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German Pages 252 [314] Year 1992
Philosophische Bibliothek · BoD
Bonaventura Vom Wissen Christi Lateinisch – Deutsch
Meiner
BONAVENTURA
Quaestiones disputatae de scientia Christi Vom Wissen Christi Übersetzt, kommentiert und mit Einleitung herausgegeben von ANDREAS SPEER
Lateinisch - deutsch
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 446
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INHALT
Vorwort ...... ..................... ..................... ..................... ....
VII
Einleitung. Von Andreas Speer .......... ......................... Hinweise zur Übersetzung .......................................
XI L
Quellen- und Literaturverzeichnis ............................... A. Die Werke Bonaventuras mit Siglen ................... B. Verzeichnis der Reihen und Siglen ...................... C. Quellen ................................................................. D. Ausgewählte Literatur ..........................................
LV LV LVI LVI LIX
BONAVENTURA Quaestiones disputatae de scientia Christi Vom Wissen Christi QUAESTIO 1: Erstreckt sich das Wissen Christi, sofern er das göttliche Wort ist, in Wirklichkeit auf U nendliches? .........................................................................
3
QUAESTIO 2: Erkennt Gott die Dinge mittels der Ideen dieser Dinge oder mittels ihres Wesens? ........ ..........
25
QUAESTIO 3: Erkennt Gott die Dinge mittels Ideen, die sich der Sache nach voneinander unterscheiden? .. ..
49
QUAESTIO 4: Wird das, was von uns mit Gewißheit erkannt wird, in den ewigen Ideen selbst erkannt? ...
85
QUAESTIO 5: War die Seele Christi allein durch die ungeschaffene Weisheit weise oder durch die geschaffene zusammen mit der ungeschaffenen Weisheit? ..
137
VI
Inhalt
QUAESTIO 6: Begreift die Seele Christi die ungeschaffene Weisheit selbst? ..................................................
167
QUAESTIO 7: Begreift die Seele Christi alles, was die ungeschaffene Weisheit begreift? .... .. ............ .... .... .....
199
NACHWORT ....................................................................
229
Anmerkungen ........... ..................... ........ .............. .........
233
Register ......................................................................... A. Verweise auf Werke Bonaventuras ....................... B. Bibelzitate ............................................ .............. ... C. Verzeichnis der zitierten Quellen ....................... D. Namenregister .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
243 243 244 244 251
VORWORT
Das Verhältnis der Neuzeit zum sogenannten Mittelalter ist von Anbeginn an und bis in die Gegenwart hinein zumeist mehr durch Unverständnis als durch Verstehen gekennzeichnet. Dieser Umstand hängt mit jener ausdrücklich gesetzten Diskontinuität eines Epochenbruchs zusammen, der sich einer Begegnung und erst recht einer möglichen Verschmelzung der zeitlich voneinander entfernten Verstehenshoriwnte nachdrücklicher zu widersetzen scheint, als dies etwa für unser Verhältnis zur Antike zutrifft. Auch die Wirkungsgeschichte des mittelalterlichen Geisteslebens, das immerhin ein gutes Jahrtausend umfaßt, bleibt gewöhnlich, sieht man einmal von der schlichtweg unübersehbaren Präsenz vor allem mittelalterlicher Sakralbauten in unseren Stadtbildern ab, auf ein merkwürdig eng gefaßtes Scholastikverständnis beschränkt, das vor allem mit dem Namen des Thomas von Aquin verbunden ist. Bereits dessen Zeitgenossen, zu denen auch Bonaventura zählt, sind zumeist nur noch wenigen historisch Interessierten bekannt, ihre Schriften erwecken kaum mehr philosophisches Interesse. Wenn im folgenden eine derartige Schrift vorgelegt werden soll, so stellt sich mithin ein doppeltes hermeneutisches Problem. Es geht nicht nur um die Rekonstruktion und Überlieferung eines historischen Textes und seiner Fragestellung. Beides kann überhaupt nur erfolgen im Hinblick auf den Verstehenshorizont des möglichen heutigen Gesprächspartners. Als Prototyp für eine solche Aufgabe gilt Hans-Georg Gadamer der Übersetzer, welcher »den zu verstehenden Sinn in den Zusammenhang hinübertragen [muß], in dem der Partner des Gesprächs lebt>Philosophische Bibliothek>libri Aristotelis de methaphisica et de naturali philosophia« für den Unterricht zuließen 9 • Der Erfolg dieses Verbotes war, wie das Eingreifen Gregors IX. belegt, gering und der Papst sah sich schließlich gezwungen, in dem erwähnten zweiten Schreiben einen Weg zum Studium auch der naturphilosophischen Schriften und der Metaphysik des Aristoteles zu eröffnen. Man würde der Situation zu Beginn des 13. Jahrhunderts nicht gerecht, würde man in diesen Auseinandersetzungen lediglich einen Autoritätskonflikt zwischen kirchlichem Lehramt und Universität erblicken. Gregor IX. hatte in Paris Theologie studiert und war wie der in den Statutenstreit von 1215 involvierte Innozenz III. Schüler des Petrus Cantor gewesen, der von etwa 1170 bis zu seinem Tode 1197 Magister der Theologi~ an der Kathedralschule von Notre Dame war 10 • Es geht vielmehr um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Die Theologie steht vor der Herausforderung, ihren Standort im Zusammenhang des neuen Wissenschaftsverständnisses ihrerseits neu zu bestimmen. An die Stelle der »heiligen Relevanz« eines auf das bessere Verstehen des in der Theologie gegenwärtigen Offenbarungswissens ausgerichteten Studiums tritt der »amor scientiae«, das wissenschaftliche Erkennen gemäß rationaler Prinzipien um seiner selbst willen. Die Theologie wird Wissenschaft unter Wissenschaften, sie erhält Universalistische Gestalt. Damit aber stellt sich zugleich die Frage nach dem Verhältnis von wissenschaftlicher Rationalität
H. Denifle, Chanularium I, S. 78-79, n. 20; E Van Steenberghen (1977), 5.90-98. 10 B. Geyer (1 11960), S. 280; E Van Steenberghen (1977), S. 101. 9
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und geoffenbarten Heilswahrheiten 11 • Daß dieser Prozeß, den wir abermals im Resultat vorstellen, nicht ohne ein lebhaftes, oftmals turbulentes Ringen um den rechten Weg zu denken ist, dafür stehen die erwähnten Auseinandersetzungen um die naturphilosophischen Werke des Aristoteles. Doch auch dieses Bild wäre unvollständig. Denn in die Unsicherheit, wie die Glaubenswahrheiten spekulativ angemessen erfaßt werden können, gerät beispielsweise auch das Werk des J ohannes Scotus Eriugena, dem maßgeblichen Übersetzer der Werke des Dionysius Areopagita aus dem 9. Jahrhundert, vor allem seine Schrift »De divisione naturae« (Periphyseon), die von einer Senser Provizialsynode 1223/4 und von Papst Honorius III. in einem Brief aus dem Jahre 1225 verboten wurde 12 • Dieses Verbot war offensichtlich auch noch Bonaventura bekannt, denn wir finden in seinen Schriften keinen expliziten Hinweis auf Eriugena. I I.
Weit wichtiger jedoch wird für den jungen Johannes Fidanza eine Bewegung, welche zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Südfrankreich und in Italien entstand und von zwei großen Persönlichkeiten ihrer Zeit geprägt wurde: Dominikus und Franziskus. Die ersten Zentren der neuen Gemeinschaften der Mendikanten, der sogenannten »Bettel«orden ( ~ mendicare), entstanden fast gleichzeitig bereits vor 1210 und breiteten sich, getragen von dem allgemeinen Bedürfnis nach religiöser Erneuerung, außergewöhnlich schnell aus. Schon im Herbst 1217 kamen die ersten Predigerbrüder des Dominikanerordens nach Paris, und kaum anderthalb Jahre später betraten die Minderbrüder des Franziskanerordens die Stadt. Auch an der Universität gewannen Dominikaner und Franziskaner in kürzester Zeit viele Mitglieder unter den Studenten wie unter den Lehrenden. A. Zimmermann (1981), S. 87-93; W. Kluxen (1981), S. 281-283; J. Ehlers (1974), S. 58·62. 12 P. Lucentini (1987), S. 185-187. 11
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Andreas Speer
Daraus erklärt sich ihre rasch wachsende Rolle an der theologischen Fakultät, die schon bald zu erheblichen Spannungen führen sollte. Diese mündeten schließlich in den sogenannten Mendikantenstreit zwischen den weltgeistliehen Professoren der theologischen Fakultät und den neuen Orden, die durch Übertritte bereits 1236 drei ordentliche Lehrstühle innehatten 13 • Unter den weltgeistliehen Magistern, die in den Orden der Minderbrüder eintraten, war auch Alexander von Haies, einer der späteren Lehrer Bonaventuras. Diese zweifellos weithin Beachtung findende Entscheidung eines der angesehensten Universitätslehrer der damaligen Zeit könnte zu den ersten Eindrücken des jungen Johannes Fidanza in Paris gehört haben. Nach dem Abschluß der Artesstudien und der Erhebung zum Magister Arti um tritt schließlich auch Johannes 1243 in den Franziskanerorden ein und erhält den Ordensnamen Bonaventura 14 . Danach setzt er seine wissenschaftliche Laufbahn mit den theologischen Studien fort, unter anderem bei Alexander von Haies und Johannes von Rupella. Von 1248-50 ist er dann Baccalaureus der Hl. Schrift - in diese Zeit fällt wahrscheinlich sein großer Kommentar zum Lukasevangelium 15 -, von 1250-52 schließlich Baccalaureus der Sentenzen. Die sogenannten Sentenzen, eine von Petrus Lombardus Mitte des 12. Jahrhunderts zusammengestellte Lehrsammlung 16 , bildeten gleichsam einen theologischen Grundkurs im Rahmen des Theologiestudiums und hatten die wichtigsten systematischen Fragen der Theologie zum Gegenstand. Bonaventuras Sentenzenkommentar17, der
13 F. Van Steenberghen (1977), S. 99f. und S. 105f.; R. Köhn (1976), S. 1-3 und 31-34. 14 ]. G. Bougerol (1988), S. 4 und 35-37; F. Van Steenberghen (1977), S. 105. 15 Commentarius in Evangelium Lucae (VII 1-604). Bougerol (1988), s. 178-180. 16 LThk Bd. 8, Artikel »Petrus Lombardus•, Sp. 367-369; B. Geyer (111960), s. 272-275. 17 Dieserumfaßt die ersten vier Bände der Opera omnia; zum Aufbau siehe Bougerol ( 1988), S. 186-196.
Einleitung
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in diesen Jahren entsteht, zählt zu den nach Umfang und Inhalt reichsten seiner Gattung und übertrifft beispielsweise den Sentenzenkommentar seines Zeitgenossen und Pariser Kollegen Thomas von Aquin um ein vielfaches. Gegen Ende des folgenden Jahres wird Bonaventura dann ordentlicher Magister und erhält die >>licentia ubique docendi«. Dies ist der vorläufige Abschluß seiner akademischen Laufbahn 18 • Damit ist er berechtigt und verpflichtet, eigene Disputationen zu halten. Als Pariser Magister steht ihm dieses Recht sogar an allen Universitäten zu.
III. Für seine erste große Disputation, sozusagen die Antrittsvorlesung, die er zwischen November 1253 und Frühjahr 1254 gehalten hat, hat sich Bonaventura die Frage nach dem Wissen Christi ausgewählt, die er zuvor bereits einmal im Rahmen seiner Vorlesungen zu den Sentenzen behandelt hatte 19 • Doch während er in seinem Sentenzenkommentar an die Vorgaben der »Sententiae« der für alle Komentatoren verbindlichen Autoritäten gebunden ist, können wir in den »Quaestiones disputatae de scientia ChristiContra« eingeleitet wird, folgt aus dieser Anordnung nicht notwendig, in welcher der beiden Argumentenreihen sich diejenigen Argumente finden, welche die vorgebrachte These erläutern und unterstützen (»fundamenta«) oder aber ihr widersprechen (>>opposita>similitudo exemplativa« die ausdrucksfähige Wahrheit selber ist, das ausdrucksmächtige Seins- und Erkenntnisprinzip alles Seienden (>>sua summa veritate omnia aeternaliter exprimens« 45). Die Exemplarität Gottes verbürgt also die Wahrheit des Seienden, weil dieses exemplarisch angelegt ist in der >>Summa veritas«. Ist daher erkannt, daß diese höchste Wahrheit existiert, so ist damit auch die Identität von Erkenntnis- und Seinsordnung gegeben. Um einen solchen Nachweis bemüht sich Bonaventura an mehreren Stellen, indem er zu zeigen versucht, daß das Leugnen einer höchsten Wahrheit diese bereits voraussetzt (Retorsionsargument), oder aber daß im Begriff einer höchsten Wahrheit ihre Existenz bereits enthalten ist, wenn verstanden werden soll, was dieser Begriff besagt (ratio Anselmi) 46 • Das oben genannte Axiom von der Ersterkanntheit Gottes hat hier gleichfalls seinen systematischen Ort. An dieser Stelle zeigt sich aber zugleich auch der entscheidende Unterschied zwischen dem Exemplarismusverständnis Bonaventuras, das bereits die entscheidende Transformation durch Augustinus aufnimmt, und dem platonischen oder neuplatonischen Exemplarimus. Das göttliche Urbild steht nicht an der Spitze einer Seinspyramide, die das Resultat eines Emanationsprozesses darstellt, sondern ist als archetypischer Ausdruck des göttlichen Urgrundes, als das ewige Wort jedem seiner kreatürSc Chr 2 c (V 9a). 46 Sc Chr 4 f. 12 (V 18b); Sc Chr 6 f.S (V 34a); Sc Chr 4 ad 16 (V 25b); Sc Chr 4 ad 23-26 (V 26b-27b); vgl. Hex 4,1 (V 349a); siehe ferner A. Speer (1987), 46-8. 45
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liehen Abbilder gleich unmittelbar nahe. Umgekehrt besitzen die Dinge nicht nur eine Bedeutung in sich, sondern vergegenwärtigen als kreatürliches Abbild das schöpferische Urbild »penes modum repraesentandi« 47 • Das bedeutet, daß die Kreatur zu Gott in Beziehung steht nach Maßgabe der Spur (»vestigium«), des Abbildes (>>imago«) und des Ähnlichkeitsbildes (»similitudoin patria«; damit meint er den jetztigen Zustand der Unvollkommenheit und den Zustand der Vollendung 75 • Doch wäre es verfehlt, in Sc Chr 4 opp. 2 (V 21a) im Anschluß an Augustinus, De Trin. I, 2, 4 (CCSL L, 31, 9-11). 74 Sc Chr 4 ad 2 (V 24b). 75 Sc Chr 4 c (V 24ab), Sc Chr 6 c (V 35ab), Sc Chr 7 c (V 40a), Sc Chr, epil. (V 42b). 73
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dieser Denkfigur nur ein christlich-soteriologisches Motiv zu sehen. In erster Linie dient sie dem Versuch, das auch in der Unterscheidung von Wissen und Weisheit zum Ausdruck kommende Dilemma in der Analytik des menschlichen Erkennens gerrauer zu erfassen. Denn im gegenwärtigen Zustand der Unvollkommenheit gelangen wir bei unserer Suche nach einem Gewißheit verbürgenden Fundament unseres Wissens allenfalls zu solchen Prinzipien, in denen die »ratio aeterna« lediglich in ihrer Allgemeinheit als apriorischer Grund der Erkenntnisgewißheit, nicht aber an sich bekannt ist76 • Der diskursive Intellekt des Wissenden trifft somit lediglich auf erkenntnisleitende Prinzipien, die keine bleibende Gewißheit gewährleisten, weil sie das Erkennen nicht auf das letzte Prinzip zurückführen können; erst darin käme unser Streben nach gewisser Erkenntnis zur Ruhe und zur Erfüllung78 . Eine solche Erkenntnis aber übersteigt den Bereich der diskursiven Vernunft auf eine unmittelbare Einsicht jenes letzten Prinzips hin, das Bonaventura gleichbedeutend >>ewige Maßgabe« (ratio aeterna), >>höchste Wahrheit« (summa veritas), »unfehlbares Licht>Überschreiten« oder einem >>Überstieg« vom Wissen zur Weisheit, der nur wenigen gelingt, im eigentlichen Sinne nur dem vollendeten Intellekt; »deswegen sind auch nur wenige weise, mögen auch viele wissend sein«7s. Im Anschluß an die Tradition der sogenannten spekulativen Mystik vor allem des 12. Jahrhunderts, die sich mit Namen wie Sc Chr 4 ad 16 (V 25b). Sc Chr 4 ad 19 (V 26a). 78 Ibidem; Sc Chr 6 c (V 35a); vgl. ferner: Itin 1,6 (V 297b) und Hex 19,3 (V 420b). 76 77
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Hugo und Richard von St. Viktor verbindetl9 , entfaltet Bonaventura im Corpus der sechsten Quaestio in sechs Stufen einen solchen Erkenntnisweg vom bloßen Glauben (credere) zum vollkommenen Begreifen (comprehendere), das allerdings der unendlichen Trinität vorbehalten bleibt. Die vernunftbegabte Seele erreicht bereits auf der vorgelagerten Erkenntnisstufe des Überschreitens (excedere) das äußerste Maß an Einsicht: sie schaut Gott und gelangt damit zur unmittelbaren Einheitsbetrachtung des obersten Prinzips und der höchsten Wahrheit selbst, ohne mit dieser eins zu werden. Das gilt nicht nur für den Fall, daß wir »in statu viae« ergriffen, entrückt und emporgetragen werden (excedi, rapi), was ein je spezielles Überschreiten des gegenwärtigen Standes bedeutet (>>statum transcenderet«), sondern auch für den Zustand der Vollendung »in patria«80 •
XI. Jedoch eröffnet Bonaventura in den letzten drei Quaestionen noch eine zweite Perspektive hinsichtlich des Verständnisses von Weisheit. Der Ausgangspunkt hierfür ist ein offenkundig theologischer: Es geht um die menschliche Erkenntnis Christi, allerdings nicht in voller phänomenologischer Breite, sondern, wie die Fragestellung der fünften Quaestio sogleich zeigt, um jene Erkenntnis, die sich auf die ungeschaffene Weisheit und all das richtet, was Christus in dieser ungeschaffenen Weisheit (>>Sapientia increata«) zu erblicken vermag. Von dieser unterscheidet Bonaventura die geschaffene Weisheit (»sapientia creatatranscensus«, sondern als »excessus«. Denn das Erkenntnissubjekt überschreitet nicht das Erkenntnisobjekt; vielmehr wird der >>exzessiv« Erkennende zum Gegenstand der Erkenntnis geführt, »indem er auf eine alles übersteigende Weise aus sich herausgeht, wobei er sich über sich selbst hinaus erhebt«88. Es wäre nun aber ein fehlerhaftes Verständnis, in dieser Bestimmung der Reichweite des Erkennens einen grenzenlosen Erkenntnisoptimismus sehen zu wollen. Vielmehr finden sich im Rückblick auf den bisher entfalteten Gedankengang eine Reihe ausgesprochen erkenntniskritischer Motive, die vor allem dem allein auf Vernunft gegründeten Wissen gelten, jedoch auch der Möglichkeit, aufgrund einer erworbenen und damit geschaffenen Weisheit jene höchste Wahrheit vollkommen zu begreifen, welche die Quelle aller Erkenntnisgewißheit ist. Ja, auch eine übernatürliche Erleuchtung, welche die Seele emporhöbe, die Dinge in der ewigen göttlichen Kunst zu erkennen, d.h. in den Bedingungen ihrer Möglichkeit und in ihrem eigentlichen Sein, würde zwar Kontingentes mit Gewißheit erkennen lassen, nicht jedoch eine aktuelle Erkenntnis von Unendlichem 86 Sc Chr 7 c (V 40ab); A. Speer (1987), S. 80f. 87 Vgl. Sc Chr 6 c (V 35a) und unsere Einleitung, Abschn. X.; ferner.den
Artikel »Kontemplation« in: LexMA Bd. 5, Sp. 1414-1416; sowie den Artikel »Extase« in: Dictionaire de Spiritualite t. IV, Sp. 2125-2126. 88 Sc Chr 7 c (V 40a).
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bewirken, also em Überschreiten der eigenen Begrenztheit ermöglichen 89 . Nur so erklärt sich der Abschluß der Quaestionensammlung, die in der Frage nach dem Wissen von Unendlichem ihren systematischen Ausgangspunkt hatte. In einem Nachwort nämlich resümiert Bonaventura den Gedankengang der sieben Quaestionen, um eine auf den ersten Blick überraschende Quintessenz zu ziehen: Die gewonnene Einsicht in den Gang des Erkennens, die im Überschreiten, im Überstieg (»excessus«) als der äußersten und vortrefflichsten Weise des Erkennens gipfelt, führt Bonaventura zu der Schlußfolgerung, daß negative Aussagen geeigneter sind als affirmative, übersteigernde Aussagen (»superpositiones«) mehr als tatsächliche Behauptungen (»positivae praedicationes«), um diese wahre Weisheit zu erfassen. Ganz im Geiste dionysischer negativer Theologie und unter Berufung auf die Schriften des vermeintlichen Apostelschülers verweist Bonaventura darauf, daß »ein inneres Schweigen mehr als ein äußeres Wort« zu jener Erfahrung zu führen vermag90 .
XII. Die Reflexion auf die Bedingungen der Erkenntnisgewißheit und auf die Reichweite unseres Erkennens bleiben für Bonaventura bestimmende Motive auch in seinen späteren Schriften, so etwa in wissenschaftstheoretischer Perspektive in der Schrift >>De reductione artium ad theologiam«, die ebenfalls auf Bonaventuras Vorlesungstätigkeit in den Jahren 1255 bis 1257 zurückgeht91, und für das gegen Ende des Jahres 1259 entstandene >>Itinerarium mentis in Deum«, das ganz in der Tradition der
89 Sc Chr 7 ad 11 (V 41b). 90 Sc Chr, epil. (V 43ab); zu Pseudo-Dionysius siehe die weiterführen·
den Hinweise in Anm. 5. 91 V 319·325. J. G. Bougerol (1988), S. 219f.; A. Speer (1986), S. 180-4.
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spekulativen Mystik die zentralen Gedanken seiner Erkenntnistheorie und Metaphysik fortentwickelt 92. Als diese Schriften entstanden, hatte jedoch Bonaventura, nachdem er am 2. Februar 1257 zum Generalminister der Minderbrüder gewählt worden war, seinen Pariser Lehrstuhl bereits verlassen. Auf ihn wartete die schwierige Aufgabe der Konsolidierung einer Ordensgemeinschaft, die im Verhältnis zur Zahl ihrer Mitglieder einen noch geringen Organisationsgrad besaß. Hinzu kamen innerkirchliche Auseinandersetzungen um das Armutsgebot sowie der Spiritualenstreit innerhalb des eigenen Ordens, bei dem es auch um das Selbstverständnis des neuen Ordens ging. Denn Joachim von Fiore und seine Anhänger erhoben nicht nur im Unterschied etwa zur heilsgeschichtlichen Epocheneinteilung eines Hugo von St. Viktor den Anspruch einer konkreten Geschichtsprophetie, sondern verbanden diese Auffassung mit der Ansicht, die Minderbrüder seien der Orden der unmittelbar bevorstehenden Endzeit 93 . Bonaventura vermochte den Orden institutionell zu reorganisieren und zu stärken sowie die inneren Streitigkeiten zunächst zu überwinden. In diese Zeit fallen seine verschiedenen Schriften zur Auslegung der Franziskanerregel94, die beiden Franziskuslegenden95 sowie die Apologia pauperum 96 • Daneben aber hält sich Bonaventura mehrere Male in Paris auf. Vor allem die drei Predigtreihen, die er in den Jahren 1267 (De decem praeceptis97), 1268 (De donis Spiritus Sancti98) und 1273 (Collationes in Hexaemeron 99) im dortigen Franziskanerkonvent hält, V 296-313. J. G. Bougerol (1988), S. 7 und 215-9; A. Speer (1990), s. 161-165. 93 F. Van Steenberghen (1977), S.187f.; A. Speer (1987), S. 35. 94 Z. B. Expositio super regulam (VIII 391-437) und Sermo super regulam (VIII 438-448); J. G. Bougerol (1988), S.259-266. 95 Legenda maior (VIII 504-565) und Legenda minor (VIII 565-579); J. G. Bougerol (1988), S. 266-272. 96 (VIII 233-330); J. G. Bougerol (1988), S. 272-277. 97 V 507-532. J. G. Bougerol (1988), S. 227-230. 98 V 457-503. J. G. Bougerol (1988), S. 230-235. 99 V 329-449. J. G. Bougerol (1988), S. 235-241. 92
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verraten ein ungebrochenes Interesse am geistigen Leben in Paris und können zugleich als Versuch angesehen werden, die franziskanische Bewegung stärker an die lntellektualität ihrer Zeit anzubinden. Dieser wichtige Grundzug seines Werkes gerät oftmals zugunsten einer spiritualistischen Deutung im Sinne einer "franziskanischen Vorentscheidung« oder einer >>theologie du pauvreemanatio«), die Urbildlichkeit (»exemplaritas«) und die Vollendung (»consummatio«) der Seinswirklichkeit zu bedenken und dies nach dem Grad der Erleuchtung (»illuminatio«) und auf die Weise der Zurückführung (»reductio«) im Sinne der Prinzipienerkenntnis1os. Gleichwohl behält Bonaventura die Grenzen der Reichweite und Gewißheit des vernunftgeleiteten Erkennens im Auge. Zwar 103 F. Van Steenberghen (1977) spricht daher von einem »heterodoxen
Aristotelismus« oder auch vom »Averroismus« (im Überblick Kap. 8, S. 335-387). Zu den Lehrstreitigkeiten siehe ebenda das Kap. 9, bes. S. 389·428. 104 L. Hennefelder (1987), S. 165-8; A. Zimmermann (1965), S. 90. 1os Hex 1,17 (V 332b).
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ist die Metaphysik für ihn Wissenschaft vom Seienden und seinen Prinzipien 106 ; einen weiterreichenden Anspruch von Metaphysik jedoch bestreitet Bonaventura auf dem Wege einer Kritik der Metaphysik, die er zugleich als Vernunftkritik durchführt. Jede auf Vernunft gegründete Wissenschaft steht unter dem Fallibilismusverdikt. Das gilt auch für die Metaphysik, die sich darin von einer auf Offenbarung beruhenden Letztbegründung der Seinswirklichkeit unterscheidet. Obgleich Bonaventura somit abermals die Endlichkeit menschlicher Erkenntnis unterstreicht, so entbindet diese Einsicht dennoch nicht vom gegenstandsbezogenen Gebrauch der Vernunft, wo dieser gefordert ist. Damit eröffnet sich auch in den Augen Bonaventuras ein weites Feld positiver Eigenbedeutung wissenschaftlicher Rationalität, die er unzweifelhaft anerkennt und durch die er sich - ganz Kind seiner Zeit - zugleich herausgefordert sieht. Wenngleich er noch stärker am augustinischen Ideal einer umfassenden christlichen Weisheit und damit an dem Grundanliegen eines einzigen Wissens festhält als manche seiner Zeitgenossen, so verschließt er sich dennoch von Anfang an nicht der Auseinandersetzung mit dem Anspruch der Wissenschaften, ihrerseits Wirklichkeitszusammenhänge konsistent zu erklären107 • Dies gilt auch für sein letztes Werk, den Collationes in Hexaemeron, das die Erkenntniskritik zudem in einen geschichtstheologisch-eschatologischen Entscheidungshorizont stellt 108 . Nachdem Bonaventura am 28. Mai 1273 zum Kardinal erhoben wird, bricht er seine Predigtreihe zum Sechstagewerk ab, die wir aus Mitschriften (»collationes«) kennen, und verläßt Paris, um nicht wieder dorthin zurückzukehren. An verantwortlicher Stelle mit der Vorbereitung des ökumenischen Konzils von Lyon betraut, stirbt er während der vierten Sitzung des Konzils am 15. Juli 1274 in Lyon, nur vier Monate nach Thomas
106 Hex 12,12 (V 386a). 107 A. Speer (1990), S.172-82; E Van Steenberghen (1977), S. 191-194. 108 Siehe hierzu J. Ratzinger (1959); vgl. A. Speer (1987), S. 130-134.
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von Aquin, der am 7. März 1274 auf dem Weg zu eben diesem Konzil in der Zisterzienserabtei von Fossanuova gestorben warl09.
XIII. Damit endet unsere Hinführung zu den »Quaestiones disputatae de scientia Christi«, die zugleich ein erstes Bild ihres Autors und seiner Zeit entwerfen wollte. Deutlich wurde die enge Verflochtenheit Bonaventuras mit dem Denken seiner Zeit, aber auch der besondere Charakter mittelalterlichen Denkens, das einen nicht unerheblichen Teil seines Selbstverständnisses aus seinem Verhältnis zur Überlieferung bezieht. »Nur auf den Schultern des Riesen sieht der Zwerg weiter als der Riese« dieses auf Bernhard von Chartres zurückgehende Wort zum Verhältnis von »antiqui« und »moderni« bestimmt das Verhältnis mittelalterlichen Denkens zur Tradition auch dann noch, als im 12. Jahrhundert die vornehmlich literarische Überlieferung der »auctoritates« unter die Kritik des Wahrheitsentscheides gerät110. Ja, die unvoreingenommene Diskussion verschiedenartigster Lehrmeinungen unterschiedlichster Traditionen macht, wie wir gesehen haben, den Charakter einer universitären Disputation zur Zeit Bonaventuras aus. So nimmt es nicht wunder, in seinen Quaestionen zum Wissen Christi auf eine Fülle philosophischer und theologischer Traditionen zu stoßen. Unter diesen ragen Augustinus, Dionysius Areopagita (oder Pseudo-Dionysius) und Aristoteles heraus. Daß Bonaventura mit den aristotelischen Schriften bestens vertraut ist, zeigt nicht nur die Vielzahl ausdrücklicher und impliziter Bezugnahmen, sondern beispielsweise auch sein Interesse an den neuen, genaueren Aristotelesübersetzungen wie der 109 F. Van Steenberghen (1977), S. 187 und S. 289; J. G. Bougerol (1988),
s. 9-11.
no Alanus ab Insulis, Anticlaudianus, pro!. (ed. R. Bossuat), S. SSf.; W.
Kluxen (1981), S. 282f.; E. Gössmann (1974), S. 53.
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»nova translatio« der Nikomachischen Ethik durch Robert Grosseteste 111 • Auf die ausführliche Auseinandersetzung Bonaventuras mit der aristotelischen Position vor allem in der vierten Quaestio wurde bereits hingewiesen. Mit Augustinus und dem Corpus Dionysiacum beruft sich Bonaventura ferner auf die beiden einflußreichsten Traditionen christlicher Rezeption und Transformation platonischen und neuplatonischen Gedankenguts. Ihr unterschiedlicher Charakter spiegelt sich überaus anschaulich in dem jeweiligen systematischen Kontext wider, in dem Bonaventura sich ihrer Argumente bedient. So finden wir im Zusammenhang der Frage nach der Einheit und der äußersten Grenze des Erkennens, also vor allem in den drei letzten Quaestionen, aber auch in der dritten Quaestio, verstärkte Bezugnahmen auf das dionysische Konzept der negativen Theologie, während Bonaventura beispielsweise seine erkenntnistheoretische Position und exemplaristische Ontologie ganz auf dem Boden der affirmativen augustinischen Begrifflichkeit entwickelt, modifiziert durch den erwähnten Einfluß des Aristoteles. Neben Bibelzitaten finden sich ferner Bezugnahmen auf weitere Kirchenväter (so auf Gregor den Großen) und auf die ganze Breite verschiedener Autoren der Spätantike (beispielsweise Boethius), des Frühmittelalters (etwa Isidor von Sevilla) und der Frühscholastik (z. B. Anselm von Canterbury) bis hin zu den Vertretern der einflußreichen Schulen des 12. Jahrhunderts (wie Hugo und Richard von St. Viktor). Gleichfalls herangezogen wird der sogenannte >>Liber de causis«, eine einflußreiche Sammlung neuplatonischer Lehrsätze, die wahrscheinlich auf die >>Elementatio theologica« des Proklos zurückgeht, bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts jedoch als Werk des Aristoteles galt und dessen Rezeption zum Teil nachhaltig beeinflußt hat 112 • Ungeklärt hingegen ist der mögliche Einluß Eriugenas. Auch wenn Eduard-Henri Weber insbesondere Eriugenas Schrift Vgl. Sc Chr 4 f. 16 (V 18b). 112 Siehe die Einleitung von A. Pattin (1966) zu seiner Edition des Liber de causis, S. 2-16; F. Van Steenberghen (1977), S. 86-87 und s_ 176-177. 111
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»De divisone naturae« als eine wichtige Quelle für Bonaventuras Expressionismus ansieht und dies sowohl systematisch wie terminologisch zu belegen sucht 113 , und obgleich Bonaventura an einigen Stellen offenkundig Eriugenas Übersetzung des Corpus Dionysiacum vorgelegen hat 11 4, so findet sich gleichwohl kein einziges ausdrückliches Eriugenazitat. Bedenkt man die eingangs erwähnten Verurteilungen Eriugenas in den Jahren 1223-1225, welche die von Anfang an eher verhaltene Eriugenarezeption noch erschwerten 115 , so möchten wir uns für die vorliegende Textausgabe mit entsprechenden Referenzen Zurückhaltung auferlegen und das Problem einer eingehenden Einzelstudie vorbehalten sehen. Referenzen werden demnach nur dort gegeben, wo sich bei Bonaventura selbst ein ausdrückliches Zitat findet bzw. wo er auf eine Quelle verweist, oder aber in dem Falle, daß eine implizite Bezugnahme offenkundig vorliegt (diese wird dann zur Unterscheidung mit >>vgl.« eingeleitet). Auf diese Weise wird dem E.-H. Weber (1985), S. 208-220. In den Mittelpunkt seiner systematischen Überlegungen stellt Weber das Begriffsfeld: expressio, exprimere, expressivus. Jedoch läßt sich auch mit Hilfe des Eriugena-Index von G. H. Allard (1983) zeigen, daß eine Abhängigkeit Bonaventuras von Eriugenas Terminologie in dem von Weber behaupteten Maße nicht nachgewiesen wer· den kann. Die vor allem im Kommentar zu Quaestio 3 (Weber, S. 81-83) angeführten Beispiele weisen sogar keinerlei Bezug zu Eriugena auf: das »uniformiter• in f. 7 (V lla) entstammt einem auf Aristoteles zurückgehenden Argument, die Ausdrücke •[rationes] producentes et productae• sowie •[principium primum] unice unum• in opp. 10 (V 13a) finden sich bei Eriugena überhaupt nicht (vgl. Allard). 114 Vgl. insbesondere Sc Chr 7 c (V 40a) und Sc Chr, epil. (43b); ferner Sc Chr 4 opp. 6 (V 21b). Die selbstverständlich bestehenden gedanklichen Parallelen ergeben sich vor allem dort, wo sowohl Eriugena als auch Bonaventura auf das Corpus Dionysiacum bezug nehmen. 115 P. Lucentini (1987), S. 185-187; zum schwierigen Rezeptionsproblem Eriugenas siehe den gesamten von W. Beierwaltes (1987) herausgegebenen Band. Von dieser Problematik spricht auch E.-H. Weber (1985), sieht in Bonaventura jedoch einen Zeugen für eine unter einem •manteau de l'anonymat• fortbestehende Eriugenatraditon (S. 208), ohne jedoch diese Hypothese näher zu begründen. 113
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Leser der angesprochene Diskussionszusammenhang und Traditionsbezug unmittelbar verständlich. Die in der Forschung üblichen Kurzzitationen sind in der Übersicht über die Quellen zusammen mit den entsprechenden Werken aufgeführt.
Hinweise zur Übersetzung Ein letzter Problemkreis, der angesprochen werden soll, hängt unmittelbar mit dem Übersetzen zusammen: »Die Forderung der Treue, die an die Übersetzung gestellt wird, kann die grundlegende Differenz der Sprachen nicht aufheben. Auch wenn wir noch so getreu sein wollen, werden wir vor mißliche Entscheidungen gestellt« 116 . Diese Entscheidungen, von denen HansGeorg Gadamer spricht, beziehen sich einserseits auf die syntaktisch-sprachliche Struktur, der wir so weit wie möglich gefolgt sind, vor allem aber auf die Übertragung bestimmter Begriffe, Termini und Fachausdrücke. Diese können in den wenigsten Fällen durchgängig homolog wiedergegeben werden, weshalb wir auf einen Sachindex verzichtet haben. Als Beispiel sei nochmals auf Begriffe wie »ratio« oder »similitudo« verwiesen117, deren Bedeutungsbreite nur kontextbewgen zu einer adäquaten, und d.h. sinnerschließenden Übertragung führt. U rngekehrt arbeitet Bonaventura bisweilen mit einem ganzen Begriffsfeld für einen Sachverhalt, dessen Konnotationen nur bedingt wiedergegeben werden können. Verwiesen sei auf das lateinische Wortfeld für »Idee« 118 • Schließlich finden sich Begriffe, wie beispielsweise »expressivus« oder »exemplaritas«, die, will man nicht zu einer Übersetzung durch Nichtübersetzung seine Zuflucht nehmen (also etwa »expressiv« oder >>Exemplarität«) nur sehr uneigentlich wiedergegeben werden können, da das zugeordnete deutsche Begriffsfeld dem intendierten Sinn nurmehr wenig entspricht. In solchen Fällen tritt ein, was H.-G. Gadamer (1960, 41975) S. 363. 117 Siehe unsere Einleitung, Abschn. VII. 118 Siehe unsere Einleitung, Abschn. VIII. 116
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Gadamer das Problem der Nerflachung« einer Übersetzung nennt 119 • Gleiches gilt auch dann, wenn der Übersetzer, der zugleich immer Interpret ist, einen wichtigen Zug am Original herausheben will. Dies hat stets zur Konsequenz, daß andere Züge in demselben zurücktreten. Allerdings wird niemand, der die Aufg~be des Übersetzens in diesem Sinn~ begreift, sich solchen Oberhellungen entziehen können. Ein Obersetzer nämlich muß »Farbe bekennen«, er muß klar sagen, wie er versteht. »Jede Übersetzung, die ihre Aufgabe ernst nimmt, ist [demnach] klarer und flacher als das Original« 120 • Desungeachtet besteht jedoch ihre vornehmliehe Aufgabe darin, das Original dem der fremden Sprache weniger Kundigen oder gar Unkundigen zugänglich zu machen und auf diese Weise zu erschließen, ohne an dessen Stelle zu treten. In diesem Sinne will die vorliegende Übersetzung dazu beitragen, daß die nachfolgende Quaestionensammlung eines bedeutenden mittelalterlichen Denkers Teil einer Überlieferung bleibt, auf die nicht nur archivalisch, sondern auch mit dem Bemühen um Verstehen sich zu beziehen lohnt. Ein solches Verstehen aber setzt bei allem Abstand ein Verhältnis der Unmittelbarkeit voraus. Dieses zu vermitteln, ist das eigentliche Ziel. Mögliche Verbesserungsvorschläge zu der vorliegenden Übersetzung als Resultat solchen Verstehens wären daher im Sinne des Übersetzers. Der lateinische Text der Ausgabe entspricht der zwischen 1882 und 1902 vom Collegio di S. Bonaventura in Quaracchi (Ad Claras Aquas) unter der Leitung von Fidelis a Fanna und Ignatius Jeiler herausgegebenen Gesamtausgabe der Werke Bonaventuras. Die Spaltenzählung dieser Edition, nach der üblicherweise zitiert wird, findet sich in eckigen Klammern am Rand des lateinischen Textes wie auch der deutschen Übersetzung. Vorsichtige Korrekturen wurden nur bei der Interpunktion vorgenommen. Zur Geschichte dieser großen Edition sei auf den Beitrag 119 120
H.-G. Gadamer (1960, 41975), S. 364. Ibidem, S. 364.
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Andreas Speer
von M. Köck verwiesen: Quaracchi - Der franziskanische Beitrag zur Erforschung des Mittelalters, in: E. Coreth u.a. (Hg.), Christliche Philosophie im kath. Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 2 Rückgriff auf das scholastische Erbe, Graz.WienKöln 1988, S. 390-396. In diesem Beitrag klingen auch die aus heutiger Sicht erkennbaren Mängel dieser Edition an, die vor allem mit den gewandelten Editionsstandards zusammenhängen. In erster Linie ist dabei das Prinzip der methodischen Durchsichtigkeit zu nennen, so daß der Leser die editorischen Entscheidungen jederzeit mit Hilfe des Apparates überprüfen kann. Eine solche Rekonstruktion der ursprünglichen Quellenlage ist mit Hilfe der Quaracchi-Edition jedoch nur unzureichend möglich. Gleichwohl bietet diese Edition auch auf absehbare Zeit die einzige, mit den erwähnten Einschränkungen zuverlässige, kritische Werkausgabe der Schriften Bonaventuras. Der Ausweis sinngemäßer oder impliziter Zitate wird mit »vgl.« eingeleitet, bei wörtlichen Zitaten fehlt dieser Zusatz. Selbstverständlich wurde darauf verzichtet, die wörtlichen Zitate der Textfassung der jeweiligen kritischen Edition der betroffenen Autoren anzupassen, auf die stets verwiesen wird. Von dieser Regel, den von Bonaventura zitierten Text beizubehalten, wurde nur in einem Falle abgewichen (Sc Chr 4 opp. 16 [V 18b], S. 92); doch auch dort erstrecken sich die Abweichungen vornehmlich auf die Interpunktion. Die Werke Bonaventuras werden ohne Autorenangabe zitiert. Werden für diese Schriften sowie für die Werke anderer Autoren Abkürzungen verwendet, so sind diese, wenn sie nicht als allgemein bekannt angesehen werden können, in dem nachfolgenden Quellen- und Literaturverzeichnis ausgewiesen. Die Zitation erfolgt nach folgendem Schema: (a) bei Bonaventura Werk, Werkgliederung; in Klammern: Band, Seite, Spalte Beispiel: 1 Sent d 35 a 1 q 1 c (I 601b) Sc Chr 3 c (V 14a)
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(b) bei den übrigen Autoren: Autor, Werk, Werkgliederung; in Klammern: Ausgabe, Band, Seite, Abschnitt/Zeile Beispiel: Augustinus, De civ. Dei. XII, 19 (CCSL XLVIII, 375, 24-26) Dionysius Areopagita, De coel. hier. VII, 4 (PG 3, 212A; Dionysiaca, 862) (bei Dionysius wird jeweils auf die Ausgaben von Migne und Chevallier verwiesen) Aristoteles, De anima II (B 5 417 b 24) (in diesem Fall ohne Werkausgabe und Band, dafür mit den üblichen Bekker-Zahlen).
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
A. Die Werke Bonaventuras mit Siglen Bonaventura, Opera omnia, 10 Bde., Quaracchi 1882-1902.
Übersicht der zitierten Werke
(mit Abkürzungsverzeichnis und Entstehungsjahr) Apo! Brev Dec praec Don Spir Hex In
Jo
In Luc ltin Legmai Leg min Myst Trin Perf ev Redart Sc Chr 1-4 Sent Trip! via
Apologia pauperum, 1269, (VIII 233-330) Breviloquium, 1257, (V 201-291) Collationes de decem Praeceptis, 1267, (V 507-532) Collationes de septem donis Spiritus sancti, 1268, (V 457-503) Collationes in Hexaemeron (Reportatio B), 1273, (V 329-449) Commentarius in Evangelium Ioannis, 1254-57, (VI 239-530) Commentarius in Evangelium Lucae, 1254-57, (VII 1-604) Itinerarium mentis in Deum, 1259-60, (V 296-313) Legenda maior sancti Francisci, 1261, (VIII 504-565) Legenda minor sancti Francisci, 1261, (VIII 565-579) Quaestiones disputatae de mysterio Trinitatis, 1254, (V 45-115) Quaestiones disputatae de perfectione evangelica, 1254-55, (V 117-198) De reductione artium ad theologiam, 1254-55, (V 319-325) Quaestiones disputatae de scientia Christi, 1254, (V 3-43) Commentaria in quatuor libros Sententiarum Magistri Petri Lombardi, 1250-52, (I - IV) De triplici via, 1259-60, (VIII 3-18)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
B. Verzeichnis der Reihen und Siglen SC CCSL CSEL
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Quellen
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Ausgewählte Literatur
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D. Ausgewählte Literatur
Literatur zur Geistesgeschichte, insbesondere zur Philosophie des Mittelalters, zu Bonaventura und zu den ausführlicher behandelten Fragestellungen S. Bonaventura 1274-1974. Volumen commemorativum anni septies centenarii a morte S. Bonaventurae Doctoris Seraphici, hg. J. G. Bougerol u. a., 5 Bde., Grottaferrata 1973 f. San Bonaventura - Maestro di vita francescana e di sapienza christiana. Atti del Congresso internazianale per il VII centenario di San Bonaventura da Bagnoregio 1974, hg. A. Pompei, 3 Bde. Rom 1976.
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BONAVENTURA Quaestiones disputatae de scientia Christi Vom Wissen Christi
QUAESTIO I. Utrum seientia Christi, seeundum quod est Verbum, aetu se extendat ad infinita
[3a]
I Quaeritur de seientia Christi, seeundum quod Verbum, utrum
aetu se extendat ad infinita. Et quod sie, ostenditur: 1. Primo auetoritate Augustini, duodeeimo de Civitate Dei, deeimo oetavo eapitulo: »lnfinitas numeri, quamvis infinitarum numerorum nullus sit numerus, non est tarnen ineomprehensibilis ei, euius intelligentiae non est numerus.« 2. ltem, idem undeeimo de Civitate Dei, deeimo eapitulo, loquens de sapientia Dei ait sie: »Neque multae, sed una est sapientia, in qua sunt infinita quaedam eique finiti thesauri rerum intelligibilium>Obgleich es von den unendlichen Zahlen selbst keine Zahl gibt, ist die Unendlichkeit der Zahl dennoch nicht für denjenigen unbegreifbar, dessen Verstand jede Zahl übersteigt.>Magnus Dominus noster et magna virtus eius, et sapientiae eius non est numerus«; et Augustino non solum istud asserente, verum etiam probante duodecimo de Civitate Dei, decimo octavo capitulo, ubi ait sie: »Illud ergo, quod dicunt quidam, scilicet philosophi, nec Dei scientia posse infinita comprehendi; restat eis, ut dicere audeant atque huic se voragini impietatis immergant, I quod non omnes numeros Deus noverit. Eos quippe infinitos esse certissimum est, quoniam in quocumque numero finem ponendum putaveris, idem ipse, non dico, uno addito augeri, sed quantumlibet sit magnus et quamlibet ingentem multitudinem continens, in ipsa ratione atque scientia numerorum non so!um duplicari, verum etiam multiplicari potest. lta vero suis quisque numerus proprietatibus terminatur, ut nullus eorum par esse cuiquam alteri possit: ergo et dispares inter se atque diversi sunt, et singuli quique finiti sunt, et omnes infiniti sunt. ltane numeros propter infinitatem nescit Deus omnes, et usque ad quandam summam numerorum scientia Dei pervenit et cete-
Quaestio 1
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weiß er nicht Unendliches. Also folgt: wenn er Unendliches weiß, weiß er nicht Unendliches. 11. Wenn es schließlich in Gott ein Vermögen zu handeln und zu erkennen gäbe und beide wären unendlich und das Vermögen zu handeln brächte stets Endliches zuwege, so würde auch das Vermögen zu erkennen stets nur der Wirklichkeit nach Endliches erkennen; wenn aber nicht, warum nicht? Das aber heißt zu fragen: da es in Gott ein Wollen, ein Wissen und ein Handeln gibt, und das Wollen und das Handeln sich nicht auf ein Unendliches erstrecken; auf welche Weise erstreckt sich dann das Wissen auf Unendliches, da die Mitte nicht die Extreme überschreitet.
ANTWORT: Um das zuvor Gesagte zu verstehen, ist zunächst zu bemerken, daß wir nach den alten Lehrern gezwungen sind an15 zunehmen, daß Gott Unendliches weiß, wie schon der Prophet David im Psalm sagt: »Groß ist unser Herr und gewaltig seine Kraft, und seine Weisheit ist ohne Zahl.« Augustinus schließt sich dieser Meinung nicht nur an, er billigt sie im achtzehnten Kapitel des zwölften Buches von De 20 civitate Dei sogar ausdrücklich: »Denjenigen, wie etwa den Philosophen, die also sagen, daß das Wissen Gottes nicht Unendliches erfassen könne, muß Widerstand geleistet werden, da sie zu sagen wagen und sich in diesen Strudel an Gottlosigkeit hineinbegeben, I daß Gott nicht alle Zahlen weiß. Daß diese 25 freilich unendlich sind, ist vollkommen gewiß, da dieselbe Zahl, in der du ein Ende zu setzen glaubst, nicht allein um Eins vermehrt werden kann, sondern, wie groß diese auch immer ist und eine wie große Menge sie enthält, entsprechend ihrer eigenen Maßgabe und der Wissenschaft von den Zahlen nicht nur 30 verdoppelt, sondern sogar vervielfacht werden kann. So wird eine jede Zahl durch ihre Eigentümlichkeiten bestimmt und keine von diesen kann einer anderen gleich sein. Mithin sind sie untereinander ungleich und verschieden, einzelne sind für sich 35 genommen endlich, alle aber ingesamt unendlich. Und Gott sollte nicht alle Zahlen wegen ihrer Unendlichkeit wissen? Bis zu welcher Summe an Zahlen gelangt Gottes Wissen und kennt
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[Sa]
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ros ignorat? Quis hoc vel dementissimus dixerit?« Et parum infra: »Infinitas itaque numeri, quamvis infinitarum numerorum nullus sit numerus, non est tarnen incomprehensibilis ei, cuius intelligentiae non est numerus. Quapropter, si quidquid scientia comprehenditur, scientis comprehensione finitur; profecto et omnis infinitas quodam ineffabili modo Deo finita est, quia scientiae ipsius incomprehensibilis non est. Quare si infinitas numerorum scientiae Dei, qua comprehenditur, esse non potest infinita; qui tandem nos sumus homunculi, qui eius scientiae figere Iimitern praesumamus?« - His ergo, tanquam certissimis testibus compellimur dicere vel ponere Deum scire infinita. Modus autem istius positionis assignatur per doctores moderniores, qui dixerunt, quod triplex est modus divinae cognitionis, non propter diversitatem divinae scientiae in se, sed in connotatione. Est enim in Deo cognitio approbationis, visionis et intelligentiae. Cognitio approbationis est bonorum tantum et finitorum. Cognitio visionis est malorum et bonorum, sed finitorum, pro eo quod concernit tempus; est enim eorum solum, quae fuerunt, sunt et futura sunt. Cognitio vero intelligentiae est infinitorum, pro eo quod Deus intelligit non tantum futura, verum etiam possibilia; possibilia autem Deo non sunt finita, sed infinita. Ratio autem huius positionis, quare videlicet ponimus Deum scire infinita et non facere vel velle vel disponere, est, quia divinum scire secundum tertium modum accipiendi est actus Dei intrinsecus. Intrinsecum autem dico non tantum, quia fit ab intrinseco, sed etiam, quia est ad intrinsecum et per intrinsecum
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es die übrigen nicht? Wer ist so von Sinnen, dies zu behaupten?« Und etwas weiter unten schreibt Augustinus: ,,obgleich es keine Zahl der unendlichen Zahlen gibt, ist dennoch die Unendlichkeit einer Zahl dem nicht unbegreifbar, dessen Verstand jede Zahl überragt. Wenn deshalb etwas durch Wissen verstanden wird, wird es durch das Begreifen dessen, der weiß, begrenzt. In der Tat ist jede Unendlichkeit auf eine unaussprechliche Weise durch Gott begrenzt, weil sie seinem Wissen nicht unbegreifbar ist. Wenn deswegen die Unendlichkeit der Zahlen für das 10 Wissen Gottes, wodurch sie verstanden wird, nicht unendlich sein kann, wer sind wir kleinen Menschen dann, daß wir seinem Wissen eine Grenze aufrichten wollen?« Durch diese Argumente und gänzlich unzweifelhaften Zeugen werden wir dazu gezwungen zu sagen und anzunehmen, 15 daß Gott Unendliches weiß. Der Inhalt dieser Position wird auch durch die moderneren Lehrer unterstrichen, die sagen, daß es eine dreifache Art göttlicher Erkenntnis gibt, nicht hinsichtlich einer Verschiedenheit des göttlichen Wissens in sich, sondern entsprechend der Art 20 der Wahrnehmung. Es gibt nämlich in Gott eine Erkenntnis nach Art der Zustimmung, der Anschauung und der Einsicht. Die Erkenntnis nach Art der Zustimmung ist nur auf endliche Güter aus. Die Erkenntnis nach Art der Anschauung richtet sich auf Übel und 25 Güter, die aber auch begrenzt sind, sofern sie sich stets auf die Zeit bezieht; es gibt nämlich unter diesen Dingen nur solche, die waren, sind oder sein werden. Die Erkenntnis nach Art der Einsicht schließlich ist auf Unendliches gerichtet, dergestalt daß Gott nicht nur Zukünftiges, sondern auch Mögliches erkennt 30 und einsieht; für Gott Mögliches aber ist nicht begrenzt, sondern unbegrenzt. Der Grund aber für diese Position, warum wir nämlich annehmen, Gott wisse, nicht aber, er mache, wolle oder ordne U nendliches, ist darin zu sehen, daß das göttliche Wissen gemäß 35 der dritten Weise des Begreifens ein innerlicher Akt Gottes ist. Innerlich aber nenne ich nicht nur das, was von einem innerlichen Akt geschieht, sondern auch das, was in Bezug auf einen
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et secundum modum intrinsecum. Ad intrinsecum, inquam, est, quia divinus aspectus in cognoscendo non desilit extra se, sed aspiciendo se ut veritatem cognoscit omnem veritatem. Per inItrinsecum, quia per rationes aeternas, quae sunt idem quod ipse, cognoscit quaecumque cognoscit. - Secundum modum intrinsecum, quia divinum scire non solum abstrahit a ratione causae actualis, sed etiam causae simpliciter. Seit enim mala, quorum non est causa; seit etiam futura, quae nondum facit; seit etiam possibilia, quae nunquam faciet. Et ideo, quia ipsum scire non concernit neque connotat aliquid actuale exterius, ideo dicit ibi actum per modum habitus, actum, inquam, ipsi potentiae adaequatum - quidquid enim Deus potest scire seit - acturn etiam dicit in nullo coarctatum nec quantum ad se nec quantum ad connotatum, ideo universalem quantum ad loca, quantum ad tempora et quantum ad obiecta. Quidquid enim alicubi scivit ubique novit, et quidquid semel seit semper seit, et sicut unum novit, ita omnia scibilia novit. Unde quia scibilia non tantummodo sunt entia actu, sed etiam in potentia; cum non sit inconveniens ponere infinita in potentia, non est inconveniens ponere infinita actu a Deo scita. Et per hoc patet responsio ad quaestionem et ad obiecta. 1. Ad illud ergo quod obiicitur: omne seiturn verum etc.; dicendum, quod duplex est scientia, scilicet causans res et causata a rebus. Seiturn a scientia causata a rebus est verum in se et in
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und durch einen innerlichen Akt und auf eine innerliche Weise geschieht. In Bezug auf einen innerlichen Akt sage ich, insofern der göttliche Blick beim Erkennen nicht aus sich selbst herausgeht, sondern, indem er sich als Wahrheit erblickt, die 5 gesamte Wahrheit erkennt. Durch einen I inneren Akt hingegen sage ich, wenn er durch die ewigen Ideen, die dasselbe wie er selbst sind, erkennt, was auch immer er erkennt. Auf eine innerliche Weise schließlich sage ich, sofern das göttliche Wissen nicht nur von der Maßgabe der aktuellen Ursache, sondern 10 auch von der Ursache schlechthin abstrahiert. Gott kennt nämlich Übel, deren Ursache er nicht ist; er weiß ferner Zukünftiges, das er noch nicht hervorbringt; und schließlich weiß er Mögliches, was er niemals hervorbringen wird. Weil daher das göttliche Wissen selbst sich nicht auf etwas Wirkli15 ches außerhalb bezieht und ein solches auch nicht wahrnimmt, so nennt man dieses einen Akt nach der Art eines Habitus. Dieser Akt aber entspricht dem Vermögen selbst - was nämlich Gott wissen kann, das weiß er. Dieser Akt auch ist auf keine Weise eingegrenzt, weder in Bezug auf sich selbst noch bezüg20 lieh des Wahrgenommenen, folglich ist er allgemein sowohl hinsichtlich des Ortes, der Zeit wie auch der Erkenntnisgegenstände. Denn was auch immer er irgendwo weiß, weiß er überall, was er einmal weiß, weiß er immer, und kennt er eines, so kennt er alles Wißbare. Weil daher alle wißbaren Dinge nicht 25 nur der Wirklichkeit, sondern auch der Möglichkeit nach Seiende sind, und da es nicht unzulässig ist, der Möglichkeit nach Unendliches anzunehmen, so ist es auch nicht unzulässig, der Wirklichkeit nach Unendliches als von Gott Gewußtes anzunehmen.
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Daraus ergibt sich nun die Antwort auf die Frage unserer Quaestio sowie auf die Einwände. Zu 1. Gegen den Einwand, daß alles, was gewußt wird, wahr ist, etc., kann argumentiert werden, daß es ein zweifaches Wissen gibt, nämlich ein die Dinge verursachendes und ein von den Dingen verursachtes Wissen. Wird etwas von dem selbst von den Dingen verursachten Wissen gewußt, so ist es in Hinblick
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effeetu; seiturn autem a seientia eausante res est verum in eausa et in potentia, et illud verum non infert ens aetu, sed ens in potentia eausae; et ideo ex hoe non sequitur, quodsi Deus seit infinita, quod infinita sunt entia, sed quod infinita Deo sunt possibilia. 2. Ad illud quod obiieitur, quod Deus, quaeeumque seit, iudieat ete.; dieendum, quod Deus in eognoseendo infinita iudieat illa infinita simp1ieiter, sed finita sibi; et hoe non est ineonveniens. Sieut enim non sequitur, quodsi aliquid est infinitum finito, quod sit infinitum simplieiter; sie non sequitur, quodsi aliquid est finitum infinito, quod sit finitum simplieiter; et hoe est quod dieit Augustinus in praemissa auetoritate. 3. Ad illud quod obiieitur, quod omne infinitum est impertransibile ete.; dieendum, quod pertransibile dieitur duobus modis: uno modo per modum diseursivum ab uno in aliud; et hoe modo habet veritatem verbum praemissum, et sie intelligit Philosophus in sexto Physieorum; alio modo per universalem et plenarium eontuitum eius, quod eognoseitur ab intelligentia; et sie infinitum, eum non sit ineomprehensibile infinito, non est ei impertransibile, sed finito tantum. I 4. Ad illud quod obiieitur, quod quaeeumque seit et eognoseit, distinete eognoseit ete.; dieendum, quod illa eonsequentia defieit in hoe, quod dieit: quaeeumque distinguit numerat; quia distinguere est in plus quam numerare. - Vel die, quod quaeeumque distinguit, numerat numero finito vel infinito; sed tune non sequitur, quod mensuret, quia mensura dieit quid finitum tantum.
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auf sich selbst und hinsichtlich seiner Wirkung wahr. Wird etwas aber von dem die Dinge verursachenden Wissen gewußt, so ist es hinsichtlich seiner Ursache und seiner Möglichkeit nach wahr. Jenes Wahre aber fügt nichts der Wirklichkeit nach Seiendes hinzu, sondern ein in der Möglichkeit der Ursache Seiendes. Daraus folgt, auch wenn Gott Unendliches weiß, mithin nicht, daß das Unendliche auch seiend ist, sondern nur, daß das Unendliche für Gott ein Mögliches ist. Zu 2. Dem Argument, daß Gott alles, was er weiß, auch beurteilt, kann entgegengehalten werden, daß Gott, wenn er das Unendliche erkennt, jenes als zwar schlechthin Unendliches, für ihn aber Endliches beurteilt; das ist nicht widersprüchlich. So folgt nämlich nicht: wenn etwas für ein endliches Erkenntnissubjekt unendlich ist, dann ist es auch schlechthin unendlich; und es folgt auch nicht: wenn etwas für ein unendliches Erkenntnissubjekt endlich ist, dann ist es auch schlechthin endlich. Genau das aber sagt auch Augustinus in dem unserer Antwort vorausgeschickten Autoritätsargument. Zu 3. Ferner wurde eingewandt, daß alles Unendliche undurchdringbar ist, etc. Von undurchdringbar kann aber auf eine zweifache Weise gesprochen werden: einmal sofern man auf diskursive Weise von einen zum anderen gelangt; in dieser Hinsicht ist das vorausgeschickte Argument wahr, und so versteht es auch Aristoteles im sechsten Buch der Physik. Sofern aber zum anderen, was immer vom Verstand erkannt wird, umfassend und vollkommen geschaut wird, ist in dieser Hinsicht das Unendliche, da es für das Unendliche nicht unbegreifbar ist, für dieses auch nicht undurchdringbar, sondern allein für das Endliche. I Zu 4. Was das Argument betrifft, daß Gott, was immer er weiß und erkennt, bestimmt erkennt, etc., ist nun zu sagen, daß jene Folgerung darin fehlgeht, daß Gott, was immer er unterscheidet, auch zählt. Unterscheiden nämlich ist mehr als Zählen. - Oder aber sage, daß er das, was er unterscheidet, mit einer endlichen oder unendlichen Zahl zählt. Aber auch daraus folgt nicht, daß er mißt, weil ein Maß nur auf ein Endliches angewandt werden kann.
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5. Ad illud quod obiieitur: si numerat, aut numero pari vel impari ete.; dieendum, quod illa eonsequentia non tenet, pro eo quod numerus infinitus eomprehendit utrumque; unde sieut non tenet ista eonsequentia: homo et asinus sunt animalia, ergo rationalia, vel irrationalia; sie nee eonsequentia praedieta. 6. Ad illud quod obiieitur, quod quaeeumque Deus eognoseit, ordinate eognoseit ete.; dieendum, quod divina eognitio habet eomparationem et ad eognoseentem et ad eognitum; per eomparationem ad eognoseentem quidquid eognoseit simul eognoseit, sieut simul et semel dieit quidquid dieit; per eomparationem autem ad eognitum, dieo, quod ordinate eognoseit; sed sieut eognitum a Deo non tantum est praesens, sed etiam futurum et possibile; sie et ordo ille non est tantum ordo aetualis, sed etiam potentialis, quia non tantum eognoseit res ordinate ordine, qui faetus est, sed etiam ordine, quem potest faeere. Quod ergo dieit, quod omnis ordo habet primum et ultimum; verum est de ordine aetuali, non de ordine potentiali; sieut patet in numeris, qui infinitatem habent et tarnen sunt ordinati; habent enim ordinem possibilem sieut et infinitatem. 7. Ad illud quod obiieitur: aut seit infinita nobis ete.; dieendum, quod seit infinita in se, non quidem aetu infinita, sed in potentia; quae autem sunt in potentia, sunt aetu a Deo seita. Unde infinitas po Itentialis in eognitis suffieit ad infinitatem aetualem divinae eomprehensionis; sieut ergo infinitas in poten-
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Zu 5. Wenn Gott zählt, so wurde behauptet, dann zählt er entweder mit einer geraden oder mit einer ungeraden Zahl. Die hieraus gezogene Folgerung hält jedoch nicht Stand, weil eine unendliche Zahl beiderlei Zahlen umfaßt. Mithin geht auch diese Folgerung fehl: der Mensch und der Esel sind Lebewesen, also gibt es entweder vernunftbegabte oder nicht vernunftbegabte Lebewesen; ein solcher Schluß aber ist gemäß der vorausgehenden Folgerung falsch. Zu 6. Dem Einwand, daß Gott, was immer er erkennt, geordnet erkennt, ist zunächst auf diese Weise zu begegenen, daß die göttliche Erkenntnis hinsichtlich des Erkenntnissubjekts wie des Erkenntnisobjekts betrachtet werden kann. In Hinblick auf das Erkenntnissubjekt erkennt Gott, was er erkennt, zugleich, wie er zugleich und nur einmal sagt, was er sagt. Bezogen auf das Erkenntnisobjekt aber, so sage ich, erkennt er gemäß einer Ordnung. Wie jedoch ein Erkenntnisobjekt von Gott nicht nur erkannt wird, insofern es gegenwärtig, sondern auch sofern es zukünftig und möglich ist, so ist auch jene Ordnung nicht nur eine wirkliche, sondern auch eine mögliche Ordnung, weil Gott die Dinge nicht nur entsprechend der Ordnung geordnet erkennt, die er geschaffen hat, sondern auch gemäß einer Ordnung, die er schaffen kann. Das also besagt, daß jede Ordnung eine Erstes und ein Letztes hat; solches gilt aber nur von einer wirklichen, nicht von einer nur möglichen Ordnung. Dies trifft offenkundig auch auf die Zahlen zu, die zwar eine Unendlichkeit besitzen, aber dennoch geordnet sind; sie haben nämlich eine mögliche Ordnung, wie sie auch Unendlichkeit besitzen. Zu 7. Es wurde auch eingewandt, Gott wisse etwas für uns Unendliches, etc. Nun weiß Gott zwar in sich Unendliches, jedoch nicht der Wirklichkeit, sondern der Möglichkeit nach. Was aber der Möglichkeit nach ist, weiß Gott der Wirklichkeit nach. Daher genügt die potentielle Unendlichkeit I auf Seiten der Erkenntnisgegenstände zur wirklichen Unendlichkeit des göttIichen Verstandes. Wie nämlich die potentielle Unendlichkeit nicht der wirklichen Endlichkeit auf Seiten der Kreatur entgegensteht, so steht auch die wirkliche Unendlichkeit der göttli-
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tia non repugnat finitati aetuali in ereatura, sie nee infinitas aetualis eognitionis divinae repugnat finitati ereaturae. 8. Ad illud quod obiieitur: aut seit infinita in eausa ete.; dieendurn, quod utroque rnodo. - Et si obiieias, quod in eausa sunt unurn; non valet, quia, lieet sit una ars et potentia, tarnen plures sunt rationes rerurn eognoseendarurn. -Si obiieias, quod in proprio genere sint finita; verurn est seeundurn esse, quod habent; sed tarnen seeundurn esse, quod possunt habere, sunt saltern infinita in potentia, et sie infinita a Deo seita, quia, ut saepe dieturn est, quae sunt in potentia, sunt aetu a Deo seita. 9. Ad illud quod obiieitur: A aut est Deus aut aliud a Deo ete.; dieendurn, quod seiturn a Deo aliquando norninat ipsarn rationern eognoseendi, aliquando ipsurn eogniturn extra. Prirno rnodo est Deus, quia, ut dieit Anselrnus in Monologio, »ereatura in Creatore est ereatrix essentia«. Seeundo autern rnodo est aliud a Deo; sed tune non sequitur, quod sit infiniturn aetu, quia ad hoe, quod infinita sint aetu seita a Deo, non oportet, quod sint aetu infinita, sed suffieit, quod sint infinita in potentia in propno genere. 10. Ad illud quod obiieitur: aut A est aequale Deo ete.; dieendurn seeundurn distinetionern praedietarn, quod prirno rnodo est idern quod Deus; seeundo rnodo est aliud a Deo, pro eo quod, lieet habeat infinitatern in potentia, non tarnen habet infinitatern aetualern; Deus autern habet aetualern.
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chen Erkenntnis nicht im Widerspruch zur Endlichkeit der Kreatur. Zu 8. Das Argument, daß Gott Unendliches in seiner Ursache weiß, etc., kann auf zweifache Weise verstanden werden. Wenn du einwendest, daß das Unendliche in seiner Ursache eines ist, so ist dieses Argument nichts wert, weil es, mag es auch nur eine schöpferische Kunst und Macht geben, dennoch viele Ideen von den erkennbaren Dingen gibt. Wirfst Du nun ein, daß das Unendliche in seiner eigenen Gattung endlich ist, so ist dies wahr hinsichtlich des Seins, das es hat. Jedoch gemäß dem Sein, das es haben kann, ist es dennoch zumindest der Möglichkeit nach unendlich, und somit weiß Gott Unendliches, da, wie oben gesagt, dasjenige, was der Möglichkeit nach ist, von Gott der Wirklichkeit nach gewußt wird. Zu 9. Ferner wurde vorgebracht: A ist entweder Gott selbst oder etwas anderes als Gott, etc. Was von Gott gewußt ist, kann einmal Maßgabe des Erkennens, zum anderen das außerhalb Erkannte selbst heißen. Auf die erste Weise nun ist das Erkannte Gott selbst, da, wie Anselm im Monologion sagt, »die Kreatur im Schöpfer identisch mit dem schöpferischen Wesen ist«. Auf die zweite Weise aber ist das Erkannte etwas anderes als Gott; daraus folgt jedoch nicht, daß dieses aktuell unendlich sei, weil aufgrundder Tatsache, daß Unendliches in Wirklichkeit von Gott gewußt wird, nicht angenommen werden muß, daß dieses auch wirklich unendlich ist; es genügt vielmehr, daß es bezogen auf die jeweils eigene Gattung potentiell unendlich ist. Zu 10. Ebenso wurde argumentiert, A ist gleich Gott, etc. Gemäß der vorausgehenden Unterscheidung ist das Erkannte auf die erste Weise dasselbe wie Gott. Auf die zweite Weise aber ist das Erkannte etwas von Gott Verschiedenes, weshalb es, mag es auch eine der Möglichkeit nach bestehende Unendlichkeit besitzen, dennoch keine Unendlichkeit der Wirklichkeit nach hat. Gott jedoch besitzt eine solche wirkliche Unendlichkeit.
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11. Ad illud quod obiicitur ultimo de potentia faciendi et sciendi et de velle sicut et facere, patet responsio ex principali solutione.
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Zu 11. Was schließlich den letzten Einwand hinsichtlich des Vermögens zu handeln und zu wissen, sowie in Hinblick auf das Wollen und Handeln anbetrifft, so ergibt sich die Antwort in aller Deutlichkeit aus der ersten Erwiderung.
QUAESTIO II. Utrum Deus res cognoscat per similitu dines rerum an per earum essentiam
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I Supposito, quod Deus cognoscat infinita, quaeritur, utrum co-
gnoscat illa, quae cognoscit, per similitudines rerum an per earum essentiam. Et quod per similit udines, videtur: 1. Primo auctoritate Scripturae. Ioannis primo: »Quod factum est, in ipso vita erat«: ergo omnia, quae I facta sunt, prius erant in Deo cognoscente: ergo vel per similitudinem vel per veritatem; sed non per veritatem, cum nondum aliquid esset: ergo per similitudinem. 2. ltem, Augustinus sexto de Trinitate dicit, quod »Filius est ars plena omnium rationum viven Itium incommutabilium«; sed rationes in arte nihil aliud sunt quam similitudines rerum artificiatarum et ab artifice cognitarum: ergo idem quod prius. 3. ltem, Augustinus nono de Trinitate, capitulo undecimo, dicit: »Ümnis secundum speciem notitia similis est ei rei, quam novit«; sed divina cognitio, cum non sit secundum privationem, est secundum speciem: ergo necesse est, quod sit similis ei rei, quam novit. Sed non esset similis, nisi haberet rei similitudinem: ergo etc. 4. ltem, Philosophus dicit, »quod intellectus quodam modo est omnia«; sed hoc non est ob aliud, nisi quia intelligens hoc ipso, quod intelligit, assimilatur intellecto: ergo si hoc est de ge-
2. Erkennt Gott die Dinge mittels der Ideen dieser Dinge oder mittels ihres Wesens?
QUAESTIO
I Vorausgesetzt, Gott erkennt Unendliches, so muß gefragt wer-
den, ob er das, was er erkennt, mittels der Ideen der Dinge er5 kennt oder mittels ihres Wesens. Die folgenden Argumente sagen, daß er offensichtlich mittels der Ideen erkennt: 1. Zunächst sei mit der Autorität der Hl. Schrift das erste Kapitel des ]ohannesevangeliums angeführt: »Was geschaffen ist, hat in ihm selbst Leben«. Daher war zuerst alles, was I geschaffen worden ist, in der Erkenntnis Gottes, und zwar entweder mittels der Idee oder der Wahrheit. Es konnte aber noch nicht nach Art der Wahrheit in der Erkenntnis Gottes sein, weil noch nicht etwas war; folglich war es vermittels der Idee in der Er15 kenntnis Gottes. 2. Ebenso sagt Augustinus im sechsten Buch von De Trinitate, daß »der Sohn die vollkommene schöpferische Kunst aller lebendigen und !unveränderlichen Ideen ist«. Die Ideen in der schöpferischen Kunst sind jedoch nichts anderes als die Ähn20 lichkeitsbilder der hervorgebrachten und vom Urheber erkannten Dinge; also bestätigt sich die erste Schlußfolgerung. 3. Ferner sagt Augustinus im elften Kapitel des neunten Buches von De Trinitate: »Eine jede Erkenntnis vermittels eines Erkenntnisbildes ist dem Dinge gleich, das sie erkannt hat.« Da 25 die göttliche Erkenntnis sich aber nicht infolge einer Privation, sondern gemäß einem Erkenntnisbild vollzieht, muß sie notwendigerweise demjenigen Ding ähnlich sein, das sie erkannt hat. Wenn sie diesem nicht ähnlich wäre, besäße sie kein Ähnlichkeitsbild dieses Dinges; folglich etc. 30 4. Darüber hinaus sagt Aristoteles, »daß der Intellekt auf eine gewisse Weise alles ist«. Das jedoch kann nur daher kommen, daß derjenige, der etwas versteht, durch eben dasjenige, was er
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nerali ratione intelligendi; si Deus aliquid intelligit et eognoseit, neeesse est, quod habeat similitudines rerum, quas eognoseit: ergo ete. 5. ltem, ad hoe, quod aliquid perfeete eognoseatur, neeesse est esse adaequationem intelleetus ad intelligibile; sed res ereata non potest adaequari intelleetui ereanti per propriam naturam, eum ille sit simplex, et ipsa eomposita: ergo neeesse est, quod adaequetur ei per similitudinem aliquam simplieem et ab omni materia separatam: ergo ete. 6. ltem, eodem modo eognoseit Deus res, postquam faetae sunt, quo modo eognoseebat, antequam fierent, quia divina notitia non mutatur; sed antequam fierent, non poterat eas eognoseere per proprias essentias; et eognoseebat eas vel per similitudines earum vel per essentias; et non per essentias: ergo per similitudines. Et eodem modo eognoseit nune, quo tune, ergo ete. 7. Item, Deus est agens a proposito; sed omne agens a proposito praeeoneipit illud quod faeturum est; omne autem, quod praeeoneipit aliquid, habet aliquo modo illud penes se vel per veritatem vel per similitudinem: ergo si, antequam res fierent, non habebat eas Deus penes se quantum ad suas essentias, ergo quantum ad earum similitudines. 8. Item, Deus est exemplar vere et proprie, sieut vere et proprie est effieiens et finis; sed exemplar vere et proprie non est, nisi quod habet similitudines rerum exemplatarum, per quas illas eognoseit et faeit: ergo sieut Deo eompetit ratio exemplaritatis, sie et ratio similitudinis. I 9. Item, Deus vere est speeulum aeternum duetivum in omne aliud eognoseibile eognoseendum; sed speeulum non dueit in aliud eognoseendum, nisi eius habeat similitudinem; ergo idem quod prius.
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versteht, sich dem Verstandenen angleicht. Wenn dies nun aber auch von der allgemeinen Maßgabe des Erkennens gilt, und wenn Gott etwas erkennt und versteht, dann muß er mit Notwendigkeit die Ideen der Dinge haben, die er erkennt; mithin etc. 5 5. Um etwas vollkommen erkennen zu können, bedarf es notwendigerweise der Angleichung des Intellekts an den Erkenntnisgegenstand. Ein geschaffenes Ding jedoch kann dem erschaffenden Intellekt nicht seiner eigenen Natur nach gleichkommen, weil jener einfach, es selbst aber zusammengesetzt ist. 10 Also muß es ihm gleichkommen durch ein einfaches und von aller Materie getrenntes Ähnlichkeitsbild; folglich etc. 6. Gott erkennt die Dinge auf dieselbe Weise, nachdem sie erschaffen worden sind, wie er sie erkannte, bevor sie entstanden sind, weil das göttliche Wissen sich nicht wandelt. Bevor 15 sie jedoch wurden, konnte er sie nicht gemäß ihres eigenen Wesens erkennen. Nun erkannte Gott die Dinge aber stets entweder vermittels der Ideen von diesen oder gemäß ihres Wesens: da jedoch nicht gemäß ihres Wesens, so mittels ihrer Ideen. Auf dieselbe Weise aber wie damals erkennt er auch jetzt; mithin etc. 7. Gott handelt planvolL Aber alles planvoll Handelnde macht sich zuvor von dem eine Vorstellung, was es machen will. Alles aber, was sich etwas im vorhinein vorstellt, besitzt jenes auf irgendeine Weise entweder vermittels der Wahrheit oder mittels der Idee. Wenn Gott aber, bevor die Dinge entstanden, diese 25 nicht, soweit es ihr Wesen betrifft, bei sich hatte, dann also hinsichtlich ihrer Ideen. 8. Ebenso ist Gott wahrhaft und eigentlich Exemplarursache, wie er auch im eigentlichen und wirklichen Sinne Wirk- und Zielursache ist. Er ist aber wirklich und eigentlich Exemplar30 ursache nur, sofern er die Ideen der dieser Exemplarursache unterworfenen Dinge besitzt, durch die er jene erkennt und schafft. Also fällt in Gott die Maßgabe des Urbildes und des Ähnlichkeitsbildes in eins zusammen. I 9. Gott ist zudem wirklich der ewige Spiegel, der zum Erkennen alles übrigen Erkennbaren führt. Der Spiegel führt aber nur zu einem anderen Erkenntnisgegenstand, wenn der sein Ähnlichkeitsbild widerspiegelt; also folgt dasselbe wie zuvor.
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10. Item, Deus vere et proprie est verbum; sed verbum est similitudo eius quod dieitur: ergo si Filius Dei est verbum, quo dieuntur omnia, neeesse est, quod in ipso sint similitudines omnium dietorum. 11. Item, ad perfeetionem eognitionis duo eoneurrunt, seilieet Iux et similitudo; sed ratio perfeetissimae lueis omnino salvatur in divina eognitione: ergo similiter et ratio expressivae similitudinis. CONTRA: 1. Anselmus in Monologio, trigesimo primo eapitulo: >>Manifestum est in Verbo, per quod faeta sunt omnia, non esse ipsorum similitudinem, sed veram simplieemque essentiam«: ergo si Deus non eognoseit per aliquid extra se, non eognoseit per similitudinem, sed potius per essentiam. 2. Item, ubieumque est similitudo, ibi est eonvenientia, ubieumque autem est eonvenientia, ibi est eommunieatio alieuius unius a pluribus; sed Deus et ereatura nihil unum eommunieant, quia tune illud esset simplieius Creatore; ergo impossibile est, quod aliqua sit similitudo in Creatore respeetu ereaturae, vel e eonverso. 3. Item, similitudo est relatio aequiparantiae; sed inter Creatorem et ereaturam nulla potest esse relatio aequiparantiae: ergo nee similitudo. 4. Item, sieut aequalitas eausatur ab unitate in quantitate, sie similitudo eausatur ab unitate in qualitate; sed inter Creatorem et ereaturam nullo modo reperitur aequalitas, nee vere nee tran-
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10. In gleicher Weise ist Gott wahrhaft und eigentlich das göttliche Wort. Das Wort aber ist Ähnlichkeitsbild dessen, was ausgesagt wird. Wenn also der Sohn Gottes das göttliche Wort ist, wodurch alles übrige ausgesagt wird, so müssen in ihm notwen5 digerweise die Ideen und Ähnlicheitsbilder alles dessen sein, was ausgesagt wird. 11. Zur vollkommenen Erkenntnis kommen ferner zwei Prinzipien zusammen: das Licht und die Idee. Die Maßgabe des vollkommensten Lichtes besteht jedoch nur in der göttlichen 10 Erkenntnis: also in gleicher Weise auch die Maßgabe der ausdrückenden Idee.
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Die folgenden Argumente sprechen dagegen: 1. Anselm schreibt im einunddreißigsten Kapitel seines Monologion: »Augenscheinlich gibt es im göttlichen Wort, durch das alles geschaffen worden ist, von all diesem kein Ähnlichkeitsbild, sondern die wahre und einfache Wesenheit«. Wenn daher Gott nicht mittels etwas außer ihm Liegenden erkennt, erkennt er nicht vermittels einer Idee, sondern vielmehr mittels des Wesens. 2. Wo immer es Ähnlichkeit gibt, dort ist Übereinstimmung; wo aber Übereinstimmung ist, dort gibt es auch die Mitteilung eines einzigen durch mehrere. Gott und die Kreatur haben jedoch nichts miteinander gemeinsam, weil jenes dann einfacher wäre als der Schöpfer. Es ist also unmöglich, daß es irgendeine Ähnlichkeit im Schöpfer in Hinblick auf die Kreatur gibt, oder umgekehrt. 3. Zudem ist Ähnlichkeit eine Beziehung der Gleichstellung. Zwischen Schöpfer und Geschöpf kann es aber keine Beziehung von der Art einer Gleichstellung geben, also auch keine Ähnlichkeit. 4. Wie Gleichheit von der Einheit der Quantität nach verursacht wird, so gründet Ähnlichkeit in der Einheit der Qualität nach. Zwischen Schöpfer und Geschöpf findet sich aber auf keine Weise eine Gleichheit, weder im eigentlichen noch im übertragenen Sinne, folglich auch aus demselben Grund keine Ähnlichkeit; wenn dort jedoch Ähnlichkeit und keine
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sumtive: ergo nec similitudo consimili ratione; aut si ibi reperitur similitudo et non aequalitas, quaeritur, unde hoc sit. 5. Item, si aliqua est similitudo inter Creatorem et creaturam, minima est: ergo si similitudo est ratio cognoscendi, per se loquendo, ubi maior similitudo, ibi maior ratio cognoscendi, et ubi minima, minima: si ergo Deus cognoscit res per similitudines, sequitur ex hoc, quod minimam habeat rerum cognitionem; quod blasphemum est dicere. 6. Item, una creatura magis assimilatur Deo quam alia, sicut illa quae est, vivit et sentit, quam I illa quae tantum est: si ergo maior similitudo est maior ratio cognoscendi, ergo Deus magis cognoscit unam creaturam quam aliam. 7. Item, si intellectus noster esset omnino in actu, non indigeret similitudine: ergo cum divinus intellectus omnino sit in actu et lux respectu omnis cognoscibilis, videtur, quod ad Dei cognitionem nulla requiritur ratio similitudinis. 8. Item, similitudo est ratio ductiva in aliud, scilicet in illud cuius est similitudo; ubi autem est talis ductio, ibi est decursus et collatio ratiocinativa, hoc autem nullo modo competit divinae cognitioni: ergo nec ratio similitudinis. 9. Item, veritas est ratio cognoscendi, ergo in potissima cognitione potissime salvatur intentio veritatis; sed veritas magis salvatur in ipsa re quam in eius similitudine: ergo si divina cognitio est nobilissima, non cognoscit res per similitudines, sed per essentias. 10. Item, Philosophus in tertio de Anima: »In separatis a materia idem est quod intelligitur et quo