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German Pages 334 [280] Year 2007
Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte Band 130
Martin Götz
Über Sicherheit und Sprache angesichts »Untreue der Weisheit.« und »Die Asyle.« von Friedrich Hölderlin
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2007
Gedruckt mit Unterstützung des Dissertationenfonds der Universität Basel sowie des Max Geldner-Fonds, Basel
Allen, die es möglich oder nötig gemacht
haben
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnh.d-nh.de abrufbar. ISBN 978-3-484-32130-4
ISSN 0083-4564
© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http ://w\v\v. η iem eyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Satzbüro Heimburger, Mössingen Druck: Laupp & Göbel, Nehren Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
1
1.1
Dissertation und T h e m a
1
1.2
Methode
3
Abbildungen Die Faksimile der Manuskripte 413 u n d 423 Friedrich Hölderlins aus der F H A sowie deren »Lineare Textdarstellung«, nebst der hypothetischen Textkonstitution der vorliegenden Studie
11
2
Textkritik
31
Untreue der Weisheit.
43
3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1
43 43 50 54 54
3
Textstruktur Struktur Wortlaut Interpretation Der Titel
3.2.2 Das Vorwort
4
5
6
63
3.2.3 Kapitel 1: Von der Wahrheit. 3.2.4 Kapitel 2: Von der Ruhe.
97 114
3.2.5 Kapitel 3: Vom Delphin 3.2.6 Kapitel 4: Das Höchste
128 141
3.2.7 Kapitel 5: Das Alter. 3.2.8 Kapitel 6: Das Unendliche
163 173
3.2.9 Fazit
198
Zwischenfallstudie Z u Piatons Kriton
201
Die Asyle
223
5.1 Interpretation 5.1.1 Der Titel 5.1.2 Das Vorwort
223 223 225
5.1.3 Kapitel 1: Das Belebende
238
Uber Sicherheit und Sprache
249 V
Literatur
267
Α Β C D Ε
267 267 268 269 273
Verwendete Hölderlin-Ausgaben Literatur zu den Blättern 413 und 423 Literatur zu Piatons Kriton Sonstige Literatur Internet-Quellen
VI
1
Einleitung
1.1 Dissertation und T h e m a Nachdem Sie auf dem Einband bereits gelesen haben, wer das Buch geschrieben hat und wie sein Titel lautet, soll nun, nach dem Skelett der Stichwörter im Inhaltsverzeichnis, die Einleitung mitteilen, wovon im Folgenden die Rede sein wird. Als Dissertation hat der vorliegende Text zu wissen, was er sagen will; er braucht »ein Thema«, das vorab zwischen »Kandidat« und »Betreu(er) [...] vereinbart« wurde, zu dem er mit »neuen Erkenntnissen« aufwartet und »Gedanken klar entwickeln und sie sprachlich korrekt«1 darzulegen weiß. Daß aber das alles auch möglich ist, etwa daß ein Text verläßlich und zutreffend über sich selbst Auskunft zu geben vermag und also insofern ein Thema haben kann, daß dieses Thema von einem Autor wie ein Ziel in der Landschaft auszumachen, anzuvisieren und zu erreichen sei, daß Texte Gedanken transportieren und, vor allem vielleicht, daß Texte klar sein können, gilt dabei als selbstverständlich. Es muß ja auch gelten, schließlich betreffen diese Voraussetzungen das für jegliche Wissenschaft grundlegende Handwerkszeug, die Sprache, ohne das neue Erkenntnisse weder gewonnen werden noch mitzuteilen sind. Allen anderen Wissenschaften dürften diese Bedingungen denn auch keine Schwierigkeiten bereiten und in vielen Fällen auch der Philosophie nicht. Falls sie jedoch unter dem Namen »Sprachphilosophie« sich explizit mit Fragen zum Wesen der Sprache beschäftigen will, gerät die entstehende Schrift in eine merkwürdige Spaltung, eine Art Textschizophrenie, denn sie muß einerseits für die Mitteilung ihrer Erkenntnisse eine Sprache verwenden und damit implizit eine Auffassung von Sprache bekräftigen und in actu vortragen, die sie zugleich explizit thematisieren, und das heißt: problematisieren, in Frage stellen und womöglich widerlegen will. Das Problem scheint wesentlich eines unserer Zeit und ihrer philosophischen scientific community zu sein, denn erst heute nach dem linguistic turn dürfte das tiefe Bewußtsein davon, wie fragwürdig und im Grunde unverstanden jener Zusammenhang uns erscheint, in den vollen Kontrast zu einer globalen, öffentlichen Diskursgemeinschaft getreten sein, die bei allen Zwistigkeiten in den Sachfragen zu einer erstaunlichen Einmütigkeit in Bezug auf die verwendeten Textgattungen
1
»Ordnung der Philosophisch-Historischen Fakultät fur die Promotion zum Doktor der Philosophie« der Universität Basel vom 19. Mai 1988; § 5. I
gefunden hat, wobei die Auswahl i m Vergleich zum tradierten Kanon des Fachs 2 geradezu armselig klein ausfällt. Denn i m Grunde wird, abgesehen vom Lehrbuch oder dem Lexikon, nur eine einzige Sorte Text verfaßt, nämlich der mehr oder weniger lange u n d stärker oder weniger stark gegliederte Aufsatz, für den prototypisch die Dissertation steht. Es scheint, daß sich damit trotz des enorm gewachsenen Problembewußtseins i m Hinblick auf das Phänomen Sprache zugleich ein drastisch verengter und uniformisierter Sprachbegriff abzeichnet, der implizit sich in dem manifestiert, welche Art zu sprechen allgemein als intuitiv verständlich und klar angesehen wird. Damit mag der nicht minder erstaunliche Befund sich verknüpfen, daß es ungeachtet seiner geradezu essentiellen Bedeutung insbesondere in Kontexten der Analytischen Philosophie so gut wie keine Forschung zum Begriff der (sprachlichen) Klarheit gibt, 3 außerhalb der weitgehend >innercartesianischen< und insofern mentalistischen Diskussion u m die Formel des »klar und deutlich«. 4 Was aber ist n u n T h e m a der vorliegenden Arbeit? Das T h e m a ist als problematisches zu exponieren, pure Selbstverständlichkeiten sind nicht von Interesse oder werden es erst, wenn ihre vermeintliche Selbstverständlichkeit untergraben werden konnte. Es soll u m einen Bereich des Wirklichen gehen, dessen wir uns nicht sicher sind, und es soll ein Text entstehen, der in diesem Bereich Sicherheit herstellt oder zumindest vergrößert, indem zunächst er selbst eine gesicherte Struktur und klare Bedeutung aufweist. W e n n ich n u n aber zum T h e m a der vorliegenden Dissertation erheben will, inwiefern überhaupt sie verläßlich etwas sagen und also selbst wissen kann, was sie sagt, m u ß eben dies zunächst fragwürdig und also unsicher sein. Denn entweder wir rekurrieren auf die verwendete Sprache, die mir unmittelbar verständlich erscheint und vielleicht auch von vielen Lesenden u n d an den meisten Stellen intuitiv verstanden werden mag, dann aber entgleitet der Gegenstand, denn er sollte ja eben gerade nicht intuitiv verständlich sein. W e n d e n wir uns umgekehrt der thematisierten, problematischen Sprache zu, können wir eo ipso nicht vorab schon annehmen zu wissen, worauf wir aus sind. Folglich kann der vorliegende Text nicht sicher sagen, was sein T h e m a ist; es soll ja gerade nicht sicher sein, ob mit Wörtern wie Sicherheit, Verläßlichkeit etc. sicher u n d verläßlich etwas zu benennen ist. Gleichwohl m u ß der Text geschrieben werden, und er will etwas Bestimmtes sagen u n d nicht irgendetwas. Unter den Bedingungen objektiver Wissenschaft, also einer Diskursgemeinschaft, die eine gemeinsame Sprache spricht, u m so die Forschungsergebnisse ihrer Mitglieder nachvollziehen zu können, was
Vgl. Gabriel, Schildknecht 1990, darin insb. Gabriel 1990. * »Analytic philosophers also seem to think of themselves as somehow more self-conscious about their standards than those they exclude from their ranks. For that reason, it is striking that the corpus of analytic philosophy includes no settled articulate analysis of clarity, nor even much in the way of rivals for that office.« Hart 1990, 197. 4 Vgl. Stichwort »Idar und deutlich« im Historischen Wörterbuch der Philosophie (Gründer, Ritter [Hg.] 1971ff., Bd. 4, Spalte 846f£). Ein Stichwort »Klarheit« fehlt. 2
2
Grundbedingung der geforderten Objektivität ist, kurz: wenn der vorliegende Text Dissertation sein will, ist dem Dilemma nicht zu entkommen. Die implizite Sprachauffassung, d.h. konkret: seine Gattung und Form ist ihm vorgegeben. Der Text ist fremdbestimmt, die Kontrolle über sich selbst steht ihm nicht zu, er soll aber alle seine Elemente unter eine möglichst vollständige Kontrolle bringen, also in der Weise klar und geordnet sein, die üblicherweise dafür gehalten wird. Für die Dissertation ergibt sich aus dieser Situation nur die Möglichkeit, sich gezielt auf den grundlegenden performativen Widerspruch einzulassen, der den Text in seinem Kern organisieren wird und eigentlich sein Thema abbildet, nämlich daß er beständig seiner Form und Sprache nach eine Kontrolle behauptet, die er tatsächlich nicht ausübt, weil er sie zum Zwecke des Gewinns neuer Erkenntnisse gerade nicht ausüben will.
1.2
Methode
Natürlich kann es im Rahmen einer Dissertation nicht darum gehen, die Frage nach der Möglichkeit der Klarheit der Sprache oder inwiefern ein Text verläßlich sagen kann, was er sagen will, grundlegend klären zu wollen. Vielmehr wird sich die Studie darauf beschränken, anhand eines beispielhaft geeigneten Textes auf exegetisch-historiografischem Wege eine bestimmte tradierte Position zu diesem Problem zu erarbeiten. Die Annahme, auf die sich die Arbeit zentral stützt, lautet dabei, daß der zu deutende Text den Widerspruch zwischen der fragwürdigen, thematisierten Objekt- und der klaren, verwendeten Metasprache vermieden hat, daß er also genau in dem Maße klar und strukturiert erscheint, in dem er der Sprache explizit zutraut, klar und strukturiert sein zu können. Daß der in Rede stehende Text diesen Widerspruch vermeidet, ist Teil des hermeneutischen Grundsatzes, ihm Vollkommenheit zu unterstellen5 bzw. mit »Nachsicht«6 zu begegnen, und es ist in der Vergangenheit bereits mehrfach gezeigt worden, in welcher Weise die Unterstellung eines solcherart differenzierten Verhältnisses zur Klarheit für die Deutung kanonischer Texte fruchtbar gemacht werden kann.7 So wird etwa Piatons Schriftkritik besser verständlich, wenn man die dialogische Gestalt ihrer Formulierung als wesentlichen Bestandteil zur Kenntnis nimmt, anstelle deren Degradierung zu >bloß< künstlerischer Verpackung einer Doktrin und somit zu für die philosophisch interessierte Rezipientin lästigem Beiwerk.8 Analog, ein zweites Beispiel, kann aus dieser Perspektive in einem ersten Schritt der erstaunliche Skandal bemerkt werden, daß Ludwig Wittgenstein seine Sammlung von anekdotischen Beobachtungen als Philosophische Untersuchungen betitelt hat, um sodann
5 6 7 8
Gackmer 1960, 299ff. Davidson 1984, 54 und passim. Vgl. Gabriel, Schildknecht 1990. Vgl. Thanassas 2002.
3
eben dieses Skandalon als die Normalität des Textes zu akzeptieren, so daß dann an die Stelle der mitunter fast rührenden Rätselei der Wittgenstein-Forschung, was denn wohl mit einem bestimmten Paragrafen des Buches gemeint sein könnte, die (nunmehr zu bedenkende) Einsicht treten kann, daß Wittgenstein offenbar der Ansicht war, es lasse sich ein Mehr an Klarheit u n d »Übersichtlichkeit« 9 eben nicht erzielen. 10 Freilich sind die beiden Beispiele willkürlich, und Piatons Auffassung von der Leistungsfähigkeit der Sprache (und also fernerhin etwa auch von den Möglichkeiten und Aufgaben der Philosophie) m u ß keineswegs mit der des späten Ludwig Wittgenstein übereinstimmen. Vielmehr geht es u m die Exposition eines Frageansatzes und den Aufweis einer Struktur. U m der Untersuchung zu einem M a x i m u m an Ergebnissen zu verhelfen, sollte der zu deutende Text i m Hinblick auf diesen Frageansatz möglichst interessant sein, er sollte also nicht nur implizit in Bezug auf seine Gestalt und Form bzw. seinen Sprachstil in vielfältiger Weise Anlaß zur Reflexion auf die exponierte Problematik geben, sondern möglichst selbst auch sich dessen explizit bewußt sein, so daß sich sowohl auf dem Wege der distanzierten Beschreibung seiner verwendeten Sprache als auch der dialogischen Deutung der expliziten Doktrin Hinweise auf das in Rede stehende T h e m a ergeben. Insofern jedoch dieses T h e m a nicht vorab präzise zu benennen ist, weil die Möglichkeit zu präziser Benennung überhaupt T h e m a sein u n d also in Frage gestellt werden soll, kann auch die Auswahl des Textgegenstandes nicht zielgerichtet erfolgen. Er liegt vor, im Sinne eines unverfügbaren Funds bzw. einer Gabe, 11 und seine Eignung und Aussagekraft werden sich günstigenfalls erweisen. D a ß der Gegenstand - es wird u m die Manuskripte Nr. 4 1 3 und 4 2 3 aus dem Nachlaß Friedrich Hölderlins gehen 12 - gerade aus dem W e r k dieses Autors gewählt wird, könnte zunächst verwundern. Auch wenn insbesondere Arbeiten Dieter Henrichs 1 3 die Bedeutung Hölderlins für die Philosophiegeschichte in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt ins Bewußtsein gerückt haben, hat sich die Einschätzung seiner als Philosoph - überdies mit einer relevanten, eigenen Leistung 14 — noch keineswegs durchgesetzt. 15 Dies dürfte wesentlich eben damit
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11 12 13 14
Wittgenstein 1952, 82 {PU122.). Vgl. Kripke 1982, 15: »Ich neige zu der Auffassung, daß Wittgensteins [...] Schwierigkeit [...], seine Gedanken zu einem konventionellen Buch mit in Reih und Glied geordneten Argumenten und Konklusionen zusammenzuschweißen, nicht nur einer stilistischen und literarischen Vorliebe entspringt, die mit einem Hang zu einem gewissen Grad an Unklarheit verbunden ist, sondern zum Teil von der Natur des Themas herrührt. Ich vermute 1...], daß man Wittgensteins Argument bis zu einem gewissen Grad verfälscht, wenn man versucht, es exakt darzustellen.« Tatsächlich hat Wolfram Groddeck diese Auswahl getroffen, dem ich dafür sehr dankbar bin. Nach der Zählung der Liste aller Manuskripte (Autenrieth 1961). Insb. Henrich 1992. Kritisch sieht das v.a. Brachtendorf 1998. Z.B. kommt das Stichwort »Philosophie« in der »Inhaltsübersicht« des neu erschienenen Hölderlin-Handbuches nicht vor. (Kreuzer 2002, ohne Seitenzahl). 4
zu tun haben, daß die philosophische community allzu restriktive Vorstellungen darüber besitzt, welche Art von Text sie als für sich relevant ansieht. So bekundet die unlängst im Hamburger Meiner-Verlag, in der Philosophischen Bibliothek, erschienene Ausgabe der Theoretischen Schriften Hölderlins 16 sowohl das gestiegene Interesse von philosophischer Seite an diesem Autor als auch zugleich die Schwierigkeiten, die man mit ihm hat. Denn in dieser Ausgabe findet sich aus der Hinterlassenschaft nur das versammelt, was mindestens einigermaßen einem Aufsatz ähnelt; alles andere, so offensichtlich und profund sein philosophischer Anspruch auch immer sein mag, wie etwa die großen Hymnen, 17 fällt weg, weil es durch seine Form nicht als Philosophie zu erkennen ist.18 Befreit man sich hingegen von derlei Vorurteilen und nimmt den Zusammenhang zwischen Form und Doktrin sprachphilosophisch ernst, so erscheint im Gegenteil gerade etwa die notorische Verstrickung von Lyrik und Philosophie als ein zentraler und maßgeblicher Aspekt seiner Texte, die eben aus diesem Grund von wesentlichem Interesse für die Philosophie der Sprache werden. 19 Denn sie, und gerade die schwierigsten Texte in exemplarischer Weise und mit Unumgänglichkeit, provozieren Fragen nach der Möglichkeit ihres verläßlichen Verständnisses, damit nach der Mitteilungsabsicht, die >dahinter stehtletzte< Fragen geben wollen und dabei entweder schlicht gar nicht oder nur tentativ verstanden werden, und das ist noch immer die allgemeine Rezeptionssituation in Bezug auf das Gros der späten Gedichte und Schriften, stellen die Möglichkeit zu letzten Fragen und Antworten grundsätzlich und in actu in Frage. Sie bleiben ein beständiges Skandalon für eine fortschrittsfromme Wissenschaftsgemeinschaft, der alles Unklare nur noch nicht geklärt erscheint; die pathologisierende Entsorgung 20 solcher Texte
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19
20
Kreuzer 1998. Vgl. Schmidt 1990: Hölderlins geschiehtsphibsophisehe [notabene, M G ] Hymnen / »Friedensfeier«, »Der Einzige«, »Patmos«. Immerhin hat Kreuzer das hier in Rede stehende Textmaterial der Blätter 4 1 3 u n d 4 2 3 darin aufgenommen. Hölderlins wiederkehrende negative Bewertungen der Philosophie, die im offenkundigen Widerspruch zu seinem eigenen manifesten Philosophieren stehen, könnten sich im übrigen aus dieser Perspektive so einordnen lassen, daß er dabei Mängel des »offiziellen« Philosophierens im Auge hatte, deren er sich mit seinen Texten gerade nicht unterwerfen wollte. Vgl. Theunissen 2000, 9 7 2 in Bezug auf die der Studie zugrunde gelegten Manuskripte: »Wir brauchen keine Vermutungen über die seelische Verfassung des Autors anzustellen. W i e seine Zerrüttung sich in seinem Werk niederschlägt, verrät der Utopieverlust erschreckend genug.« (Zehn Seiten später relativiert Theunissen diese Diagnose allerdings: » Untreue der Weisheit straft jeden, der die Exegesen in Bausch u n d Bogen einem kranken G e m ü t zuschreiben wollte, Lügen. Aus dem Vergleich der behandelten Texte mit dem noch zu behandelnden läßt sich schlimmstenfalls auf ein schwankendes Befinden ihres Verfassers schließen.«) Auch der K o m m e n t a r von Michael Franz (in Kreuzer 2002) zu den Blättern ist durchzogen von Formulierungen wie »Das Problem, das H . hier an den Haaren Pindars herbeizieht [...]« (261); »[...] ist dieser Text ein spätes Echo von Gedanken u n d Überlegungen, die H . schon in seiner Studienzeit u n d kurz danach im
5
zeigt sich als Verdrängungsleistung, durch die gerade der entscheidende Ansatz zu Erkenntnis verloren geht. Weil es der vorliegenden Studie wesentlich um ein systematisches Problem und nur sekundär um >Hölderlin< geht, wird sie sich streng auf die Manuskripte 413 und 423 als Gegenstand beschränken und Aussagen über andere Schriften dieses Autors nur beiläufig, zu illustrativen Zwecken in Bezug auf den Gegenstand und ohne Geltungsanspruch im Hinblick auf den erwähnten anderen Text treffen; inwiefern durch die Betrachtung des exemplarisch ausgewählten Gegenstandes über dessen Wahrnehmung hinaus Konstituentien des üblichen Hölderlin-Bildes insgesamt bestätigt oder korrigiert werden, kann dabei ebenfalls offen bleiben. Die Beschränkung erfolgt aber auch aus methodischen Erwägungen; vor allem bleibt auch an dieser Stelle die grundlegende Problematik des Verstehens wirksam, die die Themenstellung der Arbeit bestimmt. Denn daß uns Hölderlins Texte fragwürdig und also unklar sein sollen und auch tatsächlich sind, ist Bedingung; vollständig unklare Texte lassen aber als Grenzfall keine Deutung mehr zu, und Hölderlins Texte sind ja auch nicht vollständig unklar und unverständlich. Manches scheint sehr wohl auf den ersten Blick klar, auch wenn die weitere Beschäftigung kaum etwas von dieser unmittelbaren Klarheit übrig lassen und dafür Klarheit an anderer, weit weniger zu erwartender Stelle erzeugen wird. Klar scheint z.B. in diesem Sinn, daß es sich bei den Manuskripten um Texte handelt, daß das Papier also Schrift und so mittelbar Gedanken transportiert, und daß wir es lesen können und sollen. Das >normalenormalFisch< nennt.« (ebd.); »dichtet [...] hinzu« (ebd.); »mißversteht« (263); »H. hat hier teilweise extrem frei und teilweise verblüffend falsch übersetzt« (ebd.); »abenteuerliche Ubersetzung und den noch abenteuerlichen (sie!) Titel« (262); »spinnt [...] heraus« (267) usw. Vgl. Eco 1990, 1 Iff.
6
mit ungewöhnlich großer Transportkapazität erfunden, allerdings nur an sich oder theoretisch oder wie auch immer, denn tatsächlich müssen die Leute freilich mit dem Kommentar nebenher fahren, um ans Ziel zu kommen. U n d das Problem, um das es zumindest hier gehen soll, wird ja gerade erst sichtbar, wenn der Text als ein zu verstehender ernst genommen wird, ihm also die übliche kommunikative Funktion zugemessen wird, und zugleich die Tatsache, daß er schwer verständlich ist, nicht mittels Vergleichstexten und Belegstellen umgangen und kaschiert wird. 22 Die grundlegende epistemische Situation soll gerade darin bestehen, sich der Zumutung auszusetzen, die Hölderlins Manuskripte darstellen, wenn man sie — wie eine Gebrauchsanweisung oder einen klaren philosophischen Aufsatz — einfach lesen will. Denn nur vor diesem Erfahrungshintergrund, gleichsam einer Haltung des natürlichen Bewußtseins, die aufzuheben sein wird, kann plastisch werden, was diesem Bewußtsein widerspricht und welche Rolle etwa dem Verhältnis von Belegstellenmethode und Kontextualisierung im Wechselspiel von Klarheit und seinem Gegenteil zukommt. Zugleich folgt die Beschränkung auf >nur< die beiden in Rede stehenden Manuskripte als Gegenstand aber auch der Verpflichtung, der die Studie als Dissertation unterliegt, ein abgegrenztes Thema zu haben, zu dem neue Erkenntnisse darzulegen sind. Sie greift zur Erfüllung dieser Forderung auf den Gegenstand zurück, zu dem eine, auf der Grundlage der allgemein geteilten Auffassung von Sprache und Klarheit, gut überschaubare Forschungssituation besteht; außer den Editionen der Blätter 23 liegen zwei Dissertationen vor, die sich die Deutung des ganzen Textmaterials beider Blätter zur Aufgabe machen, 24 sowie eine Reihe von Aufsätzen sowie Betrachtungen zu einzelnen Abschnitten im Rahmen übergeordneter Arbeiten." Die Studie wird u.a. deutlich zu machen versuchen, daß diese Forschung sämtlich auf inadäquaten Editionen beruht und insofern über Texte spricht, die nicht existieren; neue Erkenntnisse zum Gegenstand vorzutragen, kann sie insofern gar nicht verfehlen, weil der Gegenstand an sich neu ist, d.h. in dieser Gestalt bislang überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde. Damit ist jedoch das eigentliche, systematische Thema der Dissertation nicht berührt, und in Bezug darauf wird der vorliegende Text die Forderung nach »Übersichtlichkeit« auch nicht einlösen können. Denn während die Literaturübersicht im Hinblick auf den beispielhaften, exegetisch-historiografisch herangezogenen Gegenstand auf der gleichsam naiv in Anspruch genommenen, allgemein klaren Sprache be-
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2< 25
Im übrigen ist es ein verbreiteter Irrtum zu meinen, die Hiscorisierung erleichtere die Interpretationsaufgabe, im Gegenteil: man hat dann nicht nur den Gegenstand zu deuten, sondern überdies auch noch die historischen Belegcexte, deren Verständnis ja nicht einfach als problemlos vorausgesetzt werden kann, und man hat drittens schließlich die Vergleichbarkeit von Gegenstand und Belegtexten zu erweisen. Die für die Studie herangezogenen Editionen finden sich in Teil Α der Bibliografie aufgelistet. Fink 1982; Battel 2000. Siehe Teil Β der Bibliografie im Anhang.
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ruht - das ist Teil des unumgehbaren, experimentellen Settings, der institutionellen Vorgaben - , soll eben diese Sprache systematisch in Frage gestellt werden. Als Medium, in dem das geschehen kann, bleiben nur die »Gedanken« 26 - als was auch immer sich das erweisen wird —, deren Resultate wiederum in der Sprache der community niedergeschrieben werden müssen, wobei im Blick zu behalten sein wird, was bei dieser Ubersetzungsleistung verloren geht, darin verstrickt sich die vorliegende Studie in die Struktur, die oben als performativer Grundwiderspruch bezeichnet wurde und der dezidiert sich auszusetzen zugleich ihr methodisches Grundprinzip darstellt. Freilich verstehen wir unter »Gedanken« in der Regel durchaus etwas Sprachliches; gleichzeitig spricht die Möglichkeit, eine Idee klar und unklar, in dieser oder jener Formulierung ausdrücken zu können — hier vorausgesetzt, es handelt sich trotz unterschiedlicher Formulierung dabei tatsächlich um denselben Gedanken —, für ein wie auch immer geartetes Differenzverhältnis zwischen Sprache und Denken. Wie die Struktur dieses Verhältnisses aussieht, wird zu den wesentlichen Fragen an den Gegenstand gehören, entscheidend jedoch an dieser Stelle ist, daß mit der Verlagerung des Problems ins Reich der Gedanken die Möglichkeit zu Übersichtlichkeit im geforderten Sinne genommen ist, denn diese kann nur in Bezug aufTexte als raumzeitliche Objekte gewonnen werden. Der Forschungsüberblick als Bestandteil einer Dissertation zur Gewährleistung neuer Erkenntnisse, indem die alten, überholten aufgelistet werden, ist nur sinnvoll anzusprechen als ein historisch-empirischer; tatsächlich werden Texte aufgelistet. Daß diese Texte auch wirklich die und nur oder wenigstens vor allem die Gedanken transportieren, die der Uberblick behauptet, muß jenem intuitiven Sprachverständnis überlassen werden, das die community durch Ausbildung eines allgemeinen Sprachstils sicherzustellen versucht. Daß diese Sicherheit jedoch faktisch nicht gelingt, ist daran zu sehen, daß jeder Forschungsüberblick immer wieder neu aufgerollt, überprüft und verändert werden kann. Mir wird durch die Präsentation der bislang veröffentlichten Texte zum Thema nahegelegt, diese seien in der Tat die maßgeblichen Texte zum Thema; wie bereits in Bezug auf den Gegenstand gesehen, kann ich dieses Verständnis^^i^oi aber auch in Zweifel ziehen, ja eben dies gehört zu den eigentlichen Bestimmungen von Wissenschaftlichkeit, nicht einfach die vorgetragene Deutung vermeintlicher Autoritäten zu übernehmen. Dann aber geht auch die Verbindlichkeit der Auswahl verloren, anstelle der aufgelisteten Texte kann ich andere heranziehen und für maßgeblich halten, und schließlich umfaßt die Gruppe der potentiell maßgeblichen Texte schlicht das Ganze des tradierten Schrifttums. Für das systematische Problem, inwiefern Sprache klar sein oder ein Text wissen kann, was er sagt, kann also kein Literaturüberblick gegeben werden, weil die Idee eines abgegrenzten Korpus von Texten erneut auf der Möglichkeit
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Vgl. Promotionsordnung op.cit.; sich der nichtkonformen Sprache des Gegenstandes oder einer anderen zu unterwerfen, verbietet die Forderung der Promorionsordnung nach Klarheit.
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beruht, sicherzustellen, daß diese Texte sich verläßlich und präzise auf eine bestimmte Problematik beziehen, was aber nicht vorausgesetzt werden soll. In der Konsequenz muß die Studie ihren Anspruch auf Vollständigkeit, auf Ubersicht und damit in der Folge auch auf Neuheit ihrer Erkenntnisse in Bezug auf ihr eigentliches systematisches Problem fahren lassen. Es gelingt ihr nicht nur nicht, ihr Thema präzise zu benennen, sie kann auch nicht erwarten, darauf Antwort in der Weise zu finden, daß dadurch ein wie auch immer geringes, aber doch zumindest als solches verläßliches Stück Fortschritt erzielt wird. Wenn die Studie sich, getragen von einem nonkonformen Gegenstand, aus der Bahn allgemein geteilten, klaren Sprechens hinwegführen läßt, bricht die lineare Entwicklung, die wie Pflastersteine neue Wissensstücke an den Bestand des alten, gesicherten Wissens anfügt, ab, weil der neue Text seinen Bezug zur Tradition verliert. Er wird zu einer Welt für sich. Damit entledigt sich der Text aber auch seiner allgemeinen Relevanz, die er als wissenschaftlicher beansprucht; es geht nicht mehr darum, ein Stück gesichertes Wissen zu erarbeiten, das als solches in gleicher Weise für jedermann und -frau von gleicher Wertigkeit ist; er hört im Grunde überhaupt auf, ein wissenschaftlicher Text zu sein. Wenn wir also die Orientierung auf Klarheit und semantische Verläßlichkeit, und sei's auch nur zu heuristischen Zwecken, aufgeben, kommt uns zugleich unser Begriff von Wissenschaft insgesamt abhanden, weil das übliche Konzept von Wissenschaft wesentlich auf Verläßlichkeit abzielt, die als ihr Medium eine verläßliche Sprache benötigt. Umgekehrt können wir aber auch den Stier bei den Hörnern packen und mit der Überprüfung der Klarheit eben auch ein verändertes Verständnis von Wissenschaftlichkeit ins Auge fassen; 27 angesichts der offenkundigen Krise der wissenschaftlichen Weltauslegung scheint eine Revision ihrer Grundannahmen ohnehin an der Zeit zu sein. Im Kern m u ß es dabei um das Streben nach Sicherheit und Kontrolle gehen, das im 20. Jahrhundert zu bis dahin ebenso unerreichter Intensität gefunden hat, wie es zugleich begründeten Zweifeln anheimgefallen ist. 28 Das Versprechen einer Welt, in der die Möglichkeit des Einbruchs zerstörerischer Kontingenz gebannt wäre und von dem der wissenschaftlich-technische >Fortschritt< seine Fahrt nimmt, überzeugt nicht mehr, im Gegenteil, es erzeugt längst größere Angst als die ungebändigte Natur es könnte. 29 Dies gilt in veränderter Form auch für die sogenannten Geisteswissenschaften; die Furcht der Studienanfänger vor der Flut an Literatur, die man angeblich gelesen haben muß, und ihre daraus erwachsende Sehnsucht nach >Überblick< scheinen viel größer zu sein als der Respekt vor der Schwierigkeit der sachlichen Probleme. In einer solchen Situation bedeutet das Eingeständnis, gegen die Hydra der Publikationen nicht gewinnen zu können, die überlegenere Haltung; man bekommt die Hände frei dafür, sich überhaupt wieder mit den Sachen selbst beschäftigen
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Trabant 1986, insb. S. 39—42. Angehrn 1993. Anders 1954.
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zu können, um von dort aus erst das Bedürfnis nach sachgerechter Hilfestellung durch Schriften anderer wieder zu lernen. Dafür haben diese Schriften dann tatsächlich geholfen; ihre Angabe bedient keinen Ritus und sucht nicht Eindruck zu schinden. Ihre Auswahl trifft die Sache, so wie sie sich mir als problematische darstellt; in den meisten Fällen war die Literaturkenntnis gewiß unzureichend und andere Schriften hätten weit größeren Nutzen für die Sache erwirkt, und aus der Ubersicht heraus, die nüchtern betrachtet niemand hat, erscheint das ganze Unterfangen höchst lücken- und mangelhaft. Aber die daraus entstehende Arbeit erhebt keine intersubjektiven Ansprüche, sie verzichtet auf den zwanglosen Zwang des besseren Arguments. Sie erwartet überhaupt nicht, daß sie anderen etwas zu sagen hat; gleich der Flaschenpost, für die Adorno das Gedicht hält,30 besteht kaum Aussicht, daß sie nicht ohnehin sogleich zerschellt und verloren geht. Nur so jedoch, wenn sie nicht überzeugen will, sondern eine Position b e u gen; wenn sie die Begegnung mit ihren Lesenden nicht immer schon vorwegzunehmen sucht und zwar als Siegerin, die allemal die besseren Argumente hat; wenn sie Raum läßt für Zweifel und Widerspruch; nur dann kann sie erwarten, daß sich aus Freiheit jemand für sie interessieren wird, daß tatsächlich ein Gespräch daraus entsteht. *
Wie der eine Titel des vorliegenden Textes ist natürlich auch der eine Autorname genauso wahr und unwahr; dieses Buch hat viele Urheber, denen ich für das Brauchbare an diesem Text danken möchte. Allen voran meinen Lehrern Emil Angehrn und Wolfram Groddeck, ebenso wie Thomas Böning, Jann Holl, Michael Kober und Peter Wirth in Freiburg im Breisgau, Annemarie Pieper und Karl Pestalozzi in Basel. Darüber hinaus habe ich vielerlei lernen können von Günter Thimm, und ich danke für mannigfaltige Unterstützung seitens Manuela Konzen und Manfred Sing. Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern für ihre geduldige Förderung. Daneben haben die Freiwillige Akademische Gesellschaft und die Stiftung für theologische und philosophische Studien in Basel durch ihre Zuwendungen das Projekt gesichert, und ich möchte allen übrigen Spendern für ihre materiellen und immateriellen Beiträge danken.
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Schmid Noerr, van Reijen 1987, 8ff. 10
Abbildungen
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d~1 I geschrieben werden m u ß , w o d u r c h sie unendlich (genau) zusammenhängen, d a r u m h a b ' ich ein zweideutig Gemiith. Fortsetzung reeto. Die A s y l e Raum für zwei Zeilen. Zuerst haben Die wohlrathende T h e m i s Die H i m m l i s c h e n , auf goldenen R o s s e n , neben Des Ozeans Salz, D i e Zeiten zu der Leiter, Z u r heiligen geführt des O l y m p o s , zu D e r glänzenden R ü k k e h r , Des Retters alte Tochter, Des Zevs zu seyn, Sie aber hat D i e goldgehefteten, die gute, Die glänzendbefruchteten Ruhestätten geboren. Raum für eine Zeile. Wie der M e n s c h sich sezt, ein S o h n der T h e m i s , w e n n , aus dem S i n n e für V o l l k o m m e n e s , sein Geist, auf E r d e n u n d im H i m m e l , keine R u h e fand, bis sich im Schiksaal begegnend, an den S p u r e n der alten Z u c h t , der G o t t u n d der M e n s c h sich wiedererkennt, u n d in Erinnerung ursprünglicher N o t h f r o h ist d a , w o er s i c h h a l t e n kann. T h e m i s , die ordnungsliebende, hat die A s y l e d e s M e n s c h e n , die stillen Ruhestätten geboren, denen nichts Fremdes ankann, weil an ihnen das Wirken u n d das Leben der N a t u r sich konzentrirte, u n d ein A h n e n d e s u m sie, w i e erinnernd, dasselbige erfähret, das sie vormals erfuhren. Raum für eine Zeile. Das Belebende. Raum für eine Zeile. Die männerbezwingende, nachdem Gelernet die Centauren Die G e w a l t i D e s honigsüßen Weines, eilends trieben 2 plÖlz 3 plözlich Die w e i ß e Milch mit Händen, den Tisch sie f o r t , von selbst, 1 Und aus d e n silbernen Röhren trinkend 2Hömern Bethörten sie sich. • e r Begriff von den Centauren ist w o h l der vom Geiste Fortsetzung verso. eines S t r o m e s , so fern der Bahn und G r ä n z e macht, mit G e w a l t , t a u f der ursprünglich pfadlosen aufwärtswachsenden Erde, 2Sein Bild ist deswegen an Stellen der Natur, w o das Gestade reich an Felsen und Grotten ist, b e s o n d e r s a n O r t e n , w o u r s p r ü n g l i c h d e r S t r o m die K e t t e der Gebirge verlassen und ihre Richtung>queer durchreißen mußte. Centauren sind deswegen auch ursprünglich Lehrer der Naturwissen· ! s c h a f t , weil sich aus solchem Gesichtspuncte die Natur am besten 2jenem
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einsehn läßt. In solchen Gegenden mußt' ursprünglich der Strom umirren, eh' er sich eine Bahn riß. Dadurch bildeten sich, wie an Teichen, feuchte Wiesen, und Höhlen in der Erde für säugende Thiere, und der Centauer war indessen wilder Hirte, dem !Odyssäischen C y k o 2 lops gleich; und 3 die Gewässer suchten ,sehnend ihre Richtung. Jemebr sich von seinen beiden Ufern 2aber idas troknere bildete, durch festwurzelnde Bäume, und Ge2V und Richtung gewann 3 fester Sträuche und den Weinstok, destomehr mußt' auch der S t r o m , der seine Bewegung von der Gestalt des Ufers annahm, Richtung gewinnen, bis er, vom seinem Ursprung an gedrängt, an [n] 1 einer Stelle durchbrach 2 durchbrach, w o das 3ie Berge, die ihn einschlossen, am leichtesten zusammenhiengen. So l e r n t e n dieCentauren d i e G e w a l t des h o n i g s ü ß e n W e i n s , isie von dem festgebildeten, bäumereichen Ufer Bewegung 2nahmen !und Richtung an, und wa 2eiße M i l c h und den Tisch m i t H ä n d e n 3 warfen die 1 w e g, die gestaltete Welle , ^verdrängte die Ruhe des Teichs, ,auch die Lebensart am Ufer veränderte sich, der Üfer 2 Überfall , des Waldes, d e 2 en sicheren Fürsten des Forsts regten das müßige II 3 mit den Stürmen und Leben der Haide auf, das stagnirende Gewässer ward so lange zurükgestoßen, vom jäheren Ufer, bis es A r m e g e w a n n , und so mit eigener Richtung, von selbst aus s i l b e r n e n H ö r n e r n t r i n k e n d , sich Bahn machte, eine Bestimmung annahm. Die Gesänge des Ossian besonders sind wahrhaftige Centaurengesänge, mit dem Stromgeist gesungen, und wie vom griechischen Chiron, der den Achill auch das Saitenspiel gelehrt.
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Untreue der Weisheit.
Ο Kind, dem an des pontischen Wilds Haut Des felsenliebenden am meisten das Gemüth Hängt, allen Städten geselle dich, Das gegenwärtige lobend Gutwillig, Und anderes denk in anderer Zeit. Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt. Das Unschuldige des reinen Wissens als die Seele der Klugheit. Denn Klugheit ist die Kunst, unter verschiedenen Umständen getreu zu bleiben, das Wissen die Kunst, bei positiven Irrtümern im Verstände sicher zu seyn. Ist intensiv der Verstand geübt, so erhält er seine Kraft auch im Zerstreuten; so fern er an der eigenen geschliffenen Schärfe das Fremde leicht erkennt, deßwegen nicht leicht irre wird in ungewissen Situationen. So tritt Jason, ein Zögling des Centauren, vor den Pelias: ich glaube die Lehre Chirons zu haben. Aus der Grotte nemlich komm' ich Bei Charikli und Philyra, wo des Centauren Mädchen mich ernähret, Die heiigen; zwanzig Jahre aber hab' Ich zugebracht und nicht ein Werk Noch Wort, ein schmutziges jenen Gesagt, und bin gekommen nach Haus, Die Herrschaft wiederzubringen meines Vaters. Von der Wahrheit. Anfängerin großer Tugend, Königin Wahrheit, Daß du nicht stoßest Mein Denken an rauhe Lüge. Furcht vor der Wahrheit, aus Wohlgefallen an ihr. Nemlich das erste lebendige Auffassen derselben im lebendigen Sinne ist, wie alles reine Gefühl, Verwirrungen ausgesezt; so daß man nicht irret, aus eigener Schuld, noch auch aus einer Störung, sondern des höheren Gegenstandes wegen, für den, verhältnißmäßig, der Sinn zu schwach ist. Von der Ruhe. Das Öffentliche, hat das ein Bürger In stiller Witterung gefaßt, 24
Soll er erforschen Großmänlicher Ruhe heiliges Licht, Und den Aufruhr von der Brust, Von Grund aus wehren seinen Winden; denn Armut macht er Und feind ist er Erziehern der Kinder. Ehe die Geseze, der grosmännlichen Ruhe heiliges Licht, erforschet werden, m u ß einer, ein Gesezgeber oder ein Fürst, in reißenderem oder stetigerem Schiksaal eines Vaterlandes und je nachdem die Receptivität des Volkes beschaffen ist, den Karakter jenes Schiksaals, das königlichere oder gesammtere in den Verhältnissen der Menschen, zu ungestörter Zeit, usurpatorischer, wie bei griechischen Natursöhnen, oder erfahrener, wie bei Menschen von Erziehung auffassen. Dann sind die Geseze die Mittel, jenes Schiksaal in seiner Ungestörtheit festzuhalten. Was für den Fürsten origineller Weise, das gilt, als Nachahmung für den eigentlicheren Bürger. Vom Delphin. Den in des wellenlosen Meeres Tiefen von Flöten Bewegt hat liebenswürdig der Gesang. Der Gesang der Natur, in der Witterung der Musen, wenn über Blüthen die Wolken, wie Floken, hängen, und über dem Schmelz von goldenen Blumen. Um diese Zeit giebt jedes Wesen seinen Ton an, seine Treue, die Art, wie eines in sich selbst zusammenhängt. Nur der Unterschied der Arten macht dann die Trennung in der Natur, daß also alles mehr Gesang ist, und reine Stimme ist, als Accent des Bedürfnisses oder auf der anderen Seite Sprache. Es ist das wellenlose Meer, wo der bewegliche Fisch die Pfeife der Tritonen, das Echo des Wachstums in den waichen Pflanzen des Wassers fühlt. Das Höchste. Das Gesez, Von allen der König, Sterblichen und Unsterblichen; das führt eben Darum gewaltig Das gerechteste Recht mit allerhöchster Hand.
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Das Unmittelbare streng genommen, ist für die Sterblichen unmöglich, wie für die Unsterblichen; der Gott muß verschiedene Welten unterscheiden, seiner Natur gemäß, weil himmlische Güte, ihret selber wegen, heilig seyn muß, unvermischet. Der Mensch, als Erkennendes, muß auch verschiedene Welten unterscheiden, weil Erkenntniß nur durch Entgegensezung möglich ist. Deswegen ist das Unmittelbare, streng genommen, für die Sterblichen unmöglich, wie für die Unsterblichen. Die strenge Mittelbarkeit ist aber das Gesez. Deswegen aber führt es gewaltig das gerechteste Recht mit allerhöchster Hand. Die Zucht, so fern sie die Gestalt ist, worinn der Mensch sich und der Gott begegnet, der Kirche und des Staats Gesez und anererbte Sazungen, (die Heiligkeit des Gottes, und für den Menschen die Möglichkeit einer Erkenntniß, einer Erklärung), diese führen gewaltig das gerechteste Recht mit allerhöchster Hand, sie halten strenger, als die Kunst, die lebendigen Verhältnisse fest, in denen, mit der Zeit, ein Volk sich begegnet hat und begegnet. „König" bedeutet hier den Superlativ, der nur das Zeichen ist für den höchsten Erkenntnißgrund, nicht für für die höchste Macht. Das Alter. Wer recht und heilig Das Leben zubringt, Süß ihm das Herz ernährend, Lang Leben machend, Begleitet die Hoffnung, die Am meisten Sterblichen Die vielgewandte Meinung regieret. Eines der schönsten Bilder des Lebens, wie schuldlose Sitte das lebendige Herz erhält, woraus die Hoffnung kommet; die der Einfalt dann auch eine Blüthe giebt, mit ihren mannigfaltigen Versuchen und den Sinn gewandt und so lang Leben machet, mit ihrer eilenden Weile. Das Unendliche. O b ich des Rechtes Mauer Die hohe oder krummer Täuschung Ersteig' und so mich selbst Umschreibend, hinaus 26
Mich lebe, darüber Hab ich zweideutig ein Gemiith, genau es zu sagen. Ein Scherz des Weisen, und das Räthsel sollte fast nicht gelöst werden. Das Schwanken und das Streiten zwischen Recht und Klugheit löst sich nemlich nur in durchgängiger Beziehung. „Ich habe zweideutig ein Gemüth genau es zu sagen. Daß ich dann zwischen Recht und Klugheit den Zusammenhang auffinde, der nicht ihnen selber, sondern einem dritten zugeschrieben werden muß, wodurch sie unendlich (genau) zusammenhängen, darum hab' ich ein zweideutig Gemüth.
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Die Asyle.
Zuerst haben Die wohlrathende Themis Die Himmlischen, auf goldenen Rossen, neben Des Ozeans Salz, Die Zeiten zu der Leiter, Zur heiligen geführt des Olympos, zu Der glänzenden Rükkehr, Des Retters alte Tochter, Des Zevs zu seyn, Sie aber hat Die goldgehefteten, die gute, Die glänzendbefruchteten Ruhestätten geboren. Wie der Mensch sich sezt, ein Sohn der Themis, wenn, aus dem Sinne für Vollkommenes, sein Geist, auf Erden und im Himmel, keine Ruhe fand, bis sich im Schiksaal begegnend, an den Spuren der alten Zucht, der Gott und der Mensch sich wiedererkennt, und in Erinnerung ursprünglicher Noth froh ist da, wo er sich halten kann. Themis, die ordnungsliebende, hat die Asyle des Menschen, die stillen Ruhestätten geboren, denen nichts Fremdes ankann, weil an ihnen das Wirken und das Leben der Natur sich konzentrirte, und ein Ahnendes um sie, wie erinnernd, dasselbige erfähret, das sie vormals erfuhren. Das Belebende. Die männerbezwingende, nachdem Gelernet die Centauren Die Gewalt Des honigsüßen Weines, plözlich trieben Die weiße Milch mit Händen, den Tisch sie fort, von selbst, Und aus den silbernen Hörnern trinkend Bethörten sie sich. Der Begriff von den Centauren ist wohl der vom Geiste eines Stromes, so fern der Bahn und Gränze macht, mit Gewalt, auf der ursprünglich pfadlosen aufwärtswachsenden Erde. Sein Bild ist deswegen an Stellen der Natur, wo das Gestade reich an Felsen und Grotten ist, besonders an Orten, wo ursprünglich der Strom die Kette der Gebirge verlassen und ihre Richtung queer durchreißen mußte.
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Centauren sind deswegen auch ursprünglich Lehrer der Naturwissenschaft, weil sich aus jenem Gesichtspuncte die Natur am besten einsehn läßt. In solchen Gegenden mußt' ursprünglich der Strom umirren, eh' er sich eine Bahn riß. Dadurch bildeten sich, wie an Teichen, feuchte Wiesen, und Höhlen in der Erde für säugende Thiere, und der Centaur war indessen wilder Hirte, dem Odyssäischen Cyklops gleich; die Gewässer suchten sehnend ihre Richtung. Jemehr sich aber von seinen beiden Ufern das troknere fester bildete, und Richtung gewann durch festwurzelnde Bäume, und Gesträuche und den Weinstok, destomehr mußt' auch der Strom, der seine Bewegung von der Gestalt des Ufers annahm, Richtung gewinnen, bis er, von seinem Ursprung an gedrängt, an einer Stelle durchbrach, wo die Berge, die ihn einschlossen, am leichtesten zusammenhiengen. So lernten die Centauren die Gewalt des honigsüßen Weins, sie nahmen von dem festgebildeten, bäumereichen Ufer Bewegung und Richtung an, und warfen die weiße Milch und den Tisch mit Händen weg, die gestaltete Welle verdrängte die Ruhe des Teichs, auch die Lebensart am Ufer veränderte sich, der Überfall des Waldes, mit den Stürmen und den sicheren Fürsten des Forsts regte das müßige Leben der Haide auf, das stagnirende Gewässer ward so lange zurükgestoßen, vom jäheren Ufer, bis es Arme gewann, und so mit eigener Richtung, von selbst aus silbernen Hörnern trinkend, sich Bahn machte, eine Bestimmung annahm. Die Gesänge des Ossian besonders sind wahrhaftige Centaurengesänge, mit dem Stromgeist gesungen, und wie vom griechischen Chiron, der den Achill auch das Saitenspiel gelehrt.
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Textkritik
Die vorliegende Untersuchung will die Blätter 413 und 423 aus dem Nachlaß Friedrich Hölderlins deuten. Als erster Schritt' dazu gilt üblicherweise die Bemühung um eine gesicherte Textbasis; vor der Deutung des Sinns des Textes soll die Scheidung des Textes, d.h. der Sinnträger an dem empirischen Phänomen der Blätter von diesen selbst als dem bloßen materialen Substrat erfolgen. Um der Verpflichtung auf Objektivität, d.h. auf Nachvollziehbarkeit der argumentativen Schritte zu genügen, wird sich die Studie nicht auf die Originale der Blätter berufen, weil diese sich in Privatbesitz befinden und der allgemeinen Forschung nicht zugänglich sind. Damit nicht von vorneherein das Unternehmen auf eine esoterische Grundlage gestellt wird, wurde der Versuch, sie dennoch einsehen zu können, deshalb gar nicht erst unternommen. Vielmehr werden alle Aussagen über Beobachtungen an den Blättern sich auf das beziehen, was auf den entsprechenden Seiten der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe, d.h. an den Faksimiles zu sehen ist.2 Strenggenommen geht es der vorliegenden Studie also überhaupt nicht um >Hölderlin< oder eine seiner Schriften, sondern um ein Substitut, über dessen >Qualität< - vorausgesetzt, bei Faksimiles handelt es sich um die Frage von besser oder schlechter - ihr keine Beurteilung möglich ist, denn dazu müßte dieses Substitut wiederum an den Originalen gemessen werden, die aber eben verschlossen sind. Die Studie erhebt folglich auch nicht den Anspruch, eine neue Edition der Manuskripte zu erstellen, denn das setzte ebenfalls voraus, von diesen selbst auszugehen, was auch immer dann im einzelnen an praktischen Schritten zu tun wäre. Ob sich die Arbeit dennoch lohnt, muß sie einer späteren Forschung unter günstigeren Verhältnissen zu entscheiden überlassen. Die Sicherung der sinntragenden Phänomene an den Blättern unter der Überschrift Textkritik folgt demselben Prinzip, das auch den Ubergang vom Original zum Faksimile kennzeichnet, denn es geht darum, aus der individuellen Erscheinung der Handschrift ein Allgemeines, d.h. Reproduzierbares zu abstrahieren. Als dieses Allgemeine wird üblicherweise die dem Text inhärente Information angesehen, und das herkömmliche Ziel von Edition ist, »daß der Text in beliebig vielen gleichen Exemplaren in einer gut lesbaren und ansprechenden, die Auf-
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Seit der Umkehrung dieser Reihenfolge durch Heidegger (1951, 50) und die kontroverse Diskussion im Anschluß hat sich das Bewußtsein vom hermeneutischen Zirkel, der freilich auch an dieser Stelle wirksam ist, durchgesetzt, (vgl. Reuß 1990, 44).
FHAXV 331 ff.
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nähme der zu vermittelnden Information nicht störenden Form vorliegt.«3 Damit folgt solche Editionsphilologie dem traditionellen abendländischen Schriftbegriff, wonach Schrift als transparenter Signifikant ein absolutes Signifikat transportiert, vor dem das Zeichen als empirisches Phänomen verschwindet. Die in Rede stehenden Blätter 413 und 423 kommen dem Versuch einer solchen Abstraktion anscheinend mit offenen Armen entgegen, vermeintlich bieten sie »für die kritische Edition keine nennenswerten Schwierigkeiten«, 4 weil das »überraschend saubere Erscheinungsbild der Handschrift«'' die sichere Bestimmung des Wortlautes scheinbar ohne weiteres und zweifelsfrei zuläßt. Interessant ist, daß Hölderlin es gelingt, durch >Normalität< zu »überraschen«, denn eben dies, daß sie lesbar seien, erwarten wir ja von Texten; man erwartet es aber offenbar nicht vom Hölderlin der Jahre nach 1800, weil viele andere Manuskripte aus dieser Zeit sich durch geradezu paradigmatisch gewordene Unlesbarkeit oder jedenfalls das Lesen massiv erschwerende Unordnung auszeichnen. Wenn nun Albrecht Seifert überdies vermutet, das saubere Schriftbild erkläre sich aus der Eigenschaft der Blätter als Reinschriften in der Funktion als »Druckvorlage«,6 so bedeutet dies mit anderen Worten, daß man dem Hölderlin dieser Zeit also nur noch unter dem äußerem Zwang der Publikationsbedingungen die Bereitschaft oder Fähigkeit zutraut, ordentlich zu schreiben, und man stempelt implizit die übrigen >chaotischen< Handschriften einmal mehr zu >Entwürfen< oder >Vorstufenbeweisen< ja, daß eigentlich, wenn Hölderlin solche >Vorstufen< hätte veröffentlichen wollen oder können, er in der Lage gewesen wäre, wohl auch Gedichte wie etwa Der Einzige, in eine druckfähige Gestalt zu überführen. »(U)berraschend(e) [...] Druckvorlage« meint folglich im Grunde, der bürgerlich-kapitalistische Buchmarkt habe für den mehr und mehr zerrütteten Geist Hölderlins einen Halt bedeutet, er habe ihm eine Form und Struktur verliehen, zu der er selbst nicht mehr habe finden können. Damit soll sich eben jener Buchmarkt, auf dem Hölderlin es nicht gelang, sich als »Dichter() [...] bei uns [...] eine bürgerliche Existenz zu sichern«,7 und der dadurch wesentlich zu den Ursachen der Zerrüttung gehören dürfte, am Ende noch als Rettungsanker erweisen. »(Ü)berraschend(e) [...] Druckvorlage« heißt: hätte Hölderlin von vorneherein >mitgemachtUnsagbaren< verschleiert. Und es ist zugleich zu sehen, was es heißt, im Rahmen der >Gutenberg-Galaxis< einen Text zu schreiben: der Text muß eine
3 < 5 6 7
Kraft 1990, 59. Uffhausen 1989, 222. Seifert 1988, 174. Ebd. Aus dem ersten Satz der Anmerkungen
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zum Oedipus, zitiert nach Knaupp 1992, II 309.
Information enthalten, und die Information muß problemlos daraus abzulesen sein, was für die Form des Textes wiederum bedeutet, daß die Scheidung zwischen Zeichen und Hintergrund sofort und reibungslos gelingen muß. Es dürfen also etwa nicht, wie auf anderen Manuskripten Hölderlins, Buchstaben übereinander geschrieben sein, Text darf nicht neben Text stehen, so daß unklar wird, in welcher Reihenfolge zu lesen sei, gestrichene Zeichen müssen eindeutig gestrichen sein usw. Das material-empirische Phänomen Text, das innerhalb des traditionellen, abendländischen Schriftbegriffs eigentlich unwichtig ist, weil es nur als Hinweis auf ein Absolutes da ist, auf das es an sich ankommt, hat gleichwohl peinlich genau sich an Regeln zu halten, weil sonst die Verweisungsstruktur nicht funktioniert. Hölderlin legt das im Grunde schon offen, indem er plötzlich, »überraschend«, einen Text schreibt, der sich anscheinend bereitwillig diesen Regeln unterwirft; die weitere Deutung wird indessen zeigen, daß die in Rede stehenden Blätter in toto solche Regeln aufgreifen, um sie zu demaskieren und zu unterlaufen. Denn die scheinbar klare Scheidung zwischen Zeichen und Hintergrund erweist sich bei näherer Betrachtung als unabschließbares Unterfangen, so daß strenggenommen die Texte der Blätter 413 und 423 überhaupt nicht gedruckt werden können. Zur Bestimmung des Wortlauts eines Textes genügt es schließlich nicht, nur zu lesen, es ist auch im Blick zu behalten, in welcher räumlichen Konstellation das Textmaterial versammelt ist, welche Textstücke zu welchen gehören, wo Textteile anfangen und zu Ende sind, welche Bezüge zwischen den Teilen bestehen usw. Das ist keine akademische Beschäftigung, sondern gerade etwa auch für Leserinnen der BILD-Zeitung eine unabdingbare Aufgabe. Im Falle der Blätter 413 und 423 hingegen wurde diese Ermittlung der »strukturellen Räumlichkeit« 8 relativ schnell abgebrochen; zu stark war vielleicht bei aller Uberraschung die Erleichterung darüber, endlich einen >normalen< Text von Hölderlin vor sich zu haben. So hat man sich mit der Abstraktion von Uberschriften und Fließtext begnügt und auf diese Weise neun nahezu strukturgleiche Texte, die sogenannten Pindarfragmente (oder ähnliche Titel), erzeugt. Alles andere an materialen, empirischen Eigenschaften wurde als kontingent vernachlässigt, wozu man jedoch übliche Standardregeln räumlicher Textgestaltung gleich mit außer acht lassen mußte. Denn man hat nicht bemerkt, daß jeweils die erste Überschrift auf einem Blatt - diese und nur diese Textelemente9 — mit deutlichem Abstand zum nachfolgenden Text10 im oberen Rand der Blätter stehen, der signifikant breiter als die anderen Ränder ist und der auf allen sechs Seiten des Konvoluts, über die Blattgrenzen hinweg, mit auffallender Genauigkeit eingehalten wird. (Durch Umbiegen oder Durchleuchten der Faksimiles der FHA kann dieser Sachverhalt
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Kraft 1990, 11 Iff. Eine gewisse Ausnahme bildet die Worthälfte »grund« im oberen Rand auf der vierten Seite des Blattes 413, wovon noch ausgiebig die Rede sein wird. Die FHA notiert »Raum für zwei Zeilen« (XV 339 und 342; 413/1, 1 - 2 und 423/1, 1-2), was eher untertrieben sein dürfte. (Ich übernehme die Seiten- und Zeilenzählung in der »Linearen Textdarstellung« der FHA, soweit ich nicht explizit widerspreche.)
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leicht und eindrücklich sichtbar gemacht werden.) Die Konsequenz liegt auf der Hand: wir müssen die beiden Uberschriften »Untreue der Weisheit.« und »Die Asyle.«, die jeweils das ganze Textmaterial >ihres< Blattes unter sich versammeln, als Gesamttitel des jeweiligen Blattes auffassen, so daß die übrigen Uberschriften zu Zwischen- oder Kapitelüberschriften werden und wir es im Falle der Blätter 413 und 423 nicht mit neun, sondern mit zwei Texten zu tun haben, mit Die Asyle, und Untreue der WeisheitDies ist die Grundthese der vorliegenden Arbeit zum Gegenstand; auf ihr beruht die weitere Argumentation, und sie wird sie zu stützen suchen. Wenn die Makrostruktur des Konvoluts aus zwei Texten besteht, deren Grenzen zugleich mit den Grenzen des Papiers zusammenfallen, dann erhält ein Problem neue, gesteigerte Relevanz, das schon bisher die Editoren und Interpreten beschäftigt hat: die Frage nach der Reihenfolge der Blätter.12 Auch dieser Aspekt bekundet die Dialektik von Belanglosigkeit und essentieller Bedeutung der räumlich-empirischen Verhältnisse unter Bedingungen des herkömmlichen Schriftverständnisses, denn während einerseits die Verteilung des Textes auf die Papiere irrelevant ist und in der Abstraktion von neun Textstücken über die Papiergrenzen hinweg unter den Tisch fällt - was ja auch alltäglicher Gepflogenheit gerecht wird, wir schreiben eben auf dem nächsten Blatt weiter, wenn das erste voll ist - , bleibt die Reihenfolge der Blätter zugleich essentiell wichtig für den Text, weshalb Bücher ja nicht nur geklebt und geheftet, sondern, falls die materiale Fixierung sich einmal lösen sollte, redundanterweise auch noch mit Seitenzahlen versehen sind. (Was natürlich auch zum Zweck geschieht, im Buch eine Seite wiederfinden zu können, was wiederum auf die Bedeutung der Reihenfolge verweist.) Und selbstverständlich: nehmen wir an, Hölderlins Blätter trügen irgendeine Räubergeschichte, so entstünden zweifellos zwei völlig verschiedene Texte, je nach dem, ob der Held am Anfang oder am Ende stirbt. Die Frage nach der Reihenfolge ist folglich so banal und zugleich so wichtig, daß überhaupt nicht plausibel ist anzunehmen, Hölderlin hätte versehentlich auf einem so sorgfältig geschriebenen Manuskript jeglichen Hinweis darauf unterlassen, wie die Blätter zu ordnen sind, und sei es nur für sich selbst, gerade wenn er bemerkt haben mußte, daß der Text mit dem Papier abschließt und sich aus dem Seitenumbruch also keine Anhaltspunkte ergeben. Schließlich sind von einer ehemaligen Heftung der Blätter keine Spuren zu erkennen, sie dürften also wohl immer schon getrennt gewesen sein. Stattdessen ist ein solcher Handschriftenbefund, d.h. die Unmöglichkeit, die Reihenfolge der Blätter zu klären, in seiner ganzen Unwahrscheinlichkeit wahr- und ernst zu nehmen, was wiederum meint, ihn nicht als kontingent zu vernachlässigen, sondern ihn im Gegenteil für sinntragend zu halten.
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Hinweis zur Schreibweise: Titel, die Texte bezeichnen, werden kursiv gesetzt; wenn das Textmaterial der Uberschrift gemeint ist, wird es in Anfuhrungszeichen zitiert. Vgl. Michael Franz in Kreuzer 2002, 256.
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Was aber ist der Sinn zweier Texte, die sich nicht in eine klare Abfolge bringen lassen? Offensichtlich gar keiner, jedenfalls nicht im Sinne der logisch-semantischen Bedeutsamkeit, die innerhalb des üblichen Textverständnisses ihm zugeschrieben wird, denn dafür ist die eindeutige lineare Abfolge im Raum als Analogon der Abfolge der gesprochenen Wörter in der Zeit unverzichtbar. Zwei Texte, die in keine Hierarchie, kein erstes und zweites zu bringen, sondern simultan nebeneinander zu legen sind, werden genauso unverständlich wie zwei Sprecherinnen, die gleichzeitig sprechen; sie heben sich selbst als Texte auf. In Bezug auf das Ganze des Konvoluts scheitert folglich die Bemühung um einen gesicherten Text auf ganzer Linie; bestenfalls werden sich die beiden Texte als je einzelne lesen lassen, aber zusammengenommen transzendieren sie ihre Textualität bzw. Sprachlichkeit. Damit verlieren sie jedoch nicht jegliche Signifikanz. Wir können nicht zwei Texte zu gleicher Zeit lesen, aber wir können sie betrachten oder anschauen·,13 wir können sie im Grunde überhaupt erst dann als die empirischen Objekte, die sie sind, wahrnehmen, wenn wir sie nicht mehr lesen können, denn lesen meint, durch sie hindurch auf das zu blicken, worauf sie als Schrift verweisen. Indem Hölderlin verweigert, die Abfolge zu klären, werden seine Texte zu Nicht-Texten, und ihre zeichenhafte Transparenz weicht einer ästhetischen Oberfläche, die ihre Bedeutsamkeit in einer anderen Sphäre entfaltet, der der Bildenden Kunst.14 Aus dieser Perspektive ist dann z.B. auch unübersehbar, daß die Blätter überhaupt zusammengehören, was so offensichtlich erscheint, daß seit der ersten gemeinsamen Edition in der Stuttgarter Ausgabe15 niemand je sich die Mühe gemacht hätte, die Zusammenfügung zu legitimieren oder auch nur zu motivieren. Gleichermaßen erübrigen sich Spekulationen über etwaige, verloren gegangene Fortsetzungen des Textes;16 und ebenfalls verfehlt erscheint, das Konvolut mit dem Stück Ursprung der Loyote 17 aus dem Homburger Folioheft, das als Vorstufe angesehen werden kann, oder den Nachtgesängenn zu mischen, ja fast schon zu kontaminieren. Denn alle diese editorischen Eingriffe widersprechen sichtlich dem Einheitswillen und der Geschlossenheit, die die Blätter durch die Kongruenz von Text und Papier,
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Aleida Assmann (1988, 237ff.) spricht von »Starren«, aber das erscheint mir unnötig pejorativ. Nebenbei bemerkt funktionieren Die Asyle, und Untreue der Weisheit, als Korpus genauso wie die scheinbar chaotischen Manuskripte, weil sie sich je — auf ihre Weise — der Verpflichtung des Textes auf Linearität verweigern. Im übrigen ließe sich m.E. durchaus zeigen, daß etwa die Handschriften zu Der Einzige, keineswegs schlechthin chaotisch sind. StA V 217ff. Vgl. Michael Franz in Kreuzer 2002, 256. Vgl. FHAXV331. Vgl. Sattler 1996.
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durch ihre erscheinende Symmetrie, ihre eindrückliche Stimmigkeit und Vollendetheit auf dieser nonsemantischen Ebene unübersehbar bekunden. 19 Die Relevanz der ästhetischen Dimension gerade an Manuskripten, die sich zugleich außergewöhnlich leicht lesen lassen, macht deutlich, daß Hölderlin, indem er die Reihenfolge der Texte offen läßt, sowohl dem herkömmlichen als auch einem alternativen, in der abendländischen Tradition marginalisierten Begriff von Schrift - und damit auch einem alternativen Verhalten zu solcher Schrift — Raum geben will. Die Marginalisierung scheint indessen heute nur noch ein Kennzeichen des sprachphilosophisch-wissenschaftlichen Diskurses zu sein, denn unsere Lebenswelt ist nahezu permanent und überall von diesem alternativen Schriftverständnis geprägt: die Werbung hat ein präzises Bewußtsein von der empirisch-ästhetischen Signifikanz von Text. Als beliebige Beispiele sei daran erinnert, wie die extrem dicke Strichstärke sowie die winzigen Serifen an den geraden, schnörkellosen Buchstaben des Schriftzuges, des >Logosbloß< subjektiv, keiner exakten Bestimm u n g zugänglich, unkalkulierbar und folglich unbrauchbar für die Erfassung des Absoluten. Dabei wird dann aber deutlich, daß der vernünftigen, logischen Sprache genau jene Eigenschaft zugemessen wird, die der Mainstream abendländischen Denkens üblicherweise nicht sich selbst, sondern gerade dem marginalisierten u n d nicht-wissenschaftlichen Sprechen, z.B. in Gestalt von Zaubersprüchen, Beschwörungsformeln etc. und in der Folge im Ursprung auch der Lyrik, zuspricht, nämlich magisches Sprechen zu sein, Sprechen also, das die Macht hat, das Gemeinte tatsächlich herbeizuführen. Das abendländische Sprachverständnis ist metaphysisch, insofern es Sicherheit und Kontrollierbarkeit verspricht; aber es projiziert seine magisch-metaphysische Qualität in sein anderes, das Sprechen, das die Begegnung mit dem »sehr erlauchten Gegenstand« 2 3 nur als Ereignis anstreben und erhoffen, aber niemals herbeizwingen kann. 2 4 Es ist instruktiv, für den Zusammenhang eine Vorphase abendländischer Geistesgeschichte zu betrachten, nämlich das pharaonische Ägypten, 2 ' denn dort haben wir »eine echte Digraphie-Situation vor uns«. 2 6 »Hier hat sich für die Zwecke des Alltagsgebrauchs eine Kursivschrift entwickelt, in der die Ko-Signifikation der Zeichenformen minimalisiert u n d semiotische Interferenz weitestgehend ausgeschaltet ist«, wohingegen »die ägyptischen Hieroglyphen« mit »dem nur irgend denkbaren M a x i m u m solcher sinnlichen Präsenz von Sinnverkörperung« 2 7 ausgestattet sind. Den Schriftformen entsprechen je verschiedene Kommunikationsbereiche: während die Kursivschrift insbesondere ökonomische Sachverhalte aufzeichnete, also vordringlich zahlenförmige, in Abstraktion von materialer Welt-
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Piaton, Laches 191 e; Hervorhebung von mir, MG. Rainer Maria Rilke: Der Alchimist. (Rilke 1908, 101). Die platonische Schrift- und Sprachkritik (vgl. Phaidros und den sog. Siebten Brief) zweifelt im übrigen nur an der Verläßlichkeit der Sprache als Mittel, hält aber an der Orientierung auf Verläßlichkeit selbst als Zweck fest. Zu den Einflüssen Ägyptens auf die griechische Antike siehe J. Assmann 2000. Im übrigen dürfte ein Zusammenhang bestehen zwischen der üblichen Geschichtsvergessenheit der Philosophie in Bezug auf ihre der Vorsokratik vorausgehenden Ursprünge und ihrem vereinseitigten Schriftbegriff. In ähnlicher Weise führt die Konfrontation mit außereuropäischen Schriftsystemen zur Frage nach dem Zusammenhang zwischen Alphabetschrift und Spezifika des abendländischen Denkens (Stetter 1997). J. Assmann 1988, 150. Ebd. und 151. 37
haftigkeit gewonnene Sinngehalte, 28 beziehen sich die Hieroglyphen »in ihrer ikonischen >Weltreferenz«< auf Sinnhaftes und Göttliches, das »die Welt schon als solche in unerschöpflichen Formen zur Erscheinung bringt«. 29 Damit verknüpfen sich mit beiden Schriftsystemen unterschiedliche Formen der Signifikation, die zugleich auf zwei verschiedene metaphysische Orte des Absoluten verweisen: entweder es befindet sich jenseits der materialen Welt oder aber in ihr selbst. »Wenn sich in den sinnlich faßbaren Erscheinungsformen der Welt Göttliches manifestiert, dann bedeutet die Weltreferenz der Bilder eo ipso Gottreferenz«, und dann kann »der faszinierte Blick»kontemplative() Anschauung« 30 der Bild-Zeichen zugleich Entzifferung der Welt als göttlich durchwirkter bedeuten. Entscheidend aber ist, daß sich mit diesen alternativen Welt- und Zeichenverständnissen auch verschiedene Rollen für das Subjekt verbinden, das sich mit Hilfe der Zeichen so oder so in der so oder so verstandenen Welt bewegt. »Die eigentliche Verantwortung liegt bei dem aktiven, vom Diktat der Sinne unabhängigen produktiven menschlichen Geist«, wenn der »Impuls der Sinne lediglich als eine Initialzündung [...] den Verstehensprozeß anregt und einleitet«, die »Wege des Geistes« sich aber »möglichst weit von diesem Ausgangspunkt entfernen« müssen, »wenn der Gedanke in den Bereich von Generalität und Universalität vordringen soll.«31 Demgegenüber verlangt die Vorstellung von der Signifikanz der Welt, sich dieser kontemplativ auszusetzen, um in »Konzentration geduldiger Betrachtung« nicht abzulassen »vom Geheimnis der Objekte«. 32 Erkenntnis kann dann gerade nur unter Verzicht auf Kontrolle gelingen, als Gabe oder Ereignis, sie ist nicht der Natur auf der Folter zu entreißen (Francis Bacon), vielmehr heißt es Nicht müde werden Sondern dem Wunder Leise W i e einem Vogel Die Hand hinhalten. 33
Der Blick nach Ägypten ist aber nicht nur heuristisch interessant, insofern er ein abstraktes Vergleichsraster liefert, mit dessen Hilfe die Manuskriptsituation plastisch begriffen werden kann, Ägypten ist zugleich als Ursprung desjenigen historischen Hintergrundes anzusehen, in den sich Hölderlin selbst einfügt. Denn es gibt eine deutliche, wenngleich nicht immer scharf abgegrenzte und oft mäandernde Traditionskette, die von dort, um nur einige, mehr oder weniger zufällig heraus gegriffene Stationen zu nennen, über Hermes Trismegistos, die Neuplatonik, den Physiologus und Horapollon, Paracelsus und Jakob Böhme, die
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Darin verbirgt sich bereits eine Entwicklung; Zahlen sind nicht a priori >weltlosOberhalb< dessen, was Schrift ist und als Signifikant im herkömmlichen Sinn funktioniert, d.h. ganz real über den beiden Blättern an der Stelle eines gemeinsamen Titels, ist der Diskurs zu Ende.
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Vgl. z.B. auch Adorno über die Darstellungsschwierigkeiten der Ästhetischen Theorie: »Sie bestehen [...] darin, daß die einem Buch fast unabdingbare Folge des Erst-Nachher sich mit der Sache als so unverträglich erweist, daß deswegen eine Disposition im traditionellen Sinne, wie ich sie bis jetzt noch verfolgt habe (auch in der »Negativen Dialektik verfolgte), sich als undurchführbar erweist. Das Buch muß gleichsam konzentrisch in gleichgewichtigen, parataktischen Teilen geschrieben werden, die um einen Mittelpunkt angeordnet sind, den sie durch ihre Konstellation ausdrücken.« (zitiert nach dem Editorische(n) Nachwort der Herausgeberinnen Gretel Adorno und RolfTiedemann; Adorno 1970, 541). Sein Aufsatz Parataxis /Zur späten Lyrik Hölderlins (Adorno 1974, 447—491) versucht indessen, innerhalb linearer Textualität Formen der Gleichordnung aufzudecken, und unterbietet insofern die Möglichkeiten Hölderlins. Die diversen Herausgebertitel sind nicht nur falsch, insofern, wovon noch die Rede sein wird, die Fixierung auf Pindar heuristisch schädlich ist, sie decken die zentrale Lücke im Konvolut zu und verhindern so die Wahrnehmung dieses essentiellen Zusammenhangs.
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Damit bezieht Hölderlin freilich dezidiert außerhalb des abendländischen Schrift- und Sprachverständnisses Stellung, ja außerhalb der Logos-zentrierten, abendländischen Philosophie. Durch den Verstoß gegen die Verpflichtung auf das >eins nach dem andern< ist nicht mehr die Ratio das Rezeptionsorgan, auf das es hier ankommt, sondern der ästhetische Sinn. Was dieser Sinn ist, wird vielleicht die Interpretation der Texte Untreue der Weisheit, und Die Asyle, ergeben, entscheidend aber ist hier, daß dessen Wahrnehmungsresultate in keiner Weise und in keinem Umfang vom Produzenten des Textes präjudizierbar sind, weil sie überhaupt keinen benennbaren Inhalt besitzen. Was das Ganze der beiden Blätter 413 und 423 für die betrachtende Person ist, kann nicht gesagt werden, weil es überhaupt nicht in Sprache ist. Das Ganze der Blätter dient gleichwohl der Kommunikation; indem ich es betrachte, trete ich in einen Kontakt, aber der Inhalt dieser Begegnung ist vom Gegenstand nicht bestimmt, er läßt ihn offen. Dadurch, daß Hölderlin die letzte, die umfassende und eigentlich wesentliche Bedeutungsdimension seines Textkonvoluts frei gibt, tritt er aus dem abendländischen Zusammenhang der Metaphysik heraus, dessen Kernbestand im Uberzeugungs- und somit Sicherheitsbedürfnis zu sehen sein dürfte. 44 Damit diese Dimension in den Blick geraten kann, bedarf es der Freiheit für die Rezipierenden, und zwar zuvörderst, wie bereits zu sehen war, der Freiheit von Privateigentum. Es muß jedermann und -frau freier Zugang zu den Blättern gewährt sein, wenn das alternative Rezeptionsverhalten, das sie initiieren, nämlich daß die Menschen zu ihnen kommen und nicht reproduzierte Texte in die Häuser der Menschen, zu Stande kommen und somit tatsächlich >Textarbeit< geleistet werden soll, anstelle des konsumierenden Genusses »schöner Verse«4' vermeintlich »gesicherter Texte«.46 Es bedarf aber auch, pathetisch formuliert, der Freiheit der Gedanken, denn es muß die Möglichkeit bestehen, sich vom Mainstream abendländischen Denkens ab- und marginalisierten Positionen zuzuwenden; Häresie darf kein Straftatbestand sein und >Irrationalismus< kein Totschlagargument, das von vorneherein das Gespräch beendet. Nur dann kann es gelingen, institutionell bewehrte Rezeptionsraster, die, wovon der in Rede stehende Gegenstand eindrückliche Beispiele abgibt und noch geben wird, längst mehr verzerren und verstellen als sichtbar machen, zu überwinden und beiseite zu legen, und seien sie vermeintlich so selbstverständlich wie die Erwartung, daß ein >Text< zu >lesen< sei. Die textkritische Betrachtung der Blätter 413 und 423 hat ergeben, daß wir zwei Texte vor uns haben, Die Asyle, und Untreue der Weisheit. Dem wird die weitere Analyse zu folgen haben, indem sie sich dieser Einzeltexte je gesondert
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Analog zur Schrift- u n d Sprachkritik Piatons, die als Kritik an den Mitteln gleichwohl an Verläßlichkeit als Zweck festhält, trifft seine Kritik an den Sophisten nur die Mittel der Meinungssicherung im Gesprächspartner, nicht diese selbst als Zweck. Schmidt 1995, 125. Ebd., 124.
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annehmen muß. Sie wird dabei im Bewußtsein behalten müssen, daß jedem dieser Texte folglich immer schon eine >Urteilung< vorausliegt, die eine ursprüngliche, nichtsprachlich verfaßte Einheit in zwei Teile spaltet. Insofern wir dieser Einheit Universalität unterstellen konnten, dürften die beiden Texte zwei Alternativen abbilden, die additiv Alles schildern oder darstellen, was in Gestalt von Text bzw. Sprache möglich oder vorhanden ist. Zu erwarten steht, daß sie gleichsam zwei Seiten einer Medaille bilden, die analog zum äußeren Eindruck, den sie vermitteln, so zusammengehören, daß sie ohne einander nicht gedacht werden können, und die sich zugleich gegenseitig ausschließen. Denn die Freiheit, die Bedingung für die adäquate Begegnung des Ganzen mit den Rezipierenden ist, benennt auch die Weise der Begegnung der beiden Texte untereinander; nur weil sie nicht in eine Reihenfolge und Hierarchie eingebunden sind, kann im umfassenden Sinn eine Beziehung zwischen den Rekten entstehen. Nur weil sie Individuen sind und nicht Elemente einer vorbestimmten, höheren Ordnung, d.h. weil in der nonverbalen, inhaltsoffenen Einheitserfahrung Ordnung und ihr Gegenteil in einem Zugleich aufgehoben sind, können die Texte aus sich heraus eine Ordnung stiften und sich in diese einfügen. Entscheidend aber ist, daß diese Ordnung eine in der Sprache sein wird, denn wir werden nunmehr Texte lesen.
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Untreue der Weisheit.
3.1
Textstruktur
Dem Versuch, einen der beiden Texte zu lesen, geht notwendig die Wahl zwischen beiden voraus; mangels Gründen für die eine oder andere Entscheidung ist sie zufällig zu treffen. Danach beginnen wir zu lesen, was angesichts des sauberen Schriftbildes für alle, die sich mit Hölderlins Handschrift etwas vertraut gemacht haben, zunächst ohne Schwierigkeiten auf dem ganzen Blatt gelingt. Zur exakten Sicherung des Textes bedarf es indessen zweierlei Arten der Nachbereitung; zum einen gilt es, den genauen Wortlaut festzulegen, indem Unklarheiten wie Verschreibungen und Korrekturen usw. emendiert werden, und zum andern ist die Struktur dieses Wortlauts zu bestimmen, d.h. Verhältnisse struktureller Räumlichkeit sind von semantisch irrelevanten Textanordnungen zu scheiden.
3.1.1 Struktur Weil mit der veränderten Orientierung im Text auch eine gegenüber der bisherigen Forschung veränderte Terminologie zur Bezeichnung der Textelemente einher geht, die einzuführen ist, soll mit der weiteren Bestimmung der Architektur innerhalb der freilich nur analytisch zu trennenden Phasen des Leseprozesses begonnen werden. Wenn die Uberschrift »Untreue der Weisheit.« vom gesamten nachfolgenden Text abzutrennen ist, so hat dies zuerst unmittelbar Konsequenzen für den Text des sogenannten »Pindarfragmentes«, das bislang unter diesem Titel ediert worden ist, weil dieser Text nunmehr ohne Überschrift dasteht; er ist deshalb innerhalb von Untreue der Weisheit, als eine Art Vorwort aufzufassen. Darauf folgen dann die übrigen sechs Texte, die gleichwertige Überschriften tragen und deshalb angemessen als Kapitel anzusprechen sind. Die Plausibilität dieser Gliederung fällt sofort ins Auge, wenn man die Kapitelüberschriften betrachtet: es sind zunächst drei der Form »Von x.« (»Von der Wahrheit.«; »Von der Ruhe.«; »Vom Delphin.«), gefolgt von dreien der Form »Das x.« (»Das Höchste.«; »Das Alter.«; »Das Unendliche.«). In Verbindung mit dem Vorwort ohne Überschrift ergibt sich eine unschwer zu erkennende Entwicklung innerhalb der so abgegrenzten Abschnitte, nämlich von einem dreigliedrigen Text, der ohne Titel nichts weiter tut, als sich selbst zu präsentieren, über eine dreigliedrige Gruppe von Texten, die durch die separativ wie
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partitiv zu lesenden »Von«-Titel etwas repräsentieren, zu einer abschließenden, ebenfalls dreigliedrigen Gruppe, die in ihren reflexiv-deklarativen Titeln zu Selbstrcpräsentation gefunden haben. Ohne der inhaltlichen Analyse vorgreifen zu wollen, dürfte auf der Hand liegen, dal? wir es mit einem dialektischen Dreischritt aus Setzung, Entgegensetzung und Zusammensetzung zu tun haben. Wesentlich aber ist, daß damit das Textmaterial des Blattes 413 endgültig seinen Status als bloße Ansammlung isolierter Stücke verloren hat, in die die bisherige Editionspraxis den Zusammenhang zerbrochen hatte, um dann hilflos vor der Frage nach der Systematik der »Fragmente« zu stehen.1 Vielmehr ist die stringente Organisiertheit des ganzen Textes Untreue der Weisheit, unübersehbar, wodurch den einzelnen Abschnitten Rollen und Positionen zugewiesen werden, von denen aus sie sich implizit gegenseitig kommentieren und auch widersprechen können. Die Abfolge des Textes, die im Ganzen des Konvoluts aufgehoben, und zwar wesentlich im Sinne von: annuliert war, wird hier zum zentralen Organisationsprinzip, das dem Text nicht nur einen roten Faden, einen eigenen narrativen Zusammenhang verleiht, sondern, wenn wir die Dialektik idealistisch ernst nehmen, ihn zu einem Abbild des Kosmos erhebt. Die Gleichzeitigkeit von Untreue der Weisheit, und Die Asyle., die in der inhaltslosen, nonsemantischen Präsenz beider Texte zu einer überzeitlichen wird, weicht hier im Text dem Früher und Später des Geschichtlichen. Präzisieren wir die Gliederung, betrachten wir zunächst das Vorwort: die FHA zählt in der Handschrift sechs Verse des ersten Gedichtes, sodann, nach einer Leerzeile, elf Zeilen Prosa2 und - ohne Leerzeile angeschlossen! - weitere neun Verse. Zusammengenommen besteht das Vorwort also aus 26 Zeilen plus einer Leerzeile, oder anders formuliert: die Vollständigkeit von drei mal neun Zeilen wird gerade dann erreicht, wenn das abwesende Element, das eine Stück NichtText hinzugezählt wird. Es ist die Leerstelle, die den Textabschnitt komplettiert, und somit kann diese erste Setzung des Vorwortes plausibel ihre Herkunft aus den übergeordneten Verhältnissen des Ganzen des Konvoluts demonstrieren. Dieser Befund ist umso überzeugender, wenn wir beachten, daß Hölderlin mit weniger Zeilen hätte auskommen können; in der letzten Prosazeile steht nur noch das Wort »Pelias:«, das ohne weiteres in der vorhergehenden Zeile noch Platz gefunden hätte, wenn Hölderlin dort nicht so ungewöhnlich und auffallend große Wortzwischenräume gelassen hätte, ganz zu schweigen von der Schärfe, mit der er das Wort »Schärfe«, etwas schief, drei Zeilen darüber in die Zeile hinein gedrückt hat. Freilich lohnt sich das Zählen in dieser Weise nur, wenn die Uberschrift dabei außen vor bleibt; wir sehen also, daß die Binnengliederung des Textes die Analyse des Layouts unterstützt und umgekehrt.
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Michael Franz (in Kreuzer 2002, 256) hat die Klärung des Zusammenhangs der »Pindarfragmente« als Hauptaufgabe künftiger Forschung bezeichnet. Solange über den Charakter der Textteile nichts weiter zu sagen ist, bleibt der Eindruck maßgeblich, den das Schriftbild vermittelt: der Versbruch, d.h. die unvollständigen Zeilen sprechen für Lyrik, die vollständigen für Prosa. Weitergehende Ansprüche sollen mit diesen Termini nicht verknüpft sein.
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Die noch sorgfältigere Betrachtung, vorangetrieben gleichsam von den >Erfolgen< bis hierher, zerstört indessen das Gleichmaß wieder. Trotz des gegenteiligen optischen Eindrucks ist das zweite Gedicht nicht durch eine Leerzeile von der Prosa abgetrennt;3 der Eindruck entsteht vielmehr bloß deshalb, weil, wie bereits beschrieben, in der letzten Prosazeile nur noch »Pelias:« steht, der Anfang des Gedichtes aber bis weit hinter das Ende dieses Wortes eingerückt ist. Die Leerzeile ist also quasi als gebrochene vorhanden, verteilt auf zwei Zeilen, was bedeutet, daß die konventionell gleichförmige, dreiteilige Form des Vorwortes nur scheinbar vorliegt, tatsächlich aber die Konvention aufgerufen und demontiert wird. In der Folge ist aus dem Schriftbild nicht mehr zu entscheiden, welchen Status das zweite Gedicht besitzt, ob es unabhängig vom Prosaabschnitt dasteht oder an diesen angebunden ist. Die Situation ist insofern von Bedeutung, als hier das einzige Mal von der Struktur abgewichen wird, ein Gedicht einem Prosaabschnitt voranzustellen; im Hinblick auf die noch zu leistende Klärung des Verhältnisses von Lyrik- und Prosastücken wird auf den solcherart ambivalent gehaltenen Anschluß noch zurückzukommen sein. Die vermeintlich klare Gliederung des Textes hat begonnen, brüchig zu werden. Dieser Prozeß setzt sich fort, wenn der Blick auf die auffällig eingerückte erste Zeile des zweiten Gedichtes fällt. Sie ist nicht nur die erste Zeile des einzigen, der Prosa nachgestellten Gedichtes, sondern überdies die einzig eingerückte Zeile im ganzen Konvolut. Dieser hervorgehobenen Position entspricht der Inhalt, denn nirgends sonst auf beiden Blättern spricht sich ein Subjekt so offen, ungebrochen und entschlossen aus wie in diesem und den folgenden Versen, der Satzanfang »ich glaube die Lehre« hat unverkennbar Credo-Charakter. Diese massive Betonung wird nun noch gesteigert, indem der Text gerade so weit in der Zeile nach hinten versetzt wird, daß der Anfang des Textelementes etwa auf jene Linie zu liegen kommt, die die Anfänge der beiden Überschriften auf dieser Seite, »Untreue der Weisheit.« und »Von der Wahrheit.« verbindet. Die Zeile nimmt dadurch am Status der Uberschrift teil, umgekehrt aber werden die Überschriften gleichsam in den Text hineingenommen und auf seine Ebene heruntergezogen. Dann aber relativiert sich der Status der Überschriften und umgekehrt beginnt der eingerückte Vers zusätzlich zu oszillieren. Welches Element ist das wichtigere von beiden? Welchen Wert und Rang haben eigentlich die Überschriften im Text? Oder sind sie einfach auch >nur< Text wie der übrige? Schließlich hat Hölderlin sie ja auch nicht unterstrichen oder sonstwie typografisch hervorgehoben, und sie werden von Punkten abgeschlossen wie alle anderen Sätze und Ellipsen auch.4
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Auch die FHA zählt hier keine weitere Zeile: XV 339; 413/1, 18-19. Die bisherige Editionspraxis hat diesen Punkten, auf die noch vielfach zurückzukommen sein wird, keine besondere Aufmerksamkeit verliehen. Im Lesetext der FHA (XV 363) fiel der Punkt hinter »Das Belebende.« dem Druckfehlerteufel zum Opfer — in der linearen Textdarstellung (342; 423/1, 1) ist er noch d a - u n d Michael Knaupp (1992, II 384) und Heike Bartel (2000, 161) drucken das so nach. Gar keine Punkte setzen: Pigenot 1923, Zinkernagel 1915, 1926, StA, DKA.
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Das Problem, eine eindeutige Struktur zu bestimmen, vergrößert sich im Textverlauf, wenn man die Abstände zwischen den Kapiteln und ihren Uberschriften, die die bisherige Editionspraxis im Interesse der anzustrebenden Symmetrie im Verstoß gegen editorische Redlichkeit und die Logik gleichermaßen eingeebnet hat, wirklichkeitsgerecht bilanziert. So wird die fehlende Leerzeile vor der Uberschrift »Vom Delphin.« dadurch erklärt, daß der letzte Satz des vorangehenden Prosaabschnittes nachträglich, also nach der Niederschrift des Zwischentitels erfolgt sei.' Es findet sich aber auch nach der Überschrift keine Leerzeile,6 was niemand kommentiert. Während also die eine Irregularität als Spur der Textgenese verwendet wird, fällt die andere unter den Tisch, weil für sie im Rahmen der erprobten Kausalitäten keine Rolle zu finden ist; so oder so sind damit beide Phänomene für die Strukturanalyse des Textes neutralisiert, auch wenn in diesem Moment der Überlegungen noch offen bleiben muß, was der Sinn dieser Struktur ist. Gleichermaßen wird beim korrespondierenden Fall verfahren; der letzte Satz vor der Überschrift »Das Alter.« beginnt in der untersten Zeile auf der dritten Seite des Doppelblattes nach einem auffallend und ungewöhnlich breiten Wortzwischenraum. Die FHA deutet diesen Abstand recht zuversichtlich7 als Zeichen für einen Absatz, das kann aber nicht überzeugen, denn einen Absatz anzuzeigen, anstatt ihn einfach zu machen, d.h. in der nächsten Zeile weiterzuschreiben, ist nur dann vonnöten, wenn in der nächsten Zeile bereits Text steht, wenn der fragliche Satz also nachträglich eingefügt wird. Das aber ist definitiv nicht der Fall, Hölderlin schreibt auf der nächsten Seite völlig flüssig weiter, es gibt keinerlei Stockung im Textfluß, die die Lücke in dieser Weise erklären könnte.8 Hingegen ist unschwer zu sehen, daß dieser letzte Satz, der überdies durch eine relativ große Anzahl von Korrekturen und Verschreibungen auffällt, in seiner Metasprachlichkeit (»>König< bedeutet hier den Superlativ, der nur das Zeichen ist für den höchsten Erkenntnißgrund, nicht für die höchste Macht.«) einer ganz anderen Ebene als der bisherige Text angehört; diesen Sprung zwischen den Sprachebenen kann die Lücke sinnvoll abbilden, sie ist also an sich selbst verständlich. Demgegenüber findet sich in der letzten Zeile der zweiten Seite des Blattes vor dem Beginn des Satzes »Um diese Zeit giebt ...« ein ähnlich breiter Wortzwischenraum, den zu verstehen allerdings wieder spontan schwerfällt. Und ein dritter Fall soll angesprochen werden. Eben jenes Kapitel Vom Delphin., das bereits durch die sehr beengten Verhältnisse auffiel, in denen es an den vorhergehenden Text anschließt, muß Aufmerksamkeit erregen, weil es durch den Aufbau aus einem zweizeiligen Gedicht, einem verhältnismäßig langen Prosaabschnitt in der Mitte und einem weiteren kurzen Prosaabschnitt eine relativ
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Vgl. StA V 517; FHA XV 340 (Eintrag nach Zeile 413/2, 25: »III, 17 2 -19 erst nach dem Beginn yon IVtingefügt.«). F H A X V 340; 413/2, 2 5 - 2 6 . »Vmtl.«, d.h. gemäß Glossar auf Seite 8 des Bandes als »stärkere Hypothese«. Zahlreiche Ausgaben ignorieren die Lücke einfach im Druck, so Bernus 1916, 308; Zinkernagel 1926, 382; Pigenot 1923, 9; DKA, II 770; Knaupp 1992, II 382; die Stuttgarter Ausgabe bildet sie immerhin kommentarlos nach, StA V 285.
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deutliche symmetrische Dreiteilung aufweist, die im Rahmen der Dreier-Struktur des Textes sicherlich von Bedeutung ist. Vorausgesetzt jedoch, wir nehmen die Gliederung überhaupt so vor, denn die Abstände zwischen diesen Abschnitten sind keineswegs so eindeutig, wie etwa die Zeilenzählung der FHA suggeriert.9 Diesen Sachverhalt wiederum könnte man vielleicht deuten, indem man ihn unter die Bestrebungen subsumiert, oberflächlich eine konventionelle Form zu produzieren, die bei näherer Betrachtung sich in ihr Gegenteil verkehrt. Entscheidend aber ist die Frage, und dazu sollte dieses relativ ausführliche Referat dienen, wie nun eine abstrahierte Textgestalt aussehen soll, die wir in Druck geben könnten. Offensichtlich finden wir auch hier wie im Hinblick auf beide Blätter zusammen keine solche. Denn wie zu sehen war, widerspricht dazu einerseits die geglättete Struktur der bisherigen Editionen zu deutlich dem Manuskriptbefund; der Versuch andererseits, eine bessere, adäquatere Gestalt zu finden, sieht sich mit dem Problem konfrontiert, entweder den Prozeß der Angleichung an einem bestimmten Punkt dezisionistisch abzubrechen, also etwa Vom Delphin, symmetrisch dreigliedrig zu setzen, aber die Lücke vor »Um diese Zeit giebt...« zu unterdrücken, oder aber diesen Prozeß zu seinem Ende zu führen, was nichts anderes bedeutet, als bei dem Faksimile (bzw. idealiter bei dem Manuskript) anzukommen, von dem der Gang seinen Anfang nahm. Dabei wäre der Abbruch des Prozesses deshalb nur dezisionistisch zu leisten, weil wir dazu ein Kriterium bräuchten, das eine klare Unterscheidung zwischen semantisch relevanten Phänomenen und Hintergrund zuließe, das aber haben wir nicht, insbesondere will ich nicht mein bescheidenes Verständnis zum Maßstab erheben und nur solche Textverhältnisse drucken, die zufällig mir unmittelbar als sinnvolle einleuchten, also etwa die Lücke in Das Höchste., nicht jedoch jene in Vom Delphin. Maßgeblich wäre allein ein Kriterium von transzendentalem Status, unabhängig davon, wie ein solches Kriterium aussehen könnte oder woher es zu erlangen sei; es kann nicht darum gehen, an welcher Stelle ich oder jemand anders die Grenze zwischen Sinn und Unsinn anzusetzen geneigt sein mag, sondern nur darum, was von jeder beliebigen Rezipientin bzw. was an sich für zeichenhaft oder kontingent zu halten ist. Damit aber dürfte nunmehr diejenige argumentative Ebene erreicht sein, auf der sich das in Rede stehende Konvolut von Texten eigentlich bewegt: es geht ihm darum, die Bedingungen der Möglichkeit des Verstehens auszuloten, Untreue der Weisheit, und Die Asyle, stellen eine transzendentale Hermeneutik dar. Dies geschieht im Sinne Immanuel Kants auf dem Wege immanenter Selbstaufklärung, wobei jedoch im Gegensatz zu Kant nicht allein die Vernunft, sondern insbesondere auch die Sprache als Subjekt und Objekt der Kritik fungiert. 10 Vor allem
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Gänzlich hinfällig wird diese Diskussion freilich, wenn man die Prosaabschnitte ohnehin vollständig auseinander reißt und im Stil moderner Business-Korrespondenz überall zwischen zwei Absätze eine Leerzeile einfügt, vgl. Uffhausen 1989. Das Verhältnis von Sprache und Denken bzw. Vernunft innerhalb Untreue der Weisheit. und Die Asyle, ist noch nicht zu klären unternommen.
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aber, wiederum mit Kant, ist die Untersuchung sorgfältig bemüht, sich diesseits der Grenzen zu halten, in diesem Fall diesseits der Grenzen, die die Kritik der Sprache als Subjekt ihr als Objekt setzt. So hat die Betrachtung der beiden Blätter zusammen bereits ergeben, daß der fehlende Gesamttitel in Verbindung mit der nicht zu klärenden Reihenfolge der Blätter schlüssig als >Ausdruck< der Verwiesenheit der Blätter als Texte auf einen vorgängigen, außersprachlichen Modus der Signifikanz gedeutet werden kann, wobei jedoch alle propositional geäußerte Deutung jenem Widerspruch verfällt, den die Blätter vermeiden, nämlich über etwas zu reden, was gerade nicht in, sondern nur an Sprache sein soll. Zugleich aber ist durch die spezifische Komposition der Blätter eben dieser andere, umfassende Raum der Signifikanz eröffnet und präsentiert, wenngleich nicht im Sinne eines verläßlichen oder gesicherten; Sicherheit und Kontrolle gehören, weil sie Bestimmtheit voraussetzen, dem abgeleiteten Modus logisch-semantischer Signifikanz zu. Es ist folglich der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen jegliche Art Signifikanz sich vollzieht; es sind sämtliche Rezeptionsvermögen aufgerufen, die uns zur Verfügung stehen; und es werden alle Formen des Rezeptionsverhaltens initiiert, die dem Phänomen Text gegenüber möglich sind, jedenfalls soll hier dieser Anspruch, An-sich- und Für-anderes-Sein darzustellen, Empfinden und Begreifen anzubieten und Betrachten und Lesen zu ermöglichen, den Blättern unterstellt werden. Diese Durchmusterung der Möglichkeiten setzt sich nun innerhalb von Textualität fort; wir können dem Textmaterial auf dem Blatt 413, dem Text Untreue der Weisheit., eine angebbare Architektur unterstellen (oder entnehmen, darauf kommt es hier nicht an). Dann haben wir ein reproduzierbares Allgemeines, einen Text in druckfähiger Gestalt, d.h. eine so oder so festgelegte räumliche Anordnung des Textes, die als diejenige gelten soll, die dem Manuskript zugrunde liegt oder intendiert war oder vernünftig ist o.ä., das muß hier nicht entschieden werden. Wie dieser Text genau aussieht, ist ebenfalls nicht das Problem; vielmehr geht es um die Entscheidung, ob wir eine solche Gestalt akzeptieren und uns damit zufrieden geben oder aber nicht. Wenn wir sie finden, steht die Struktur der Handschrift wieder für ein intelligibles Für-anderes-Sein, das wir begreifen, lesen und drucken können; wenn nicht, bleibt sie ein empirisches Gefüge, das wir empfindend betrachten können — wobei es genauso viel zu entdecken gibt, wie beim Lesen - , das aber irreproduzibel und unersetzlich ist. Und wir machen auch hier die Beobachtung, daß das Lesen, das für uns gegenüber dem Betrachten durchaus die >natürlichere< Haltung sein mag und dem die Blätter ja auch förmlich mit offenen Armen entgegenkommen, von selbst zu seinem Ende kommt - wenn wir es nur redlich genug betreiben - und ins Betrachten umkippt. Der Versuch, die Textstruktur von Untreue der Weisheit, zu klären, nahm seinen Ausgang von einem klaren und plausiblen Befund, nämlich der Dreier-Struktur im Aufbau und in der Abfolge der Kapitel, die wir, wie im Falle nonsemantischer Signifikanz, zwanglos in einem historisch-konzeptionellen Hintergrund verorten konnten, der für Hölderlin fraglos maßgeblich sein kann, 48
nämlich der idealistischen Dialektik. Dabei kann es hier gar nicht darum gehen, solche Bezüge zu präzisieren, weil wir mangels propositionaler Gehalte, d.h. inhaltlicher Interpretation noch gar kein Relat haben. Aber der Wiedererkennungseffekt ist hinreichend stark, um mit gutem Grund für solche Verhältnisse wie Abstände und Leerzeilen etc. über das bislang an den Tag gelegte Maß sensibilisiert zu werden. Nur: dann entgleiten uns die eindeutigen und plausiblen Verhältnisse wieder, sie verschwimmen in einer Komplexität, der nicht mehr zu folgen ist, zumindest vermag ich das nicht, freilich werden andere das Verstehen weiter führen. Entscheidend aber sind zum einen die Offenheit und Unabschließbarkeit dieses Klärungsprozesses sowie zum andern, daß die Initiation dieses Prozesses vom Text offensichtlich angestoßen ist; wir >dekonstruieren< ihn nicht, sondern folgen einem Weg, den er selbst gebahnt und gewiesen hat. Die >benutzerfreundliche< Oberfläche mit den wenigen, prominent gestreuten Wegmarken leiten zuverlässig all diejenigen, die sich darauf einzulassen bereit sind. Deshalb ist nicht mehr allein von einem Gegenstand zu sprechen, der sich zu einem bestimmten Zweck eignet; vielmehr hat sich die Rollenverteilung innerhalb des vorliegenden Unternehmens umgedreht. Nicht ich betreibe eine Untersuchung, sondern lasse mich von Hölderlins Blättern als Subjekt/e treiben, wenn ich die Angebote, die die Blätter machen, wahrnehme. Damit wird anstelle meiner als vermeintlichem Autor der Text zur Ursache, zugleich aber realisiert sich das kritische Geschäft des Textes nur und erst in meiner Arbeit; ich als Akteur aktualisiere, d.h. vergegenwärtige und praktiziere die Kritik, die in den Blättern als Möglichkeit vorgezeichnet ist. So war die Einheitserfahrung, die beide Blätter zusammen vermitteln, ja nicht eine auf der Ebene der Blätter oder gar des Textes, sondern meine als Betrachter, als der ich nicht nur nach-, sondern überhaupt vollziehe. Die Interpretation als Verwirklichung des (text-)kritischen Geschäftes ist, im idealistischen Jargon, die notwendige Entäußerung des An-sich in eine Konkretion, die aber zugleich, weil sie Konkretion ist und deshalb im Widerspruch zu ihrem Wesen, sich selbst wieder aufhebt. Der Text verfügt dabei aber über den Rezipienten als Medium der Entäußerung über keine Kontrolle; das Geschehen kann auch ausbleiben. Die Freiheit, aus der heraus es geschehen kann, ist damit zugleich die Freiheit-zu der Verwirklichung eines Möglichen als auch der Freiheit-von der Bestimmung. Insofern es nicht primär um das doktrinäre Auflisten von Sachverhalten geht, sondern um das Abschreiten von Möglichkeiten, also um Praxis mehr als um Theorie, jedoch das Spektrum dieser Möglichkeiten, wie bereits betont, keinesfalls naiv mit dem zu identifizieren ist, was mir allein dazu einfällt, verwirklicht sich die kritische Intention der Blätter erst, wenn - strenggenommen - schlechterdings alle Stellung bezogen haben. Weil die Blätter transzendental auszuloten beabsichtigen, was mit dem Begriff des Textes insgesamt zu verbinden ist, kann sich die Thematisierung nicht auf Sprache als System logisch-semantischer Bezeichnung als partikularem, verkürztem Textbegriff beschränken; damit aber ist zugleich die Unmöglichkeit beschlossen, textimmanent die transzendentale Dimension
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zu erzielen. Es kann kein transzendentales Kriterium z.B. für die Frage nach der strukturellen Räumlichkeit von Text in propositionaler Form ausgesagt werden, weil das in Text geschehen müßte, der immer schon diese oder jene strukturelle Räumlichkeit für sich in Anspruch genommen haben würde. Transzendentalität ist somit für Hölderlins Unternehmen nicht theoretisch-doktrinär zu erlangen, sondern nur praktisch-aktual, als die faktische Beteiligung aller am Rezeptionsprozeß, womit wir freilich erneut auf einen infiniten Prozeß gestoßen sind bzw. genauer auf denjenigen infiniten Prozeß, den die Blätter etwa in Bezug auf die Frage nach der Textstruktur initiieren. Und Hölderlin vertritt folglich einen Begriff der Sprache, der in ihr nicht ein identifizierbares System angebbarer Elemente sieht, sondern, etwa im Sinne Davidsons, als der Bestand dessen, was die beteiligten Sprecherinnen faktisch produzieren." Diese Thesen werden anhand der Textinhalte zu konkretisieren sein; festzuhalten ist hier noch einmal für den Anspruch der vorliegenden Untersuchung, daß sie infolge der vorgeführten Überlegungen das primäre Ziel nicht in der Formulierung einer bestimmten Interpretation im Sinne einer Auflistung von doktrinären Standpunkten sieht, die Hölderlins Blätter mit guten oder weniger guten Gründen zu unterstellen seien, vielmehr geht es ihr wesentlich um die interpretierende Diskussion als Praxis (die freilich nur um bestimmte Thesen geführt werden kann) und insofern um einen Anstoß und eine Erweiterung des stark festgefahrenen Gesprächs über die Blätter 413 und 423. 3.1.2 Wortlaut Wenn wir den Text lesen wollen, haben wir Buchstaben von Hintergrund zu unterscheiden; insofern wir lesen können, gelingt uns dies, und warum es gelingt oder wie es möglich sein kann, daß es gelingt, soll hier nicht zur Debatte stehen. Von Interesse ist hingegen, an welcher Stelle das Lesen stockt oder in Schwierigkeiten gerät. Das ist im Falle von Untreue der Weisheit, insbesondere dort der Fall, wo Hölderlin Korrekturen angebracht hat, wo er bereits geschriebenen Text wieder gestrichen und durch anderen Text ersetzt hat. (Im übrigen hält er sich nunmehr innerhalb des Textes streng an die Verpflichtung auf Linearität; auch dort, wo zwischen die Zeilen Text eingefügt ist, wird dieser durch Linien eindeutig an seinen Platz verwiesen,12 so daß hinsichtlich der Reihenfolge syntaktischer Elemente o.ä. nirgends Zweifel entstehen.) Die leitende These bei der Emendation gestrichenen Textes lautet dabei, daß das Gestrichene entweder Produkt einer Willkürhandlung oder Repräsentation eines früheren, aufgegebenen Standpunktes des Autors sei, es also auf alle Fälle der Äußerungsintention des Autors im Moment der Fertig-
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Vgl. Davidsons berühmte These: »There is no such thing as a language«. Christian Stetter spricht im gleichen Sinn von der Sprache als einer » ü b e r m ä ß i g e n Tatsache« (Stetter 1997, 647). Vgl. z.B. FHAXV 341; 413/4, 12-17.
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Stellung des Textes (und in aller Zukunft) widerspreche und deshalb mit dem semantischen Nichts des Hintergrundes verschmelzen könne. Zwei Kernelemente dieser Sichtweise sind hervorzuheben: zum einen, daß der Text Produkt des Autors bzw. seiner Intention sei, und zum anderen, daß es einen Moment in der Zeit gebe, von dem an der Text (in Einklang mit und als Äußerung der Autorintention) eine endgültige Gestalt besitze. Beide Thesen sind Voraussetzungen sine qua non der Sicherung einer exakten Textgestalt; andernfalls sind bei Handschriften quasi unvermeidliche Fehler und Irrtümer nicht als solche zu erkennen, weil es keinen >eigentlichen< Sinn des Textes gibt, vor dem sie widersinnig erscheinen, und es wird unklar, welche Schicht bzw. Phase der Textentstehung von einander widersprechenden und insofern widersinnigen als maßgebliche anzusehen ist. Kurz: wir unterstellen einen homogenen Textsinn, der das Kriterium >paßt< oder >paßt nicht< liefert und so sich selbst, d.h. die zu findende Homogenität zugleich bestätigt und hervorbringt. Nun ist zumindest in einigen Fällen unschwer zu sehen, daß Hölderlin seine Korrekturen gerade in der Weise setzt, daß sie nicht werden, was zu erwarten steht, nämlich Repräsentationen aufgefundener, markierter und überwundener Widersinnigkeit. Eine Stelle, vielleicht die offensichtlichste, hat die Forschung bereits bemerkt: im Prosaabsatz des Vorwortes schreibt Hölderlin »Ist intensiv der Verstand geübt, so erhält er seine Kraft auch im Zerstreuten; [...]« und setzt zum Wort »geübt« insgesamt fünf mal an. Nach Ansicht der Herausgeber der FHA schreibt er genau besehen zuerst »geü«, ändert das »ü« in ein »b«, streicht den ganzen Wortanfang, schreibt »geb«, streicht dieses, schreibt noch einmal »geb« und streicht es erneut, um schließlich »geübt« richtig niederzuschreiben.13 Dabei weicht er nicht von der Linie ab, sondern piaziert diese Versuche ordentlich hintereinander in der Zeile. Michael Franz hatte bereits bemerkt, daß die Korrekturen unmittelbar ausdrücken, was das Wort, zu dem angesetzt wurde, besagt: Hölderlin mußte offenbar die Schreibung des Wortes »geübt« erst üben.14 Dann aber sind die gestrichenen Wortfragmente nicht widersinnig, im Gegenteil, sie schildern vielmehr erst, in welchem Sinn bzw. was hier überhaupt (zumindest auch) geübt werden soll, nämlich offensichtlich das Schreiben. Eine Edition dieser Stelle, die die Streichungen emendierte, würde also gerade nicht den Text von etwas Uberflüssigem oder Aufgegebenem bereinigen, sondern ein wichtiges und bedeutsames Stück Text unterdrücken. Also sollten die durchgestrichenen Wortanfänge gedruckt werden? Offensichtlich auch nicht, den Üben ist nur als authentisches Anstreben und Verfehlen eines Erfolges jetzt und hier, was das Wort besagt, die Reproduktion eines gesicherten Allgemeinen strebt weder etwas an noch verfehlt sie etwas. Der Druck bleibt Abklatsch und kann die Bedeutung und den Kunstcharakter der Stelle im Original nicht wiedergeben, egal für welchen Wortlaut der Editor sich entscheidet, weil dem gedruckten Text Sicherheit und Verläßlichkeit
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Vgl. ebd. 339; 413/1, 12-14. Franz 1988, 153.
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unabtrennbar inhärent sind, das Manuskript seinen Sinn aber gerade daraus bezieht, daß es die Möglichkeit des Scheiterns und Verfehlens zuläßt und positiv in sich aufnimmt. Umgekehrt aber erhält die Stelle ihre offensichtliche Bedeutung nur deshalb, weil sie relativ allein steht, d.h., weil der übrige Text ein so sauberes Schriftbild zeigt. In einem chaotischen Manuskript voller Verschreibungen und Fehler, in einem Text also, der als >Entwurf< oder >Vorstufe< als ganzer der Übung dient, wäre die Stelle zu banal, um bemerkt werden und sinnvoll sein zu können. Nur weil Hölderlins Blätter sich auf Standardkonventionen der Textgestaltung, des Schreibens vordergründig einlassen, können sie sie zugleich als solche isolieren und vorführen und so direkt oder indirekt thematisieren, wodurch dann in der Folge der Standardcharakter des Textes sich wieder auflöst und ins Gegenteil umschlägt. Einige weitere Stellen, die diese Struktur auf der Ebene des Wortlauts abbilden, seien angefügt; so schreibt Hölderlin zwei Zeilen unter der eben beschriebenen Stelle zunächst »erre« und überschreibt dann das erste »e« mit einem »i«, ls auch hier also bildet die Korrektur unmittelbar den Sinn des Wortes ab. Weitergehende Deutungen, etwa daß jenes »erre« das Lateinische evozieren soll, warum auch immer, bleiben dadurch unbenommen, nur ist jedenfalls der Weg zurück zu einem >sauberen< Text verschlossen. Weiter oben im ersten Gedicht des Vorwortes schreibt Hölderlin zuerst »vielen Städten geselle dich,« streicht dann »vielen« und setzt »allen« 16 darüber; wir werden später sehen, wie hier sich der totalitäre Absolutheitsanspruch der sprechenden Stimme bis in die Textgestalt hinein durchsetzt. Im zweiten Gedicht im selben Abschnitt steht zunächst »Bei Charikli und Philyra, wo des / Centauren Mädchen mich ernähret; die heiligen.«, Hölderlin unterbricht sofort die Niederschrift und macht daraus: »Bei Charikli und Philyra, wo des / Centauren Mädchen mich ernähret, / Die heiigen; zwanzig Jahre aber hab' [...]«. 17 Während also zunächst die Mädchen noch tatsächlich heilig waren, unverkürzt, ganz bei sich im selben Vers und Herrinnen dort wie eh und je, denn das Perfektum des »ernähret« wird vor dem Ende kompensiert im »heiligen«, wenngleich aber schon gepiesackt vom Strichpunkt, der auf syntaktischer Ebene anzeigt, daß jetzt die Zeit des Stillhaltens vorbei ist, setzt dann die Emanzipation sich durch und das Perfektum am Versende absolut, die »heiigen« sind in ihrer poetisierenden Verkürzung nur noch gut für Nostalgie, werden auf diese Weise aber auch in guter Erinnerung und in der Zukunft des Folgeverses bewahrt, sie rücken an die »zwanzig Jahre« heran und verklären diese zu einer guten Zeit. Und dies, wie oben bereits angedeutet, spielt sich in einem Textstück ab, das ohnehin durch die entschlossene Demonstration von Selbstbewußtsein auffällt. Auf der übernächsten Seite im Kapitel Vom Delphin. beachte man, wie die Unterlänge des Buchstaben h am Ende von »der bewegliche
15 16 17
F H A X V 339; 413/1, 16. Ebd. 4 1 3 / 1 , 4 - 6 . Ebd. 413/1,22, 23.
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F i s c h « in e i n e m m ä c h t i g e n S c h w u n g d u r c h d i e Z e i l e d a r u n t e r h i n d u r c h bis an d a s E n d e des W o r t e s » b e w e g l i c h e « 1 8 h e r a n r e i c h t , j a a u f dieses hinweist, d e n n sie tut j a grafisch n i c h t s weiter als d i e s e m a n t i s c h e Q u a l i t ä t z u r e p r o d u z i e r e n . H a t m a n sich s o d a n n erst e i n m a l f ü r d e n o b e n b e s c h r i e b e n e n , a u f f ä l l i g breiten W o r t z w i s c h e n r a u m v o r d e m letzten S a t z i m K a p i t e l Das Höchste, z u interessieren b e g o n n e n , k a n n m a n a u c h d e n P u n k t b e m e r k e n , der exakt i n der Z e i l e n m i t t e u n d a u c h der M i t t e v o n links u n d rechts dieser L ü c k e i m F a k s i m i l e z u s e h e n ist, u n d der s o w o h l ein T i n t e n f l e c k als a u c h - d u r c h a u s p l a u s i b e l i m R a h m e n d e r b i s h e r i g e n Ü b e r l e g u n g e n - ein k o n v e n t i o n s w i d r i g e s S a t z z e i c h e n sein k a n n , w i e e t w a S t e f a n G e o r g e es g e s c h r i e b e n hat. 1 9 D a s F a k s i m i l e k o m m t hier freilich an d i e G r e n z e seiner A b b i l d u n g s k r a f t , vielleicht w ü r d e d a s O r i g i n a l w e i t e r h e l f e n , w a h r s c h e i n l i c h aber b l e i b t der P u n k t a u c h d o r t z w i s c h e n A r b i t r a r i t ä t u n d S i n n haftigkeit stehen. I c h breche hier die B e t r a c h t u n g ab, es w i r d i m Z u g e der inhaltlichen Interp r e t a t i o n n o c h a u f d i e eine o d e r a n d e r e Stelle e i n z u g e h e n sein, d a s Ü b r i g e k a n n o f f e n bleiben, d e n n es geht u m s Prinzip. D e r Versuch, d e n W o r t l a u t des Textes als einen e n d g ü l t i g e n u n d statischen zu sichern, der zugleich die I n t e n t i o n des A u t o r s w i e d e r g i b t , k a m an d e n Fällen z u m Stehen, bei d e n e n g l e i c h s a m die A u s w a h l b e s t a n d zwischen o b e r f l ä c h l i c h klar aussortierten T e x t e l e m e n t e n u n d d e n n e u e n , d i e die a u f g e g e b e n e n s c h e i n b a r ersetzen. D i e A u s w a h l w a r z u treffen, weil a u c h d i e aussortierten j a n o c h d a sind, sei es als lesbare u n t e r d e m T i l g u n g s s t r i c h o d e r als z u erschließende Z e i c h e n unter d e n d a r ü b e r g e s c h r i e b e n e n , d e n n n i r g e n d s hat H ö l d e r l i n etwas s o v o l l s t ä n d i g m i t T i n t e b e d e c k t , d a ß es nicht m e h r z u i d e n tifizieren wäre. D a s h e r k ö m m l i c h e Verfahren, d a s G e t i l g t e z u s a m m e n m i t d e n T i l g u n g s z e i c h e n f ü r s e m a n t i s c h wertlos zu halten u n d e n t s p r e c h e n d z u e m e n d i e ren, erwies sich als o f f e n s i c h t l i c h verfehlt, weil in zu vielen Fällen d i e korrigierte Stelle als ganze, d . h . der T e x t z u s a m m e n m i t seiner U n r e i n h e i t u n m i t t e l b a r als s i n n t r a g e n d z u e r k e n n e n war. W a s m i r p e r s ö n l i c h u n m i t t e l b a r einleuchtet, d a r f aber a u c h hier nicht m i t d e m identifiziert w e r d e n , w a s der T e x t a n sich s a g e n k a n n o d e r will; die G r e n z e n m e i n e s k o n t i n g e n t e n , m o m e n t a n e n Verständnisses des Textes s i n d nicht ein f ü r alle m a l d i e G r e n z e n des Textes selbst. A u c h der Prozeß der S c h e i d u n g v o n B u c h s t a b e n u n d T i n t e n f l e c k e n w a r s o m i t in E r m a n g e l u n g eines t r a n s z e n d e n t a l e n K r i t e r i u m s an e i n e m willkürlichen P u n k t a b z u b r e c h e n , e n t s c h e i d e n aber ist, d a ß der Text e b e n diesen Prozeß initiiert hat, der z w i n g e n d d e n B e d a r f n a c h e i n e m s o l c h e n K r i t e r i u m a u f w a r f . D a b e i ist a u c h hier plausibel, d a ß H ö l d e r l i n d i e F r a g e n a c h d e n G r e n z e n des Textes n i c h t >direktzuhause abgeholtrealen< existiert. Die Fähigkeit dazu, der Verstand, ist dann aus dieser Perspektive als das zu erkennen, was treibende Kraft des Umbruchs im Gedicht war; die Entstehung des Verstandes, so unterstellen wir rückblickend, läßt das Kind zum Erwachsenen und die >Primitiven< oder Primaten zu Kulturwesen reifen. Der Verstand ist somit sowohl dasjenige, was einen Umbruch erzeugt, d.h. er differenziert, als auch zugleich das Vermögen, die entstandene Trennung wieder zu überwinden: er »erkennt« »das Fremde«, darin sind sowohl die Leistung als auch der für sich stehende Gegenstand bezeichnet, der, insofern er Objekt der Leistung ist, dieser unterworfen wird, aber als »Fremde(s)« seine Fremdheit behauptet (das Wort »Fremde« ist das 63. im Absatz; es hat sowohl an der Siebenzahl des ersten Verses im ersten Gedicht als auch an den neun Versen des zweiten teil, aber es fugt sich nicht der Sechs). Dabei ist es die Wirkung des Verstandes selbst, daß es überhaupt erst Fremdes für ihn gibt; das undifferenzierte »Gemüth« des Kindes »hängt« demgegenüber unmittelbar an der Haut des Wilds, aber wir sehen nun auch, daß wir mit Hilfe des Verstandes gar nicht verstehen können, welche Beziehung das Kind zum Wild hat (oder das Wild zum Felsen), weil sie gerade aller verstandesmäßigen Differenzierung vorausliegt. Genauso können auch die Metaphern nicht aus der Faktizität ihres Sprechaktes gelöst und in einen diskursiven Gehalt überführt werden. Allerdings ist im Blick zu behalten, daß wir diese Beschreibung des Verstandes, er sei dasjenige, das das Fremde erkennt, nahezu dem Ende des Absatzes, aus der zweiten Hälfte des vierten Satzes, entnommen haben; bis dahin vollzieht sich eine Entwicklung, die vom Text wiederum sowohl selbst durchlaufen als auch benannt wird. Denn der Verstand ist zu üben, wenngleich er also in einem isolierten Akt einmal ursprünglich in die Welt gekommen oder gerufen worden sein mag, so muß er doch ausgebildet, »(ges)chul(t)« werden. Und so wie der Verstand differenziert, also anderes als er selbst unterscheidend trennt, muß er selbst sich aus der »Welt« ausgrenzen (»so fern« ist nicht nur als konditionale Konjunktion zu verstehen). Dort, in seiner vollkommen klaren, einfachen und selbsttransparenten, »eigenen« Welt der Zahl Sechs" ist alles »leicht«, einfach weil und in
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Die Sechs ist die ldeinste »vollkommene Zahl«; sie ist gleich der S u m m e ihrer Teiler. Auch das erste Gedicht bildet mit seinen 28 W ö r t e r n (ohne »O« u n d »vieleil«) eine solcherart in sich abgegrenzte »vollkommene« Welt, die aber als Vielfaches der Sieben zugleich auch vollständig ist.
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dem Maße, in dem die »Welt« draußen bleibt. Auffallend ist die Formulierung »eigenen geschliffenen Schärfe«; das ist zum einen redundant, weil Schärfe nun einmal durch Schleifen entsteht. Z u m andern ist aber auch die Betonung des »eigenen« überflüssig; Schärfe ist dem Verstand durch eine Vielzahl üblicher Redewendungen klar zugeordnet. Die Formulierung wird dadurch komisch; Hölderlin überdehnt das Bild vom messerscharfen Verstand und desavouiert ihn dadurch. Seine forsch behaupteten und in der Verdoppelung gleichermaßen überbetonten Leichtigkeiten sind offensichtlich hybrid und verdienen Mißtrauen, und seine Leistungsfähigkeit besteht ja nur, wenn er gut »geschliffen()«, also leistungsfähig ist. Und schließlich ist nur unter dieser Bedingung, d.h. der aus dem Rückzug auf sich selbst geborenen strengen Distanz zur Welt nicht zu befürchten, was sonst anscheinend »leicht« geschieht: daß er »irre wird in ungewissen Situationen«, also im Grunde schlicht: an der Welt. Ein solcher Verstand scheint ein recht wenig verläßlicher Geselle zu sein. Fragen wir genauer, was er eigentlich leistet, so ist in einer ersten Lesart — d.h. »Irrtum« als materialer betrachtet und vom »Verstände« abgegrenzt — zu sehen: er ist insbesondere ein - realer oder metaphorischer - Ort, um darin »sicher zu seyn«. Das ist das erste Ziel, der erste Halbschluß der Entwicklung im Verlauf des Textes am Ende des dritten Satzes. Der Verstand findet sich hier mit dem bestimmten Artikel und wie beiläufig im Rahmen der Abgrenzung zweier Künste eingeführt; er wird hier also eigentlich nur als ein bekanntes Stück verwendet, um etwas anderes zu erklären. Zugleich steht das Wort hier auch, wie bereits hervorgehoben, in der Mitte des Absatzes, und die (vermeintliche) (»(S)tand()«-)Festigkeit dieser Stufe wird durch das sonst gerne unterdrückte' 6 »seyn« am Ende des Satzes sehr deutlich mit einem >großen Wort< und Vollverb betont. Der nächste Satz bekräftigt dieses »(S)eyn« scheinbar noch einmal, konkretisiert es dann aber zur finiten Form und zum Hilfsverb »Ist«, es wird gleichsam auf den Boden der Tatsachen heruntergezogen, und damit ist auch seine Stabilität dahin. Durch die invertierte Stellung erhält die Kopula den doppelten Boden des Konditionalen, das eben noch absolute »Seyn« ist abhängig geworden und Objekt eines Prozesses, einer Geschichte, die ein Ubergeordnetes »intensiv« betreiben muß. Die Autarkie des Verstandes, von der die ersten drei Sätze profitieren wollen, besteht nur solange, wie dieser Verstand nicht selbst in die Betrachtung einbezogen wird. Geschieht dies, und die Entwicklung schreitet offensichtlich zwangsläufig darauf zu, kommt seine Geschichtlichkeit in den Blick und damit die Frage nach den Bedingungen seiner Entwicklung. Hier nun sieht Hölderlin, daß diese Fähigkeit zum systematisierenden Ordnen nur entstehen und sich festigen, sich »erh(a)lt(en)« kann, wenn die ursprünglichen Bedingungen dafür günstig waren, oder positiv for-
Vgl. insbesondere die elliptischen Sätze jeweils zu Beginn eines Prosaabschnittes, von denen die meisten umformuliert werden könnten zu: »Dies ist ... (die »Fähigkeit der einsamen Schule ...« / die »Furcht vor der Wahrheit...« / »(D)er Gesang der Natur ...« etc.).
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muliert: wenn die Erziehung dazu gelungen ist. Verstand ist also nichts, was dem Menschen als vererbliche Konstante innewohnt, sondern das Ergebnis von Sozialisation. D.h. im Hinblick auf das Kind, daß es einer, insbesondere durch Beziehungs-, aber auch durch Regelkonstanz geprägten Umgebung bedarf, um ein stabiles, verständiges Selbst ausbilden zu können. 57 Insofern die vorliegende Studie primär auf ein sprachphilosophisches Interesse abzielt, wird hier nicht der Raum sein, um die pädagogisch-psychologische Relevanz der Blätter weiter auszudeuten; festzuhalten bleibt hingegen, daß Hölderlin, indem er die Konstitutionsbedingungen des Verstandes mitbedenkt und also notwendig gezielt auch Fehlentwicklungen einbezieht, offensichtlich also etwa über eine Ahnung von der selbst- und bewußtseinsdezentrierenden Kraft dessen, was hier heute Trauma nennen, verfügt, er zu einer phänomenologisch reicheren Philosophie des Geistes findet als etwa Kant, der sich nur für den enthistorisierten Zustand des »im Verstände sicher [...] (S)eyn(s)« interessiert. Das gilt in anderer Form auch für Hegel; seine Darstellung des Verstandes58 ist entwicklungSi-psydxAogiscYu nur insofern zu nennen, als dabei Zeit vergeht, tatsächlich ist sie in der alleinigen Konzentration auf das Notwendige phänomenologisch und insbesondere für alle Formen des Devianten zwangsläufig völlig blind. Viel näher steht Hölderlin an dieser Stelle offensichtlich Aristoteles, genauer der Nikomachischen Ethik.59 Das gilt bereits für die äußere Form des Textes; auch Aristoteles veranschaulicht und belegt seine Thesen durch zahlreiche Beispiele aus Texten verschiedenster Gattungen und Genres. Die Zeile »So tritt Jason ...« imitiert ganz die aristotelische Argumentationsfigur. Und es scheint, als habe Hölderlin sich eine Maßgabe besonders zu Herzen genommen, die bekanntlich gleich im ersten Buch der Nikomachischen Ethik, aber auch später noch, mehrfach betont wird: Denn es kennzeichnet den Gebildeten, in jedem einzelnen Gebiet nur so viel Präzision zu verlangen, als es die Natur des Gegenstandes zuläßt. Andernfalls wäre es, wie wenn man von einem Mathematiker Wahrscheinlichkeitsgründe annehmen und von einem Redner zwingende Beweise fordern würde.®
Die Maxime der Nikomachischen Ethik, die Form müsse auch im Hinblick auf das Bestreben nach Genauigkeit dem Inhalt angemessen sein, oder anders formuliert: die Einsicht in die Begrenztheit des Wissens und Sagens durch das Wiss- und
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Die phylogenetische Deutung legt sich hier nicht mehr nahe, davon ist Hölderlins Text nunmehr weggegangen, zu umfangreich sind offensichtlich die schlecht spekulativen Anteile angesichts der dürftigen Quellenlage. Vgl. etwa die Enzyklopädie von 1830, § § 422f. Wenn man also unbedingt einzelnen intertextuellen Bezügen gezielt und exklusiv nachgehen will, anstelle der Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit solcher Bezüge schlechthin, wofür hier argumentiert werden soll, eignet sich in Bezug auf dieses Vorwort Aristoteles dafür viel besser als Pindar, unter anderem weil ersterer immerhin das Ganze dieses Textabschnittes einzubeziehen erlaubt. Nie. Eth. 1094 b 25 und passim.
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Sagbare liefert m.E. die Basis, von der aus zu verstehen ist, warum Hölderlins Texte so beschaffen sind, wie sie es sind, bzw. warum Hölderlin die conclusio und summa seines Denkens in dieser Gestalt glaubt vortragen zu müssen. Besonders aufschlußreich scheint mir, Hölderlins Text mit dem sechsten Buch der Nikomachischen Ethik zu parallelisieren;61 auch wenn freilich Hölderlin auch in diesem Fall die Argumentation sozusagen drastisch eingekocht hat, sind die Anklänge über die zentralen >Akteure< Verstand, Klugheit, Wissen, Kunst, Situation etc. unüberhörbar. Worum geht es Aristoteles? Das sechste Buch sucht gleichsam das Zentrum seiner ethischen Überlegungen und Betrachtungen zu bestimmen, jene Mitte, die von »der rechten Denkweise«62 definiert zugleich den Schlußstein seines metasprachlichen Theoriegebäudes als auch des konkreten individuellen Handelns bilden soll. Der Ort dieser Mitte steht fest: es muß in der Seele sein, deshalb gilt es, deren Architektur näher zu bestimmen, das ist deutlich. Aristoteles' Darlegungen hierzu allerdings, die den Hauptteil des Kapitels ausmachen, sind viel weniger unkompliziert, wir müssen ihnen aber nicht folgen, denn es fällt auf, daß Hölderlin genau an dieser Stelle uns im Stich läßt. Hauptakteur seines Textes ist der Verstand, der gleichsam unbehaust, ortlos auftritt. Auch die Formulierung im Infinitiv »sicher zu seyn« läßt ja schon offen, wer oder was da sicher sein soll. Das ist zunächst insofern plausibel, als zu sehen war, daß dem Gedicht gleichermaßen eine phylogenetisch- wie ontogenetisch-anthropologische Intention zugrunde liegt, vom Menschen also als Individuum wie auch im Kollektivum in der Verschmelzung von metaphorischem und konkretem Sprechen zugleich die Rede ist. Der Prosaabschnitt kennt ebenso beide Sphären, insofern der erste Satz mit »(E)insam(keit)« und »Welt« die kollektive oder intersubjektive, der weitere Text die individuelle bzw. intrasubjektive Dimension thematisiert. Die Architektur der intrasubjektiven Konstituentien bildet sich bei Hölderlin so in der Abstraktion genealogischer Verhältnisse, so wie der Prosaabschnitt in der Mitte zwischen den Wörtern »O Kind« und »meines Vaters« am Anfang und Ende der Gedichte steht. Aristoteles sieht das ebenso: Über die Seele wird einiges ausreichend in den publizierten Schriften gesagt. Dies können wir hier benutzen. So wurde gesagt, daß der eine Teil von ihr vernunftlos sei, der andere vernunftbegabt. [...] Auch das Unvernünftige scheint von doppelter Art zu sein. Denn das Pflanzliche hat mit der Vernunft überhaupt nichts zu tun, das Begehrende und allgemein das Strebende dagegen hat einen gewissen Anteil an ihr, sofern es ihr gehorcht und fügsam ist. So sagen wir ja auch, daß wir ein Verhältnis zum Vater und zu den Freunden haben, und meinen das Wort anders als in der Mathematik. Daß aber das Unvernünftige in gewisser Weise dem Vernünftigen gehorcht, zeigt auch die Zurechtweisung und jede Form von Tadel und Ermahnung. Wenn man aber behaupten will, daß auch dies Vernunft besiezt, so ist dann eben auch das Vernünftige von zweierlei Art, das eine wesentlich und in sich selbst, das andere gewissermaßen als ein dem Vater gehorsames.
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ich verwende die Übersetzung Gadamers (Gadamer 1998).
»κατά τον όρθόν λόγον« 1138 b 25 (ebd. 25).
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Auch die Tugend wird nun auf Grund dieser Unterscheidung aufgeteilt. Denn die einen Tugenden nennen wir vers tan des mäßige, die anderen ethische [...] 63
Familienverhältnisse liefern die Metaphorik für den systematischen Zusammenhang bzw. die Interaktion der Seelenteile, diese aristotelische Figur bildet das Rückgrat der drei Textteile im Vorwort zu Untreue der Weisheitnur aus dieser Perspektive ergibt sich ein sachhaltiger Zusammenhang dieser Teile, der sich im vergleichenden »So (tritt Jason ...)« des letzten Prosasatzes zentral niederschlägt.64 Niedere, partikulare Seelenteile sollen übergeordneten gehorsam sein, die Ubergeordneten die niederen zurechtweisen, ermahnen und tadeln; es ist ein Verhältnis der Erziehung. Ich zitiere noch einmal ausführlich Aristoteles: Den Namen der Zügellosigkeit wenden wir auch bei den Ungezogenheiten der Kinder an. Denn sie haben eine gewisse Ähnlichkeit. Was aber von was den Namen hat, daraufkommt hier nichts an, aber offenbar das Abgeleitete vom Primären. Der Name scheint auch nicht schlecht übertragen zu sein. Denn gezüchtigt muß werden, was nach Schändlichem strebt und stark wächst; derart ist die Begierde und das Kind. Denn nach ihren Begierden leben auch gerade die Kinder, und das Streben nach dem Angenehmen ist bei ihnen das Bedeutendste. Wenn sie nun nicht gehorsam sind und dem Befehle nicht dienen, so wächst dies ins Ungemessene. Denn das Streben nach Angenehmen ist unersättlich und kommt dem Unverständigen von allen Seiten. Die Regsamkeit der Begierde mehrt das, was ihr verwandt ist, und wenn die Begierden groß und heftig sind, so drängen sie die Überlegung beiseite. Darum sollen sie maßvoll und selten bleiben und der Vernunft in keiner Weise sich widersetzen. Das nennen wir dann folgsam und zuchtvoll. Denn wie das Kind nach dem Befehl des Lehrers leben muß, so auch das Begehrende nach der Vernunft. Darum muß auch das Begehrende beim Besonnenen mit der Vernunft übereinstimmen. Denn für beide ist das Ziel das Edle, und der Besonnene begehrt die Dinge, die er soll und wie er soll und wann er soll. Und dies befiehlt auch gerade die Vernunft. 65
Aus der »natürlichen« Situation der Familie heraus kann das Verhältnis also auch in einer ersten Stufe abstrahiert auf sozial institutionalisierte Erziehungsverhältnisse übertragen werden; nun begreifen wir den Zusammenhang von »Kind« und »Vater()«, der die Gedichte einrahmt, einerseits bzw. »Schule« und »Zögling«, der chiastisch die Prosa umschließt, andererseits. Daß erneut die öffentliche, institutionalisierte Seite der Prosa zugeordnet ist, unterstreicht im übrigen, daß sie für die 63 M
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Nie. Etk, erstes Buch, 1102 a 26 und b 27ff. Markus Fink z.B. sieht demgegenüber den Prosaabschnitt von Pindar-Stücken eingerahmt, unterstellt deshalb interpolativ »die Annahme einer Orientierung des Mittelabschnittes an Pindar« (Fink 1982, 14) (was immer das inhaltlich dann zu bedeuten hätte) und konstruiert zunächst so einen (sachlich offenen) Zusammenhang. Später nimmt er den ersten Satz der Prosa fur das ganze und behauptet, in allen drei Teilen des Vorwortes sei von der »Entwicklung des Kindes zum Manne die Rede.« (ebd. 25) Michael Theunissen hingegen sieht sich in Ubereinstimmung mit der Literatur und namentlich Klaus Menze (Menze 1988), wenn er feststellt, der Text kreise »um den Bildungsgedanken« (Theunissen 2000, 985), und deutet ihn sodann im Hinblick auf die Frage nach personaler Identität. Ebd. 1119 b 29ff. Auch Piaton kennt bereits den Gedanken, wenn auch weniger breit ausgeführt: »Denn die Lust ist das unzuverlässigste unter allen Dingen [...] weil nämlich die Lüste wie die Kinder auch nicht die mindeste Vernunft haben.« Philebos 65 c.
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Sphäre abstrahierter Intersubjektivität steht. Insofern also auch hier beide Formen der privaten wie der öffentlichen Erziehung im Blick stehen und diese nur als Modelle von Erziehung überhaupt (und diese wiederum nur als Modell fur die Interaktion der Seelenteile) dienen, muß uns auch das auftretende Personal nicht individuell interessieren. Darüber steht ja auch überhaupt nichts da; es wird noch darauf zurückzukommen sein, was mit der Lapiradität, mit der im bestimmten Artikel z.B. die Namen »Jason«, »Pelias« oder die Gattungsbezeichnung »Centaur()« gebraucht werden, anzufangen ist. Viel interessanter dürfte die Frage nach dem ersten innerhalb dieses Vergleichs zwischen der Erziehung von Menschen und Seelenteilen sein; Aristoteles, so war zu lesen, läßt diese Frage explizit offen. Hölderlin beginnt kommentarlos mit dem Gedicht, dessen vermittelten Authentizitätsanspruch wir so lesen müssen, daß die lebensweltlich historische Dimension tatsächlicher sprachlicher Praxis das vorgängig Reale ist, über das sich die verstandesmäßige Erfassung der Struktur dieser Praxis in Prosa abstrahierend nachträglich erhebt. Andererseits endet das Blatt mit einem solcherart theoretischen Text, sein letztes Wort ist gleichsam kein poetisches, sondern ein vernünftiges. Damit ist eine Konkurrenz gegeben, die uns nicht mehr loslassen wird, denn der ganze Text Untreue der Weisheit, (und auch Die Asyle.) ist ja so komponiert, daß wir die Wahl haben, das eine oder andere ftir das letztlich maßgebliche zu halten, für dasjenige, auf das es an sich ankommt. Auf der ersten Stufe des dialektischen Prozesses innerhalb Untreue der Weisheit., auf der wir uns mit dem Vorwort befinden, bewegen wir uns >unreflektiert< auf dem Niveau dieser Alternative. Ein in einem Titel, also auf einer Metaebene angebbares Thema besitzt der Text nicht; zwar haben wir im Hinblick auf die Anzahl der Wörter ein Zentrum ausgemacht, nämlich das Wort »Verstände«, aber dies nur innerhalb des ersten, großen Absatzes der Prosa, ohne den nachfolgenden Satz »So tritt Jason ...« mit seinem deutlichen >Außenbezug< auf das nachfolgende Gedicht. Also nur innerhalb des abgezirkelten Bereichs der Selbstbezüglichkeit des Verstandes gibt es die Möglichkeit, eine klare Hierarchie und so ein klares Thema zu benennen. Die tatsächliche Mitte des ganzen Textes, wiederum gezählt von »Kind« bis »Vaters« ohne »O«, liegt beim Strichpunkt nach »Zerstreuten«, dem 81. Wort von 162. Drei Strichpunkte organisieren jeweils zentral die drei Teile des Textes; der erste im ersten Gedicht nach »Hängt«, kaum sichtbar, erst im Entstehen begriffen, der zweite im Prosaabschnitt vor der depotenzierenden, ja despektierlichen Beschreibung des Verstandes, nachdem zum letzten Mal im Text ungebrochen von seiner »Kraft« die Rede war (das Wort »Zerstreuten;« leitet in der Handschrift überdies die 14. Zeile des Textes ein, also die zentrale von 27, wobei die Leerzeile zwischen erstem Gedicht und Prosa mitzuzählen ist), schließlich der dritte Strichpunkt im zweiten Gedicht nach dem Satz mit dem aktualisierenden Präsens »komm' ich« und vor der absetzenden Erinnerung an Vergangenes »hab' / Ich zugebracht [...] und [...] Gesagt« (um so fürs erste nur einen Aspekt des Umbruchs in diesem zweiten Gedicht hervorzuheben), ebenfalls im mittleren fünften Vers des Gedichtes und vor seinem 26., mitt-
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leren Wort. Die >objektiven< Mittelachsen des Textes sind also nur durch ein Satzzeichen markiert, das man vielleicht in seinem semi-logischen Charakter für geeignet halten könnte, solcherart sowohl in der Prosa als auch der Lyrik zu funktionieren. 66 Wofür diese Strichpunkte aber eigentlich stehen, was im ersten Gedicht den Ubergang von der Natur zur Kultur ermöglicht, welche Instanz innerhalb der Prosa den Verstand und seine Schwächen und Grenzen zu thematisieren in der Lage ist und was das sprechende Ich des zweiten Gedichts aus der »Grotte« hinausgetrieben hat, steht nicht da, sondern besteht nur als diese Zäsur im Ablauf des sprachlichen Materials, also wiederum im Sinne des vorgängigen Modus von Signifikanz außerhalb der logisch-semantischen nur an und nicht in Text, allerdings immerhin nunmehr gleichsam konzentriert an bestimmten einzelnen Textelementen. Der Verstand hat demgegenüber sein eigenes Zentrum, d.h. sich selbst, allerdings in Distanz zur genauen Mitte dessen, was da insgesamt ist. Er verfehlt also gerade das, worauf es eigentlich ankäme und was Thema sein müßte. Und das muß etwas damit zu tun haben, daß der Verstand »bei positiven Irrthümern« gleichwohl Sicherheit gewährt. Was »positive Irrtümer« sind, erfahren wir nicht; wir erfahren auch nicht, wie das Wissen ermöglicht, »im Verstände sicher zu seyn«. An dieser Stelle wird aber das Informationsinteresse ausdrücklich abgewiesen, denn Künste, das ist common sense, sind eben solche, weil sie nicht expliziert, erklärt und gelehrt werden können. Streng gegen die Tradition ist hingegen, Wissen als Kunst zu bezeichnen; seit Piaton hält sich die Definition, Wissen als gerechtfertigte, wahre Meinung anzusehen67 und damit als Produkt einer diskursiven Praxis, die gerade weil das Wissen mit Unfehlbarkeit, d.h. mit Sicherheit verknüpft sein soll,68 keine unkontrollierbaren Faktoren enthalten darf. Bei Hölderlin steht auf dieser Stufe des Reflexionsgangs das Wissen als Kunst gerade im Zusammenhang von Welt und Einsamkeit, genau so, wie auch die Klugheit als Kunst gleichermaßen in die opake Kompetenz des Individuums verlegt wird, was bei der Klugheit allerdings sich wieder mit der Tradition trifft. (Hier kehren wir zur Nikomachischen Ethik VI zurück.) Während also der parallel gebaute »Denn«-Satz gleichermaßen rhetorisch den common sense für beide Definitionen der Klugheit und des Wissens in Anspruch nimmt, ist er dabei nur in einem Fall, dem der Klugheit, im Recht. Darin liegt im Kern das Provokative des Textes; er behauptet im Gestus des Selbstverständlichen quer zur Tradition, mal mit ihr, mal gegen sie, und formuliert so mit dem gleichen Geltungsanspruch wie die Tradition eine Position, die erst dadurch, daß sie gleichsam streng und kompromißlos durchgehalten wird, in jene Distanz zur Tradition treten kann, die die Uberschrift
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Es sei illustrativ und beiläufig an das Diktum Adornos erinnert: »Mit dem Verlust des Semikolons fängt es an, mit der Ratifizierung des Schwachsinns durch die von aller Zutat gereinigte Vernünftigkeit hört es auf.« (Adorno 1974, 111). Theaitetos 201 c f.; Menon 97 e f. Politeia 477 b ϊ.
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»Untreue der Weisheit.« ankündigt, und die wiederum als Gegenstand von Herm e n e u t i k ausgedeutet werden kann. D i e Unterscheidung zweier Künste, u m die wesentlich der Anfang des Absatzes kreist und die also solcherart teils der Tradition e n t n o m m e n , teils gegen sie gesetzt wird, betrifft die Grundunterscheidung der Philosophie schlechthin, nämlich j e n e zwischen T h e o r i e und Praxis. 69 D u r c h Wissen und Klugheit sind zwei zentrale T h e m e n beider Bereiche hinreichend deutlich aufgerufen. A u f beiden Seiten wird durch die Qualifikation dieser Kompetenzen als Künste dem Erklärungsbedürfnis ein Riegel vorgeschoben, und es werden überdies durch die Identifikation als Künste einerseits und die chiastische Verbindung des Wissens mit »Unschuldige(m)« als einem E l e m e n t praktischer bzw. der Klugheit mit der »Seele« als einem E l e m e n t theoretischer Philosophie andererseits beide Bereiche a u f ein Prinzip zurückgeführt, das aber offensichtlich selbst nicht angegeben werden kann. Fragen wir von daher, wie Hölderlin die beiden Tugenden inhaltlich kennzeichnet, so ist zu lesen, daß Klugheit die Kunst sei, »unter verschiedenen Umständen getreu zu bleiben«. D a r a n ist zunächst unspektakulär, weil wiederum traditionskonform, daß Klugheit insofern etwas mit wechselnden Umständen zu tun hat, als Aristoteles sagt, daß die Klugheit »sich a u f das Einzelne bezieht, das m a n nur durch Erfahrung kennenlernt«. 7 0 Hölderlin schreibt aber »verschiedene t/mstände« und provoziert erneut die Frage nach dem, was da im Z e n t r u m steht. Aristoteles definiert näher, daß Klugheit »die wahrhaft denkende Grundhaltung in allem Verhalten bei dem ist, wo es um das für den M e n s c h e n G u t e geht.« 7 1 Klugheit vermag also bei Aristoteles trotz wechselnder Einzelner das v o m richtigen D e n k e n vorgeschriebene G u t e im Blick zu behalten; Hölderlin spart hier dieses telos des Handelns gerade wieder aus, er sagt nur, es gelte »getreu« zu bleiben, aber wir erfahren nicht, w e m oder was. D i e Konsequenz kann nur sein, »getreu zu bleiben« als einen W e r t an sich aufzufassen bzw. als ein Strukturprinzip, das genau das meint, w o r u m es geht, nämlich innerhalb verschiedener praktischer »Situationen«, u m im Text vorzugreifen, ein Konstantes zu erhalten, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine konstante Identität des erkennenden Subjekts oder ein konstantes telos des H a n d e l n s dreht oder um was auch i m m e r ; wir müssen das offen halten, denn es steht darüber nichts da. Festzuhalten ist einzig, daß es m i t der Klugheit um eine K o m p e t e n z geht, die sich a u f Äußerliches und a u f Praxis bezieht.
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Fink »subsumier(t)« demgegenüber Klugheit und Wissen unter das eine Textwort Kunst (Fink 1982, 23) und reißt so vorschnell diese grundlegende Unterscheidung ein; Theunissen, bei dem die Interpretation durch die Kontamination des Textes mit dem nicht zugehörenden Uberschriftswort »Weisheit« beeinträchtigt ist, sieht demgegenüber im Verhältnis der beiden Künste eine »Steigerung«, unterstellt aber als »letztlich angezielt« eine »Situationsgerechtigkeit« (Theunissen 2000, 985), die in ihrer Struktur undurchsichtig bleibt.
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Nie Etb. 1142 a 14. Ebd. 1140 b 20.
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Demgegenüber betrifft das Wissen eine innerliche und theoretische Sphäre, und auch die Problemlage ist etwas anders als bei der Klugheit. Denn während dort gleichsam das Zentrum, der Ort der Konstanz und so auch ihr Wesen ungenannt blieb, ist nun neben der Frage nach den »positiven Irrtümern«, die schon aufkam, überhaupt das Verhältnis zwischen Verstand und Irrtum nicht bestimmt. Das Zentrum, auf das die Konstanz abzielt, wird also beim Namen genannt und dies auch so, daß wir damit zurecht kommen; der Anlaß für das Bedürfnis nach ihr ist aber reichlich dunkel. Analog zur Konsequenz soeben müssen wir also sagen, worauf auch immer der Verstand abzielt und gegen welche Art auch immer von manifesten Irritationen er sich durchsetzen muß, er ist auf alle Fälle dasjenige, was die Sicherheit gewährt, mehr ist nicht festzustellen. Beim Blick auf die Praxis kommt also gleichsam das Zentrum des theoretisch beschriebenen telos abhanden, so wie umgekehrt bei Konzentration auf dieses das Verhältnis zur praktisch-konkreten Fragestellung entgleitet. Das ist alles, denn der restliche Satz des Prosaabschnittes setzt die Analytik des Verstandes in seiner entwicklungsgeschichtlichen Dimension fort, d.h. er expliziert, was es heißt, »im Verstände sicher zu seyn«; außerdem setzt er in seiner >gemischten< Verwendung von Elementen beider Sphären die ersten drei Sätze voraus. Wir kommen hier also wiederum an jene Stelle, wo der Faden diskursiver Thematisierung zu Ende ist und wir eine Erklärung dafür finden müssen, warum das so ist. Es scheint nicht weiter schwierig zu sein, denn der Kontext ist klar, nicht nur durch die Parallele zum sechsten Buch der Nikomachischen Ethik, sondern auch durch die Stellung des Textes überhaupt innerhalb der Abfolge von Untreue der Weisheit. Denn es geht um einen Ursprungs- bzw. Letztbegründungsdiskurs, d.h. um den Anfang des Denkens, und dieser Anfang ist bei Hölderlin wesentlich als eine Setzung zu akzeptieren. So wie das vorangestellte Gedicht voraussetzungslos sich selbst präsentiert, so begegnen wir in der Prosa zweier Künste, die näher beschrieben darin bestehen, Kontinuität herzustellen, einerseits im Handeln, andererseits in der Theorie. Sie funktionieren beide in gleicher Weise insofern, als sie aus oder in Disparatem ein Konstantes gewinnen, d.h. sie vermögen aus Mannigfaltigem ein Selbiges zu isolieren. Insofern sie somit wesensgleich sind, können auf einer rudimentäreren Ebene der Beschreibung — wir verstehen jetzt gleichsam rückwärts, d.h. wir tasten uns auf unterkomplexe Niveaus der Analyse zurück, auf denen wir zwar Elemente wiedererkennen, die aber noch nicht in einem für uns sinnvollen Zusammenhang stehen, so wie wenn wir einen Mythos lesen oder archaische Dichtung - ihre Konstituentien auch noch durcheinander gehen; das Wissen birgt insofern ein »Unschuldiges«, sofern es »rein« ist, was immer damit gemeint gewesen sein mag. Und der Klugheit ist ein »tragende(r) Grund«72 zu eigen, wir müssen also das Wort »Seele« hier als eine Metapher auffassen, für was
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Fink 1982, 22; auf der nächsten Seite schreibt er, auf »dem Wort >Seeletrotz< und >wegen< zu beobachten sind. Wenn wie bei Rousseau diese Definition historisiert wird, entsteht der Mensch erst mit dem Ubergang zur Kultur bzw. Vernunft: »Dieser Ubergang vom Naturzustand zum bürgerlichen Stand erzeugt im Menschen ein sehr bemerkenswerte Veränderung [...] Obgleich er sich in diesem Stand mehrerer Vorteile beraubt, die er von Natur aus hat, gewinnt er dadurch so große andere, seine Fähigkeiten üben und entwickeln sich, seine Vorstellungen erweitern, seine Gefühle veredeln sich, seine ganze Seele erhebt sich zu solcher Höhe, daß er [...] ununterbrochen den glücklichen Augenblick segnen müßte, der ihn für immer da herausgerissen hat und der aus einem stumpfsinnigen und beschränkten Lebewesen ein intelligentes Wesen und einen Menschen gemacht hat.« (Rousseau 1742, 22).
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in jene Grundüberzeugung der abendländischen Tradition, den Verstand als das spezifische Merkmal des Menschlichen anzusehen, aber, und das ist zumindest gegen den Mainstream der Tradition und primär in unserem Kontext streng gegen Aristoteles gerichtet: deswegen trifft der Verstand gleichwohl nicht die Mitte dessen, was da ist.75 Diese Dezentrierung des Verstandes wirkt sich nun im Fortgang der Lektüre unmittelbar auf die Gliederung des Textes aus, denn nachdem wir bisher das Element »im Verstände« zu »sicher zu seyn« gezogen haben, 76 können wir uns von der Aufweichung dieser Sicherheit im Folgesatz dazu führen lassen, »sicher zu seyn« absolut zu lesen und den Verstand dem Irrtum zuzuordnen. 77 Das verändert den Text grundlegend; es scheint sich alles viel leichter zu fügen, denn nun sind die Irrtümer solche im Verstände, also logische, und diese werden vom Wissen korrigiert. Das Ziel ist dann gleichermaßen, und nun in der strengen Parallelität des »getreu zu bleiben« und »sicher zu seyn« fast schon auf die Redundanz des doppelten »leicht« vorausdeutend, Verläßlichkeit bzw. Kontinuität. (Wir sehen: wo immer von gelingender, rationaler Erfassung des Wirklichen im Text die Rede ist, kann ein Element des Tautologischen und Redundanten ausgemacht werden.) Allerdings ist der Ort dieser Sicherheit nunmehr auf beiden Seiten, Theorie wie Praxis, gänzlich ungenannt. Der vierte Satz des Prosaabschnittes expliziert danach ein Prinzip fort, auf das es im Grunde gar nicht ankommt; nicht nur steckt im Konditional der invertierten Syntax ein doppelter Boden, die ganze Rede ist gleichsam auf Sand gebaut, ein Luftschloß, die selbstgenügsame Welt des Verstandes abgekoppelt von allem Maßgeblichen. Denn das Maßgebliche sind Klugheit
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Bei Aristoteles stoßen wir im übrigen auch auf eine Stelle, die uns für das >Problem< »des pontischen Wilds« in diesem anthropologischen Zusammenhang eine viel näherliegende Möglichkeit der Konkretisierung liefert — wenn wir denn partout eine solche haben wollen und uns also auf das Niveau des Jägers zurückbegeben —, als sie der Polyp oder Chiron bietet: »Ich meine etwa die tierische Roheit, [...] wie bei gewissen verwilderten Völkern am Pontos, von denen es heiße, sie hätten Geschmack an rohem Fleisch oder auch an Menschenfleisch, oder die einander ihre Kinder zum Verspeisen verkaufen, oder was von Phalaris erzählt wird. Dies sind tierische Verhaltensweisen [...]«. {Nie Etb. 1148 b 19f.) Der Kommentator meiner Ausgabe ergänzt: »Von den wilden Völkern am Pontos spricht offenbar aus derselben Quelle Pol. 1338 b 21/22, wo die Achioi und Heniochoi ausdrücklich genannt sind. Her. 4, 18 und 106 nennt aus derselben Gegend die Androphagoi als die wildesten aller Menschen, weiterhin Ephoros FGrHist 70 F 42 und 158. Quelle des Aristoteles kann Helanikos oder Ktesias sein.« (Aristoteles 2 1995, 400). Es ist also als ein klassischer antiker Topos anzusehen, daß am Pontos Wilde leben. In gewisser Weise hält sich dieses Vorurteil erstaunlicherweise trotz aller ethnografischen Verschiebungen bis heute; auch in der heutigen Türkei sind die Leute von der Schwarzmeerküsce wegen ihrer angeblichen Rückständigkeit einer Unzahl von Witzen ausgesetzt, ähnlich den Ostfriesen oder Bayern in Deutschland.
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So liest z.B. auch Michael Theunissen: »Die Maxime muß sein, [...] im Verstände sicher zu sein bei positiven Irrtümern [...]« (Theunissen 2000, 984). So entwickelt sich ja auch der vierte Satz; zunächst wird die Kraft des Verstandes betont, was semantisch auf »sicher« verweist, daneben ist im »Zerstreuten« das »(ge)treu« zu hören, schließlich aber ist von seinem »(I)rre«-Sein die Rede, also ganz deutlich der Zusammenhang zum Irrtum aufgebaut.
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§3
und Wissen, und diese entstammen als Künste gleichermaßen einer anonymen »Fähigkeit«, die wir vorschnell und getrieben vom Mainstream mit dem Verstand identifizierten, nur weil sich zahlenmäßig, also verstandesmäßig innerhalb des Absatzes eine besondere Markierung ausmachen ließ. Ebenso wie bei der Seele sind wir gezwungen, ein Grundelement abendländischen Denkens neu zu sehen; so wie die »Seele« aufgerufen und nahegelegt wurde und zur Metapher herabsank, entwickelt sich der »Verstand« vom Zentrum des Textes und anthropologischer differentia specifica zu einem geistigen Vermögen minderer Relevanz. (Es scheint nicht einmal in irgendeiner Weise am Wissen kausal teilzuhaben, denn dieses ist ja als Kunst gar nicht davon abhängig, jedenfalls erfahren wir darüber nichts.) Dieser Lektüreprozeß wiederum steht ganz im Einklang mit der Form des Textes Untreue der Weisheit, überhaupt, denn diese haben wir als dialektische aufgefaßt, im Dreischritt von Setzung, Entgegensetzung und Zusammensetzung. Was in dieser Makrostruktur zu bilanzieren sein wird, geschieht auch im Kleinen: Gehalte werden aufgerufen und >aufgehobenseiner< Prosa - es ist die lebensweltliche situative Realität, an der er scheitert, in der stattdessen Klugheit und Wissen gefordert sind.) Das tertium comparationis ftir das geschilderte Handeln Jasons und die >Theorie des Geistes< in der Prosa davor besteht, wenn wir letzteres als Metaphorik für das erstere auffassen, in der Genealogie, d.h., grosso modo, im »Bildungsgedanken«. 79 Lyrik und Prosa bzw. die lebensweltlich realen Sprechakte und die abstrakte Reflexion sind dann verschiedene Weisen des Sprechens über dasselbe. Zugleich aber gibt es einen viel deutlicheren und elementareren Grund für die Zusammengehörigkeit der Stücke, nämlich daß sie gleichermaßen überhaupt in derselben Weise Sprache und Text sind. Das »So«, das die Parallele zwischen dem zweiten und dritten Teil explizit herstellt, entwickelt sich in zwei Anläufen und verweist im ersten Fall (»so erhält er ...«) direkt auf die Weise des Ubens. Es verweist im Grunde überhaupt nur darauf, denn daß der Verstand seine Kraft »auch« im Zerstreuten erhalte, ist einigermaßen grotesk; wo denn sonst, wenn nicht in Bezug auf das Mannigfaltige, soll der Verstand wirken können? Darauf, solcherart »geübt(er)« zu sein, kommt es also eigentlich an, und nebenbei steht zu hoffen, daß er seiner ureigenen Funktion auch noch annähernd gerecht zu werden vermag. Je länger wir den vierten Satz der Prosa betrachten, desto leerer und sinnloser erscheint er; stattdessen häufen sich in ihm die impliziten Verweise auf seine Sprachlichkeit: »geübt«, das auffallend schiefe »Schärfe«, »e/irre«, sehr interessant auch ist die Oberlänge des Buchstabens »s« bei »so (erhält ...)«, die in einer Schleife in das darüber stehende Wort »seyn« hineinreicht; als ob das Seyn des Textes darin besteht, sich im Schreiben zu üben. Vielleicht schließt sich mir jemand an, aus dieser Perspektive das »so fern« als
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Theunissen 2000, 985.
§5
Kommentar des Strichpunktes zu lesen, als Verbalisierung dessen, daß der Verstand im Maße dieser Zäsur sich von der Welt distanzieren muß; vielleicht auch darin, die Worte »in ungewissen Situationen«, die als zentrale Zeile der ganzen Seite alleine und genau in der Mitte auf der Falte des Papiers stehen, als Kommentar zum ganzen Text und zur Lektüre als ganzer anzusehen, die sich beide gleichermaßen durch die Konfrontation mit »Fremde(m)« »in ungewisse Situationen« begeben haben. Wie dem auch sei, jedenfalls verschwindet der Verstand, wenngleich vordergründig thematisiert, zunehmend aus diesem vierten Satz, »fern« und in eine Distanz gerückt, aus der alles andere als »Fremde(s)« erscheint, bis »er« im letzen Halbsatz, der mit »deßwegen nicht...« beginnt, gar nicht mehr da steht und stattdessen sein Irresein nahegelegt wird. Nur wenn man diesen letzen Nachsatz isoliert betrachtet, also gleichsam mit Verstand, steht gültig da, daß er »nicht leicht irre wird«; nimmt man die gehäuften Konditionale davor hinzu, ist die Negation drastisch entwertet, ja ins Gegenteil verkehrt — faktisch, in Ansehung der realen Bedingungen, ist der Verstand mehr als labil. Heißt dieses einzusehen dann, in höherem Maße verständig sein? Z u m einen, denn die verstandesmäßige Einsicht in die Bedingungen seines Gewordenseins führt zu seiner Destabilisierung, im Bild gesprochen: je weiter er sich aus der Welt ausgrenzt, desto verläßlicher wird seine Einsicht, desto überflüssiger wird er aber auch. Entäußert er sich umgekehrt an das Mannigfaltige, versucht Innen und Außen, Moral und Erkenntnis usw. angemessen auseinander zu halten, geht das Zentrum verloren, auf das die Elemente bezogen bleiben sollen. Dazwischen muß ein Kontrollproblem liegen, das in den Konditionalen des vierten Satzes sich abbildet. Deshalb liegt es zum anderen auch nicht an dem Verstand selbst, wenn er, kaum inthronisiert, schon wieder abtreten muß, vielmehr unterliegt er einem Widersacher. Offensichtlich leistet etwas Widerstand gegen seine Systematisierungsbemühungen, gegen den wiederum er selbst ja »geübt« werden muß. Und dieses Widerständige ist die Sprache in ihrer lebensweltlichen Verankerung und Funktion. Denn gegen ihre explikative Leistung muß sich der Verstand ja durchsetzen, wenn er selbst die Aufgabe der Explikation übernehmen will. Was das heißt, zeigt sich an der logischen Struktur des Prosaabschnittes. Denn das ist der Sinn der Behauptung, das Thema des Textes sei über den Verstand zu erfassen; wir denken uns eine rein logische Struktur der Entwicklung des Begriffs oder rein abstrakter noetischer Verknüpfungen von präzise definierten Elementen und konstruieren uns mit diesem Material ein vollständig kontrolliertes System von Knotenpunkten und Verbindungen. Der Text, so wie er vorliegt, ist dann als Verweis auf diese Struktur aufzufassen, wozu er sich mehr oder weniger gut eignet (das wird dann üblicherweise als klarer oder weniger klar bezeichnet), d.h. der Uberstieg aus dem tatsächlich vorhandenen sprachlichen Material zum weltlos noetischen System gelingt mehr oder weniger leicht. Verstanden haben wir dann, wenn wir das System fertig konstruiert haben und uns darin zurecht finden, also frei und ohne Hemmnisse die Knotenpunkte und Verknüpfungen im Geiste abschreiten können. (Wir erinnern uns: »Fähigkeit der einsamen Schule für die Welt.«) Von zentraler Bedeu86
tung sind dabei nun die logischen Verknüpfungswörter, denn sie stellen explizit die Bezüge her, die uns interessieren, und es fällt auf, daß sie in sehr dosierter Weise nach und nach in Hölderlins Text hineinkommen. Zunächst sind die Sätze gar nicht verbunden: »Das Unschuldige des reinen Wissens als die Seele der Klugheit.« steht unvermittelt nach dem ersten Satz, und wir wissen nicht, ob der zweite Satz den ersten expliziert oder ob er einfach neue Informationen liefert. Zwar bieten sich aufgrund des Vokabulars Zusammenhänge an, die eine oder andere wird vielleicht Einsamkeit mit Reinheit zu assoziieren geneigt sein oder Schule und Wissen, aber das bleibt zu schwach, um >verstanden< werden zu können. Erst im dritten Satz werden solche Verbindungen ausdrücklich hergestellt, und zwar auf zweierlei Wege: erstens durch das »Denn« und zweitens über die Wiederholung des Vokabulars (»Klugheit«). Wir sehen, wie sich die Sprache dem gedachten Ideal anzunähern bemüht: die Verläßlichkeit der Elemente wird durch identische Wiederholung hergestellt, und die Verknüpfungs>äste< bilden das »Denn« und die Kopula »ist«. (Die Genitivattribute der ersten beiden und das »als« des zweiten Satzes können gültig Vorstufen solcher Verknüpfungen darstellen, denn sie stellen Beziehungen her, die aber noch zu unklar sind; sie verorten sich nicht präzise im gegebenen Spektrum möglicher Beziehungen zwischen Identität, Äquivalenz, Ähnlichkeit, partielle oder akzidentielle Ähnlichkeit etc., d.h. im Kern zwischen der Alternative Selbiges oder nicht.) »Denn« schafft eine Hierarchisierung, um im Bild zu bleiben: es ordnet Vater- und Kinderrollen zu. Das im »Denn«-Satz Ausgedrückte ist älter, vertrauter, es stellt eine Autorität dar, an die man sich wenden kann, wenn Neues ans Tageslicht kommt, das noch unverstanden, desintegriert ist. Und als Inhalt der »Denn«-Sätze - das zweite »denn« ließ sich unter der Hand ergänzen — haben wir genau jene elementaren, nicht weiter erklärbaren Fähigkeiten verstanden, die wir an dieser Stelle brauchen, nämlich verläßliche Relationen (»Klugheit«; »getreu zu bleiben«) und Identitäten (»Wissen«; [»im Verstände«] »sicher zu seyn«) generieren zu können. Aber stimmt das? Spricht nicht die Formulierung »unter verschiedenen Umständen« eher dafür, daß der erste Satz die Fähigkeit zur Erfassung von Selbigem in wechselnder Umgebung meint? Das Verbum »seyn« bringt uns explizit ins Schleudern, denn es tut beides, es benennt zunächst die Relation (»ist«) und sodann die Identität (»seyn«). Und im vierten Satz meint es gar nichts Faktisches, sondern eine bloße Möglichkeit, ein hypothetisch Gedachtes. Wir sehen, auch hier waren die Verhältnisse solange klar und unter Kontrolle, solange sie in hinreichende Distanz zur Welt des Textes gebracht waren. Genau diese Bewegung hin zur Sprache und ihrer eigenen Dynamik vollzieht im vierten Satz auch der Text selbst, denn wie der dritte Satz auch schon greift er das letzte Element des vorhergehenden (»Verstände«) auf und bindet es in Beziehungen ein. Während der dritte Satz jedoch gleichsam noch die Kurve kriegte zum »Wissen« und so an beide Elemente des vorhergehenden Anschluß behielt, driftet nun die Rede aus dem so systematisch in der Entwicklung begriffenen Zusammenhang hinweg und verliert sich in der Kette der Bedingungen, d.h. der Autoritäten, die >zustimmen< müssen. Dabei kann man den vierten Satz, neben der historisierenden Lesart als
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Ausdruck von entstehender Verstandeskritik und der Einsicht in seine Geschichtlichkeit, eben auch als Reaktion auf jenes Umschlagen, d.h. jene Instabilität in der Syntax und Semantik am Ende des dritten Satzes deuten. Der Verstand, zunächst Ort von Sicherheit, kann sich gleichsam nicht dauerhaft halten und verfällt an den Irrtum; erst daraus erwächst das Bedürfnis, über seine Übung zu sprechen. Ist der Verstand gegen solche Ambivalenzen der Sprache im Anstreben von Selbigem - und dieses Selbige nennen wir dann den Sinn —, also etwa der Buchstabenfolge »geübt«, praktisch geübt, dann »erhält« er seine Kraft, was zunächst auch heißt: daraus bezieht er überhaupt ursprünglich seine Kraft; der Verstand ist diejenige Instanz, die sich gegen Mehr- und Vieldeutigkeiten auf einen stabilen identischen Sinn hin orientieren kann. In gewissem Umfang allerdings nur, wir haben schon gesehen, daß Hölderlins Vertrauen in diese Instanz nicht besonders groß ist. Und das liegt daran, daß die Sprache gleichsam mächtiger ist; der Text ist im vierten Satz sichtbar bemüht, den Verstand und seinen Sinn zu sichern, indem er sich weiter übt, weiter die Bedingungen des Gelingens abzuschreiten und so die Voraussetzungen zu schaffen sucht und dabei gleichsam mehr und mehr in Panik gerät, denn die Dinge entgleiten immer weiter; es häufen sich, wie beschrieben, die Fehlleistungen, und insgesamt liegt das semantisch real Mögliche mit jedem Satz weiter ab vom Intendierten. In diesem Versagen des vierten Satzes zeigt sich dann trotz seiner Länge, ja Geschwätzigkeit auch eine Sprachlosigkeit; der Verstand findet offenbar nicht die richtigen Worte. Die Kette der Konditionale, die gleichsam ihren analytisch tiefsten Punkt im Satz »so fern er an der eigenen geschliffenen Schärfe das Fremde leicht erkennt« erreicht hat und so auch beim traditionellen philosophischen Vokabular (»das Fremde«, »erkennt«) wie auch der Umgangssprache (das Bild vom messerscharfen Verstand) angekommen ist, findet durchweg austauschbare Formulierungen für das immer gleiche Problem, die nur sukzessive radikalisiert ausfallen. Wie der Verstand eigentlich zu üben ist, wie er eigentlich funktioniert, wenn er perfekt funktioniert, bringen die »so«-Sätze gerade nicht klar zum Ausdruck, wir werden nicht klüger, wie das an sich geschieht; die Metaphern von der »Kraft« und der »geschliffenen Schärfe« sind keineswegs transparent, und die bloß negative Formulierung zum Schluß macht nur noch einmal die Fragilität des ganzen deutlich. Offensichtlich kann der Sachverhalt nur vorgeführt werden, und im Grunde, das ist das Grundgerüst des Textes, spiegeln solche logischen Verhältnisse im Text ja nur die genealogischen >draußen< in der >wirklichen< Welt. Deshalb ist die Entwicklung bzw. der Sprung nach dem Absatz, der die Pause und gleichsam die Überwindung der Verzweiflung markiert, hin zum welthaltigen »So« und der konkreten »Situation()«, nicht mehr nur der abstrakten Rede von ihr, konsequent. Warum aber ist vom Verstand und seinen konstitutiven Bedingungen nicht mehr auszusagen als die uns gebotenen Bilder und die negativ-tautologische Definition (»irre sein« hängt analytisch am Begriff des Verstandes), an denen sich der sachliche Inhalt etwa des Übens, wie zu sehen ist, bestenfalls indirekt abbilden kann? Es empfiehlt sich, auch hier die Dinge auseinanderzuhalten; wir versuchen 88
den Verstand als ein Vermögen zu denken, das in Distanz zur Sprache Ordnung zu schaffen in der Lage ist, indem er bestimmten Elementen Orte in Bezug auf andere Elemente zuweist. Das Material, an dem dieses geschieht, liefert indessen die Sprache,80 die allerdings ihrerseits bereits ein System der Ordnung darstellt, nur kein verläßlich kontrolliertes und kontrollierbares. Folglich ist vom Verstand selbst und seiner Funktionsweise nicht zu reden, weil er ja eben unabhängig und fern der Sprache agieren soll. Sichtbar und verstehbar ist deshalb immer nur der Ausdruck von Verstand, also Sprache und Text, die im Idealfall verständlich, d.h. verstandesgemäß geordnet sind. (Dabei leitet eine transzendentale Unterstellung, nämlich daß alle mit Verstand begabten Wesen mit denselben Regeln der Verknüpfung arbeiten. Von dieser Unterstellung können wir, insofern es um Verläßlichkeit geht und der Verstand sie bieten soll, auch bei Untreue der Weisheit, ausgehen.) Jeder Text, jedes sprachliche Element hat aber seine eigenen Möglichkeiten der Ordnung — wir können z.B. das Element »im Verstände« nach vorne oder nach hinten verbinden — und deshalb sind wir gezwungen, unter Rekurs auf die Vorgaben des Verstandes den Text in seinen semantisch-syntaktischen Möglichkeiten so zu beschneiden, daß er in das verstandesmäßige Prokrustesbett paßt. Das ist eine »Kunst«, denn wo, in welchem Medium oberhalb von Sprache und reiner Logik sollten die Regeln dieses Vorgehens anzugeben sein? Es verlangt dazu die »Klugheit«, »unter verschiedenen Umständen«, d.h. in wechselnden Kontexten und Formulierungen einen identischen Sinn auszumachen, und es bedarf des »Wissen(s)«, der Selbstsicherheit, um trotz manifesten und wohlklingenden, verführerischen Unsinns im Text vor uns, trotz »positive(r) Irrtümer()« unbeirrt zu bleiben in dem, was wir wissen. Und worin sonst soll der Erfolgsfall sich kundtun, als in der Erfahrung oder dem Gefühl oder der Gewißheit, daß wir uns darin »sicher (sind)«, verstanden zu haben? Daß wir also ganz im Bewußtsein leben bzw. »am meisten« unser »Gemüth« daran »hängt«, die Zeichen auf der »Haut« irgendeines »(f)remde(n)« »Wild(en)« »erk(a)nnt« zu haben? Dieses archaische Gefühl, auf das Verstand und Sprachvermögen gleichermaßen Anspruch erheben (man kann bei Irrtümern - im Verstände sicher sein oder trotz Irrtümer im Verstände - sicher sein), gilt es zu »()üb(en)« und zu »erh(a)lt(en)«, weil es die Bedingung für Praxis in der polis, in lebensweltlich-intersubjektiven »Situationen« ist. Zweifel, die der Verstand anmelden kann, die sich aus einem »andere(n)« Verstehen ergeben, sind im Privaten zugelassen oder ganz zu unterdrücken, und wer solcherart sich »(g)utwillig« benimmt, hat Aussicht darauf »nicht leicht irre« zu werden und in die Fußstapfen der Vorgänger zu »tr(e)t(en)«, wie »Jason [...] vor den Pelias«. Wenn das abschließende Gedicht vorführen soll, wie und warum »(s)o« jemand handelt, wie wir nun verstanden zu haben glauben, ergibt sich hier die
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Künstliche Sprachen, die kein Anwendungsproblem der rein logischen Regeln auf ihre Semantik kennen, weil sie danach konstruiert sind, stehen hier nicht zur Debatte, weil durch die Rahmung mit den zwei Sprechakten die Einbindung der ganzen Problematik in die Lebenswelt und die reale Sprachpraxis offensichtlich ist.
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Gelegenheit zur Probe aufs mythologische Exempel. Die Interpretation des Gedichtes muß, wenn wir richtig liegen, im Einklang stehen mit dem Dargelegten. Allerdings nicht genau, denn weder die Sprache noch der Verstand sind geeignet, einen exakten Sinn verläßlich zu erfassen, und so ist auch bei genauem Hinsehen zu bemerken, daß die drei Strichpunkte, die jeweils die Mittelachsen der drei Textteile markieren, nicht völlig zur Deckung zu bringen sind. Während der erste, nur angedeutete Strichpunkt im ersten Gedicht nach »Hängt« nach 14 Wörtern und also genau in der Mitte zwischen den beiden Hälften steht, läßt sich dies vom zweiten Strichpunkt nach »Zerstreuten« nur in Bezug auf den gesamten Text behaupten, nicht jedoch auf den mittleren Prosaabschnitt, und der dritte Strichpunkt kann gar nicht exakt in der Mitte des zweiten Gedichtes stehen, weil dieses 51 Wörter umfaßt und deshalb das 26. Wort (»zwanzig«), dem der Strichpunkt voraus geht, das Gedicht zerteilt und nicht ein Satzzeichen; auch hier also verschwindet eine oberflächlich besehen genau beachtete Symmetrie. Die so markierte, »leicht irre« gewordene Zäsur am Text repräsentiert ein Thema des Textes, den Moment der onto- und phylogenetischen Menschwerdung, den die Tradition verengend in eins gesetzt hat mit dem Moment der Erlangung des Verstandes. Auch Jason reklamiert diese tradierte Sicht für sich; sein Ausgang aus der (wenngleich nicht selbstverschuldeten) Unmündigkeit, »der Grotte«, in der auch Piatons Höhle anklingt, soll ihm die patriarchale »Herrschaft«sposition im »Haus« verleihen. Das ist, was wir aus dem Text selbst erfahren, die Wiederholung des Verbums >kommen< stellt diesen kausalen Zusammenhang deutlich her, und auch wenn wir lesen, Jason trete »vor den Pelias«, so ist doch der weitere Verlauf des Textes bei Pindar, soweit dieser uns überhaupt interessieren muß, nicht wiedergegeben. Und es scheint auch nicht verwunderlich, daß dem so ist, denn bei Pindar ist dieses Problem der Herrschaft ein ganz anderes; dort hat Jason aufgrund seiner Abstammung ein angeborenes Anrecht auf einen Thron, 81 das aber hat mit der allgemein anthropologischen Frage nach dem Verstand und dem Übergang vom Natur- zum Kulturzustand überhaupt nichts zu tun. Anstelle der politischen Dimension ist denn auch die religiös-metaphysische viel deutlicher aufgerufen; wer bei dem im hohen Ton angesprochenen »Kind« noch nicht an Jesus von Nazareth denken mochte, kommt bei den Worten Jasons, er sei »gekommen nach Haus / Die Herrschaft wiederzubringen meines Vaters.« wohl kaum umhin, dies zu tun. 82 Nicht nur imitiert das zweite Gedicht also das Apostolische Glaubens-
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Fink (1982, 24) referiert den mythologischen Kontext. Vgl. die Vertreibung der Händler aus dem Tempel: »Und machet nicht meines Vaters Haus zum Kauffhause!« (Joh. 2, 16) und, stellvertretend für viele Stellen,: »Ich bin komen in meines Vaters namen« (Joh. 5, 43). Vgl. auch in Bezug auf die ersten Verse: »Meine Lere ist nicht mein / sondern des / der mich gesand hat.« (Joh. 7, 16). Die »Herrschaft« findet sich meines Wissens im Neuen Testament nicht, aber es sei an den Vers aus dem »Vater unser« erinnert: »Dein Reich kome.«, und insofern Jesus die Erbsünde wegnimmt, soll ja der Garten Eden wiederhergestellt werden, weshalb das Gebet fortsetzt: »Dein Wille geschehe / auff Erden / wie im Himel.« (Matth. 6, 10).
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bekenntnis durch den Anfang »ich glaube« und verortet sich so in der konkreten Liturgie; indem im ersten Gedicht das Kind angesprochen ist, im zweiten der Vater und dazwischen der Geist steht, bildet das ganze Vorwort auch ein Abbild der Trinität und verweist so auf Grundlagen der christlichen Dogmatik. Damit stellt der Text einen, am Anfang weniger, gegen Ende stärker deutlichen, aber expliziten Zusammenhang her zwischen Familienverhältnissen (bzw. institutionalisierten Lehrer-Schüler-Beziehungen), der parallelisierenden Abbildung solcher Verhältnisse auf das Zusammenwirken von Konstituentien des Geistes (bzw. »Gemüth«svermögen) sowie die doktrinäre Erfassung beider Formen inter- und intrasubjektiver Interaktion in den Medien des Mythos, der Philosophie und der Religion. Letzteres spricht Jason ganz deutlich aus: »ich glaube die Lehre / Chirons zu haben.« Darin verschmelzen nicht nur philosophisch-wissenschaftliche Lehre, religiöses Bekenntnis (als Akt wie als Doktrin) und mythische Erzählung, darin ist überhaupt die »Fähigkeit« bezeichnet, einen definierten, gesicherten Sinn (»die [eine, bestimmte] Lehre«) zu erfassen. Und es ist dieser Sinn als ein intersubjektiv erworbener, als übernommener genannt, als das Ergebnis von Verstehen, von Hermeneutik. Indem Jason glaubt, die Lehre Chirons zu haben, muß er ja zunächst einmal Chiron verstanden haben. Durch die Betonung der doktrinären und damit hermeneutischen Dimension setzt sich der Text zugleich auch von der christlichen Dogmatik ab; Jason glaubt nicht »an Gott«, wie es das Glaubensbekenntnis formuliert, eine Lehre ist zunächst überhaupt nicht von einer Person abhängig, so wie auch das Genitivattribut »Chirons« nicht für das Verstehen des ersten Satzes notwendig ist. Darin kündigt sich auch Jasons Emanzipationsbestreben an; er hat jetzt seine Lehre und deshalb Chiron nicht mehr nötig. Allerdings »glaub(t)« er sie nur zu haben, und er sagt auch nicht, er habe verstanden oder begriffen oder dergleichen. Seine Formulierung irritiert, denn wir sagen nicht, wir >hätten< eine Lehre. Offensichtlich geht seine Identifikation eines Selbigen unter dem Namen »Lehre« so weit, damit gleichsam etwas Dinghaftes zu meinen, das man in der Tasche »haben« kann. Das nachklappende Verb ist ja auch eigentlich ganz überflüssig; man glaubt etwas, und insofern vielleicht auch eine Lehre, aber man glaubt nicht, sie zu haben, gleichzeitig erscheint dieses Verb so als Vollverb, und es lädt sich die ganze Last auf, das Resultat des hermeneutischen Prozesses zu bezeichnen. Zugleich verändert und relativiert sich durch das nachgeschobene »haben« die Bedeutung des »ich glaube«. Da »tritt« zunächst jemand auf und sagt im Brustton der Uberzeugung, »ich glaube die Lehre«, als ob er sich dafür sogleich den Löwen vorwerfen lassen wollte, und der Versbruch hält die Kraft und das Pathos des Bekenntnisses einen Augenblick lang fest. Und dann richtet sich der Blick auf einen Dritten, gleichsam als ob der schuld an dem ganzen Schlamassel sei, und aus dem forschen Bekenntnis wird ein kleinlautes Tasten und Vermuten, das »ich«, das eben noch uneingeschränktes Subjekt war, weiß plötzlich gar nicht mehr genau, was sich in seinem »Gemüth« so alles abspielt, vielleicht habe »ich« die Lehre, vielleicht auch nicht - ein solches Ich ist offensichtlich nicht in der Weise Herr im Haus, in der es zunächst erscheint. Auffallen muß bei 91
der Gelegenheit auch, mit wieviel Wortzwischenraum Hölderlin die drei Wörter »Chirons zu haben.« niederschreibt; eine Wirkung dieser breiten Zwischenräume ist, daß »ich« und »haben« dadurch genau übereinander zu stehen kommen. Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen der Vorstellung eines Ich und derjenigen, eine Lehre zu haben wie eine Geldbörse, ja vielleicht überhaupt zu haben im Sinne von besitzen. Wir sehen also, daß der auf den ersten Blick perfekt gelungene Erziehungsund Enkulturationsprozeß, der im Kern ein hermeneutischer ist und mit der Ausbildung einer stabilen Ich-Identität einher geht, bei näherer Betrachtung keineswegs so lückenlos überzeugt. Vielmehr ist der erste Satz der Rede Jasons in vielfältiger Weise vom Anspruch auf Autonomie und Selbstbestimmung und zugleich von Unsicherheit und Unterwerfung geprägt. Jason bemüht sich um Dominanz, aber insgeheim ringt er um seine Fassung. Das ist nun aber genau die Struktur, die wir in bezug auf den Verstand im Mittelteil des Textes ausmachen konnten; der Text ist sowohl im Hinblick auf die intra- wie die intersubjektive Dimension um ein (aristotelisches) Mittel herum organisiert, und Ich, Verstand, auch Kind und Vater und allgemein der Sinn als identischer erweisen sich als Grenzbegriffe, momenthafte korpuskulare Verdichtungen eines an sich Prozeßhaften. Aber sie sind von lebensweltlich existenzieller Bedeutung, denn sie stehen in enger Verzahnung mit Praxis. Deshalb sagt Jason »nemlich«, das die Verbindung zwischen dem einleitenden Credo-Satz und der nachfolgenden KurzAutobiografie herstellt; weil er einen bestimmten Sinn und so auch sich selbst sicher erfaßt zu haben glaubt, kommt er nun und beansprucht eine angemessene gesellschaftliche Rolle. Daß Jason bei Chiron aufgewachsen ist und deshalb dessen Lehre hat, kann stattdessen gerade nicht das entscheidende Moment des Zusammenhangs sein, denn davon spricht Jason nicht. Vielmehr besteht ein solcher Zusammenhang höchstens indirekt, so wie im Fortgang des Gedichtes nicht mehr der Name »Chiron«, sondern nur noch die Gattungsbezeichnung »des Centauren« aus dem letzten Satz der Prosa, ebenfalls im Genitiv, wieder aufgegriffen wird. Es waren »des Centauren Mädchen«, die Jason aufzogen, und er hält sich zugute, »jenen« (darin Chiron mitgemeint zu sehen, ist ungrammatisch83) gegenüber sich in Wohlverhalten geübt zu haben. Es geht also nicht um Unterrichtsinhalte wie »Jagen, Reiten (...,) Waffenführung (...,) das Spiel auf der Leier« oder auch »die Lehre von den Heilkräutern«,84 die wir wiederum aus unseren vermeintlichen Kenntnissen des mythischen Kontextes zu ergänzen versucht sein mögen. Wenn wir davon ausgehen wollen, daß die beiden Sätze des Sprechaktes Jasons in einem sinnvollen Zusammenhang stehen, den sie aus sich selbst heraus zu stiften in der Lage sind, dann muß der zweite Satz uns erläutern, inwiefern und warum Jason glaubt, die Lehre Chirons zu haben. Und wenn Jasons herausragende Leistung, auf die er stolz ist, offensichtlich darin
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Vgl. Fink 1982, 15. Fink ebd., 20.
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besteht, zwanzig Jahre zugebracht zu haben, ohne ein »Werk / Noch Wort« der Opposition laut werden zu lassen, dann müssen wir genau darin, in der Vorschrift so zu handeln und ihrer Befolgung, eben jene Lehre Chirons erkennen. Das am Versende exponierte »hab'« verweist im übrigen deutlich genug auf das »(H)aben« der Lehre. Jason betont deshalb, wie anspruchsvoll diese Lehre ist; denn obwohl die »Mädchen« einerseits »heil(i)g()« sind, also ihr Bestes gegeben haben, und andererseits nur »(N)ähr«mütter, hat er trotzdem (»aber«) die ganze Zeit still gehalten. Der Strichpunkt steht so auch für den Gegensatz und die Trennung zwischen ihm und seinen Ersatzeltern, die er nun bilanzierend vollzieht. Hölderlin gestaltet diese Trennung als Klimax; die Versenkung in die Erinnerung bringt erst nach und nach die Frauen ins Bewußtsein zurück, bei denen Jason aufgewachsen ist. Aus dem syntaktisch-idiomatischen Zusammenhang heraus sind wir zunächst geneigt, »Charikli und Philyra« als Ortsbezeichnungen zu lesen (man vergleiche: »Aus der Grotte [...] / Bei χ und y, wo«), und Hölderlin unterstützt die Irritation, indem er den ersten Namen in Chariklz (statt Chriklof 85 ) umändert. Das Deutsche läßt eine solche Ambivalenz ja auch zu; im Französischen etwa wäre anstelle des einen »Bei«, das im übrigen eine, wenngleich nicht im Hinblick auf einen bestimmten Buchstaben oder ein Wort hin deutbare, Verschreibung aufweist, 86 zwischen >chez< und >pres de< zu unterscheiden. Erst im vierten Vers scheint sich Jason zu erinnern, daß es sich um Menschen handelt, und indem das Hilfsverb unterdrückt wird, kann erneut eine Unbestimmtheit des Deutschen zur Geltung kommen, nämlich die Ambivalenz von Singular und Plural bei »Mädchen«, 8 7 die wiederum erst im nachfolgenden Vers (»Die heiigen«) aufgelöst wird. Nachdem ihm zunächst nur selbstzentriert bewußt geworden war, von den Mädchen »ernähret« worden zu sein, wenngleich er hier schon ein wenig lyrischen Schmuck anzubringen vermag, muß nun dieses etwas sehr pathetisch verklärende und auch noch poetisch aufgeladene »heiigen« - während Jason sonst doch so flapsig redet: »komm' ich«, »hab' / Ich« — zum letzten Mal die ganze, bei Licht besehen doch recht bescheidene Anerkennung dieser Dienstleistung auf sich laden. Zugleich sucht Jason aber über die Heranziehung dieser Heiligsprechung an die eigene Vergangenheit und die Weise ihrer Bewältigung unter der H a n d selbst schon ein bißchen davon mit zu profitieren; davon war schon einmal weiter oben die Rede. Und dann ist dieses Kapitel abgeschlossen und die Mädchen sind nur noch verächtlich »jene()« und weit weg. Auch hier ist zu sehen: es geht nicht um eine besondere Lehrergestalt, vielmehr geht es um die Lehre, die als Resultat von Ver-
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Fink (14) zieht zum Vergleich die erste Übertragung dieser Stelle aus dem Jahr 1800 heran, wo Hölderlin den Namen noch richtig übernommen hatte, interessiert sich aber nicht für diesen massiven Eingriff, der gut zum Ausdruck bringt, wie wenig Respekt Hölderlin vor dem mythologischen Material und auch vor Pindar hat und wie frei er sie seinen Gestaltungsbedürfnissen unterwirft. Vgl. F H A X V 413/1, 2 1 - 2 2 . Was ebenso erldären kann, wieso Hölderlin vom zuerst gewählten »Töchter« (vgl. Fink, op. cit.) abrückt.
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stehen sich in einem bestimmten Sozialverhalten manifestiert, und so Prozeß und Ergebnis von Hermeneutik darstellt. Es ist der Mittelteil der abstrakten Reflexion, der sich als Exkurs, als Entäußerung in ein Anderssein darstellt; Ausgangs- und Zielpunkt der dialektischen Entwicklung auf dieser ersten Stufe ist die Sphäre sprachlich-intersubjektiver Lebenswelt. Beide Gedichte verkörpern sprachliches Handeln, nämlich eine Initiation, das erste aus der Perspektive des Initiierenden, das zweite aus der des Initiierten. Jason bringt die Identifikation von Sprache und Praxis unmittelbar zum Ausdruck, wenn er betont, er habe »nicht ein Werk / Noch Wort, ein schmutziges jenen / Gesagt«, wobei das Attribut »schmutziges« zusätzlich den gegenständlich-haptischen Charakter von Rede und Handlung gleichermaßen hervorhebt. Insofern gibt es in der Welt dieser Sprechakte eine ungebrochene Identität von theoretischem und praktischem Sinn; Jasons Rede, die die abstrakte »Lehre« mit der Narration und Deklaration seines Handelns in eins setzt, verweist auf die Identität von »Wissen« und »Klugheit«. Jason hat V/verstand/en; er ist, der er ist, als Teilhaber an der Identität jener Instanz, an die er glaubt. Auch das ist christlich gedacht; der Gläubige erlangt seine Sicherheit und Festigkeit auf Erden wie im Himmel in dem Maße, in dem er sich G o t t unterwirft. Oder abstrakter, in den Termini antiker Philosophie: die rechte Denkweise ermöglicht den Einklang mit dem Guten als Voraussetzung des guten Lebens - »Das Unschuldige des reinen Wissens als die Seele der Klugheit.«. Darin steckt unausweichlich eben jene Dialektik von Autonomie (der Gläubige muß sich entscheiden für den Glauben, also still halten wie Jason in der Grotte) und Schwäche des Ich (es ist nur als unterworfenes) wie auch von Intelligibilität und Fremde des Absoluten, das einerseits dem endlichen Verstand zugänglich sein und zugleich etwas anderes und ungleich Mächtigeres sein muß. Dabei aber sind solche Sätze aus einer Metaperspektive formuliert, die über eine Vielzahl von Stufen sich von der Situation entfernt hat, die wir im Gedicht vergegenwärtigt finden. Hinzu kommt, daß diese Situation in den tradierenden Medien von Mythos und Religion bzw. der rezipierend-übersetzenden Gestaltung zum neuen, lyrischen Text vielfältiger Modifikation unterworfen war, deren Kette sich im Nichts eines dunklen, ungewissen Anfangs verliert, freilich einschließlich der Frage, inwiefern überhaupt diese Kette in etwas >Realem< ihren Ursprung hat. Die Vorstellung aber ist, daß sich in allen diesen verändernd-bewahrenden Übertragungsweisen gleichwohl, und auch in der abstrakt-reflexiven, verstandesmäßigen Erfassung der Philosophie, ein Selbiges auszumachen bleibt; das ist ja auch die Unterstellung dieser Studie, die darauf abzielt, Hölderlins Text zu verstehen und dazu notwendig der geschilderten Situation inne werden zu können. Dieser Text aber nun sagt uns, daß das nicht genau funktioniert; und zwar weil die Sprache und also auch dieser Text selbst (und auch der Text, den ich jetzt schreibe) mit Unsicherheiten ausgestattet ist, die sich nicht ausmerzen lassen. Auch nicht vom Verstand, der sich selbst in größtmöglicher Absetzung von der Sprache und ihrer
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Struktur denken muß, um seiner selbst sicher sein zu können, der eben dadurch aber den Anschluß verliert an die Sprache und so auch die Welt. Ursache der Probleme, so die These Hölderlins, ist, daß wir diese Verhältnisse hierarchisch denken und im Grunde die Hierarchie der Familie zum allgemeinen Modell des Kosmos erheben. Wenn dann das Erkenntnisziel in definitiver Sicherheit besteht, dann verweist dies zurück auf eine Form der Erziehung bzw. Sozialisation, in der totalitär sich allein die Gesellschaft und ihre Maßstäbe durchsetzt. Am Umgang mit dem Mythos ist dies ablesbar; wir können die Geschichte von Chiron, Chariklo und Philyra, Jason und Pelias als etwas Gewisses auffassen, auf das wir rekurrieren können zum Verständnis des Textes. Wenn wir uns selbst unsicher sind, greifen wir auf Lexika zurück oder die antiken Quellen. Die >Methode< fordert überdies, diese Auskunftsgeber möglichst in einen plausiblen Zusammenhang mit Hölderlin zu bringen, also etwa ein Lexikon oder eine Quelle heranzuziehen, die sich z.B. in der Liste der Bücher findet, die er besessen hat. W i r hypostasieren darin einen Vater, würde Hölderlin sagen, der uns gleichsam auf der Grundlage seiner Autorität die Herrschaft über den zu interpretierenden Text überträgt, und je sorgfältiger wir die Lehre glauben, für desto legitimer halten wir unseren Anspruch. Dabei bietet gerade der Jason-Mythos die Möglichkeit zu einem anderen Umgang, gilt er doch als >Paradepferd< jenes Gegendiskurses, den ich eingangs unter dem Namen Hermetik zu begreifen suchte und dessen Kennzeichen in der Freigabe des Sinns gesehen werden sollte. Alle methodischen Versicherungsversuche laufen dann ins Leere, weil sich der Sinn nicht zwingen läßt, die Kette der Traditionen hat kein Ende, das gleichsam als Original den Maßstab liefert, und sie verläuft auch nicht eindimensional linear. Hölderlin läßt die Entscheidung offen; die Richtung, in die wir über seine Grenzen hinaus den Text deuten, ist nicht vorgegeben. Das mythologische Material wird ohne Absicherung den Lesenden ausgesetzt, und wenn wir nun der festen Überzeugung sind, genauer: des treuen Glaubens, daß der Text eine bestimmte (und nur diese) Version des Mythos voraussetzt, die man wissen müsse, dann wird dies das Gefühl geben, mit vollem Anspruch auf des Vaters (Hölderlins) Herrschaft (über den Sinn des Textes) vor den Text als seinen unrechtmäßigen Statthalter zu treten, denn idealerweise hätte eigentlich uns Hölderlin seine Lehre ja am liebsten direkt mitgeteilt. So ist es aber nicht, Hölderlin läßt auch offen, wie die Begegnung zwischen Jason und Pelias ausgeht. Alles was wir haben, ist der Text, so wie er vorliegt, und auf den wir bei allem Verstehen am Ende wieder zurückgeworfen werden. Auch wir sind gekommen, um die »Herrschaft« über den Text zu bringen und »sicher zu seyn«, aber es scheint nicht zu gelingen. Was sind die Resultate? W i r haben eine Reihe zentraler Begriffe erworben, den Verstand, das Ich auch, denn es mußte ja auffallen, daß dieses Wort im zweiten Gedicht immerhin dreimal an exponierter Stelle am Versanfang oder -ende auftrat, beides eingebunden in die Frage nach dem systematischen Zusammenhang und dies in Abbildung bezogen auf das Verhältnis von Familien- (und am Horizont auch Gesellschafts-)mitgliedern. Was sich also zu entfalten begonnen
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hat, ist zum einen eine Theorie des Geistes und zum andern eine der Gesellschaft, und das Band, das nicht nur beide miteinander, sondern auch ihre Komponenten untereinander verknüpft, ist die Sprache, die alle diese Akteure in ein Geschehen des gegenseitigen Verstehens einbindet. Und schließlich ist da noch, fern gerückt am Grund des Ursprungs dieses ganzen Geschehens die Natur, sei sie belebt (»Wild()«) oder unbelebt (»Grotte«). Bei aller Einsicht, die wir gewonnen haben oder es zumindest glauben, sind uns die Zusammenhänge keineswegs abschließend und zur Zufriedenheit deutlich geworden. Grundlegende Fragen sind offen und müssen an den Fortgang des Textes gestellt werden: was ist der Verstand eigentlich genau und in welchem Verhältnis steht er zu Sprache einerseits und Welt andererseits? Was hat es damit auf sich, wenn jemand »ich« sagt, und in welchem Verhältnis steht dieses Tun und Können zum Verstand? Insbesondere verlangt die indirekte Bezugnahme und Thematisierung der Sprache nach Klärung; das aber kann ja nur heißen, den vorliegenden Text verstehen zu wollen, denn wenn wir insgesamt über Wesen und Fähigkeiten der Sprache informiert werden wollen, dann muß das Verständnis des Hölderlinschen Textes sich ja gleichsam unter der Hand ergeben. Die Reihenfolge aber kann natürlich nur umgekehrt sein; wir bemühen uns, den Text zu verstehen und auf diesem Wege dann bzw. dadurch allgemein zu erfahren, was Sprache ist und leistet. Sprechen und lesen können müssen wir also schon; es geht darum, etwas reflexiv explizit zu machen, was in einer alltäglichen Praxis verborgen steckt, damit wir eben dieser Praxis dadurch zu Verläßlichkeit verhelfen können. Denn diese Praxis ist nicht verläßlich; wir haben gesehen, wie das Thema »sicher zu seyn« an einem ersten vorläufigen Schlußpunkt (man beachte auch den recht breiten Wortzwischenraum, die Pause danach) exponiert wird und in der Kette von Stabilisierungsversuchen sogleich wieder untergeht. Der eingerückte, stark betonte erste Vers des zweiten Gedichts hat diese Thematik aufgegriffen und gezielt in die Richtung der Sicherheit sprachlich-intersubjektiven Welterfassens von Individuen fortentwickelt, wobei die Fragwürdigkeit und Naivität der Selbstzuschreibung solcher Sicherheit zugleich mit ihrer Notwendigkeit als Voraussetzung für Handeln sichtbar wurde. Es sind demnach Rahmenbedingungen deutlich geworden, die plausibel erscheinen müssen, und zugleich, wenn wir das Gehäuse dieses filigranen Apparates öffnen, verlieren wir uns in der Komplexität seiner Konstruktion, scheinen Drähte im Nichts zu enden und Zahnräder aneinander vorbei zu greifen, oder aber sich synchron zu drehen ohne erkennbare Kupplung. Dabei wird sich, wer nur ein Minimum an Bereitschaft und Sensibilität mitbringt, kaum jemand dem Sog und der Neugier erwehren können, die das kleine Wunderding erzeugt; und wir haben die sichere Ahnung, daß es vorzüglich einen ganz bestimmten, unverzichtbaren Zweck erfüllt, und es ist, als ob uns auf der Zunge läge, welchen - aber wir vermögen es nicht zu sagen.
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3.2.3 Kapitel 1: Von der Wahrheit. Nun, wir können ja weiter lesen, in der Hoffnung, daß die Probleme sich lösen, schließlich ist der Text noch nicht zu Ende. Nach einer Pause, der Leerzeile, setzt er neu ein, und wieder auf der Höhe des ersten Verses des vorhergehenden Gedichtes, der Rede Jasons. Bis dahin, recht besehen noch ein bißchen weiter, nämlich bis zum Beginn des Wortes »glaube« ist die Zeile »Von der Wahrheit.« eingerückt und das »ich« damit zurückgelassen, das im Fortgang des Textes auch erst am Ende beim zweiten Wort des Gedichtes im Kapitel Das Unendliche, wieder auftauchen wird. Der Zusammenhang, der so auf typografischem Wege zwischen dem Zwischentitel Von der Wahrheit, und dem Vers »ich glaube die Lehre« hergestellt wird, liegt auch inhaltlich nahe; denn wer eine Lehre glaubt, glaubt, daß sie von der Wahrheit sei. Freilich ist der Gehalt des Titels deutlich abstrakter als der Vers; während die Lehre noch als Substantivierung der alltäglichen Erfahrung jedes Schulkindes durchgeht, die vielleicht sogar im Sinne eines Schriftstückes empirisch greifbar ist, nimmt »Von der Wahrheit.« den philosophischen Tonfall des Prosaabschnittes aus dem Vorwort auf, und das so gezielt wie nur irgend möglich, denn Schriften mit diesem Titel sind Legion, von der Antike über Anselm und Thomas bis zu Karl Jaspers. Ganz zu schweigen von der Unzahl von Texten, die der Struktur nach über den Anfang mit »Von ...« bzw. De ..., Peri ..., On ... etc. aufgerufen sind. Insofern alle diese vielen Von-Texte Lehren sind, hängen sie denn auch nicht nur der idiomatischen Form nach am >Metatitel< Von der Wahrheit., oder in anderen Worten: der Text stellt sich hier im Besonderen wie im Allgemeinen in den Kontext einer Fülle von Schriften außerhalb seiner selbst (auch im Rahmen von Untreue der Weisheit.), und es verschärft sich dadurch ein Problem, das wiederum dem Titel wenig verhüllt auch selbst bereits zugrunde liegt, nämlich die Frage nach der Einheit der Wahrheit. Zunächst scheint die Uberschrift hier sehr entschieden und eindeutig, denn der bestimmte Artikel und der Singular schaffen ja wünschenswert eindeutige Verhältnisse. Vorne dran stand aber schon die Präposition und hat die Sache so eröffnet, daß Numerus und Artikel so bestimmt sein können wie sie nur wollen: es wird nicht mehr zu fassen sein, ob die Wahrheit eine oder viele ist, denn das »Von« sagt beides zugleich. Wie weiter oben schon bemerkt, kann es sowohl separativ gelesen werden (die Wahrheit hier abgetrennt von der einen dort) wie partitiv (die Wahrheit hier wesensgleich und so im Grunde eins mit der einen Wahrheit dort). Irgendeine Art von Trennung allerdings, wie machtvoll sie am Ende auch immer erscheinen wird, werden wir annehmen müssen, und es scheint plausibel, über jenen Verweis zum Credo-Vers des zweiten Gedichts und damit den Zusammenhang des Vorwortes dieses Moment der Trennung in der Internalisierung der Bewegung zu sehen, die im Vorwort am Werk war. Sie bestand in der abstrahierenden Reflexion über die condition humaine in der Spannung zwischen dem Einschluß in die Natur und dem Ausschluß aus ihr, die unter Rekurs auf die gedachte, unter- oder vorgestellte Struktur dieses zwielichtigen Verhältnisses 97
versuchte, Sicherheit und Stabilität (wieder) zu erlangen, wobei auf der letzten Stufe der Abstraktion bzw. Verschiebung die Fähigkeit zur Erfassung oder Bildung solcher Strukturen dann wiederum als Wesen der Struktur selbst zu denken blieb - als Aufgabe, an der wir nun kauen. Eben dieses Problem kann der neue Zwischentitel nun gut zum Ausdruck bringen, denn er entfaltet ein System (im Sinne eines Ganzen aufeinander bezogener Teile) der Einheit und Trennung, das als solches dann das ausmachen oder schlicht sein soll, was ist. Einheit und Trennung sind demnach in der Substanz des Wesentlichen selbst angelegt, wir haben das Problem behalten, aber gleichsam die ganze Welt in ihrer konkreten Gestalt abgestreift, so wie auch das Ich als Instanz der Erfassung dieser Welt (als >Eigentümer< der Lehre) auf der Strecke blieb. Das Problem ist somit transzendental formuliert, losgelöst von jeglicher situativen Verortung wie auch vom so oder so beschaffenen Bildungshintergrund dieses oder jenes bestimmten Menschen. Und auch die Fokussierung auf eine Relation, eine Struktur kommt im Titel zum Ausdruck durch das substantivierte Attribut; Hölderlin schreibt »Von der Wahrheit.« und nicht etwa »Von dem Wahren.Übernatürlichesdraußen< in der Welt, sondern im Text, von dem aus - vielleicht - der Blick nach draußen fallen mag. Von daher ist neu und verändert zu fragen, wann »(u)m diese Zeit« ist. Bereits die »Musen« haben die mythische Verortung des Geschehens betont; in ihnen versammeln sich »des / Centauren Mädchen« und die »Königin Wahrheit«, sie sind die Personifikationen jener metaphysischen Instanz, die geeignet ist, das Absolute zu erfassen, und so letztlich Abklatsch der »Mu(tt)e(r)«. Ihre »Witterung« transponiert die Naturalisierung »(b)ürger(licher)« Wahrnehmung in ein Zwischenreich märchenhaften Personals, wo Götter, Mensch und Tier sich gleichsam >Gute Nacht< sagen, das aber im Kontext seinen Status als Uberbau nicht verhehlt.124 »Um diese Zeit« heißt insofern wesentlich ganz schlicht: jetzt, an dieser Stelle im Text, wenn seine Entwicklung so weit fortgeschritten ist, daß die Inszenierung einer solchen Situation gelingen kann, genauer: wenn aus der enkulturalisierten Verfaßtheit des Bewußtseins heraus die kalkulierte Versetzung in Natur und ihre Mythen möglich ist. Das Kapitel versucht ja gleichsam die Rückkehr zu einem »pontischen Wild()«. Hölderlin nimmt auch hier die phantastischen Erzählungen vom Ursprung der Sprache, wie sie Rousseau und andere vorgetragen haben, beim Wort, indem der Text, der sie vermittelt, eben diesen Modus des Phantastischen
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Heike Bartel (2000, 110) zieht sie zurecht heran. Gerade im Fall der »Witterung« ist besonders schön zu sehen, wie die Begrifflichkeit im Laufe des Textes sich sukzessive semantisch auflädt und gleichsam zu vibrieren und zu glühen beginnt. Die Lexikalisierung des Hölderlinschen Vokabulars unter Ausblendung der je spezifischen Kontexte ist geeignet, diese Wirkung zu (zer-)stören und demgegenüber der Hypostase einer Hölderlinschen Geheimsprache und >Privatmythologie< Vorschub zu leisten. Zu den hermeneutischen Implikationen vgl. Albrecht Seifert (es gehe darum, die in einem »Texcstück gegebene, geradezu definitorische Festlegung« eines Terminus »in die andere Fragmentexegese gewissermaßen wie in eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten einzusetzen« [Seifert 1998, 66]) sowie Bernhard Böschenstein [2000] zur Leseweise Heideggers vs. Szondi 1967, 9 - 3 4 und Adorno: »Wer sie überspannt [die Möglichkeiten, die Sprache bzw. bestimmte Wörter zu verwenden wie >eigentlichAuftragAussage< etc., MG], steuert einer blank nominalistischen Sprachtheorie zu, der die Worte austauschbare Spielmarken sind, unberührt von Geschichte.« (Adorno 1964, 11).
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selbst a n n i m m t und so offenlegt. Erzählungen vom Ursprung der Sprache sind Mythologie, und eine Wissenschaft, die davon sprechen will, ohne sich selbst i m Wesen einzusetzen, verkennt sich und ihren Gegenstand. Die zentrale mythische Instanz dabei ist die »Natur«, sie soll die Kontinuität gewährleisten, die solche Rückversetzung überhaupt möglich macht. Rede vom Ursprung der Sprache ist, unter postmetaphysischen, aber ästhetizistischen Bedingungen, »Gesang der Natur«, hier als Genitivus subiectivus; vormals mag sie göttliche Offenbarung gewesen sein oder, in zweiter Stufe, M e d i u m der Selbstentfaltung eines kosmischen Geistes. Den Ursprung der Sprache zu phantasieren meint, Autorsubjekt und Natur zu verschmelzen, so wie der Text es tut, u m so »jedes Wesen« der Biosphäre in seiner spezifischen Artikulationsweise verstehen zu können. Denn d a r u m geht es in dieser Perspektive; das Wesentliche der menschlichen Sprache m u ß sich finden in Abgrenzung zu den anderen Geräuschen (»Ton«, wobei die Formulierung >seinen Ton angeben< ein großes Orchester evoziert) dieser Welt, insbesondere den >Sprachen< der Tiere, aus deren Reservoir die Rede des Menschen sich erhoben haben m u ß . Der gesuchte, phantasierte Ursprung versammelt sie alle eben noch als Gemeinsames u n d Gegenwärtiges, bevor der qualitative, epochale Umschlag sich ereignet, wenn in diesen Geräuschen Sprachliches auftritt. U n d die Urform von Sinn, die dabei i m Zentrum steht, ist die Fähigkeit zur akustischen Signalisation u n d Erfassung von Selbigem; es geht u m Töne, u m Hörbares, nicht u m den visuellen Eindruck, sich i m anderen Wesen wiederzuerkennen, weil es überhaupt zunächst nicht u m Inter-, sondern Intrasubjektivität geht. Die »Treue« ist ja zunächst als »die Art, wie eines in sich selbst zusammenhängt« expliziert. Noch einmal, wie i m Vorwort, n i m m t die Entwicklung ihren Ausgang bei einem solipsistisch charakterisierten Gedankenexperiment; die Entwicklung der Sprache wird, wenngleich in der Vergegenwärtigung des gesamten Naturraumes, individualistisch gedacht. Ausgangspunkt ist, sich in den eigenen akustischen Hervorbringungen selbst u n d i m Laufe der Zeit wiederzuerkennen. U n d diese Fähigkeit macht das Selbstsein aus, es ist die einzige »Art, wie eines in sich selbst zusammenhängt«, 1 2 5 wobei in der Wiederholung des Verbums »hängen« die vermittelte Beziehung zwischen Projektion u n d Einverleibung eines natürlichen Prinzips ausgesprochen ist. Letztlich also, am Horizont jenseits der Sprache, wird die Beobachtung, oder besser: die haptische Erfahrung, daß in der Natur eines a m anderen physisch dranhängt, in welcher Weise auch immer, zum Urbild für die mentale Kohärenz des Subjektes. Der nächste Satz korrigiert allerdings die solipsistische Setzung des zweiten: indem er die »Art« aufgreift u n d in den Plural setzt, vor allem aber indem er
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Vgl. Jacques Derrida: »Der Logos aber kann unendlich und sich selbst gegenwärtig nur sein, kann als Selbstaffektion sich nur ereignen durch die Stimme·, als Ordnung des Bezeichnen, durch die das Subjekt in sich aus sich heraustritt, in der es den Signifikanten, den es selbst äußert und von dem es gleichzeitig affiziert wird, nicht aus sich heraus setzt. Derart ist zumindest die Erfahrung - oder das Bewußtsein - der Stimme: Sich-im-Reden-Vernehmen.« (Derrida 1974, 175). 136
ausdrücklich festlegt, daß dieser »Unterschied der Arten« die einzige »Trennung« innerhalb des Kontinuums »Natur« ausmacht. W i r können hier die »Arten« nicht anders als biologisch auffassen, die näher sich definieren und von einander abgrenzen durch ihre spezifische Lautäußerung. Dann aber modifiziert sich die Reichweite des »eines«; es meint nun nicht mehr ein Individuum, sondern eine durch die Laute der einzelnen Individuen vermittelt homogene und in sich undifferenzierte >SprecherSprache< meint eine unsinnliche Aussageweise, in der ein Wesen sich selber nicht begreift, während >Gesang< erscheinend sich selber ausspricht.« Fink 1982, 57).
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hat, ist ihre F ä h i g k e i t , s c h ö n z u sein; d a s sprachliche K u n s t w e r k allein k a n n d i e E i n h e i t s e r f a h r u n g m i t der N a t u r vermitteln u n d s o m i t a u c h ü b e r d i e H e r k u n f t der S p r a c h e A u s k u n f t g e b e n . D e s h a l b kehrt der Text a u c h aus der diskursiven, explizierenden S p r a c h e in eine rein deklarative, b e s c h r e i b e n d e z u r ü c k : D e r » E s i s t « - A n f a n g des letzten Satzes g e m a h n t nicht zuletzt an G e d i c h t e G e o r g Trakls, d i e freilich g a n z anders g e s t i m m t aber v o n derselben G r u n d i n t e n t i o n getragen sind, f a k t i s c h p r ä s e n t i e r e n d z u ben e n n e n , w a s ist. W e n n d o r t aus der resignierten Verzweiflung heraus g e s p r o c h e n wird, d a n n hier aus G e l a s s e n h e i t ; b e i d e n g e m e i n s a m ist die Inaktivität, die R u h e . D e r H a u p t s a t z » E s ist d a s wellenlose M e e r « r u h t in sich u n d weist nicht über sich h i n a u s , o h n e A n b i n d u n g u n d R e f e r e n z (es ist o f f e n s i c h t l i c h s i n n l o s z u fragen: welches M e e r ? w i e s o ist es wellenlos? etc. D i e s e F r a g l o s i g k e i t w i r d i m ü b r i g e n a u c h d u r c h die l ü c k e n l o s e F o l g e b e s t i m m t e r Artikel b e t o n t . ) . E s ist g l e i c h s a m der Äther, der u n b e w e g t e H i n t e r g r u n d , vor d e m allein B e w e g u n g erfahren w e r d e n k a n n , u n d w e n n wir jenes Z i t a t C i c e r o s ernst n e h m e n , d a n n k ö n n e n wir d a s » M e e r « s o w o h l als reales lesen als a u c h als M e t a p h e r f ü r d e n G e i s t , f ü r die R u h e des B e w u ß t s e i n s , d i e die V o r a u s s e t z u n g bildet, in b e s o n d e r e r W e i s e a u f n a h m e u n d w a h r n e h m u n g s f ä h i g zu w e r d e n . V o n d a h e r k ö n n t e m a n versucht sein, sich d e n S a t z zur V e r d e u t l i c h u n g z u ergänzen: >Das E s ist d a s wellenlose MeerSchrift< a n z u s e h e n . 1 2 9 D e r Text verliert so seinen B e z u g zu phantasierter Welt, d a s G e s c h e h e n w i r d a u t o n o m solches des Textes selbst, u n d wir sehen n u n i m R ü c k b l i c k d e n » D e l p h i n « der U b e r s c h r i f t i m v o r w e g » ( b e ) ( r ) u h ( i g t ) e ( n ) « »Wasser« der Z e i c h e n , d . h . d e m M e e r aus T i n t e , d a s d a s Papier b e d e c k t , e b e n n o c h r e g u n g s l o s s c h w e b e n , bevor er d u r c h die L e k t ü r e e r f a h r u n g u n d d e n »Fisch« » b e w e g t « wird. D e n n der D e l p h i n ist kein Fisch - solche K r i t i k des reinen K a t a s t e r v e r s t a n d e s , 1 3 0 der » d a s F r e m d e leicht erk e n n t « , ist n ö t i g , u m eine B e w e g u n g in G a n g zu setzen, d i e aus der v e r m e i n t l i c h o b j e k t i v e n o d e r über A u t o r i t ä t e n objektivierten 1 3 1 W e l t heraus u n d in j e n e des Textes h i n e i n f ü h r t ; es gilt, die » P f e i f e der T r i t o n e n « z u v e r n e h m e n , d i e d a steht.
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Siehe S. 52. Darüber hinaus ist in »der [...] Fisch« auch der Anklang an griech. δ ε λ φ ί ς und damit >Delphin< zu hören. Vgl. Kreuzer 2002, 259. Vgl. Markus Fink: »Ich stütze mich [bei der Erörterung der Bedeutung des Delphins in der Antike, M G ] auf die Artikel in der Realenzyclopädie von Pauly-Wissowa und im Reallexikon für Antike und Mittelalter.« (Fink 1982, 60). I38
Der bewegliche Fisch bzw. der Delphin meint nicht nur den Dichter,132 sondern ebenso auch die Lesenden; deshalb »fühlt« der Fisch auch, anstatt zu hören, die fühlbare Materialität des Textes entspricht der Materialität der Natur, die sich durch ein halb göttliches Medium mitteilt. Die »Tritonen« sind Mittler, darin ganz dem »Centauren« gleich; während letzterer das >Wunder< genealogischer Kontinuität und damit sozialer Identität versinnbildlicht, gleichsam archaische Natur und Kultur an Land vermittelt, wobei Sprache immer schon in Anspruch genommen ist, stehen erstere für den Ubergang von der sprachlosen zur sprechenden Natur und damit für diejenige Kontinuität, die der Text immer schon in Frage stellt, weil er Text ist. Denn als solcher bleibt er über Papier und Tinte oder irgendein anderes Medium in Natur verankert und meint zugleich etwas, was gerade nicht Natur sein will, sondern Sinn. Diese vermittelte Beziehung leistet der letzte Satz, indem er »die Pfeife der Tritonen« und »das Echo des Wachstums in den waichen Pflanzen des Wassers« appositionell identifiziert. Der Satz ist dabei verstandesmäßig von hinten zu lesen, denn er soll ja aus der Phantasie herausführen, zurück in den Gedankengang des Textes Untreue der Weisheit. Grundvoraussetzung für Sinn ist Empfindungsfähigkeit: man muß etwas »fühl(en)« können, und zwar - im Präsens — jetzt und hier, nicht als bloße Potenz. Der elementarste Sinn des Menschen ist, wie nun schon oft hervorgehoben, der Tastsinn, sein Gefühl, in dem der Anklang an das »Gemüth« vielleicht gehört werden mag. Elementares Objekt dieses Gefühls und Urstoff, >Ursuppe< der Evolutionsbiologie oder Fruchtwasser, ist das »WasserO«. In seiner Geborgenheit und aus ihm gedeihen »waiche() Pflanzen«, nicht »felsenliebende«, »(w)ild(e)« Tiere; worauf zurückgegangen werden muß, ist die >bewußtlose< Natur, deren Veränderung in der Zeit, wenngleich noch undifferenziert - man achte auf die Alliteration »Wachstum«, »waichen«, »Wassers« - , doch ein »Echo« auslöst, eine Verdoppelung, die als Urteilung zwischen Signifikat und Signifikant anzusehen ist. Daß »Wachstum« allein üblicherweise kein Echo erzeugt und vor allem, daß dieses »Echo« mit einem mythischen Bild identifiziert wird, zeigt an, daß hier eine Differenz zu überbrücken ist, die nicht verstanden werden kann. Darin endet das Kapitel aporetisch. Aber die Sprache beeindruckt derlei Widerspruch nicht, sie geht einfach darüber hinweg bzw. ist schon darüber hinweg gegangen; im Zusammenhang von Untreue der Weisheit. steht dieses Kapitel so selbstverständlich wie alle anderen, auch wenn es zunächst versuchte, sich aus diesem Zusammenhang herauszuwinden, indem es sich gleichsam zu sehr auf ihn einließ. Die w-Alliteration im Satz knüpft ganz beiläufig eine gerichtete Kette zunehmender Tätigkeit, >Auto-Mobilitätalles< zu sagen, indem in der Ankündigung des »Höchste(n)« gewissermaßen der Angelpunkt des Kosmos versprochen wird, von dem aus das übrige sich ergibt; und andererseits >nichts< zu sagen, weil das bloße, substanzlos »Höchste« ebenso sehr leer, gesichtslos und damit irrelevant ist, bildet sich der unentschiedene Status der Uberschrift zwischen Wahrheit und Ideologie gültig ab. Aus der Erfahrung des Bisherigen im Rahmen von Untreue der Weisheit, und infolge dieser Überlegungen zum Titel »Das Höchste.« mag, nachdem bereits im Rahmen der Diskussion des Kapitels Von der Wahrheit., also auf der ersten Stufe der zweiten Phase, von ihm die Rede war, hier auf der ersten Stufe der dritten Phase erneut der Gedanke an Kant naheliegen. Bekanntlich findet sich bei ihm an zentraler Stelle, wenngleich in der Fußnote, die definitorische Festlegung: 141
Und so ist die synthetische Einheit der Apperception der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik und nach ihr die Transcendental-PhiloSophie, heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst.135
Denn eben bei diesem Problem hatten wir den Gang des Gedankens ja im letzten Satz des vorherigen Kapitels Vom Delphin, zurückgelassen: bei der Frage nach dem Prinzip, das im Gesamt des sinnlich-empirisch Gegebenen selbige Signifikanten und - Hölderlin wählt das Bild vom »Echo« - damit korreliert gegebene sinnhafte Gehalte zu identifizieren gestattet. Vom Delphin, war offenbar getragen vom Vertrauen in das Prinzip des Schönen und dem Sinn dafür; aber auch das ist nichts weiter als ein Mythos, die Hypostasis eines An-sich, zu dem das Individuum in ein vermitteltes, problematisches Verhältnis tritt. Die Fähigkeit zur Identifikation von Selbigem, »(d)as Höchste«, ist dabei vorausgesetzt und in Anspruch genommen, die Frage nach dem Wesen des Schönen und seines Sinnes in der Rücknahme in die Immanenz der »Natur« nur dogmatisch abgewiesen bzw. in der reinen Selbstpräsenz des schönen Gegenstandes, das Kapitel Vom Delphin, als erscheinendes Objekt, unerwähnt. Von der Ruhe, hatte bereits das Problem als »Charakter des Schiksaals« benannt und seine wesentliche Struktur in der Frage nach dem überzeitlich Selbigen zutreffend erfaßt, im Abzielen auf sowohl zu sehr Konkretes und Anthropomorphes (»Charakter«) als auch zu sehr Abstraktes (»Schiksaal«) jedoch das Medium der Analyse noch verfehlt. Das Kapitel Vom Delphin, gewinnt demgegenüber gerade aus der Versenkung in das erscheinende (auftauchende) Schöne den Blick auf die Sprache als des eigentlichen Mediums; der künstlerische, aus der Muße geborene Umgang mit der Sprache, der sich zunächst noch gleichsam naiv auf einen gemeinten Gegenstand außer ihr richtet, schärft die Wahrnehmung ihrer selbst und ihres Wesens, weil er ihrer Vitalität bedarf, im Gegensatz zur begrifflichen Sektion präparierter sprachlicher Leichenteile.136 Wie aber verhalten sich die Sprache und jene rein noetische Kompetenz, von der Kant im zitierten Satz spricht, zueinander? Eben diese Frage soll im folgenden die Deutung des in Rede stehenden Kapitels leiten. Daß in diesem der Verstand eine Rolle spielt, mag bereits daran ersichtlich sein, daß das Gedicht unter der Uberschrift »Das Höchste.« 20 Wörter umfaßt und nach dem neunten (die »Unsterblichen«) durch den Strichpunkt knapp neben der Mitte gegliedert wird. Dabei ist dieses Satzzeichen grammatisch falsch, an seiner Stelle müßte eigentlich ein Komma stehen; der Verstand greift also gleichsam gegen die »Gesez«lichkeit der Sprache in diese ein, um sich zu manifestieren. Zum einen kehren wir somit in die Situation des Vorwortes zurück, in der die rivalisierende Konfrontation mit einem so noch nicht genannten »König« bereits als Metaphorik für die Interaktion intrasubjektiver Kompetenzen im Zentrum stand. Gleichzeitig ist aus der Formulierung »Von allen der König« zu lesen, daß hier nun die individuell
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Kant, KrVB 134. Diese Figur ist in der Kritik der sprachanalytischen Tradition des 20. Jahrhunderts ausgeführt worden, vgl. klassisch: Marcuse 1964; insb. 189ff.
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subjektive Verortung verlassen und zur transzendentalen Ebene aufgeschlossen wurde; die explizite Ausweitung des Herrschaftsbereiches des Königs »Gesez« auf »SterblicheO und / UnsterblicheO« kann gültig im Sinne Kants als Ausdruck dessen aufgefaßt werden, daß jegliches (vernunftbegabte) Wesen diesem unterworfen ist. Transzendentalität meint somit: alles, was dem »Gesez« unterliegt. Die epistemisch und hierarchisch problematische — »ungewisse() - Situation« einem solchen »Gesez« gegenüber wird deutlich, wenn wir ausgehend von dem »Von« zu Beginn des zweiten Verses, das hier zum letzten Mal innerhalb Untreue der Weisheit, auftritt, den elliptischen Halbsatz bzw. die Kette der Appositionen vor dem Strichpunkt betrachten. »Das Gesez,« steht allein im ersten Vers und ist doch zugleich mit dem »König« im zweiten identifiziert, wobei die Kopula unterdrückt ist, darauf wird zurückzukommen sein. »Das Gesez« steht so durch das »Von« und den Versbruch getrennt von den »allen«, und doch stehen diese auch direkt neben dem »König« auf einer Ebene mit ihm, das Komma nach »Gesez« trennt zusätzlich und verbindet ebenso sehr, insofern es reiht. Dem Gesetz sind alle unterworfen und doch ist es, sofern metaphorisch angesprochen, nurmehr primus inter pares. Die metaphysische Differenz, die in den »Von«-Titeln präsentiert war, zeigt sich hier in den Text integriert und besteht wesentlich als eine unterschiedlicher Diktion: dieselbe Sache wird einmal >direkt< benannt und das zweite Mal mit einer Metapher belegt. Die Differenz erweist sich so als gleichsam künstlich erzeugte, sie besteht nicht an sich, was auszudrücken mit zu den Aufgaben gehört, die durch die Auslassung der Kopula erbracht werden sollen; wenn Hölderlin das Satzelement »Von allen« zunächst in den ersten Vers hinter »Das Gesez« schreibt und dann sofort wieder streicht und in die nächste Zeile rückt, 137 bildet sich sichtbar ab, daß und wie die Unterscheidung, die ursprünglich wiederum dem Komma nach »Gesez« zuzurechnen ist, intentional produziert wird. Es geht darum, innerhalb eines Kontinuierlichen etwas auszugrenzen, um sich ihm als Metainstanz unterwerfen zu können, und zwar als eine solche schlechthin, die selbst für Götter, d.h. kantisch: für alles, was nur vernunftbegabt ist, gültig sein müßte. Kant spricht von der »synthetischen Einheit der Apperception«, Hölderlin schlicht vom »Gesez«; was für den einen ein Konstrukt ist, mühsam und stolz erdacht, entnimmt der andere dem alltäglichen, bestenfalls gehoben alltäglichen Dasein und Sprachgebrauch. Während Kant das zentrale Funktionsprinzip von individuierten >Bewußtseinsapparaten< angibt, dessen überindividuelles Wesen Allgemeinheit ermöglicht, sieht Hölderlin das Problem von vorne herein in der Sphäre des »OffentlicheO« angesiedelt und rückt es - gegenüber den »Gesezen« in Von der Ruhe. — durch den kontrafaktisch (es gibt nirgends nur ein einziges) abstrahierenden Singular in den Raum des Abstrakten. Es geht also um das Gesetz als solches, wie es sich in den vielen konkreten Gesetzen positiven und ungeschrie-
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Vgl. F H A X V 340; 413/3, 10-12.
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benen Rechtes manifestiert, als dessen Bedingung der Möglichkeit und Wesen, und zugleich als Prinzip intra- und intersubjektiver Kohärenz. Insofern ist der Umstieg zur metaphorischen Redeweise innerhalb der Apposition in dem einen Wort »Gesez« angelegt; das Wort kann sowohl empirisch Vorfindliches, positives Recht, als auch ein Konstrukt bezeichnen und enthält so bereits die Leistung, auf die es ankommt: in und aus der Sprache als dem Öffentlichen gedanklich ein Identisches zu abstrahieren, und zwar dasjenige, das überhaupt die Möglichkeit zur Identifikation von Identischem gewähren soll, eben das »Höchste« dessen, was uns gedanklich zugänglich, was intelligibel sein soll. In Bezug auf die Konkurrenz um Herrschaft ist im Gedicht bereits - bei der Lektüre der Prosa wird das sorgfältig im Blick zu behalten sein - sehr deutlich zu sehen, daß es nicht die »Unsterblichen« sind, denen sie streitig gemacht wird; beide, »Sterbliche)) und / Unsterbliche))« sind dem »Gesez« unterworfen, und wenngleich die »Unsterblichen« am Beginn des dritten Verses im Zentrum des Gedichtes und durch Versbruch und Strichpunkt in die Unantastbarkeit entrückt stehen, so tragen sie dort nur für sich allein genommen gleichsam einen eigenen Ton (»Unsterblichen«). Liest man die Verse fortlaufend und bindet so die Götter an die diesseitige Welt, verlagert sich der Akzent durch die Entgegensetzung auf die Negation, die »Unsterblichen« klingen wie die »Anfängerin« aus Von der Wahrheit, dreifach schwach aus und sind durch die konstituierende Verneinung überdies ganz vom Diesseits abhängig. Solche Götter sind bestenfalls selbstgenügsam epikureische Gestalten, eher jedoch bloß die leere Projektion einer ins Unvergängliche gewendeten Gegenwelt. Und auch ihre ikonografischen Attribute mußten sie abgeben: die »allerhöchste() Hand« war vormals die göttliche und wirkt nun als »(aus)führ(endes)« Organ eines personifizierten Gesetzes. Die Ambivalenzen im Verhältnis zwischen diesem Gesetz und den ihm unterworfenen Individuen finden sich hier nun im abschließenden Hauptsatz in den Versen 3 bis 5 in unerreichter Konzentration und Virtuosität gestaltet. Da ist zunächst die räumliche Interpretation, »eben« als adverbiale Bestimmung der Art und Weise gelesen schließt (antithetisch) an die »rauhe Lüge« und (analog) das »wellenlose() Meer« an und unterstreicht einmal mehr die lebensweltlich haptische Dimension, aus der heraus das Absolute gedacht werden muß. Daß »eben« das 12. Wort des Gedichtes ist, könnte in diesem Zusammenhang so gelesen werden, daß sich in ihm die vollkommene Transzendenz, die Drei, mit der irdischen Vier in idealer Weise verbindet. Gleichzeitig klingt ein entsprechend räumlich aufgefaßtes »Darum« wie ein flapsiges irgendwo da herumda drum herum< zu interpretieren, d.h. das Gesetz trifft gerade nicht die Mitte, auf die es eigentlich ankäme; die bleibt vielmehr ausgespart und, im Gegensatz zu den »Unsterblichen«, tatsächlich und vollständig unangetastet. Und dann kann man ausgehend von dem »führt« mit gutem Recht auch assoziieren, daß somit das Gesetz im Grunde an der Nase herum führt, und zwar - ganz ohne bewunderndes 144
Pathos, vielmehr rein terroristisch — »gewaltig«. Aber »eben« muß nicht als Adverb gelesen werden, es kann auch bloße Abtönungspartikel sein, dann aber verliert das Wirken des Gesetzes alles Spektakuläre, es >führt halt eben darumErklären