10,7; Hi 18,17.

42 Siehe dazu Kearns: Ecclesiasticus, 82–88.141–142; Legrand: Ben Sira, 231–232; Rey:

L’espérance, 274–275; siehe weiterhin SapSal 3,10–11; 1 Hen 97,5–6; TestAbr 13; 2 Hen 63,4. 43 Smend: Jesus Sirach, 136; van Peursen: Language, 35–36. Demgegenüber bestreitet Kearns: Ecclesiasticus, 225–226, eine eschatologische Dimension von Sir 14,19 (Syr) und versteht den Stichos im Sinn der allgemeinen Kenntnis Gottes (vgl. Sir 16,17–23; 17,15–20; 23,18–20; Spr 15,11; 24,12).

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45,5 [6]) bezeichneten Torah Zugang zu einer heilvollen Gottesnähe hat.44 Vom „Gott des Alls“ (Sir 36 [33],1 vgl. 18,1) zur Gottesebenbildlichkeit geschaffen, die sich in der Herrschaft über die Tiere und in der Anlage zu ethischer, intellektueller und religiöser Erkenntnis niederschlägt, findet der Mensch sein Lebensziel in der Erziehung durch und der Entsprechung zu Gott. G

La

Syr

(13) Die Barmherzigkeit eines Menschen gilt seinem Nächsten, aber die Barmherzigkeit des Herrn gilt allem Fleisch. Er weist zurecht und erzieht und lehrt und wendet zurück wie ein Hirte seine Herde. (14) Derer, die (seine) Erziehung annehmen, erbarmt er sich, und derer, die zu seinen Urteilen eilen.

(12) Das Mitleid eines Menschen kreist um seinen Nächsten, aber die Barmherzigkeit Gottes ergeht über alles Fleisch, (13) der, der Barmherzigkeit hat und lehrt, erzieht wie ein Hirte seine Herde. (14) Es möge sich erbarmen, der die Lehre zum Mitleid annimmt, und die in / bei seinen Ur­ teilen eilen.

(13) Die Barmherzigkeit des Menschen bezieht sich auf den Verwandten seines Fleischs, aber die Barmherzigkeit Gottes bezieht sich auf alle seine Diener. Er macht sie weise und unterweist sie und lehrt sie und führt sie wie ein guter Hirte, der seine Herde hütet. (14) Glücklich sind die, die auf seine Barmherzigkeit warten und die seine Urteile annehmen.

Ein besonderes Kennzeichen der Theologie des Sirachbuchs ist, dass es in der Fluchtlinie der aus Ex 34,6–7 bekannten Gnadenformel die Barmherzigkeit Gottes besonders betont und – soweit angesichts der Überlieferungslage erkennbar – erstmals im Bereich der israelitisch-jüdischen Literatur Gott ausdrücklich als den Barmherzigen (‫רחום‬, ὁ ἐλεήμων) bezeichnet (Sir 50,19).45 Charakteristisch für das Sirachbuch ist weiterhin, dass die Barmherzigkeit als Kriterium zur Unterscheidung von Gott und Mensch verstanden wird. Wie Ewigkeit und Endlichkeit, Heiligkeit und Sündhaftigkeit Gott und Mensch unterscheiden, so bilden universale und partikulare Barmherzigkeit eine wesentliche Differenz zwischen Gott und Mensch. Der Mensch erscheint dadurch erstens auf Barmherzigkeit angewiesen, zweitens zur Barmherzigkeit aufgerufen und drittens hinsichtlich der Barmherzigkeit zwar defizitär, aber entwicklungsfähig. Der göttliche Vierklang in V. 13c–d (ἐλέγχων καὶ παιδεύων καὶ δι­δάσκων καὶ ἐπιστρέφων) markiert die grundsätzliche Bildbarkeit des Menschen (vgl. Ps 94,12; Hi 5,17; PsSal 3,4). Er unterstreicht die Vorstellung, dass der Mensch stets im Werden ist. Die in der Schöpfung verliehene imago dei verwirklicht sich in der imitatio dei. Am Ende der an die Erfüllung der Gebote 44 Siehe

dazu Witte: Gesetz. den Vorläufern dieser Gottesbezeichnung gehören die Verwendung von ‫ רחום‬in prädikativer Stellung (Ps 78,38; 103,8) und die auf Gott bezogene partizipiale Wendung ‫מרחם‬ (Jes 49,15; 54,10; Ps 116,5; vgl. Sir 15,20 [HA]), vgl. Witte: Barmherzigkeit und Zorn. 45 Zu

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der Torah, als deren Kern gemäß Sir 17,14 (G) der Dekalog angesehen werden kann, gebundenen und selbst erfahrenen göttlichen Barmherzigkeit soll das Üben menschlicher Barmherzigkeit stehen. Sir 18,13–14 (G) erweist sich hier, wie schon Sir 4,10 (G), als Wegbereiter der Mahnung des lukanischen Je­sus: Werdet / seid barmherzig (οἰκτίρμονες), wie auch euer Vater barmherzig (οἰκ­ τίρ­μων) ist (Lk 6,36).46 Während G göttliche und menschliche Barmherzigkeit (ἔλεος) strikt parallel betrachtet, unterscheidet La (nach der Mehrzahl der Handschriften) hier zwischen menschlichem Mitleid (miseratio) und göttlicher Barmherzigkeit (mi­ sericordia). La betont dadurch den Unterschied zwischen Mensch und Gott. Weitergehend hebt La die Barmherzigkeit Gottes besonders hervor.47 Sie verkürzt den Vergleich 48 und unterstreicht die Vorstellung von der Bildbarkeit des Menschen, indem sie diesen in der Rolle eines Schülers sieht, der die Lehre (doctrina) seines Meisters annimmt. Ist sich G abschließend der Barmherzigkeit Gottes über die Gesetzestreuen gewiss, so gipfelt La (nach den wichtigsten Textzeugen) offenbar in dem Wunsch bzw. der Erwartung, dass der von Gott belehrte Mensch sich nun seinerseits erbarmen möge.49 Gegenüber den universalen Barmherzigkeitsaussagen von G und La in V. 13 ̈ lässt Syr die göttliche Barmherzigkeit auf die Frommen (‫)ܥܒܕܘܗܝ‬ beschränkt sein. Dies entspricht zwar der auch von G und La artikulierten Tendenz von V. 14, nivelliert aber den Gedanken, dass sich Gott und Mensch gerade hinsichtlich der Bezugsgrößen und Bezugsdimension der Barmherzigkeit unterscheiden. So bietet Syr insgesamt eine stärker auf die Frommen ausgerichtete Sentenz, die mittels der Seligpreisung derer, die auf Gottes Barmherzigkeit warten (‫ )ܣܟܐ‬und Gottes Gericht annehmen, eine eschatologische Note bekommt. Am Ende der ausführlichen Antwort auf die Frage, was der Mensch sei, die G, La und Syr bieten, steht damit noch einmal die Kennzeichnung des Menschen als eines hoffenden Wesens. Schließlich bildet die so nur von Syr gebotene Qualifikation des Hirten als eines guten Hirten (‫ )ܪܥܝܐ ܛܒܐ‬eine Brücke zum johanneischen Christus, der sein Leben für seine Schafe gibt (Joh 46 Siehe

oben S. 108. Lesart misericordiam habet könnte auf eine Verwechslung von ἐλέγχων und ἐλέων / ἐλῶν zurückgehen (so Peters: Jesus Sirach, 150) oder auf die Lesart ἐλεήμων (Smend: Jesus Sirach, 165), allerdings finden sich keine lateinischen Varianten, und keine griechische Handschrift bietet ἐλέων / ἐλῶν oder ἐλεήμων. 48 Peters: Jesus Sirach, 150, nimmt den Ausfall eines reducit als Äquivalent zu ἐπιστρέ­ φων an, was aber keinen Anhalt in der textlichen Überlieferung hat. 49 In diesem Sinn versteht auch Vulgata Deutsch den Text (Beriger u. a.: Hieronymus, 1095). Für die Diskussion des lateinischen Textes danke ich herzlich Frau Kollegin Barbara Feichtinger und Frau Dr. Sophie-Christin Holland. Folgt man hingegen den Varianten exci­ pientis oder excipientibus, entspricht La dem griechischen Text. Sperrig bleibt in jedem Fall V. 14b. Wollte man den Wechsel des Subjekts (Gott – Mensch) vermeiden, könnte man auch überlegen, misereatur als „echtes“ Passiv zu verstehen, allerdings wird misereor im lateinischen Sirach durchgehend als Deponens gebraucht. 47 Die

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10,11.14).50 Die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen wird damit ebenso festgestellt wie die Möglichkeit und Wirklichkeit der Erlösung.

6. Der Wert der Gottesfurcht und des Torahgehorsams (Sir 23,27) Auch der Abschluss des ersten großen Buchteils (Sir 1,1–23,27) ist bisher nur in G, La und Syr erhalten, so dass wie im Fall von 18,13–14 der griechische Text den Ausgangspunkt bildet.51 G

La

Syr

(27) Und es werden erkennen die, die zurückgelassen sind, dass nichts besser ist als die Furcht des Herrn und nichts süßer ist als das Achten auf die Gebote des Herrn. G-II (28) Großen Ruhm bedeutet es, Gott zu folgen, aber Länge der Tage, dass du von ihm aufgenommen wirst.

(37) Und es werden erkennen die, die zurückgelassen sind, dass nichts besser ist als die Furcht des Herrn und nichts süßer als das Achten auf die Gebote des Herrn.

(27) Und alle Bewohner der Welt werden erkennen, und alle, die auf der Erde übrig sind, werden verstehen, dass nichts besser ist als die Furcht Gottes und nichts angenehmer als seine Gebote zu halten.

(38) Und großen Ruhm bedeutet es, dem Herrn zu folgen, denn Länge der Tage erhält 52 man von ihm.

Die Sentenz beschließt die Beschreibung einer Ehebrecherin und die Folgen ihrer als Verstoß gegen die Torah und die Treue ihres Mannes verstandenen Tat. Der konkrete Fall dient als Ausgangspunkt zu einem generellen Lobpreis der Gottesfurcht und der Beachtung der Gesetze (vgl. Sir 1,1–21). Implizit ergeht der Appell, Gott zu fürchten und die Torah zu halten. Dass der erste Buchteil vor dem großen Selbstlob der kosmischen Weisheit (Sir 24) gerade mit Ausführungen zur Sexualethik endet, zeigt die hohe Bedeutung, die das Sirachbuch der ehelichen Gemeinschaft von Mann und Frau als dem Zentrum der Familie beimisst. In Kontinuität zur israelitischen Tradition kommt für Sirach der Ehe zwischen Mann und Frau eine wesentliche ökonomische und religiöse Sicherungsfunktion zu. Dass der Mensch in geschlechtlicher Differenzierung geschaffen ist (vgl. Gen 1,27; 2,22–24), steht für Sirach im Schatten der Torah 50 Siehe dazu auch Segal: ‫ספר‬, 110, sowie die Diskussion über den „Zusatz“ ‫ ܛܒܐ‬bei van Peursen: Language, 117.120.139.193.425–426, und bei Owens: Features, 184–185. 51 Bisher fehlen hebräische Äquivalente zu Sir 23,12–25,6. 52 Zu dieser Übersetzung von adsumetur siehe Peters: Jesus Sirach, 193.

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ebenso fest wie die Dominanz des Mannes und die rechtliche und gesellschaftliche Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Der erweiterte griechische Text (G-II) und La weisen eine zusätzliche Motivation zur Gottesfurcht auf. In beiden Fällen, deutlicher noch in G-II, wird der Bewahrung der Gebote grundsätzlich eine den Tod überdauernde Bedeutung zugeschrieben. So berührt sich die Formulierung von G-II eng mit dem Ausblick auf die postmortale Aufnahme des Frommen in die Herrlichkeit Gottes in Ps LXX 72,24.53 Wie schon in der lateinischen Version von Sir 6,16–17 und 14,19 (21) erscheint der Tod hier nicht mehr als absolute Grenze des Menschen. Demgegenüber bleibt Syr bei einem auf dieses Leben bezogenen Lob der Gottesfurcht und der Gebotsbewahrung, bietet aber gleichsam eine über G hinausreichende Universalisierung. Aus einem Lernbeispiel für die Nachkommen der Ehebrecherin bzw. für die, die sie überleben, ist in Syr die prophetische Erwartung einer universalen Gotteserkenntnis und Gottesfurcht geworden (vgl. Ez 29,6; 32,15; Hab 2,14).54

7. Leben im Schatten der Weisheit (Sir 33 [36],7–15) Der Lobpreis der Gottesfurcht und des Torahgehorsams in Sir 23,27 beendet nicht nur den ersten großen Buchteil. Er leitet auch zum zweiten Hauptabschnitt über, der mit dem Selbstlob der kosmischen Weisheit, die sich am Jerusalemer Tempel niederlässt und in der Torah Gestalt annimmt, eröffnet wird (Sir 24,1) und der mit einem Schöpfungshymnus endet, der selbst in einem Bekenntnis zur eingeschränkten Erkenntnis des Menschen und zur Gabe der Weisheit an die Frommen mündet (Sir 43,33). Einzelne Unterabschnitte dieses zweiten großen Buchteils schließen jeweils mit zentralen anthropologischen Ausführungen. Unter diesen ragt aufgrund seines Umfangs und seiner Mischung aus genuin israelitisch-jüdischen Traditionen mit stoischen Konzeptionen der Abschnitt Sir 33 (36),7–15 hervor, in dem Ben Sira die Erfahrungen von Gut und Böse auf eine duale, kontrastive Einrichtung des Kosmos zurückführt. Otto Kaiser hat ausführlich dargelegt, wie Ben Sira bei seiner Gegenüberstellung von Gut und Böse, Leben und Tod, hell und dunkel auf das stoische Konzept vom „dualen Kontrast aller Dinge“ zurückgreift und so die Frage der Gerech-

53 So auch Segal: ‫ספר‬, 144; Skehan / Di Lella: Ben Sira, 326. Zu La (und dem mögli­ chen Bezug auf Ps 49,16) siehe Kearns: Ecclesiasticus, 167–168.292. 54 Aufgrund seiner poetischen Geschlossenheit (zwei Bikola) wird gelegentlich vermutet, dass Syr der mutmaßlichen hebräischen Vorlage näher stünde als G, wobei dann umstritten ist, ob sich die rekonstruierte Wendung ‫ יושבי ארץ‬auf die Bewohner des Landes (so Peters: Je­sus Sirach, 190) oder auf die Bewohner der ganzen Erde bezieht (so Skehan / Di Lella: Ben Sira, 320; Marböck: Jesus Sirach, 271). Zur Frage, ob die universale Perspektive von Syr in 23,27 eine spezifisch christliche Tendenz aufweise, siehe van Peursen: Language, 89.

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tigkeit Gottes mit der Vorstellung von der Freiheit Gottes und der notwendigen paarweisen, antithetischen Anordnung alles Geschaffenen beantwortet.55 Ich beschränke mich daher auf die Benennung von grundsätzlichen Gemeinsamkeiten und charakteristischen Unterschiede der Versionen. Diese bieten alle die im Alten Orient und in der klassischen Antike weit verbreitete Metapher von der Erschaffung des Menschen aus Ton,56 mittels derer sowohl die Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit menschlichen Wesens als auch dessen Beziehung zu der ihn in Freiheit erschaffenden Gottheit ausgedrückt wird (33 [36],10): HE

G

La

Syr

[Und jeder Mensch ist ein Gefä]ß aus Ton, und aus Staub wurde ‫ אדם‬geschaffen.

Und alle Menschen sind vom Erdboden, und aus der Erde wurde Adam erschaffen

(10b) Und alle Men­schen sind vom Erdboden und aus der Erde, aus der Adam erschaffen wurde.

Und alle Menschen wurden also aus Ton erschaffen, und aus Staub wurde Adam erschaffen

Während der von HE in V. 10b gebotene Text sich sowohl auf die Erschaffung des Menschen als auch auf die Adams beziehen lässt, verstehen G, La und Syr das zweite Kolon eindeutig im Sinn des Eigennamens und der Anspielung auf Gen 2–3. Dafür, dass letzteres wohl auch für HE anzunehmen ist,57 spricht die hohe Bedeutung, die Adam im Sirachbuch hat (vgl. Sir 40,1; 49,16). Die auf die Erschaffung folgende Ausdifferenzierung der Menschheit, die Sirach in Anlehnung an die biblische Urgeschichte ganz knapp referiert (V. 11), führt HE auf die Weisheit selbst zurück,58 während G, La und Syr explizit Gott als Sub55 Kaiser: Oikeiosis-Lehre, 62; Kaiser: Göttliche Weisheit, 55–58; Beentjes: Theodicy, 272 und ausführlich Wicke-Reuter: Providenz, 224–273. 56 Vgl. Gen 2,7; Hi 10,9; 33,6; Ps 103,14. Aus der Fülle der vorderorientalischen und ägyp­tischen Belege siehe Atramchasis-Mythos I, 200–230 (COS 1.130, 451; TUAT III, 623–­ 624); Gilgamesch I, ii,33–34 (ANET, 74; TUAT III, 675); Enki und Ninmach, 31–32; 58–59 (COS 1.159, 518; TUAT III, 391; 393); Kosmologie des kalû-Priesters (TUAT III, 604–605), 25; Ludlul bēl nēmeqi IV, 110–112 bzw. V, 80–83 (COS 1.153, 492; TUAT III, 135; Oshima: Poems, 110–111); Babylonische Theodizee 277–278 (COS 1.154, 495; TUAT III, 156; Oshi­ ma: Poems, 164–165); Amenemope XXIV, 13–14 (COS 1.47, 121; TUAT.NF VIII, 344); My­thos von der Geburt des Gottkönigs II,3 (TUAT III, 997–998); Chnum-Hymnus von Esna (TUAT II, 909–910), siehe dazu Pettinato: Menschenbild, 39–42. Aber auch in griechischen und römischen Mythen begegnet das Motiv, wenn Prometheus die Menschen aus Lehm und Wasser erschafft (Apollodor, bibliotheke I, 45; Kallimachos, fragmenta incertae sedis 493,2; Properz, elegiae III, 5,7–8). 57 Vgl. Peters: Jesus Sirach, 271; Mopsik: La Sagesse, 197; Kaiser: Jesus Sirach, 77. Da­ gegen Skehan / Di Lella: Ben Sira, 394; Sauer: Jesus Sirach, 232; Morla: Ben Sira, 393.­ 484; Zapff: Jesus Sirach 25–51, 213: „Mensch“. 58 Vgl. Sauer: Jesus Sirach, 232; Mopsik: La Sagesse, 198; Morla: Ben Sira, 393.484; Wicke-Reuter: Providenz, 244.

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jekt und die göttliche Weisheit als Mittel der Unterscheidung verstehen. Die nur in HE und Syr gebotene Notiz, dass die Menschen zu Bewohnern der Erde eingesetzt wurden (V. 11), spielt deutlicher als G und La neben Gen 1 noch Gen 10–11 ein, während sich die Aussage über die Unterscheidung der Wege des Menschen sowohl in lokaler als auch in ethisch-religiöser Hinsicht als Generalisierung von Gen 12–13 verstehen lässt. In anthropologischer Hinsicht ist entscheidend, dass die Differenzierung der Lebensräume und Lebenswege des Menschen als von Gott bestimmt betrachtet werden. Ein Widerspruch zu der von Ben Sira in 15,11–17 in Anlehnung an Dtn 30,15–20 59 formulierten Entscheidungsfreiheit des Menschen muss darin nicht gesehen werden: Innerhalb des von Gott gesetzten Raums hat der Mensch Freiheit. Auch die folgenden Ausführungen zur unterschiedlichen Verteilung von Segen und Fluch, Erhöhung und Erniedrigung, Gottesnähe und Gottesferne, die allgemein formuliert sind (V. 12), hinter denen aber die Erzählungen über die Erzväter sowie über Mose, Aaron und ihre Gegner (Korach, Datan und Abiram) aufleuchten,60 lassen dem Menschen die Möglichkeit zur Entscheidung in den von Gott gesetzten Grenzen. Gleichwohl besteht zwischen der Betonung der menschlichen Freiheit in Sir 15 und der göttlichen Freiheit in Sir 33 eine Spannung, mit der die Versionen in unterschiedlicher Weise umgehen (V. 13). HE

G

La

Syr

(13) …… Töpfer zu halten / ergreifen gemäß (seinem) Wohlgefallen …… sein Sch[öpfer], sich vor [ihm] hin­ zustellen, hat er zugeteilt.

(13) wie Ton des Töpfers in seiner Hand, ihn zu formen gemäß seinem Wohlgefallen, so sind die Menschen in der Hand dessen, der sie schuf, ihnen zu vergelten gemäß seinem Urteil.

(13) wie Ton des Töpfers in seinen ei­genen Händen, je­nen zu formen und an­zuordnen, (14) alle seine Wege gemäß seiner Anordnung, so ist der Mensch in der Hand jenes, der ihn gemacht hat, er wird ihm vergel­ ten gemäß seinem Urteil.

(13) wie Ton, der geformt ist in der Hand des Töpfers, (14) so ist der Mensch in der Hand seines Schöpfers, um ihn in den Bereich61 all seiner Werke zu stellen.

59 Vgl.

Dtn 11,26–28; Jer 21,8. 33,12; vgl. Gen 12–13; Ex 3–6; Num 16–17. In Sir 33,12d zeigt sich eine kleinere Differenz zwischen den Versionen, wenn HE von der Vertreibung „von ihren Tätigkeiten“ (‫ )מעבדיהם‬bzw. G und La von der Vertreibung aus ihren „besonderen Stellung“ (ἀπὸ στάσεως αὐτῶν, a separatione ipsorum) sprechen, womit auf die Abstellung zum Priesterdienst Bezug genommen wird, und in Syr von der Vertreibung aus „ihren Wohnungen“ (‫ )ܡܢ ܡܕܝ̈ܪܝܗܘܢ‬die Rede ist, was auf eine Exilierung hinweist. 61 Zu dieser Wiedergabe der Präposition ‫ ܒ‬siehe Ryssel: Sprüche Jesus’, 396; Smend: Je­ sus Sirach, 299; Wicke-Reuter: Providenz, 229; Zapff: Jesus Sirach 25–51, 214. 60 Sir

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Der nur fragmentarisch erhaltene und hinsichtlich der Übersetzung des zweiten Kolons umstrittene hebräische Text,62 lässt zumindest die Vorstellung erkennen, dass Gott den Menschen als sein Gegenüber geschaffen hat (vgl. Jes 64,7; Jer 18,6). In die Geschöpflichkeit ist der Gottesbezug integriert. Ob mit der Formulierung ‫ להתיצב‬der generelle Stand des Menschen vor Gott gemeint ist oder speziell ein gottesdienstliches, anbetendes Stehen (vgl. 1QHa XI,22), muss offenbleiben. Jedenfalls liegt es in der Freiheit des Menschen, wie er seinen grundsätzlichen Stand vor Gott lebt.63 G und La betonen demgegenüber stärker das Handeln Gottes, der dem Menschen nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Richter begegnet. La konstatiert, wie auch zahlreiche griechische Handschriften,64 darüber hinaus als zweites Kolon (als Dublette?), dass Gott alle Wege des Menschen anordnet (dispo­ nere). Der Gedanke der Determination wird damit (in Entsprechung zu V. 11) verstärkt. Hingegen unterstreicht Syr den Charakter des Menschen als Teil der göttlichen Schöpfung. Die Ambivalenz menschlicher Existenz, die sich zwischen geschöpflicher Hinfälligkeit und Gott geschenkter Leistungsfähigkeit bewegt, wird damit im Schatten von Gen 1–2 auf knappstem Raum ausgedrückt. Sollte ̈ ‫ ܒܟܠ‬eine Anspielung auf das Motiv des dominium in der Formulierung ‫ܥܒܕܘܗܝ‬ terrae aus Gen 1,26 (vgl. Ps 8,7) vorliegen, würde der Schwerpunkt auf der Funktion der Erschaffung des Menschen liegen.65 Hinsichtlich der paradigmatischen Auflistung polarer Phänomene in V. 14 (15) weisen die Versionen erneut kleine Differenzen auf. Während alle Versionen die Größen Gut und Böse sowie Leben und Tod auflisten, verweisen nur HE und Syr zusätzlich auf Licht und Finsternis und unterstreichen im Anschluss an Gen 1 die kosmische Dimension göttlichen Handelns. Menschliche Existenz ist damit explizit in die von Gott bestimmten Abläufe der Natur eingebettet. Hingegen bieten nur HE, G und La eine ausdrückliche ethische Differenzie62 Ich verstehe ‫ להתיצב‬reflexiv, lese ‫ ָח ַלק‬und deute ‫ מפניו‬im Sinn von ‫( לפניו‬vgl. Gen 31,35; Lev 19,32), vgl. Sauer: Jesus Sirach, 232. Demgegenüber liest Wicke-Reuter: Providenz, 229, ‫„( ֶח ֵלק‬daß von ihm das Geschick festgesetzt wird“), ähnlich Zapff: Jesus Sirach 25–51, 214; Morla: Ben Sira, 395.485. Mopsik: La Sagesse, 198, vokalisiert ‫„( ָח ָלק‬glatt“) und paraphrasiert: „apparaît devant lui comme une pierre lisse“. Kaum plausibel ist der Vorschlag von T. Penar, ‫ ח ֵֹלק‬zu punktieren und dies als göttliches Epitheton im Sinn von „der Schöpfer“ zu verstehen, das angeblich auch in Jer 10,16; Ps 119,57 und Klgl 3,24 belegt sei (Penar: Philology, 55–56). Gleichwohl schließt sich Beentjes: Theodicy, 270, Penar an. 63 Anders Wicke-Reuter: Providenz, 259: „So wie der Töpfer den Ton nach seinem Willen formt, so bestimmt Gott, indem er den Menschen schafft, zugleich sein Leben, indem er ihm sein ‚Teil‘ festsetzt.“ 64 Zur Diskussion des textkritischen Befundes in G siehe ausführlich Becker u. a.: Sophia Sirach (LXX.E), 2217–2218. 65 In diesem Sinn übersetzen Calduch-Benages u. a.: Wisdom, 200 („in order to place him over all his works“) und Morla: Ben Sira, 395, allerdings würde man dann eher die Präposition ‫ ܥܠ‬erwarten.

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rung des Menschen in Gut und Böse, wobei G und La spezifischer religiös gefärbt sind und zwischen dem Frommen (εὐσεβής, vir iustus) und dem Sünder (ἁμαρτωλός, peccator) unterscheiden. Die Viergliedrigkeit von HE mit der Aufzählung von Gut und Böse, Leben und Tod, einem guten und einem bösen Menschen sowie Licht und Finsternis dürfte ursprünglich sein.66 Ein besonderer Akzent von Syr besteht darin, die Polarität nicht nur zu konstatieren, sondern ausdrücklich auf das Geschaffensein (‫ )ܐܬܒܪܝ‬durch Gott zurückzuführen.67 Die die Perikope in V. 15 beschließende summarische Feststellung, dass alle Werke Gottes paarweise und antithetisch zueinander geschaffen sind, ist in den Versionen identisch. Allerdings steht dem an den Leser des hebräischen, griechischen und lateinischen Buches gerichteten Imperativ, selbst jedes Werk zu betrachten und so zur Erkenntnis der dualen Anlage der Schöpfung zu kommen, in Syr die Feststellung gegenüber, Gott habe die paarweise Struktur alles Geschaffenen aufgezeigt (‫)ܗܘܝ‬. So werden in HE, G und La die Vorstellung von der grundsätzlichen menschlichen Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit des Menschen sowie die Pragmatik des Sirachbuchs als eines auf die Bildung des Menschen zielenden Werks deutlicher als in Syr.

8. Auf dem Weg zur Überwindung des Todes (Sir 39,11) Ben Siras Anleitungen zur Gottesfurcht, zum Erwerb von Weisheit und zur Beachtung der Torah gipfeln in einem Lobpreis des Schriftgelehrten (‫ סופר‬/ γραμματεύς, Sir 38,24–39,11). In der Tradition des vor allem aus ägyptischen Lehren68 bekannten Lobs des Schreibers erscheint der jüdische Weise, der sich mit den Schriften der Väter beschäftigt, mittels Inspiration den Geheimnissen Gottes nachgeht, sich im Gebet an Gott wendet und im täglichen Leben der Torah folgt, als der ideale Mensch. Die abschließende Eulogie in Sir 39,11 ist vollständig nur in G, La und Syr erhalten.69 In allen drei Fällen scheint der überlieferte Text des Schlussverses gestört zu sein. Bleibt man bei dem von den Versionen repräsentierten Text, ergibt sich folgendes Bild:

66 So auch Sauer: Jesus Sirach, 232–234, und Kaiser: Jesus Sirach, 77, während Peters: Je­sus Sirach, 271, und Skehan / Di Lella: Ben Sira, 396.401, G (und La) folgen (vgl. Wicke-­ Reuter: Providenz, 396). 67 Vgl. van Peursen: Language, 47. 68 Siehe z. B. die auf der Rückseite des Papyrus Chester Beatty IV (50–145) gesammelten Lobeshymnen auf den Schreiber (Brunner: Weisheitsbücher, 218–230) und dazu Marböck: Sir 38,24–39,11. 69 HB bietet nur Sir 38,24–27.

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G

La

Syr

(11) Wenn er (der schriftgelehrte Weise) standhaft bleibt 70, wird er einen Namen hin­ terlassen mehr als tausend andere. Und wenn er zur Ruhe kommt, nimmt er (der Name) ihm noch zu.

(15) Wenn er standhaft gewesen sein wird, wird er tausend Namen hinter­ lassen, und wenn er zur Ruhe gekommen sein wird, wird er / es ihm nützen.

(11) Wenn er (etwas) wünscht, wird er von tausend gepriesen71, und wenn er schweigt, von einem kleinen Volk (?)

In G scheint der Vers die Vorstellung zu spiegeln, dass der Ruf, den sich ein Mensch erworben hat, den Tod überdauert.72 Das positive Gedenken ist gemäß traditioneller israelitischer Vorstellung die einzige Form einer postmortalen Existenz. Burkard M. Zapff spricht in diesem Zusammenhang treffend von dem Lebensweg des Weisen als einem „Sonderweg zur Bewältigung des allgemeinen Todesgeschicks“.73 Im „Lob der Väter“ (Sir 44–49.50) wird diese Vorstellung an einzelnen Figuren der Geschichte Israels entfaltet.74 Der Weise, der schon in diesem Leben besondere Achtung genoss, wird damit beispielsweise den hellenistischen Herrschern gegenübergestellt, deren Namen auch noch Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte nach ihrem Tod bekannt sind. Entscheidend für einen solchen postmortalen Ruhm, der sogar noch wächst, sind weder politische oder militärische Leistungen noch besondere kulturelle oder bauliche Maßnahmen – alles menschliche Werk ist, wie in Sir 14,19 schon notiert, vergänglich –, sondern das Leben in und mit der Torah, das sich in Schrift­ studium, einem entsprechenden Ethos und im Gebet niederschlägt. Dieser Weg ist prinzipiell jedem (Mann) offen – vorausgesetzt, er hat dazu die ökonomischen Mittel, denn „nur, wer wenig Arbeit hat, kann weise werden“ (Sir 38,24). Weite und Begrenztheit der siracidischen Anthropologie zeigen sich an dieser Stelle besonders. La scheint dem überlieferten, aber häufig geänderten griechischen Text75 grundsätzlich zu entsprechen, wobei die Formulierung „er / es wird jenem 70 So nach LEH s. v. ἐμμένω (vgl. B. G. Wright: Sirach, 751; Reitemeyer in Becker u. a.: Sophia Sirach (LXX.D), 1144) – oder: „lange lebt“ (Muraoka: Lexicon, 226; Einheitsübersetzung, 818; Peters: Jesus Sirach, 323; Skehan / Di Lella: Ben Sira, 447; Sauer: Jesus Si­rach, 269; Kaiser: Jesus Sirach, 90; Zapff: Jesus Sirach 25–51, 267). 71 Die Lesart ‫ ܢܫܬܒܚ‬wird gelegentlich auf ein mutmaßlich ursprüngliches ‫ יאשר‬zurückgeführt (Segal: ‫ספר‬, 260; siehe auch Sauer: Jesus Sirach, 269; Zapff: Jesus Sirach 25–­51, 267). 72 Vgl. Sir 37,26; 41,11–13; 44,13–15; Spr 10,7; Hi 18,17. 73 Zapff: Jesus Sirach 25–51, 267. 74 Sir 44,14; 45,1; 46,11; 49,1. 75 Seit Smend: Jesus Sirach, 356, wird anstelle von ἐμποιεῖ (so die Mehrzahl der Handschriften) frei ἐκποιεῖ konjiziert (vgl. Rahlfs: Septuaginta; Vattioni: Ecclesiastico; Ziegler: Sirach); zu handschriftlich belegten Varianten siehe Ziegler: Sirach. Auch Reitemeyer

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nützen“ ( proderit illi) offen lässt, ob der verstorbene Weise aufgrund seines außergewöhnlichen, den göttlichen Geboten voll entsprechenden Lebens ein besonderes jenseitiges Geschick hat, welches das Fortleben des Namens, und sei es in der Vielgestaltigkeit von Namen, wie sie eigentlich nur Göttern oder vergöttlichten Herrschern zukommt, übertrifft. In diesem Sinn böte La eine Parallele zu Sir 14,21 (La): Weisheit, Gottesfurcht und Gesetzestreue zahlen sich auch im Jenseits aus, in dem der ideale Mensch durch Gott seine Vollendung findet. Dementsprechend wäre der lateinischen Version von Sir 39,11 (15) dann Mt 16,26 zur Seite zu stellen: Denn was nützt es ( prodest) einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele einen Schaden erleidet? Oder was wird ein Mensch als Tausch für seine Seele geben?

Demgegenüber bleibt Syr eindeutig bei einem rein immanenten Verständnis, wobei das zweite Kolon unklar ist.

9. Gotteslob und Erkenntnisgrenzen (Sir 43,32–33) Der gesamte achte Unterabschnitt des Buches (Sir 39,12–43,33) kreist um das Thema Schöpfung und die Stellung des Menschen in ihr. Entsprechend der Zeichnung des idealen Menschen, der sich im Gebet an Gott wendet (Sir 39,6), bietet Ben Sira am Ende dieser Ausführungen, die zugleich den zweiten Hauptteil des Buches beschließen, einen ausführlichen Hymnus auf Gottes Schöpfungswerke (Sir 42,15–43,33). Der Hymnus hat zahlreiche Parallelen in den Psalmen (vgl. besonders Ps 104; 147–148) und in der ersten Gottesrede des Hiobbuchs (Hi 38–39). Ähnlich wie Hiob am Ende der Gottesreden (Hi 42,2) bekennt sich das betende Ich von Sir 42,15–43,33 abschließend zur umfassenden Macht des Schöpfers und zu den Grenzen menschlicher Erkenntnis (Sir 43,32–33 vgl. Hi 26,14). G

La

(32) Viele verborgene Dinge sind (noch) größer als das, denn (nur) wenige haben wir gesehen von seinen Werken. (33) Denn alles hat der Herr gemacht, und den Frommen hat er Weisheit gegeben.

(36) Viele verborgene Dinge sind (noch) größer als das, denn (nur) wenige haben wir gesehen von seinen Werken. (37) Alles aber hat der Herr gemacht, und denen, die fromm handeln, hat er Weisheit gegeben.

in Becker u. a.: Sophia Sirach (LXX.D), 1144, liest ἐκποιεῖ und versteht dies im Sinn von „vollenden“ (vgl. Becker u. a.: Sophia Sirach (LXX.E), 2232), wobei dann an die Vorstellung gedacht zu sein scheint, dass sich in einem guten Tod, das heißt in einem Sterben zur rechten Zeit („alt und lebenssatt“) das gesegnete Leben des Weisen vollendet (vgl. Gen 25,8; 35,29; 1 Chr 29,28; Hi 42,17).

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In HB sind von V. 32–33 nur noch sehr wenige Wörter lesbar, wobei in V. 32 der Beter – entsprechend der Eröffnung des Hymnus in Sir 42,15 – in der 1. P. Sg. spricht (‫)ראיתי‬. Dies dürfte ursprünglich sein (vgl. Sir 39,12). La entspricht dem griechischen Text. Syr weist in Sir 43,11–43,33 eine Lücke auf, so dass der Hymnus dort mit der Feststellung der astralen Ordnung durch Gott endet (Sir 43,10, vgl. Gen 1,14–19; Hi 38,31–33; Ps 104,19). Anthropologisch ist entscheidend, dass der Mensch grundsätzlich, wenn auch begrenzt, auf Erkenntnis hin angelegt ist. Diese zielt auf eine Verortung seiner selbst in einer von Gott planvoll geschaffenen Welt und auf das Gotteslob. Im Gegensatz zu den Gottesreden im Hiobbuch ist in Sir 42,15–43,33 – trotz eines vergleichbaren kosmisch-meteorologischen Schwerpunkts – der Mensch ausdrücklich in die hymnische Beschreibung einbezogen (Sir 42,18; 43,11.24.27–33). Die Weisheit, mit der der Hymnus auf die Eröffnung des zweiten Buchteils in Sir 24 rekurriert, ist hingegen eine Gabe, die nur den Frommen geschenkt wird (Sir 43,33). Weisheit ist demnach noch mehr als die Wahrnehmung der Wunder der Schöpfung. Universales und partikulares Denken, das das Sirachbuch durchgehend prägt, zeigt sich auch hier. Dabei klingt die nur in G und La erhaltene Frage, wer Gott gesehen habe, wer ihn adäquat beschreiben und lobpreisen könne (Sir 43,31), wie eine Kritik an Hiobs Schlussbekenntnis, nun habe sein Auge Gott gesehen (Hi 42,5 vgl. 1QS XI,3.6). Auch wenn das Sirachbuch dem Weisen die Möglichkeit zur Ergründung besonderer Geheimnisse zugesteht (Sir 39,7), scheint es eine unmittelbare Gottesschau wie die Hiobs auszuschließen. So lässt Sirach auch Mose nur die Stimme Gottes hören und sich dem Wolkendunkel Gottes nur nähern (Sir 45,5). Sirachs Theologie und Anthropologie entspricht hier eher dem Gottes- und Menschenbild der dem Hiobbuch später zugewachsenen Elihureden (Hi 37,23–24, vgl. Hi 28,28): (23) (24)

Schaddaj, ihn finden wir nicht. Gewaltig ist er an Kraft und Recht76, und die Fülle der Gerechtigkeit beugt er nicht. Deshalb fürchten ihn die Männer, nicht jeder, der weisen Herzens ist, vermag (das) zu sehen.77

10. Der wahre Mensch (Sir 50,22–24) Das Stichwort der „Frommen“, denen Gott seine Weisheit gibt (Sir 43,33), leitet zugleich zum letzten großen Buchteil und zum „Lob der Väter“ (Kap. 44–49.50) über. In dieser aus Elementen israelitisch-jüdischer Geschichtspsalmen und paganer hellenistischer Enkomien gemischten Galerie ausgewählter Figuren der Geschichte Israels entfaltet das Sirachbuch wahre Frömmigkeit, um dann mit einem Lobpreis auf den Hohenpriester Simeon zu schließen (Sir 76 ‫ומשפט‬ 77 Siehe

gehört gegen die masoretische Segmentierung zu V. 23aβ. dazu auch S. 62f. mit Anm. 45.

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50,1–24). Dieser erscheint in seiner an Adam erinnernden Herrlichkeit (Sir 50,20 vgl. 49,16) und in seinem den Kosmos repräsentierenden Ornat (Sir 50,6) als der wahre Mensch. HB

G

La

Syr

(22) Jetzt segnet doch Jhwh, den Gott Israels, der wunderbar an der Erde handelt, der den Menschen groß zieht von Mutterleib an und an ihm handelt gemäß seinem Wohlgefallen (vgl. 33,11). (23) Er gebe euch Weisheit des Herzens, und er78 sei im / als Frieden unter euch. (24) Fest stehe mit Simeon seine Treue, und er erhalte ihm den Bund des Pin­ has, dass er nicht gebrochen werde, ihm und seinen Nachkommen gemäß den Tagen des Himmels.

(22) Und jetzt seg­net den Gott des Alls / von allem, der große Dinge tut in allem, der unsere Tage erhöht von Mutterleib an und an uns handelt gemäß seiner Barmherzigkeit. (23) Er gebe uns Freu­de des Herzens und dass Frieden werde in unseren Tagen in Israel gemäß den Tagen der Ewigkeit. (24) Es sei in Treue mit uns seine Barmherzigkeit, und in unseren Ta­gen soll er uns er­lö­sen.

(24) Und jetzt bittet den Herrn von allem, der große Dinge ge­tan hat auf der ganzen Erde, der unsere Tage vom Leib unserer Mutter an vermehrt hat und der an uns gemäß seiner Barmherzigkeit gehandelt hat. (25) Er gebe uns Freu­de des Herzens und dass Frieden wer­de in unseren Ta­gen in Israel während ewi­ger Tage, (26) dass Israel glaube, dass die Barm­herzigkeit Gottes mit uns sei, damit er euch79 in seinen Tagen befreie.

(22) Und das Volk des Landes pries Gott, der Wunder im Land getan hat / tut, der die Menschen aus dem Leib ihrer Mutter erschaffen hat / erschafft und der sie geleitet hat / leitet nach seinem Willen, (23) um ihnen Weisheit des Herzens zu geben, und es wird Frieden unter ihnen sein, (24) und mit Simeon wird Treue gehalten und mit seinen Nachkommen gemäß den Tagen des Himmels.

Die Schlussverse des Enkomiums auf den Hohenpriester bieten eine Zusammenfassung der Menschenbilder des hebräischen Sirachbuchs. Der von Gott gesegnete Mensch (Sir 50,20) soll zugleich der Gott segnende, das heißt lob­ preisende Mensch sein (V. 22). Der von Gott geschaffene und von diesem in Freiheit geleitete Mensch (vgl. Sir 33,7–15) findet seine Erfüllung in der Begabung mit der göttlichen Weisheit und in der Frieden stiftenden Gemeinschaft mit Gott (V. 23).80 Als Mittler des Segens, der Weisheit und des Gottesfriedens 78 Das

heißt: Gott selbst (vgl. Mopsik: La Sagesse, 320; Skehan / Di Lella: Ben Sira, 554; Sauer: Jesus Sirach, 338; Zapff: Jesus Sirach 25–51, 384). Peters: Jesus Sirach, 433, und Morla: Ben Sira, 345, streichen die Präposition ‫ ב‬und verstehen ‫ שלום‬als Subjekt (vgl. G, La, Syr). 79 Variante: nos („uns“). 80 V. 22c–d und V. 23 dürften generell zu verstehen sein (vgl. Skehan / Di Lella: Ben Sira, 554; Sauer: Jesus Sirach, 340), nicht exklusiv im Blick auf Simeon bzw. dessen Söhne (so

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fungiert der in der Sukzession Aarons stehende (Sir 45,6–22), für die Dauer der Zeit (‫ )כימי שמים‬81 eingesetzte Hohepriester. Auf Israel bezogene Geschichtsund Bundestheologie ist hier mit einer Schöpfungstheologie verbunden. Liegt der Schwerpunkt von HB auf der Beziehung dieses Gottes zu Israel,82 der grundsätzliche Aussagen zum Menschen untergeordnet sind, so zeigt sich in G ein universaler Zug. In G fehlt vor allem die Bitte für den Hohenpriester, was textgeschichtliche Gründe haben kann,83 aber auch zeitgeschichtlich bedingt sein kann, insofern zur Zeit des griechischen Übersetzers der „Bund mit Pinhas“ (Sir 45,23–25 [HB]; 50,24 vgl. Num 25,13) tatsächlich zerbrochen war und die zadokidische Dynastie Simeons nicht mehr als Jerusalemer Hohepriester amtierte (vgl. 2 Makk 4,26.34). Die Tendenz von G ist eindeutig. Neben der universalen Perspektive (Sir 36 [33],1; 43,27) kennzeichnen den griechischen Text die starke Applikation des Gebets auf die Beter selbst, die Konzentration auf Gottes Barmherzigkeit (ἔλεος), der Wunsch um Freude (εὐφροσύνη) anstelle um Weisheit und der abschließende Erlösungswunsch. Deutlicher als in HB wird das grundsätzliche Angewiesensein des Menschen auf die Barmherzigkeit Gottes und die unmittelbare Erlösung durch Gott herausgestellt. La entspricht weitgehend G, setzt aber eigene Akzente, insofern aus dem Lobpreis Gottes ein Gebet zu Gott wird und Israel als handelnde Größe in das Gebet einbezogen wird. Auch wenn sich die zusätzliche Erwähnung Israels in V. 24 (26) textgeschichtlich auf die Lesart ‫ ָ עם‬/ ‫„( ַעם‬Volk“) anstelle von ‫ִעם‬ („mit“) zurückführen lässt, ist offen, ob der Übersetzer Israel als ein Gegenüber zu den von sich in der 1. P. Pl. sprechenden Betern oder als eine die Beter einschließende Größe versteht. In jedem Fall betont La, dass der Zeitpunkt des Befreiens (liberet) 84 allein in Gottes Händen liegt. Auch Syr unterstreicht die Aktivität Gottes. Dabei bietet Syr anstelle eines an die Leser des Buches gerichteten Gebetsaufrufs eine Beschreibung des Gotteslobs und anstelle der Bitte um Weisheit oder Freude des Herzens die Gewissheit, dass Gott den Menschen mit der Weisheit begabt. So steht am Ende des Väterlobs des syrischen Sirachs noch einmal der von Gott geschaffene, geführte und mit Weisheit ausgestattete Mensch (vgl. Sir 17,7 [Syr]: Mit Weisheit und Verstand füllte er ihre Herzen. Gut und Böse zeigte er ihnen).

aber tendenziell Zapff: Jesus Sirach 25–51, 384, und ausdrücklich Corley: Sirach, 143–­144, mit Hinweis auf Sir 45,25–26). 81 Sir 50,24 vgl. Sir 45,15; Dtn 11,21; Ps 89,30; Bar 1,11; PsSal 14,4; KAI5 I, Nr. 266,3. 82 Vgl. Sir 24,23 (die kosmische Weisheit schlägt sich in der Torah Israels nieder), 44,1– 49,16 (in der Geschichte Israels finden sich die beispielhaft frommen und weisen Menschen), 50,1–24 (der Kult Israels repräsentiert den wahren Kult). 83 Die Lesung μεθ᾽ ἡμῶν könnte auf einer Verlesung von μετὰ Σιμων beruhen (so Ryssel: Sprüche Jesus’, 470). 84 So nach dem Obertext im Liber Hiesu Filii Sirach und bei Vattioni: Ecclesiastico. We­ ber / Gryson: Biblia Sacra, bevorzugen die Variante sanet („er heile“).

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11. Das wahre Leben (Sir 50,28–29) HB

G

La

Syr

(28) Glücklich ist der Mann, der über diese Dinge nachsinnt, und der, der sie auf sein Herz legt, wird weise werden. (29) Denn die Furcht Jhwhs ist Leben.

(28) Glücklich ist, wer bei diesen Dingen verweilen wird, und, nachdem er sie auf sein Herz gelegt hat, wird er weise gemacht werden. (29) Denn wenn er sie tut, wird er zu allem Kraft haben, weil die Furcht des Herrn seine Spur ist. G-II Und den Frommen hat er Weisheit gegeben. Gelobt sei der Herr in Ewigkeit. Es geschehe, es geschehe.

(30) Glücklich, wer in diesen Gütern ver­weilt, wer jene in sein Herz legt, wird immer weise sein. (31) Denn wenn er dies getan haben wird, wird er zu allem fähig sein, weil das Licht Gottes seine Spur ist.

(28) Glücklich ist der Mann, der über diese Dinge nachdenkt und sie lernt und durch sie weise wird und sie tut. Die Höhe der Furcht des Herrn ist über alles erhöht. Beachte sie genau, mein Sohn, und lass sie nicht dahingehen.

Bezeichnenderweise enden die weisheitlichen und auf die Erziehung des jüdischen Mannes zielenden Sprüche Ben Siras mit einem an Ps 1,1–2 erinnernden Makarismus (vgl. 4Q525 frgm. 2,ii + 3,1.6). Weisheitliche Bildung und Torahgehorsam (vgl. Dtn 6,6; 11,18) werden abschließend nochmals eng zusammen gesehen, unter dem Begriff der Gottesfurcht vereint und als Quelle des Lebens selbst angesehen (vgl. Spr 14,27; 19,23). Die Gottesfurcht erscheint wie in Sir 6,37 (HA) und 40,26–27 (HB) als wahres Lebensmittel des Menschen, der für Ben Sira grundsätzlich bildbar und erkenntnisfähig, frei und bis zum bzw. in den Tod im Werden ist. Pointiert lautet das Schlusswort des hebräischen Sirach (vor dem dreigliedrigen Anhang in Kap. 51) „Leben“ (‫)חיים‬, was gemäß der eingangs beschriebenen weisheitlichen Tradition dem fundamentalen Interesse des gesamten Buches an einem gelingenden Leben des Menschen entspricht (vgl. Sir 6,15 [16]; 15,17; 17,11 [G]; 45,5).85 Auch G betont den engen Zusammenhang von Erziehung zur Weisheit, erfolgreicher Bewältigung des Lebens und Gottesfurcht, lässt aber weniger deutlich den Bezug zu Ps 1 und zur Beachtung der Torah erkennen. Hingegen wird in einem gegenüber HB zusätzlichen, aus poetologischen Gründen wohl als ursprünglich anzusehenden vierten Kolon (V. 29a) die aktive Umsetzung des Gelernten unterstrichen. Denken und Handeln bilden demnach eine Einheit. Durch die passivische Formulierung von V. 28b wird die Rolle Gottes 85 Vgl.

Spr 3,18; 4,22; 8,35; 14,27; 19,23.

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als dem eigentlichen Lehrer des Menschen betont. Die Gottesfurcht (φόβος κυ­ρίου) erscheint schließlich weniger als ein Mittel denn als ein Kennzeichen (ἴχ­νος)86 des Lebens des Frommen. G-II hebt diese zwei Gedanken mittels der Wiederholung von Sir 43,33b hervor. Dass es eigentlich Gott ist, der am Menschen zu dessen Heil handelt, betont dann auch Paulus, wenn er in einer Art christologischer Transformation von Sir 50,29 (G) bekennt: Ich habe zu allem Kraft (ἰσχύω) durch den, der mich stark macht, Christus (Phil 4,13). Dass Sir 50,28–29 schon früh in der christlichen Überlieferung christologisch verstanden werden konnte, zeigt der Codex Venetus, der in V. 29 von φόβος χριστοῦ spricht (vgl. Eph 5,21). Die lateinische Version setzt gegenüber HB und G nochmals eigene Akzente, indem sie erstens die weisheitlichen und pädagogischen Gegenstände des Nachdenkens ausdrücklich als gut (bona) qualifiziert, zweitens dem, der sie befolgt, fortwährendes Weisesein zusagt (sapiens erit semper) und drittens die umfassende Bevollmächtigung nicht auf die Furcht, sondern, wie die Mehrzahl der griechischen Handschriften, die φῶς κυρίου bieten, auf das „Licht Gottes“ (lux dei) zurückführt. So steht am Ende des lateinischen Sirach der im Licht Gottes wandelnde Mensch. Damit kann ein Leben im Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes gemeint sein (vgl. PsVg 118,105; Spr 6,23; Jes 2,5) wie auch ein von Gott selbst geleitetes Leben (vgl. PsVg 118,33), das sich im Kontext der christlichen Bibel dann auf ein von Christus als dem Licht Gottes (vgl. Joh 12,46) geführtes Leben bezieht. Noch deutlicher als G und La hebt Syr den Zusammenhang von Meditation der im Sirachbuch niedergelegten Weisheit, Lernen, weise Werden und Handeln, mithin den Weg vom Intellekt zum Ethos hervor, um dann mit einem Lobpreis der Gottesfurcht und einer formelhaften, direkten Ermahnung des Schülers Sirachs und des Lesers seines Buches zu schließen (vgl. Sir [Syr] 6,27; 25,11–12; 40,26).

12. Ausblick: Der betende und segnende Mensch (Sir 51,1–30) In allen seinen Versionen stellt das Sirachbuch den Menschen als ein von Gott geschaffenes Wesen dar, das auch in seiner Endlichkeit auf Gott bezogen, zur Erkenntnis Gottes befähigt und zu einem an den Geboten der Torah orientierten Leben aufgerufen ist. Komprimiert zeigt sich die prozesshafte, theologische Anthropologie des Sirachbuchs nochmals am Ende in den drei Anhängen in Kap. 51, wenn dort der für sich und in der Gemeinschaft betende sowie der Weisheit suchende und Gott segnende Mensch dargestellt werden (Sir 51,1–12; 51,12a–o; 51,13–30). Die von Bernd Janowski für die alttestamentliche Anthropologie herausgearbeitete Vorstellung, wonach sich in der Situation vor Gott, 86 Bei der Lesart λύχνος („Leuchte“) handelt es sich um eine freie Konjektur (vgl. Ziegler: Sirach, 470).

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mithin in Gebet und Segen, Menschwerdung ereigne, gilt in besonderer Weise für das Sirachbuch (vgl. Sir 51,1–12; 23,1.4 [G]).87 Dabei weist das Sirachbuch insgesamt eine doppelachsige Anthropologie auf, insofern es eine allgemeine und eine spezielle, auf Israel bezogene Anthropologie vertritt. Zwischen beiden Achsen entwickelt sich der Mensch, dessen allgemeines Ideal der Weise und dessen Verkörperung wahren Menschseins der Hohepriester ist. Der idea­ le Mensch ist von der Furcht Gottes geprägt, meditiert die heiligen Schriften Israels, wendet sich im Gebet an Gott und begegnet seinem Mitmenschen mit Barmherzigkeit und Wahrhaftigkeit. Mittels des wahren Menschen, dem Jerusalemer Hohenpriester, erfährt er Sühne und Segen seitens des Gottes, der sowohl der Gott des Alls als auch der Gott Israels ist. Die Vielgestaltigkeit des Menschenbildes des Sirachbuchs zeigt sich vor allem vor dem Hintergrund seiner unterschiedlichen hebräischen, griechischen, lateinischen und syrischen Überlieferungsgestalten, die jeweils eigene Akzente setzen, über je eigene intertextuelle Bezüge und je eigene Rezeptionsge­ schichten verfügen. Ausweislich der hier exemplarisch behandelten anthropologischen Texte zeigt sich in G tendenziell eine Verstärkung der in H angelegten Vorstellung, dass die Gottesebenbildlichkeit des Menschen in der Nachahmung Gottes Gestalt gewinnt. Syr ist in einzelnen ethischen Mahnungen grundsätzlicher und betont die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen als eines von Hoffnung gekennzeichneten Wesens stärker als die anderen Versionen. La blickt am deutlichsten über dieses Leben und den Tod hinaus, deutet eine ethische Differenzierung des Todesgeschicks und den Gedanken eines Totengerichts an und weist im Kontext der aus Altem und Neuem Testament bestehenden Bibel das höchste Maß einer auf das Handeln Gottes in Jesus Christus hin transparenten Lesbarkeit des Sirachbuchs auf.

87 Vgl. Janowski: Mensch, 1057, und zur Bedeutung des Gebets im Sirachbuch Urbanz: Gebet.

Beobachtungen zum Abrahamporträt des Sirachbuchs (Sir 44,19–21) The figure of Abraham is profiled differently not only in the various literary layers of the Hebrew Bible, but also in Jewish writings from the Greco-Roman period. The following essay focuses on the pericope of Abraham in Ben Sira’s “Praise of the Fathers” (Sir 44–49; 50). First, it is shown which motifs Ben Sira receives from an older tradition and how he combines them into a self-contained portrait. Then the Greek, Syriac and Latin versions of Sir 44:19–21 are analysed. First, the technique of these translations, second, their own intertextual references, and third, the respective theological emphases are examined. By using the example of Sir 44:19–21, this essay argues for a reconsideration of the early Jewish writings in the redaction-history of the Hebrew Bible and for an interpretation of the biblical books which take into account the canon’s pluralism.

Der Jubilar hat verschiedentlich vorgeführt, wie sich die Abrahamüberlieferung der Hebräischen Bibel mittels redaktionsgeschichtlicher Analysen kompositionell und theologisch profilieren lässt.1 Die von ihm als jüngste Fortschreibungen identifizierten Texte gehören in die hellenistische Zeit. Sie fallen damit in die Phase der israelitisch-jüdischen Literaturgeschichte, in der die binnentextliche Fortschreibung von einer vielfältigen extratextlichen Auslegung, sei es in Gestalt der Nach- und Neudichtung der älteren Schriften, des anthologischen Schriftgebrauchs im Rahmen eigenständiger literarischer Entwürfe, des ausdrücklichen Kommentars oder der Übersetzung, abgelöst wird. Alle vier genannten Aspekte finden sich in den unterschiedlichen Gestalten der aus hellenistischer Zeit stammenden Weisheitsschrift des Ben Sira. Dies soll im Folgenden miniaturhaft an der Abraham-Perikope (Sir 44,19–21) in ihrer hebräischen, griechischen, lateinischen und syrischen Textfassung gezeigt werden.

1. Sir 44,19–21 nach dem hebräischen Text (H) Sir 44,19–21 ist in der mittelalterlichen Handschrift B (HB), in der Septuaginta, in der altlateinischen Version (La), die in die Vulgata (Vg) eingeflossen ist, und in der Peschitta (Syr) erhalten.2 Insofern das Sirachbuch im ersten Drittel des 2. Jahrhundert v. Chr. auf Hebräisch verfasst wurde und die älteste 1 Levin:

Jahwist, 133–196; ders.: Gerechtigkeit; ders.: Jahwe; ders.: Abraham. Analysen liegen folgende Textausgaben zugrunde: für H Beentjes: Book of Ben Si­ra; für LXX / G Ziegler: Sirach; für La / Vg Weber / Gryson: Biblia Sacra; und die „römi2 Den

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Beobachtungen zum Abrahamporträt des Sirachbuchs

Übersetzung, die Übertragung ins Griechische, erst aus dem letzten Drittel des 2. Jahrhundert v. Chr. stammt, bilden die aus der Kairoer Geniza, aus Masada und aus Qumran bekannten hebräischen Fragmente, wenngleich sie nachweislich nicht immer den ältesten erreichbaren Text bieten, den Ausgangspunkt und den Vergleichstext für die jüngeren Versionen. (19a) (19b) (20a) (20b) (20c) (20d) (21a) (21b) (21c [e]) (21d [f])

Abraham (war) der Vater einer Menge von Völkern, er brachte3 auf seine Ehre keinen Makel, (er,) der die Gebote des Höchsten bewahrte und in einen Bund mit ihm eintrat. An seinem Fleisch schnitt er sich eine Satzung, und in der Versuchung wurde er für treu befunden. Deshalb bestätigte er ihm durch einen Schwur, durch seine Nachkommenschaft Völker zu segnen, sie erben zu lassen von Meer zu Meer und vom Strom bis zu den Enden der Erde.

Die Perikope ist Teil des „Lobs der Väter“ (Sir 44–49), einer sich kompositionell aus Elementen alttestamentlicher Geschichtspsalmen und paganer Enkomien sowie inhaltlich aus Traditionen des Pentateuchs, der Geschichtsbücher und der Propheten speisenden Reihe ausgewählter Figuren.4 Ob diese Beispielreihe, die über einen ausführlichen geschichtstheologischen Prolog verfügt (44,1–15), ein ursprünglicher Bestandteil des Lehrbuchs Ben Siras war, ist umstritten. Gattungsgeschichtliche Besonderheiten einerseits, literarische und theologische Vernetzungen mit dem Gesamtwerk andererseits sprechen für die Annahme, Ben Sira habe hier ein Traditionsstück aufgenommen und be­arbeitet. Abraham erscheint in der sich von Henoch bis zu Nehemia erstreckenden Reihe an dritter Position als Paradigma des gesetzestreuen Juden und weltweiten Vermittlers göttlichen Segens. Nach den urgeschichtlichen Figuren Henoch und Noah steht er an der Schnittstelle zwischen einer universalen Perspektive und einer auf Israel konzentrierten Geschichtsschau. Während der Rahmen des Abschnitts in V. 19a (‫ )אב המון גוים‬und in V. 21d (‫ )אפסי ארץ‬auf die universale Bedeutung Abrahams verweist (vgl. V. 18b), benennt das in der Mitte stehende Bikolon (V. 20c.d) mittels seiner Anspielungen auf die Beschneidung und die Bewährung Abrahams in der Versuchung Grundmerkmale jüdischer Existenz. Der Neueinsatz in V. 19a ist durch die Alliteration ‫( אברהם אב‬vgl. Jes 51,2) sche Vulgata“ – Liber Hiesu Filii Sirach – sowie für die Peschitta / Syr Calduch-Benages u. a.: Wisdom. 3 ‫ נתן‬ist aufgrund der Parallele zu 47,20 wohl als Qal zu vokalisieren (vgl. Smend: Jesus Si­rach, 423; Skehan / Di Lella: Ben Sira, 503; Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 72–73). G, La und Syr formulieren als Passiv, was ein Nifal nahelegen würde. 4 Das Enkomion auf den Hohenpriester Simeon (II.) in Sir 50,1–24 bildet in gewisser Weise die Klimax des „Lobs der Väter“, auch wenn dieses in 49,14–16 einen mit dem Auftakt 44,17 korrespondierenden Abschluss hat und das Lob auf Simeon schon vom Umfang her eine besondere Größe darstellt.

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markiert. Der Übergang zu den unmittelbaren Nachkommen Isaak und Jakob in V. 22–23 ist fließend, insofern in V. 22b Abraham nochmals namentlich genannt wird (vgl. Gen 26,24).5 Fünf Elemente charakterisieren den Erzvater: (1) umfassende, nicht auf ethische oder kultische Aspekte zu begrenzende Makellosigkeit (‫מום‬, V. 19b),6 (2) unbedingter Gehorsam gegenüber den göttlichen Geboten (‫מצות‬, V. 20a, vgl. Gen 18,19),7 (3) untrennbare Gemeinschaft mit Gott (‫ברית‬, V. 20b),8 (4) der Vollzug der Beschneidung als göttlicher Satzung (‫חק‬, V. 20c) und (5) absolute Treue (‫נאמן‬, V. 20d) 9. Aus dieser Charakterisierung folgt die durch einen Schwur (‫ )שבועה‬zugesicherte göttliche Verheißung des sich in Raum und Zeit ausbreitenden Segens (‫ברך‬, V. 21a–b). Dieser bezieht sich sowohl auf die Nachkommen Abrahams selbst (vgl. 45,15; 50,20) als auch, über diese vermittelt, auf die Völker. Ebenso inklusiv ist die folgende Verheißung der weltweiten Verbreitung (V. 21c–d),10 die sich sowohl auf die Zusage von Erbland an die Nachkommen Abrahams als auch auf die Verteilung der Völker von „einem Meer bis zum anderen“ und „vom Strom bis an die Enden der Erde“ erstreckt.11 Dabei verschwimmen mythische und reale geographische Dimensionen. Der 5 Gleichwohl markiert das V. 22a einleitende ‫ וגם‬den Beginn eines neuen Abschnitts (vgl. Sir 45,23 [HB]; 45,25 [HB]; 47,1 [HB]; 49,9 [HB]; 49,10 [HB]). 6 Vgl. Sir 11,33 (HA); 33,23 (HE); Hi 11,15. Die Randlesart von HB ‫ דופי‬ist sekundär. Die in Sir 44,19b konstatierte Makellosigkeit als Reflex auf die Erzählungen von Abrahams Verhalten bei der „Gefährdung Saras“ zu interpretieren (Gen 12,10–20; 20,1–18) – so Skehan / Di Lella: Ben Sira, 504 –, verkennt den generellen Aussagegehalt dieses Kolons; so mit Gre­ gory: Abraham, 68–69; Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 78. 7 ‫ מצות‬dürfte entsprechend der Mehrzahl der alttestamentlichen Belege für ‫ מצות‬+ Gottesbezeichnung ein Plural sein; vgl. Syr. Sicher sekundär ist die Lesart νόμους in der Minuskel 603 (13. / 14. Jahrhundert). Die Parallele in CD-A III,2 ist ebenso doppeldeutig. Bei einem singularischen Verständnis könnte entweder konkret an das Gebot zur Beschneidung gedacht sein (so Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 79), aber auch an das Gesetz schlechthin; vgl. G; La; Jos 22,3; Ps 19,9; Zapff: Jesus Sirach 25–51, 322. Der Ausdruck wäre dann synonym zu der Wendung ‫( תורת עליון‬vgl. Sir 41,4 [HB]; 41,8 [HB / M]; 42,2 [HB / M]; 49,4 [HB]; 4Q525 frgm. 2 II + 3,4; 11QPsa XVIII,12). 8 Subjekt des Ausdrucks ‫ בא בברית‬in V. 20b ist, wie in V. 19.20a.c.d, Abraham (vgl. Syr sowie Jer 34,10; 2 Chr 15,12; CD-A XII,11). In G (ἐγένετο) und La ( fuit) ist die Aktivität Abrahams reduziert. Gott tritt (in allen Versionen) erst in V. 21 handelnd auf. 9 Wie die Eröffnung der Perikope ist die abschließende Charakteristik (V. 20d) mittels ei­ ner Alliteration besonders hervorgehoben (‫)נמצא נאמן‬. 10 Da in G, La und Syr zwischen V. 21b / 21c ein in HB nicht belegtes Bikolon folgt, werden die hier als Versteile 21c–d bezeichneten Kola zumeist als 21e–f gezählt. Das setzt aber voraus, dass das in HB nicht belegte Bikolon in seiner Grundsubstanz als ursprünglich angesehen wird; siehe dazu auch Anm. 33. 11 Zu dieser doppelten Bedeutung von ‫( נחל‬Hifil) siehe einerseits Ex 32,13; Dtn 1,38; 3,8; 12,10, andererseits Dtn 32,8; siehe dazu auch Hayward: El Elyon, 188–189. Dagegen bezieht Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 86, das Suffix in ‫ להנחילם‬ausschließlich auf die kollektiv verstandene Nachkommenschaft und sieht in V. 21 eine positive Würdigung der Diaspora (a. a. O.: 84; ähnlich Gregory: Abraham, 78, und Zapff: Jesus Sirach 25–51, 323).

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Ausdruck ‫ מים ועד ים‬hat gemäß der altorientalischen und antiken Vorstellung, dass Meer die Erde umgibt, hier wohl nicht die beschränkte Bedeutung „vom Mittelmeer zum Toten Meer“, sondern eine weltweite Perspektive. Hingegen bezeichnet ‫ נהר‬in der Hebräischen Bibel oft den Euphrat, gelegentlich auch den Nil, jedenfalls einen konkreten Fluss.12 Die Perikope zeichnet sich, wie die anderen Miniaturen des „Lobs der Väter“, durch eine Verbindung von traditionellen Formulierungen und Motiven mit eigenständigen Begriffen und Wendungen aus. Die wesentlichen Bezugstexte bilden Gen 12,3; 15,5–6.18; 17,4–5.9–10; 18,18–19; 21,13; 22,1.16–18; 26,3–5 (vgl. Ex 32,13; Ps 105,9).13 Die Hauptquellen sind Gen 17 und 26,3–5. Für V. 21c.d ist zudem auf Sach 9,10 und Ps 72,8 zu verweisen, was dem Abschnitt einen eschatologischen Akzent gibt (vgl. Sir 36,22 [HB]). Die Aufnahme der vorgefundenen Texte wird, wie im gesamten Sirachbuch, weniger durch eine wörtliche Zitation als durch einen strukturellen Schriftgebrauch gekennzeichnet, für den die Aufnahme von Leitwörtern aus zentralen Stellen, deren freie Kombination sowie eine inhaltliche Konzentration typisch ist.14 Die eigenständige Profilierung des Porträts in HB zeigt sich (1) an der Auswahl aus dem in der Genesis überlieferten Material, bei der ganze Teile wie Gen 12–14*; 16; 20–21*; 23–25* ausgeblendet bleiben, (2) an der Verknüpfung der rezipierten Motive und (3) an einer spezifischen Terminologie, mittels derer die Überlieferung geordnet, gedeutet und in einen übergreifenden Zusammenhang gestellt wird. Zu letzterer zählen (1) der sich als Strukturelement durch das „Lob der Väter“ ziehende Begriff ‫כבוד‬, wodurch Abraham als erstes Beispiel der im Prolog gepriesenen Verleihung besonderer göttlicher Herrlichkeit an einzelne Menschen erscheint,15 (2) der Begriff ‫מום‬, wodurch Abraham einerseits ein (positives) Gegenüber zu Salomo (vgl. Sir 47,20), andererseits ein vollkommen integres Pendant zu Hiob (vgl. Hi 31,7) darstellt,16 und (3) die Gottesbezeichnung ‫עליון‬, die im hebräischen Sirachbuch – wie überhaupt in jüdischen Schriften der hellenistischen Zeit – zu den beliebtesten Gottesbezeichnungen gehört.17 Die Auswahl des für die biblische Abrahamüberliefe12 Vgl.

Gen 31,21; Ex 23,31; Num 22,5; Dtn 11,24 bzw. Jes 19,5. katalogartigen Zusammenstellungen vgl. Eberharter: Kanon, 7–8; Peters: Jesus Si­rach, 380–381; Sauer: Abrahamgestalt, 93–99; Kaiser: Jesus Sirach, 185; zu ihrer Problematik siehe Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 74. 14 Vgl. dazu grundlegend Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 74–75. 15 Vgl. Sir 44,2.13 (HB / M) sowie 45,7–8.20.25; 47,20; 49,5 (jeweils HB) und als theolo­gi­ schen Hintergrund der Ausstattung des Menschen an sich mit ‫ כבוד‬Ps 8,6 sowie in Umkehrung davon Hi 19,9; (40,9–10). 16 Die Parallelisierung Abrahams und Hiobs (vgl. Sir 49,9 [HB]), bei der auch das Motiv der Versuchung eine zentrale Rolle spielt, wird in einzelnen frühjüdischen und rabbinischen Schriften dann explizit; vgl. TestAbr A 15,15; bBB 15a–b; mSota V,5; bSota 31a und dazu Witte: Väter Israels. 17 Dass Sir 44,20a mittels der Verwendung der Gottesbezeichnung ‫ עליון‬auf Gen 14,18–22 anspielt – so Hayward: El Elyon, 189–190 – ist angesichts fehlender Bezugnahmen auf die 13 Zu

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rung wichtigen Motivs der ‫ ברית‬fügt sich zum Einsatz dieses Begriffs als roter Faden im „Lob der Väter“, zumal im Blick auf priesterlich und herrschaftlich konnotierte Fi­guren.18 Die Umschreibung der Beschneidung mit der nur in Sir 44,19 belegten Wendung ‫ בבשרו כרת לו חק‬ist typisch für die siracidische Übernahme, Abwandlung und Neukombination vorgefundener Begriffe (vgl. Gen 15,18 [‫ ]כרת‬+ 17,11 [‫ ]בשר‬+ Ex 12,24 [‫)]חק‬.19 Die Vermeidung des terminus technicus ‫( מול‬vgl. Gen 17,11) ist, ebenso wie die fehlende ausdrückliche Thematisierung des Sabbats (vgl. aber Sir 33,8–9), dem paganen hellenistischen Kontext geschuldet. Die Verbindung des Motivs von der Treue Abrahams (vgl. Gen 15,6; Neh 9,8; 4Q225 frgm. 2 II,8) mit dem der Bewährung bei der „Opferung Isaaks“ (vgl. Gen 22,1–2) begegnet auch sonst in der frühjüdischen Literatur.20 Die in Sir 44,20d beispielhaft an Abraham verdeutlichte Standhaftigkeit in der Versuchung erscheint in einzelnen Mahnungen des Buchs als grundsätzliches Frömmigkeitsideal: Wer die Torah befolgt (bewahrt), bewahrt sein Leben (‫)נפשו‬, und wer auf Jhwh vertraut, wird nicht zuschanden. Wer Jhwh fürchtet, den trifft nichts Böses, auch wenn er in Versuchung ist, wird er wieder gerettet. (Sir 32,24–33,1 [HB / E / F]) 21

In gleicher Weise ist Abraham über das Prädikat ‫ נאמן‬innersiracidisch ein Gegenüber zu Samuel (46,15 [HB]) und im Blick auf die Hebräische Bibel ein Gegenüber zu Mose (Num 12,7, vgl. Sir 45,4). Insgesamt stellt das Abrahamporträt mittels seiner bewussten Zusammenstellung zentraler Elemente der Abrahamüberlieferung ein Kompendium bib­ lischer Theologie und Anthropologie dar, in der, typisch für das Sirachbuch, paradigmatische und allgemeine, individuelle und kollektive, nationale und universale, präsentische und futurische sowie theologische und ethische Aspekte zusammenkommen.22 Die Pragmatik ist klar: Der in seiner Identität Angefochtene soll sich im Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes der Gemeinschaft mit Gott entsprechend verhalten und so Teilhaber und Vermittler göttlichen Segens werden.

Melchisedek-Episode und des häufigen Gebrauchs von ‫ עליון‬im hebräischen Sirachbuch unwahrscheinlich (so auch Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 86). 18 Vgl. Sir 44,17.20.22; 45,15.24–25; 50,24 (jeweils HB). 19 ‫ לו‬könnte auch auf Gott bezogen sein (so Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 81). Zu einem reflexiven Verständnis vgl. Gen 17,24; CD-A XVI,6. Zur Formulierung vgl. dann auch bShab 137b (‫ )חוק בשארו שם‬bei Mopsik: La Sagesse, 280. 20 Vgl. Jub 17,16; 4Q226 frgm. 7,1; 1 Makk 2,52; Jdt 8,25–26; SapSal 10,5; Jak 2,21. Zu Hebr 11,17 s. u. S. 139. 21 Vgl. Sir 4,17 [HA] und dazu Gen 22,12 sowie 4Q504 frgm. 1–2 VI,6–7. Zu Sir 2,1–18 (G; La; Syr) s. u. S. 137.141.143; zur Sache vgl. Mopsik: La Sagesse, 83.196. 22 Vgl. dazu auch Mack: Wisdom, 53–54.211.

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2. Sir 44,19–21 nach dem griechischen Text (G) (19a) (19b) (20a) (20b) (20c) (20d) (21a) (21b) (21bα) (21bβ) (21c) (21cα) (21d)

Abraham (war) ein großer Vater einer Menge von Völkern und keiner wurde gefunden, der an Ehre glich, der er das Gesetz des Höchsten strikt bewahrte und in einem Bund mit ihm war. In / mit seinem Fleisch richtete er einen Bund auf, und in der Versuchung wurde er für treu befunden. Deshalb sicherte er ihm durch einen Schwur zu, dass Völker gesegnet würden durch seine Nachkommenschaft, ihn zu vermehren wie den Staub der Erde und wie die Sterne zu erhöhen seine Nachkommenschaft und ihnen ein Erbe zu geben von Meer zu Meer und vom Strom bis zum Ende der Erde.

G entspricht in der grundsätzlichen Charakterisierung Abrahams dem hebräischen Text. Es finden sich aber zahlreiche punktuelle Unterschiede, die auch die Gesamtstruktur und die Bezugstexte der Perikope betreffen. Sie lassen sich übersetzungstechnisch und im Kontext des griechischen Sirachbuchs, gelegentlich auch vor dem Hintergrund der Septuaginta, aber nicht mit einer Übernahme von oder Adaption an pagane griechische Texte, erklären. Gegenüber HB wird Abraham ausdrücklich als ein „großer / bedeutender Vater“ (μέγας πα­τήρ) gekennzeichnet (V. 19a). Dies könnte sprachlich auf eine Doppelübersetzung von ‫ המון‬oder auf eine etymologisierende Interpretation des Namens ‫אברהם‬ zurückgehen.23 Buchimmanent sind dadurch Abraham, Josua (Sir 46,1 [G]) und Jesaja (Sir 48,22 [G]) parallelisiert.24 Sodann hebt G die Unvergleichlichkeit Abrahams hervor (καὶ οὐχ εὑρέθη ὅμοιος ἐν τῇ δόξῃ, V. 19b). Stilistisch besteht durch die Formulierung εὑρέθη eine größere Parallelität zu V. 20d als in HB. Wichtiger ist die inhaltliche Differenz. Zwar wird seit Smend (1906) ὅμοιος als Verschreibung des Wortes μῶμος angesehen, das semantisch dem hebräischen Wort ‫ מום‬entspricht (vgl. Sir 11,33; 18,15; 33,23; 47,20),25 doch bieten alle bisher bekannten griechischen Handschriften ὅμοιος (bzw. in wenigen Fällen ὁμοίως). Die Lesart ὅμοιος (ὁμοίως) wird durch La und parallele Aussagen zur Unvergleichlichkeit Elias (Sir 48,4 [G]), Salomos (3 Kgtm 3,13) 23 Vgl. Philon, LA III, 83 (ἑρμηνεύεται γὰρ Ἀβρὰμ πατὴρ μετέωρος, vgl. Abr. 82; mut. 66) und zur Sache B. G. Wright: Difference, 157.290. 24 Wie in HB ist der Neueinsatz mit einer Alliteration markiert; πατὴρ πλήθους, vgl. Gen LXX 17,4. Das Epitheton μέγας wird Abraham auch in späterer (christlicher) Literatur beigelegt, vgl. z. B. Sib 2,246. Gregory: Abraham, 67, hält das Wort für eine Glosse, gleichwohl ist es in allen griechischen Handschriften belegt. 25 Smend: Jesus Sirach, 423. Die Konjektur hat es bis in den Obertext der Ausgaben von Vattioni: Ecclesiastico, und Ziegler: Sirach, sowie in die Mehrzahl der neueren Auslegungen von Sir 44 geschafft. Hingegen bleiben Rahlfs: Septuaginta; Eberharter: Jesus Sirach, 144, und Zapff: Jesus Sirach 25–51, 322, zu Recht beim überlieferten Text.

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sowie Daniels und seiner Freunde (Dan LXX / Th 1,19) bestätigt.26 Sie konvergiert mit dem Bild Abrahams im Testament Abrahams (1. / 2. Jahrhundert n. Chr.): Und der Tod sagte zu Abraham: Ich sage dir, in der ganzen Schöpfung, die Gott geschaffen hat, wurde keiner gefunden, der dir gleicht (οὐχ εὑρέθη ὅμοιός σου). (TestAbr B 13,9, vgl. TestAbr A 4,6; 15,15)

Im Gegensatz zu HB vermerkt G eindeutig, dass Abraham die Torah, „das Gesetz des Höchsten“ (νόμος ὑψίστου),27 gehalten hat (V. 20a). Erneut erscheint Abraham dadurch, innerhalb des griechischen Sirachbuchs, auf einer Ebene mit Mose (45,5), Aaron (45,17) und Samuel (46,14). So spiegelt sich mindestens auf der Ebene von G der frühjüdische Diskurs, wie Abraham als vormosaischer Bewahrer der Torah verstanden werden kann (vgl. Jub 6,18–19; 2 Bar 57; Philon, Abr. 5–6).28 Insofern G den Vollzug der Beschneidung nicht nur als Begründung eines Gebotes, sondern eines „Bundes“ (διαθήκη) bezeichnet (V. 20c), hat der Text eine höhere stilistische Dichte (vgl. V. 20b) 29 und gleicht stärker als HB der Vorlage in Gen 17,10–11. Der Lobpreis Abrahams für seine Treue in der Versuchung (πειρασμός) deckt sich mit HB (V. 20d). Die Formulierung selbst zeigt eine noch größere Nähe zu 1 Makk 2,52 und ist innersiracidisch mit der Mahnrede zum rechten Verhalten in der Versuchung in Sir 2,1–18, die bisher nur in G, La und Syr belegt ist, verbunden. Ihr zufolge stehen Gottesdienst und Versuchung in einem engen Verhältnis, Abraham ist dafür das Paradigma: Kind, wenn du dich daran machst, Gott zu dienen (δουλεύειν), dann bereite dich (τὴν ψυχήν σου) auf Versuchung vor. (Sir 2,1 [G], vgl. SapSal 3,5)

Ein ähnliches Vorbild ist nach dem Testament Josephs (2. Jahrhundert v. Chr.) Abrahams Urenkel Joseph, der sich „in zehn Versuchungen“ bewährte (TestJos 2,7).30 Dieses Motiv könnte auch hinter der Lesart der Minuskel 631 (14. Jahrhundert: πειρασμοῖς) stehen. In Jub 19,8 und mAv V,3 werden die „zehn Versu26 Vgl.

auch das sprachlich etwas anders formulierte, sachlich aber analoge Lob der Einzigartigkeit Henochs in Sir 49,14 (G) par. 49,16 (La). 27 Vgl. Sir 9,15; 19,17; 23,23; 39,1; 41,8; 42,2; 49,4 (jeweils G); 3 Esr 8,19; Sib 3,580; TestGad 3,1. Zum Verhältnis von universaler und am Sinai offenbarter Torah vgl. Sir 17,10– 11 (G) und dazu Witte: Gesetz; Gregory: Abraham, 69–73. 28 Vgl. weiterhin mQid IV,14; BerR LXI (zu Gen 25,1: die Torahtreue Abrahams wird mittels der Kombination von Ps 1,1 mit Gen 13,13; 20,15 und 18,19 erschlossen); siehe dazu auch Gregory: Abraham, 69–73. 29 Insgesamt weist G (wie auch mit spezifischen Differenzen La und Syr) hinsichtlich der Vorstellung vom göttlichen „Bund“ eine höhere Kohärenz als H auf, insofern διαθήκη auch an anderen Stellen nicht nur als Äquivalent für ‫ברית‬, sondern ebenso für ‫ חק‬/ ‫ חוק‬erscheint (vgl. Sir 11,20 [HA]; 14,12 [HA]; 16,22 [HA]; 42,2 [HB]; 45,5 [HB]; 45,7 [HB]; 47,11 [HB]); sie­ he dazu auch Anm. 46 und 52 sowie B. G. Wright: Difference, 179. 30 Erneut zeigt sich auch eine Parallele zu Hiob, dessen Leiden der jüdisch-hellenistische Exeget Aristeas (2. / 1. Jahrhundert v. Chr.) ausdrücklich auf die Versuchung (πειράζειν) durch

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chungen“ Abrahams genannt bzw. einzeln aufgezählt.31 Über die Qualifikation als πιστός erscheint Abraham innerhalb des griechischen Sirachbuchs schließlich nicht nur als Gegenüber zu Mose und Samuel, sondern erneut auch zu Jesaja (48,22 [G]) und zudem als Verkörperung des im Sirachbuch so hochgeschätzten πιστὸς φίλος: Ein treuer Freund ist ein Heilmittel des Lebens. (Sir 6,16 [G]) 32

Dass G (nach der überwiegenden Zahl der Handschriften) den über Abraham vermittelten Segen (V. 21b) im Gegensatz zu HB passivisch formuliert (ἐν­ευ­ λογηθῆναι), entspricht den Bezugstexten in der Septuaginta (Gen 12,3; 18,18; 22,18; 26,4), bedeutet aber, zumal die Formulierung auch als passivum divinum verstanden werden kann, keine substantielle Differenz. Diese bietet dann ein auf V. 21b folgendes Bikolon, das in HB kein Äquivalent hat:33 (21bα) (21bβ)

ihn zu vermehren wie den Staub der Erde und wie die Sterne zu erhöhen seine Nachkommenschaft.

Ob dieses Bikolon in HB aufgrund ähnlicher Versanfänge aus Versehen ausgefallen ist 34 oder ob es sich um einen Nachtrag in G handelt,35 ist umstritten. Durch die zwei zusätzlichen Stichen weist G eine etwas andere kompositionelle Struktur auf. Die Passage gliedert sich nun in zwei annähernd gleich lange Teile (V. 19a–20d.21a–d). Im Zentrum stehen, gemäß den Sinneinheiten, die Bewährung Abrahams in der Versuchung (V. 20d) als Abschluss des ersten Teils und die Selbstverpflichtung Gottes mittels eines Schwures (V. 21a) als Eröffnung des zweiten Teils. Folgt man der Zeileneinteilung,36 so bildet der göttliche Schwur den Mittelpunkt (V. 21a). Inhaltlich basieren die beiden zuGott zurückführt (AristEx 1,3 [nach Eusebius, Pr. Ev. IX, 25,3; Denis: Fragmenta, 195–­196; JSHRZ III / 2, 295; OTP II, 859]). 31 Vgl. auch Jub 17,17; BerR LVI (zu Gen 22,15). 32 Bei Philon ( post. 173,6) und bei Paulus (Gal 3,9) kann Abraham schlicht als ὁ πιστός bezeichnet werden. 33 Um die Vergleichbarkeit mit HB zu gewährleisten, wird dieses Bikolon hier, anders als zumeist üblich, als V. 21bα–β (vgl. Anm. 10) gezählt. Innerhalb der griechischen Überlieferung fehlt dieses Bikolon vollständig nur in der ursprünglichen Lesart des Codex Sinaiticus und in der Minuskel 672 (14. Jahrhundert), in seiner zweiten Hälfte in der Minuskel 248 (13. Jahrhundert), was aber kaum die ursprüngliche griechische Lesart darstellt (vgl. Ziegler: Sirach; Rahlfs: Septuaginta). 34 Vgl. Smend: Jesus Sirach, 424; Reiterer: Urtext, 103, und die Mehrzahl der Kommentare. Zu unterschiedlichen Versuchen einer Rückübersetzung und zu deren Problematik siehe Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 72. 35 So z. B. Hayward: El Elyon, 188; Kaiser: Jesus Sirach, 103 (G II); Mopsik: La Sagesse, 280; Gregory: Abraham, 80. 36 Das Pendant zum hebräischen Kolon in V. 21d ist aufgrund der Länge der griechischen Wörter auf zwei Zeilen verteilt; vgl. dazu z. B. die Schreibung im Codex Sinaiticus sowie die Segmentierung in den Textausgaben von Ziegler, Vattioni und Rahlfs und Hanhart.

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sätzlichen Stichen auf den Mehrungsverheißungen in Gen 13,16; 15,5; 17,2; 22,17 und 26,4 (vgl. Ex 32,13). Eine eigene Prägung des griechischen Verfassers scheint die Verwendung des Wortes ἀνυψοῦν zu sein. So entfallen von 29 Belegen in der Septuaginta 23 auf das griechische Sirachbuch, das damit die durch Gott oder die Weisheit bewirkte Erhöhung der Frommen bezeichnen kann.37 Hier dient es der Erweiterung der quantitativen Dimension der Mehrungsverheißung um eine qualitative. Das Motiv der „Erhöhung wie die Sterne“ gibt der Verheißung eine herrschaftliche Note (vgl. Gen 17,6; TestAbr A 1,5; 4,11) und unterstreicht ihren eschatologischen Charakter (vgl. Num 24,17; TestJud 24,1; Dan 12,3).38 Die zwei abschließenden Kola haben auch in G einen mytho-­geographischen Charakter, wobei die Beziehung zu Ps LXX 72 (71),8 und Sach LXX 9,10 weniger offensichtlich als in HB zum MT, aber auch vorhanden ist.39 Wie das Wort ‫ נהר‬ist das Wort ποταμός mehrdeutig, auch wenn angesichts des mutmaßlich ägyptischen Hintergrunds des griechischen Übersetzers ein Bezug auf den Nil möglich ist.40 Die in Ägypten lebenden jüdischen Leser des Sirachbuchs könnten sich selbst dann als Beispiele der schon teilweise in Erfüllung gegangenen Verheißung an Abraham verstehen. Der von der Minuskel 543 (12. Jahrhundert) sowie der armenischen und äth. Übersetzungen gebotene Plural „Flüsse“ dürfte eine exegetisch bedingte Anpassung an Gen 15,18 sein, wo vom Strom Ägyptens und vom Euphrat-Strom die Rede ist (vgl. Sach LXX 9,10). Auf der Ebene der Integration des griechischen Sirachbuchs in den Kanon der Altes und Neues Testament umfassenden christlichen Septuaginta erscheint Sir 44,19–21 dann als Vorläufer des Abrahamporträts in Hebr 11,17 und als ein Baustein der gleichermaßen auf Gen 12,3 zurückgreifenden Argumentation des Paulus in Gal 3,8.41 Die in Sir 44,20 angelegte und in Sir 2,1 ausgeführte Verknüpfung von Gottesdienst, Versuchung und Treue findet eine christologische Weiterführung in Hebr 2,18–3,6.42 Diese kanonsgeschichtliche Dimension des Sirachbuchs ist noch deutlicher in der lateinischen und syrischen Version. 37 Vgl.

Sir 1,19; 4,11; 7,11 und in 11,13 (jeweils in Anlehnung an 1 Sam [1 Kgtm] 2,7; Ps 112 [113],7) sowie Sir 33,12; 47,5.11. 38 Siehe dazu auch Peters: Jesus Sirach, 381, der zudem auf SapSal 3,7; Mt 13,43 und 1 Kor 15,41 hinweist, und Gregory: Abraham, 80. 39 Gegen Reiterer: Urtext, 108, der im Zuge eines sehr engen Zitatverständnisses einen Zusammenhang auf der Ebene der Septuaginta bestreitet. Allerdings müssen Zitate, wie Über­ nahmen im Sirachbuch, bei Philon oder im Neuen Testament zeigen, nicht wörtlich dem zi­ tierten Text entsprechen; s. u. Anm. 57. 40 Vgl. Gen LXX 41,1; Ex LXX 1,22; SapSal 19,10. 41 Zur Zitation von Gen 12,3 im zeitlichen Umfeld von Gal 3,8 vgl. z. B. auch Philon, migr. 1; 118; 122 und Apg 3,25; zur zeitgenössischen Aufnahme von Gen 22,17 siehe z.B. Hebr 11,12. 42 Der Bezug zu Hebr 2,18–3,6 ergibt sich über die Motive der Versuchung (πειράζειν) und der Treue (πιστός), nicht über einen namentlichen Rekurs auf Abraham. Für die Treue dient dem Hebräerbrief hier Mose als Gegenüber zu Christus (vgl. Num 12,7).

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3. Sir 44,19 (20)–21 (23) nach dem lateinischen Text (La) (19a [20a]) (19b [20b]) (20a [20c]) (20b [20d]) (20c [21a]) (20d [21b]) (21a [22a]) (21b [22b]) (21bα [22c]) (21bβ [23a]) (21c [23b]) (21cα [23b]) (21d [23b])

Abraham (war) ein großer Vater einer Menge von Völkern und keiner wurde gefunden, der ihm an Ehre glich, der er das Gesetz des Höchsten bewahrte und in einem Bund mit ihm war. In / mit seinem Fleisch richtete er einen Bund auf, und in der Versuchung wurde er für treu befunden. Deshalb gab er ihm durch einen Schwur Nachkommenschaft in seinem Volk, dass er wachse wie ein Haufen von Erde, und wie die Sterne zu erhöhen seine Nachkommenschaft und ihnen ein Erbe zu geben von Meer zu Meer und vom Strom bis zu den Enden der Erde.

La, der auf eine (erweiterte) griechische Vorlage zurückgeht und eine etwas andere Verszählung aufweist, teilt die Charakteristika des Abrahamporträts in G, einschließlich von zwei zusätzlichen Stichen in V. 21bα–β (22b–23a). La weist aber eine merkwürdige Differenz in V. 21b (22a) sowie eigene intertextuelle Bezüge auf: Anstelle der Verheißung des Segens für die Völker steht die der Gabe eines Nachkommens (semen) im eigenen Volk (gens).43 Der Anknüpfungspunkt von V. 21b (22b) dürften die Klage Abrahams in Gen 15,3 (mihi au­tem non dedisti semen) und die Bestimmung Isaaks als eigentlichen Sohn Abrahams in Gen 21,12 (in Isaac vocabitur tibi semen) sein. Insofern La die Mehrung hier mit dem Wort crescere ausdrückt – das Standardäquivalent zu πλη­θύ­νειν ist multiplicare, während crescere zumeist αὐξάνειν entspricht – nähert sich der Sirachtext weiter an Gen 17 an (vgl. GenVg 17,6).44 Das Bild der Mehrung „wie ein Haufen von Erde“ (V. 21bα [22b]) gebraucht mit cumulus ein Hapaxlegomenon.45 Ein besonderer innersiracidischer Bezug ergibt sich in La über das Motiv des Bundes (testamentum, V. 20b [20d]) zu dem aus 3 Kgtm 8,22–30 entnommenen „Gebet Salomos“, das nur La als Kap. 52 des Sirachbuchs bietet. Salomos Lobpreis des einzigartigen Gottes Israels, der seinen Bund (testamen­ 43 Zu der Lesart semen gibt es eine Reihe von lateinischen Varianten: testamentum, glo­riam oder zusätzlich zu semen gloriam (vgl. Liber Hiesu Filii Sirach). Die Varianten spie­geln die Schwierigkeit des lateinischen Textes, dürften gegenüber semen aber alle sekun­däre Anpassungen an den unmittelbaren Kontext sein (vgl. V. 19 [20]b [gloria] bzw. V. 20b.c [20d.21a] [testamentum]). Eine Segensaussage bietet kein lateinischer Text. 44 Vor dem Hintergrund eines kausativen Gebrauchs von αὐξάνειν in der Septuaginta (vgl. LEH s. v.) erklärt sich wohl die Übersetzung von Sir 44,22 mit „ihn wachsen lassen“ in Beriger u. a.: Hieronymus, 1211 – ähnlich auch Beentjes: Ben Sira 44:19–23, 87 („that he would make him numerous“); doch vgl. Gen 17,6 (Vg: faciamque te crescere). 45 Die Variante harenam („Sand“) bietet ein geläufiges Wort und dürfte eine sekundäre Anpassung an Gen 22,17 sein (vgl. Hebr Vg 11,12); vgl. dazu auch Anm. 57.

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tum) 46 und seine Barmherzigkeit (misericordia) gegenüber seinen Kindern, die vor ihm in ungeteilter Frömmigkeit (in toto corde) wandeln, bewahrt (Sir 52,3), bestätigt den Bund mit Abraham und mildert das negative Urteil über Salomo (Sir 47,20 [22]) ab. Betrachtet man die Abrahamnotiz von La vor dem weiteren literarischen Horizont der Vg, so tritt zunächst der paradigmatische Rekurs auf Abraham in der Mahnrede Judits an die Ältesten der Stadt Bethulia (Jdt 8,10 [11]–27 [26]) in den Vordergrund. In einer so nur in der lateinischen Version des Juditbuchs vorliegenden Notiz wird die Versuchung Abrahams mit seiner Treue und Gottesfurcht in Verbindung gebracht, die ihm schließlich die Freundschaft mit Gott beschert: Sie sollen sich daran erinnern, wie unser Vater Abraham versucht wurde (temptatus est) und wie er, durch viele Bedrängnisse geprüft, zu einem Freund Gottes gemacht wurde. (Jdt Vg 8,22) 47

Wie in G korrespondiert das Motiv der Versuchung (temptatio) in V. 20d (21b) mit der grundsätzlichen Rede zu Frömmigkeit und Versuchung in Sir 2,1– 18 (23), wobei durch ein so nur in La vorhandenes Kolon die Beziehung zur Abrahamüberlieferung noch deutlicher ist: Mein Sohn, wenn du dich an den Dienst für Gott begibst, dann stehe in Gerechtigkeit und Furcht (vgl. Gen 15,6; 18,19 bzw. Gen 22,12) und bereite dich (animam tuam) auf Versuchung vor. (Sir 2,1 [La])

Sodann verweist der Begriff temptatio auf die Versuchung, die Gott in Gestalt der Erblindung über Tobit kommen ließ, damit dieser wie Hiob als ein Beispiel von Geduld erscheine (TobVg 2,12).48 So ergibt sich innerhalb der Vg die Reihe von drei Vorbildern zum Umgang mit einer schweren göttlichen Prüfung: Abraham, Hiob und Tobit. In gesamtbiblischer Perspektive gipfelt diese Reihe in der Seligpreisung dessen, der in der Versuchung standhaft bleibt (Jak 1,12). Schließlich bestehen über die Verwendung des Wortes exaltare innerhalb des Motivs der Erhöhung (wie die Sterne) (V. 21bβ [23a]) deutlicher als in G Bezüge zu den Gebeten und Bekenntnissen zu Gott, der den frommen oder

46 Vg bietet an der betreffenden Stelle pactum (1 KönVg / 3 Kgtm 8,23). Wie G weist La ei­ne höhere Konzentration des Begriffs „Bund“ (testamentum) auf als H (vgl. dazu auch Anm. 29). 47 Nach dem griechischen Text wird nur summarisch auf Gottes Handeln an Abraham ver­wiesen und der Begriff der Versuchung (πειράζειν) zunächst nur generell auf die Väter und dann namentlich auf Isaak angewendet (Jdt 8,25–26). Zum Motiv der Gottesfreundschaft Abrahams vgl. Jes 41,8; Jes LXX 51,2; 2 Chr 20,7; Dan LXX 3,35; CD-A III,2–3; 4Q252 ΙΙ,8: Jub 19,9; 30,20–21; TestAbr A 1,6; B 4,10; Jak 2,23; zur Versuchung Isaaks im Kontext der Aqe­ dah siehe Witte: Väter Israels, 176. 48 Die Passage, in der Tobit mit Hiob parallelisiert wird, findet sich nur in der lateinischen Überlieferung, ihre Herkunft ist unklar.

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niedrigen Menschen erhöht, wofür die Septuaginta das verbum simplex ὑψοῦν verwendet.49 Der Aspekt der gesamtbiblischen Intertextualität ist in besonderer Weise bei der Auslegung des lateinischen Sirachbuchs zu beachten, da La mit hoher Wahrscheinlichkeit christlichen Ursprungs ist. Damit bestehen nicht nur auf der Ebene der Inkorporation des Sirachbuchs in den Kanon der Altes und Neues Testament umfassenden Septuaginta und Peschitta oder auf der Ebene christlicher Glossatoren und Kopisten, die bewusst oder unbewusst an christlichen Sprachgebrauch oder christliche Vorstellungen angepasst haben, besondere Bezüge zum Neuen Testament. Vielmehr ist bereits auf der Ebene der Übersetzung mit intentionalen Querverbindungen zu rechnen. Das heißt neben Sir 44,21bβ (23a) sind explizit auch Texte wie Lk 1,52; Jak 4,10 oder 1 Petr 5,6 zu stellen.50

4. Das Abrahamporträt nach dem syrischen Text (Syr) (19a) (19b) (20a) (20b) (20c) (20d) (21a) (21b) (21bα) (21bβ) (21c) (21d)

Abraham (war) ein Vater von Versammlungen von Völkern, und keinen Makel gab es an seiner Ehre, der er die Worte des Höchsten tat und in einen Bund mit ihm eintrat. An seinem Fleisch wurde ihm ein Bund aufgerichtet, und in der Versuchung wurde er für treu befunden. Deshalb schwor ihm Gott mit Schwüren, dass durch seine Nachkommenschaft alle Völker der Erde gesegnet würden, und seine Nachkommenschaft zu vermehren wie den Sand des Meeres und seine Nachkommenschaft zu erheben über alle Völker und sie zu Erben zu machen von Meer zu Meer und vom Euphrat bis zu den Enden der Erde.

Das Abrahamporträt von Syr weist einerseits Gemeinsamkeiten mit dem hebräischen Text auf, so vor allem im Blick auf Abrahams Makellosigkeit (‫ܘܐܠ‬ ‫ܐܬܝܗܒ ܡܘܡܐ‬, V. 19b), deren Formulierung sich aber innerhalb der Peschitta, stärker als dies in HB mit der Hebräischen Bibel der Fall ist, mit der Vorstellung Abrahams als makellos (‫ )ܕܐܠ ܡܘܡ‬in Gen 17,1 berührt.51 Andererseits zeigen sich ausschließliche Überschneidungen mit G und La, so in V. 20c, wenn

49 Vgl. in La Sir 7,11 (12); 11,13; 33,12; 47,5 (6).11 (13) sowie jeweils in Vg Ps 3,4; 9,15; 74,8; 111,9; 148,14; Gen 50,20. 50 Als weiteres Beispiel für den gesamtbiblischen Horizont, vor dem insbesondere La zu betrachten ist, sei aus den hier behandelten Texten Sir 33,1 (La) genannt, wo Gott den Mensch, der ihn fürchtet, nicht nur in der Versuchung bewahrt bzw. rettet (vgl. HB; G; Syr), sondern zusätzlich von dem Bösen befreit (liberabit a malis), vgl. EstVg 10,9 und SapSalVg 16,8 sowie MtVg 6,13. Zu Sir 33 (36),1 (G / La) vgl. 2 Petr 2,9. 51 Vgl. jeweils in der Peschitta Dan 1,4; Hi 12,4; Spr 1,12; 2.7.21; 11,20; 28,18.

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die Beschneidung ebenfalls als Bund (‫ )ܩܝܡܐ‬bezeichnet wird,52 und vor allem in den zusätzlichen Kola V. 21bα–β. Hinzu kommen eigene Besonderheiten. Dies entspricht generell dem Charakter von Syr.53 Die syrischen Eigenheiten verdanken sich erstens der sprachlichen oder stilistischen Verdeutlichung des (aus dem Hebräischen) übersetzten Textes, so, wenn in V. 21a explizit „Gott“ (‫ )ܐܠܗܐ‬als Subjekt genannt wird oder wenn der Strom eindeutig mit dem Euphrat (‫ܦܪܬ‬,V. 21d) gleichgesetzt wird,54 und zweitens der Anpassung an biblische ܵ Redewendungen, so, wenn Gott „Schwüre schwört“ (‫ܡܘܡܬܐ ܝܡܐ‬, V. 21a),55 ܵ die Segensverheißung „allen Völkern der Erde“ (‫ܟܠܗܘܢ ܥܡܡܐ ܕܐܪܥܐ‬, V. 21b) gilt,56 die Mehrungsaussage mit der Wendung „Sand des Meeres“ (‫ܚܐܠ ܕܝܡܐ‬, V. 21bα) ausgedrückt wird57 oder das qualitative Herausgestelltsein der Nachkommen Abrahams als „Erhebung über alle Völker“ (‫ܘܠܡܬܠ ܙܪܥܗ ܠܥܠ ܡܢ ܟܠܗܘܢ‬ ܵ ‫ܥܡܡܐ‬, V. 21bβ) beschrieben wird.58 Wie in G und La korrespondiert das Lob Abrahams als treu in der Versuchung mit der Mahnrede in 2,1–18. Dabei ist in Syr die Beziehung zu Gen 22,12 noch deutlicher, insofern Gottesfurcht und Versuchung in einen Zusammenhang gebracht werden: Mein Sohn, wenn du dich daran machst, Gott zu fürchten (‫)ܠܕܚܠܬܗ ܕܐܠܗܐ‬, dann bereite dich (‫ )ܢܦܫܟ‬auf alle Arten von Versuchungen vor. (Sir 2,1 [Syr])

Exklusive innersiracidische Bezüge von Syr bestehen zu 47,14 (15), wo auf Salomos ursprüngliche Ehre (‫ܐܝܩܪܐ‬, vgl. 44,19b) verwiesen wird, die dieser – wie auch HB, G und La vermerken – später befleckt (47,20), sowie zu ̈ 49,2, wenn es heißt, Josia habe sich vor Versuchungen (‫ܢܣܝܘܢܐ‬, vgl. 44,20d) verborgen. Schließlich könnten einzelne Formulierungen von Syr aus einem christlichen Kontext stammen, so wenn Abraham ausdrücklich als Vater der 52 Vgl. dazu auch Anm. 29 und 46. Zudem reduziert Syr die Aktivität Abrahams, indem sie V. 20c passivisch formuliert (‫)ܐܬܩܝܡ‬. 53 Siehe dazu in jüngerer Zeit auch Zapff: Beobachtungen. 54 Vgl. Gen 15,18 (Peschitta par. MT). Demgegenüber sieht Reiterer: Urtext, 107, in der ausdrücklichen Gleichsetzung mit dem Euphrat „keine beabsichtigte Textinterpretation, […] sondern ein(en) Hinweis auf den Lebenshintergrund des Übersetzers.“ 55 Vgl. Gen 26,3 (Peschitta par. MT); Zapff: Beobachtungen, 250. Auffällig ist die pluralische Formulierung innerhalb dieser figura etymologica, die dreimal im syrischen Sirachbuch begegnet (44,18.21; 45,25); vgl. van Peursen: Language, 66. 56 Vgl. Gen 18,18; 22,18; 26,4 (jeweils in der Peschitta par. MT); siehe dazu auch Reiterer: Urtext, 102–103 und van Peursen: Language, 104–105.216–217. 57 Vgl. Gen 22,17 (Peschitta par. MT); 32,13 (Peschitta par. MT); Hebr 11,12. Zugleich vermeidet Syr damit den pejorativen Klang, den der Vergleich in G mit dem Wort χοῦς hat (vgl. Anm. 45). Reiterer: Urtext, 104, führt die Parallele zu Gen 22,17 auf die hebräische Vorlage von Syr zurück, da das Zitat nicht genau der Fassung in der Peschitta entspreche; vgl. dazu aber Anm. 39. 58 Vgl. Dtn 26,19 (Peschitta par. MT); 28,1 (Peschitta par. MT). Reiterer: Urtext, 105, bringt die Formulierung hingegen mit dem Motiv der Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung des gelobten Landes in Verbindung (Ex 33,1–2; Dtn 6,10–11; 9,5).

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ܵ „Versammlungen von Völkern“ (‫ܟܢܘܫܬܐ ܕܥܡܡܐ‬, V. 19a) bezeichnet wird.59 Jedenfalls wird durch das Wort ‫ ܟܢܘܫܬܐ‬die Bedeutung Abrahams als Vater einer religiösen Gemeinschaft,60 mithin als „Vater aller Glaubenden“ betont (vgl. Gal 3,7–9; Röm 4,1.16–17). Möglicherweise gehört in diesen Kontext auch die Notiz, dass Abraham Gottes „Worte“ (‫ܦܬܓܡܘܗܝ‬, V. 20a) tat, was ein Hinweis für eine bewusste Unterdrückung eines Bezugs auf das „Gesetz“ (‫ )ܢܡܘܣܐ‬sein könnte.61 Nach Syr bezeugt Abraham, anders als in G und La, keine vormosaische Bewahrung der Torah.

5. Der vielgestaltige Abraham – ein methodischer Ausblick Das Abrahamporträt des Sirachbuchs hat in seiner hebräischen, griechischen, lateinischen und syrischen Fassung jeweils eigene Akzente. Es spiegelt in mehrfacher Brechung die für das frühe Judentum und das frühe Christentum identitätsstiftende Funktion der Schriftauslegung. Die in Sir 44,19–21 beschriebene Figur Abrahams und die mit ihr in unterschiedlicher Weise aus Gen 12–26* (sic!) aufgenommenen Motive und Theologumena stehen dabei in einem jeweils eigenen vielfältigen innersiracidischen und innerbiblischen Beziehungsnetz. Auch wenn dieses hier aus Raumgründen nur anhand einiger weniger Beispiele dargestellt werden konnte, so dürfte der Ansatz einer po­ly­glotten, kanonspluralen Auslegung grundsätzlich deutlich geworden sein. Angesichts der jüngsten Erkenntnisse zur Text- und Redaktionsgeschichte der israelitisch-jüdischen Schriften sollte ein solches Modell der Interpretation nicht auf ein Werk wie das Sirachbuch beschränkt sein, sondern könnte auch im Blick auf die sogenannten protokanonischen Schriften zur Anwendung kommen. Die klassische redaktionsgeschichtliche Analyse, welche die als Fortschreibungen identifizierten Schichten profiliert und die nachzeichnet, wie sich durch die einzelnen Fortschreibungen der literarische Charakter des fortgeschriebenen Textes verändert und neue intertextuelle Bezüge entstehen, würde dementsprechend um die Darstellung des eigenständigen Umgangs mit der schriftgewordenen Tradition auf der Ebene der buchimmanenten und der buchübergreifenden Bezüge der jeweiligen kanonischen Referenzcorpora erweitert.62 Zur Redaktionsgeschichte gesellte sich so die Kanonsgeschichte. Im Fall der Septuaginta, der Vulgata und der Peschitta sowie der weiteren christlichen Bibelkanones gehört dazu auch das Neue Testament als Fortschreibung und Auslegung des Alten. Dass und wie das Neue Testament durch einen Alt59 Vgl. aber auch Gen 28,3; 35,11; 48,4, wo in der Peschitta wie im MT (‫ )קהל‬der Singular (‫ )ܟܢܫܐ‬steht. 60 Vgl. Sir 1,30; 4,7; 15,5; 24,2.23; 31,11; 46,14 (jeweils Syr). 61 Vgl. Sir 9,15; 19,20; 29,11; 32,21 [17]; 32,28 [24] (jeweils Syr) und dazu van Peursen: Language, 5.85. 62 Vgl. dazu auch Zapff: Rezeptionen.

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testamentler angemessen ausgelegt werden kann, hat der Jubilar, der auch hierin seinem großen Vorbild Julius Wellhausen folgt, mehrfach gezeigt.63

63 Vgl. dazu exemplarisch die Aufsätze Levin: Verheißung; ders.: Das Alte Testament und die Predigt; ders.: Mose.

Gelebte und reflektierte Religion in der Sapientia Salomonis Δίκαιος ἀνὴρ καὶ εὐσεβὴς καὶ ἀγαθὸς πάντως ἆρ’ οὐ θεοφιλής ἐστιν; Ist ein gerechter und frommer und in jeder Hinsicht guter Mann nicht von Gott geliebt? (Platon, Phil. 39e) In contrast to the book of Ben Sira with its strong focus on Jerusalem and the temple (cf. Sir 24; 50), the Wisdom of Solomon, written between the first century BCE and the first century CE in Alexandria, mentions the holy city in only two verses, both in the relecture of the prayer of Solomon (1 Kings 3) in the Wisdom of Solomon 9. The temple and the sacrifices play only a marginal role in the book of Wisdom. This article provides an overview of the use of terms for “holy” in the book of Wisdom. It also analyses its handling of holy places and its high estimation of prayer and of the interpretation of scriptures – two location-independent forms of worship – as typical of early Jewish diaspora theology. Overall, it becomes apparent that the Wisdom of Solomon is not only an expression of early Jewish religious practice, but also reflects on the phenomenon of “religion” in a variety of ways. In this respect, the early Jewish Wisdom of Solomon fits into a discourse on the philosophy of religion of the Hellenistic-Roman period, as found, for example, in the writings of Plato, the Stoics, Cicero or Plutarch.

Bei einem Kongress zur Geschichte, Wirkung und Relevanz der Septuaginta auf die um die Zeitenwende wohl in Alexandria verfasste Sapientia Salomonis zu rekurrieren, liegt aus verschiedenen Gründen nahe. Von einem oder vielleicht auch mehreren jüdischen Autoren geschrieben, als weisheitliche Mahnung an die Herrscher der Welt stilisiert sowie überwiegend im Christentum tradiert und rezipiert, spiegelt die Sapientia in besonderer Weise die dreifache Lesbarkeit der Septuaginta: sie ist ein jüdisches Werk, öffnet die Welt der isra­ elitisch-jüdischen Ideen der paganen Welt und wird zur eigentlichen heiligen Schrift der frühen Christen. So sollen im Folgenden am Beispiel der Reflexion gelebter jüdischer, aber auch paganer Religion in der Sapientia exemplarisch Aspekte der Geschichte, Wirkung und Bedeutung der Septuaginta gezeigt werden. Die Sapientia bietet keine theoretische Abhandlung über Wesen und Formen der Verehrung des Göttlichen, wie beispielsweise Ciceros De natura deo­ rum oder Plutarchs De Iside et Osiride. Aber das Wortfeld des Heiligen und die Passagen, in denen die Sapientia ausdrücklich auf öffentliche und private

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Frömmigkeit (εὐσέβεια; pietas / religio),1 auf den Gottesdienst und den Kult (θεραπεία; θρησκεία; λειτουργία; cultus deorum) 2 sowie auf einzelne jüdische und pagane Riten (τελετή; θεσμός; sacrificium) 3 zu sprechen kommt, zeigen doch spezifische Elemente gelebter Religion einschließlich ihrer theologischen Reflexion im 1. Jahrhundert v. Chr.4 Wesentlich ist dabei, wie die Sapientia traditionelle Vorstellungen eines heiligen Ortes, heiliger Zeiten, heiliger Handlungen, heiliger Personen und heiliger Gegenstände transformiert.

1. Personale Heiligkeit Bereits bei der Verwendung des wichtigsten Wortes aus dem Bereich von Kult und Religion, ἅγιος, zeigt sich eine Besonderheit des Verständnisses von Religion in der Sapientia. So verwendet die Sapientia das Wort ἅγιος zur Kennzeichnung der Zugehörigkeit zu Gott ganz überwiegend in einer personalen Dimension, nämlich für den „heiligen Geist“ (1,5; 7,22; 9,17), für „die Heiligen“, sei es die „Gerechten“ (5,5), die „Israeliten beim Auszug aus Ägypten / das heilige Volk“ (17,2; 18,9) oder die „Engel“ (10,10), für den „Namen Gottes“ (10,20, umschrieben in 18,24c) und für Mose (11,1). Nur dreimal findet sich ein lokaler Gebrauch, einmal für Jerusalem (9,8), einmal für die Stätte des himmlischen Gottesthrons (9,10) und einmal für das „heilige Land“ (12,3) 5. Der sparsame Gebrauch des Wortes ἅγιος bei gleichzeitiger Konzentration auf eine personale Verwendung zeigt, dass die Sapientia „Heiligkeit“ wesentlich personal und in direkter Relation zu Gott bestimmt. Dem entspricht die Verwendung des Wortes ὅσιος 6 für den einzelnen „Frommen“ (3,9 [v. l.]; 4,15; 7,27) oder „die Israeliten beim Auszug aus Ägypten / das fromme Volk“ (10,15.17; 18,1.5.9). Eine Besonderheit stellt die Kumulation der Wurzel ὅσιος in SapSal 6,10 dar: οἱ γὰρ φυλάξαντες ὁσίως τὰ ὅσια ὁσιωθήσονται, καὶ οἱ διδαχθέντες αὐτὰ εὑρήσουσιν ἀπολογίαν.

1 Nur in SapSal 10,12 (La bietet hier sapientia!); vgl. σέβεσθαι (La: colere) in 15,6.18 und σέβασμα (La: deus) in 14,20; 15,17. θεοσέβεια, der sonst in der LXX übliche und in der Gräzität vor der LXX gesichert nur in Xenophon, an. II, 26,6 belegte Begriff für „Gottesfurcht“, wird in der SapSal nicht verwendet. Ebenso fehlt in der SapSal das gesamte Wortfeld ἱε­ρός. 2 Vgl. SapSal 14,18.27 (La: cultura) bzw. 18,21 (La: servitus). Weitere pagane und in der LXX verwendete Begriffe für Gottesdienst und Kult wie δουλεία, θεραπεία und λατρεία sind in der SapSal nicht belegt. 3 Vgl. SapSal 12,4; 14,15.23. 4 Zu einer breiten, auf Philon von Alexandria konzentrierten Darstellung jüdischen Gottesdienstverständnisses in hellenistisch-römischer Zeit siehe Leonhardt: Worship. 5 Vgl. Sach 2,16; 2 Makk 1,7. 6 ὅσιος ist in der LXX Standardäquivalent für ‫חסיד‬, nie für ‫קדוש‬.

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Denn die, die das Heilige heilig gehalten haben, werden geheiligt, und die, die sich darin haben belehren lassen, werden eine Verteidigung finden.

Der Vers basiert auf 2 Sam 22,26 (Ps 18 [17],26) und 1 Kön 9,4. Er verheißt denen, die sich gegenüber Gott und den Menschen als ‫( חסיד‬ὅσιος) und ‫תמים‬ (τέ­λειος) als treu erweisen, eine rechtfertigende Aufnahme (ἀπολογία) bei Gott, mit anderen Worten „ewiges Leben“ (vgl. SapSal 2,22). Konkretionen des Heiligen sind einerseits der göttliche νόμος und die göttliche βουλή (6,4),7 andererseits die göttliche σοφία (6,9). Synonym zur personal verstandenen Heiligkeit (ὁσιότης) sind Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) und Rechtschaffenheit (εὐ­θύτης) (9,3). So bezeichnet ὁσιότης in SapSal 9,3 das „vollendete[ ] gottgemäße[ ] Verhalten“.8 Heiligkeit (ὁσιότης) ist gleichermaßen ein Merkmal Gottes (5,19) und der Gerechten (2,22), d. h. derer, die Gott wirklich kennen (2,12– 13; 14,22 + 30). Diese starke personale Ausrichtung des Begriffs ὅσιος zeigt sich auch an seiner Austauschbarkeit mit den Begriffen πιστός und ἐκλεκτός (vgl. 3,9; 4,15).

2. Heilige Orte und die Ent-Räumlichung des Heiligen Einmalig und nur in einem Distichon kommt die Sapientia auf den einen zentralen heiligen Ort des antiken Judentums, auf Jerusalem mit seinem Tempel (να­ός),9 zu sprechen (SapSal 9,7–8): σύ με προείλω βασιλέα λαοῦ σου καὶ δικαστὴν υἱῶν σου καὶ θυγατέρων εἶπας οἰκοδομῆσαι ναὸν ἐν ὄρει ἁγίῳ σου καὶ ἐν πόλει κατασκηνώσεώς σου θυσιαστήριον, μίμημα σκηνῆς ἁγίας, ἣν προητοίμασας ἀπ᾿ ἀρχῆς. Du hast mich zum König deines Volkes erwählt und zum Richter deiner Söhne und Töchter. Du hast befohlen, einen Tempel auf deinem heiligen Berg zu bauen und in der Stadt deiner Wohnstätte10 einen Opferaltar, ein Abbild des heiligen Zeltes, das du von Anfang an bereitet hast.

Bekanntlich verwendet die Sapientia keine Eigennamen. Dennoch erschließen sich für die Leser, welche die Schriften Israels kennen, leicht die gemeinten Personen und Orte aufgrund einschlägiger aus der jüdischen Tradition ent7 In SapSal 6,4 ist wohl eher das „natürliche Gesetz“ im Sinn der Stoa als das Mosaische Gesetz gemeint (vgl. Mazzinghi: Law, 39–40). Dagegen identifiziert Schaper: Νόμος, 294–­ 295, das Gesetz in SapSal 6,4 mit der Torah im Sinn von Dtn 17. 8 Hauck: ὁσιότης, 492. 9 In SapSal 3,14 wird, über Jes 56,3–5 hinausgehend, dem kinderlosen Frommen eine postmortale Aufnahme in das himmlische Heiligtum in Aussicht gestellt (so mit Engel: Weis­heit, 88; Nobile: Hereafter, 256–257; Cornelius: Eunuchs, 330). 10 Wörtlich: Zelterrichtung (so übersetzt z. B. Engel: Sophia [LXX.D], 1070).

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nommener Begriffe und Motive. So ist klar, dass sich die Erinnerung Pseudo-­ Salomos an den Bau eines Tempels (ναός, La: templum) und eines Altars (θυ­ σι­ασ­τήριον, La: ara) in SapSal 9,8 auf dem „heiligen Berg“ auf die Errichtung des Jhwh-Tempels auf dem Zion bezieht und dass die „Stadt der Einwohnung (Gottes)“ (πόλις κατασκηνώσεώς σου, La: civitas habitationis tuae) Jerusalem ist. Im Hintergrund stehen 2 Sam 7,12–13; 1 Kön 5,19 (vgl. 2 Chr 2,3–4); 1 Kön 8,19 ( par. 2 Chr 6,9) und 1 Chr 28,6 (7).11 Im Blick auf das Bild des betenden Königs unterstreicht die Notiz das Ideal eines Herrschers, der sich als von Gott erwählter, weiser Richter und als frommer Erbauer eines Heiligtums versteht. Das Bild entspricht altorientalischer und hellenistischer Königsideologie. Hinsichtlich des aus SapSal 9,7–8 erhebbaren Verständnisses eines heiligen Ortes ist wesentlich, dass der von Salomo errichtete Jerusalemer Tempel ein „Ab­bild des heiligen Zeltes“ (μίμημα σκηνῆς ἁγίας, La: similitudo taberna­culi sanc­ti) ist, welches Gott „von Anfang an“ (ἀπ᾿ ἀρχῆς, La: ab initio) bereitet hat. Damit trägt der salomonische Tempel unmittelbar die Züge des Zeltheiligtums aus der Wüstenzeit Israels und hat zugleich eine kosmische, universale Bedeutung.12 Er erscheint als direkte Repräsentation eines protologischen himmlischen Heiligtums (vgl. Hebr 8,2.5).13 Der Weg „vom Sinai zum Zion“ verläuft gewissermaßen direkt „vom Himmel auf die Erde“. Traditionelle israelitische Heiligtumskonzeptionen, zumal aus der priesterlichen Exodusüberlieferung14, und platonische Urbild-Abbild-Vorstellungen gehen hier eine charakteristische Verbindung ein, wie sie sich vergleichbar und ausführlicher bei dem etwas jüngeren Zeitgenossen der Sapientia, Philon von Alexandria, findet.15 Dass in SapSal 9 tatsächlich an den realen Tempel in Jerusalem und nicht metaphorisch an ein „Haus für die Weisheit“ gedacht ist,16 zeigt sich daran, dass im Gegensatz zu Sir 24,10–11 gerade nicht von einer Einwohnung der Weisheit im Tempel gesprochen wird. Bedenkt man, dass das Gebet Salomos um Weisheit (SapSal 8,21–9,18) im Zentrum der Gesamtkomposition der Sapientia steht und dass es wesentliche Elemente ihrer Anthropologie, Theologie und Weisheitsvorstellungen enthält, spiegelt der Rekurs auf Jerusalem und seinen Tempel in SapSal 9,7–8 die hohe Bedeutung, welche die heilige Stadt und ihr Heiligtum auch für diese in der 11 Vgl.

auch Sir 47,13. dazu auch McGlynn: Authority, 129–130. 13 Vgl. Hebr 9,11–12; Apk 11,19; TestLev 5,1; 3 Bar 4,2–6; siehe dazu Michel: Hebräer, 185–­187; Kraus: Aufnahme, 100–102, sowie ausführlich Gäbel: Kulttheologie, 112–117.­ 236–­254.456. 14 Ex 25,8–9.40, vgl. Apg 7,44. 15 Vgl. Philon, LA III, 102. Während sich der platonische Begriff μίμημα in der Septuaginta nur in SapSal 9,8 findet (vgl. noch Ez 23,14 nach Aquila), verwendet ihn Philon 67-mal, zum platonischen Hintergrund des Begriffs vgl. Platon, polit. 300e; Tim. 48e; 50C; leg. 668b. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund siehe ausführlich Gäbel: Kulttheologie, 29–34; 112–128. 16 So Priotto: Temple, 266–268. 12 Siehe

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Diaspora entstandene Weisheitsschrift haben. Das Phänomen, dass die Sapientia das Wort πόλις nur einmal, und zwar für Jerusalem verwendet, ist Ausdruck ihres jüdischen Selbstbewusstseins und lässt sich angesichts ihres mutmaßlichen Entstehungsortes Alexandria auch als eine Bestreitung des Ranges Alexandrias als der Weltstadt schlechthin verstehen.17 Hinsichtlich ihrer eigenen religiösen Praxis gibt SapSal 9,7–8 zu erkennen, dass zum richtigen Kult ein Tempel und ein Altar gehören, auch wenn Wallfahrten in der Sapientia gar nicht und Opfer nur am Rande erwähnt werden (s. u.). Dass schließlich in der Tempelbaunotiz zweimal das Motiv des „Zeltes“ vorkommt, das nicht aus der Salomotradition, sondern aus der Mosetradition bzw. der Exodus- und Wüstenüberlieferung stammt, steht im Zusammenhang der Exodusthematik der gesamten Sapientia und spiegelt das Selbstverständnis ihrer Trägerkreise und Adressaten. So besitzt die Sapientia, auch hierin dem Hebräerbrief vergleichbar, die Vorstellung von einem „wandernden Gottesvolk“, dem Gott „zu jeder Zeit und an jedem Ort“ beisteht (SapSal 19,22). Ein heiliger Ort ist dann die Stätte, wo Gott handelnd erlebt wird. Insofern nach SapSal 19,22 Gott selbst sein Volk immer und überall mit δόξα beschenkt, tritt das verherrlichte Volk an die Stelle des einen heiligen Ortes. Dieser besitzt ein historisches Recht und bleibt ein wesentlicher Bezugspunkt der religiösen Identität. Herz dieser Identität ist aber die nicht lokal gebundene Erkenntnis und Gemeinschaft Gottes. Eine solche Loslösung der Heiligkeitsvorstellung von heiligen Orten, eine Ent-Räumlichung des Heiligen zeigt sich dann auch in der Art und Weise, wie die Sapientia heilige Zeiten thematisiert.

3. Heilige Zeiten und die Ent-Zeitlichung des Heiligen Im religiösen Fest als einer Zeit, die in besonderer Weise aus dem Alltag, aber auch aus dem täglichen oder wöchentlich gefeierten Gottesdienst herausgehoben ist, wird die kultisch vermittelte Begegnung zwischen Gott und Mensch am intensivsten erfahren und artikuliert. Bezeichnenderweise erwähnt die Sapientia von den großen Festen, die in der heilsgeschichtlichen Überlieferung des alten Israel verankert sind (Pesach-Mazzot, Schavuot, Sukkot) und zu denen im Verlauf der hellenistischen Zeit mit Purim und Chanukka weitere Feste hinzugetreten sind, nur das Pesachfest (SapSal 18,9). Auch der Sabbat findet in ihr – wie in anderen jüdischen Weisheitsschriften, aber ganz im Gegensatz zum Werk Philons18 – keine Berücksichtigung.19 κρυφῇ γὰρ ἐθυσίαζον ὅσιοι παῖδες ἀγαθῶν καὶ τὸν τῆς θειότητος νόμον ἐν ὁμονοίᾳ διέθεντο τῶν αὐτῶν ὁμοίως καὶ ἀγαθῶν 17 Zu

Alexandria als größtem Handelsplatz „der Welt“ siehe Strabon, geogr. XVII, 1,13. dazu Leonhardt: Worship, 53–100. 19 Vgl. Hiob, Prov, Pred, Sir, 4Q525, 4QInstruction. 18 Siehe

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καὶ κινδύνων μεταλήμψεσθαι τοὺς ἁγίους πατέρων ἤδη προαναμέλποντες αἴνους. Denn im Verborgenen opferten die heiligen Kinder der Guten, und auf das Gesetz der Gottheit verpflichteten sie sich in Eintracht, dass gleichermaßen an denselben Gütern und Gefahren die Heiligen teilhaben sollten, schon im Voraus anstimmend die Loblieder der Väter. (SapSal 18,9)

Im Hintergrund von SapSal 18,9 steht das Pesachgesetz in Ex 12,43–50 (gemäß der Septuaginta). Doch während im Buch Exodus die Pesachordnung durch Gott selbst an Mose und Aaron vermittelt wird, verfasst diese gemäß der Sa­pi­ en­tia die Exodusgemeinde selbst. Dabei betont die Sapientia die Einmütigkeit der versammelten Gemeinde (ἐν ὁμονοίᾳ, La: in concordia, vgl. 10,20 ὁμοθυ­μα­δόν, La: pariter) 20 und den Lobgesang, der das Pesach begleitet.21 Alle drei Aspekte, die Betonung der heiligen Gemeinschaft, ihrer Eintracht und des Gebets, sind charakteristisch für das Gottesdienstverständnis der Sapientia. Die exklusive Thematisierung des Pesach im Rahmen der Auslegung der Exodus- und Wüstenüberlieferung (SapSal 11,1–19,22) erklärt sich vor dem Hintergrund, dass dieses Fest unabhängig von einem bestimmten Ort und einem bestimmten Heiligtum allein im Verbund der Familie begangen werden kann. Dabei dürfte die Angabe, dass das prototypische Pesach der Exodusgeneration „im Verborgenen“ (κρυφῇ, La: absconse) stattgefunden habe, weder einer Stilisierung des jüdischen Ritus als einer heimlich vollzogenen Kultmahlzeit, wie in den Mysterienreligionen, geschuldet sein,22 noch das Ergebnis eines exegetischen Ausgleichs unterschiedlicher Angaben im Buch Exodus sein.23 Die Notiz κρυφῇ erscheint vielmehr als ein Hinweis für die primären Adressaten der Sapientia, zum Vollzug dieses Festes nicht auf eine öffentliche Inszenierung oder einen öffentlichen Raum angewiesen zu sein. Damit setzt sich die jüdische Gemeinde der Sapientia wohl auch von den zahllosen öffent­ lichen Kultfeiern in Alexandria ab. Insofern der νόμος τοῦ πάσχα (Ex LXX 12,43) die Beschneidung beinhaltet,24 spielt die Sapientia auch dezent den zentralen jüdischen Initiationsritus ein, ohne dass sie diesen weiter ausführt. Ihre jüdischen Leser wissen darum, bei den fiktiven Herrschern der Welt, an die sich die Schrift gemäß ihres Prologs richtet (1,1, vgl. 6,1), vielleicht auch bei realen paganen Lesern, würde eine

20 Zur

„Einmütigkeit“ im Kult als Ideal vgl. auch Ps LXX 54,15; 132,1; Philon, QE I, 10; Apg 1,14; 2,45–46; 4,24; 15,25; Röm 15,6. 21 Vgl. 2 Chr 30,21; 35,13–15; Jub 49,6; Philon, spec. II, 148; Mk 14,26; bPes 117a. 22 So aber Winston: Wisdom of Solomon, 316. 23 Vgl. Engel: Weisheit, 278–279, der an einen Ausgleich zwischen Ex 3,18; 5,1–3; 10,25–­ 26 sowie Ex 8,21–25; 12,6–7.21 und Ex 12,22 denkt. 24 Vgl. Ex 12,44.48, und dazu Engel: Weisheit, 279.

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explizite Erwähnung der Beschneidung nur Kopfschütteln hervorrufen.25 Der paganen Vorstellungswelt entspricht dagegen die allgemeine Formulierung von einem νόμος τῆς θειότητος (18,9, La: iustitiae lex), auch wenn in der Gräzität der Begriff θειότης selten begegnet26 und eher die Wendung vom νόμος θεοῦ / θεῶν geläufig ist.27 Für das religiöse Selbstverständnis des Verfasserkreises der Sapientia ergibt sich jedenfalls aus der Pesachnotiz in SapSal 18,9, dass – mit den Worten von Helmut Engel – „Liturgie und Solidarität“ Grundlagen jüdischer Identität in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind.28 Es gibt für die Sapientia festgelegte heilige Zeiten, diese Vorstellung ist aber erweitert um den Gedanken, dass jede Zeit zur heiligen Zeit werden kann, in der die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott und Teilhabe an Gott erfahren wird (vgl. SapSal 3,1.9; 5,15).

4. Heilige Handlungen und die Versprachlichung des Heiligen In der Pesachnotiz in SapSal 18,9 sind bereits die grundlegenden heiligen Handlungen angesprochen, die den Kult im Alten Orient und in der klassischen Antike, insbesondere auch in der hellenistisch-römerzeitlichen Welt der Sapientia prägen, das Opfer und das Gebet: τί δὴ αὖ λέγεις τὸ ὅσιον εἶναι καὶ τὴν ὁσιότητα; οὐχὶ ἐπιστήμην τινὰ τοῦ θύειν τε καὶ εὔχεσθαι; Was sagst du wiederum, was das Fromme und die Frömmigkeit sei? Nicht eine Wissenschaft zu opfern und zu beten? (Platon, Euthyphr. 14c, vgl. leg. 716b)

Ähnliche „Definitionen“ finden sich im nichtjüdischen Umfeld der Sapientia beispielsweise bei Cicero, bei Cornutus oder bei Diogenes Laertios.29 Dabei ist in der Sapientia eindeutig das Gebet die entscheidende Form der Kommunikation des Menschen mit Gott.30 So weist die Sapientia nicht nur eine Fülle unterschiedlicher Begriffe für Beten und Gebet auf. Im gesamten dritten Buchteil (SapSal 11,2–19,22) bietet sie auch immer wieder eine direkte Anrede Gottes 25 Vgl. Strabon, geogr. XVI, 2,37; Tacitus, hist. V, 5,2 (in: Stern: Authors, II, Nr. 281); Martial, epigrammata 7,35; 7,82 (in: Stern: Authors, I, Nr. 241 und Nr. 243); Apion (bei Jo­ sephus, Apion. II, 137). 26 Vgl. Röm 1,20; Arist 95; Philon, det. 86,7. 27 Vgl. Aischylos, Eum. 171; Euripides, Ion 230; Xenophon, mem. IV, 4,21; SVF III, 523,2 (Chrysipp). 28 Engel: Weisheit, 278. 29 Cicero, nat. deor. 1,14 (Opfer); 2,71 (Gebet /Anbetung); Cornutus, nat. deor. 35,15 (Busch / Zangenberg, 156–157; zum rechten Gottesdienst gehören Frömmigkeit, Opfer, Gebet, Verehrung und Schwur) oder Diogenes Laertios᾽ Beschreibung der Gottesverehrung der Magier (Vitae I, 6 [Apelt I, 5]). 30 Vgl. dazu ausführlich Gilbert: Structure; Engel: Gebet, 293–312.

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in der 2. P. Sg. und wechselt somit in den Modus des Gebets. Im Einzelnen beinhaltet die Sapientia (1) ausgeführte Gebete, in denen sich ein betendes Ich an Gott im Du wendet, (2) Berichte über Gebete eines einzelnen oder einer Gruppe, (3) hymnische Anreden Gottes und (4) doxologische Beschreibungen des Handelns Gottes.31 Letztlich gehört das Beten für die Sapientia – wie für den Stoiker Poseidonios (135–51 v. Chr.) – grundsätzlich zum Menschen, der von einem lebendigen Gott geschaffen und auf diesen bezogen ist.32 Der betende Salomo, der die conditio humana bedenkt und um Weisheit bittet (7,1–7), ist das Ideal eines mit Vernunft begabten und zur Gestaltung der Welt beauftragten Menschen (9,2–3). Voraussetzung des Betens sind für die Sapientia Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis, letztere manifestiert sich in der konkreten, geschichtlich aufweisbaren Gotteserfahrung (10,1–11,1). Beten zielt auf die Gemeinschaft mit Gott, in welcher der Einzelne Erfüllung des Lebens findet, auch über die Grenze des Todes hinaus (7,14; 15,3). In beiden Fällen, der Ermöglichung des Betens und der Überwindung des Todes, ist die Gottesebenbildlichkeit die entscheidende Grundlage (vgl. 1,13–15; 2,23). Als menschliche Reaktion auf ein Handeln Gottes hat das Gebet, sei es Bit­ te, Dank, Klage oder Lob, Einfluss auf Gott selbst. Dies entfaltet die Sapi­entia in ihrer Erinnerung an die Sühne (ἐξιλασμός, La: deprecatio), die einst Aaron in der Wüste angesichts der murrenden Gemeinde wirkte (18,20–25). So fokussiert die Sapientia Aarons Handeln, das sie im Gegensatz zu ihrer Vorlage in Num 17,6–15 (= Num LXX 16,41–50) ohne Moses’ Vermittlung schil­dert, auf Aarons Fürbitte. Die προσευχή und der λόγος, die in einem Erinnern (ὑπο­μιμ­ νῄσ­κω) an die mit den Vätern Israels geschlossenen „Bünde“ (δια­θή­και, La: testamentum) bestehen, sind die entscheidenden Mittel Aarons, den göttlichen Zorn zu stillen. Das Rauchopfer (θυμίαμα, 18,21) und das ausführlich gewürdigte hohepriesterliche Gewand (18,24) sind Begleitgrößen des Gebets. Die Beschreibung des „Dienstes“ (λειτουργία, La: servitus) 33 Aarons in 18,20–25 zeigt, wie schon die Pesachnotiz in 18,9, dass für die Sapientia Opfer als rituelle Handlungen selbstverständliche Größen des Kultes darstellen. Ebenso setzt sie mit einer Metapher wie der Annahme der Gerechten bei Gott „wie ein vollständiges Ganzopfer“ (ὁλοκάρπωμα θυσίας, La: holocausta, 3,6) eine Kenntnis und den Vollzug solcher Opfer voraus: ὡς χρυσὸν ἐν χωνευτηρίῳ ἐδοκίμασεν αὐτοὺς καὶ ὡς ὁλοκάρπωμα θυσίας προσεδέξατο αὐτούς.

31 Vgl.

dazu Witte: Emotionen. Poseidonios ist es „ein Urtrieb der Menschheit, im Gebet die Hände zu Gott zu erheben, dem sie ihr Dasein dankt, und ihm in mannigfacher Weise […] ihre Verehrung zu be­zeigen“ (Pohlenz: Stoa, I, 234, unter Bezug auf Dion von Prusa, Olympicus 61; vgl. Ni­ ckel: Stoa, II, Nr. 1319); ähnlich Seneca (bei Pohlenz: Stoa, I, 323) und Epiktet (bei Poh­ lenz: Stoa, I, 340). 33 Vgl. Sir 50,19; 1 Chr 23,28; 24,19. 32 Nach

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Wie Gold im Schmelzofen hat er sie geprüft, und wie ein vollständiges Ganzopfer hat er sie angenommen.34

Dennoch bereitet die Sapientia, wie vergleichbare Metaphorisierungen und Spiritualisierungen von Kultbegriffen (speziell von Opferbegriffen) im frühjüdischen Schrifttum,35 eine Verschiebung vom materialen zum verbalen Opfer vor. Ihre besondere Wertschätzung des Gebets, das nicht an bestimmte Orte und bestimmte Zeiten gebunden ist, teilt die Sapientia mit vielen frühjüdischen Texten und unterstreicht erneut ihre personale Heiligkeitsvorstellung. Neben dem Beten einzelner herausragender Figuren der eigenen mythischen bzw. legendarischen Geschichte (Aaron, Salomo) betont die Sapientia immer wieder den Lobpreis der aus Ägypten ausziehenden Israeliten.36 Dies zeigt wiederum die hohe Bedeutung, welche die Sapientia der Gemeinde für die Religion einräumt. Hier steht die Sapientia unter den besonderen Lebensbedingungen der jüdischen Diaspora in Ägypten in einer Tradition, die sich zunehmend im nachstaatlichen Judentum seit der Perserzeit zeigt.37 Die Notiz in 16,28 belegt schließlich, dass die Sapientia bereits das morgendliche Dankgebet (εὐ­χα­ρισ­ τία, La: benedictio) kennt: ὅπως γνωστὸν ᾖ ὅτι δεῖ φθάνειν τὸν ἥλιον ἐπ᾿ εὐχαριστίαν σου καὶ πρὸς ἀνατολὴν φωτὸς ἐντυγχάνειν σοι. damit erkennbar ist, dass man zuvorkommen muss der Sonne mit dem Dank an dich und man sich beim Aufgang des Lichts an dich wenden muss.38

5. Von den Heiligen zur heiligen Gemeinschaft Die Reminiszenz an die Fürbitte Aarons ist zugleich die einzige Stelle der Sapientia, in der ein Priester erwähnt wird. Aufschlussreich sind die Prädikate, die sie Aaron verleiht (18,21): Er ist ἄμεμπτος (La: sine querella) „untadelig“, was in der Septuaginta nur noch von den exemplarischen Fürbittern Abraham39, Hiob 40 und von Ester 41 gesagt wird, und er ist θεράπων (La: famulus) „Diener“, ein Prädikat, das in der Sapientia nur noch Mose trägt (10,16) und 34 Vgl. dazu Schenker: Sacrifice, 351–355; zum Pleonasmus ὁλοκάρπωμα θυσίας vgl. Num LXX 15,3; Sir 45,14. 35 Vgl. Ps 40,7–9; 49 LXX, 14.23; 51,17–19; 69,31–32; 11QPsa XVIII,9–12; 2 Makk 10,7; TestLev 3,6–8; Philon, plant. 126; spec. I, 272.275; Röm 12,1; Phil 4,18; Hebr 13,15–16. 36 Vgl. SapSal 10,20; 11,4; 16,25; 18,9; 19,8–10 (11–12). 37 Vgl. Albertz: Religionsgeschichte, 422–427; Gerstenberger: Israel, 372–386. 38 Vgl. zum Morgengebet Philon, cont. 27; Josephus, bell. II, 128–129; PsSal 6,4; Arist 304–305; TestJos 3,6; Sib 3,591–594, und dazu Leonhardt: Worship, 126–127. 39 Gen LXX 17,1; 18,23–32; 20,7.17; vgl. SapSal 10,5. 40 Hi LXX 1,1; 2,3; 42,8. 41 Est LXX 8,12n / E 13; vgl. 4,17k–z / C 12–30.

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das – im Gegensatz zur Anwendung auf Mose – keine Vorgaben in der älteren Aaron-Überlieferung hat.42 Mose stilisiert die Sapientia als einen mit der σοφία beseelten Wundertäter (10,16) und vor allem als einen Propheten (11,1, vgl. Dtn 18,15; 34,10; Hos 12,14).43 Bezeichnend ist, dass die Sapientia den Titel θεράπων ausschließlich für die zwei Figuren gebraucht, die in der jüdischen Tradition als die eigentlichen Stifter des Gottesdienstes gelten und die als Priester und Prophet die wichtigsten Mittlerpersonen im Rahmen eines altorientalischen und antiken Kultes überhaupt darstellen. Die Beschränkung der Funktionen des Priesters und des Propheten auf zwei Gestalten der mythischen Gründungszeit ist ein weiteres Indiz für die besondere Wertschätzung eines Gottesdienstes, in dem nicht einzelne heilige Personen eine wesentliche Rolle spielen, sondern die Heiligkeit der Gemeinde entscheidend ist. Diesem Bild kollektiver personaler Heiligkeit entspricht die Verleihung des Titels „Freunde Gottes“44 und „Propheten“ an all diejenigen, in deren Seele die Weisheit eingezogen ist und einziehen wird (7,27): μία δὲ οὖσα πάντα δύναται καὶ μένουσα ἐν αὑτῇ τὰ πάντα καινίζει καὶ κατὰ γενεὰς εἰς ψυχὰς ὁσίας μεταβαίνουσα φίλους θεοῦ καὶ προφήτας κατασκευάζει. Aber (nur) eine seiend, vermag sie alles, und bei sich selbst bleibend, erneuert sie alles, und von Generation zu Generation geht sie in die heiligen Seelen ein und bereitet Freunde Gottes und Propheten.

So „demokratisiert“ die Weisheit die Vorstellung von einzelnen heiligen Personen (vgl. Num 11,29; Jes 59,21; Joel 3,1). An ihre Stelle treten in der Sapientia alle, die Gerechtigkeit üben.45 Sie besitzen ihr Urbild in dem wahren Gottesfreund und Propheten Mose (vgl. Ex 33,11; Dtn 34,10) 46 sowie ihr Vorbild 42 Vgl. Ex 14,31; Num 11,11; 12,7–8; Jos 1,2; 8,33; bzw. im frühjüdischen Schrifttum 1 Chr LXX 16,40; 4Q123 frgm. 2 1; 4Q378 frgm. 22 I,2; 4Q504 frgm. 1–2 Rv 14; 4Q504 6 12; 4Q505 122 1; VitAd 1,0 sowie im frühchristlichen Schrifttum Hebr 3,5 (die einzige Bezeichnung Moses als θέραπων im NT); 1 Clem 4,12; 43,1; 51,3.5; 53,5; Barn 14,4. 43 Vgl. Aristobulos, frgm. 2,4 (nach Eusebius, Pr. Ev. VIII, 10,4; Denis: Fragmenta, 218; JSHRZ III / 2, 4; OTP II, 838); Josephus, ant. IV, 329; Philon, Mos. II, 187; decal. 18. 44 Vgl. als Titel für Abraham (Jes 41,8; Jes LXX 51,2; 2 Chr 20,7; Dan LXX 3,35; CD-A III,2; 4Q252 frgm. 1 II,8: Jub 30,20–21; SibOr 2,245; TestAbr A 1,6; B 4,10 u. ö.; ApkSedr 9,1; Jak 2,23), für Isaak (CD-A III,3), für Jakob (CD-A III,3; 4Q372 frgm. 1,21; JosAs 23,10) und für Mose (Sir 45,1 HB, vgl. Ex 33,11; Philon, Mos. I, 156; LA III, 204; Cher. 49). 45 Vgl. SapSal 2,10–3,1; 4,7.16; 5,1.15; 18,7.20; 19,16–17; ähnlich Philon, her. 21,3: Alle Weisen sind Freunde Gottes (vgl. Philon, prob. 44; Jub 30,20–21), vgl. im paganen Bereich Platon, leg. 716c–d; Tim. 53d; symp. 193b; rep. 621c; Phil. 39e; Maximos Tyrios, diss. 14 § 6,30–­31 (der εὐσεβής); Epiktet, diss. ab Arriano digesta 4,3,9–10, siehe dazu auch Wins­ ton: Wisdom of Solomon, 189. 46 Vgl. Philon, Mos. I, 156.

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in den durch die Weisheit geretteten Gerechten der Ur- und Frühgeschichte (Adam, Noah, Abraham, Lot, Jakob und Joseph), die bewusst namenlos bleiben und bei denen gerade keine kultische Funktion ausschlaggebend für die Bewahrung vor dem Bösen war (SapSal 10,1–14; 10,16; 11,1): „im Grunde ist jeder ein Prophet, der die wahre Weisheit als Eigenschaft besitzt.“47

6. Von den Bildern der Götter zur heiligen Schrift Zur Ausübung des Kultes gehören entsprechende heilige Geräte. In der Sapien­ tia kommen diese sowohl in positiver Würdigung als auch in scharfer Ablehnung zur Sprache. Neben der Erwähnung des von Salomo errichteten Altars in Jerusalem (SapSal 9,8) findet besonders das hohepriesterliche Gewand Aarons Berücksichtigung (18,24). Die Notiz in 18,24 gehört zu einer Vielzahl entsprechender frühjüdischer Hochschätzungen, die alle auf der prototypischen Beschreibung in Ex 28,1–43 basieren und die bei den Lesern eine Kenntnis dieses Textes und dieses Gewandes voraussetzen.48 Es ist die gesamte farbliche und materiale Ausstattung, die dieses Gewand zu einer Repräsentation der Welt werden lassen. Die drei Stichen, auf welche die Sapientia die Beschreibung des Gewandes konzentriert, sind in dreifacher Hinsicht charakteristisch für ihre Theologie: (1) Das Gewand symbolisiert in universaler Dimension den ganzen Kosmos, d. h. den Himmel mit den Gestirnen, das Meer und die Erde (SapSal 18,24a). (2) Es dokumentiert mittels seiner auf Edelsteinen eingravierten Namen der Patriarchen die Geschichte Israels (18,24b). (3) Es zeigt mittels des auf dem Stirnband des Hohepriesters angebrachten Tetragramms (18,24c, vgl. Ex 28,36) die ausschließliche Ausrichtung des Kultes auf den einen Gott Israels. Universalität, Geschichtsbewusstsein und strikter Monotheismus sind die wesentlichen Merkmale der Theologie der Sapientia.49 Auch wenn sich die knappe Beschreibung des Gewandes Aarons in SapSal 18,24 in ihrer Fülle nur einem mit dem Pentateuch vertrauten Leser erschließt, so ist das Bild doch grundsätzlich, entsprechend der Anlage der Sapientia, zumindest auch theoretisch für ein paganes Publikum verständlich, das heilige Gewänder mit entsprechender Symbolik aus den unterschiedlichsten Kulten kennt. Ich verweise 47 Meyer: προφήτης, 822. Zur Parallelisierung von Propheten (‫ )נביאים‬und Frommen (‫ )חסידים‬vgl. 11QPsa XXII,5–6. 48 Vgl. Sir 45,7–13; 50,5–11; Arist 96–99; TestLevi 8,2–10; Josephus, ant. III, 180; Philon, Mos. II, 109–135; spec. I, 84–97; QE II, 107–120 (zu Ex 28); speziell zu Philons Interpretation des hohenpriesterlichen Kleides siehe Leonhardt: Worship, 217.231, und ausführlich Kaiser: Philo, 52–57. 49 Zum steten Zusammenspiel zwischen einer auf Israel bezogenen Bedeutung und einer kosmischen Bedeutung der Heiligkeitskonzeptionen in der SapSal siehe auch McGlynn: Authority, 129–132.

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exemplarisch auf Plutarchs Beschreibung der Gewänder von Isis und Osiris (Is. 77 [= mor. 382c–c]): στολαὶ δ᾽ αἱ μὲν Ἴσιδος ποικίλαι ταῖς βαφαῖς περὶ γὰρ ὕλην ἡ δύναμις αὐτῆς πάντα γιγνομένην καὶ δεχομένην, φῶς σκότος, ἡμέραν νύκτα, πῦρ ὕδωρ, ζωὴν θάνατον, ἀρχὴν τελευτήν. Aber kommen wir jetzt zu den kultischen Gewändern: Die der Isis sind buntgefärbt, denn ihr Machtbereich ist die Materie, die zu allem wird und alles aufnimmt, Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Feuer und Wasser, Leben und Tod, Anfang und Ende.50

Ganz im Gegensatz zu einem inklusiven, positiven Verständnis eines Kultgegenstandes steht die scharfe Kritik der Sapientia an Götterbildern. Die Sapientia bietet die umfangreichste biblische Kritik an Götterbildern überhaupt (SapSal 13–15). Dabei steht sie in der Tradition des in hellenistisch-römischer Zeit streng monotheistisch und prinzipiell anikonisch verstandenen Bilderverbots des Dekalogs sowie der deuterojesajanischen und weisheitlichen Götzenpolemik (vgl. auch Jer 10) und in Analogie zu paganer philosophischer Kritik an anthropomorphen Gottesvorstellungen und Gottesdarstellungen.51 Erinnert sei hier an Xenophanes von Kolophon (etwa von 570–470 v. Chr.) 52 und den Euhemerismus53, aber auch an Strabons Polemik gegen die Standbilder vernunftloser Tiere in den ägyptischen Tempeln54 oder an die Kritik eines Maximus von Tyrus (2. Jahrhundert n. Chr.).55 In drei Stufen versucht die Sapientia von der Unvernunft der Bilderverehrung zu überzeugen. Kosmische Größen oder Wettererscheinungen als Götter zu verehren, sei zwar angesichts von deren Schönheit nachvollziehbar, aber unvernünftig, da hier geschöpfliche Werke mit ihrem Erschaffer verwechselt würden (13,1–9). Noch unvernünftiger sei es, Verstorbene oder Herrscher göttlich zu verehren, da hier Sterbliche zu Unsterblichen deklariert würden, also die spezifische Differenz zwischen Gott und Mensch nicht beachtet werde (14,15–16). Die Spitze der Torheit stelle die Verehrung von Gott oder Göttern in einem Bild dar, weil hier übersehen werde, dass der endliche Mensch nur 50 Übersetzung von H. Görgemanns in: Plutarch: Schriften, 267. Vgl. auch das Herrscher­ ornat des Demetrios Poliorketes in der Beschreibung des Duris von Samos (FGH 76 F 14; Schmitt: Herrscher-Insignien, 241). 51 Siehe dazu ausführlich Ammann: Götter, 192–253.260–266; Völkening: Imago Dei, 201–401. 52 Mansfeld: Vorsokratiker, I, Nr. 27 (= DK 21 B 16) und Nr. 29 (= DK 21 B 15); Völkening: Imago Dei, 276–277. 53 Vgl. im frühjüdischen Schrifttum Jub 11,4–7; Sib 3,547.723; Hengel: Judentum, 164.­ 484; Völkening: Imago Dei, 279. 54 Strabon, geogr. XVII, 1,28 (vgl. 1,38.40), vgl. Cicero, Tusc. V, 78; Plutarch, Is. 71 (= mor. 379c–e) – par. SapSal 11,15; 15,18. 55 Diss. 2 § 2, siehe dazu Nilsson: Geschichte, 2, 395.

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Totes, also keinen Gott bilden könne (15,17). So vertieft die Sapientia die Begründung für das Bilderverbot in Dtn 4,15–19 mittels eines geschichtlichen und eines systematisch-theologischen Gedankens: Götterbilder sind historisch gesehen erst eine Erfindung des Menschen (14,12–14) 56 und sachlich Feinde des Lebens, weil sie vom Gott des Lebens ablenken, der in seiner Dynamik nicht zu fassen ist, schon gar nicht in einem statischen Bild (14,27):57 Ἀρχὴ γὰρ πορνείας ἐπίνοια εἰδώλων, εὕρεσις δὲ αὐτῶν φθορὰ ζωῆς. οὔτε γὰρ ἦν ἀπ᾿ ἀρχῆς οὔτε εἰς τὸν αἰῶνα ἔσται κενοδοξίᾳ γὰρ ἀνθρώπων εἰσῆλθεν εἰς τὸν κόσμον, καὶ διὰ τοῦτο σύντομον αὐτῶν τὸ τέλος ἐπενοήθη. Denn der Anfang der Unzucht ist das Ersinnen von Götzenbildern, ihre Erfindung aber ist Verderben des Lebens. Denn weder gab es sie von Angang an noch werden sie in Ewigkeit sein. Denn durch den Wahn der Menschen kamen sie in die Welt, und deshalb wurde ihnen ein baldiges Ende zugedacht. (SapSal 14,12–14) ἡ γὰρ τῶν ἀνωνύμων εἰδώλων θρησκεία παντὸς ἀρχὴ κακοῦ καὶ αἰτία καὶ πέρας ἐστίν. Denn die Verehrung der namenlosen Götzenbilder ist der Anfang alles Bösen und (dessen) Ursache und Ende. (SapSal 14,27)

Mit ihrer grundsätzlichen Bestreitung der kultischen Berechtigung von Götterbildern stellt die Sapientia einerseits die Bildlosigkeit des Gottesdienstes als das Wesensmerkmal der jüdischen Religion schlechthin heraus. Andererseits übt sie eine Fundamentalkritik an den Religionen ihrer Umwelt (einschließlich des Herrscherkultes), bei denen ein Kultbild zur Ausübung des privaten und des öffentlichen Kultes dazu gehört. Als ein Beispiel sei hier die Anfertigung eines Götterbildes für die als Mädchen verstorbene Tochter des Ptolemaios III. und der Berenike II. und deren Aufnahme in das ägyptische Pantheon genannt (vgl. das Kanopos-Dekret, 238 v. Chr.).58 Natürlich trifft das Verdikt der Sapientia auch die Verehrung eines lebendigen Herrschers, selbst wenn dieser in seiner wahren Lebendigkeit anstelle eines Bildes in Holz oder Stein als Gegenstand

56 Dies liegt einerseits in der Fluchtlinie der Argumentation, Israel habe ursprünglich keine Kultbilder gehabt (vgl. Hos 8,4; 13,2), und berührt sich andererseits mit der Vorstellung des Poseidonios, die Götterverehrung sei ursprünglich bildlos gewesen und die reine Gottesverehrung brauche keine Bilder (vgl. Strabon, geogr. XVI, 2,35; Pohlenz: Stoa, I, 234; Nickel: Stoa, II, Nr. 1135; Völkening: Imago Dei, 465). 57 Vgl. Plutarch, superst. 6b (= mor. 167d); Is. 76 (= mor. 382b–c). 58 OGIS 56 (übersetzt in: Bagnall / Derow: Documents, Nr. 136; vgl. Hölbl: Geschichte, 73.103); zu weiteren möglichen zeitgeschichtlichen Hintergründen siehe auch Völkening: Imago Dei, 323–325.397–401.

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des Gebets profiliert wird, wie beispielsweise in einem dionysischen Hymnus der Athener auf Demetrios Poliorketes anlässlich seines Besuchs in Athen.59 Die Kritik an den Götterbildern fügt sich indes nahtlos zu dem personal ausgerichteten und ortsunabhängigen Gottesdienstverständnis der Sapientia. Denn selbst wenn ein Kultbild im Rahmen einer Prozession bewegt werden kann, so bleibt es doch an seinen spezifischen Kultort gebunden. Diese Ortsgebundenheit gilt letztlich auch für die in der Umwelt der Sapientia so zahllos vorhandenen transportablen Figurinen oder Darstellungen von Göttern und Göttinnen auf Münzen, Siegeln und Amuletten, die jeweils auf einen bestimmten Herkunfts- und Verehrungsort der dargestellten Gottheit verweisen. An die Stelle des Kultbildes ist in der Sapientia aber, wie in anderen frühjüdischen Schriften auch, die heilige Schrift getreten. Zwar wird diese in der Sapientia nicht ausdrücklich als „heilig“ bezeichnet und die Torahrolle wird in ihr nicht so behandelt, wie in den Religionen der Umwelt ein Kultbild (vgl. aber auch 1 Makk 3,48). Gleichwohl zeigen die zahlreichen Anspielungen auf die Torah, die Propheten, die Psalmen und einzelne Weisheitsschriften, die Aretalogie auf das Handeln der Weisheit von Adam bis zu Mose (SapSal 10,1–11,1) sowie die midraschähnliche Behandlung des Exodus im dritten Buchteil eine ganz besondere Bezogenheit der Sapientia auf die Schrift. Die (heilige) Schrift ist der eigentliche Kultgegenstand der Sapientia, wobei der Verweischarakter der Schrift entscheidend ist: Die Schrift ist Gegenstand des Gottesdienstes, insofern sie auf Gott hinweist. An die Stelle der in der Sapientia nur in 11,1 und 18,20–25 protologisch genannten, außergewöhnlichen religiösen Funktionäre des Propheten und des Priesters sind nun der einzelne Weise und die heilige Gemeinde getreten, welche die Schrift kennen und auslegen und die gemäß der Weisheit und Gerechtigkeit leben, welche die Schrift, das „unvergängliche Licht des Gesetzes (νόμος)“, bezeugt (vgl. SapSal 18,4).

7. Ent-Grenzungen des Heiligen Die Sapientia verbindet lokale Heiligkeitsvorstellungen von dem einen heiligen Ort Jerusalem mit der personalen Heiligkeitsvorstellung von der Gottesbegegnung, die an jedem Ort und zu jeder Zeit in der Erfahrung des Weisheit, Gerechtigkeit und Leben schenkenden Gottes möglich ist. Der eine heilige Ort Jerusalem mit seinem Tempel und Altar, an dem der Hohepriester den Kult versieht, hat, ebenso wie weitere Elemente des jüdischen Kultes (Beschneidung und Pesach), eine bleibende Bedeutung für die religiöse Identität. Im Mittelpunkt des Verständnisses der Sapientia von Gottesdienst und heiligen Orten stehen aber personale und ortsunabhängige Formen der Kommunikation mit Gott: das Gebet und die Schrift(auslegung). Dementsprechend ist ein lokal und 59 Mitgeteilt von Duris von Samos bei Athenaios von Naukratis: Gelehrtenmahl, VI, 253d–f (FGH 76 F 13).

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material gebundener Gottesdienst, wie er sich in der Verehrung von Götterbildern zeigt, ein „falscher Gottesdienst“ und „die Ursache allen Bösens“ (14,27 vgl. 11,15). Ein „richtiger“ Gottesdienst“, eine λογικὴ λατρεία (Röm 12,1) – „ein vernünftiger Gottesdienst“ – fließt aus der wahren Gotteserkenntnis und artikuliert sich im Dienst (θεραπεύειν) für die Weisheit (10,9) und in Gerechtigkeit (SapSal 8,7; 9,3). Als solcher ist er eine Quelle des Guten.60 Dabei hat der jüdische Gottesdienst gemäß der Sapientia einen stark rationalen Charakter. Ihm fehlen jegliche ekstatischen Elemente, wie sie z. B. in den Mysterienreligionen auftauchen. Deutlich wird dies an Passagen wie SapSal 12,3–11 und 14,23.28, wo auf der Basis deuteronomistischer Stereotype (vgl. Dtn 12,31; 18,9–14) und möglicherweise in Kenntnis einer Tragödie wie der euripideischen Bakchen (Z. 1120–1143) der nichtjüdische Gottesdienst als Raserei und Kannibalismus beschrieben und scharfe Kritik an mystischen Initiationsriten (τε­λετή) 61 geübt wird. Mit ihrer so starken Ausrichtung des Kultes auf die ortsunabhängige, personale, rationale Begegnung von Gott und Mensch und mit dem dieser Ausrichtung zugrundeliegenden universalen, personalen und rationalen Gottesverständnis spiegelt die Sapientia eine typische weisheitliche Diasporatheologie. Diese ist tief in der jüdischen Tradition verwurzelt, sie schreibt die postpriesterschriftliche Theologie von der Dynamik und Transzendenz des einen Gottes Jhwh, der sein Gottsein darin erweist, das er je und je als Retter erfahren wird (Ex 3,14), fort und sie wendet sich gleichermaßen werbend auch an die gebildeten Frommen unter den Heiden. Man könnte sich gut einen fiktiven Dialog vorstellen, den Pseudo-Salomo mit einem Cicero, einem Seneca oder einem Plutarch auf den Stufen der Bibliothek von Alexandria über gelebte Religion und das Verhältnis von Gotteserkenntnis und Gottesverehrung führt62 und der zu dem Ergebnis kommt, dass Frömmigkeit Gerechtigkeit gegenüber Gott ist,63 aus der Gerechtigkeit gegenüber den Menschen fließt, „zu jeder Zeit und an jedem Ort“ (SapSal 19,22). Ich komme abschließend noch einmal auf den Dreiklang der Tagung „Geschichte – Wirkung – Relevanz der Septuaginta“ zurück. Die Weisheit Salomos spiegelt Aspekte und Entwicklungen des jüdischen Gottesdienstes in seiner realen und in seiner von den älteren Schriften der Septuaginta entworfenen literarischen Geschichte. Die Sapientia liefert mit ihrer strikt auf das Handeln des einen Gottes und der göttlichen σοφία konzentrierten Reflexion religiöser Praxis Bausteine für eine weisheitliche Theologie des Gottesdienstes, wie sie 60 Vgl. Platon, leg. 716d–e: Opfern und der ständige Verkehr mit den Göttern durch Gebete, Weihegeschenke und alle Formen der Gottesverehrung sind das beste Mittel zu einem glücklichen Leben. 61 Vgl. Herodot, hist. II, 171; Platon, Euthyd. 277d; Euripides, Bacch. 22.74. Zu jüdischer Kritik an den Mysterien vgl. auch Philon, spec. I, 319–332. 62 Vgl. Cicero, nat. deor. I, 13–14; Seneca, epist. 95,45–51; Plutarch, superst. 1; 6b (= mor. 164e; 167d–e). 63 Vgl. Platon, def. 412e (εὐσέβεια δικαιοσύνη περὶ θεούς); Cicero, De partione oratoria 78 (iustitia dicitur eaque erga deos religio).

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annähernd zeitgleich im Römerbrief und im Hebräerbrief nun aus der Perspektive des in Jesus Christus handelnden Gottes entworfen wird und wie sie sich später in der vielfältigen Rezeption einzelner Passagen aus der Sapientia in der griechisch-orthodoxen Liturgie niedergeschlagen hat, wenn dort der Dienst für die σοφία zum Dienst für den Χριστός transformiert ist.64 Und schließlich: Bezogen auf die Fragen gelebter und reflektierter Religion erweist die Sapientia ihre bleibende Bedeutung unter anderem darin, dass sie den Begriff des Lebens in den Mittelpunkt von Religion stellt und Gott selbst als einen „Freund des Lebens“ (φιλόψυχος, 11,26) bekennt.

64 Folgende Stellen aus der SapSal spielen in der griechisch-orthodoxen Liturgie (in unterschiedlichen Zusammenhängen) eine besondere Rolle: 1,14; 2,23; 6,7; 7,26; 9,4; 9,10; 11,23; 14,3; 16,13; 19,22, siehe dazu Constantelos: Holy Scriptures, 7–83.

Gott und das Böse Beobachtungen zur Theologie und Anthropologie der Sapientia Salomonis Since Plato, and especially among the Stoics, Greek philosophy intensively reflects on the nature and origin of evil, on its relationship to God and to the Good, and on its meaning and the possibilities of overcoming it. The Wisdom of Solomon makes its own contribution to this from the perspective of the Jewish faith, which holds to the one and only God Jhwh. This essay expounds on the example of the motif of God as the Good par excellence (Wis 1:1–5), on the notion of personified evil (ὁ διάβολος) (Wis 2:21–24) and of structural evil (Wis 4:10–11; 10:1–14*), and on the determination of the origin (ἡ ἀρχή) and cause (ἡ αἰ­τία) of evil (Wis 14:12–13; 14:27–31). It then traces how the Wisdom of Solomon provides escapes from evil and how its reflection on evil relates to other early Jewish conceptions of evil.

1. Die Sapientia Salomons als philosophischer Traktat über das Gute und das Böse Die zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und dem 1. Jahrhundert n. Chr. wohl in Alexandria verfasste Weisheit Salomos ist, neben dem Vierten Makkabäerbuch, die philosophischste Schrift der Septuaginta.1 Als solche partizipiert sie an dem in der griechischen Philosophie seit Platon und dann besonders in der Stoa intensiv geführten Diskurs über Wesen und Herkunft des Bösen, über dessen Verhältnis zu Gott und zum Guten sowie über dessen Sinn und Möglichkeiten einer Überwindung. So weist diese als Logos protreptikos 2 für die Weisheit anzusprechende Schrift nicht nur eine besonders hohe Konzentration der einschlägigen Begriffe für das Böse (κακός, πονηρός, πόνος und Derivate) auf. Sie enthält auch in allen drei Buchteilen (SapSal 1,1–6,21; 6,22–11,1; 11,2– 19,22), die unbeschadet formkritischer Unterschiede und eines möglichen literarischen Wachstums als drei zusammengehörende Passagen eines Werkes betrachtet werden können, ausführliche Reflexionen über theologische, anth1 Vgl.

dazu Spieckermann: Lebenskunst, 141–183. mit Winston: Wisdom of Solomon, 18–20; Engel: Weisheit, 27–28 – beide im Anschluss an Reese: Influence, 117–121. Dagegen vertreten andere eine Klassifikation als En­ komium, so z. B. Gilbert: Wisdom of Solomon, 306–309, im Anschluss an Beauchamp: Sa­gesse. Siehe dazu auch Witte: Literarische Gattungen, in diesem Band S. 7–27. 2 So

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ropologische und ethische Aspekte des Bösen. Zwar bietet die Sapientia keine strikte philosophische Abhandlung wie der ungefähr zeitgleich schreibende und in vielerlei Hinsicht vergleichbare jüdische Religionsphilosoph Philon von Alexandria. Dennoch kann die Sapientia auch als eine poetische Meditation über Gott und das Böse gelesen werden, in der grundlegende qualitative und moralische Kategorien sowie natürliche und personale Strukturen des Bösen bedacht werden.3 Der sprachliche Wechsel zwischen dem Aufruf an die Herrscher der Welt, Gerechtigkeit zu lieben und Weisheit zu suchen (1,1), und der Anrede des einen und einzigen Allherrschers (παντοκράτωρ, 7,25, vgl. 11,23), des Gottes Israels, zu dem Pseudo-Salomo, der ideale König, betet (8,21), verleihen der Sapientia einen dialogischen Charakter. Das Gebet Salomos ist die angemessene Antwort auf den Appell an die Herrscher in 1,1 und Vorbild für die Leser mittels der Lektüre der Sapientia einen Dialog mit Gott zu führen. Textpragmatisch zeigt die Sapientia so einen Weg aus dem Bösen – und das heißt in der Sprache der Sapientia einen Weg in das Leben.4 Dieser Weg soll im Folgenden in vier Schritten an ausgewählten Texten nachgezeichnet werden.

2. Der Gute (SapSal 1,1–5) Bereits das Proömium der Sapientia (1,1–5) thematisiert wesentliche theologische und anthropologische Aspekte in der Rede vom Bösen. Mit dem Aufruf „Liebt Gerechtigkeit“ (1,1) sind zwei grundlegende ethische, religiöse und rechtliche Oppositionen zum Bösen genannt: „Liebe“ und „Gerechtigkeit“. Sie durchziehen als Leitworte die gesamte Schrift.5 Der Begriff ἀγαπᾶν bezeichnet, ganz im Sinn des hinter SapSal 1,1 stehenden Schema Israel (Dtn 6,4–5), eine den ganzen Menschen betreffende Ausrichtung auf Gott. (4) Καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα καὶ τὰ κρίματα, ὅσα ἐνετείλατο κύριος τοῖς υἱοῖς Ισ­ραηλ ἐν τῇ ἐρήμῳ ἐξελθόντων αὐτῶν ἐκ γῆς Αἰγύπτου Ἄκουε, Ισραηλ· κύριος ὁ θεὸς ἡμῶν κύριος εἷς ἐστιν (5) καὶ ἀγαπήσεις κύριον τὸν θεόν σου ἐξ ὅλης τῆς καρδίας σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς ψυχῆς σου καὶ ἐξ ὅλης τῆς δυνάμεώς σου. (Dtn LXX 6,4–5)

Diese Liebe realisiert sich in der Orientierung an dem in der Torah schrift­ gewordenen Wort Gottes und in einem diesem entsprechenden Leben. Als Synonym zur Torah (νόμος) steht in SapSal 1,1, ergänzend zu ἀγαπᾶν, der Begriff δικαιοσύνη. Der betonte Einsatz mit dem Terminus δικαιοσύνη ist dem Aufruf an die paganen „Richter“ bzw. „Herrscher der Welt“ und dem literarischen Charakter der Sapientia als einer zumindest theoretisch auch von gebildeten Nichtjuden, die mit zeitgenössischen Gerechtigkeitsdiskursen vertraut sind, 3 Vgl.

dazu auch Mittmann: Bild. Spr 6,23; 15,24; Ps LXX 15,11. 5 Vgl. SapSal 4,10; 6,12; 7,10.12.28; 8,3.7; 11,24; 16,26 bzw. 1,15; 2,11; 5,6.18; 8,7; 9,3; 12,16; 14,7; 15,3. 4 Vgl.

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zu lesenden philosophischen Schrift geschuldet. In der Linie der israelitisch-­ jüdischen Tradition bezeichnet „Gerechtigkeit“ dabei aber weniger eine rechtliche Größe als ein soziales Verhältnis, nämlich die heilvolle Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Diese kann letztlich nur von Gott selbst als dem allein Gerechten und universalen Stifter und Garanten von Gerechtigkeit gewährt werden (12,15). Darüber hinaus erhält „Gerechtigkeit“ in der Sapientia das besondere Prädikat der „Unsterblichkeit“ (ἀθανασία, 1,15; 15,3). „Gerechtigkeit“ ist damit die entscheidende Vermittlerin eines erfüllten Lebens im Diesseits und, über ältere Gerechtigkeitskonzeptionen im Judentum hinausgehend, auch im Jenseits. So bestimmt die Sapientia die göttliche Gerechtigkeit, die durch eine offenbar aktuelle Bedrohung torahtreuer Juden in Alexandria in Frage gestellt ist, neu mittels eines eschatologischen postmortalen Ausblicks. Wenn der um seiner Gerechtigkeit, das heißt um seiner Treue gegenüber Gott und seiner Torah, willen verfolgte Fromme sein Leben verliert (2,12–13), dann nur, um nach dem Tod in eine noch intensivere Gemeinschaft mit Gott zu kommen. Denn „die Seelen der Gerechten“ sind, wie SapSal 3,1, in Weiterführung von Ps 49,15–16 und in motivischer Parallele zu Dan 12,1–3 und 2 Makk 7,9 formuliert, „in Gottes Hand und keine Folter kann sie antasten“ (vgl. 4,7; 5,15; 1 Hen 102,4–103,3). Als Äquivalent zur Gerechtigkeit Gottes erscheint in 1,1b die Gutheit (ἀγαθότης), gemeint ist die Gutheit Gottes (vgl. 7,26).6 Damit wird gleich zu Beginn der Sapientia, wie in der Philosophie Platons und der Stoa, das Böse aus dem Wesen Gottes ausgeklammert.7 Gott wird so, wie in anderen frühjüdischen Schriften, als der schlechthin Gute (‫הטוב‬, ὁ ἀγαθός / ὁ χρηστός) charakterisiert.8 Zugleich wird mit dem Ausdruck ἐν ἀγαθότητι das Ziel des Nachdenkens und, wie die Fortführung im dritten Stichos mit der Wendung ἐν ἁπλότητι καρδίας zeigt (1,1c),9 das Ziel menschlicher Existenz angegeben: ein Leben im und mit dem Guten. Als solches gilt die Gemeinschaft mit Gott (1,2). Diese gründet in der Erkenntnis Gottes und in der göttlichen Gabe der Weisheit (1,3–5). Dabei betont der Prolog, dass die göttliche σοφία, die hier als ἅγιον πνεῦμα bezeichnet werden kann (1,5),10 als Mittlerin der Gottesgemeinschaft nur in dem Menschen einwohnt, der sich grundsätzlich vom Bösen fernhält (1,4, vgl. 7,27). Dieser Mensch wird dann zu einem „Freund Gottes“ (φίλος θεοῦ) – ein Ideal, das die frühjüdischen Schriften mit der paganen griechischen Philoso6 Zu einem solchen inklusiven Verständnis der Formulierung ἐν ἀγαθότητι, die sich nicht nur auf die Richtigkeit des menschlichen Nachdenkens über Gott, sondern auch auf den Gegenstand dieses Nachdenkens bezieht, siehe Engel: Sophia (LXX.D), 1058. 7 Vgl. Platon, Tim. 29e; 69c; rep. 379b; Euripides, Iph. T. 391; SVF II, 1164; II, 1186. 8 Vgl. Jer 33 (40),11; Nah 1,7; Ps 34 (33),9; 100,5; 118 (117),1.29; 119 (118),68; 135 (134),3; 136 (135),1; 145 (144),9; Klgl 3,25; 2 Chr 30,18; Sir 45,25 (HB); 4Q403 frgm. 1 I,5; Mk 10,18 par. Mt 19,17; Lk 18,19. 9 Vgl. 1 Chr 29,17. 10 Vgl. SapSal 7,22; 9,17.

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phie teilen,11 das in der Sapientia aber typisch alttestamentlich um das Epitheton des Propheten (προφήτης) ergänzt wird (7,27, vgl. 11,1; Sir 46,13). Der Weise erscheint damit als ein Nachfolger des exemplarischen Gottesfreundes und Propheten Mose.12 Wie der Parallelismus membrorum in SapSal 1,4 zeigt, sind für die Sapientia, ganz der älteren israelitisch-jüdischen Tradition entsprechend, das Böse und die Sünde (ἁμαρτία) gleichbedeutend. Ebenso entspricht die Betrachtung des Menschen in seiner Gesamtheit als Seele (ψυχή) und Leib (σῶμα) der traditionellen israelitisch-jüdischen Anthropologie. An anderen Stellen der Sapientia, die möglicherweise sekundär sind, kann demgegenüber in einem stärker dichotomischen Sinn von der (präexistenten) Seele und dem (tendenziell negativ bewerteten) Leib des Menschen gesprochen werden (vgl. 8,19–20; 9,15).13 Im Blick auf das Böse ergibt sich aus der Eingangssequenz in SapSal 1,1–5 theologisch, dass Gott wesenhaft gut ist, anthropologisch, dass der Mensch grundsätzlich zur Gotteserkenntnis und damit zur Erkenntnis des Guten und zur Gemeinschaft mit Gott befähigt ist, sowie hamartiologisch, dass mangelnde Gotteserkenntnis und Unverstand (ἄφρων; λογισμοὶ ἀσυνετοί)14 Sünde und Selbstbetrug (δόλος) 15 sind und von der Weisheit ausschließen, welche die Gottesgemeinschaft ermöglicht.

3. Der Böse (SapSal 2,21–24) Der Kennzeichnung Gottes als des Guten, der alles zum Leben geschaffen hat (1,13–14) und der ein „Freund des Lebens“ (11,26) ist,16 stellt die Sapientia in einer anthropologischen und hamartiologischen Grundsatzerklärung die Rückführung des Todes auf den Bösen, den διάβολος, gegenüber (2,21–24). Die Passage bildet einen Kommentar zur Paraphrase einer fiktiven Rede der Gottlosen, die den nach dem Muster des Vierten Gottesknechtsliedes (Jes 52,13– 53,12) und hellenistischer Traditionen über die feindliche Behandlung von Philosophen17 gezeichneten Gerechten verfolgen und die in Verkennung des 11 Vgl. für Abraham (Jes 41,8; 2 Chr 20,7; CD-A III,2; 4Q252 frgm. 1 II,8; TestAbr A 8,4; 9,7; 16,9; B 13,1; Jak 2,23), für Isaak (CD-A III,3), für Jakob (CD-A III,3; 4Q372 frgm. 1,21), für Mose (Sir 45,1; Philon, Cher. 49), für Samuel (Sir 46,13), allgemein: 4Q525 frgm. 5,12; Philon, her. 21,3. Aber auch im paganen Bereich kennzeichnet der Begriff „Gottesfreund“ ei­nen Frommen (vgl. Platon leg. 716c–d; Tim. 53d; symp. 193b; rep. 621c; Epiktet, diss. ab Ar­riano 4,3,9). 12 Vgl. Ex 33,11; Dtn 34,10 und dazu Philon, Mos. I, 156. 13 Siehe dazu Georgi: Weisheit Salomos, 433.436 und Kaiser: Weisheit Salomos, 22.24. 14 SapSal 1,3 bzw. 1,5; vgl. SapSal 10,8; 12,23 bzw. 11,15. 15 Vgl. SapSal 4,11; 14,25.30. 16 Vgl. Ez 18,23–32. Der in der LXX nur in SapSal 11,26 gebrauchte Begriff φιλοψυχός ist in der Gräzität sonst negativ konnotiert („am Leben hängen“). 17 So mit Nickelsburg: Resurrection, 62.

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eigentlichen Lebensziels gegen die grundlegenden Gebote der Gemeinschaft verstoßen und sich in schrankenlosem Genuss ergehen (2,1–20). SapSal 2,21–24 basiert literarisch auf Gen 1–4 – nicht nur auf Gen 1–318 – und berührt sich motivgeschichtlich mit dem Midrasch der Paradieserzählung in dem Pseudepigraphon des Lebens Adams und Evas (VitAd). Eigentümlich und für das Verständnis des Bösen in der SapSal wesentlich ist die Verschränkung der Motive „Gottesebenbildlichkeit“ (Gen 1,26–27), „Sündenfall“ (Gen 3–4) und „Gotteserkenntnis“. In Anlehnung an Gen 1,26–27 sowie an Jes 44,7 und 54,16 (in der Fassung der Septuaginta) bedeutet die Erschaffung des Menschen als Bild Gottes die grundsätzliche Anlage auf Unvergänglichkeit (ἀφθαρσία, 2,23, vgl. 6,18–19).19 Als Abbild des Lebendigen hat der Mensch prinzipiell die Möglichkeit, am Leben Gottes teilzuhaben und somit ewiges Leben zu erwerben. Abkehr von Gott bedeutet dementsprechend Abkehr vom Leben. Sie artikuliert sich in der Missachtung des Lebens derer, die Gott suchen, und in der Leugnung eines Lebens nach dem Tod (2,22). Wie schon im Proömium angeklungen, entspringt das Böse als das Lebensfeindliche mangelnder Gotteserkenntnis (2,22, vgl. 13,1). Es gründet im Menschen selbst, näherhin in der gottgeschenkten Freiheit, zwischen gut oder böse unterscheiden und sich dementsprechend für das Gute oder das Böse entscheiden zu können.20 Das Böse ist Tat, also Böses im eigentlichen moralischen Sinn, und Erlittenes, das heißt Übel und Strafe. In beiden Fällen ist es selbst verschuldet. Dabei kann sich das Böse zu einer überindividuellen Größe verselbstständigen und Züge einer personalen Kraft annehmen. Diese macht blind (ἀποτυφλόω, 2,21) und hat universale Auswirkungen (5,23): Neben das Böse tritt der Böse. Die Rückführung des Todes auf den „Neid des Teufels (διάβολος)“ (2,24) ist, neben der poetisch personifizierten Rede vom Hades (1,14) und vom Thana­tos (1,12–13.16), eine der wenigen Passagen in der Sapientia, in der das Böse in mythologischer Sprache als etwas von außen auf den Menschen Einwirkendes betrachtet wird. Offenbar spielt die Sapientia hier auf das Motiv des Neides des Teufels auf Adam an, wie es sich im Schatten von Gen 3 ausführlich im Leben Adams und Evas (VitAd 11–12), aber auch in anderen frühjüdischen und rab­ binischen Schriften findet.21 Und aufseufzend sprach der Teufel: Adam, meine ganze Feindschaft, Neid und Schmerz geht gegen dich, weil ich deinetwegen vertrieben und entfremdet ward von meiner Herrlichkeit,

18 So

aber zuletzt wieder Mittmann: Bild, 99–107. einem Rekurs auf Gen 1,26–27 vgl. auch SapSal 9,2–3 sowie zu einer Zuerkennung des Herrschaftsauftrages an den Menschen erst nach dem Sündenfall SapSal 10,2. 20 Vgl. Gen 3,1–7; Dtn 30,15–20; 1 Kön 3,9; Sir 15,16–17; 17,7–11. 21 Vgl. 2 Hen 31 (J); 3 Bar 4,8; ApkSedr 5; ApkAbr 13; tSot 4,17; bSot 9b; bSanh 59b; BerR 18.6; ARN 1. Siehe dazu auch die Abbildung am Ende des Beitrags. 19 Zu

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Abb. 1: Gen 3, Ausschnitt aus dem Kreuzaltar im Münster Bad Doberan, Deutschland, Chris­ tu­s­seite, ca. 1368 (Foto: © Martin Heider, Bad Doberan, F 3113, Deutscher Kunst­verlag Berlin / München).

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die ich im Himmel inmitten der Engel hatte, und deinetwegen auf die Erde hinabgestoßen ward. (VitAd 12,1) 22

Wie im Fall Hiobs wird in SapSal 2,24 das lebenzerstörende Unglück, das über Adam und so über den Menschen an sich hereinbricht, auf die Missgunst des διάβολος zurückgeführt (vgl. Hi LXX 1,9). Zum Wesen des διάβολος, das die Sapientia allerdings nicht weiter entfaltet, gehört es offenbar, Leben zu vernichten: denn „der war ein Mörder (ἀνθρωποκτόνος) von Anfang an“ (Joh 8,44). Dabei ist zu beachten, dass im Hintergrund von SapSal 2,24 neben der durch das Leben Adams und Evas bezeugten Tradition sowie dem in ihr aufleuchtenden, im Alten Orient und besonders in der klassischen Antike bekannten Mythologem des Götterneids23 auch eine Auslegung von Gen 4 steht. So ist es gemäß Gen 4 letztlich der Neid Kains auf den Erfolg seines Bruders Abel, der den am Ende der Paradieserzählung Adam vor Augen gestellten Tod (Gen 3,19) Wirklichkeit werden lässt (Gen 4,8–10). Im Brudermord, auf den die Sapientia nochmals in ihrer Aretalogie auf die σοφία in Kap. 10 zu sprechen kommt und den sie dort unter Ausblendung der Perikope von den „Engelehen“ (Gen 6,1–4), die in anderen jüdisch-hellenistischen Schriften eine besondere Rolle spielen,24 als die eigentliche Ursache der Sintflut deutet (SapSal 10,3–4), realisieren sich mangelnde Gotteserkenntnis, radikale Ungerechtigkeit (ἀδικία, 10,3) und bleibender Ausschluss von der Gottesgemeinschaft (vgl. Gen 4,11– 14). Genau in diesem Sinn zitiert bereits Clemens Romanus SapSal 2,24 in Verbindung mit Gen 4,1–8 als einen Beleg für die unheilvollen Auswirkungen von „ungerechter und gottloser Eifersucht“ (ζῆλος ἄδικοσς καὶ ἀσεβῆς 1 Clem 3,4): „Seht, Brüder, Eifersucht (ζῆλος) und Neid (φθόνος) verursachten Brudermord“ (1 Clem 4,7).25 Ein gebildeter paganer Leser, dem die jüdische Tradition vom Neid des Teufels unbekannt war, könnte demgegenüber bei der Lektüre von SapSal 2,24 vielleicht auch an die platonische Vorstellung von der Unvereinbarkeit des Neides mit dem guten Schöpfergott, wie sie sich beispielsweise im Timaios und im Phaidros findet, gedacht haben: Geben wir denn an, aus welchem Grund der Schöpfer das Entstehen und dieses Weltall schuf. Er war gut; in einem Guten erwächst nimmer und in keiner Beziehung irgendwelche Mißgunst (φθόνος). (Platon, Tim. 29e) 26

22 Übersetzung

aus C. Fuchs: Leben, 513. hist. I, 32; III, 40–41; 7,10; Pindar, P. 10,20; vgl. Lloyd-Jones: Justice, 68– 70; Nordheim-Diehl: Neid. 24 Doch siehe auch SapSal 14,6, wo das Schicksal der überheblichen Giganten mit der „Hoffnung der Welt“, die auf einem Floß überlebte, korreliert wird (vgl. Sir 16,7; Bar 3,26– 28; 3 Makk 2,4; 1 Hen 6–9; Jub 5,10–11; 4Q370 I,6). 25 Vgl. dazu Kim: Cain, 70–71. 26 Übersetzung von G. Eigler: in: Platon: Werke VII, 37; vgl. auch Phaidr. 247a (φθόνος γὰρ ἔξω θείου χοροῦ ἵσταται) sowie als Zitat bei Seneca, epist. 65,10. 23 Herodot,

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Ob dieses platonische Motiv allerdings auch traditionsgeschichtlich oder gar literargeschichtlich hinter SapSal 2,24 steht,27 muss offen bleiben, wenngleich Philon in De opificio mundi 21 eine Bekanntheit des Timaios in gelehrten jüdischen Kreisen des 1. Jahrhundert n. Chr. zeigt.28 Mit dem Ausblick auf den „jenseitigen Lohn“ für die Gerechten stellt die Sapientia jedenfalls der Protologie des Todes die Eschatologie des Lebens gegenüber (2,22). Während Gott, das Leben, die Weisheit und die Gerechtigkeit das Gute kennzeichnen, stehen der διάβολος, der Tod, die Unvernunft und die Ungerechtigkeit für das Böse.

4. Das Böse in der Welt (SapSal 4,10–11; 10,1–14*) Für die Sapientia ist das Böse eine Realität, die in der von Gott geschaffenen Welt wirksam ist. Als überindividuelle Macht kann das Böse auch zu einer Gefahr für den Gerechten werden, ihn gegebenenfalls infizieren und damit von der Gemeinschaft mit Gott trennen. Die Sapientia illustriert dies zunächst am Beispiel des namentlich nicht genannten Henoch, der als ein von Gott Geliebter aus der Mitte der Sünder entrückt wurde, „damit Bosheit (τὰ κακία) seine Einsicht nicht veränderte noch Trug (δόλος) seine Seele täuschte“ (4,10–11, vgl. Sir 44,16). Unter Rückgriff auf Gen 5,22–24 und die frühjüdische Henochtradition29 wird der gerechte Henoch zum Paradigma für Gottes Gerechtigkeit. Der frühe Tod ist im Fall des Gerechten (4,7) kein Zeichen für eine Strafe Gottes30, sondern ein Mittel zur Aufnahme in die ewige Gottesgemeinschaft und zur Beteiligung am göttlichen Gericht über die Gottlosen (4,16, vgl. 3,8). Die Bewahrung des Gerechten vor dem in der Welt erfahrbaren und tätigen Bösen kann auch die göttliche σοφία übernehmen. Insofern in der Weisheit ein „das Gute liebender (φιλάγαθος)“ Geist wohnt (7,22), sie selbst nicht vom Bösen überwunden wird (7,30) und sie das All „gut“ (χρηστός) lenkt (8,1), kann sie unmittelbar für Gott handeln.31 So wirkt die σοφία als eine in die JhwhReligion integrierte und Jhwh als Hypostase zugeordnete jüdische Isis in Geschichte und Gegenwart gegen das Böse.32 Die σοφία rettet diejenigen, die ihr, und das heißt Gott, dienen aus jeglicher Form von Mühsal (πόνος, 10,9; 19,16). 27 So

Dickie: Envy, 530. Kenntnis des Timaios bei jüdisch-hellenistischen Autoren siehe Rösel: Übersetzung; Runia: Philo. 29 Vgl. neben 1 Hen: Sir 44,16; Jub 4,23; Hebr 11,5. 30 Vgl. Hi 8,14; 15,32; 22,16; 36,14. Zur Vorstellung, dass nicht die Länge, sondern die Qualität des Lebens entscheidend ist, vgl. Seneca, De brevitate vitae I; epist. 78,28; 93,2; Plutarch, mor. 111d; Cicero, Tusc. 1,45; 5,9; Philon, Abr. 271.274. 31 Zur Übertragung göttlicher Funktionen auf die σοφία vgl. SapSal 8,1 versus 15,1; 10,9.­ 15 versus 2,18; 15,8; 19,9. 32 Dass die σοφία in der Sapientia (wie auch in Sir 24) traditionsgeschichtlich Züge der Isis trägt, ist in der Forschung seit langem bekannt und wird vor allem an einzelnen Isis28 Zur

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Um diese Tätigkeit der σοφία zu verdeutlichen, greift die Sapientia auch im zweiten Buchteil auf Gestalten der ur- und frühgeschichtlichen Überlieferung Israels zurück (10,1–11,1). Wie im Fall Henochs sind die Figuren (Adam, Noah, Abraham, Lot, Jakob, Joseph, [die Israeliten und Mose]) nicht namentlich genannt. Aufgrund der mit ihnen verbundenen Motive und der spezifischen Terminologie sind sie von einem mit der jüdischen Tradition und mit den heiligen Schriften des antiken Judentums vertrauten Leser leicht zu identifizieren. Im Sinne der sich auch an Heiden richtenden Ermahnungen Pseudo-Salomos könnte aber auch ein paganer Leser diese Figuren, die durch die σοφία vor dem Bösen bewahrt werden, mit Helden der eigenen Tradition wie Deukalion, He­ rakles oder Bellerophon verbinden. Eine entscheidende Funktion der σοφία ist es, den Gerechten (δίκαιος) aus dem Bösen zu retten (σῴζειν, 9,18) 33. Allerdings vermeidet die Sapientia den im paganen Bereich für unterschiedliche Göttinnen, unter anderem auch für Isis, gebrauchten Titel σώτειρα.34 Ιn der Linie des jüdischen Monotheismus bezeichnet sie allein Jhwh als σωτήρ (16,7, vgl. Sir 51,1). Als ur- und frühgeschichtliche Exemplifikation der Rettung vor und aus dem Bösen durch die σοφία und damit als Beispiel für eine überzeitliche Rettung der Gerechten erscheint zunächst der πρωτόπλαστος „Adam“,35 der aus seiner eigenen Verfehlung (παράπτωμα) herausgenommen wurde (10,1). Damit greift SapSal 10,1 erneut über Gen 2–3 hinausgehend, wohl auf die im Leben Adams und Evas belegte Tradition von der Buße Adams und Evas nach der Vertreibung aus dem Paradies zurück (VitAd 4–6; 32).36 Die Buße (μετάνοια) ist so ein Mittel, das Böse zu überwinden (vgl. SapSal 11,23; 12,10.19). Sodann erscheint „Abraham“ als ein von der σοφία aus dem Bösen gerette­ ter Gerechter (10,5). In eigentümlicher Verknüpfung von Gen 11,1–12,3 und Gen 22,1–15 lässt die Sapientia die σοφία hier in doppelter Weise gegen das Böse wirksam sein: Einerseits entdeckt die σοφία den Gerechten in der durch πο­νη­ρία vereinigten Welt der Völker. Die Sapientia verbindet midraschähnlich die Erzählung vom Stadt- und Turmbau zu Babel (Gen 11,1–9 in der Fassung der Septuaginta) mit der Berufung Abrahams (Gen 12,1–3). Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass im Hintergrund auch die frühjüdische Tradition von der Erwählung Abrahams zur Verehrung des einzigen wahren Gottes und zur Vernichtung der Götzenbilder steht (vgl. Jub 12,1–14). Andererseits wird Hymnen deutlich. Vgl. Totti: Texte; Mack: Logos, 63–107; Kloppenburg: Isis, 57–84. Eine neuere Übersetzung von Isis-Hymnen bietet Jördens: Texte, 276–285. 33 Vgl. SapSal 10,4; 14,4; 16,7; 18,5. 34 Vgl. den Ersten Isis-Hymnus des Isidor (SEG 548; Totti: Texte, Nr. 21, Z. 26); für Tyche, Themis, Athene, Artemis, Hekate, Rhea, Demeter, Kore, Artemis (Belege bei LSJ s. v.). 35 Der Begriff πρωτόπλαστος ist in der Gräzität bisher nicht vor der Sapientia (7,1; 10,1) belegt und findet sich nur in jüdischem und christlichem Schrifttum (vgl. Sib 1,285; Jub gr. frgm. 3,28; 4,2; Philon, QG I, 32,2; QE II, 46,8; TestAbr A 11,9–11; 13,2.5; ApkEsr 2,10; ApkSedr 4,4; ApkMos 1,0; 3 Bar 4,9). 36 Engel: Weisheit, 168–169.

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Abrahams Gottesfurcht und Tadellosigkeit (Gen 17,1), die sich im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gebot, Isaak zu opfern (Gen 22,2) bewährt, auf die σο­φία zurückgeführt. Das Beispiel Abrahams lehrt, dass der einzelne Gerechte mittels der σοφία dem Abfall vom wahren Gott widerstehen kann, zu dem ihn sowohl eine falsch über Gott denkende Masse als auch die natürliche Liebe zum eigenen Kind verführen könnte. Damit sind zwei Extreme aufgezeigt, in denen dem Gerechten das Böse begegnen kann: in einem von πονηρία gekennzeichneten Kollektiv und in einer ganz individuellen Emotion. Insofern den Gerechten die Beherrschung des Mitleids (σπλάγχνον) kennzeichnet, teilt die Sapientia das altägyptische und stoische Ideal der Selbstbeherrschung bzw. der ἀταραξία des Weisen (vgl. 4 Makk 8,26).37 Die Kette der durch die σοφία aus dem Bösen geretteten Gerechten wird mit dem Beispiel „Lots“ und dem Untergang Sodoms und Gomorras fortgesetzt (10,6–8, vgl. Gen 19,23–25; Dtn 29,22). Die beiden Städte dienen, wie auch sonst in der Hebräischen und Griechischen Bibel, als Chiffren für ein absolut gottloses (ἀσεβῆς) Verhalten. Im Gericht über Sodom und Gomorra zeigt sich Gottes Gerechtigkeit, im Wirken der σοφία seine Treue gegenüber seinen Verehrern. Dass die Sapientia unmittelbar nach der Notiz über die Megacity Babel auf die Städte Sodom und Gomorra bzw. die Pentapolis38 zu sprechen kommt, spiegelt auch ihre Entstehung in der Metropole Alexandria.39 Diese von zahllosen Kulten, Tempeln und Götterbildern geprägte Großstadt erscheint ihr offenbar als besondere Gefahr für den Glauben an den einen und wahren Gott Israels. In 19,13–17 parallelisiert der Autor unmittelbar Sodom und Ägypten bzw. Alexandria, u. a. wegen der an beiden Orten herrschenden Fremdenfeindlichkeit.40 Wenn die Sapientia im Folgenden „Jakob“ ausdrücklich vor dem Zorn (ὀρ­γή) seines Bruders fliehen lässt (10,10), ordnet sie wie im Fall Kains (10,3–4) ungezügelte Leidenschaft (θυμός) dem Bösen zu. Als Gegenmittel lehrt die Weis­ heit „Frömmigkeit“ (εὐσέβεια, 10,12). Wie die σοφία selbst vermag die εὐσέβεια „alles“ – und damit auch das Böse – zu überwinden (vgl. 7,30; TestHiob 27,5–7). Schließlich war es die σοφία, die den gerechten „Joseph“ aus der Sünde (ἁμαρτία) rettete (10,13). Die Notiz spielt auf die Erzählung der gescheiterten Verführung durch die Frau Potiphars an (Gen 39,7–10). Wie im Testament Josephs, das ausführlich dem Thema der σωφροσύνη im Sinn der Keuschheit 37 Zum ägyptischen Ideal des selbstbeherrschten „Schweigers“ gegenüber dem „Heißen“ siehe Brunner: Weisheitsbücher, 24–27; zur Ataraxie in der Stoa siehe Pohlenz: Stoa, I, 309.331; II, 163. 38 Sodom, Gomorra, Adma, Zebojim, Bel / Zoar (vgl. Gen 14,2). Der Begriff „Pentapolis“ ist in der Gräzität geläufig für den Verbund von fünf Städten (vgl. Herodot, hist. I, 144; Strabon, geogr. VI, 2,4; Aristides Milesius, frgm. 23,2). 39 Zu Alexandria siehe Georges u. a.: Alexandria. 40 Vgl. auch Josephus, ant. I, 194–195 sowie zum Sodomstereotyp in der jüdisch-hellenistischen Literatur Jub 16,5–6; Sir 16,8; 3 Makk 2,5; TestNaph 3.

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gewidmet ist,41 gehört für die Sapientia Ehebruch zum moralischen Bösen (vgl. 3,16; 4,6; 14,24.26). Während im Testament Josephs aber der „Gott der Väter“ diejenigen, die Gott in σωφροσύνη fürchten, vor der „Bosheit (κακία) der Gottlosen“ rettet (TestJos 6,7; 10,3), übernimmt in SapSal 10 die σοφία diese göttliche Aufgabe. In beiden Fällen spiegelt sich die für das frühe Judentum und das frühe Christentum typische Sexualethik.42

5. Ursprünge des Bösen (SapSal 14,12–13; 14,27–31) Im Rahmen grundsätzlicher Überlegungen über wahre und falsche Gottesverehrung (13,1–16,14) kommt die Sapientia zu einer prägnanten Bestimmung von Herkunft und Wesen alles Bösen: ἀρχή und αἰτία des Bösen ist mangelnde Erkenntnis des einen und wahren Gottes. Dies artikuliert sich in der Verehrung von Götterbildern und manifestiert sich in grundlegenden sozialen Vergehen, wie Diebstahl, Mord, Betrug, Korruption, Untreue, Meineid und Ehebruch (14,22–31, vgl. Sib 3,584–600). In SapSal 19,13 kommt als weitere Konkretion der Bosheit, offenbar aufgrund entsprechender zeitgeschichtlicher Erfahrungen von Juden in Ägypten, der Fremdenhass (μισοξενία) hinzu.43 Erneut zeigt sich die für die Rede vom Bösen in der Sapientia typische Verbindung von Gott und Leben. Das entscheidende Merkmal Gottes ist eigene Lebendigkeit und die Stiftung von Leben. Wie auch in anderen Passagen erweist sich die Sapientia hier als Exegetin Deuterojesajas und weiterer weisheitlich geprägter Kritik in der Prophetie (vgl. Jer 10).44 So nimmt SapSal 13–15 den aus Deuterojesaja bekannten Spott über die Götzenbilder (εἴδωλα, εἴκων) auf und führt diesen argumentativ weiter.45 Vor dem Hintergrund der hellenistisch geprägten Großstadt Alexandria mit ihrer Vielfalt in der Stadt präsenter Götterbilder und angesichts des Aufblühens des römischen Herrscherkultes unternimmt die Sapientia eine grundsätzliche Verteidigung des jüdischen Glaubens an den einen und einzigen Gott (12,13– 14). Diese Auseinandersetzung erfolgt in drei Schritten: (1) Die Verehrung kos­mischer Elemente oder meteorologischer Phänomene als Götter ist zwar an­gesichts von deren Schönheit verständlich, aber unvernünftig, da hier die Schöpfung mit dem Schöpfer verwechselt wird (13,1–9). (2) Noch unvernünftiger ist die Verehrung von Verstorbenen oder Herrschern, da hier Menschen zu Göttern erklärt werden, also der Unterschied zwischen Gott und Mensch übersehen wird (14,15–16). (3) Den Gipfel der Dummheit bildet die Verehrung 41 TestJos

0,1 (= Überschrift); 4,1; 10,2; JosAs 4,9; vgl. auch 1 Tim 2,9.15; Tit 2,2.5. dazu ausführlich Loader: Pseudepigrapha; ders.: Septuagint. 43 Das Wort μισοξενία ist in der Gräzität bisher nicht vor SapSal 19,13 belegt und begegnet auch danach nur in der patristischen Literatur. 44 Vgl. Engel: Weisheit, 70–76; Ammann: Götter, 192–253. 45 Vgl. DanBel; EpJer; ApkAbr; Arist 135–139; Jub 11,4–7; Sib 3,547.723. 42 Siehe

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von Gott oder Göttern im Bild, zumal in Tiergestalt wie im zeitgenössischen Ägypten, da hier vergessen wird, dass der sterbliche Mensch nur Totes, also keinen Gott bilden kann (15,17). Lebendigkeit, Güte, Wahrhaftigkeit, Langmut, Erbarmen und Allherrschaft sind die Kriterien des Göttlichen und die Antipoden des Bösen schlechthin (15,1). In Verlängerung und Ausweitung der spätdeuteronomistischen Begrün­ dung für das Bilderverbot in Dtn 4,15–16 begründet SapSal 14,12–13 die Bild­losigkeit der Gottesverehrung historisch – den Bildern mangelt es an Ur­ sprüng­lichkeit – und gewichtet diese anthropologisch und hamartiologisch: Göt­terbilder sind Feinde des Lebens, weil sie vom eigentlichen Gott des Lebens wegführen, der in seiner Lebendigkeit nicht zu fassen ist, schon gar nicht im Bild: Denn der Anfang (ἀρχή) der Unzucht (πορνεία) ist das Ersinnen von Götzenbildern, ihre Erfindung aber ist die Vernichtung des Lebens. (SapSal 14,12)

Unabhängig von der Frage, ob die Sapientia der religiösen Praxis ihrer Umwelt gerecht wird, steht diese kritische und die menschliche Vernunft (νοῦς, 4,12) betonende Theologie, neben ihrer Verankerung in der Deuteronomistik, in der religionsphilosophischen Tradition eines Xenophanes von Kolophon (um 570–­ 470 v. Chr.) und des Euhemerismus sowie der Stoa.46 Zugleich spiegelt die Sapientia wie der Aristeasbrief (131–133; 140), die Schriften Philons und des Paulus das rationale und ethische Potential des Glaubens an den einen Gott: So erscheint der um die Gestalt der σοφία angereicherte Monotheismus der Sapientia als die entscheidende Kraft (δύναμις, 1,3b) 47 gegen jegliche Form des intellektuellen und moralischen Bösen. In diesen Monotheismus ist die Vorstellung des Gerichts über das Böse, mithin die Frage der Theodizee, voll integriert. So schließt die Perikope über die Reflexion des Ursprung des Bösen mit dem Ausblick auf das sich in der Bestrafung der Sünder verwirklichende Recht (δίκη) Gottes: „denn die Bestrafung derer, die gesündigt haben, folgt immer auf die Übertretung der Ungerechten“ (14,31).48 Insofern die Sapientia Gott sich bei der Bestrafung der Schöpfung bedienen lässt, die sich in der Gestalt von Katastrophen gegen die Bösen wendet (16,24, vgl. 5,17), vertritt sie die traditionelle jüdische Schöpfungstheologie, gemäß der Gott als souveräner Schöpfer der Welt gegenübersteht, diese barmherzig lenkt und sie als Mittel seines Handelns an und mit dem Menschen nutzt. 46 Vgl. auch Plutarch, superst. 6b (= mor. 167d); Is. 76 (= mor. 382b–c) sowie zum jüdischen Euhemerismus Jub 11,4–7; Sib 3,547.723; Hengel: Judentum, 164.484; Völkening: Imago Dei, 279; siehe dazu auch den Beitrag Witte: Religion, in diesem Band S. 159. 47 Zum Verständnis von δύναμις in 1,3 (und in 5,23) als Umschreibung für „Gott“ siehe Georgi: Weisheit Salomos, 403. 48 Vgl. SapSal 1,8; 11,20; 12,24.

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6. Eine literaturgeschichtliche und theologische Synthese Die Antwort auf die Fragen nach dem Ursprung und dem Wesen des Bösen fällt nach der Sapientia einfach aus. Gott, und zwar der eine und einzige Gott, wie ihn die heiligen Schriften Israels, zumal die Bücher Exodus, Deuteronomium und Jesaja bezeugen, auf welche die Sapientia immer wieder anspielt oder die sie zitiert und auslegt, ist gut. Ihren Ausdruck findet die Güte Gottes in seiner Liebe zum Leben und in der Bestimmung der Schöpfung, in besonderer Weise des Menschen, zur Unvergänglichkeit. Die dem Menschen in der Schöpfung zugewiesene Gottesebenbildlichkeit verwirklicht sich in der Erkenntnis Gottes, die mittels der göttlichen Weisheit ermöglicht und als intensive Gottesgemeinschaft erfahren wird. Synonyme für diese sind Gerechtigkeit und Unsterblichkeit. Was dem von Gott geschaffenen und auf Dauer angelegten Leben schadet und was die als erfülltes Leben verstandene Gemeinschaft mit Gott verhindert, gilt als böse. Das Böse ist nicht von Gott gewollt, aber gleichwohl wirksam. Es entspringt mangelnder Gotteserkenntnis des Menschen. Der Mensch ist grundsätzlich befähigt, Gott zu erkennen, und dementsprechend in der Lage, moralisch gut zu handeln. Die Sapientia erweist sich hierin als treue Schülerin von Dtn 30,15– 20, worin eine Grunddefinition von gut und böse innerhalb der Torah gesehen werden kann.49 So entsprechen sich die Größen „gut“ und „Leben“ bzw. „böse“ und „Tod“.50 Liebe der Gerechtigkeit ist Liebe zu Gott (Dtn 30,16; SapSal 1,1). Hinwendung zu anderen Göttern, also die Verkennung des einen und wahren Gottes, ist der Ausgangspunkt des Bösen schlechthin und die eigentliche Quelle des Todes (Dtn 30,17–18; SapSal 14,27). Dabei verwendet die Sapientia wohl erstmals im Rahmen des frühjüdischen Schrifttums den Begriff συνείδησις im engeren Sinn des Gewissens (17,11),51 und zwar des bösen Gewissens, das die Bosheit (πονηρία) selbst bedrängt. Wo der Mensch in bewusstem Missbrauch seiner ihm von Gott verliehenen Freiheit Böses tut, ist es Folge der Missachtung Gottes als des einen Schöpfers der Welt und einen Herrn der Geschichte. Mangelnde Gotteserkenntnis ist für die Sapientia die Ursache für das Böse, die Ursünde schlechthin. Damit ist die Sapientia in der Tat, wie Martin Luther in der entsprechenden Vorrede in der Deutschen Bibel (1545) bemerkte, eine „rechte Auslegung des ersten Gebots.“52 Aus der Verkennung des wahren Gottes, der als der Seiende (ὁ ὤν, vgl. Ex LXX 3,14) alles zum Sein geschaffen hat (1,14) und der als der Lebendige das 49 Vgl.

Miller: Böse. 30,15.19–20; SapSal 1,12–13; 2,23–24; 14,12; 15,1–6; 16,13–14. 51 Vgl. auch Hi LXX 27,6 (vgl. 1 Kor 4,4); Pred LXX 10,20 sowie TestRub 4,3 und häufiger (als τὸ συνειδός) bei Philon (det. 23; Deus 128; fuga 159 u. ö.), sachlich: TestJud 20,5; TestGad 5,3; TestAss 1; siehe dazu Maurer: σύνοιδα, 907–908; Pohlenz: Stoa, I, 317; II, 184; Wins­ ton: Wisdom of Solomon, 307–308; Georgi: Weisheit Salomos, 463. 52 M. Luther: Schrifft, II, 1702. 50 Dtn

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Leben liebt, fließt die Verachtung des Lebens, die sich in der einzelnen bösen Tat auswirkt. Diese ruft die als Übel erfahrene Strafe Gottes hervor, zieht den Tod und damit den Verlust der Gemeinschaft mit Gott nach sich und kann eine überindividuelle Dimension annehmen. Mit der Deutung des Leidens des Frommen als zeitlich befristete Prüfung durch Gott, an deren Ende die Aufnahme in die himmlische Herrschaft steht, und mit der Betonung der Strafe Gottes, die über alles Böse ergeht, unterstreicht die Sapientia die Gerechtigkeit Gottes (vgl. Ps 94,12; Hi 5,17). Entsprechend der biblischen Asymmetrie von Barmherzigkeit und Zorn Gottes, für welche die „Gnadenformel“ exemplarisch ist,53 betont die Sapientia, dass das göttliche ἔλεος stets dessen ὀργή überwiegt (9,1; 15,1). So zielt die Strafe Gottes letztlich auf γνῶσις (2,13; 7,17; 10,10; 14,22), Umkehr und Glauben (11,16; 12,2). Dabei vertritt die Sapientia das Modell einer eschatologischen Lösung der Theodizeefrage. Typologisch entspricht die Herleitung des Bösen in der Sapientia ganz überwiegend der Vorstellung von einer im Menschen selbst vorhandenen Anlage zum Bösen, wie es Miryam T. Brand mit unterschiedlichen Modifikationen für Ben Sira, Philon, 4 Esra, 2 Baruch und diverse Qumrantexte 54 herausgearbeitet hat.55 Allerdings spricht die Sapientia im Gegensatz zu Sir 15,14 nicht von einer grundsätzlichen Neigung (‫יצר‬, διαβούλιον) zum Bösen.56 Die Rückführung des Todes auf den „Neid des Teufels“ zeigt (2,24), dass die Sapientia aber auch die Vorstellung einer externen, mythologischen Herleitung des Bösen kennt, wie sie in den unterschiedlichen frühjüdischen Dämonologien in 1 Hen 6–11 und im Jubiläenbuch sowie in apotropäischen Gebeten und in Thematisierungen Belials in Schriften aus Qumran dominiert.57 Eine wesentliche Rolle bei der Bewahrung des Menschen vor dem Bösen schreibt die Sapientia der σοφία zu, die streckenweise nicht nur als Werkzeug Gottes erscheint, sondern als selbstständig handelnde Größe. Die σοφία ist „Ratgeberin zum Guten“ (8,9) und „rettet aus dem Bösen“ (10,9). Damit erfüllt sie eine Funktion, die in anderen Büchern der frühjüdischen Weisheit, wie z. B. im rund 150 Jahre älteren Sirachbuch, vor allem die göttliche Torah, der νόμος hat. Zwar besitzt auch in der Sapientia der νόμος im Sinne des Israel am Sinai offenbarten und im Pentateuch schriftgewordenen Gotteswillens „als unvergängliches Licht“58 eine für alle Menschen heilswirkende Bedeutung (18,4).59 53 Vgl. Ex 34,6–7; Joel 2,13; Jon 4,2; Ps 86,15; 103,8; 145,8; Neh 9,17; Sir 2,11; CD-A II,4; 1QHa VIII,24; 4Q511 frgm. 52, 54–55, 57–59,1 [Kol. III,1]). 54 1QHa; 1QS V; X,9–XI,22; 4QBarNaf; 4Q393; 4Q504–506; 11QPsa XXIV. 55 Brand: Evil, 35–146. 56 Vgl. TestRub 4,9; TestJud 11,1; 13,8; 18,3; TestDan 4,2.7; TestGad 5,3.7; 7,3; TestAss 1,8–9; TestJos 2,6; TestBen 6,1.4. 57 Vgl. in 4Q444; 4Q510–511; 11QPsa XIX; ALD bzw. in CD; 4QApocrJer; 1QM; 4Q174; 4Q280; 4Q286–290; 1QS III–IV; Brand: Evil, 147–274. 58 Vgl. SapSal 5,6 bzw. Spr 6,23; Ps 19 (18),9; 119 (118),105. 59 Vgl. Jes 42,6; 51,4.

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Ebenso kann in der Sapientia ἀνομία im Sinne der Übertretung der Torah für „Sünde“, „Unrecht“ oder „Böses“ stehen (5,7.23).60 Aber die Sapientia identifiziert den νόμος nicht wie Ben Sira oder Baruch mit der göttlichen σοφία (Sir 24,23; Bar 4,1) 61 und gewichtet den νόμος in ihrer Theologie, Thematisierung des Bösen und Ethik nicht besonders stark. Wo die Sapientia auf ein konkretes Einzelgebot (ἐντολή) des νόμος zu sprechen kommt, wie in der Auslegung von Num 21,4–9 (SapSal 16,5–13), ist bezeichnender Weise an das Gebot der Alleinverehrung Jhwhs als des einzigen Gottes und Retters gedacht (16,6–7, vgl. Ex 20,2–6; Dtn 5,6–10).62 Entscheidendes Mittel, die σοφία im Sinne der Ermöglichung der Gottesgemeinschaft zu erlangen, ist für die Sapientia das Gebet. Dies zeigt das Beispiel des betenden Salomo,63 die Paraphrasen von Gebeten der Exodusgeneration64 sowie die den dritten Buchteil durchziehenden Doxologien.65 Literaturgeschichtlich teilt die Sapientia diese Hochschätzung des Gebets mit dem frühjüdischen Schrifttum insgesamt,66 rezeptionsgeschichtlich liefert sie einen biblischen Beleg für die von Eberhard Jüngel formulierte These: „Entscheidender Widerstandsakt des Glaubens (d. h. gegen das Böse) ist das Gebet.“67

7. Zusammenfassung Mit ihrer Rückführung des Bösen auf mangelnde Einsicht des Menschen in das wahre Wesen des einen Gottes, der das Leben liebt und als lebendiger Gott bildlos zu verehren ist, und der damit verbundenen Rückführung böser Taten 60 Vgl. auch SapSal 2,12, wo νόμος neben παιδεία und γῶσις θεοῦ die Gesamtheit der Gebote der Torah meint, SapSal 3,16 und 4,6 mit Bezug auf gegen die Torah verstoßenden Geschlechtsverkehr sowie SapSal 1,9 und 3,14, wo ἀνομήματα Übertretungen der Torah bezeichnen. 61 Vgl. Sir 1,26; 4Q185 frgm. 1–2 III; 4Q525 frgm. 2 II + 3 3–4 sowie als Vorläufer Ps 1; 19; 119. In SapSal 6,4, bezeichnet νόμος in Parallele zu βουλὴ θεοῦ wohl eher das natürliche Gesetz (vgl. Philon, opif. 143; Abr. 60; Mos. II, 51–52) und dazu Mazzinghi: Law, 39–40; Kaiser: Weisheit Salomos, 100; anders Schaper: Νόμος. 62 Ein Sonderfall ist SapSal 18,9, wo strittig ist, worauf sich das von den Israeliten einmütig beschlossene „Gesetz der Gottheit“ bezieht, auf das Pesach, die Beschneidung, den Bund, die Torah oder die Auslösung der Erstgeburt (vgl. Engel: Weisheit, 279–280, und in diesem Band S. 152). In 6,18, wo nach einigen Handschriften die Beachtung des νόμος mit der Sicherung der Unvergänglichkeit gleichgesetzt wird, ist der Plural zu lesen und dieser wie im zweiten Stichos auf die Regeln der Weisheit zu beziehen (vgl. Ziegler: Sapientia Salomonis, 114). 63 Vgl. SapSal 7,7.15–22a; 8,21–9,17 / 18. Zur besonderen Bedeutung dieses Gebets für den Aufbau und die Theologie der Sapientia siehe Gilbert: Structure; Engel: Gebet. 64 SapSal 10,20–21 (vgl. Ex 15); 11,4; 16,25.28; 18,9.20–25; 19,8–10 (11–12, vgl. Ex 15). 65 SapSal 11,20–12,2; 12,15–18; 15,1–3 (4–6); 16,13; 17,1a; 19,22. 66 Siehe dazu Egger-Wenzel: Prayer; van der Horst / Newman: Prayers; Nitzan: Prayer. 67 Jüngel: Böse, 1707.

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und schlimmer Erfahrungen auf Unvernunft (ἄνοια, 15,18; 19,3) des Menschen, der über einen freien Willen verfügt, bewegt sich die Sapientia literaturund religionsgeschichtlich in einem dreifachen Bezugsystem. Den ersten und wichtigsten Bezugspunkt stellt die israelitisch-jüdische Tradition dar, die das Böse stets in Relation zu Gott sieht und die überwiegend von der grundsätzlichen Möglichkeit des Menschen, Gott zu erkennen und sich frei zwischen gut und böse entscheiden zu können, ausgeht.68 Hier ist das Dtn der wesentliche Referenztext für die Sapientia. Im Schatten des Dtn beschreibt die Sapientia die bildlose Verehrung des einen und wahren Schöpfers und Herrn der Geschichte als Vermeidung alles Bösen sowie die Liebe zu Gott und zur Gerechtigkeit als Quelle des Guten. Bei der Stilisierung der σοφία als Vermittlerin lebensnotwendiger Gotteserkenntnis und Retterin vor allem Bösen hat neben israelitisch-jüdischen Weisheitskonzeptionen, wie sie sich in unterschiedlicher Schattierung in Spr 8, Hi  28, Sir 24, Bar 3–4 oder 4Q525 finden, die hellenistische Isis-Theologie Pate gestanden. Bei aller Konvergenz mit der ägyptischen Isis hinsichtlich der Stiftung von Recht und Gerechtigkeit zwecks Eindämmung des Bösen69 ist die jüdische σοφία aber selbst dort, wo sie wie Gott handelt oder vom Frommen als Geliebte gesucht wird, eine dem einen und einzigen Gott zugeordnete Größe, keine Göttin. Als dritter Referenzpunkt der Sapientia erscheint, wie bei ihrem etwas jüngeren Zeitgenossen Philon, von dem sie sich aber u. a. in der Würdigung der σοφία, in einzelnen anthropologischen Aussagen und hinsichtlich ihrer Eschatologie unterscheidet, die Stoa. Wie die Stoa ist die Sapientia von der grundsätzlichen Güte Gottes und von der Freiheit des Menschen überzeugt. Wie diese sieht sie in der Vernunft ein Mittel zur Vermeidung des Bösen, wenngleich sie die Vernunft auf die Erkenntnis des einen und wahren Gottes fokussiert. Ebenso konvergiert die Sapientia mit der Stoa in der Interpretation des vom Menschen, zumal vom Gerechten bzw. Tugendhaften erlittenen Bösen, als einer zeitlich befristeten Prüfung. Wie Seneca betont die Sapientia den Vorbildcharakter des Leidens des Tugendhaften und Weisen, den sie aber gemäß der israelitisch-jüdischen Tradition zumeist als δίκαιος (‫ )צדיק‬bezeichnet. Allerdings nivelliert die Sapientia das Leiden nicht so stark wie die Stoa, für die das Leiden den Tugendhaften letztlich nicht im Inneren berührt. Als zentraler Unterschied zur Stoa erscheint das Festhalten der Sapientia an der Personalität des einen Gottes, wenngleich auch ein Kleanthes zu dem „Alles spendenden“ Vater Zeus beten und bekennen kann, dass dieser das vom Menschen gewirkte Böse zum Guten wenden kann.70 Aber eine Empfehlung, wie sie Seneca am 68 Zu den spätalttestamentlichen Stellen, die von einer grundsätzlichen Sündhaftigkeit des Menschen ausgehen (1 Kön 8,46; Spr 20,9; Ps 143,2; Pred 7,20; Hi 4,17–19; 15,14–16; 25,4–6 u. a.), siehe Witte: Leiden, 106–113.194–205. 69 Vgl. Kloppenburg: Isis, 57–84. 70 Kleanthes, In Iovem 32.34 bzw. 18 (Thom: Hymn, 99–107.142–156; ders.: Wisdom).

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Ende seiner Schrift De providentia (c. 6) erteilt, nämlich freiwillig aus dem Leben zu scheiden und damit auch dem Bösen zu entweichen, liegt der Sapientia ganz fern. Sie steht hier fest auf dem Boden der jüdischen Hochschätzung des Lebens als Gabe des einen Gottes, der allein Herr über Leben und Tod ist. So endet sie mit dem Lobpreis Gottes, der seinem Volk an jedem Ort und zu jeder Zeit gegen das Böse beisteht (SapSal 19,22). Im Schnittpunkt deuteronomischer Theologie, einer um Elemente der IsisVerehrung angereicherten Weisheitstheologie und stoischer Vorstellungen hat die Weisheit Salomos eine sapientielle Soteriologie entworfen. Diese zeigt Wege aus dem moralischen, personalen, physischen und strukturellen Bösen auf, die auch für eine gesamtbiblische Theologie und – entsprechend der Gestaltung der Sapientia als Rede an die „Herrscher der Welt“ – für eine pagane Religionsphilosophie von besonderer Bedeutung sind. Als ein vierter, nunmehr rezeptionsgeschichtlicher, Bezugspunkt wäre dann das Neue Testament, mit dem die Sapientia in einem Kanon tradiert wird, und dessen spezifische Weisheitstheologie und Soteriologie hinzuzunehmen. Doch das wäre ein eigenes Thema.

Psalmen Salomos 3 Vom Gotteslob der Gerechten Und der Herr reiniget einen jeden heiligen Mann und sein Haus. (PsSal 3,8 in der Übersetzung der Berleburger Bibel von 1742)1 This essay offers a detailed exegesis of the sapiential meditation in Psalm of Solomon 3. The focus of the interpretation is, firstly, on the language and the text, which is only transmitted in Greek and Syriac but is based on a Hebrew Vorlage. Secondly, the study looks at the meditation’s special poetic composition, and, thirdly, at the Israelite-Jewish traditions within it. The paper concludes with hermeneutical reflections on how the early Jewish Psalm of Sol­o­mon 3 can be read as a prayerful reflection on the righteous (οἱ δίκαιοι) in the context of Greek philosophy and Christian theology.

1. Lebenskunst und Gotteslob – eine einleitende Würdigung Im Werk des Jubilars bilden Studien zu den Psalmen und zur Weisheit, zum Gotteslob und zur Gottesreflexion eine umfassende Zusammenschau anthropologischer und theologischer Vorstellungen im Alten Testament.2 Dabei ist die Analyse wie die Synthese von einem tiefen Empfinden für die Schönheit der israelitisch-jüdischen Poesie geprägt, die sich auch in der Ästhetik ihrer Darstellung spiegelt. Daher gibt es mindestens drei gute Gründe dafür, den verehrten Kollegen anlässlich seines 70. Geburtstages mit Beobachtungen zum dritten Gedicht der unter dem Namen „Psalmen Salomos“ überlieferten Sammlung zu grüßen. Ein erster Grund: Die nur auf Griechisch, und davon abhängig fragmentarisch auf Syrisch, erhaltenen Psalmen Salomos bieten eine Verschmelzung von Gebet und Reflexion, von hymnischen und klagenden Elementen einerseits und argumentativen und meditativen Strukturen andererseits. Die Anrede Gottes und Anleitungen zu einem gelingenden Leben bilden hier eine Einheit. PsSal 3 markiert schon in seiner aus drei Gliedern bestehenden Überschrift 1 Berlenburgische (Berleburger) Bibel, 8. und letzter Teil, IV. Salomonis Psalmen, Berlenburg 1742, 273. 2 Vgl. insbesondere den Sammelband Spieckermann: Lebenskunst.

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dieses Zusammenspiel: Ψαλμός – τῷ Σαλωμών – περὶ δικαίων. Der Begriff ψαλμός, der in der Septuaginta mehrheitlich als Äquivalent für das hebräische Wort ‫ מזמור‬verwendet wird, steht für die kultisch-liturgische Seite der folgenden Dichtung.3 Der Name Salomo impliziert das Thema Weisheit. Die Zuord­nung von PsSal 3, wie die der gesamten Sammlung, zur Weisheit hat sich textextern in der Überlieferung der Psalmen Salomos niedergeschlagen, die in einzelnen griechischen Handschriften nach der Sapientia Salomonis und vor dem Sirachbuch geboten werden.4 Textintern ergibt sich die Zuordnung zur Weisheit über begriffliche, motivische und thematische Parallelen zu alttestamentlichen Schriften, die entweder ausdrücklich von Salomo erzählen bzw. auf ihn zurückgeführt werden oder die auf ihn anspielen. Zu diesen Parallelen gehören im Blick auf PsSal 3 vor allem die Betonung des gehorsamen bzw. guten Herzens (vgl. PsSal 3,2 mit 1 Kön 3,9),5 das Motiv der Wachheit (vgl. PsSal 3,2 mit Ps 127 [126],1–2; Spr 6,4), die Annahme der Gerichtsurteile Gottes (vgl. PsSal 3,2 mit Ps 72 [71],1), das Bekenntnis zur grundsätzlichen Sündhaftigkeit des Menschen, von der auch die Gerechten nicht ausgenommen sind (vgl. PsSal 3,7–8 mit 1 Kön 8,46, Spr 20,9 und Pred 7,20), die Vorstellung von der Erziehung des Gerechten durch Gott (vgl. PsSal 3,4 mit Spr 3,11–12 und SapSal 3,5) sowie das Motiv von der gnädigen Heimsuchung und vom ewigen Leben der Gerechten im Licht Gottes (vgl. PsSal 3,11b.12 mit SapSal 3,7; 4,15; 5,15). Schließlich verweist das dritte Glied der Überschrift, περὶ δικαίων, das in einem personalen Sinn „die Gerechten“ (vgl. V. 3–7.11) meint, von einem paganen Leser aber auch als Ausführung über „die gerechten Dinge“ oder „das Gerechte“ verstanden werden kann,6 auf das zentrale Thema der theologischen Weisheit im Alten Testament und im frühen Judentum: die Gerechtigkeit Gottes und des Menschen. Die in der Überschrift angedeutete Mischung aus Gotteslob und weisheitlicher Reflexion zieht sich durch das gesamte dritte Lied. Begriffe und Motive aus den Psalmen und der Rechtssprache, aus dem Kult und aus der weisheitlichen Lehre prägen PsSal 3 und kennzeichnen ihn als eine poetische Meditation über das Wesen göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit und über die Rechtfertigung Gottes und des Menschen. Zum traditionsgeschichtlichen und theologischen Verständnis der Größen Gerechtigkeit und Rechtfertigung hat Hermann Spieckermann wegweisende Beiträge geleistet.7 3 Bezeichnenderweise wird in der Auflistung der Dichtungen Salomos zwar von Sprüchen (‫ משל‬/ παραβολή / παροιμία), Liedern (‫ שיר‬/ ᾠδή), Rätseln / Gleichnissen (‫ חידה‬/ παραβολή) und Sinnsprüchen / Deutereden (‫ מליצה‬/ ἑρμηνεία) gesprochen (1 Kön 5,12; Sir 47,17), aber nicht von Psalmen (‫ מזמור‬/ ψαλμός). 4 Siehe dazu Albrecht: Psalmoi Salomontos, 363; Lattke: Psalmen Salomos, 83–87. 5 Die Lesart ἀγαθῆς καρδίας dürfte angesichts der unmittelbar vorangehenden Formulierung ἀγαθὸς ψαλμός (vgl. Ps 147 [146],1) gegenüber der geläufigeren Variante ὅλης καρδίας ursprünglich sein (vgl. Dtn 28,47; 1 Kön 8,66; 2 Chr 7,10; Jdt 8,28). 6 Vgl. dazu z. B. den Titel der dem Aristoteles zugeschriebenen Schrift bei Diogenes Laertios, Vitae V, 24 (Apelt I, 254 Nr. 76). 7 Spieckermann: Recht, 253–273; ders.: Rechtfertigung.

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Ein zweiter Grund: Als frühjüdisches Dokument aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. sind die Psalmen Salomos ein wichtiges literatur- und theologiegeschichtliches Bindeglied zwischen Altem und Neuem Testament. Sie stehen in der israelitisch-jüdischen Tradition der Psalmen- und Spruchdichtung, wie sie im Alten Testament bewahrt ist, enthalten aber im Blick auf die Vorstellungen von Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Rechtfertigung, Sünde, Tod und Eschatologie (einschließlich der Messianologie) charakteristische Weiterentwicklungen. Diese teilen sie mit dem umfangreichen Schrifttum der hellenistisch-römischen Zeit, das nicht kanonisch geworden ist, aber grundlegend zum literaturund theologiegeschichtlichen Verständnis des Alten und Neuen Testamentes gehört. Hermann Spieckermann überschreitet in seinen zwei zusammen mit Reinhard Feldmeier verfassten großen Bänden zur biblischen Theologie8 ganz sachgemäß immer wieder den Kanon, dessen Grenzen angesichts der historischen Bedingtheit und der konfessionellen Pluralität flexibel zu betrachten sind. Ein dritter Grund: Die exegetischen Arbeiten des Jubilars handeln weniger über die israelitisch-jüdischen Texte, als dass sie ein Gespräch mit diesen und durch diese führen und sie so für eine historisch verantwortete und gleichzeitig gegenwartsbezogene Theologie fruchtbar machen. Beredt ist der Untertitel von Spieckermanns Aufsatzsammlung aus dem Jahr 2014: Anregungen aus Psal­ ter und Weisheit für die Theologie.9 Das literarische Gespräch mit den Texten der Tradition hat im frühjüdischen Schrifttum ein Vorbild – auch und gerade in den Psalmen Salomos, die ältere Texte Israels im Modus der Nach- oder Neudichtung, in Gestalt der bewusst komponierten Anthologie und Collage interpretieren und modellieren. So stehen die Psalmen Salomos von ihrer literarischen Großgattung her zwischen einer binnentextlichen Auslegung mittels Fortschreibung, wie sie für die alttestamentlichen Schriften typisch ist, und einer extratextlichen Auslegung mittels ausdrücklicher Kommentierung, wie sie im unmittelbaren zeitgeschichtlichen Umfeld einzelne Schriften Philons von Alexandria oder die Pescharim aus Qumran bieten. Charakteristisch für die Psalmen Salomos, wie auch für andere frühjüdische nicht kanonisch gewordene Psalmensammlungen,10 ist die Verknüpfung traditioneller Begriffe, Motive und Textpassagen mit eigenen Wortprägungen und Vorstellungen. Dadurch werden einerseits die rezipierten oder angespielten Texte ausgelegt. Andererseits entsteht ein neuer, selbst auslegungsbedürftiger Text mit eigenem Aussageprofil, spezifischem Kontext und eigenen Rezeptionsgeschichten. Mitunter lassen sich ganze Texte identifizieren, welche die „Matrix“ für den jeweiligen Psalm Salomos bilden, so im Fall von PsSal 14 der kanonisch gewordene Ps 1.11 Für PsSal 3 ist eine solche „Vorlage“ nicht nachweisbar, wohl aber ein 8 Feldmeier / Spieckermann:

Gott; dies.: Menschwerdung. Lebenskunst. 10 1QHa; 4Q380–381; 4Q434–438; 11QApPsa (11Q11). 11 Eigentliche Zitate, d. h. durch eine Zitationsformel eingeleitete aus älteren Schriften über9 Spieckermann:

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Set von alttestamentlichen Textpassagen, die im Rahmen ihrer mosaikhaften Verwendung in eigentümlicher Brechung neu zum Strahlen gebracht werden.12 Dazu gehören in erster Linie Ps 51 (50),1–6, was im Zusammenhang der Verbindung dieses Psalms mit der Buße Davids nach seinem Ehebruch mit Batseba und der nach der Buße erfolgten Zeugung Salomos nicht überrascht (2 Sam 12,13–25), sowie Spr 3,11–12 und Hi 33,26–30*.

2. Gotteslob als Lebensgrund – eine Auslegung von PsSal 3 2.1 Text, Sprache und Hermeneutik von PsSal 3 Der Obertext, einschließlich der zeilenweisen Gliederung und Verszählung, wie ihn die Ausgabe der Göttinger Septuaginta bietet, ist nicht zu beanstanden.13 Gegen den in jüngerer Zeit wieder von Jan Joosten in die Diskussion eingebrachten Vorschlag,14 die Psalmen Salomos seien im Gegensatz zur mehrheitlichen Forschungsmeinung genuin auf Griechisch abgefasst, sprechen zumindest bei PsSal 3 eindeutig lexikalische, grammatische und poetische Besonderheiten. Die Wendung γρηγόρησιν ἐπὶ τὴν γρηγόρησιν αὐτοῦ (V. 2b), bei der das Wort γρηγόρησις in der gesamten Gräzität bisher nur in PsSal 3,2; 16,4 und in DanTh 5,11.14 sowie bei einzelnen Kirchenvätern belegt ist, spiegelt die im Hebräischen beliebte figura etymologica wider.15 Die Genitivverbindungen εὐδοκία αὐτοῦ und ἀλήθεια τῶν δικαίων (V. 4b, 6a) weisen lexikalisch und grammatisch auf hebräische constructus-Verbindungen (s. u. S. 184). Der merkwürdige Wechsel zwischen Aorist, Präsens und Futur in V. 5.7–10 erklärt sich am besten vor dem Hintergrund einer hebräischen Vorlage, die unmittelbar abgebildet werden soll.16 Konvergenzen mit und Divergenzen zur Septuaginta nommene Passagen finden sich aber nicht. Zur Bedeutung von Ps 1 im frühjüdischen Schrifttum siehe Gillingham: Journey, 17–37, sowie speziell zur Aufnahme von Ps 1 in PsSal 14 Behnke: Psalm Salomos. 12 Vgl. dazu die katalogartigen Zusammenstellungen in den älteren Auslegungen von Geiger: Psalter Salomos, und Viteau: Psaumes de Salomon, sowie die methodologisch erheblich weiterführende Studie von Atkinson: Study. 13 Die von F. Albrecht erstellte kritische Ausgabe von 2020 ersetzt die älteren Editionen von O. von Gebhardt (1895), auf der die Präsentation der Psalmen Salomos in der Handausgabe der Septuaginta von A. Rahlfs und R. Hanhart (2006) beruht, und von R. B. Wright (2007). Ich danke Herrn Kollegen Albrecht sehr herzlich dafür, dass er mir seinerzeit vorab für PsSal 3 die Druckfahne seiner Ausgabe zur Verfügung gestellt hat. 14 Joosten: Reflections. 15 Die Rekonstruktion der Vorlage ist schwierig. Delitzsch: ‫ מזמור לשלמה‬und Kittel: Psalmen Salomos, 133, vermuteten die Wendung ‫( שמר משמרת‬vgl. als terminus technicus für Gesetzesobservanz Gen 26,5; Dtn 11,1 bzw. für eine gottesdienstliche Verrichtung Num 3,7; CD-A IV,1). Denkbar wäre auch ‫ שקד לשקדו‬/ ‫( שקד על־שקדו‬vgl. Frankenberg: Datierung, 87; vgl. Ps 127,1; Jer 1,12; 31,28; Dan 9,14). 16 Anstelle einer Übersetzung mit einem Vergangenheitstempus (so Scholtissek / Steins:

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deuten auf die Freiheit des Übersetzers hin. Bei einem genuin auf Griechisch schreibenden Autor würde man außerdem einen größeren Wortschatz und eine häufigere Verwendung von Wörtern aus der paganen Gräzität erwarten.17 Die Annahme einer hebräischen Vorlage von PsSal 3 bedingt, dass sowohl die Intention des ursprünglichen Textes als auch die des Übersetzers sowie die besondere Bedeutung einzelner griechischer Übersetzungsäquivalente bestimmt werden müssen. Rezeptionsästhetisch ist zu bedenken, wie PsSal 3 in seinem jüdischen Entstehungsmilieu, in seinem paganen Umfeld und in seiner christlichen Rezeption verstanden werden konnte. Letztere Frage ergibt sich aus dem Phänomen, dass die Psalmen Salomos nachweislich nur in christlichen, mutmaßlich in monastischen Kreisen überliefert wurden, auch wenn sich weder im Neuen Testament noch bei den Kirchenvätern ein Zitat oder eine eindeutige textliche Anspielung auf einen Vers oder eine Passage der Psalmen Salomos finden.18 2.2 Architektur und Komposition von PsSal 3 Der Psalm verfügt trotz einer gewissen Schematik über einen kunstvollen Aufbau. Dem Grundprinzip der hebräischen Poesie folgend, bilden jeweils zwei im Parallelismus membrorum gestaltete Zeilen ein Bikolon. Jeweils zwei Bikola gehören stilistisch und inhaltlich enger zusammen. Aus diesem Muster fallen zwei Zeilen heraus: V. 5c ist eine Dublette zu V. 5b und entspricht fast wörtlich Ps 121 (120),1; V. 12a wiederholt V. 11a, schiebt sich zwischen die Aussage über das Schicksal der Gerechten in V. 11b.12b und erscheint als ein nur leicht modifiziertes Zitat aus Hi 20,29 und 27,13. Diese beiden Zeilen (V. 5c; 12a) dürften sekundär sein. Möglicherweise gehen sie auf eine spätere Angleichung an Passagen aus der Septuaginta zurück.19 Abzüglich von V. 5c und V. 12a lässt sich der Psalm in sechs Strophen zu jeweils zwei Bikola gliedern (V. 1–2 | 3–4 | 5–6 | 7–8 | 9–10 | 11–12). Diese verteilen sich, gemäß dem Wechsel der Sprechrichtung und einzelner Gattungselemente von der hymnischen Aufforderung zum beständigen Gotteslob in der 2. P. Sg. und der 2. P. Pl. hin zur sentenzenhaften Lehre über das Wesen und Schicksal der Gerechten und der Sünder, auf zwei ungleich lange Teile: einen Auftakt (A: V. 1–2) und einen Psal­moi Solomontos, 918; Atkinson: Lord, 193) empfiehlt sich eine präsentische Übersetzung (Kittel: Psalmen Salomos, 133–134; Holm-Nielsen: Psalmen Salomos, 68–69; R. B. Wright: Psalms of Solomon, 87.89). 17 Zu möglichen Ausnahmen siehe Bons: Vocabulary, der für eine originär griechische Au­torenschaft, zumindest einzelner Psalmen, auf den Gebrauch nicht in der Septuaginta belegter Wörter wie ἀκρασία, αὐτάρκεια und ἀμαθία sowie auf die Formulierung τὰ ἔργα ἡμῶν ἐν ἐκ­λογῇ καὶ ἐξουσίᾳ τῆς ψυχῆς ἡμῶν in PsSal 9,4 verweist, die sich nicht ins Hebräische zurückübersetzen lasse. 18 Siehe dazu Denis: Introduction, 510–511. 19 Vgl. die Lesart ἐξ ὅλης καρδίας in V. 2b und dazu Atkinson: Responses, 178–179. Zur Annahme, V. 5c sei sekundär, siehe auch Kaiser: Geschichte, 100.

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Hauptteil (B: V. 3–12). Der Hauptteil selbst gliedert sich in drei Unterabschnitte: ein erster thematisiert die Gerechten (B1: V. 3–8), ein zweiter die Sünder (B2: V. 9–10) und ein dritter nimmt in Gestalt eines summary appraisal das zukünftige Schicksal beider Gruppen zusammen in den Blick (B3: V. 11–12). Die einzelnen Abschnitte sind inhaltlich und strukturell vielfältig miteinander vernetzt. Den äußeren Rahmen des gesamten Psalms bilden die erste und die letzte Zeile (V. 1a und V. 12c). Sie korrespondieren mittels der Lebensbegriffe ψυχή und ζωή und bestimmen als wesentliche Aufgabe, Haltung und Ziel des menschlichen Lebens das Gotteslob (vgl. Ps 104 [103],33). Dieses überdauert den Tod und setzt sich „im Licht des Herrn“,20 das heißt in der unmittelbaren Gottesnähe, nicht mehr endend fort: Gotteslob ist Leben und transzendiert Leben. Der den Psalm beschließende Ausblick auf das ewige Leben ist das konfessorische Gegenstück zu der ihn eröffnenden Frage (ἵνα τί) 21: Es gibt keinen Grund, Gott nicht zu loben. Den inneren Rahmen bilden die zweite und die vorletzte Zeile (V. 1b und V. 12b). Der zu Beginn des Psalms geforderte „neue Lobgesang“ (ὕμνος καινός, V. 1b) besteht, entsprechend der überwiegend eschatologischen Prägung dieser Wendung,22 inhaltlich in dem Bekenntnis, dass die Gottesfürchtigen zum ewigen Leben auferstehen werden (ἀναστήσονται εἰς ζωὴν αἰώνιον, V. 12b). In dieser den Frommen zugesagten Zukunftsaussicht, die sich mit Dan 12,2 und 2 Makk 7,9 berührt,23 besteht das eigentlich Neue dieses Psalms. Im Zentrum der ursprünglich zweimal zwölf Zeilen umfassenden Komposition steht die Beschreibung der Vermeidung von Sünde und der ständigen Selbstprüfung des Gerechten (δίκαιος, V. 6b.7a). Gemäß der Fokussierung auf das Wesen und das Schicksal des Gerechten sind diesem drei sich nur mit seinem Handeln und Verhalten beschäftigende Strophen gewidmet (V. 3–4 | 5*–6 | 7–8). Die ausschließliche Beschreibung des Sünders (ἁμαρτωλός) wird lediglich in einer Strophe behandelt (V. 9–10). Die Gegenüberstellung des Gerechten und Frevlers folgt dem Modell der zwei Wege oder zwei Typen (vgl. Ps 1; 37; Spr 10–11).24 Sie schlägt sich in der parallelen Gestaltung der Fallbeispiele in V. 5–­6 (7–8) und V. 9–10 nieder. Als wesentlicher Unterschied zwischen dem Gerechten und dem Sünder erscheint der Umgang mit schlimmen Erfahrungen. Während der Gerechte diese als Schickungen Gottes annimmt, in ihnen Gott Recht gibt, die Rettung aus der Not allein von Gott erwartet und im Wissen um seine Fehlbarkeit der Sünde entgegensteuert, verflucht der Sünder sein Leben und seine Geburt. Er erteilt damit dem engen Zusammenhang von Gott als Lebensgrund und der Mutter als Mittel des Lebens eine Absage, was einer Preis20 Vgl.

Ps 36 (35),10; 56 (55),14; Hi 33,30; 1 Hen 58,3. PsSal 4,1; Ps 2,1; 42 (41),12; 43 (42),5; 74 (73),1. 22 Vgl. PsSal 15,3; Ps 33 (32),3; 40 (39),4; 96 (95),1; 98 (97),1; 149,1; Jdt 16,(1, v. l.).13; Jes 42,10; siehe dazu Witte: Lied, 28–30. 23 Vgl. weiterhin PsSal 2,31; 13,10–11; 14,9–10. 24 Siehe dazu auch Steins: Psalmoi Salomontos, 1904.1917. 21 Vgl.

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gabe des ersten und fünften Gebotes gleichkommt (Ex 20,2.12 par. Dtn 5,6.16, vgl. Jes 45,9–10; Sir 7,27).25 Schließlich versinkt der Sünder immer weiter in seinen Verfehlungen und kommt aus ihnen nicht mehr heraus (V. 9b par. 6b, vgl. Jes 30,1; Hi 34,37; Sir 3,27). Das Diptychon dieser Fallbeispiele zeigt den engen Konnex von göttlicher Gerechtigkeit und Schöpfermacht, der für die Gottesvorstellungen im Alten Testament konstitutiv ist. Im Gegenüber des Hiobs der sogenannten Rahmenerzählung, der alles, was ihm widerfährt, aus der Hand Gottes annimmt und darüber Gott auch im Leiden lobt (Hi 1,20–21; 2,10), und des Hiobs der Dialogdichtung, der den Tag seiner Geburt verflucht (Hi 3,1.3), mag PsSal 3,5–10 ein literarisches Vorbild haben; auch in anderen Passagen scheint der Verfasser das Hiobbuch im Kopf oder vor Augen zu haben.26 Der Hiob, der unter dem Eindruck der Gottesrede(n) Gott Recht gibt und lobt, diesen als Richter und als Schöpfer anerkennt (Hi 40,3–5; 42,1–6), ist das Muster des Gerechten aus PsSal 3. Die pseudosalomonische Dichtung erweist sich hier als eine Art poetischer Kurzkommentar zum Hiobbuch in seiner Endgestalt. Vergleicht man PsSal 3, einschließlich seiner Zusätze in V. 5c und 12a mit dem Hiobbuch der Septuaginta, verstärken sich die Bezüge noch. So entspricht der Gerechte, der allein auf die Rettung (σωτηρία) durch Gott vertraut (PsSal 3,5c), dem an der Hoffnung auf seine Rettung festhaltenden Hiob der griechischen Version (Hi LXX 2,9a) 27 – „Retter“ (σωτήρ, V. 6a) ist bezeichnenderweise das einzige göttliche Epitheton in PsSal 3;28 es markiert in seinem unmittelbaren Umfeld der V. 5 und V. 6b–7, dass sich die göttliche Rettung auch auf eine grundsätzliche Befreiung von der Sünde bezieht.29 Schließlich heißt es im griechischen Hiobbuch, dass Hiob auferstehen werde (Hi LXX 42,17a). Entgegen der in jüngerer Zeit von Martin Karrer vertretenen Ansicht, die Aussage in Hi 42,17a beziehe sich ursprünglich auf eine Auferstehung aus dem Leiden,30 halte ich an einem postmortalen Verständnis fest (vgl. TestHi 4,9). In PsSal 3 ist mindestens im Blick auf die Gerechten allein durch die Wendung εἰς ζωὴν αἰώνιον in V. 12b und die Aussage, dass deren Leben nicht mehr enden werde (οὐκ ἐκλείψει ἔτι, V. 12c),31 eindeutig, dass ἀνιστάναι postmortal zu 25 Verwandt, aber nicht identisch mit der Verfluchung des Geburtstags ist der Todeswunsch angesichts übermäßigen Leides (vgl. Pred 4,1–3; Sophokles, Oid. K. 1224–1238; Theo­gnis, eleg. 425–428). 26 Vgl. PsSal 3,2a mit Hi 35,10b; PsSal 3,4a mit Hi 5,17; PsSal 3,6b mit Hi 11,14b und 22,23b; PsSal 3,7–8a mit Hi 1,5; PsSal 3,12c mit Hi 33,28b.30b. 27 Siehe dazu Witte: Bedeutung, in diesem Band S. 90f. 28 Vgl. innerhalb der Sammlung noch in PsSal 8,33; 16,4; 17,3. 29 V. 6b dürfte in diesem Sinn konsekutiv zu verstehen sein. V. 8b ist durch die Alliteration καὶ ὁ κύριος καθαρίζει stilistisch besonders hervorgehoben; zugleich ist V. 8b das einzige Kolon, in dem ὁ κύριος ausdrücklich das Subjekt ist (vgl. daneben noch V. 5b: ὁ θεός). 30 Karrer: Job, 83–87. 31 Vgl. PsSal 2,31a; 13,11; 14,3.9; 15,13; Jes 26,19; Dan 12,1–3; Ps LXX 1,5–6; 4Q385 frgm. 3,2; 1 Hen 91,10; 92,3. ἐκλείψει ist wohl nicht auf das Licht Gottes zu beziehen (so aber z. B. Wellhausen: Pharisäer, 144; Kaiser: Geschichte, 101), sondern auf das Leben der Gottes-

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verstehen ist, auch wenn der Psalmist nicht weiter ausführt, wie dieses ewige Leben genau aussehen wird.32 Der Glaube an ein ewiges Leben gehört zu den Besonderheiten von PsSal 3 und zu den in den verschiedenen jüdischen Gruppen der hellenistisch-römischen Zeit strittigen Fragen.33 2.3 Tradition und Redaktion der einzelnen Strophen von PsSal 3 Die einzelnen Strophen des Psalms sind durchgehend von Chiasmen geprägt, mittels derer die zentralen Aussagen hervorgehoben werden. In der ersten Stro­ phe korrespondieren die erste und vierte Zeile hinsichtlich der Verwendung der Körperbegriffe ψυχή und καρδία (V. 1a.2b). Dadurch wird betont, dass das Gotteslob den ganzen Menschen hinsichtlich seiner Lebendigkeit, seines Denkens, seiner Verantwortlichkeit, aber auch seiner Emotionen betrifft.34 Die griechischen Begriffe ψυχή und καρδία partizipieren hier vollständig am Bedeutungsspektrum der mutmaßlich in der hebräischen Vorlage verwendeten Begriffe ‫ נפש‬und ‫לב‬. Im Zentrum der Strophe, deren mittlere zwei Zeilen stilistisch durch die Kette von drei Imperativen und die zweifache Verwendung des Wortes ψάλλειν miteinander verbunden sind, steht die beständige wachsame Ausrichtung auf die Wachheit Gottes (V. 1b.2a). Die Formulierung ἐπὶ τὴν γρηγόρησιν αὐτοῦ in V. 2a lässt sich sowohl auf die Wachheit des Beters im Blick auf Gott beziehen als auch auf die Wachsamkeit Gottes, mit welcher der Beter jederzeit rechnen soll. Im ersten Fall impliziert die Wendung eine beständige geistige und religiöse Wachheit (vgl. PsSal 16,1; Ps 57 [56],8–11), so besonders deutlich in Dan 5,11.14 (Th), wo γρηγόρησις neben σύνεσις, σοφία und dem Besitz des πνεῦμα θεοῦ zu den hervorragenden Eigenschaften Daniels gehört; in einem speziellen Sinn könnte auch an einen nächtlichen Lobgesang gedacht sein.35 Im zweiten Fall unterstreicht der Ausdruck die Vorstellung von der Lebendigkeit Gottes.36 Insofern sich im gesamten Psalm ein ständiges Zusammenspiel von menschlichem und göttlichem Handeln und Verhalten zeigt, dürfte die Wendung synthetisch zu verstehen sein. Zu dieser Wechselbeziehung zwischen Gott und Mensch kommt das den ganzen Psalm prägende Gegenfürchtigen (vgl. Ps 31 [30],11; Geiger: Psalter Salomos, 111; Viteau: Psaumes de Sa­lomon, 271); auch der syrische Text (‫ )ܢܬܛܠܩ‬dürfte trotz der fehlenden Numeruskongruenz auf das Le­ben (‫ )ܚܙܙܗܘܢ‬zu beziehen sein (vgl. R. B. Wright: Psalms of Solomon, 57–58). 32 Zur Diskussion des Bedeutungshorizontes von ἀνιστάναι in PsSal 3 siehe einerseits Stem­­berger: Leib, 56–60, andererseits Schwankl: Sadduzäerfrage, 203–206. 33 Vgl. die in Anm. 31 genannten Texte sowie TestAss 5,2; TestAbr A 20,15; 4 Makk 15,3; grHen 10,10; Mk 10,17 ( par.); Mt 25,46; Lk 18,30; Joh 3,15–16; 6,40.54; Röm 2,7; siehe da­zu ausführlich Schwankl: Sadduzäerfrage, und knapp Witte: Weg. 34 Vgl. Ps 103 (102),1.2.22; 104 (103),1.35; 146 (145),1; syrPs V,6 (Ps 153,6). 35 Vgl. Hi 35,10; Ps 119,62.148. Siehe dazu ausführlich Behnke: Rede; speziell zum metaphorischen Verständnis von Schlafen und Wachen ebd., 101–102.106–107. Zur Vorstellung des ununterbrochenen Gotteslobs der nie schlafenden Engel und der verewigten Menschen siehe 1 Hen 39,12–13; 61,12; TestSim 6,7. 36 Vgl. Ps 44 (43),24; 78 (77),65; 121 (120),4; Jer 1,12.

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über des einzelnen Beters (V. 1a.2a) und der betenden Gemeinschaft (V. 2b). Es findet in den folgenden Strophen seine Entsprechung im Wechsel zwischen der Rede vom einzelnen Gerechten (δίκαιος, ὅσιος) und vom einzelnen Sünder (ἁμαρτωλός) 37 sowie der Rede von den Gerechten (δίκαιοι, φοβούμε­νοι τὸν κύριον) und den Sündern (ἁμαρτωλοί). Darin spiegelt sich einerseits die Überzeugung, das der Mensch im Gebet und in verantwortlicher Lebensgestaltung jeweils als einzelner vor seinem Gott steht und doch stets Glied einer betenden und glaubenden Gemeinschaft ist, andererseits das Bewusstsein einer sich selbst als fromm verstehenden elitären Gruppe, die ihre Identität auch in Abgrenzung zu einer oder mehreren anderen als „Sünder“ bezeichneten Gruppen bestimmt. Die zweite Strophe (V. 3–4) eröffnet den lehrhaften Hauptteil. Sie setzt programmatisch mit der Beschreibung der Gerechten (in betonter Erststellung, V. 3a) ein. Die zentrale Aussage der Rechtfertigung (δικαίωσις) Gottes durch den Gerechten, der die Urteile Gottes als eine göttliche Erziehungsmaßnahme annimmt (V. 3b.4a),38 wird durch die umfassend zu verstehende Wendung διὰ παντός (V. 3a.4b) gerahmt. Den Gerechten zeichnet die Raum und Zeit transzendierende stete Vergegenwärtigung (μνημονεύειν) des Handelns Gottes, insbesondere seines gerechten Richtens aus.39 Sie verwirklicht sich im lobpreisenden Bekenntnis zur Gerechtigkeit Gottes, die für den Gerechten auch im Fall böser Erfahrungen absolut gilt und die mit der Vorstellung des durch Leiden erziehenden Gottes verteidigt wird (V. 4a, vgl. Spr 3,11–12). In dieser Lebenshaltung und Lebensdeutung erfährt der Gerechte das Wohlgefallen (εὐδοκία) Gottes (V. 4b). Wie im Fall der Wendung γρηγόρησις αὐτοῦ in V. 2a ist bei der Formulierung εὐδοκία αὐτοῦ in V. 4b sowohl ein Bezug auf den eigenen guten Willen des Gerechten, der auf Gott hin orientiert ist, möglich als auch auf die dem Gerechten von Gott her zukommende Gnade (vgl. PsSal 8,33; 16,12).40 37 Es gehört zu den sprachlichen Besonderheiten der Psalmen Salomos, dass diese, wohl zur Wiedergabe des hebräischen Wortes ‫רשע‬, durchgehend das Wort ἁμαρτωλός und nie das in sachlich analogen Sprüchen des Hiob- oder des Proverbienbuches verwendete Wort ἀσεβής gebrauchen. Bei der einzigen Ausnahme in PsSal 13,5 dürfte es sich um einen Textfehler handeln; ob allerdings anstelle dessen das in der Septuaginta selten gebrauchte Wort εὐσεβής zu lesen ist (so Wellhausen: Pharisäer, 157; von Gebhardt: Ψαλμοι Σολομωντος, 122; Rahlfs: Septuaginta, II, 483), ist angesichts des sonstigen Sprachgebrauchs der Psalmen Salomos unsicher (vgl. von Gebhardt: Ψαλμοι Σολομωντος, 81, der als ursprüngliche Lesart δί­καιος oder ὅσιος erwägt, auch wenn er im Obertext εὐσεβής bietet). 38 Vgl. PsSal 2,10.15; 4,8; 5,1; 8,7–8.23–26; 9,2.5; 10,5; 13,8; 14,1; 16,11; 17,10 und als Kontrast Jer 8,7. 39 Zur fehlenden Kasuskongruenz der Objekte zu μνημονεύειν, einerseits τοῦ κυρίου, andererseits τὰ κρίματα, siehe Muraoka: Syntax, 509; möglich ist aber auch die Auflösung von τὰ κρίματα als Akkusativ der Beziehung („hinsichtlich seiner Gerichtsurteile“). Mit Al­ brecht: Psalmi Salomonos, und R. B. Wright: Psalms of Solomon, ist wohl μνημονεύσουσιν anstelle von μνημονεύουσιν (so von Gebhardt: Ψαλμοι Σολομωντος, und Rahlfs: Septuaginta, II, 474) der Vorzug zu geben. 40 In der mutmaßlichen Vorlage könnte ‫( חפצו‬vgl. Ps 1,2; Hi 21,21; 22,3; Delitzsch:

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Dass sich das Wesen des Gerechten allein aus seiner Beziehung zu Gott und seiner Stellung vor Gott ergibt, wird durch das Wort κύριος, mit dem alle vier Zeilen dieser Strophe schließen, besonders herausgestellt. Die dritte Strophe nimmt den Gedanken der Rechtfertigung (δικαιοῦν) Gottes auf und beschreibt paradigmatisch den Umgang des Gerechten (V. 5a.6b) mit einem Sturz.41 Dabei beziehen sich die Verben προσκόπτειν und πίπτειν allgemein auf eine negative Situation, in die der Gerechte geraten kann, nicht auf einen moralischen Fall. Allerdings legt die mit der Anfangszeile korrespondierende Schlusszeile nahe, den Sturz auf eine Verfehlung (ἁμαρτία) zurückzuführen. Die Anerkennung der Gerechtigkeit Gottes äußert sich in der Verhinderung, dass sich „Sünde auf Sünde“ häuft (V. 6b). Den Gerechten zeichnet aus, dem Phänomen, dass eine Verfehlung eine andere nach sich zieht (vgl. Gen 3,1–13; 4,5–9), im Gegenüber zu Gott und mit Gott entgegenzuwirken. In ihrer Mitte beantwortet die dritte Strophe die Frage nach dem Handeln Gottes mit dem Bekenntnis zu dessen ἀλήθεια gegenüber den Gerechten (V. 5b.6a). Vor dem Hintergrund einer hebräischen Vorlage handelt es sich einerseits um ein Bekenntnis zur Beständigkeit und Verlässlichkeit (‫ אמונה‬/‫)אמת‬, die Gott den Frommen gegenüber gewährt (vgl. Neh 9,33; Ps 57 [56],4). Andererseits liegt wie in V. 2a und V. 4b auch eine Aussage über die Gerechten selbst vor, deren eigene Beständigkeit von Gott als ihrem Retter herkommt (vgl. Ps 25 [24],5; Hi LXX 2,9a). Berücksichtigt man zudem den Bedeutungshorizont des griechischen Wortes ἀλήθεια, bestätigt V. 6a die schon in der zweiten Strophe festge­ stellte Relation zwischen Gott und den Gerechten: Wie sich deren Gerechtigkeit in ihrer Haltung zu und ihrem Verhalten gegenüber Gott zeigt und von Gott her bestimmt, so erweist sich ihr wahres Wesen in und durch ihren Bezug zu Gott. Wer oder was wahrhaft gerecht ist, erschließt sich allein von Gott, den der Gerechte als gerechten Richter und alleinigen Retter erfährt. Aus dem Gottesbezug ergibt sich aber auch, was für den Psalmisten Sünde ist, auf die er ganz am Ende der Strophe mit der stark betonten Zweifachnennung ἁμαρτία ἐφ᾽ ἁμαρτίαν zu sprechen kommt: Sünde ist das Gegenteil von ἀλήθεια. Die vierte Strophe entfaltet den Umgang des Gerechten mit der Sünde (V. 7–­ 8). Den Rahmen bilden hier der Blick auf das Haus bzw. die Hausgemeinschaft (οἶκος) des Gerechten, die dieser einer genauen Prüfung unterzieht (V. 7a vgl. PsSal 6,5; Hi 1,5; Ps 51 [50],5) 42 und die Gott selbst reinigt (V. 8b vgl. PsSal ‫מזמור לשׁלמה‬, z. St.) oder wahrscheinlicher ‫( רצונו‬vgl. Spr 3,12; 8,35; Hi 33,26; Ps 145,16.19; 147,11; 149,4; Sir 36,22; 1QHa VIII,20; Frankenberg: Datierung, 69) gestanden haben. Zum Zusammenhang zwischen der Annahme der Gerichtsurteile Gottes und der Erfahrung seiner Gnade und Barmherzigkeit siehe auch Sir 18,14 (G). 41 Vgl. Ps 37,24; Spr 24,16; Hi 18,12; Hi LXX 20,5; 37,16. 42 Nach dem syrischen Text ist Gott Subjekt der Prüfung (vgl. dazu Trafton: Version, 55). Allerdings dürfte der syrische Text gegen Trafton nicht auf ein Missverständnis seiner vermeintlichen hebräischen Vorlage zurückgehen, sondern entweder auf eine andere griechische Vorlage ([τοῦ] δικαίου anstelle von αὐτοῦ ὁ δίκαιος), auf eine Verlesung dieser oder auf eine selbstständige Korrektur.

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9,6; 10,1). Im Zentrum steht das Beseitigen der Sünde, die hier terminologisch in dreifacher Hinsicht expliziert wird 43: als Ungerechtigkeit bzw. Unrecht (ἀδικία), als Übertretung (παράπτωμα) des Gesetzes und als unbewusst begangenes Vergehen („Irrtumssünde“, ἄγνοια) (V. 7b.8a).44 Zwar wird das Gesetz bzw. die Torah im Gegensatz zu anderen Psalmen Salomos nicht ausdrücklich erwähnt.45 Die sich an Lev 4–5 (und teilweise an Lev 16) anlehnende Sühnevorstellung in V. 7b.8a zeigt aber, dass der Psalmist die Torah selbstverständlich voraussetzt. Im Gegensatz zu den vorangehenden Strophen ist die vierte stark von kultischen Begriffen geprägt. Dabei wird eine sozial- und frömmigkeitsgeschichtlich bedeutsame Veränderung der Sühnevorstellung gegenüber Lev 4–5 deutlich,46 insofern der sich seiner Sünde bewusste Gerechte die Sühne oh­ne Vermittlung eines Priesters und ohne Darbringung eines Opfers durch Fasten und Selbstdemütigung vollzieht (V. 8a vgl. Ps 35 [34],13; 51 [50],19; Sir 34,31 [G]).47 Ob sich hinter der Nichterwähnung des (Jerusalemer) Tempels, der in anderen Psalmen Salomos eine bedeutende Rolle spielt (PsSal 1,8; 2,3; 8,11), eine bewusste Abwertung verbirgt,48 erscheint fraglich. In PsSal 3 wird aber eine „Individualisierung“ und „Privatisierung“ der Religion deutlich: Wesentliche Merkmale der artikulierten Gottesbeziehung sind hier das Gebet, die Deutung individueller und kollektiver Lebensgeschichte vor dem Hintergrund des Handelns eines dem Menschen zugewandten Gottes, die Vermeidung von Sünde, das Fasten und – wie sich aus den steten Bezügen auf Schriften Isra­ els ergibt – die Schriftlesung, einschließlich der Schriftauslegung. Einzelne Aus­sagen des Psalms lassen sich schließlich als Elemente eines (Glaubens-) Be­kenntnisses (ἐξομολόγησις, V. 3 vgl. PsSal 9,6; Jdt 15,14; JosAs 15,2) lesen. 43 Zu einem solchen Dreiklang von Sündenbegriffen vgl. Lev 16,21; Ps 32 (31),5; Jes 59,12; Ez 18,24; 21,29. 44 Während als Vorlage für die Begriffe ἀδικία und παράπτωμα eine ganze Reihe von he­ bräischen Termini in Frage kommt (‫עון‬, ‫און‬, ‫פשע‬, ‫מעל‬, ‫ חטאת‬u .a.), geht der Begriff ἄγνοια sicher auf das hebräische Wort ‫ שגגה‬zurück; zu ἄγνοια im Sinn von Sünde vgl. auch Sir 23,3; 28,7; TestLev 3,5; TestSeb 1,5. 45 Vgl. PsSal 4,8; 10,4; 14,2. 46 Vgl. Lev 4,26.35; 5,13.18; Num 15,28. 47 Vgl. weiterhin Ps 69,11; Jes 58,3.5; Tob 12,8; TestSim 3,4; Mt 9,14–17; Lk 18,11–12. Die aufgrund des Tempuswechsels vom Aorist (ἐξιλάσατο) zum Futur (ταπεινώσει) auffällige Wendung ταπεινώσει ψυχὴν αὐτοῦ wird so von allen Handschriften der Psalmen Salomos geboten. Dennoch ändert von Gebhardt: Ψαλμοι Σολομωντος, 75, 99 (und ihm fol­ gend Rahlfs: Septuaginta, II, 474) in ψυχὴς αὐτοῦ und versteht ταπεινώσει in Parallele zu δικαίωσις in V. 3b als Nomen (vgl. PsSal 2,35; Scholtissek / Steins: Psalmoi Solomontos, 918). Gegen diese Änderung spricht, dass es sich bei ταπεινοῦν τὴν ψυχήν (‫ )ענה את־נפש‬um eine geprägte Wendung handelt (vgl. Lev 16,29.31; 23,27.29.32; Jdt 4,9; Ps 35 [34],13; Sir 2,17 [G]; 7,17 [G]; Jes 58,3; 1QS III,8); doch siehe auch TestJos 10,2 (ἐν ὑπομονῇ καὶ ταπει­ νώ­σει καρδίας). Denkbar wäre auch eine Verschreibung von ἐταπεινώσεν (Viteau: Psaumes de Salomon, 269). 48 In diese Richtung tendiert Atkinson: Study, 64.425; ders.: Lord, 215–216, der dabei ei­ne Nähe zu Vorstellungen in 1QS IX,3–6 erkennt.

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Mindestens auf PsSal 3 trifft die von Gerbern S. Oegema für die ganze Samm­ lung geprägte Gattungsbestimmung eines „Katechismus (des Königs Salo­ mos)“ zu.49 Das Ideal der sich hier abzeichnenden Frömmigkeit ist der ἀνὴρ ὅσιος,50 der aufgrund seiner Frömmigkeitsübungen von Gott selbst entsündigt wird (V. 8b).51 Erneut zeigt sich das Zusammenspiel von menschlichem und göttlichem Handeln. Die fünfte Strophe (V. 9–10) bildet mit der typologischen Beschreibung des Sünders das Gegenstück zur dritten. Auch sie ist, wenngleich weniger klar, chiastisch aufgebaut, insofern sich die erste und die vierte Zeile hinsichtlich des Bildes vom Fallen des Sünders (προσκόπτειν, πίπτειν, πτῶμα) und des Gegenübers von der Verfluchung des Lebens und der fehlenden Aussicht auf ein Wiederaufstehen entsprechen (V. 9a.10b): Der Fluch, den der Sünder angesichts ei­ner Leiderfahrung, über seine eigene Existenz ausspricht (vgl. Hi 3,1.3; Jer 20,14; Sir 23,14), verwirklicht sich darin, dass er keine Möglichkeit mehr hat, sich aus dem Leiden zu erheben (V. 10b). Dieser letzte, ebenfalls durch eine Alliteration hervorgehobene Stichos ist das negative Pendant zur Abschlusszeile der vorangehenden Strophe (V. 8b): Während Gott dem Frommen eine neue Zukunft schenkt (V. 8b), bleibt der Sünder rettungslos in seiner selbst verursachten schlimmen Situation (πονηρὸν τὸ πτῶμα, V. 12b). Die beiden in der Mitte stehenden Zeilen (V. 9b.10a), die syntaktisch näher zu V. 9a bzw. zu V. 10b gehören, kennzeichnen das gesamte Leben (ζωή) des Sünders als von Sünden durchsetzt (V. 10a vgl. 6b). Der jeweils vierfache Gebrauch eines Ausdrucks für das Leben und für die Sünde verdeutlichen diese Komplexität und Universalität.52 Als Kern der Sünde erscheint, ohne dass Gott hier ausdrücklich genannt wird, die Missachtung des Schöpfers. Die als Summarium des Hauptteils gestaltete sechste Strophe (V. 11–12) konstatiert den fortdauernden Untergang (ἀπώλεια […] εἰς τὸν αἰῶνα) der Sünder im Gegensatz zum fortwährenden Leben (ζωή […] οὐκ ἐκλείψει ἔτι) der Gerechten (V. 11a.12c).53 Dieser Kontrast bestimmt auch die mittleren Zeilen der Strophe (V. 11b.12b).54 Das Vergessenwerden durch Gott, von dem in V. 11b nur indirekt gesprochen wird, ist Folge der Selbstaufgabe der Sünder und ihrer Gottvergessenheit (vgl. PsSal 14,7). Hingegen finden das Gottesgedenken (μνημονεύειν) der Gerechten (V. 3a) und deren Selbstprüfung (ἐπισκέπτεσθαι, V. 7a) ihr Gegenüber im heilvollen Erinnern (µιμνῄσκειν) und Prüfen Gottes 49 Oegema:

Poetische Schriften, 28. Formulierung ἀνὴρ ὅσιoς vgl. Dtn LXX 33,8 (Levi); TestBen 3,1 (Joseph); Philon, QE II,11 (Noah, vgl. Gen 6,9); TestAbr A 9,2 (Abraham als ὅσιος καὶ δίκαιος). Auch im paganen Bereich findet sie sich sowohl für einzelne Gestalten als auch allgemein (vgl. Aischylos, Suppl. 27; Euripides, Alc. 10; Platon, leg. 661b; Plutarch, Numa 4,3). 51 Vgl. Ps 32 (31),5; 51 (50),4.12; Jer 33,8; 1QHa XII,37; XIX,10. 52 Vgl. ζωή (zweimal), γένεσις und ὠδῖνες μητρός bzw. ἁμαρτωλός, ἁμαρτία (zweimal) und πτῶμα. 53 S. o. S. 187 und 188 (mit Anm. 31 und 33). 54 Zur Annahme, V. 12a sei sekundär, s. o. S. 185.187. 50 Zur

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(ἐπι­σκέπτεσθαι, V. 11b). Mit letzterem dürfte auf die Vorstellung von einem endzeitlichen Gericht angespielt sein (vgl. PsSal 15,10; SapSal 5,14–15; 1 Hen 98,10), das mit dem Urteil des ewigen Vergessens, des Nichtseins (ἀπώλεια) 55 der Sünder und der fortwährenden Existenz der Gerechten in der unmittelbaren Nähe Gottes endet. So zeigt sich auch am Schluss noch einmal die Idee von einer steten Interaktion zwischen Gott und Mensch, die den Psalm durchzieht. Schließlich zielt der Weckruf zum täglichen Gotteslob (V. 1–2) auf ein ewiges Wachsein im Angesicht Gottes (vgl. Hi LXX 33,30). Das Aufstehen zum Singen eines neuen Liedes für Gott ist Anfang und Grund der Auferstehung zu einem ewigen Lied (vgl. Ps 30 [29],13).

3. Das Gotteslob der Gerechten in drei Kontexten – ein Ausblick Der Psalm hält, was seine Überschrift verspricht56: eine umfassende Charakterisierung der Gerechten. Als gerecht gilt, wer das Leben in allen seinen Dimensionen von Gott her versteht. Ausdruck eines solchen Lebensverständnisses sind ein die ganze Person betreffendes Gotteslob sowie ein Raum und Zeit umschließendes Gottesgedenken. Aus der Doxologie fließt die Reflexion. Beide verbindet die Anerkennung Gottes als Schöpfer, Richter und Erlöser. Damit sind drei grundlegende Gottesbilder angesprochen, die in jeweils spezifischer Weise versuchen, auf die unterschiedlichen Facetten der in einer Leidenssituation an Gott gerichteten Frage nach dem „Warum“ zu antworten. Denn diese entpuppt sich entweder als die Frage nach der Anwesenheit, nach der Gerechtigkeit oder nach der Macht Gottes.57 Für den Beter von PsSal 3 gelten alle drei Dimensionen göttlichen Wirkens. Der Schwerpunkt liegt auf der Rechtfertigung Gottes, und zwar rückblickend auf sein als Gericht gedeutetes Handeln (V. 3), gegenwartsbezogen auf sein als Erziehung verstandenes Wirken (V. 4) und vorausschauend auf sein in der Auferstehung der Gerechten erhofftes Tätigsein (V. 11–12). Aus der Rechtfertigung Gottes fließt die Rechtfertigung des Menschen: Gerecht ist und gerecht gesprochen wird, wer Gott Recht gibt (V. 3.5, vgl. Ps 51 [50],6.16).58 Die Vermeidung und die Beseitigung von Sünde, die Sühne und die von Gott erfahrene Reinigung sind Begleit­umstände dieser Rechtfertigung, die Gott selbst erlebt und die Gott gewährt. Ihr Ziel ist die ungetrennte Gemeinschaft Gottes mit denen, die ihn fürchten. Die Frommen in ihrem Glauben an diese Gemeinschaft zu stärken und zu begleiten ist, ein wesentliches Anliegen von PsSal 3. Im Dreiklang der Rede zu Gott (V. 1–2), 55 PsSal

3,1; 13,11; 15,10 vgl. Sir 41,10. Frage der Ursprünglichkeit der Überschrift siehe Holm-Nielsen: Psalmen Salomos, 58.67; Lattke: Psalmen Salomos, 85–87. 57 Siehe dazu Hartmann: Lebensdeutung: 31–39. 58 Vgl. weiterhin Ps 119 (118),75.137; Dan 9,4–7; Dan LXX 3,27; Neh 9,33; Est LXX 4,17n / C 18; Tob 3,2; Bar 1,15; 3 Makk 2,3; Jer 12,1; 1QHa VI,26. 56 Zur

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durch Gott (V. 4) und über Gott (V. 5.8.11) erweist sich der Psalm als gebetete Theologie. Das Gotteslob erscheint hier als Grundlage von Theologie und als Schlüssel des Lebens. Das religionsgeschichtliche Milieu von PsSal 3 ist das Judentum des 1. Jahrhundert v. Chr. Die skizzierte, individuell und personal (nicht lokal) ausgerich­ tete Frömmigkeit mit einem Schwerpunkt auf dem Gebet, der Buße, dem Fasten und der theologischen Reflexion von Gerechtigkeit, Zeit und Ewigkeit, unter gleichzeitiger Ausblendung des heiligen Landes bzw. Jerusalems und seines Tempels, besitzt zeitgenössische Parallelen sowohl in palästinischen Texten (vgl. 1QHa; 11QPsa XVIII,8–11; XIX,1–18) 59 als auch in Texten aus der Diaspora (vgl. SapSal) 60. Entgegen der in der älteren Forschung beliebten Identifikation der in den Psalmen Salomos genannten Gerechten mit den Pharisäern und der Sünder mit den Sadduzäern 61 erlauben aber weder das gegenwärtige Wissen über diese noch die Pluralität des Judentums in römischer Zeit eine eindeutige sozial- und religionsgeschichtliche Zuordnung.62 Im Blick auf weitere literarische Kontexte lädt der Psalm „Über die Gerechten“ auch zu einem Gespräch mit der Verhältnisbestimmung von Gerechtigkeit und Frömmigkeit in der antiken Philosophie ein. Denn auch für Platon ist der Gerechte (δίκαιος) der Fromme (ὅσιος) (Gorg. 507c), gehören Gerechtigkeit und Frömmigkeit eng zusammen (Euthyphr. 11e; leg. 661b; 663b–d) und kennzeichnet es den wahren Philosophen, frei (καθαρός) von Ungerechtigkeit und frevelhaften Taten zu leben und dann in guter Hoffnung ruhig und zuversichtlich zu sterben (rep. 496d–e). Ein solches Gespräch, zu dem entsprechende Aussagen der Stoa, Ciceros, Senecas oder Plutarchs hinzugezogen werden könnten, kann hier nur angedeutet werden, ebenso wie eine Lektüre von PsSal 3 aus der Perspektive des Christusgeschehens, zu der die christliche Tradierung der Psalmen Salomos herausfordert. Wie die Schriften des Alten Testaments sind die Psalmen Salomos transparent für eine christliche Lesart, und zwar nicht nur, weil der zu lobende Gott (PsSal 3,1) der Vater Jesu Christi ist, sondern auch, weil sich in PsSal 3 durchgehend Motive und Vorstellungen finden, die im Neuen Testament fortgeschrieben werden. Dazu gehört einerseits die Bezugnahme auf dieselben Texte (Spr 3,11–12 bzw. Ps 51 [50],1–6), die nun in einem spezifisch christologischen und rechtfertigungstheologischen Kontext wiederverwendet werden (vgl. Hebr 12,5 bzw. Röm 3,4; 1 Clem 18).63 Andererseits bietet PsSal 3 in einer christ59 Vgl.

Feldmeier / Spieckermann: Gott, 295–296. Witte: Religion, in diesem Band S. 147–162. 61 Vgl Geiger: Psalter Salomos, 107; Wellhausen: Pharisäer, 144; Kittel: Psalmen Salomos, 133, aber auch noch Schnelle: Gerechtigkeit, 370. 62 Siehe dazu vor allem Holm-Nielsen: Erwägungen, 112–131; Schüpphaus: Psalmen Salomos; Denis: Introduction, 520; Atkinson: Lord; Oegema: Poetische Schriften, 27–28. 63 Siehe dazu auch Schröter: Gerechtigkeit, 557–577; Schnelle: Gerechtigkeit, 367– 371; Feldmeier / Spieckermann: Gott, 295–296; dies.: Menschwerdung, 141–142. 60 Vgl.

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lichen relecture ein Modell für die Biographie des leidenden Gerechten Jesus von Nazareth, der seine Jünger angesichts der im Anbruch befindlichen Gottesherrschaft (vgl. Mt 24,42) und des kommenden Menschensohns zur Wachheit aufruft (Mt 25,13) und der selbst mit seinen Jüngern angesichts des nahen Todes wacht und betet (Mt 26,36–46) 64. Als zusammen mit ihrem Herrn Wachende und im Glauben an ihn Gerechtfertigte haben sie Teil an seinem Schicksal – im Leben, im Tod und in der Auferstehung.

64 Origenes zitiert Mt 26,41 als Christuswort im Verbund mit dem Salomowort in Spr 6,4 (s. o. S. 182) bei der Auslegung der Paränese von 1 Kor 16,13–14 (Fragmenta ex commentari­ is in epistulam 1 ad Corinthios, 90, in: Jenkins: Documents, 51).

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4. Anhang: Übersetzung von PsSal 3 Ein Psalm Salomos: Über die Gerechten A (1) Wozu65 schläfst du, Seele, und lobst nicht den Herrn? Einen neuen Hymnus singt („psalmt“) dem zu lobenden Gott! (2) Singe („Psalme“) und sei wach im Blick auf sein Wachsein! Ja,66 ein guter Psalm für Gott kommt aus gutem Herzen. B1.1 (3) Die Gerechten gedenken in jeder Hinsicht des Herrn, im Bekenntnis und Rechtfertigen der Gerichtsurteile des Herrn. (4) Der Gerechte achtet es nicht gering, wenn er gezüchtigt wird vom Herrn. Sein Wohlgefallen kommt in jeder Hinsicht vom Herrn. B1.2 (5) Strauchelt der Gerechte, so rechtfertigt er den Herrn, fällt er, so schaut er aus, was Gott für ihn tun wird, [späht aus, woher seine Rettung kommen wird.] (6) Wahrheit der Gerechten ist bei Gott ihrem Retter, im Haus des Gerechten weilt nicht Sünde auf Sünde. B1.3 (7) Der Gerechte prüft in jeder Hinsicht sein Haus, um Unrecht zu beseitigen in seiner Übertretung. (8) Er sühnt für seinen Irrtum mit Fasten und demütigt seine Seele.67 Und der Herr reinigt jeden frommen Mann und sein Haus. B2 (9) Strauchelt der Sünder, so verflucht er sein Leben, den Tag seiner Erschaffung und die Schmerzen seiner Mutter. (10) Er fügt Sünde auf Sünde in seinem Leben, er fällt, ja68 schlimm ist sein Fall, und wird nicht wieder aufstehen. B3 (11) Der Untergang des Sünders währt in Ewigkeit und seiner wird nicht gedacht, wenn er 69 die Gerechten prüft. (12) [Dies ist der Teil der Sünder in Ewigkeit.] Die aber den Herrn fürchten, werden auferstehen zum ewigen Leben und ihr Leben wird im Licht des Herrn sein und nicht mehr enden.

65 ἵνα τί geht mutmaßlich auf das Wort ‫ למה‬zurück und ist dementsprechend final orientiert; siehe dazu Michel: Warum. 66 Wörtlich: denn; das griechische ὅτι steht hier für ein affirmatives ‫כי‬. 67 Zum Problem der Tempora in V. 8a s. o. S. 184f. (mit Anm. 16) und S. 191 (mit Anm. 47). 68 Siehe Anm. 66. 69 D. h.: Gott.

Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen Fünf Thesen aus der Perspektive des Alten Testaments This article locates the belief in God the Almighty and the concept of human wickedness idea of the wickedness of human in the theological and anthropological discourses of Judaism of the Hellenistic period. Then, from the perspective of the Old Testament and early Jewish writings, the question of God’s omnipotence is framed as a question about God’s dominion. Finally, the question of divine omnipotence is correlated with the questions of God’s justice and goodness and the origin of evil. The essay concludes with reflections on faith in the Almighty as an expression of a monotheistic, dynamic, personal, and participatory understanding of God.

1. Zeit- und theologiegeschichtliche Hintergründe Die Frage nach der Allmacht Gottes und der Bosheit des Menschen führt theo­ logiegeschichtlich zurück in theologische und anthropologische Diskurse des Judentums der hellenistischen Zeit. In der hellenistischen Zeit entwickeln sich im Judentum erstmals umfassende Reflexionen über das Wesen Gottes, die sich – einer mittelalterlichen Definition von Theologie entsprechend1 – als systematisch strukturierte Rede über Gott (de deo), durch bzw. von Gott her (a deo) und zu Gott hin (ad deum) ansprechen lassen. Ihnen stehen entsprechende Reflexionen über das Wesen des Menschen zur Seite. Diese Reflexionen haben sich sowohl in kanonisch gewordenen Schriften der Hebräischen Bibel und der Septuaginta niedergeschlagen als auch in zahlreichen nicht kanonisch gewordenen Schriften, die trotz ihres jüdischen Ursprungs in der Spätantike aus dem Hauptstrom der jüdischen Überlieferung ausgeschieden sind und mehrheitlich dank ihrer Rezeption im Christentum überlebt haben. Zwar enthalten auch die älteren israelitisch-­ jüdischen Schriften aus babylonischer und persischer Zeit vielfältige theologische Aussagen, die sich systematisch klassifizieren und rückblickend zu einer Theologie kombinieren lassen, so dass beispielsweise von einer Theologie der 1 Vgl. Albertus Magnus: Commentarii in sententiarum, dist. I, art. II (Borgnet, 15–17); ders.: Summa theologiae, tract. I, quaest. II (Borgnet, 11–12).

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Priesterschrift, der Theologie eines einzelnen Psalms oder der Theologie eines (älteren) Hiobbuches gesprochen werden kann.2 Doch im Schatten des Vordringens Alexanders des Großen (356–323 v. Chr.) von der Ägäis bis an den Indus und der Etablierung hellenistischer Monarchien in Ägypten, Kleinasien und in Syrien kommt es zu einem gewaltigen Theologisierungsschub – nicht nur im Judentum, sondern auch in anderen Religionen des Vorderen Orients. Bezogen auf das Judentum sind wesentliche Faktoren dieses Theologisierungsschubes: (1) die Begegnung mit griechischer Philosophie, vor allem in Gestalt der Vor­sokratik, der Stoa und des Epikureismus,3 (2) die Auseinandersetzung mit der Ideologie der hellenistischen Herrscher, die den Anspruch erheben, als Götter zu verehrende Stifter von universalem Frieden, Gerechtigkeit, Heil und Wohlstand zu sein,4 (3) radikale Veränderungen in der Sozial- und Wirtschaftsstruktur und das rasante Anwachsen einer über den gesamten Mittelmeerraum verbreiteten, vor allem in den großen Städten lebenden Diaspora. Ebenfalls in die hellenistische Zeit fällt die Etablierung der grundsätzlichen religiösen Identitätsmerkmale des Judentums: (1) die Torah in Gestalt des Pentateuchs mit dem inhaltlichen Zentrum im Schema Israel (Dtn 6,4–5) und im Dekalog (Ex 20,2–17; Dtn 5,6–21), (2) die Vorstellung, dass Jhwh der einzige Gott ist, der die Welt erschaffen hat, sie erhält und die Geschichte lenkt und der bildlos zu verehren ist, (3) die Überzeugung, dass Israel das erwählte Volk Gottes ist, (4) die Konzentration des Kultes auf den Tempel in Jerusalem, was nicht die (vorübergehende) Existenz weiterer Jhwh-Heiligtümer auf dem samarischen Berg Garizim und im ägyptischen Leontopolis ausschließt,5 (5) die ortsunabhängig vollziehbaren Riten der Beschneidung, des Sabbats, des Gebets, des Fastens und des Almosengebens sowie die Einhaltung besonderer Reinheits- und Speisegebote. Gleichzeitig bilden sich in hellenistischer Zeit jüdische Konfessionen, die sich hinsichtlich ihrer Stellung zu diesen fünf Identitätsgrößen, hinsichtlich ihrer Haltung zur paganen griechischen Kultur sowie hinsichtlich der Stellung zum Jerusalemer Hohenpriester und zum in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhun­ dert v. Chr. entstehenden hasmonäischen Königtum unterscheiden.6 So kenn­ zeichnet das Judentum der hellenistischen Zeit, neben den gemeinsamen religiösen Merkmalen und theologischen Grundüberzeugungen, eine lokale, konfessionelle und sprachliche Pluralität. 2 Siehe dazu exemplarisch Weimar: Studien; Spieckermann: Heilsgegenwart; Wanke: Prae­sentia Dei. 3 Siehe dazu Hengel: Judentum, 120–195; Kaiser: Begegnung. 4 Vgl. Klauck: Umwelt, 18–44. 5 Siehe dazu Frey: Temple; Zangenberg: Sanctuary. 6 Zu den innerjüdischen Konflikten, die mit der Übernahme des Hohenpriestertums in Je­ rusalem und der Etablierung einer judäischen Königsherrschaft im Gefolge des sogenannten Makkabäeraufstandes (167–165 v. Chr.) verbunden waren, siehe Sasse: Geschichte, 166–230; Frevel: Geschichte, 348–366.

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In diesem vielfältigen Milieu wird das gesamte überkommene Schrifttum aus theologischer Perspektive redigiert. Die Redaktion ist so umfassend, dass jede in der Hebräischen Bibel überlieferte Schrift noch in hellenistischer Zeit Fortschreibungen erfährt. Und es werden in großem Umfang ganz neue Schriften konzipiert, von denen nur ein kleiner Teil in der Griechischen Bibel, der Septuaginta, überliefert wurde, während der ganz überwiegende Teil nicht kanonisch wurde.7 Die Frage nach dem Wesen Gottes und des Menschen spielt bei der Redaktion der älteren Schriften und bei der Konzeption der jüngeren eine zentrale Rolle. Sie wird literarisch – und nur auf diese Manifestation der religiösen Artikulation soll hier eingegangen werden – vor allem in drei Bereichen greifbar: affirmativ im Gebet, diskursiv in der Weisheit, dramatisch-­ narrativ in der Apokalyptik. Diese Bereiche können sich überschneiden. Dies zeigen einerseits die Vielzahl der Gebete im Lehrbuch des Weisen Ben Sira aus der Zeit um 180 v. Chr., auf den die erste große theologische Synthese weisheitlicher, kultischer, prophetisch-eschatologischer und historiographischer Traditionen im antiken Judentum zurückgeht, oder die Hochschätzung des Betens und eschatologischer Vorstellungen in der aus der frühen römischen Kaiserzeit stammenden Sapientia Salomonis,8 andererseits die weisheitliche Sprache, didaktische Tendenz und eschatologischen Aspekte zahlreicher Psalmen aus hellenistischer Zeit im Psalter der Hebräischen Bibel (vgl. z. B. Ps 37; 49; 73), in nicht kanonisch gewordenen Psalmenanthologien aus Qumran (vgl. z. B. 1QHa, ShirShabb) 9 und in den Psalmen Salomos (1. Jahrhundert v. Chr.), sowie vieler apokalyptischer Texte (vgl. z. B. Dan; 1 Hen).10 Ich konzentriere mich im Folgenden auf weisheitliche Reflexionen und Gebete im Alten Testament und in frühjüdischen Schriften außerhalb des Kanons, verweise aber zumindest punktuell auch auf prophetische und apokalyptische Texte.

2. Allmacht und Herrschaft Gottes Die Frage nach der Allmacht Gottes ist begriffs- und traditionsgeschichtlich zunächst einmal eine Frage nach der Herrschaft Gottes. 7 Zu diesen, in literaturgeschichtlicher Hinsicht problematisch, als „Pseudepigraphen“ be­zeichneten Schriften siehe einführend Nickelsburg: Literatur, sowie die Textsammlungen JSHRZ; JSHRZ.NF; OTP; Feldman / Kugel / Schiffman: Outside the Bible, und Embry / Herms / Wright: Literature. 8 Siehe dazu Egger-Wenzel: Prayer; Reif / Egger-Wenzel: Prayers; Pajunen / Penner: Function. 9 Textgrundlage für alle in diesem Beitrag zitierten Qumrantexte ist García Martínez / Tigchelaar: Scrolls. 10 Siehe dazu einerseits Witte: Ewigkeit, und Petrany: Pedagogy, andererseits Wright / Wills: Boundaries, sowie exemplarisch die Auslegung von PsSal 3 in diesem Band S. 181– 195.

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Begriffsgeschichtlich gründet das im Apostolicum und im Nicänum versprachlichte Bekenntnis zu Gott dem Allmächtigen in dem griechischen Epitheton παντοκράτωρ und in seiner lateinischen Übersetzung mit omnipotens. Gemäß seiner sprachlichen Bestandteile πᾶν („alles“) und κρατεῖν („herrschen“) steht das Wort παντοκράτωρ für den „Allherrscher“. Als solches dürfte es ein Neologismus des hellenistischen Judentums sein. Zu seiner Bildung haben drei Faktoren beigetragen: (1) Vorstellungen von der Herrschermacht der Götter, wie sie in der altorientalischen Welt vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis in die römische Zeit nachweisbar sind, (2) die modifizierende Aufnahme griechischer Begriffe wie παγκρατής11 oder ὁ πάντων κύριος bzw. ὁ ἁπάντων κύριος12, die seit dem 6. Jh v. Chr. als Epitheton für Zeus, aber auch für andere Götter, belegt sind, (3) eine Auseinandersetzung mit dem in hellenistischer Zeit, besonders in Ägypten auftretenden Phänomen der Zuschreibung umfassender Kompetenzen an einzelne Allgottheiten, vor allem an die schon im Alten Reich (ca. 2700– 2220 v. Chr.) verehrte, in hellenistisch-römischer Zeit aber zu einer universalen Göttin aufgestiegenen Isis,13 aber auch an die Götter Sarapis, Suchos und Zeus. Sämtliche bisher bekannten Belege für παντοκράτωρ / παγκράτωρ oder παν­ το­­κράτειρα für unterschiedliche griechische und ägyptische Götter und Göttinnen sind jünger als die ältesten Belege für die Anrede Jhwhs als παντοκρά­τωρ. Es ist gut möglich, dass sich in der paganen Verwendung von παντοκρά­τωρ ein Reflex auf die vielleicht aus dem ägyptischen Judentum stammende Neubildung zeigt. Im Blick auf die spezifische inhaltliche Dimension und Funktion der frühjüdischen Rede vom παντοκράτωρ sind drei Aspekte zu unterscheiden: (1) die Verwendung von παντοκράτωρ als Übersetzung der hebräischen Gottesbezeichnung (Jhwh) Zebaoth (‫)צבאות‬, so überwiegend in den prophetischen Büchern der Septuaginta, (2) die Verwendung von παντοκράτωρ als Übersetzung der hebräischen Gottesbezeichnung Schaddaj (‫)שדי‬, so ausschließlich im griechischen Buch Hiob,14 (3) die Verwendung von παντοκράτωρ als Gottesbe11 Vgl. Aischylos,

Sept. 255; Suppl. 816; Eum. 918; Sophokles, Phil. 679; frgm. 684,4; Euripides, frgm. 431,4; Hymnus auf Zeus vom Berg Dikta (Furley / Bremer: Hymns, I, 68–75; II, 1–20); Kleanthes, frgm. 1, 1 bzw. Bakchylides, Epinicia 11,44. Zur hymnischen Anrede ei­ nes Gottes als παγκρατής im paganen Bereich siehe Roscher: Lexikon, 1535; Monte­vec­chi: Pantokrator, 402; Hommel: Pantokrator, 140–151, mit der These, die Stoa habe παγκρα­τής nicht mehr im Sinn von „allmächtig“, sondern „alles erhaltend“ verstanden, was sich punk­ tuell so auch in der jüdischen und christlichen Verwendung von παντοκράτωρ, z. B. im Aris­ teasbrief 185,2, vor allem aber im Apostolicum niedergeschlagen habe; Furley / Bremer: Hymns, II, 6, und Zimmermann: Namen, 234–236. 12 Pindar, I. 5,53, vgl. Demosthenes, Epitaphius 21,6, und Plutarch, mor. 426a sowie Diodor Siculus, bibliotheca historia III, 61,4 (Zeus als κύριος τῶν ὅλων); bezogen auf Osiris bei Plutarch, mor. 355e; zu weiteren Belegen siehe Zeller: Kyrios, 493; zu Umschreibungen sie­he auch Montevecchi: Pantokrator, 402. 13 Siehe dazu Merkelbach: Isis. 14 Vgl. Witte: Greek Book of Job.

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zeichnung in genuin auf Griechisch abgefassten jüdischen Schriften aus der hellenistisch-römischen Zeit. Die eigentlichen Motive, die jüdische Schriftgelehrte des 2. Jahrhundert v. Chr. dazu veranlasst haben, παντοκράτωρ als Übersetzungsäquivalent für (Jhwh) Ze­ba­oth und für Schaddaj zu nehmen, sind nicht ganz klar, da die Grundbedeutung von ‫ צבאות‬und ‫ שדי‬nicht gesichert ist. Zwar ist unbestritten, dass ‫צבאות‬ grammatisch ein Plural des Wortes ‫„ צבא‬Heer“ darstellt. Es ist aber fraglich, ob sich Ze­baoth, möglicherweise in der Langform ‫„ יהוה אלהי צבאות‬Jhwh der Gott Ze­ba­oth“ (2 Sam 5,10; 1 Kön 19,10; Am 4,13), auf Jhwhs himmlische Heerscharen bezieht, und diese dann astral als Sterne oder personifiziert als Engel zu deuten sind, oder auf die irdischen Heerscharen Israels, denen Jhwh in der Schlacht voranzieht. Schließlich könnte ‫ צבאות‬auch als Intensivplural für den gesamten von Gott erschaffenen Kosmos gebraucht sein (vgl. Gen 2,1; Neh 9,6). Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass zu unterschiedlichen Zeiten der Religionsgeschichte der Jhwh-Verehrung jeweils eine der genannten Bedeutungen vorherrschte.15 Folgt man der Grundbedeutung von ‫„ צבא‬Heer“, so ist der Gottestitel Zebaoth stark militärisch konnotiert. Er signalisiert militärische Macht, die auf die Durchsetzung göttlicher Herrschaft zielt. In diese Richtung weist auch die Verbindung des Titels Zebaoth mit der Bezeichnung Jhwhs als dem, der auf bzw. über den Keruben thront, d. h. dem, der auf einem von löwen- und greifenähnlichen Mischwesen flankierten Thron sitzt (vgl. 1 Sam 4,4; 2 Sam 6,2),16 und der als einziger Gott und Schöpfer über Himmel und Erde herrscht (vgl. 2 Kön 19,15 par. Jes 37,16): Und Hiskias betete vor Jhwh und sagte: Jhwh, du Gott Israels, der du über den Keruben thronst, du bist Gott alleine für alle Königsherrschaften der Erde. Du hast den Himmel und die Erde gemacht.

Hinsichtlich der sprachlichen Herleitung des Wortes ‫ שדי‬gibt es in der Forschung keinen Konsens. Die diskussionswürdigsten Vorschläge reichen von der Rückführung auf das akkadische Wort šadu „Berg“ über das ägyptische Wort šed (šd.w) „Retter“ bis zu den hebräischen Wörtern ‫„ ֵׁשד‬Dämon“ und ‫ ׁש ֹד‬II „Mutterbrust“.17 Die Hebräische Bibel selbst legt eine Zusammenstellung mit der Verbalwurzel ‫„ שדד‬gewalttätig sein“ (Jes 13,6; Joel 1,15) nahe. Literaturgeschichtlich begegnet die Bezeichnung Schaddaj in der Form ‫אל שדי‬ mutmaßlich das erste Mal in der Priesterschrift im 6. / 5. Jahrhundert v. Chr. im Rahmen der Offenbarung Gottes vor Abraham (Gen 17,1). Dabei entwirft die Priesterschrift das dreistufige Konzept einer Geschichte der Offenbarungen Got­tes: (1) in der Schöpfung als Elohim „Gott“ (Gen 1), (2) als El Schaddaj vor den Vätern Israels (Gen 17,1) und (3) als Jhwh vor Mose (Ex 6,2–3). 15 Mettinger:

Yahweh; Albani: Gott. entsprechenden Darstellungen siehe Metzger: Jahwe. 17 Siehe dazu ausführlich Witte: El Shaddai, 13–16. 16 Zu

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Im Zusammenhang mit der Rede vom Allmächtigen bekommt Gen 17,1 in der lateinischen Bibel, der Vulgata, eine besondere Bedeutung, insofern hier erstmalig in der Bibel von Gott als deus omnipotens (als Übersetzung von ‫אל‬ ‫ )שדי‬18 gesprochen wird: Die Offenbarung vor Abraham lässt sich dann geradezu als ein biblisches Paradigma für die unterschiedlichen Relationen der Vorstellungen vom Allmächtigen lesen. So fordert die unmittelbare Begegnung mit dem allmächtigen Gott auf der Seite des Menschen absolute Anerkennung dieses Gottes (ambula coram me) sowie vollständige religiöse und moralische Integrität (esto perfectus) (Gen 17,1), während sich das Wesen dieses Gottes mittels seines „Bundes“ ( foedus, pactum) in der Bindung an den Menschen und in der Zusage einer umfassenden Sicherung der Lebensgrundlage zeigt (Gen 17,2–9). Der Allmächtige ist in diesem Sinn der Gott, der sich dem Menschen zuwendet, der ihn verwandelt – dies ist der tiefere Sinn der Umbenennung Abrahams (Gen 17,5) – und der ihn auch zur Herrschaft „vor Gott“ (coram deo) ermächtigt (Gen 17,6). Alle weiteren, insgesamt nicht sehr zahlreichen Belege von ‫ – שדי‬48 Belegen stehen 6828 Belege19 für Jhwh gegenüber – hängen von der Verwendung der Priesterschrift ab, die das Wort ‫ שדי‬vielleicht als bewussten Archaismus (in Anlehnung an die aus der aramäischen Bileam-Inschrift bekannten šaddinGottheiten?) geprägt hat.20 Der häufige Gebrauch des Wortes Schaddaj in der Hiobdichtung (Hi 3,1–42,6) basiert auf dem priesterschriftlichen Offenbarungskonzept, wenn sie Hiob und seine Freunde Gott stets – und ohne erkennbaren inhaltlichen Unterschied – als El, Eloah, Elohim oder Schaddaj bezeichnen lässt und von Jhwh nur in der Überschrift der die Lösung des Hiobproblems vorbereitenden Gotteserscheinung und Gottesrede spricht (Hi 38,1).21 Durch die sogenannte Hiobnovelle, die der Dichtung sekundär und in erweiterter Form als Rahmen beigegeben wurde (Hi 1,1–2,13; 42,7–17), ist dieses Konzept aufgeweicht, insofern sich Hiob jetzt bereits im Prolog zu Jhwh bekennt (Hi 1,21).22 Für die älteste griechische Hiob-Übersetzung (2. / 1. Jahrhundert v. Chr.), die Schaddaj mit παντοκράτωρ wiedergibt und häufig im Parallelismus mit κύριος verwendet, steht gleichfalls nicht mehr das Konzept der gestuften Offenbarung oder der prozessualen Gotteserkenntnis im Vordergrund, sondern die Frage nach der alle Lebensbereiche umfassenden Herrschaft Gottes (vgl. 18 Die Septuaginta übersetzt hier nicht mit παντοκράτωρ, sondern mit ὁ θεὸς σου („dein Gott“), zu den möglichen Gründen für diese Wiedergabe siehe Witte: El Shaddai, 19. 19 Zahlenangabe nach Jenni: ‫יהוה‬, 704, vgl. auch Accordance 13.3.3. OakTree Software, Inc. 20 Zu Text und Übersetzung der Bileam-Inschrift siehe Jaroš: Inschriften; Weippert / Weip­ pert: „Bileam“-Inschrift; Weippert: „Bileam“-Text; Blum, in: TUAT.NF VIII, 459–474. 21 Vgl. Hi 40,1.3.6; 42,1. Der einzige Beleg für das Tetragramm innerhalb der Dichtung in Hi 12,9 ist textgeschichtlich sekundär. 22 Zur Redaktionsgeschichte des Hiobbuches siehe knapp Witte: Hiobbuch, ders.: Das Buch Hiob, 45–59, sowie mit einer etwas anderen redaktionsgeschichtlichen Zuweisung Wan­ke: Praesentia Dei, 430.

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Hi LXX 37,22). Diese basiert auf dem Schöpfersein und der Wahrung des Rechts (vgl. Hi LXX 8,3–5; 33,4; 34,10).23 Diese auf die Herrschaft Gottes bezogene Dimension und Funktion der Bezeichnung παντοκράτωρ spricht schließlich auch aus einzelnen originär auf Griechisch abgefassten oder nur auf Griechisch erhaltenen jüdischen Schriften der hellenistischen Zeit. So dient der Begriff παντοκράτωρ im Buch Judit (entstanden zwischen 160 / 100 v. Chr.) sowie im zweiten und dritten Makkabäerbuch (beide aus dem 2. / 1. Jahrhundert v. Chr.) als Kontrapunkt zu den Herrschaftsansprüchen der hellenistischen Herrscher.24 Deren Herrschaft wird durch das Bekenntnis zu Jhwh als dem Allmächtigen relativiert. Die Jhwh Verehrenden werden, auch wenn sie politisch den hellenistischen Herrschern, zumal in der Diaspora, unterstehen, als Volk Gottes in den Herrschaftsbereich Jhwhs eingeordnet: Denn in allen Dingen, Herr, hast du dein Volk groß gemacht und verherrlicht, und hast es nicht übersehen, wobei du ihm zu jeder Zeit und an jedem Ort beistehst. (SapSal 19,22)

Für die systematisch-theologische Reflexion ist angesichts des mit dem Panto­ krator-Titel verbundenen Herrschaftsaspekts zu bedenken, dass sich im Juden­ tum der hellenistischen Zeit neben der Vorstellung der bereits etablierten (ewigen) Königsherrschaft Gottes (‫מלכות יהוה‬, βασιλεία τοῦ θεοῦ) 25 vor allem im Bereich der apokalyptischen Literatur die Idee der sich erst in der Endzeit vollständig durchsetzenden Herrschaft Gottes findet.26 So hat das Bekenntnis zum Pantokrator aus exegetischer Perspektive neben seiner theokratischen Konnotation auch eine stark eschatologische Färbung, es ist gewissermaßen das konfessorische Pendant zur zweiten Bitte des Vater-Unsers: „Dein Reich komme“ (Mt 6,10 par.).

23 Zur Theologie der Hiob-Septuaginta siehe exemplarisch die Beiträge in diesem Band auf S. 67–86 und S. 87–102 sowie allgemein Witte: Weisheitsschriften, 90–93. 24 Vgl. dazu Feldmeier: Almighty; ders.: Übermacht, 24–28. Feldmeier leitet den Begriff παντοκράτωρ geradezu aus der Kritik an den Herrschaftsansprüchen Alexanders des Großen und der Diadochen ab und versteht ihn dementsprechend als Ausdruck der politischen Theologie des hellenistischen Judentums. 25 Vgl. Ps 103,19; 145,13; Dan 3,33; 4,31; 1 Hen 84,2; PsSal 17,3. Auch die sogenannten Jhwh-Königs-Psalmen (Ps 93; 95–99) dürften von der bereits realisierten Königsherrschaft Gottes ausgehen, auch wenn sie teilweise eschatologische Aspekte haben; zur Diskussion siehe Jeremias: Theologie, 417; Neumann: Hymnen, 71–74.149–156, u. ö. 26 Vgl. Jes 24,23; 52,7 LXX; Obad 21; Mi 4,7; Sach 14,9.16; PsSal 17,3–4; Sib 3,767; Dan 7,13–14 (Übergabe der Herrschaft an den „Menschensohn“); zur eschatologischen Verwendung der Wendung ‫ מלכות יהוה‬im frühen Judentum siehe auch Koch: Reich Gottes.

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3. Allmacht und Gerechtigkeit Gottes Die Frage nach der Allmacht Gottes impliziert die Frage nach der Gerechtig­ keit Gottes und des Menschen. Herrschaft hängt im Alten Orient sowohl im Blick auf die Welt der Götter als auch im Blick auf die Menschen eng mit der Verpflichtung zusammen, Recht und Gerechtigkeit einzusetzen und für ihren Bestand zu sorgen. Gute Herrschaft ist eine gerechte Herrschaft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Gerechtigkeit im Alten Orient wesentlich eine relationale Größe ist, mittels derer eine heilvolle, Leben sichernde Beziehung innerhalb einer Gemeinschaft beschrieben wird.27 Die Aussage, dass Gott wesenhaft gerecht und alleiniger Wahrer von Recht und Gerechtigkeit ist, gehört zu den wichtigsten jüdischen Bekenntnissätzen der hellenistischen Zeit.28 Dies ist einerseits ein Erbe älterer israelitisch-jüdischer Vorstellungen von Jhwh, andererseits eine Folge des Ausbaus der göttlichen Gerechtigkeitskonzeption nach dem Untergang des davidischen König­ tums 587 v. Chr. Denn auch in Juda galt, wie in den Nachbarkulturen, der Kö­nig als göttlich legitimierter irdischer Garant von Recht und Gerechtigkeit (vgl. Ps 2; 72). Gleichwohl erfolgt in hellenistischer Zeit eine kritische Infragestellung der vor allem in der älteren israelitisch-jüdischen Weisheit – und insgesamt im Alten Orient und im Alten Ägypten – vorausgesetzten Vorstellung, dass der Schöpfergott in diese Welt eine gerechte Ordnung eingesenkt hat, die dem Menschen, der sich an ihr ausrichtet, ein gelingendes Leben schenkt. Damit verbunden gerät auch die Vorstellung von der göttlichen Gerechtigkeit in die Krise. Wesentliche Faktoren für diese Krise sind: (1) die oben genannten politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umwälzungen im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr.,29 (2) die seit der persischen Zeit zunehmende theologische Durchdringung der Vorstellung, dass Jhwh der einzige Gott und dementsprechend die alles bestimmende göttliche Macht ist, (3) die Erfahrung, dass gerade diejenigen, die sich an die Gebote der im Laufe der späten Perserzeit und der frühen hellenistischen Zeit zur allgemeinen jüdischen Norm gewordenen Torah halten, in Konflikte mit anderen sich absolut setzenden Normen, wie dem hellenistischen Herrscherkult, geraten und wegen ihrer Torahtreue ver­folgt werden. Das Ringen um die Gerechtigkeit Gottes – und damit verbunden um die Gerechtigkeit des Menschen – wird geradezu zu einem Kennzeichen der jüdischen Literatur und Theologie der hellenistischen Zeit. Die Bücher Hiob, 27 Siehe

dazu Witte: Gerechtigkeit. Dtn 32,4; Ps 11,7; 116,5; 119,137; 145,17; Jer 12,1; Klgl 1,18; Dan 9,14; Esr 9,15; Est LXX 4,17n / Est C 18; Tob 3,2; 2 Makk 1,24; PsSal 10,5; 1QHa VI,26; 4Q408 frgm. 3 + 3a,6; TestHiob 4,11; 43,13. 29 Siehe dazu auch Portier-Young: Apocalypse. 28 Vgl.

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Kohelet (3. Jahrhundert v. Chr.) und Jesus Sirach sowie zahlreiche Psalmen, aber auch einzelne Passagen in der apokalyptischen Literatur sind ebenso eindrückliche wie komplexe Zeugen für diese sogenannte Theodizee-Literatur.30 In ihr lassen sich grundsätzlich vier unterschiedliche Typen des Umgangs mit der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes unterscheiden.31 (1) Die Problematik wird einfach geleugnet. Nach diesem Typ gilt die Gerechtigkeit Gottes unbedingt. Was einzelne Menschen oder Gruppen als Ungerechtigkeit Gottes erfahren, ist die Folge eines stets gerecht richtenden Gottes (vgl. Hi 8,3–4 bzw. Dan 9,7–16; Klgl 1,18). Wo sich der einzelne oder eine Gemeinschaft als ungerecht gerichtet erlebt, hat er oder sie sich selbst noch nicht genau geprüft, ob nicht doch, bewusst oder unbewusst, göttliche Normen verletzt wurden (vgl. Hi 13,23; 33,9–12 bzw. Klgl 3,39–40). Als eine Variante dazu erscheint die Vorstellung, dass das als (ungerechtfertigte) Strafe erlebte Leiden eine Prüfung („Versuchung“) oder eine Erziehungsmaßnahme Gottes ist, die letztlich der Bewährung oder der Reifung dient.32 Gott erscheint dabei wesentlich als Lehrer.33 In beiden Fällen dieses Typs ist es aber grundsätzlich seitens des Menschen möglich, sich Gott und der Gemeinschaft mit ihm entsprechend zu verhalten, demgemäß ein Gerechter und als solcher gesegnet zu sein.34 (2) Gerechtigkeit wird zu einem ausschließlichen Merkmal Gottes, von dem der Mensch in kreatürlicher Ungerechtigkeit grundsätzlich geschieden ist.35 Leidenserfahrungen gründen dementsprechend in der Kreatürlichkeit des endlich und fragmentarisch geschaffenen Menschen. Das Phänomen, dass es angesichts der gleichen geschöpflichen Konstitution unterschiedliche Schicksale gibt, dass der eine leidet, während der andere ein glückliches Leben führt, entzieht sich nach diesem Modell menschlichem Verstehen. Gerechtigkeit, die im Blick auf die Gerechtigkeit Gottes die vom Menschen als heilvoll erlebte Gemeinschaft mit Gott ist, kann nach diesem Typ nur von Gott selbst geschenkt werden, beispielsweise durch die Gabe seines heiligen Geistes (Ps 51; 1QHa IV,26; VIII,1–15) oder durch eine grundlegende Wesensänderung des Menschen (Jer 31,33; Ez 36,26). (3) Die Spannung zwischen dem Glauben an die Gerechtigkeit Gottes und der Erfahrung diesseitiger Ungerechtigkeit wird eschatologisch aufgelöst, insofern der gerechte Gott den Gerechten jenseitig mit dem ewigen Leben be-

30 Laato / de

Moor: Theodicy; Kaiser: Gott, 139–156. dazu auch mit einer etwas anderen Schwerpunktsetzung und im Blick auf die alttestamentliche Prophetie Crenshaw: Theodicy. 32 Vgl. Hi 33,16–17; 40,8 LXX; Ps 94,12; Sir 2,1–18; SapSal 3,1–12; Jdt 8,24–27. 33 Finsterbusch: JHWH; Pouchelle: Dieu. 34 Vgl. Ps 1; 5,12; Spr 3,33; Sir 14,1–15.20; 4Q525 frgm. 2 II + 3,1–3. 35 Vgl. die sogenannte „Niedrigkeitsredaktion“ im Hiobbuch (Hi 4,17–19; 15,14–16; 25,4–­ 6); Ps 143,2; 1QHa V,19–22 und dazu Witte: Leiden, 194–205; ders.: Das Buch Hiob, 45–­59. 31 Vgl.

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lohnt.36 Diese Lösung kann in prophetischen und apokalyptischen Erwartungen eines Völker- oder Weltgerichts universale oder kosmische Dimensionen annehmen.37 Strukturell entspricht diese eschatologische Lösung der oben erwähnten Vorstellung von der endzeitlichen Durchsetzung der Herrschaft Gottes. Die Eschatologie ist ein Wesenszug der jüdischen Theologien der hellenistischen Zeit. So befasst sich jede jüdische Schrift der hellenistischen Zeit, mit Ausnahme der von paganer Mythographie, Geographie und Ethnographie geprägten Geschichtsschreibung, in irgendeiner Weise mit Eschatologie, sei es, dass einzelne eschatologische Vorstellungen zustimmend aufgenommen werden, sei es, dass diese kritisch abgelehnt werden. (4) Das Wesen Gottes wird neu bestimmt. Hier zeigen sich zwei Spielarten. Nach der einen wird unter Wahrung des monotheistischen Grundbekenntnisses, demzufolge Gott das Helle und das Dunkle geschaffen hat (Jes 45,7), das Leben und den Tod bewirkt, Gutes und Böses schickt (Hi 2,9–10; 5,18; Klgl 3,38; Tob 13,2), auch Ungerechtigkeit in das Wesen und Handeln Gottes integriert – oder das Böse wird, in Aufnahme stoischer Konzeptionen, als das notwendige Gegenüber des Guten im Kontext einer grundsätzlich gut geschaffenen Welt angesehen (vgl. Sir 33,7–15 [HE / F]).38 Nach der anderen Spielart wird der Monotheismus aufgeweicht, insofern negative Erfahrungen auf das Wirken menschen- und gottfeindlicher Wesen zurückgeführt werden, die Gott – zumin­ dest vorübergehend – gewähren lässt. Beide Spielarten finden sich paradigmatisch innerhalb des Buches Hiob: die erste, insofern es am Ende heißt, Hiob habe im Gegensatz zu den Freunden „recht“ (‫ נכונה‬/ LXX: ἀληθές „Wahres“), über Gott geredet (Hi 42,7–8) – dieses Urteil schließt auch Hiobs klagende Be­schreibungen Gottes als Dämon und als Frevler (vgl. Hi 9,20–22; 16,9–16), seine Berufung auf die eigene Gerechtigkeit (Hi 13,16–17; 27,5–6; 31,1–40*) und seine Bestreitung der vergeltenden Gerechtigkeit Gottes (Hi 21; 24,1–12) ein39 –, die zweite, insofern die Leiden Hiobs auf die Versuchung bzw. Verführung Gottes durch den Satan (LXX: ὁ διάβολος) zurückgeführt werden (Hi 1,6–­12; 2,1–7, vgl. Jub 17,15–18; 1 Hen 6–11).40 36 Vgl. in unterschiedlicher Ausprägung Ps 49; 73; Ez 37,9–10; Dan 12; 1 Hen 22; 2 Makk 7,14; SapSal 3,1; Hi LXX 42,17a; 4Q385 frgm. 2,7–8 und dazu Witte: Weg. 37 Vgl. Jes 24; 34,2–4; Joel 4; Hab 3; Sach 12; 14; Dan 12; 1 Hen 1–5; 25,4; 93 + 91,12– 17; Sib 3,669–701. Zu der in hellenistischer Zeit erfolgten traditionsgeschichtlichen Wandlung der Vorstellung des Gerichts an einzelnen Völkern hin zum Gericht an den Völkern siehe Steck: Abschluß, 23. Zu den verschiedenen frühjüdischen Gerichtsvorstellungen siehe knapp Yinger: Judgment. 38 Wicke-Reuter: Providenz, 224–273; Kaiser: Göttliche Weisheit, 55–58. 39 So dürfte ‫ נכונה‬modal im Sinn von aufrichtig (authentisch) und sachlich im Sinn von zutreffend zu verstehen sein (vgl. zu letzterem vor allem Clines: Job 38–42, 1231; zu alternativen Deutungen siehe Oeming: Ziel, 135–139 und Kottsieper: „Thema“, und zur Diskussion Witte: Das Buch Hiob, 685–688; ders.: Hiobs letzte Worte, in diesem Band S. 58). 40 Siehe dazu Fabry: „Satan“ sowie Witte: Gott und das Böse, in diesem Band S. 166– 170.

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4. Allmacht und Güte Gottes Die Frage nach der Allmacht Gottes impliziert die Frage nach der Güte Gottes und dem Ursprung des Bösen. Wenn das Theologumenon von einer alles umfassenden Herrschaft des gerechten Schöpfergottes unbedingt gilt und gleichzeitig nicht geleugnet wird, dass es in der von Gott geschaffenen Welt Ungerechtigkeit und Leid gibt, erhebt sich die Frage nach der Güte Gottes und nach dem Ursprung des Bösen. Beide Aspekte spielen in den theologischen Diskursen des frühen Judentums eine zentrale Rolle, wobei sich eine gewisse Asymmetrie zeigt. Auf der einen Seite steht das grundsätzliche kurze Bekenntnis zur Güte Gottes, zumeist mit den dynamisch zu verstehenden Begriffen ‫„ חסד‬Huld“, ‫רחמים‬ „Barmherzigkeit“ und ‫„ חן‬Gnade“ ausgedrückt, seltener mit dem Begriff ‫טובה‬ „Güte“.41 Gott gilt als „gnädig und barmherzig“ (‫חנון ורחום‬, οἰκτίρμων καὶ ἐλεήμων) und „lebensfördernd / sinnstiftend“ (‫טוב‬, ἀγαθός). Exemplarisch dafür sind zum einen die sogenannte Gnadenformel, die sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche des Alten Testaments und der außerkanonischen früh­ jüdischen Schriften zieht und die stehender Ausdruck für die Überzeugung ist, dass Gottes Erbarmen stets größer ist als sein Zorn,42 und zum anderen die (seltenere) Bezeichnung Gottes als „der Gute“ (‫הטוב‬, ὁ ἀγαθός / ὁ χρηστός).43 Auf der anderen Seite stehen breite literarische Reflexionen über den Ursprung des Bösen und über die Herkunft menschlicher Bosheit.44 Dabei zeigen sich im wesentlichen zwei Strömungen. Zum einen wird das Böse anthropologisch auf eine im Menschen selbst vorhandenen Anlage zum Bösen zurückge­führt. Diese Herleitung findet sich mit unterschiedlichen Modifikationen z. B. bei Ben Sira, in diversen Qumrantexten,45 in der Sapientia Salomonis, bei Philon von Alexandria (ca. 25 v. Chr. – 50 n. Chr.), im Vierten Esrabuch (1. Jahr­hundert n. Chr) oder in der syrischen Baruchapokalypse (2. Jahrhundert n. Chr.).46 So kann im Gefolge von Gen 6,5 und 8,21 beispielsweise Ben Sira von einer grundsätzlichen „Neigung“ (‫יצר‬, διαβούλιον) des Menschen zum

41 Im griechischsprachigen jüdischen Schrifttum der hellenistischen Zeit begegnen dafür zumeist die Begriffe ἔλεος, χάρις und οἰκτιρμός sowie χρηστότης. 42 Vgl. Ex 34,6–7; Joel 2,13; Jon 4,2; Ps 86,15; 103,8; 145,8; Neh 9,17; Sir 2,11; CD-A II,4; 1QHa VIII,24; 4Q511 frgm. 52, 54–55, 57–59,1 (Kol. III,1); siehe dazu Scoralick: Got­ tes Güte; Franz: Gott. 43 Vgl. Jer 33 (40),11; Nah 1,7; Ps 34 (33),9; 100 (99),5; 118 (117),1.29; 119 (118),68; 135 (134),3; 136 (135),1; 145 (144),9; Klgl 3,25; 2 Chr 30,18; Sir 45,25 (HB); 4Q403 frgm. 1 I,5; Mk 10,18 par. Mt 19,17; Lk 18,19. 44 Siehe dazu Ego / Mittmann: Evil und Witte: Gott und das Böse, in diesem Band S. 173f. 45 1QHa; 1QS V; X,9–XI,22; 4QBarNaf; 4Q393; 4Q504–506; 11QPsa XXIV. 46 Brand: Evil, 35–146; Schmid: Genealogien, 84–86.

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Bösen sprechen (Sir 15,14).47 Dabei ist vorausgesetzt, dass der Mensch grundsätzlich die Freiheit hat, sich zwischen gut und böse, zwischen dem, was dem Leben dient, und dem, was dem Leben schadet, zu entscheiden (vgl. Gen 3; Dtn 30; Sir 15,11–20). Als göttliches Hilfsmittel, dem Bösen zu widerstehen, hat Gott dem Menschen die Torah, das „Gesetz des Lebens“ (Sir 17,11 [G]; 45,5),48 die Weisheit (σοφία, SapSal 8,21–9,18) 49 oder die Einsicht in das „Geheimnis des Gewordenen“ (‫רז נהיה‬, 4Q416 frgm. 2 I,5) 50 gegeben. Wo die Freiheit des Menschen bestritten und eine geschöpflich bedingte, wesenhafte Bosheit aller Menschen behauptet wird (vgl. 1QS XI,19–22), bleiben nur die Aporie und die Hoffnung auf eine gnädige Zuwendung Gottes (vgl. Klgl 3,22–23; Ps 143,1–2; 1QHa V,20–24; XII,29–33). Diese kann in der Zeit, aber auch erst am Ende der Zeit erwartet werden. Theologisch verbindet sich diese Erwartung weniger mit der Vorstellung von Gott dem Herrscher als mit der von Gott dem Schöpfer und mit der Vorstellung einer Neuschöpfung des Menschen. Zum anderen kann das Böse mythologisch auf eine von außen über den Menschen und die Welt hereinbrechende gegengöttliche Macht zurückgeführt werden. Eine solche externe, angelologisch-kosmologische Herleitung begegnet in unterschiedlichen frühjüdischen Dämonologien,51 wie z. B. im ersten Abschnitt des sogenannten Buches der Wächter, einer ursprünglich selbstständigen apokalyptischen Schrift aus dem 3. / 2. Jahrhundert v. Chr., die heute ein Teil des äthiopischen Henochbuches ist (1 Hen 6–11), im Jubiläenbuch (2. Jahrhundert v. Chr.) sowie in apotropäischen Gebeten und in Thematisierungen Belials in verschiedenen Schriften aus Qumran.52 Auch die Rückführung des Todes auf den „Neid des Teufels“ in SapSal 2,24 spiegelt diese Vorstellung.53 Die Überwindung des Bösen durch Gott vollzieht sich dann als ein Kampf oder ein Straf­akt Gottes, der dem Bösen einen zeitlich befristeten Raum gelassen hat, ohne dass dadurch seine Macht grundsätzlich in Frage gestellt wäre. Hier spielt die Figur Gottes als Herrscher bzw. als Allherrscher eine besondere Rolle. So beinhaltet die Rede von Gott dem Allmächtigen auch die Überzeugung von Gottes Macht über das Böse und, soweit dieses in einzelnen Texten personifiziert gedacht wird, wie z. B. in 1 Hen, Jub oder SapSal, über den Bösen. Das Bekenntnis zu Gott dem Allmächtigen erweist sich damit auch als ein affirmatives Korrelat zur siebten Vater-Unser-Bitte: „Erlöse uns von dem Bösen“ (Mt 6,13 par., vgl. SapSal 16,8 und jeweils in der Fassung der Vg Est 10,9; Sir 33,1). 47 Vgl. TestRub 4,9; TestJud 11,1; 13,8; 18,3; TestDan 4,2.7; TestGad 5,3.7; 7,3; TestAss 1,8–9; TestJos 2,6; TestBen 6,1.4. Zu Sir 15 siehe Kaiser: Oikeiosis-Lehre, 73–74. 48 Vgl. Witte: Gesetz; ders.: Menschenbilder, in diesem Band S. 128. 49 Siehe dazu Gilbert: Structure; Gilbert: Volonté; Witte: Gott und das Böse, in diesem Band S. 170–173. 50 Siehe dazu Rey: 4QInstruction, 56–57; Goff: Wisdom, 13–29. 51 Siehe dazu Lange u. a.: Dämonen; Wright: Origin. 52 So z. B. in 4Q444; 4Q510–511; 11QPsa XIX; ALD bzw. in CD; 4QApocrJer; 1QM; 4Q174; 4Q280; 4Q286–290; 1QS III–IV; Brand: Evil, 147–274. 53 Siehe dazu Witte: Gott und das Böse, in diesem Band S. 167.

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5. Ausblick: Der Glaube an den Allmächtigen im Kontext des alttestamentlichen Gottesverständnisses Der Glaube an den Allmächtigen ist Ausdruck eines monotheistischen, dynami­ schen, personalen und partizipatorischen Gottesverständnisses. Die vorangehenden Ausführungen haben zu verdeutlichen versucht, dass der im christlichen Credo ausgedrückte Glaube an Gott den Allmächtigen aus der Perspektive des Alten Testaments grundsätzliche Fragen nach dem Wesen und Handeln Gottes und des Menschen impliziert, näherhin nach der göttlichen Herrschaft und Gerechtigkeit, nach dem Schöpfersein und der Güte Gottes sowie nach dem Ursprung und der Überwindung des Bösen. Weitere Implikationen, wie die Frage nach der Freiheit Gottes und des Menschen, konnten in diesem Rahmen nur gestreift werden. Texte wie Gen 3–4; Jer 18,1–10; 20,8–12; Ez 18 oder Pred 3 und 9 müssten hier weiter bedacht werden.54 Insgesamt sollte aber klar geworden sein, dass aus alttestamentlicher Perspektive die Frage nach der Allmacht Gottes eine protologische, auf die Schöpfung und das fortwährende schöpferische Handeln Gottes bezogene, und eine eschatologische, auf eine unumkehrbare, endgültige Wende zum Heil bezogene, herrschaftliche Dimension hat. Die affirmative, diskursive und dramatisch-narrative Rede vom Allmächtigen lässt sich dabei in ein Verhältnis zu fünf Grundstrukturen bzw. Grundüberzeugungen des alttestamentlichen und frühjüdischen Gottesverständnisses setzen. (1) Aus der monotheistischen Anlage der Jhwh-Verehrung, wie sie sich in hellenistischer Zeit fest etabliert hat, ergibt sich die Zuschreibung umfassender und universaler Herrschaft an den einen Gott Jhwh. Dieser kann im Gebet affirmativ als der Allherrscher angesprochen, im weisheitlichen Dialog zum Streit herausgefordert oder im apokalyptischen Drama dargestellt werden. Gleichzeitig fordert die monotheistische Ausrichtung zu einer Klärung des Ursprungs, Wesens und Herrschaftsbereichs anderer, gottfeindlicher Mächte heraus. (2) Jhwh wird von den Anfängen seiner Verehrung an als ein dynamischer Gott bekannt.55 Dieser aus dem Polytheismus stammende Aspekt, der Jhwh in Konkurrenz zu anderen Göttern sieht, bleibt auch nach der Etablierung des Jhwh-­Monotheismus erhalten. In der aus der Perserzeit, wenn nicht erst aus der hellenistischen Zeit stammenden Bezeichnung Jhwhs als ‫„( אהיה אשר אהיה‬ich bin, der ich bin“, d. h. „ich bin jeweils der, als der ich mich aktuell erweise“, Ex 3,14–15) 56 wird diese Dynamik auf den Punkt gebracht und in der in hellenistischer Zeit entstehenden Apokalyptik im Rückgriff auf alte Mythologeme narrativ besonders entfaltet. Bezogen auf die Anrede Gottes als des Allmächtigen, 54 Vgl. auch Sir 15,11–16,23; 33,7–15; 1 Hen 98,4–8 und dazu Hengel: Judentum, 254– 257; Kaiser: Göttliche Weisheit. 55 Zu den Anfängen der Jhwh-Verehrung siehe van Oorschot / Witte: Origins. 56 Vgl. Dtn 32,39; Jes 41,4; 48,12; 3 Hen 42,2. Siehe dazu Lepesqueux: L’exposition.

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ergibt sich aus diesem dynamischen Aspekt, dass Gottes Herrschaft sowohl da ist als auch sich jeweils im Werden und im Wachsen befindet. Wo die Herrschaft Gottes aufgrund von Ungerechtigkeit und Leid als eingeschränkt erfahren wird, kann dementsprechend auf die Durchsetzung der Herrschaft Gottes, verbunden mit der endgültigen Überwindung von Ungerechtigkeit und Leid, vertraut und gehofft werden. Diese Hoffnung hat individuelle, kollektive und universale Dimensionen. (3) Wesentlich für das alttestamentliche und frühjüdische Gottesverständnis ist seine personale und dialogische Struktur. Im Blick auf die Frage nach der Allmacht ergibt sich daraus die Möglichkeit, zum Allmächtigen zu beten, sei es lobpreisend angesichts einer als umfassend wahrgenommenen heilvollen Zuwendung Gottes (2 Makk 1,25; Jdt 16,5), sei es klagend angesichts der Erfahrung des Fehlens einer solchen (Hi 23,16 LXX; 27,2), sei es um ein rettendes Eingreifen bittend (3 Makk 2,2; 6,2). Das Gebet und die konkrete Gottesbegegnung sind dann der entscheidende Raum, in dem die Herrschaft Gottes jeweils zum Ereignis wird und in dem der je Einzelne für sich zur Erkenntnis kommen kann, dass Gott alles vermag und ihm nichts unmöglich ist (Hi LXX 42,2, vgl. Gen 18,14; Jer 32,17): (2) Gepriesen seist du, o Herr, König, groß und mächtig in deiner Größe, Herr der ganzen Schöpfung des Himmels, König der Könige und Gott der ganzen Welt! Deine Gottheit, deine Königsherrschaft und deine Majestät währt für immer und in alle Ewigkeit, und deine Macht für alle Generationen. Und alle Himmel (sind) dein Thron in Ewigkeit und die ganze Erde der Schemel deiner Füße für immer und in alle Ewigkeit. (3) Denn du hast geschaffen und herrschst über alles, und kein Tun – überhaupt nichts – ist dir zu schwer, und wendet sich nicht von dem (Ort) deines Thrones und nicht von deinem Angesicht; und du weißt und siehst und hörst alles, und es gibt nichts, was vor dir verborgen wäre, denn du siehst alles. (1 Hen 84,2–3 vgl. 1 Hen 49,4) 57

(4) Der Glaube an den Allmächtigen, wie er sich aus den hier skizzierten biblischen und nicht kanonisch gewordenen Schriften des frühen Judentums entwickelt, schließt die Vorstellung von der Partizipation an der Herrschaft dieses Gottes ein. Die Idee der menschlichen Teilhabe an der göttlichen Herrschaft verläuft traditionsgeschichtlich über die Stufen der Vorstellung vom König als dem göttlich eingesetztem Wahrer von Recht und Gerechtigkeit (vgl. Ps 72) und, daraus abgeleitet, vom Menschen als dem in der Schöpfung zum Repräsentanten Gottes bestimmten Wesen, das mit göttlicher Herrlichkeit (‫כבוד‬, δό­ ξα) ausgestattet ist (vgl. Gen 1,26–27; Ps 8,5–6). Diese Vorstellung wird flankiert vom Motiv der göttlichen Erwählung und Bevollmächtigung des Schwachen.58 Sie mündet in der Hoffnung, dass diejenigen, die die Torah gehalten, Gerechtigkeit geübt und sich an der göttlichen Weisheit ausgerichtet haben, 57 Übersetzung 58 Vgl.

113,8.

von C. Uhlig: Henochbuch, 677–678. Ex 4,10–12; Dtn 7,7–8; Ri 6,24–25; 1 Sam 2,8; Jer 1,5–10; Jes 52,13–53,12; Ps

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„die Völker richten und über Nationen herrschen werden, während ihr Herr auf ewig König sein wird“ (SapSal 3,8).59 (5) Schließlich ist beim Glauben an den Allmächtigen aus der Perspektive des Alten Testaments zu bedenken, dass Jhwh auch ein Gott ist, der an und mit dem Menschen und seiner Schöpfung leidet (Gen 6,6; Dtn 32,6; Jes 54,6). So impliziert das Bekenntnis zum Allmächtigen die Vorstellung, dass der Gott, der Gerechtigkeit herstellt und der aus dem Bösen rettet, auch aus dem Tod, selbst an Ungerechtigkeit und am Bösen leidet. Das Korrelat zum leidenden Gerechten ist der leidende Gott, das Gegenüber zum Allherrscher der Allerbarmer (Ps 145,9; Sir 18,3 [G]; SapSal 11,23).60

59 Vgl.

SapSal 4,16; Dan 7,22.27; 1QpHab V,3–4; 1 Hen 96,1; Mt 19,28; 1 Kor 6,2–3; Apk 20,4. 60 Vgl. Röm 11,32 und 1 Tim 2,4. In der Fluchtlinie dieses Motivs liegen dann, je auf ih­re Weise, einerseits die altkirchliche Verwendung des Begriffs des „Allbarmherzigen“ (πανελε­ ήμων), z. B. bei Johannes Chrysostomus (In epistulam II ad Corinthos, hom. 2,5 [PG 61, 399, 37–46]), und andererseits die islamische Doxologie des Erbarmers (ar-raḥmān) und Barmherzigen (ar-raḥim), mit der jede Sure des Korans (mit Ausnahme der neunten Sure) be­ginnt.

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Literatur

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Witte, M.: Hiobs viele Gesichter. Studien zur Komposition, Tradition und frühen Rezeption des Hiobbuches, FRLANT 267, Göttingen 2018. Witte, M.: Hiobs „Zeichen“ (Hiob 31,35–37) – Traditions- und theologiegeschichtliche An­ merkungen zu Hiob 31,35–37, in: Ders., Hiobs viele Gesichter. Studien zur Komposition, Tradition und frühen Rezeption des Hiobbuches, FRLANT 267, Göttingen 2018, 101–­ 119. Witte, M.: Ist auch Hiob unter den Propheten? – Sir 49,9 als Testfall für die Auslegung des Buches Jesus Sirach, in: Ders., Texte und Kontexte des Sirachbuches. Gesammelte Studien zu Ben Sira und zur frühjüdischen Weisheit, FAT 98, Tübingen 2015, 23–37. Witte, M.: Job / Das Buch Ijob / Hiob, in: S. Kreuzer (Hg.), Einleitung in die Septuaginta, Handbuch zur Septuaginta, I, LXX.H 1, Gütersloh 2016, 407–421. Witte, M.: Job in Conversation with the Torah, in: B. U. Schipper / D. A. Teeter (Hg.), Wisdom and Torah. The Reception of “Torah” in the Wisdom Literature of the Second Temple Period, JSJ.S 163, Leiden / Boston 2013, 81–100. Witte, M.: Literary Genres of Old Testament Wisdom, in: W. Kynes (Hg.), The Oxford Handbook of Wisdom and the Bible, Oxford: Oxford University Press, 2021, 352–371 = Literarische Gattungen in der alttestamentlichen Weisheit, in diesem Band S. 7–21. Witte, M.: Menschenbilder des Sirachbuchs, in: B. Gesche / C. Lustig / G. Rabo (Hg.), Theology and Anthropology in the Book of Ben Sira, SCS 73, Atlanta 2020, 1–36, in diesem Band S. 103–130. Witte, M.: The Greek Book of Job, in: T. Krüger u. a. (Hg.), Das Buch Hiob und seine Interpretationen, AThANT 88, Zürich 2007, 33–54. Witte, M.: Theologien im Buch Jesus Sirach, in: Ders., Texte und Kontexte des Sirachbuches, FAT 98, Tübingen 2015, 59–82. Witte, M.: Vom Leiden zur Lehre. Der dritte Redegang (Hiob 21–27) und die Redaktionsgeschichte des Hiobbuches, BZAW 230, Berlin / New York 1994. Witte, M.: Von der Gerechtigkeit Gottes und des Menschen im Alten Testament, in: Ders. (Hg.), Gerechtigkeit, Themen der Theologie 6, UTB 3662, Tübingen 2012, 37–67. Witte, M.: Von der Weisheit des Glaubens an den einen Gott. Eine Skizze zu historischen Anfängen und theologischen Ausgestaltungen des Monotheismus im Alten Testament, in: R. Schieder (Hg.), Die Gewalt des einen Gottes. Die Monotheismus-Debatte zwischen Jan Assmann, Micha Brumlik, Rolf Schieder, Peter Sloterdijk und anderen, Berlin 2014, 79–­116. Witte, M.: Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Weisheit und Geschichte in den Psalmen, BThSt 146, Neukirchen-Vluyn 2014. Witte, M.: Weisheit in der alttestamentlichen Wissenschaft, in: ThLZ 137 (2012), 1159– 1176. Witte, M.: Weisheitsschriften, in: H. Ausloos / B. Lemmelijn (Hg.), Die Theologie der Septuaginta, LXX.H 5, Gütersloh 2020, 83–98. Witte, M.: Art. Zofar, http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/35478/ (Zugriff am 16.9.­ 2022). Wolff, H. W.: Anthropologie des Alten Testaments, München 1973 (61994; neu hg. v. B. Ja­ nowski, Neukirchen-Vluyn 2010). Woude, A. van der: Wisdom at Qumran, in: J. Day / R. P. Gordon / H. G. M. Williamson (Hg.), Wisdom in Ancient Israel (FS J. A. Emerton), Cambridge 1995 (1998), 244–256. Wright, A. T.: The Origin of Evil Spirits. The Reception of Genesis 6.1–4 in Early Jewish Literature, WUNT II / 198, Tübingen 2005. Wright, B. G.: No Small Difference: Sirach’s Relationship to Its Hebrew Parent Text, SCS 26, Atlanta 1989.

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Literatur

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Nachweis der Erstveröffentlichungen Literarische Gattungen in der alttestamentlichen Weisheit Erstmals auf Deutsch publizierte Fassung des Aufsatzes „Literary Genres of Old Testament Wisdom“, in: W. Kynes (Hg.), The Oxford Handbook of Wisdom and the Bible, Oxford: Ox­ ford University Press, 2021, 352–371.

Hiob als jüdisches, christliches und paganes Werk. Überlegungen zur Hermeneutik heiliger Schriften Erstveröffentlichung in: L. C. Jonker / G. R. Kotzé / C. M. Maier (Hg.), Congress Volume Stel­ len­bosch 2016, VTS 177, Leiden / Boston: Brill, 2017, 329–353.

Hiobs letzte Worte Erstveröffentlichung in: V. Bachmann /A. Schellenberg / F. Ueberschaer (Hg.), Menschsein in Weisheit und Freiheit (FS T. Krüger), OBO 296, Leuven: Peeters, 2022, 246–263.

Kosmologie und Schöpfungsvorstellungen in Hiob 38 nach der Septuaginta Erstmals auf Deutsch publizierte Fassung des Aufsatzes „Cosmos and Creation in Job 38 (Sep­tuagint)“, in: M. W. Duggan / R. Egger-Wenzel / S. C. Reif (Hg.), Cosmos and Creation. Second Temple Perspectives, YDCL 2019, Berlin / Boston: de Gruyter, 2020, 55–76.

Beobachtungen zur Bedeutung und Funktion der Begriffe σωτηρία und σῴζειν im griechischen Buch Hiob Erstveröffentlichung: in: D. S. du Toit / C. Gerber / C. Zimmermann (Hg.), Sōtēria: Salvation in Early Christianity and Antiquity (FS C. Breytenbach), NTS 175, Leiden / Boston: Brill, 2019, 30–49.

Menschenbilder des Sirachbuchs Erstveröffentlichung: in: B. Gesche / C. Lustig / G. Rabo (Hg.), Theology and Anthropology in the Book of Sirach, SCSt 73, Atlanta: Society of Biblical Literature, 2020, 1–36.

Beobachtungen zum Abrahamporträt des Sirachbuchs (Sir 44,19–21) Erstveröffentlichung: in: R. Müller / U. Nõmmik / J. Pakkala (Hg.), Fortgeschriebenes Gotteswort (FS C. Levin), Tübingen: Mohr Siebeck, 2020, 397–413.

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Nachweis der Erstveröffentlichungen

Gelebte und reflektierte Religion in der Sapientia Salomonis Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den ich auf Englisch im Jahr 2015 in Budapest auf der Konferenz „Various Aspects of Worship in Deuterocanonical and Cognate Literatur“, veranstaltet von der International Society for the Study of Deuterocanonical and Cognate Literature, gehalten habe und der im YDCL 2016 / 2017 (Berlin / Boston: de Gruyter, 2017, 289–303) veröffentlicht wurde. Die in diesem Band gedruckte Version bietet die aktualisierte und erweiterte Fassung, die zuerst veröffentlicht wurde in: M. Meiser / M. Geiger / S. Kreu­ zer / M. Sigismund (Hg.), Die Septuaginta – Geschichte, Wirkung, Relevanz, WUNT 405, Tü­bingen: Mohr Siebeck, 2018, 90–109.

Gott und das Böse. Beobachtungen zur Theologie und Anthropologie der Sapientia Salomonis Erstmals auf Deutsch publizierte Fassung des Aufsatzes „God and Evil in the Wisdom of Solomon“, in: S. C. Jones / C. R. Yoder (Hg.), „When the Morning Stars Sang“ (FS C. L. Seow), BZAW 500, Berlin / Boston: de Gruyter, 2017, 255–271.

Psalmen Salomos 3. Vom Gotteslob der Gerechten Erstveröffentlichung in: C. Körting / R. G. Kratz (Hg.), Fromme und Frevler. Studien zu Psalmen und Weisheit (FS H. Spieckermann), Tübingen: Mohr Siebeck, 2020, 491–507.

Vom Glauben an den Allmächtigen und von der Bosheit des Menschen. Fünf Thesen aus der Perspektive des Alten Testaments Erstveröffentlichung in: A. Käfer / J. Frey / J. Herzer (Hg.), Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage. Der erste und der dritte Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik, Tübingen: Mohr Siebeck, 2020, 155–175.

Autorenregister Alonso Schökel, Luis 13 Austin, John L. 21 Brand, Myriam T. 176 Cohen, Yoram 20 Eichhorn, Johann Gottfried 10 Engel, Helmut 153 Feldmeier, Reinhard 183 Fokkelman, Jan 13 Gressmann, Hugo 11 Gunkel, Hermann 11f. Herder, Johann Gottfried 10f., 20, 32 Hunter, Richard 7 Janowski, Bernd 129 Jones, William 10 Joosten, Jan 184 Jüngel, Eberhard 177 Kaiser, Otto 103, 105f., 118 Karrer, Martin 187 König, Eduard 13

Lambert, Wilfried G. 20 Levin, Christoph 131 Lichtheim, Miriam 20 Lowth, Robert 9f., 20f. Luchsinger, Jürg 13 Luther, Martin 175 Meier, Ernst Heinrich 11 Michaelis, Johann David 10 Michel, Diethelm 59 Moulton, Richard G. 12 Oegema, Gerbern S. 192 Oshima, Takayoshi 20 Schipper, Bernd U. 16 Searle, John R. 21 Sitzler, Dorothea 20 Smend, Rudolf 136 Spieckermann, Hermann 182f. Watson, Wilfried G. E. 13 Wellhausen, Julius 145 Wette, Martin Leberecht de 20 Wischmeyer, Oda 104f., 111 Zapff, Burkhard M. 123

Namen- und Sachregister Aaron 120, 127, 137, 154–157 Abraham 3, 5, 35, 38f., 42f., 47, 131–­ 145, 157, 171f., 201f. Adam 33, 38, 40, 64, 119, 126, 157, 160, 167, 169, 171 Aelian 39 Ägypten 8, 10f., 15f., 20, 22f., 33, 81, 104, 139, 148, 155, 172–174, 198, 200, 204 Aḥiqar 11, 22, 24 Aischylos 38, 66 Alexander der Große 198, 203 Alexandria 3, 20, 67, 113, 147, 151f., 161, 163, 165, 172f. Alleinverehrung 177 Allmacht 4, 80, 197–211 Almosen 198 Altar 149–151, 157, 160 Amaltheias Keras 37 Amram 18, 39 Andromache 38 Anthropologie, anthropologisch 1, 3–5, 27, 33, 70, 79f., 83, 97, 103–130, 135, 150, 163–179, 181, 197, 207 Apokalypse des Paulus 46 Apokalyptik, apokalyptisch 15, 46, 199, 203, 205f., 209 Aratos von Soloi 23, 38, 67, 85f. Archiv 8, 11 Aretalogie 19, 160, 169 Aristeasbrief 20, 48 Aristobulos 25f. Aristoteles 49 Astronomie 15, 23, 78, 83 Auferstehung 4, 35, 42–44, 46, 88, 101f., 187, 193, 195 Auferweckung 81, 101f. Auseinandersetzungsliteratur 20, 33

Baal-Zyklus 72 Babel, Babylon 11, 171f. Barmherzigkeit 44f., 48, 52, 108, 115f., 126f., 130, 141, 176, 183, 190, 207 Baruchapokalypse, syrische 176, 207 Beispielreihe 17, 132 Bekenntnis 34f., 43, 47, 52, 63f., 70, 95, 98, 101, 118, 125, 141, 182, 186, 189–­ 191, 196, 200, 203f., 206–208, 211 Belial 176, 208 Bellerophon 171 Berenike II. 159 Beschneidung 132f., 135, 137, 143, 152f., 160, 177, 198 Beten, Gebet 4f., 13, 19, 33, 47f., 59, 83, 91, 98, 101, 122–124, 127, 130, 140f., 150–155, 160f., 164, 176f., 178, 181, 189, 191, 194, 198f., 208–210 Bibliothek 8, 11, 113, 161 Bilderverbot 42, 158f., 174 Bildung 3, 14f., 48, 105, 122, 128 Bileam-Inschrift 8, 16, 202 Bund 126f., 132, 136f., 140–143, 154, 177, 202 Buße 47, 111, 171, 184, 194 Chaos 33, 52f., 60, 72f. Christologie, christologisch 45–47, 82f., 108, 111, 116, 129f., 162, 194 Cicero 147, 153, 161, 194 Cornutus 153 Daniel, Danielbuch 25, 41, 87, 137, 188, 199 Dekalog 34, 105, 116, 158, 198 Demetrios Poliorketes 158, 160 Deukalion 171 Deuterojesaja 34, 114, 158, 173 Deuteronomismus 61, 161, 174, 179

Namen- und Sachregister Diaspora 3, 14, 133, 147, 151, 155, 161, 194, 198, 203 Diatribe 7, 17, 26 Didymos der Blinde 30 Dina 42 Diodor Siculus 111 Diogenes Laertios 153 Elephantine 8, 11 Elia 136 Engel 71f., 79, 81, 148, 169, 201 Enkomium 17, 19, 41, 125f., 132, 163 Epikureismus 198 Eschatologie, eschatologisch 4, 15, 18, 43f., 46, 62, 77, 88, 102, 111, 113f., 116, 134, 165, 170, 176, 178, 183, 186, 199, 203, 205f., 209 Esrabuch, Viertes 176, 207 Ester, Esterbuch 25, 155 Euhemerismus 158, 174 Euripides 38f., 55, 90 Eva 38, 167, 169, 171 Exodus 13, 19, 25f., 32, 150–152, 160, 175, 177 Fabel 11, 24 Fasten 191, 194, 196, 198 Feste, religiöse 78, 151f. Flavius Josephus 90 Fluch 60, 64, 72, 91, 120, 186f., 192, 196 Freiheit 4, 101, 119–121, 126, 167, 175, 178, 208f. Freundschaft 3, 109–111, 141 Frevler 57–59, 61, 64, 80, 82, 91f., 94, 96, 98f., 186, 206 fromm 39, 92, 96, 124, 141, 147f., 150, 189, 196 Frommer 83, 91, 116, 118, 122, 124f., 128f., 139, 148f., 153, 157, 161, 165f., 176, 178, 186, 190, 192–194 Frömmigkeit 3, 31, 40, 91, 94, 111, 125, 135, 141, 147–150, 153, 161, 165f., 172, 176, 178, 186, 189, 190–194, 196 Garizim 198 Gattungstypologie, gattungstypologisch 9f., 17, 25 Gehenna 43 Geist, göttlicher / heiliger 32, 36, 148, 205

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Gemeinde 45f., 72, 152, 154–156, 160 Genesis-Apokryphon 25 Geniza, Kairoer 132 gerecht 14f., 33, 44, 88, 92, 96f., 99f., 104, 107f., 147, 170, 204f., 207 Gerechter 4, 33, 35, 39, 46f., 59f., 62, 82, 88, 91, 98, 148, 154, 157, 165f., 170–172, 178, 181–196, 205, 211 Gerechtigkeit 1f., 4, 10, 14f., 20, 23, 31f., 34f., 40f., 43, 45, 60, 62, 64, 66, 70f., 87f., 94–96, 100, 106f., 112f., 125, 141, 149, 156, 160f., 164f., 169f., 172, 175f., 178, 182f., 187, 189–191, 193f., 198, 204–207, 209–211 Gericht 34, 44, 59, 61f., 73f., 80, 88, 92, 96f., 99, 107f., 114, 116, 170, 172, 174, 182, 190, 193, 196, 206 Geschichtspsalmen 19, 41, 125, 132 Gleichnis, Parabel 9, 20, 30, 49, 82 Glück 14, 23, 91 Gnadenformel 44, 115, 176, 207 Götterbild (siehe auch Kultbild, Götzenbild) 42, 158–161, 172–174 Gottesdienst (siehe auch Kult) 137, 139, 148, 151–153, 156, 159–161, 184 Gottesebenbildlichkeit (imago dei) 3f., 114–117, 130, 154, 167, 175 Gotteserkenntnis 2, 45, 118, 154, 161, 166f., 169, 175, 178, 202 Gottesfreund 110, 141, 156, 165f. Gottesfurcht 3f., 22, 43, 63, 95, 104f., 110, 117f., 122, 124, 128–130, 141, 143, 148, 172, 186 Gottesgemeinschaft 65, 94, 98, 100f., 111, 165f., 169f., 175, 177 Götzenbild 41, 159, 171, 173f. Götzenpolemik 158 Hades (siehe auch Totenreich, Unterwelt) 75, 82f., 112, 167 Haggada, haggadisch 41f., 101 Hanna 38 Hekabe 38 Hellenismus, hellenistisch 3f., 16f., 36f., 39–41, 48, 67, 81, 84, 107, 109, 123, 135, 150, 166, 173, 198, 203f. Henoch, Henochbücher 15, 40, 68, 90, 102, 132, 137, 170f., 199, 208 Herakles 171

250

Namen- und Sachregister

Hermeneutik, hermeneutisch 1f., 9, 26f., 29–49, 51, 56, 61–63, 65f., 184 Herodot 39 Herrschaft 4, 88, 115, 135, 139, 167, 176, 195, 198f., 201–204, 206f., 209f. Herrschaftsauftrag (dominium terrae) 121, 167 Herrscherkult 3, 159, 173, 204 Hesiod 72, 85 Hieronymus 46, 90, 95 Hiob, Hiobbuch 1–5, 9f., 15, 19f., 23f., 29–102, 107f., 114, 124f., 134, 137, 141, 151, 155, 169, 187, 189, 198, 200, 202–206 Hoffnung 41, 46, 52, 56f., 60, 90f., 93–­ 97, 99, 101f., 113, 130, 169, 187, 194, 208, 210 Hohepriester 40, 80, 125–127, 130, 132, 154, 157, 160, 198 Homer 10, 25, 37, 40, 68 Horaz 10 Hypostase 170 imitatio dei 108, 114–117 Isaak 35, 133, 135, 140f., 156, 166, 172 Isis 3, 19, 111, 158, 170f., 178f., 200 Islam, islamisch 1, 5, 41, 48f., 211 Jakob 18, 42, 133, 156f., 166, 171f. Jakobusbrief 44f. Jeremia 43 Jerusalem 4, 47, 148–151, 157, 160, 194, 198 Jesaja, Jesajabuch 136, 138, 175 Jesus Christus 45–47, 82, 108, 111, 116, 129f., 162 Jhwh (‫ )יהוה‬4, 22, 31, 33, 35, 65, 73, 75, 78f., 88, 126, 128, 135, 150, 161, 163, 170f., 177, 198, 200–204, 209, 211 Johannes Chrysostomos 87, 100, 111, 211 Jona, Jonabuch 24f., 43 Joseph 40, 137, 157, 171f. Josephsgeschichte 25 Josia 143 Josua 18, 81, 136 Jubiläenbuch 42, 176, 208 Judit, Juditbuch 141, 203

Kain 169, 172 Kanon, kanonisch 1–4, 8, 25f., 48, 67f., 105, 139, 142, 144, 179, 183, 197, 199, 207, 210 Kanopos-Dekret 159 Kleanthes 38, 178 Kohelet (Prediger Salomo) 3, 9, 15–17, 24, 59, 107, 112, 205 Königslehre 16 Königsideologie 16, 39, 107, 150, 198 Kommentar 15, 25f., 131 Kosmologie, kosmologisch 2, 15, 23, 35, 67–86, 97, 208 Kosmos, kosmisch 15, 19, 53, 60, 62, 68f., 70–73, 75f., 78f., 83–85, 99, 104, 117f., 121, 125–127, 150, 157f., 173, 201, 206 Kult (siehe auch Gottesdienst) 8, 79f., 101, 127, 133, 148, 156–161, 172f., 182, 191, 198f., 204 Kultbild (siehe auch Götterbild) 159f. Lebenslehren, ägyptische 11, 17 Lehre des Amenemhet 16 Lehre des Amenemope 11 Lehre des Merikare 16 Lehrerzählung 12, 24f. Lehrgespräch 11, 16, 19f., 26 Leid, Leiden 1, 4, 33, 35, 40f., 44, 47, 52–­56, 60, 65f., 71, 73, 75, 81, 83, 88, 96, 99, 124, 137, 176, 178, 187, 189, 192f., 195, 205–207, 210f. Leontopolis 198 Loblieder (Hodajot) 67, 109, 183 Logos protreptikos 13, 17, 26, 164 Lot 157, 171f. Mahnwort 23 Maimonides 30, 49, 96 Makarismus 23, 128 Makkabäer, Makkabäerbücher 163, 198, 203 Marduk 73, 77f. Masada 58, 132 Medeia 38 Messias, Messianologie 18, 183 Meteorologie, meteorologisch 23, 35, 70, 76–78, 83, 85, 125, 173

Namen- und Sachregister Monotheismus, Monotheisierung 75, 84, 157f., 171, 174, 197, 206, 209–211 Mose 18, 26, 32, 39f., 47, 69, 81f., 104, 110, 120, 125, 135, 137–139, 148, 151f., 154–156, 160, 166, 171, 201 Mysterienreligion 110, 152, 161 Nehemia 40, 132 Noah 40, 43, 87f., 132, 157, 171, 192 Noemi 38 Novelle 24, 58, 202 Offenbarung 15, 33, 69, 80, 82f., 88, 104, 201f. Omen 68 Onomastikon 23 Opfer 151–155, 161, 191 Ordnung (Schöpfungs-, Weltordnung) 14f., 20, 33, 70, 104, 204 Origenes 36, 47, 68f., 88, 96–98, 195 Orion 77f., 85 Osiris 158, 200 Papyrus Insinger 22 Parallelismus membrorum 21, 166, 185 Parodie 20 Paulus 45f., 94, 102, 129, 139, 174 Pesach 151–154, 160, 177 Pescharim 25f., 183 Peschitta 3, 32, 59, 65, 131, 142–144 Philon von Alexandria 25f., 45f., 90, 137, 150f., 164, 170, 174, 176, 178, 183, 207 Phönix 46 Phokylides 22 Pindar 10 Pinhas 126f. Platon 26, 40, 67, 84–86, 163, 165, 169f., 194 Plejaden 77f., 85 Plutarch 147, 161, 194 Polytheismus 209 Poseidonios 154, 159 Priester, Priestertum 79, 120, 135, 155f., 160, 191 Priesterschrift, priester(schrift)lich 33, 70, 74f., 88, 150, 161, 198, 201f. Prophet, prophetisch 1, 9f., 15, 25, 29, 31f., 40–42, 44, 48, 103f., 118, 132, 156f., 160, 166, 173, 199f., 206

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Proverbien (Sprüche Salomos) 9, 15f., 19, 24, 42, 107, 189 Prüfung 141, 176, 178, 186, 190, 192, 205 Psalmen 4, 9, 19, 25, 31, 38, 41, 53, 68, 86, 91, 96, 114, 124f., 132, 160, 182, 199, 203, 205 Psalmen Salomos 4, 16, 181–196, 199 Psalter 19, 107, 199 Ptolemaios II. 20 Ptolemaios III. 159 Pythagoras 26 Qumran 7, 11, 15, 25f., 32, 34, 40, 42, 67, 69, 72, 89, 109, 132, 176, 183, 199, 207f. Rebekka 38 Rechtfertigung 99, 112, 114, 149, 182f., 189f., 193–196 Retten, Rettung 2, 4, 45, 56, 73, 87–102, 106f., 109, 135, 142, 157, 161, 170–­ 173, 176–178, 186f., 190, 196, 201, 210f. Rut, Rutbuch 25 Sabbat 130, 151, 198 Sabbatopferlieder (ShirShabb) 72, 199 Salomo 16, 18, 83, 134, 136, 140f., 143, 150f., 154f., 157, 161, 164, 171, 182, 184, 192 Samuel 18, 135, 137, 166 Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos) 2–4, 15, 68, 103, 147–179, 182 Sara 38, 133 Sarapis 200 Satan 35, 41, 58, 82, 96, 101, 206 Schema Israel 33, 164, 198 Scheol 37, 53, 55f., 76, 112 Schöpfer, Schöpfergott 14, 54, 71, 73, 74, 79f., 84, 88, 97, 101, 104, 120f., 124, 169, 173–175, 178, 192f., 201, 203f., 207–209 Schöpfung 33, 46, 53, 67–86, 105, 115, 121f., 124f., 127, 137, 173–175, 187, 201, 208–211 Schule 8, 14f., 17, 40, 49, 61, 68 Seele 36, 46, 55, 82, 85, 101f., 110, 112, 124, 156, 166, 170, 196

252

Namen- und Sachregister

Segen 1, 3, 13, 18, 23, 35, 52, 57, 60, 120, 124, 126, 129f., 132f., 135f., 138, 140, 142f., 205 Seneca 161, 170, 178, 194 Sentenz 9, 20–24, 62, 68, 93, 113, 185 Septuaginta 2–4, 17, 20, 26, 29–49, 52, 54, 65, 67–102, 136–139, 142, 144, 147–­163, 167, 171, 182, 184f., 187, 189, 191, 199f., 202f. Severian von Gabala 47 Sexualethik 107, 117, 173 Simeon 40, 125–127, 132 Sirach, Sirachbuch 2–4, 9, 15f., 19, 24–­26, 40f., 44, 48, 58, 67f., 83, 85, 103–­145, 176, 182, 205 Sitidos 42, 101 Sitz im Leben 11f. Sodom und Gomorra 172 Sokrates 26, 36, 39f. Sophokles 10, 66 Sprache 1, 9, 13, 74 Spruch, Spruchdichtung 9–11, 20–24, 31, 103, 128, 182f., 189 Stoa, stoische Philosophie 3, 19, 41, 68, 83, 85, 104, 114, 118, 147, 149, 163, 165, 172, 174, 178f., 194, 198, 200, 206 Strabon 158f. Streit des Lebensmüden mit seinem Ba 33 Strukturalismus 13 Suchos 200 Sühne 130, 154, 191, 193 summary appraisal 16, 186 Sünde 52, 58, 96, 105, 114, 166f., 172, 175, 177, 183, 186f., 190–193, 196 Sünder 122, 170, 174, 185–187, 189, 192–­194, 196 Synagoge 14f. Synkrisis 17 Tell Deir ʿAlla 8, 16 Tempel 14, 71f., 79f., 104, 118, 149–152, 158, 160, 172, 191, 194, 198 Testament Hiobs 2, 41f., 46, 65, 67, 81, 90, 96, 100–102 Teufel 167, 169, 176, 208 Theodizee 20, 23, 73, 174, 176, 205 Theodor von Mopsuestia 32 Theodotion 36, 68, 76, 89

Theophanie 38, 44, 63, 69, 71, 80f., 84 Thukydides 90 Titanen 73 Tobit, Tobitbuch 25, 38, 141 Tod 18, 33, 52–56, 59, 75, 82, 90, 92, 95, 105, 107f., 110–114, 118, 121–124, 128, 130, 137, 154, 158, 165–167, 169f., 175f., 179, 183, 186f., 195, 206, 208, 211 Torah 3f., 19f., 29, 31, 34, 42f., 49, 59f., 74, 94, 104f., 108, 115–118, 122f., 127–­129, 135, 137, 144, 160, 164f., 175–­177, 191, 198, 204, 208 Totengericht 79, 114, 130 Totenreich (siehe auch Hades, Unterwelt) 36, 53f., 56, 75 Traktat 17, 19f., 24, 26, 32, 163 Tugend 18, 178 Tun-Ergehen-Zusammenhang, konnektive Gerechtigkeit 14, 20 Ugarit 11 Unsterblichkeit 46, 102, 109, 111, 165, 175 Unterwelt (siehe auch Hades, Totenreich) 54–56, 75f., 83, 112–114 Vater-Unser 203, 208 Vergänglichkeit 52, 55, 64, 113f., 123, 167, 175, 177 Vergeltung 57 Versuchung 132, 134–143, 205f. Vorsokratik 198 Vulgata 3f., 46, 65, 95, 131, 144, 202 Wettergott 77f. Wunder 36, 82, 111, 125f. Xanthippe 38 Xenophanes von Kolophon 158, 174 Xenophon 39f. Zeit 9, 15, 30f., 36, 52f., 56, 68, 70–73, 76, 78f., 97, 127, 133, 148, 151–153, 155f., 189, 193f., 208 Zelt, Zeltheiligtum 79, 149–151 Zeus 37f., 77f., 84–86, 178, 200 Zorn Gottes 52, 56, 61, 92, 99, 154, 176, 207

‫‪Begriffsregister‬‬ ‫‪Ägyptische Wörter‬‬ ‫‪šed (šd.w) 201‬‬

‫‪Akkadische Wörter‬‬ ‫‪šadu 201‬‬

‫‪Hebräische Wörter‬‬ ‫‪ 17, 20, 182‬חידה‬ ‫‪ 14, 109f., 128‬חיים‬ ‫‪ 14f., 62‬חכם‬ ‫‪ 14, 62‬חכמה‬ ‫‪ 207‬חן‬ ‫‪ 207‬חנון‬ ‫‪ 207‬חסד‬ ‫‪ 148f., 157‬חסיד‬ ‫‪ 57, 133, 135, 137‬חק‬ ‫‪ 165, 207‬טוב‬ ‫‪ 14f., 17, 62, 76‬ידע‬ ‫‪ 15‬יכח‬ ‫‪ 15‬יסר‬ ‫‪ 121‬יצב‬ ‫‪ 176, 207‬יצר‬ ‫‪ 62‬ירא‬ ‫‪ 22‬יראה‬ ‫‪ 89‬ישע‬ ‫‪ 134, 210‬כבוד‬ ‫‪ 23, 196‬כי‬ ‫‪ 15‬כסיל‬

‫‪ 30, 56, 132‬אב‬ ‫‪ 55‬אבל‬ ‫‪ 33, 119‬אדם‬ ‫‪ 15‬אויל‬ ‫‪ 43‬אור‬ ‫‪ 33‬אחד‬ ‫‪ 31, 201f.‬אל‬ ‫‪ 31, 88, 202‬אלהים‬ ‫‪ 31, 59, 202‬אלוה‬ ‫‪ 190‬אמונה‬ ‫‪ 190‬אמת‬ ‫‪ 53f.‬אפל‬ ‫‪ 23‬אשרי‬ ‫‪ 14f., 17, 31, 36, 62‬בין‬ ‫‪ 14, 16, 62‬בינה‬ ‫‪ 89‬ברח‬ ‫‪ 133, 135, 137‬ברית‬ ‫‪ 35, 133‬ברך‬ ‫‪ 55, 135‬בשר‬ ‫‪ 42, 61f.‬דין‬ ‫‪ 14‬דעת‬ ‫‪ 58f., 61‬הבל‬

254

Begriffsregister ‫ פשע‬58, 191 ‫ צבא‬201 ‫ צבאות‬200f. ‫ צדיק‬88, 178 ‫ צדקה‬14 ‫ צרור‬109

‫ לב‬57, 62, 188 ‫ למד‬15 ‫ מוכיח‬35 ‫ מום‬133f., 136 ‫ מוסר‬17 ‫ מזמור‬182 ‫ מזרות‬77f. ‫ מלט‬89 ‫ מליץ‬35 ‫ מליצה‬182 ‫ מנוס‬89 ‫ מעל‬58, 191 ‫ מצוה‬133 ‫ משל‬9f., 20, 49, 182

‫ קדוש‬148 ‫ קינה‬9

‫ נבואה‬9 ‫ נביא‬40, 157 ‫ נבל‬42, 110 ‫ נכונה‬33, 58, 206 ‫ נפש‬36, 54, 110, 135, 188, 191 ‫ סדר‬53f. ‫ ספר‬109 ‫ עון‬61, 191 ‫ עוץ‬30 ‫ עליון‬134 ‫ עצה‬60, 70

‫ ראה‬17, 62 ‫ רגז‬51–53 ‫ רז‬208 ‫ רחום‬115, 207 ‫ רחמים‬207 ‫ רשע‬73, 189 ‫ שיחה‬17 ‫ שכל‬15 ‫ שריד‬89 ‫ שאול‬36, 55 ‫ שד‬201 ‫ שדד‬201 ‫ שדי‬31, 37, 61, 88, 200–202 ‫ שיר‬9, 182 ‫ שלו‬89 ‫ תפלה‬59f.

‫ פדה‬89 ‫ פן‬23

Griechische Wörter ἄβυσσος 75, 77 ἀγαθός 147, 151, 165, 207 ἀγαθότης 165 ἀγαπᾶν 108, 164 ἄγγελος 99 ἅγιος 148–150, 165 ἄγνοια 191 ᾅδης 36 ἀδικία 94, 169, 191 ἀθανασία 111, 165 αἴνιγμα 17 αἰσθάνεσθαι 31 αἴσθησις 14

ἀκακία 96 ἄκακος 98 ἀλήθεια 184, 190 ἀληθές 100, 206 ἁμαρτία 166, 172, 190, 192 ἁμαρτωλός 122, 186, 189, 192 ἄμεμπτος 88, 155 ἀναλαμβάνεσθαι 101 ἀνιστάναι 187f. ἄνοια 178 ἀνομία 94, 177 ἄνομος 94 ἀπόφθηγμα 22

Begriffsregister ἀρχή 149f., 158f., 163, 173f. ἀσεβής 15, 73f., 95f., 169, 172 ἀταραξία 172 ἄφρων 15, 92f., 166 βασιλεύς 39 βουλή 30, 149, 177 γινώσκειν 14 γνώμη 22 γνῶσις 83, 176 γραμματεύς 38, 122 γρηγόρησις 184, 188f. διάβολος 100, 163, 166f., 169f., 206 διαβούλιον 176, 207 διαθήκη 18, 137 δίκαιος 39, 88, 94, 96, 99, 147, 171, 178, 181f., 184, 186, 189f., 192, 194 δικαιοσύνη 14, 94, 149, 161, 164 δικαιοῦν 190 δικαίωσις 189, 191 δόλος 94, 166, 170 δόξα 136, 151, 210 δύναμις 174 δυνάστης 94 εἰδέναι 14, 76 εἴδωλον 159, 173 εἴκων 173 εἰρήνη 93 ἐκλείπειν 187, 192 ἐλεήμων 115f., 207 ἔλεος 116, 127, 176, 207 ἐλπίς 45, 90, 93, 101f. ἐντολή 177 ἐξιλασμός 154 ἐπίσκοπος 97 ἐπιστήμη 14, 62, 153 ἑρμηνεία 182 ἑρμενεύειν 48 ἕσπερος 78 εὐδοκία 184, 189 εὐθύτης 149 εὐσέβεια 148, 161, 172 εὐσεβής 122, 147, 156, 189 εὐχαριστία 155 ἑωσφόρος 37, 72

255

ζωή 14, 93, 110, 158f., 186f., 192 θειότης 153 θεοσέβεια 22, 95, 148 θεραπεία 148 θέσμος 148 θρησκεία 148, 159 θυμός 172 καρδία 164f., 182, 185, 188 κύβος 71 κύριος 22, 37, 88, 129, 164, 187, 189f., 200, 202 λαλητός 74 λειτουργία 148, 154 λέξις 38 μακάριος 23 μετάνοια 171 μίμημα 149f. μισοξενία 173 μονόκερως 37 ναός 149f. νοεῖν 14 νόμος 94, 133, 137, 149, 151–153, 160, 164, 176f. οἰκτίρμων 116, 207 ὁράτης 97 ὀργή 52, 172, 176 ὅσιος 148f., 153, 189, 192, 194 ὁσιότης 149, 153, 156, 189 παγκρατής 37, 200 παιδεία 17, 48, 177 παντοκράτωρ 4, 37, 88, 164, 200–203 παραβολή 182 παράπτωμα 171, 191 παροιμία 182 πειράζειν 137, 139, 141 πειρασμός 137 πιστός 138f., 149 πλάσσειν 73f. πνεῦμα 165, 188 ποικιλτικός 79 πόλις 150f. πονηρός 163

256

Begriffsregister

πόνος 163, 170 πρόβλημα 17 πρόνοια 84 σειρήν 37 σοφία 1, 14, 19, 62, 71, 78, 83, 149, 156, 161f., 165, 169–174, 176–178, 188, 208 σοφός 14 σπλάγχνον 172 συνείδησις 175 σύνεσις 14, 71, 188 συντελεῖν 44 σῴζειν 2, 87–102, 171 σῶμα 166 σώτειρα 171 σωτήρ 187 σωτηρία 2, 87–102 σωφροσύνη 172f. τάξις 73 τέλειος 149 τελετή 148, 161

υἱός 107, 149, 164 ὕμνος καινός 186 ὑποθήκη 22 ὑπομένειν 44 ὑπομονή 44 ὕφασμα 79 ὕψιστος 107, 137 φάρμακον 110f. φιλάγαθος 170 φιλός 138, 156, 165 φιλοψυχός 162, 166 φόβος 22, 129 φρόνησις 14 χάρις 207 χρηστός 165, 170, 207 χρηστότης 207 ψαλμός 182 ψυχή 36, 137, 164, 166, 186, 188, 191 ᾠδή 182

Lateinische Wörter benedictio 155 cultus deorum 148 exaltare 141 foedus 202 honor 114 inmortalitas 111 iustitia 113, 153, 161 iustus 75 lex 153 liberare 127, 142 miseratio 116 miserere 108 misericordia 116, 141

misericors 108 obaudire 108 omnipotens 4, 200, 202 pactum 202 peccator 122 pietas 148 religio 148, 161 sacrificium 148 salvator 95 templum 150 temptatio 141 testamentum 18, 140f., 154

Syrische Wörter ‫ ܕܚܠ‬143 ‫ ܟܢܘܫܬܐ‬144 ‫ ܢܡܘܣܐ‬144

‫ ܣܟܐ‬116 ‫ ܩܝܡܐ‬143 ‫ ܪܥܝܐ‬116

Stellenregister Altes Testament Genesis 1 33, 75, 120f., 201 1,2–3 54 1,9–10 72 1,14–19 78, 125 1,26 121 1,26–27 167, 210 1,26–30 97 1,27 117 1–2 68, 121 1–3 114, 167 1–4 167 2,1 201 2,4b 70 2,7 74, 119 2,19 74 2,22–24 117 2–3 119, 171 3 38, 167f., 208 3,1–13 190 3,9 61 3,17–19 64 3,19 169 3–4 167, 209 4,4–9 190 5,22–24 170 6,1–4 169 6,5 207 6,6 211 7,2–3 80 7,8 80 8,20 80 8,21 207 9 114 10–11 120 11,1–9 171 11,1–12,3 171

12,1–3 171 12,3 134, 138f. 12–13 120 13,16 139 14,18–22 80 15,3 140 15,5 139 15,6 35, 135, 141 15,18 135, 139 16 38 17 134, 140 17,1 88, 141, 172, 201f. 17,2 139 17,2–9 202 17,5 202 17,6 139, 202 17,10–11 137 17,11 135 18,14 210 18,18 138 18,19 133, 141 18,22–33 43 18,27 43, 47, 64 19,23–25 172 21 38 21,12 140 22 43 22,1–2 135 22,1–15 171 22,2 172 22,12 141, 143 22,17 139 22,18 138 26,3–5 134 26,4 138f. 26,24 133 34 42

258

Stellenregister

36 39 39,7–10 172 49 18 49,8–12 18 Exodus 3,14 161 3,14–15 209 4,22 107 6,2–3 88, 201 6,16–20 39 12,24 135 12,43–50 LXX 152 20,2 187 20,2–6 177 20,2–17 198 20,12 187 22,21–26 59 24,12 34 24,16 69 28 157 28,8 79 28,17 79 28,36 157 31,1–5 14 32,13 134, 139 33,11 110, 156, 166 35,35 14 34,6 44, 176 34,6–7 44, 115, 176, 207 35,25–26 79 36,17 (39,10) 79 36,29 (39,21) 79 37,21 (23) 79 Levitikus 4–5 191 Numeri 11,29 156 12,7 135, 139 17,6–15 154 21,4–9 177 24,17 139 25,13 127 Deuteronomium 4

4, 34

4,5–6 19 4,15–16 174 4,15–19 159 5,6 187 5,6–10 177 5,6–21 198 5,16 187 6,4 33 6,4–5 164, 198 6,6 128 10,17–18 59 10,18 108 12,31 161 18,9–14 161 18,15 156 24,17 108 28 34 28,18 64 28,38–42 64 29,22 172 30 34, 208 30,10–20 34 30,15–20 120, 175 30,16 175 30,17–18 175 32,6 56, 211 33 18 34,10 156 Josua 23

18

Richter 8,2 22 8,21 22 1. Samuel 4,4 201 12 18 25,29 109 2. Samuel 5,10 201 6,2 201 7,12–13 150 7,14 107 12,13–25 184 22,26 149

259

Stellenregister 1. Könige 3,9 182 5,9–14 16 5,19 150 8,19 150 8,22–30 LXX 140 8,46 178, 182 9,4 149 10,1–7 16 12 18 19,10 201 20,11 22 2. Könige 19,15 201 22,8 8 1. Chronik 28–29 18 28,6 (7) 150 2. Chronik 2,3–4 20,7

150 156, 166

Esra 3,10–11 72 Nehemia 8,1–2 8 9 19 9,6 201 9,8 135 9,17 44, 176, 207 9,33 190 Tobit 2 38 4 18 4,13 24 13,2 206 14 18 Judit 8,10 (11)–27 (26) 141 8,22 141 8,22–24 205 16,5 210

Ester 10,9Vg

142, 208

1. Makkabäer 2,49–70 18 2,51–60 47 2,52 137 3,48 160 2. Makkabäer 1,25 210 2,13–15 9 4,26 127 4,34 127 7,9 165, 186 7,14 206 9,8 72 Hiob 1,1 30, 39, 46, 63, 79, 88, 92 1,3 31 1,6 72 1,6–12 31, 43, 206 1,8 33 1,19 92, 101 1,20–21 187 1,21 24, 31, 45, 65, 98 1,21–22 44 1,22 59, 92, 94 2,1 72 2,1–7 31, 37, 43f., 89, 101f., 206 2,9 LXX 88–91, 101f. 2,9Tg 42 2,9–10 44 2,10 42, 92, 187 2,11LXX 39 3 33, 57, 91 3,1 187, 192 3,1–9 71 3,3 192 3,4–6 54 3,26 51f. 4,12–21 15 5,3–5 91 5,4 91f. 5,12–13 87 5,13 45

260

Stellenregister

5,17 45, 115, 176, 187 5,18–26 45 5,24–26 94 6,22–23 93 7,12 72 7,21 52–54, 56, 65, 94 8,3–4 205 9,24 73 10,21–22 53–54, 56 11,5–9 32 11,20 91–94 12,9 31, 202 13,15–16 94f. 13,23 205 14,1 33 14,1–2 52 14,4–5 45f. 14,12 43, 46, 88f. 14,13 52 14,13–22 56 14,22 54f. 17,13 56, 75 17,13–16 56 17,16 55f. 18,19–20 92 18,21 16 19,23–24 36 19,25–27 42 19,26 44, 46, 55, 101 19,27 57, 65 19,28–29 43, 46, 88 19,29 61f. 20,29 185 21,34 58, 61f., 65 22,14 69, 75 23,3–5 31 23,8–9 31 23,10–12 31 23,13 33 24,12 59f., 66 26,14 62f., 124 27,6–8 95 27,13 185 28 45, 63, 76, 178 28,28 18, 31, 63, 95, 125 29 95 29,18–20 43, 46, 88 29–31 63, 95, 107 30,15 95f.

30,19 43 31 34, 63, 95, 97 31,7 134 31,8 63 31,15 33 31,33 33 31,35–36 34 31,35–37 63, 96 31,37 60, 66 31,40 63–65 32–37 19, 35, 62, 64, 96 32,2 35, 88, 96 32,8 15, 36 32,18 36 33,9–12 205 33,26–30 184 33,28 98 34,36 92 35,5 69 35,7–14 97f. 35,14 97–99 36,12 98f. 37,21–22 69 37,23–24 125 37,24 62 38 44, 67–86 38,1 31, 38, 202 38,4 45 38,14 LXX 73f., 79f., 84 38,17 54, 82 38,31–33 125 38,41–39,30 79 38–39 23, 33, 38, 54, 62, 124 38–41 38, 46, 98 40,1 31, 202 40,1–2 98 40,3 31, 202 40,3–5 187 40,5 64 40,6 31, 202 40,6–14 99f. 40,8 99f. 40,15–41,26 23 41,3 45, 87 42,1 31, 202 42,1–6 98, 100, 187 42,5 64, 83, 100, 125 42,6 43, 47, 51, 64–66, 100

Stellenregister 42,7 100 42,7–12 31 42,8 62, 64 42,12 35, 92 42,17 LXX 4, 39, 42–44, 46, 79, 88, 101, 187, 206 Psalmen 1 19, 128, 183, 186 1,1 23 1,1–2 128 1,5–6 LXX 187 2 204 2,7 107 7,1 8 8 33, 68, 75, 104, 144 8,5–6 210 8,7 121 18,26 149 19 19 23,1–2 LXX 71 23,4 LXX 94 24 79 25,5 190 26,2 57 29,3–9 77 30,13 193 30,16 LXX 76 31,2 LXX 94 35,13 191 36 79 37 186, 199 49 19, 112, 199, 206 49,15–16 165 51 205 51,1–6 184, 194 51,5 190 51,6 193 51,16 193 51,19 191 57,4 190 57,8–10 188 72 204, 210 72,1 182 72,8 134 72,24 LXX 118 73 19, 199, 206 73,26 57 78 19

78,38 115 82 107 90,2 76 90,10 76 93 79 94,12 115, 176, 205 103,8 115 103,13 108 104 68, 75, 124 104,19 125 104,33 186 105 19 105,9 134 106 19 107 34 116,5 115 119 19 119,105 43 121,1 185 127,1–2 182 139 31, 34 139,8 56 143,1–2 208 144 104, 144 145,9 211 147 68, 124 148 68, 124 148,6 72 Sprüche 1,1 8, 16 1,6 17 1,8 16 1,19 16 1,20–33 18 1,32–33 18 2,1 16 3,11–12 182, 184, 189, 194 3,13 23 3,19 LXX 71 5,3–6 17 6,4 182, 195 6,23 14, 43, 129 7,6–23 17 8 18 8,22–36 18 9,1–18 18 9,6 18 9,16 18

261

262 10 91 10,18 21 10,26 21 10,27 22 10–11 186 11,19 14 11,30 22 12,5 LXX 94 12,28 14 14,27 21, 128 14,34 21 17,1 23 19,23 128 20,9 178, 182 21,21 14, 22 22,17–19 23 22,17–24,22 11 22,22–23 23 23,29–30 17 25,1 16 26,27 22 30,4 17 30,5–7 19 30,18–19 23 30,24–28 23 30,24 23 30,33 21 Prediger 1,1 8, 16 1,2 59 1,4–11 17 1,11 76 1,16–17 76 2,14 22 2,16 76 2,19 17 3 209 4,6 23 7,1 23 7,8 23 7,9 23 7,16–17 23 7,11 22 7,20 178, 182 9 209 9,18 23 10,17 23 11,1–2 23

Stellenregister 11,4 22 12,9–11 16 Sapientia Salomonis 1,1 152, 164, 175 1,1–5 164–166 1,1–6,21 24 1,4 165f. 2,21–24 166–170 2,22 149 2,24 208 3,1 153, 165, 206 3,1–12 205 3,6 154 3,7 182 3,9 148, 153 3,8 211 4,7 165, 170, 182 4,10–11 170–173 5,14–15 193 5,15 153, 165, 182 6,1 152 6,10 148f. 6,22–11,1 19, 24 7,15–22a 83f. 7,17 71.83 7,22a 83 7,26 165 7,27 110, 156, 165f. 8,7 161 9,3 149, 161 9,7–8 149–151 9,8 157 10 19, 47, 173 10,1 171 10,1–14 157 10,3–4 169 10,16 157 10,1–11,1 160 11,1 156f., 160 11,15 161 11,23 171, 211 11,26 74, 162, 166 11–19 13, 19, 152f. 12,3–11 161 12,10 171 12,13–14 173f. 12,19 171 13–15 158, 170

Stellenregister 14,12–13 173f. 14,12–14 159 14,23 161 14,27 159, 161, 175 14,27–31 173f. 14,28 161 16,5–13 177 16,6–7 177 16,7 171 16,8Vg 142, 208 16,28 155 17,11 175 18,4 160, 176 18,9 151–154, 177 18,20–25 154, 160 19,22 114, 151, 161, 179, 203 Sirach 2,1 137, 139, 141, 143 2,1–18 137, 141, 143, 205 2,11 44, 176, 207 4,10 106–108, 110–116 5,6 52 6,15 128 6,15–16 109–111, 118 6,16 138 6,27 129 6,37 128 7,27 187 10,9 64 10,22 22 14,15–19 112–114 14,19 118, 123f. 14,20 23 15 120 15,11–17 120 15,11–20 208 15,14 176, 208 15,20 115 16,11 52 16,24–18,14 105, 114 17,7Syr 127 17,11 114f., 128, 208 17,14 116 18,1 115 18,3 211 18,8 104 18,8–10 76

263

18,13–14 108, 114–117 23,1 130 23,1–6 19 23,4 130 23,14 192 23,27 117f. 24 19, 117, 125, 147, 170, 178 24,1 118 24,10–11 150 24,23 19, 127, 177 25,11–12 129 32,24–33,1 135 33 (36),7–15 105, 118–122 33 (36),8–9 135 33 (36),10 119 33 (36),13 120 36 (33),1 115, 142 36,1–22 (33,1–13a; 36,16b–22) 19 38,24 123 38,24–39,11 122 39,11 122–124 40,1–41,13 105 40,26 129 40,26–27 128 41,17 58 42,15–43,33 35, 68, 83, 105, 124f. 43,32–33 124f. 43,33 71, 118, 125, 129 44–49 7, 19, 25f., 40, 47, 123, 125, 127, 131f. 44,19–21 3, 131–145 45,5 115, 125, 128, 137, 208 45,6–22 127 45,15 133 45,17 137 45,23–25 127 46,1 136 46,13 166 46,14 137 46,15 135 47,8–9 9 47,14 143 47,14–17 9 47,20 134, 136, 141, 143 48,4 136 48,22 136, 138 49,2 143

264

Stellenregister

49,8–10 40f. 49,9 134 49,14 137 49,16 119, 126 50 40, 123, 125, 127, 131, 147 50,6 126 50,19 115 50,20 126, 133 50,22–24 125–127 50,28–29 128f. 51,1 171 51,1–12 129f. 51,12a–o 19, 129 51,13–30 19, 129f. 52Vg 140 52,3Vg 141 Jesaja 2,5 129 13,6 201 25,8 75 26,19 75, 187 30,1 187 30,18 23 37,16 201 38,10 75 43,6 107 44,7 LXX 167 45,7 206 45,9–10 187 45,11 107 49,15 107f., 115 51,2 132 52,13–53,12 166 54,6 211 54,10 115 54,16 LXX 167 56,3–5 149 59,21 156 64,7 121 66,13 108 Jeremia 10 158, 173 18,6 121 20,14 192 23,13 59

32,17 210 31,33 205 36 8 Klagelieder 1,1LXX 8f. 1,18 205 3,22–23 208 3,38 206 3,39–40 205 Baruch 3–4 178 4,1 177 Ezechiel 14 41, 87 14,14 87 18 41, 209 18,23–32 59, 74, 166 29,6 118 32,15 118 36,26 205 37,7–10 206 Daniel 1,4 15 1–6 25 1,19 LXX 137 5,11 188 5,14 188 9,7–16 205 12 206 12,1 77 12,1–3 165, 187 12,2 186 12,3 139 Hosea 8,4 159 11,1 107 12,14 156 13,2 159 Joel 1,15 201 2,13 44, 176, 207 3,1 156

265

Stellenregister Amos 4,13 201 Jona 4,10–11 74

Habakuk 2,14 118 3,2 52 Sacharja 9,10 134

Neues Testament Matthäus 6,10 203 6,13 Vg 142 6,23 208 16,26 124 24,15 41 24,42 195 25,13 195 26,36–46 195 Lukas 1,52 142 6,35 108 6,36 116 Johannes 8,44 169 10,11 116f. 10,14 116f. 12,46 129 15,13–17 111 Römer 3,4 194 4,1 144 4,16–17 144 8,28 95 9–11 46 11,35 45f., 87 12,1 161 14,10 114 1. Korinther 3 3,19

46, 48 45, 87

2. Korinther 5,10 114

Galater 3,7–9 144 3,8 139 3,9 138 Epheser 5,21 129 Philipper 1,18–25 95 1,19 45, 87, 94 2,8 108 2,12 108 4,13 129 1. Thessalonicher 2,8 5,8

111 45, 90, 102

Hebräer 2,18–3,6 139 8,2–5 150 11 47 11,17 139 12,5 194 Jakobus 1,12 44, 141 4,10 142 5,7–8 45 5,9 44 5,10–11 44 11 47 11,17 139 1. Petrus 5,6

142

266

Stellenregister

2. Petrus 2,9

142

Apokalypse des Johannes 1,18 82

Frühjüdische Texte außerhalb der Hebräischen Bibel und der Septuaginta Aristeasbrief 131–133 174 140 174 260 1 1. Henoch 6–11 176, 206, 208 17–36 15, 68 49,4 210 72–82 68 84,2–3 210 98,10 193 102,4–103,3 165 Jubiläen 1,4 82 6,18–19 137 11–12 42 12,1–14 171 17,15–18 206 19,8 137 22,10–23,8 18 36,1–18 18 3. Makkabäer 2,2 6,2

210 210

4. Makkabäer 8,26 172 Philon von Alexandria Abr. 5–6 137 LA III, 83 136 mut. 48,4 45f. opif. 21 170 Psalmen Salomos 3 3,4 6,1

4, 181–196 115 23

14 183 16,1 188 Pseudo-Philon, LAB 20,2 81 Qumran 1/4QMysteries 15 1QHa IV,26 205 1QHa V,20–24 208 1QHa VIII,1–15 205 1QHa X,22–23 109f. 1QHa XI,22 121 1QHa XII,29–33 208 1QHa XVIII,5 (7) 64 1QS XI,3 65, 125 1QS XI,6 65, 125 1QS XI,19–22 208 4QInstruction 15, 151 4Q101 101 4Q184 17 4Q225 frgm. 2 II,8 135 4Q385 187, 206 4Q416 frgm. 2 I,5 208 4Q525 23, 128, 151, 178 4Q542 18 4Q543–548 18 11QPsa XVIII,8–11 194 11QPsa XIX,1–8 194 11QPsa XXII,5–6 157 11QPsa XXVII,2–11 9 11QTgHi 34, 89 Sibyllinische Orakel 3,584–600 173 Testament Abrahams 1,5 (A) 139 4,6 (A) 137 4,11 (A) 139

267

Stellenregister 13,9 (B) 15,15 (A)

137 43, 134, 137

Testament Hiobs 1,1 65 1,5 44 2,1–3 101 2–5 41 3,5 101 4,9 101, 187 24,1 101f. 26,5 101 27,5–7 172 27,7 101 39,12–13 101 40,1–3 102 41,5 82, 96 42,1 81 42,2 82, 96 43,1 96 43,5 82

43,5–6 82 43,17 82 47,5 81 47,9 82 47,11 81 52,1 82 52,6–10 82 Testament Josephs 2,7 137 6,7 173 10,3 173 Testament Judas 24,1 139 Vita Adae et Evae 4–6 171 11–12 167 12,1 169 32 171

Frühchristliche Texte außerhalb des Neuen Testaments 1. Clemens 3,4 169 4,7 169 17,3–4 47 18 194 26,1–3 46, 101

2. Clemens 1,7

102

Ignatius Eph 20,2

111

Rabbinische Texte mAv V,3 mSota V,5 bBB 14b

137 134 32

bBB 15a–b bBB 15b–16a

32, 49, 134 43

Texte aus der klassischen Antike Aischylos Prom. 1093

66

phain. 733–1154 phain. 768–770

85 86

Aratos phain. 415–732

85

Euripides Bakchen 1120–1143 161

268

Stellenregister

Philemon Comic. frgm. 181,1

91

Platon Euthyphr. 11e Euthyphr. 14c Gorg. 507c leg. 661b leg. 663b–d leg. 716b leg. 716d–e Phil. 39e rep. 496d–e Tim. Tim. 28c–29a

194 153 194 194 194 153 161 147 194 67, 84–86, 169 84

Tim. 29d Tim. 29e Tim. 29e–30c Tim. 41e–47e Tim. 48d

85 169 84 85 85

Plutarch Is. 77

158

Seneca De providentia 6

178f.

Xenophon an. II, 26,6

148

Koran Sure 21,83–84

48