Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?: Multioptionalität als Voraussetzung für multimodales Verhalten 9783839447932

The concept of multi-optionality meets traffic and mobility research - an prerequisite for realizing of multimodal behav

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German Pages 282 Year 2019

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Inhalt
1. Einleitung
2. Mobilitätstrends: Strukturelle Abkehr vom privaten Automobil?
3. Theoretisch-konzeptionelle Zugänge: Multioptionalität als Voraussetzung für multimodales Verhalten
4. Das Untersuchungsdesign
5. Empirische Ergebnisse 1: Materielle und mentale Multioptionalität als Voraussetzungsdimensionen für multimodales Verhalten
6. Empirische Ergebnisse II: Materielle und mentale Voraussetzungen zur potenziellen Nutzung vernetzter Mobilitätsdienstleistungen
7. Zusammenfassung und Schluss
Literatur
Anhang
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Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?: Multioptionalität als Voraussetzung für multimodales Verhalten
 9783839447932

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SörenGroth Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?

Sozial· und Kulturgeographie

1

Band 31

Sören Groth (Dr. phil.), geh. 1984, ist Postdoc am Institut :für Landes· und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund. Auf Basis von Handlungs·, Raum· und Planungstheorien forscht er u.a. zu neuen Mobilitätstrends wie vernetzten Mobilitätsdienstleistungen.

SöREN GROTH

Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft? Multioptionalität als Voraussetzung für multimodales Verhalten

[ transcript]

Erweiterte f überarbeitete Dissertationsschrift. Originalmanuskript unter dem Titel »Nach dem Auto Multimodalität? Materielle und mentale Multioptionalität als individuelle Voraussetzungen fiir multimodales Verhalten« veröffentlicht im Hochschulpublikationssystem der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Originaldissertation an der Goethe-Universität nach Richtlinie der Vergabe von Drittmittelstipendien fiir Doktoranden und Postducs in der AG Mobilitätsforschung, Institut fiir Humangeographie. Überarbeitung am ILS - Institut fiir Landes- und Stadtentwicklungsforschung, Dortmund.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:jjdnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 transcrlpt Verlag, Bleiefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch fiir Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und fiir die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Sielefeld Umschlagabbildung: Sebastian Hudemann, Harnburg Lektorat: Scribbr B.V., Amsterdam Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4793-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4793-2 https:jjdoi.orgjiO.J4361/9783839447932 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: hltps:jjwww.transcript-vorlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter:

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Inhalt

1

Einleitung

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Mobilitätstrends: Strukturelle Abkehr vom privaten Automobil? 119 2.1 Renaissance des Fahrrads/Cycling Boom 121 2.2 Neue vernetzte Mobilitätsdienstleistungen und Smart Mobility 124 2.2.1 Definition und Typisierung von Mobilitätsdienstleistungen 125 2.2.2 Reflexiver Entstehungskontext Vom analogen Umweltverbund zum Internet der Mobilitätsdienstleistungen 136 2.3 Regressive Mobilitätstrends: Transport Poverty 148 2.3.1 Digital Divide I 53 2.3.2 Surveillance Stodies I 54 2.3.3 Räumlich selektive Diffusion von neuen Mobilitätsdienstleistungen I 56

3

Theoretisch-konzeptionelle Zugänge: Multloptlonalltät als Voraussetzung für multimodales Verhalten 163 3.1 Multimodales Verhalten: State ofthe Art 166 3.1.1 Segmentierungsverfahren zur Ermittlung multimodaler Personengruppen I 67 3.1.2 Literaturübersicht Multimodales Verhalten 170 3.1.3 Erklärungen fllr multimodales Verhaileu in der Literatur IBO 3.1.4 "New Generation": Die veränderteu Mobilitätstrends in der Generation junger Erwachsener I 90 3.1.5 Kritik: Fehlendes Interesse an den individuellen Voraussetzungen fllr multimodales Verhaileu I 97 3.2 Materielle und mentale Voraussetzungen zur Realisierung von Mobilitätsverhalleu: Hinweise aus der Verkehrs- und Mobilitätsforschung 1100 3.2.1 Materielle Optionen: Verftlgbarkeit von Mobilitätsressourcen 1100 3.2.2 Mentale Optionen: Kontrollüberzeugungen, Einstellungen, Normen, Routinen, Emotionen usw. bei der Verkehrsmittelwahl 1103 3.2.3 Raumbezogene Verteilung von Optionen ("Struktur vs. Individuum") li 09 3.3 Neue Mobilitätsdienstleistungen und multimodales Verhaileu 1114 3.3.1 Carsharing im Rahmen multimodalen Verhaileus 1114

3.3.2 Bikesharing im Rahmen multimodalen Verhaltens 1118 3.3.3 IKT-Nutzung im Rahmen multimodalen Verhaltens 1120 3.4 Konzept: Materielle und mentale Multioptionalität als Voraussetzungsdimensionen fürmultimodales Verhalten 1122 3.5 Forschungsfragen 1123 4 Das Untersuchungsdesign 1125 4.1 Untersuchungsraum Offenbach am Main 1126 4.1.1 Dynamik bei neuen Mobilitätsangeboten in Offenbach am Main und der Metropolregion FrankfurtJRhein-Main 1126 4.1.2 Bevölkerungszusammensetzung 1127 4.1.3 Heterogene Siedlungsstrukturen 1129 4.2 Erhebungsdesign 1134 4.3 Fragebogenkonstruktion 1135 4.3.1 Aufbau des Fragebogens 1136 4.3.2 Fragenblöcke zur Beantwortung der Forschungsfrage I 1138 4.3.3 Fragenblöcke zur Beantwortung der Forschungsfrage 2 1143 4.3.41ntegrstion raumbezogener Variablen 1147 4.4 Feldbericht 1149 4.4.1 Pretest 1150 4.4.2 Hauptbefragnog 1151 4.4.3 Dateneingabe 1154 4.5 Repräsentativitätsabgleich 1155 5

Empirische Ergebnisse 1: Materielle und mentale Multloptlonalltät als Voraussetzungsdimensionen f!lr multimodales Verhalten 1157 5.1 Operationalisierungen: Multimodales Verhalten, materielle und mentale Multioptionalität 1158 5.2 Multimodales Verhalten 1162 5.3 Materielle Multioptionalität 1169 5.4 Mentale Multioptionalität 1175 5.5 Einfluss von Verkehrsmitteloptionen aufdas Mobilitätsverhalten 1191 5.5.1 Materielle Verkehrsmitteloptionen und Mobilitätsverhalten 1191 5.5.2 Mentale Verkehrsmitteloptionen und Mobilitätsverhalten 1193 5.5.3 lntegrstive Perspektive: Einfluss materieller und mentaler Verkehrsmitteloptionen aofdas Mobilitätsverhalten 1194 5.6 Diskossion: Empirische Ergeboisse I 1194

5.6.1 Mehr Optionen durch eine Entemotionalisierong des privaten Aurtomobils: Junge Erwachsene und die Trennung der "Liebe zum Automobil" 1196 5.6.2 "Cycling boomt" generationsübergreifend 1198 5.6.3 Multioptionalität hat keinen "Ort" 1200 5.6.4 Transport Poverty Malters! 1202 5.6.5 Materielle Multioptionalität im Besitz ist (mobilitäts-)ressourcenineffizient 1203 5.6.6 Kritische Einordnung der Analyseergebnisse 1205 Empirische Ergebnisse II: Materielle und mentale Voraussetzungen zur potenziellen Nutzung vernetzter Mobilitätsdienstleistungen 1207 6.1 IKT-Besitz und Nutzungserfahrungen mit Sharing-Angeboten (Materieller Zugang zu multimodalen V erkehrssystemen) 1208 6.1.1 Überblick über die Verteilung von Hardware und Software moderner Informations- und Kommunikationstechoologien und Nutzungserfahrungen mit Shariog-Angeboten 1208 6.1.2 Überblick über das allgemeine Antwortverhalten zu den Bewertungsprozessen von Informations- und Kommunikationstechoologien und Shariog-Angeboten 1211 6.2 Materielle und mentale Voraussetzungen zur potenziellen Nutzung vernetzter Mobilitätsdienstleistungen 1216 6.2.1 Materielle Voraussetzungen zur potenziellen Nutzung vernetzter Mobilitätsdienstleistungen (und Nutzung von ShariogAngeboten) 1216 6.2.2 Mentale Voraussetzungen zur potenziellen Nutzung vernetzter Mobilitätsdienstleistungen 1219 6.3 MehrVerkehrsmitteloptionen dnrch vernetzte Mobilitätsdienstleistungen? 1222 6.3.1 Erweiterung der materiellen Verkehrsmitteloptionen durch vernetzte Mobilitätsdienstleistungen? 1223 6.3.2 Erweiterung der mentalen Verkehrsmitteloptionen durch vernetzte Mobilitätsdienstleistungen? 1224 6.4 Diskussion: Empirische Ergebnisse II 1227 6.4.1 Über die neue Liebe zum Smartphone zum pmmisknitiven Alltagsverkehr? 1227 6

6.4.2 Multimodal Divide: Reproduktion sozialer Ungleichheiten im Gewand des Neoen 1230 6.4.3 Ökologisch nachhaltiges "1984"? 1232

7

Zusammenfassung und Schluss 1235

Literatur 1245 Anhang 1277

1

Einleitung 1

Seit wenigen Jahren wird prominent ein Übergang von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft postuliert (Geels 2012: 475; Marletto 2014: 169ff.; Spickermann/Grienitz/Gracht 2014: 211ff.), worunter im Hinblick auf Alltagsmobilität eine allgemeine Abkehr von der weitgehend exklusiven Nutzung des privaten Automobils hin zu einer (flexiblen) Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel verstanden wird (Beutler 2004: 11; Chlond 2012: 272f.). Um die in dieser Debatte im Subtext mitgeführte potenzielle Ubiquität multimodaler Verhaltensweisen differenzierter zu betrachten, ist es das übergeordnete Ziel der vorliegenden Arbeit, einen Perspektivwechsel von der realisierten hin zur potenziellen Verkehrsmittelwahl anzustoßen und auf diese Weise die Verteilung individueller Voraussetzungen fUr multimodales Verhalten kritisch in den Blick zu nehmen. Terminologisch wird dafUr der Begriff der Multioptionalität herangezogen. Dieser wird bereits seit einigen Jahren innerhalb der deutschsprachigen Verkehrs- und Mobilitätsforschung verwendet, um neue strukturelle Möglichkeiten zur individuellen Realisierung multimodaler Verhaltensweisen (z. B. auf der Basis vernetzter Mobilitätsdienstleistongen) als Gegenwartsphänomen verständlich zu machen (Deffuer 2011; Deffuer!Hefter/Götz 2014; Kilnger et al. 2016). Die Einordnung des Multioptionalitätsbegriffs als Gegenwartsphänomen erscheint zunächst kontraintoitiv, weil eine Vielzahl heute potenziell nutzbarer Verkehrsmittel spätestens seit dem 19. Jahrhundert existiert (Eisenbahn, Fahrrad, Automobil usw.) und diese seither stets weiterentwickelt wurden (Merki 2008: 35ff.). Es geht also zunächst nicht unbedingt um ein existenzielles ,Mehr' an Verkehrsmitteln, worüber die Emergenz von Multioptionalität verständlich gemacht werden muss. Vielmehr steht der Begriff im Zusammenhang einer Restruktorierung der Regeln und Ressourcen - d. h. vor allem veränderter Verfah-

I

Einige Textpassagen im folgenden Kapitel I worden mit gleichem oder äbolichem

Wortlaut vurab in Groth (2019b) verwendet uud hier weiter verdichtet.

10 I Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?

rensweisen und teils auch neuer Zugangsmedien - bei der Verkehrsmittelauswahl und -nutzung, wonach sich das verkehrsteilnehmende Subjekt innerhalb der situierteo Aktivitäten vom privaten Automobil zu lösen scheint und erst auf multiple Optionen rekurrieren kann. Im deutschsprachigen Kontext wurde das Begriffsverständnis der ,Option' mitonter von Dahrendorf (1979: 50f.) beeinflusst, der darunter im Hinblick auf das Subjekt die gegebenen Wahlmöglichkeiten alteroativen Verhaileus innerhalb (sozialer) Systeme verstsnd. Die konkrete Betonung des Subjekts stellt sich mit Blick auf die o. g. Übergaogsdebatte als hilfreich dar, da der Optionsbegriff ao dieser Schnittstelle zur Struktur eine wichtige Korrektivfunktion übernehmen kann. Der Multioptionalitätsbegriff ist daun nicht lllnger lediglich ein Gegenwattsprodukt, soodem kann als individuelle Reflexionsfläche des strukturell Möglichen interpretiert werden und damit die Rolle einer Voraussetzungsinstanz zur praktischen Umsetzung multimodaler V erhalteusweisen übernehmen. So ge-

ben die mit der modernen Gesellschaft assoziierten Debatten um ,horizontale' und , vertikale' Ungleichheiten (Individnalisierong, Pluralisierung usw. auf der einen Seite, Marginalisierong, Ausgrenzung usw. auf der aoderen) bei der Verteilung von Optionen Aolass, die Vorstellung einer potenziellen Ubiquität multimodaler Verhaltensweisen infrage zu stellen. Um sich dieser Doppelfunktion des Multioptionalitätsbegriffs als Gegenwattsprodukt und Korrektiv zeitdiagnostisch aozunähem, gilt es zunächst, einleitend beim Verständnis der automobilen Gesellschaft aozusetzen und Mobilitätstrends zu umreißen, aus denen sich schließlich ein entsprechendes Erkenntnisinteresse ableiten lässt.

Moderne ,automobile' Gesellschaft: Hierarchisierung der Verkehrsmittel im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte Originär staount der Begriff der Multioptiooalität aus der Soziologie. So veröffentlichte PeterGross (1994) im Zeichen verbreiteter Vorstellungen vom "Ende der Geschichte" (Fukoyama 1992) und inspiriert durch die Zukonftsforschung der 1980er-Jahre (Naisbitt 1988: 259ff.) zum Ende des 20. Jahrhunderts sein viel beachtetes Hauptwerk "Die Multioptionsgesellschaft''. Seine Bezugsebene war die moderne Gesellschaft - charakterisiert als liberal und demokratisiert, sozial differenziert und individnalisiert, herausgelöst aus alten Klassengegensätzen sowie pluralisiert in Bezug auf Einstellungen, Wünsche, Gefühle usw. -, die sich mit einem unerschöpflichen Reservoir ao Wahlmöglichkeiten des Seins konfrontiert sehe:

Einleitung

I 11

"[D]ie Optionssteigerung [... ] ist der augenscheinlichste Vorgaog der Moderoisieroog. [... ] Wo wir hinschaueo, vervielfliltigeo sich die Optiooeo und die Optioneo innerhalb der Option. [... ] Jedes Angebot [... ] schließt ein, daß man es wählen, habeo, kaufeo kann. [... ] Die tendenzielle unendliche Vielfalt [... ] ergreift [... ] die Wirldichkeit. [... ] Räume, Zeiten, Sozialitäten zerfullen in Wahlmöglichkeiten." (Ebd.: 14f.; 42; 61; 41) Paradnxer- wie verständlicherweise spielte Multioptionalität in der Alltagsmobilität der modernen Gesellschaft bis dato jedoch kaum eine Rolle. Ganz im Gegenteil wurde das private Automobil (bis heute) von der westlichen Verkehrsund Mobilitätsforschung - wenn auch eher implizit - als dominante Option gegenüber verfügbaren rezessiven Optionen (Füße, Fahrrad, öffentlicher Verkehr usw.) verstanden. So sei das Automobil etwa im Kontext von Massenproduktion und Massenkonsumption als zentrales Demokratisierungselement zu verstehen (Burkart 1994: 227ff.; Miller 2001: 15), Resultat privater Profitakkumulation und Kapitalinteressen (Wolf 1987: 230ff., 1989: 29ff.), Initialzünder von Individualisierungsprozessen (Bonß/Kesselring 1999: 43f.), Projektionsfläche tiefer Emotionen und Geftthle (Sheller 2004) und/oder reproduziere sich in jugendkulturellen Sozialisationsprozessen (Tully/Schulz 1999: 21ff.) usw. Ganz unabhängig vom theoretisch-konzeptionellen Bezugsralunen zur gesellschaftlichen Einordnung des privaten Automobils war die latente Botschaft im Hinblick auf die Alltagsmobilität über all diese Studien hinweg stets die gleiche: Die Verkehrsmittelwahl ist keine Wahl. Diese hierarchische Ordnung von Verkehrsmitteln mit dem privaten Automobil als dominanter Option gegenüber allen anderen V erkehramitteln als rezessiven Optionen lässt sich im Verhältnis der "Wahlverwandtschaft" (Rammler 1999: 107f., 2001: 189ff.) mit der modernen Gesellschaftaentwicklung seit den Nachktiegsjahrzehnten (in den USA etwas früher) verstehen, woraus auch Gross' spätere, o. g. Konzeptualisierung der multiplen Wahlmöglichkeiten des Seins erst hervorgehen konnte. In diesem Sinne war die Breitendurchsetzung des privaten Automobils und die Entfaltung der modernen Gesellschaft (etwa wie oben: sozial differenziert, individualisiert, pluralisiert bei Einstellungen usw.) wechselseitig konstitutiv (ebd. ). Gesellschaftliche Ideale von Individualität und Mobilität- mit Burkart (1994: 220) zu verstehen im Hinblick auf räumliche F1exibilität, zeitliche Autunomie und soziale Unabhängigkeit - flossen hier in einem neuen kollektiven Wertemuster zusammen. So nalun das Automobil eine Schlüsselfunktion bei der Durchsetzung einer hoch mobilen, auf Massenproduktion und Massenkonsumption ausgerichteten Gesellschaft ein und stand gleichzeitig als Sinnbild fiir den sog. "Fahrstubleffekt'' (Beck 1986: 122) im Sinne eines kollektiven sozialen Aufstiegs aller Bevölkerongsgruppen (Häu-

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I Von der automobilen zur multimodalen

Gesellschaft?

ßermann/Läpple/Siebel 2008: 149ff.). Das private Automobil entwickelte sich hier vom Luxusprodukt zum erschwinglichen Individualverkehrsmittel einer auJkommenden breiten Mittelschicht und ermöglichte dieser die sukzessive Emanzipation aus tradierten, lokal gebundenen Gemeinschaften mit ihren sozialen Hingrenzungen (Klassen, Familien, Ehebündnissen usw.) (ebd.). Dieses Gesellschaftsverständnis wurde weitgehend von der Verkehrs- und Mobilitätsforschung absorbiert, womit soziale Ungleichheiten hier fortao in Verbindung mit

"entfemungsintensiven" und "ortspolygamen" Lebensstilen besprochen wurden (Knie 1997: 258, 2005: 66). Der Motorisierungsgrad nahro seit den 1950erJahren kontinuierlich zu, wobei die "Durchmotorisierung" (Burkart 1994: 228) in den 1970er Jahren gesehen wird. Lag der Pkw-Bestand in Deutschland nach den ersten Jahren der Massenmotorisierung im Jahr 1960 noch bei rund 4,5 Mio., so konnte er sich seither nahezu verzehnfachen (Kraftfahrt-Bundesamt 20 15). ,,Zunl!chst sieht man nur, dass niemand irgendwo bleibeo will. [... ] Überall Meoscbeoströme und ruckweise sich ballende und lösende Menschenmassen. [... ] Zum Fortschritt als Freiwerden von Bindungen und zum Fortschritt als Offenwerden fiir Optionen schmelzeo die Bindongeo in Bindongsmöglichkeiteo, die Obligatiooen in Optiooeo um." (Gross

1994: 149ff.)

Die strukturelle Herausbildung der Dominanz des Automobils als relationalem Bestandteil moderner Gesellschaftsentwicklung folgte keinem kohärenten, selbstläufigen und natürlichen Prozess, sondern vollzog sich innerhalb sozial konstruierter Brüche und als Folge wirtschaftlicher, politischer und sozialer Interessen (Knhm 1995: 15ff.; Geels 2005: 453ff.). In diesem Sinne lässt sich das private Automobil als dominante Option gegenüber allen anderen Verkehrsmitteln als rezessiven Optionen vor allem als hierarchisch antizipierte Ordnung von Verkehrsmitteln verstehen. Kulnn (1995: 12, 1997: 47ff.) beispielsweise sieht in der Koppelung von Straße und Auto Ende der 1950er-Jahre den techuischen Höhepuukt einer Entwicklung, die den politischen und sozialen Raum der Straße vollkommen umstruktoriert und Menschen dazu gebracht habe, auf der Straße zu verkehren anstatt auf ihr zu leben. Dabei materialisierte sich die Hierarchisierung der Verkehrsmittel innerhalb der (Siedlungs-)Strukturen - einschließlich der zugeordneten Infrastrukturen um Parkhäuser, Tankstellen, Servicestationen usw. sowie der Regel- und Kontrollinstanzen von der Straßenverkehrsordnung über die Autohaftpflicht bis hin zum Techuischen Überwachungsverein (TÜV) - in gleich zweifacher Weise: Erstens in einer bau- und straßenverkehrsrechtlich legi-

timierten Restrukturierung der Straße vom "Lebensraum" zum "Ort des Automobils" (Groth/Hebsaker/Pohl2017: 258f.), mit der Fußgänger*innen und Rad-

Einleitung I 13 fabrer*innen- im wahrsten Sinne des Wortes -an den (Straßen-)Rand gedrängt und das Zentrum der Straße als exklusive Fahrbahn für den motorisierten Individualverkehr (MIV) geräumt wurden (Kuhm 1995: 12; Schopf!Emberger 2013: 4ff.). Zweitens in der funktionsräumlichen Gliederung der Siedlungsstrukturen nach Flächennutzungskategorien (Wohnen, Arbeiten, Freizeit), wobei die räumlich disperse und monofunktiouale Organisation des "Eigenheim-AutomobilEnsembles" (Ranuuler 2006: 172) zum Lebensmittelpunkt der breiten Mittelschicht avancierte (Häußermann!Läpple/Siebel 2008: 156f.). Die dezentralisierenden Autostraßen, auf denen das private Automobil nun in ungehinderter Durchquerung zirkulierte, sollten hier fortan die funktionsgegliederten Flächennutzungenganz im Sinne funktionalistischer Utopien wie Fließbänder miteinander verbinden (Hilpert 1978: 54ff.). Die starren Liniensysteme des klassischen öffentlichen Verkehrs um Bahn und Bus wirkten darin schwerflillig und mit Blick auf die Fahrplanbindungen unflexibel (Schiller/Bruun!Kenworthy 2010: 27f.). Auf diese Weise wurden Füße, Fahrrad, Bus, Bahn usw. als rezessiv antizipierte Optionen dem privaten Automobil (siedlungs-)struktorell untergeordnet. 1m Hinblick auf die hierarchische Verkehrsmittelauswahl sollten diese auf das private Automobil ausgerichteten (Siedlungs-)Strukturen aber keineswegs als rigide determinierend interpretiert werden. So hat die hierarchische Ordnung der Verkehrsmittel auch einen wichtigen subjektiven Faktor, wonach - ganz im Sinne der theoretischen Ausführungen Giddens' (1988 [1997]: 77ff.) zur ,,Dualität von Struktor" - diese autozentrierten Strukturen an den Handlungsverlauf des Subjekts gekoppelt sind, über den diese innerhalb der situierten Aktivitäten reproduziert werden. So wurden in den vergangeneo Jahrzehnten diverse Modelle innerhalb der Verkehrs- und Mobilitätsforschung erarbeitet, mit denen die Reproduktion der Verkehrsmittelhierarchien ausgehend vom verkehrsteilnehmenden Subjekt verstanden werden kann. Keineswegs geht es dabei um jene unterkomplexen ökonomischen Modelle eines Homo oeconomicus, der sich auf Basis einer Zeit-Kosten-Abwägung ratioual für das private Automobil entscheide. Das ,,Auto im Kopf' (Canzler 2000; Knie 2005) beispielsweise beschreibt die besondere Qualität einer hahitoalisierten Verkehrsmittelwahl innerhalb der automobilen Strukturen, wonach der repetitive Rückgriff auf das eigene Auto als individuelle Komplexitätsreduktion erfolge. Anders als alle anderen Verkehrsmittel entlaste es durch seine universelle Einsetzbarkeil vom alltäglichen Entscheidungs- und Planungsdruck einer tatsächlichen V erkehrsmittelauswahl. Diese Routinen lassen sich in der automobilen Gesellschaft schwer aufbrechen, da die ,,Liebe zum Automobil" (Sachs 1984) als weiteres prominentes Modell dies unterbinde. Dabei geht es um die durchweg irrationale (,monogame') Beziehung zwischen Mensch und Verkehrsmittel, die sich auf Basis emotionaler Aspekte

14 I Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?

des Auto Fahrens wie zum Beispiel Thrill, Nervenkitzel, Leidenschaft, Freiheitsgefühl, Aggressionsabbau, Selbstdarstellung, Präsentation des sozialen Statos, Schutz vor und Distanz zu der sozialen Realität usw. konstituiere und hinsichtlich der Dominanz des privaten Automobils verstanden werden muss (Hilgers 1992: 117ff.). Multloptlonalltät als Gegenwartsphänomen? Mit der aktuell gefllhrten Übergangsdebatte von der automobilen hin zur multimodalen Gesellschaft stehen aber nur genau diese auf das Automobil ausgerichteten Strukturen zur Disposition. Diesbezüglich findet die o. g. Restrukturierung von Regeln und Ressourcen bei der V erkehrstuittelauswahl und -nutzung, wonach das verkebrsteilnelnnende Subjekt innerhalb der situierten Aktivitäten nun auf multiple Optionen rekurrieren könne, seinen Ursprung im Wesentlichen bereits in der ökologisch motivierten Autokritik der Umweltbewegeng seit den 1970er und 1980er Jahren. So wurde hier bereits eine erste Aufweichung der hierarchischen Ordnung der Verkehrsmittel angestoßen, indem mittels "angewandter Reflexivität'' (Giddens 1996: 55) eine "Selbsttransformation" (Beck 1996: 28ff.) weg vom privaten Automobil angestoßen werden sollte. Diese beinhaltete zunächst eine breite Kritik am "fossilen Stoffwechsel" (Prytula 2010: 115f.) der modernen Lebens- und Produktionsweisen, womit einerseits der fossile Input des privaten Automobils zeitlich limitiert sei und andererseits der fossile Output im Hinblick auf die lokal und global wirksamen Emissionen die nahräumliche Umwelt sowie Gesundheit und Lebensqualität der Menschen bedrohe. Auf dieser Basis wurden neue Strukturmomente wie der "Umweltverbund" (Monheim 1994) oder das "Carsharing" (Petersen 1995) ins Leben gerufen, mit denen die hierarchische Ordnung bei der Verkehrsmittelwahl sukzessive enthierarchisiert werden sollte. Im Vordergrund steht das Konzept vom "Nutzen statt Besitzen" (Baedeker/Leismann/Rohn 2012; Abrens/Klotzsch/Wittwer 2014), mit dem die habitoalisierte Autonutzung aufgebrochen und sitoationsbezogen das geeignetste Verkehrsmittel ausgewählt werden sollte. Diese Entwicklung scheint sich nun seit einigen Jahren durch ein Konzert von vieltliltigen und sich teils überlagemden Mobilitätstrends disruptiv fortzusetzen, wo in der Konsequenz die Annahme eines Übergangs von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft ansetzt. Zu diesen Trends gehören beispielsweise die ,,Renaissance des Fahrrads" (Pucher/Buehler/Seinen 2011 ), die Emergenz vemetzter Mobilitätsdienstleistongen und "Smart Mobility" (Wolter 2012; Docherty/Marsden/Anable 2017), die staatliche Förderung von Elektromobilität als Teil der Energiewende (Canzler/Wittowsky 2016) oder die mögliche Verschiebung von Statossymboliken hin zu modernen Informations- und

Einleitung I 15 Kommunikationstechnologien bei den "digital natives" (Konrad/Wittowsky 2017; Tully/Alfaraz 2017) usw. Diese Mobilitätstrends konvergieren in recht einheitlichen Zukunftsszenarien einer multimodalen Gesellschaft, in denen das Bild einer entsprechend enthierarchisierten Verkehrsmittelauswahl transportiert wird, das sich vereinfacht wie folgt skizzieren lässt: Bürger*innen gehören fortan einer "Generation Mietwagen" (Adler 2011) an. Sie stehen mittels Smartphone in direktem Kontakt zu allen möglichen Verkehrsmitteln ihrer Umgebung und wählen flexibel und situationsbezogen stets das filr den nachgefragten Weg geeignetste aus (Beutler 2004: 20f.; Sommer/Mucha 2014: 5212f.). Ein allumfassender Mobilitätsverbund vernetze alle Verkehrsmittel unter dem Schlagwort ,,Mobilität aus einer Hand" (Ruwer 2004: 87). Dieser organisiere das Angebot weitgehend auf Basis von "Nutzen statt Besitzen" (Baedeker/Leismann/Rohn 2012; Ahrens/Klotzsch/Wittwer 2014), wonach das Automobil als Leihauto zur "sporadischen Option" (Deffner et al. 2014: 203f.) deklassiert werde. Ihren postfossilen Charakter erhalte die multimodale Gesellschaft durch die Elektrifizirung der Antriebstechnologien (Bölnn 2010: 76f.; Groth 2015: 104). Dieser "Multimodalitäts-Enthusiasmus" (Groth 2016: 61) suggeriert eine nicht unproblematische potenzielle Ubiquität multimodaler Verhaltensweisen. Diesen steht zum einen das Selbstbild der modernen Gesellschaft als sozial differenziert, individualisiert, pluralisiert bei Einstellungen, Gefühlen, Wertehaltungen usw. entgegen, wonach Individualisierung und Pluralisierung zur Produktion von Ungleichheiten in Bezug auf Albeit, Freizeit, Wohnen, Umwelt, Gesundheit, Alter oder eben auch Ansprüche an die Mobilität geftlhrt haben (Scheiner 2009: 42ff.). In diesem Sinne transportieren solche Szenarien allenfalls ein Ideal einer kollektiven Umsetzung multimodaler Verhaltensweisen, berücksichtigen aber die modernen Konzeptualisierungen vom autunom handelnden Subjekt nicht Zugleich bleiben aktuell regressive Tendenzen in der modernen Gesellschaft als Resultat von Liberalisierungs- und Deregnlierungsprozessen sowie des Abbaus sozialstaatlicher Prinzipien unberücksichtigt (Nachtwey 2016: 7lff.), die eine Rückkehr ,alter' (vertikaler) Ungleichheiten (Wohlstand, Macht, Prestige und Bildung) nahelegen und sich auch entsprechend restriktiv bei der Verkehrsmittelwahl auswirken könnten. Diesbezüglich lässt sich beispielsweise auf das Konzept einer Transport Poverty verweisen, mit dem der mangelnde Zugang zu Verkehrsmitteln bei sozial margiualisierten Groppen problematisiert wird (Daubitz 2011, 2014). In Bezug auf die kritische Einordnung der Übergangsdebatte entlang des verkehrsteilnelnnenden Subjekts bedeuten diese Entwicklungen, dass einerseits ein Augenmerk auf die ,mentalen' und andererseits auf die ,materiellen' Zuglinge zu verschiedenen Verkehrsmitteln und Mobilitllts-

16 I Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?

angeboten gelegt werden muss, aus denen sich die optionalen Möglichkeiten zur Realisieruog multimodaler Verhaltensweisen erst ergeben. Vor diesem Hintergruod geht die vorliegende Arbeit dem Erkenntcisinteresse nach, inwiefern die optionalen (mentalen und materiellen) Voraussetzungen zur Umsetzung multimodaler Verhaltensweisen den potenziellen Transformationsprozess von der automobilen hin zur multimodalen Gesellschaft widerspiegelo. Methodisch wurde dafttr eine Personenbefragung durchgefilhrt, bei der im Frühjahr 2013 620 zufällig ausgewählte Personen in der Stadt Offenbach a. M. über eioen standardisierten Fragebogen zu ihrer Alltagsmobilität interviewt wurden. Zur Annäheruog an das Erkenntcisinteresse gliedert sich die vorliegende Arbeit wie folgt: Zunächst werden wesentliche Mobilitätstrends reflektiert, um für die Emergenz des Multioptionalitätsbegriffs zu sensibilisieren (Kap. 2). Beispielhaft werden dafttr zuoächst mithilfe relevanter Literator i) die viel beachtete ,Renaissance des Fahrrads' und ii) das Aufkommen vernetzter Mobilitätsdienstleistongen betrachtet sowie iii) um AusfUhrungen zu gegenläufigen Mobilitätstrends zu einem Mehr an möglichen Optionen ergänzt. Darao anschließend werden die theoretisch-konzeptionellen Zugänge zur Analyse von Multioptionalität als individueller Voraussetzung für multimodales Verhalten dargestellt (Kap. 3). In diesem Rahmen wird zunächst der Forschungsstand zu multimodalem Verhalten mit Blick auf die bislang erarbeiteten Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge abgebildet, aus denen sich auch die historisch einmalige Abkehr junger Erwachsener vom privaten Automobil ergibt. Die AusfUhrungen werden anschließend um etablierte haodlungs- und verhaltenstheoretisch basierte Ansätze zur Erklärung der individuellen Verkehrsmittelwahl ergänzt, um abschließend in das Konzept der materiellen und mentalen Multioptionalität als Voraussetzung für multimodales V erhalten überzuleiten. Auf dieser Grundlage werden zwei Forschungsfragen zur Annäherung an das o. g. Erkenntcisinteresse formuliert. Im darauffolgenden Kapitel 4 wird das Untersuchungsdesign der standardisierten Befragnng in Offenbach a. M. beschrieben. In den darauffolgenden Kapitelo 5 und 6 werden die empirischen Ergebnisse präsentiert und im Spiegel der beiden Forschungsfragen und des Erkenntcisinteresses diskutiert. Dafür werden zunächst mithilfe geeigneter Verfahren Segmentieruogen nach i) V erhaltensmustem, ii) verfügbareo Mobilitätsressourcen (materielle Multioptionalität) sowie iii) ,psychografischen' Merkmalen gegenüber unterschiedlichen Verkehrsmittelo (mentale Multioptionalität) vorgenommen und im Hinblick auf Zusammenhänge überprüft und diskutiert (Kap. 5). Im Anschluss darao werden materielle und mentale Voraussetzungen zur potenziellen Nutzung neuer Mobilitätsdienstleistongen ermittelt, wobei der Fokus zentral auf i) moderne Informations- und

Einleitung I 17 Kommunikationstechnologien (IKT) als zentrale Zugangsmedien sowie ii) Carsharing und Bikesharing als Schlüsseldienstleistungen gelegt wind (Kap. 6). Abschließend werden die erarbeiteten Erkenntnisse im Spiegel des Erkenntnisinteresses zusammengefasst (Kap. 7).

2

Mobilitätstrends: Strukturelle Abkehr vom privaten Automobil? 1

ln diesem Kapitel 2 erfolgt eine erste Annäherung an das noch abstrakte Be-

griffsverständnis von Multioptionalität als konkretem Gegenwartsphänomen im Spiegel aktueller Mobilitätstrends, die eine strukturelle Abkehr vom privaten Automobil vermuten lassen. Strukturen können im Sinne Giddens' (1988 [1997]: 77) als rekorsiv organisierte Mengen von Regeln und Ressourcen verstanden werden, auf die Subjekte in der Ausfiihrung und Reproduktion alltäglichen Handels repetitiv rekorrieren (ebd: 67ff.). Diesbezüglich implizieren Regeln verallgemeinerbare Verfahrensweisen, die mittels entsprechender Ressourcen - zo verstehen als materielle ("allokative") und symbolisch aufgeladene ("autoritative") Medien- angewandt und auf diese Weise reproduziert werden. Giddens verweist promioent auf die Sprache als Beispiel fiir den rekursiven Charakter von Strukturen, wonach alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft dieselben Regeln und linguistischen Praktiken teilen und beim Sprechen eben die reproduzieren, die das Sprechen ermöglichen und einschränken (ebd.: 76). Gleichermaßen verhält es sich mit der Alltagsmobilität, in der die verkehrsteilnelnnenden Subjekte auf die institutionalisierten (Verkehrs-)Regeln und (Mobilitäts)Ressourcen rekorrieren, die eine spezifische Verkehrsmittelwahl und -nutzong ermöglicht und/oder eioschränkt. ln der automobilen Gesellschaft sind solche Strukturen - wie eingangs skizziert - weitgehend auf das private Automobil ausgerichtet, stehen jedoch aktuell im Hinblick auf die korz angerissene Vielfalt diverser Mobilitätstrends grundlegend zor Disposition. Diesbezüglich sollen im Nachfolgeoden beispielhaft Mobilitätstrends herausgestellt werden, wonach der

I

Das gesamte Kapitel2 enthält Textpassagen mit gleichem oder ähnlichem Wortlaut, die vorab in Groth (20 19b) pobliziert uod hier ergänzt uod überarbeitet wordeo.

20

I Von der automobilen zur multimodalen

Gesellschaft?

Multioptionalitätsbegriff zeitdiagnostisch aus zwei Perspektiven an Bedeutung gewinnt: In Kap. 2.1 und Kap. 2.2 werden in einer ersten Perspektive solche Mobilitätstrends mithilfe relevanter Literatur reflektiert, mit denen die aktuell hierarchische Ordnung bei der Verkehrsmittelwahl und -nutzung - also dem privaten Automobil als dominanter Option und allen anderen Verkehrsmitteln (Füße, Fahrrad, Bahn, Bus usw.) als rezessiven Optionen - restrukturiert wird. Mit ihnen wird eine Enthierarchisierung antizipiert, wonach Multioptionalität reflexiv - d h. vor allem durch Veränderung auf Basis von Kritik an einem Status quo (Beck 1996: 19ff.; Giddens 1996: 52ff.) - ins Sein gebracht zu werden scheint Um die Komplexität der vielflUtigen und sich teils überlagernden Trends zu reduzieren, wird hier in der Form einer Restrukturierung differenziert, die als i) mittelbar interpretiert werden kann, wenn die rezessiv antizipierten Optionen ,strukturimmanent' gestärkt werden, d. h. ohne dass sich das Regelwerk und die dafiir benötigten Ressourcen bei der Verkehrsmittelwahl und -nutzung grundlegend ändern würden, und die als ii) unmittelbar wirksam verstanden werden kann, wenn die bestehende hierarchische Ordnung dieser Regeln und Ressourcen grundlegend neu ausgelegt wird. Um dies zu verdeutlichen, wird zunächst die Forschung zur ,Renaissance des Fahrrads' als Beispiel für eine mittelbare Restrukturierung skizziert, mit der ein Wiedererstarken des Fahrrads im modernen Mobilitätsalltag gerneint ist (Kap. 2.1 ). Im Anschluss daran wird die Emergenz vernetzter Mobilitätsdienstleistungen als Beispiel für eine unmittelbare Restrukturierung dargelegt, die Multioptionalität in der Alltagsmobilität konzeptionell vorwegnimmt und dsmit unmittelbar für eine Abkehr von der weitgehend exklusiven Nutzung des privaten Automobils hin zur flexiblen Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel steht (Kap. 2.2). In Kap. 2.3 werden in einer zweiten Perspektive regressive Mobilitätstrends in den Blick genommen, die einer Optionssteigerung in der Alltagsmobilität entgegenstehen. Das Adjektiv ,regressiv' soll unteratellen, dass gesellschaftliche Partizipation auf der Grundlage von Mobilität nicht länger garantiert zu sein scheint. Dabei geht es im Wesentlichen um Exklusionsprozesse und soziale Selektion, wobei vor allem - freilich nicht nur- sozial marginalisierte Personen betroffen sind, die wieder zunehmend an den Rand hegemonialer Strukturen gestellt werden. Hier fungiert der Begriff der Multioptionalität eben nicht länger als Gegenwartsphänomen, sondern vor allem als Korrektiv in der Übergangsdebatte, nllmlich indem er eine individuelle Voraussetzungsinstanz zur praktischen Umsetzung multimodslen V erhalteus beschreibt In diesem Sinne wird in Kap. 2.3 an Konzepten angesetzt, die sich arn Modell einer Transport Poverty orientieren (Transportation Disadvantage, Digital Divide usw.) und in denen unglei-

Mobilitätstrends I 21 ehe Zugangsmöglichkeiten sowohl zu den alten (automobilen) als auch neuen (multioptionalen) Mobilitätsstrukturen problematisiert werden.

2.1 RENAISSANCE DES FAHRRADS/CYCLING BOOM Ein Beispiel für eine mittelbare Restrukturierung der Regeln und Ressourcen bei der Verkehrsmittelauswahl und-nutzungist die "Reoaissance des Fahrrads" (Pucher/Komanoff!Schimek 1999; Pucher/Buehler/Seinen 2011; Carstensen/Ebert 2012) - auch als "cycling boom" (Lanzendorf/Busch-Geertsema 2014) besprochen -, wonach das Fahrrad als rezessive Option weitgehend strukturimmanent gestärk1 wird. Unter dem Schlagwort der Reoaissance des Fahrrads wird eine rhetorische Brücke zum "Golden Age of Cycling" (Carstensen/Ebert 2012: 25ff.) in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts geschlagen. Hier avancierte das Fahrrad zunächst vom aristokratischen Sport- und Freizeitgerät und emanzipatorischen Symbol der ungebundenen bürgerlichen Frau zum wichtigsten Individnalverkehrsmittel für weite Teile der Bevölkerung. Als "Stahlross" und "Drahtesel" bezeichnete es hier im Zuge des Preisfalls durch die Massenfabrikation eine erschwingliche Alternative zum eigenen Pferd vor allem für die unterdr0ck1e Arbeiterklasse (Merki 2008: 50). Historische Dokumente verweisen für die 1920erJabre auf Radverkehrsanteile von über 60 Prozent im Straßenverkehr (Henneking 1927). In Deutschland verlor das Fahrrad im Zuge der bereits einleitend skizzierten Breitendurchsetzung des Automobils seit den 1950er-Jabren seine gesellschaftliche Wertschätzung (Carstensen!Ebert 2012: 39). Seit wenigen Jahren aber verzeichnet das Fahrrad nun wieder vielerorts einen Bedentungsgewinn und profitiert von steigenden Nutzungsraten (Tab. 2.1 ). Eine Besonderheit dieser Entwicklung ist, dass das Fahrrad ungeachtet jedweder Fahrradtradition inter- und intranational an Beliebtheit gewinnt (Pucher/DilliBandy 2010: 118ff.). So können etwa Länder wie die USA, Australien, Großbritaonien oder Irland, die traditionell Radverkehrsanteile von kaum über ein bis zwei Prozent aufwiesen - weil das Fahrrad hier bis dato allenfalls als Sport- und Freizeitgerät von Relevanz war -, genauso hohe (oder gar höhere) Wachstumsraten verbuchen, wie (bzw. als) Teilräume in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden oder Dänemark, in denen das Fahrrad traditionell eine größere Rolle als Alltagsverkehrsmittel spielt (Carstensen/Ebert 2012). Gleiches gilt für Städte wie Paris, Barcelona oder London, die bislang keinerlei Fahrradtradition haben (Pucher/Buehler 2008: 498; Lanzendorf!Busch-Geertsema 2014: 27).

22

I Von der automobilen zur multimodalen

Gesellschaft?

Diese Entwicklungstrends beim Fahrrad geben Hinweise darauf, dass traditionelle Erklärungsmuster für inter- und intranationale Unterschiede in der Fahrradoutzung wie z. B. topografische Bedingungen (Parkin/Wardmao/Page 2007: 99), klimatische Differenzen (Bergström/Magnusson 2003: 663f.; Rietveld/Daniel 2004: 538f.), siedlungsstrukturelle Spezifika bei der Qualität der Radverkehrsinfrastruktur (Krizek/Johnson 2006: 39; Handy/Xing/Buehler 2010: 978), Bevölkerungsdichten (Rietveld/Daniel 2004: 537f.) oder exklusive Bevölkerungszosammensetzungen (z. B. ein hoher Stodierendenanteil) (Delmelle/Delmelle 2012: 4) bedingt hinreichend sind, um die Nutzungsunterschiede zu erklären. Stadien, die sich mit den Ursachen für den cycling boom befassen, erkennen zwei strukturelle Stärkungen des Fahrrads:

Tabelle 2.1: Cycling boomweltweit Stadt

Radverkehrsanteil

Wachstumsraten

Amsterdam, Niederlande

37,0 Prozent (2005)

1970-2005: + 48 %

Barcelona, Spanien

1,8 Prozent (2007)

2005-2007: + 100%

Berlin, Deutschlaod

I 0,0 Prozent (2007)

1975-2011: + 275%

Bogota, Kolumbien

3,2 Prozent (2003)

1995-2003: + 300 %

Freiburg, Deutschlaod

27,0 Prozent (2007)

1982-2007: + 80%

Groningen, Niederlande

40,0 Prozent (seit 1990em)

1990-2005: + 0 %

Kopenhagen, Dänemark

38,0 Prozent (2005)

1998-2005: +52%

London,Geitet, aus dnen sich wiederum zuflillige Routen im Stadtgebiet und daraus ableitend entsprechende Adressen von entsprechenden Zielpersonen ergeben. Auf diese Weise wird ein Coverage-Error vermieden, da Fluktuationen automatisch berücksichtigt werden (ebd.). Mit Blick auf die Sensibilisierung der Zielpersonen für die Relevanz der Befragung wurde des Weiteren die Möglichkeit zur direkteo Kontaktaufualune beim Austeilen der Fragebögen gesehen. Randmn-Route-Verfahren erfordern ein umfassendes Regelwerk, da es beispielsweise bei zu korzen Routen oder systematischen Zyklen zu Unter- bzw. Überrepräsentationen bestimmter Teilrllume und Straßen kommen kaoo, Doppelbefragungen auftreten könoen und die Zuflllligkeit in jedem spezifischen Fall der Route und Haushaltsauswahl gewährleistet sein muss (Noelle-Neumann 1963: 12lff.). Vor diesem Hintergrund wurde für das Befragungsvorhaben in Offenbach auf Grundlage relevanter Literator zu Randmn-Route-Acsätzen (Noelle-Neumann 1963: 12lff.; SchoelliKreuter 2000: 91f.; Diekmann 2010: 411ff.; Bauer 2013) ein umfangreiches Regelwerk konzipiert, in dem schrittwei-

Das Untersuchungsdesign

I 135

se die zufällige Auswahl von i) Startadressen, ii) Laufwegen/Routen, iii) Haushalten und schließlich iv) Zielpersonen defmiert wurde. Die Startadressen wurden zunächst mithilfe der Computersoftware Microsoft Excel per Listenauswahlverfahren nach dem Zufallsprinzip gezogen. Für offensichtlich große Straßen wurden Untergliederungen in kleinere Einheiten vorgenommen, um Unter- bzw. Überrepräsentationen bei der Auswahl der Startadressen zu vermeiden (Bauer 2010: II). Der exakte Startpunkt einer jeden Route erfolgte dann über die zufällige Ermittlung einer jeweiligen Hausnummer. Für die zuflllligen Laufwege auf insgesamt zwölf Routen wurden Laufregeln festgelegt, die neben einer Grundlaufregel entsprechende Ausnahmeregeln bereithalten, d. h. für den Fall, wenn Ausnalunesituationen nicht mit der Grundlaufregel gelöst werden können (etwa bei Sackgassen, Zirkelschlüssen, Hinterhofbebauungen, Routenkollisionen usw.). Die Auswahl der Haushalte und Zielpersonen erfolgte dann zweistufig im Ralunen einer systematischen Auswahl der Haushalte und dem Geburtstagsschlüssel, wonach diejenige Person im Haushalt befragt wird, die zuletzt Geburtstag hatte (Diekmann 20 I 0: 218). Eine ausftlhrliche Erläuterung des Regelwerkes kano dem Anhang 1-1 entnommen werden. Insgesamt konnte auf der Grundlage dieses Regelwerkes über die zwölf Routen der Stadtbereich mit seinen heterogenen Siedlungsstrukturen weitestgehend abgelaufen und befragt werden. Nicht befragt wurden kleinere Siedlungseinheiten östlich des Hiebernsees und Waldheim sowie der südliche Teil von Friedrichsweiher südlich des Stadtkerns. Eine Übersicht über die zwölf Routen kano dem Anhang 1-2 entnommen werden. Weitere Hinweise zur praktischen Umsetzung des Random Route Verfahrens finden sich im Feldbericht (Kap.4.4.).

4.3 FRAGEBOGENKONSTRUKTION Die Fragebogenkonzeption entstand in Kooperation mit der durch das Bundesministerium für Verkehr-, Bau- und Stadtentwicklung (BMVBS) geförderten sozialwissenschaftlichen und ökologischen Begleitforschung der Allianz Elektromobilität und dem universitären Projektseminsr Quantitative Verfahren in der Humangeografie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main des Wintersemesters 2012/2013 (AG Mobilitätsforschung 2012: 8f.). Im Nachfolgenden wird zunächst der allgemeine Aufbau des Fragebogens beschrieben (Kap. 4.3.1.). Anschließend werden die Fragenblöcke vorgestellt, die zur Beantwortung der Forschungsfrage I (Kap. 4.3.2.) und Forschungsfrage 2 (Kap. 4.3.3.) in den Fragebogen integriert wurden. Abschließend wird noch auf die Integration von fünf

136 I Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?

raumbezogenen Variablen in den Datensalz eingegangen, was durch den Random-Route-Ansa1z ermöglicht wurde (Kap. 4.3.4.).

4.3.1 Aufbau des Fragebogens Die Fragebogenkonstruktion im Allgemeinen und konkrete Fragenformulierungen im Speziellen richten sich nach etablierten methodischen Gütekriterien und Standards für standardisierte Fragebögen (Schnell/HillJEsser 2008: 335ff.; Atteslander 2010: 133; Diekmann 2010: 514ff.). Unter dem Titel ,,Befragung zur Zukunft der Mobilität in Offenbach" wurde vor dem Hintergrand verschiedener Forschungsinteressen der beteiligten Aktenre ein umfangreicher Fragebogen mit insgesamt acht Themenkomplexen und 163 weitestgehend geschlossenen Teilfragen auf zehn Din-A4-Seiten konzipiert, die überblicksartig in Tabelle 4.2 dargestellt sind Der Fragebogen öffnet mit leichten Fragen zur Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln und Mobilitätsressourcen (Fragenblock I) sowie zur konkreten Verkehrsmittelnu1zung (Fragenblöcke 2-4), um die Hemmschwelle zur Teilnahme an der Befragung zu verringern (Diekmann 2010: 518). Der mittlere Teil beinhaltet eine Reihe von Fragen zum Thema Techniknu1zung und Technikinteresse, mit denen etwa Nu1zungshäufigkeiten von spezifischen Informations- und Kommunikstionstechnologien (IKT) abgefragt, aber auch ,mentale Zugänge' zu diesen erfasst werden (Fragenblöcke 5-8). Die Spannungskorve wird dann durch Fragen zu ,mentalen Zugängen' zu unterschiedlichen Verkehrsmitteln (Fragenblöcke 9 sowie !Oa- !Oe) weiter gesteigert. Es folgen Fragen zu neuen Mobilitätsangeboten, bei denen die Nu1zung und Bewertong von Sharing-Angeboten abgefragt wird (Fragenblöcke 11-12). Der mittlere Fragenblock endet mit einer Reihe von Fragen zur Elektromobilität (Fragenblöcke 13-20). Der Fragebogen schließt dann inhaltlich mit einigen ,sensiblen Fragen' zu soziodemografischen Merkmalen (Geschlecht, Alter, formaler Bildungsstand, Erwerbssituation, Herkunft, Staatsangehörigkeit, Haushaltsgröße und Einkommen) (Fragenblock 21); am Ende platziert, um ein Unbehagen bei der Beantwortung des Fragebogens und damit verbundenes, frühzeitiges Abbrechen möglichst zu unterbinden (ebd.). Den Befragten wird abschließend noch die Möglichkeit gegeben, weitere Kommentare, Amnerkongen und Kritik zu dem Fragebogen in eigenen Worten zu äußern. Da die Fragebogenkonzeption als Kooperationsprojekt mit den o. g. Institotionen entstand, ist nur ein Teil der darin platzierten Fragen für das Dissertationsprojekt relevant. So etwa werden die Fragenblöcke zu allgerneinen Einstellungs-

Das Untersuchungsdesign

I 137

fragen (Frage 9) sowie zur Elektromobilität (Fragen 13-20) für die vorliegenden Auswertungen nicht berücksichtigt. Tabelle 4.2: Struktur und Inhalt des Fragebogens

Themenblöcke Mobilitätsressourcen Verkehrsmittelnutzung

Teilfrae

9*

Verfiigbarkeit von Mobilitätsressourcen Nutzungshäufigkeilen unterschiedlicher Verkehrsmittel Lagebzeogcne Ausübung von Aktivitäten Verkehrsmittelnutzung nach Aktivität Nutzungshäufigkeit unterschiedlicher Informations- und Kommunikationstechnologicn Einstellungen gegenüber unterschiedlichen Informations- und Kommunikationstecbnologien Möglichkeit zur mobilen Nutzung des lntemets Nutzungshäufigkeilen unterschiedlicher mobiler Onlin-Applikationen Allgemeine Einstellungen

!Oa

Einstellungen gegenüber dem Auto

I

2 3 4

Tecbnikuutzung und Technikinteresse

5

6 7 8 Persönliche Einstellungen Verkehrsmittelbezogene Einstellungen

Inhalt

!Ob !Oe IOd !Oe 11

Einstellungen gegenüber dem Zufußgehen Einstellungen gegenüber dem ÖPNV Einstellungen gegenüber dem Radfilhren Einstellungen gegenüber Multimodalität Kenntnisse und Nutzung von unterschiedlichen Neue Mobilitätsangebote Sharing-Augeboten Einstellungen gegenüber Sbaring-Angeboten 12 13* Elektromobilität Kenntnisstand zur Elektromobilität 14* Kenntnisstand und Nutzung Elektromobilität 15* Kaufwahrscheinlichkeit unterschiedlicher Elektrofahrzeuge in den nächsten drei Jahren 16* Einstellungen gegenüber Elektrofahrzeugen 17* Bekanntheil der eMobil-Station in Offenbach 18* Nutzung der Augebote an der eMobil-Station 19* Relevante Aspekte bei der Nutzung der eMobilStation Wahrscheinlichkeit der Nutzung neuer Mobili20* tätaangebote in Offenbach im nächsten Jahr Soziodemografische 21 Geschlecht, Geburtsjahr, Bildungsabschluss, Merkmale Erwerbssituation, Herkunfi, Staatsangehörigkeit, Haushaltsgröße, Haushaltsnettoeinkomme • Teilfragen werden für das Dissertationsprojekt nicht verwendet.

138 I Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?

4.3.2 Fragenblöcke zur Beantwortung der Forschungsfrage 1 Im Rahmen der Forschungsfrage I soll geprüft werden, inwiefern die Produktion multimodalen Verhaltens auf Basis materieller und mentaler V erkehrsmitteloptionen durch das verkehrsteilnehmende Subjekt ermöglicht und/oder eingeschränkt wird (Kap. 3.2). Zur Beantwortung wurden im Fragebogeo die Fragenblöcke zum Mobilitätsverhalten (Fragenblock 2), zu verfügbareo Mobilitätsressourcen (Fragenblock I) sowie zu mentalen Zugängen zu potenziellen Verkehrsmitteln (Frageoblöcke I Oa-1 Oe) integriert.

Multimodales Verhalten wird auf Grundlage des Frageobiecks 2 zur Nut· zungshäufigkeit unterschiedlicher Verkehrsmittel über die Fragen 2.1-2.5a ermittelt (Tabelle 4.3). Die Konzeption dieser Fragen ist den Multimodalitätsstodien von Nobis (2007: 37) sowie Diana und Mokhtarian (2009a: 109) entlehnt. Auf diese Weise stehen zum einen erfolgreich erprobte Konstruktionen zur Verfügung, zum anderen kano eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse hergestellt werden. Die Konstrukte sind konzipiert über eine Ordinalskala nach der Nutzungshäufigkeit der Verkehrsmittel Auto (Frage 2.1 ), Bus (Frage 2.2), Straßenbahn, U-/S-Bahn und Regionalbahn (Frage 2.3), sowie Fahrrad in der Sommerzeit (Frage 2.5a). Die Ordinalskala umfasst die Kategorien "(fast) täglich", an "1-3 Tagen pro Woche", "an 1-3 Tagen pro Monat", "seltener" und "(fast) nie". Tabelle 4.3: Konstrukte zur Messung multimodalen Verhaltens Frage/Indikator

Antwortkategorien

2. Bitte geben Sie nun an, wie häufig Sie üblicherweise die folgenden Verkebrsmittel nutzen: 2.1 Auto (Fahrer/in oder Mitfahrer/in) 2.2Bus 2.3 Straßenbahn, U-/S-Bahn, Regionalbahn 2.5a Fahrrad im Sommer

(fast) täglich 1-3 Tagen pro Woche 1-3 Tagen pro Monat seltener (fast) nie

Materielle Multioptionalität als eine der beiden Voraussetzungsdimensionen für multimodales Verhalten wird auf Grundlage des Fragenblocks I zu verfügbareo Mobilitätsressourcen herausgearbeitet. Dabei werden über die Fragen 1.1 bis 1.7 jene verfiigbareo Mobilitätsressourcen abgefragt, die zur Nutzung der bereits o. g. Verkehrsmittel Auto, Fahrrad und ÖPNV benötigt werden (Tabelle 4.4). Bei der Abfrage der Verfügbarkeil dieser Mobilitätsressourcen werden ebenfalls erprobte Variablen anderer Stodien entlehnt, wie z. B. der MiD - Mobilität in Deutschland Stodie von 2002 (infas & DIW 2004). Mit Blick auf die verschie-

Das Untersuchungsdesign

I 139

denen Mobilitätressourcen werden dabei unterschiedliche Konstrukte mit verschiedenen Skalenniveaus verwendet: Die potenzielle Nutzung des Autos (als Fahrer*in) setzt zunächst einen Führerschein voraus (Delbnsc/Currie 2013: 272) (Frage 1.1) und dann den Zugriff auf ein Auto (Sinuna/Axhausen 2003: 23) (Frage 1.3). Der ÖPNV kann erst genutzt werden, wenn ein Bahnhof oder eine Haltestelle erreichbar sind (Church et al. 2000: 200f.) (Frage 1.7). Der Besitz einer Zeitkarte kann anschließend in Verbindung mit der tatsächlichen Nutzung gesehen werden (Sinuna/Axhausen 2003: 23) (Frage 1.6). Die potenzielle Nutzung eines funktionsfllhigen Fabrrada setzt seine Verfilgbarkeit voraus (Frage 1.5). Tabelle 4.4: Konstrukte zur Messung materieller Multioptionalität

Frage/Indikator

Antwortkategorien

Mobilitätsressourcen Auto

1.1 Sind Sie im Besitz eines Führerscheins?

Ja

Nein Jederzeit

1.3 Wie häufig können Sie über ein Auto verfUgen?

Gelegentlich Nie

Mobilitätsressourcen OPNV 1.7 Köonen Sie von Ihrer Wohnung aus einen Bahnhof

oder eine Haltestelle gut erreichen? - Bushaltestelle - Straßenbahnhaltestelle - S-Babnhaltestelle

Ja Nein Weiß nicht

- Hbf. Offenbach Mobilitlitsressourun Fahrrad Jederzeit

1.5 Steht Ihnen ein funktionsfllhiges Fahrrad zu Verfiigung? Gelegentlich Nie Mentale Multioptionalität als zweite Voraussetzungsdimension für multimodales Verhalten wird auf Grundlage der Fragenblöcke I Oa bis !Oe mithilfe von 44 theoretisch eingebetteten Items (Fragen 10.1 bis 10.44) ermittelt, in denen mentale Bewertengen der Verkehrsmittel Auto, Fahrrad, ÖPNV, Zufußgehen und Multimodalität abgefragt werden (fabelle 4.5). Die Bewertengen erfolgen auf Basis

140 I Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?

einer 5-Punkt-Likert-Skala auf einer Skala von"++ bis - -". Aufgrund der hochaktuellen Auseinandersetzung über eine mögliche Enternotionalisierung des privaten Automobils als eine der zentralen Hypothesen für das Mehr an multimodalem Verhalten, insbesondere bei jungen Erwachsenen (Bratzel2014: !Olff.), erfolgt die Segmentierung von homogenen Gruppen mentaler Optionen in erster Linie auf dem in Kap. 3.2.2 abgebildeten theoretischen Ansatz der symbolischemotionalen Dimensionen von Mobilität nach Runecke (2000). So spiegeln 27 der 44 ltems das Modell mit Blick auf die Kategorien Autonomie, Erlebnis, Statos und Privatheil wider. Ausgehend von der Erkenntois, dass sich die Verkehrsmittelwohl aus psychologischer Perspektive durch eine Verwobenheil kognitiver und affektiver Faktoren und nicht allein symbolisch- bspw. 82/26 ; -3). Als Laufrege l gilt: •

zu Beginn Hausnummer aufwärts laufen.



Wenn sich das Ausgangshaus auf der rechten Stra ßenseite befindet, dann wird an nächster



Wenn sich das Ausgangshaus auf linker Straßenseite befindet, dann wird an nächster

Kreuzung/Münd un g links abgebogen und auf linker Straßenseite weitergelaufen usw. Kreuz ung/Mündung rechts abgebogen und auf rechter Straßenseite weitergelaufen usw. Oie Befragung ist zu Ende, wenn alle Fragebögen ausgeteilt sind. Zur Haus ha ltsauswa hl gilt : Es w ird jedes zweite Haus und jeder zweite Haushalt befragt. Bei Mehrfamilienhäusern und unterschiedlicher Klingelanordnung gilt : Klingelschilder we rden

l. von links nach rechts und 2. Von unten nach oben gelesen. Zur Befragtenauswahl gilt: Befragt wird das Haushaltsmitglied über 18 Jah ren, das als zu letzt Geburtstag hatte. •

Wenn Der- oder Diejenige verweigert, dann die Person, die als vorl etztes Geburtstag hatte.

278

1

Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?

Insbesondere bei der Laufregel können verschiedene Probleme auft reten (z.B. Routenkollisione n, Sackgassensituationen u.Ä.), mit denen fo lgendermaßen zu verfahren ist:

Rege l l

Pr obl em Zwei Gruppen treffen aufeinande r und ihre Wege wü rden danach identisch weiterlaufen!

Umga ng Um zu vermeiden, dass zwei Gruppen pa rallel laufen, legt das Planungsteam zwei mögliche Ausnahmen von der Laufregel fest : Eine Gru ppe ände rt einmalig ihre Abbiegerichtung (im 1. Beispiel die gest richelte Route Y: statt rechts wird vorher li nks abge bogen) und läuft dann regelkonform weiter.

I Rol.llc X

L :. ---------- - - • Roote Y

I I I

2. Die Gruppe läuft bis zu r nächsten Kreuzung Ein münd ung we iter und läuft hier entsprechend der Laufrege l weiter (im Beispiel die gestrichelte Route Y) ..



I I I I

r

--- -- Route -- - Y- -- -+

I I I I

Rege l2

Es ist eine Sackgasse I Die Straße erreicht den Siedlungsrand I

Zur letzten (höchste/nied rigste) Hausnummer auf der anderen St raßenseite wechseln und unter Berücksichtigung der Haushaltsauswahl zurückgehen. An der Einmündung I Kreuzung w ird die Route in der alten (nur anderen Straßenseite) Laufrichlcung fortgesetzt, wenn Abschnitte der bereits gelaufenen Route zurückgegangen würden.

--

I Rege l3

Die Route verläuft durch einen Zi rkelschluss wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück!

Rotue X

1

~

1

Wenn man durch Zirkelschluss auf die gleiche St raße tri fft, von der man kam, dann biegt die Gruppe in die andere Richtung ab.

I

1

1

I

Anhang 1279

Regel4

RegeiS

Der zweite Haushalt ist ein Altenhe im I Bürogebäude I Ähnliches, in dem sich keine Wohneinheiten lokalisieren lassen ! Zwei Gruppen laufen dieselbe Straße auf derselben Straßenseite ab!



Keine Befragung, es gilt t rotzdem die 2er Regel.

D

X

D

)tl_g

Eine Gru ppe wi rd der anderen Se ite zugetei lt und befolgt die La ufregel dann auf Grundlage der alten Straßenseite (im Beispiel die gest ri chelte Route Y) .

+ I

I +----------- - -----·

jl RegeiG

Regel7

RegeiS

Regel9

Regel l O

Längere Strecken durch sied lungsfreies Gebiet (z.B. Gewe rbegebiete, Hafengebiete, Gebiete außerhalb Offenbachs etc.)! Sta rke "Knicke' im Straßenverlau f (i.d .R. mit Wechsel von Straßennamen)! Auf der Route liegen Wege, die nicht wi rklich der städtischen Erschließung dienen (z.B. Pa rkwege, Feldwege, Waldwege, Wege zur Erschließung von Sportplätzen, Friedhöfen o.Ä.). Die Route füh rt auf einen Platz, vo n dem meh rere St raßen abgehen . Auf der Befragungsstraßenseite geht eine Stichstraße ab, an denen sich Wohne inheiten befinden. Diese hat keinen neuen Namen, sondern ist der Teil der Straße, auf der erhoben wird.

.. -I I I

~

I

Route X

-~ --- -+ I

, Route V

I

Vom Einbezug solcher Strecken in die RoiUtenberechnu ng kann abgesehen werden.

Starke ' Knicke· im Straßenverl auf gelten nicht als Abbiegevorgang, selbst wenn der Straßenname wechse lt.

Die Wege we rd en bei der Routenberechnung nicht berücksichtigt oder ohne Erhebung überl aufen (in diesem Fall ist die Routenlinie im Plan gest richelt dargestellt).

Hier wird die erste Straße abhängig von Laufregellinks oder rechts gewä hlt.

Die Stichstraße wird als Bestandteil der entsprechenden St raßenseite versta nden, auf de r die Gruppe erhebt (Gleiches gi lt fü r Innenhöfe, Erschließungswege zu Wohneinheiten oder Ähnlichem, sofern sie zu der Straße gehö ren, auf der ei ne Grupp e erhebt). Die Route wird hier nicht neu berechnet.

280 1 Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft?

1-2. Übersicht über die abgelaufenen zwölfRandom Routes in Offenbach a.M Zum Zwecke des Datenschutzes werden die Karteninformationen auf die reinen Routenverläufe in den geschwärzten Siedlungsstrukturen reduziert.



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