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German Pages 76 [78] Year 2014
Achim Thomas Hack
Von Christus zu Odin Ein Karolinger bekehrt sich Mittelalter Franz Steiner Verlag
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jenaer mediävistische vorträge
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Achim Thomas Hack Von Christus zu Odin
jenaer mediävistische vorträge Herausgegeben von Achim Thomas Hack Band 3
Achim Thomas Hack
Von Christus zu Odin Ein Karolinger bekehrt sich
Franz Steiner Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10661-0
Inhaltsverzeichnis
Vorwort .................................................................................. 7 1. Ein besonderes Jahr in der Religionsgeschichte Europas ....................................................................... 9 2. Das Schicksal eines karolingischen Königs .............. 14 3. Zur Tradition der „Apostasie“ ................................... 18 4. „Ad priorem vomitum reverti“ .................................. 22 5. Abgefallene Könige in Northumbrien ....................... 27 6. Eine Konversion im 9. Jahrhundert ........................... 29 7. Der Königssohn als neuer Julian ............................... 35 8. Bekehrung und politisches Bündnis .......................... 39 9. Das Ende des Apostaten ............................................ 43 10. Christianisierung als Globalisierung ......................... 48 Exkurse ................................................................................ 53 1. Das Erbrochene des Hundes. Zur Tradition eines Sprichwortes .................................................... 53 2. Karolingische Haftanstalten ...................................... 61 Namensregister .................................................................... 69 Quellenregister ..................................................................... 74 –5–
Vorwort In einer Zeit, in der Monographien über die Karolinger – zumal „den Großen“ unter diesen – aus dem Boden sprießen wie die Pilze in einer feuchten Sommernacht, scheint es wenig angebracht, noch ein weiteres Buch zu der zweiten fränkischen Herrscherdynastie vorzulegen. Wenn dies hier dennoch geschieht, dann vor allem in der Erkenntnis, dass es jenseits aller Karlsliteratur auch eine große Fülle von Themen gibt, die bisher noch wenig behandelt und schon gar nicht ins Bewusstsein der Allgemeinheit eingedrungen sind. Manche von ihnen eignen sich sogar zu Vergleichen, die in weit entfernte Zeitabschnitte führen – so wie beispielsweise das hier gewählte aus dem Bereich der Religionsgeschichte (einer ‚europäischen Religionsgeschichte‘, wie sie in den letzten Jahren vor allem von Christoph Auffarth in Bremen vertreten wird). Die folgenden Ausführungen beruhen auf einem Vortrag, der am 14. Juni 2011 in der Aula der Friedrich-Schiller-Universität zu Jena gehalten wurde. Bei der Ausarbeitung für die hier vorgelegte schriftliche Fassung haben mich Freunde und Mitarbeiter unterstützt, auf deren tatkräftige Hilfe ich schon seit Jahren, zum Teil sogar seit Jahrzehnten zählen kann: Dieter Grupp, Judith Hagen, Carolin Haase und Beate Umann, um nur die wichtigsten zu nennen. Ihnen gilt – nicht zum ersten Mal – mein herzlicher Dank!
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Zu danken habe ich auch dem Franz Steiner Verlag (Stuttgart) unter der Leitung von Herrn Dr. Thomas Schaber, der die verwaiste Jenaer Reihe in sein Programm aufgenommen hat. Alle Fragen, die bei der Herstellung der Druckvorlage entstanden sind, hat Herr Harald Schmitt mit großer Geduld beantwortet. Jena, im Sommer 2013 Achim Th. Hack
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1. Ein besonderes Jahr in der Religionsgeschichte Europas Wer Quellen liest – und das ist das beste, was ein Historiker auch heutzutage tun kann –, macht bisweilen ziemlich verblüffende Entdeckungen. Man übersetzt einen Text, liest ihn wieder und wieder und glaubt seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Genau dies kann einem geschehen, wenn man die ‚Annales Bertiniani‘ zum Jahre 864 aufschlägt. Gleich zu Beginn des Jahres ist von den erneuten Angriffen der „Normannen“ auf fränkisches Territorium die Rede, die unter anderem zum Tod des Grafen Stephan von Clermont führten; daraufhin seien diese ungestraft wieder abgezogen.1 Dann folgt der erstaunliche Satz:
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Vgl. Annales Bertiniani, edd. FÉLIX GRAT/JEANNE VIELLIARD/SUZANNE CLÉMENCET (mit einer Einleitung und mit Anmerkungen von LÉON LEVILLAIN), Paris 1964, ad 864 (S. 105). – Über die Angriffe der Normannen bleibt WALTHER VOGEL, Die Normannen und das fränkische Reich bis zur Gründung der Normandie (799–911), Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte XIV, Heidelberg 1906, unübertroffen; wichtige Ergänzungen steuert HORST ZETTEL, Das Bild der Normannen und der Normanneneinfälle in westfränkischen, ostfränkischen und angelsächsischen Quellen des 8. bis 11. Jahrhunderts, München 1977, bei. Als jüngste Zusammenfassung für ein breiteres Publikum vgl. ALHEYDIS PLASSMANN, Die Normannen. Erobern – Herrschen – Integrieren, Stuttgart 2008, S. 59–70. –9–
„Pippinus, Pippini filius, ex monacho laicus et apostata factus, se Nortmannis coniungit et ritum eorum seruat.“2 Zu Deutsch: Pippin, der Sohn Pippins, ist vom Mönch zum Laien und Apostaten geworden; er verband sich mit den Normannen und praktizierte deren Religion. Gemeint ist mit diesen Worten kein Geringerer als König Pippin II. von Aquitanien, ein Mitglied der karolingischen Familie, genauer: ein Urenkel Karls des Großen. Die geschilderten Vorgänge könnten sensationeller kaum sein: Ein fränkischer Monarch verlässt seinen angestammten christlichen Glauben und tritt der Religion der feindlichen Normannen bei. Ganz offensichtlich verstört hat daher auch die Forschung auf diese knappe Notiz reagiert. Ernst Dümmler, der verdienstvolle Verfasser einer dreibändigen ‚Geschichte des Ostfränkischen Reiches‘ macht aus seiner Ablehnung, ja seiner Abscheu kein Geheimnis. Pippin sei „zu einem gewissenlosen Abenteurer herabgesunken“, der „sich offen mit den Feinden des christlichen Namens verbündete“. Auf „Menschen dieser Art“ – so stellt er wenig später fest – habe weder „die Idee des Vaterlands“ noch „die Idee der Christenheit“ irgendeine (positive) Wirkung gehabt.3 Léonce Auzias wählt in seinem detaillierten Werk über das karolingische Aquitanien gleichsam die gegenteilige Strategie, indem er die Frage des Religionswechsels stillschweigend über-
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Vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 864 (S. 105). ERNST DÜMMLER, Geschichte des Ostfränkischen Reiches I–III, Leipzig ²1887–1888 (zuerst 1862–1865), hier Bd. I, S. 420f. – Zu dem 1830 geborenen und 1902 verstorbenen Philologen, Editor und Historiker vgl. vor allem HARRY BRESSLAU, Geschichte der Monumenta Germaniae historica, Neues Archiv XLII 1921, sowie, allerdings sehr knapp, FRIEDRICH BAETHGEN, Art. Dümmler, Ernst Ludwig, in: Neue Deutsche Biographie IV, Berlin 1959, S. 161. – 10 –
geht – obwohl er die zitierte Quellenpassage natürlich genauestens kennt.4 Rudolf Schieffer schließlich lässt Zweifel an der Authentizität durchblicken, ohne sie jedoch irgendwie näher zu begründen: „Zuletzt soll (!) Pippin“ – so schreibt er, sich distanzierend – „nur noch im Bunde mit den Normannen das Land unsicher gemacht und sogar deren Heidentum angenommen haben.“5 Dabei gehören die ‚Annales Bertiniani‘, in denen die hier interessierende Nachricht überliefert ist, zu den wichtigsten Quellen des 9. Jahrhunderts. Benannt nach einer nordfranzösischen Abtei, in der die älteste Handschrift aufgefunden wurde, stellen sie alles andere als eine einfache Klosterchronik dar. Vielmehr handelt es sich um die westfränkische Fortsetzung der (seit Leopold von Ranke) sogenannten Fränkischen Reichsannalen, die über die Jahre von 830 bis 882 ereignisnah und höchst detailliert berichten. Obwohl anonym überliefert, sind die drei sukzessiv arbeitenden Verfasser schon seit langem identifiziert. Der letzte Teil – ab 861 – stammt von Erzbischof Hinkmar von Reims, einem der wichtigsten Berater Karls des Kahlen.6 4
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Vgl. LÉONCE AUZIAS, L’Aquitaine carolingienne (778–987), Bibliothèque méridionale 2e série XXVIII, Toulouse/Paris 1937, S. 324f. Anm. 56. Das Werk ist unvollendet geblieben und wurde erst posthum veröffentlicht; Auzias war bereits 1934 im Alter von gerade einmal 39 Jahren verstorben. RUDOLF SCHIEFFER, Art. Pippin II. (von Aquitanien), in: Neue Deutsche Biographie XX, Berlin 2001, S. 467f., hier S. 467. In den anderen Arbeiten geht Schieffer nicht auf die Frage der Bekehrung ein, vgl. etwa DERS., Die Karolinger, Stuttgart/Berlin/Köln 52013 (zuerst 1992), S. 158. Die selbstständigen Teile stammen von Fulko von St-Hilaire in Poitiers (830–835), Prudentius von Troyes (835–861) und Hinkmar von Reims (861–882). Vgl. über die ‚Annales Bertiniani‘ vor allem FRANÇOIS LOUIS GANSHOF, Notes critiques sur les Annales Bertiniani, in: Mélanges Félix Grat II, Paris 1949, S. 159–174; die Einleitung von LÉON LEVILLAIN zur letzten kritischen Edition (wie Anm. 1), S. V–LXXVIII; WILHELM WATTENBACH/WILHELM LEVISON/HEINZ LÖWE, Deutschlands Geschichts– 11 –
Dieser hohe Geistliche zeichnete sich durch seine profunde Bildung aus, besonders im Bereich des kirchlichen Rechts. Vor allem war er jedoch auf sehr vielfältige Weise in die Politik seiner Zeit involviert und hat dabei die eigene Position mit großer Leidenschaft vertreten. Von diesen bisweilen sehr persönlichen Stellungnahmen ist auch das historiographische Werk des Reimser Bischofs geprägt, etliche Passagen enthalten sogar offene Polemik. Dass er jedoch wissentlich falsche Nachrichten streut, wurde m. W. bislang noch nie behauptet. Folglich müssen bis zum Nachweis des Gegenteils Hinkmars Aussagen als zutreffend gelten. Diese Einschätzung hat nicht unerhebliche Konsequenzen. Denn dass der Historiograph aufgrund seiner Stellung – unter anderem am königlichen Hof – ein hervorragender Kenner der Vorgänge im Frankenreich war, steht außerhalb jeden Zweifels.7
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quellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, Weimar 1952–1990, S. 348f., 502f., 520, 550; MARLENE MEYER-GEBEL, Zur annalistischen Arbeitsweise Hinkmars von Reims, in: Francia XV 1987, S. 75–108; JANET L. NELSON, History-Writing at the Courts of Louis the Pious and Charles the Bald, in: ANTON SCHARER/GEORG SCHEIBELREITER (Hrsg.), Historiographie im frühen Mittelalter, Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung XXXII, Wien/München 1994, S. 435– 442. Die letzte umfassende Arbeit über den Reimser Erzbischof stammt noch aus dem 19. Jahrhundert HEINRICH SCHRÖRS, Hinkmar Erzbischof von Reims. Sein Leben und seine Schriften, Freiburg i. Br. 1885; aus neuerer Zeit PHILIPPE DEPREUX, Prosopographie de l’entourage de Louis le Pieux (781–840), Sigmaringen 1997, S. 257–258. Die westfränkische Fortsetzung der Reichsannalen (der von Prudentius wie der von Hinkmar verantwortete Teil) ist neben den Urkunden des Herrschers (vgl. unten, Anm. 12) die wichtigste Quelle zu Pippin II. Die Notizen beginnen mit dem Tod seines Vaters 839 und enden mit dem Prozess sowie der Haft in Senlis 864, vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 839, 841, 844, 848, 849, 852, 853, 854, 856, 857, 858, 859, 864 (S. 26, 33, 35, 38, 46f., 48f., 50, 55, 57f., 64f., 66, 69f., 72, 74, 78, 81, 105, 113). Eine eigenständige – 12 –
Wenn also vom Standpunkt der Quellenkritik keine Einwände gegen den Bericht der ‚Annales Bertiniani‘ erhoben werden können (und bisher – so muss man hinzufügen – auch nicht erhoben worden sind), so stellt sich die Frage, weshalb sich die mediävistische Forschung mit der Konversion Pippins II. so schwer getan hat. Die Antwort darauf ist einfach: weil diese nicht in das gängige Bild passt. Während man bei den Merowingern bisweilen „heidnische“ Relikte identifizieren will – man denke nur an die leidige Diskussion um das sogenannte „germanische Königsheil“8 – gelten die Karolinger als diejenige Familie, die wie keine zweite das christliche Europa geformt hat.9 Und da soll ausgerechnet ein Abkömmling dieser Dynastie sich vom Christentum abgewandt und der Religion Odins angeschlossen haben? Der Fall verdient also näher untersucht zu werden. Wer ist überhaupt dieser König – so möchte ich fragen – und wie er-
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aquitanische Annalistik scheint es im 9. Jahrhundert nicht gegeben zu haben. Vgl. etwa, mit Literaturhinweisen, ACHIM THOMAS HACK, Zur Herkunft der karolingischen Königssalbung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte CX 1999, S. 170–190, hier S. 186–189. Die angebliche oder tatsächliche Prägekraft der Karolinger betont PIERRE RICHÉ, Les Carolingiens. Une famille qui fit l’Europe, Paris 1983, bereits im Titel seiner breit rezipierten Arbeit. – Zum Karlsbild, wie es seit der Nachkriegszeit vorherrscht, vgl. MATTHIAS PAPE, Der Karlskult an Wendepunkten der neueren deutschen Geschichte, in: Historisches Jahrbuch CXX 2000, S. 138–181; DERS., Karl der Große – Franke? Deutscher? oder Europäer? Karlsbild und Karlskult in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch für europäische Geschichte IV 2003, S. 243–258; auf der Grundlage moderner Schulbücher HANSHENNING KORTÜM, Vater Europas oder grand chef de guerre. Karl der Große in deutschen und französischen Schulbüchern am Ende des Zwanzigsten und zu Beginn des Einundzwanzigsten Jahrhunderts, in: MARTIN CLAUSS/MANFRED SEIDENFUß (Hrsg.), Das Bild des Mittelalters in europäischen Schulbüchern, Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart V, Berlin 2007, S. 245–269. – 13 –
klärt sich seine Konversion? Ist sein Verhalten tatsächlich derart singulär, wie es auf den ersten Blick erscheint? Lassen sich vielleicht sogar verschiedene Arten einer Bekehrung weg vom Christentum unterscheiden? Welche Rolle spielen dabei politische Motive? Und schließlich: wie waren die Reaktionen der christlichen Mehrheitsgesellschaft?
2. Das Schicksal eines karolingischen Königs Während Karl dem Großen innerhalb von zwölf Jahren nicht weniger als neun umfangreiche Biographien gewidmet worden sind10 – von Sammelbänden, Ausstellungskatalogen und kleineren Arbeiten ganz zu schweigen –, hat es bei Pippin II. noch nicht einmal für eine noch so knappe biographische Skizze gereicht. Natürlich soll hier nicht behauptet werden, dass beide Herrscher – was ihre historische Bedeutung oder ihre Nachwirkung betrifft – miteinander vergleichbar sind. Jedoch zeigt gerade der wechselvolle Lebensweg des Jüngeren in größter Deutlichkeit viele Grundprobleme der karolingischen Herrschaft – die, so kann man ruhig konstatieren, auch sein Urgroßvater nicht dauerhaft gelöst hatte: die Frage der Nachfolge durch Eintritts- oder Anwachsungsrecht, die Eigenständigkeit des ehemals unabhängigen Herzogtums Aquitanien, die fortwährenden militärischen Auseinandersetzungen mit den Nor10
Nämlich ROGER COLLINS (1998), JEAN FAVIER (1999, ND 2013, port. 2004), JÖRG JARNUT (1999), MATTHIAS BECHER (1999, 52008, engl. 2003, Hörbuch 2007), DIETER HÄGERMANN (2000, ²2003, tschech. 2002, ital. 2004, niederl. 2005), ALESSANDRO BARBERO (ital. 2000, 62011, span. 2001, engl. 2006, dt. 2007), MAX KERNER (2001, ²2004), ROSAMOND MCKITTERICK (engl. 2008, ³2009, dt. 2008), ISABELLE DURANDLE GUERN/BERNARD RIBÉMONT (2009), WILFRIED HARTMANN (2010); weitere sind im Umfeld des „Karlsjahres“ 2014 angekündigt. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem publizistischen Boom liegt m. W. noch nicht vor. – 14 –
mannen, die Herrschaft durch Anwesenheit und durch Delegation, die Konflikte innerhalb der karolingischen Familie – um nur einige der wichtigsten Aspekte zu nennen.11 Pippin II. hat immerhin ein Vierteljahrhundert lang die Geschicke des Frankenreichs mitgeprägt – eine Zeit schwerer Konflikte und zwar von Anfang an. Nach dem Tod seines Vaters, Pippins I., im Jahre 838 beanspruchte er, damals etwa 15jährig, dessen Nachfolge im Königsamt, das heißt als (Unter-) König in Aquitanien. Damit stieß er auf den Widerstand seines Großvaters, Kaiser Ludwigs des Frommen, der das Gebiet südwestlich der Loire seinem vierten Sohn, dem ungefähr gleichaltrigen Karl dem Kahlen zuschlagen wollte. Doch Pippin konnte zumindest bei einem Teil des einheimischen Adels Anerkennung finden und – in Verbindung damit – militärische Unterstützung. Der Herrscher stellte in den folgenden Jahren regelmäßig königliche Urkunden aus, in denen er sich als „Pipinus, opitulante divinae majestatis gratia, Aquitanorum rex“ oder ähnlich bezeichnete.12 11
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Die folgenden Bemerkungen beschränken sich auf einige wenige Grundzüge. Für Einzelfragen vgl. vor allem E. DÜMMLER (wie Anm. 3); L. AUZIAS, L’Aquitaine carolingienne (wie Anm. 4), S. 125–328; JANE MARTINDALE, Charles the Bald and the Government of the Kingdom of Aquitaine, in: MARGARET GIBSON/JANET L. NELSON (Hrsg.), Charles the Bald. Court and Kingdom, London ²1990, S. 115–138 (zuerst 1981); JANET L. NELSON, Charles the Bald, London/New York 1992; BRIGITTE KASTEN, Königssöhne und Königsherrschaft. Untersuchungen zur Teilhabe am Reich in der Merowinger- und Karolingerzeit, MGH Schriften XLIV, Hannover 1997; JOHANN FRIEDRICH BÖHMER/IRMGARD FEES, Regesta imperii I, 2, 1, 1: Die Regesten Karls des Kahlen 840 (823) – 848, Wien/Weimar/Köln 2007 (s. Register S. 386 s. v.; weitere Bände sind in Vorbereitung). Die Urkunden Pippins II. aus den Jahren zwischen 838/39 und 848 sind ediert in der Recueil des actes de Pépin Ier et de Pépin II rois d’Aquitaine (814–848), ed. LEON LEVILLAIN, Paris 1926, S. 185–268 (Nr. 49–61; im Text zitiert: Nr. 57, S. 225), mit einer ausführlichen Einleitung des Editors; zur Intitulatio ebd., S. XCV–XCVII. – Pippin II. hat auch Münzen – 15 –
Ludwig der Fromme starb kurz darauf, die Grundkonstellation in Aquitanien blieb weitgehend unverändert bestehen. Erst zwölf Jahre später gelang es Graf Sancius von Wasconien, Pippin gefangen zu nehmen und an Karl den Kahlen auszuliefern. Dieser ließ ihn nach Absprache mit seinem Bruder, Kaiser Lothar I., zum Mönch scheren und in das Kloster Saint-Médard bei Soissons einweisen. Doch waren damit dessen Ambitionen noch längst nicht am Ende. Schon im kommenden Jahr wurden zwei Mönche und Presbyter dieses Klosters ausgestoßen, weil sie die Flucht des Karolingers geplant hatten; Pippin musste Karl einen Treueid schwören und erneut das Mönchsgewand anlegen. Noch einmal ein Jahr später – 854 – konnte Pippin dann tatsächlich entkommen; er eilte zurück nach Aquitanien, wo ihm sogleich der größte Teil der Bevölkerung zuströmte. Karl der Kahle ließ daraufhin seinen eigenen, gleichnamigen Sohn zum (Gegen-)König erheben, der aufgrund seines jugendlichen Alters als Karl das Kind bezeichnet wird. Doch auch damit hatte er keinen durchschlagenden Erfolg: Pippin II. konnte sich über weitere zehn Jahre in seinem Königreich halten, wenn auch offenbar mit schwankender Akzeptanz. In den schweren Auseinandersetzungen, die seine Herrschaftszeit durchzogen, hat sich Pippin II. immer wieder um politische und militärische Allianzen bemüht, zunächst vor allem mit anderen Mitgliedern seiner Familie. So unterstütze er beispielsweise Lothar I. 841 im sogenannten karolingischen Bruderkrieg und nahm an seiner Seite an der verlustreichen prägen lassen, vgl. SIMON COUPLAND, The Coinage of Pippin I and II of Aquitaine, in: Revue numismatique 6. Série XXXI 1989, S. 194–222 (erneut in DERS., Carolingian Coinage and the Vikings. Studies on Power and Trade in the 9th Century, Aldershot 2007, Nr. VIII mit Addenda and Corrigenda, S. 4); diese Prägungen – unter anderem mit der Aufschrift „Christiana religio“ – stammen aus den Jahren zwischen 845 und 848, in Toulouse vielleicht zwischen 844 und 849. – 16 –
Schlacht von Fontenoy in Burgund teil. Später suchte er die Unterstützung der Bretonen und ging wiederholt Bündnisse mit den Normannen ein: den ‚Annales Bertiniani‘ zufolge zum ersten Mal 857 und erneut sieben Jahre darauf.13 Seit seiner Flucht aus dem Kloster war der Handlungsspielraum Pippins bisweilen recht gering, aber auch seine Gegner konnten keine dauerhaft erfolgreiche Königsherrschaft in Aquitanien installieren. Dass Pippins Zusammenwirken mit den Normannen ohne jegliche Alternativen war, lässt sich m. E. allerdings nicht erkennen.14
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Ob diese Liste allerdings vollständig ist, lässt sich nicht mehr entscheiden. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Schicksal, das Pippins einziger Bruder, Karl, erlitten hat. Er war der Patensohn Karls des Kahlen, lebte aber nach dem Tod seines Vaters im Reichsteil Lothars I.; im Jahre 849 versuchte er, seinen Bruder in Aquitanien zu unterstützen, wurde aber von Graf Vivianus von Tours gefangen genommen und an Karl den Kahlen ausgeliefert; man verurteilte ihn zunächst zum Tode, begnadigte ihn aber umgehend zur Klosterhaft. In Chartres trat er in Anwesenheit seines Patenonkels während einer Messe auf die Kanzel und verkündete seinen Eintritt in den geistlichen Stand. Er wurde zum Diakon geweiht und lebte im Kloster Corbie. Dieses verließ er allerdings im Jahre 854, etwa zur selben Zeit als auch sein Bruder aus Saint-Médard entkam. Nach dem Tod des Hrabanus Maurus wurde er 856 zum Erzbischof von Mainz erhoben und hatte dieses Amt bis zu seinem Tode im Juni 863 inne. Vgl. über ihn vor allem die Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 838, 849, 854 (S. 26, 57f., 70), die Annales Fuldenses, ed. FRIEDRICH KURZE, MGH SS rer Germ VII, Hannover 1891, ad 851, 856, 857, 863 (S. 41, 46f., 48, 57); sowie die Annales Fontanellenses priores (Chronicon Fontanellense), ed. JEAN LAPORTE, in: Mélanges [de la Societé de l’histoire de Normandie] XV, Rouen/Paris 1951, S. 63–91, ad 849 (S. 81). – 17 –
3. Zur Tradition der „Apostasie“ Für eine Konversion weg vom eigenen Glaubenssystem wird in der christlichen Tradition gewöhnlich der Ausdruck Apostasie gebraucht. Es handelt sich dabei um einen Begriff, der bis zum heutigen Tag rechtliche Relevanz besitzt. So wird er etwa in Kanon 751 des Corpus Iuris Canonici von 1984 klar definiert und zu einer geradezu klassischen Trias verbunden: „Häretiker“, „Apostaten“ und „Schismatiker“ sollen demnach „ipso facto“ von der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen sein, ihnen ist auch das kirchliches Begräbnis zu verweigern.15 „Apostasie“, so zeigt sich schon hier, ist ein religiös geprägter Terminus mit ausgrenzender Funktion, der für wissenschaftlich-deskriptive Zwecke ungeeignet erscheint. Im Folgenden interessiert er daher lediglich als Ausdruck der Quellensprache. In seiner religiösen Bedeutung meint „apostasía“ – eine „späte Nebenform von apóstasis“ – den Abfall von Gott; derjenige, der ihn begeht, ist ein „apostátes“, ein Abtrünniger. Dieser Terminus wird schon mit der ältesten Bibelübersetzung, der Itala, als Lehnwort „apóstata“ ins Lateinische übernommen; die Übersetzung der Vulgata, „rebélles“, kann sich dagegen auf Dauer nicht durchsetzen. Das dazugehörige Verbum lautet 15
Vgl. Codex Iuris Canonici auctoritate Ioannis Pauli PP. II promulgatus (lat./dt.), Kevelaer ³1989 (zuerst 1983), Can. 751, 1041, 1184, 1364 (S. 344, 460, 520, 602). Dazu sehr knapp HERIBERT HEINEMANN, Art. Glaubensabfall II: Kirchenrechtlich, in: Lexikon für Theologie und Kirche IV, Freiburg i. Br. u. a. ³1995, Sp. 698; GEORG MAY, Art. Apostat, in: Religion in Geschichte und Gegenwart I, Tübingen 41998, Sp. 636. – Über die Verweigerung des (christlichen) Begräbnisses im Mittelalter vgl. ROMEDIO SCHMITZ-ESSER, Zur Vernichtung von Körperlichkeit. Ausgrenzung des Leichnams als Inkriminierung des Toten im Mittelalter, in: CLAUDIA GARNIER/JOHANNES SCHNOCKS (Hrsg.), Sterben über den Tod hinaus. Politische, soziale und religiöse Ausgrenzung in vormodernen Gesellschaften, Religion und Politik III, Würzburg 2012, S. 219–231. – 18 –
„aposténai“ bzw. „apostatare“.16 Bis sich der Ausdruck im Sinne der heute geläufigen Bedeutung (der Abfall vom – kirchlich definierten – Glauben) durchsetzte, dauerte es jedoch noch einige Zeit. Nach einer Vermutung von Pierre de Labriolle hatte dabei die Stigmatisierung des Kaisers Julian durch den Beinamen „Apostata“ einen erheblichen Anteil.17 Die Sache an sich ist freilich deutlich älter als der Terminus technicus und reicht sogar weit vor die Entstehung des Christentums zurück. So wird schon im Judentum der hellenistischen Ära der Übertritt zu fremden Kulten scharf abgelehnt. Berühmtestes Beispiel ist der massive Widerstand gegen die Religions16
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Vgl. Thesaurus Graecae Linguae I, Paris 1865, Sp. 1684–1689; Thesaurus Linguae Latinae II, Leipzig 1906, Sp. 252f. (apostasia, apostata, apostatatus, apostaticus, apostatare, apostatrix); Mittellateinisches Wörterbuch I, München 1967, Sp. 758–761 (apostasia, apostata, apostatatus, apostatice, apostatare, apostans, apostatrix); CHRISTINE MOHRMANN, Die altchristliche Sondersprache in den Sermones des hl. Augustin, Nimwegen 1932, hier S. 81f. (apostata, apostatare) und 210 (transgressor). Vgl. PIERRE DE LABRIOLLE, Art. Apostasie, in: Reallexikon für Antike und Christentum (künftig: RAC) I, Stuttgart 1950, Sp. 550–551, hier Sp. 551. – Nach dem übereinstimmenden Bericht zweier Kirchenhistoriker hat schon Bischof Maris von Chalkedon den Kaiser öffentlich als Apostaten gebrandmarkt; der Terminus erscheint hier als Teil der Trias aösebhßw, aöpostaßthw, aäjeow, vgl. Sokrates, Kirchengeschichte, ed. GÜNTHER CHRISTIAN HANSEN, Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte (künftig: GCS) Neue Folge I, Berlin 1995, lib. III, cap. 12, 1 (S. 206); Sozomenus, Kirchengeschichte, edd. JOSEPH BIDEZ/ GÜNTHER CHRISTIAN HANSEN, GCS, Berlin 1960, lib. V, cap. 4, 8 (S. 198). Stärkere Wirkung, zumindest in langfristiger Perspektive, hatte wohl die Bezeichnung in der vierten und fünften Rede des Gregor von Nazianz, vgl. Grégoire de Nazianze, Discours 4–5 contre Julien, ed. JEAN BERNARDI, Sources Chrétiennes (künftig: SChr) CCCIX, Paris 1983, or. 4, 1 (S. 86) und 5, 17 (S. 326). Über den Kaiser und sein Nachleben vgl. ADOLF LIPPOLD, Art. Iulianus I (Kaiser), in: RAC XIX, Stuttgart 2001, Sp. 442–483 und vor allem KLAUS ROSEN, Julian. Kaiser, Gott und Christenhasser, Stuttgart 2006 (zu den genannten Erstbelegen vgl. S. 7 und 18f.). – 19 –
gesetze des Seleukidenherrschers Antiochos IV. Epiphanes – und die harsche Kritik an allen Juden, die ihnen nachgekommen sind: Diese werden in aller Schärfe als „Götzendiener“ und „Sabbatschänder“ beschimpft. Das erste Makkabäerbuch schildert, wie der Priester Mattatias einen Apostaten im heiligen Zorn am Altar ersticht;18 dies ist der Beginn einer langen Serie von Aufständen, die schließlich zur Herrschaft der Makkabäer führt.19 Im Christentum reichen die Vorwürfe einer „Rückkehr zum Heidentum“ bis in die Zeiten des Neuen Testaments zurück. So wird zum Beispiel in apokalyptischen Texten der „Abfall vom Glauben“ und die „Anbetung der Götzen“ mit den Nöten der Endzeit in Verbindung gebracht. Dass sich darin Erfahrungen historischer Verfolgungen spiegeln, ist durchaus wahrscheinlich. Und wie die Diskussionen um die „lapsi“ (oder spezifischer: die „sacrificati“, „thurificati“, „libellatici“ usw.) bei Cyprian von Karthago sowie im sogenannten Donatistenstreit zeigen, war die Frage auch im 3. und 4. Jahrhundert noch äußerst virulent. In beiden Fällen ging es nicht nur um Apostaten, sondern vor allem um Rückkehrer zur christlichen Religion; zur
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Vgl. 1 Macc 2, 23f.: „Et ut cessavit loqui verba haec accessit quidam Iudaeus in omnium oculis sacrificare idolis super aram in civitate Modin secundum iussum regis. Et vidit Matthathias et doluit et contremuerunt renes eius et ascendit furor eius secundum iudicium legis et insiliens trucidavit eum super aram.“ Vgl. darüber sehr eingehend ELIAS BICKERMANN, Der Gott der Makkabäer. Untersuchungen über Sinn und Ursprung der makkabäischen Erhebung, Berlin 1937. – Apostasie, das heißt Untreue gegenüber Jahwe, wird im Alten Testament immer wieder mit ehelicher Untreue („Hurerei“) verglichen, so etwa in Hos. 4, 10 und 5, 7, vgl. dazu RAINER KAMPLING, Art. Abfall, in: MANFRED GÖRG/BERNHARD LANG (Hrsg.), Neues Bibel-Lexikon I, Zürich 1991, Sp. 7–9. – Eine systematische Aufarbeitung dieses zentralen Themas liegt bislang noch nicht vor. Vgl. aber STEPHEN G. WILSON, Leaving the Fold. Apostates and Defectors in Antiquity, Minneapolis 2004, S. 23–65. – 20 –
Debatte standen die angemessene Form sowie das richtige Maß der zu leistenden Buße.20 Seit dem späten 4. Jahrhundert wurde „Apostasie“ auch zum Gegenstand der Gesetzgebung durch die römischen Kaiser; die einschlägigen Bestimmungen gingen später – zusammengefasst zu einem eigenen Abschnitt „de apostatis“ – in die großen Rechtskorpora ein.21 Die Monarchen drohen den Abtrünnigen darin den Entzug der Testierfreiheit an, wählen also, wie zu Recht festgestellt worden ist, eine „sehr persönliche Form der Bestrafung“.22 Bei Übertritten zum Judentum ist – neben der Konfiskation – auch von „verdienten Strafen“ („poe20
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Vgl. die Hinweise bei ST. G. WILSON, Leaving the Fold (wie Anm. 19), S. 66–99. – Der bekannteste Beitrag zur Diskussion ist: Sancti Cypriani De lapsis, ed. MAURICE BÉVENOT, Corpus Christianorum Series Latina III, Turnhout 1972, S. 217–242; für eine erste Einordnung s. MAURICE BÉVENOT, Art. Cyprian von Karthago, Theologische Realenzyklopädie VIII, Berlin/New York 1981, S. 246–254. – Vgl. auch JOHN JOSEPH DILLON, Lapsus. A Study of the Word and its Synonyms from the Classical Age to St. Cyprian, Diss. phil. Washington 1982 (masch.). Vgl. Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondinis I–II, edd. THEODOR MOMMSEN/PAUL KRÜGER/PAUL MEYER, Berlin 1905, hier lib. XVI, 7, 1–7 (Bd. I, S. 884–886). Für den Sachkommentar vgl. auch Code Théodosien livre XVI, lat./frz. THEODOR MOMMSEN/JEAN ROUGÉ/ROLAND DELMAIRE, SChr CDXCVII, Paris 2005, S. 354–367. Das Gesetz CTh XVI, 7, 4 erscheint noch einmal als CTh XI, 39, 11, vgl. die Edition von TH. MOMMSEN/P. KRÜGER/P. MEYER (Bd. I, S. 660) und dazu Code Théodosien I–XV, Code Justinien, Constitutions Sirmondiennes, lat./frz. THEODOR MOMMSEN/PAUL MEYER/PAUL KRÜGER/JEAN ROUGÉ/ROLAND DELMAIRE, SChr DXXXI, Paris 2009, S. 290f. Zu den Bestimmungen über Apostasie vgl. KARL-LEO NOETHLICHS, Die gesetzgeberischen Maßnahmen der christlichen Kaiser des vierten Jahrhundert gegen Häretiker, Heiden und Juden, Köln 1971 (Diss. masch.), S. 108–110, 153–155, 166f. (das Zitat S. 166); DANIEL KÖNIG, Bekehrungsmotive. Untersuchungen zum Christianisierungsprozess im römischen Westreich und seinen romanisch-germanischen Nachfolgern (4.–8. Jahrhundert), Historische Studien CDXCIII, Husum 2008, S. 105, 117, 380, 383, 420. – 21 –
nae meritae“) die Rede, wobei allerdings unklar bleibt, was damit gemeint ist; manche vermuten: sogar die Todesstrafe.23 Umgekehrt werden Juden, die sich dem Christentum anschließen, ausdrücklich vor Übergriffen ihrer ehemaligen Glaubensgenossen geschützt.24
4. „Ad priorem vomitum reverti“ Während im Imperium Romanum das Christentum bereits im 4. Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben worden war, setzte die Bekehrung in den germanischen Nachfolgereichen des Nordens erst sehr viel später ein. Dieser Prozess lässt sich zumindest punktuell recht gut beobachten, beispielsweise im Falle der angelsächsischen „regna“. Grund dafür sind die oft sehr detaillierten Berichte, die Beda Venerabilis in seiner 731 beendeten ‚Historia ecclesiastica gentis Anglorum‘ bietet.25 So schildert er sehr ausführlich die Bekehrung des Königs Æthelberht von Kent, der zuerst eine fränkische Christin gehei23
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25
Vgl. CTh XVI, 8, 1; 7 und 19, ed. TH. MOMMSEN/P. KRÜGER/P. MEYER (wie Anm. 21), Bd. I, S. 887f. und 891; bzw. lat./frz. TH. MOMMSEN/J. ROUGÉ/R. DELMAIRE (wie Anm. 21), S. 368f., 380f. und 396–399. Dazu K.-L. NOETHLICHS, Maßnahmen (wie Anm. 22), S. 33f.; D. KÖNIG, Bekehrungsmotive (wie Anm. 22), S. 380. Vgl. CTh XVI, 8, 1 und 5, ed. TH. MOMMSEN/P. KRÜGER/P. MEYER (wie Anm. 21), Bd. I, S. 887f.; bzw. lat./frz. TH. MOMMSEN/J. ROUGÉ/R. DELMAIRE (wie Anm. 21), S. 368f. und 376f. Dazu K.-L. NOETHLICHS, Maßnahmen (wie Anm. 22), S. 33; D. KÖNIG, Bekehrungsmotive (wie Anm. 22), S. 285f., 374, 415f. – Über das Schicksal eines bekehrten Juden vgl. Gregorii episcopi Turonensis Libri historiarum decem, edd. BRUNO KRUSCH/WILHELM LEVISON, MGH SS rer Merov I, Hannover ²1951, lib. V, cap. 11 (S. 205). Über den Verfasser und sein Werk vgl. vor allem PETER HUNTER BLAIR, The World of Bede, Cambridge u. a. 1990 (zuerst 1970); JAMES CAMPBELL/MICHAEL LAPDIGE (Hrsg.), Bede and his World. The Jarrow Lectures 1958–1993 I–II, Aldershot/Brookfield 1994. – 22 –
ratet hat und später selbst zum Christentum übertrat; auf seine Bitten geht auch die Entsendung von 40 römischen Missionaren unter der Leitung des Augustinus, später der erste Bischof von Canterbury, zurück. Allerdings – so fährt Beda im fünften Kapitel des zweiten Buchs fort – lehnte sein Sohn und Nachfolger, Eadbald, die Taufe zunächst ab; außerdem heiratete er (offenbar angelsächsischem Brauch folgend) die Witwe seines Vaters.26 Damit habe er großen Schaden in der noch im zarten Wachstum begriffenen Kirche angerichtet; denn denjenigen, die unter der Herrschaft seines Vaters, durch dessen Gunst oder dessen Furcht bewegt, die Gesetze des Glaubens und der Moral angenommen hatten, sei dadurch die Möglichkeit gegeben worden, zu dem zuvor Erbrochenen zurückzukehren („ad priorem uomitum reuertendi“). Der ungläubige Monarch habe dafür die Geißel der göttlichen Züchtigung spüren müssen, denn er sei von häufigem Wahnsinn und den Attacken eines unreinen Geistes schwer gepeinigt worden. Schließlich habe ihn aber Laurentius, der Erzbischof von Canterbury, doch noch bekehren können.27 26
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Über die Bekehrung Æthelberhts von Kent als Folge seiner Heirat mit der Fränkin Bertha vgl. ANNETHE LOHAUS, Die Merowinger und England, Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung XIX, München 1974; S. 5–24; BARBARA YORKE, Kings and Kingdoms of Early Anglo-Saxon England, London 1990, mehrfach; CORDULA NOLTE, Conversio und Christianitas. Frauen in der Christianisierung vom 5. bis 8. Jahrhundert, Monographien zur Geschichte des Mittelalters XLI, Stuttgart 1995, S. 101–112; NICK J. HIGHAM, The Convert Kings. Power and Religious Affiliation in Early Anglo-Saxon England, Manchester/New York 1997, S. 53–132; DAVID P. KIRBY, The Earliest English Kings, London ²2000 (zuerst 1991), S. 24–30. – Zur Ehe mit der Witwe von Verwandten, zumal des Vorgängers vgl. HERMANN REICHERT, Art. Witwe, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (künftig: RGA) XXXIV, Berlin/New York 2007, S. 159–165, hier S. 163–165. Beda, Historia ecclesiastica gentis Anglorum, edd. BERTRAM COLGRAVE/ROGER A. B. MYNORS, Oxford ²2007 (zuerst 1969), lib. II, cap. 5: „At uero post mortem Aedilbercti, cum filius eius Eadbald regni guber– 23 –
Es geht also hier nicht, wie zum Teil behauptet, um den Abfall des Königs vom Christentum,28 sondern um die Tatsa-
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nacula suscepisset, magno tenellis ibi adhuc ecclesiae crementis detrimento fuit. Siquidem non solum fidem Christi recipere noluerat, sed et fornicatione pollutus est tali, qualem nec inter gentes auditam apostolus testatur, ita ut uxorem patris haberet. Quo utroque scelere occasionem dedit ad priorem uomitum reuertendi his qui sub imperio sui parentis, uel fauore uel timore regio, fidei et castimoniae iura susceperant. Nec supernae flagella districtionis perfido regi castigando et corrigendo defuere; nam crebra mentis uaesania et spiritus inmundi inuasione premebatur“ (S. 150). Über die Bekehrung des Eadbald berichtet Beda im folgenden Kapitel: „anathematizato omni idolatriae cultu, abdicato conubio non legitimo, suscepit fidem Christi, et baptizatus ecclesiae rebus, quantum ualuit, in omnibus consulere ac fauere curauit“ (S. 154). – Die Regierungszeit Eadbalds wirft einige Probleme auf, die bislang noch nicht überzeugend gelöst worden sind; besonders die Erwähnung eines Königs namens Æthelwald ist unterschiedlich interpretiert worden; so hat man in ihm einerseits einen gleichzeitigen, aber weniger mächtigen Herrscher in Kent, zum anderen genau denselben Monarchen, nur in anderer (und das heißt auch: irrtümlicher) Schreibweise, sehen wollen. Damit verbunden ist die Frage, ob die Chronologie Bedas tragfähig ist. Vgl. HENRY ROYSTON LYON, Art: Eadbald, in: RGA VI, Berlin/New York 1986, S. 320; B. YORKE, Kings and Kingdoms (wie Anm. 26), mehrfach; D. P. KIRBY, Earliest English Kings (wie Anm. 26), S. 30–35; N. J. HIGHAM, Convert Kings (wie Anm. 26), S. 133–200. In der zweisprachigen Beda-Ausgabe von B. COLGRAVE und R. A. B. MYNORS (wie Anm. 27) wird der Satz „Nec supernae flagella ...“ übersetzt mit: „The apostate king, however, did not escape the scourge of divine punishment in chastisement and correction“ (S. 151). Dazu heißt es dann in Anm. 5 ganz zu Recht: „In a sense it is unfair to call Eadbald an apostate as he had never been a Christian.“ In Wirklichkeit ist Eadbald jedoch erst durch die Übersetzung zu einem Apostaten geworden. In der lateinischen Vorlage ist von einem „perfidus rex“ die Rede. „Perfidus“ heißt im klassischen Latein tatsächlich „treulos, wortbrüchig“; im Mittellatein bedeutet es aber – und das ist hier offenbar gemeint – vor allem „ungläubig, heidnisch“. – B. YORKE, Kings and Kingdoms (wie Anm. 26), S. 32, spricht von einer Apostasie Aethelwalds (der ihr zufolge gleichzeitig mit Eadbald in Kent herrschte); dafür gibt es aber keine Quellengrundlage. – 24 –
che, dass auf einen getauften Monarchen wieder ein nichtgetaufter folgte. Das führte nun aber dazu, dass ein Teil der bereits (oberflächlich) christianisierten Bevölkerung von Kent sich wieder ihrer früheren Religion zuwandte. Damit wird ein Phänomen beschrieben, das wahrscheinlich sehr viel häufiger war, als es die überlieferten Quellen erkennen lassen: die Abkehr vom Christentum nach den ersten Erfolgen der Mission und zwar in Abhängigkeit von den jeweiligen äußeren, das heißt zum Beispiel: politischen Rahmenbedingungen.29 Es ist sogar anzunehmen, dass für viele die Grenzen zwischen den religiösen Systemen gar nicht so scharf gezogen waren, wie dies bei der Lektüre theologisch geprägter Texte vielleicht erscheinen mag. Nicht zuletzt die archäologischen Funde aus den neu missionierten Gebieten zeigen sehr deutlich, dass für erhebliche Teile der Bevölkerung religiöse „Mischformen“ eher der Normal- als der Sonderfall waren.30 Der Bericht Bedas über die Vorgänge in Kent ist noch aus einem weiteren Grund sehr bemerkenswert: Der gelehrte Mönch spricht im Hinblick auf die Rückkehr zum „Heidentum“ nicht von Apostasie, sondern verwendet ein höchst anschauliches Bild: „zu dem zuvor Erbrochenen zurückkehren“. Er zitiert damit direkt eine Wendung, die im 2. Brief des Petrus steht. Dort heißt es mit Blick auf „falsche Lehrer“: „Es ist ihnen 29
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Ein weiteres Beispiel schildert Beda noch im selben Kapitel (lib. II, cap. 5): Während König Saeberht von Essex zum Christentum konvertiert war, blieben seine drei Söhne, Sexred, Saeward sowie ein Ungenannter, bei der alten Religion. Vgl. dazu B. YORKE, Kings and Kingdoms (wie Anm. 26), S. 46–53; D. P. KIRBY, Earliest English Kings (wie Anm. 26), S. 30, 35f., 47, 180; N. J. HIGHAM, Convert Kings (wie Anm. 26), S. 134–137. Vgl. etwa TORSTEN CAPELLE, Heidenchristen im Norden, Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch XXXVIII, Mainz 2005 (mit der älteren Literatur); GREGOR AHN/ANDERS HULTGÅRD/LUTZ E. VON PADBERG, Art. Synchretismus, in: RGA XXX, Berlin/New York 2005, S. 216–230 (wobei allerdings der Begriff „Synkretismus“ nicht unproblematisch ist). – 25 –
widerfahren das wahre Sprichwort: ‚Der Hund frisst wieder, was er erbrochen hat‘; und: ‚Die Sau wälzt sich nach der Schwemme (d. h. der Reinigung) wieder im Kot.‘“31 Gemeint sind damit Menschen, die den Weg der Gerechtigkeit erkannt haben, sich aber dennoch von ihm abwenden.32 Zwar ohne diese Zuspitzung auf abweichende Gläubige, jedoch in exakt denselben Worten, liest man schon im 26. Kapitel der Sprüche: „Wie ein Hund sein Erbrochenes wieder frisst, also ist der Narr, der seine Narrheit wieder treibt.“33 Beda verwendet also ein Bild, das schon eine sehr lange Tradition hat. Es bringt nicht nur die Rückkehr zu alten, längst überwundenen Irrtümern zum Ausdruck, sondern signalisiert zugleich den körperlichen Ekel, der gegenüber einem solchen Verhalten empfunden wird bzw. empfunden werden soll.34
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2 Petr 2, 22: „Contigit enim eis illud veri proverbii: canis reversus ad suum vomitum et sua lota in volutabro luti“. Vgl. dazu RICHARD J. BAUCKHAM, Jude, 2 Peter, Word Biblical Commentary L, Waco 1983, S. 278–280 (zur ganzen Perikope, Vers 17–22: S. 271–281). Nach Bauckham meint „a dog which returns to its vomit“: „The dog cannot leave its vomit alone but goes back to sniff around it“ (S. 279). Das hier gebrauchte Bild ist jedoch sehr viel stärker: Der Hund beschnuppert nicht nur sein Erbrochenes, sondern nimmt es – und dies ist eine durchaus zutreffende Beobachtung – wieder in sich auf, das heißt: frisst es erneut. Daher ist die Übersetzung der Luther-Bibel in der Sache zweifellos richtig, auch wenn sie über den Wortlaut der Vorlage hinausgeht. Vgl. unten, Exkurs 1. Vgl. den vorausgehenden Vers, 2 Petr 2, 21: „melius enim erat illis non cognoscere viam iustitiae, quam post agnitionem retrorsum converti ab eo quod illis traditum est sancto mandato.“ Prov 26, 11: „Sicut canis qui revertitur ad vomitum suum sic inprudens qui iterat stultitiam suam“. Ekel wird sehr oft durch „falsche“ Nahrung evoziert; Ekel und Erbrechen (als körperliche Reaktion) sind in besonders enger Weise miteinander verknüpft. – Eine Geschichte des Ekels im Mittelalter existiert bislang leider nicht; Anregungen aus der jüngeren (Literatur-)Geschichte bietet WINFRIED MENNINGHAUS, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Frankfurt a. M. 1999. – 26 –
5. Abgefallene Könige in Northumbrien Während in Kent von einem Abfall des Volkes, genauer: eines Teils der Bevölkerung, die Rede ist, sind es in Northumbrien sogar die Könige selbst, die dem Christentum den Rücken kehren – und zwar für immer. Nachdem nämlich König Edwin im Jahre 633 verstarb, wurde sein Reich in zwei Teile aufgeteilt: in Deira, dem südlichen, folgte ihm Osric, in Bernicia, dem nördlichen, Eanfrith.35 Wie Beda, auch hier die Hauptquelle, mit Nachdruck betont, waren beide zu diesem Zeitpunkt Christen. Nachdem sie auf den Thron gelangt waren, sagten sie sich jedoch von ihrem Glauben los – oder, wie der Historiograph sich ausdrückt: Sie verrieten die Geheimnisse des himmlischen Königreichs, in die sie eingeweiht worden waren, verfluchten sie und kehrten zum alten Schmutz ihres Götzendienstes zurück, um sich damit zu besudeln und zugrundezurichten („priscis idolatriae sordibus polluendum perdendumque“).36 35
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Zur Geschichte Northumbriens im Frühmittelalter vgl. B. YORKE, Kings and Kingdoms (wie Anm. 26), S. 72–99 und 186–188; D. P. KIRBY, Earliest English Kings (wie Anm. 26), passim; vor allem aber N. J. HIG-HAM, Convert Kings (wie Anm. 26), S. 201–275, sowie DAVID ROLLA-SON, Northumbria, 500–1100. Creation and Destruction of a Kingdom, Cambridge 2003. Vgl. Beda, Historia ecclesiastica gentis Anglorum, edd. B. COLGRAVE/R. A. B. MYNORS (wie Anm. 27), lib. III, cap. 1: „At interfecto in pugna Eduino, suscepit pro illo regnum Deirorum, de qua prouincia ille generis prosapiam et primordia regni habuerat, filius patrui eius Aelfrici uocabulo Osric, qui ad praedicationem Paulini fidei erat sacramentis inbutus. Porro regnum Berniciorum (nam in has duas prouincias gens Nordanhymbrorum antiquitus diuisa erat) suscepit filius Aedilfridi, qui de illa prouincia generis et regni originem duxerat, nomine Eanfrid. Siquidem tempore toto quo regnauit Eduini, filii praefati regis Aedilfridi, qui ante illum regnauerat, cum magna nobilium iuuentute apud Scottos siue Pictos exulabant, ibique ad doctrinam Scottorum cathecizati et baptismatis sunt gratia recreati. Qui ut mortuo rege inimico patriam sunt redire permissi, accepit – 27 –
Ihrer Herrschaft war allerdings keine lange Dauer beschieden. Denn schon wenig später tötete sie Caedwalla, der König der Briten (von Gwynedd): zuerst Osric, dann Eanfrith – nach Beda eine gerechte Rache, wenn auch durch eine unfromme Hand („impia manu sed iusta ultione“). Sie bildet den Auftakt zu einer Regierung, die ausschließlich auf Gewalt gegründet war. Beda möchte daher Namen und Erinnerung dieser Herrscher aus der Geschichte streichen: der Northumbrier, weil sie Abtrünnige waren, des Briten als eines Tyrannen – der klassische Fall einer (hier gleich dreifachen) „damnatio memoriae“.37
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primus eorum, quem diximus, Eanfrid regnum Berniciorum. Qui uterque rex, ut terreni regnis infulas sortitus est, sacramenta regni caelestis, quibus initiatus erat, anathematizando prodidit, ac se priscis idolatriae sordibus polluendum perdendumque restituit“ (S. 212). Vgl. ebd.: „Nec mora, utrumque rex Brettonum Caedualla impia manu sed iusta ultione peremit. Et primo quidem proxima aestate Osricum, dum se in oppido municipio temerarie obsedisset, erumpens subito cum suis omnibus inparatum cum toto exercitu deleuit. Dein cum anno integro prouincias Nordanhymbrorum non ut rex uictor possideret, sed quasi tyrannus saeuiens disperderet ac tragica caede dilaceraret, tandem Eanfridum inconsulte ad se cum XII lectis militibus postulandae pacis gratia uenientem simili sorte damnauit. Infaustus ille annus et omnibus bonis exosus usque hodie permanet, tam propter apostasiam regum Anglorum, qua se fidei sacramentis exuerant, quam propter uaesanam Brettonici regis tyrannidem. Vnde cunctis placuit regum tempora computantibus ut, ablata de medio regum perfidiorum memoria, idem annus sequentis regis, id est Osualdi uiri Deo dilecti, regno adsignaretur. Quo post occisionem fratris Eanfridi superueniente cum paruo exercitu, sed fide Christi munito, infandus Brettonum dux cum inmensis illis copiis, quibus nihil resistere posse iactabat, interemtus est in loco, qui lingua Anglorum Denisesburna, id est Riuus Denisi, uocatur“ (S. 212–214). Die „damnatio memoriae“ wird im 9. Kapitel noch einmal wieder-holt: „Regnauit autem Osuald Christianissimus rex Nordanhymbrorum nouem annos, adnumerato etiam illo anno, quem et feralis impietas regis Brettonum et apostasia demens regum Anglorum detestabilem fecerat. Siquidem, ut supra docuimus, unanimo omnium consensu firmatum est, ut nomen et memoria apostatarum de catalogo regum Christianorum prorsus aboleri deberet, neque aliquis regno eorum annus adnotari“ (S. 240). – Zu den zahlreichen – 28 –
Pippin II. ist also nicht der erste christliche König, der sich von seiner Religion abgewandt hat; sowohl bei den Northumbriern als auch bei dem fränkischen Monarchen dürften dabei in erster Linie machtpolitische Gründe eine Rolle gespielt haben. Damit sind jedoch die Analogien – soweit zu erkennen – auch schon weitgehend erschöpft. Während nämlich das Christentum im Norden der britischen Insel zur Zeit Osrics und Eanfriths noch wenig gefestigt war, lag die Bekehrung der Franken im 9. Jahrhundert schon sehr lange zurück. Pippin II. entstammt einer Königsdynastie, für die das christliche Bekenntnis im Zentrum ihres Selbstverständnisses – und mehr noch: ihrer politischen Legitimation – stand.38
6. Eine Konversion im 9. Jahrhundert Der Religionswechsel der beiden angelsächsischen Könige fällt in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts. Es stellt sich daher die Frage, ob es auch aus der Zeit und aus dem Reich Pippins II. Beispiele für Konversionen weg vom Christentum gibt. Die Antwort lautet: Ja, es gibt zumindest eine – und es handelt sich dabei sogar um einen sehr prominenten Fall.39
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Facetten der mittelalterlichen „damnatio memoriae“ vgl. zuletzt ISA LORI SANFILIPPO/ANTONIO RIGON (Hrsg.), Condannare all’oblio. Pratiche della damnatio memoriae nel medioevo, Rom 2010. Eine systematische und zugleich umfassende Darstellung dieses zentralen Punktes fehlt nach wie vor. Zwei Bausteine, die durch andere ergänzt werden müssten, sind THEODOR ZWÖLFER, Sankt Peter. Apostelfürst und Himmelspförtner. Seine Verehrung bei den Angelsachsen und Franken, Stuttgart 1929; MARY GARRISON, The Franks as the New Israel? Education for an Identity from Pippin to Charlemagne, in: YITZHAK HEN/ MATTHEW J. INNES (Hrsg.) The Uses of Past in the Early Middle Ages, Cambridge 2000, S. 114–161. Er ist bereits in mehreren Arbeiten monographisch untersucht worden, vgl. vor allem MEYER KAYSERLING, Eleasar und Alvaro. Ein Fragment, – 29 –
Die Ereignisse sind auch hier vor allem aus den bereits erwähnten ‚Annales Bertiniani‘ bekannt, allerdings aus demjenigen Teil, der aus der Feder des königlichen Hofkaplans und späteren Bischofs von Troyes, Prudentius, stammt.40 Einige andere Quellen bestätigen wenigstens grundsätzlich diesen Bericht.41 Was ist geschehen? Im Jahre 838 unternahm der Pfalzdiakon Bodo eine Pilgerreise nach Rom, für die ihn das Kaiserpaar eigens freigestellt
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in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums IX 1860, S. 241–251; ALLEEN CABANISS, Bodo-Eleazar. A Famous Jewish Convert, in: Jewish Quarterly Review XLII 1952, S. 313–328; BERNARD BLUMENKRANZ, De nouveau sur Bodo-Eléazar?, in: Revue des Études Juives CXII 1953, S. 35–42; HEINZ LÖWE, Die Apostasie des Pfalzdiakon Bodo (838) und das Judentum der Chasaren, in: GERD ALTHOFF u. a. (Hrsg.), Person und Gemeinschaft im Mittelalter. FS Karl Schmid zum 65. Geburtstag, Sigmaringen 1988, S. 157–169; FRANK RIESS, From Aachen to Al-Andalus. The Journey of Deacon Bodo (823–876), in: Early Medieval Europe XIII 2005, S. 131–157. Prudentius (mit Taufnamen Galindo) stammte aus Spanien und war über die Historiographie hinaus auch im theologischen Bereich schriftstellerisch tätig. Am bekanntesten ist sein dezidiertes Votum zugunsten des Gottschalk von Orbais in der Prädestinationsdebatte. Die letzte umfassende Würdigung seines Œuvres stammt von MAX MANITIUS, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters I: Von Justinian bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts, Handbuch der Altertumswissenschaften IX, 2, München 1911, S. 344f. und 348; zu den Lebensdaten zuletzt PH. DEPREUX, Prosopographie (wie Anm. 6), S. 349–350. Vgl. vor allem Amulonis Epistola seu Liber contra Judaeos ad Carolum regem, ed. JACQUES-PAUL MIGNE, Patrologia Latina (künftig: PL) CXVI, Paris 1879, Sp. 141–184, hier cap. 42 (Sp. 170f.; als Verfasser der Epistola gilt heute der Diakon Florus von Lyon); Annales Augienses, ed. GEORG HEINRICH PERTZ, MGH SS I, Hannover 1826, S. 67–69, ad 838: „Puato diaconus palatii lapsus est in iudaismo“ (S. 68). In einer Fortsetzung dieser Annalen (ebd., S. 49 mit Anm. o) folgt eine Zeitbestimmung, die, wie der Editor zu Recht bemerkt hat, aus dem Eintrag zu 840 aus Versehen hierher gerutscht ist. F. RIESS, From Aachen (wie Anm. 39), S. 137 Anm. 8 berechnet daraus allen Ernstes „the exact time of apostasy“ auf den 22. Mai 838 zwischen acht und neun Uhr am Morgen! – 30 –
und mit zahlreichen Geschenken ausgestattet hatte. Unterwegs verließ er aber das Christentum und trat zum Judentum über („relicta christianitate ad iudaismum sese conuertisse“). Sein Neffe, der ihn begleitete, folgte ihm; alle übrigen, wahrscheinlich unfreie Bedienstete, verkaufte er an die „Heiden“. Der eigentliche Vorgang des Übertritts wird von dem Annalisten in seltener Ausführlichkeit geschildert: Nach einer Beratung Bodos mit nicht näher spezifizierten Juden – sagte er dem Glauben an Jesus Christus ab und bekannte sich als Jude, – ließ sich beschneiden, – ließ Haupthaare und Bart wachsen (als Kleriker trug er Tonsur und war rasiert), – änderte seinen Namen zu Eleazar, – legte ein Wehrgehänge um (als Kleriker durfte er keine Waffen tragen) – und heiratete die Tochter eines Juden. Sodann zog er zusammen mit anderen Juden auf die Iberische Halbinsel nach Saragossa. Dort, im muslimisch beherrschten Spanien, hat er noch längere Zeit gelebt. Zuletzt ist er im Jahre 847 bezeugt.42 42
Vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 839: „Interea lacrimabile nimiumque cunctis catholicae aecclesiae filiis ingemescendum, fama perferente, innotuit Bodonem diaconum, Alamannica gente progenitum et ab ipsis paene cunabulis in christiana religione palatinis eruditionibus diuinis humanisque litteris aliquatenus inbutum, qui anno praecedente Romam orationis gratia properandi licentiam ab augustis poposcerat multisque donariis mune-ratus impetrauerat, humani generis hoste pellectum, relicta christianitate ad iudaismum sese conuertisse. Et primum quidem consilio proditionis atque perditionis suae cum Iudaeis inito, quos secum adduxerat paganis uendendos, callide machinari non timuit; quibus distractis, uno tantummodo secum, qui nepos eius ferebatur, retento, abnegata – quod lacrimabiliter dicimus – Christi fide, sese Iudaeum professus est. Sicque circumcisus, capillisque ac barba crescentibus, et mutato potiusque usurpato Eleazari nomine, accinctus etiam cingulo militari, cuiusdam Iu-daei fili– 31 –
Dieser Bodo-Eleazar war nicht irgendwer. Er stammte aus alamannischem Adel und gehörte sogar wahrscheinlich zur Verwandtschaft der Kaiserin Judith. Fast von der Wiege an – so heißt es – wurde er am Kaiserhof in der christlichen Religion unterrichtet und erwarb sich beträchtliche Kenntnisse in den göttlichen wie in den menschlichen Wissenschaften. Es scheint daher durchaus glaubhaft, dass der Kaiser es zuerst nicht glauben wollte, als man ihm die Nachricht von der Konversion seines Hofgeistlichen überbrachte. Was waren die Gründe für diesen spektakulären Wechsel der Religion, der immerhin auch den völligen Abschied des Bekehrten von seiner bisherigen Umgebung nach sich zog? Darüber wurde bereits sehr viel spekuliert. So hat man zum Beispiel einen Zusammenhang mit Nachrichten vom machtvollen Königreich der Chasaren hergestellt, in dem das Judentum als Staatsreligion galt.43 Andere haben in Bodo einen Kritiker des kulturellen Programms der karolingischen Könige vermutet, dessen oppositionelle Haltung im Frankenreich damals kein Einzelfall gewesen sei.44 Diese Hypothesen stehen allerdings alle auf einer äußerst schwachen Basis und vermögen daher
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am sibi in matrimonium copulauit, coacto memorato nepote suo similiter ad iudaismum translato, tandemque cum Iudaeis, miserrima cu-piditate deuinctus, Caesaraugustam, urbem Hispaniae, mediante augusto mense ingressus est. Quod quantum augustis cunctisque christianae fidei gratia redemptis luctuosum extiterit, difficultas, qua imperatori id facile credendum persuaderi non potuit, patenter omnibus indicauit“ (S. 27f.). – An späterer Stelle wird noch einmal über Bodo berichtet, vgl. den Eintrag zu 847 (S. 53f.). So H. LÖWE, Apostasie (wie Anm. 39). – Über das jüdische Volk im Kaukasus vgl. zuletzt KEVIN ALAN BROOK, The Jews of Khazaria, Lanham u. a. 1999 (zu den jüdischen Proselyten, unter denen jedoch der fränkische Pfalzdiakon Bodo fehlt, vor allem S. 247–280); JACQUES PIAe e TIGORSKY/JACQUES SAPIR (Hrsg.), L’Empire khazar, VII –XI siècle. L’énigme d’un peuple cavalier, Collection Mémoires CXIV, Paris 2005 (auch zur Wirkungsgeschichte der Chasaren). Diese Meinung vertritt F. RIESS, From Aachen (wie Anm. 39). – 32 –
nicht recht zu überzeugen. Für Prudentius, den Verfasser der westfränkischen Annalen, waren es vor allem die Verlockungen des Teufels, des Verderbers des Menschengeschlechts, die Bodo zu Fall gebracht haben. Der Diakon Ludwigs des Frommen war nicht der einzige Christ, der während des Früh- und Hochmittelalters zum Judentum übergetreten ist. Ihm folgten weitere, darunter auffällig viele Kleriker. Einer davon war ein gewisser Priester Wenzelin, der in der Zeit Heinrichs II. lebte; er verfasste sogar, wie bei Neubekehrten häufig bezeugt, eine polemische Schrift gegen seine alte Religion, auf die im Auftrag des Kaisers der Presbyter Heinrich replizierte.45 Noch mehr Aufsehen erregte, wie es scheint, Erzbischof Andreas II. von Bari, der gegen Ende des 11. Jahrhunderts konvertierte; er verließ seine süditalienische Heimat, wurde in Konstantinopel beschnitten und verbrachte den Rest seines Lebens in Kairo.46 Er wurde wiederum zum Vorbild für einen Priester Johannes aus Oppido in Lukanien, der ebenfalls in den Orient emigrierte und dort bei seinem Wechsel zum Judentum den Namen Obadja annahm. Seine auf Hebräisch verfasste „Autobiographie“ sowie ein Teil seines
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Vgl. Alperti De diversitate temporum, ed. GEORG HEINRICH PERTZ, MGH SS IV, Hannover 1841, S. 700–723, hier lib. I, cap. 7 (S. 704) sowie lib. II, cap. 22–24 (S. 720–723). Dazu NORMAN GOLB, Notes on the Conversion of European Christians to Judaism in the Eleventh Century, in: Journal of Jewish Studies XVI 1965, S. 69–74. Die Konversion des Andreas von Bari ist nur aus den autobiographischen Aufzeichnungen des Johannes-Obadja bekannt (vgl. die folgende Anm.). Dazu BERNHARD BLUMENKRANZ, La conversion au Judaisme d’André, Archevêque de Bari, in: Journal of Jewish Studies XIV 1963, S. 33–36; CESARE COLLAFEMMINA, La conversione al giudaismo di Andrea, arcivescovo di Bari: una suggestione per Giovanni-Ovadiah da Oppido, in: ANTONIO DE ROSA/MAURO PERANI (Hrsg.), Giovanni-Ovadiah da Oppido, proselito, viaggiatore e musicista dell’età normanna, Testi e Studi [della Associazione italiana per lo studio del giudaismo] XVI, Florenz 2005, S. 55–65. – 33 –
liturgisch-musikalischen Œuvres hat sich in der Kairoer Geniza erhalten.47 Dies sind allerdings nur die prominentesten Fälle, denen sich weniger bekannte hinzufügen lassen.48 Wie es scheint ist allen diesen Bekehrungen gemein, dass sie in erster Linie aus 47
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Die Texte des Johannes-Obadja – seine autobiographische ‚Chronik‘ (fünf Fragmente), das letzte Blatt seines Gebetbuches mit Kolophon, ein liturgisches Gedicht mit Neumen sowie ein weiteres liturgisches Gedicht, bei dem Obadja im Akrostichon genannt wird – wurden sukzessive von SALOMON AARON WESTHEIMER (1901), ELKAN NATHAN ADLER (1919), JACOB MANN (1930), SHLOMO DOV GOITEIN (1953), ALEXANDER SCHREIBER (1954, 1968) sowie ISRAEL ADLER (1965) und NEHEMYA ALLONY (1965) veröffentlicht. Sie liegen heute in den Bibliotheken von Cambridge, Oxford, Budapest, New York und Cincinnati. Die Literatur dazu ist inzwischen bereits sehr umfangreich, vgl. daraus vor allem ALEXANDER SCHREIBER, Der Lebenslauf des Johannes-Obadja aus Oppido, in: DERS., Geniza Studies, Collectanea XVII, Hildesheim 1981, S. 453– 476 (zuerst 1975, mit einer umfassenden Bibliographie); JOSHUA PRAWER, The Autobiography of Obadyah the Norman, a Convert to Judaism at the Time of the First Crusade, in: ISADORE TWERSKY (Hrsg.), Studies in Medieval Jewish History and Literature I, Cambridge/London 1979, S. 110–134; sowie die rund zwanzig Beiträge in ANTONIO DE ROSA/MAURO PERANI (Hrsg.), Giovanni-Ovadiah da Oppido, proselito, viaggiatore e musicista dell’età normanna, Testi e Studi [della Associazione italiana per lo studio del giudaismo] XVI, Florenz 2005; in dem zuletzt genannten Werk werden alle Fragmente präzise beschrieben (S. 245–258), ins Italienische übersetzt (S. 259–279) und als Faksimile beigegeben (S. 281– 303). Vgl. BERNHARD BLUMENKRANZ, Jüdische und christliche Konvertiten im jüdisch-christlichen Religionsgespräch des Mittelalters, in: PAUL WILPERT (Hrsg.), Judentum im Mittelalter. Beiträge zum christlichjüdischen Gespräch, Miscellanea Mediaevalia IV, Berlin 1966, Sp. 264– 282; WOLFGANG GIESE, In Iudaismum lapsus est. Jüdische Proselytenmacherei im frühen und hohen Mittelalter (600–1300), in: Historisches Jahrbuch LXXXVIII 1968, S. 407–418; SIMON SCHOON, Noachides and Converts to Judaism, in: JAN N. BREMMER/WOUT J. VAN BEKKUM/ARIE L. MOLENDIJK (Hrsg.), Cultures of Conversions, Löwen/Paris/Dudley 2006, S. 111–126, besonders S. 122f. Eine systematische Zusammenstellung für das gesamte europäische Mittelalter steht noch aus. – 34 –
persönlichen, vielleicht sogar aus theologischen Motiven erfolgten (zumal wenn man den hohen Anteil von Priestern bedenkt). Genau darin liegt aber ein entscheidender Unterschied zu Pippin II., dessen Religionswechsel offenbar ausschließlich politisch motiviert war.
7. Der Königssohn als neuer Julian Die fränkische Geschichte des 8. und 9. Jahrhunderts ist von schweren Konflikten innerhalb der karolingischen Familie geprägt. Die Zeit Karls des Kahlen bietet geradezu eine Fülle von Beispielen dafür.49 Der König stand nicht nur in schweren Auseinandersetzungen mit seinem Neffen in Aquitanien, sondern lag auch über viele Jahre mit Karlmann, seinem drittgeborenen Sohn, in offenem Streit. Soweit zu erkennen ist, ging es dabei in allererster Linie um die Frage des politischen Erbes. Karl der Kahle hatte als seine Nachfolger im westfränkischen Königtum nur die beiden ältesten Söhne, Ludwig und Karl, bestimmt; die beiden nächsten, Karlmann und Lothar, erhielten schon als Knaben die Tonsur. Das bedeutete allerdings nicht die politische Bedeutungslosigkeit; Karlmann war zuletzt Abt von sechs renommierten fränkischen Klöstern. Doch damit – so zumindest scheint es – waren die Ambitionen des Drittgeborenen noch längst nicht gestillt: Er strebte offenbar eine Berücksichtigung in der Thronfolge an. Sein Vater lehnte dies jedoch ab, entzog ihm alle Abteien und setzte ihn 49
Die sogenannte Familienpolitik wurde vor allem im Hinblick auf die Ottonen thematisiert, vgl. zum Beispiel WINFRID GLOCKER, Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung in der Politik. Studien zur Familienpolitik und zur Genealogie des sächsischen Königshauses, Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte V, Köln/Wien 1989. Für die Karolinger vgl. am ehesten B. KASTEN, Königssöhne und Königsherrschaft (wie Anm. 11). – 35 –
(wie zuvor schon seinen Neffen Pippin) in Senlis gefangen. Bereits kurz darauf kam er allerdings wieder frei, sammelte seine Anhänger um sich und griff zur Gewalt; beinahe ein Jahr lang herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände im westfränkischen Reich, die erst durch die erneute Gefangennahme Karlmanns beendet wurden. Daraufhin machte man ihm den Prozess: Auf einer Synode wurde er degradiert, zum Tode verurteilt und zur Blendung begnadigt. Soweit – stark gerafft – die Ereignisse. Taten und Schicksal dieses Königssohns haben auch die Nachwelt noch intensiv beschäftigt. So fügte zum Beispiel der 915 verstorbene Regino von Prüm eine biographische Skizze Karlmanns in seine Weltgeschichte ein. Darin beschreibt er zunächst dessen kirchlich-monastische Karriere, bei der er es bis zur Würde eines Diakons gebracht, das heißt: öffentlich das Evangelium vorgelesen und bei der Messe dem Bischof ministriert habe. Dann folgt der hier interessierende Passus: Später habe Karlmann „per apostasiam“ die kirchliche Religion verlassen sowie mit Geringschätzung die Gnade verschmäht, die ihm durch Handauflegung verliehen worden sei. Dadurch sei er – so der abschließende Vergleich – zu einem neuen Julian geworden („alter Iulianus efficitur“).50 50
Reginonis abbatis Prumiensis Chronicon, ed. FRIEDRICH KURZE, MGH SS rer Germ L, Hannover 1890, ad 870: „Porro Carlomannus, cum adhuc esset puerulus, iussu patris adtonsus clericus effectus est; dehinc procedente tempore ad diaconatus officium, quamvis invitus atque coactus, in presentia genitoris ordinatus est legitque publice evangelium et pontifici missam celebranti iuxta morem ministravit. Post haec per apostasiam recedens ab ecclesiastica religione, abiciens ac spernens neglegenter gratiam, quae ei data erat per impositionem manus, alter Iulianus efficitur“ (S. 101f.). Über die Weltchronik Reginos vgl. W. WATTENBACH/W. LEVISON/H. LÖWE, Deutschlands Geschichtsquellen (wie Anm. 6), S. 901– 904; HANS-HENNING KORTÜM, Weltgeschichte am Ausgang der Karolingerzeit: Regino von Prüm, in: ANTON SCHARER/ GEORG SCHEIBELREITER (Hrsg.), Historiographie im frühen Mittelalter, Veröffentlichun– 36 –
Bemerkenswert an dieser Darstellung des Regino von Prüm ist, dass „Apostasie“ nicht in derselben Bedeutung wie in den bisher untersuchten Fällen gebraucht wird. Hier ist nämlich eindeutig nicht die Abwendung vom Christentum und die Hinwendung zu einer anderen Religion gemeint, sondern das Verlassen des Mönchs- bzw. Priesterstandes. Ganz entsprechend meint das Verbum „converti“ im Mittellateinischen nicht nur „sich einer bestimmten Religion zuwenden“, sondern wesentlich häufiger: „sich für das klösterliche Leben entscheiden“ bzw. „in den Klerus eintreten“.51 Hinter dieser semantischen Erweiterung steckt das Konzept der „sekundären“ bzw. der „Binnenkonversion“ (Hubert Mohr). Ihm liegt die Vorstellung zugrunde, dass es neben dem Christentum der Vielen noch eine höherwertige christliche Existenz gebe: die des Priesters oder des Mönchs.52 Man kann also primär zum Christentum konvertieren und sekundär zum Geistlichen im weiteren Sinne. Dasselbe gilt entsprechend für die Apostasie: Neben der primären „apostasia a fide“ gibt es eine sekundäre „apostasia ab ordine“ (Verlassen des Klerus) bzw. eine „apostasia a religione“ (Verlassen des Mönchsstandes) – so die Nomenklatur des kanonischen Rechts.53
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gen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung XXXII, Wien/München 1994, S. 499–513. Zum weiteren Schicksal Karl-manns vgl. zuletzt ACHIM THOMAS HACK, Alter, Krankheit, Tod und Herrschaft im frühen Mittelalter. Das Beispiel der Karolinger, Monographien zur Geschichte des Mittelalters LVI, Stuttgart 2009, S. 288–293. Vgl. Thesaurus Linguae Latinae IV, Leipzig 1909, Sp. 858–869, besonders Sp. 868f.; Mittellateinisches Wörterbuch II, München 1959, Sp. 1832–1839. Systematisch dazu HUBERT MOHR, Art. Konversion/Apostasie, in: Handwörterbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe III, Stuttgart/Berlin/Köln 1993, S. 436–445, besonders S. 437. Vgl. PAUL HINSCHIUS, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland I–VI, Berlin 1869–1897, hier Bd. IV, S. 746 und 830f.; Bd. V, S. 157–160 und 686f.; WILLIBALD M. PLÖCHL, Geschichte des Kirchenrechts I–V, Wien/München 1953–1969, hier Bd. – 37 –
Wirft man vor diesem Hintergrund noch einmal einen Blick auf den Bericht der Annalen von Saint-Bertin zu 864, so fällt auf, dass „apostasia“ auch hier in diesem zweiten Sinne gemeint ist: Denn Pippin, so heißt es, sei vom Mönch zum Laien und Apostaten geworden; „ex monacho laicus et apostata factus“ gehört, was häufig übersehen wird, syntaktisch und inhaltlich zusammen. Doch damit nicht genug: der Annalist berichtet außerdem auch noch von einer primären Apostasie des Königs der Aquitanier; dies geschieht allerdings erst in den letzten drei Worten des angeführten Satzes: „se Nortmannis coniungit et ritum eorum seruat.“ Was Karlmann, den Sohn Karls des Kahlen betrifft, so ist schon der Vergleich mit dem zutiefst verhassten Kaiser an und für sich sehr ungewöhnlich.54 Noch mehr fällt allerdings auf, dass ihm Apostasien ganz unterschiedlicher Art zugrunde liegen: die primäre im Falle Kaiser Julians, die sekundäre bei dem karolingischen Aspiranten.55
8. Bekehrung und politisches Bündnis Der Religionswechsel Pippins II. steht nach dem Bericht der ‚Annales Bertiniani‘ in einem ganz spezifischen Zusammen-
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II, S. 259; Bd. IV, S. 258f.; Bd. V, S. 42, 89. – Daneben werden auch die Termini „apostasia perfidiae“, „apostasia a clericatu“ und „apostasia a monachatu“ entsprechend gebraucht, vgl. AUDOMAR SCHERMANN, Art. Apostasie II: Kirchenrecht, in: Lexikon des Mittelalters I, München/Zürich 1980, Sp. 780. Zu dieser Art von Vergleichen, die allerdings überwiegend positiv sind, s. ACHIM THOMAS HACK, Codex Carolinus. Päpstliche Epistolographie im 8. Jahrhundert, Päpste und Papsttum XXXV, Stuttgart 2006/07, S. 409– 421. Über die Kenntnis sowie die Rezeption Julians im Mittelalter vgl. K. ROSEN, Julian (wie Anm. 17), S. 394–417, mit einem kurzen Hinweis auf Karlmann (S. 404). – 38 –
hang: einem Bündnis mit den Normannen. Diese Darstellung erscheint ohne weiteres plausibel, wie ein kurzer Vergleich mit anderen Bekehrungen im 9. Jahrhundert zeigt. Die Konversionen von Herrschern im frühen Mittelalter werden in den Quellen mit großer Regelmäßigkeit als Akte religiöser Überzeugung dargestellt. Diese Einschätzung erklärt sich vor allem aus der Tatsache, dass die Verfasser der entsprechenden Texte fast ohne jede Ausnahme christliche Kleriker oder Mönche waren. Dennoch gibt es genügend Hinweise, dass gerade bei den Machthabern unterschiedlicher Couleur politische Motive klar im Vordergrund standen. Ein sehr aufschlussreiches Beispiel stellt die Bekehrung des dänischen Königs Harald dar, eines Herrschers also, den man durchaus den Normannen zurechnen kann. Zwar ist die Vorgeschichte seines Übertritts im Detail nur schwer nachzuvollziehen, die Grundlinien lassen sich jedoch recht gut erkennen. Ausgangspunkt ist jedenfalls der gewaltsame Tod König Gottfrieds im Jahre 810, der zu schweren Auseinandersetzungen um die Nachfolge führte: Auf der einen Seite standen die beiden Söhne des Verstorbenen, auf der anderen Harald – seit 812 förmlich König – und sein Clan. In dieser schwierigen Situation suchte der zuletzt Genannte immer wieder Unterstützung bei den benachbarten Franken und war dafür sogar bereit, deren Christentum anzunehmen. Die Taufe selbst fand 826 in Sankt Alban zu Mainz statt, die anschließenden Feierlichkeiten in der nahe gelegenen Pfalz Ingelheim.56 56
Vgl. dazu mit unterschiedlicher Perspektive RAIMUND ERNST, Karolingische Nordostpolitik zur Zeit Ludwigs des Frommen, in: CARSTEN GOEHRKE/ERWIN OBERLÄNDER/DIETER WOJTECKI (Hrsg.), Östliches Europa – Spiegel der Geschichte. FS Manfred Hellmann zum 65. Geburtstag, Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa IX, Wiesbaden 1977, S. 81–107; KARL HAUCK, Der Missionsauftrag Christi und das Kaisertum Ludwigs des Frommen, in: ROGER COLLINS/PETER GODMAN (Hrsg), Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious, Oxford 1990, S. 275–296, hier S. 289–296; ARNULF KRAUSE, Art. – 39 –
Über dieses Ereignis sind wir vor allem deshalb so gut informiert, weil der Dichter Ermoldus Nigellus einen ungewöhnlich ausführlichen Bericht darüber hinterlassen hat: über 350 Verse in seinem panegyrischen Epos ‚In honorem Hludowici augusti‘.57 Die Taufe erfolgt demnach streng nach dem Rang – zuerst der König, dann seine Familie und zuletzt das offenbar sehr zahlreiche Gefolge. Die fränkischen Gastgeber übernahmen (nach byzantinischem Vorbild) die Patenschaft, wobei man auf symmetrische Zuordnungen bedacht war:58 Kaiser
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Haraldr (Klakk-Haraldr), in: RGA XIII, Berlin/New York 1999, S. 637f.; SIMON COUPLAND, From Poachers to Gamekeepers. Scandinavian Warlords and Carolingian Kings, in: Early Medieval Europe VII 1998, S. 85– 114, hier S. 89–93; ferner die in Anm. 58 angeführte Arbeit von A. ANGENENDT. Vgl. In honorem Hludowici christianissimi caesaris augusti Ermoldi Nigelli Elegiacum Carmen, ed. EDMOND FARAL, in: Ermold le Noir, Poème sur Louis le Pieux et épitres au roi Pépin, Les classiques de l’histoire de France au moyen-âge XIV, Paris ²1964, S. 1–201 (zuerst 1932), vv. 2164–2529 (S. 166–192). Zu diesem Werk vgl. neben der Einleitung des Editors zuletzt WALTER BERSCHIN, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter III, Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters X, Stuttgart 1991, S. 220–223 (mit der älteren Literatur). Die Idee einer „Familie der Könige“ und ihr Zusammenhang mit der Herrschertaufe wurde zuerst von der byzantinistischen Forschung entdeckt, vgl. FRANZ DÖLGER, Die „Familie der Könige“, in: DERS., Byzanz und die europäische Staatenwelt. Ausgewählte Vorträge und Aufsätze, Darmstadt 1964, S. 34–69 (und weitere Beiträge im selben Sammelband); HANS-GEORG BECK, Christliche Mission und politische Propaganda im byzantinischen Reich, in: La conversione al cristianesimo nell’Europa dell’alto medioevo, Settimane di Studi del Centro italiano di Studi sull’alto medioevo XIV, Spoleto 1967, S. 649–674; zuletzt ALEXANDER MARKUS SCHILLING, Die Anbetung der Magier und die Taufe der Sāsāniden. Zur Geistesgeschichte des iranischen Christentums in der Spätantike, Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium DCXXI, Subsidia CXX, Löwen 2008. Für den lateinischen Westen vgl. ARNOLD ANGE-NENDT, Kaiserherrschaft und Königstaufe. Kaiser, Könige und Päpste als geistliche Patrone in der abendländischen Missionsgeschichte, Arbei– 40 –
Ludwig hob König Harald aus der Taufe, seine Gattin dessen Frau, König Lothar deren Sohn, der fränkische Adel schließlich das dänische Gefolge. Wenig später folgte der politische Akt im engeren Sinn: Harald huldigte Ludwig in aller Form und wurde dessen Lehensmann. Der Dichter – und das verdient hier Beachtung – stellt direkte Relationen zwischen den himmlischen und den irdischen Machtverhältnissen her; er lässt nämlich den dänischen König zu Ludwig dem Frommen sagen: „Idola cuncta mihi ut cedat pro nomine Christi, / Sicque potestates nomine quippe tuo“ („Wie vor dem Namen des Herrn mir zurückstehn sämmtliche Götzen, / So Dein Name mir gilt höher denn andre Gewalt“).59 Die Taufe von 826 war vielleicht eine der prunkvollsten im 9. Jahrhundert, aber keineswegs die einzige ihrer Art. Zum Jahr 862 berichten die schon wiederholt genannten Annalen von Saint-Bertin, ein gewisser Weland sei mit seiner Frau und seinen Kindern zu König Karl dem Kahlen gekommen; sie alle hätten das Christentum angenommen.60 Die Bedeutung dieses Vorgangs kann man nur verstehen, wenn man weiß, dass Weland einer jener normannischen Anführer war, der zuvor jahrelang die westfränkischen Gebiete mit Gewalt überzogen hatte – an der Spitze einer hundert, zweihundert oder noch mehr Schiffe zählenden Flotte. Nach seiner Taufe blieb er in der Umgebung des fränkischen Königs und unterstütze ihn auch militä-
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ten zur Frühmittelalterforschung XV, Berlin/New York 1984, zur Taufe Haralds S. 215–223. Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici, ed. E. FARAL (wie Anm. 57), vv. 2474f. (S. 188). Für die Übertragung bzw. die Nachdichtung vgl. Ermoldus Nigellus, Lobgedicht auf Kaiser Ludwig, dt. von THEODOR G. PFUND, Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit (2. Gesamtausgabe) XVIII, Leipzig 1889, S. 92. Vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 862: „Vuelandus cum uxore et filiis ad Karolum uenit et christianus cum suis efficitur“ (S. 90). – 41 –
risch. Mit seinem Übertritt zum Christentum war er offenkundig auch zum Vasall des Karolingers geworden.61 Auch Pippin II. von Aquitanien suchte die militärische Unterstützung der Normannen – und dies sogar gleich mehrfach. Schon 857 berichten die westfränkischen Reichsannalen, der König habe sich mit den „dänischen Piraten“ verbündet, die Stadt Poitiers verwüstet und viele andere Orte in Aquitanien entvölkert:62 eine offensichtlich delegitimierende Darstellung des Sachverhalts. Danach wird erst für 864 wieder eine entsprechende „Allianz“ gemeldet, was natürlich nicht zu bedeuten braucht, dass es in den Jahren dazwischen keine gab.63 61
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Die Dänen hatten unter der Führung Welands die großen Ströme des Westfrankenreichs befahren, aber auch Expeditionen nach England unternommen. An einer Stelle ist von über 200 Schiffen die Rede. Karl der Kahle versuchte sie durch hohe Soldzahlungen bzw. Tribute für den Kampf gegen andere Normannen zu gewinnen. Eine persönliche Kommendation Welands mit Treueid wird zum Jahr 862 kurz vor dessen Taufe erwähnt. Schon im folgenden Jahr wurde der Anführer vor den Augen des Königs bei einem Zweikampf getötet. Vgl. vor allem Annales Bertiniani (wie Anm. 1) ad 860–863; dazu W. VOGEL, Normannen (wie Anm. 1), S. 171, 179–187, 192f.; H. ZETTEL, Normannen (wie Anm. 1), S. 167f.; J. L. NELSON, Charles the Bald (wie Anm. 11), S. 194, 204–206, 259; S. COUPLAND, Poachers (wie Anm. 56), S. 104–107. Vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 857: „Pippinus Danorum pyratis sociatur, Pictauorum ciuitatem deuastat et multa alia Aquitaniae loca depopulat“ (S. 74). – Zur Darstellung der Normannen als „Piraten“ oder „Seeräuber“ vgl. H. ZETTEL, Bild der Normannen (wie Anm. 1), S. 54–57. Zur eigenen Sicht vgl. DETLEV ELLMERS, Die Wikinger und ihre Schiffe, in: VOLKER GRIEB/ SABINE TODT (Hrsg.), Piraterie von der Antike bis zur Gegenwart, Beihefte der Historischen Mitteilungen LXXXI, Stuttgart 2012, S. 93–114 (zum Begriff der Piraterie vgl. das Einleitungskapitel der beiden Herausgeber, S. 9–20, zum Aspekt der Illegitimität S. 12f.). Über den Gegensatz Wasser – Land vgl. THORSTEN CAPELLE, Karolingische Landratten und normannische Seefahrer, in: Deutsches Schiffahrtsarchiv XXV 2002, S. 57–62. Bündnisse mit den Normannen sind im 9. Jahrhundert häufig bezeugt; auch für karolingische Herrscher waren sie kein Tabu, wie die lange Liste – 42 –
Wie diese Beispiele gezeigt haben, gehören Konversion und politisch-militärisches Bündnis durchaus zusammen, wenn dies auch keine zwangsläufige und exklusive Verbindung ist. Mit seinem Verhalten im Jahre 864 steht also Pippin II. ganz und gar nicht allein. Ungewöhnlich ist lediglich die Richtung der Bekehrung: nicht zum Christentum hin, sondern hier einmal umgekehrt. Diese Richtung ist nun aber ein sicherer Indikator für das momentane Machtgefälle – und damit der beste Beweis, wie schwierig die Lage für den (ehemaligen) König der Aquitanier damals bereits war.
9. Das Ende des Apostaten Was kann man über das Leben Pippins II. nach seiner Konversion sagen? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Karolinger sein Heil bei den Normannen suchte – und das ist ganz wörtlich gemeint: Er lebte offenbar (samt seinen Anhängern) in ihrem Gefolge. Wenn er nämlich tatsächlich, wie berichtet, der Religion der Skandinavier folgte, so konnte das nur in gelebter Gemeinschaft mit diesen geschehen. Die Formulierung des Annalisten, „se Nortmannis coniungit“, gibt diese Bedeutung durchaus her. (Dass sich Pippin die Normannen zur Hilfe geholt habe, mag vielleicht für 857 zutreffen, 864 hat er sich ihnen angeschlossen.) Was bedeutet aber diese Konversion konkret? Das ist im Einzelnen schwer zu sagen – vor allem deshalb, weil über die Religion der Normannen nur wenige schriftliche Berichte überliefert sind, und diese wenigen stammen ausnahmslos von Nicht-Normannen. Mit anderen Worten: Wir kennen die skandinavische Religion des frühen Mittelalters nur aus der Außenbei L. AUZIAS, L’Aquitaine carolingienne (wie Anm. 4), S. 324f. Anm. 56, zeigt; zuletzt dazu vor allem S. COUPLAND, Poachers (wie Anm. 56). – 43 –
perspektive – und aus archäologischen Befunden, die, was ihren religiösen Gehalt betrifft, oft nur sehr schwer zu interpretieren sind.64 Religion lässt sich, ganz grob gesprochen, in zwei große Bereiche unterteilen: einen kognitiven Teil (Theologien, Mythen etc.) und den Komplex der religiös motivierten Handlungen (Rituale, Zeremonien etc.). Die schon mehrfach zitierten Annalen berichten, Pippin habe die Religionspraktiken der Normannen befolgt („ritum eorum seruat“), und sprechen also ausdrücklich den zweiten Bereich an. Man wird also vielleicht an Opfer, an das gerade im Krieg wichtige Prodigienwesen, an Begräbnisriten usw. denken müssen, die selbstverständlicher Bestandteil der Gesellschaft und damit auch für den neuen Verbündeten verpflichtend waren.65 Komplexere theologische Konzepte scheinen bei Konversionen in die eine wie in die andere Richtung gemeinhin eine nachgeordnete Rolle gespielt zu haben. Die Zugehörigkeit Pippins zu seiner neuen Religion war nur von kurzer Dauer: Sie währte gerade einmal ein paar Monate lang. Noch zum selben Jahr, 864, erfahren wir aus den Annalen des Hinkmar von Reims, dass der „Apostat“ – er wird bei dieser Gelegenheit noch einmal so genannt – durch eine List 64
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Für die weitgehend schriftlose Religion im frühmittelalterlichen Skandinavien werden drei Gruppen von Texten herangezogen: 1. antike Autoren, allen voran Tacitus, Verfasser der Germania; 2. die Berichte mittelalterlicher Missionare, wie zum Beispiel Rimberts ‚Vita‘ des Ansgar von Hamburg und Bremen; 3. nordische Texte einer wesentlich späteren Zeit. Dabei ist es in aller Regel sehr unsicher, ob die Aussagen zutreffend und über ihren konkreten Kontext hinaus übertragbar sind. – Zur (ziemlich geringen) Rolle der Religion in der (Fremd-)Wahrnehmung der Normannen vgl. H. ZETTEL, Bild der Normannen (wie Anm. 1), S. 106–109. Vgl. zur Einführung die entsprechenden Abschnitte bei BERNHARD MAIER, Die Religion der Germanen. Götter – Mythen – Weltbild, München 2003; sowie ANDERS HULTGÅRD, Art. Religion, in: RGA XXIV, Berlin/New York 2003, S. 429–457. – 44 –
gefangen genommen worden sei und zwar aus der Gemeinschaft der Normannen heraus („a Nortmannorum collegio“): ein deutlicher Beleg, dass der Karolinger nun mit und bei seinen Verbündeten lebte.66 Wie aus anderen Quellen zu entnehmen ist, hatte Pippin gemeinsam mit ihnen die Stadt Toulouse belagert, allerdings ohne nennenswerten Erfolg.67 Der Gefangene wurde nach Pîtres gebracht, wo Karl der Kahle zu Beginn des Juni einen Hoftag sowie eine Synode abhielt.68 Dort wurde der Herrscher vorgeführt („praesentatur“)
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Vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 864: „Pippinus apostata a Nortmannorum collegio ab Aquitanis ingenio capitur“ (S. 113). – Nach der ersten Fortsetzung der Chronik des Ado von Vienne hat Graf Ramnulf I. von Poitou 864 Pippin II. festgenommen; der Historiograph fügt folgende Kurzvita des Karolingers in sein Œuvre ein: „Carolus quoque medietatem Franciae ab occidente, et totam Neustriam, Britanniam, et maximam partem Bur-gundiae, Gotiam, Vasconiam, Aquitaniam, submoto inde Pippino filio Pippini, et in monasterio sancti Medardi attonso; qui postea inde per fugam elapsus, Aquitaniam regressus, multo tempore fugiendo latuit, ite-rumque a Ranulpho praefato per fidem deceptus est, et ad Carolum adductus, Silvanectum perpetuo est exilio detrusus“ (Ex Adonis archi-episcopi Viennensis Chronicon, ed. GEORG HEINRICH PERTZ, MGH SS II, Hannover 1829, S. 315– 326, hier S. 324 [Continuatio prima]). Vgl. LÉON LEVILLAIN, La translation des reliques de Saint Austremoine (863) à Mozac et le diplôme de Pépin II d’Aquitaine, in: Le Moyen Âge XVII 1904, S. 281–337; FERDINAND LOT, La Loire, l’Aquitaine et la Seine de 862 à 866. Robert le Fort, in: Bibliothèque de l’École des chartes LXXVI 1915, S. 473–510; JOSEPH CALMETTE, Le siège de Toulouse par les Normands en 864 et les circonstances qui s’y rattachent, in: Annales du midi XXIX/XXX 1917/18, S. 153–174. Über Hoftag und Synode in Pîtres berichten vor allem die Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 864 (S. 113). Sowohl das dort erlassene Kapitular (Capitularia regum Francorum II, edd. ALFRED BORETIUS/VICTOR KRAUSE, Hannover 1897, Nr. 273, S. 310–328) als auch die Akten der Synode (Concilia aevi Karolini DCCCLX–DCCCLXXIV, ed. WILFRIED HARTMANN, MGH Concilia IV, Hannover 1998, Nr. 19, S. 169–174) sind überliefert. Über die Versamm– 45 –
und zuerst von den Großen des Reiches zum Tode verurteilt („ad mortem diiudicatur“) – und zwar als Verräter des Vaterlandes und der Christenheit („ut patriae et christianitatis proditor“), wie es ausdrücklich heißt. Vermutlich unmittelbar im Anschluss daran hat man ihn aber begnadigt und zur strengen Haft nach Senlis gebracht.69 Offenbar aus dieser Zeit ist ein Gutachten überliefert, das höchstwahrscheinlich ebenfalls von Hinkmar von Reims stammt. Es ist an einen anonymen Adressaten gerichtet, der es Karl dem Kahlen vorlegen sollte. Die Frage, wie mit dem gefallenen König umzugehen sei, wird darin mit Hilfe einer Fülle autoritativer Texte diskutiert. Zum Schluss mahnt der gelehrte Verfasser, Pippin zur Buße und Haft in ein geeignetes Kloster einzuweisen, so dass er zu dem zuvor Erbrochenen nicht zurückkehren könne, selbst wenn ihn der Teufel dazu überreden sollte („ut ad pristinum vomitum redire nequeat, etiamsi diabolo suadente voluerit“).70
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lung vgl. etwa W. VOGEL, Normannen (wie Anm. 1), S. 203–208; J. L. NELSON, Charles the Bald (wie Anm. 11), S. 207–209. Vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 864: „Pippinus apostata (...) in eodem placito praesentatur et primum a regni primoribus ut patriae et christianitatis proditor et demum generaliter ab omnibus ad mortem diiudicatur et in Siluanectis artissima custodia religatur“ (S. 113). Vgl. Hinkmari archiepiscopi Remensis Epistolae, ed. ERNST PERELS, MGH Epp VIII, 1, Berlin 1939, Nr. 170 (S. 163–165). Das Schreiben ist fragmentarisch überliefert, ohne Absender, Adressat und Datum; ältester Textzeuge ist die Editio princeps von Jacques Sirmond aus dem Jahre 1645. Dass es für den König bestimmt war, geht aus der Aufforderung zu Beginn des letzten Absatzes hervor: „Accipe, frater et fili, istam rotulam, sed et illam de cognatione non coniungenda, et porta illas domno regi et relege coram illo ...“ (S. 165). Vgl. dazu H. SCHRÖRS, Hinkmar von Reims (wie Anm. 6), S. 236 mit Regest 175 (S. 530); und L. AUZIAS, L’Aquitaine carolingienne (wie Anm. 4), S. 330–333. Dem Gutachten Hinkmars zufolge muss Pippin II. verheiratet gewesen sein; er wirft ihm – 46 –
Dem Bericht der ‚Annales Bertiniani‘ zufolge wurde Pippin tatsächlich nach Senlis gebracht, eine auf römische Wurzeln zurückgehende Stadt, die im 9. Jahrhundert immer wieder als „Hochsicherheitsgefängnis“ (vgl. „artissima custodia“) in Erscheinung tritt. Über den Rivalen Karls des Kahlen hören wir von da an nichts mehr. Wie viele andere Gegner der siegreichen Karolinger – man denke an den Langobardenkönig Desiderius, den Sachsenführer Widukind, den Bayernherzog Tassilo und viele weitere – ist er nie mehr auf die politische Bühne zurückgekehrt.71 Nach Darstellung des erwähnten Gutachtens soll Pippin schon vor seiner Inhaftierung von Lähmung („paralysis“) geplagt gewesen sein.72 Nicht einmal Ort und Zeitpunkt seines Todes sind bekannt.
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nämlich unter anderem eine zu nahe Verwandtschaft mit seiner Frau vor – eine Tatsache, die bisher kaum beachtet worden ist. Über die Klosterhaft vgl. KLAUS SPRIGADE, Die Einweisung ins Kloster und in den geistlichen Stand als politische Maßnahme im frühen Mittelalter, Heidelberg 1964, zu Pippin II. S. 89–94. Für die normativen Quellen, die, wie Hinkmars Gutachten, vor allem den bessernden Charakter der Klöster betonen, vgl. KARL LEO NOETHLICHS, Das Kloster als „Strafanstalt“ im kirchlichen und weltlichen Recht der Spätantike, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte Kanonistische Abteilung LXXX 1994, S. 18–40 (ohne Kenntnis der Arbeit von Sprigade); aus rechtshistorischer Perspektive ELSE EBEL/DAVID HERZOG, Art. Gefangenschaft, in: RGA X, Berlin/ New York 1998, S. 521–529. Über die Haftanstalten für hochgestellte Gefangene in karolingischer Zeit vgl. auch die Ausführungen weiter unten (Exkurs 2). Vgl. Hinkmari Epistolae, ed. E. PERELS (wie Anm. 70), Nr. 170 (S. 164): „Quia vero, ut audivi, paralysi solet Pippinus percuti ...“ Aufgrund dieser Krankheit fordert Hinkmar – frühere Papstentscheide zitierend – eine milde Kirchenbuße. – 47 –
10. Christianisierung als Globalisierung Wer sich mit der Geschichte des Mittelalters – und besonders des frühen und hohen Mittelalters – beschäftigt, hat fast zwangsläufig immer wieder mit der Christianisierung zu tun: die Bekehrung der Goten, der Vandalen, der Franken, der Sachsen, der Mährer, der Ungarn, der Schweden usw. usf.73 Umgekehrte Bekehrungen, weg vom Christentum, werden so gut wie nie thematisiert. Dennoch hat es sie gegeben, wie sich zumindest an einzelnen Beispielen aufzeigen lässt. Ein sehr eindrückliches Beispiel ereignete sich im Jahre 864. Pippin II., der seit Jahrzehnten um sein Erbe als König von Aquitanien mit wechselndem Erfolg gekämpft hatte, schloss sich zu Beginn dieses Jahres den Normannen an und konvertierte zu ihrer Religion. Er ließ sich damit offenbar vor allem auf ihre Kultpraxis ein – eine beinahe zwangsläufige Folge des Zusammenlebens im Alltag. Dass diese neue Zugehörigkeit nur eine kurze Episode blieb, erklärt sich aus dem Fortgang der Ereignisse: Der Karolinger wurde noch im selben Jahr festgenommen, ausgeliefert, verurteilt und endete schließlich in strenger Haft. Im Unterschied zu der zweiten berühmten Bekehrung im Frankenreich – der des Pfalzdiakons Bodo zum Judentum rund zwei Jahrzehnte zuvor – sind bei Pippin keine religiösen Motive im engeren Sinne anzunehmen. Dieser Befund lässt sich sehr 73
Für diese Fragestellung – bezogen auf das erste Jahrtausend – nach wie vor am besten: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte, hg. HEINZGÜNTER FROHNES/HANS-WERNER GENSICHEN/GEORG KRETSCHMAR (erschienen nur Bd. I: Die Alte Kirche, hg. HEINZGÜNTER FROHNES/UWE W. KNORR, München 1974; Bd. II, 1: Die Kirche des frühen Mittelalters, hg. KNUT SCHÄFERDIEK, München 1978). – Mit einem systematischen Ansatz bei regionaler Begrenzung: LUTZ E. VON PADBERG, Mission und Christianisierung. Formen und Folgen bei Angelsachsen und Franken im 7. und 8. Jahrhundert, Stuttgart 1995. – 48 –
wahrscheinlich verallgemeinern. Da Juden in ganz Europa eine soziale Minderheit bildeten, scheint der Übertritt zu ihrer Religion gemeinhin mit keinen politischen oder gesellschaftlichen – das heißt: außerreligiösen – Vorteilen verbunden gewesen zu sein. Pippin war keineswegs der erste König, der sich, obwohl getauft, vom Christentum abgewandt hat wie etwa das Beispiel der Könige Osric von Deira und Eanfrith von Bernicia zeigt. Dabei fällt aber zugleich ein entscheidender Unterschied ins Auge: Hier haben wir es (im 7. Jahrhundert!) mit einem offenbar kaum gefestigten Christentum zu tun, bei den Karolingern zweihundert Jahre später dagegen mit einer seit undenklichen Zeiten christlichen Dynastie. Dass die Konversion des Königs in einer solchen Situation gravierende Folgen für die gesamte Bevölkerung haben konnte, liegt auf der Hand. Das gilt auch für den Fall, dass auf einen christlichen König ein nichtgetaufter folgte, wie es im frühmittelalterlichen Kent zu beobachten war: Das Volk, zumindest ein erheblicher Teil desselben, kehrte zu seiner früheren Religion zurück. Solches Verhalten wurde durch Theologen vom Schlage eines Beda als Apostasie stigmatisiert und mit einem Ekel evozierenden biblischen Bild „illustriert“: der Rückkehr zu dem zuvor Erbrochenen. Apostasie wird heutzutage in der öffentlichen Diskussion fast ausschließlich mit dem Islam in Verbindung gebracht.74 Die christlichen Kirchen haben sie aus ihrem Vokabular, nicht aber aus ihren Rechtsbüchern gestrichen – und das ist kein Wunder: Das Konzept des Rückfälligen hat eine bis in die Frühzeit des Christentums zurückreichende Tradition. Es ist verbunden mit der Forderung nach einer angemessenen (und das heißt meist: harten) Sanktion, die zunächst von kirchlicher (Exkommunikation, Bußleistungen), später auch von weltlicher 74
Das gilt spätestens seit der Diskussion um ‚Die satanischen Verse‘ Salman Rushdies in den späten 1980er-Jahren. – 49 –
Seite (Entzug der Testierfähigkeit) verhängt werden konnte. (Mit anderen Worten: was den Umgang mit „Apostaten“ betrifft, stehen die drei monotheistischen Religionen im Prinzip auf einer gemeinsamen Basis.) Pippin II. war „Apostat“ nun gleich in einem doppelten Sinn; primär durch seinen Übertritt zur Religion der Normannen, sekundär, weil er – entgegen seinem Gelübde – den Mönchsstand verlassen hat. Diese zweite Form war im Mittelalter allerdings die wesentlich häufigere und wird dementsprechend oft in der wissenschaftlichen Literatur thematisiert.75 In karolingischer Zeit erhält sie außerdem noch eine (macht-) politische Komponente, weil abgesetzte Herrscher oder Prätendenten in Klosterhaft genommen wurden. Dennoch gelten genau dieselben Kriterien, wie vor allem das Beispiel Karlmanns, des Sohns Karls des Kahlen, in aller Deutlichkeit vor Augen führt; seine (politisch motivierte) Flucht aus dem Kloster bringt ihm den Vergleich mit dem übelsten aller Abgefallenen, mit Kaiser Julian Apostata ein. Pippins Konversion im Jahre 864 mag auf den ersten Blick vielleicht sehr ungewöhnlich erscheinen; das ist allerdings nur deshalb der Fall, weil man sie gemeinhin isoliert betrachtet. Bündnisse karolingischer Herrscher mit den Normannen beruhen nämlich sehr häufig auf einem Wechsel der Religion, jedoch in aller Regel auf einem Glaubenswechsel zum Christentum hin. Der Urenkel Karls des Großen ist „nur“ insofern eine Ausnahme, als er in die umgekehrte Richtung konvertiert. Die hier beschriebenen Vorgänge lassen sich (abschließend) in einen weiteren Interpretationsrahmen einordnen, der –
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Vgl. zum Beispiel, mit der älteren Literatur, MILENA SVEC (GOETSCHI), Apostasie und Transitus in der Registerüberlieferung und „in partibus“, in: KIRSI SALONEN/CHRISTIAN KRÖTZL (Hrsg.), The Roman Curia, the Apostolic Penitentiary and the Partes in the Later Middle Ages, Acta Instituti Romani Finlandiae XXVIII, Rom 2003, S. 183–200. – 50 –
so ist zumindest zu hoffen – die Relevanz des hier untersuchten Einzelfalls ein wenig zu verdeutlichen vermag. Seit einigen Jahren hat ein Begriff Hochkonjunktur, der ursprünglich aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften stammt: die „Globalisierung“. Längst Gegenstand des allgemeinen gesellschaftlichen Diskurses geworden, ist er emotionsgeladen wie wenige andere; die Palette reicht von jubelnder Zustimmung auf der einen Seite bis zu harscher Ablehnung auf der anderen. Wurde er anfangs ausschließlich zur Beschreibung neuer und neuester Entwicklungen gebraucht, haben ihn inzwischen auch die Historiker der Vormoderne entdeckt. So wenden ihn zum Beispiel die in Konstanz lehrenden Neuzeitler Jürgen Osterhammel und Niels P. Petersson durchaus überzeugend auf ihre Epoche an.76 Aus der Sicht des Mediävisten reicht das allerdings nicht aus. Er glaubt aus den zehn, zwölf Jahrhunderten vor der Reformation im Grunde vergleichbare Phänomene zu kennen. Dazu gehört vor allem die Christianisierung der damals bekannten Welt, die sich später, nach der Entdeckung und Erschließung neuer Kontinente, entsprechend fortgesetzt hat. Es geht bei diesem Prozess jedoch nicht allein um die Durchsetzung eines bestimmten einheitlichen Bekenntnisses und vielleicht daraus abgeleiteter moralischer Standards – das wäre auch erst noch zu beweisen. Es geht in erster Linie um einen Vorgang mit gravierenden kulturellen Folgen: von der Ausbreitung eines allgemein akzeptierten kalendarischen Systems bis zur Übernahme einiger weniger großer Sprachen, ja der Schriftlichkeit überhaupt sowie des gesamten dafür notwendigen Schulbetriebs. (Und dieser Prozess der Globalisierung ist im 76
Vgl. JÜRGEN OSTERHAMMEL/NIELS P. PETERSSON, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 52012 (zuerst 2003). – Einen Überblick über die zum Teil sehr unterschiedlichen Positionen, nach Autoren geordnet, bieten MATTHIAS MIDDELL/ULF ENGEL (Hrsg.), Theoretiker der Globalisierung, Leipzig 2010. – 51 –
Übrigen noch sehr viel eindrücklicher, wenn man ihn nicht auf das Christentum allein, sondern auf den Typus der monotheistischen Buchreligionen insgesamt bezieht.) Die andere Seite dieser Globalisierung ist die Verdrängung zahlreicher indigener, oft nur regional verbreiteter Religionen, die in aller Regel polytheistisch strukturiert sind und meist ohne Schriftlichkeit auskommen; keine einzige davon ist in Europa übriggeblieben. Dabei handelt es sich zwar um einen sehr dominanten Prozess, doch wohnt ihm keine Zwangsläufigkeit inne. Ein Beleg dafür sind die Konversionen in die umgekehrte Richtung, wie etwa jene Pippins II. von Aquitanien im Jahre 864. Symptomatisch sind sie in zweifacher Hinsicht: Sie zeigen die grundsätzliche Offenheit der historischen Entwicklung, zugleich aber auch die Übermacht des Christianisierungs-, und das heißt: des Globalisierungsprozesses.77
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Eine andere Alternative, der mittelalterliche Atheismus (samt verwandten Phänomenen), wird zur Zeit sehr intensiv diskutiert, vgl. vor allem PETER DINZELBACHER, Unglauben im „Zeitalter des Glaubens“. Atheismus und Skeptizismus im Mittelalter, Badenweiler 2009; DOROTHEA WELTECKE, „Der Narr spricht: Es ist kein Gott“. Atheismus, Unglauben und Glaubenszweifel vom 12. Jahrhundert bis zur Neuzeit, Frankfurt/New York 2010. In beiden Arbeiten wird allerdings das Frühmittelalter nicht behandelt. – 52 –
Exkurse
1. Das Erbrochene des Hundes. Zur Tradition eines Sprichwortes In seinem Gutachten über den Umgang mit Pippin II. verwendet Hinkmar von Reims ganz zum Schluss einen sehr bemerkenswerten Vergleich: Der ehemalige König solle nach der kirchlichen Rekonziliation die Gelegenheit erhalten, seine Sünden zu beweinen – zugleich aber so gefangen gehalten werden, dass er nicht zu dem zuvor Erbrochenen zurückkehren könne, „etiamsi diabolo suadente voluerit“. In der Kirche würde daher kein Ärgernis entstehen.78 Der gelehrte Erzbischof greift – so darf man vermuten – auf dieses Bild zurück, weil es erstens dem autoritativen Text der Bibel entstammt, zweitens mit der Prägnanz eines Sprichwortes auf das allgemein akzeptierte Wissen rekurriert und, drittens, in einer bereits sehr langen Tradition steht. Diese Tradition war allerdings noch nie Gegenstand einer genaueren Untersuchung. Hier mögen einige Hinweise genügen. Die Rede vom Hund, der zu seinem Erbrochenen zurückkehrt, um es noch ein zweites Mal zu fressen, findet sich zuerst im ‚Buch der Sprüche‘, genauer in dessen vierter Sammlung, die die Kapitel 25 bis 29 umfasst. Der Überschrift zufolge handelt es sich um „Sprüche Salomos, die hinzugesetzt haben die Männer Hiskijas, des Königs von Juda“ (Prov 25, 1): eines Herrschers also, der vor allem in der zweiten Hälfte des achten
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Vgl. oben, Abschn. 9. – 53 –
vorchristlichen Jahrhunderts lebte.79 Einige dieser Weisheiten sind noch heute in aller Munde. Dazu gehört sicherlich jene Sentenz, die im vorletzten Vers des hier interessierenden 26. Kapitels steht: „Wer eine Grube gräbt, der wird hineinfallen, und wer einen Stein wälzt, auf den wird er zurückkommen“ (Prov 26, 27).80 Rund drei Dutzend dieser Proverbien werden im Neuen Testament zitiert, darunter auch das Wort von dem zu seinem Erbrochen zurückkehrenden Hund. Im zweiten Petrusbrief wird es ausdrücklich als Sprichwort eingeführt und zwar als ein wahres Sprichwort, wie es verbatim heißt; ergänzt ist es dabei um eine zweites Glied, das die Aussage noch verstärkt: „Die Sau wälzt sich nach der Schwemme wieder im Kot“. Diese doppelte Sentenz schließt das zweite Kapitel des zweiten Petrusbriefs ab, der zu den jüngsten Texten des christlichen Kanons gehört. Darin wird mit großem Nachdruck vor den falschen Lehrern gewarnt, die (zudem) ein moralisch höchst verwerfliches Leben führen. Von ihnen heißt es unter anderem: „Denn so sie entflohen sind den Befleckungen der Welt durch die Erkenntnis des Herrn und Heilandes Jesu Christi, werden aber wiederum in denselben verflochten und über79 80
„Haec quoque parabolae Salomonis, quas transtulerunt viri Ezechiae regis Iuda“. – Als Todesjahr des Hiskija gilt gemeinhin 698 oder 697 v. Chr. „Qui fodit foveam incidet in eam et qui volvit lapidem revertetur ad eum.“ – Der hier interessierende Vers Prov 26, 11 wird höchst selten und dann auch nur sehr knapp kommentiert. RAYMOND C. VAN LEEUWEN, Context and Meaning in Proverbs 25–27, Society of Biblical Literature. Dissertation Series XCVI, Atlanta 1988, S. 97, glaubt, mit dem Toren sei hier ein Betrunkener gemeint. In dem Vers sieht er „a sharp commentary on the drunkard as a sub-type of the fool: as the fool repeats his folly, so the drunk, doglike, returns to his drink“ (S. 98). Zuletzt MICHAEL V. FOX, Proverbs. A New Translation with Introduction and Commentary I–II, The Anchor Yale Bible XVIIIA–XVIIIB, New Haven/London 2000– 2009, S. 796f. Vgl. auch HANS F. FUHS, Das Buch der Sprichwörter. Ein Kommentar, Forschungen zur Bibel XCV, Würzburg 2001, S. 350–355 (zu Prov 26, 1–12). – 54 –
wunden, ist mit ihnen das Letzte schlimmer geworden denn das Erste“ (2 Petr 2, 20).81 Die beiden Verse – Prov 26, 11 und 2 Petr 2, 22 – werden in der christlichen Literatur immer wieder zitiert, wenngleich sie unter den zahlreichen biblischen Aussagen über Hunde nur eine vergleichsweise nachgeordnete Rolle spielen.82 Wie ganz zu Recht hervorgehoben worden ist, können diese Tiere je nach Umständen positiv oder negativ bewertet sein: Geschätzt etwa als Wach- oder Hirtenhund, wurden sie verachtet, weil sie sich von Abfall oder gar von Leichen ernährten. „Hund“ und noch viel mehr: „toter Hund“ konnte als Schimpfwort gebraucht werden.83 Als Beispiel anstelle von anderen mag das umfangreiche Œuvre des Hieronymus dienen. Eines seiner exegetischen Hauptwerke ist der Kommentar zum Propheten Jesaia. Dort ist, im 56. Kapitel, von gierigen Hunden die Rede, „die nimmer satt werden können“ (Jes 56, 11).84 Dazu fällt dem Theologen das 81
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„Si enim refugientes coinquinationes mundi in cognitione Domini nostri et salvatoris Iesu Christi his rursus inpliciti superantur facta sunt eis posteriora deteriora prioribus.“ Eine Zusammenstellung oder gar Auswertung gibt es bislang nicht. Für die lateinischen Autoren vgl. etwa die Sammlung bei WALTER THIELE, Epistulae catholicae, Vetus Latina XXVI, 1, Freiburg i. Br. 1969, S. 220– 223 (zu 2 Petr 2, 22). Vgl. HEINZ-JÜRGEN LOTH, Art. Hund, in: RAC XVI, Stuttgart 1994, Sp. 773–828; vieles erklärt sich vor dem allgemeinorientalischen Hintergrund (vgl. WOLFGANG HEIMPEL/URSULA SEIDL, Art. Hund, in: Realenzyklopädie der Assyriologie IV, Berlin/New York 1975, S. 494–497; HENRY G. FISCHER, Art. Hunde, in: Lexikon der Ägyptologie III, Wiesbaden 1980, Sp. 77–81; vgl. auch die Artikel „Lieblingstier“ und „Tier, Verhältnis zum“), dort wurde aber bislang das hier interessierende Sprichwort noch nicht nachgewiesen. Für das hohe und späte Mittelalter vgl. DIETRICH SCHMIDTKE, Geistliche Tierinterpretation in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters (1100–1500), Berlin 1968, S. 315–320 sowie 608f. (einschlägig hier Punkt I). „Et canes inpudentissimi nescierunt saturitatem ...“. – 55 –
biblische Sprichwort ein: „Vomunt enim quod comederunt, et reuertuntur ad uomitum suum. De quibus et Petrus apostolus loquitur: ‚Accidit illis uerum illud prouerbium: Canis reuersus ad uomitum suum, et sus lota in uolutabro luti‘.“85 Eine ganz andere Gelegenheit, das hier interessierende Sprichwort anzuführen, ist die ‚Vita‘ des syrischen Mönchs Malchus. Im dritten Kapitel berichtet Hieronymus vom Wunsch des Asketen, noch einmal seine Heimat und vor allem seine verwitwete Mutter aufzusuchen. Der Abt warnt ihn jedoch höchst eindringlich davor, denn dieser Wunsch sei nur eine Versuchung des listigen Satan: „Hoc esse, reuerti canem ad uomitum suum. Sic multos monachorum esse deceptos.“86 Das Ausgespiene ist in diesem Falle das alte, weltliche Leben, zu dem man auf keinen Fall zurückkehren dürfe. In die gleiche Richtung weist eine Passage im traktatartigen Brief an Furia über die Fortführung ihrer Witwenschaft. Hieronymus rät der hochgestellten Dame darin mit Nachdruck davon ab, noch einmal eine Ehe einzugehen, deren Nachteile sie ja selbst zur Genüge kennengelernt habe. Sie habe ihren rebellierenden Magen gleichsam von sauren und krank machenden Speisen (das ist: durch Erbrechen) entleert, und nun wolle sie erneut tun, was ihr zum Schaden gereiche? Dazu fällt Hieronymus nur das Sprichwort aus dem zweiten Petrusbrief ein: „Canis reuertens ad uomitum et sus ad uolutabrum luti.“87 Der ausdrucksstarke Vergleich ließ sich natürlich auch in polemischen Zusammenhängen gut gebrauchen. In seiner 85
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S. Hieronymi presbyteri Commentariorum in Esaiam libri XVIII, ed. MARC ADRIAEN, Corpus Christianorum Series Latina LXXIII–LXXIIIA, Turnhout 1963, zu Jes. 56, 10–12: S. 636–639, das Zitat S. 638. Vita Malchi de monacho captivo, edd. EDGARDO M. MORALES/PIERRE LECLERC/ADALBERT DE VOGÜÉ, SChr DVIII, Paris 2007, S. 184–211, cap. 3 (S. 190–192). Eusebii Hieronymi Epistulae I–III, ed. ISIDOR HILBERG, Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum LIV–LVI, Wien/Leipzig 1910–1918, hier ep. 54 (Bd. I, S. 466–485, das Zitat S. 469). – 56 –
Schrift ‚Adversus Iovinianum‘ greift Hieronymus seinen Gegner überaus heftig und persönlich an. Er charakterisiert den angesehenen Mönch als Person, die das grobe Mönchsgewand mit dem weißen Festkleid und die karge klösterliche Kost mit dem opulenten Mahl vertauscht habe. Er sei daher wie ein Hund, der zu seinem Erbrochenen zurückkehre.88 Bei Hieronymus, das zeigen die letzten Beispiele sehr deutlich, ist mit „dem Erbrochenen“ oft das „weltliche Leben“ gemeint, das der Asket weit hinter sich gelassen hat, und zu dem er auf keinen Fall zurückkehren darf. In der höchst umfangreichen altchristlichen Polemik gegenüber den Heiden, den Juden und den Häretikern spielt der unappetitliche Vergleich dagegen so gut wie keine Rolle.89
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Eusebii Hieronymi Adversus Jovinianum libri duo, ed. JACQUES-PAUL MIGNE, PL XXIII, Paris 1845, Sp. 211–338, lib. I, cap. 40: „Descripsit sermo Apostolicus Jovinianum loquentem buccis tumentibus et inflata verba trutinantem, repromittentem in coelis libertatem, cum ipse servus sit vitiorum atque luxuriae, canis revertens ad vomitum suum“ usw. (Sp. 267f.). Dazu ILONA OPELT, Hieronymus’ Streitschriften, Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften N. F. 2. Reihe XLIV, Heidelberg 1973, S. 50. Vgl. ILONA OPELT, Die Polemik in der christlichen lateinischen Literatur von Tertullian bis Augustin, Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften N. F. 2. Reihe LXIII, Heidelberg 1980; zu dem hier interessierenden Sprichwort nur S. 245, allerdings ohne Beleg. Die Polemik gegen Apostaten wird hier nicht untersucht. – Auch Gregor der Große gebraucht das biblische Sprichwort: mit Bezug auf diejenigen, die zwar ihre Sünden beweinen, aber dann doch wieder rückfällig werden. Vgl. die Regula Pastoralis lib. III, cap. 30, ed. FLORIBERT ROMMEL, SChr CCCLXXXI– CCCLXXXII, Paris 1992, S. 476: „Ammonendi enim sunt qui admissa plangunt, nec tamen deserunt, ut considerare sollicite sciant quia flendo inaniter mundant, qui uiuendo se nequiter inquinant, cum idcirco se lacrimis lauant, ut mundi ad sordes redeant. Hinc enim scriptum est: Canis reuersus ad suum uomitum, et sus lota in uolutabro luti. Canis quippe cum uomit, profecto cibum qui pectus deprimebat, proicit; sed cum ad uomitum reuertitur, unde leuigatus fuerat, rursus oneratur.“ – 57 –
Umso mehr fällt die Darstellung Bedas auf, der die als Apostasie verstandene Rückkehr der Bevölkerung von Kent zu ihrer „alten Religion“ mit dem biblischen Sprichwort kommentiert – davon war bereits weiter oben die Rede.90 Wenig älter als Bedas ‚Historia ecclesiastica‘, jedoch auf dem Kontinent entstanden, ist die erste Passio des Bischofs Leodegar von Autun. Sie wurde in den 680er-Jahren von einem Mönch des Klosters St-Symphorian zu Autun verfasst; Auftraggeber war dem Vorwort zufolge Bischof Hermenar, der direkte Nachfolger Leodegars. Das Martyrium wird in die späten 70erJahre des 7. Jahrhunderts datiert.91 Wichtigster Widersacher Leodegars war der fränkische Hausmaier Ebroin, der dementsprechend in den allerdunkelsten Farben gezeichnet wird. Er sei – so heißt es – dem römischen Kaiser Julian vergleichbar („Iuliano similis“), der bekanntermaßen als der Apostat in die Geschichte eingegangen ist (cap. 16).92 Nach einem (allerdings erzwungenen) Aufenthalt in dem berühmten burgundischen Kloster Luxeuil habe er den geistlichen Stand wieder verlassen und sei zu seiner Frau, Leutrud, zurückgekehrt – „ut canis ad vomitum“ (cap. 18).93 Viele weitere Negativcharakterisierungen (als Tyrann, giftige Viper, neuer Goliath usw.) ließen sich ergänzen.94
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Vgl. oben, Abschn. 4. Vgl. Gesta et Passio sancti Leudegarii episcopi [Augustodunensis] et martyris I, edd. BRUNO KRUSCH/WILHELM LEVISON, MGH SS rer Merov V, Hannover/Leipzig 1910, S. 282–322. Dazu W. BERSCHIN, Biographie und Epochenstil (wie Anm. 57) II, Stuttgart 1988, S. 66–69. Vgl. Passio sancti Leudegarii I, edd. B. KRUSCH/W. LEVISON (wie Anm. 91), cap. 16: „His enim diebus egressus est de Luxovio etiam Ebroinus Iuliano similis, qui vita fincta monachorum tenuit“ (S. 298). Vgl. Passio sancti Leudegarii I, edd. B. KRUSCH/W. LEVISON (wie Anm. 91), cap. 18: „(Ebroinus tyrrannus) clericatum abiciens, ad mulierem, ut canis ad vomitum, post sacrum velamen rediens“ (S. 299). Vgl. vor allem die Kap. 16 (S. 297f.), 18 (S. 299f.) und 37 (S. 318–320). – 58 –
Auch in den folgenden Jahrhunderten wurde das biblische Sprichwort regelmäßig verwendet. Der von Samuel Singer begründete ‚Thesaurus proverbiorum medii aevi‘ bringt Beispiele von Egbert von Lüttich bis Erasmus von Rotterdam. Aber auch in die sogenannten Volkssprachen hat es bereits im Verlauf des Mittelalters Eingang gefunden: so ins Französische, Italienische, Nordische, Englische, Niederländische und nicht zuletzt ins Deutsche.95 Martin Luther gibt in der Winterpostille vom Jahre 1528 die Passage des Petrusbriefes folgendermaßen wieder: „Es ist yhnen widderfaren das ware sprichwort: Der hund frisset widder, was er gespeihet hat, und die saw weltzet sich nach der schwemme widder ym drecke“.96 Und in der Gegenwart? Das 1880 abgeschlossene, sehr ausführliche ‚Deutsche Sprichwörter-Lexikon‘ von Karl Friedrich Wilhelm Wander kennt nicht weniger als 1769 Sprichwörter zu „Hund“; als 189., lutherischer Tradition folgend: „Der Hund frisst sein Gespienes wieder“.97 Weniger Glück hat dagegen, wer in der zuletzt 2003 nachgedruckten Ausgabe des ‚(Großen) Lexikons der sprichwörtlichen Redensarten‘ von Lutz Röhrich unter dem Stichwort „Hund“ nachschlägt. Der hochdekorierte Volkskundler und Freiburger Ordinarius verzeichnet das gleich zweimal biblisch 95
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Vgl. Thesaurus proverbiorum medii aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters I–XIII, Berlin/New York 1995– 2002, zum Hund Bd. VI, S. 216–292 (mit 1179 Belegen), besonders S. 232–235. – Der Vergleich mit dem Schwein, das sich nach der Säuberung wieder im Schmutz suhlt, ist offenbar bei weitem nicht so oft verwendet worden, vgl. Bd. X, S. 314–334 und besonders S. 320–322 (wobei nicht alle hier angeführten Beispiele auf 2 Petr 2, 22 passen). Roths Winterpostille, ed. GEORG BUCHWALD, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe XXI, Weimar 1928, S. 1–193, hier S. 122. KARL FRIEDRICH WILHELM WANDER, Deutsches Sprichwörter-Lexikon I–V, Leipzig 1867–1880, zum Hund Bd. II, S. 818–898 (besonders Nr. 189, S. 827). – 59 –
bezeugte Sprichwort nicht mehr, weist aber am Ende des Artikels auf eine „speziell schlesische Redensart“ hin; dieses lautet: „a frissts nei wie der Hund ’s Gespeite“.98 Noch ein Wort zu der Übertragung Luthers, die über den Wortlaut der biblischen Vorlage deutlich hinausgeht: der Hund kehrt hier nicht nur zu seinem Erbrochenen zurück (hebr. „šāḇ“, griech. „epistréphein“, lat. „reverti“), sondern er frisst dieses sogar wieder auf. Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass der Wittenberger Reformator keineswegs der erste ist, der diese Wiedergabe wählt. So heißt es beispielsweise bei dem italienischen Spruchdichter Girard Pateg in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts: „Vn mat om qe redise la mateça doi ora, Fai comol can qe mança ço c’a gitadho fora“ („Ein törichter Mensch, der die [gleiche] Torheit zweimal sagt, macht es wie der Hund, der das, was er von sich gegeben hat, wieder auffrisst“)99 – und weitere Beispiele ließen sich leicht anfügen. Zum anderen trifft diese Übertragung sehr genau den Sinn des biblischen Bildes: Das Tier kehrt nur deshalb zu seinem Erbrochenen zurück, um es erneut zu fressen – und dies heißt: denselben Fehler noch einmal zu machen. Hinter dieser Übersetzungstradition steht eine durchaus zutreffende zoologische Beobachtung, die offenbar aus dem tagtäglichen Zusammenleben von Hund und Mensch resultierte. Sie beruht auf einem urtümlichen Verhalten der Caniden, wonach Futter unter ande-
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LUTZ RÖHRICH, (Das große) Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten I–III, Freiburg i. Br./Basel/Wien ²2003 (zuerst 1992), S. 755–766, hier S. 765. – Das Sprichwort begegnet auch im gelehrten Mittelalter-Roman, vgl. UMBERTO ECO, Der Name der Rose, München 1986, S. 361 (zuerst ital. 1980). Ich danke Herrn Dr. Alexander Schilling sehr herzlich für diesen Hinweis. Zitiert nach dem Thesaurus proverbiorum medii aevi (wie Anm. 95) VI, S. 233; dort viele weitere Beispiele. – 60 –
rem zum Zweck des Transports verschlungen und später wieder vorgewürgt wird.100
2. Karolingische Haftanstalten In seiner bis zum heutigen Tag grundlegenden ‚Geschichte des Ostfränkischen Reiches‘ schildert Ernst Dümmler das Ende Pippins II. mit folgenden Worten: „Karl begnadigte ihn; doch wurde er wiederum in eine Zwangskutte gesteckt und zu Senlis in so strenger Haft gehalten, daß eine abermalige Flucht unmöglich war“; Pippin „verschwindet hiemit aus der Geschichte“.101 Der in Halle lehrende Historiker lenkt damit den Blick auf die zweite Haft des karolingischen Herrschers, allerdings irrt er sich, was die Haftanstalt betrifft.102 Dümmler geht davon aus, dass Pippin seine letzten Tage – offenbar unfreiwillig – in einer monastischen Gemeinschaft verbracht hat („Zwangskutte“). Er bezieht sich damit auf die Praxis der Klosterhaft, die in der Tat für das 8. und 9. Jahrhundert häufig bezeugt ist.103 Zahlreiche Gegner der siegreichen 100 Vgl. etwa KONRAD SENGLAUB, Wildhunde – Haushunde, Leipzig/Jena/ Berlin ²1981 (zuerst 1978), S. 45f., 58–60. 101 E. DÜMMLER, Geschichte II, S. 104. 102 Eine umfassende Untersuchung über die Unterbringung von Gefangenen, Geißeln usw. liegt bislang noch nicht vor. Für das 6. Jahrhundert und eine sehr spezielle Frage vgl. ANNETTE WIESHEU, Bischof und Gefängnis. Zur Interpretation der Kerkerbefreiungswunder in der merowingischen Hagiographie, in: Historisches Jahrbuch CXXI 2001, S. 1–23. 103 Vgl. dazu die bereits oben zitierte Arbeit von K. SPRIGADE, Einweisung (wie Anm. 71); sie ist auch für die folgenden Beispiele stets zu konsultieren. – Es ist hier nicht der Ort, um die zum Teil widersprüchlichen Nachrichten über den Verbleib der ins Kloster geschickten Herrscher im Einzelnen zu diskutieren. Im Folgenden wird daher nur auf die jeweiligen Seiten der ‚Jahrbücher‘ verwiesen, wo die einschlägigen Quellen aufgeführt sind. – 61 –
Karolinger haben früher oder später ihre Bekanntschaft damit gemacht. Der prominenteste unter diesen war sicherlich König Childerich III., der nach seiner Absetzung (751) in St-Médard zu Soissons oder in Sithiu (St-Bertin) untergebracht wurde; sein Sohn Theuderich kam nach St-Wandrille.104 Die Nachkommen Karlmanns des Älteren – darunter einen Sohn namens Drogo – ereilte 753 ein ganz ähnliches Schicksal; allerdings ist unklar, welches Kloster sie aufnahm.105 Gut zwei Jahrzehnte später (774) wurde König Desiderius von Karl dem Großen besiegt, gefangen genommen und ins Frankenreich gebracht, und zwar sehr wahrscheinlich in das Kloster Corbie, das damals Adalhard leitete.106 Die Absetzung des bayrischen Herzogs Tassilo (788), zuletzt sehr häufig behandelt, endete ebenfalls mit der Einweisung ins Kloster. Wie es scheint, war er sukzessive in drei Konventen untergebracht: 104 Vgl. HEINRICH HAHN, Jahrbücher des Fränkischen Reiches 741–752, Berlin 1863, S. 147f. – Während die Haarschur Childerichs III. „usque ad nauseam“ immer wieder besprochen wird (die ältere Literatur ist bei WERNER AFFELDT, Untersuchungen zur Königserhebung Pippins. Das Papsttum und die Begründung des karolingischen Königtums im Jahre 751, in: Frühmittelalterliche Studien XIV 1980, S. 95–187, hier S. 96 Anm. 1, aufgeführt), hat der Verbleib des abgesetzten König und seiner Familie offenbar niemanden interessiert. – Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass auch die Merowingerkönige selbst ihre Widersacher bisweilen ins Kloster steckten, darunter sogar wiederholt Familienmitglieder, so zum Beispiel Childerich II. seinen Bruder Theuderich III. (StDenis bei Paris) und Chilperich I. seinen Sohn Merowech (St-Calais bei Le Mans), vgl. E. EBEL/D. HERZOG Gefangenschaft (wie Anm. 71), S. 527 (allerdings mit Fehlern). 105 Vgl. H. HAHN, Jahrbücher (wie Anm. 104), S. 88f. (und 210f.). Zum Zeitpunkt der Tonsurierung vgl. MATTHIAS BECHER, Drogo und die Königserhebung Pippins, in: Frühmittelalterliche Studien XXIII 1989, S. 131–153. 106 Vgl. SIGURD ABEL/BERNHARD SIMSON, Jahrbücher des Fränkischen Reiches unter Karl dem Großen I, Leipzig ²1888, S. 194f.; PAOLO DELOGU, Art. Desiderio, in: Dizionario degli Italiani XXXIX, Rom 1991, S. 373–381. – 62 –
zunächst in St. Goar, dann in Jumièges und zuletzt in Lorsch. Auch seine Söhne erhielten die Tonsur: Theodo lebte in St. Maximin zu Trier, Theotbert an einem unbekannten Ort.107 Nicht anders als Vetter und Neffen erging es Karls ältestem Sohn, Pippin dem Buckligen: Auf einer Regensburger Versammlung 792 zum Tode verurteilt und zur Klosterhaft begnadigt, verbrachte er die 19 Jahre bis zu seinem Tod in St. Gallen sowie in Prüm.108 Auch unter Ludwig dem Frommen werden die Beispiele nicht weniger. Im Anschluss an den sogenannten Aufstand Bernhards von Italien lässt der Kaiser drei seiner Halbbrüder – Drogo, Hugo sowie Theoderich – ins Kloster einweisen (818): sehr wahrscheinlich St-Evre in Toul, wobei Hugo später offenbar nach Charroux in der Auvergne wechselte.109 Die Vorgänge vom Frühjahr 830 – seit Theodor Schieffer als „loyale Palastrebellion“ benannt – zogen ebenfalls zahlreiche Inhaftierungen nach sich: Kaiserin Judith wurde in Ste-Croix bei Poitiers gefangen gesetzt, ihre Brüder Konrad und Rudolf kamen in nicht näher bekannte aquitanische Klöster.110 107 Vgl. S. ABEL/B. SIMSON, Jahrbücher I (wie Anm. 106), S. 626–628. Dazu WALTHER LASKE, Die Mönchung Herzog Tassilos III. und das Schicksal seiner Angehörigen, in: SIEGFRIED HAIDER (Hrsg.), Die Anfänge des Klosters Kremsmünster, Linz 1978, S. 189–197. 108 Vgl. SIGURD ABEL/BERNHARD SIMSON, Jahrbücher des Fränkischen Reiches unter Karl dem Großen II, Leipzig 1883, S. 46f. Zur Einordnung A. HACK, Alter (wie Anm. 50), S. 65f. 109 Vgl. BERNHARD SIMSON, Jahrbücher des Fränkischen Reiches unter Ludwig dem Frommen I, Leipzig 1874, S. 127f. Dazu CHRISTIAN PFISTER, L’archevêque de Metz Drogon (823–856), in: Études d’histoire du moyen âge. Mélanges Paul Fabre, Paris 1902, S. 101–145; OTTO GERe HARD OEXLE, Le monastère de Charroux au IX siècle, in: Le Moyen Âge LXXVI 1970, S. 193–204; PH. DEPREUX, Prosopographie (wie Anm. 6), S. 163–174, 264–268 und 382–383. 110 Vgl. etwa B. SIMSON, Jahrbücher I (wie Anm. 109), S. 350f.; ARMIN KOCH, Kaiserin Judith. Eine politische Biographie, Historische Studien CDLXXXVI, Husum 2005, S. 107–115. – Wenige Jahre später kam sogar – 63 –
Wie schon diese ausgewählten Beispiele zeigen, war die Klosterhaft im Frankenreich kein seltenes Phänomen. Bestimmte Konvente waren dafür nicht prädestiniert; im Prinzip kam jede Abtei in Betracht. Wie die Auswahl im Einzelfall verlief, ist nur sehr schwer zu sagen; höchstwahrscheinlich kam es auf die jeweils individuelle Konstellation an. In etlichen Fällen wurde das Kloster auch gewechselt, ohne dass die Gründe dafür nachvollziehbar wären.111 Die Klosterhaft ist jedoch nur eine der Alternativen, das Kloster nur eine mögliche Haftanstalt. Im Falle Pippins II. von Aquitanien lassen sich die unterschiedlichen Optionen besonders gut studieren. Als man nämlich den Karolinger 852 zum ersten Mal gefangen genommen hat, wurde er in einem Kloster – St-Médard bei Soissons – verwahrt,112 genauso wie viele andere Herrscher vor und nach ihm; auch sein jüngerer Bruder
der Kaiser selbst nach St-Médard bei Soissons in Klosterhaft (und sein jüngster Sohn, Karl der Kahle, nach Prüm), vgl. B. SIMSON, Jahrbücher II (wie Anm. 109), S. 62f. 111 Es versteht sich von fast selbst, dass die abgesetzten Herrscher möglichst weit von ihrem ehemaligen Herrschaftsgebiet entfernt untergebracht wurden. Die Klöster, die sie aufnahmen, mussten nicht nur eine bestimmte Größe haben, sondern auch von einem zuverlässigen Abt, möglichst einem Verwandten oder engen Vertrauten der herrschenden Karolinger, geleitet werden. Wenn man diese Kriterien voraussetzt, bleiben allerdings immer noch mehrere Möglichkeiten. Explizite Begründungen für die Wahl werden nicht vorgebracht. 112 Vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 852: „Quem (Pippinum sc.) Karolus captum in Franciam ducit ac (...) in monasterio Sancti Medardi apud Suessiones tonderi iubet“ (S. 64f.); Annales Fuldenses, ed. F. KURZE (wie Anm. 14), ad 851: „clericus effectus monastico indutus habitu Suessioni in monasterio sancti Medardi retruditur“ (S. 41); Reginonis Chronicon, ed. F. KURZE (wie Anm. 50), ad 853: „et captum cum consilio episcoporum ac procerum attondit et habitu monachico indutum Suessionis in monasterio sancti Medardi misit“ (S. 76). – 64 –
Karl war übrigens 849 in Klosterhaft genommen worden – und zwar in Corbie.113 Nachdem Pippin II. geflohen und Jahre später erneut gefangen genommen worden war, kam er nicht wieder nach StMédard, sondern nach Senlis in Haft. Die ‚Annales Bertiniani‘ betonen, dass es sich um eine äußerst strenge Haft gehandelt habe („artissima custodia religatur“),114 ein Superlativ, der bei der Unterbringung in einem Kloster gewöhnlich nicht verwendet wird. Bei Regino von Prüm heißt es – und zwar abermals mit einem Superlativ –, Pippin sei in Senlis, einem sehr gut gesicherten „castrum“ gefangen gehalten wurden.115 Von einem Kloster ist nirgends die Rede; in Senlis scheint es damals ein solches auch nicht gegeben zu haben. Die Stadt in der Picardie spielte lange Zeit eine relativ unbedeutende Rolle, zumindest was das Itinerar der karolingischen Könige betrifft. Karl der Kahle hat Senlis vor 861, soweit wir wissen, niemals betreten, danach findet er sich jedoch sehr häufig dort; nach Reims ist es mit acht Aufenthalten der am öftesten besuchte Ort. Sogar an den hohen Feiertagen wie Weihnachten und Ostern fand sich Karl wiederholt hier ein. Wie erklärt sich dieser geradezu dramatische Wandel? Schon im Jahre 1958 hat Carlrichard Brühl die ansprechende Vermutung ausgesprochen, dass um 860 das römische Praetorium wieder instand gesetzt wurde. Bei dieser Gelegenheit könnten auch diejenigen Gebäude errichtet bzw. renoviert worden sein, die ab 864 als Gefängnis für Pippin dienten.116 113 Vgl. Annales Fuldenses, ed. F. KURZE (wie Anm. 14), ad 851: „Similiter et Karlus frater iunior (...) tentus est a comitibus Karli regis et illo iubente tonsus in Corbeiense monasterio missus est in custodiam“ (S. 41). 114 Vgl. oben, Anm. 69. 115 Vgl. Reginonis Chronicon, ed. F. KURZE (wie Anm. 50), ad 853: „iterum captus in Silvanectis castro munitissimo custodiae mancipatur“ (S. 76). 116 Vgl. CARLRICHARD BRÜHL, Königspfalz und Bischofsstadt in fränkischer Zeit, in: Rheinische Vierteljahrsblätter XXIII 1958, S. 161–274, – 65 –
Pippin II. war freilich nicht der einzige Karolinger, der hier die Haftbedingungen am eigenen Leibe kennengelernt hat. Denn bereits sechs Jahre später wurde Karlmann, Karls drittältester und oft widerspenstiger Sohn, ebenfalls in Senlis eingesperrt.117 Nach Entlassung und erneuter Verhaftung hat man Karlmann sogar noch ein zweites Mal nach Senlis verbracht, dort einer Synode vorgeführt und schließlich seines Augenlichts beraubt.118 Da von dem so Verstümmelten keine Gefahr mehr ausgehen konnte, kam der Königssohn in das Kloster Corbie, von wo aus ihm kurz darauf die Flucht ins Reich Ludwigs des Deutschen gelang; auch dort lebte er in einem Kloster: in St. Alban zu Mainz.119 Selbst nach dem Tod Karls des Kahlen hat Senlis seine Funktion als Ort für die Verwahrung wichtiger Gefangener offenbar nicht verloren. Nachdem Hugo Capet am 29./30. März 991 seinen karolingischen Rivalen, Karl von Niederlothringen, in Laon durch eine List gefangen genommen hatte, ließ er ihn umgehend nach Senlis bringen – zusammen mit seinem Vetter, Erzbischof Arnulf von Reims sowie anderen wichtigen Mitgliedern seiner Familie.120
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hier S. 205–208; DERS., Fodrum, Gistum, Servitium regis I–II, Kölner Historische Abhandlungen XIV, Köln/Graz 1968, S. 42f. Vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 870: „Karlomannus etiam, regis Karoli filius (...) in ciuitate Siluanectis est custodiae mancipatus“ (S. 171). Vgl. Annales Bertiniani, edd. F. GRAT/J. VIELLIARD/S. CLÉMENCET (wie Anm. 1), ad 870: „Karlomannum filium suum a custodia ex Siluanectis ciuitate absoluit“ (S. 177); ad 871: „Karolus autem (...) usque ad Siluacum uenit. Quo placitum cum suis consiliariis habuit et eorum consilio Karlomannum iterum Siluanectis custodiae mancipauit“ (S. 184), ad 873: „Iubet (Karolus sc.) ergo conuocari episcopos regni sui apud Siluanectis ciuitatem, in qua idem Karlomannus morabatur ...“ (S. 189). Zur Blendung Karlmanns und zu seinem Ende vgl. A. HACK, Alter (wie Anm. 50), S. 288–293. Vgl. Richer von Saint-Remi, Historiae, ed. HARTMUT HOFFMANN, MGH SS XXXVIII, Hannover 2000, lib. IV, cap. 48: „Urbisque (Laudunensis – 66 –
Es sind also – so darf man zusammenfassen – im Frankenreich des 8. und 9. Jahrhunderts mindestens zwei Arten von Haft zu unterscheiden: die Klosterhaft sowie die Unterbringung in einem weltlichen Gefängnis. Während im ersten Falle eine Tonsurierung erforderlich war, konnte sie im zweiten entfallen. Als Paradebeispiel für die königliche Haftanstalt muss zweifellos Senlis bezeichnet werden; die einzige war sie allerdings nicht, wie ein letztes Beispiel zu zeigen vermag. Bei den Kämpfen um das Erbe des königsgleichen Hausmeiers Karl Martell unterlag Grifo, der Sohn Swanahilds, 741 seinen beiden Halbbrüdern Karlmann dem Älteren und Pippin dem Jüngeren. Diese inhaftierten ihn nach Auskunft der ‚Annales Mettenses priores‘ „in Nova-Castella“, dem tief in den Ardennen gelegenen Neufchâteau-sur-Amblève. Grifos unfreiwilliger Aufenthalt zog sich immerhin bis in das Jahr 748 hin. Auch hier ist eine Klosterhaft zweifelsfrei auszuschließen.121
sc.) securitate facta, rex Siluanectim post cum captis hostibus rediit“ (S. 262) (Kap. 47 berichtet über die Gefangennahme Karls, Kap. 49 begründet die Verhaftung der nächsten Verwandten Karls). Dazu C. BRÜHL, Königspfalz (wie Anm. 116), S. 206f. mit Anm. 247f. HOFFMANN kehrt im Kommentar zu seiner Edition (Anm. 6) ohne eine nähere Begründung wieder zur Position von Ferdinand Lot zurück. 121 Vgl. Annales Mettenses priores, ed. BERNHARD VON SIMSON, MGH SS rer Germ X, Hannover/Leipzig 1905, ad 741: „Quem (Griponem sc.) Carolomannus accipiens in Nova-Castella custodiendum transmisit“ (S. 32f.); ad 748: „Grippho vero, quem de custodia fraterno affectu Pippinus solverat, tirannico fastu multos sibi nobilium sociavit et fuga lapsus, Rethnum transiens, in Saxoniam venit“ (S. 40). Zur Gefangenschaft vgl. vor allem HANNS LEO MIKOLETZKY, Karl Martell und Grifo, in: FS Edmund Stengel zum 70. Geburtstag, Münster/Köln 1952, S. 130–152, hier S. 150; zu Neufchâteau C. BRÜHL, Fodrum (wie Anm. 116), S. 32. – 67 –
Namensregister Das Namensregister enthält alle im Text genannten Orts- und Personennamen. Dabei gelten folgende Abkürzungen: Anf.: Anfang; Bf.: Bischof; bibl.: biblisch; brit.: britisch; d. Ä.: der Ältere; d. Fr.: der Fromme; d. Gr.: der Große; d. J.: der Jüngere; dt.: deutsch; Ebf.: Erzbischof; fränk.: fränkisch; Gem.: Gemahlin; gest.: gestorben; Gf.: Graf; Hzg.: Herzog; jüd.: jüdisch; Kg.: König; kgl.: königlich; Ks.: Kaiser; Ksn.: Kaiserin; norm.: normannisch; Presb.: Presbyter; röm.: römisch; S.: Sohn; sächs.: sächsisch; syr.: syrisch.
Adalhard, Abt von Corbie (gest. 826) 62 Æthelberht, Kg. von Kent (560/ 565–616) 22f. Æthelwald, Kg. (von Kent?) 24 Alemannen 31f. Andreas II., Ebf. von Bari (1062– 1078) 33 Angelsachsen 22–29 Antiochos IV. Epiphanes, Kg. v. Syrien (175–164 v. Chr.) 20 Aquitanien 10, 13–16, 35, 38, 42f., 45, 48, 63 Ardennen 67 Arnulf, Ebf. von Reims (gest. 1021) 66
Augustinus, Ebf. von Canterbury (gest. 604) 22 Autun 58 Auvergne 63 Bayern 47 Bernhard von Italien, fränk. Kg. (812–818) 63 Bernicia 27–29, 49 Bertha, Gem. Æthelberhts I. von Kent (gest. vor 616) 22f. Bodo (Eleazar), Diakon (gest. nach 847) 29–34, 48 Bretagne, Bretonen 17, 45 Briten 28 Britische Inseln 29 Budapest 34 – 69 –
Burgund 17, 45, 58 Byzanz 40
Egbert von Lüttich (Ende 10./ Anf. 11. Jh.) 59 Eleazar → Bodo England 42 Erasmus von Rotterdam (gest. 1536) 59
Caedwalla, brit. Kg. von Gwynedd (um 634) 28 Cambridge 34 Canterbury 22f. Chartres 17 Charroux 63 Chasaren 32 Childerich II., fränk. Kg. (662–675) 62 Childerich III., fränk. Kg. (743–751) 62 Chilperich I., fränk. Kg. (561– 584) 62 Cincinnati 34 Corbie 17, 62, 65f. Cyprian, Bf. von Karthago (gest. 258) 20
Florus von Lyon, Theologe (gest. um 860) 30 Fontenoy 17 Franken, Frankenreich passim Freiburg i. Br. 59 Fulco, Abt von St-Hilaire in Poitiers, kgl. Erzkaplan (gest. nach 845) 11 Furia, Clarissima femina (Ende 4. Jh.) 56 Galindo → Prudentius Germanen 13, 22 Girard Pateg 60 Goliath, bibl. Krieger 58 Goten 48 Gotien 45 Gottfried, Kg. der Dänen (gest. 810) 39 Gottschalk von Orbais, sächs. Theologe (gest. 866/70) 30 Gregor von Nazianz, Bf. von Sasima (372) und Konstantinopel (380–381) 19 Grifo, fränk. Hausmaier (?) (gest. 754) 67
Dänen 39, 41f. Deira 27–29, 49 Denisesburn (Rivus Denisi) 27 Desiderius, Kg. der Langobarden (757–774) 47, 62 Donatisten 20 Drogo, S. Karlmanns d. Ä. (gest. nach 754) 62 Drogo, Bf. von Metz (823–855) 63 Eadbald, Kg. von Kent (616–640) 23f. Eanfrith, Kg. von Bernicia (633– 634) 27–29, 49 Edwin, Kg. von Northumbrien (616–633) 27 Ebroin, fränk. Hausmaier (gest. 680/681) 58
Halle a. d. Saale 61 Harald, Kg. der Dänen (812– 826/841) 39–41 Heinrich II., dt. Kg. und Ks. (1002–1024) 33 Heinrich, Presb. (Anf. 11. Jh.) 33
– 70 –
Hermenar, Bf. von Autun (gest. um 690) 58 Hinkmar, Ebf. von Reims (845– 882) 11f., 45–47, 53 Hiskija, Kg. von Juda (gest. 698/ 697 v. Chr.) 53f. Hrabanus Maurus, Ebf. von Mainz (847–856) 17 Hugo, Abt von St-Quentin, StBertin und Lobbes (gest. 844) 63 Hugo Capet, (west-)fränk. Kg. (987–996) 66
Karl d. Kind, fränk. Kg. (855– 866) 16, 35 Karl, Hzg. von Niederlothringen (gest. nach 991) 66 Karl, Ebf. von Mainz (856–863) 17, 64f. Karlmann d. Ä., fränk. Hausmeier (741–747, gest. 754) 62, 67 Karlmann, S. Karls d. Kahlen (gest. 876/881) 35–38, 50, 66 Karolinger passim Kaukasus 32 Kent 22, 24f., 49, 58 Konrad d. Ä., Gf. (gest. nach 862) 63 Konstantinopel 33
Ingelheim 39 Jesaia, bibl. Prophet 55 Jesus Christus 31, 54 Johannes (Obadja) von Oppido (Ende 11./Anf. 12. Jh.) 34 Jovinianus, Mönch (gest. um 405) 57 Juda 53 Juden 19, 22, 29–34, 49, 57 Judith, Ksn. (gest. 843) 31f., 41, 63 Julian, röm. Ks. (361–363) 19, 35–38, 50, 58 Jumiège 63
Langobarden 47 Laon 66 Laurentius, Ebf. von Canterbury (gest. 619) 23 Le Mans 62 Leodegar, Bf. von Autun (gest. 677) 58 Leutrud, Gem. Ebroins (7. Jh.) 58 Loire 15 Lorsch 63 Lothar I., fränk. Kg. und Ks. (814–855) 16f., 41 Lothar, S. Karls d. Kahlen (gest. 865) 35 Ludwig I. d. Fr., fränk. Kg. und Ks. (781–840) 15f., 31, 33, 41, 63 Ludwig II. d. Deutsche, fränk. Kg. (817–876) 66 Ludwig II. d. Stammler, fränk. Kg. (856–879) 35
Kairo 33 Karl Martell, fränk. Hausmaier (vor 720–741) 67 Karl I. d. Gr., fränk. Kg. und Ks. (768–814) 10, 13f., 50, 62f. Karl II. d. Kahle, fränk. Kg. und Ks. (838–877) 11, 16f., 35, 38, 41f., 45–47, 50, 61, 64– 66
– 71 –
Luther, Martin (gest. 1546) 59f. Luxeuil 58
Pippin d. Bucklige, S. Karls d. Gr. (gest. 811) 63 Pîtres 45 Poitiers 42, 63 Prudentius (Galindo), Bf. von Troyes (um 846–861) 11f., 30, 33 Prüm 63f.
Mährer 48 Mainz 17, 39, 66 Makkabäer 20 Malchus, syr. Mönch 56 Maris, Bf. von Chalkedon (4. Jh.) 19 Martin → Luther Mattatias, jüd. Priester (gest. 166 v. Chr.) 20 Merowech, S. Chilperichs I. (gest. 577) 62 Merowinger 13, 62
Ramnulf I., Gf. von Poitou (gest. 866) 45 Regensburg 63 Reims 12, 65 Rhein 67 Rom 31 Rudolf, Gf. (gest. 866) 63
Neufchâteau-sur-Amblève (Nova Castella) 67 Neustrien 45 New York 34 Normannen 9–11, 14, 17, 38–48, 50 Northumbrien 27–29
Sachsen 47f., 67 Saeberht, Kg. von Essex (604– 616/17) 25 Saeward, Kg. von Essex (616/17) 25 Salomo, Kg. von Israel (Mitte 10. Jh. v. Chr.) 53f. Sancius (Sancho), Gf. von Wasconien (852) 16 St-Bertin (Sithiu) 11, 62 St-Calais 62 St-Denis 62 Ste-Croix 63 St-Evre → Toul St-Médard 16f., 45, 62, 64f. St-Symphorian → Autun St-Wandrille 62 St. Alban → Mainz St. Gallen 63 St. Goar 63 St. Maximin => Trier Saragossa 31f. Schlesien 60 Schweden 48
Obadja → Johannes Odin 13 Oppido (Lukanien) 34 Osric, Kg. von Deira (633–634) 27–29, 49 Ottonen 35 Oxford 34 Paris 62 Picardie 65 Pikten 27 Pippin d. J., fränk. Hausmaier und Kg. (741–768) 67 Pippin I. von Aquitanien, fränk. Kg. (814–838) 10, 15, 45 Pippin II. von Aquitanien, fränk. Kg. (838–864) passim – 72 –
Scotti 27 Seleukiden 20 Senlis 12, 45–47, 61, 65–67 Sexred, Kg. von Essex (616/17) 25 Sithiu → St-Bertin Skandinavien 43f. Soissons 16, 62, 64 Spanien 30–32 Stephan, Gf. von Clermont (gest. 864) 9 Swanahild, Gem. Karl Martells (gest. nach 741) 67 Syrer 56
Theuderich III., fränk. Kg. (gest. 690/691) 62 Theuderich, S. Childerichs III. (gest. nach 751) 62 Toul 63 Toulouse 16, 45 Trier 63 Troyes 30 Ungarn 48 Vandalen 48 Vivianus, Gf. von Tours und Abt von St-Martin (gest. 851) 17
Tassilo III., Hzg. von Bayern (748–788, gest. nach 794) 47, 62f. Theoderich, S. Karls d. Gr. (gest. nach 818) 63 Theodo, S. Tassilos III. (gest. nach 788) 63 Theotbert, S. Tassilos III. (gest. nach 788) 63
Waskonien 45 Weland, norm. Anführer (gest. 863) 41f. Wenzelin (Anf. 11. Jh.) 33 Widukind, Anführer der Sachsen (gest. nach 785) 47 Wittenberg 60
– 73 –
Quellenregister
Ado von Vienne, Chronicon – cont. prima: 45
– ad 853: – ad 854: – ad 856: – ad 857: – ad 858: – ad 859: – ad 860: – ad 861: – ad 862: – ad 863: – ad 864: 65 – ad 870: – ad 871: – ad 873:
Alpert von Metz, De diversitate temporum – lib. I, cap. 7: 33 – lib. II, cap. 22–24: 33 Amulo von Lyon, Epistola contra Judaeos – cap. 42: 30 Annales Augienses – ad 838: 30 – cont.: 30 Annales Bertiniani – ad 838: 17 – ad 839: 12, 30–32 – ad 841: 12 – ad 844: 12 – ad 847: 32 – ad 848: 12 – ad 849: 12, 17 – ad 852: 12, 64
12 12, 17 12 12, 17, 42 12 12 42 42 41f. 42 9–12, 17, 38f., 45–47, 66 66 66
Annales Fontanellenses priores – ad 849: 17 Annales Fuldenses – ad 851: 17, 64f. – ad 856: 17 – ad 857: 17 – ad 863: 17
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Annales Mettenses priores – ad 741: 67 – ad 748: 67
Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici – vv. 2164–2529: 40f.
Beda, Historia ecclesiastica gentis Anglorum – lib. II, cap. 5: 22–25 – lib. III, cap. 1: 27f. – lib. III, cap. 9: 28f.
Gregor der Große, Regula Pasto-ralis – lib. III, cap. 30: 57 Gregor von Nazianz – or. 4, 1: 19 – or. 5, 17: 19
Biblia (Vulgata) – Prov 25–29: 53 – Prov 25, 1: 53 – Prov 26, 1–12: 54 – Prov 26, 11: 26, 54f. – Prov 26, 27: 54 – Jes 56, 11: 55f. – Hos 4, 10: 20 – Hos 5, 7: 20 – 1 Macc 2, 23f.: 20 – 2 Petr 2, 17–22: 26 – 2 Petr 2, 20: 55 – 2 Petr 2, 21: 26 – 2 Petr 2, 22: 25f., 53–61
Gregor von Tours, Historiae – lib. V, cap. 11: 22 Hinkmar von Reims, Epistolae – nr. 170: 46 Hieronymus, Adv. Iovinianum – lib. I, cap. 40: 56f. Hieronymus, Comm. in Esaiam – ad Jes. 56, 10–12: 56 Hieronymus, Epistolae – nr. 54: 56
Capitularia regum Francorum II – nr. 273: 46
Hieronymus, Vita Malchi – cap. 3: 56
Codex Theodosiani – XI, 39, 11: 21 – XVI, 7, 1–7: 21 – XVI, 8, 1: 22f. – XVI, 8, 5: 23 – XVI, 8, 7: 22 – XVI, 8, 19: 22
Johannes-Obadja von Oppido – Chronik: 33f. Passio Leudegarii I – cap. 16: 58 – cap. 18: 58 – cap. 37: 58
Concilia aevi Karolini 860–874 – nr. 19: 46
Regino von Prüm, Chronicon – ad 853: 64f. – ad 870: 36f.
Cyprian von Karthago – de lapsis: 20f. – 75 –
Richer von St-Remi, Historiae – lib. IV, cap. 47: 67 – lib. IV, cap. 48: 66 – lib. IV, cap. 49: 67
Sokrates, Historia ecclesiastica – lib. III, cap. 12: 19 Sozomenos, Historia ecclesiastica – lib. V, cap. 4: 19
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Das Jahr 864 war ein besonderes Jahr in der europäischen Religions geschichte. Ein König aus der Dynastie der Karolinger verließ seinen christlichen Glauben und trat der Religion Odins bei. Was veranlasste ihn zu diesem Schritt? War sein Verhalten tatsächlich derart ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag? Ausgehend von diesem höchst interessanten Fall beleuchtet Achim Tho mas Hack die Frage des Religionswechsels in gegenläufiger Richtung, das heißt: weg vom Christentum. Der kirchliche Ausdruck für den schwer ver pönten Vorgang lautet „Apostasie“, wobei allerdings mehrere Arten von Apostasie zu unterscheiden sind. Der Autor nimmt sowohl die – Ekel erre genden – biblischen Bilder als auch die politischen Rahmenbedingungen für den „Glaubensabfall“ und vieles mehr in den Blick.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-10661-0