Völkerrechtliche Aspekte der internationalen Verbreitung ziviler Kernenergienutzung [1 ed.] 9783428447565, 9783428047567


108 39 15MB

German Pages 231 [232] Year 1980

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Völkerrechtliche Aspekte der internationalen Verbreitung ziviler Kernenergienutzung [1 ed.]
 9783428447565, 9783428047567

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Schriften zum Völkerrecht Band 65

Völkerrechtliche Aspekte der internationalen Verbreitung ziviler Kernenergienutzung

Von

Norbert J. Prill

Duncker & Humblot · Berlin

NORBERT J. PRILL

Völkerrechtliche Aspekte der internationalen Verbreitung ziviler Kernenergienutzung

Schrifte n z u m Völk e r r e cht Band 65

Völkerrechtliche Aspekte der internationalen Verbreitung ziviler Kernenergienutzung

Von

Dr. Norbert J. Prill

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed In Germany ISBN 3 428 04756 7

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat im Wintersemester 1979/1980 der Rechts­ und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn als Disser­ tation vorgelegen. Schrifttum und neuere Entwicklungen konnten noch bis Frühjahr 1980 berücksichtigt werden. Das Thema habe ich selber gewählt. Für die Betreuung möchte ich Professor Dr. C. Tomuschat danken, als dessen Assistent ich überhaupt erst Zugang zu dem Völkerrecht gefunden habe. Bedanken möchte ich mich auch bei Professor Dr. Broermann für die Aufnahme der Abhandlung in seine Schriftenreihe. Bonn, im August 1980 Norbert

J.

Prill

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen: Der 'Obergang von einem liberalen System zu einer internationalen Nutzungsordnung ...................................... 15 A. Die liberale Weltnuklearordnung im Zeichen des Nichtverbreitungsvertrags (NPT) ..................................................... 21 I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt: Militärische Nonprolife­ ration versus zivile Nutzungsfreiheit ............................ 21 1. Ungleichheit im militärischen Bereich: Die Privilegierung der Kernwaffenstaaten ........................................... 21

a) Das Verbot der Kernwaffenverbreitung und seine Rechtfertigung ..............................., ; ..................... 21

b) Weitere Sondervorrechte der Kernwaffenstaaten und Bemühungen um ihren Abbau ..........'. ...................., 22

aa) Umfassender Teststopp sowie Rüstungsbeschränkung .. 23

bb) Sicherheitsgarantien ... ................................ 25

cc) ,,Friedliche" Kernexplosionen sowie IAEA-Kontrolle über zivile Nuklearaktivitäten der Kernwaffenstaaten .. 30

2. Gleichheit im zivilen Bereich: Das (Forderungs-)Recht der Staaten auf Nutzbarmachung der Kernenergie „für friedliche Zwecke" ..................................................... 34 a) Die Denkfigur der Kompensation: Ein. Recht auf Ausgleich für den militärischen Minderstatus ........................ 35

b) Die Doktrin des Teilhaberechts: Die Begründung eines origi­ nären Rechts vor dem Hintergrund einer Neuen Weltwirtschaftsordnung .......................................... .. 37 aa) Der Ansatz bei Gemeingutvorstellungen . ............... 37 bb) Die positive Deutung der souveränen Gleichheit ........ 41 cc) Die Ableitung aus dem Menschenrechtsgedanken

43

TI. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung .......................... 46 1. Auslegung von Artikel IV ........ .. ..• ....... ................ 46

8

Inhaltsverzeichnis a) Interpretation des Artikels IV auf Grund der allgemeinen Auslegungsregeln .......................................... 46

aa) Exegese des Wortlauts unter Mitberücksichtigung syste­ matischer und teleologischer Gesichtspunkte .......... 47

bb) Dokumente in Verbindung mit dem NPT und nachfol­ gende Staatenpraxis ................................... 53

b) Die Entstehung des Art.IV als zusätzliches Auslegungsmittel 62

2. Gesamtwürdigung des NPT-Regimes .......................... 72 a) Der NPT und die Rechtsquellenlehre: ,,Ungleicher Vertrag", ,,Vertrag im Allgemeininteresse" oder sogar Gewohnheitsrecht? ............... ..................................... 72

b) Der NPT und das koordinationsrechtliche Normengefüge des Völkerrechts: Die weitgehende Anlehnung des NPT-Re­ gimes an das traditionelle Vorbild wenig entwickelter Ordnungssysteme ............................................ 79

B. Die Anstöße der USA für die Errichtung einer reglementierten Weltnuklearordnung .................................................... 83 Vorbemerkungen: Amerikanische Vorstellungen über das Ziel einer internationalen Nutzungsordnung und die Mittel ihrer Durchsetzung 83 I. Ein neues Dogma: Die Verhinderung nationaler „Kernwaffenkapa­ zität" und Probleme einer völkerrechtsgetreuen Verwirklichung des Konzepts ......... ............................................... 85 1. Das Bekenntnis der Exekutive zu „negativen Anreizen" und zur internationalen Konzertierung ............................ 86

a) Die noch unsystematische Suche nach international annehm­ baren Methoden zur Einschränkung „gefährlicher" ziviler Nutzungen der Kernenergie: Das Umdenken unter der FordPräsidentschaft ............................................ 86

b) Das geschlossene Konzept einer internationalen Ordnung für die Nutzung der Kernenergie: Politik unter der CarterPräsidentschaft ............................................ 94 2. Die Neigung der Legislative zu Verboten und einseitigen Zwangsmaßnahmen .................. ........................ 99 a) Ein Streit weniger um das Ziel als um Mittel, und planlose ad-hoc-Maßnahmen ....................................... 99

b) Der Nuclear Non-Proliferation Act als Versuch einer Globallösung .................................................... 104

aa) Prämissen und allgemeine Zielrichtungen .............. 106

bb) Die Einzelregelungen .................... , ............. 108

Inhaltsverzeichnis

9

a) Verhandlungsaufträge .............................. 108

ß) Formalverbote, Ausnahmeerlaubnisse .............. 109 y) Die Eingriffsmöglichkeiten und Zustimmungsvorbe­ halte des Kongresses .............................. 117

cc) Zwischenbilanz ........................................ 118

II. Probleme der Durchsetzung einer neuen internationalen Nutzungs­ ordnung im Rahmen bestehender völkerrechtlicher Bindungen .. 121 1. Die Bindungen der USA auf Grund der geltenden Kooperationsabkommen .................................................. 122 a) Die Begründung einer Lieferverpflichtung .................. 122 aa) Die Abkommenstexte .................................. 122

bb) Die Auslegung der Texte .............................. 126

b) Einschränkungen der Lieferverpflichtungen für die Zukunft: Vertragsrechtlich problematische Fälle .................... 131 aa) Das Erfordernis umfassender IAEA-Kontrolle unter be­ sonderer Berücksichtigung der Fälle Indien und Südafrika ................................................ 131

bb) Der Vorbehalt der Wiederaufarbeitungs-Erlaubnis unter besonderer Berücksichtigung des Falles EURATOM .... 140 a) Der Fall EURATOM - ein Völkerrechtsverstoß der USA .............................................. 140 ß) Die Handhabung der Wiederaufarbeitungsklauseln .. 147

cc) Andere problematische Bestimmungen ................. 155 a) Das Verbot der Verwendung von US-Lieferungen für Kernsprengkörper .................................. 155 ß) Die Sanktionsvorschrift ............................ 158

2. Die Bindungen der USA auf Grund des NPT: Schranken für die Gestaltung der bilateralen Kooperation auf Grund multilateralen Vertrags .............................................. 159 a) Die Vereinbarkeit bestimmter einseitiger Maßnahmen mit Art.IV NPT .. ...................................... ...... 159 aa) Verstoß durch Embargo über sensitive Ausrüstungen? .. 159

bb) Verstoß durch Sanktionen gegen im Export- bzw. Importverhalten „leichtfertige" Staaten? .................. 161 b) Die Abwendung vom NPT-Regime im Spannungsfeld von Vertragstreue und Vertragsfreiheit ........................ 162 3. Zusammenfassung und Weiterführung unter besonderer Berück­ sichtigung allgemeiner Regeln des Völkerrechts .............. 165 a) Druck auf andere Staaten .................................. 165

10

Inhaltsverzeichnis aa) Problematische Beispielsfälle .......................... 165

bb) Die Identifizierung zulässiger Druckmittel .............. 168

b) Das US-Konzept einer internationalen Nutzungsordnung ein funktionales Hierarchisierungsmodell für die Staatengemeinschaft ................................................ 173 C. Entwicklungstendenzen des Nuklearvölkerrechts zehn Jahre nach dem NPT ............................................................... 177 I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer .......... . ....... . ......... 177 1. Die zunehmend restriktive Haltung der Lieferanten .......... 177 a) Die „Harten": Kanada, Australien, UdSSR .................. 177

b) Die „Gemäßigten": Frankreich, Bundesrepublik Deutschland 185 2. Die „Richtlinien für den Nuklearexport" 1976/1978 .. . ......... 187

a) Entstehung und Inhalt .................................... 187

b) Die „Gruppe der Nuklearlieferländer": Ein „Club" als Völkerrechtsproblem? ........................................ 193

II. Die sich herauskristallisierende Weltnuklearordnung: Allgemeine Verantwortung der Völkergemeinschaft oder besondere Verantwortung bestimmter Staaten? ....................................... 198 1. Der Dialog zwischen Ausfuhr- und Einfuhrländern in der „In­ ternationalen Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufs" (INFCE) 198

a) INFCE: Eine neuartige Form internationaler Konzertierung 198

b) Auf dem Weg zu einem Regulierungsabkommen? .......... 204 2. Die Tendenz zur „Entstaatlichung" ............................ 209 a) Die Perspektive institutionalisierter Abhängigkeitsverhältnisse ...................................................... 210

b) Die Perspektive einer Internationalisierung ................ 214 Literaturverzeichnis ................................................... 216

Abkürzungsverzeichnis Abg. ABlEG ABM ACDA AdG AEA AEC AECOR AFDI AJIL A/Res. Art. (art.) atw AVR BGBl. Bull.

= = =

=

= = = =

= = = = =

=

Bull. EG CanYBIL CCD C.P.J.I. CTB DC DCOR Del. Dept. of State Bull. EA ECOSOC ed./ed. EG ENDC EP ERDA ESCOR GAOR IAEA IAEA Bull. ibid. I.C.J. Reports

= = =

=

= = = = = = = = = = = = =

Abgeordnete(r) Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften anti-ballistic missiles Arms Control and Disarmament Agency Archiv der Gegenwart United States Atomic Energy Act United States Atomic Energy Commission United Nations Atomic Energy Commission Offi­ cial Records Annuaire Fran�ais de Droit International American Journal of International Law United Nations General Assembly Resolution Artikel (article) Atomwirtschaft - Atomtechnik (Zeitschrift) Archiv des Völkerrechts Bundesgesetzblatt Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Bulletin der Europäischen Gemeinschaften

The Canadian Yearbook of International Law/ Annuaire Canadien de Droit International Conference of the Committee on Disarmament Cour Permanente de Justice Internationale Comprehensive Test Ban

United Nations Disarmament Commission United Nations Disarmament Commission Official Records Delegierte(r) Department of State Bulletin Europa-Archiv United Nations Economic and Social Council editor, edition/editeur, edition Europäische Gemeinschaft(en) Conference of the Eighteen-Nation Committee on Disarmament Europäisches Parlament Energy Research and Development Administration United Nations Economic and Social Council Official Records United Nations General Assembly Official Records International Atomic Energy Agency International Atomic Energy Agency Bulletin ibidem International Court of Justice. Reports of Judg­ ments, Advisory Opinions and Orders

Abkürzungsverzeichnis

12 id. IDA IFAD IFC IGH ILA ILM ILR INFA INFCE INFCIRC JO

KSZE lit.

n. NNPA No. NPT NRC OECD

OEEC OPANAL

OTA

= = = = = = = = = = = = = = =

=

= = = =

PV

SA

SALT seil. Sen. SIPRI SJIR

SR S/Res. Suppl.

= = = = =

= =

t.

TIAS Treaty Series

UN UNCTAD

Journal Offieiel de la Republique fran�aise

Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa littera

note United States Nuclear Non-Proliferation Aet number, numero Treaty on the Non-Proliferation of Nuelear Weapons Nuelear Regulatory Commission

Organisation for Eeonomie Co-operation and Devel­ opment Organisation for European Economic Co-operation Organismo para la Proscripci6n de las Armas Nu­ cleares en la Ameriea Latina Congress of the United States Office of Technology Assessment page(s) paragraph(s) United States Publie Law verbatim reeords

p. (pp.) para. (paras.) Pub.L.

Rep. Res. R.I.A.A.

idem International Development Assoeiation International Fund for Agrieultural Development International Finanee Corporation Internationaler Gerichtshof International Law Association International Legal Materials International Law Reports International Nuclear Fuel Authority International Nuclear Fuel Cyele Evaluation Information Cireular (IAEA)

= =

United States Representative Resolution Reports of International Arbitral Awards

Schriftliche Anfrage Strategie Arms Limitation Talks seilieet United States Senator Stockholm International Peaee Research Institute Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht/ Annuaire suisse de droit international summary records United Nations Security Couneil Resolution Supplement tome Treaties and other International Aets Series Treaty Series (London)

United Nations United Nations Conferenee on Trade and Develop­ ment

Abkürzungsverzeichnis UNIDO

=

usc

UST

= =

VN

=

UNTS

vol.

wv

WVRK YBILC

Hinweis

13

United Nations Industrial Development Organiza­ tion United Nations Treaty Series United States Code United States Treaties and Other International Agreements Vereinte Nationen. Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen volume

Wörterbuch des Völkerrechts (Hrsg. K. Strupp / H.-J. Schlochauer, 3 Bände, 2.Auflage 1960 - 1962) Wiener Vertragsrechtskonvention Yearbook of the International Law Commission

Zitierte Dokumente sind solche der Vereinten Nationen, soweit nicht etwas anderes ausdrücklich mitgeteilt wird.

Vorbemerkungen: Der Übergang von einem liberalen System zu einer internationalen Nutzungsordnung Die Entdeckung der Kernspaltung hat die Völkergemeinschaft mit dem Problem konfrontiert, wie es gelingen könne, den friedlichen Nutzen der Menschheit damit zu mehren und militärischen Schaden von ihr abzuwenden. Das Dilemma prägt bereits die erste Resolution, die die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1946 verabschie­ det hat1 • Die dadurch eingesetzte Atomic Energy Commission erhielt den Auftrag, Vorschläge zu unterbreiten (a) for extending between all nations the exchange of basic scientific information for peaceful ends; (b) for control of atomic energy to the extent necessary to ensure its use only for peaceful purposes; (c) for the elimination from national armaments of atomic weapons and of all other major weapons adaptable to mass destruction; (d) for effective safeguards by way of inspection and other means to protect complying States against the hazards of violations and evasions. Dieses Mandat sprach die wesentlichen Themen an, die die nachr­ folgende und heute noch andauernde internationale Diskussion be­ herrschten. Deren einzelne Etappen bis Mitte der sechziger Jahre brauchen hier nicht dargestellt zu werden. Völkerrechtliche Probleme der zivilen Kernenergienutzung - und nur diesen ist die vorliegende Arbeit gewidmet - stellten sich damals nicht, jedenfalls nicht solche, die heute noch von Interesse wären. Es galt die aus dem Staatsattribut der Souveränität folgende allgemeine Völkerrechtsregel, daß Staaten berechtigt, aber nicht verpflichtet sind, die Kernenergie selber zu nut­ zen und andere Staaten dabei zu unterstützen. Daran änderte letztlich nichts die Errichtung der Internationalen Atomenergie-Organisation (International Atomic Energy Agency, IAEA), die nach ihrer Satzung2 gerade dazu berufen ist, auf die internationale Verbreitung der zivilen Kernenergienutzung hinzuwirken; ihre Eigenmittel blieben eher be­ scheiden, und sie wurde zunehmend in die Rolle einer Kontrollein­ richtung gegenüber Möglichkeiten des „Mißbrauchs" (d. h. der militä1 1

A/Res. 1 (I) vom 24. 1. 1946. Vom 26.10.1956, 276 UNTS 3

=

BGBl. 1958 II S. 4.

16

Vorbemerkungen

rischen Verwendung) gedrängt. Die IAEA bedarf hier deshalb ebenso wenig einer allgemeinen Schilderung wie das insgesamt durchaus be­ eindruckende, letztlich aber doch diffuse Geflecht bilateraler Abkom­ men und Transaktionen. Vielmehr wird diese Untersuchung bei der zentralen der internationalen Vereinbarungen über die Kernenergie­ nutzung ansetzen, nämlich dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, kurz Non-Proliferation Treaty, im folgenden : NPT) 3 . Zwar entfaltet dieser seine Hauptstoßrichtung eindeutig auf dem Feld der Rüstungs­ kontrolle, was nicht nur an der Bezeichnung, sondern prozedural auch daran deutlich wird, daß er im Genfer Abrüstungsausschuß (damals : Conference of the Eighteen-Nation Committee on Disarmament, ENDC) beraten wurde, bevor die UN-Generalversammlung als sein Initiator das letzte Wort erhielt4 ; doch der NPT enthält auch Aussagen zur zivilen Nutzung der Kernenergie , die Anlaß zu der Frage geben, ob inter partes etwas von der genannten allgemeinen Völkerrechtsregel Abweichendes vereinbart worden ist. Die Tragweite dieser Bestim­ mungen erschließt sich nicht ohne weiteres. Im Wege der Auslegung wird die These zu belegen sein, daß der NPT zwar eine austausch­ orientierte Zusammenarbeit der Vertragspartner vorsieht und insofern ein „soziales" Element aufweist, insgesamt aber nur die Staatenfreiheit im zivilen Bereich bestätigt. Schon bei Abschluß des NPT war klar, daß das Schwarzweißschema einer zivilen oder militärischen (bzw. friedlichen/nichtfriedlichen) Nut­ zung auf einer fragwürdigen Unterscheidung aufbaute, sind doch be­ stimmte Nutzungsformen obj ektiv geeignet, beiden Zwecken zu dienen, so daß die kategorische Einordnung insoweit an subjektive Ansichten anknüpfen muß 5 • Doch der NPT begnügte sich damit, die „ sonstigen Kernsprengkörper" (also die obj ektiv waffentauglichen, subj ektiv aber für einen solchen Einsatz - noch - nicht vorgesehenen, folglich ,, friedlichen") mit einem Verbot zu belegen, sah mithin davon ab, prä­ ventiv auch waffengrädige Materialien (wie Plutonium und hoch.ange­ reichertes Uran) sowie der Herstellung davon dienende Anlagen (also solche zur Anreicherung und Wiederaufarbeitung) - kurz : ,, sensitive" Materialien und Anlagen - mit einer Sperre zu belegen. Damals mochte es vertretbar erscheinen, dieses Problem dilatorisch zu behan­ deln. Zum einen war der NPT eben in erster Linie eine Rüstungskon­ trollmaßnahme und mußte wohl, wie es Maßnahmen dieser Art eigen a Vom 1. 7. 1968, 729 UNTS 161 = BGBl. 1974 II S. 785. 4 A/Res. 2373 (XXII) vom 12. 6. 1968. 5 Bereits 1969 warnte Wilirich: "Control over plutonium and plutonium production capacity will become an . . . international security problem of staggering dimensions in the 1970's and 1980's" (S. 184).

Vorbemerkungen

17

ist, schon deshalb nur partiellen Charakter tragen, also des Anspruchs auf eine Globallösung in seinem Bereich entsagen; zum anderen waren die (absehbaren) Probleme in jenem Kerntechnik-,, Kondominium" sei­ nerzeit noch nicht so aktuell, daß eine schnelle Lösung dringlich er­ schienen wäre. So waren es dann spätestens die mittlerweile notorischen prakti­ schen Erfahrungen Mitte der 70er Jahre - namentlich die „friedliche" indische Kernsprengkörper-Explosion vom 18. Mai 1974 sowie die Lie­ ferverträge der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs mit Brasilien bzw. Pakistan über sensitive Anlagen -, welche die inter­ nationale Diskussion über die Weitergabe ziviler Nukleartechnologie entscheidend belebten und alsbald hektisch gestalteten. Damit brach sich zugleich eine neue Betrachtungsweise Bahn. Ging es ursprünglich darum, gegenüber der Rüstungskontrollmaßnahme der Nichtverbrei­ tung von Kernwaffen der zivilen Nutzung der Kernenergie Geltung zu verschaffen - die Verhandlungen über den NPT legen davon Zeug­ nis ab -, so handelte es sich nunmehr darum, gegenüber der tatsäch­ lich stattfindenden internationalen Verbreitung ziviler Nukleartechno­ logie nicht den Gesichtspunkt der waffentechnischen Proliferation zu vernachlässigen. Zahlreiche Nuklearlieferländer gingen zu einer restriktiven Haltung über, zunächst unilateral, später auch teilweise konzertiert. Es kam zu Embargos, einer Verhärtung der Kontrollanforderungen und allge­ mein zu einer Verschärfung der Ausfuhrbedingungen, bis hin zu sol­ chen, die der Gestaltung von Kernenergieprogrammen durch die Empfängerstaaten galten. Etlichen Staaten erschien es wichtig zu ver­ hindern, daß die Zahl der Länder zunehme, welche nationale Verfü­ gungsgewalt über sensitive Anlagen, Materialien und Technologie hätten. Das liberale NPT-System war dieserart in Frage gestellt. Ob die restriktiven Tendenzen politisch gutzuheißen sind oder nicht, muß hier natürlich offen bleiben, und überhaupt soll diese Arbeit keinen Kommentar zum Für und Wider der zivilen Kernenergienutzung ent­ halten. Hier interessiert allein die Frage, ob sich die Staaten bei dem Versuch, neue internationale Ordnungsvorstellungen durchzusetzen, im Rahmen bestehender völkerrechtlicher Bindungen bewegt haben, und inwieweit die verschiedenen Initiativen, Maßnahmen, Beratungen und Vereinbarungen Rückschlüsse auf einen Völkerrechtswandel zu­ lassen. Es erscheint gerechtfertigt, das Problem des völkerrechtlichen Spielraums am Beispiel der USA zu erörtern. Diese sollen damit nicht auf eine „Anklagebank" gesetzt werden (die Wahl des Exempels wäre dann schon insofern fragwürdig, als die USA nicht die restriktiv­ ste Haltung im Kreis der Nuklearlieferländer eingenommen haben) ; vielmehr liegt es deshalb nahe, den zentralen Teil dieser Arbeit der 2 PrW

18

Vorbemerkungen

US-Politik zu widmen, weil die Vereinigten Staaten weltweit der be­ deutendste Exporteur nuklearer Anlagen und Materialien sind. Da die Abwendung der USA vom NPT-System konzeptionell einen profunden Einfluß auf die Staatengemeinschaft ausgeübt hat, erscheint es geboten, den Gang des Umdenkens eingehend nachzuzeichnen und in diesem Zusammenhang auch die Aktivitäten des Kongresses zu wür­ digen, die 1978 im Nuclear Non-Proliferation Act gipfelten. Die Ein­ zelmaßnahmen und programmatischen Vorstellungen werden sodann an vertragsrechtlichen Maßstäben gemessen werden müssen. Die Un­ tersuchung wird sich hier auf zwei Fragen konzentrieren: Zum einen darauf, ob die einseitige Verschärfung der Lieferbedingungen mit den bestehenden bilateralen Kooperationsabkommen im Einklang gestan­ den hat, zum anderen darauf, ob Maßnahmen wie ein Embargo über sensitive Ausrüstungen, Sanktionen gegen mißliebige NPT-Partner und bestimmte Versuche, NPT-Partner zur Einschränkung ihrer na­ tionalen Kernenergieprogramme zu veranlassen, als Verstoß gegen den NPT gewertet werden müssen. Und schließlich bieten verschiedene US-Maßnahmen, mit denen Druck auf andere Staaten ausgeübt wor­ den ist, Anlaß, auf die entsprechenden Völkerrechtsregeln einzugehen. Die Erörterungen werden zu der These führen, daß die USA nicht durchweg an den vertragsrechtlich gezogenen - d. h. letztlich selbst­ gesetzten - Grenzen haltgemacht haben. Im Schlußteil der Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die Entwicklungstendenzen des Nuklearvölkerrechts zehn Jahre nach dem NPT aufzuzeigen. Es wird sich herausstellen, daß die Staatenge­ meinschaft an einer Weggabelung und vor einer Entscheidung von großer Tragweite6 steht. Es ist immer noch denkbar, daß die Nuklear­ lieferländer mehrheitlich dem Konzept eines Systems institutionalisier­ ter Abhängigkeitsverhältnisse treu bleiben werden, in dem ihnen besondere Verantwortlichkeiten, wenn nicht Bevorrechtigungen zu­ kommen sollen. Dafür spricht weniger die Verabschiedung von „Richt­ linien für den Nuklearexport" durch eine fünfzehn Staaten vereini­ gende „Gruppe der Nuklearlieferländer" (1976/78), die letztlich nur einen kleinsten gemeinsamen Nenner repräsentiert und sich auch des­ halb wohl als ephemäre Episode erweisen wird. Stärkere Indizien sind die harten Positionen, die etliche Lieferstaaten gegenüber ihren Part­ nern im bilateralen Verhältnis eingenommen haben. Es ist aber auch vorstellbar, daß die Nachfolge des wohl definitiv überholten liberalen, die Staatenfreiheit unterstreichenden NPT-Systems von einer zivilen Nutzungsordnung angetreten werden wird, die auf einem Konsens der 6 „Die in der derzeitigen Phase vorgenommenen Weichenstellungen dürf­ ten das internationale Geschehen noch auf Jahrzehnte beeinflussen", so Kaiser, Neue Dimensionen, S. 270.

Vorbemerkungen

19

Völkergemeinschaft aufbaut, die gemeinsame Verantwortung aller kerntechnisch relevanten bzw. interessierten Staaten anerkennt und im sensitiven Bereich multinationale Lösungsansätze - wenn nicht sogar Internationalisierungsmodelle - ins Auge faßt. Hauptindiz da­ für, daß die Staatenwelt schließlich diesen Weg beschreiten wird, ist die „Internationale Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufs" (Inter­ national Nuclear Fuel Cycle Evaluation, INFCE), ein technisches Kon­ zertierungsbemühen, an dem mit Ausnahme Chinas praktisch alle kerntechnologisch relevanten Staaten teilgenommen haben und das nach etwa zweieinhalbjähriger Dauer im Februar 1980 zuendegegangen ist. INFCE muß schon j etzt das Verdienst bescheinigt werden, der hek­ tischen Staatendiskussion eine Atempause7 gewährt zu haben, und es ist vor allem diese - vielleicht nur vorübergehende - Beruhigung in einer ansonsten stark im Fluß befindlichen Rechtsentwicklung8 gewe­ sen, die es gestattet hat, die vorliegende Zwischenbilanz zu ziehen. In der folgenden Darstellung sollen vor allem die Staaten selber zu Worte kommen9 • Schon die Fülle des Materials verrät, wie sehr sich hier die Staaten engagiert haben - sei es aus internationalem Ver­ antwortungsgefühl, sei es in nationaler Interessenwahrung. Allein die Beratungen in der UN-Generalversammlung über den NPT währten, nachdem jahrelange Verhandlungen im Achtzehn-Mächte-Abrüstungs­ ausschuß vorausgegangen waren, nahezu sieben Wochen (26. April bis 12. Juni 1968), wobei die Sicherstellung ziviler Kernenergienutzung einen besonders hohen Stellenwert hatte. Etliche Staaten (z. B. Japan, Schweiz) traten dem NPT nur lustlos und eher skeptisch bei1° . Von den Gewissensbissen legen etwa die z. T. emphatischen Erklärungen be­ redtes Zeugnis ab, welche u. a. Australien, Italien, Japan, die Bundes­ republik Deutschland und die Schweiz bei Unterzeichnung oder Rati­ fikation des NPT abgegeben haben. Zwei Konferenzen wurden zu her­ vorstechenden Fora für die petita und gravamina der „Nichtnuklearen" : Deren unter UN-Auspizien stattfindende Zusammenkunft im Jahre 7 Vgl. Patermann, Halbzeit bei INFCE, S. 175 (,,Denkpause", ,,Zeitgewinn") ; Lellouche, Politics, S. 341 (,,nuclear ,truce' "). s „state of flux", so Goldschmidt I Kratzer, S. 52 ; ,,matiere en tres rapide evolution", so Courteix, Exportations, S. 1. 9 Der Verfasser will versuchen, es einer von Sehachter in durchaus ver­

gleichbarem Zusammenhang gemachten Ankündigung nachzutun (Sharing the World's Resources, New York 1977, S. 5) : "This will be essentially an empirical analysis in the sense that it is based on the evaluative statements and behavior of governments and international organs rather than on theoretical assumptions." Eine Fülle von Literaturäußerungen ist zwar von unbestreitbarem zeitgeschichtlichen bzw. poliitkwissenschaftlichen Wert, juristisch jedoch ohne Belang. 1 0 ,,. . . threats, promises and pressures were employed against reluctant nations", so Kaplan, S. 1045, mit dem anschließenden Werturteil „shameful chapter in recent history".

20

Vorbemerkungen

1 968 sowie die erste NPT-Überprüfungskonferenz 1975. Daneben be­ schäftigte das Nonproliferationsthema j ährlich den Genfer Abrüstungs­ ausschuß, die IAEA-Generalkonferenz sowie die UN-Generalversamm­ lung, deren Arbeit schon deshalb eine besonders wertvolle Quelle dar­ stellt, weil an ihr praktisch alle Staaten teilhaben. Bei den zahllosen Debatten und Verlautbarungen ging es natürlich nicht nur um das internationale Regime der zivilen Kernenergienut­ zung, speziell im sensitiven Bereich, sondern auch um spezifische Fra­ gen der internationalen Sicherheitspolitik, insbesondere den Abbau von Sonderdiskriminierungen, die die grundlegende Statusunterscheidung zwischen Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten im NPT be­ gleiten. Deshalb sollen hier auch die diesbezüglichen Entwicklungen in dem Maße knapp geschildert werden, in dem die Themen inter­ national verwoben sind. Der Schwerpunkt muß aber bei der Völker­ rechtsordnung für die internationale Nutzbarmachung der zivilen Nukleartechnologie liegen. Es geht dabei um Spannungen zwischen souveräner Gleichheit und diskriminatorischen Regelungen bzw. Re­ gelungsversuchen, zwischen Kartellbildung und einvernehmlicher Re­ gelung der Austauschbeziehungen, zwischen Aufoktroyierung nationa­ ler „ world order" -Modelle und internationaler Konsenssuche. So er­ weist sich der Streit über die internationale Verbreitung der zivilen Kernenergienutzung in vielfacher Hinsicht als beispielhaft für allge­ meine Probleme des Völkerrechts im letzten Drittel des 20. Jahrhun­ derts.

A. Die liberale Weltnuklearordnung im Zeichen des Nichtverbreitungsvertrages (NPT) I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt: Militärische Nonproliferation versus zivile Nutzungsfreiheit 1. Ungleichheit im militärischen Bereich: Die Privilegierung der Kernwaffenstaaten a) Das Verbot der Kernwaffenv erbreitung und seine Rechtfertigung

Als Gründe für die Prohibition der Kernwaffenverbreitung führt die Präambel des NPT an: Die Aussicht auf die Verwüstung, die ein Atomkrieg über die ganze Menschheit bringen würde ; die Notwendig­ keit, alle Anstrengungen zur Abwendung der Gefahr eines solchen Krieges zu unternehmen und Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Völker zu ergreifen ; die Auffassung, daß die Verbrei­ tung von Kernwaffen die Gefahr eines Atomkrieges ernstlich erhöhen würde. Die Doktrin lautet also einfach: Je mehr Staaten über Kernwaf­ fen verfügen, desto größer die Gefahr eines Atomkrieges1 • Sie war und ist durchaus nicht unumstritten. Insbesondere in Frankreich sind ihr namhafte Kritiker entgegengetreten2 , International hat sich jedoch die „ statistische Argumentation" durchgesetzt3 , und sogar die Konfe­ renz der Nichtkernwaffenstaaten von 1 968 bekannte sich zu der Vor­ stellung, die Verbreitung von Kernwaffen würde die Sicherheit aller Staaten gefährden bzw. die internationale Spannung verschärfen und die Schwierigkeit vermehren, Frieden und Sicherheit auf regionaler und weltweiter Ebene zu erhalten4 • Praktisch kein Staatenvertreter

1 „Je mehr Nuklearstaaten ... es gibt, desto gefährdeter ist der Friede", so schlicht eine Presseerklärung der schweizerischen Regierung vom 27.11. 1969, EA 25 (1970) S.D 15. 2 Insbesondere P. M. Gallois, Strategie de l'äge nucleaire, 1960 ; die fran­ zösische Regierung war jedoch gegen die Proliferation, vgl. Außenminister Couve de Murville, A/PV 1341, para. 105, und Del. Michelet, A/C.1/PV 1626, para. 101. s Nochmalige Würdigung der jeweiligen Argumente bei Bull, S.177 - 182. 4 Res.E, in: A/CONF. 35/10, S.9. Freilich ist die Entschließung nur mit 38 Stimmen gegen 3 bei 35 Enthaltungen angenommen worden (ibid. An­ nex IV, S. 12), doch in der Aussprache waren andere Gesichtspunkte (insbe-

22

A.I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

hielt die Proliferation für wünschenswert. Die Frage, ob die Doktrin stimmt, kann hier auf sich beruhen. Ausgangspunkt muß der Konsens oder Quasi-Konsens der Staatengemeinschaft sein, die horizontale Kernwaffenproliferation sei Frieden und Sic.li.erheit in der Welt ab­ träglich. Damit wird also die waffentechnologische Prohibition gerecht­ fertigt, oder präziser: die (von den Nichtkernwaffenstaaten als vorüber­ gehend verstandene) militärische Statusprivilegierung der Kernwaffen­ staaten bzw. die grundlegende Diskriminierung der Nichtkernwaffen­ staaten zugunsten der Kernwaffenstaaten. Die Kernwaffenverweige­ rung soll demnach ihren rechtfertigenden Grund in der Wahrung von Weltfrieden und -sicherheit finden5 • An einer anderen Stelle dieser Arbeit wird auch die Frage aufgeworfen werden, ob die Ungleichbe­ handlung auf einer völkerrechtlich tragfähigen Grundlage steht; zuvor sei aber das NPT-Regime in seinen Einzelheiten vorgestellt. b) Weitere Sondervorrechte der Kernwaffenstaaten und Bemühungen um ihren Abbau Dem NPT wurde von Anfang an entgegengehalten - und zwar auch von Staaten, die ihm beigetreten sind -, er verschaffe den Kernwaf­ fenstaaten Sondervorrechte, die nicht die zwangsläufige Folge der Grunddiskriminierung und deshalb noch weniger als diese hinzuneh­ men seien. So gibt es seit 1968 Bemühungen um den Abbau solcher Privilegien, also um die Beseitigung von gleichheitswidrigen Beschrän­ kungen, die durch die die Kernwaffenverweigerung rechtfertigenden Gründe nicht zwingend mitgedeckt werden. Die entsprechenden Ent­ wicklungen seien hier nun knapp skizziert. Sie gehören zwar nicht un­ mittelbar zu dem Komplex der zivilen Kernenergienutzung speziell durch Nichtkernwaffenstaaten (abgesehen - auf den ersten Blick wenigstens - von dem Problem „friedlicher" Kernexplosionen), doch ihre kurze - und deshalb notwendigerweise fragmentarische - Schil­ derung vermag den Gesamtzusammenhang deutlicher zu machen, in den die Auseinandersetzung um eine proliferationsfeindliche Welt­ nuklearordnung eingebettet ist. sondere IAEA-Kontrollmaßnahmen) kontrovers gewesen (vgl. A/CONF. 35/ C. 1/SR 1 - 22, S. 77 ff.). Vgl. auch die Schlußerklärung der NPT-Überprü­ fungskonferenz vom 30. 5. 1975 : ". . . that universal adherence to the Treaty would greatly strengthen international peace and enhance the security of all States", NPT/CONF/30/Rev. 1 (Präambel). 0 Vgl. statt aller Del. Galindo Pohl (El Salvador), A/C. 1/PV 1567, para. 58 : "Legalizing this situation (seil. the division between nuclear weapon States and non-nuclear weapon States) through the consent of the international community . . . is . . . a price we must pay for the cause of international peace and security."

1. Ungleichheit im militärischen Bereich

23

aa) Umfassender Teststopp sowie Rüstungsbeschränkung In der Aussprache über den NPT wurde die Kritik laut, der Ver­ trag würde die Nichtkernwaffenstaaten so stellen, als hätten sie ein umfassendes Teststoppabkommen unterzeichnet. Wer keine Kern­ sprengkörper haben dürfe, könne solche auch nicht zünden, nicht ein­ mal unterirdisch, was den Kernwaffenmächten auf Grund des Mos­ kauer Vertrages von 1 963 über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser6 unbenommen bleibe 7 • Der NPT beschränkte sich in der Tat darauf, in der Präambel das Ziel eines umfassenden und dauerhaften Teststoppverbots kom­ mentarlos zu zitieren. Die fortbestehende Möglichkeit der Kernwaffen­ staaten, ihre Nukleararsenale nicht nur zu behalten, sondern dieser­ art sogar noch weiter zu verbessern und verfeinern, stieß auf die Miß­ billigung der Nichtnuklearen. Die Generalversammlung ließ schon seit 1965 keine Jahrestagung verstreichen, ohne zu dem Abschluß eines umfassenden Abkommens aufzurufen8 • Einen gewissen Fortschritt stellten zwei bilaterale Teilabkommen zwischen den USA und der UdSSR dar, nämlich die Verträge vom 3. Juli 1974 über die Begrenzung unterirdischer Kernwaffenversuche sowie vom 28. Mai 1976 über un­ terirdische Kernexplosionen für friedliche Zwecke9, welche die höchst­ zulässige Sprengkraft pro Zündung auf j eweils 1 50 Kilotonnen be­ schränkten. Doch diese Vereinbarungen erregten international auch Unmut. Zum einen war die verzögerte Einbeziehung der „friedlichen" Kernexplosionen kaum mit der von beiden Staaten hartnäckig �er­ tretenen Doktrin vereinbar, zwischen „friedlichen" und militärischen Explosionen bestehe (bislang wenigstens) technisch kein Unterschied 10 • Zum anderen waren die Abkommen ratifikationsbedürftig, und der US-Senat, dem die beiden übereinkommen am 29. Juli 1976 gemeinsam zugeleitet wurden, hielt die Beschlußfassung über seinen „advice and 480 UNTS 43 = BGBl. 1964 II S. 906. In diesem Sinne Del. Khatri (Nepal), A/C. 1/PV 1559, para. 44. Ähnlich orientiert Res. L der Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten vom September 1968 (A/CONF. 35/10, S. 18/19). s Vgl. die Wiedergabe in dem Resolutionen-Kompendium A/AC. 187/29 (S. 39 - 53) + Add. 1 (S. 14), und daneben A/Res. 33/60 vom 14. 12. 1978, A/ Res. 34/73 vom 11. 12. 1979. u Sog. Threshold Test Ban Treaty bzw. Peaceful Nuclear Explosions Treaty, ILM 13 (1974) S. 906, 15 (1976) S. 891. Texte auch in A/9698 = CCD/ 431 bzw. A/31/125 = CCD/496, sowie in Dept. of State Bull. 71 S. 217 (29. 7. 1974) und 74 S. 802 (28. 6. 1976). Vgl. dazu die Darstellungen von Fischer im AFDI 20 (1974) S. 153, 22 (1976) S. 9. 1 0 Vgl. aber die etwas geheimnisvolle Äußerung des Del. Martin (USA) "In the case of advanced nuclear-weapon states . . . , it may be possible, under certain conditions, to develop criteria that would be adequate to insure that nuclear explosions for peaceful purposes are not used to further nuclear-weapon development" (Dept. of State Bull. 72 S. 79 [20. 1. 1975]). 6

1

24

A.I.Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

consent" nicht für dringlich. 1977 kamen dann trilaterale Verhandlun­ gen der USA, der UdSSR und des Vereinigten Königreichs über ein umfassendes Teststoppabkommen (Comprehensive Test Ban, CTB) in Gang 11 , nachdem sich der Genfer ·Abrüstungsausschuß zuvor j ahrelang erfolglos mit der Materie befaßt hatte12 • Sie fuhren sich an dem Pro­ blem der Verifikation fest. Inwieweit andere Gesichtspunkte eine negative Rolle gespielt haben, kann hier dahinstehen. Im Ergebnis blieb es jedenfalls zunächst dabei, daß die Kernwaffenstaaten auch im Zeichen des NPT ihre Vernichtungskapazität weiter perfektionieren durften13 , doch der CTB blieb ein anerkanntes Ziel und wurde nament­ lich von den USA im Hinblick auf die Haltung wichtiger Nicht-NPT­ Staaten als bedeutender Beitrag zur Eindämmung der Kernwaffen­ verbreitung begriffen1 4 • An eine allgemeine und vollständige Abrüstung - insbesondere im nuklearen Bereich - war noch weniger zu denken. Dieser Stillstand darf hier freilich schon deshalb nicht überbetont werden, weil eine vollständige Abrüstung die NPT-Grunddiskriminierung selber aufhe­ ben, nicht also nur deren Auswüchse beschneiden würde. Doch auch die Verhandlungen „über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens" (Art. VI NPT) - die vor allem von Indien immer wieder geforderte vertikale Nonproliferation - waren überaus mühselig. Art. VI NPT hatte sich mit der Auflage beschieden, solche Verhandlungen mögen „in good faith" (de bonne foi) geführt werden 15 • Die greifbaren Ergebnisse sind bislang SALT I vom 26. Mai 1 972 16 , die 1 1 Aufnahme am 13. Juli 1977 in Genf : SIPRI Yearbook 1978, S. 320. 12 Knappe Zusammenfassung der Ausschußarbeit in A/S-10/2, paras.58 - 66 ; eingehende Darstellung der einschlägigen Staatenerklärungen ibid. paras. 129 - 176 (= GAOR [S-10] Suppl.2 vol. I, S.15 - 17, vol. II, S. 10 - 23). 1 3 So sollen die USA 1978 zehn, die UdSSR 27 unterirdische Versuchs­ explosionen durchgeführt haben, vgl. SIPRI Yearbook 1979, S.654. 1 4 Vgl. die vor allem Nonproliferationsaspekte betonende Erklärung von L. H. Gelb, Director of the Bureau of Politico-Military Affairs, am 14.8.1978 in einer Kongreßanhörung (Dept. of State Bull.78 No.2020 [Nov. 1978] S.17). - Eine nützliche Zusammenfassung der Entwicklung 1975 - 1979 findet sich in NPT/CONF.II/PC.III/2, 31. 12.1979. 1s Art. VI wurde weitgehend als eine „mere declaration of intent" ein­ gestuft, vgl. statt aller Dei. Husain (Indien), A/C.1/PV 1567, para.117. Vgl. außerdem die Kritik von Dei. Zollner (Dahomey), A/C. 1/PV 1568, para. 1 1 4 : " ... good faith i n international matters i s s o subjective a concept today that we are surprised to see it mentioned in a serious treaty." Skeptisch auch Gescher, S. 515, und Goldschmidt, Probleme, S. 1167 (,,voeu pieux de des­ armement"). 10 Die beiden Einzelvereinbarungen - ABM-Vertrag und SALT-Interims­ abkommen - traten am 3. Oktober 1972 in Kraft; Texte z.B. in TIAS 7503 = 23 UST 3435 sowie TIAS 7504 = 23 UST 3462 ; außerdem A/C.1/1026 und CCD/394. Es kam hinzu das Protokoll zum ABM-Vertrag vom 3. Juli 1974, in Kraft getreten am 24. Mai 1976 : TIAS 8276 = 27 UST 1645, außerdem A/9698 = CCD/431.

1. Ungleichheit im militärischen Bereich

25

Wladiwostok-Richtlinien vom 24. November 1 974 1 7 sowie SALT II vom 1 8 . Juni 1979 18 • Das Fazit muß nach alledem lauten, daß über zehn Jahre nach Ab­ schluß des NPT nicht nur die von diesem anerkannte militärische Statusprivilegierung der Kernwaffenstaaten fortdauert, sondern auch die - ebenfalls zugelassenen - Möglichkeiten der qualitativen und quantitativen Verbesserung der bestehenden Kernwaffenarsenale kaum Abstriche erlitten haben. bb) Sicherheitsgarantien Daß Kernwaffenstaaten im Gegensatz zu Nichtkernwaffenstaaten faktisch die Möglichkeit haben, Kernwaffen gegen andere Staaten ein­ zusetzen oder mit ihrem Einsatz zu drohen, ist eine banale Tatsache, die sich zwangsläufig aus der grundsätzlichen militärischen Status­ privilegierung ergibt. Immerhin könnten sie sich wenigstens rechtlich verpflichten - gewissermaßen als Minus gegenüber einer nuklearen Abrüstung -, unter keinen Umständen Kernwaffen gegen Nichtkern­ waffenstaaten anzuwenden19 . Entsprechende Forderungen wurden desto nachdrücklicher vorgebracht, je näher der Abschluß des NPT rückte2 0 • Sie dürften wohl nicht vermessen gewesen sein ; die General­ versammlung hatte schon 1961 den Einsatz von Kernwaffen vorbehalts­ los als direkte Verletzung der UN-Charta und als Verbrechen gegen die Menschheit qualifiziert21 • Der NPT enthielt schließlich, dem Drän­ gen zahlreicher Nichtkernwaffenstaaten zuwider22 , weder einen aus­ drücklichen nuklearen Gewaltverzicht (,,negative Garantie") noch eine Beistandszusage für den Fall einer Anwendung von oder Bedrohung 17 Dept. of State Bull. 71 S. 879 (23. 12. 1974). 1s Dept. of State Bull. 79 No. 2028 (July 1979) S. 23. Deutsche Übersetzung : AdG S. 22687 B. 6 (1979) sowie EA 34 (1979) S. D 368. 1 9 So beispielsweise Del. Chakravarty (Indien) am 4. 5. 1965, DC/PV 75, para. 35, und besonders nachdrücklich Del. Mbah (Nigeria) am 19. 10. 1965, A/C. 1/SR 1356, para. 19. In den Antworten von 62 UN-Mitgliedstaaten auf eine Umfrage des Generalsekretärs vom 2. 1. 1962 (betr. die Bedingungen, unter welchen den Staaten ein Verzicht auf die Verfügungsgewalt über Kernwaffen möglich erscheine) war zwar häufig von allgemeiner und vollständiger Abrüstung, nicht aber von der Hilfskonstruktion von Sicher­ heitsgarantien die Rede gewesen, vgl. DC/201/Add. 2, abgedruckt in DCOR, Suppl. for January 1961 to December 1962, S. 52 - 103. Die Möglichkeit einer Konvention über den Nichteinsatz von Kernwaffen war bereits 1958 von Äthiopien ins Gespräch gebracht worden : Del. Alemayehou, A/C. 1/SR 955, paras. 21 - 25. 20 Vgl. statt aller die Schweiz : ,, . . . the nuclear-weapon States should solemnly and formally undertake never to use or threaten to use nuclear weapons against non-nuclear weapon States Parties to the Treaty", ENDC/ 204, 24. 1 1 . 1967, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 24/25. 2 1 In der Form einer Deklaration : A/Res. 1653 (XVI) vom 24. 1 1 . 1961. 22 Zusammenfassung in Kahler, S. 81 - 90.

26

A.I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

mit Kernwaffen (,,positive Garantie"), sondern lediglich eine Bezug­ nahme in der Präambel auf das Gewaltverbot der UN-Charta2 3 • USA und UdSSR hatten sich nur auf einen Garantieersatz in Form einer Resolution des Sicherheitsrats verständigen können. Gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich gaben sie dort übereinstimmende Erklä­ rungen ab, in welchen sie ankündigten, im Falle einer Nuklearaggres­ sion - oder der Androhung einer solchen - gegen einen Nichtkern­ waffenstaat würden sie sofort über den Sicherheitsrat auf die erfor­ derlichen Gegenmaßnahmen hinzuwirken haben, und j eder Aggressor müsse sich darauf einstellen, daß sein Vorgehen im Einklang mit der UN-Charta auf effektive Gegenmaßnahmen stoßen werde24 • In Resolu­ tion 255 (1 968) vom 1 9 . Juli 1 968 erkannte der Sicherheitsrat an, im Falle einer Nuklearaggression werde er sofort tätig werden müssen, begrüßte „ the intention expressed by certain States . . . " und bekräf­ tigte das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta. Der Wortlaut dieser Resolution hatte seit März 1 968 vorgelegen25 und in der Generalversammlung ein sehr unterschiedliches Echo gefunden. Neben reservierter Zustimmung gab es beispielsweise auch skeptische Fragen danach, . wer denn wohl die Nichtkernwaffenstaaten gegen ihre Verteidiger verteidigen werde, und ob man es hier nicht mit einem Fall zu tun habe, in dem der Arzt nach dem Ableben des Patienten gerufen werde26 • Es ist gewiß schwer erkennbar, wie ein Gremium, in dem alle Kernwaffenstaaten das Vetorecht besitzen, gegen eine Nuklearaggression aktiviert werden könnte ; die von einigen Staaten geäußerte Überlegung, S/Res. 255 stelle vielleicht eine Einschränkung des Vetorechts dar27, dürfte abwegig sein. Der Frage nach dem Wert dieser Resolution braucht hier indessen nicht weiter nachgegangen zu werden28 • Die Nichtkernwaffenstaaten haben j edenfalls letztere schließ­ lich als reine Absichtserklärung29 und aus diesen und etlichen weiteren 23 „allgemein gehalten und trägt diesem Verlangen (seil. nach wirksamer Verpflichtung der nuklearen Mächte) keine Rechnung", Scheuner, Rüstungs­ begrenzung, S. XXVII. 24 S/PV 1430, paras. 16, 29, 40. 25 ENDC/222, in : DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 3. 2 u Dei. Zollner (Dahomey), A/C. 1/PV 1568, para. 126, Rakotomalala (Mada­ gaskar), A/C. 1/PV 1574, para. 67. Ironische bis sarkastische Kritik u. a. auch seitens Dei. Barnes (Liberia), A/C. 1/PV 1568, paras. 25 - 26, Danieli (Tansania), A/C. 1/PV 1 570, paras. 59 - 64, Mapanza (Sambia), A/C. 1/PV 1572, paras. 14 - 27. 21 Dei. Galindo Pohl (EI Salvador), A/C. 1/PV 1567, para. 61, Zollner (Da­ homey), A/C. 1/PV 1568, para. 124, Uribe (Chile), A/C. 1/PV 1569, para. 136. Dagegen z. B. Firmage, S. 742. 28 Verdikte etwa : ,,Of the most feeble kind imaginable", ,,virtually meaningless", Bull, S. 176, 187. In der Sache übereinstimmend Firmage, ibid. ; Beaton, Sperrvertrag, S. 8. 29 So offenbar auch die Bundesrepublik Deutschland, vgl. die Erklärung der Bundesregierung anläßlich der Unterzeichnung des NPT am 28. 1 1 . 1969 (Punkt 5), in : Bull. 1969 S. 1233 (Nr. 145, 29. 11. 1969). übereinstimmend die

1.Ungleichheit im militärischen Bereich

27

Gründen30 insgesamt als unzureichend empfunden. Sie bestanden auf wirksameren Zusicherungen - insoweit fiel das Argument, die Kern­ waffenstaaten hätten sich ja ihrerseits auch nicht mit einseitigen Er­ klärungen der Nichtnuklearen zufrieden gegeben, sondern einen förm­ lichen Nichtverbreitungsvertrag gewünscht31 -, mögen sie es auf ihrer Konferenz von 1968 auch nicht geschafft haben, druckvolle Resolutionen in diesem Sinne zu fassen32 •

Seit etwa 1974 wird dieses Anliegen in wieder zunehmendem Maß vertreten33 • Zu einem bindenden internationalen übereinkommen uni­ versalen Zuschnitts ist es gleichwohl nicht gekommen. Es blieb bei dem regionalen Sonderfall des Zweiten Zusatzprotokolls zu dem Vertrag von Tlatelolco sowie bei unilateralen Erklärungen.

In Art. 3 von Zusatzprotokoll II zu dem Vertrag über das Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika34 sagen die kernwaffenbesitzenden Vertragsstaaten zu, gegen die Parteien des Tlatelolco-Vertrags Kern-

Note der Bundesregierung vom selben Datum (ebenda S.1234). - Vgl. aber auch die Auffassung, die drei begleitenden Staatenerklärungen müßten die gleiche rechtliche Bedeutung haben wie „unilateral declarations of state intention" nach Maßgabe der jüngsten IGH-Entscheidungen : McWhinney, S.57. Es liegt auf der Hand, daß McWhinney in erster Linie die Nuclear Tests Cases im Auge hat (I.C.J. Reports 1974, S.253 = Australia v. France, 457 = New Zealand v. France) mit dem entscheidenden Urteilssatz : ,,When it is the intention of the State making the declaration that it should become bound according to its terms, that intention confers on the declaration the character of a legal undertaking, the State being henceforth legally required to follow a course of conduct consistent with the declaration" (para.43 = S.267 bzw. para.46 = S.472). Eine Nutzanwendung kann im vorliegenden Zusammenhang - weil im Rahmen dieser Arbeit ohne Bedeutung - unter­ bleiben, so daß es hier auch keiner Auseinandersetzung mit den Urteilen und ihren zahlreichen Besprechungen bedarf. 30 Zusammenfassung aller Einwände durch Del. Shahi (Pakistan) auf der Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten: A/CONF.35/C.1/SR 1 - 22, S.10 f. 3t Del. Amerasinghe (Ceylon), A/CONF.35/C. 1/SR 1 - 22, S.73. Kanada, der eifrigste Apologet von S/Res. 255, hatte aber durch Del. Burns die Auf­ fassung vertreten, Absatz 2 der Resolution sei gleichbedeutend mit einem Versprechen der Kernwaffenstaaten, keine Atomwaffen gegen Nichtnukleare einzusetzen (ibid. S.51 f.). 32 Auf Ausschußebene war ein lateinamerikanischer Entwurf angenom­ men worden, in dem der Generalversammlung empfohlen wurde, eine Staatenkonferenz zum Abschluß eines „multilateral instrument" einzuberu­ fen, A/CONF. 35/10, Annex IV, S. 14 f. Zwei weitere Entwürfe - und zwar von Uganda, Tansania und Sambia sowie von Pakistan - wurden dann zurückgezogen bzw. nicht mehr zur Abstimmung gestellt (Texte : ibid. An­ nex VI, S.11 - 13 ; zur Behandlung des pakistanischen Entwurfs siehe Del. Shahi, A/C.1/PV 1610, paras.35 - 57). Der lateinamerikanische Entwurf ver­ fehlte dann im Plenum die Zweidrittelmehrheit um eine Stimme. 33 Niederschlag z.B. in A/Res.3261 G (XXIX) vom 9.12. 1974 ; A/Res.31/ 189 C vom 21.12.1976 ; A/Res. 32/87 B vom 12. 12. 1977 ; A/Res.S-10/2 vom 30. 6.1978 (paras.57 - 59) ; A/Res. 33/72 vom 14.12.1978, A/Res.34/84, 34/85, 34/86 vom 11.12.1979. a4 Vom 14.2.1967, 634 UNTS 281. Englischer Text von Zusatzprotokoll II: S. 364.

28

A.I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

waffen weder einzusetzen, noch mit deren Einsatz zu drohen. Für die Kernwaffenstaaten steht dieses Zusatzprotokoll mittlerweile in Kraft, nämlich das Vereinigte Königreich3 5 , die USA3 6 , Frankreich3 7 , die Volks­ republik China38 und die UdSSR3 9 . Bemerkenswert erscheinen die bei der j eweiligen Vornahme der Unterzeichnung oder Ratifikation abge­ gebenen Erklärungen, welche die Unbedingtheit der Fassung von Art. 3 zu relativieren bemüht sind. Das Vereinigte Königreich be­ trachtet sich für den Fall einer Aggression seitens eines Vertragsstaats, den ein Kernwaffenstaat unterstützt, als „free to reconsider the extent to which they could be regarded as committed by the provisions of Additional Protocol II" 4 0 . Die USA stellten fest, ein bewaffneter An­ griff durch einen Vertragsstaat mit Unterstützung eines Kernwaffen­ staates verstoße gegen die Verpflichtungen nach Art. I des Vertrages4 1 . In der Interpretation Frankreichs steht Art. 3 des Zusatzprotokolls der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta nicht entgegen4 2 . Schließlich sieht auch die Sowj etunion in der Verübung von Aggressionsakten durch einen Vertragsstaat mit Unterstützung eines Kernwaffenstaates eine Vertragsverletzung und behält sich für einen solchen Fall - sowie für den Fall vertragswidriger Aktionen anderer Kernwaffenstaaten - vor, ihre Verpflichtungen neu zu über­ denken43 . Diese Verlautbarungen dürften letztlich nicht mehr als Er­ innerungen an die Vertragstreue der Partner und insoweit unbedenk­ lich sein ; Widersprüche sind j edenfalls nicht bekannt geworden44 . Nach alledem scheint das Fazit gerechtfertigt, daß die lateinamerikanischen Tlatelolco-Vertragsstaaten von einer rechtsverbindlichen „Sicherheits­ garantie" durch Kernwaffenstaaten profitieren. Jenseits dieses regionalen Sonderfalls hat es bislang sein Bewenden mit unilateralen Garantieerklärungen gehabt. Als besonders ergiebig hat sich in dieser Hinsicht die der Abrüstung gewidmete 1 0. Sonder­ tagung der UN-Generalversammlung erwiesen. Der sowj etische Außen­ minister Gromyko sicherte zu, die UdSSR werde Kernwaffen niemals 11. 12. 1969, Treaty Series No. 54 (1970). 86 12. 5. 1971, TIAS 7137 = 22 UST 754. 37 22. 3. 1974, JO S. 8909 (27. 8. 1974). 38 12. 6. 1974. Zur Vorgeschichte des chinesischen Beitritts vgl. Gros Espiell, Signature, S. 138 f. s9 8. I. 1979, Treaty Series No. 53 (1979), S. 6. 4 0 Treaty Series No. 54 (1970), S. 82, sowie 634 UNTS 418/419. 41 634 UNTS 420 (bei Unterzeichnung) ; dgl. bei Ratifikation gemäß „under­ standings and declarations " des US-Senats, siehe 22 UST 760. Vgl. in diesem Zusammenhang Robinson, S. 302 - 305. 42 AFDI 19 (1973) S. 138 Fn. 10. 48 Treaty Series No. 53 (1979), S. 7. - Die Erklärung Chinas vom 21. 8. 1973 (NPT/CONF/9, S. 22 - 23) hat keinen interpretativen Charakter. u Vgl. Garcla Robles, S. 86 : "pleinement acceptables." 35

1. Ungleichheit im militärischen Bereich

29

gegen solche Staaten einsetzen, die auf die Herstellung und den Er­ werb derartiger Waffen verzichteten und auch keine auf ihrem Gebiet hätten45 • US-Präsident Carter erklärte aus Anlaß der Tagung, die USA würden keine Kernwaffen gegen Nichtkernwaffenstaaten ein­ setzen, ausgenommen in dem Fall eines Angriffs auf die Vereinigten Staaten oder ihre Verbündeten durch einen Nichtkernwaffenstaat, der mit einem Kernwaffenstaat verbündet sei oder mit einem solchen ge­ meinsam angreife46 • Das Vereinigte Königreich gab eine nahezu iden­ tische Erklärung ab 47 • Und auch Frankreich hatte schon immer ver­ sichert, seine Kernwaffen dienten ausschließlich defensiven Zwecken48 • Wendet man den Blick nunmehr wieder der Ausgangsfrage zu nämlich danach, wieweit die grundlegende militärische Statusprivilegie­ rung der Kernwaffenstaaten durch weitergehende Sondervorteile ge­ genüber den Nichtnuklearen begleitet wird -, so stellt sich heraus, daß allein die chinesische Erklärung strengen Nichtdiskriminierungs­ maßstäben gerecht werden dürfte. Nur China ist nämlich zur Zusage bereit, auf jeglichen konventionellen Angriff ausschließlich mit kon­ ventionellen Waffen zu antworten49 • Es liegt auf der Hand, daß die weit weniger kategorischen Äußerungen der anderen vier Kernwaffen­ staaten auf die Lage in Mitteleuropa zugeschnitten sind. Eine detail­ lierte Exegese der verschiedenen Verlautbarungen wäre sicherlich reizvoll; sie darf hier aber unterbleiben, steht die mögliche Staaten­ diskriminierung im militärischen Bereich doch nicht im Mittelpunkt dieser Arbeit. Ebensowenig bedarf hier die Frage einer Antwort, in­ wieweit diese einseitigen Erklärungen nach Maßgabe der Tragweite ihres genauen Wortlauts die j eweiligen Urheber zu binden vermögen. Daß die Kernwaffenstaaten ihre Kernwaffen nicht zu Angriffszwecken verwenden dürfen, steht bereits auf Grund der UN-Charta fest. Eben­ so gewiß ist aber auch, daß die Mehrzahl der Kernwaffenstaaten noch nicht bereit ist, für den Fall eines Angriffs durch einen Nichtkern­ waffenstaat - so sehr ein solcher auch wegen des völkerrechtlichen Gewaltverbots unzulässig sein mag - die Abwehrgleichheit zuzu45 A/S-10/PV 5 prov., S. 28 - 30. Die Bundesrepublik Deutschland bliebe also ausgeschlossen. 48 Die Zusage gilt nur für NPT-Parteien und Staaten, die eine vergleich­ bare international bindende Verpflichtung übernommen haben. Exakter Wortlaut : Dept. of State Bull. 78 No. 2017 (August 1978) S. 52. Auf der 32. Jahrestagung der Generalversammlung hatte Carter (lediglich) erklärt, die USA würden Kernwaffen ausschließlich zur Selbstverteidigung ein­ setzen (Dept. of State Bull. 77 S. 552 [24. 10. 1977]). 47 Sir Derek Ashe, A/S-10/PV 26 prov., S. 4. 48 z. B. Del. Berard bei Verabschiedung des NPT durch die Generalver­ sammlung, A/PV 1672, para. 16. 49 Huang Hua, A/S-10/PV 7 prov., S. 67. Diese „feierliche Erklärung" war erstmals am 16. 10. 1964, dem Tag der Zündung der ersten chinesischen Atombombe, abgegeben worden, AdG S. 11482 A (1964).

30

A.I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

sichern. Darin liegt zumindest formal eine Diskriminierung, die durch das kernwaffentechnische Statusprivileg als solches nicht zwingend begründet wird. cc) ,, Friedliche" Kernexplosionen sowie IAEA-Kontrolle über zivile Nuklearaktivitäten der Kernwaffenstaaten Art. II NPT verbietet den Nichtkernwaffenstaaten jegliche Verfü­ gungsgewalt über Kernsprengkörper, gleichgültig ob diese militärisch oder „friedlich" genutzt, also beispielsweise zu Zwecken des Kanal­ oder Hafenbaus oder der Rohstofferschließung gezündet werden sol­ len. Mithin scheint der NPT - überspitzt formuliert - von der Unter­ stellung auszugehen, Kernexplosionen könnten nur dann „friedlich" sein, wenn sie von Kernwaffenstaaten vorgenommen würden50 . Prima facie handelt es sich hier, gemessen an der grundlegenden Status­ privilegierung, um eine weitergehende Diskriminierung. Jedoch sind zivile Kernsprengkörper - nach dem heutigen wie nach dem damali­ gen (1968) Stand der Technik - von militärischen praktisch nicht un­ terscheidbar, und die große Mehrheit der Nichtkernwaffenstaaten ver­ sagte sich dieser Einsicht nicht, sondern ließ sich durch das in Art. V NPT angekündigte internationale Management zufriedenstellen. Dem­ gemäß begnügte sich die Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten, mochte sie die bestehende Situation auch als diskriminatorisch ein­ schätzen5 1, mit der Feststellung , das Problem friedlicher Kernexplo­ sionen sei mit dem eines umfassenden Teststopps eng verbunden, und ersuchte die IAEA um eine Prüfung von deren einschlägigen Aktions­ möglichkeiten5 2. Es waren vor allem Brasilien und - vielleicht etwas weniger kategorisch - Indien gewesen, die auf das Recht eines jeden Staates zur Herstellung und Verwendung ziviler Kernsprengkörper gepocht hatten53. Brasilien war so weit gegangen, bei der Unterzeich­ nung des Vertrags von Tlatelolco eine interpretative Erklärung da­ hingehend abzugeben, der Vertrag stehe der Durchführung friedlicher Kernexplosionen unter Verwendung von Sprengkörpern, die militäri­ schen ähnlich seien, nicht entgegen54 , und bezog damit einen Stand­ punkt, der - wohl zu Recht - überwiegend zurückgewiesen wurde55 • so Bull, S. 175. s1 Res. L, Absatz (c) der Präambel, A/CONF. 35/10, S. 18. 52 Res. L sowie Res. H, ibid. S. 13 - 15. Auch in ihrer Deklaration sprach sich die Konferenz für internationale Sicherheitskontrollen aus (ibid. S. 21). ss Vgl. z. B. den brasilianischen Änderungsantrag vom 31. 10. 1967, ENDC/ 201, in : DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 23, sowie Dei. Husain (Indien), A/C. 1/PV 1567, para. 126 (internationaler Kontrolle gegenüber aber aufge­ schlossen, vgl. para. 127). 54 634 UNTS 416/417 = NPT/CONF/9, S. 20. Der Vertrag ist für Brasilien trotz Ratifikation wegen fehlenden „waiver " gemäß Art. 28 noch nicht in Kraft getreten. - Die dasselbe Problem anschneidende interpretative Er-

1. Ungleichheit im militärischen Bereich

81

Mehrere Faktoren trugen in der Folgezeit dazu bei, den Streit über die Regelung der - immer noch im experimentellen Stadium befind­ lichen56 - friedlichen Kernexplosion weiter zu entschärfen. Zunächst wurde der anfängliche Enthusiasmus über die angenommene Erschlie­ ßungskapazität solcher Sprengungen57 durch die Erhöhung des Bewußt­ seins für deren technische Probleme und die verbundenen gesundheit­ lichen Gefahren gedämpft58 • Des weiteren arbeitete die IAEA behut­ sam, aber kontinuierlich an einem Instrumentarium für Dienstlei­ stungen in diesem Bereich59 • Und schließlich gab die „friedliche" indi­ sche Kernexplosion vom 18. Mai 1974 allen Zweifeln an der Möglichkeit rein ziviler Nutzung von „ziviler Nuklearkapazität" reichlich Nahrung. Mochte Indien auch noch so sehr beteuern, die Sprengung sei „fried­ lich" gewesen, und es habe nicht die Absicht, Kernwaffen zu entwik­ keln60 , die erste Reaktion der Staatengemeinschaft - und nicht allein Pakistans6 1 - bestand darin, Indien ab sofort als Kernwaffenmacht zu betrachten. Dies entsprach nicht nur dem NPT, welcher in Art. IX Abs. 3 als Kernwaffenstaat jeden Staat definiert, der „eine Kernwaffe oder einen sonstigen Kernsprengkörper hergestellt oder gezündet" hat - wobei es hier keine Rolle spielt, daß die Statuszuerkennung „für die Zwecke dieses Vertrags" nur für entsprechende Leistungen „vor dem 1. Januar 1967" gilt; auch die Organisation für das Verbot von Kern­ waffen in Lateinamerika (OPANAL) - die durch den Vertrag von Tlatelolco für dessen Überwachung errichtete Institution - führte In­ dien nach dessen Kernexplosion zunächst als Kernwaffenstaat, der sich für den Beitritt zu Protokoll II qualifiziere62 . Diese Einschätzung ist klärung Argentiniens (634 UNTS 415/416 = NPT/CONF/9, S. 20) ist weniger eindeutig. 55 Beispielsweise Garcia RobLes, S. 79 f. ; ders., A!C. 1/PV 1504, para. 135, und PV 1569, paras. 73 - 75; Gegenposition besonders prägnant bei Del. Aze­ redo da Silveira (Brasilien), ENDC/PV 293, paras. 34 - 37. 06 Einsichtig insoweit auch die Schlußerklärung der NPT-Überprüfungs­ konferenz vom 30. 5. 1975, NPT/CONF/30/Rev. 1 {Review of Article V). 57 Vgl. stellvertretend für entsprechende Erwartungen einen Resolutions­ entwurf vierzehn lateinamerikanischer Staaten auf der Konferenz der Nichtkemwaffenstaaten : ,, . . . destined to be of immense benefit, especially to the developing countries . . . ", A/CONF. 35/C. 2/L. 13 = Res. G des 2. Ausschusses (A/CONF. 35/10, Annex V, S. 20). 5 8 Siehe z. B. IAEA, Activities under article V of NPT, Analytical and technical report, insb. Annex D und E, NPT/CONF/12, S. 33 - 37 sowie Add. 1 . 59 Zwischenbericht ibid. 60 Verlautbarung des indischen Außenministers vom 18. 5. 1974, CCD/425 = A/9627 {GAOR [XXIX] Suppl. 27), S. 87 f. 61 Vgl. die Erklärungen vom 19. 5. 1974, CCD/422 und 423, ibid. S. 84 - 86. 62 Unmißverständlich der OPANAL-Bericht für die NPT-überprüfungs­ konferenz, NPT/CONF/9, S. 5 Fn. 3. Im Frühj ahr 1975 lehnte Indien eine Einladung des OPANAL-Generalsekretärs, dem Zusatzprotokoll II beizutre­ ten, mit der Begründung ab, es sei nicht Kernwaffenstaat (Redick, Regional Restraint, S. 180 Fn. 40).

32

A.I.Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

danach aufgegeben worden63 , und auch die Staatengemeinschaft hat es sich insgesamt abgewöhnt, Indien als Kernwaffenstaat einzustufen ein erstaunliches Zeugnis für den wahrhaft guten Glauben an die der Nuklearbewaffnung entsagenden indischen Versicherungen, die in dem Versprechen der Janata-Regierung gipfelten, Indien werde künftig auch keine „friedlichen" Kernexplosionen mehr vornehmen64 •

Zehn Jahre nach Abschluß des NPT hatte sich jedenfalls die Erre­ gung über die nationalen Nutzungsmöglichkeiten ziviler Kernexplo­ sionen gelegt. Auf der 10. Sondertagung der Generalversammlung über Abrüstungsfragen war davon nur noch am Rande die Rede. Prak­ tisch alle Staaten hatten mittlerweile anerkannt, die Frage sei mit dem Problem eines umfassenden Teststopps (CTB) unlösbar verknüpft65 , und die USA und die UdSSR sowie das Vereinigte Königreich hatten mitgeteilt, Gegenstand ihrer trilateralen Verhandlungen über ein um­ fassendes Versuchsverbot sei auch ein Protokoll über friedliche Kern­ explosionen. Die Abschlußresolution dieser Sondertagung beschied sich insoweit mit einer „dringenden" Anmahnung66 • Damit ist das Problem als eines der Rüstungskontrolle anerkannt. In der weiteren Betrachtung werden die zivilen Kernexplosionen deshalb nur insoweit zur Sprache kommen, als sie im Hinblick auf sonstige zivile Nutzungsformen spezi­ fische Probleme aufwerfen. Das gilt im Ergebnis auch für die Unterstellung der zivilen Nuklear­ aktivitäten der Kernwaffenstaaten unter IAEA-Kontrolle. Nach Art. III NPT sind nur die Nichtkernwaffenstaaten zum Abschluß entsprechen­ der Übereinkünfte verpflichtet. Die Sowjetunion hatte es beharrlich abgelehnt, sich solchen Sicherungsmaßnahmen zu unterwerfen67 • Dem­ gegenüber hatten vor allem technologisch fortgeschrittene Staaten mit Exportinteressen auf Gleichbehandlung gedrängt, und zwar in erster Linie aus Sorge über kommerzielle Nachteile, die aus einer - die USA und das Vereinigte Königreich nicht treffenden - Belastung mit IAEA-Kontrolle folgen könnten. Die Bundesrepublik Deutschland, Japan und die Schweiz68 brachten dieses petitum besonders nachdrück63 Bezeichnend insoweit der Kurzbericht des OPANAL-Generalsekretärs

Gros EspieU, Treaty, S.27, 34.

64 Wiederholung durch Premierminister Desai vor der UN-Generalver­ sammlung am 9.6. 1978, A/S-10/PV 24 prov., S.8 - 10. - Die Abschlußreso­ lution der Sondergeneralversammlung über Abrüstungsfragen geht einfach von „the existing five nuclear-weapon States" aus, A/Res.S-10/2, para.65. 65 So schon die acht nichtpaktgebundenen ENDC-Mitglieder in einem Memorandum vom 26.8. 1968, ENDC/235 = DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S.45/46. - Vgl. auch zu der engen Verknüpfung Kapur, Test ban. 66 A/Res.S-10/2, para.51. - Zu den Entwicklungen 1975 - 1979 vgl. NPT/ CONF.II/PC. III/4, 31.12.1979. 67 Siehe z.B. Del. Roschtschin, ENDC/PV 377, paras.13 - 15. 68 Vgl. Erklärung der deutschen Bundesregierung vom 27. 4.1967, Bull. 1967 S.377 (Nr. 45, 28. 4. 1967) und Memorandum vom 6. 3. 1968, Bull. 1968

1. Ungleichheit im militärischen Bereich

33

lieh vor. Am 2. bzw. 4. Dezember 1 967 erklärten sich die USA und das Vereinigte Königreich bereit, ihre zivilen Nuklearanlagen im nicht sicherheitsempfindlichen Bereich der IAEA-Kontrolle zu öffnen69 , und dies gab der deutschen Bundesregierung Anlaß, bei Unterzeichnung des NPT zwei Jahre später „ die entscheidende Bedeutung" zu beto­ nen , ,, die sie im Interesse der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Chancengleichheit der Erfüllung der Zusage der Vereinigten Staaten und Großbritanniens beimißt" 70 • Zwischenzeitlich hatte auch die Kon­ ferenz der Nichtkernwaffenstaaten die Kernwaffenstaaten dazu auf­ gerufen, mit der IAEA Kontrollabkommen abzuschließen7 1 • Diese Abkommen ließen dann freilich lange auf sich warten72 • Ende 1 979 war erst eines wirksam geworden, nämlich das am 14. August 1978 in Kraft getretene Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der IAEA73 • Die Übereinkünfte mit den USA vom 18. November 1977 74 sowie mit Frankreich vom 1 9 ./27. Juli 1978 75 erwarteten noch ihre Inkraftsetzung. Unterdessen hatte das Interesse an derartigen Selbst­ bindungen allerdings nachgelassen. Die Kontrolltätigkeit der IAEA war in den vormals besorgten Ländern nicht als geschäftsschädigend lästig geworden. So scheint diese im NPT angelegte - und, streng genom­ men, gewiß unnötige - Nebendiskriminierung der NichtkernwaffenS. 266 (Nr. 33, 12. 3. 1968), sowie Del. Schnippenkoetter auf der Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten, A/CONF. 35/C. 1/SR 1 - 22, S. 60/6 1 ; aide-me­ moire der Schweiz vom 17. 1 1 . 1967, ENDC/204 = DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 24/25 ; Del. Tsuruoka (Japan), A/C. 1/PV 1565, paras. 75 - 78. In der Sache übereinstimmend Brasilien, Indien, Italien, Kanada, Rumänien, Schwe­ den, Spanien. 69 ENDC/206 (Erklärung von Präsident Johnson : ,, . . . I am, today, an­ nouncing . . . ") und ENDC/207 (. . . ,,Her Majesty's Government have decided that . . . "), in : DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 26/27. - Behutsam formu­ lierte US-Forderung in dieser Richtung bereits am 27. 1. 1966, siehe Botschaft des Präsidenten Johnson an den Abrüstungsausschuß in ENDC/165 = DCOR, Suppl. for 1966, S. 7. 10 Bull. 1969 S. 1233 (Nr. 145, 29. 11. 1969). 71 Res. F, A/CONF. 35/10, S. 10 - 12. 12 Besonders aufschlußreich ist die unbekümmerte Ankündigung des Prä­ sidenten Ford „This offer will be implemented when safeguards are being broadly applied under the Treaty in other industrial States" (Botschaft vom 17. 9. 1974 an die IAEA-Generalkonferenz, Dept. of State Bull. 71 S. 552 [21 . 10. 1974]). Deutlicher konnten die USA kaum zum Ausdruck bringen, daß die IAEA-Kontrolltätigkeit ihnen auch aus wirtschaftlichen Gründen unbequem war, und daß sie nicht bereit waren, im Interesse der Nonpro­ liferation wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen. 1s Unterzeichnung am 6. 6. 1976 ; Text : Treaty Series No. 90 (1978). 7 4 Datum der Paraphierung, s. Dept. of State Bull. 77 S. 902 (19. 12. 1977) ; Text in ILM 16 (1977) S. 25 ; dem Senat zum advice and consent zugeleitet am 9. 2. 1978, vgl. Administrative Survey : October 1977 to September 1973, S. 407 Fn. 92. 75 Vgl. AdG S. 21942 C (1978) bzw. Bull.EG 7/8-1978 Ziff. 2.2.38. Text (in deutscher Übersetzung) : Die Friedens-Warte 60 (1977) S. 216. 3 Prill

84

A.I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

staaten die internationale Distribution der zivilen Nukleartechnologie nicht berührt zu haben. Deshalb bedarf auch sie in dieser Unter­ suchung keiner eingehenden Erörterung. Am Ende dieses Exkurses über zusätzliche Sondervorrechte der Kern­ waffenstaaten kann festgehalten werden, daß der NPT deren Status­ privilegierung nicht nur verbrieft, sondern sie auch mehrfach akzentu­ iert und verschärft. Die weitergehende Bevorzugung beschränkt sich al­ lerdings - soweit geschildert - auf den militärischen bzw. Rüstungs­ kontrollbereich. Die eine der beiden dem NPT eigenen Grundkonzep­ tionen - die Ungleichheit im militärischen Bereich - bleibt dadurch, mag sie auch gleichsam übereifrig durchgeführt worden sein, prinzi­ piell unberührt. Im Rahmen dieser Arbeit interessiert j edoch viel mehr die Frage, ob die zweite der beiden Grundkonzeptionen - die Gleich­ heit im zivilen Bereich - getreu verwirklicht worden ist. Bevor nun erörtert wird, welche Bestimmungen der NPT dazu getroffen hat, soll zunächst dargelegt werden, welche Vorstellungen von der Völkerge­ meinschaft zur Gleichheit der Staaten bei der zivilen Nutzung der Kernenergie angestellt worden sind. 2. Gleichheit im zivilen Bereich: Das (Forderungs-)Recht der Staaten auf Nutzbarmachung der Kernenergie „für friedliche Zwecke"

Das Recht der Staaten auf autonome zivile Nutzung der Kernenergie läßt sich unschwer aus der souveränen Staatengleichheit ableiten. Wenn die kernwaffenlosen Länder während der NPT-Verhandlungen so sehr auf der Anerkennung dieses Rechts beharrt haben, dann we­ gen der Befürchtung, die militärische Prohibition und ihre Über­ wachung könnten zu Restriktionen auch im zivilen Bereich führen. Die Verbürgung des Rechts auf autonome zivile Nutzungsfreiheit kann den meisten Staaten aber nicht genügen, sind sie doch ohne äußere Unter­ stützung zur Wahrnehmung des Rechts faktisch außerstande : Daher die Forderung nach einem „ freien Zugang" der Staaten zu Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Kernenergienutzung (Postulat des „free access")7 6 • In diesem Abschnitt seien nun die rechtlichen und rechtspolitischen Aus­ sagen erörtert, die zu dem „ free access" gemacht worden sind.

76 Besonders prägnant Dei. Bouattoura (Algerien), A/C. 1/PV 1571, para. 94 : " . . . essential, in order to prevent the constant worsening of the imbalance that seems to govern international relations, solemnly to undertake to place at the disposal of non-nuclear States, without exception or discrimination, all technological knowledge, crude or raw materials, and all the equipment needed for peaceful development."

2. Gleichheit im zivilen Bereich

85

Unreflektierte, apodiktische Meinungsäußerungen dahingehend, die Staaten hätten ein entsprechendes Recht77, sind natürlich belanglos. A priori besteht ein solches Recht im Hinblick auf die Staatensouverä­ nität ebensowenig, wie der Kernwaffenerwerb einem allgemeinen völ­ kerrechtlichen Verbot unterliegt. Doch haben sich einige Staaten im­ merhin der Mühe unterzogen, für den Anspruch auf „free access" einen rechtlichen Halt zu suchen. Diese Denkfiguren - mehr stellen nämlich die spärlichen, zumeist stichwortartig verlautbarten Gedankensplitter kaum dar - seien hier jetzt gewürdigt. a) Die Denkfigur der Kompensation: Ein Recht auf Ausgleich für den militärischen Minderstatus

Zunächst sei ein Denkansatz vorgestellt, der aus der Nonprolifera­ tionsidee selbst entwickelt worden ist. Insbesondere auf der Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten kurz nach Billigung des NPT durch die Generalversammlung wurde wiederholt der Gedanke geäußert, der Verzicht der Nichtkernwaffenstaaten auf Nuklearausrüstung müsse durch besondere Vorteile bei der Entwicklung der zivilen Kernener­ gienutzung kompensiert werden. So sprach Kanada - nach der For­ mulierung der summary records - von „a reasonable compensation for renouncing the manufacture of nuclear weapons" (wenn auch nur, um vor überspitzten Erwartungen in dieser Hinsicht zu warnen)78 • Andere Staaten gaben folgende Stellungnahmen ab: Als Gegenleistung für die erheblichen Opfer der Länder, die auf das Recht zu Herstellung, Er­ werb und Einsatz von Kernwaffen verzichteten, sollten die Nuklear­ mächte für eine Ausbreitung der zivilen Kernenergienutzung Sorge tragen79 • Das Recht der Nichtkernwaffenstaaten auf Zugang zu techno­ logischer Information stelle eine notwendige Kompensation für den Verzicht auf die Herstellung von Kernwaffen dar80 • Die kernwaffen­ losen Länder, von denen ein Verzicht auf Erwerb und Herstellung solcher Waffen verlangt werde, könnten mit Fug und Recht Maßnah­ men fordern, die es ihnen ermöglichen würden, in den Genuß der Vorteile friedlicher Kernenergienutzung zu kommen81 • Im Interesse einer fairen Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen Kern11 Beispiele: "We recognize the right of all States .. . to have access to nuclear technology, equipment and materials" (Del. Consalvi [Venezuela], A/S-10/PV 2 prov., S.67). ". . . all the nations of our world have a right to obtain . . . " (Del. Owono Asangono [Äquatorialguinea], A/S-10/PV 9 prov., S. 71). "Access to nuclear technology for peaceful purposes constitutes an inalienable right of all States" (Mexiko, AIAC. 187/56, S. 2). 1s Del. Campbell, A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 68. 10 Del. Akwei (Ghana), ibid. S. 38. 80 Del. Ogiso (Japan), ibid. S. 43. 81 Del. Djerdja (Jugoslawien), ibid. S. 80. 3•

36

A.I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

waffen- und Nichtkernwaffenstaaten müßten die Nuklearmächte die so lebensnotwendige zivile Kerntechnologie denjenigen Ländern zur Verfügung stellen, die sie nicht militärisch nutzen könnten oder wollten82 • Hier gilt es, all diese Erklärungen nicht überzubewerten. Es handelt sich dabei erkennbar nicht um rechtsdogmatische Verlautbarungen, und insbesondere wird dort nicht etwa die These aufgestellt, der rechts­ verbindliche Verzicht auf Nuklearbewaffnung begründe ipso iure einen Anspruch auf Vorzugsbehandlung im zivilen Nutzungsbereich. Letzt­ lich ist darin nicht mehr enthalten als ein Appell an die Fairness der beati possidentes, nicht jedoch das Konzept, eine Souveränitätsein­ schränkung (die ja in jeder völkerrechtlichen Bindung impliziert ist) sei stets durch einen „ Souveränitätszuwachs" auszugleichen. Bei dieser Betrachtung erweist sich der Kompensationsgedanke für die Zeit vor dem NPT-Abschluß als Sublimierung des handfesten do-ut-des-Ver­ handlungsprinzips und für die Zeit danach als Bitte um Großzügigkeit an diejenigen, denen die verbindliche Zusage der gewünschten Gegen­ leistung anscheinend nicht hatte abgerungen werden können. Nun mögen hinter solchen Zielsetzungen natürlich vage Gerechtig­ keitsvorstellungen stehen, dahingehend nämlich, Rechte und Pflichten sollten bei einem guten Vertrag „ ausgewogen" sein. Insoweit war es gewiß ein legitimes Anliegen - und lag es im übrigen im Interesse einer wohlverstandenen Nonproliferation -, den Kernwaffenstaaten im Zusammenhang mit dem NPT feste Abrüstungszusagen abzuver­ langen83 . Ein ernstgemeinter Kompensationsgedanke im Sinne einer Konnexität zwischen Kernwaffenverzicht und Weitergabe ziviler Tech­ nologie entbehrt demgegenüber der Überzeugungskraft. Wenn es nämlich stimmt, daß es Belange von Weltfrieden und -sicherheit sind, die die Festschreibung des status quo bei der Nuklearrüstung recht­ fertigen, dann dürfte es kaum angemessen sein, wirtschaftliche Interes­ sen damit dergestalt zu verquicken, daß die angestrebte „ausgewogene" Globallösung womöglich als Ausfluß höherer Gerechtigkeit erscheint. Mithin ist der Kompensationsgedanke, soweit er überhaupt ernsthaft als rechtlicher Konstruktionsversuch vorgebracht wurde, im Hinblick 82 Del. Otero Navascues (Spanien), ibid. S. 91. - Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die etwa zehn Jahre später geäußerte Meinung der Schweiz, Staaten, die im Interesse der Nichtverbreitung von Kernwaffen in eine Beschränkung ihrer Souveränität einwilligten, müßten dafür eine Kompensation erhalten, mit dem spezifizierenden Zusatz „Such compensation could take the form of a fully reliable guarantee to provide fissionable material and access to complete fuel cycle services" : A/S-10/AC. 1/2, S. 3. 83 Indien - einer der Hauptverfechter dieses Standpunkts - stellte aus­ drücklich fest, es gehe dabei nicht um eine „Kompensation" bzw. ein quid pro quo, sondern allein um die korrekte Verwirklichung des Nichtverbrei­ tungsgedankens selber (Del. Trivedi, ENDC/PV 308, paras. 2 - 4).

2. Gleichheit im zivilen Bereich

37

auf das Postulat des „ free access" insgesamt kein fruchtbarer recht­ licher Ansatz. Dem steht natürlich nicht entgegen, daß die Bestimmun­ gen über die zivile Nutzung bei den NPT-Beratungen faktisch als Ge­ genleistung für den waffentechnischen Verzicht hingestellt worden sind bzw. zumindest einen entsprechenden Anschein vermittelt haben ; insbesondere in den USA ist insoweit j edenfalls häufig von einem quid pro quo die Rede gewesen84 •

Kann mithin eine tragfähige rechtliche Grundlage für den „free access" nicht aus einer gleichsam dialektischen Wechselwirkung von Kernwaffenverzicht und effektiver ziviler Nutzung gewonnen werden, so ist zu überlegen, ob es Ordnungsvorstellungen gibt, die - ohne irgendwie an Nonproliferationsaspekte anzuknüpfen - den „free access" für sich allein gesehen zu stützen geeignet sind. b) Die Doktrin des Teilhaberechts: Die Begründung eines originären Rechts vor dem Hintergrund einer Neuen Weltwirtschaftsordnung

aa) Der Ansatz bei Gemeingutvorstellungen Ein erster Ansatz besteht in der Artikulation von Gemeingutvor­ stellungen und ruft vordergründig das common heritage-Prinzip in Erinnerung, welches in der jüngsten Völkerrechtsgeschichte - ohne in der Sache eine Neuentdeckung darzustellen85 - ertmals für die Tief­ seebodenordnung vorgeschlagen worden ist86 • Als Beispiele mögen die­ nen : Der Standpunkt Kolumbiens „nuclear energy ... must be a com­ mon property for the benefit of all mankind" 87 ; eine Erklärung Uru84 So insbesondere A. Fisher, zeitweise US-Chefunterhändler für den NPT: "There is no doubt that Article IV was part of the quid pro quo which non­ nuclear states obtained in return for joining the NPT" (Hearings on S. 1439, S. 144). In diesem Sinne auch der Bericht des Senate Foreign Relations Committee vom 26.9.1968: "The compensation for such an important act of self-denial ... is the pledge of nuclear-weapon states to make available to the non-nuclear-weapon states which are signatories the benefits of peaceful nuclear programs ..." (zitiert nach Epstein, The Last Chance, S. 163). Ähnlich in der Einschätzung Epstein, ibid. S. 93, 163, Shaker, S. 363, sowie Deputy Under Secretary Nye mit der häufig wiederkehrenden Wendung „discrimination is accepted in the military sphere ... in return for the energy benefits of the atom in the civil sphere" (z.B. Hearings on S. 897 and S. 1432, S. 29). Vgl. auch Burns, S.801: "Compensatory Articles." 85 Virally, Organisation, S. 320. 86 Siehe A/Res.2749 (XXV) vom 17. 12. 1970. Vgl. zu der Blüte und angeb­ lichen Denaturierung des Prinzips als seerechtlicher Ordnungsvorstellung Graf Vitzthum, Regime. - Später ist auch für die Bodenschätze des Mondes bzw. der Himmelskörper das common heritage-Prinzip verkündet worden, vgl. Art. 11 des Übereinkommens zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten auf dem Mond und anderen Himmelskörpern (sog. Mondvertrag) gemäß A/Res.34/68 vom 5. 12. 1979 (= ILM 18 [1979] S. 1434). 8 7 Del. Turbay Ayala, A/C. 1/PV 1579, para. 15.

38

A.I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

guays zum NPI', wonach „technology and science by their very nature constitute a universal heritage based on the learning of succeeding civilizations" 88 ; die rumänische Verlautbarung, daß die Kernenergie ,,must be the common property of the entire international com­ munity" 89 ; der vom j ugoslawischen Außenminister auf der Sonder­ generalversammlung über Abrüstungsfragen verfochtene Grundsatz „ that the achievements of technology and science constitute the common heritage of the whole of mankind" 90 . Diese und ähnliche Erklärungen haben gemein, daß sie wie kon­ junkturelle, wenn nicht opportunistische Einlassungen klingen. Sie verraten kein geschlossenes Konzept, sondern erscheinen als die fast voluntaristische Proklamation eines dafür gerade reif anmutenden Gutes zum völkergemeinschaftseigenen. Sie sind kein Sonderfall. Es gibt kaum ein Gut auf dieser Welt, für das nicht irgendwann ein Staat - von Privatpersonen und nichtstaatlichen Organisationen ganz zu schweigen - das Prinzip internationalen Gemeineigentums postu­ liert hätte. Die Skala reicht von kulturellen Werten9 1 bis hin - ganz schlicht und, im ersten Sinne des Wortes, ergreifend - zu dem Reich­ tum eines jeden Volkes92 . Der rhetorische Glanz, der manchen dieser Erklärungen anhaftet, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß es sich dabei bestenfalls um völkerrechtliche Wunschvorstellungen han­ delt. Das gilt letztlich auch für die Regelungsmaterie von Wissenschaft und Technologie, zu der Gemeingutgedanken besonders häufig geäu­ ßert worden sind, am beredtesten wohl von Privatpersonen, z. B. C. Wilfred Jenks93 sowie den Autoren des sog. RIO-Berichts an den Klub von Rom94 . Gewiß, bei Wissenschaft und Technologie mögen internationalisierende Tendenzen95 weniger wirklichkeitsfremd erschei88 Del. Berro, ibid. para. 59. Die mit zahllosen Zitaten berühmter Philo­ sophen und Schriftsteller gespickte Rede dieses Staatenvertreters stellt eine eloquente Mahnung dar, die Worte von UN-Delegierten nicht auf eine Gold­ waage zu legen und ihren analytischen Gehalt nicht zu überschätzen. 89 Del. Ecobescu, A/C. 1/PV 1625, para. 48. 9 0 V. Djuranovic, A/S-10/PV 2 prov., S. 11. 9 1 Del. Tsuruoka (Japan), A/C. 3/SR 761, para. 2 (,,common heritage of mankind"). 92 Del. Anze Matienzo (Bolivien), A/C. 2/SR 89, para. 17 (,,. . . the idea that the wealth of each nation was a common heritage"). 9 3 The New Science and the Law of Nations, S. 340. 94 Tinbergen (Coordinator), S. 122, 156. - Vgl. auch den Vorschlag von Bloomfield, Plutonium und hochangereichertes Uran zum gemeinsamen Menschheitserbe zu erklären (S. 753). 9 5 Die UN-Generalversammlung ist niemals soweit gegangen, Wissenschaft und Technologie zum gemeinsamen Menschheitserbe zu erklären oder in vergleichbarer Weise zu qualifizieren. In der sog. Charta der wirtschaft­ lichen Rechte und Pflichten der Staaten (A/Res. 3281 [XXIX] vom 12. 12. 1974) heißt es allerdings : "Every State has the right to benefit from the advances

2. Gleichheit im zivilen Bereich

89

nen als etwa bei Rohstoffen96 • Während diese als terrestrische Res­ sourcen (dazu gehört übrigens auch Natururan) unmittelbar einem Territorialstaat zugeordnet werden können (von den in herrschafts­ freien Räumen lagernden natürlich abgesehen) , sind die Fortschritte in j enen häufig das Ergebnis grenzüberschreitender Kommunikation und Ergebnisübermittlung bzw. -nutzbarmachung. Gleichwohl lassen sich auch wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Fertigkei­ ten über ihre Inhaber j eweils einem Territorialstaat zuordnen, abge­ sehen davon, daß in ihre Gewinnung in aller Regel Investitionen nationalstaatlichen Ursprungs eingegangen sind. Mithin bedürfen j eg­ liche internationalisierende Gemeingutpostulate auch in dieser Ziel­ richtung einer besonders sorgfältigen Begründung. Die Staatenverlautbarungen lassen solche Sorgfalt wenigstens inso­ weit vermissen, als speziell die zivile Nutzung der Kernenergie be­ troffen ist. In dieser Hinsicht ist bezeichnend, daß - soweit ersichtlich - kein Staat den Versuch unternommen hat, das Modell einer auf dem common heritage-Prinzip oder ähnlichen Vorstellungen aufbauenden Distributionsordnung zu skizzieren. Das seerechtliche Vorbild97 hätte es nahegelegt, das Verbot nationaler Verfügungsgewalt sowie eine treuhandähnliche völkerrechtsgemeinschaftliche Verwaltung zum Nut­ zen der gesamten Menschheit vorzuschlagen, und damit zugleich ein internationales Management sowie eine gerechte Verteilung der j e­ weiligen Erträge, möglicherweise unter besonderer Berücksichtigung der Belange der Entwicklungsländer. Von den USA ist allerdings ein­ mal - mit dem sog. Baruch-Plan von 1946 98 - ein Modell vorgeschla­ gen worden, das eine internationale Steuerung der Kernenergieent­ wicklung und -nutzung vorsah. Der sog. Acheson-Lilienthal Report99 , auf dem der Baruch-Plan aufbaute, machte deutlich, worum es ging : Zunächst einmal „ an international policy against atomic warfare" so­ wie ein „ system of security", daneben aber auch um einen Plan „that will tend to develop the beneficial possibilities of atomic energy" bzw. „a plan that looks to the promise of man's future well-being as well as to his security". Ausgehend von der Überlegung, daß Inspektionen und and developments in science and technology for the acceleration of its eco­ nomic and social development" (Art. 13). 96 Zu letzteren Tomuschat, Rohstoffbereich, S. 153 - 155. Für Aktivierung des common heritage-Prinzips aber Ginther, S. 196 f. Siehe außerdem zu den Perspektiven einer Ausweitung der Anwendung des common heritage-Prin­ zips Graf Vitzthum, Regime, S. 746 f. und Anm. 4 daselbst. 9 7 Dazu Graf Vitzthum, Regime, s. 746 - 748. 98 B. Baruch am 14. 6. 1946 vor der United Nations Atomic Energy Com­ mission, AECOR (1) S. 7 ff. 99 Auszugsweise wiedergegeben in Documents on American Foreign Re­ lations, vol. VIII, S. 552 - 557. Eine der ersten Zusammenfassungen im deut­ schen Sprachraum stammt von Wehb erg, S. 9 ff.

40

A.I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

polizeiliche Maßnahmen für sich allein gesehen kein effektives Sicher­ heitssystem versprächen, wurde von Baruch der Vorschlag gemacht, eine International Atomic Development Authority zu gründen „to which should be entrusted all phases of the development and use of atomic energy" . Im einzelnen sollten dieser Organisation obliegen : „Managerial control or ownership of all atomic-energy activities potentially dangerous to world security", speziell „ complete managerial control of the production of fissionable materials" ; im übrigen „Power to control , inspect, and license all other atomic activities" . Zu den sog. „ Non-Dangerous Activities" wurde ausgeführt, die Organisation werde die „beneficial uses" bzw. ,,peacetime benefits" der Kernenergie zu fördern haben, und die Kernforschung (außer über Sprengkörper), der Einsatz von Forschungsreaktoren und „ to some extent the production of power" sollten den Völkern offenstehen „ under reasonable licensing arrangements from the Authority" . Die Organisation sollte also im wie man heute formulieren würde - ,, sensitiven" Bereich die aus­ schließliche Kompetenz unter Verdrängung aller staatlichen Zuständig­ keiten erhalten und operative Aufgaben durchführen, im übrigen aber weitgehend nur administrative Funktionen übernehmen. Klopft man das hier zugegebenermaßen nur sehr knapp geschilderte Baruch-Modell auf womöglich dahinterstehende common heritage-Ge­ danken ab, so sticht zunächst ins Auge, daß der entscheidende Impuls für diese Initiative zweifellos von Rüstungskontrollbestrebungen ge­ geben worden ist. Die Kernenergie sollte gewissermaßen entmilitari­ siert werden. Das ist j edoch nicht ungewöhnlich, denn die Widmung zu friedlichen Zwecken ist regelmäßig auch Bestandteil der common heritage-Modelle für staatsfreie Räume 1 00 • Bemerkenswerter ist der Umstand, daß der Baruch-Plan zur zivilen Nutzungsordnung insgesamt keine präzisen Auskünfte gibt und speziell nicht vorschreibt, daß die Vorteile der Kernenergieverwendung tatsächlich der gesamten Mensch­ heit zugute kommen und alle Staaten einen gerechten Anteil daran haben sollen101 • Der Baruch-Plan stellt mithin keine frühe Formulie100 Und zwar wegen der Gefahren, die eine militärische Nutzung dem gemeinsamen Erbe bereiten würde, vgl. Pardo am 29. 1 0. 1968, A/C. 1/PV 1589, para. 53. In der Tiefseebodendeklaration von 1970 hieß es demgemäß „The area shall be reserved exclusively for peaceful purposes . . . " (A/Res. 2749 [XXV] vom 17. 12. 1970). Als Teilmaßnahme wurde dann am 1 1 . 2. 1971 der Vertrag über das Verbot der Anbringung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und im Meeresuntergrund geschlossen (Text : A/Res. 2660 [XXV] vom 7. 12. 1970 sowie BGBl. 1972 II S. 325), bei dessen Ratifikation beispielsweise Kanada erklärte, er dürfe nicht dahingehend verstanden werden, daß er die Stationierung anderer als der genannten Waffen zulasse „or as constituting any limitation on the principle that this area . . . shall be reserved for exclusively peaceful purposes" (1'reaty Series No. 13 [1973] , S. 11). - Vgl. nunmehr auch Art. 3 Abs. 1 des Mond- und Himmelskörpervertrags : "The moon shall be used by all States Parties exclusively for peaceful purposes" (s. o. Anm. 86).

2. Gleichheit im zivilen Bereich

41

rung eines mit Gemeingutvorstellungen zu begründenden „free access"­ Grundsatzes dar. Unter einem ähnlichen Defizit an Klarheit leiden auch die eingangs zitierten Staatenerklärungen. Sie beziehen nicht einmal zur Regelung der Verfügungsgewalt Stellung. Auch die Denkanstöße aus den USA (internationale Kernbrennstoffzentren oder sogar eine Internationale Kernbrennstoffbehörde; Internationalisierung der Wiederaufarbeitung), auf die an anderer Stelle näher einzugehen sein wird, sind nur frag­ mentarisch. Von einer Internationalisierung des Brennstoffkreislaufs sind die einzelnen Erklärungen weit entfernt. Wer aber das Postulat des „free access" mit Gemeingutvorstellungen nach dem Vorbild des common heritage-Prinzips begründen möchte, muß das geschlossene Konzept eines internationalen Management für die Kernenergie zum Nutzen der gesamten Menschheit vortragen. An einem solchen Kon­ zept fehlt es aber bislang. Soweit sich Staaten zur Begründung des ,,free access" auf das common heritage-Prinzip berufen haben, erwei­ sen sich die entsprechenden Verlautbarungen demnach als unüberlegte Formelwiedergabe. Für die internationale Verbreitung der zivilen Kernenergienutzung ist das common heritage-Prinzip in Wirklichkeit noch nicht schlüssig propagiert worden. Unter dem Eindruck weiterer Entwicklungen mag die Völkerrechtsgemeinschaft diesem internationa­ lisierenden Gedanken eines Tages nähertreten. Einstweilen handelt es sich dabei aber nur um eine - wie auch immer realistische - Zu­ kunftsperspektive162. bb) Die positive Deutung der souveränen Gleichheit Ein weiterer Ansatz sei einleitend als „Effektivierung der souverä­ nen Gleichheit" charakterisiert. Zum Advokaten dieser Konzeption hat sich am klarsten wohl Rumänien gemacht, etwa mit der Grundsatz­ erklärung „By virtue of sovereign equality, all countries have the right to benefit from the most recent achievements of science, including nuclear technology" 163 . Dahinter dürfte die - vor allem von französi­ schen Völkerrechtlern aufgegriffene und artikulierte 104 - Tendenz 101 „equitable sharing by States in the benefits", so die Tiefseebodendeklaration. 102 Vgl. die Spekulationen von Graf Vitzthum, Regime, S.747 f. 10a M. Manescu, A/S-10/PV 22 prov., S.21. 104 Feuer, S. 194 (,,La prise en consideration des inegalites entend donner a la souverainete un contenu dynamique et concret en vue de permettre aux pays peu developpes d'acquerir la pleine maitrise des moyens de leur developpement.") ; Fiory, Souverainete, S.313 : ,,souverainete intervention­ niste"; S. 314 : ,,La souverainete ... devient un principe d'intervention, une dynamique au nom de laquelle !'Etat defavorise reclame la veritable egalite ..." ; ders., Droit international du developpement, S.46 - 49 ; Carreau I JuiHard I Fiory, S.87 ; ViraUy, Charte.

42

A.I.Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

stehen, das klassische Verständnis des ersten Staatsattributs im Sinne einer (negativen) Gleichheit „vor dem Recht" fortan durch eine positive Neudeutung zu ergänzen , den überkommenen Unterlassungsansprüchen also solche auf Leistung hinzuzufügen. Ausgangspunkt dafür ist die Überlegung, Entwicklungsrückstand bedeute wirtschaftliche Abhängig­ keit, und politische Unabhängigkeit finde ihre Vollendung und ab­ schließende Verwirklichung in der Herbeiführung eines Entwicklungs­ gleichstandes. Gleichheit wird insoweit also nicht als etwas Bestehendes und zu Verteidigendes begriffen, sondern als etwas Fehlendes und zu Schaffen­ des. Unter Abkehr von einem formal verstandenen Gleichheitsprinzip 105 wird die Gleichheit „dynamisiert" und mit dem Teilkonzept einer ,,kompensatorischen" oder „präferenziellen Ungleichbehandlung" ange­ reichert1 06. Diese Neudefinition ist vor allem im Zusammenhang mit Versuchen vorgenommen worden, UN-Verlautbarungen zu einer Neuen Welt­ wirtschaftsordnung 107 in das völkerrechtliche Begriffssystem einzu­ ordnen. Es wäre aber auch nicht von der Hand zu weisen gewesen, die „Gleichmachung" als Bestandteil eines womöglich anwendungsfähigen common heritage-Prinzips anzusehen. Bereits im UN-Meeresboden­ ausschuß hatten nämlich die Entwicklungsländer folgendermaßen argumentiert: Das common heritage-Prinzip besage u. a., daß tatsäch­ lich alle Staaten an Verwaltung und Nutznießung teilhätten. Die Teil­ habe dürfe aber nicht auf passive Entgegennahme von Gewinnvortei­ len beschränkt bleiben, vielmehr müsse sie „effektiv" sein, also die Leistung aktiver Beiträge umfassen. Dies wiederum bedinge, daß alle Staaten über entsprechende technologische Kenntnisse und Fertigkeiten verfügten und erforderlichenfalls auf das gebotene Niveau gehoben würden108 • Die Tiefseebodendeklaration von 1 970 109 sprach den Gedan1 05 Tomuschat, Charta, S. 457 ; vgl. auch die Parallele zur innerstaatlichen ,,equal opportunity legislation" bei Brower, S.702. 1 0& Virally, Charte, S. 72 ff. 101 Die grundlegenden sind bekanntlich A/Res. 3201 (S-VI) und 3202 (S-VI) vom 1. 5. 1974 (Erklärung über die Errichtung einer Neuen Weltwirtschafts­ ordnung und Aktionsprogramm) sowie A/Res. 3281 (XXIX) vom 12. 12. 1974 (sog. Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten). 1 0s Siehe meine Zusammenfassung der damaligen Diskussionsbeiträge, S. 810, sowie den folgenden Bericht über die Aussprache des Economic and Technical Sub-Committee im Jahre 1969 : "It was stressed that for the development of the resources of the ocean floor new forms of international co-operation should not reflect present inequalities and differences between developed and developing countries. They should provide not only for equality of opportunity, but also for equality in actual enjoyment and equitable sharing of benefits derived from exploitation of the resources of the ocean floor" (GAOR [XXIV] Suppl.22, S.52 [= Part Three, para. 33] ). 1oe A/Res.2749 (XXV) vom 17.12. 1970.

2. Gleichheit im zivilen Bereich

48

ken einer Gleichmachung durch Beseitigung faktischer Ungleichheiten zwar nicht explizit aus, wurde ihm aber mit der Zielvorstellung eines „equitable sharing by States in the benefits" durchaus gerecht. Es kann hier allerdings offen bleiben, ob die Konzeption einer Effektivierung der souveränen Gleichheit letztlich - bewußt oder unbewußt - von der common heritage-Idee abgeleitet worden ist, oder ob es sich dabei um eine besondere Maxime des Völkerrechts der Neuen Weltwirt­ schaftsordnung handeln soll, wobei nur noch der Hinweis eingeschoben sei, daß es mehrere Brückenschläge zwischen den beiden Ordnungs­ vorstellungen gibt110 • Soweit es sich dabei nämlich um eine Spezifika­ tion des common heritage-Prinzips handelt, braucht hier nur die oben getroffene Feststellung wiederholt zu werden, daß es in Ansehung der zivilen Kernenergienutzung insofern an einem schlüssigen Gesamt­ modell bislang fehlt. Soweit es sich aber um ein eigenes Konzept han­ deln soll, läßt sich dieser Egalitätslehre entgegenhalten, daß sie in dem Maße, in dem sie sich ausschließlich an den Staaten als völkerrecht­ lichen Handlungseinheiten orientiert und die conditio humana als An­ satzpunkt ignoriert bzw. den Durchgriff darauf versperrt, im gleichsam luftleeren Raum völkerrechtlicher Begrifflichkeit verharrt. Die „wirt­ schaftliche" Gleichheit von Luxemburg und Bangladesch äußert sich nämlich im Sinne jeglicher Entwicklungspolitik nicht in Sozialprodukt und wirtschaftlicher Abhängigkeit, sondern in den Lebensbedingungen der jeweiligen Staatsbürger. Soweit der Entwicklungsstand der Staaten überhaupt meßbar ist, findet er seinen Ausdruck vor allem in persön­ lichen Lebensumständen. Dies legt es nahe, für rechtliche Aussagen zur Finalität des Entwicklungsgleichstands der Staaten nicht die souveräne Gleichheit zu bemühen, sondern den Menschenrechtsgedanken. cc) Die Ableitung aus dem Menschenrechtsgedanken Es ist ein italienischer Sprecher gewesen, der dieses Konzept wohl am deutlichsten formuliert hat. Die Quintessenz davon lautet etwa, es 11 0 So verwies P. B. Engo, Vorsitzender des 1. Ausschusses auf der See­ rechtskonferenz, zur Erläuterung des von ihm zu verantwortenden Teiles I des Informal Single Negotiating Text (A/CONF. 62/WP. 8/Part I) nicht nur auf die Tiefseebodendeklaration als Quelle der Inspiration, sondern auch auf die Erklärung über die Errichtung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung als „of no inconsiderable interest" (A/CONF. 62/C. 1/L. 16, 5. 9. 1975). Eine Brücke in umgekehrter Richtung schlug die „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten" (A/Res. 3281 [XXIX]), indem sie dem Tiefseebodenregime ·einen eigenen, stark an die Tiefseebodendeklaration an­ gelehnten Artikel widmete (Art. 29). Auch zwei große Verfechter des com­ mon heritage-Gedankens wie E. Mann Borghese und A. Pardo haben mitt­ lerweile das Ozeanregime zum Baustein für die Neue Weltwirtschaftsord­ nung erklärt (in : Tinbergen [Coordinator] , S. 313) ; vgl. in diesem Zusammen ­ hang insbesondere Friedheim I Durch. Graf Vitzthum (Weltwirtschaftsord­ nung, S. 463 ff. ; Regime, S. 751 ff., 791 ff.) scheint aber von einer Antinomie zwischen den beiden Konzeptionen auszugehen.

44

A.I. Zwei Konzeptionen als Ausgangspunkt

gebe ein neues Menschenrecht auf Teilhabe am Fortschritt sowie - als Konsequenz daraus - auf Zugang zu den Errungenschaften von Wis­ senschaft und Technologie und zu den erforderlichen Materialien, und zwar gerade auch im nuklearen Bereich1 1 1 • Nun dürfte auch diese These unter rhetorischem Überschwang leiden, denn es ginge gewiß zu weit und hieße den internationalen Menschenrechtsgedanken überstrapazie­ ren, ein grenzübergreifendes Individualrecht auf Zugang zu entwick­ lungs- und fortschrittsfördernden Ressourcen im allgemeinen - und womöglich zu kerntechnischen im besonderen - anzunehmen 112 • Namentlich der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 113 hat weit vor einer derartigen Konkretisierung Halt gemacht und sich speziell in seinem Art. 2 damit beschieden, die Ver­ tragsstaaten zur Zusammenarbeit im Dienst einer Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen zu verpflichten 114 • Immerhin liegt die­ ser Paktbestimmung allem Anschein nach die Vorstellung zugrunde, die Basis für die zwischenstaatliche Kooperationspflicht sei das aner­ kennenswerte Anliegen, das Ziel menschenwürdiger Lebensumstände eines jeden Individuums zum Gegenstand internationaler Entwick­ lungsanstrengungen, und seine Erreichung zu einer internationalen Aufgabe zu machen. Nach diesem Konzept träfe also jeden Staat eine Mitverantwortung für die Lebensbedingungen aller Menschen , ohne daß dem konkrete Ansprüche von Einzelpersonen oder auch nur spezi­ fische Forderungsrechte anderer Staaten gegenüberstünden. Nur würde die Kooperationspflicht konzeptionell nicht bei einem auf eher abstrak­ ter Ebene zum Ausdruck kommenden Entwicklungsgleichstand der Staaten ansetzen, sondern bei der sog. individuellen „Lebensqualität". Für eine solche Betrachtungsweise spricht bereits die praktische Er­ fahrung, daß zu den Kriterien der Unterentwicklung individualisie­ rende Angaben wie Pro-Kopf-Einkommen und Alphabetisierung zu zäh­ len pflegen115 • In diese Richtung eines Durchgriffs auf das Individuum 1 1 1 Der einschlägige Passus dieser Erklärung vom 20. 2. 1968 sei hier vollständig wiedergegeben : "This is an attempt to codify a new human right. Men of our century, who are grouped in nations, must have the opportunity and indeed the right to integrate themselves in the process of change which is characteristic of our era. For this to be possible, and for the good intentions expressed in article IV of the treaty to attain their full practical scope, the non-nuclear nations must be sure that they can rely at all times on access to a supply of raw materials - a supply which alone will in practice give them access to the world of modern science and technology. To the right to technological information which can be regarded as a spiritual conquest of our era, we must add the right to nuclear supplies, which are its material complement" (Del. Caracciolo, ENDC/PV 367, para. 57). 112 Beispiel für solche futuristischen und wohl rein spekulativen (überdies nicht ganz klar formulierten) Erwägungen in der Literatur : Touscoz, S. 209 Fn. 39 ; sogar Erwägung von ius cogens ! 113 BGBl. 1973 II S. 1570. 1 1 4 Vgl. (zur Rohstoffbelieferung) Tomuschat, Rohstoffbereich, S. 155 f.

2. Gleichheit im zivilen Bereich

45

dürfte überdies Art. 55 lit. (a) UN-Charta weisen, wonach die Vereinten Nationen „die Verbesserung des Lebensstandards . . . " zugunsten eines Zustands der „Wohlfahrt" fördern, und ähnliche Vorstellungen dürften auch - vielleicht noch diffus - hinter späteren Verlautbarungen der Generalversammlung stehen, in denen beispielsweise die Rede ist von dem Recht aller Menschen auf menschenwürdiges Dasein und Teilhabe am sozialen Fortschritt116 , von der Aufgabe der Völkergemeinschaft, für eine wesentliche Verbesserung des Loses der Menschheit Sorge zu tragen1 17 sowie von der Zielvorstellung eines „Wohlstands für alle" 1 1 8 , und die vielleicht in dem Satz gipfelten „Jeder Staat hat die Pflicht, an . . . einer Verbesserung des Wohlstands und des Lebensstandards aller Völker, insbesondere in den Entwicklungsländern, mitzuwir­ ken" 11 9 . Man darf all diese Rechtstexte gewiß nicht überbewerten und insbesondere keine voreiligen Schlüsse im Hinblick auf das positive Völkerrecht ziehen, doch sie indizieren insgesamt „eine Art sozialer Bindung des Staates" , welcher über entwicklungs- und fortschritts­ fördernde Ressourcen verfügt, ,,den Zugang zu ihnen nicht zu ver­ schließen und rechtzeitig Zukunftsentwicklungen zu beachten" 120 • Und diese (menschenrechtlich motivierte bzw. fundierte) ,,soziale Bindung" läßt sich sehr wohl auch auf den Bereich der zivilen Kernenergie­ nutzung erstrecken, in dem Maße nämlich, in dem die Nuklearressour­ cen - etwa als Energiequelle - zur Anhebung des Lebensstandards tatsächlich beizutragen vermögen. In diese Richtung weisen nicht allein die oben angesprochene, völlige überspitzte Erklärung Italiens , sondern auch schon sehr viel ältere Resolutionen der UN-Generalversammlung, die speziell der internationalen Kernenergienutzung gewidmet waren 121 • 115 Siehe insb. die Bestimmung der am wenigsten entwickelten Länder durch den ECOSOC-Ausschuß für Entwicklungsplanung, E/4990, paras. 41 - 71 = ESCOR (LI) Suppl. 7, S. 12 - 20. - Kritisch zu einer „personification of States" auch Levi, S. 296. us A/Res. 2542 (XXIV) vom 1. 12. 1969 - Deklaration über sozialen Fort­ schritt und Entwicklung. 117 A/Res. 2571 (XXIV) vom 13. 12. 1969. u s A/Res. 2626 (XXV) vom 24. 10. 1970 - zweite UN-Entwicklungsdekade. Daselbst auch der Satz : "The ultimate objective of development must be to bring about sustained improvement in the wellbeing of the individual . . . " 11 9 A/Res. 3281 (XXIX) vom 12. 12. 1974 - sog. Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (Art. 14). 120 So zum Sonderkomplex der Rohstoffliefersicherheit Scheuner, Diskus­ sionsbeitrag, S. 180. 121 A/Res. 299 (IV) vom 23. 11. 1949 (,,increase of human welfare"), A/Res. 810 (IX) vom 4. 12. 1954 und A/Res. 912 (X) vom 3. 12. 1955 (,,ameliorate their living conditions [seil. of mankind] "). In neueren Resolutionen wird nur allgemein auf das wirtschaftliche Entwicklungspotential der Kernenergie Bezug genommen, vgl. A/Res. 32/50 vom 8. 12. 1977 und 33/4 vom 2. 11. 1978. Es verdient erwähnt zu werden, daß diese Resolutionen dem „free access" nur Sollenssätze widmen. Ebenso aus der jüngeren Vergangenheit A/Res. 32/ 87 F vom 12. 12. 1977 und A/Res. S-10/2 vom 30. 6. 1978 (para. 68).

46

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

Als Ergebnis kann nach alledem festgehalten werden, daß der An­ spruch auf „free access" im Menschenrechtsgedanken einen brauchba­ ren Ansatz findet, ohne daß damit zugleich ein tragfähiges Gerüst für konkrete Staatenverpflichtungen entdeckt wäre. Solche Verpflichtungen könnten aber gerade durch den NPT be­ gründet worden sein. Und so sei, nachdem die prinzipiellen Überle­ gungen der Staaten zum allgemeinen, gleichen Zugang zur zivilen Kernenergienutzung gewürdigt worden sind, der Blick nunmehr den konkreten Bestimmungen des NPT zugewendet.

II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung 1. Auslegung von Artikel IV a) Interpretation des Artikels IV auf Grund der allgemeinen Auslegungsregeln Der zivilen Kernenergienutzung widmet der NPT vor allem seinen Art. IV, dessen Wortlaut hier in der deutschen Übersetzung des Bun­ desgesetzblattes vollständig wiedergegeben sei: Artikel IV (1) Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unver­ äußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Artikeln I und II die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für fried­ liche Zwecke zu entwickeln. (2) Alle Vertragsparteien verpflichten sich, den weitestmöglichen Aus­ tausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und techno­ logischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern, und sind berechtigt, daran teilzunehmen. Vertragsparteien, die hierzu in der Lage sind, arbeiten ferner zusammen, um allein oder gemeinsam mit anderen Staaten oder internationalen Organisationen zur Weiterentwicklung der Anwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke, besonders im Hoheitsgebiet von Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, unter gebührender Berücksichtigung der Bedürfnisse der Entwicklungsgebiete der Welt beizutragen. Die Bestimmung hat recht spät in den Vertragsentwurf Eingang ge­ funden, doch bevor ihre Entstehungsgeschichte nachgezeichnet wird - diese dient im Prinzip nur als zusätzliches Auslegungsmittel -, soll zunächst der Versuch unternommen werden, Inhalt und Tragweite der Formulierungen nach Maßgabe der üblichen Bedeutung zu ermitteln, die ihnen in ihrem Zusammenhang und unter Berücksichtigung der Vertragsziele und -zwecke sowie unter Mitberücksichtigung nachfol­ gender Praxis beizulegen ist (allgemeine Auslegungsregeln gern. Art. 31

1. Auslegung von Artikel IV

47

der Wiener Vertragsrechtskonvention, die die völkergewohnheitsrecht­ lichen Regeln für die Vertragsinterpretation bekanntlich recht genau widerspiegelt} 1 • Das Hauptelement mag also die wortwörtliche Inter­ pretation sein, doch die systematische und teleologische Interpretation tritt nicht einfach (womöglich hilfsweise) hinzu, vielmehr sind diese Gesichtspunkte bereits bei der Ermittlung des üblichen (oder gewöhn­ lichen) Wortsinns (,,ordinary meaning") zu berücksichtigen mit der Folge, daß ein und derselbe Begriff je nach Zusammenhang sowie Sinn und Zweck des Vertrags unterschiedliche Bedeutung haben kann2 • Bei dem NPT muß außerdem beachtet werden, daß die deutsche Über­ setzung nicht verbindlich ist , da sie nicht zu den - allein maßgeblichen - authentischen Vertragsfassungen gehört (Art. IX) . aa) Exegese des Wortlauts unter Mitberücksichtigung systematischer und teleologischer Gesichtspunkte Der Interpret muß sich eingangs vergegenwärtigen, daß Ziel und Zweck des NPT darin besteht, als Maßnahme zur Gewährleistung der Sicherheit der Völker zu dienen3 • Würde er mit mehrdeutigen Begrif­ fen konfrontiert, könnte dies eine Rolle spielen. Des weiteren wird er Abs. 7 der Präambel im Auge behalten, wonach die Vorteile der fried­ lichen Anwendung der Kerntechnik grundsätzlich allen Vertragspar­ teien für friedliche Zwecke zugänglich sein „ sollen" (should/devraient). Wendet man sich sodann dem Art. IV selber zu, so dürfte eine erste Lektüre zu dem Befund führen: Es ist dort von Rechten und Ver­ pflichtungen der Staaten die Rede, des weiteren von rein innerstaat­ lichen Aktivitäten wie von zwischenstaatlichen Beziehungen. Für eine systematische Erschließung bieten sich also folgende Einzelfragen an : Inwieweit wird ein Recht der Staaten anerkannt, die zivile Kernener­ gienutzung zu betreiben ; inwieweit wird ein Recht der Staaten aner­ kannt, andere Staaten bei der Entwicklung der zivilen Kernenergie­ nutzung zu unterstützen, insbesondere durch Lieferung von Ausrüstung und Material (namentlich Kernbrennstoff) ; inwieweit wird sogar eine Verpflichtung der Staaten dazu begründet bzw. - vom Empfängerhori­ zont aus gesehen - ein Anspruch von Staaten auf nukleartechnische Unterstützung und Ausstattung? 1 Vgl. statt aller Verdross / Simma, S. 390 ; Köck, S. 95. Die Artikel 31 und 32 sind von der Vertragsrechtskonferenz einstimmig verabschiedet worden (A/CONF. 39/11/Add. 1, S. 57, 58). Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich in dem Beschluß vom 7. 7. 1975 ohne weiteres auf Auslegungsregeln des Art. 31 WVRK bezogen (BVerfGE 40 S. 167, 1 76). Die WVRK steht seit dem 27. 1. 1980 in Kraft, findet allerdings gern. Art. 4 nur auf die zwischen Kon­ ventionsstaaten danach geschlossenen Verträge Anwendung. 2 überzeugend insoweit J. P. Müller, S. 121 ff., insb. S. 129 - 131. a In diese Richtung weisen unmißverständlich Abs. 2 - 4 der Präambel.

48

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

Die erste dieser drei Fragen wird von Art. IV Abs. 1 beantwortet. Dieser Absatz ist als Nichtberührungsklausel wenigstens umständlich formuliert4 • Wenn „keine Bestimmung des Vertrages als das unver­ äußerliche Recht antastend" interpretiert werden darf - so in wört­ licher Übertragung die besonders präzise französische Fassung -, und wenn die zivile Kernenergieentwicklung, welche Gegenstand des un­ veräußerlichen Rechts sein soll, in Übereinstimmung mit den Artikeln I und II zu stehen hat, dann drängt sich natürlich die Frage auf, ob die Interpretationsanweisung für diese beiden Artikel, die ja auch „Vertragsbestimmungen" sind, letztlich doch nicht gelten soll. Hier scheint es sich um einen Verweisungszirkel zu handeln. Es gibt aber eine sinnvolle Lesart, welche es gestattet, den scheinbaren inneren Widerspruch aufzulösen. Ohne die Einschränkung „ in Übereinstim­ mung mit den Artikeln I und 11" in Art. IV Abs. 1 hätte nämlich die Auslegung des Terminus „sonstige Kernsprengkörper" - speziell die Einbeziehung der zivilen - in jenen Artikeln erhebliche Schwierigkeit bereitet. Zivile Kernsprengkörper haben für die Nichtkernwaffenstaa­ ten unbeschadet des Art. IV Abs. 1 Anathema zu bleiben5 • Davon abge­ sehen bleibt es bei dem Nichtberührungsvorbehalt des Art. IV. Das bedeutet etwa, daß die Kernforschung und die Errichtung von Kern­ kraftwerken nicht als „Herstellung von Kernsprengkörpern" im Sinne von Art. II - und ausländische Beiträge dazu nicht als „Unterstützung" oder Ermutigung dazu im Sinne von Art. I bzw. deren Empfang als ,,Annahme von Unterstützung" im Sinne von Art. II - mißdeutet wer­ den dürfen, nur weil sie vielleicht die Verfügungsgewalt über Kern­ sprengkörper objektiv näherrücken, also möglicherweise prolifera­ tionsträchtig sind. Gewiß, ,, use of nuclear energy for peaceful pur­ poses" wird nicht definiert, doch insoweit ist entscheidend , daß die Art. I und II auf die Zielrichtung des Kernsprengkörpererwerbs, Art. IV Abs. 1 aber auf die friedliche Motivation abstellen. Es heißt dort eben nur „for peaceful purposes", nicht aber etwa „peaceful nuclear activities not liable to contribute to proliferation" 6 • Die objektive Taug­ lichkeit darf keine Rolle spielen. Nach Art. IV Abs. 1 ist allein die (sub­ jektive) Absicht maßgebend, und in den Art. I und II ist eben nur von Kernsprengkörpern (nuclear explosive devices) die Rede, nicht also - wie in dem insoweit selbstcharakterisierenden US-amerikanischen Non-Proliferation Act vom 10. März 1978 - von Kernsprengkörper4 „etwas verklausulierte . . . Formulierung", so Fischerhof, S. 25. Vgl. auch die Generalkritik von Fischer, Bilan, S. 43 : ,,instrument singulierement mal redige." Wenigstens in Art. IV ist der NPT keineswegs ein „leicht verständ­ liches internationales Instrument" (so aber Kimminich, S. 244). 5 Ebenso Bunn, S. 774; unklar Börner, S. 21. 6 So aber die Stoßrichtung des US Nuclear Non-Proliferation Act von 1978, auf den bereits hier hingewiesen sei (Pub.L. 95 - 242, insb. § 3 = 22 USC § 3202 ; Text auch in ILM 17 [ 1978] S. 397 ; im einzelnen dazu s. u. Teil B.1.2.b) .

1. Auslegung von Artikel IV

49

kapazität bzw. der Fähigkeit, Kernsprengkörper herzustellen7 • Dem­ zufolge bleiben nach Art. IV Abs. 1 NPT j enseits zielgerichteter Bestre­ bungen, die Verfügungsgewalt über Kernsprengkörper zu gewinnen, alle Nuklearaktivitäten als „ unveräußerliches Recht" zugelassen, so­ lange sie nur friedlichen Zwecken (peaceful purposes/des fins pacifi­ ques) dienen. Mithin sind auch alle potentiell militärtechnisch ver­ wertbaren - in diesem Sinne also gefährlichen - zivilen Tätigkeiten erlaubt, namentlich die Errichtung und der Betrieb von Anreiche­ rungs.:. und Wiederaufarbeitungsanlagen8• Dieses Ergebnis bewegt sich auch durchaus im Rahmen von Ziel und Zweck des NPT, in dem Art. IV steht. Ausgangspunkt war zweifellos das souveräne Recht der Staaten, sich die Kernenergie nutzbar zu machen, und zwar zivil wie militärisch. Durch Art. II NPT haben sich die nichtkernwaffenbesitzenden Ver­ tragsparteien in Ansehung von Kernsprengkörpern in die Beschrän­ kung dieses Rechts geschickt. Im übrigen muß es - Art. IV Abs. 1 er­ innert gewissermaßen nur daran - bei dem souveränen (oder, wenn man so will, unveräußerlichen) Recht bleiben. - Das Fazit lautet folg­ lich: Art. IV Abs. 1 NPT verbrieft das Recht der Staaten, zivile Kern­ forschung durchzuführen, sowie zivile Kernanlagen (aus eigener Kraft) zu errichten und zu betreiben, unter Einschluß von „ sensitiven" Anla­ gen wie solchen der Anreicherung und Wiederaufarbeitung. Es mag sein, daß die Anerkennung als „ unveräußerliches Recht" der großen Mehrheit der Staaten „ pompös" anmuten muß , insoweit nämlich, als eine Ausübung aus eigener Kraft unmöglich ist9 ; an dem Prinzip än­ dert sich dadurch j edenfalls nichts. Die Antwort auf die zweite Frage - nämlich danach, inwieweit unter dem NPT-Regime ein Staat einen anderen im zivilen Kern­ energienutzungsbereich unterstützen darf - steht in Art. III Abs. 2 10 sowie in Abs. 2 von Art. IV. Insofern fällt zunächst gewiß auf, daß von einem „ unveräußerlichen Recht" nicht die Rede ist. Auch muß hier die Nichtberührungsklausel des Art. IV Abs. 1, erstreckt sie sich doch nur auf autonome Anstrengungen, außer Betracht bleiben. Gleich­ wohl läßt auch hier der Wortlaut des Vertrags nur eine Auslegung zu. 1 "Nuclear explosive capability"/"direct capability to manufacture . . . such (seil. nuclear explosive) devices", ibid. Vorspruch und § 2. s So auch Assistant Secretary McCloskey in einem Schreiben vom 16. 6. 1976, Hearings on S. 1439, S. 803 ; Kramish, S. 240 ; Winsor, S. 1011. 9 Roucounas, S. 135. 10 Art. III Abs. 2 lautet : Jeder Staat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, a) Ausgangs- und besonderes spaltbares Material oder b) Ausrüstungen und Materialien, die eigens für die Verarbeitung, Verwendung oder Her­ stellung von besonderem spaltbaren Material vorgesehen oder hergerichtet sind, einem Nichtkernwaffenstaat für friedliche Zwecke nur dann zur Ver­ fügung zu stellen, wenn das Ausgangs- oder besondere spaltbare Material den nach diesem Artikel erforderlichen Sicherungsmaßnahmen unterliegt.

4 Prill

50

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

Das Unterstützungs- und Transferrecht ist in Art, III Abs. 2 und Art. IV Abs. 2 vorausgesetzt, da die Einengung (Sicherungsmaßnahmen) und Ausweitung (Kooperationsobliegenheit) darauf aufbauen. In Abs. 8 der Präambel heißt es außerdem unmißverständlich, die Vertragspar­ teien seien „ entitled . . . to contribute . . . to the further development of the applications of atomic energy for peaceful purposes" (,,ont le droit"). Auch hier wird eindeutig auf die (subjektiven) Verwendungs­ absichten abgestellt (a des fins pacifiques), so daß „Tauglichkeitsge­ sichtspunkte" - etwa unter Berufung auf Art. I und II - nicht be­ müht werden dürfen. Das bedeutet zugleich, daß der NPT auch der Verbreitung sog. ,, sensitiver" ziviler Technologien nicht entgegensteht. Mithin erlaubt der NPT die Weitergabe aller wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernener­ gie sowie die Lieferung entsprechender Ausrüstungen und Materialien. Als Empfänger kommen dabei nicht nur NPT-Vertragsstaaten in Be­ tracht, sondern auch - wie sich in aller Deutlichkeit aus dem Be­ griff „besonders" (especially/en particulier) in Abs. 2 Satz 2 von Art. IV ergibt - Nichtvertragsparteien1 1 • Derselbe Terminus sowie Satz 1 stel­ len allerdings auch außer Zweifel, daß eine unterschiedliche Behand­ lung von Vertrags- sowie Nichtvertragsstaaten mit dem NPT ohne weiteres vereinbar ist12 • Die dritte Frage - nämlich die nach einschlägigen Staatenverpflich­ tungen bzw, -ansprüchen - stellt die schwierigsten Probleme. Der Schlüsselbegriff in Art. IV Abs. 2 NPT lautet „erleichtern" (facilitate/ faciliter). Gewiß, den Vertragsstaaten wird dort eine Verpflichtung auferlegt (undertake/s ' engagent), aber eben nur eine Verpflichtung da­ zu, den „ weitestmöglichen" (fullest possible/aussi large que possible) ,,Austausch" (exchange/echange) von Ausrüstungen, Material und wis­ senschaftlichen und technologischen Informationen zu „erleichtern" . Zunächst darf festgehalten werden, daß zwischen Ausrüstungen (also z. B. Kernkraftwerken, aber auch Aufarbeitungs- und Anreicherungs­ anlagen) sowie Material (also insbesondere Kernbrennstoff) nicht un­ terschieden wird. Das Ausmaß der Lieferantendiskretion soll also im Bereich der (fast alltäglichen) Kernbrennstofflieferung so groß sein wie dann, wenn es um die Weitergabe der - höchst sensitiven - An­ reicherungstechnologie geht. Wie dem auch sei, für alle Transfers gilt 11 Dem widerspricht auch nicht die Presseerklärung der schweizerischen Regierung vom 27. 11. 1969 : Es seien „nur die Signatarstaaten berechtigt, die vertraglichen Dispositionen über die friedliche nukleare Zusammenarbeit anzurufen" (EA 25 [1970] S. D 16). Hier wird nicht mehr gesagt, als daß allein Vertragsstaaten die NPT-Bestimmungen geltend machen können. An dem Ergebnis, daß NPT-Staaten sensitive Ausrüstungen weitergeben dürfen, ändert sich dadurch nichts. 12 Siehe Del. Holmes (Irland), A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 95 ; Roschtschin (UdSSR), A/C. 1/PV 1624, paras. 36 - 37.

1. Auslegung von Artikel IV

51

zunächst der Vorbehalt „weitestmöglich" . Dieser Rechtsbegriff ist für sich allein gesehen höchst unbestimmt. Vom gewerblichen Rechtsschutz erfaßte Eigentumswerte könnten von vornherein ausgeschlossen sein. Auch Sicherheitsaspekte könnten unter diesem Leitmotiv bemüht wer­ den, womöglich zur Verweigerung von Anreicherungs- und Wieder­ aufarbeitungstechnologie oder sogar von Kernbrennstoffen. Spätestens aber bei dem Verb „ erleichtern" könnte j egliche Verweigerungsabsicht einhaken. Mag die Verpflichtung zur Austauscherleichterung auch ein gewisses Wohlverhalten13 beinhalten, letzten Endes bleibt es in das Ermessen des in Aussicht genommenen Lieferanten gestellt, ob er zum „Austausch" schreitet1 4 • Dieses Ergebnis wird durch Absatz 7 der Präambel gestützt, in dem der Terminus „ sollen" (should/devraient) verwendet wird, also nicht „müssen" (shall/doivent) 1 5 • Auch die Aner­ kennung eines Rechts auf Teilnahme an dem Austausch kann zu keinem anderen Verständnis des ersten Satzes von Art. IV Abs. 1 führen, kann es sich doch insoweit nur um den „größtmöglichen" Austausch handeln, der tatsächlich stattfindet. Diese Teilnahmeklausel könnte nur als An­ satz für ein Verbot der Diskriminierung einzelner Vertrags(!)-Staaten bei der Durchführung des „Austauschs" fruchtbar gemacht werden (s. u.). Satz 2 zeichnet sich zunächst durch die Einführung einer neuen Kate­ gorie von Staaten aus, nämlich von „Parties to the Treaty in a position to do so" 16 . Hier kündigt sich j ene neue Mittelklasse der kerntechnolo­ gisch fortgeschrittenen und exporttüchtigen Nichtkernwaffenstaaten an, die - je nach Sachbereich - entweder zusammen mit den übrigen Nichtkernwaffenstaaten von den kernwaffenbesitzenden Ländern un­ terschieden (wie z. B. in Art. I - III NPT), oder aber - wie dann in den 1a „good-will", so Del. Akwei (Ghana), A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 42. 1 4 Vielleicht etwas vorsichtiger Fischer, Non-Proliferation, S. 1 1 0 : ,,an idea of obligation but its scope remains somewhat vague" ; trotz langer Ausfüh­ rungen letztlich ohne klare Stellungnahme Shaker, S. 296 - 310. Kimminich, der Art. IV als „Beruhigungspille ohne allzu großen Wert" einstuft und Abs. 2 eine „vage(n) Verpflichtung" entnimmt, nennt zwar Beispiele für die Forderung des Informationsaustauschs, schweigt aber zu der Frage, auf welchem praktischen Weg die Vertragsstaaten den Austausch von Ausrüstun­ gen und Material „fördern" könnten (S. 262, 264). Ähnlich wortkarg dazu Delbrück, S. 658. 15 Er lautet : ,,in Bekräftigung des Grundsatzes, daß die Vorteile der fried­ lichen Anwendung der Kerntechnik einschließlich aller technologischen Nebenprodukte, die Kernwaffenstaaten gegebenenfalls bei der Entwicklung von Kernsprengkörpern gewinnen, allen Vertragsparteien, gleichviel ob Kernwaffenstaaten oder Nichtkernwaffenstaaten, für friedliche Zwecke zu­ gänglich sein sollen, . . . " 1 6 Dazu - insbesondere dem Identifikationsproblem - wmrich, S. 130 bis 131 ; Shaker, S. 312 - 314. Zur „Dreiteilung" der Staaten siehe außerdem Del. d'Avernan (Belgien) und Sammut (Malta), A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 18, 78 f. Vgl. überdies den anschaulichen Begriff „stati nucleari non militari", wiedergegeben bei Jacobucci, S. 640. 4•

52

A.II.Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

70er Jahren in zunehmendem Maße - zusammen mit den Kernwaffen­ staaten allen übrigen . Ländern gegenübergestellt werden kann (z. B. Art. IV Abs. 2 Satz 2 NPT). Diese kerntechnisch führenden Länder ob nuklear gerüstet oder nicht - haben zugunsten einer Weiterent­ wicklung der Kernenergienutzung zusammenzuarbeiten. Durch die Verwendung der „ shall co-operate"-Formel entscheidet sich der NPT für das mittlerweile klassische Vehikel der internationalen Vertrags­ sprache, mit welchem nur ein zielgerichtetes Unternehmen, nicht aber die Herbeiführung eines Erfolges vorgeschrieben wird. Gegenstand der Zusammenarbeit soll nicht etwa unmittelbar die Weiterentwicklung einer international verbreiteten Anwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke sein, sondern nur die Leistung eines Beitrages dazu. Es dürfte auf der Hand liegen, daß Satz 2 keine größere Stringenz aufweist als Satz 1 . Insgesamt läßt der Wortlaut von Abs. 2 nicht die Deutung zu, dort sei eine Transferverpflichtung statuiert oder ein ent­ sprechender Anspruch verbrieft1 7 • Eine weitergehende Auslegung des Art. IV läßt sich auch nicht mit der Überlegung rechtfertigen, das „un­ veräußerliche Recht" nach Abs. 1 erstrecke sich notwendigerweise auch auf ein Recht auf Beistand, weil es sonst von den allermeisten Ländern gar nicht wahrgenommen werden könne 18 • Der zwischenstaatliche As­ pekt der zivilen Kernenergienutzung hat eben in Abs. 2 klar erkenn­ bar eine besondere Regelung erhalten ; Abs. 1 verweist die Vertrags­ parteien allein auf ihre eigene Kraft. Art. IV Abs. 2 NPT stellt also letztlich nicht mehr dar als eine allgemeine Anweisung an die Ver­ tragsstaaten , die internationale Verbreitung der zivilen Kernenergie­ nutzung im Rahmen des Möglichen zu fördern und zu erleichtern, ohne darüber hinausgehende spezifische Verpflichtungen aufzuerlegen 19 • 11 Der Hinweis auf die Bedürfnisse der Entwicklungsgebiete der Welt, die gebührend zu berücksichtigen seien, könnte als Inaussichtnahme gewisser Vorzugsbedingungen aufgefaßt werden, vgl. die Forderung von Del. Urquiola (Philippinen) nach angereichertem Uran „at preferential prices", A/CONF. 35/ C.2/SR 1 - 17, S. 35, und Willrich, S.133 : "... the most that could probably be inferred from the Treaty is some generosity and perhaps a degree of departure from the normal pursuit of commercial profit ... " Die Forderung nach Vorzugsbedingungen für die NPT-Staaten wurde auch auf der ersten NPT-Überprüfungskonferenz wieder vorgetragen, doch es gelang nicht, in der Schlußerklärung eine stärkere Formulierung durchzusetzen als die Empfehlung, bei Entscheidungen im Rahmen nuklearer Zusammenarbeit auch solchen über „concessional and other appropriate financial arrange­ ments" - .,States Party to the Treaty should give weight to adherence to the Treaty by recipient States" (NPT/CONF/30/Rev.1) ; vgl. Epstein, Failure, S. 266 ; ders., The Last Chance, S.2·5 1 ; Fischer, Conference, S. 18 - 21 ; Massai, s. 75 - 77. ts Vgl. in diesem Zusammenhang den Gedankengang von Del. Pardo (Malta), A/C.1/PV 1575, para.28. 1 9 übereinstimmend - wenn auch ohne eingehende Würdigung des Wort­ lauts - Firmage, S.728 - .,too general to impose specific duties ... language remained hortatory" ; Roucounas, S. 152 - .,marge considerable de pouvoir

1. Auslegung von Artikel IV

53

Dieser erste Lektürebefund wird insgesamt bekräftigt durch die Erklärungen, welche die Staaten in Zusammenhang mit der Unter­ zeichnung oder der Ratifikation des NPT abgegeben haben und welche in dem Maße, in dem sie von den sonstigen Vertragsparteien als mit dem Abkommen in Verbindung stehende Dokumente anerkannt worden sind, zum Zwecke der Auslegung in den „Zusammenhang" des Ab­ kommens gehören (Art. 1 Abs. 2 lit. b WVRK) . Desgleichen findet er in der nachfolgenden Staatenpraxis (Art. 31 Abs. 3 lit. b WVRK) eine zusätzliche Stütze. bb) Dokumente in Verbindung mit dem NPT und nachfolgende Staatenpraxis Förmliche Verlautbarungen im Zusammenhang mit der Unterzeich­ nung bzw. Ratifikation des NPT oder des Beitritts dazu gibt es seitens Australiens, der Bundesrepublik Deutschland, des Heiligen Stuhls, In­ donesiens, Italiens, Japans, Jugoslawiens, der Republik Korea, Liech­ tensteins, Mexikos, der Schweiz und des Vereinigten Königreichs2 0 • Soweit sie die zivile Kernenergienutzung angesprochen haben, sind sie von den anderen Vertragsparteien widerspruchslos hingenommen worden, so daß die Autoren davon ausgehen durften, ihre Erklärungen seien als vertragsbezogene Dokumente akzeptiert worden21 • Diese auf die zivile Kernenergienutzung eingehenden Verlautbarungen stammten fast ausschließlich von entwickelten Industriestaaten. Mexiko ging auf diesen Aspekt überhaupt nicht ein - von den friedlichen Kernexplo­ sionen hier einmal abgesehen -, und Indonesien nur am Rande22 • Hier seien vor allem die Stellungnahmen Australiens, der Bundesrepublik Deutschland, Italiens, Japans und der Schweiz gewürdigt. Drei von

discretionnaire ...; obligations ... vagues" ; die Atomic Energy Commission in den NPT-Hearings des Senate Committee on Foreign Relations - ,,We will not ... interpret Article IV as . .. obliging the US to meet all requests and demands ... nor will it remove the discretion we have in determining the nature of our eo-operative relationships with other countries, on a case by case basis" (zitiert nach Fischer, Non-Proliferation, S. 1 1 1 Fn.16). Vgl. auch das Verdikt von Fischer, Bilan, S.43 (,,traite particulierement vague et ambigu en ce qui concerne la cooperation nucleaire pacifique") und Gold­ schmidt, Collaboration, S.205 (,,pious vow having no practical application"). Etliche Autoren weichen deshalb allen Interpretationsgefahren aus und vermeiden klare Stellungnahmen zu Art.IV, so z. B. Delcoigne / Rubinstein, S.73 ; Furet, S. 131 f.;Mosconi, S.263 ff.; Zoppo, S. 121. Unergiebig insoweit auch das Sammelwerk Kernenergie und internationale Politik (Hrsg. Kaiser ! Lindemann).

20 Siehe SIPRI, Arms Control, S. 191 f. (noch ohne Liechtenstein, das am 20.4. 1978 beigetreten ist, BGBL 1978 II S. 1266). 21 Vgl. das BVerfG in seinem Beschluß vom 7.7.1975 : BVerfGE 40 S.176. 22 Treaty Series No.88 (1970), S. 64, 74. Nachdrücklicher allerdings die Er­ klärung bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunden am 12.7.1979, vgl. BGBl 1980 II S.688 f. Die amerikanischen Vertragssammlungen verzichten interes­ santerweise auf die Wiedergabe jeglicher Erklärung, siehe TIAS 6839 = 21 UST 483 - 566.

54

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

ihnen weisen erhebliche Gemeinsamkeiten auf, nämlich die Erklärun­ gen, welche Australien, die Bundesrepublik Deutschland und Japan bei Vertragsunterzeichnung abgegeben haben23 • Die drei Staaten be­ tonen, unter keinen Umständen könne der NPT der Erforschung, Ent­ wicklung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke ent­ gegenstehen. Deutschland und Japan beziehen sich dabei auf den Zweck des Vertrags, der allein darin bestehe, den Erwerb der Ver­ fügungsgewalt über Kernwaffen und Kernsprengkörper zu untersa­ gen. Die Verwendung der Kernenergie für andere Zwecke bleibe davon völlig unberührt (Motto: Was nicht verboten wird, bleibt erlaubt). Die deutsche Bundesregierung hat es sich überdies nicht nehmen lassen, das Recht auf unbehinderte Nutzbarmachung auch fortgeschrittener Tech� nologien wie etwa der von Schnellen Brutreaktoren zu unterstreichen, und den amerikanischen UN-Botschafter A. Goldberg als Zeugen ange­ rufen, welcher sich in der Tat in der Generalversammlung entsprechend eingelassen hatte 24 • Australien wie Japan verwahren sich darüber hinaus gegen j egliche Diskriminierung. - Außerdem stellen die drei Staaten eine Regel auf , die als „Friedlichkeitsvermutung" bezeichnet werden könnte. In der deutschen Note erscheint sie unter der Über­ schrift „Beweislast" und ist dahingehend formuliert, ,,keine nukleare Tätigkeit" sei untersagt, noch könne „die Lieferung von Kenntnissen, Material und Ausrüstungen Nichtkernwaffenstaaten allein auf der Grundlage von Unterstellungen verweigert werden, daß eine derartige Tätigkeit oder eine derartige Lieferung zur Herstellung von Kern­ waffen oder sonstigen Kernsprengkörpern verwendet werden" könne. Die j apanische Erklärung folgt dem fast Wort für Wort. Die Erklärung Australiens ist knapper, aber insofern rigoroser, als danach keine nu­ kleare Entwicklung untersagt sein sollte, es sei denn, die Tätigkeiten dienten keinem anderen Zweck als der Herstellung von Kernwaffen oder sonstiger Kernsprengkörper. Bei der Ratifikation des NPT am 23. Januar 1973 sah Australien dann von einer erneuten Verlautbarung ab (im Dezember 1972 hatte die Labor Party die Regierungsverant­ wortung übernommen). Die Bundesrepublik Deutschland und Japan gaben bei dem gleichen Anlaß kürzere Erklärungen ab als bei der Un­ terzeichnung. Japan unterstrich noch einmal die Grundsätze der Nicht­ behinderung und Gleichbehandlung bei der zivilen Kernenergienut­ zung 25, während die Bundesrepublik Deutschland die „Voraussetzun-

23 Treaty · Series No.88 (1970), S.52 - 53 (Statement by the Government of Australia, 27.2. 1970), 53 - 58 (Note sowie Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom 28.1 1.1969, Text auch in Bull. 1969 S. 1233 [Nr. 145, 29. 1 1 . 1969] ), 71 - 74 (Statement of the Government of Japan, 3. 2. 1970). 24 Am 15.5. 1968, A/C. 1/PV 1568, para. 76. Später (19.5. 1977) ebenso Deputy Under Secretary Nye, Hearings on H.R.8638, S. 1 16. 2 s Note vom 8.6. 1976, BGBl. 1977 II S. 232.

1. Auslegung von Artikel IV

55

gen" zusammenfaßte, unter denen sie Vertragspartei wurde und zu denen sie sich anläßlich der Unterzeichnung geäußert hatte; dabei wie­ derholte sie u. a., die zivile Kernenergienutzung und die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet dürften durch den Vertrag nicht beeinträchtigt werden26 • Die Schweiz verwies bei Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunden27 auf den alleinigen Vertragszweck der militärischen Prohibition und vertrat die Meinung, zu anderweitigen Beschränkungen würden die NPT-Bestimmungen nicht führen. Daneben stellte sie fest, die Tätig­ keiten gemäß Art. IV fielen nicht unter die in den Artikeln I und II enthaltenen Verbote und erfaßten insbesondere das gesamte Gebiet der Energieerzeugung und der damit zusammenhängenden Operationen, die Forschung und die Technologie im Bereich zukünftiger Kernreaktoren auf Fissions- oder Fusionsbasis wie auch die Isotopenproduktion. Die Erklärung enthielt keine „Beweislastregel" . Die merkwürdigste aller Staatenerklärungen ist vielleicht diejenige, die Italien bei der Unterzeichnung abgegeben und aus Anlaß der Rati­ fikation wiederholt hat28 • Die eigentliche Regierungsverlautbarung ent­ hält keine spektakulären Aussagen. Substanziell sind dagegen die Ent­ schließungen der beiden Kammern des italienischen Parlaments, welche der Erklärung als „integrierender Bestandteil" 29 beigefügt sind. Der Senatsbeschluß weist die Regierung an, dafür Sorge zu tragen , daß bei der Durchführung des Vertrags das Recht der Nichtkernwaffen­ staaten auf angemessene Belieferung mit Ausgangs- und besonderem spaltbaren Material sowie auf unbeschränkten Zugang zu wissenschaft­ licher und technologischer Information gewährleistet ist, und daß all­ gemein die Staaten im Bereich der zivilen Kernenergienutzung effek­ tiv gleichbehandelt werden30• Auch die Abgeordnetenkammer gibt der Regierung auf, die Versorgung zu nicht diskriminierenden Bedingungen, die Informationsbeschaffung und die Gleichbehandlung sicherzustellen. 2. 5. 1975, BGBl. 1976 II S. 555. 9. 3. 1977, BGBl. 1978 II S. 222. Die schweizerische Erklärung aus Anlaß der Unterzeichnung am 27. 11. 1969 - Treaty Series No. 88 (1970), S. 76 - ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang. Die Erklärung Liechtensteins vom 20. 4. 1978 ist der schweizerischen Verlautbarung vom 9. 3. 1977 wort­ gleich (vgl. Anm. 20). 2s Treaty Series No. 88 (1970), S. 65 - 68; BGBl. 1976 II S. 555 - 557. 2 9 „Ad integrazione delle suindicate dichiarazioni il Governo italiano unisce alla presente Nota . . . (etc.)." so ,, • • • perche siano assicurati alle potenze non nucleari il diritto all'equo approvvigionamento delle materie prime e speciali nucleari, il diritto alla illimitata informazione scientifica e tecnologica e in generale l'effetiva parita fra gli Stati nel settore dell 'utilizzo dell'energia nucleare per scopi pacifici." 26

21

56

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

Der Stellenwert, der all diesen Äußerungen beizumessen ist, er­ schließt sich nicht auf den ersten Blick. Ihrem Selbstverständnis nach . handelt es sich um interpretative Erklärungen, also nicht um Vorbe­ halte, d. h. einseitige Erklärungen, mit deren Abgabe ein Staat „be­ absichtigt, die rechtliche Wirksamkeit gewisser Bestimmungen des Vertrages in ihrer Anwendung auf den betreffenden Staat auszu­ schließen oder abzuändern" (Art. 2 Abs. 1 lit. d WVRK). Den Verlaut­ barungen fehlt ein gegen den NPT-Konsens gerichteter Lossagungs­ wille31 . Für die Einstufung als interpretative Erklärungen spricht wenigstens soweit die hier interessierenden Passagen betroffen sind - die Verwendung von Begriffen wie „geht davon aus"/,,geht . . . von folgendem aus" (Bundesrepublik Deutschland) und „in der Meinung, daß . . . " bzw. ,,stellt fest" (Schweiz). Weniger deutlich ist wohl die Berufung Japans auf „ seine Grundsatzhaltung" , doch die Einzeläuße­ rungen tragen durchaus Interpretationscharakter. Demgegenüber sind die italienischen Parlamentsentschließungen eher programmatisch als interpretativ. Und schließlich tritt auch in den entscheidenden Passa­ gen der Erklärung Australiens anhand der Begriffe „notes . . . " , ,,wel­ comes . . . " , ,,considers it important that . . . should" hervor, daß das Anliegen einem Auslegungsbemühen gilt. Eine Gesamtbetrachtung muß ergeben, daß diese offiziellen Erklä­ rungen die oben vorgenommene Auslegung des NPT und insbesondere von dessen Artikel IV bekräftigen. Gewiß, die Anrufung des Vertrags­ zwecks (Bundesrepublik Deutschland, Schweiz) vermag nicht restlos zu überzeugen , denn die - insoweit zweifelsfrei wegweisende - NPT­ Präambel stellt im allgemeinen auf die Sicherheit der Völker und im besonderen auf den objektiven Vorgang der Kernwaffenverbreitung ab, schweigt also zu den Tätigkeiten, die (objektiv) dafür taugen bzw. (subjektiv) dafür vorgesehen sind. Gleichwohl ist es richtig, daß der NP!' sämtliche zivilen Nuklearaktivitäten zuläßt, mögen sie auch ob­ jektiv proliferationsträchtig sein. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß die friedlichen Nuklearaktivitäten nicht näher umschrieben wer­ den32 . Es verträgt sich schlechthin nicht mit dem Vertragswortlaut, der tatsächlichen Verfügungsgewalt über Kernwaffen die Nuklearwaffen­ kapazität gleichzusetzen, welche gleichsam das Nebenprodukt bestimm­ ter Formen ziviler Kernenergienutzung sein kann33 . Insofern erscheint s1 Vgl. Tomuschat, Reservations, S. 464 f. Inwieweit andere, nicht die zivile Kernenergienutzung betreffende Punkte der Erklärungen als Vorbehalte zu werten sind (vgl. Zieger, S. 166 - 168), kann hier dahinstehen. a2 ,, . . . the danger, from a proliferation point of view, of the enrichment and reprocessing steps is nowhere reflected in the NPT . . . ", so zutreffend Goldschmidt, Survey, S. 80. Diese Schweigsamkeit . hat zweifellos zii der Abgabe der diversen Staatenerklärungen beigetragen, siehe z. B. die Be­ sorgnis des deutschen Del. Schnippenkoetter, A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 29.

1. Auslegung von Artikel IV

57

die Besorgnis eher abwegig, Kernreaktoren könnten unter den Bann der Art. I und II NPT etwa mit der Begründung subsumiert werden, sie stellten „ sonstige Kernsprengkörper" dar 34 • Vielmehr unterstreichen die interpretativen Erklärungen zu Recht, daß der NPT die Gesamtheit der zivilen Nukleartätigkeiten zuläßt, also nicht auf das Potential (die Latenz) abstellt, sondern auf die - militärische oder zivile - Aus­ richtung der jeweiligen Tätigkeit. Auch die deutsch-j apanische „Be­ weislastregel" knüpft an eben diese Rechtslage an, versucht dann aber darüber hinaus der Gefahr vorzubeugen, durch die einfache Behaup­ tung oder Unterstellung einer militärischen Absicht könne das Regime der zivilen Nutzungsfreiheit letztlich doch ausgehöhlt werden. Dieser Abwehrversuch ist insofern legitim, als die leichtfertige Annahme nichtfriedlicher Zwecke praktisch darauf hinausliefe, nicht auf die tat­ sächliche subj ektive Absicht abzustellen, sondern auf die obj ektive waffentechnische Nutzbarkeit , also das Potential. Mithin bekräftigen diese Staatenerklärungen nur die Exegese, wonach Art. IV das Recht der Staaten anerkennt, z. B. auch Anreicherungs- und Wiederaufar­ beitungsanlagen sowie Schnelle Brutreaktoren zu errichten. Damit korreliert die Pflicht der Vertragsparteien - im Hinblick auf spätere Entwicklungen seien bereits hier die USA angesprochen -, die Aus­ übung dieses Rechts nicht zu behindern. Zu dem Recht der Staaten, andere Staaten bei der Entwicklung der zivilen Kernenergienutzung zu unterstützen, insbesondere durch Lie­ ferung von Ausrüstung und Material (namentlich Kernbrennstoff), ha­ ben sich Australien, Deutschland und Japan im Rahmen ihrer „Be­ weislastregeln" geäußert. Für die grenzüberschreitenden Maßnahmen sollen danach die gleichen Grundsätze gelten wie für die autonomen Entwicklungsanstrengungen. Auch hierin gewinnt das bisherige Ausle­ gungsergebnis eine weitere Stütze. Es wurde bereits festgestellt, daß das Recht auf zivilen Transfer in Art. III Abs. 2 und Art. IV Abs. 2 unterstellt ist. Ergänzend sei auf folgendes hingewiesen. Der NPT ent­ hält zwar kein explizites Verbot für Nichtkernwaffenstaaten, Kern­ waffentechnologie weiterzugeben (Art. I wendet sich allein an die Kern­ waffenstaaten), doch ein solches Verbot ist in den Artikeln I - III zweifelsfrei impliziert35 • Im übrigen können die Nichtkernwaffenstaa­ ten aber keiner weitergehenden Transferprohibition unterliegen als 33 ,, ,by-product' dell'industrializzazione nucleare", so anschaulich Jaco­

bucci, S. 634.

34 Vgl. die Überlegungen in der Botschaft des schweizerischen Bundesrats vom 30. 10. 1974, wiedergegeben in : Caflisch, Pratique suisse 1974, S. 198. Wie hier Delbrück, S. 676 (,,böswillige[n] Auslegung"). 35 Dei. Khallaf (Vereinigte Arabische Republik) hatte im ENDC Zweifel angemeldet (ENDC/PV 367), doch die Kopräsidenten Roschtschin (UdSSR) und Foster (USA) versicherten, der Vertrag enthalte kein derartiges Schlupf­ loch (ENDC/PV 370, paras. 59 - 63, 83 - 84).

58

A.11. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

die Kernwaffenstaaten, und deren Beistandsverweigerung korrespon­ diert, wie eine Zusammenschau der Artikel I und II erweist, mit dem nationalen Herstellungs- und Erwerbsverbot. Das Transferverbot kann also nicht weiter reichen als die Beschränkung der nationalen Entwick­ lungsmöglichkeiten. Positiv gewendet: Soweit die Kerntechnologie auf nationaler Ebene durch autonome Anstrengungen genutzt werden darf, darf sie auch an andere Staaten weitergegeben werden. Die Folge ist, daß unter dem NPT-Regime auch aus diesen Erwägungen die Anrei­ cherungs-, Wiederaufarbeitungs- und Brütertechnologien weitergegeben werden dürfen. Kein Staat ist bei Unterzeichnung oder Ratifikation des NPT soweit gegangen, dem Vertrag einen Lieferanspruch zu entnehmen. Auch die italienische Erklärung macht weit davor Halt, stellen die dort einbe­ zogenen Parlamentsbeschlüsse doch nicht mehr dar als Aufforderungen an die Regierung. Immerhin könnten etliche Erklärungen im Sinne einer Präklusionswirkung verstanden werden, dahingehend nämlich, die potentiellen Lieferanten dürften gegenüber einem Lieferwunsch eines Vertragsstaates nicht geltend machen, der Ausrüstungsgegenstand bzw. das Material könne auch für militärische Zwecke nutzbar ge­ macht werden, und die Lieferung mit dieser Begründung verweigern. Art. IV Abs. 2 Satz 1 ist einer solchen Auslegung durchaus zugänglich. Es läßt sich argumentieren, eine Lieferverweigerung allein aus Grün­ den einer obj ektiven Proliferationseignung laufe der Verpflichtung direkt zuwider, den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen und Material zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern. Zwar bleibe es dabei, daß Art. IV Abs. 2 den potentiellen Lieferstaaten keine spezifischen positiven Verpflichtungen dahingehend auferlege, alle Lieferwünsche zu befriedigen36 , doch lasse sich der Vorschrift wenig­ stens eine negative Verpflichtung in dem Sinn entnehmen, daß der in Aussicht gestellte „ Austausch" (exchange, echange) jedenfalls nicht aus NPT-fremden Motiven (wie Proliferationseignung) behindert werden dürfe. Und ein Embargo über sensitive Ausrüstungen und Materialien (beispielsweise) stelle eine solche Behinderung dar. In den USA, wo die Frage - wie zu schildern sein wird - akut wurde, ist das Interpretationsproblem sehr wohl erkannt worden. Deputy Under Secretary J. S. Nye kam im Hinblick auf die Verein­ barkeit eines derartigen Embargos mit Art. IV NPT zu dem Ergebnis, es gebe eindeutig „a degree of tension" , meinte aber „ it is temporary and that restraint is consistent with the fact that article IV . . . must be read in the light of articles I and II, where States undertake to avoid steps which would lead to the spread of nuclear weapons" 37 • In so Vgl. die in Anm. 19 zitierte Stellungnahme der US Atomic Energy Commission.

1.Auslegung von Artikel IV

59

eine vergleichbare Richtung weist folgender Auslegungsversuch von A. S. Fisher, dem zeitweiligen NPT-Chefunterhändler der USA: "The parties are only obligated to assist other parties in a manner that makes sense economically. In particular , there is no obligation to assist even other parties if the total nature of their nuclear program is such that it only makes sense if they have the ultimate obj ective of develop­ ing a weapon or other nuclear explosive device38." In beiden Außerun­ rungen wird die Lieferverweigerung letztlich mit dem Argument der objektiven Proliferationseignung bzw. dem starken (aber nicht bewie­ senen) Verdacht einer nichtfriedlichen Verwendungsabsicht des poten­ tiellen Empfängers verteidigt. Hiermit könnte also gerade der Fall eintreten, vor dem die deutsche Note vom 28. November 196939 gewarnt hat, daß nämlich „die Lieferung von Kenntnissen, Material und Aus­ rüstungen Nichtkernwaffenstaaten allein auf der Grundlage von Un­ terstellungen verweigert werden, daß eine derartige Lieferung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern ver­ wendet werden" könne. Andererseits ist es sehr fraglich, ob dem Art. IV Abs. 2 NPT eine Interpretation gerecht wird, die ihn auf dem Um­ weg über eine Kumulation von Präklusionen zu einer positiven (Lie­ fer-)Verpflichtung erstarken läßt. Der Versuch einer Lösung des Rechts­ problems sei hier zurückgestellt ; er soll später im Zusammenhang mit der Würdigung konkreter Beispielsfälle unternommen werden40 • Schließlich seien noch einige Worte dem Grundsatz der „Gleichbe­ handlung" gewidmet, auf dem mehrere Staaten bestanden haben. Hier muß zunächst die Frage wiederholt werden, ob auch ein Vorgehen untersagt sein soll, welches zwischen Vertrags- und Nichtvertragspar­ teien differenziert. Die förmlichen Erklärungen sind insoweit nicht ganz deutlich ; andere Länder haben sich aber recht nachhaltig gegen j egliche Diskriminierung von Nichtvertragsstaaten gewendet41 • 37 Am 3. 10. 1977 in Bonn vor der Friedrich-Ebert-Stiftung, Dept. of State Bull. 77 S. 668 (14.1 1.1977) ; vgl. außerdem Rede vom 2.5.1977, Dept. of State Bull. 76 S.551 (30.5. 1977), und Mitteilung im Rahmen einer Senatsanhörung vom 23.5. 1977, Hearings on S. 897 and S. 1432, S. 74. Demgegenüber hatte Assistant Secretary McCloskey am 16. 6. 1976 noch lapidar den Standpunkt eingenommen, Art.IV verpflichte die USA nicht zur internationalen Zu­ sammenarbeit im Bereich der Anreicherung und Wiederaufarbeitung, Hear­ ings on S. 1439, S.831. ACDA Deputy Director Keeny vertrat am 26.5. 1977 die Theorie, Anreicherungsanlagen seien von Art.IV überhaupt nicht erfaßt, und bei Wiederaufarbeitungsanlagen stelle sich die Frage nach einer Trans­ ferpflicht jedenfalls solange nicht, als solche Einrichtungen nicht in dem potentiellen Lieferstaat kommerziell betrieben würden, Hearings on H.R. 8638, S. 172 (ähnliche Überlegungen durch Nye in der oben zitierten Mittei­ lung). Die verschiedenen Äußerungen dokumentieren die große Unsicherheit gegenüber dem Gehalt von Art.IV NPT. 38 Hearings on S. 1439, S. 1402. 39 Fast identisch die japanische Erklärung vom 3. 2. 1970, vgl. oben Anm.23. 4 0 s.u. Teil B.11.2.a)aa).

60

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

Dem wurde entgegengehalten, bei der Gewährung der im NPT in Aussicht gestellten Vorteile dürfe sehr wohl zwischen Vertragsstaaten und anderen differenziert werden42 . Zu Recht - denn so, wie die La­ sten des NPT nur die Vertragsparteien treffen, so werden auch dessen Vorteile nur diesen verheißen. Es ist also absolut nicht unzulässig, den Nichtvertragsstaaten restriktivere Transferbedingungen zu stellen als den Vertragsstaaten. Ob es dabei nach allgemeinem Völkerrecht Gren­ zen für die Gestaltung der Lieferbedingungen gibt (etwa unter dem Gesichtspunkt unzulässiger Ausübung von Druck), soll später erörtert werden43 . Endlich sei noch einmal die Frage aufgeworfen, ob wenigstens alle Vertragsstaaten gleichbehandelt werden müssen. Für den Bereich der Eigenentwicklung ziviler Kernenergienutzung steht das außer Zweifel. In Art. IV Abs. 1 bekräftigt der NPT deklaratorisch die souveräne Gleichheit der (Vertrags-)Staaten bei der Ausübung des Rechts auf zi­ vile Kernenergienutzung. Es handelt sich hier um „ the very fabric of the NPT" (Deputy Under Secretary Nye) 44 . Die militärische Statusdiffe­ renzierung darf nicht in den zivilen Bereich hinein verlängert werden. Insbesondere sind Nichtkernwaffenstaaten bei der eigenen Entwick­ lung ziviler Kernenergienutzung so frei wie Kernwaffenstaaten. Die Nutzungsbedingungen haben für beide Staatenkategorien gleich zu sein, d. h. den Nichtkernwaffenstaaten dürfen aus ihrem militärischen Min­ derstatus keine auf sie beschränkten , die Kernwaffenstaaten also ver­ schonenden Restriktionen im zivilen Bereich erwachsen. Die Vertrags­ staaten verpflichten sich, diesen Aspekt der souveränen Gleichheit zu respektieren , d. h. insbesondere zuwiderlaufende Maßnahmen zu un­ terlassen45. Es ist eine ganz andere Frage, ob das Prinzip der Nichtdiskriminie­ rung auch für die Beziehungen der Lieferanten zu ihren Abnehmern gilt. Das Problem lautet hier, ob die Lieferanten die Abnehmer ein­ heitlich behandeln müssen, etwa im Sinne einer Nukleartransfer-Meist­ begünstigungsklausel. Da den Staaten nach allgemeinem Völkerrecht keine materielle Gleichbehandlungspflicht obliegt46 , hätte ein entspre­ chender Grundsatz im NPT deutlich zum Ausdruck kommen müssen. 41 Indonesien durch Del. Dursa, A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 70, und Anwar Sani, A/C. 1/PV 1628, para. 80; vgl. auch Del. Sole (Südafrika) und El Guebeily (Vereinigte Arabische Republik), A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 20, 65. Ägypten hat den NPT nicht ratifiziert, Südafrika hat ihn nicht einmal unterzeichnet. Indonesien ist 1979 Vertragspartei geworden. 42 z. B. Del. Roschtschin (UdSSR). A/C. 1/PV 1624, paras. 36 - 37. 43 s. u. Teil B.11.3.a. 44 z. B. in Hearings on S. 897 and 1432, S. 29. 45 Nye wurde nicht müde, vor „discriminatory policies on the civil side" zu warnen, vgl. z. B. ibid. 4 6 Kewenig, Nichtdiskriminierung, S. 36.

1. Auslegung von Artikel IV

61

Ein Ansatzpunkt könnte in Art. IV Abs. 2 gefunden werden, und zwar speziell die dort festgeschriebene Berechtigung aller Vertragsparteien, an einem Austausch teilzunehmen. Es ginge aber erheblich zu weit, den Absatz insofern für eindeutig zu halten. So haben denn auch meh­ rere Staaten die Befürchtung geäußert, selbst unter der Geltung des NPT-Regimes könne es zu Übervorteilungen kommen47 • Die verschie­ denen Verlautbarungen verraten insgesamt eine berechtigte Skepsis gegenüber der These, in Art. IV Abs. 2 sei ein materielles Gleichbe­ handlungsgebot verankert. Bevor nun die Interpretation von Art. IV NPT mit einer Würdigung der Entstehungsgeschichte abgeschlossen wird, sei kurz auch die Praxis der NPT-Staaten in Anwendung des Vertrages angesprochen, die ge­ mäß Art. 31 Abs. 3 lit. b WVRK ebenfalls als Auslegungselement in Be­ tracht kommt. 1 979 waren fünf kernwaffenlose NPT-Staaten an gemeinschaftlich betriebenen Anreicherungsanlagen beteiligt (UR­ ENCO mit der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden neben dem Kernwaffenstaat Vereinigtes Königreich; EURODIF mit Belgien, dem Iran und Italien neben den Nicht-NPT-Staaten Frank­ reich und Spanien). In vier kernwaffenlosen NPT-Staaten bestanden Wiederaufarbeitungsanlagen (Belgien - derzeit noch stilliegend ; Bun­ desrepublik Deutschland - Pilotanlage; Japan - Prototyp ; Italien Pilotanlage). Die Bundesrepublik Deutschland und Japan verfügten außerdem über experimentelle Brutreaktoren48 • Die Durchführung dieser Proj ekte und die Planung von weiteren ist niemals als ein Pro­ blem des NPT, sondern als ein wirtschaftlich-technisches begriffen worden49 • Was aber das sehr viel schwierigere Problem des Transfers sensitiver Technologie - bzw. von dessen Verweigerung - angeht, so fehlt es an einer Praxis, ,,die die Übereinstimmung der Parteien hin­ sichtlich der Auslegung (seil. von Art. IV NPT) zum Ausdruck bringt" (Art. 31 Abs. 3 lit. b WVRK). Ein einziges Mal ist ein NPT-Staat zur Weitergabe sensitiver Technologie - nämlich der der Anreicherung und Wiederaufarbeitung - geschritten, und zwar die Bundesrepublik Deutschland zugunsten des Nicht-NPT-Staates Brasilien50 • Insoweit 47 Del. Akwei (Ghana) und Holmes (Irland), A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 42, 95. Vor allem die Schweiz engagierte sich für die Anerkennung eines Diskriminierungsverbots : Del. Natural, ibid. S. 90 - dort auch die Rede von der Meistbegünstigungsklausel -; Resolutionsentwurf A/CONF. 35/C. 2/L. 1 (allerdings in Verwendung des Gegensatzpaares Kernwaffenmächte - Nicht­ kernwaffenstaaten statt Lieferanten - Empfänger). 48 SIPRI Yearbooks 1978, S. 21 - 22, 1979, S. 317 - 318. 4D Auch Präsident Carter bezweifelte nicht, daß Deutschland und Japan „have a perfect right to go ahead and continue with their reprocessing efforts", Pressegespräch vom 7. 4. 1977, Dept. of State Bull. 76 S. 433 (2. 5. 1977). Deputy Under Secretary Nye schloß am 19. 5. 1977 Brutreaktoren ein, Hear­ ingii on H.R. 8638, S. 116 - 117.

62

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

verdient zwar der Umstand Beachtung, daß die Transaktion - soweit ersichtlich - von keinem NPT-Staat als NPT-widrig bezeichnet wor­ den ist51 ; bemerkenswerter ist aber wohl die Tatsache , daß zwei Jahre nach dem Brasilien-Abkommen auch die Bundesrepublik Deutschland „bis auf weiteres" ein Embargo über Wiederaufarbeitungsanlagen und -technologien verkündete52 • Während das Recht zum Transfer nicht in Zweifel gezogen worden war, stieß die Politik der Technologieverwei­ gerung durch die Lieferstaaten auf die - auch mit rechtlichen Argu­ menten gestützte - Kritik zahlreicher Länder53 • Insoweit repräsen­ tiert also die Praxis der Vertragsparteien keinen Interpretationskon­ sens hinsichtlich Art. IV NPI'.

b) Die Entstehung des Art. IV als zusätzliches Auslegungsmittel Es wurde spät erkannt, daß die konsequente Durchführung einer Nichtverbreitungspolitik im militärischen Bereich in das Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie sowie den zivilen Nuklearexport werde eingreifen können. Die UN-Generalversammlung ging auf diese Perspektive in den drei ersten Resolutionen, mit denen sie ein inter­ nationales Abkommen gegen die Verbreitung von Kernwaffen ins Auge faßte54 , ebensowenig ein wie in den dazu geführten Debatten. so Abkommen vom 27. 6. 1975, BGB!. 1976 II S. 335. Ein Abkommen Frank­ reichs mit dem NPT-Staat Republik Korea über die Lieferung einer Pilot­ Wiederaufarbeitungsanlage wurde Anfang 1976 auf starken amerikanischen Druck hin annulliert, vgl. dazu statt aller Overholt, Nuclear Proliferation in Eastern Asia, in : Overholt (ed.), S. 145. fil Deputy Under Secretary Nye bestritt sogar, daß die USA jemals die Stornierung des Geschäfts verlangt hätten, Hearings on S. 897 and S. 1432, S. 80. Bundeskanzler Schmidt hatte am 15. 7. 1976 in Washington unterstri­ chen „daß wir durch die Verträge die brasilianische Regierung veranlaßt haben, noch größere Verpflichtungen in puncto Nichtverbreitung einzugehen, als sie zu übernehmen hätte, wäre sie Partei des Nichtverbreitungsvertrags" (Bull. 1976 S. 838 [Nr. 89, 29. 7. 1976]). 52 Am 17. 6. 1977, Bull. 1977 S. 613 (Nr. 65, 22. 6. 1977). Erstaunlich ist an­ gesichts dessen die Mitteilung von Lowrance, deutsche Regierungsstellen hätten das Brasilienabkommen u. a. mit dem Argument verteidigt, es bedeute gleichsam nur einen Vollzug von Art. IV NPT (S. 154, 158 - 159). Auch WiLker wirft der Bundesregierung „nahezu ausschließlich legalistische Argumen­ tation" vor (S. 204). Zur „lawyer's dominance in Bonn" allgemein ironisch Quester, Politics, S. 241. - Vgl. zu dem Brasilien-Abkommen aber auch die Infragestellung der NPT-Konformität durch Goldb lat und Rotb lat, in : SIPRI, Nuclear Energy, S. 335, 419. sa Vgl. den Bericht von A. Etemad über die „Iran Conference on Transfer of Nuclear Technology" (10. - 14. 4. 1977 in Persepolis unter Beteiligung von Delegierten aus 41 Ländern) : "Many were concerned about the growing diversion of the policies and practices of the supplier nations from the spirit and the provisions of the NPT. Some considered the recent American policy to negate the article 4 of the Nonproliferation Treaty . . . " (Hearings on S. 897 and S. 1432, S. 165).

1. Auslegung von Artikel IV

63

Demgemäß sahen auch die Entwürfe der USA und der UdSSR aus dem Jahre 1 96555 keine Schutzklauseln vor, und der Aspekt einer Gefähr­ dung der zivilen Kernenergienutzung durch einen Nichtverbreitungs­ vertrag wurde auf der 20. Jahrestagung der Generalversammlung nicht angesprochen. Allein Pakistan warnte vor jener ganz anderen Gefahr, welche in der Möglichkeit des Mißbrauchs bestimmter ziviler Nutzungsformen für militärische Zwecke begründet ist, und verwies auf all die Einrichtungen, die Indien die Zündung eines Kernspreng­ körpers neun Jahre später gestatteten56 . Niemand kam damals auf den Gedanken, dem Konzept der Nonproliferation von Kernwaffen das Konzept der „proliferation of nuclear technology for peaceful purpo­ ses" 57 entgegenzustellen. Jeglicher Anklang daran fehlte auch in der Grundsatzresolution, in der die Generalversammlung ihre inhaltlichen Anforderungen an einen Nichtverbreitungsvertrag formulierte58 . Vor allem im Kreis der Entwicklungsländer machte sich aber bald die Sorge breit, die waffentechnische Prohibition könne von Restriktionen im zivilen Bereich begleitet werden und dieserart die Nutzbarmachung der Kernenergie für die wirtschaftliche Entwicklung einschränken. Einige hatten dabei speziell den Einsatz „friedlicher" Kernspreng­ körper im Auge, doch es war durchaus schon die Verwendung zur Energieerzeugung, die diese Überlegungen insgesamt beherrschte. Letztere fanden einen ersten Niederschlag in einem Passus eines ge­ meinsamen Memorandums der acht nichtpaktgebundenen Mitglieder des Genfer Achtzehn-Mächte-Abrüstungsausschusses vom 1 9 . August 1 96659 . Er war in sehr vorsichtige Wendungen gekleidet, verriet Den­ ken in entwicklungspolitischen Kategorien und vermied auch nur den Anschein einer Prinzipienerklärung60 . Das Nachdenken über die syste54 A/Res. 1380 (XIV) vom 20. 1 1 . 1959 ; A/Res. 1576 (XV) vom 20. 12. 1960 ; A/Res. 1665 (XVI) vom 4. 12. 1961. - Eine erschöpfende Darstellung der Entstehung des NPT ist von Forndran gegeben worden, vgl. S. 3 - 6, 195 - 214, 219 - 237, 245 - 252, 257 - 286, 289 - 299. 55 USA : ENDC/152, 17. 8. 1965, abgedruckt in DCOR, Suppl. for January to December 1965, S. 41/42 ; UdSSR : ENDC/164 = A/5976, abgedruckt in GAOR (XX), Annexes, agenda item 106, S. 1 - 3. 56 Del. Shahi, A/C. 1/SR 1369, paras. 26 - 38. 57 So zwei Jahre später der indische Außenminister Singh, A/PV 1582, para. 94. 58 A/Res. 2028 (XX) vom 19. 1 1 . 1965. 59 Äthiopien, Birma, Brasilien, Indien, Mexiko, Nigeria, Schweden, Ver­ einigte Arabische Republik. - Dieser Gesichtspunkt war von Brasilien (Del. Correa do Lago) schon am 1 . 3. 1 966 angesprochen worden, ENDC/PV 244, s. 17. 60 "The eight delegations . . . trust that in connection with an agreement on non-proliferation of nuclear weapons, intentions be explicitly stated that assistance to developing countries should be increased in order to help accelerate their programmes of development of atomic energy for peaceful purposes." ENDC/178, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1966, S. 18 f. (para. 16).

64

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

matische Interrelation zwischen militärischer Nonproliferation und ziviler Distribution hatte kaum erst begonnen. Dementsprechend waren die wenigen einschlägigen Äußerungen auf der 2 1 . Jahrestagung der Generalversammlung meistens defensiv und aussageschwach61 ; nur wenige trugen - mehr oder weniger ausgeprägte - grundsätzliche Züge62 • Sie stießen bei den USA auf ein verbal freundliches Echo, ins­ besondere in Form einer recht nachdrücklich klingenden Botschaft des Präsidenten Johnson an den Abrüstungsausschuß 63 , und die beiden übereinstimmenden Vertragsentwürfe der USA und der UdSSR vom 24. August 1 967 64 umfaßten erstmals Absätze, die den Besorgnissen entgegenkommen sollten. Zwei entsprechende Präambel-Passagen kehr­ ten später in der endgültigen Fassung des Vertrages wörtlich wieder (Absätze 7 und 8 von dessen Präambel). Im Artikelteil wurde der zivi­ len Kernenergienutzung eine Nichtberührungsklausel gewidmet, die positiv gewendet - von dem „ unveräußerlichen" Recht aller Vertrags­ parteien auf diskriminierungsfreie Entwicklung der Erforschung, Er­ zeugung und Verwendung von Kernenergie für friedliche Zwecke so­ wie dem - nicht als „ unveräußerlich" bezeichneten - Recht der Par­ teien ausging, an dem weitestmöglichen Austausch von Informationen zur weiteren Entwicklung der Kernenergie für friedliche Zwecke teil­ zunehmen und hierzu allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Staa­ ten beizutragen66 • Die Schwächen dieses Vorschlags sowie die Unruhe, die die Blankovorschrift über internationale Kontrolle schürte, schlugen sich in zahlreichen Diskussionsbeiträgen und Änderungsanträgen nie­ der. Schon vorher hatte die deutsche Bundesregierung in ihrer Denk­ schrift vom 7. April 1 967 66 erklärt: „Regelungen, die den militärischen und den zivilen Bereich nicht klar abgrenzen, würden sich . . . hemmend auf die friedliche Verwertung der Kernenergie auswirken und den Fortschritt erschweren." 61 Vgl. etwa Del. Kane (Senegal), A/C. 1/SR 1444, para. 23, Wells (Jamaika), A/C. 1/SR 1445, para. 22, Coleridge-Taylor (Sierra Leone), A/C. 1/SR 1446, para. 17. 62 Del. Trivedi (Indien), A/C. 1/SR 1436, para. 15: Technologie müsse ver­ breitet werden ; ders., A/C. 1/SR 1443, paras. 16, 17 ; Ali (Pakistan), A/C. 1 1 S R 1442, paras. 3, 6 ; Farah (Somalia), A/C. 1/SR 1448, para. 3 0 - Recht auf Import. 63 "we recommend that the treaty clearly state the intention of its signa­ tories to make available the full benefits of peaceful nuclear technology . . . " (ENDC/187, 21. 2. 1967, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 12 f.). 64 ENDC/192, ENDC/193, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, s. 15/16, 18/19. 65 Obwohl der US-Entwurf vom 24. 8. 1967 im zivilen Nutzungsbereich kaum dynamisch war, scheute sich US-Präsident Johnson nicht, in einer Erklärung vom selben Tage dafür einzutreten, daß der Vertrag „must encourage the development and use of nuclear energy for peaceful purposes" (ENDC/194, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 20/21). 66 Bull. 1967 S. 441 f. (Nr. 52, 19. 5. 1967) ; Text auch in EA 22 (1967) S. D 332 bis 335.

1. Auslegung von Artikel IV

65

Der NPT verbot dann in der Tat den Nichtkernwaffenstaaten (ob­ j ektiv) die Verfügung über Kernwaffen und sonstige Kernspreng­ körper und „ erlaubte" ihnen die Erforschung, Erzeugung und Ver­ wendung der Kernenergie (subj ektiv) für friedliche Zwecke, schwieg aber zu den obj ektiv für militärische Nutzbarmachung tauglichen fried­ lichen Aktivitäten. Die Sorge vor Benachteiligungen im zivilen Bereich schlug sich bei­ spielsweise auch in folgender Stellungnahme der EG-Kommission nie­ der : „Die Diskriminierung zwischen Atommächten und Nicht-Atommächten ist ein Faktum, eine feststehende Tatsache; darüber hinaus sollte aber jede unnötige Diskriminierung unbedingt vermieden werden . . . Er (seil. der Atomsperrvertrag) bedeutet eine Aufteilung der Welt in zwei Kate­ gorien von Staaten . . . Aber selbst wenn man dieses Prinzip billigt . . , so muß doch vermieden werden, daß die Diskriminierung größer als unbedingt notwendig ist67.'' Die deutsche Bundesregierung hatte schon in ihrer Denkschrift ein halbes Jahr zuvor erklärt : ,, . . . ihr Besitz (seil. der von Kernwaffen) darf . . . nicht zum Kriterium einer weiterreichenden Ungleichheit zwischen den Gliedern der Völker­ gemeinschaft werden. Dies gilt vor allem für das Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie6S . '' In diesen Äußerungen klang bereits der Gedanke an, die Freiheit im Bereich der zivilen Kernenergienutzung stelle gleichsam eine Geschäfts­ grundlage für den Nichtverbreitungsvertrag dar. Mit der waffentech­ nischen Grunddiskriminierung habe die skrupulös zu wahrende Nicht­ diskriminierung im zivilen Bereich zu korrelieren. Oder anders gewen­ det: Der Souveränitätsverzicht auf militärischem Gebiet sei nur dann tragbar, wenn die souveräne Gleichheit bei der zivilen Nutzung pein­ lich genau respektiert werde. Vor dem Hintergrund dieser noch recht diffusen Gedanken trafen sich die Skeptiker aus den Entwicklungsländern sowie den kernwaf­ fenlosen Industriestaaten in der gemeinsamen Besorgnis, die zivile Nutzung und die nationale wirtschaftliche Entwicklung würden unter einem Nichtverbreitungsvertrag leiden können. Den Entwicklungslän­ dern, die nukleartechnisch sehr weitgehend auf fremde Hilfe angewie­ sen waren, mußte daran liegen, ein Recht auf Zugang zu ziviler Nu­ kleartechnologie verbrieft zu bekommen, wohingegen es den Industrie­ staaten vor allem darauf ankommen mußte, die Möglichkeit der Nut­ zung auch fortgeschrittener Nukleartechnologien offenzuhalten, die eigene Belieferung mit Kernbrennstoffen sicherzustellen und das Recht s1 Vom 18. 10. 1967, EP, Sitzungsberichte, Nr. 95, S. 60. Vgl. Anm. 66.

68

5 Prill

66

A.11. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

auf Ausfuhr von Kernanlagen festzuschreiben , insbesondere eine monopolbegünstigende Bevorteilung der Kernwaffenstaaten insoweit zu verhindern. Mehrere Änderungsanträge legen von diesen Bestrebungen Zeugnis ab. So ist ein Vorschlag Mexikos69 nicht allein deshalb bemerkenswert, weil er auf die Struktur des Art. IV NPT bestimmenden Einfluß ge­ wonnen hat (nur noch Abs. 1 ist als Nichtberührungsklausel negativ gefaßt, während Abs. 2 eine positive Aussage trifft) 7° ; vielmehr war dort auch von einer Staatenverpflichtung (duty) zur nuklearen Zu­ sammenarbeit im zivilen Bereich die Rede7 1 • Dieser Initiative war eben­ sowenig Erfolg beschieden wie einem rumänischen Vorstoß, welcher auf die Anerkennung - wenn auch nur in der Präambel - eines „ absolute right of all States . . . to use nuclear energy for peaceful purposes, both now and in the future, on the basis of capability and without any discrimination" abzielte. Rumänien wünschte außerdem bei Art. IV die Hinzufügung von „on a basis of equality" hinter „ use of nuclear energy for peaceful purposes" , konnte sich aber auch hiermit nicht durchsetzen72 • Und schließlich fand auch ein italienischer Formulie­ rungsvorschlag keine Berücksichtigung, wonach Art. IV das unver­ äußerliche Recht aller Vertragsstaaten auf Belieferung mit Kernma­ terial und -anlagen für friedliche Zwecke garantiert hätte73 • Auch die ausgiebige Erörterung in der Generalversammlung führte nicht mehr zu großen Änderungen. Gewiß, der ENDC-Entwurf (d. h. praktisch: der sowj etisch-amerikanische Entwurf) wurde zur Ziel­ scheibe heftiger, oft grundsätzlicher Kritik. Als die drei Hauptangriffs­ punkte erwiesen sich dabei die Regelungsvorschläge für weitere Ab­ rüstungsmaßnahmen, für Sicherheitsgarantien sowie für friedliche Nutzung der Kernenergie. In den beiden ersten Punkten wurde Ab­ hilfe durch zwei Ergänzungen in der Präambel versucht74 • Im Zusamou ENDC/196, 19. 9. 1967, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1967 and 1968,

s. 21.

10 Vgl. den endgültigen Entwurf des ENDC = Annex I zu DC/230, 19. 3. 1968, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 1 - 3. 7 1 "Those Parties that are in a position to do so, have the duty to con­ tribute, according to their ability, alone or in co-operation with other States or international organizations, to the further development of the production, industries, and other applications of nuclear energy for peaceful purposes, especially in the territories of non-nuclear-weapon States." 12 ENDC/199, 19. 10. 1967, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 22. 7 3 Im Wege einer Nichtberührungsklausel : " Nothing in this Treaty shall be interpreted as affecting the inalienable right of all the Parties to the supply of source and special fissionable materials or equipments for the use of source and special fissionable materials for peaceful purposes" (ENDC/ 218, 20. 2. 1968, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 32). Gegen eine korrespondierende Lieferantenverpflichtung Del. Burns (Kanada), ENDC/ PV 371, para. 64.

1. Auslegung von Artikel IV

67

menhang mit der friedlichen Kernenergienutzung gab es sogar noch Änderungen im Artikelteil. In der vorausgegangenen Aussprache hatte kaum ein Redner die Erwartungen des irischen Außenministers Aiken geteilt, welcher den Aufbruch zu einer Art weltweiten Marshallplans zu erkennen glaubte75. Charakteristisch für die Debatte waren viel­ mehr Beiträge etwa folgenden Tenors gewesen : Art. IV und V seien in der Fassung des Entwurfs diskriminierend76 . Es drohe die Errichtung eines nukleartechnischen Oligopols77 , um nicht von Neo-Kolonialismus in der Form wirtschaftlicher Abhängigkeit78 oder von der festen Aus­ sicht auf Einmischung in innere Angelegenheiten von „Nichtnuklea­ ren" 79 zu sprechen. Es gelte, für den waffentechnischen Souveränitäts­ verzicht im Rahmen einer „ annehmbaren Ausgewogenheit" der wech­ selseitigen Rechte und Verantwortlichkeiten - gewissermaßen als Aus­ gleich - feste Zusagen im zivilen Bereich zu erhalten80 . Außerdem müsse die vertragliche (Selbst-)Beschränkung tatsächlich strikt auf den militärischen Bereich beschränkt bleiben und später nicht - etwa durch Interpretationskünste - auf einmal doch auf friedliche Nutzungsfor­ men ausgeweitet werden 8 1 . Im Gegenteil, der freie Zugang der Staaten zur zivilen Nukleartechnologie müsse unmißverständlich anerkannt werden82 , speziell auch der Z ugang zu spaltbarem Material83 . Einige 74 Vgl. die Ausdehnung der Absichtsbekundung in Abs.9 auf „wirksame" Nuklearabrüstungsmaßnahmen sowie die - auf einen mexikanischen Vor­ schlag (Del. Garcia Robles, A/C.1/PV 1569, para. 55) zurückgehende - Hinzu­ fügung eines Abs. 13 mit einem Hinweis auf das Gewaltverbot der UN­ Charta (siehe die letzte Fassung des NPT-Entwurfs in A/C. 1/L.421/Rev.2/ Add.1, 31. 5. 1968. 75 A/C.1/PV 1561, para.5. Ähnliche Zuversicht auch bei Del. Souvanlasy (Laos), A/C.1/PV 1573, para.13. 10 z.B. Del Bouattoura (Algerien): "... present wording of articles IV and V tends to divide the world into two types of Powers : Powers with advanced technology and others, which are offered a dependent status" (A/C.1/PV 1571, para. 71). Vgl. außerdem Del. Roa Garcia (Cuba), Husain (Indien), Nsanze (Burundi), A/C.1/PV 1566, para.127, 1567, paras.125 - 127, 1577, para.85. 17 Del. de Magalhaes Pinto (Brasilien), Perez Guerrero (Venezuela), A/C.1/ PV 1560, para. 69, 1572, para.143. 78 Del. Danieli (Tansania), A/C.1/PV 1570, paras. 67, 68. 79 Del. Rfos (Panama), A/C.1/PV 1575, paras. 57, 58. so Del. Vratusa (Jugoslawien) und Bouattoura (Algerien), A/C.1/PV 1567, paras.8, 17, 1571, paras. 85, 94. s1 Siehe z.B. Del. Ismail (Malaysia), de Laiglesia (Spanien), Shaw (Au­ stralien) (besonders rigoros), Botha (Südafrika), A/C.1/PV 1563, para. 38, 1569, para.155, 1570, para. 23, 1571, para. 130. 82 Del. Turbay Ayala (Kolumbien) : Nein zu einem Vertrag „that would be vague and unclear on the recognition of the rights of all countries to have free access to that extraordinary resource ... This is a matter on which no guarantee is excessive and on which it is imperative to dispel even the slightest doubt" (A/C. 1/PV 1574, para.20). es Del. Pardo (Malta): "If this access should be restricted, or worse still, denied, it would be quite difficult for non-nuclear Countries to make

s•

68

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

Staatenvertreter gingen soweit, die Festschreibung einer förmlichen Liefergarantie zu verlangen84 • USA und UdSSR gaben dem Druck schließlich ein wenig nach und nahmen in dem Entwurf von Art. IV drei Ergänzungen vor. Hatte es ursprünglich geheißen, alle Vertragsparteien seien berechtigt, an dem weitestmöglichen Austausch von wissenschaftlichen und technologi­ schen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie teilzu­ nehmen, so wurde dies nun zum einen um die Verpflichtung bereichert, einen solchen Austausch zu „ erleichtern" 85 , und zum anderen hatte sich dieser Austausch auch auf „Ausrüstungen" und „Material" 86 zu bezie­ hen. Gegenüber der vorherigen Fassung war das zweifelsfrei ein Fort­ schritt. Gleichwohl sticht ins Auge, daß von „ free access" nicht die Rede ist, geschweige denn von einer Transfergarantie. Einer aus Chile, Kolumbien und Mexiko bestehenden Verhandlungsgruppe gelang es nicht, die Zustimmung der ENDC-Kopräsidenten zu zwei ausdrücklich vorgebrachten Änderungswünschen zu erhalten : Weder zu einem Aus­ tausch der „ right to participate"-Formel gegen ein verbrieftes Zu­ gangsrecht87 noch zu der Aufnahme einer deutlichen Unterstützungs­ pflicht an Stelle von „ co-operate in contributing" (letzteres im Hinblick auf die Weiterentwicklung der zivilen Kernenergieanwendung) 88 . Der US-Delegierte Goldberg qualifizierte die tatsächliche Änderung von Art. IV etwas wolkig als „ a commitment to action" 8 9 . Das Echo in der Generalversammlung war nicht unfreundlich. Die Stellungnahme „ sufficient to dispel any doubts" 90 blieb allerdings eine Ausnahme. Die

practical use of their right 'to develop research, production and use of nuclear energy for peaceful purposes' " (A/C. 1/PV 1575, para. 28). 84 Insbesondere Del. Bouattoura (Algerien) : " . . . essential . . . solemnly to undertake to place at the disposal of non-nuclear States, without excep­ tion or discrimination, all technological knowledge, crude or raw materials, and all the equipment needed for peaceful development" (A/C. 1/PV 1571, para. 94). - Vgl. insgesamt zu den Kritikpunkten in den Debattenbeiträgen die tabellenförmige Auswertung durch Jensen, S. 2, 129 ff. 85 Die Formulierung „undertake to facilitate" war von Nigeria schon im ENDC vorgeschlagen worden : ENDC/220, 28. 2. 1968, abgedruckt in DCOR, Suppl. for 1967 and 1968, S. 33. 86 Damit dem bereits erwähnten italienischen Antrag (Anm. 73) teilweise entgegenkommend. 8 7 „derecho de tener acceso . . . ", vgl. Castaiieda, S. 66. Ibid. zugleich knap­ per Einblick in die offenbar sehr schwierigen informellen Konsultationen (S. 65 - 67) und Würdigung der endgültigen Fassung von Art. IV als „weniger kategorisch" als gewünscht (S. 61). 88 Ibid. S. 66. Vgl. auch das mexikanische Arbeitspapier vom 19. 9. 1967 (Anm. 69, 71). Gegen die „duty"-Formel hatten sich bereits im ENDC Kanada und das Vereinigte Königreich gewendet : Del. Burns und Mulley, ENDC/ PV 336, para. 1 1, PV 337, paras. 44/42. 89 A/C. 1/PV 1577, para. 178. 90 DeL Eralp (Türkei), A/C. 1/PV 1578, para. 26.

1. Auslegung von Artikel IV

69

zurückhaltende Anerkennung von „changes . . . which make the rights of non-nuclear States and the obligations of nuclear States more emphatic and positive" 91 wurde der Grundstimmung wohl am ehesten gerecht. Die Entstehungsgeschichte bestätigt vor allem eines der nach allge­ meinen Auslegungsregeln gewonnenen Interpretationsergebnisse. Das Postulat des „free access" hat im NPT keinen positivrechtlichen Nie­ derschlag gefunden. Die konturenarmen Begriffe „facilitate", ,,right to participate . . . in the fullest possible exchange" und „co-operate in contributing to . . . " sind bewußt gewählt und von einer Staatenmin­ derheit unter Bevorzugung gegenüber schärferen, nämlich eine Trans­ ferpflicht statuierenden Formulierungen durchgesetzt worden. Sie sind offenbar das Äußerste, was insbesondere die USA und die UdSSR zu­ zugestehen bereit waren. Auch im übrigen enthält die Entstehungsge­ schichte keine Elemente, die den bisherigen Ergebnissen widersprächen. Bevor nun diese Ergebnisse hier zusammengefaßt werden, seien Staatenäußerungen aus dem Jahr 1 968 zu dem fertigen Text von Art. IV NPT wiedergegeben, denen ein gewisser Erkenntniswert nicht abzusprechen ist. Allgemein fällt auf, daß nahezu alle Stellungnahmen eine ernsthafte und sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Wortlaut von Art. IV ver­ missen lassen. Für die unmittelbare Vertragsberatung in der General­ versammlung ist das insoweit verständlich, als die endgültige Fassung von Art. IV erst wenige Tage vor der Schlußabstimmung im 1 . Aus­ schuß festgelegt wurde. Weniger begreiflich ist die entsprechende Ab� stinenz auf der 23. Jahrestagung mehrere Monate nach Auflegung des NPT zur Unterzeichnung. Als am ergiebigsten erweist sich die Kon­ ferenz der Nichtkernwaffenstaaten (29. August - 28. September 1968). Das unveräußerliche Recht aller „Vertragsparteien", die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln, wurde kaum kommentiert - allem Anschein nach des­ halb, weil ein Kommentar den meisten Staaten überflüssig schien. Der Rede wert sind vor allem die insistierenden Positionsmarkierungen der Bundesrepublik Deutschland und Rumäniens; dieses bezog sich deutlich auf die Maxime einer ständigen Souveränität über nationale Ressour­ cen und stufte das „unveräußerliche Recht" als Attribut der Souverä­ nität ein92 , während jene darauf pochte, daß sämtliche zivilen Nuklear01 Del. Panyarachun (Thailand), A/C. l!PV 1580, para. 64. Der indonesische Del. Abdulgani sprach von bescheidenen Schritten nach vorne (A/C. 1/PV 1582, paras. 71, 72). 02 Del. Ecobescu, A/C. 1/PV 1625, para. 45 - ,,like the right to dispose freely of its own resources " ; ebenso Del. Rebreanu (A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 98) unter Berufung auf das souveräne Recht auf unabhängige wirtschaft­ liche Entwicklung.

70

A.11. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

aktivitäten von dem Prinzip erfaßt seien93 • Beachtung verdient inso­ weit die Klarstellung Kanadas, Nichtkernwaffenstaaten dürften unter dem NPT-Regime auch Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsan­ lagen errichten94 • Das Recht der Staaten zur Unterstützung anderer Staaten - insbe­ sondere durch Lieferung von Ausrüstung und Material - wurde prak­ tisch überhaupt nicht angesprochen95 • Am häufigsten wurde die Frage aufgegriffen, ob Art. IV NPT ein Recht auf nukleartechnische Unter­ stützung und Ausstattung - einschließlich der Lieferung von Kern­ brennstoffen - verbriefe (,,free access"). Kaum ein Staat hat darauf klar mit Ja geantwortet. Am ehesten zielte wohl der apodiktisch vor­ getragene Standpunkt Sambias in diese Richtung96 , eines Landes also, das in der Generalversammlung gegen die Gutheißung des NPT ge­ stimmt hatte und dem Vertrag auch in der Folgezeit ferngeblieben ist. Auch rumänische Äußerungen kamen dem zumindest nahe97 ; freilich entbehrten sie der völligen Konsequenz98 und wurden letztlich nur durch schlichtes Verlesen99 , also nicht eine genaue Würdigung des Textes von Art. IV Abs. 2 NPT abgestützt. Schließlich zeichneten sich auch die sehr distributionsorientierten Stellungnahmen Irlands 100 , der Vereinigten Arabischen Republik101 - Signatar-, aber nicht Vertrags­ staat des NPT - und der Bundesrepublik Deutschland 1 02 nicht durch ein unmißverständliches Bekenntnis zu einer Anerkennung des „free access" durch Art. IV aus. Die große Mehrzahl der Staatenvertreter ging davon aus, das Recht auf „free access" sei vom NPT nicht garantiert. Zwar sprachen dies nur wenige davon mehr oder weniger deutlich aus, doch etliche an­ dere verrieten eine solche Einschätzung dadurch, daß sie sich für die ihres Erachtens wünschenswerte künftige Anerkennung eines derarti­ gen Rechts einsetzten und dieserart zu erkennen gaben, Art. IV NPT hielten sie insoweit für zu schwach. Zur erstgenannten Kategorie zähl­ ten Pakistan 103 , Ghana10 4 , Malta 105 , die Schweiz 106 und Spanien 107 , zur Del. Schnippenkoetter, A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 31. Del. Campbell, A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 68. 96 Ausnahme wohl die Erklärung Schnippenkoetters (Anm. 93). 98 Del. Nyirenda, A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 135. 97 Del. Rebreanu (Anm. 92) - ,,inalienable right of all countries to have access to nuclear information, techniques and materials . . . ". 98 Vgl. die merkwürdige Formulierung „duty of according good access" des Del. Ecobescu, A/C. 1/PV 1625, para. 52. ee Del. Ecobescu, ibid. para. 50. 1 0 0 Del. Holmes, A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 94 ; Del. Ronan, A/C. 1/PV 1614, para. 67. 1 01 Del. El Guebeily, A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 64. 1 02 Del. Schnippenkoetter (Anm. 93). 93

94

1. Auslegung von Artikel IV

71

zweitgenannten beispielsweise Italien1 08 , Indonesien 1 09 und Jugosla­ wien1 1 0. Südafrika1 1 1 , Japan1 1 2 und Kanada1 13 hielten die Forderung nach „ free access" sogar für unrealistisch oder bedenklich. Einige Staa­ ten hatten keine Scheu, ihre einschlägigen desiderata dadurch zu spezi­ fizieren, daß sie die Freigabe der Anreicherungstechnologie forderten 1 1 4 . Die Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten ging schließlich nicht darüber hinaus, dem Zugang zur Kerntechnologie eine Sollbestimmung zu widmen1 1 5 • Zwar hatte die Schweiz einen Resolutionsentwurf ein­ gebracht, in dem den Kernwaffenstaaten präzise Verpflichtungen im Hinblick auf den Zugang zu fortgeschrittener Technologie - insbeson­ dere der der Anreicherung' - sowie zu spaltbaren Stoffen abverlangt worden waren 116 , doch ihr war es nicht geglückt, dafür ausreichende Unterstützung zu mobilisieren 1 1 7 • So scheint der Schluß unumgänglich, daß die Staatengemeinschaft aus dem NPT im Jahr von dessen Ab­ schluß kein Staatenrecht auf Transfer ziviler Nukleartechnologie herausgelesen hat 1 1 8 • Nach alledem kann das Ergebnis der Auslegung von Art. IV folgen­ dermaßen zusammengefaßt werden. 10s Del. Usmani, A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 27 - Art. IV sei ziemlich unbestimmt. Pakistan ist nicht Vertragsstaat. 1 04 Del. Akwei, ibid. S. 42 - letztlich komme es auf den „good-will" der Nuklearmächte an. 105 Del. Sammut, ibid. S. 78 - Art. IV nur allgemeine Absichtserklärung. 108 Del. Natural, ibid. S. 71 - die Zusicherungen seien eher vage. 101 Del. Otero Navascues, ibid. S. 101 - die Rechte der Nichtkernwaffen­ staaten bedürften dringend der Klarstellung - und S. 166 (,,moralische Ver­ pflichtung" der Nuklearmächte). Spanien ist nicht Vertragsstaat. 108 Del. Bettini, ibid. S. 48. 1oe Del. Darsa, ibid. S. 70. Indonesien ist erst seit dem 12. 7. 1979 Vertragsstaat. 110 Dei. Dj erdja, ibid. S. 80. 1 1 1 Del. Sole, ibid. S. 20. Südafrika ist nicht Vertragsstaat. 1 12 Dei. Ogiso, ibid. S. 43. 118 Del. Campbell, ibid. S. 68. 1 1 4 Dei. Usmani (Pakistan), Bettini (Italien), Natural (Schweiz), ibid. S. 29, 49, 72. 11 5 Res. J, A/CONF. 35/10, S. 16. 118 A/CONF.35/C. 2/L. 1 : A/CONF. 35/10, Annex V, S. 1. 117 Vgl. Del. Natural (Schweiz), A/CONF. 35/C. 2/SR 1 - 17, S. 165. 1 1 8 Bemerkenswert in diesem Zusammenhang auch die Abschlußdekla­ ration der Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten mit dem Passus „It is imperative to ensure conditions which would promote . . . (etc.)" sowie Res. H. womit die Konferenz „urges the nuclear-weapon States to facilitate, to the fullest extent possible, the availability of fissionable materials . . . " (A/ CONF. 35/10, S. 14, 21). Auch hier ist unterstellt, daß ein Lieferanspruch nicht besteht. - Vgl. auch die treffende Gesamteinschätzung von Maddox, S. 28: ". . . the NPT requires (Article IV) that all parties should take steps to smoothe international collaboration in nuclear energy . . . "

72

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

Erstens: Es wird anerkannt das souveräne Recht der Vertragsstaaten auf eigene Entwicklung der zivilen Kernenergienutzung und zur Unter­ stützung anderer Staaten dabei, j eweils auch im sensitiven Bereich. Zweitens: Den Vertragsstaaten obliegt die positive Verpflichtung, die internationale Verbreitung der zivilen Kernenergienutzung im Rah­ men des Möglichen zu fördern und zu erleichtern, ohne daß sie darüber hinaus mit spezifischen Pflichten belastet wären. Drittens: Den Vertragsstaaten obliegt die negative Verpflichtung, andere Vertragsstaaten bei der Ausübung ihrer anerkannten souverä­ nen Rechte nicht zu beeinträchtigen. Die praktische Bedeutung dieser Verpflichtung wird ebenso wie die Frage, ob die Stellung bestimmter Bedingungen für nukleare Zusammenarbeit von NPT wegen präklu­ diert ist, anhand konkreter Beispiele erörtert werden. Viertens: Es besteht kein materielles Gleichbehandlungsgebot.

2. Gesamtwürdigung des NPT-Regimes a) Der NPT und die Rechtsquellenlehre: ,, Ungleicher Vertrag", ,, Vertrag im Allgemeininteresse" oder sogar Gewohnheitsrecht?

Es liegt auf der Hand, daß der NPT im militärischen Bereich zwi­ schen Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten eine Diskrimi­ nierung schafft. Er bedeutet zweifellos eine Aufteilung der Welt in zwei Kategorien von Staaten, die sich durch die vertraglich verbriefte Ungleichheit der Rechte im Hinblick auf Nuklearrüstung unterscheiden. Diese Zweiteilung sowie die oben geschilderten „Nebendiskriminie­ rungen" sind dem NPT so häufig vorgeworfen worden 119 , daß hier nicht die Frage ausgeklammert bleiben soll, ob der Vertrag im Einklang mit den allgemeinen Völkerrechtsregeln zustandegekommen ist. Als Ausgangspunkt sei die Einschätzung gewählt, der NPT stelle einen „ ungleichen Vertrag " dar120 • Bei einem solchen handelt es sich 1 19 Von den zahlreichen Literaturstimmen seien die folgenden wieder­ gegeben : ,,negazione del concetto generale di eguaglianza" (Antonelli, S. 198) ; „every single aspect of the nuclear nonproliferation system is discriminatory . . . the international ,ruling class' of nuclear weapons states . . . demands its right to exclusive status unto perpetuity" (Bloomfield, S. 745, 746) ; ,,dis­ crimination choquante" (Courteix, Accords, S. 30) ; ,,document hypocrite et cyniquement militariste . . . tend a convertir en etat de droit ce qui n'etait qu'une situation de fait" (Focsaneanu, !LA, Report . of the 53rd Conference 1968, S. 468) ; ,,Völkerrechtsordnung . . . , die autoritär-hierarchische Züge trägt" (Grewe, S. 393) ; ,,Yalta nucleaire" (Goldschmidt, Probleme, S. 1 188). 120 Kimminich, S. 372 ; Poulose, Issues, S. 13 ; ders., Third World Response, S. 146 (,,worst type of an unequal treaty") ; Simma, Reziprozitätselement, S. 240 (,, . . . gleicht der Atomwaffensperrvertrag in seinem materiellen Gehalt den berüchtigten ,ungleichen Verträgen' in frappierender Weise"). Vgl. auch

2. Gesamtwürdigung des NPT-Regimes

73

um einen Vertrag zwischen Partnern ungleicher Stärke, der durch die­ sen Unterschied zum Nachteil des bzw. der Schwächeren beeinflußt worden ist121 • Die Umschreibung gestattet ohne weiteres, zwei unter­ schiedliche Elemente auseinanderzuhalten, nämlich „Beeinflussung" und „Benachteiligung " , oder allgemeiner ausgedrückt: Einen inhalt­ lichen Maßstab sowie die Infragestellung des Verfahrens bei dem Ab­ schluß des Vertrages 122 • Man hat es hier also tatsächlich nicht mit einem eigenen Ungültigkeitskonzept zu tun12 3 - für eine förmliche Rechts­ regel wäre es auch zu vage124 -, sondern mit der Verschmelzung ver­ schiedener Ungültigkeitsgründe zu einer anschaulichen zugkräftigen Parole 125 • Im folgenden sei mithin die Frage gestellt nach (i) Unregel­ mäßigkeiten bei dem Vertragsschluß und (ii) inhaltlichen Mängeln. Genauer: Ist bei dem Abschluß des NPT der Grundsatz der Vertrags­ freiheit gewahrt worden, und verstößt der NPT wegen seiner diskri­ minierenden Bestimmungen gegen eine zwingende, d. h. unabdingbare Völkerrechtsnorm126 ? Die erste dieser beiden Fragen läßt sich mit wenigen Sätzen beant­ worten. Der NPT ist nicht „ durch Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts zustandegekommen" (Art. 5 2 WVRK) 1 27 . An einer anderen Stelle dieser Arbeit wird zu erörtern sein, ob der Gewaltbegriff neben der Waffengewalt auch bestimmte Erdie scharfe Formulierung „sovereign inequality" (Stein, S.334) sowie Varma,

s. 66.

1 2 1 So die Umschreibung von Scheuner, Conflict, S.34. Ähnlich Detter, S. 1070 : "(a State) may sometimes find itself compelled to enter into treaties with more dominant States, treaties which only favour the stronger of the parties, treaties which even sometimes are in conflict with the long-term national interest of the weaker State." 12 2 Vgl. die Unterscheidung von Detter, S. 1083: "contents of a treaty", "the way in which the treaty has been concluded". 123 Anders z.B. die sowjetische Doktrin, vgl. dazu Schweisfurth, insb. S.214 bis 220, sowie die Stellungnahme von Talalajew (UdSSR) auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz: A/CONF. 39/SR 20, para.41 = A/CONF.39/11/Add.1, &� 124 Scheuner, Conflict, S.35. 1 2 s „Mittel zwischenstaatlicher Propaganda, das einer eingehenderen völ­ kerrechtswissenschaftlichen Analyse nicht standhalten kann" (Simma, Re­ ziprozitätselement, S.70) ; ,,Vermengung einiger anerkannter Ungültigkeits­ und Beendigungsgründe ... mit politischen und ideologischen Zielvorstel­ lungen" (Lagoni, in : Menzel / Ipsen, S.328). 1 2 6 An der Notwendigkeit der Unterscheidung ändert nichts die Tatsache, daß ein massiv einseitiges Abkommen zu der Frage Anlaß geben muß, ob der Benachteiligte den Vertrag frei geschlossen hat, vgl. den berechtigten Hinweis von Murphy, S.68. 121 Diese Regel findet selbstverständlich auch auf die Bindung von Staaten durch multilaterale Abkommen Anwendung, vgl. die Erläuterungen der Völkerrechtskommission, YBILC 1966 vol.II S. 247 (para.5).

74

A.11. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

scheinungsformen politischen oder wirtschaftlichen Drucks erfaßt128 • Im gegebenen Zusammenhang kann die Feststellung genügen, daß die meisten NPT-Staaten den Vertrag wegen des Glaubens an den Nicht­ verbreitungsgedanken - also „ aus Überzeugung" - und in echter, mit den Belangen des Völkergemeinwohls begründeter Verzichtbereitschaft geschlossen haben. Aus der Entstehungsgeschichte ließen sich zahllose Belege dafür entnehmen. Hier sei nur daran erinnert, daß ein Land wie Irland zu den maßgeblichen Initiatoren gehört und daß der Re­ solutionsantrag zur Billigung des NPT-Entwurfs in der Generalver­ sammlung schließlich 48 Unterschriften getragen hat129 • Der Beobachter mag sich zwar darüber wundern , wie wenig die Nichtkernwaffenstaa­ ten gegen das de facto-Vetorecht der Kernwaffenstaaten bei der Aus­ arbeitung des NPT aufbegehrt haben ; von einem kosmischen Diktat der Supermächte kann aber keine Rede sein. Dagegen spricht schließlich auch der Umstand, daß ein Drittel der Staaten dem NPT bislang fern­ geblieben ist. Andererseits sind einzelne Staaten vor dem NPT-Beitritt Obj ekt erheblicher Pressionen gewesen, so daß sich die Frage nach der Wirksamkeit ihrer Bindungserklärungen stellen kann. Die Gültigkeit des NPT bliebe davon aber unberührt, so daß die entsprechenden Fälle an anderer Stelle gewürdigt werden sollen. Der Blick sei j etzt also dem diskriminierenden Inhalt des NPT zugewendet. Daß es zwingende Völkerrechtsnormen gibt - mit der Folge, daß zuwiderlaufende Verträge ungültig sind -, dürfte heute kaum noch bestritten sein 1 30 • Weitgehend ungelöst ist aber das Problem, diese N armen zu identifizieren1 31 • 1 2s s. Teil B.11.3.a. 120 Antrag A/C. 1/L. 421/Rev. 2 and Add. 1 - 6, vgl. GA0R (XXII), Annexes, Agenda item 28, S. 15. Über die Hälfte der Unterschriften kam von Ent­ wicklungsländern. Hier sei auch nochmals stellvertretend für viele andere die Erklärung von Del. Galindo Pohl (El Salvador) zitiert, der die Legalisie­ rung der Zweiteilung der Staaten als „a price we must pay for the cause of international peace and security" bezeichnet hatte (A/C. 1/PV 1567, para. 58). Dem widerspricht nicht, daß sich etliche Nichtkernwaffenstaaten für eine wenigstens vordergründig ausgewogene Ausformulierung der Einzel­ bestimmungen des Vertrags eingesetzt haben; vgl. dazu die dem Vorgehen der beiden „Supermächte" gegenüber sehr skeptische Darstellung von Young, insb. S. 5 - 12. t ao Art. 53 WVRK. Vgl. statt aller aus dem kaum noch überschaubaren Schrifttum : Verdross I Simma, S. 262 - 263 ; Mos!er, International Society, S. 35 (,,the recognition of ius cogens is today so general that it has overcome all objections") ; sowie das klassische dictum von Lord McNair „It is difficult to imagine any society, whether of individuals or of States, whose law sets no limit whatever to freedom of contract" (S. 213 f.). Das deutsche Bundes­ verfassungsgericht hat sich bereits in seinem Beschluß vom 7. 4. 1965 zur Existenz zwingender Völkerrechtsnormen bekannt (BVerfGE 18 S. 448 f.). Es haben sich aber auch nach der Wiener Vertragsrechtskonferenz immer wieder skeptische bis ablehnende Stimmen erhoben, z. B. Charpentier, Nisot, Rousseau, t. 1, S. 150 - 151, und immer wieder Schwarzenberger, vgl. zuletzt Schwarzenberger I Brown, S. 131.

2. Gesamtwürdigung des NPT-Regimes

75

Breites Einvernehmen besteht darüber, daß die Gültigkeit eines völkerrechtlichen Vertrages nicht von der Gleichgewichtigkeit zwischen Leistung und Gegenleistung abhängt132 • Schon für den außervertragli­ chen Bereich hat sich nicht die Maxime einer materiellen Gleichbehand­ lungspflicht der Staaten durchgesetzt133 • Die sog. Friendly-Relations-De­ klaration der UN-Generalversammlung 134 hat das klassische Verständ­ nis des Staatsattributs einer „souveränen Gleichheit" im Sinne einer „Gleichheit vor dem Recht" bestätigt, also nicht die „Gleichheit im Recht" postuliert 135 • Daran ändert nichts der Passus ,, (All States) are equal members of the international community, notwithstanding differences of an economic, social, political or other nature", dem ein Spannungsverhältnis zu den hergebrachten Völkerrechtsregeln nach­ gesagt worden ist13 6 • Im Hinblick auf das Völkervertragsrecht würde man die „souveräne Gleichheit" erst recht mißverstehen, spräche man den Staaten wegen ihr das Recht zum Abschluß ungleichgewichtiger Verträge ab. Das aus der Souveränität folgende Recht der Staaten, ver­ traglich in Einschränkungen ihrer Souveränität einzuwilligen137 - also die Vertragsfreiheit -, umfaßt selbstverständlich auch das Recht, frei­ willig weitergehende Restriktionen und schwererwiegende Belastungen zu übernehmen als der j eweilige Vertragspartner. Gleichwohl gibt es im völkerrechtlichen Schrifttum eine deutliche Tendenz dahingehend, der Gestaltungsfreiheit von Vertragspartnern 1 3 1 Eine Zusammenstellung von Lehrmeinungen und Staatenäußerungen findet sich bei Sztucki, S. 82 - 84, 119 - 120. 1s2 Simma, Reziprozitätselement, S. 68 ff. 133 Kewenig, Nichtdiskriminierung, S. 36. 1 34 Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-operation among States in Accordance with the Charter of the United Nations, A/Res. 2625 (XXV) vom 24. 10. 1970. 1 35 zu Dohna, S. 166 - 167. 1 3& Ders., S. 170 ff. Es handelt sich dabei um Partizipationsrechte an Be­ langen der Völkergemeinschaft, also eine - im vorliegenden Zusammenhang nicht interessierende - dynamisierte prozedurale Gleichheit. Dies wird besonders deutlich in dem die Friendly-Relations-Deklaration insoweit fort­ schreibenden, von Tomuschat (Charta, S. 463) als „echte Konzession des Westens" bezeichneten Art. 10 der sog. Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (A/Res. 3281 [XXIX] vom 12. 12. 1974) : "All States . . . , as equal members of the international community, have the right to participate fully and effectively in the solution of world economic, finan­ cial and monetary problems . . . " Eine absolute Gleichstellung wird aber auch danach nicht die Regel sein müssen, wie die Drittelparität im Inter­ nationaien Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung - IFAD - (Ober­ einkommen vom 13. 6. 1976, BGBl. 1978 II S. 1405) sowie die überrepräsenta­ tion bestimmter Staatengruppen in maßgeblichen Gremien mit begrenzter Mitgliederzahl in etlichen internationalen Organisationen demonstrieren (vgl. zuletzt das übereinkommen zur Errichtung der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung - UNIDO - vom 8. 4. 1979, Text in ILM 18 [1979] S. 667). 137 Klassisch dazu C.P.J.I., Serie A, No. 1, S. 25 (Affaire du Vapeur Wim­ bledon).

76

A.II.Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

auch unter Gleichheitsaspekten eine äußerste Grenze zu setzen. Es soll verboten sein eine „ extreme" Unverhältnismäßigkeit von Leistungen und Gegenleistungen138 • Um eine solche Regel zu begründen und ihren unbestimmten Begriffen feste Konturen zu geben, ließe sich folgender­ maßen argumentieren. Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß es nicht Belange einzelner Staaten, sondern nur übergeordnete Interessen der Völkergemeinschaft sein können, die eine Beschränkung der Vertrags­ freiheit rechtfertigen. Die souveräne Gleichheit der Staaten ist aber nicht nur ein Schutzpanzer der Staaten, sondern auch ein grundlegen­ des Strukturprinzip der Völkerrechtsgemeinschaft. Ein Staat, der sich vertraglich in vollständige Abhängigkeit von anderen begibt bzw. sei­ ner Handlungsfähigkeit beraubt, rüttelt an diesem konstituierenden Element der Völkerrechtsordnung139 • Legt man diese - wie auch immer zu beurteilenden - Maßstäbe auf den NPT an, so kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß der Vertrag der Prüfung standhält. Der NPT mag einschneidende Dis­ kriminierungen vorsehen, doch von einem der Selbstaufgabe nahe­ kommenden Souveränitätsverzicht kann keine Rede sein. Das Völker­ recht gebietet sicherlich nicht das Bestehen und Bewahren einer Ord­ nung, in der alle Staaten unabänderlich das Recht behalten, sich Kernwaffen zu beschaffen. Staaten haben zwar dieses Recht kraft souveräner Gleichheit 1 4O , doch die Völkerrechtsordnung kommt nicht ins Wanken, wenn sich die große Staatenmehrheit freiwillig zum Ver­ zicht auf die Ausübung dieses Rechts verpflichtet. Der diskriminierende Charakter des NPT mag ein anerkennenswerter Grund sein, dem Vertrag fernzubleiben1 4 1 ; die Wirksamkeit der Bindung der Vertrags­ parteien bleibt davon unberührt1 42 • 1 38 Mosler, Jus cogens, S.36 ; Schaumann, S.147 (,,extreme Fälle") ; Detter, S.1086 (,,extreme cases of inequality"). 1 3 0 Detter unterscheidet zunächst zwischen Aufgabe einzelner Rechte und Aufgabe der Souveränität - letztere soll unzulässig sein -, doch dann erwägt sie auch die Übernahme einzelner fundamentaler Souveränitätsrechte der einen Vertragspartei durch die andere als Ungültigkeitsgrund. Man wird sie dahin verstehen können, daß die Teil-Unterordnung unter einen anderen Staat untersagt sein soll (S.1087). Verdross I Simma halten Verträge für verboten, ,,in denen sich ein Staat verpflichten würde, seine Freiheit soweit einzuschränken, daß er nicht mehr imstande wäre, seine vr (seil. völker­ rechtlich) gebotenen Aufgaben zu erfüllen" (S.265 ; ähnlich Dahm, Bd.3, S.60 f.). Mosler (Jus cogens, S.36 f.) nennt als Beispiele einer denkbaren unerträglichen Störung des Gleichheitsverhältnisses „Beherrschung, etwa im Sinne eines Protektorats" sowie den „Knebelungsvertrag". Diese Begriffe sind sehr viel bestimmter als der einer „extremen Unverhältnismäßigkeit von Leistungen und Gegenleistungen" (ebenda). 140 Schwarzenberger, S.207. u1 In diesem Sinne jüngst noch einmal Argentinien (10.3.1979), AdG S.22475 A (1979). - Nach Meinung von Rep. Long (Maryland) jedoch stellt Indiens Nichtbeitritt eine Diskriminierung der Entwicklungsländer dar (Hearings on Export to India, S.4).

2. Gesamtwürdigung des NPT-Regimes

77

Umgekehrt läßt sich indessen sogar die Frage stellen, ob der NPT zum Ausgangspunkt für eine neue Völkerrechtsregel geworden ist, die besagt, daß Nichtkernwaffenstaaten fortan keine Verfügungsgewalt über Kernwaffen gewinnen dürfen. Hier könnte zunächst auf die Lehrmeinung zurückgegriffen werden , es gebe multilaterale Verträge, die auch Außenstehende bänden, da sie im Allgemeininteresse der Völkergemeinschaft lägen143 , und es ließe sich die Auffassung vertre­ ten, der NPT sei ein derartiger Vertrag, da er einen Beitrag zur Welt­ sicherheit leiste. Die Wiener Vertragsrechtskonvention hat demgegen­ über aber den alten Grundsatz bekräftigt, daß ein Vertrag für einen Drittstaat ohne dessen Einverständnis keine Pflichten begründet (Art. 34). Zu Recht, denn selbst eine große Staatenmehrheit hat in einem koordinationsrechtlichen Normengefüge wie dem Völkerrecht nicht die Legitimation, durch völkerrechtlichen Vertrag eine Staatenminderheit zu binden144 • Dies kann nur dort möglich sein, wo die Gesamtheit in Anerkennung fester gemeinsamer Grundlagen und in Voraussicht der offenen Bildung solcher Mehrheit ein derartiges Verfahren durch einen Grundkonsens akzeptiert hat, was in der heutigen Staatengemeinschaft nicht der Fall ist145 • Für „Verträge im Allgemeininteresse" kann keine Ausnahme gelten146 • Der NPT würde überdies den Anforderungen nicht gerecht werden, die an solche Verträge gestellt werden, damit sie universale Wirkung entfalten können. Man kann nämlich nicht sagen, daß die Vertrags­ staaten - unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Ver­ tragsgegenstandes für die einzelnen Staaten - genügend repräsentativ für die Völkergemeinschaft sind147 • Anderenfalls dürften - abgesehen von China, Indien, Frankreich - Staaten wie Ägypten, Argentinien, Brasilien, Israel, Kuba, Pakistan, Spanien und Südafrika nicht beiseite­ stehen. Von den 30 - 40 Staaten, denen die technische Kapazität zuge­ traut wird, binnen höchstens zehn Jahren Atombomben herzustellen 148 , ist knapp ein Drittel nicht Vertragspartei149 • u2 Vgl. aber auch die immer noch lesenswerte Gesamtwürdigung der Rüstungskontrollaspekte des NPT durch Kimminich, S. 370 - 375 ; außerdem Vital, insb. S. 432 f. 143 Darstellung und Kritik bei Cahier, S. 652 - 655. 1 4 4 So zutreffend Rudolf, S. 65, in einer Auseinandersetzung mit dem einer anderen Auslegung zugänglichen Rechtsgutachten des IGH vom 1 1. 4. 1949 (I.C.J. Reports 1949, S. 185 - Reparation for lnjuries Suffered in the Service of the United Nations). 145 Vgl. Scheuner, Gewohnheitsrecht, S. 411. 1 46 Dagegen ausdrücklich z. B. Cahier, S. 655. 147 Kriterien nach Cahier, S. 652. 148 Es gibt verschiedene Listen mit teilweise divergierenden Angaben ; zwei davon seien hier gewürdigt. Epstein nennt 38 Staaten, von denen neun bislang dem NPT ferngeblieben sind (The Last Chance, S. 234). Eine ERDA­ Liste vom April 1977 nennt 29 Staaten, sieben davon außerhalb des NPT

78

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

Aus einem ähnlichen Grund sind die NPI'-Regeln auch nicht etwa zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt. Unzweifelhaft kann sich ein multi­ lateraler Vertrag dadurch zu Völkergewohnheitsrecht entwickeln, daß er durch ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung die allge­ meine Annahme der Staatenwelt findet 150 • Dabei kommt es aber gerade auch auf die Haltung der an der Materie besonders interessierten Staaten an151 • Insoweit ist es zwar bemerkenswert, daß von den Nicht­ kernwaffenstaaten allein Pakistan eine Nuklearbewaffnung öffentlich in Betracht gezogen hat, wohingegen zahlreiche andere Nicht-NPT­ Staaten wiederholt versichert haben, sie würden keine Kernwaffen herstellen. Entscheidend ist aber, daß als maßgebliches Motiv für das Fernbleiben vom NPT immer wieder die rechtliche Diskriminierung an­ geführt worden ist, d. h. die rechtliche Festschreibung des privilegier­ ten Status einiger Staaten. Die betreffenden Nicht-NPT-Staaten haben mithin zwar erklärt, sie würden ihr Recht auf Kernwaffenerwerb nicht ausüben, auf dem grundsätzlichen Fortbestand dieses Rechts (wenig­ stens für die Dauer der Existenz von nuklear gerüsteten Staaten) aller­ dings bestanden. Insofern verkörpert das NPI'-Regime auch nicht an­ nähernd einen Konsens der Völkergemeinschaft152 • Nach alledem be­ reitet es keine Mühe festzustellen, daß die NPT-Regeln - namentlich die der Nonproliferation - bisher nicht in das Völkergewohnheitsrecht eingegangen sind153 •

(Nuclear Proliferation Factbook, S. 334). Beide Listen führen außerdem die „Republik China" (Taiwan) auf, deren NPT-Status unklar ist. In seinen regelmäßigen NPT-Staatenkatalogen nennt das IAEA Bulletin die „Republic of China" (sie - also in Anführungszeichen) stets in Klammern und teilt in einer Fußnote kommentarlos mit „The ,Republic of China' has ratified the NPT". Vgl. auch die (etwas ratlosen) Überlegungen in der American Society of International Law = Proceedings of the 72nd Annual Meeting (1978), s. 254, 267. 1 4 9 Cahi'er (S. 659 Fn. 51) stellt ausdrücklich fest, daß der NPT - ,,bien que d'interet general" - nur für Vertragsparteien Wirkung entfalte. 150 Vgl. Art. 38 WVRK und Scheuner, Gewohnheitsrecht, insb. S. 421, 427. 1 5 1 Urteil des IGH vom 20. 2. 1969, I.C.J. Reports 1969, S. 42 f. (North Sea Continental Shelf Cases) und dazu Baxter, Treaties and Custom, S. 65 f. Skeptisch Doehring, S. 92. 1s2 Ebenso Bull, S. 177; Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S. 153. 1 53 Dogmatisch verfehlt sind dazu die Ausführungen von Waiczak, S. 253 bis 256 ; ohne Begründung bleibt die Ansicht der UdSSR, die Nonproliferation sei „a rule of international law" (Memorandum vom 28. 9. 1976, A/3 1/23 2 ; in : A/S-10/1 = GAOR [S-10] Suppl. 1 vol. III, S . 58) ; ebenso Zheleznov, S . 49. Bezeichnend ist die bescheidene Feststellung in A/Res. S-10/2 vom 30. 6. 1978 : "Adherence to such instruments (seil. on non-proliferation) has increased in recent years and the hope has been expressed by the parties that this trend might continue." Dazu Lay, S. 343 : ,,formule talmente generiche da poter essere accettate da tutti."

2.Gesamtwürdigung des NPT-Regimes

79

b) Der NPT und das koordinationsrechtliche N ormengefüge des Völkerrechts: Die weitgehende Anlehnung des NPT-Regimes an das traditionelle Vorbild wenig entwickelter Ordnungssysteme

Während die militärische Rechtsungleichheit auf Grund des NPT allenfalls mit Mühe in das sich ausweitende Völkerrecht der Staaten­ kooperation eingeordnet werden kann154 , verläßt die Regelung der zivilen Kernenergienutzung kaum die hergebrachten Bahnen. Ihr zentrales Element ist zweifelsohne die Bekräftigung der souveränen Staatengleichheit. Es wird unterstrichen, was ohnehin kraft allgemei­ nen Völkerrechts gilt: Staaten dürfen die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke entwickeln. Hätte es der NPT allerdings bei dieser Wiederholung bewenden lassen, wäre er für die Regelungsmaterie der zivilen Kernenergienutzung eine ba­ nale Erinnerung an das klassische Völkerrechtsmuster eines Nebenein­ ander juristisch gleicher Staaten geblieben, nach deren Fähigkeit, ihre ,,gleichen" Rechte effektiv wahrzunehmen, nicht gefragt wird (de iure: jeder darf; de facto: wer kann, der darf). Von diesem traditionellen Schema entfernt sich das zivile NP.r-Re­ gime indessen in zwei Punkten. Zunächst relativiert es das formale Verständnis der souveränen Gleichheit, ohne sich davon grundlegend abzuwenden. Der NPT legt gewiß nicht den ganzen Weg von der „j uri­ stischen Gleichheit" zur Herstellung von „Chancengleichheit" zurück. Er verleiht den Vertragsstaaten keine spezifischen Forderungsrechte, die als Ausprägung der Maxime „wer Rechte hat, muß notfalls in die Lage versetzt werden, sie auch wirksam auszuüben" verstanden werden könnten. Doch er erklärt die Weiterentwicklung der zivilen Kernener­ gienutzung zu einer internationalen Aufgabe der Vertragsstaaten und unterwirft letztere einer Art sozialer Bindung dahingehend, den Zu­ gang zu ihren nuklearen Ressourcen anderen Vertragsstaaten mög­ lichst nicht zu verschließen 155 und einem internationalen fortschritts­ fördernden Einsatz dieser Ressourcen gegenüber wenigstens aufge­ schlossen zu sein. Insoweit erinnert er an Art. 2 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 156 , welcher .den dadurch gebundenen Staaten gebietet, im Dienst einer Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen solidarisch zusammenzuarbeiten. Die Parallele macht deutlich, daß sich Art. IV Abs. 2 NPT nahtlos in das neue Völkerrecht der entwicklungsorientierten Zusammenarbeit ein­ fügt, welches zwar eine Kooperationsobliegenheit der Staaten aner15 4 Kimminich, S.371 f.; vgl. auch Grewe, S.392 (,,führt ein völlig neu­ artiges Element in das Völkerrecht ein"). 1 55 Formulierung nach einer Äußerung von Scheuner zur Rohstoffliefer­ sicherheit, vgl. Diskussionsbeitrag, S.180. m BGB!.1973 II S. 1570.

80

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

kennt, im übrigen aber noch in beträchtlichem Maß der Konkretisie­ rung bedarf. Art. IV Abs. 2 mag insoweit zwar ein weiteres Beispiel für die Relativierung der souveränen Gleichheit der Staaten im wirt­ schaftlichen Bereich darstellen, doch er sprengt jedenfalls nicht den Rahmen des durch andere Verträge geschaffenen bzw. dort zum Aus­ druck kommenden Völkerrechts der staatlichen Zusammenarbeit. Der zweite Punkt, in dem das zivile NPT-Regime von dem über­ kommenen Völkerrecht abzuweichen scheint, betrifft die Sicherungs­ maßnahmen in Nichtkernwaffenstaaten gern. Art. III NPT. Hierbei d. h.: bei der Überwachung wirtschaftlicher bzw. technischer Aktivitä­ ten durch eine internationale Organisation - scheint es sich um eine ungewöhnliche Beschränkung der nationalen Souveränität zu handeln. Deren Tragweite darf aber nicht überschätzt werden. Die IAEA-Maß­ nahmen sollen und können zur Entdeckung von Materialabzweigungen für militärische Zwecke führen ; sie können sie aber nicht verhindern, und die IAEA hat insoweit auch keine Kompetenzen. Deren Gouver­ neursrat hat nur die Aufgabe, einen militärischen Mißbrauch allen IAEA-Mitgliedstaaten sowie dem Sicherheitsrat und der Generalver­ sammlung der Vereinten Nationen zu melden, sowie das Recht, die von der Organisation oder einem Mitgliedstaat gewährte Hilfe zu kürzen oder auszusetzen und die zur Verfügung gestellten Materialien und Ausrüstungen zurückzufordern (Art. XII IAEA-Satzung) 1 57 • So trifft sicherlich die eigene Einschätzung der IAEA zu, ihr System von Sicherungsmaßnahmen sei „ rather a warning system than a ,police­ man' " 1 58 • Die Möglichkeit zu wirksamen Gegenaktionen liegt nicht bei der IAEA, sondern bei j enen Staaten, die über geeignete Mittel zur Durchkreuzung der Absichten des Abzweigers verfügen 159 • Von diesen faktischen Ingerenzmöglichkeiten abgesehen, handelt es sich hier aber kaum um mehr als eine beobachtende Kontrolle 160 , hinter der das Kon­ zept „Abschreckung durch Entdeckung" steht1 6 1 • Insoweit fallen die 1 57 BGBL 1958 II S. 4 (= 276 UNTS 3) mit Änderungen in BGBl. 1963 II S. 329 (= 471 UNTS 334) und BGBL 1971 II S. 849. März 1980 waren aber von 1 1 0 NPT-Nichtkernwaffenstaaten 30 nicht Mitglied der IAEA, und für 43 stand noch kein Verifikationsabkommen mit der IAEA in Kraft, u. a. Libyen, Nigeria, Syrien und Venezuela (vgl. NPT Newsletter, IAEA Bulletin 22 No. 2 (April 1980) S. 86 f. - allerdings ohne Nennung von Kap Verde, das laut BGBl. 1980 II S. 688 seit dem 24. 10. 1979 Vertragspartei ist). 15s A Short History of Non Proliferation, S. 17. 1 59 Rometsch, Recht, S. 46 - unter Verwendung des ungewöhnlich an­ mutenden Begriffs „diplomatische Machtmittel". 100 Im Gegensatz zur „berichtigenden" Kontrolle, siehe die Unterscheidung durch Verdross I Simma, S. 445. Zu den Schwierigkeiten einer Kategorien­ bildung vgl. Fischer I Vignes. 1 6 1 In den Richtlinien des IAEA-Gouverneursrats für die NPT-Verifi­ kationsabkommen wird als Zweck der Sicherungsmaßnahmen angegeben ,,the timely detection of diversion of significant quantities of nuclear mate-

2. Gesamtwürdigung des NPT-Regimes

81

IAEA-Sicherungsmaßnahmen nicht aus dem Rahmen der vielfältigen internationalen Kontrollverfahren, die es heute gibt. Wenn ihnen gleichwohl von zwei Sachkennern das Prädikat „unprecedented volun­ tary abnegation of the principle of sovereignty" 162 verliehen worden ist, dann wohl vor allem deshalb, weil es sich um eine kontinuierliche, kraft Vertrages für unbestimmte Zeit vorgesehene Kontrolle handelt163 , und weil die Inspektoren von einer internationalen Organisation aus deren Personal benannt werden (allerdings mit Zustimmung des j e­ weils zu überwachenden Staates). Letzteres ist in der Tat ungewöhnlich. Man mag insofern an die Kompetenzen der Zentralen Rheinschiffahrts­ Kommission bzw. der Europäischen Donaukommission16 4 erinnert wer­ den, doch diese Beispielsfälle dürften zu speziell sein, um als Vor­ läufer anerkannt zu werden. Kontrollen gibt es auch im Rahmen von übereinkommen zum Fischbestandsschutz, doch die entsprechenden Systeme gehen regelmäßig nicht über wechselseitige nationale Inspek­ tionen hinaus 165 • Das eine Abkommen, das in diesem Zusammenhang als Beispiel für internationale Inspektion genannt zu w erden pflegt166 , ist niemals in Kraft getreten. Kurzum, das IAEA-Überwachungssystem hat einen beachtenswerten Grad von „Überstaatlichkeit" erreicht167• rial from peaceful nuclear activities to the manufacture of nuclear weapons or of other nuclear explosive devices or for purposes unknown, and deter­ rence of such diversion by the risk of detection" (Hervorhebungen durch Verf.; vgl. para.28 des IAEA Doc. INFCIRC/153 vom Mai 1971, wieder­ gegeben in ILM 10 [1971] S.855). Einer Beschreibung des NPT-Verifikations­ systems im Rahmen der IAEA bedarf es hier nicht; vgl. dazu statt aller Fischer, L'inspection, S.93 ff., sowie - aus dem deutschen Schrifttum von Pander (passim) mit zahlreichen Hinweisen auf die umfangreiche Lite­ ratur. 152 Pendley / Scheinman, S.609. Für Fischer I Vignes (S. 11) gehört das Überwachungssystem zu den „types d'inspections les plus caracteristiques et les plus avancees". 163 Fischer / Vignes nennen dazu Rüstungskontrollabkommen, Antarktis­ vertrag, Europäische Menschenrechtskonvention (S.16). 1 64 Siehe Baxter, Waterways, S.114 f. 165 Siehe z.B. das Scheme of Joint Enforcement der Internationalen Kom­ mission für die Fischerei im Nordwestatlantik (Text : Rüster I Simma, S.2801). Vgl. allgemein zu den Durchsetzungsmaßnahmen Dupuy (S.263 ff.), der an­ schaulich von „contröle eo-national" spricht (S.273) ; Koers, S.219 - 224 ; Wolfrum, S.678 - 680. 1 6 8 Agreement Concerning an International Observer Scheme for Factory Ships Engaged in Pelagic Whaling in the Antarctic, 28.10.1963, Text: Rüster I Simma, S. 3627. Vgl. dazu Dupuy, S.271 f., Koers, S.220 f. 167 „Verification through international institutionalised procedure", so Stein, S.353. Sollte die Dritte UN-Seerechtskonferenz erfolgreich ausgehen, dürfte sich im künftigen Tiefseeboden-Regime auch ein internationales Inspektionssystem von noch unabsehbarer Tragweite etablieren. Nach Art. 162 Abs.2 lit.y des Revised Informal Composite Negotiating Text (A/CONF. 62/WP.10/Rev.1, 28.4.1979) muß der Rat der International Sea-Bed Author­ ity „Establish appropriate mechanisms for directing and supervising a staff of inspectors who shall inspect activities in the Area to determine whether 6 PrW

82

A.II. Das NPT-Regime der zivilen Nutzung

Gleichwohl erscheint es gerechtfertigt, das NPT-Regime der zivilen Kernenergienutzung insgesamt als eine Ordnung einzuschätzen, die zur Zeit ihrer Errichtung dem Entwicklungsstand eines zunehmend koope­ rationsorientierten Völkerrechts keineswegs vorauseilte. Das IAEA­ System zur NPT-Kontrolle mag zu den Spitzenmodellen eines fortge­ schrittenen Völkerrechts internationaler Inspektion gehören; die zivile Nutzungsordnung bleibt davon im Grunde unberührt. Die zivile Kern­ energienutzung wird durch das Überwachungssystem nicht einge­ schränkt. Sie soll dadurch nur als solche - nämlich als zivile - er­ halten werden. Die Überwachung der zivilen Kernenergienutzung ist tatsächlich Annex der militärischen Prohibition und mithin Bestand­ teil des Rüstungskontrollregimes des NPT. Insofern vermag sie nicht das Gesamturteil über das NPT-Regime der zivilen Kernenergienut­ zung zu relativieren: Eine auf Universalität angelegte liberale, mit einer sozialen Komponente versehene, dadurch ihrer Entstehungszeit gemäße Völkerrechtsteilordnung.

the provisions of this Part, the rules, regulations and procedures prescribed thereunder, and the terms and conditions of any contract with the Authority are being complied with " .

B. Die Anstö6e der USA für die Errichtung einer reglementierten Weltnuklearordnung Vorbemerkungen: Amerikanische Vorstellungen über das Ziel einer internationalen Nutzungsordnung und die Mittel ihrer Durchsetzung Wenn j etzt der Blick zunächst dem Wandel der US-amerikanischen Nichtverbreitungspolitik zugewendet werden soll, dann geschieht dies nicht in der Absicht, zu dem rechtspolitischen Für und Wider Stellung zu nehmen. Vielmehr geht es um die Frage, welche Anstöße die USA für die Umgestaltung der Weltnuklearordnung gegeben, und ob sie sich im Rahmen ihrer vorgegebenen völkerrechtlichen Bindungen be­ wegt haben. Hier stellen sich allgemeine völkerrechtliche Probleme auf materieller wie auf prozeduraler Ebene. Materiell handelt es sich verkürzt gesagt - darum, daß die USA dazu übergingen, von allen Staaten, also auch von ihren NPT-Partnern, einen Verzicht auf na­ tionale Verfügung über Anlagen wie solche für die Urananreicherung, die Wiederaufarbeitung und die Herstellung von Schwerem Wasser zu verlangen, und von Nichtvertragsstaaten außerdem die Unterwerfung unter eine umfassende IAEA-Kontrolle über alle zivilen Aktivitäten. Im Hinblick auf diese Anlagen gilt es zu klären, ob die Vereinigten Staaten durch die einseitige Verschärfung ihrer Grundsatzhaltung und speziell ihrer Lieferbedingungen - unter Abwendung vom NPT­ Regime ihrerseits gegen den NPT verstoßen haben1 . Auf prozeduraler Ebene müssen die Mittel gewürdigt werden, die die USA zur interna­ tionalen Durchsetzung ihrer Vorstellungen eingesetzt haben. Der Ter­ minus (US-),,leadership" , der in zahllosen Verlautbarungen wieder­ kehrt, ist insofern zwar symptomatisch, gibt aber nur höchst unvoll­ kommen wieder, worum es im einzelnen geht. Die völkerrechtliche Pro­ blematik tritt deutlicher zutage in der Androhung von „further steps" und „ appropriate action" für „nuclear wrongdoing" durch Präsident Ford2 , in dem häufigen Hinweis auf „Zuckerbrot und Peitsche" (carrots and sticks) 3 und in folgenden weiteren Verlautbarungen von US-Sena-

1 s. u. Abschnitt II.2.b.

2 Nuclear Policy Statement vom 28. 10.1976, Dept. of State Bull.75 S. 636 (22. 11. 1976). s z.B. Sen. Glenn (Ohio), Hearings on S. 1439, S. 102.

&•

84

B. Anstöße der USA für eine reglementierte Weltnuklearordnung

toren: ,,bring pressure"4, bzw. ,,strongly pressure uncooperative nat­ ions"5, ,,get other nations to see the nuclear proliferation problem our way" 6 , ,,bring other nations into line" 7 , ,,treat noncooperating nations j ust as we treat criminal elements" 8 • In diesen - gewiß nicht zu über­ schätzenden - Äußerungen wird unmißverständlich mitgeteilt, welches Problem die US-Maßnahmen aufwerfen: Nämlich das der Ausübung von Zwang bzw. von wirtschaftlichem Druck:9 • Und schließlich verdient auch noch eine Frage Aufmerksamkeit, die die materielle wie die pro­ zedurale Seite der US-Reorientierung betrifft: Durch die einseitige Verschärfung ihrer Lieferbedingungen und die Androhung der Liefer­ einstellung für den Fall der Nichtunterwerfung könnten die USA ihre bilateralen nuklearen Kooperationsabkommen gebrochen haben10 • Um eine befriedigende Antwort auf diese Fragen zu geben, genügt es nicht, allein die internationale Praxis der US-Regierung zu würdi­ gen. Schon deshalb, weil die Entwicklung eines neuen Konzepts mit dem Wandel in der Praxis nicht konform ging und sich teilweise dort nicht sofort tatsächlich niederschlug, des weiteren wegen des Einschnitts durch den Regierungswechsel von 1977, und schließlich wegen der zu­ nehmenden Einbettung in internationale Beratungen, empfiehlt es sich, den Gang des Umdenkens nachzuzeichnen. In diesem Zusammenhang ist es unumgänglich, auch die Tendenzen und Maßnahmen des Kon­ gresses zu schildern, zum einen weil sie die Position der USA maßgeb­ lich mitbestimmt haben, zum anderen weil sie - auch völkerrechtlich interessante - Rückschlüsse auf die fortschreitende Umgestaltung der Weltnuklearordnung erlauben. Die neuen Tendenzen bedeuten, wie im einzelnen zu zeigen sein wird, eine Abwendung von dem oben ge­ schilderten liberalen NPT-System souveräner Nutzung durch die Staa­ ten im zivilen Bereich. Es wird nunmehr anvisiert, die nationale Dis­ positionsfreiheit abzubauen und dieserart teilweise zu entstaatlichen sowie zu einer international geregelten Nutzungsordnung überzuge­ hen. Zu deren maßgeblichen Elementen würden partielle Nutzungsbe­ schränkungen, ein internationaler Verteilungsmechanismus und, bei sensitiven Aktivitäten, eine nicht lediglich registrierende, sondern len­ kende Kontrolle gehören. Bei der Gewährleistung dieser Ordnung trü4 Sen. Brock (Tennessee), ibid. S. 52. s Sen. Ribicoff (Connecticut), ibid. S. 764. o Sen. Glenn, ibid. S. 535. 1 U.S. Senate, Committee on Government Operations, Outline of Issues für die Anhörung von Secretary of State Kissinger, ibid. S. 758 (,,What can the United States do unilaterally, given our industrial, agricultural and military predominance . . . "). e Sen. Glenn, ibid. S. 761. o s. u. Abschnitt II.3.a. 1 0 s. u. Abschnitt II.l.

B.I. Ein neues US-Dogma

85

gen die militärischen, aber auch die zivilen Atommächte eine besondere Verantwortung. Die diesen Modellvorstellungen inhärenten weiteren Abstriche von der souveränen Staatengleichheit würden mit Belangen der Weltsicherheit, also mit Völkergemeinwohlgedanken legitimiert, gereichten aber unbeschadet dessen einer bestimmten Staatenkategorie notwendigerweise zum Vorteil 1 1 • Insgesamt handelt es sich hier um ein neues Dogma, welches - wie zu der US-Gesetzgebung scharf formu­ liert worden ist - auf der Zielvorstellung aufbaut „ to prevent non­ weapon states from becoming so close to achieving nuclear weapons capability that their designation as a nonweapon state becomes meaningless" 1 2 •

I. Ein neues Dogma: Die Verhinderung nationaler „Kernwaffenkapazität" und Probleme einer völkerrechtsgetreuen Verwirklichung des Konzepts Für die Fortentwicklung der Weltnuklearordnung und speziell die Neuformulierung ihrer Haltung durch die USA ist 1 974 das Jahr des Umbruchs gewesen. H. Kissinger hat demgemäß bescheinigt, ,, nach" seiner Amtsübernahme als Secretary of State - diese fand im Sep­ tember 1 973 statt - sei offenkundig geworden „ that eh.anging circum­ stances warranted a new look at our nonproliferation strategy" 13 • Als auslösende Momente nannte er - in dieser Reihenfolge -: Den Um­ stand, daß neben den USA andere Industriestaaten auf dem interna­ tionalen Nuklearmarkt als Anbieter aufträten ; die Ölkrise, welche zahlreiche Länder auf die alternative Energiequelle der Atomnutzung umorientiert habe ; den indischen Nukleartest1 4 . Kissinger überging ein weiteres Element der neuerlichen Unruhe, nämlich die von Präsident Nixon kaum vier Wochen nach dem indischen Test (18. Mai 1 974) in Aussicht gestellten Lieferungen von Kernreaktoren und -bren.nstoffen an Ägypten und Israel 1 5 • Es war aber wohl vor allem die Ankündigung dieses Geschäfts gewesen, welche das Nonproliferationsthema in den USA in das Zentrum der Aufmerksamkeit zurückholte, und zwar so­ wohl in den Kreisen der Wissenschaft als auch - und ganz besonders - im Kongreß 16 • So kamen damals auch die ersten harten Reaktionen 1 1 s. u. Abschnitt II.3.b. 12 G. F. Warburg, Hearings on H.R. 8638, S. 258. 1a 9. 3. 1976, Dept. of State Bull. 74 S. 505 (29. 3. 1976) = Hearings on S. 1439, s. 766. u Hearings on S. 1439, S. 767. 15 Siehe Principles of Relations and Cooperation between Egypt and the United States, 14. 6. 1974, sowie Joint U.S.-Israeli Statement, 17. 6. 1974, Dept. of State Bull. 71 S. 92 (93), 1 10 (1 1 1) (15. 7. 1974). Vgl. dazu auch Neriich. 1 6 „After 20 years of somnolence, Indira Gandhi and Richard Nixon have awakened the United States, if not the world, to the perils of nuclear

86

B.I. Ein neues US-Dogma

auf die neuesten Entwicklungen von seiten des Kongresses. Demge­ genüber war die Exekutive zunächst recht schweigsam. Es sei hier vor­ weggenommen, daß der Kongreß zu j edem Zeitpunkt seit 1 9 74 eine insgesamt härtere Linie verfolgte als die Exekutive, deren Neuorientie­ rung nun im folgenden zuerst geschildert werden soll.

I. Das Bekenntnis der Exekutive zu „negativen Anreizen" und zur internationalen Konzertierung

a) Die noch unsystematische Suche nach international annehmbaren Methoden zur Einschränkung „gefährlicher" ziviler Nutzungen der Kernenergie: Das Umdenken unter der Ford-Präsidentschaft Die US-Regierung machte ihren Standpunkt während der Amtszeit Präsident Fords vorzugsweise unter Ausschluß der Ö ffentlichkeit klar, beispielsweise auch gegenüber Indien im Zusammenhang mit dessen Nukleartest1 7• Sie konzentrierte sich auf diplomatische Bemühungen um eine Stärkung des Nonproliferationsregimes, bis die Übung insge­ samt vorsichtiger Zurückhaltung bei öffentlichen Verlautbarungen durch die ungewöhnlich scharfe und stellenweise in drohendem Ton gehaltene Erklärung des Präsidenten Ford vom 28. Oktober 19 76 18 un­ terbrochen wurde. Diese Erklärung wird hier weitgehend außer Be­ tracht bleiben und nur in dem Maße berücksichtigt werden, in dem sie vorausgehende Entwicklungen bestätigt bzw. künftige ankündigt, denn sie ist kurz vor dem Ende von Fords Amtszeit und offenkundig unter dem Eindruck des Wahlkampfs abgegeben worden und, wie die Rück­ schau erweist, ephemäre Zwischenstation auf dem Weg zur Politik des Nachfolgers geblieben. Es ist eingangs H. Kissinger dahingehend zitiert worden, Ölkrise, neue Konkurrenz durch andere Nuklearexporteure sowie der indische Atomtest hätten die USA zu einer Überprüfung ihrer Antiprolifera­ tionspolitik veranlaßt (und damit zugleich, wie zu zeigen sein wird, zur Abwendung von wesentlichen Elementen des NPT-Regimes. Diese aus­ lösenden Momente bedürfen im einzelnen nur kurzer Erläuterung. Der Fall Indien war der erste, in welchem ein Kernsprengkörper nicht der erfolgreiche Abschluß eines gezielten Waffenentwicklungspro­ gramms, sondern aus ziviler Kernenergienutzung hervorgegangen zu proliferation", so Sen. Stevenson III (Illinois), S. 76 ; vgl. auch Doub / Fidel!, s. 917. 11 ,, • • • we deplored it strongly, and we have made clear to India that we saw no need for it . . . we objected strongly . . . " (Kissinger, Hearings on s. 1439, s. 793). 18 Dept. of State Bull. 75 S. 629 - 639 (22. 1 1 . 1976).

1.Exekutive für „negative Anreize" und Konzertierung

87

sein schien19 • Indien hatte bekanntlich - unwiderlegt, und wohl auch unwiderleglich - geltend gemacht, die Zündung seines Kernsprengkör­ pers habe „ friedlichen Zwecken" gedient20 • Wie dem auch sei, die tat­ sächlich bestehende Möglichkeit, ein ziviles Kernenergieprogramm unvermittelt militärisch nutzbar zu machen, konnte nicht mehr igno­ riert werden. Die Ölkrise von 1973 /74 führte auch in den USA zu der Erwartung, das Bedürfnis nach ziviler Nutzbarmachung der Kernener­ gie werde weltweit wachsen : Eine Steigerung der Nachfrage nach ent­ sprechenden Ausrüstungen und Materialien - und mithin eine stark zunehmende Verbreitung des in den Kernkraftwerken anfallenden (waffengrädigen) Plutoniums - sei danach die unausweichliche Folge. Und nahezu zugleich mußte sich die Erkenntnis Bahn brechen, die USA seien im Begriff, ihre Lieferantenvorherrschaft insoweit zu ver­ lieren. Zur Zeit des indischen Nukleartests befanden sich zwar welt­ weit nur vier Kernkraftwerke in Betrieb (abgesehen von solchen aus nationaler Produktion), die nicht von einem Kernwaffenstaat geliefert worden waren21 • Für 1 975 wurde j edoch gemeldet, daß von 18 Aufträ­ gen für die Errichtung von Kernkraftwerken außerhalb der USA nur vier an US-Lieferanten vergeben worden seien22 • Neben Kanada hatten sich vor allem die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich als Konkurrenten fest etabliert. 1 974 mußten außerdem die US-Auftrags­ bücher für Anreicherungsdienste wegen Auslastung der Kapazität ge­ schlossen werden23 • Insbesondere die EG-Staaten hatten schon seit 1 971 die UdSSR in zunehmendem Maße mit entsprechenden Leistungen beauftragt24 •

10 Vgl. - stellvertretend für alle anderen - Assistant Secretary Irving, Dept. of State Bull.75 S. 687 (6. 12. 1976). 20 Offizielle Erklärungen vom 18. und 21.5. 1974, wiedergegeben in CCD/ 424 und CCD/425 (in : A/9627 = GAOR [XXIX] Suppl. 27, S. 87 - 88). 21 Pakistan, Indien (Lieferstaat jeweils Kanada), Argentinien, Niederlande (j eweils Bundesrepublik Deutschland) ; vgl. Nuclear Proliferation Factbook, s. 239 - 248. 22 D. Porter (Westinghouse Corp., vormals Vertreter der USA bei der IAEA), Hearings on S. 1439, S. 478 f. Eine SIPRI-Statistik verzeichnet bis zum 31. 12. 1978 folgende (danach allerdings nicht durchweg aufrechterhalte­ ne) Auslandsaufträge: USA 55, UdSSR 41, Bundesrepublik Deutschland 13, Frankreich 7, Kanada 6, Schweden 2, Vereinigtes Königreich 2; daneben 17 Aufträge an joint ventures (SIPRI Yearbook 1979, S. 308 ff.). 2a Franko, S. 1 188; Goldschmidt f Kratzer, S. 43 f. 24 Vgl. 7.Gesamtbericht der EG-Kommission (1973), S. 341. 1977 deckten die USA und die UdSSR den Gemeinschaftsbedarf an angereichertem Uran insgesamt zu 99 0/o und untereinander etwa zu gleichen Teilen, vgl. SA Lord Bessborough, ABlEG C 124/27 vom 29.5. 1978 (sechs Monate zuvor hatte die EG-Kommission auf eine ähnliche Anfrage noch die Auskunft verweigert, vgl. SA Lord Bessborough, ABlEG C 277/4 vom 17.1 1.1977). Vgl. außerdem die detaillierten Angaben in Hearings on S. 897 and S. 1432 (S. 57 - 69, 72 - 73),

88

B.I.Ein neues US-Dogma

Als Ausgangspunkt für die Reorientierung der US-Nonproliferations­ politik kann insgesamt die an die vorerwähnten Tatsachen anknüp­ fende Einschätzung bezeichnet werden, daß „today the spread of nuclear-weapons capability is riding on the wave of the peaceful uses of the atom" 25 • Der Fall Indien hatte den Weg illustriert: Es war dort die technische Fähigkeit entstanden, einen Kernsprengkörper herzustel­ len und zu zünden; es war sodann die Entscheidung getroffen worden, diese Fähigkeit praktisch zu nutzen. Also galt es, im Interesse der Nonproliferation (1) derartige Entscheidungen zu erschweren und, besser noch, (2) den Erwerb der Fähigkeit, soweit möglich, zu verhin­ dern. Vormals hatten die USA, und zwar gerade auch mit dem von ihnen maßgeblich geprägten NPI' , bei der militärpolitischen Entschei­ dung angesetzt. Die Abzweigung der Kernenergie von der friedlichen Nutzung und ihre Verwendung für Kernsprengkörper wurden recht­ lich verboten und (durch IAEA-Sicherungsmaßnahmen nebst Entdek­ kungsgefahr) psychologisch erschwert, aber nicht tatsächlich unmöglich gemacht. Dieses NPI'-Konzept - also: Verbot des Kernwaffenerwerbs, Zulassung aller (auch sensitiven) zivilen Nutzungsformen, IAEA-Kon­ trolle als einzige Kautel gegen schleichenden Kernwaffenerwerb wurde nun als unzulänglich verworfen. Es galt fortan, schon den An­ fängen zu wehren. Als beste Methode der Mißbrauchsverhütung er­ schien nicht die Einflußnahme auf subjektive Entscheidungen, sondern die Verhinderung des Entstehens der objektiven Mißbrauchsvoraus­ setzungen. Also stellten die USA nicht weiter die Abschreckung des zielgerichteten Kernwaffenerwerbs in den Mittelpunkt ihrer Überle­ gungen, sondern gingen dazu über, (daneben) schon das Potential dazu zu bekämpfen. Im Hinblick auf zivile Aktivitäten wurde der Begriff „ for peaceful purposes" immer häufiger durch Formulierungen wie ,, that do not contribute to the acquisition of nuclear explosive capabi­ lities"26 ersetzt. Die Eingriffsschwelle wurde vorverlegt: Nicht erst die Proliferation, sondern bereits die Proliferationsgefahr sollte vereitelt werden. Oder anders ausgedrückt: Da an der Kraft der Regierungen immer mehr gezweifelt wurde, der durch Waffenentwicklungspotential einmal ge­ schaffenen Versuchung dauerhaft zu widerstehen (bzw. von der sou­ veränen zivilen Nutzungsfreiheit auch j eweils nur zweckentsprechen­ den Gebrauch zu machen), sollte durch internationale Ordnungsmaß-

aus denen hervorgeht, daß der Weltbedarf ab 1981 zu jeweils 41 - 46 0/o durch die USA und die europäischen Unternehmen gedeckt werden wird. 25 ACDA Director Ikle, Dept. of State Bull.72 S. 578 (5.5. 1975). Er fuhr fort : " ... Now it is peaceful technology that provides not only the means but also the cover in all cases where we fear that a new weapons program might be on the way." 26 Frühes Beispiel: Sen. Symington (Missouri) als US-Delegierter vor der UN-Generalversammlung, Dept. of State Bull.72 S.75 (20.1. 1975).

1. Exekutive für „negative Anreize" und Konzertierung

89

nahmen fortan verhindert werden, daß die Staaten überhaupt erst in Versuchung gerieten27• Die neue Politik kommt beispielsweise in dem Satz zum Ausdruck: "We must continue efforts to separate nuclear exports that safely serve peaceful purposes from those that will proliferate weapons capabilities2s." Die „Kernwaffenkapazität" entwickelte sich somit zu einem Schlagwort in US-regierungsamtlichen Verlautbarungen29 . Sie galt es abzu­ wenden. Demgemäß wurde es Mitte der 70er Jahre eine Grundsatz­ position der US-Regierungspolitik, die „gefährlichen" Aktivitäten des Kernbrennstoffkreislaufs der nationalen Verfügungsgewalt der Nicht­ kernwaffenstaaten zu entziehen, mithin diejenigen, in denen waffen­ grädiges besonderes spaltbares Material wie hochangereichertes Uran oder Plutonium gewonnen werden konnte, kurzum: Die Anreicherung und Wiederaufarbeitung. Sensitive Anlagen gehörten nicht in die na­ tionale Hand von Nichtkernwaffenstaaten, und zwar im Prinzip auch nicht von solchen, die dem NPT beigetreten seien30 • Dies bedeutete, die dem NPT-Regime zugrundeliegende Gedankenfolge umzukehren. Hieß es ursprünglich: Kernwaffenerwerb nein, umfassende zivile Kern­ energienutzung und -kooperation ja, doch Kontrolle derselben zur Ab­ schreckung von Waffenentwicklungsplänen, so lautete der Grundsatz neuerdings: zivile Kernenergienutzung ja, doch keinesfalls um den Preis der Möglichkeit zum Kernwaffenerwerb31 , mithin Unterbindung waffentechnisch nutzbarer Aktivitäten. Blieb das Spektrum der zivilen Aktivitäten unter dem NPT-Konzept uneingeschränkt, war die IAEA­ Überwachung dort doch nur als Abschreckungsmittel eingeplant, so wurde nunmehr das „unveräußerliche Recht" auf zivile Kernenergie­ nutzung selbst insofern unmittelbar angetastet, als seine Ausübung par21 Vgl. zu dem Schulstreit über die Ansatzpunkte „conscious political decision" bzw. ,,temptation" Goldschmidt I Kratzer, S. 1 f., 35 f. 2s Ikle, ibid. (Anm. 25) S. 579. 29 Vgl. statt aller D. L. Ray (AEC-Vorsitzender) am 1 7. 9. 1974 vor der 18. IAEA-Generalkonferenz, Dept. of State Bull. 71 S. 555 (21. 10. 1974} ; Ikle, ibid. (Anm. 25) S. 578. so Acting Assistant Secretary Kratzer, Dept. of State Bull. 73 S. 835 (8. 12. 1975} : "Avoid the spread of sensitive fuel cycle facilities under national control." Weniger kategorisch Kissinger, Hearings an S. 1439, S. 768 : "prevent the unrestrained spread of sensitive nuclear facilities." 81 "The challenge before the world is to realize the peaceful benefits of nuclear technology without contributing to the growth of nuclear weapons or to the number of states possessing them" (Kissinger am 23. 9. 1974 vor der UN-Generalversammlung, Dept. of State Bull. 71 S. 501 [14. 10. 1974] ). ". . . Promote international cooperation in peaceful uses of nuclear energy, while insuring that it not be misused as a means of mass destruction" (Ford in einer Botschaft an die NPT-überprüfungskonferenz, Dept. of State Bull. 72 s. 921 [30. 6. 1975]).

90

B.I.Ein neues US-Dogma

tiell - nämlich im sensitiven Bereich - verhindert werden sollte. Sollten vordem nur der gezielte Kernwaffenerwerb verboten und zivile Aktivitäten von dieser Prohibition im übrigen völlig unberührt sein, so sollten fortan nur noch objektiv proliferationssichere zivile Nut­ zungsformen zugelassen werden. Damit hatten die USA die dem NPT zugrundeliegende Gedankenfolge nicht nur umgekehrt, sondern die zivile Komponente davon zugleich eingeschränkt. Sie hatten das „un­ veräußerliche Recht" nicht nur, wie der NPT, unter Wache, sondern teil­ weise in Frage gestellt und damit insgesamt relativiert. Unter der Präsidentschaft Fords zog die US-Exekutive aus den dar­ gestellten grundsätzlichen Erwägungen mehrere Konsequenzen. Zum einen bekannte sie sich fortan zu dem Prinzip, auch in Nicht-NPT­ Parteien müßten alle - ob sensitiven oder nichtsensitiven, ob aus eigener Kraft oder auf Grund Imports entfalteten - zivilen Nuklear­ aktivitäten einer umfassenden IAEA-Kontrolle unterstellt werden, welche im Zusammenhang mit Lieferaufträgen durchzusetzen sei32 • Dieses Postulat hatte sich wegen der Tatsache förmlich aufgedrängt, daß der indische Kernsprengkörper ausschließlich solchen Anlagen und Materialien zu verdanken gewesen war, die keiner internationalen Sicherheitskontrolle unterstanden hatten. Es war, weil ein bekanntes Modell (Aufsicht als Abschreckungsmittel) lediglich fortentwickelnd, durchaus konventionell, und ließ auch den NPT als solchen unberührt, da es allein Nicht-NPT-Staaten anvisierte. Es hatte sogar Stimmen gegeben, die der Meinung Ausdruck gaben, NPT-Parteien seien bei einem Exportvorhaben von Vertrags wegen verpflichtet, auch Nichtvertragsstaaten die Unterstellung unter umfas­ sende IAEA-Kontrolle zur Bedingung zu machen33 • Doch schon der Wortlaut von Art. III Abs. 2 NPT steht einer Auslegung entgegen, wo­ nach vom Empfangsstaat mehr verlangt werden müßte, als die An­ nahme von Sicherungsmaßnahmen allein für das gelieferte Material bzw. das in gelieferten Ausrüstungen und Materialien zu verarbeitende, zu verwendende oder herzustellende besondere spaltbare Material 34 • Von dieser Interpretation waren auch Regierung und Kongreß bereits

s2 Noch recht zurückhaltend ACDA Director Ikle vor der NPT-Über­ prüfungskonferenz, Dept. of State Bull.72 S. 923 (30.6.1975) : "as comprehen­ sively as possible." Deutlich, wenn auch knapp und ohne Nachdruck, Acting Assistant Secretary Kratzer, ibid. (Anm. 30) S.837. 33 A. S. Fisher, zeitweilig US-Chefunterhändler bei den NPT-Verhand­ lungen, meinte, die gegenteilige Praxis verstoße zwar nicht unmittelbar gegen Art.III, sei jedoch mit den Vertragszielen unvereinbar (Hearings on S. 1439, S. 143). Vgl. auch den Tagungsbericht in Marks (ed.), S.9. 34 Die französische Fassung ist unmißverständlich : ,,lesdites matieres brutes ou lesdits produits fissiles speciaux" bezieht sich eindeutig auf die jeweilige Lieferung. Doch auch in der englischen Fassung liegt der An­ knüpfungspunkt von „the source or special fissionable material" bei un­ befangener Lektüre auf der Hand.

1. Exekutive für „negative Anreize" und Konzertierung

91

1968/69 ausgegangen, als die Ratifikationsdebatte stattfand35, und 1 976 wurde sie von mehreren Regierungsbehörden im Rahmen von Kon­ greßanhörungen erneut bekräftigt36 • Das Eintreten der USA für um­ fassende IAEA-Kontrolle war also nicht rechtlich, sondern politisch motiviert.

Dessen ungeachtet blieben die USA gegenüber dem proliferations­ verhütenden Charakter einer umfassenden IAEA-Kontrolle skeptisch eingestellt37 • Demgemäß betrafen die weiteren Konsequenzen, die die US-Exekutive zog, unmittelbar die neue Zielvorstellung einer „non­ proliferation of nuclear weapons capabilities" , d. h. die größtmögliche Ausschaltung nationaler Verfügungsgewalt von Nichtkernwaffenstaaten über sensitive Anlagen. Hier kann zwischen derivativem und' originä­ rem Erwerb unterschieden werden. Zur Bekämpfung von jenem wurde eine Selbstbeschränkung der Lieferstaaten beim Export ins Gespräch gebracht. Schon im Herbst 1 974 warnte H.Kissinger, die großzügige Nuklearpolitik der Vergangenheit könne nicht beibehalten werden, wenn sie eine Proliferation von Kernsprengkörpern zur Folge habe38 , und er verlangte „ common restraints" 39 • Die Antworten, die das Department of State 1 976 auf Fragen aus dem Kongreß gab, verrieten in dieser wie in j ener Hinsicht starkes Engagement40 • Den originären Erwerb sensitiver Anlagen wollte die US-Exekutive mit „ negativen Anreizen" abwenden. Die Anregung,

35 Vgl. Äußerungen des Department of State und des Department of De­ fense in den NPT-Hearings des Senate Foreign Relations Committee, außer­ dem Report of the Senate Foreign Relations Committee on the Nonprolifera­ tion Treaty (zitiert in Hearings on S. 1439, S. 1480 - 1482). 36 ACDA Director Ikle, Deputy Secretary of State Ingersoll, Hearings on S. 1439, S. 581, 742. Vgl. auch Bettauer, S. 1135. 37 Wegweisend bereits der Pessimismus des Acheson-Lilienthal Report von 1946 : "So lang as intrinsically dangerous activities may be carried on by nations, rivalries are inevitable and fears are engendered that place so great a pressure upon a system of international enforcement by police methods that no degree of ingenuity or technical competence could possibly hope to cope with them" {zitiert nach Hearings on S.1439, S. 34). Vgl. aus der jüngeren Vergangenheit den Bericht des US Comptroller General „Role of the International Atomic Energy Agency in Safeguarding Nuclear Material" vom 3. 7.1975: "U.S. and Agency officials generally conceded that a country could circumvent safeguards if it was willing to assume the risk of detection, incur the expense, and take the trouble to do so" {Hearings on S. 1439, S. 925). Behutsam die Stellungnahmen dazu seitens der ACDA, der NRC, des Department of State und der ERDA (ibid. S.945, 965, 979, 1015). as Vor der UN-Generalversammlung am 23. 9.1974, Dept. of State Bull. 71 s. 501 (14. 10. 1974). 39 28.10.1974, Dept. of State Bull. 71 S. 743 (25. 11. 1974). 40 Hearings on S. 1439, insb. S. 830 : "We have . .. expressed our strong view that nations should foreswear establishing new national enrichment or reprocessing ventures, and particularly in sensitive areas, have strongly urged supplier country restraint in transferring such technologies .. ."

92

B.I.Ein neues US-Dogma

multilaterale Kernbrennstoffzentren zu errichten41 , und die Inaus­ sichtstellung von Brennstoffgarantien dienten dem Zweck, die Schaf­ fung nationaler Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen als sinnlos erscheinen zu lassen. Bestehende Anlagen42 und laufende Pro­ j ekte blieben dabei freilich unerwähnt. Die Entscheidung für den Weg über „fuel supply incentives" bedeu­ tete zugleich eine Absage an die Alternative eines Lieferstopps. Ein Moratorium oder Embargo hätte gegen Länder verhängt werden kön­ nen, die nach eigenen sensitiven Anlagen strebten, oder aber gegen solche, die sich weigerten, dem NPT beizutreten bzw. sich wenigstens umfassender IAEA-Kontrolle zu unterstellen. Oder positiv gewendet: Nuklearexporte würden etwa an die Bedingung geknüpft, das Empfän­ gerland müsse dem NPT beitreten, zumindest aber sich umfassender IAEA-Kontrolle öffnen. Die Exekutive empfand grundsätzlich Sympa­ thie für eine solche Politik43 , sah sich aber dazu solange außerstande, als nicht andere Lieferstaaten mitmachten. Für den Fall einseitigen Vorgehens befürchtete sie Einbußen an Marktanteilen und Einfluß 44 und allgemein eine Gefährdung ihrer vielbeschworenen „leadership"­ Rolle. Dahinter stand eine Befürchtung, die knapp als „ wenn nicht wir, dann die anderen" umschrieben werden darf: Bei einseitigen Beschrän­ kungen der USA würden andere Staaten einspringen. Dieses „ key­ assessment" wurde schon bei der Kongreß-Anhörung zum geplanten Ägypten-/Israel-Geschäft vorgebracht, und zwar mit der Feststellung „That if the United States did not cooperate with Egypt and Israel in their desire to obtain nuclear power reactors, others - who are far less concerned with nonproliferation goals - would" 45 •

41 Sen. Symington als US-Delegierter vor der UN-Generalversammlung, ibid. (Anm. 26) S. 76. Am 22.9. 1975 bekannte sich dort auch Kissinger zu diesem Modell, allerdings nur im Hinblick. auf Wiederaufarbeitungsanlagen, Dept. of State Bull.73 S.551 (13. 10. 1975), 42 Die Länderangaben im Nuclear Proliferation Factbook lassen den Schluß zu, daß von den Nichtkernwaffenstaaten 1976 wenigstens die Bundes­ republik Deutschland, Indien, Italien und Spanien über Wiederaufarbei­ tungskapazität verfügten (vgl. S. 197 - 205). Im SIPRI Yearbook 1979 wird die technische Fähigkeit auch Ägypten, Argentinien, Belgien, Israel, Japan, Jugoslawien, Kanada und Norwegen zugeschrieben (S.317 ff.). Eine größere japanische Anlage ist 1977 fertiggestellt worden. 43 Vgl. das Bekenntnis des Acting Assistant Secretary Kratzer, ibid. (Anm. 30) s. 837. 44 Kratzer ibid. 46 Under Secretary Sisco am 16. 9. 1974, Dept. of State Bull. 71 S. 484 (7. 10. 1974). ACDA-Direktor Ikle berief sich kurz danach auf eine Stellungnahme des früheren Secretary of State Dulles, welcher 1954 - als es um die „Atoms for Peace"-orientierte Änderung des Atomic Energy Act ging - erklärt habe, es sei hoffnungslos zu errichten einen „dam against the flow of in­ formation, and if we try to do it we will only dam our own influence and others will move into the field with the bargaining power that that involves", vgl. Dept. of State Bull.71 S. 544 (21. 10. 1974).

1. Exekutive für „negative Anreize" und Konzertierung

93

Daneben war der Exekutive sehr daran gelegen, keinen Anlaß zu geben, die Glaubwürdigkeit der einmal erteilten Lieferzusagen in Frage zu stellen46 • Dabei unterstrich sie weniger den Gesichtspunkt der Vertragstreue47 als vielmehr die Notwendigkeit, sich nicht durch Schwächung der eigenen Lieferantenposition ins Abseits zu manövrie­ ren. Zugleich wurde aber, bei aller Sympathie für die Lieferbedingung eines NPT-Beitritts bzw. einer umfassenden IAEA-Kontrolle, nicht ver­ kannt, daß eine zu rigorose Gestaltung der Lieferkonditionen die von der Liefersicherheit erhoffte Anreizwirkung zunichte machen und ganz im Gegenteil einen Ansporn zum Alleingang geben könnte, d. h. zur autonomen nationalen Entwicklung und Herstellung von - auch sen­ sitiven - nuklearen Ausrüstungen und Materialien48 • Doch das Dilem­ ma erschien fast stets als ein politisches. Von Rechtsfragen war wäh­ rend der Ford-Kissinger-Zeit allenfalls ganz sporadisch die Rede. Zu den Ausnahmen gehörten: die Parallelziehung zwischen einem nu­ klearen Liefer-,.Diktat" sowie dem arabischen Ölembargo 49 , dessen Völkerrechtswidrigkeit ja vor allem in den USA behauptet worden ist50 ; der Hinweis auf „ außerordentliche Umstände" im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Kooperationsabkommen (und damit auch ihrer Brennstofflieferpflichten) durch die USA5 1 ; und schließlich die Bezug­ nahme auf Art. IV NPT zur Abwehr von Gedankengängen, die auf die Herstellung eines Junktims zwischen Brennstoffliefersicherheit sowie einem förmlichen Verzicht des Empfängerlandes auf nationale Anrei­ cherung und Wiederaufarbeitung abzielten52 • Seitens des State Depart­ ment wurde insoweit argumentiert, der nationale Erwerb von Anreiche­ rungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen werde durch keinen völker­ rechtlichen Vertrag, insbesondere nicht den NPT, untersagt53 • Gegen46 Kissinger, Hearings on S. 1439, S. 773. 47 Vgl. immerhin Kissinger, ibid. S. 772, sowie Assistant Secretary McCloskey, ibid. S. 1088. 48 Siehe die Warnung von Kratzer, Hearings on S. 1439, S. 425 f. 49 Assistant Secretary McCloskey, Hearings on S. 1439, S. 869. McCloskey nahm damit zu Senator Ribicoffs bemerkenswerter Anregung Stellung, die USA sollten mit der UdSSR ein gemeinsames Vorgehen verabreden und die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich notfalls mit der Androhung eines Brennstoffembargos zur Anpassung an die Politik eines Verbots von Nuklearexporten an Nicht-NPT-Staaten sowie von sensitiven Exporten an Nichtkernwaffenstaaten zwingen (vgl. ibid. S. 865 - 867). 50 Vgl. vor allem Paust / Blaustein. 01 Genau : "absence of extraordinary circumstance affecting the U.S. national security . . . " (Assistant Secretary McCloskey, Hearings on S. 1439, S. 1088).

52 Zu diesem Konzept bekannte sich dann gleichwohl - in Abkehr von der durch seine Regierung zuvor eingenommenen Haltung - Präsident Ford am 28. 10. 1976, ibid. (Anm. 18) S. 632 f. ss McCloskey, Hearings on S. 1439, S. 803.

94

B.I. Ein neues US-Dogma

maßnahmen der USA könnten deshalb dem Einwand begegnen, sie verstießen gegen „den Geist" von Art. IV NPT, und zwar wegen des dort verbrieften unveräußerlichen Rechts, insoweit nämlich, als die nukleare Zusammenarbeit mit einem NPT-Staat mit der Begründung verweigert würde, dieser habe Anreicherungs- oder Wiederaufarbei­ tunganlagen erworben54 • Diesen Überlegungen zum Trotz erweckt die Gesamtheit der regierungsamtlichen Verlautbarungen vor dem Regie­ rungswechsel am 20. Januar 1977 nicht den Eindruck, die US-Exekutive sei damals bei der Neuformulierung ihrer Nichtverbreitungspolitik von starken völkerrechtlichen Skrupeln geplagt gewesen. Die Carter-Regierung war in dieser Hinsicht wie rechtspolitisch of­ fener, präziser und kritischer, namentlich durch den speziell zuständi­ gen Deputy Under Secretary J. S. Nye 55, welcher alsbald vor einem Bruch bestehender Lieferverpflichtungen warnte56 • b) Das geschlossene Konzept einer internationalen Ordnung für die Nutzung der Kernenergie: Politik unter der Carter-Präsidentschaft

Bei der Formulierung ihrer Nichtverbreitungspolitik benötigte die Carter-Regierung eine vergleichsweise kurze Zeit, um zu einer klaren Linie zu finden. In den ersten Tagen seiner Amtszeit setzte sich der neue Präsident zwar für ein vollständiges Verbot der Verbreitung von Wiederaufarbeitungsanlagen in Ländern, die darüber nicht verfügten, sowie für eine Internationalisierung der Wiederaufarbeitung ein57 , doch die Verlautbarungen wurden unter der deutlichen Federführung von J. S. Nye alsbald nuancierter und verdichteten sich zu einem geschlosse­ nen Konzept. Dieses stimmte in zahlreichen Punkten mit der Politik der abgelösten Regierung überein: Insbesondere Erweiterung des Kreises der NPT-Staaten, Ausdehnung und Verbesserung der Sicherheitskon­ trollen, zuverlässige Brennstoffbelieferung, Abwendung der nationalen Verfügungsgewalt über sensitive Anlagen durch negative Anreize58 • lbid. S. 830 f. ss Deputy Under Secretary of State for Security Assistance, Science and Technology, sowie Vorsitzender der National Security Council Group on Nonproliferation, der die Formulierung der Nichtverbreitungspolitik der Carter-Regierung oblag. 56 Vgl. z. B. Dept. of State Bull. 76 S. 564 (30. 5. 1977). s1 "We would like to have this (seil. reprocessing of spent fuel) put under international control, subject ourselves to the restraint along with those who have been processing this material for a number of years, and prohibit completely, within the bounds of our capability, the expansion of the reprocessing plants in the countries that don't have it", Interview vom 23. 1. 1977, Dept. of State Bull. 76 S. 125 (14. 2. 1977). 58 Carter-Botschaft an den Kongreß vom 27. 4. 1977, Dept. of State Bull. 76 S. 477 (16. 5. 1977). Der „Versuch eines totalen nuklearen Revisionismus" 54

1.Exekutive für „negative Anreize" und Konzertierung

95

Daneben gab es auch einige Änderungen. So wurde j etzt offen und unmißverständlich erklärt, die USA würden keine Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen bzw. -technologie ausführen59 • Ein Em­ bargo hatte zwar schon vorher bestanden6 0, doch im Hinblick auf die abweichende oder zögernde Haltung anderer Lieferländer war im all­ gemeinen vermieden worden, öffentlich von einer Ausfuhrsperre zu sprechen61 • Die Carter-Regierung gab diese Zurückhaltung auf, ohne das Einschwenken der Bundesrepublik Deutschland abzuwarten62 • Neben dieser Maßnahme gegen den derivativen Erwerb sensitiver Anlagen war die Carter-Regierung auch bemüht, dem originären Er­ werb entgegenzuwirken. Dem sollte die - als vorbildhaft gedachte Entscheidung dienen, die kommerzielle Wiederaufarbeitung in den USA für unbestimmte Zeit aufzuschieben63 • Des weiteren sollten die Nuklear­ exportbedingungen der USA derart verschärft und verfeinert werden, daß die Nutzbarmachung von US-gelieferten Materialien und Aus­ rüstungen für sensitive Zwecke gegen den Willen der USA rechtlich ausgeschlossen erschiene 6 4 • Über die Einzelheiten - insbesondere auch die Frage des Eingriffs in bestehende Lieferverhältnisse - kam es zu einem Konflikt mit dem Kongreß 65 • Von dieser spürbaren Verhärtung abgesehen, beharrte die Carter-Regierung gegenüber sensitiven An­ lagen und Tätigkeiten auf einem System negativer Anreize, und zwar vor allem mittels Brennstoffliefersicherheit und korrekter Vertrags(Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S.155) verschärft insoweit nur die Reorien­ tierung der Ford-Präsidentschaft. 69 Carter-Erklärung vom 7.4.1977, Dept. of State Bull. 76 S.430 (2.5.1977). 60 Demgemäß hieß es auch „continue to embargo", ibid. Ebenso White House Fact Sheet vom 27.4.1977, Dept. of State Bull.76 S.479 (16.5.1977). 6 1 Vgl. die behutsame Erklärung von Kissinger: "... in the areas of re­ processing, enrichment, and heavy water production activities, our basic approach has been to avoid the export of such sensitive technologies" (Hear­ ings on S. 1439, S.772). Unverblümt dann aber Präsident Ford am 28.10.1976 : "We have prohibited export of reprocessing and other nuclear technologies that could contribute to proliferation" (Dept. of State Bull.75 S.631 [22.11. 19761 ). 62 Die Bundesregierung verkündete eine vorläufige Ausfuhrsperre für Wiederaufarbeitungsanlagen am 17.6.1977, Bull. 1977 S.613 (Nr.69, 22.6. 1977). In Frankreich hatte der Conseil de politique nucleaire exterieure eine entsprechende Entscheidung bereits am 16.12. 1976 getroffen, vgl. AFDI 22 (1976) s. 1006. 63 Carter-Erklärung vom 7. 4.1977, ibid. (Anm.59) S.429. Präsident Ford hatte einen Aufschub bereits am 28.10.1976 verfügt, jedoch unter undeut­ lichen Vorbehalten (z.B. ,,until uncertainties are resolved"), vgl. ibid. (Anm.18) S.633. 64 Carter-Botschaft und White House Fact Sheet vom 27.4.1977 zum Re­ gierungsentwurf eines Nuclear Non-Proliferation Policy Act (S.1432, 95th Congress, Text auch in Hearings on S.897 and S.1432, S.13 ff.), ibid. (Anm. 58, 60) s. 477 - 480. 65 Dazu unten 2.b.

96

B.I. Ein neues US-Dogma

erfüllung. In deutlicher Abhebung von quid-pro-quo-Tendenzen in der Ford-Erklärung vom 28. Oktober 1976 66 wandte sie sich explizit gegen Überlegungen, die auf ein Gegenleistungsverhältnis bzw. Tauschge­ schäft abzielten67 . Im übrigen war sie bereit, sich mit dem Status quo abzufinden, d. h. sensitive Tätigkeiten hinzunehmen, soweit sie bereits ausgeübt wurden68 • Eine bedeutende Innovation war des weiteren das immer stärkere Bekenntnis zu einem internationalisierenden Ansatz. Bereits die Ford­ Regierung hatte die Errichtung multinationaler Anlagen für Uranan­ reicherung, vor allem aber für Wiederaufarbeitung ins Gespräch ge­ bracht69, doch der Gedanke war alsbald in den Hintergrund getreten. Es läßt sich schwer ausmachen, inwieweit es sich damals um mehr als einen eher taktisch motivierten Diskussionsbeitrag gehandelt hatte70 . Die Carter-Regierung vermied es, für das Sondermodell von Regional­ anlagen einzutreten71 , vielmehr setzte sie sich allgemein für die Unter­ stellung sensitiver Anlagen unter internationale bzw. multilaterale Kontrolle ein72 . In diesem Punkt trat das neue „Entstaatlichungskon­ zept" besonders deutlich hervor. Die wohl wichtigste Kursänderung erfolgte auf prozeduraler Ebene. Die Auseinandersetzungen um die Weltnuklearordnung waren bis 1977 weitgehend „wild" gewesen. Gewiß, es hatte den - teilweise ge­ lungenen - Versuch einer Koordination der Lieferanten im sog. Lon­ doner Club gegeben73 , im übrigen aber waren die Staaten weitgehend 66 ,, . • • assuring reliable fuel supplies for nations accepting new re­ straints . . . " ; vgl. ibid. (Anm. 63) S. 633. 67 Carter-Botschaft vom 27. 4. 1977 : ,, . . . instead of requiring countries that want our nuclear exports to foreswear fuel enrichment and reprocessing for all time, it (seil. the bill) allows us to draft new agreements using incentives to encourage countries not to acquire such facilities", ibid. (Anm. 58) S. 478. Die Zurückhaltung beruhte auf einer nüchternen Einsicht in die ,,limitations of a policy of denials" (Nye am 6. 5. 1977 in einer Kongreß­ anhörung, Dept. of State Bull. 76 S. 560 [30. 5. 1977]). us Carter nannte ausdrücklich Deutschland und Japan, Dept. of State Bull. 76 s. 433 (2. 5. 1977). ee Vgl. oben Anm. 41. 10 In Kissingers Erklärung vom 9. 3. 1976 spielten solche Anlagen eine untergeordnete Rolle (Hearings on S. 1439, S. 770 f.). Präsident Fords Ver­ lautbarung vom 28. 10. 1976 war noch viel vorsichtiger (,,desirable to continue studying the idea . . . "), vgl. ibid. (Anm. 18) S. 633. 1 1 Carter am 7. 4. 1977 : "Regional plants under tight international control obviously is one option that we would explore" (ibid. [Anm. 59] S. 432). Auch Kaiser (Welt-Nuklearordnung, S. 160) stellt die zunehmende Skepsis gegen­ über dem Regionalansatz fest. Demgegenüber erfreute sich dieser namentlich im US-amerikanischen Schrifttum einiger Beliebtheit, vgl. z. B. Doub / Dukert, S. 769 f. 72 Carter bereits am 23. 1. 1977 (Anm. 57). Vgl. auch die Kritik von Bargman (S. 161) : "inconsistency in this regard has characterized US nuclear diplo­ macy." 1a Vgl. unten C.I.2.

1. Exekutive für „negative Anreize" und Konzertierung

97

auf sich allein gestellt gewesen. Schon deshalb, weil etliche wichtige Staaten sowohl Empfänger wie Lieferanten waren, kam es nicht zu einem bipolaren Gegeneinander wie bei Tarifvertragsparteien. Viel­ mehr hatte man es mit einem plurizentralen Meinungsbildungsprozeß zu tun, bei dem die unterschiedlichsten Mittel eingesetzt wurden (na­ tionale Grundsatzerklärungen, einseitige Maßnahmen, diplomatische Schritte, sonstige bilaterale Kontakte, Verträge usf.). Mag es auch an geordneten multinationalen Aussprachen nicht gefehlt haben (IAEA, UN-Generalversammlung, NPT-Überprüfungskonferenz, CCD), so war hier doch der Versuch, einen Rechtswandel herbeizuführen, insgesamt von dem Bild eines merkwürdig klassisch-anarchischen Verfahrens in einer noch wenig organisierten Staatenwelt geprägt. Die Carter-Regierung hielt es nunmehr für wünschenswert, auch über die zivile Kernenergienutzungsordnung eine internationale Konzertie­ rung in Form eines institutionalisierten Dialogs aller interessierten Staaten herbeizuführen, also auch im nuklearen Bereich zu j ener systematischen Konsenssuche74 in geordneten Bahnen überzugehen, auf die sich die Völkergemeinschaft in so vielen anderen Sektoren des internationalen öffentlichen Lebens begeben hat 75 • Sie luden ein zu der ,,Internationalen Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufs" (Inter­ national Nuclear Fuel Cycle Evaluation, INFCE) 76 und damit zu der Schaffung eines Forums, welches zwar ausdrücklich nur Studienauf­ gaben wahrnehmen sollte77, von dem aber auch politische Anstöße er­ wartet wurden78 • Die USA verstanden INFCE jedenfalls als ein „ key element " im Rahmen von „the development of an international regime of norms and institutions that will provide the widest possible separa­ tion between peaceful applications and potential military uses while enabling countries to meet their energy needs " 79 bzw. als „part of the 74 „Building consensus", so wörtlich J. S. Nye am 3. 10. 1977, Dept. of State Bull. 77 S. 669 (14. 1 1 . 1977). 15 Etwa : Seerecht, transnationale Gesellschaften, die Vielzahl von Ver­ handlungen im Rahmen der UNCTAD. 76 Carter am 7. 4. 1977, ibid. (Anm. 59) S. 430. Insgesamt wohlwollende Aufnahme durch das Londoner Wirtschaftsgipfeltreffen im Mai 1977, vgl. Anhang zur Schlußerklärung vom 8. 5. 1977, Dept. of State Bull. 76 S. 585 (6. 6. 1977) = Bull. 1977 S. 448 (Nr. 49, 1 1 . 5. 1977). - s. dazu Nye am 23. 10. 1978, Dept. of State Bull. 79 No. 2022 (Jan. 1979) S. 41. - Vgl. näher unten

C.11. 1.

77 „Technical and analytical study", so das Schlußkommunique der INFCE­ Organisationskonferenz vom 21. 10. 1977, Dept. of State Bull. 77 S. 662 (14. 1 1 . 1977). Vgl. auch die treffende Würdigung von Nye am 23. 1 0 . 1978, ibid. (Anm. 76) S. 41 : "a pioneering effort at international assessment." 78 Vgl. Carter am 7. 4. 1977, ibid. (Anm. 59) S. 431 : " . . . so that we can share with countries that have to reprocess nuclear fuel the responsibility for curtailing the ability for the development of explosives." 10 Nye am 23. 10. 1978, ibid. (Anm. 76).

7 Prlll

98

B.I. Ein neues US-Dogma

political process of laying a basis for a stable international regime to govern nuclear energy" 8 0. An dieser Stelle sei nun zusammengefaßt, welche Modellvorstellun­ gen die US-Exekutive unter der Carter-Präsidentschaft für diese fest­ gefügte internationale Ordnung entwickelt hat81 . Vorweg sei festgehal­ ten, daß sich die Carter-Regierung nicht ausschließlich auf die Verhin­ derung der Kernwaffenkapazität konzentrierte, sondern auch die Grün­ de zu beseitigen bemüht war, die einen Staat dazu bewegen könnten, nach Kernwaffen zu streben (,, motivation" bzw. ,,incentives"). Es sollte vermieden werden , daß es Staaten in ihrem Sicherheitsinteresse für er­ forderlich hielten, Kernwaffen zu erwerben. Dem sollten Sicherheits­ garantien und Rüstungskontrollmaßnahmen entgegenwirken, beispiels­ weise SALT, ein umfassendes Teststoppabkommen82 und der Tlatelolco­ Vertrag8 3. Die Entstehung von Kernwaffenkapazität (,,capabilities" bzw. ,,oppor­ tunities") in weiteren Staaten sollte mit folgendem Programm aufge­ halten werden: Erstens umfassende Sicherheitskontrollen über alle zivilen Nuklearaktivitäten, unbeschadet der Mängel dieses „Einbrecher­ alarmsystems" 8 4 ; zweitens die Vermeidung unnötiger Verbreitung sen­ sitiver Anlagen, und zu diesem Zweck Exportbeschränkungen, geeig­ nete Lieferbedingungen (z. B. Erlaubnisvorbehalt für die Wiederaufar­ beitung gelieferten Kernbrennstoffs) sowie Maßnahmen, die die zivile Nutzung der Kernenergie zu gewährleisten versprechen (z. B. Liefer­ garantien für Kernbrennstoff, Brennstoffzentren und internationale Endlagerstätten) ; drittens Entwicklung proliferationssicherer Techno­ logien (d. h. von solchen, die keine militärische Nutzbarkeit verheißen). Es handelte sich um ein transnationales Programm für „truly a trans­ national policy issue" 85 , hinführend zu einer völkerrechtlichen Ord­ nung für die zivile Kernenergienutzung, die nicht mehr allein von einer Registrierung etwa vorkommender Mißbräuche, sondern von einer Reglementierung der Nutzungsformen und -möglichkeiten ge­ prägt war8 6. Seine Tendenz war internationalisierend, im Interesse von 80 Nye, ibid. ; ebenso bereits am 12. 7. 1978, Dept. of State Bull. 78 No. 2019 (Oct. 1978) S. 42. 81 Grundlegend für die systematisierende Synopse sind die Erklärungen von J. S. Nye, insbesondere die Zwischenbilanz vom 23. 10. 1978 (vgl. Anm. 76). 82 Vgl. Anm. 14 oben in A.I. 8 3 Unterzeichnung von Zusatzprotokoll I durch die USA am 26. 5. 1977, dem Senat zugeleitet am 24. 5. 1978, Dept. of State Bull. 78 No. 2018 (Sept. 1978) s. 56. 8 4 Nye am 30. 6. 1977, Dept. of State Bull. 77 S. 185 (8. 8. 1977). Hauptaufgabe des Alarmsystems sollte es nach einer stereotypen Nye-Formel sein „to insure that we have as much time as possible for diplomacy to work". 85 Nye am 12. 7. 1978, ibid. (Anm. 80) S. 42.

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

99

Belangen der Weltsicherheit, doch die Abstriche von der souveränen Staatengleichheit sollten differenziert sein, wurden doch besondere Verantwortlichkeiten der beati possidentes in das Auge gef'aßt87 , wie­ derum im Hinblick auf Belange der Weltsicherheit. So stellte dieses Programm ein Ordnungsmodell mit durchaus hierarchischen , wenn nicht hegemonialen Zügen dar. 2. Die Neigung der Legislative zu Verboten und einseitigen Zwangsmaßnahmen

a) Ein Streit weniger um das Ziel als um Mittel, und planlose ad-hoc-Maßnahmen Die Vorstellungen, die im US-Kongreß zur zivilen Kernenergie-Nut­ zungsordnung entwickelt worden sind, verraten deutlich mehr Vor­ machtdenken als die der Exekutive. Das gilt nicht so sehr für die Grundzüge des Ordnungsmodells selber - insoweit strebte der Kon­ greß wie die Exekutive danach, den Nichtkernwaffenstaaten autonome Entscheidungen über sensitive Aktivitäten möglichst aus der Hand zu nehmen -, sondern vor allem für das Verfahren seiner internationa­ len Durchsetzung. Der Kongreß hielt nicht viel von Konzertierung j edenfalls war er nicht geneigt, sie abzuwarten -, vielmehr setzte er auf das Vermögen der USA, das neue Konzept auf internationaler Ebene einseitig durchzusetzen88 • Sieht man von den wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen ab, die diese Haltung zweifellos mitbe­ stimmt haben, so stand dahinter gewiß auch die - wie auch immer deutlich artikulierte - Vorstellung, die Vereinigten Staaten trügen in Fragen der Weltsicherheit eine überragende Verantwortung89 , die es ihnen geradezu zur Pflicht mache, energische Maßnahmen zugunsten 86 Vgl. Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S. 154 : Übergang „von der Feststel­ lung von Verletzungen zu deren Verhinderung". 87 Präsident Carter am 4. 10. 1977 vor der UN-Generalversammlung : " . . . it (seil. the existence of nuclear weapons) imposes two solemn obligations on the nations which have the capacity to export nuclear fuels and technologies - the obligation to meet legitimate energy needs and, in doing so, the obligation to ensure that nothing we export contributes, directly or in­ directly, to the production of nuclear explosives" (A/32/PV 18, para. 21). Bemerkenswerterweise wird hier auch den zivilen Nuklearmächten eine erhöhte Verantwortung zugesprochen. 88 Aufschlußreich der „Outline of Issues" für die Anhörung Kissingers mit der oben (Anm. 7) zitierten Frage. 89 Sen. Percy (Illinois), Hearings on S. 1439, S. 8: " . . . this Nation has a tremendous moral responsibility to do everything that it can to face the danger that all mankind faces." Vgl. die scharfe Formulierung von Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S. 159 : ,,Die Vereinigten Staaten vertraten den Stand­ punkt, wenn nicht einige wenige Länder die Verantwortung für die übrige Welt auf sich nähmen, würde vermutlich wenig geschehen . . . "

7•

100

B.I. Ein neues US-Dogma

einer proliferationsfeindlichen zivilen Kernenergie-Nutzungsordnung zu ergreifen. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die Anre­ gung einiger Senatoren, die USA sollten mit der UdSSR dabei ge­ meinsam vorgehen90 ; auch hier klingen vielleicht gewisse Bevorrech­ tigungen des Supermachtstatus an91 • Die Vorstellungen des Kongresses fanden schließlich legislativ Aus­ druck in dem Nuclear Non-Proliferation Act vom 10 . März 1978. Da er die US-Regierung innerstaatlich bindet, ist er geeignet (und dazu be­ stimmt), mittelbar auch im völkerrechtlichen Rahmen Wirkung zu ent­ falten; deshalb muß sein Text hier untersucht werden. Auf die Ge­ setzgebungsbemühungen 1974 - 1 977 soll nur kurz und nur insoweit eingegangen werden, als sie Rückschlüsse auf die völkerrechtspolitisch interessante Grundhaltung des Kongresses bzw. auf starke Strömun­ gen gestatten. Im Schrifttum sind sie überdies wiederholt ausführlich dargestellt worden92 • Nur wenige der einschlägigen Gesetzesinitiativen hatten in diesem Zeitraum Erfolg. So änderte der Kongreß den Atomic Energy Act da­ hingehend, daß fortan auch US-Kooperationsabkommen über zivile Reaktor- und Kernbrennstofflieferungen seiner Ablehnung durch eine (vetosichere) concurrent resolution unterlagen93 • Im Foreign Assistance Act 1 974 bestimmte er außerdem, 1 975 dürften die Zuwendungen an Indien $ 50 Mio. nicht überschreiten, und die bewilligten Mittel dürften nicht zu dem Zweck eingesetzt werden, Bau, Betrieb oder Unterhaltung eines Kernkraftwerks in Israel oder Ägypten oder die Brennstoff­ lieferung dafür zu finanzieren94 . Hier kündigte sich im nuklearen Be90 Sen. Brock (Tennessee), Glenn (Ohio), Ribicoff (Connecticut), Hearings on S. 1439, s. 44 (Ribicoff: "ls this not an opportunity for the United States to find an issue that has worldwide significance on which the United States and the Soviet Union agree, to use their combined power - against other countries . . . ? "), 45, 52, 764, 775 f., 778, 779, 792. Am Rande sei vermerkt, daß Sen. Ribicoff nachdrücklich zu gemeinsamem Vorgehen gegen Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland aufrief - ,,two irresponsible countries in the field of nuclear proliferation" (S. 780) - und sich insoweit sogar etwas von einem Appell an die Bevölkerung dieser Länder versprach (S. 779). Die ausdrückliche Rechtfertigung eines solchen Schritts damit, daß „the issue involves the overwhelming and universal fear of nuclear holocaust" (S. 789), also mit Belangen der Weltsicherheit, weist diese Beiträge als Plädoyer für einen bevorrechtigenden und bevorrechtigten Sonderstatus der beiden größten Nuklearmächte im gesamten nuklearen Bereich aus. 91 Sen. Brock (Tennessee), Hearings on S. 1439, S. 52 : " . . . we (seil. United States, Russia) are the only two that have the capacity to lead in this area. No one else really matters that much." 92 Doub I FideU, Bauser; vgl. außerdem den Administrative Survey : Octo­ ber 1975 to September 1976, S. 222 - 224, 229 f. 93 26. 10. 1974, Pub.L. 93 - 485, § 1 = 42 USC § 2353 (d). Den Anstoß dazu hatten der indische Nukleartest sowie die angekündigten Geschäfte mit Ägypten und Israel gegeben, vgl. Doub I FideH, S. 9 1 7 ; Goldschmidt / Kratze'", s. 34.

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

101

reich j ene Prohibitionstechnik an, die der Kongreß ansonsten gerne und eigentümlich selektiv - im Interesse des Menschenrechtsschut­ zes95 , aber auch zur Verteidigung wirtschaftlicher oder allgemeinpoli­ tischer US-Belange anwandte96 • Dies ging so weit, daß bestimmte Län­ der von j eglicher finanzieller Unterstützung explizit ausgeschlossen wurden9 7 • Weitergehend, weil den Bereich bilateraler Beziehungen ver­ lassend, war eine Änderung des International Development Association Act von 1960 98 , durch welche der US-Gouverneur in der Internationa­ len Entwicklungsorganisation (IDA) angewiesen wurde (,,directed" !) ,,to vote against any loan or other utilization of the funds of the Association for the benefit of any country which develops any nuclear explosive device, unless the country is or becomes a State Party to the Treaty on Non-Proliferation of Nuclear Weapons (2 1 UST 483)" 99 • Diese Be­ stimmung wurde zwar drei Jahre später durch den International Finan­ cial Institutions Act von 1977 100 aufgehoben, doch auch dieses Gesetz enthielt Vorschriften, mit denen auf das Abstimmungsverhalten der US-Vertreter in den vier universalen Finanzinstituten und in den drei regionalen Entwicklungsbanken Einfluß ausgeübt werden sollte. Die US­ Direktoren wurden dazu angehalten (,,instructed"), sich gegen j egliche Bereitstellung von Mitteln zugunsten solcher Länder zu wenden (,,to oppose"), deren Regierungen grobe Menschenrechtsverletzungen be­ trieben oder terroristischen Flugzeugentführern Unterschlupf gewähr­ ten, es sei denn „such assistance is directed specifically to programs which serve the basic human needs of the citizens of such country" ; und zu den Entscheidungskriterien sollte u. a. die Frage gehören, ob das Empfangsland Kernsprengkörper gezündet habe und/oder dem NPT 94

176.

30. 12. 1974, Pub.L. 93 - 559, §§ 27, 43 ; Text auch in ILM 14 (1975) S. 171,

9 5 Vgl. die Menschenrechtsklauseln im Foreign Assistance Act of 1961, eingeführt einerseits durch den International Development and Food As­ sistance Act of 1975 (Pub.L. 94 - 161 vom 20. 12. 1975 ; Text = ILM 15 [1976] S. 1 19), § 116 = 22 USC § 2151 n, geändert durch Pub.L. 95 - 88 und Pub.L. 95 - 105 (3. und 17. 8. 1977), Text in ILM 16 (1977) S. 1510, 1498 (insoweit nicht abgedruckt), sowie durch Pub.L. 95 - 424 vom 6. 10. 1978, ILM 18 (1979) S. 186 f., andererseits durch den Foreign Assistance Act of 1974, Pub.L. 93 - 559 vom 30. 12. 1974, geändert durch Pub.L. 94 - 329 vom 30. 6. 1976, ILM 15 (1976) S. 1 197, Pub.L. 95 - 105 vom 17. 8. 1977 und Pub.L. 95 - 384 vom 26. 9. 1978, ILM 18 (1979) S. 195. 96 Dazu (mit Beispielen) Henkin, S. 113 - 116. 97 Für das Haushaltsjahr 1979 Vietnam, Kambodscha, Uganda und Kuba, § 602 des Pub.L. 95 - 424 vom 6. 10. 1978, ILM 18 (1979) S. 193 ; für 1980 die­ selben Staaten mit Ausnahme von Uganda, § 506 des Pub.L. 96 - 53 vom 14. 8. 1979 (International Development Cooperation Act of 1979), ILM 18 (1979) S. 1534. Vgl. auch Loescher. 9 8 Pub.L. 86 - 565 vom 30. 6. 1960 = 22 USC §§ 284 - 284 g. 99 Pub.L. 93 - 373 vom 14. 8. 1974, § 3 = 22 USC § 284 m; Text auch in ILM 13 (1974) s. 1216. 1 00 Pub.L. 95 - 118 vom 3. 10. 1977.

B.I. Ein neues US-Dogma

102

ferngeblieben sei 1°1 . Der Kongreß konnte nur mit Mühe davon abgehal­ ten werden, förmlich die Abgabe von Gegenstimmen vorzuschreiben und in den Foreign Relations Authorization Act, Fiscal Year 1978 eine schwarze Liste von sieben Staaten aufzunehmen ; dazu hatte es einer schriftlichen Zusage von Präsident Carter bedurft, die US-Vertreter würden sich fortan diesen Kongreßwünschen gemäß verhalten 102 . Es kann kein Zweifel bestehen, daß derartige Richtlinien mit den Grün­ dungsverträgen nicht in Einklang zu bringen sind, die die Geschäfts­ tätigkeit der Organisationen an entwicklungspolitische Zielsetzungen binden und andere, insbesondere politische Erwägungen ausdrücklich untersagen10 3 . Die Kongreßanweisungen verdienen aber nicht so sehr aus diesem Grund im Rahmen dieser Arbeit Aufmerksamkeit, sondern deswegen, weil sie für das methodische Vorgehen bezeichnend sind, mit dem der Kongreß seinen - keineswegs immer menschenrechtlich orien­ tierten104 - Überzeugungen Geltung verschaffen möchte. Diese sollen von den - innerstaatlich an die nationale Rechtsordnung gebundenen - Organen der USA als völkerrechtlicher Handlungseinheit interna­ tional durchgesetzt (,,ausgeführt " ) werden; Konflikte mit dem gelten­ den Völkerrecht werden in Kauf genommen. Der Hochhaltung des Unilateralismus entsprechen auch die beiden letzten Gesetze der Jahre 1974 - 1 977, die hier angesprochen werden sollen. Zunächst sei der International Security Assistance and Arms Export Control Act of 1 976 genannt, und zwar speziell das sog. 1 01 § 701

22 USC § 262 d, subparas. (a), (b) (3), (f). S. 150 f. Auf der Liste standen Angola, Kambodscha (bzw. Kamputschea), Kuba, Laos, Mosambik, Uganda, Vietnam. Der Katalog weckt die Vermutung, daß es dem Kongreß weniger um Menschenrechtsschutz als darum ging, kommunistische Regimes zu treffen, die den USA politische Niederlagen bereitet hatten. Es erscheint erwähnenswert, daß die vom Pub.L. 95 - 118 in § 701 verwendete Formel „consistent pattern of gross violations of internationally recognized human rights" an ECOSOC-Res. 1503 (XLVIII) betr. Petitionsverfahren erinnert, und daß im Zusammenhang mit diesem Verfahren mit Uganda bisher erst ein Staat von der US-Liste öffent­ lich genannt worden ist (neben acht anderen Ländern, vgl. VN 26 [1978] s. 99). 103 Vgl. beispielsweise Art.I und III Abschnitte 1 (a), 5 (b) Weltbankab­ kommen; Art. I und III Abschnitt 9 !FC-Abkommen; Art. I und V Abschnitt 6 !DA-Abkommen. Die auf Menschenrechtsschutz abzielenden Richtlinien ließen sich äußerstenfalls mit dem. Argument verteidigen, die Finanzinstitute dürften Menschenrechtsverletzungen gegenüber nicht gleichgültig bleiben, da sie letztlich der Verwirklichung (wirtschaftlicher und sozialer) Menschen­ rechte dienten. 1 04 So wollte der Kongreß 1977 den US-Vertretern in den Finanzinstituten auch die Auflage machen, gegen Zusagen für die Förderung von Projekten zu stimmen, die der Erzeugung von Zucker, Palmöl und Zitrusfrüchten dienten, wenn diese für den Export bestimmt seien und amerikanischen Herstellern gefährlich werden könnten ; auch von diesem rein protektio­ nistisch motivierten Plan konnte der Kongreß nur durch feste Zusagen Carters abgebracht werden.

=

1 02 Loescher,

2.Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

103

Symington Amendment dazu105 • Letzteres verbot Wirtschafts- oder Militärhilfe an Länder, die Wiederaufarbeitungs- oder Anreicherungs­ ausrüstungen, -materialien oder -technologie anderen Ländern liefer­ ten oder dieselben entgegennähmen "unless before such delivery (i) the supplying country and receiving country have reached agreement to place all such equipment, materials, and technology, upon delivery, under multilateral auspices and management when available; and (ii) the recipient country has entered into an agreement with the Inter­ national Atomic Energy Agency to place all such equipment, materials, technology, and all nuclear fuel and facilities in such country under the safeguards system of such Agency." Der Präsident sollte mit bestimmten Begründungen Ausnahmen zulassen dürfen, gegen die der Kongreß dann mit einer (veto-unter­ worfenen) j oint resolution würde vorgehen können 106 • Die praktische Bedeutung des Gesetzes war gering. Zum einen konnten ernsthaft nur Brasilien und Pakistan davon betroffen sein 107 ; zum anderen gab es damals - und gibt es heute - keine „multilateral auspices and management" , die verfügbar (,,when available " !) gewesen wären oder sind. Die Interpretationsversuche, den - erst in den Ausschußbera­ tungen eingefügten 108 - Passus „when available" im Sinne einer so­ fort wirksamen, weil sofort erfüllbaren109 Bedingung zu verstehen, sind sicherlich falsch. Gleichwohl ist das Symington Amendment inso­ fern bemerkenswert, als es ein weiteres Beispiel für die Überzeugung darstellt, der Kongreß könne mit gesetzgeberischen Maßnahmen dazu beitragen, daß sein Nonproliferationskonzept (hier: keine Weitergabe sensitiver Ausrüstungen, Materialien, Technologie in nationale Ver­ fügungsgewalt) auf internationaler Ebene beachtet werde (hier: durch Sanktionsandrohung für den Fall des Zuwiderhandelns) 1 1 0 • Erwähnt sei schließlich auch die Neufassung des sog. Symington Amendment durch den International Security Assistance Act of 1977 11 1 .

1 0s Pub.L.94 - 329 vom 30. 6. 1976, § 305 = 22 USC § 2429 (ILM 15 [1976] S. 1210 f.) ; vgl. Doub / Fidell, S.923 - 927 ; Bauser, S.244 - 248. 1 00 Ursprünglich war eine (vetosichere) concurrent resolution vorgesehen, doch u. a. deswegen hatte Präsident Ford gegen die erste Fassung des Ge­ setzes Veto eingelegt, vgl. unten Anm. 1 18. 1 01 Ebenso Bauser, S. 247 Fn. 96. Im Fall Pakistan kam es tatsächlich zur Einstellung der Militärhilfe, vgl. Tahir-Kheti, S.370. tos Doub / Fidell, S. 925. 109 So Sen. Glenn, vgl. Doub / Fidell, S.926 ; Bauser, S.247 f. 1 1 0 "Opinions will differ on the propriety and wisdom of attempts such as this to legislate not only the domestic policy of another State, but its relations with third parties as well" (Doub / Fidell, S.926). 1 1 1 Pub.L.95 - 92 vom 4.8. 1977, § 12 = 22 USC §§ 2429, 2429 a. Text : ILM 16 (1977) s. 1518.

104

B.I. Ein neues US-Dogma

Die einschlägige Bestimmung dieses Gesetzes trifft für die Wiederauf­ arbeitung eine sehr viel schärfere Regelung als ihr Vorgänger. Von der ungewissen Aussicht auf „ multinational auspices and management" ist insoweit nicht mehr die Rede, vielmehr besagt das Gesetz: Staaten, die am oder nach dem 4. August 1977 Wiederaufarbeitungsausrüstungen, -materialien oder -technologie weitergeben oder entgegennehmen, oder einen Kernsprengkörper zünden (Ausnahmen im letztgenannten Fall: China, Frankreich, UdSSR, Vereinigtes Königreich), verwirken jeg­ liche US-Wirtschafts- und Militärhilfe112 • Unerwünschte Geschäfte zwi­ schen Dritten sollen also zu US-Sanktionen führen. Die Frage drängt sich auf, ob hier unzulässiger wirtschaftlicher Druck ausgeübt wird. Eine Antwort soll nach Darstellung des Nuclear Non-Proliferation Act von 1978 versucht werden, der ähnliche Probleme aufwirft113 • b) Der Nuclear Non-Proliferation Act als Versuch einer Globallösung

Der Nuclear Non-Proliferation Act vom 10. März 1978 1 1 4 (im folgen­ den: NNPA) baut auf mehreren Gesetzentwürfen auf, die im 94. Kon­ greß von unterschiedlichen Mitgliedern beider Häuser eingebracht, aber - überwiegend aus Zeitmangel - nicht mehr verabschiedet worden waren. Diese beruhten nicht auf einem geschlossenen Konzept, viel­ mehr handelte es sich zumeist um Entwürfe, die mit dem Nonprolife­ rationsthema kaum etwas zu tun hatten115, dann aber auf Grund von 1 1 2 Keine Unterstützung für „any country which on or after August 4, 1977 (1) delivers nuclear reprocessing equipment, materials, or technology to any other country or receives such equipment, materials, or technology from any other country (except for the transfer of reprocessing technology as­ sociated with the investigation, under international evaluation programs in which the United States participates, of technologies which are alter­ natives to pure plutonium reprocessing) ; or (2) is not a nuclear-weapon state as defined in article IX (3) of the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons and which detonates a nuclear explosive device". Der Präsident darf die Hilfe fortführen, wenn ihr Abbruch „would be seriously prejudicial to the achievement of United States nonproliferation objectives or otherwise jeopardize the common defense and security". In seiner Erklärung bei Unterzeichnung des Gesetzes ging Präsident Carter auf diesen Artikel nicht ein, siehe Dept. of State Bull. 77 S. 361 (12. 9. 1977). 11s s. u. Il.3.a. - Zu weiteren Gesetzen des Jahres 1977 mit Nonprolife­ rationsaspekten siehe Donnelly, S. 23 (Export Administration Act Amend­ ment), 26 (Export-Import Bank Act Extension), 27 (Foreign Assistance and Related Programs Appropriations Act). 11 4 Pub.L. 95 - 242. Text auch in ILM 17 (1978) S. 397. Deutsche übersetzung (in großen Auszügen) : Die Friedens-Warte 60 (1977) (erschienen Ende März 1979), s. 273. 115 Export Reorganization Act, Nuclear Explosive Proliferation Control Act, Export Administration Act (Verlängerung des Gesetzes von 1969), ERDA

2.Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

105

Änderungsanträgen mit entsprechenden Bestimmungen stückwerkartig angereichert und teilweise davon sogar beherrscht wurden11 6 • Eine Schilderung der Einzelheiten kann hier unterbleiben; die meisten Vor­ schläge kehrten im NNPA wieder, wenn auch z.T. in modifizierter Form. Ebensowenig bedarf es vorweg einer Analyse der verschiedenen Etappen des Verfahrens im 95. Kongreß, namentlich des dort auch vorgelegten Regierungsentwurfs; einzelne Punkte werden, soweit im Rahmen des Gesamtthemas interessant, im Zusammenhang mit den schließlich verabschiedeten Regelungen zur Sprache kommen.

Der NNPA ist dem minutiösen Studium schwer zugänglich1 1 7 • Zwar umfaßt er nur 33 Artikel, doch etliche davon dürfen getrost als legis­ lative Bandwürmer qualifiziert werden. Verschiedene Regelungsge­ genstände werden mehrfach bzw. vielfach angesprochen, was wohl u. a. darauf zurückzuführen ist, daß der NNPA auf den diversen Gesetz­ entwürfen des 94. Kongresses aufbaut. Des weiteren wird das Ver­ ständnis des NNPA dadurch erschwert, daß dieser sich nicht darauf beschränkt, die Antiproliferations-Außenpolitik der USA bestimmen zu wollen, sondern gleichzeitig auch die Aufgabenverteilung zwischen Kongreß und Präsident sowie darüber hinaus die Kompetenzverteilung zwischen den Exekutivorganen regelt. Gerade die Stärkung der Kon­ greßmacht - der Kongreß hat sich in sechs Fällen das letzte Wort in Form einer (vetosicheren) concurrent resolution zugesprochen - be­ rührt die internationale Stellung der USA unmittelbar. Sie hat den Präsidenten veranlaßt, bei der Ausfertigung des NNPA den Vorbehalt zu erklären, er erkenne darin einen Verstoß gegen seine verfassungs­ kräftigen Prärogativen118 • authorization bill ; vgl. zu den wechselvollen Beratungen Doub / Fidel!, S.927 ff. ; Bauser, S. 248 ff. 116 „piecemeal approach to the subject", so treffend Doub / Fidel!, S.944. 111 ., • • • desire to regulate the most minute detail . ..", ,,Extreme com­ plexity ...", so zutreffend Bettauer, S.1175, 1176; ,,highly complicated law", Goldschmidt / Kratzer, S. 50 ; ,,complex document", Donnelly, S. 1; ähnlich Patermann, Nuklearexportgesetzgebung, S.413. 1 1 8 " • • • I am not agreeing that the Congress can overturn authorized executive actions through procedures not provided in the Constitution." (Präsident Carter, 10.3.1978, Dept. of State Bull. 78 No.2013 [April 1978] S. 50.) Erneuter Bezug auf „reservations ... concerning the constitutionality of provisions of that Act (seil. NNPA)" anläßlich der 1. Executive Order gern. Art.126 (b) (2) NNPA bereits am 27.4.1978 im Fall Tarapur (Indien), vgl. Dept. of State Bull.78 No.2016 (July 1978) S. 47. - Vgl. allgemein zu dem Problem des „legislative veto" Bolton, S.31 ff., Henkin, S. 120 - 123, Corwin, S. 31 f., und die Botschaft des Präsidenten an den Kongreß vom 21. 6. 1978, in der Carter seine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Ein­ wände vorträgt, den Kongreß zum Verzicht auf entsprechende Gesetzes­ klauseln drängt, hilfsweise sein präsidentielles Veto androht und abschlie­ ßend erklärt, ein legislatives Veto werde er nicht als rechtsverbindlich anerkennen (Text : ILM 17 [1978] S.1038 f. - Bereits Präsident Ford hatte sein Veto vom 7.5.1976 gegen die ursprüngliche Version des International

B.I. Ein neues US-Dogma

106

Die Regelungstechnik, die der NNPA verwendet, ist an die Zielrich­ tung angepaßt, der Exekutive Verhaltensrichtlinien und -anweisun­ gen zu erteilen und die Überwachung der Durchführung in besonders wichtig erscheinenden Fragen dem Kongreß anzuvertrauen. Besonders häufig wird das Mittel eines „Verbots mit Erlaubnisvorbehalt" einge­ setzt (Formel z. B. ,,unlawful . . . except" , ,, may not . . . until/unless"), wobei eine „ Erlaubnis" entweder bei Vorliegen bestimmter (im NNPA genau umschriebener) Bedingungen oder aber ausnahmsweise erteilt werden kann (bzw. eine im Grundsatz verbotene Handlung unter ge­ wissen Voraussetzungen zulässig ist) ; die entsprechende „ Erlaubnis" steht dann oft unter dem Vorbehalt einer Aufhebung durch den Kon­ greß mittels concurrent resolution und darf , um dem Kongreß Gele­ genheit zur Überprüfung zu geben, während einer bestimmten Frist (in der Regel sechzig Tage ununterbrochener Sitzungsperiode) nicht ausgeführt werden. Außerdem werden dem Präsidenten in z. T. starker Sprache (,, urged to seek", ,,shall take immediate and vigorous steps") Aufträge für internationale Verhandlungen erteilt. Folgende NNPA-Regelungen erscheinen im einzelnen hervorhebens­ wert : aa) Prämissen und allgemeine Zielrichtungen Der NNPA nimmt die zivile Nutzung der Kernenergie und die inter­ nationale Verbreitung der entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten gewissermaßen als Faktum hin. Er zollt ihr keine Anerkennung und bewertet sie erst recht nicht als förderungswürdig, geschweige denn als Aufgabe, zu der die Staatengemeinschaft und insbesondere die USA beitragen müßten. Insoweit ist bezeichnend, daß unter der verheißungs­ vollen Überschrift „ United States Assistance to Developing Countries" die Entwicklung alternativer Energiequellen in den Vordergrund ge­ stellt wird (§ 501 1 1 9 ; vgl. auch § 2 (d) 120) . Das alles überragende Anliegen des Gesetzgebers war die Unterbindung der Proliferation. Das wird vor allem in der Anweisung an den Präsidenten deutlich, in seinem fortan jährlich zu erstattenden Gesamtbericht u. a. ein „ assessment of whether any of the policies set forth in this Act have, on balance, been counterproductive from the standpoint of preventing proliferation" abzugeben (§ 601 (a) (4) 1 2 1 ) . Schon die ersten Zeilen des NNPA unter­ streichen die Abkehr von dem alten Ansatz des NPT. War der NPT Security Assistance and Arms Export Control Act of 1976 u. a. mit pointier­ ten verfassungsrechtlichen Einwänden gegen „the disapproval procedures contemplated in this bill " begründet (Dept. of State Bull. 74 S. 740 f. [7. 6. 1976]). 119 22 120 22 121 22

usc usc usc

§ 3261. § 3201. § 3281.

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

107

gegen die „proliferation of nuclear weapons" gerichtet und demgemäß als „Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons" bezeichnet, so beschreibt sich der nur vordergründig knapp betitelte „Nuclear Non-Proliferation Act" als „An Act to provide for more efficient and effective control over the proliferation of nuclear explosive capability" . Der NNPA wendet sich offen gegen die „direct capability to manufac­ ture or otherwise acquire such (seil. nuclear explosive) devices" (§ 2) - also die latente oder potentielle Proliferation. Die Rüstungskon­ troll-Zweiteilung Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten soll sich demnach auch im zivilen Nutzungsbereich niederschlagen. Der NNPA hält diese Grundkonzeption dann freilich nicht konsequent durch. Schon in den ersten Artikeln des Gesetzes wird vorsichtig angedeu­ tet, die USA würden ihren Lieferverpflichtungen gegenüber prolifera­ tionsträchtigen Staaten möglicherweise nicht nachkommen 122 • Die Ter­ minologie bei der Erfassung „ zuverlässiger" Länder ist allerdings uneinheitlich 123 • § 104 (d) 124 gewährt einen recht klaren Einblick in die Vorstellung, die der US-Gesetzgeber von solch einem proliferations­ feindlichen Staat hat: Dieser unterwirft seine gesamten zivilen Nu­ klearaktivitäten der IAEA-Kontrolle ; er errichtet keine neuen Anrei­ cherungs- oder Wiederaufarbeitungsanlagen ; bestehende Einrichtun­ gen dieser Art unterstellt er „international auspices and inspection " (diese Modellbeschreibung wird übrigens unter der vielversprechenden Titelüberschrift „United States Initiatives to Provide Adequate Nu­ clear Fuel Supply" gegeben). Das Bild der legislatorischen Grundvor­ stellungen wird abgerundet durch ein Bekenntnis zur „ effective control by the United States over its exports of nuclear materials and equip­ ment and of nuclear technology" (§ 3 (d)) 125 • In dieser Bestimmung kann sich nur die Vorstellung einer über den Export hinausreichenden, mithin weltweiten US-Souveränität über nukleare US-Ressourcen ma­ nifestieren. Im Nuklearbereich hat nicht nur eine Transferpflicht also auszuscheiden, vielmehr soll es nur noch Formen gleichsam der Über­ lassung zu Gebrauch und Nutznießung geben. 122 z. B. § 2 : ,, . . . it is the policy of the United States to . . . (b) take such actions as are required to confirm the reliability of the United States in meeting its commitments to supply nuclear reactors and fuel to nations which adhere to effective non-proliferation policies" ; vgl. außerdem §§ 3 (b),

101, 104 (b).

12a "nations which adhere to effective non-proliferation policies" (§§ 2 (b), 3 (b)) ; "nations which adhere to policies designed to prevent proliferation" (§§ 1 0 1 , 104 (d)) ; "nations which adhere to strict policies designed to prevent proliferation" (§ 104 (b)). 124 22 usc § 3223. m 22 USC § 3202.

108

B.I. Ein neues US-Dogma

Es gilt nunmehr zu untersuchen, wie der US-Gesetzgeber diese Grundvorstellungen konkretisiert und auf die praktische Anwendung zugeschnitten hat. bb) Die Einzelregelungen

a) Verhandlungsaufträ g e Das mildeste Effektivierungsmittel des NNPA sind Anweisungen an Exekutivorgane, mit anderen Staaten Verhandlungen zu führen, um diese zur Übernahme der US-Kongreß-Vorstellungen zu bewegen. Die meisten wenden sich direkt an den Präsidenten. Keinen konkreten Adressaten nennt § 20! 1 26 , wonach die USA „ shall seek to act with other nations" , z. B. das „Safeguards-Programm" der IAEA zu stärken und die IAEA dazu zu bewegen, ,,to the maximum degree consistent with the Statute " Nuklearlieferländern Angaben zu übermitteln, welche solche Länder „ of adherence to bilateral commitments applicable to such supply" überzeugen könnten 1 27 • Auch § 203 128 bekundet schlicht eine Verhandlungsabsicht der „United States" . Es geht um Vereinba­ rungen darüber, wie auf Verletzungen materieller Verpflichtungen durch einen Staat im Bereich der zivilen Kernenergienutzung zu reagie­ ren sei (evtl. mit internationalen Sanktionen) . Das Bemerkenswerte an dieser Vorschrift ist, daß der US-Gesetzgeber internationale Gegen­ maßnahmen auch für den Fall wünscht, daß irgendein Land (any nation) gegen die NPT-Grundsätze verstößt. Das Problem der fehlenden Universalität des Nichtverbreitungsvertrages wäre endlich, und ein­ fach, gelöst: Dessen Prinzipien würden als gewissermaßen allgemein­ verbindlich erklärt und international durchgesetzt. Die übrigen Verhandlungsaufträge - sieht man von der weiteren Ausnahme des § 303 (a) = § 1 3 1 (b) (3) 1 29 Atomic Energy Act ab werden direkt dem Präsidenten erteilt. So soll dieser dafür Sorge tra­ gen, - daß sich alle Länder auf bestimmte Grundsätze für zivile Nuklear­ exporte verpflichten (z. B. IAEA-Kontrolle über alle zivilen Nu­ klearaktivitäten des Empfangsstaates, soweit dieser nicht Kern­ waffenstaat ist ; Anreicherung, Wiederaufarbeitung und Lagerung nur in Einrichtungen „under effective international auspices and inspection ") 1 30 ; 22 usc § 3241. Offenkundiger (wenn auch inhaltlich deutlich stärkerer) Vorläufer das sog. Zablocki-Amendment von 1976, vgl. Doub I Fidel!, S. 941 ; Bauser, S. 257. 128 22 usc § 3243. 12 9 42 usc § 2160. 1ao Vgl. im einzelnen § 403, 42 USC § 2153 b. 12 6

121

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

1 09

- daß geltende Abkommen der USA über Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zum Gegenstand von Neu­ verhandlungen gemacht werden, um sie an die neuen inhaltlichen Anforderungen des NNPA anzupassen, und zwar möglichst (,,shall vigorously seek to obtain . . . ") rückwirkend131 ; - daß für das Problem künftigen weltweiten Bedarfs an Kernbrenn­ stoffen ein internationaler Lösungsansatz entwickelt und speziell - unter maßgeblicher Beiteiligung der Lieferstaaten - eine inter­ nationale Kernbrennstoffbehörde (International nuclear fuel autho­ rity, INFA) errichtet wird , welche für ihre Lieferzusagen Bedin­ gungen stellen würde, die dem US-Kongreß besonders am Herzen liegen (Empfangsstaaten, die über keine Kernwaffen verfügen, ge­ statten eine IAEA-Totalkontrolle, verzichten auf Kernsprengkörper sowie den Bau neuer Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsan­ lagen und stellen bestehende Anlagen „ under effective international auspices and inspection") ; des weiteren, daß für eben diese „effec­ tive international auspices and inspection" , die neben den Brenn­ stoffdiensten auch für Endlagerstätten gelten sollten, Konzepte erarbeitet werden132 • Mit diesen detaillierten Anweisungen an die Exekutive 133 wird ins­ gesamt die Marschroute bestimmt, die die USA bei den Auseinander­ setzungen über die künftige Weltnuklearordnung einzuschlagen haben. Der NNPA läßt es aber nicht bei Verhandlungsrichtlinien bewenden, sondern trifft auch für die nukleare Zusammenarbeit der USA eine neue Regelung. Diese sei nunmehr vorgestellt. ß) Formalverb ote, Ausnahmeerlaubnisse

§§ 305 und 306 (= §§ 127, 128 Atomic Energy Act134) bestimmen die Kriterien für zivile US-Exporte von Ausgangs- und besonderem Kern­ material, von Einrichtungen für die Herstellung oder Verwendung besonderen Kernmaterials, und von j eglicher sensitiver Technologie. Im wesentlichen müssen folgende Voraussetzungen für den Export von Ausgangs- und besonderem Kernmaterial, von Einrichtungen zur Herstellung oder Verwendung von Kernmaterial und von j eglicher sensitiver Technologie erfüllt sein, und zwar mit sofortiger Wirkung und auch im Rahmen bestehender Kooperationsabkommen (§ 305) :

usc

§ 404, 42 § 2153 c. § 104, 22 USC § 3223. Weitere Verhandlungsaufträge an den Präsiden­ ten finden sich in §§ 105 (22 USC § 3224 ; betr. INFCE) ; 306 = § 128 AEA 13 1

132

(42

usc § 2157) ;

133

134

501 (22 usc § 3261). Sie sind in den USA nicht ungewöhnlich, vgl. Henkin, S. 1 12. 42 usc §§ 2156, 2157.

110

B.I. Ein neues US-Dogma

1 . Anwendung von IAEA-Sicherungsmaßnahmen gemäß Art. III Abs. 2 NPT über alle solchen für die Ausfuhr bestimmten Materialien und und Einrichtungen, über alle solchen Materialien und Einrichtun­ gen, di� zuvor ausgeführt worden waren und dem einschlägigen Kooperationsabkommen unterliegen, sowie über alle dort verwen­ deten oder durch die Verwendung davon hergestellten besonderen Kernmaterialien (d. h. daß hier wie bei den nachfolgenden Be­ stimmungen Materialien ohne US-Ursprung unberührt bleiben). 2 . Solche Materialien, Einrichtungen oder sensitive Kerntechnologie mit US-Herkunft werden nicht für Kernsprengkörper oder für ent­ sprechende Forschung und Entwicklung nutzbar gemacht werden. 3. Solche für die Ausfuhr bestimmten Materialien und Einrichtungen sowie dort verwendetes oder durch die Verwendung davon herge­ stelltes besonderes Kernmaterial werden Gegenstand angemessener Maßnahmen der physischen Sicherheit sein. 4. Die erneute Weitergabe an andere Länder oder Ländergruppen von solchen für die Ausfuhr bestimmten Materialien und Einrichtun­ gen oder von solcher sensitiven Kerntechnologie sowie von durch die Verwendung solchen Materials hergestellten besonderen Kern­ materials bedarf der vorherigen Zustimmung der USA. 5. Die Wiederaufarbeitung solchen für die Ausfuhr bestimmten Ma­ terials sowie von durch die Verwendung solchen Materials herge­ stellten besonderen Kernmaterials bedarf der vorherigen Zustim­ mung der USA. 6. Sensitive Kerntechnologie dieser Art darf nur ausgeführt werden, wenn die vorstehenden Bedingungen auf alle nuklearen Materia­ lien und Ausrüstungen Anwendung finden, die unter der Jurisdik­ tion des Empfangslandes bzw. der einführenden Ländergruppe mittels oder infolge der Verwendung solcher ausgeführten sensitiven Technologie hergestellt bzw. konstruiert werden. Der US-Kongreß ging davon aus, daß diese sofort anwendbaren Exportkriterien praktisch keinem der bestehenden Kooperationsab­ kommen widersprächen. Eine Ausnahme erkannte er bei Klausel 5, wo­ nach aus den USA geliefertes Kernmaterial nur mit Einwilligung der USA wiederaufgearbeitet werden darf, und zwar wegen der Abkommen mit EURATOM und der IAEA135 • Er nahm dies zum Anlaß, eine beson­ dere Übergangsregelung zu verabschieden, auf die sogleich einzugehen i ss So der Senate Report zum Gesetzentwurf, vgl. dazu Bettauer, S. 1 125 und Fn. 132. Zu Klausel 4 (erneute Weitergabe) sei angemerkt, daß EURA­ TOM auch von den USA als Einheit angesehen wird (Erinnerung daran im Senate Report, vgl. Bettauer, S. 1148). Das grenzüberschreitende Zirkulieren von Material innerhalb der Gemeinschaft stellt also keine „Weitergabe" dar.

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

111

sein wird. Zunächst sei j edoch ein zusätzliches Exportkriterium ange­ sprochen, das nach einer Übergangszeit von achtzehn/vierundzwanzig Monaten wirksam werden soll. Nach § 306 werden Material, Einrich­ tungen und Technologie nur noch an solche Nichtkernwaffenstaaten ausgeführt werden, die alle ihre zivilen Nuklearaktivitäten der IAEA­ Kontrolle unterstellt haben. Die Sonderstellung dieser Restriktion wird dadurch unterstrichen, daß ihr der NNPA einen eigenen Artikel „Addi­ tional Export Criterion . . . " widmet. Zwar schließt er dort an die kate­ gorische Formulierung des Verbots (,,no . . . export . . . unless") den Absatz an „The President shall seek to achieve adherence to the fore­ going criterion by recipient non-nuclear-weapon-States", doch der Ap­ pell an die Einwilligung der Betroffenen vermag nicht darüber hinweg­ zutäuschen, daß dieses Exportkriterium - im Gegensatz zu etlichen weiteren - nach Ablauf der höchstens zweijährigen Gnadenfrist schließlich auch ohne Zustimmung der importierenden Nichtkernwaf­ fenstaaten Wirksamkeit erlangen wird. Mit der Gnadenfrist wird aber immerhin der Anschein eines Konzertierungsbemühens gewahrt, und dafür gibt es auch unabhängig von dem Gesichtspunkt der US-Ver­ tragstreue einen guten Grund. Das Ansinnen einer vollständigen IAEA­ Kontrolle über die zivilen Nuklearaktivitäten eines anderen souverä­ nen Staates läßt sich nämlich schwieriger rechtfertigen als etwa Art. III Abs. 2 NPT, wonach sich ein Lieferstaat - vereinfacht ausgedrückt - IAEA-Sicherungsmaßnahmen für seine Nuklearexporte im Emp­ fangsstaat ausbedingen muß, oder sogar als ein Vetorecht des Her­ kunftslandes über die Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe: In diesen beiden Fällen ließe sich immerhin mit „prolongierter Sou­ veränität" (über wirtschaftliche Reichtümer und Ressourcen) argumen­ tieren, während im Falle der IAEA-Totalkontrolle ein solcher An­ satzpunkt ungleich schwieriger auszumachen ist. Während durch die IAEA-Kontrollklausel die Kooperationsabkom­ men mit den Nicht-NPT-Staaten Argentinien, Brasilien, Indien, Indo­ nesien, Spanien, Südafrika und Türkei berührt wurden 136 , traf die Wiederaufarbeitungsklausel namentlich EURATOM. So bestimmt der NNPA zu diesem Kriterium, daß Lieferungen an „Staatengruppen" für die Dauer von zunächst zwei Jahren trotz Nichterfüllung zulässig blei­ ben, sofern binnen eines Monats nach Inkrafttreten des NNPA Neu­ verhandlungen über das jeweilige Kooperationsabkommen aufgenom1 36 Bettauer, S. 1137. Zwei dieser sieben Abkommen laufen kurz nach Beendigung der Dbergangszeit aus, nämlich die mit Indonesien (20. 9. 1980) und der Türkei (9. 6. 1981), vgl. Nuclear Proliferation Factbook, S. 274. Die eigentlichen Zielscheiben dieses Kriteriums waren Indien (wegen seiner Wiederaufarbeitungsanlage) und Südafrika (wegen der Anreicherungsan­ lage), vgl. die aufschlußreiche Zusammenfassung des Gesetzes durch G. F. Warburg, Hearings on H.R. 8638, S. 264. Indonesien hat den NPT 1979 ratifi­ ziert, die Türkei am 17. 4. 1980.

112

B.I. Ein neues US-Dogma

men worden sind (sog. ,,EURATOM waiver") 1 37 • Der Präsident darf die Übergangszeit um Zeiträume von jeweils einem Jahr verlängern, wenn er zu dem Schluß kommt, der Abbruch der Lieferbeziehung zu der Staatengruppe „ would be seriously prej udicial to the achievement of United States non-proliferation obj ectives, or would otherwise j eopar­ dize the common defense and security" (im folgenden kurz : ,, seriously prej udicial . . . "-Formel). Der Kongreß kann dagegen nur mit (Veto unterworfener) j oint resolution vorgehen. EURATOM erklärte sich schließlich nahezu vier Monate nach Inkrafttreten des NNPA (ungern) bereit, in Gespräche über ihre bis Ende 1985 bzw. 1995 geltenden Ko­ operationsabkommen mit den USA138 einzutreten139 • Die Abkommen enthalten zwar ein Angebot der USA, EURATOM-Kernmaterial in den USA wiederaufzuarbeiten (Art. III Abs. D bzw. Art. I Abs. E), begren­ zen aber nicht - anders als die meisten Kooperationsabkommen der USA1 40 - die Möglichkeit einer Wiederaufarbeitung in der Gemein1a1 § 126 (a) (2) AEA ; mit seiner Bezugnahme auf § 124, welcher den Ab­ schluß eines Kooperationsabkommens mit „a group of nations" gestattet (42 USC § 2154). Das Zugeständnis einer Übergangszeit stellt einen Kompro­ miß dar. Die Regierung hatte sich für eine allgemeine Freistellung von diesem Kriterium zugunsten von EURATOM und IAEA eingesetzt, vgl. Deputy Assistant Secretary Nosenzo, Hearings on H.R. 8638, S. 232 - 234 ; dem stand ein Antrag gegenüber, j eglichen Aufschub zu versagen (Rep. Studds [Massachusetts], Hearings on H.R. 8638, S. 249). Der Gegensatz war schon in den ursprünglichen Gesetzentwürfen zum Ausdruck gekommen. Während S. 897 (Senator Percy et al.) keine Ausnahme vorsah (§ 16 (a)), ließ S. 1432 (Regierungsvorschlag) eine Fortführung der Kooperation für den Fall zu, daß der Partner in Neuverhandlungen mit den USA eingetreten sei, ohne eine Frist für deren Abschluß zu setzen (§ 503), siehe Hearings on S. 897 and S. 1432, S. 8, 20 - 21. 1as Abkommen vom 29. 5./18. 6. 1958, TIAS 4091 = 9 UST 1 1 16 = ABlEG 17 (S. 309/59, 19. 3. 1959) ; Abkommen vom 8. 11. 1958, in Kraft getreten am 1 8. 2. 1959 für eine Laufzeit von 25 Jahren (gern. Art. XVI), TIAS 4173 = 10 UST 75 = ABlEG 17 (S. 312/59, 19. 3. 1959), und verlängert bis zum 31. 12. 1985 durch Änderungsabkommen vom 21 ./22. 5. 1962, TIAS 5103 = 13 UST 1403 = ABlEG 72 (S. 2038/62, 8. 8. 1962) ; Zusatzabkommen vom 1 1 . 6. 1960, TIAS 4650 = 11 UST 2589 = ABlEG 31 (S. 668/2 1, 29. 4. 1961), geändert und ver­ längert durch das Abkommen vom 21 ./22. 5. 1962, TIAS 5104 13 UST 1439 = ABlEG 72 (S. 2045/62, 8. 8. 1962), geändert und verlängert bis zum 31. 12. 1995 durch das Abkommen vom 22./27. 8. 1963, TIAS 5444 = 14 UST 1459 = ABlEG 163 (S. 2586/64, 21. 10. 1964), und weiter geändert durch das Abkom­ men vom 20. 9. 1972, TIAS 7566 = 24 UST 472 = ABlEG L 139/24 (22. 5. 1974). Vgl. auch SA Radoux an den Rat der EG, ABlEG C 175/44, 24. 7. 1978. 1 39 Der Unmut über den NNPA wird auch in der Antwort der EG-Kom­ mission auf die schriftliche Anfrage des Abg. van Aerssen deutlich, der dort eine Parallele zum Cromwellschen Navigation Act von 1651 gezogen hatte (ABlEG C 238/9, 9. 10. 1978). 140 Vgl. die Standardformulierung, die auch in allen 1974 noch vor der Änderung des Atomic Energy Act geschlossenen Kooperationsabkommen bzw. -änderungsabkommen wiederkehrt : " . . . reprocessing or alteration shall be performed in facilities acceptable to both Parties upon a j oint determination of the Parties that the provisions of Article . . . (seil. safe­ guards) may be effectively applied". So die Abkommen mit Spanien vom 20. 3. 1974 (Art. VIII Abs. C ; TIAS 7841 = 25 UST 1063), Schweden vom

=

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

118

schaft selber. Im Gegenteil : Änderungsabkommen fassen sogar expres­ sis verbis Wiederaufarbeitung bestrahlten besonderen Kernmaterials in der Gemeinschaft ins Auge141 . Anders als die Wiederaufarbeitung, wird die Anreicherung US-gelie­ ferten Materials in den US-Kooperationsverträgen nicht angespro­ chen142 . Ein Zustimmungsvorbehalt gehört aber nicht nur zu den in­ haltlichen Anforderungen an künftige Kooperationsabkommen143 , viel­ mehr findet sich unter dem insofern irreführenden Titel „Aushand­ lung weiterer Exportkontrollen" eine Sondervorschrift, welche die An­ reicherung von US-geliefertem Ausgangs- oder besonderem Kernma­ terial an vorherige Zustimmung der USA bindet, es sei denn, ein Ko­ operationsabkommen treffe ausdrücklich eine andere Regelung 144 . Ent­ sprechende Zusicherungen sind vor Genehmigung des Exports einzu­ holen. Es handelt sich hierbei also um ein Quasi-Exportkriterium. Von den Exportkriterien sei der Blick nun den konkreten Entschei­ dungen zugewendet, die die Exekutive immer wieder treffen muß. Die Erteilung einer Exportlizenz setzt voraus, daß (1) die Exekutive durch den Secretary of State erklärt, die Ausfuhr würde „not be inimical to the common defense and security" 1 45 und (2) die NRC zu dem Schluß kommt, die Exportkriterien seien erfüllt146 . Was aber, wenn sich die NRC zu einer solchen Feststellung außerstande sieht, etwa wegen der Wiederaufarbeitungs- und (nach Ablauf der Übergangszeit) IAEA­ Totalkontrolle-Klauseln? Der Präsident kann dann nach Maßgabe der ,,seriously prejudicial . . . "-Formel eine Ausnahmeerlaubnis erteilen 147 • 10. 5. 1974 (neugefaßter Art. VII bis Abs. C; TIAS 7854 = 25 UST 1235), Thai­ land vom 14. 5. 1974 (Art. VIII Abs. C; TIAS 7850 = 25 UST 1 181), Portugal vom 16. 5. 1974 (Art. VIII Abs. C; TIAS 7844 = 25 UST 1125), Südafrika vom 22. 5. 1974 (neugefaßter Art. VIII Abs. G ; TIAS 7845 = 25 UST 1 158), Öster­ reich vom 14. 6. 1974 (neugefaßter Art. IX Abs. C; TIAS 7912 = 25 UST 2337). In früheren Abkommen hatte es noch geheißen ,, . . . may be performed in Brazilian (Japanese, etc.) facilities upon a joint determination . . . , or in other facilities as may be mutually agreed " , z. B. mit Argentinien vom 25. 6. 1969 (Art. IX, TIAS 6721 = 20 UST 2587), Brasilien vom 17. 7. 1972 (Art. VIII Abs. F; TIAS 7439 = 23 UST 2477), Japan vom 26. 2. 1968 (Art. VIII Abs. F; TIAS 6517 = 19 UST 521 4 ; bestätigt durch Abkommen vom 28. 3. 1973, TIAS 7758 = 24 UST 2323). 141 Abkommen vom 21 ./22. 5. 1962 - neuer Art. I bis -, sowie vom 20. 9. 1972 - Neufassung von Art. I (vgl. insb. Abs. E und I bis (vgl. insb. Abs. C) -, jeweils vom Zusatzabkommen vom 1 1 . 6. 1960 (Fundstellen : Anm. 138).

142 Bettauer, S. 1 158. 143 § 401 = geänderter § 123 AEA (42 USC § 2153). m § 402 (42 USC § 2153 a). 145 Bzw. ,,that any export in the category to which the proposed export belongs would not be inimical to the common defense and security because it lacks significance for nuclear explosive purposes". 146 § 304 (a) = § 126 AEA (42 USC § 2155). 1 47 §§ 126 (b) (2), 128 (b) (1) AEA. 8 Prill

114

B.I. Ein neues US-Dogma

Von dieser Möglichkeit hat Präsident Carter bereits wenige Wochen nach Inkrafttreten des NNPA zugunsten Indiens Gebrauch gemacht148 . Dagegen kann dann der Kongreß mit concurrent resolution Einspruch erheben. - Soweit entspricht die Regelung dem NNPA-Grundschema. Die Sonderstellung des Exportkriteriums einer IAEA-Totalkontrolle tritt aber auch hier hervor, insoweit nämlich, als der Präsident die NRC durch eine „seriously prejudicial . . . "-Feststellung von der An­ wendung des Kriteriums entbinden kann. Eine Exportlizenz, die darauf­ hin erteilt wird, ist einem Kongreßeinspruch ausgesetzt, doch der Prä­ sident darf über einen solchen Einspruch (also die vetosichere concur­ rent resolution) hinweggehen, wenn er feststellt, der potentielle Emp­ fangsstaat habe auf dem Weg zur Anerkennung des Kriteriums be­ deutende Fortschritte erzielt, oder aber daß „United States foreign policy interests dictate reconsideration" . Der Kongreß müßte, um sein erstes Nein aufrechtzuerhalten, erneut eine concurrent resolution ver­ abschieden149 . Zu den besonders bedeutsamen konkreten Entscheidungen, die auf die Exekutive immer wieder zukommen , gehört die über die Erlaubnis der Wiederaufarbeitung von Kernmaterial mit US-Ursprung. Laut NNPA wird sie unter folgenden Umständen erteilt: Soll die Wieder­ aufarbeitung in einer Anlage stattfinden, die noch keine Reaktor­ Brennstoffelemente bearbeitet hat und auch nicht vor Inkrafttreten des NNPA Gegenstand einer entsprechenden Vereinbarung gewesen ist (also in einer „Neuanlage"), so müssen - damit die Erlaubnis er­ teilt werden kann - der Energieminister und der Secretary of State u. a. zu der Einschätzung kommen, sie würde „not result in a signifi­ cant increase of the risk of proliferation beyond that which exists at the time that approval is requested". Das Hauptaugenmerk hat dabei der Frage zu gelten, ob die näheren Umstände der Wiederaufarbeitung den USA versprächen, Brennstoffabzweigungen zeitig in Erfahrung zu bringen. Soll die Wiederaufarbeitung demgegenüber in einer Anlage stattfinden, die bereits Brennstoffelemente von Kernkraftwerken (also nicht nur von Forschungsreaktoren) bearbeitet hat oder vor Inkraft­ treten des NNPA Gegenstand einer entsprechenden Vereinbarung ge­ wesen ist (also in einer „Altanlage"), so muß sich der Energieminister zu erreichen bemühen, daß die Umstände der Wiederaufarbeitung dem vorgenannten Standard entsprechen (abgesehen von der erforderlichen Feststellung, die Zulassung der Wiederaufarbeitung „will not be inimi­ cal to the common defense and security"). Es wird im NNPA ausdrück­ lich versichert, diese Bestimmungen zielten nicht darauf ab, die Wieder148 Executive Order vom 27.4. 1978, Dept. of State Bull. 78 No. 2016 (July 1978), S. 47. In der NRC hatte es einen Stimmengleichstand (2 : 2) gegeben. 1 49 § 128 (b) (2) AEA.

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

115

aufarbeitung von US-geliefertem Brennstoff auf Dauer und bedin­ gungslos zu unterbinden1s0 • Auch die Tragweite dieser Vorschrift erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Vorweg sei daran erinnert, daß EURATOM von ihr so­ lange nicht betroffen ist, als den USA ein Zustimmungsvorbehalt nicht vertraglich eingeräumt wird, und in Abwesenheit eines solchen je­ denfalls nicht während der wenigstens zweijährigen und möglicher­ weise verlängerten Übergangszeit. Im übrigen wäre die {für „Neuan­ lagen" erforderliche) qualifizierte Einschätzung (,,not result in a signifi­ cant increase of the risk of proliferation . . . " etc., s. o.) entbehrlich bei dem Vorhaben einer Wiederaufarbeitung in den {,,Alt"-)Einrich­ tungen von Windscale (Vereinigtes Königreich), Marcoule und La Hague (Frankreich), Mol (Eurochemie, Belgien), Karlsruhe (WAK, Bun­ desrepublik Deutschland) sowie Tokai Mura (Japan) 151 • Für eine neue Wiederaufarbeitungsanlage in der Bundesrepublik Deutschland würde diese Befreiung indessen nicht gelten. Es sei hinzugefügt, daß diese Abstufung der Maßstäbe im Falle von EURATOM (wo sich die ge­ nannten Anlagen mit Ausnahme von Tokai Mura befinden) und Japan (Tokai Mura) zu einer zusätzlichen Privilegierung führt. Der NNPA erfordert nämlich auch für die Zulassung der Wiederausfuhr von Plutonium in größeren Mengen als 5 00 g, welches durch Wiederaufar­ beitung gewonnen worden ist, die Bescheinigung des Energieministers und des Secretary of State, die Wiederausfuhr „ will not result in a significant increase of the risk of proliferation beyond that which exists at the time that approval is requested" . Für Bewegungen inner­ halb von EURATOM gilt diese Bedingung ohnehin nicht, da die USA EURATOM als Einheit anerkennen. Unabhängig davon bedarf es aber einer solchen qualifizierten Bestätigung jeweils dann nicht, wenn die Wiederaufarbeitung in einer der oben genannten Anlagen stattgefun­ den hat, beispielsweise also nicht in dem Fall, daß bestrahltes Kern­ material aus der Schweiz im französischen La Hague wiederaufgearbei­ tet wird, und das gewonnene Plutonium in die Schweiz (zurück-)ge­ führt werden soll. Ein sehr schwieriges Problem wird durch das Hauptkriterium ge­ stellt, das bei der Entscheidung über die erwähnte Erklärung zur er­ höhten Proliferationsgefahr anzuwenden ist. Es soll erwogen werden, „ whether or not the reprocessing or retransfer will take place und er conditions that will ensure timely warning to the United States of any diversion well in advance of the time at which the non-nuclear­ weapon state could transform the diverted material into a nuclear § 131 (d) AEA. Liste im Senate Report, siehe Bettauer, S. 1 129. Die Anlage der Euro­ chemie ist 1978 an Belgien übertragen worden, vgl. Anm. 105 in B.I. 160 1s1

s•

1 16

B.I. Ein neues US-Dogma

explosive device" . ,,Timely warning" ist ein überaus unbestimmter Rechtsbegriff. Während der Kongreßanhörungen ist die Meinung laut geworden, das herkömmliche Wiederaufarbeitungsverfahren lasse eine zeitige Warnung überhaupt nicht zu, da das dabei gewonnene Pluto­ nium praktisch sofort in Kernsprengkörper eingeführt werden kön­ ne152 . Die Folge dieser - vom Kongreß insgesamt wohl nicht geteilten - Auffassung müßte ein Veto der USA über jegliche Wiederaufarbei­ tung von Kernmaterial mit US-Ursprung außerhalb der sechs genann­ ten Anlagen sein103. Das Bild der neuen Ausfuhrordnung wird abgerundet durch eine Strafvorschrift. Danach schließen bestimmte Verhaltensweisen von Empfangsstaaten weitere US-Lieferungen aus. Diese Sanktion träfe beispielsweise einen (auch Kernwaffen-)Staat, der künftig ein Ab­ kommen über die Weitergabe von Ausrüstungen, Materialien oder Technologie für Wiederaufarbeitung und deren Unterstellung unter die souveräne Kontrolle eines Nichtkernwaffenstaates schlösse, es sei denn , dies geschähe im Zusammenhang mit einer internationalen Be­ wertung des Brennstoffkreislaufs unter Beteiligung der USA oder auf der Grundlage einer von den USA mitgetragenen internationalen Ver­ einbarung oder Verständigung154 . Auch hier darf der Präsident nach Maßgabe der „seriously prejudicial . . . "-Formel Ausnahmen gestatten, wiederum auf die Gefahr einer ablehnenden concurrent resolution hin. Die Ähnlichkeit dieser Vorschrift mit dem oben erwähnten § 12 des International Security Assistance Act of 1977 ist unverkennbar 155 . Der US-Kongreß hat sich nicht damit zufriedengegeben, die Aus­ fuhrordnung im Rahmen der geltenden Kooperationsabkommen neu 1s2 Rep. Bingham (New York) : "The proposition on which we are proceed­ ing is that where you are dealing with pure plutonium and the Purex process, you cannot have timely warning. There is no way because with that process, the recipient nation can produce the weapon so fast that there is no way to get timely warning" (Hearings on H.R. 8638, S. 245). Die Unmög­ lichkeit wirksamer Sicherungsmaßnahmen wird bestritten von Rometsch, Atomenergie, S. 177. 1 ss Vgl. die Warnung vor „a legislative provision that can be construed as a flat, permanent prohibition on such consents" (Deputy ACDA Director Keeny, Dept. of State Bull. 77 S. 671 [14. 11. 1977]) sowie den Kommentar von Doub / FidelL (S. 943) zum sog. Zablocki Amendment von 1976 : "One can only speculate on how a nation might be induced to amend its agreement for cooperation with the United States so as to enhance the U.S. role in its nuclear decisions, when all that is in prospect is a U.S. veto." Der ent­ sprechende Passus des Zablocki Amendment hatte große Ähnlichkeit mit der Formulierung im späteren § 131(b) (2) NNPA. Differenzierter dazu Bettauer, S. 1 130 f. Ähnlich scharf aber Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S. 166 : ,, . . . zwingt das Gesetz die Vereinigten Staaten, ihre Position als Lieferant . . . auszunutzen, um anderen Ländern die amerikanischen Ansichten über Wiederaufarbeitung aufzuzwingen." 1 54 § 307 = § 129 AEA (42 USC § 2158). u, Siehe oben Anm. 1 1 1 und Text dazu.

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

117

zu regeln und dabei so manchen Kompromiß mit bestehenden US­ Verpflichtungen zu schließen ; er hat auch vorsorglich an zukünftige Kooperationsabkommen inhaltliche Anforderungen gestellt. Dieser 9Punkte-Katalog verdient besondere Beachtung, weil der US-Kongreß hier offenbar seinen Wunschvorstellungen freien Lauf gelassen hat. Danach müssen neue Kooperationsabkommen u. a. vorsehen - Sicherungsmaßnahmen für alle gelieferten Materialien und Aus­ rüstungen (auch bei Kernwaffenstaaten), - IAEA-Totalkontrolle im Falle von Nichtkernwaffenstaaten, - Verbot der Anreicherung oder Wiederaufarbeitung von Material, das aus den USA stammt oder in Anlagen mit US-Ursprung her­ gestellt oder verwendet worden ist, ohne vorherige Zustimmung der USA, - Verbot der Lagerung von sensitiven Stoffen in anderen als US-ge­ billigten Stätten 158 • Der NNPA stellt dem Präsidenten wiederum frei, unter der „ seriously prejudicial . . . "-Formel Ausnahmen zuzulassen 157 • Soweit besondere Kernmaterialien oder Anlagen zur Herstellung oder Ver­ wendung derselben auf dem Spiel stehen, kann der Kongreß das Wirk­ samwerden des Abkommens mit einer concurrent resolution verhin­ dern. r) Die Eingriffsmöglichkeiten und Zustimmungsvorb ehalte des Kongresses

Hier sei zunächst noch einmal kurz zusammengefaßt, in welchen Fällen sich der Kongreß eine concurrent resolution vorbehalten hat. Er kann danach verhindern - bestimmte Kooperationsabkommen (§ 401

=

§ 123 AEA) ,

- einen vom Präsidenten durch Executive Order ausnahmsweise erlaubten Export (§ 304 (a) § 126 (b) (2) AEA),

=

- einen trotz Nichterfüllung des Zusatzkriteriums (IAEA-Totalkon­ trolle bei Nichtkernwaffenstaaten) ausnahmsweise erlaubten Ex­ port (§ 306 = § 128 (b) (1) AEA) , - die von der Exekutive zugelassene Fortführung von Exporten trotz „ conduct resulting in termination of nuclear exports" (§ 307 = § 129 AEA), m § 401 = geänderter § 123 AEA (42 USC § 2153). Vgl. aber den Hinweis von Bettauer, S. 1122, daß der Präsident nicht von den grundlegenden Exportkriterien gemäß § 127 AEA dispensieren könne, da ein insofern lückenhaftes Kooperationsabkommen keine genügende Basis für eine Exportgenehmigung darstelle. 157

118

- die aus gen

B.I. Ein neues US-Dogma Übernahme der Verpflichtung, verbrauchten Kernbrennstoff dem Ausland in den USA zu lagern oder sonstwie zu entsor­ ( § 303 = § 131 (f) (1) (A) AEA) 1 SB_

Darüber hinaus gibt es einen Fall, in dem eine concurrent resolution - statt „Notbremse " - von vornherein innerstaatliche Zulässigkeits­ voraussetzung für einen international wirksamen Rechtsakt der USA ist (gewissermaßen Zustimmungs- statt Einspruchsvorbehalt), nämlich bei der Beteiligung der USA an einem übereinkommen über die In­ ternationalisierung der Kernbrennstofflieferungen und -dienstleistun­ gen1 s9 . Dreimal wird die schwächere Waffe der joint resolution bereitge­ stellt: Bei der Fristverlängerung für Verhandlungen mit Staatengrup­ pen (§ 304 (a) = § 126 (a) (2) AEA) ; für die Aufstellung zusätzlicher Ex­ port-Kriterien (§ 304 (a) = § 1 26 (c) AEA) ; allgemein für Maßnahmen im Zusammenhang mit den Anforderungen an Kooperationsabkom­ men sowie den Zielen der US-Exportpolitik (§ 404 (d)) 1 6 0 • cc) Zwischenbilanz Der NNPA ist das ungewöhnliche Unternehmen eines nationalen Ge­ setzgebers, ein Modell für eine internationale Kernenergieordnung aufzustellen, und der Exekutive aufzugeben, für die Verwirklichung des Modells Sorge zu tragen1 6 1 • Der NNPA ignoriert fast vollständig die tatsächliche militärische Nutzung der Kernenergie. Er ist vielmehr ein nationales Gesetz über die internationale zivile Nutzung der Kernenergie und verfolgt das Ziel, dieselbe in einen proliferationsverhütenden Griff zu bekommen. Ihm geht es darum, zugunsten der Nichtverbreitung von Kernwaffen die nationale zivile Nutzung der Kernenergie außerhalb der USA unter Kontrolle zu bringen. Im Interesse der Nichtverbreitung von 1 5 8 Dies gilt nicht für „begrenzte Mengen", wenn der Präsident erklärt, eine entsprechende Verpflichtung sei durch eine Notlage geboten und liege im „nationalen Interesse". 1 5 9 Und zwar (auch) bei „any binding international undertaking . . . which is not a treaty", § 104 (f) (1). Ein executive agreement würde hier also der vorherigen Kongreß-Zustimmung bedürfen. 1 80 42 USC § 2153 C. 181 S o bereits der Kommentar von Doub I Fidell zu S. 1439, vgl. S. 934. Der NNPA ist keineswegs das erste Beispiel der Völkerrechtsgeschichte für eine auf internationale Wirkung zugeschnittene nationale Gesetzgebung. Einer gewissen Bekanntheit erfreut sich der britische Merchant Shipping Amend­ ment Act von 1862, der die Anwendung der britischen· Seestraßenvorschriften auf ausländische Schiffe vorsah und von „Regulations for preventing col­ lisions at sea" begleitet wurde. In den darauffolgenden Jahren erkannten über dreißig Schiffahrtsnationen die Verbindlichkeit dieser Regeln an. Vgl. dazu Colombos, S. 333, und McDougat I Burke, S. 823 f.

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

119

Kernwaffen soll präventiv bereits „the international proliferation of plutonium" 1 6 2 abgewendet werden. Mit dem NNPA sagen sich die USA auch durch ihre nationale Rechts­ ordnung von der zivilen laisser-faire-Weltnuklearordnung im Sinne des NPT los. Insgesamt ist dem NPT die Abstellung auf „nuclear explosive capability" fremd. Verzicht der Nichtkernwaffenstaaten auf souveräne Kontrolle über sensitive Technologie zugunsten einer Internationali­ sierung, fortdauernde Kontrolle eines Exportlandes über die Verwen­ dung der von ihm ausgeführten Ausrüstungen und Materialien - das wären zwei Hauptpfeiler der dem NNPA zugrundeliegenden Idealord­ nung. Es liegt auf der Hand, daß das „unveräußerliche Recht" der Staaten auf zivile Kernenergienutzung hiermit aufgespalten wird in - einer­ seits - das Recht auf Verwendung der Atomkraft zur Energiegewin­ nung sowie - andererseits - das Recht auf Herstellung waffengrädi­ ger Materialien 163 • Der NNPA vermeidet jedoch insgesamt absolute und definitive Festlegungen, durch die sofort, und unwiderruflich, in die Rechte anderer Staaten eingegriffen würde. Man mag Ausnahmen se­ hen, etwa in dem de facto-Zwang zur Aufnahme von Neuverhandlun­ gen. Ansonsten aber ist der NNPA, nimmt man ihn genau beim Wort, durchaus flexibel, indem er dem Präsidenten mit Hilfe von general­ klauselähnlichen, z. T. höchst unbestimmten Rechtsbegriffen164 beträcht­ liche Entscheidungsfreiheit und damit auch die Möglichkeit läßt, die vertraglichen Verpflichtungen der USA einzuhalten . Das gilt sogar für den Sanktions-Paragraphen 307 ( = § 129 AEA). Gewiß, das Bild wird getrübt durch das Damoklesschwert der concurrent resolution, welches über „pragmatischem Handeln" 165 des Präsidenten schwebt. Doch hat sich rasch herausgestellt, daß sich der Präsident davor nicht fürchtet. In seiner Botschaft an den Kongreß vom 27. April 1978 (Lieferung von Kernbrennstoff für das Kraftwerk Tarapur, Indien) weist er darauf hin, daß vertragliche Verpflichtungen der USA auf dem Spiel stünden, begründet dann seine Entscheidung unter der „ seriously prejudicial . . . "-Formel nur knapp und erinnert abschließend an seine verfassungs­ rechtlichen Bedenken gegen ein Einspruchsrecht des Kongresses 166 • 2 von S. 1439, vgl. Hearings on S. 1439, S. 1256, 1 268. Präsident Carter am 30. 3. 1978 (Pressekonferenz in Brasilia) : "Our own nuclear nonproliferation policy . . . tries to draw a distinction between the right and the meeting of the need of countries to produce energy from atomic power on the one hand, and the right of the country to evolve wea­ pons-grade nuclear materials through either enrichment processes or through reprocessing" (Dept. of State Bull. 78 No. 2014 [May 1978] S. 8). 1 64 Von der „seriously prejudicial . . . "-Formel über „United States foreign policy interests" bis zu „national interest". 1 62 §

1 63

1 65

Beckurts,

S. 491.

120

B.I. Ein neues US-Dogma

Es dürfte gleichwohl unverkennbar sein, daß von dem Gesetz ein schwerer Druck auf die Regierung wie die Partner der USA ausgeht. Der Gesetzgeber mag sich letztendlich damit abgefunden haben „ that the success of our (seil. US) nonproliferation efforts fundamentally depends upon the cooperation of other countries" 16 7 ; indes wird kaum eine Anstrengung gescheut, die anderen Länder kooperationswillig zu machen. Das äußert sich nicht nur in den Gnadenfristen und in meh­ reren unmißverständlichen Anweisungen an den Präsidenten, energisch vorzugehen, . sondern auch - und gerade - in der Grundtendenz, die Liefersicherheit als Tauschobjekt gegen Nonproliferationssicherheit anzubieten bzw. einzusetzen168 . Die Liefersicherheit setzt natürlich ent­ sprechende Kapazitäten voraus: Daher § 1 02 169 über den Ausbau der Anreicherungskapazität sowie die Einladung an das Ausland, in US­ Anreicherungsanlagen zu investieren (§ 1 04 (c)). Diese Bestimmungen verfolgen zugleich das Ziel, eine weitere Beeinträchtigung des US-An­ reicherungsmonopols abzuwenden und dieserart die führende Rolle der USA bei der internationalen Kontrolle des Atoms zu erhalten, getreu der Überzeugung, Marktstärke der USA (oder vorzugsweise die Beherrschung des Marktes) biete die beste Gewähr für eine prolifera­ tionsfeindliche Weltnuklearordnung 1 70 . Der NNPA ist gewiß der Schlußpunkt hinter die „Atoms for peace"­ Ära1 7 1 . Letztlich weicht er aber in Stoßrichtung und Instrumentarium von den Initiativen der Exekutive seit 1974 nicht grundlegend ab, sondern bringt sie eher programmatisch - hier und da in zugespitzter Form - zu Papier. Davon legt nicht zuletzt die Erklärung von Präsi­ dent Carter bei Ausfertigung des Gesetzes Zeugnis ab, wonach „ the new criteria , incentives, and procedures of this act will help to solve the problems of proliferation" und „will help to insure that access to nuclear energy will not be accompanied by the spread of nuclear explosive capability" 1 72 . Immerhin: Während die Exekutive stets auf 18 8 Dept. of State Bull. 78 No. 2016 (Juli 1978) S. 47. Dort auch Wiedergabe der Erklärung, die Nye zur Rechtfertigung der Entscheidung vor dem House Committee on International Relations abgegeben hat (23. Mai 1978). 101 Nye, ibid. 10s G. F. Warburg sprach in seiner offiziösen Zusammenfassung von „the ,carrot and stick' approach which the entire legislation takes", Hearings on H.R. 8638, S. 258. 169 22 usc § 3222. 110 Besonders markantes Beispiel für diese Einstellung der Aufsatz von

Bauser. m Beckurts, S. 491.

112 Dept. of State Bull. 78 No. 2013 (April 1978) S. 50. Vgl. auch die Gesamt­ einschätzung des Sachkenners Donnelly, S. 4 : "The final version represents a compromise and reflects the combined ideas and thinking of the Congress, the President and his administration."

2. Neigung der Legislative zu Verboten und Zwangsmaßnahmen

121

Vertragserfüllung und internationaler Konzertierung bestanden hat, wollte es der Gesetzgeber in wichtigen Punkten letzten Endes nicht auf freiwilliges Einlenken anderer Staaten ankommen lassen 173 • Der NNPA läßt, genau genommen, beide Wege offen. Rechtlich interessant ist in erster Linie sicherlich das tatsächliche Verhalten der USA im Völker­ rechtsverkehr. Im folgenden soll aber nicht allein dieses gewürdigt werden, vielmehr erscheint es geboten, j eweils im Zusammenhang auf die oben dargestellten Konzeptionen sowie auf verschiedene Eventuali­ täten einzugehen.

II. Probleme der Durchsetzung einer neuen internationalen Nutzungsordnung im Rahmen bestehender völkerrechtlicher Bindungen Mögen auch die NNP A-Bestimmungen solange ohne unmittelbare völkerrechtliche Bedeutung bleiben, als die US-Regierung davon ab­ sieht, gegenüber anderen Staaten die für bestimmte Situationen ange­ kündigten Konsequenzen tatsächlich zu ziehen, so erscheint es doch geboten, sie in eine Würdigung der US-Praxis einzubeziehen. Dafür besteht um so mehr Anlaß, als sie zum größten Teil die Unterstützung der Exekutive genossen haben. In dreifacher Hinsicht könnte der Posi­ tionswandel der USA zu Konflikten mit bestehenden völkerrechtlichen Bindungen geführt haben bzw. führen. Im bilateralen Vertragsver­ hältnis stellt sich die Frage, ob die einseitig festgeschriebenen Export­ bedingungen mit den geltenden Kooperationsabkommen in Einklang zu bringen sind, bzw. - schärfer formuliert - ob diese Abkommen den USA eine Handhabe bieten, ihre Lieferbeziehungen zu Vertragspart­ nern, welche nicht alle Bedingungen erfüllen, abzubrechen (insbeson­ dere - und hierauf sollen sich die folgenden Überlegungen konzen­ trieren - die Kernbrennstofflieferungen einzustellen) . Des weiteren wird zu untersuchen sein, ob der NPT bestimmten Forderungen und Maßnahmen entgegensteht, beispielsweise Sanktionen gegen NPT­ Staaten , welche sensitive Ausrüstungen aus- oder einführen. Und ·-:ianche Initiativen erscheinen schließlich auch unter dem Gesichtspunkt allgemeiner Völkerrechtsregeln problematisch; hier wäre vor allem an die Vertragsfreiheit zu denken, und überhaupt an das Axiom der sou­ veränen Gleichheit aller Staaten. Doch zunächst sei nun der Blick den bilateralen vertraglichen Rechten und Pflichten der USA zugewendet. 11s „Übermaß an Unilateralismus" (H. Müller, S. 49) muß gewiß eher dem Kongreß als der Exekutive zur Last gelegt werden. Vgl. auch Lellouche, Politics, S. 347 : "tendency to rely on unilateral actions in order to 'educate' the rest of the world . . . attempt on the part of the Congress to legislate for the rest of the world."

122

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung 1. Die Bindungen der USA auf Grund der geltenden Kooperationsabkommen

Hier muß vorweg geklärt werden, inwiefern die USA verpflichtet sind, ihren Vertragspartnern nach Maßgabe der Kooperationsabkom­ men Kernbrennstoff zu liefern (bzw. Anreicherungsdienste zu leisten). Nachdem die Gründe dargelegt worden sind, die für die Annahme einer bedingten Rechtspflicht sprechen, wird der Frage nachzugehen sein, ob die neuen Exportkriterien eine zulässige Einschränkung darstellen. a) Die Begründung einer Lieferverpflichtung

aa) Die Abkommenstexte Am 1 . Januar 1980 waren 24 US-Kooperationsabkommen über zivile Kernenergienutzung in Kraft, und zwar zwei mit EURATOM, eines mit der IAEA und 21 mit Einzelstaaten1 • Die Zahl hatte in den fünf vorausgegangenen Jahren ständig abgenommen, da die USA seit Mitte 1 974 - abgesehen von Interims-Abkommen mit Kanada2 und Austra­ lien3 - keine neuen Abkommen mehr schlossen bzw. keine auslaufen­ den mehr verlängerten. Für alle Abkommen gilt, daß sie nicht die unmittelbare Rechtsgrund­ lage für die Lieferung von Kernbrennstoff bzw. die Leistung von An­ reicherungsdiensten darstellen. Die konkrete Rechtsgrundlage findet sich vielmehr in Supply Contracts, die von den Abkommen in Aussicht gestellt und später von Fall zu Fall geschlossen werden4 • Das Problem spitzt sich mithin auf die Frage zu, ob die USA in den Abkommen zu­ sagen, daß Supply Contracts nach Maßgabe der Abkommensbestim­ mungen abgeschlossen werden, oder ob es ihnen freisteht, den Ab­ schluß und die Ausführung von Lieferverträgen an die Erfüllung zusätzlicher, in den Abkommen nicht angelegter Bedingungen zu knüpfen. Von den Kooperationsabkommen seien hier einige zum Zweck der Analyse ausgewählt, nämlich diejenigen mit EURATOM (wegen der Wiederaufarbeitungsklausel im NNPA) 5 sowie mit Argentinien, Brasi1 Nuclear Proliferation Factbook, S. 274. Die dort noch aufgeführten Ab­ kommen mit dem Iran, Irland, Italien und Vietnam sind mittlerweile infolge Zeitablaufs außer Kraft getreten. 2 Vom 18./25. 3. 1976, TIAS 8287 = 27 UST 1 891, und vom 15. 1 1 . 1977, vgl. Dept. of State Bull. 77 S. 857 (12. 12. 1977). 3 Vom 4./7. 8. 1978 ; Mitteilung in Dept. of State Bull. 78 No. 2019 (Oct. 1978) S. 61. Am 5. 7. 1979 wurde dann ein neues Kooperationsabkommen unter­ zeichnet, vgl. Dept. of State Bull. 79 No. 2029 (August 1979) S. 68. 4 Dazu im einzelnen Leube, S. 62 - 65, 70 - 78. 6 Fundstellen : s. Anm. 138 in Teil B.I.

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

123

lien, Indien, Spanien und Südafrika6 • Bei diesen fünf Staaten handelt es sich um Länder, die dem NPT ferngeblieben sind und sich also nicht dazu verpflichtet haben, die Gesamtheit ihrer Nuklearaktivitäten IAEA­ Kontrolle zu unterstellen. Die beiden Abkommen mit Indonesien und der Türkei dürfen hier vernachlässigt werden, da ihre Laufzeit kurz nach Ablauf der Übergangszeit beendet sein wird7 ; überdies haben beide Länder in der Vergangenheit nur sehr geringe Material-Mengen von den USA bezogen8 , und schließlich sind sie 1 979 (Indonesien) bzw. 1 980 (Türkei) ohnehin NPT-Staat geworden. Von den ausgesuchten Abkommen ist das mit Indien in dem ein­ schlägigen Punkt am klarsten. Der entscheidende Passus lautet (Art. II Abs. A) : "During the period of this Agreement the United Staates Commission will sell to the Government of India and the Government of India will purchase from the United States Commission, as needed, all requirements of the Government of India for enriched uranium for use as fuel at the Tarapur Atomic Power Station, it being understood that the Tarapur Atomic Power Station shall be operated on no other special nuclear material than that made available by the United States Commission and special nuclear material produced therefrom. The enriched uranium, which shall contain no more than twenty per cent (20 0/o) U-235, will be made available in accordance with the terms, conditions and delivery schedules set forth in a contract to be made between the Parties, . . . " Insbesondere mit den Formulierungen „ will sell" und „as needed" sowie mit dem bewußt geschaffenen US-Brennstoffmonopol läßt dieser Artikel keinen Zweifel an dem Bestehen einer Lieferverpflichtung zu9 ; dabei sei die Frage, inwieweit diese Aussage wegen der noch offenen ,, terms, conditions . . . " des supply contract relativiert werden muß, einstweilen zurückgestellt. Das US-Abkommen mit Indien ist aller­ dings wegen seiner Proj ektbezogenheit (Kraftwerk Tarapur) atypisch. Die weniger spezifizierenden, auf Rahmensetzung für künftige Koope­ ration zugeschnittenen Abkommen vermeiden in der Regel derart präzise Festlegungen. So heißt es in den Abkommen mit Argentinien (Art. III), Brasilien (Art. II), Spanien (Art. II), Südafrika (Art. III) und EURATOM (Art. III des Zusatzabkommens von 1960) allgemein und grundsätzlich: o Fundstellen : s. Anm. 140 in Teil B.I. ; das Abkommen mit Indien ist in TIAS 5446 = 14 UST 1484 wiedergegeben ; in 25 UST 1158 werden die Fund­ stellen der früheren Abkommen mit Südafrika genannt. 7 Indonesien 20. 9. 1980, Abkommen vom 8. 6. 1960 = TIAS 4577 = 11 UST 2024, zuletzt geändert und verlängert durch Abkommen vom 10. 6. 1970 = TIAS 7001 = 21 UST 2590 ; Türkei 9. 6. 1981, Abkommen vom 10. 6. 1955 = TIAS 3320 = 6 UST 2703, zuletzt geändert und verlängert durch Abkommen vom 20. 5. 1971 = TIAS 7122 = 22 UST 673. s Vgl. die Angaben der AEC bzw. ERDA in Hearings on S. 1439, S. 18 f., 813. o Ebenso DonneUy / Rather, S. 41 (,,commits" ) .

124

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung "Subject to the provisions of this Agreement, the availability of personnel and material, and the applicable laws, regulations and license require­ ments in force in their respective countries, the Parties shall cooperate with each other in the achievement of the uses of atomic energy for peaceful purposes t o."

Nach einer weiteren Bestimmung können - wie es vorsichtig lau­ tet - Vereinbarungen u. a. über die Weitergabe besonderen Kern­ materials für bestimmte Forschungs- und Versuchsvorhaben sowie für Zwecke der Energieerzeugung getroffen werden. Dazu müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein (z. B. Erlaubnisvorbehalt für Wiederauf­ arbeitung, außer EURATOM), und die Weitergabe unterliegt den in der allgemeinen Grundsatzvorschrift über die Kooperation niedergelegten Einschränkungen11• Das Bild wird abgerundet durch die folgende , in ihren wesentlichen Aussagen zitierte Bestimmung im Argentinien-Abkommen: "During the period of this Agreement, and as set forth below, the United States Commission will supply to the Argentine Commission or, pursuant to Article VII, to authorized persons under the jurisdiction of the Govern­ ment of the Argentine Republic, under such terms and conditions as the Parties may agree, . . . such quantities of uranium enriched in the isotope U-235 as may be agreed for use in a power reactor program . . . The United States Commission will supply such uranium enriched in the isotope U-235 by providing, to the same extent as for United States licensees, for the production or enrichment, or both, of uranium enriched in the isotope U-235 for the account of the Argentine Commission or such authorized persons." Im Brasilien-Abkommen heißt es demgegenüber nicht „such quan­ tities . . . as may be agreed for use in a power reactor program", son­ dern „will supply . . . all of the requirements of the Federative Repu­ blic of Brazil for uranium . . . for use as fuel in the power reactor program described in the Appendix to this Agreement . . . " 1 2 • Der „Ap10 Redaktionelle Abweichungen in den Abkommen mit Südafrika und EURATOM : ,,assist" statt „cooperate with", ,,use" statt „uses" (Südafrika : TIAS 3885 = 8 UST 1367). Im EURATOM-Abkommen ist außerdem von „the United States and in the Member States of the Community" die Rede an Stelle von „their respective countries". 11 "B. With respect to the application of atomic energy to peaceful uses, it is understood that arrangements may be made between either Party or authorized persons under its jurisdiction and authorized persons under the jurisdiction of the other Party for the transfer of special nuclear material and for the performance of services with respect thereto for the uses specified in Articles . . . and . . . and subject to the relevant provisions of . . . C. The Parties agree that the activities referred to in paragraphs A and B of this Article shall be subject to the limitations in Article . . . " ; Art. VII Argentinien-Abkommen, Art. VI der Brasilien- und Spanien-Abkommen, sehr ähnlich Art. VII des Südafrika-Abkommens in der Fassung des Än­ derungsabkommens vom 17. 7. 1967 = TIAS 6312 = 18 UST 1671. 12 Der Anhang nennt allein das (von Westinghouse [USA] errichtete} Kraftwerk Angra 1. - Das Abkommen mit der Republik Korea vom 24. 11,

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

125

pendix" unterliegt einvernehmlichen Änderungen, so daß das Abkom­ men nicht auf ein bestimmtes Proj ekt bezogen bleibt, sondern in dieser Hinsicht flexibel und zukünftigen Entwicklungen gegenüber offen ist. Schließlich sei hier die Fassung der entsprechenden Klausel in den Abkommen mit Spanien und Südafrika wiedergegeben: "Subject to the availability of capacity in (United States) Commission facilities for uranium enrichment and within the quantity authorized in Article IX for transfer, (service) contracts with the Government of . . . , or with authorized persons under its jurisdiction, may be entered into by the (United States) Commission as herein set forth for the production or enrichment of uranium enriched in the isotope U-235 for use as fuel in power applications undertaken within . . . lt is understood by the Parties that, at such times as the Government of . . . , or such authorized persons, have requirements for such services and are prepared to execute firm contracts which set forth the agreed delivery schedules and other terms and conditions of supply of such services, the Government of . . . or such authorized persons will have acces on an equitable basis with other purchasers of such services to uranium enrichment capacity then available in (United States) Commission facilities and not already al­ located1 3." Auch alle weiteren Abkommen bzw. Änderungsabkommen von 1974 14 sowie die Änderungsabkommen mit der Schweiz 1 5 vom 2. No­ vember 1973 und mit Japan vom 28. März 1973 verwendeten diese For­ mel, letzteres mit dem Zusatz „ Contracts for supply of such services will be negotiated and executed on a timely basis " 16 • Zuletzt muß noch die im Zusatzabkommen mit EURATOM gewählte Formulierung referiert werden. Der durch das Änderungsabkommen vom 20. September 1 972 neugefaßte Wortlaut entspricht bereits der 1 973/74 einheitlich eingesetzten Formel und enthält überdies den glei­ chen Zusatz wie das Japan-Abkommen. Es ist auf eine nennenswerte Abweichung hinzuweisen. Es ist dort die Rede von „firm contracts under the United States Commission's standard terms which set forth the agreed delivery schedules and other conditions for supply . . . " an 1972 - TIAS 7583 = 24 UST 775 - verwendet die gleiche Formel und führt im Anhang das (von Westinghouse errichtete) Kraftwerk Ko-Ri auf. Dieses Abkommen wurde 1974 geändert (vgl. unten Anm. 14). 13 Bei den in Klammern gesetzten Stellen gibt es redaktionelle Unter­ schiede zwischen den Abkommen. 14 Österreich, Portugal, Schweden, Thailand. Fundstellen : Siehe Anm. 140 in Teil B.I. Außerdem „Republik China" (TIAS 7834 = 25 UST 913) und Republik Korea (TIAS 7842 = 25 UST 1102), Änderungsabkommen jeweils vom 15. 3. 1974. 15 TIAS 7773 = 25 UST 19. 1 6 TIAS 7758 = 24 UST 2323. Es heißt dort auch „contracts . . . may be executed" statt „contracts . . . may be entered into", sowie „contracts which set forth quantities, enrichments, delivery schedules and other terms and conditions . . . " statt „contracts which set forth the agreed delivery sched­ ules . . . (etc.)".

126

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

Stelle von „firm contracts which set forth the agreed delivery schedules and other terms and conditions of supply . . . " . bb) Die Auslegung der Texte Auch hier sei wiederum von der Grundvorschrift des Art. 31 WVRK ausgegangen, wonach ein Vertrag nach Treu und Glauben auszulegen ist, entsprechend der üblichen Bedeutung, die den Begriffen des Ver­ trages in ihrem Zusammenhang und unter Berücksichtigung seines Zieles und Zwecks beigelegt werden muß 17 • Für die US-Abkommen über Zusammenarbeit bei der zivilen Kernenergienutzung muß dem­ nach folgendes gelten. Zurückgestellt bleibe zunächst die Frage, was unter den Klauseln betreffend „the applicable laws, regulations and license requirements in force . . . " bzw. ,,terms and conditions of supply . . . " zu verstehen ist. Davon abgesehen statuiert das Indienabkommen, wie bereits festgestellt, unzweifelhaft eine Lieferpflicht. Auch das Brasilien-Abkommen wird dahingehend auszulegen sein. Von seiner Anlage her ist es wie das Indien-Abkommen projektorientiert. Im übrigen unterscheidet es sich von diesem Abkommen dadurch, daß es keinen numerus clausus von Projekten vorsieht, gleicht ihm aber in­ soweit, als die von dem Abkommen begünstigten Vorhaben einver­ nehmlich bestimmt worden sind bzw. sein werden. Jedenfalls legt bereits der Projektbezug die Festschreibung der Liefersicherheit nahe, und insofern ist es nur konsequent, daß die USA laut Abkommen „will supply . . . all of the requirements . . . for uranium . . . for use as fuel in the power reactor program . . . ". Dieser Passus kann nur als prinzi­ pielle Zusage aufgefaßt werden. Nichts anderes gilt schließlich auch für die seit 1973 in den US-Abkommen verwendete Standardformel, deren entscheidender Teil lautet „at such times as the Government of . . . , or such authorized persons, have requirements for such services . . . the Government of . . . or such authorized persons will have access . . . to uranium enrichment capacity". Die hier ausgelassenen zahlreichen einschränkenden Begleitklauseln sollen keinesfalls unterschlagen wer­ den, doch es erscheint wichtig, zunächst einmal festzuhalten, daß die Standardformel in ihrem Kern eine Lieferzusage enthält. Es handelt sich allerdings um eine bedingte Zusage, so daß nunmehr auf diese Bedingungen einzugehen ist. Es sind drei. Mit den Einschränkungen ,,Subject to the availability of capacities . . . and not already allocated" wird der Vorbehalt vorhandener Kapazität gemacht. Diese Rückver­ sicherung ist an sich nicht neu, verweist doch schon die allgemeine Grundsatzvorschrift auf „the availability of . . . material". Neu ist die verstärkte Akzentuierung dieses Aspekts, und sie läßt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Vertragsschlüsse 1973/74 erklären, zu dem 11

Vgl. Anm. 1 in Teil A.11 und Text dazu.

1.Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

127

eine zunehmende Verknappung der US-Anreicherungskapazität ge­ hört, welche Mitte 1974 schließlich vollständig ausgelastet war 18 • Daraus folgte auch die Notwendigkeit, einen Verteilungsmodus festzulegen ; dies geschieht mit der Richtlinie „on an equitable basis" . Die dritte Bedingung endlich sind „firm contracts . . . " . Auch die Bedeutung die­ ser Klausel - der Schwerpunkt liegt auf „firm" - erschließt sich leicht aus dem Gesamtzusammenhang der Abkommen. 1973 gab die Atomic Energy Commission nämlich ihre vormalige Praxis auf, überaus flexible Brennstofflieferverträge abzuschließen (sog. ,,requirement contracts") - flexibel insbesondere im Hinblick auf die zeitliche Abwicklung -, und ging dazu über, frühzeitige Festlegungen zu verlangen 19 . Es galt, die bestehenden Kapazitäten vorausschauend einzuteilen. Das Zwischenergebnis kann mithin lauten, daß in den genannten Klauseln der Kooperationsabkommen Lieferzusagen unter Vorbehalten erteilt werden, und daß die Vorbehalte die Lieferpflicht nicht dem Grunde nach betreffen, sondern dem Vermögen gelten, sie tatsächlich zu erfüllen. Im US-Kongreß ist nichtsdestoweniger die Auffassung verbreitet gewesen, bei den Kooperationsabkommen handele es sich lediglich um „agreements to agree in substance later" 20 von hoher Unbestimmtheit, die als solche „no legal effect" hätten21 • Daran ist so­ viel richtig, daß die Abkommen in der Tat „agreements to agree" (näm­ lich über supply contracts) sind, und daß sie die „ terms and conditions" der Lieferungen offen lassen, die zwischen den Partnern auszuhandeln sind22 • Diese terms and conditions haben aber nichts mit den Grund­ und Rahmenbedingungen der Lieferungen zu tun - zu diesen würde vor allem das in allen Abkommen statuierte Erfordernis von Siche­ rungsmaßnahmen zählen -, vielmehr geht es dabei allein um die Spezifizierung des Lieferobjekts und die Modalitäten der Lieferung, beispielsweise Volumen, Anreicherungsgrad, Termin, Zahlungsbedin­ gungen (Vorschüsse, Fristen), Kündigungsvoraussetzungen u. ä. Dies ergibt sich unmißverständlich aus Formulierungen wie „ the agreed delivery schedules and other terms and conditions of supply" 23 sowie - besonders deutlich - ,,Contracts specifying quantities, enrichments, delivery schedules, and other terms and conditions of supply" 24 • Die

1s Goldschmidt / Kratzer, S.43 ; Franko, S. 1 188 f. Vgl. die Darstellung der Entwicklung bei Franko, S. 1 185 - 1 188, sowie Goldschmidt / Kratzer, S. 17 f. Kurze Schilderung der „radikale(n) Änderung" auch im 7.Gesamtbericht der EG-Kommission über die Tätigkeit der EG (1973), s. 341. 20 Berater G. F. Warburg, Hearings on H.R.8638, S.234. 21 Rep. Bingham (New York), ibid. S.253. 22 Daran erinnert auch Bettauer, S.1139 Fn.208. 23 Standardtext der Abkommen von 1973/1974. 24 Art.IX Argentinien-Abkommen, Art.VIII Brasilien-Abkommen. Vgl. auch das Japan-Abkommen vom 28.3. 1973 (Anm. 16). 19

128

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

Notwendigkeit, ,,terms and conditions" auszuhandeln, bietet also keine Handhabe, neue, in den Kooperationsabkommen nicht verankerte grundlegende Exportbedingungen zu stellen. Dafür eignet sich schließ­ lich auch nicht die den Abkommen gemeinsame Unterstellung der Kooperation unter „the applicable laws, regulations, and license requirements in force in their respective countries". Die Verweisung auf die nationale Rechtsordnung kann nicht als globaler Vorbehalt da­ hingehend aufgefaßt werden, anwendbar sei pauschal das jeweils gel­ tende, also auch das künftig - womöglich nach Änderungen und Er­ gänzungen - in Kraft befindliche Recht, was zur Folge hätte, daß die Grund- und Rahmenbedingungen der Kooperation durch einseitige Rechtsänderungen modifiziert werden könnten. Der Wortlaut der Be­ zugnahme mag ambivalent sein, gerade auch mit dem knappen Passus ,,in force" . Ziel und Zweck der Abkommen lassen aber keinen ernst­ haften Zweifel an der Bedeutung zu. Die Abkommen sind dazu be­ stimmt, für die Zukunft die grundlegenden Kooperationsbedingungen festzulegen. Namentlich für die Empfangsländer - also die Partner der USA - sollen die Umstände der künftigen Lieferbeziehungen eindeutig kalkulierbar sein. Bevor diese Länder hohe Investitionen im Bereich des Reaktorbaus vornehmen, sind sie unverkennbar an der Schaffung klarer Verhältnisse für zuverlässige Brennstofflieferungen interessiert, auf die sie fortan vertrauen können25 • Eben diesem Zweck dienen die Kooperationsabkommen mit ihren Lieferbedingungen , bei­ spielsweise dem Erfordernis von Sicherungsmaßnahmen ; der Gesichts­ punkt der Verläßlichkeit wird unterstrichen durch die lange Laufzeit der Abkommen, die zuletzt - wohl im Hinblick auf die „Lebenser­ wartung" eines Kernkraftwerks - meistens dreißig oder vierzig Jahre beträgt2 6 • Es widerspräche der Zielsetzung, eine langfristige Planung zu gestatten, begriffe man die „ applicable laws . . . "-Klausel als Hand­ habe, die grundlegenden Kooperationsbedingungen im nachhinein durch neue nationale Rechtsvorschriften einseitig zu verändern. Demgemäß ist 2s In diesem Sinne auch unmißverständlich Deputy ACDA Director Keeny, Hearings on H.R. 8638, S. 163 : " . . . before these nations could make the investment of hundreds of millions of dollars in light water nuclear power reactors, they had to insure they would be provided with access to enrich­ ment services to assure themselves adequate fuel to operate those reactors." - Vgl. auch den Hinweis des Assistant Secretary McCloskey vom 6. 5. 1976 : "The agreement . . . sets out a basic framework for cooperation . . . Within this framework, the cooperating nation makes major investment decisions which have economic implications to its entire economy" (Hearings on s. 1439, s. 1087). 2s Dreißig Jahre die Abkommen mit Argentinien (Art. XV), Brasilien (Art. XV) und Indien (Art. X). Das Abkommen mit Südafrika wurde 1974 bis 2007 verlängert, das mit Spanien sieht eine Laufzeit von 40 Jahren vor (Art. XV). Am 1. Januar 1980 standen zehn Abkommen in Kraft, die erst im 21. Jahrhundert auslaufen werden, fünf davon mit einer Laufzeit bis 2014, vgl. Nuclear Proliferation Factbook, S. 274.

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

129

auch die US-Exekutive von „binding legal commitments for supply" ausgegangen und hat den Kongreß vor „a unilateral change in basic terms and conditions" gewarnt ; die „applicable laws . . . "-Klausel wurde auf Bestimmungen über Aspekte der Gesundheit, der Sicher­ heit und des physischen Schutzes bezogen, also nicht auf die grund­ legenden Kooperationsbedingungen2 7 • Vor einer abschließenden Antwort auf die eingangs gestellte Frage, inwieweit sich die USA in den Kooperationsabkommen zur Lieferung von Kernbrennstoff verpflichten, sei das Argentinien-Abkommen noch einmal kurz angesprochen. Dieses scheint mit der Formulierung ,, . . . will supply . . . such quantities of uranium . . . as may be agreed for use in a power reactor program" eine Entscheidungsfreiheit des Liefe­ ranten zu verbriefen. Die Wortwahl findet aber eine einfache Erklä­ rung in den Umständen bei Vertragsschluß (1969). Das Kernkraftwerk­ Programm Argentiniens sah (und sieht) nur Schwerwasserreaktoren vor; für diese (von der Bundesrepublik Deutschland und Kanada ge­ lieferten bzw. zu liefernden) Anlagen benötigte Argentinien aber nicht angereichertes, sondern Natururan nebst Schwerem Wasser. Das Na­ tururan bezog es nicht aus den USA (Argentinien besitzt selber reiche Uranlagerstätten). Demgegenüber lieferten die USA zwar das Schwere Wasser, gaben in dem Kooperationsabkommen insofern aber keine festen Zusagen, und zwar sicherlich deshalb nicht, weil sie Schweres Wasser als sensitives Material einstufen. Angesichts dessen erscheint die lnaussichtstellung von Lieferungen angereicherten Urans als Eventualzusage für den Fall, daß Argentinien Leichtwasserreaktoren in sein Kernkraftwerkprogramm aufnehmen möchte28 • Die USA behal­ ten sich ihre Zustimmung zur Einbeziehung eines solchen Programms in den Anwendungsbereich des Kooperationsabkommens vor, ähnlich wie bei den ebenfalls projektorientierten Abkommen mit Brasilien und der Republik Korea (dort im Hinblick auf Programmerweite­ rungen). Nach einvernehmlicher Einbeziehung eines derartigen Pro21 So beispielsweise das kurze Memorandum von Keeny, in : Hearings on H.R. 8638, S. 173 f. Repräsentiv ist auch die Einschätzung des Assistant Secretary McCloskey (Hearings on S. 1439, S. 1088) : "Thus, in the absence of extraordinary circumstance affecting the U.S. national security, we believe it is reasonable that the cooperating nation expect that so long as it lives up to the terms of the original agreement it will not be subjected to possible loss of fuel supply as a result of unilateral changes in U.S. policy over which it has little or no influence." Etwas vorsichtiger noch Acting Assistant Secretary Kratzer, Hearings on S. 1439, S. 435. Williams (S. 49) weist treffend darauf hin, das „applicable laws " -Argument laufe auf ein­ seitige Abänderbarkeit völkerrechtlicher Verträge hinaus und sei deshalb ,,legal sophistry " . 2s Worauf die USA sehr gedrängt haben, vgl. Assistant Secretary McClos­ key (18. 6. 1976), Hearings on S. 1439, S. 818. Argentinien verfügt allerdings über fünf Forschungsreaktoren, in denen angereichertes Uran aus den USA verwendet wird, vgl. Redick, Kernenergieprogramme, S. 280.

9 Prlll

130

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

gramms würde die Eventualzusage zu einer festen Zusage (unter den geschilderten Vorbehalten) erstarken. Nach alledem kann als Ergebnis festgehalten werden, daß die USA in den Kooperationsabkommen prinzipiell Kernbrennstofflieferungen zu daselbst fixierten grundlegenden Bedingungen zusagen und mithin vertraglich gehindert sind, diese grundlegenden Bedingungen im nach­ hinein zu verändern29 • So dürfen sie von ihren Partnern beispielsweise nicht - als Liefervoraussetzung - verlangen, daß diese auf die Schaf­ fung eigener Wiederaufarbeitungskapazität verzichten, wie dies wohl Brasilien angesonnen worden ist30 • Es liegt demnach auf der Hand, daß einige der - sofort oder verzögert wirksamen - Exportkriterien des Nuclear Non-Proliferation Act das Problem der Vertragstreue auf­ werfen können, falls sie angewendet werden . Auf sie wird nunmehr einzugehen sein. Zuvor sei nur abschließend kurz festgehalten, daß die Vereinigten Staaten bis zum Inkrafttreten des NNPA ihre Lieferzu­ sagen im Rahmen des Möglichen eingehalten haben , mag es auch wiederholt zu Verzögerungen gekommen sein, über die beispielsweise die EG-Kommission in ihren jährlichen Gesamtberichten 1975 - 1 978 regelmäßig geklagt hat3 1 • Schwierigkeiten gab es allerdings 1 974, als die US-Anlagen die Grenzen ihrer Kapazitäten erreichten, so daß die AEC an Stelle von Festverträgen ganz überwiegend nur noch be­ dingte Verträge anbieten konnte32 ; doch diese Restriktion war von dem Kapazitätsvorbehalt in den Abkommen zweifellos gedeckt. Pro­ blematischer war eine vorübergehende Lizenzierungsunterbrechung im Frühj ahr 1975, welche mit einer administrativen Reorganisation (Ab­ lösung der AEC durch NRC und ERDA) sowie einer nachfolgenden Überprüfung des Lizenzierungsverfahrens durch die NRC erklärt wurde. Die EG-Kommisison ließ daraufhin eine offizielle Protestnote überreichen, in welcher sie sich erstaunt darüber äußerte, daß die ameri­ kanische Regierung einseitig die Erfüllung der Verträge behindere, die im Rahmen eines Abkommens unterzeichnet worden seien, dessen Hauptziel die Sicherung einer regelmäßigen und dauerhaften Versor­ gung der Gemeinschaft mit Kernbrennstoffen sei33 • Lizenzerteilung 20 Bettauer, S. 1 139 f., verrät große Unsicherheit gegenüber dem Inter­ pretationsproblem. Das liegt daran, daß er die Bedeutung der „applicable laws . . . "- und „terms and conditions"-Klauseln nicht erkennt. Für (bedingte) Lieferverpflichtung auch Leub e, S. 125 - 127 ; desgleichen wohl Arangio-Ruiz, S. 531 (,,mostly undertakes to transfer . . . ") ; Szegilongi, S. 858. Unklar bleibt auch im Ergebnis die recht oberflächliche Analyse von Donnelly / Rather, S. 41 (,,assure"), 73 (,,Agreements to agree"). 30 Redick, Regional Restraint, S. 193. 3 1 9. Bericht (1975), S. 231 ; 10. Bericht (1976), S. 248 ; 1 1. Bericht (1977), S. 222 ; 12. Bericht (1978), S. 226 f. 32 Vgl. dazu 8. Gesamtbericht der EG-Kommission, S. 229 ; Goldschmidt J Kratzer, S. 44 ; Franko, S. 1 188 f.

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

131

und Lieferungen wurden später wieder aufgenommen, doch die Epi­ sode erweist sich aus der Rückschau als Omen34 für die erheblich größeren Komplikationen, die der NNPA verheißt. b) Einschränkungen der Lieferverpflichtungen für die Zukunft: Vertragsrechtlich problematische Fälle aa) Das Erfordernis umfassender IAEA-Kontrolle unter besonderer Berücksichtigung der Fälle Indien und Südafrika Nach § 306 NNPA (= § 128 AEA) sind Nuklearexporte an Nicht­ kernwaffenstaaten unzulässig „unless IAEA safeguards are maintained with respect to all peaceful nuclear activities in, under the juridisction of, or carried out under the control of such state at the time of the export". Das Gesetz gewährt, wie bereits mitgeteilt, eine Gnadenfrist von höchstens zwei Jahren. Von den Kooperationspartnern der USA sind potentiell betroffen die Nicht-NPT-Staaten Argentinien, Brasilien, Indien, Spanien und Südafrika. Der Kreis der Betroffenen dürfte tat­ sächlich aber kleiner sein, denn das Gesetz knüpft nicht an rechtliche Verpflichtungen zur Unterwerfung unter umfassende IAEA-Kontrolle an, sondern an die faktische Lage, d. h. die de facto Durchführung um­ fassender Sicherungsmaßnahmen35 • Bei Erlaß des Gesetzes wurde an­ genommen, mit den meisten Nicht-NPT-Staaten werde es unter die­ sem Blickwinkel wegen bestehender oder für die nächste Zukunft zu erwartender de facto Totalkontrolle keine praktischen Schwierigkei­ ten geben36 • Die rechtliche Problematik einer Exportbedingung, die in die geltenden Kooperationsabkommen nicht hineingeschrieben wor­ den ist, würde zwar von dem Umstand unberührt bleiben, daß sie wegen mangelnder tatsächlicher Kollision zu einem bestimmten Zeit­ punkt nicht aktualisiert würde. Es erscheint gleichwohl gerechtfertigt, die Betrachtung hier sozusagen exemplarisch auf die beiden Länder zu beschränken, die von vornherein als „Hauptzielscheibe" des neuen Exportkriteriums gegolten haben, nämlich Südafrika (wegen einer bestehenden Pilotanlage für Anreicherung und einer geplanten kom­ merziellen Anreicherungsanlage) und Indien (wegen einer Wiederauf­ arbeitungsanlage)37. 33 Bull. EG 4-1975, Ziff. 2269 (S. 54). - Vgl. außerdem Doub / FideU, S. 946 ; Administrative Survey : October 1974 to September 1975, S. 514 f. ; Franko, S. 1 1 89 f. 34 Der französische Außenminister erinnerte in diesem Zusammenhang an die Notwendigkeit, auf nationaler wie europäischer Ebene eine eigene Anreicherungskapazität zu schaffen (Antwort vom 7. 6. 1975 auf SA Debre in der Nationalversammlung, in : AFDI 21 [1975] S. 1090 f.). 35 Ebenso Bettauer, S. 1 136 f.

36

Ders., S. 1 137.

37 Vgl. die Zusammenfassung des Gesetzes durch G. F. Warburg, Hearings 9•

132

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

In beiden Fällen dürfte es nicht schwierig sein, die Feststellung zu treffen, daß das Erfordernis umfassender IAEA-Kontrolle in den j e­ weiligen Kooperationsabkommen keine Grundlage findet. Dieses An­ sinnen tastet an jene fundamentalen terms and conditions, welche für die nukleare Zusammenarbeit schlechthin konstituierend sind und in­ folgedessen nicht unilateral modifiziert werden dürfen. Seine Nichtbe­ folgung ist für sich allein nicht geeignet, die Beendigung der Koopera­ tion - ob mit oder ob ohne Gnadenfrist - zu rechtfertigen. Das rechtliche Interesse an den Fällen Südafrika und Indien rührt aber weniger von diesem einfach zu ermittelnden Zwischenergebnis her als vielmehr von der Frage, ob insoweit besondere Umstände gelten und welche Gesichtspunkte bei der praktischen Handhabung des Export­ kriteriums Berücksichtigung finden. Südafrika ist wohl ein Land, das mit einer umgänglichen Behandlung rechnen kann. Die Inbetriebnahme der beiden von Frankreich zu errichtenden Leichtwasserreaktoren38 für das erste Kernkraftwerk Koeberg wird für 1 982/1 984 erwartet. Große Natururanvorkommen und die neue kommerzielle Anreiche­ rungsanlage werden Südafrika in absehbarer Zeit instandsetzen, das Kraftwerk aus eigener Anstrengung mit Brennstoff zu versorgen. An­ gesichts dessen stellen die 1974 im Rahmen des Kooperationsabkom­ mens mit der ERDA geschlossenen Lieferverträge über angereichertes Uran die USA vor das Problem, ob Beharren auf umfassender IAEA­ Kontrolle politisch opportun wäre. Der NNPA erlaubt dem Präsidenten bekanntlich die Feststellung „that withholding the proposed export would be seriously prejudicial to the achievement of United States non-proliferation objectives, or would otherwise j eopardize the com­ mon defense and security" . Völkerrechtlich gesehen interessiert hier die Frage, ob die Exekutive diese Möglichkeit zu pragmatischem Vor­ gehen dazu nutzen wird, die Vertragstreue der USA zu wahren. Die direkt auf Südafrika gemünzte Verlautbarung „When nations have advanced capabilities, we must be careful no to increase their motiva­ tion to develop nuclear weapons" 39 ist unterschiedlich deutbar ; soweit dort besondere Behutsamkeit im Umgang mit Südafrika angekündigt werden sollte, wäre diese j edenfalls politisch motiviert. Aufschlußreich on H.R. 8638, S. 264. Nye (Strategy, S. 612) nannte außerdem Argentinien und - mit Vorbehalten - Spanien. In Listen des SIPRI-Yearbook 1978 (S. 33) und 1979 (S. 314) ist Argentinien demgegenüber nicht aufgeführt. Redick (�egional Restraint, S. 167) bezeichnet aber die argentinische Pilot­ anlage für Wiederaufarbeitung als eine der wenigen Einrichtungen in Nicht­ kemwaffenstaaten, die keiner IAEA-Kontrolle unterstünden. 38 Vgl. zu diesem heftig kritisierten Geschäft die Antworten des fran­ zösischen Außenministers vom 3. 6. bzw. 2. 7. 1976 auf die Anfrage Offroy sowie SA Odru in der Nationalversammlung, abgedruckt in AFDI 22 (1976) S. 1009 f. 3 9 Nye am 12. 7. 1977 vor dem Subcommittee on Africa des House Com­ mittee on International Relations, Dept. of State Bull. 77 S. 240 (22. 8. 1977).

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

133

ist in diesem Zusammenhang aber die Antwort des Acting ER.DA Administrator Fri auf die Frage, wie bei einem Scheitern der Ver­ handlungen mit Vertragspartnern über die neuen Exportkriterien zu verfahren sei : "Whether they need us or not would probably be the pivotal concern in making the judgment at the time40 . " Danach wäre die US-Vertragstreue umgekehrt proportional zur Abhängigkeit der Partner. Die Anwendung der „seriously prejudicial"-Formel hinge dann von der jeweiligen Stärke oder Schwäche der US-Partner ab, also von politischen Erwägungen, so daß die Perspektive eines künftigen Ver­ tragsbruchs bestehen bliebe. Kein Präjudiz dürfte dabei die Entschei­ dung der USA darstellen, von einer Vereinbarung zurücktreten, die die Lieferung hochangereicherten Urans an Südafrika vorsah, denn dieses Material ist unmittelbar waffengrädig41 • Der Fall Indien ist dem Fall Südafrika insoweit ähnlich, als das Abkommen mit Indien den USA keine Handhabe bietet, gegenüber Indien das Exportkriterium umfassender IAEA-Kontrolle geltend zu machen42 • Des weiteren gleicht er ihm insofern, als Indien ein nuklear­ technologisch fortgeschrittenes Land ist und in dieser Hinsicht mit vergleichsweise behutsamer Behandlung rechnen darf. Ein bedeutendes - und härteres Vorgehen der USA indizierendes - Merkmal der Unterscheidung liegt aber darin begründet, daß Indien zum einen be­ reits einmal einen Kernsprengkörper gezündet und damit seine „Kern­ waffenkapazität" abschließend unter Beweis gestellt hat, und daß es zum anderen mangels Anreicherungsanlagen auf die Belieferung seines aus Leichtwasserreaktoren bestehenden Kernkraftwerks Tarapur mit angereichertem Uran angewiesen ist. Der erste Umstand legt die Frage nahe, ob der Nukleartest von 1974 die Verpflichtung der USA auf Grund des Kooperationsabkommens unmittelbar berührt ; der zweite Umstand lädt dazu ein, die Praxis der Vereinigten Staaten gegenüber Indien zu betrachten und die Zukunftsaussichten einzuschätzen. 40 Hearings on H.R. 8638, S. 168. Fri hatte zuvor erklärt, eine der beiden Möglichkeiten für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen sei „to tell them to go to hell" (ibid.). 41 Die im November 1978 bekanntgegebene Entscheidung wurde damit begründet, Südafrika sei dem NPT nicht beigetreten : AdG S. 22154 A (1 978). Die USA waren unter der Carter-Präsidentschaft dazu übergegangen, im Hinblick auf die Lieferung hochangereicherten Urans - also eines sensitiven Materials - eine sehr restriktive Grundhaltung einzunehmen, die auf Ent­ scheidungen über die Lieferung leicht angereicherten Urans nicht projiziert werden darf; vgl. White House Fact Sheet vom 27. 4. 1977: Keine Ausfuhr von „significant quantities of highly enriched uranium, except when the project is of exceptional merit and the use of low enriched fuel or some other less weapons-usable material is clearly shown to be technically infeasible" (Dept. of State Bull. 76 S. 479 [16. 5. 1977]). 42 Ebenso das Department of State am 1 9. 3. 1976 : ,,. . . there is no legal basis by which we can unilaterally impose this (seil. submission to IAEA safeguards on all nuclear programs) as a requirement on India . . . " ; wieder­ gegeben in : NRC Tarapur Memorandum and Order 1977, S. 17 f.

134

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

Zunächst wäre es denkbar, daß Indien durch den Nukleartest von 1974 einen wesentlichen Verstoß gegen bilaterale Verpflichtungen ge­ genüber den USA begangen hat. Die USA könnten dann ihrerseits von ihren entsprechenden Bindungen befreit worden sein4 3 • Insbesondere kommt in Betracht, daß „ peaceful use"-Klauseln verletzt worden sind. Doch während Kanada die nukleare Zusammenarbeit mit Indien so­ fort nach dem Nukleartest suspendierte44 (und zwei Jahre später end­ gültig einstellte45) , zogen die USA damals bilateral keine Konsequenzen. Die Vorgeschichte hatte folgenden Verlauf gehabt. Kanada hatte im Rahmen des Colombo-Plans jenen 1960 in Betrieb genommenen For­ schungsreaktor schenkungsweise geliefert, in dem das Plutonium an­ gefallen war, welches Indien, nach Trennung in einer selbstgebauten Wiederaufarbeitungsanlage, in seinem Kernsprengkörper verwendet hatte. Indien hatte in dem zugrundeliegenden Abkommen vom 28. April 1 956 zugesichert, den Reaktor nur für friedliche Zwecke nutzen zu wol­ len (und nahm 1 974 bekanntlich den Standpunkt ein, sein „friedlicher" Test stehe dazu in keinem Widerspruch). Die USA hatten auf Grund einer Vereinbarung aus dem Jahre 1 956 46 das Schwere Wasser zu dem Reaktor geliefert. Auch in diese Vereinbarung war eine „peaceful purposes"-Klausel aufgenommen worden47 • Die USA rechneten aber aus, das Schwere Wasser aus dieser ersten und einzigen Lieferung hätte etwa 1 970 im Reaktor vollständig ersetzt sein müssen. Indien wäre dazu aus eigener Kraft imstande gewesen, da es seit 1 962 über eine mit deutscher Hilfe errichtete und genügend leistungsstarke Anlage zur Erzeugung Schweren Wassers verfügt48 • Die USA konnten deshalb nicht annehmen, Material mit US-Ursprung habe bei der Ent­ wicklung des indischen Kernsprengkörpers eine Rolle gespielt49 • Sie 43 Art. 60 WVRK, der laut IGH „in many respects" als eine „codification of existing customary law on the subject" angesehen werden darf (I.C.J. Reports 1971, S. 47 - Namibia Advisory Opinion). 44 Vgl. Erklärung von Außenminister Sharp vom 22. 5. 1974, CCD/426, in: A/9627 = GAOR (XXIX) Suppl. 27, S. 88 f. 45 Erklärung des Außenministers vor dem Unterhaus am 19. 5. 1976, AdG S. 20225 B (1976). 46 Vereinbarung zwischen der AEC und der indischen Regierung vom 16. 3. 1956, Text in : Hearings on S. 1439, S. 857 - 859. 47 "The heavy water sold hereunder shall be for use only in India by the Government in connection with research into and the use of atomic energy for peaceful purposes . . . " (ibid. S. 859). 4 8 Schreiben von Assistant Secretary McCloskey an Sen. Ribicoff, 2. 6. 1976, Hearings on S. 1439, S. 854. Im NRC Tarapur Memorandum and Order 1977 heißt es aber : "The Executive Branch has stated that there is a high probability that U.S.-supplied heavy water was in the CIRUS reactor during the period when the plutonium used in India's nuclear explosive test was believed to be produced" (S. 29). 4 9 Der indische Botschafter in Washington schrieb Kissinger am 6. 7. 1974, das in dem Kernsprengkörper verwendete Plutonium sei ausschließlich mit Material, Technologie und Personal aus Indien hergestellt worden (Mit-

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

135

unterließen deshalb Gegenschritte, denn „ since there was no violation of U.S. agreements involved, we had no specific leverage on which to bring our objections to bear" 50 • An diesen offiziellen Aussagen wird man nicht vorbeigehen können, so daß hier auch die Frage dahinge­ stellt bleiben kann, ob der „ friedliche" Nukleartest mit der „peaceful purposes"-Klausel überhaupt vereinbar gewesen wäre51 , hätte in dem Kernsprengkörper Plutonium Verwendung gefunden, das noch zur Zeit der Nutzung des US-gelieferten Schweren Wassers entstanden wäre. Und selbst bei Unvereinbarkeit könnte nur ein Verstoß gegen die Vereinbarung von 1956 angenommen werden, nicht aber gegen das auf die Tarapur-Reaktoren bezogene - die hier vor allem interessie­ renden Brennstofflieferungen vorsehende - Kooperationsabkommen von 1 963. Schließlich ist es den USA wegen der früheren öffentlichen Verlautbarungen der Exekutive und infolge Zeitablaufs 1978 und da­ nach nicht mehr möglich gewesen, noch bona fide einen in dem Test von 1 974 womöglich begründeten indischen Vertragsverstoß geltend zu machen52 • Es kann nach alledem kein ernsthafter Zweifel daran be­ stehen, daß der Nukleartest von 1974 den USA keine rechtliche Hand­ habe bietet, wegen indischen Vertragsbruchs dem Kooperationsabkom­ men zuwider die weitere nukleare Zusammenarbeit mit Indien von der Einwilligung in umfassende IAEA-Kontrolle abhängig zu machen und die Bestimmungen über Lieferpflicht nach Maßgabe der grundlegen­ den Kooperationsbedingungen zu suspendieren. Als rechtliche Stütze für das amerikanische Ansinnen sei hier kurz auch die Möglichkeit eines grundlegenden Wandels der Umstände in Betracht gezogen53 • Dazu besteht namentlich deshalb Anlaß, weil A. S. Fisher, seit 1 977 wieder Chefdelegierter der USA bei den Genfer Ab­ rüstungsgesprächen, 1 976 den Standpunkt eingenommen hat, die schwer­ wiegende Meinungsverschiedenheit zwischen den USA und Indien darüber, was „peaceful purpose" bedeute, ,,would appear to be more than sufficient to bring into play the doctrine of Rebus Sie Stantibus" ; teilung im Schreiben von McCloskey, ibid. S. 855). Es fällt auf, daß er damit zu „Anlagen" geschwiegen hat, doch der Begriff „Material" umfaßt auch Schweres Wasser. � o Kissinger, 9. 3. 1976, Hearings on S. 1439, S. 793. Ähnlich Acting Assist­ ant Secretary Kratzer, ibid. S. 461 (,,The Indian nuclear explosion . . . did not involve the violation of any undertakings with the U.S . . . . "). 5 1 Dazu die NRC : " . . . the implications of that (seil. peaceful use) as­ surance were not explicit with respect to the question whether a 'peaceful nuclear explosive' would constitute such a peaceful use" (NRC Tarapur Memorandum and Order 1977, S. 30). 5 2 Prozedural wäre überdies eine förmliche Notifikation erforderlich, vgl. Art. 65 WVRK. 0 3 Art. 62 WVRK - ,,in many respects . . . a codification of existing customary law on the subject . . . " (I.C.J. Reports 1973, S. 18, 63 - Fisheries Jurisdiction).

136

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

Fisher wollte dies sogar für diejenigen Fälle gelten lassen, in denen Kooperationspartner der USA, ohne bereits einen Kernsprengkörper tatsächlich gezündet zu haben, ihre Berechtigung dazu verkündet hät­ ten54 . Diese Lehrmeinung beruht auf einer Verkennung des Begriffs „ res" (,, circumstances"). Gemeint sind tatsächliche Umstände55 , deren Veränderung geeignet ist, Vertragsbestimmungen als veraltet und für eine Partei übermäßig belastend erscheinen zu lassen, was äußersten­ falls auch durch einen fundamentalen Wandel in der Politik eines Landes realisiert werden kann56 • Die in der Tat bestehenden Meinungs­ verschiedenheiten Indiens und der USA über die Bedeutung der „peace­ ful purpose"-Klausel gelten aber einem Auslegungsproblem, und ein Interpretationsstreit ist grundsätzlich nicht geeignet, ,, das Ausmaß der noch nach dem Vertrag zu erfüllenden Verpflichtungen" zu verändern (Art. 62 Abs. 1 lit. b Wiener Vertragsrechtskonvention) , geht es doch gerade um die Bestimmung von deren Inhalt. Ein Staat darf sich nicht das Auslegungsmonopol über die von ihm geschlossenen Verträge an­ maßen. Würde hier die Argumentation mit „rebus sie stantibus" zu­ gelassen, dann liefe dies auf eine einfache Umgehung der strengen Anforderungen an die Feststellung eines befreienden Vertragsbruchs von seiten des Partners hinaus. Es bräuchte nicht mehr die Verletzung einer Vertragsbestimmung dargetan zu werden, sondern es würde ge­ nügen, dem Partner eine Fehlinterpretation entgegenzuhalten. Der indische Nukleartest von 1974 hat nach alledem die Verpflichtun­ gen der USA auf Grund des Kooperationsabkommens mit Indien un­ berührt gelassen. Die USA sind durch das Abkommen rechtlich daran gehindert, die nukleare Zusammenarbeit mit Indien mit der Begrün­ dung abzubrechen, Indien lehne es ab, umfassende IAEA-Kontrolle zuzulassen. Bei den konkreten Entscheidungen der US-Behörden haben diese völkerrechtlichen Schranken allerdings keine erkennbare Rolle gespielt. Zwar wurde Indien auch nach Inkrafttreten des NNPA mit Kernbrennstoff beliefert, doch dazu hatte es einer Ausnahmegenehmi­ gung des Präsidenten nach Maßgabe der „ seriously prejudicial"-Formel bedurft; die NRC hatte nämlich bereits wenige Wochen nach Inkraft-

54 Hearings on S. 1439, S. 1403 f. (Fisher war damals Professor of Law am Georgetown University Law Center). 55 "a substantial change . .. in a state of facts", Restatement of the Law, Second, Foreign Relations Law of the United States, § 153. 56 Vgl. die Erläuterungen der Völkerrechtskommission zu ihrem Entwurf für den einschlägigen Artikel, YBILC 1966 vol. II S. 258 f. (paras. 6, 10). Vgl. speziell zu dem „change of governmental policy" Sehweib, S.60 - 63. Bei der Ausarbeitung der Konvention wurde anscheinend nicht klar erkannt, daß es in einem solchen Fall ausschließlich Sache des Vertragspartners ist, die Klausel anzurufen, nicht aber des Staates, der seine Haltung ändert (siehe den Hinweis von J. P. Müller, S. 220, der in diesem Zusammenhang auch berechtigterweise vor der Gefahr einseitiger Beurteilungen des Tat­ bestandes des fundamental change warnt).

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

137

treten des Gesetzes für ein bestimmtes Exportvorhaben keine Lizenz erteilt. Die Argumentation der beiden Kommissare, die sich bei Stim­ mengleichstand (2-2) durchsetzten, unterschied sich grundlegend von derj enigen, mit der die NRC noch 1977 ihre positive Entscheidung über ein Lizenzgesuch für die Verschiffung von Kernbrennstoff nach Indien begründet hatte57• 1 977 stellte sich die Kommission im Hinblick auf das Kriterium, daß der Export nicht „inimical to the common defense and security of the United States" sein dürfe, die Frage, ,,whether the safeguards and assurances given by the recipient government . . . insure that United States supplied fuel ist not diverted from the use for which it was authorized" 58 • Die NRC meinte, genügende Sicherheit könne insoweit auch ohne umfassende IAEA-Kontrolle bestehen59 • Im übrigen stützte sie sich in starkem Maße auf Urteile des State Depart­ ment sowie auf indische Erklärungen, um ihre einstimmig getroffene Einschätzung zu erläutern, mit einer Zweckentfremdung des US-ge­ lieferten Kernbrennstoffs durch Indien sei nicht zu rechnen. Eine nicht geringe Rolle spielten auch reine Opportunitätserwägungen dahinge­ hend, die Fortsetzung der Brennstofflieferungen sei geeignet, das Klima für die fortlaufenden Verhandlungen zwischen Indien und den USA zu verbessern6°. Die Entscheidung war insgesamt von der alten Kontrollphilosophie geprägt, wonach es galt, ausreichendes Vertrauen zu den peaceful-use­ Zusagen des Kooperationspartners zu gewinnen, also bei der Motivation statt bei dem Potential anzusetzen. Demgegenüber ist der Stimmen­ gleichstand in der NRC im April 1 978 symbolisch für das Dilemma, in das die Exekutive durch den NNPA versetzt worden war. Zwei Kom­ missare nahmen den Standpunkt ein, die Wahrscheinlichkeit, daß die (gesetzlich vorgeschriebene) Kontrolle über US-Lieferungen in Indien aufrechterhalten werden würde, sei nicht genügend hoch61 • Sie stellten sich die Frage nach „ the ultimate fate of the fuel proposed to be shipped" 62 und meinten, es sei unwahrscheinlich, daß Indien dem Ex51

NRC Tarapur Memorandum and Order, 28. 6.1977.

58 Ibid. S. 13.

Ibid. S. 17 f. 60 Die Kommission zitiert ein Schreiben des Department of State, in dem es u.a. heißt : "We believe that our foreign policy interest will be best served by establishing a favorable atmosphere for those discussions and that approval of this license application would be an important step in this process ... This shipment, approved at the highest levels, is believed to be in the best interest of U.S. foreign policy objectives, particularly those related to non-proliferation" (ibid. S.7 ; vgl. außerdem ähnliche Hinweise S.6, 8, 23 - 24 [,,Diplomacy must have time to work in this important field."] , 30 - 31). 01 Separate views of Commissioners Bradford and Gilinsky, abgedruckt in Hearings on Export to India, S. 166 - 183. Knappe Zusammenfassung bei Bettauer, S. 1138. 62 Ibid. S. 177. 59

138

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

portkriterium umfassender IAEA-Kontrolle innerhalb der „Gnaden­ frist " entsprechen werde; deshalb sei mit einem Lieferstopp zu rech­ nen63 ; diesen könnte Indien . als wesentlichen Bruch des Kooperations­ abkommens ansehen und sich seinerseits als von dessen Bestimmungen - u. a. über Sicherungsmaßnahmen - befreit betrachten64 . Mit dieser Gedankenführung wird als wahrscheinlich anerkannt, daß sich Indien vertragsgemäß verhalten werde, solange die USA selber vertragstreu bleiben würden65 • Hinter ihr steht im Grunde folgende Überlegung : Da Indien dem vertragswidrigen Ansinnen umfassender IAEA-Kon­ trolle vermutlich nicht nachkommen werde und die USA deshalb wegen des NNPA zu einem vertragsbrüchigen Lieferstopp schreiten müßten, sei ein sofortiger Vertragsbruch als dem NNPA eher entsprechend vor­ zuziehen. Dieser Argumentation ist treffend entgegengehalten worden, sie laufe darauf hinaus, dem verzögerten Exportkriterium sofortige Wirk­ samkeit beizulegen, und sei mit der Regelung des NNPA demzufolge unvereinbar. Die Gnadenfrist habe gerade die Bedeutung, für ihre Dauer den Fortgang der Exporte zuzulassen66 . Der Präsident hat dem­ gemäß eine Ausnahmerlaubnis für den Export erteilt, doch weder der Präsident noch sein führender Berater stellten in ihren begleiten­ den Erklärungen auf die völkerrechtlichen Bindungen der USA ab. Es war zwar knapp von der Erfüllung einer bestehenden Verpflichtung 83 " . . . the Indian conditions are formidable, and meeting them is, in any case, not entirely within U.S. control. Thus they present a very real prospect that the continued U.S. export of nuclear fuel to India beyond the prescribed period will be forbidden under the new law" (ibid. S. 172). 64 Die beiden Kommissare vermeiden es, den US-Lieferstopp als „Ver­ tragsbruch" zu bezeichnen. Sie bestätigen aber, daß das Kooperationsab­ kommen von 1963 eine „U.S. guarantee of . . . supply" enthalte (ibid. S. 173 f.), verweisen auf „the unique manner in which Indian commitments may be tied to future fuel shipments" (ibid. S. 177) und zitieren den indischen Premierminister Desai, der am 23. 3. 1978 im Parlament erklärt habe „If they say : ,no' (to the fuel shipment) . . . then all ways are open to us . . . Then we are not bound" (ibid. S. 180 Fn. 18). 85 Ebenso Nye am 23. 5. 1978 vor dem House Committee on International Relations : " . . . Prime Minister Desai has unequivocally assured us that no U.S. material will be used for any nuclear explosive purposes and that, so long as the U.S. honors its obligations under the agreement for coopera­ tion, India will abide by all the terms and conditions of our agreement. We have every confidence that India will abide by these commitments" (Dept. of State Bull. 78 No. 2016 [July 1978] S. 46 = Hearings on Export to India, S. 29). 66 Besonders klar Commissioner Kennedy's view on issuance of XSNM1060, Hearings on Export to India, S. 184 - 201 ; vgl. außerdem Executive Order des Präsidenten Carter vom 27. 4. 1978, Dept. of State Bull. 78 No. 2016 (July 1978) S. 47 ; Nye, ibid. S. 46 f. = Hearings on Export to India, S. 30. Carter hatte am 2. 1. 1978 vor dem indischen Parlament erklärt, das Kern­ kraftwerk Tarapur werde weiter mit Brennstoff beliefert werden, Dept. of State Bull. 78 No. 2011 (February 1978) S. 9.

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

189

die Rede, doch es wurde kein Wort der Frage gewidmet, ob der Ablauf der durch US-Gesetzesrecht verfügten zweijährigen Gnadenfrist an dem Bestand der völkerrechtlichen Verpflichtung etwas zu ändern vermöge. Deputy Under Secretary Nye stellte überdies die Überlegung in den Vordergrund „that failure to continue supply during the period pro­ vided by law would, in fact, undermine the dialog we now have with India" 67 • Im übrigen vermied er vor einem Kongreßausschuß eine klare Antwort auf die Frage, wie sich die Exekutive nach womöglich er­ folglosem Verstreichen der Frist verhalten werde, und sagte nur „there would probably be a cutoff" 68 • In einem Aufsatz äußerte Nye allerdings die Meinung „the President would have little alternative but to seek an amicable disengagement in our nuclear cooperation if India cannot take this step" 69 • Die geschilderten praktischen Erfahrungen geben zu folgenden zu­ sammenfassenden Bemerkungen Anlaß. Mit dem Sonderkriterium umfassender IAEA-Kontrolle legt der NNPA die USA nicht definitiv darauf fest, nach Ablauf der Gnadenfrist gegenüber widerstrebenden Partnern vertragsbrüchig zu werden, da es der Präsident in der Hand hat, durch Erteilung von Ausnahmeerlaubnissen die Vertragstreue der USA zu wahren70 • Auf Grund der Kooperationsabkommen ist der Prä­ sident völkerrechtlich verpflichtet, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Er müßte sich auf den Rechtsstandpunkt stellen, die Verlet­ zung eines nuklearen Kooperationsabkommens durch die USA wäre grundsätzlich „seriously prejudicial to the achievement of United States non-proliferation objectives" . Der Kongreß müßte dann ent­ scheiden, ob er die Verantwortung für ein legislatives Veto mittels concurrent resolution sowie einen nachfolgenden Verfassungskonflikt mit der Exekutive übernehmen wolle. Insoweit muß bereits bedenk­ lich stimmen, daß der Versuch von Mitgliedern des House of Represen­ tatives, Carters Executive Order zu blockieren, nur recht knapp (181 6 7 Dept. of State Bull.78 No.2016 (July 1978) S.45 = Hearings on Export to India, S.29. os Hearings on Export to India, S.49. Ibid. die Mitteilung „we have indicated that it is highly unlikely there would be such a (seil. presidential) waiver". 69 Nye, Strategy, S.612. - Für die Dauer der Übergangszeit war das Pro­ blem der US-Vertragserfüllung nicht mehr akut, nachdem die NRC am 23.3. 1979 die Verschiffung von acht Tonnen angereicherten Urans nach Indien mit 3 : 2 Stimmen genehmigt hatte; J.F.Ahearne war zwischenzeitlich fünfter Kommissar geworden (vgl. Administrative Survey : October 1977 to Septem­ ber 1978, S. 243 Fn. 64, 68). Als die erste Entscheidung nach Ablauf der Über­ gangszeit anstand, verweigerte die NRC die Exportlizenz, doch Präsident Carter erteilte im Juni 1980 eine - dem Kongreßveto unterliegende - Aus­ nahmeerlaubnis, vgl. The Economist vom 28.6.1980, S.23 f. 70 Ebenso Nye, Hearings on Export to India, S.49 : " . . . strictly speaking from a legal point of view, it is not an automatic cutoff."

140

B.II.Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

- 227) gescheitert ist71 • Zu Pessimismus geben außerdem verschiedene Äußerungen von Kongreßmitgliedern Anlaß 72 • Nach alledem ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß rechtliche Erwägungen bei den weiteren Ent­ schlüssen von Exekutive und Legislative73 gegenüber Indien eine maß­ gebliche Rolle spielen werden. bb) Der Vorbehalt der Wiederaufarbeitungs-Erlaubnis unter besonderer Berücksichtigung des Falles EURATOM Während das Exportkriterium umfassender Sicherungsmaßnahmen einen tatsächlichen Zustand anvisiert, es mithin auch ohne vorausge­ hende Verhandlungen oder Absprachen durch die Schaffung der ent­ sprechenden faktischen Verhältnisse erfüllt werden kann, zielt der Vorbehalt der Wiederaufarbeitungs-Erlaubnis auf eine Rechtsposition ab, die explizit vereinbart werden muß. Soweit es eine diesbezügliche Klausel nicht gibt - wie im Fall des Abkommens mit EURATOM -, ·"'1.üßten zwischen den Partnern, soll die Rechtsposition eingeräumt werden, Verhandlungen stattfinden. Demgemäß gewährt der NNPA im Zusammenhang mit diesem Kriterium nicht nur eine Übergangszeit, sondern setzt zugleich eine Frist von dreißig Tagen für die Aufnahme von Verhandlungen. Die Regelung gibt Anlaß, neben ihrer völkerrecht­ lichen Fragwürdigkeit auch die tatsächliche Handhabung der in fast allen Kooperationsabkommen verankerten Erlaubnisvorbehalte zu er­ örtern. a) Der Fall EURATOM ein Völkerrechtsverstoß der USA

Die Anerkennung oder Nichtanerkennung eines Zustimmungsvor­ behalts für die Wiederaufarbeitung gelieferten Materials gehört zwei­ fellos zu den grundlegenden Kooperationsbedingungen. Wenn das

11 Administrative Survey : October 1977 to September 1978, S.243. 12 Bestenfalls als Begriffsverwirrung kann folgende Argumentation be­ zeichnet werden: Wenn Indien damit „drohe", bei einem Lieferstopp der USA sei es an die Bestimmungen des Kooperationsabkommens nicht länger ge­ bunden und könne deshalb auch bestrahlten Kernbrennstoff aus den USA ohne US-Erlaubnis wiederaufarbeiten, dann stelle dies Erpressung dar. Die Warnung vor den Folgen der befreienden Wirkung eines Vertragsbruchs wird mithin als „Erpressung" eingestuft. So aber (,,blackmail") die Rep. Long (Maryland), Dodd (Connecticut), Burke (Florida), Hearings on Export to India, S. 2, 8, 360. 73 Vgl. Rep. Ottinger (New York) : ". . . from where we sit here in Congress, it is important to see that congressional mandates are carried out ..." (Hearings on Export to India, S. 12). Sen. Sparkman (Alabama), Vorsitzender des Senate Committee on Foreign Relations, schrieb dem Präsidenten, sein Ausschuß würde eine Freistellung vom Sonderkriterium fast mit Sicherheit mißbilligen, vgl. Administrative Survey : October 1977 to September 1978, s.429.

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

141

Abkommen mit EURATOM die Wiederaufarbeitung freistellt, wovon auch die US-Exekutive ausgeht74 , dann hat dies zur Folge, daß die USA die Kernbrennstofflieferungen an EURATOM nicht an die einseitig ge­ stellte neue Bedingung knüpfen dürfen, EURATOM müsse zu einem Zustimmungsvorbehalt für Wiederaufarbeitung ihr Einverständnis geben. Die standhafte Zurückweisung dieses Ansinnens durch EURA­ TOM wäre deshalb auch nach Ablauf der Übergangszeit kein rechtlich haltbarer Grund für einen Lieferstopp. Der Fall EURATOM hat daneben einen prozeduralen Aspekt, wel­ cher das Verfahren betrifft, in dem es zur Aufnahme zunächst von „ Gesprächen" zwischen den Parteien gekommen ist. Die Entwicklung verlief folgendermaßen75 • Da der NNPA am 10. März 1 978 in Kraft trat, mußte die 30-Tage-Frist am 9. April 1978 ablaufen. Am 28. März 1 978 bat die US-Mission bei den EG, die Gemeinschaft möge der Auf­ nahme von Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zwecks An­ passung einiger Bestimmungen der Abkommen EURATOM/USA über Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie an die Erfordernisse des neuen amerikanischen Gesetzes zustimmen. EURATOM lehnte mit der Begründung ab, die Kooperationsabkommen unterlägen nicht der Revision durch gesetzgeberische Maßnahmen eines der Partner. Die USA hielten ihre Kernbrennstofflieferungen umgehend an. Im Juni 1 978 wurde eine Kompromißformel vereinbart, wonach nicht „Ver­ handlungen", sondern „Gespräche" zu führen seien. Am 7. Juli teilte die Kommission der US-Mission mit, daß sie zur Aufnahme von Ge­ sprächen über die Kooperationsabkommen EURATOM/USA bereit sei, sofern Einverständnis darüber bestehe, daß (1) diese Bereitschaft in keiner Weise für die Haltung der Gemeinschaft nach den Gesprächen maßgebend sein könne, (2) die von der INFCE behandelten Punkte nach Abschluß der INFCE in die Gespräche aufgenommen würden und daß den Ergebnissen von INFCE Rechnung getragen werde, und daß (3 ) während der Dauer der Gespräche die Zusammenarbeit zwischen EURATOM und den USA im Rahmen der bestehenden Abkommen nicht behindert werde, was vor allem für die Verträge und Lieferun­ gen gelte. Nachdem das Department of State die NRC am 20. Juli 1978 von dieser Entwicklung unterrichtet hatte, wurden die Lieferungen wieder aufgenommen78• 74 Deputy Assistant Secretary Nosenzo am 27. 7. 1977 : " . . . having once agreed in the past to allow them to decide for themselves what to do with U.S. supplied fuel . . . " (Hearings on H.R. 8638, S. 233). Vgl. außerdem Deputy ACDA Director Keeny, ibid. S. 164. 75 Vgl. SA Couste und SA van Aerssen an die EG-Kommission, ABlEG C 282/7, 27. 11. 1978, und ABlEG C 260/4, 15. 10. 1979 ; Bettauer, S. 1 152 f. ; Bywater, S. 226 f. ; Franko, S. 1199 - 1201 ; Goldschmidt I Kratzer, S. 51. 7 6 Das Bulletin der EG ignorierte diese Ereignisse vollkommen, und der Jahresbericht der Kommission für 1978 widmete ihnen nur folgenden Satz:

142

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

Hier stellt sich die Frage, ob die USA berechtigt waren, ihre Brenn­ stofflieferung vorübergehend einzustellen. Die Aussetzung der Er­ füllung der Kooperationsabkommen könnte durch eine Vertragsverlet­ zung der EURATOM gerechtfertigt gewesen sein. Da sie als Beugemit­ tel eingesetzt wurde - nämlich zu dem Zweck, EURATOM verhand­ lungsbereit zu machen -, hätte sie den Charakter einer Repressalie. Eine Vertragsverletzung als völkerrechtswidriges Verhalten kann den verletzten Staat bekanntlich sowohl zu spezifisch vertragsrechtlichen Gegenmaßnahmen berechtigen (Beendigung oder Suspendierung des ganzen Vertrages oder eines seiner Teile) als auch allgemein zu Eingrif­ fen in den geschützten Rechtsbestand des verletzenden Staates, wobei auch die Aussetzung der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen in Be­ tracht kommt77 • Im Fall EURATOM liegt der Ansatz beim Repressalien­ recht schließlich auch deshalb nahe , weil die ausgesetzten Kernbrenn­ stofflieferungen und die vielleicht verletzte Pflicht zur Verhandlungs­ bereitschaft nicht in einem do-ut-des Verhältnis gestanden haben. Ein Staat ist nach allgemeinem Völkerrecht nicht verpflichtet, auf den Verhandlungswunsch eines anderen Staates positiv zu reagieren78 • Diese Obliegenheit kann aber durch ein pactum de negotiando aufer„Hinsichtlich der Belieferung mit angereichertem Uran aus den USA ergaben sich vorübergehend Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Erteilung von Exportlizenzen nach Inkrafttreten des Nuclear Non-Proliferation Act" (S. 226 f.). - Im Europäischen Parlament wurde allerdings frühzeitig harte Kritik an den amerikanischen Maßnahmen laut, vgl. Abg. Flämig, Lord Bessborough, Brown am 16. 3. 1978, Verhandlungen des EP, ABlEG Anhang Nr. 228, März 1978, S. 171, 180, 181. 7 7 Dazu insb. Partsch, WV III S. 103 ; Simma, Article 60, S. 7 ff. ; Tomuschat, Repressalie, S. 184 - 188, 193 f. ; Verdross / Simma, S. 409 - 411, 651 - 654. Vgl. außerdem jüngst Eighth Report on State Responsibility (R. Ago, Special Rapporteur, A/CN. 4/318/Add. 3, 5. 2. 1979 - ,,Circumstances precluding wrongfulness/Legitimate application of a sanction") mit dem abschließenden Textvorschlag : "The international wrongfulness of an act not in conformity with what would otherwise be required of a State by virtue of an inter­ national obligation towards another State is precluded if that act was committed as the legitimate application of a sanction against that other State, in consequence of an internationally wrongful act committed by that other State" (para. 22 = S. 16). Die Völkerrechtskommission entschied sich auf ihrer 31. Tagung (1979) für eine allgemeinere Formulierung (Art. 30 des Konventionsentwurfs) : "The wrongfulness of an act of a State not in con­ formity with an obligation of that State towards another State is precluded if that act constitutes a measure legitimate under international law against that other State, in consequence of an internationally wrongful act of that other State." (ILC Report on the Work of its 31st Session, A/34/10 = GAOR [XXXIV] Suppl. 10, S. 311 ; ILM 18 [1979] S. 1576). 78 ZoUer, S. 60, allerdings unter zu undifferenzierter Berufung auf den Lac Lanoux-Schiedsspruch (R.l.A.A. vol. XII S. 281). Zu dem Problem einer ausnahmsweise völkergewohnheitsrechtlich begründeten Verhandlungspflicht vgl. Hahn, S. 494 f. (unter besonderer Berücksichtigung des Festlandsockel­ Urteils des IGH, I.C.J. Reports 1969, S. 3 [S. 47]), sowie Marion, S. 377 - 381 (besonders zum Lac Lanoux-Schiedsspruch).

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

143

legt worden sein. Dabei handelt es sich um die Vereinbarung von Staaten, sich mit dem Ziel ins Benehmen zu setzen, in einem bestimm­ ten Bereich eine Einigung zu erzielen. Der eine Partner ist auf Ersu­ chen des anderen verpflichtet, in Verhandlungen einzutreten. Die Ver­ pflichtung zu verhandeln, erfordert bona fide die Bereitschaft, mit der Gegenpartei zu reden , Verständnis für deren Vorbringen zu haben und auf deren Interessenlage einzugehen - alles dies in dem aufrichtigen Bemühen um Verständigung und abschließende Einigung79 • Ausgangspunkt für die Überlegung, ob EURATOM den USA gegen­ über verhandlungsbereit sein mußte, kann nur Art. XIV Abs. A des Kooperationsabkommens vom 8. November 1 958 sein: „Die Parteien fassen die Möglichkeit ins Auge, von Zeit zu Zeit weitere Abkommen über eine Zusammenarbeit bezüglich der friedlichen Seiten der Atomenergie zu schließenso ." Sicherlich handelt es sich hierbei nicht um ein pactum de contra­ hendo im Sinne einer Verpflichtung zum Vertragsabschluß, wobei die Frage dahingestellt bleiben darf, ob eine scharfe Unterscheidung vom Rechtsinstitut des pactum de negotiando überhaupt möglich ist81 • Der Interpret kann hier aber auch kein pactum de negotiando im vor­ stehend beschriebenen überkommenen Sinn erkennen, d. h. im Sinne einer Vereinbarung, in Verhandlungen einzutreten, um möglichst eine Einigung zu erzielen. Die Formulierung „fassen die Möglichkeit ins Auge", der die anderen authentischen Fassungen ohne weiteres ge­ recht werden82 , läßt kaum eine Auslegung zu, wonach die Parteien zu ergebnisversprechenden, also letzten Endes kompromißorientierten Ver­ handlungen verpflichtet seien. Dies spräche dafür, die zur Debatte ste­ hende Bestimmung als j uristisch unverbindliche Erklärung bzw. als ,, enunziatorischen" Vertragsbestandteil83 einzustufen. Gleichwohl gibt es Gründe, die dagegen sprechen, sich mit einem solchen Ergebnis zufriedenzugeben. Zunächst geht die Bestimmung 79 Siehe zu diesen Grundsätzen das Urteil des Schiedsgerichtshofes für das Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 26. 1. 1972, AVR 16 (1974/75) S. 339 ff. = ILR 47 (1974) S. 418 ff., und dazu Hahn, sowie Guyomar; vgl. außerdem aus dem jüngeren Schrifttum Marion, Zoller, S. 59 - 68, Beyer­ lin, S. 426 ff., jeweils unter Würdigung der einschlägigen Judikatur. so TIAS 4173 = 10 UST 75 = ABlEG 17 (S. 312/59, 19. 3. 1959). 81 Dagegen - unter Berufung auf die Judikatur, die letztlich stets auf bona fides abgestellt habe - vor allem Marion, passim ; Beyerlin, S. 426 ff. ; dafür aber anscheinend das oben (Anm. 79) zitierte Schiedsurteil. 82 Die englischen, französischen, italienischen und niederländischen For­ mulierungen lauten : ,,The Parties anticipate that from time to time they may enter into . . . ", ,,Les Parties prevoient la possibilite de conclure . . . ", „Le Parti prevedono la possibilita di concludere . . . ", ,,Partijen overwegen de mogelijkheid . . . te sluiten . . . ". ss Zum Begriff siehe Hahn, S. 492.

144

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

über die banale Feststellung der aus der völkerrechtlichen Vertrags­ freiheit folgenden Tatsache hinaus, die Parteien könnten weitere Ko­ operationsabkommen schließen; die Möglichkeit zusätzlicher Vereinba­ rungen wird nicht einfach zur Kenntnis genommen, sondern „ins Auge gefaßt" (bzw. ,,vorhergesehen", was den anderen Sprachen ebenfalls gerecht würde). Eine zweite Bemerkung muß dem Umstand gelten, daß das pactum de negotiando in erster Linie ein Mittel der Streiterledi­ gung ist, und daß die überkommene Erscheinungsweise dieses Rechts­ instituts - namentlich die Zielsetzung einer Einigung, die überdies zu­ meist auch im Interesse der Völkergemeinschaft liegen wird - von daher ihre Prägung erfährt. In einem zukunftsbezogenen Abkommen über wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit ist regelmäßig mit we­ niger weitgehenden Festlegungen zu rechnen . Diese Überlegungen führen zu der Frage nach Ziel und Zweck des hier erörterten Art. XIV Abs. A. Die Mitberücksichtigung teleologischer Gesichtspunkte könnte den weichen Formulierungen der Klausel schär­ fere Konturen geben und schließlich doch die Identifizierung eines rechtlichen Bindungswillens gestatten. Wie in den anderen Kooperationsabkommen der USA, so konnte auch in dem Abkommen mit EURATOM nicht vorausschauend Vorsorge ge­ troffen werden für spätere Entwicklungen und künftige Bedürfnisse. Für die meisten Länder der Gemeinschaft stellte die Zusammenarbeit mit den USA eine Starthilfe oder einen wesentlichen Förderbeitrag für ihre nukleartechnologische Entwicklung dar. Änderungen und Er­ weiterungen wurden antizipiert. Alle Beteiligten mußten in diesem neuen Kooperationsfeld erst Erfahrungen sammeln und verwerten. In Art. XIV Abs. A dokumentiert sich die Offenheit der Parteien gegen­ über der Entwicklung der j eweiligen Interessen. Die Partner verweisen auf ihre Flexibilität, Aufgeschlossenheit und Anpassungsfähigkeit. Die Vorschrift liefe angesichts dessen leer, würde ihre j uristische Bedeu­ tung auf die Feststellung des Rechts zum Vertragsschluß reduziert. Wenn die Parteien die Möglichkeit des Abschlusses weiterer Abkom­ men „ins Auge fassen", dann teilen sie mit, auf die Abgabe entspre­ chender Angebote eingestellt und konsequenterweise bereit zu sein, darüber auch zu sprechen. Mögen sie auch nicht - wie unter einem ,,klassischen" pactum de negotiando - verpflichtet sein, j edem Ange­ bot grundsätzlich mit positivem Interesse zu begegnen, so sind sie doch gehalten, den Partner verständnisvoll anzuhören. Dabei dürfte es sich von selber verstehen, daß ein „weiteres Kooperationsabkommen" auch die Änderung eines bestehenden sein kann. Dieses Verständnis des über eine Konsultationsklausel damit hinaus­ gehenden Art. XIV Abs. A wird durch die Praxis der Partner bestätigt,

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

145

die ihrerseits noch zu den allgemeinen Auslegungsmitteln zählt84 • Das Zusatzabkommen EURATOM-USA vom 1 1 . Juni 1 960 85 berief sich in der Präambel auf die erwähnte Klausel und verwies auf Mehrbedarf der Gemeinschaft. Entsprechendes gilt für die Änderungsabkommen dazu vom 21 ./22. Mai 1 962 und 22 ./27. August 1 963 86 • Das Änderungsab­ kommen vom 20. September 1 972 87 schließlich wurde in der Präambel ausdrücklich mit dem Wunsch der Parteien begründet, die Bestimmun­ gen des Zusatzabkommens, ,,welche die Übertragung von besonderem Kernmaterial sowie Dienstleistungen in bezug auf besonderes Kern­ material betreffen, auf den gegenwärtigen Stand zu bringen". Auch diese Ergänzungs- und Änderungsabkommen machen deutlich, daß das Abkommen vom November 1 958 auf Anpassungen an veränderte Um­ stände angelegt war, und diese Offenheit sowie · die damit notwendi­ gerweise verknüpfte Aufgeschlossenheit der Parteien füreinander ka­ men gerade in dem Art. XIV Abs. A zum Ausdruck88• Dieses Auslegungsergebnis legt die Annahme nahe, EURATOM habe mit der Ignorierung des Verhandlungswunsches der USA im Frühj ahr 1978 die Obliegenheit, gesprächsbereit zu sein, verletzt und damit völkerrechtswidrig gehandelt. Diese Schlußfolgerung wäre j edoch vor­ eilig. Zunächst bedarf es einer Klärung, ob das Verhandlungsangebot der USA überhaupt geeignet war, den Konsultationsmechanismus aus­ zulösen. Es sei daran erinnert, daß EURATOM angesonnen wurde, der Aufnahme von Verhandlungen zwecks Anpassung einiger Bestim­ mungen der Abkommen an die Erfordernisse des NNPA zuzustimmen. Dieser Vorschlag ließ für Verhandlungen keinen Spielraum, denn das Ergebnis war durch den NNPA vorgezeichnet. Letzterer setzte überdies eine Frist, innerhalb derer das Ergebnis erzielt sein mußte. Danach gab es im Grunde nichts, worüber hätte verhandelt werden können. EURA­ TOM wurde aufgefordert, in Gespräche einzutreten und das entspre­ chende Ergebnis termingerecht möglich zu machen. Dieser Wunsch nach Verhandlungen „ mit vorgehaltener Pistole" 89 ließ nicht erkennen, Art. 31 Abs. 3 lit. b WVRK. TIAS 4650 = 1 1 UST 2589 = ABlEG 31 (S. 668/61, 29. 4. 1961). 86 TIAS 5104 = 13 UST 1439 = ABlEG 72 (S. 2045/62, 8. 8. 1962) ; TIAS 5444 = 14 UST 1459 = ABlEG 163 (S. 2586/64, 21. 10. 1964). 8 7 TIAS 7566 = 24 UST 472 = ABlEG L 139/24, 22. 5. 1974. 88 Auf die Frage, auf Grund welcher Klausel das Abkommen mit den USA gegebenenfalls neu ausgehandelt werden könnte, antwortete der EG-Rat u. a. mit einem Hinweis auf den Art. XIV Abs. A (SA Radoux, ABlEG C 175/ 44, 24. 7. 1978). Eine Anerkennung bestimmter Verhandlungspflichten wird man daraus aber nicht schließen können. - Vgl. in diesem Zusammenhang auch den zutreffenden Hinweis von Haftendorn (S. 8 Fn. 1 1) auf „Anpas­ sungsmöglichkeiten", die im USA-EURATOM-Abkommen vorgesehen seien. 89 „under the gun", Nye, Hearings on H.R. 8638, S. 1 1 8 ; vgl. auch Deputy Assistant Secretary Nosenzo, ibid. S. 233 : "holding a sword over their heads." 84 85

10 Prill

146

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

daß ein verständigungsbereiter Meinungsaustausch bona fide überhaupt geplant gewesen wäre90 . Vielmehr wird man bereits die Drohung mit einem Vertragsbruch für den Fall, daß der Vertrag nicht geändert werde, als einen gegen die Vertragserfüllung bona fide gerichteten Akt und folglich ihrerseits als vertragswidrig ansehen müssen91 . Unter die­ sen Umständen kann kein ernsthafter Zweifel bestehen, daß der seiner­ seits nicht von bona fides getragene US-Vorschlag ungeeignet war, die Obliegenheit von EURATOM zur Gesprächsbereitschaft wirksam zu aktualisieren. Die Note der Gemeinschaft vom 7. Juli 197892 wirft ein klares Licht auf die dafür erforderlichen Voraussetzungen: EURATOM wird nicht darauf festgelegt, daß am Ende der Gespräche ein Ände­ rungsabkommen steht; es gibt keinen numerus clausus von Gesichts­ punkten, die in den Gesprächen Berücksichtigung finden, insbesondere ist auch den INFCE-Ergebnissen Rechnung zu tragen; die Gespräche stehen nicht unter Zeitdruck. Erst nachdem die USA diese Modalitäten akzeptiert hatten, durfte sich EURATOM der Aufnahme von Ge­ sprächen nicht mehr verschließen. Die amerikanische Lieferunterbre­ chung war mithin mangels völkerrechtswidrigen Verhaltens der EURA­ TOM als Verletzung der Kooperationsabkommen selber völkerrechts­ widrig93 . Ein erneuter Lieferstopp nach Ablauf der Übergangszeit wäre es ebenfalls94 . 00 Vgl. Nye : "other countries would accuse the United States of not being able to negotiate in good faith if we told them in advance they would merely have to accept our new conditions or be cut off" (Hearings on H.R. 8638, S. 348). Vgl. auch die ausweichende Antwort der EG-Kommission auf die SA van Aerssen, ABlEG C 260/4, 15. 10. 1979. 01 zu vorsichtig Dotzer, S. 10. 02 Zitiert in SA Couste und SA van Aerssen, s. oben Anm. 75 und Text dazu. 93 Soweit der Lieferstopp als Repressalie verhängt werden sollte, dürfte er überdies als unverhältnismäßig harte Gegenmaßnahme exzessiv gewesen sein. 94 In der Abschlußerklärung des Bonner Wirtschaftsgipfeltreffens vom 17. 7. 1978 hieß es : ,,The President (seil. of the U.S.) intends to use the full powers of his office to prevent any interruption of enriched uranium supply and to ensure that existing agreements will be respected" (Dept. of State Bull. 78 No. 2018 [Sept. 1978] S. 3; vgl. auch Bull. 1978 S. 759 [Nr. 80, 19. 7. 1978]). Dies konnte als die Ankündigung des Präsidenten verstanden werden, nach Ablauf der Gnadenfrist werde er von seinem Recht Gebrauch machen, die Übergangszeit zu verlängern. Den Verfassern der Erklärung kann aber kein rechtlicher Bindungswille unterstellt werden, so daß auch Carter mit seiner Ankündigung keine neue rechtliche Verpflichtung eingegangen ist. Vgl. zu dem Rechtscharakter solcher Gipfel-Deklarationen das Schreiben von Assistant Secretary Bennet an Sen. Sparkman, den Vorsitzenden des Senate Committee on Foreign Relations, vom 14. 8. 1978 (abgedruckt in AJIL 73 [1979] S. 130) : "non-binding communiques", "not a legally binding commitment". In der Abschlußerklärung zum Weltwirtschaftsgipfel in Tokio vom 29. 6. 1979 wurde an das Bonner „understanding" ,,über die zuverlässige Lieferung von Kernbrennstoff und die Verringerung der Gefahr einer

1. Bindung der USA au·f Grund der Kooperationsabkommen

147

Unbeschadet dieser Rechtslage ist die Frage interessant, worauf sich EURATOM einzustellen hätte, sollte sie den USA ein Zustimmungs­ recht für Wiederaufarbeitung einräumen. Zu diesem Zweck sei ein Blick auf die entsprechenden Passus der anderen Kooperationsabkom­ men geworfen und der Frage nachgegangen, inwieweit Erlaubnisse erteilt worden sind, in welcher Rechtsform dies geschehen ist, welche Gesichtspunkte die Entscheidungen bestimmt haben, und ob gegen die Handhabung der Wiederaufarbeitungsklausel rechtliche Bedenken be­ stehen. Es wird sich erweisen, daß die Wiederaufarbeitungsklausel einen Hebel darstellt, auf Entscheidungen der Empfängerländer in Ausübung des Rechts auf zivile Kernenergienutzung einzuwirken, wobei sich die sehr schwierige Frage stellt, inwieweit diese Einflußnahmen in der Klausel eine ausreichende vertragliche Grundlage finden. Die Klausel stellt gewissermaßen einen Schnittpunkt der nationalen Souveränität der Empfängerländer und der - möglicherweise vertraglich begrün­ deten - Ingerenzmöglichkeiten des Lieferstaates dar und bezieht daher das hohe Interesse, das sie verdient.

ß) Die Handhabung der Wiederaufarbeitungsklauseln Bis Ende 1976 wurde die Zustimmung zu der Wiederaufarbeitung von US-geliefertem Material regelmäßig erteilt95 • Aus einer ERDA­ Aufstellung von 1977 geht hervor, daß die Einwilligung im Hinblick auf Material aus Kernkraftwerken (im Unterschied zu Forschungsreakto­ ren, wo es meistens nur um geringfügige Mengen geht) erstmals 1967 und seitdem etwa vierzig Mal gegeben worden ist. Betroffen waren knapp 2500 kg Plutonium96 • Bei den Nutznießern handelte es sich prak­ tisch nur um vier Staaten, nämlich Japan, Schweden, die Schweiz und Spanien97 • Die Wiederaufarbeitung geschah fast stets im Vereinigten Königreich (Windscale), erst recht spät auch in Frankreich (La Hague) 98 . Verbreitung von Kernwaffen auf ein Mindestmaß" erinnert (Bull. 1979 S. 817 [Nr. 87, 5. 7. 1979] ; Dept. of State Bull. 79 No. 2029 [August 1979] S. 9). - Im März 1980 schließlich verlängerte Präsident Carter die Übergangszeit unter der „seriously prejudicial"-Formel des § 304 NNPA um ein Jahr, vgl. Frank­ furter Allgemeine Zeitung vom 31. 3. 1980, S. 5. es „routinely granted", so Goldschmidt / Kratzer, S. 46. Am 3. 10. 1978 teilte Deputy Under Secretary Nye mit, in zwei Fällen sei die Erlaubnis abgelehnt worden, nämlich einmal gegenüber Schweden und einmal gegenüber Spa­ nien; Hearings on Reprocessing, S. 83. 0u Hearings on H.R. 8638, S. 288 - 303. 97 Außerdem einmal Kanada mit einer kleinen Menge sowie die Bundes­ republik Deutschland und Italien für Wiederaufarbeitung im Vereinigten Königreich vor dessen EURATOM-Beitritt. Würde Material aus Forschungs­ reaktoren mitberücksichtigt, kämen Argentinien, Dänemark, Norwegen und Südafrika hinzu (Aufstellung in Hearings on H.R. 8638, S. 304 - 325). 10 •

148

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

In den Kooperationsabkommen mit Schweden, der Schweiz und Spa­ nien heißt es jetzt nach Änderungsabkommen von 1973/7499 überein­ stimmend: ,, . . . reproeessing . . . shall be performed in faeilities aeeep­ table to both Parties upon a joint determination of the Parties that the provisions of Article . . . (seil. on safeguards) may be effeetively app­ lied. " Eine derartige (gemeinsame!) Feststellung ist in den Einzelfäl­ len einer Wiederaufarbeitung in Frankreich und im Vereinigten König­ reich offenbar nie getroffen worden ; dies kann aus einer Stellung­ nahme des Department of State zu zwei konkreten Projekten des Jah­ res 1976 geschlossen werden, in der diese Feststellung mit der Begrün­ dung als entbehrlich hingestellt worden ist, bei Wiederaufarbeitung in Kernwaffenstaaten stelle die „safeguardability" grundsätzlich kein Problem dar 100 • Bei Wiederaufarbeitung von Material aus Japan außer­ halb Japans wäre eine solche Feststellung ohnehin entbehrlich, da das Kooperationsabkommen sie nicht vorsieht101 • Es darf demnach festge­ halten werden, daß die Erlaubnis allem Anschein nach jeweils durch einseitige Erklärung der USA erteilt worden ist. Im März 1977 wurde noch einmal eine Zustimmung zur Wiederaufarbeitung erteilt102 , doch dann trat ein grundlegender Wandel in der US-Politik ein, und zwar - in den Worten des Deputy Under Seeretary Nye - ,,from a per­ missive poliey on retransfers to a poliey where approval would be granted only as a 'last resort' " 103 • In den folgenden achtzehn Monaten gaben die USA nur drei Einwilligungen. Im Oktober 1978, als zwei weitere Erlaubnisse (beide zugunsten Japans) zur Debatte standen bereits unter Geltung des NNPA -, erläuterte Nye die Grundsatz­ haltung der Regierung folgendermaßen : Einwilligungen würden von Fall zu Fall erteilt werden, (1) sofern ein klares Bedürfnis bestehe, etwa wegen akuter Lagerungsprobleme, vorausgesetzt allerdings, das antragstellende Land unternehme angemessene Anstrengungen zur Er­ weiterung seiner Lagerkapazitäten, (2) ausnahmsweise auch dann , wenn 9s Material aus Forschungsreaktoren außerdem in Belgien (Eurochemie), Norwegen, Spanien. 99 Schweden (Art. VII bis Abs. C), 10. 5. 1974, TIAS 7854 = 25 UST 1 235 ; Schweiz (Art. VII bis Abs. C), 2. 11. 1973, TIAS 7773 = 25 UST 1 9 ; Spanien (Art. VIII Abs. C), 20. 3. 1974, TIAS 7841 = 25 UST 1063. 100 Schreiben des Assistant Seeretary Bennet an Rep. Bingham (New York) vom 30. 3. 1977, in : Hearings on H.R. 8638, S. 278 f. 101 Im Abkommen vom 26. 2. 1968 (TIAS 65 17 = 19 UST 5214) - insoweit nicht verändert durch das Abkommen vom 28. 3. 1973 (TIAS 7758 = 24 UST 2323) - heißt es : ". . . reproeessing . . . may be performed in Japanese facil­ ities upon a joint determination of the Parties that the provisions of Article XI (seil. on safeguards) may be effectively applied, or in such other facilities as may be mutually agreed" (nunmehr Art. VIII Abs. C). 1 02 Für Spanien im Vereinigten Königreich, vgl. Hearings on H.R. 8638,

S. 303.

10s Erklärung vom 3. 1 0. 1978 in einer Kongreßanhörung, Dept. of State Bull. 79 No. 2022 (Jan. 1979) S. 45 = Hearings on Reprocessing, S. 50 f.

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

149

ein Aufarbeitungsvertrag vor 1977 geschlossen worden sei, vorausge­ setzt „the requesting country is actively cooperating in exploring more proliferation-resistant methods of spent fuel disposition and approval will directly further major nonproliferation objectives" , (3) jedenfalls unter der Bedingung, die USA behielten ein Vetorecht über die Wei­ tergabe des bei der Aufarbeitung gewonnenen Plutoniums104 . Diese Politik war deutlich restriktiver als die Richtlinien des NNPA, wonach die Zulassung von Wiederaufarbeitung in „Altanlagen" (Windscale, Vereinigtes Königreich; Marcoule und La Hague, Frankreich ; Euro­ chemic 105 in Mol, Belgien ; Karlsruhe, Bundesrepublik Deutschland ; Tokai Mura, Japan) nur die Feststellung des Eenergieministers voraus­ setzte, das Vorhaben „will not be inimical to the common defense and security". Die Wiederaufarbeitungsvorhaben, die zur Debatte standen, sollten in Frankreich bzw. im Vereinigten Königreich durchgeführt werden. Es fällt auf, daß in Nyes Aussage von einer allgemeinen Unbedenklich­ keit von Wiederaufarbeitung in Kernwaffenstaaten nicht mehr die Rede war. Der Deputy Under Secretary hielt es für nötig zu versichern, die Durchführung der Aufarbeitung in Windscale/Thorp (zwar eine Neuanlage, aber eine solche in einem Kernwaffenstaat) 106 würde die Proliferationsgefahr nicht erhöhen und den Vereinigten Staaten genü­ gend Zeit lassen, von einer Abzweigung des Materials für Kernspreng­ körper zu erfahren, obwohl § 303 NNPA (§ 1 31 (b} ( 2) AEA) nur Bedin­ gungen erfordert „that will ensure timely warning to the United States of any diversion well in advance of the time at which the non-nuclear­ weapon state could transform the diverted material into a nuclear 104 Ibid. S. 46 (Bull.) = S. 52 f. (Hearings). Opportunitätserwägungen spiel­ ten freilich ebenfalls eine Rolle, denn Nye sprach auch von „U.S. non­ proliferation and broader foreign policy interests " und äußerte im Hinblick auf INFCE die Meinung, daß „total inflexibility now in dealing with key participants is likely to give us less influence over the shape of the outcome" (ibid. S. 45 [Bull.] = S. 51 [Hearings]). 1 05 „Europäische Gesellschaft für die Chemische Aufarbeitung Bestrahlter Kernbrennstoffe (EUROCHEMIC) " , als Gemeinschaftsunternehmen gegrün­ det auf Grund eines unter OEEC-Auspizien geschlossenen Übereinkommens vom 20. 12. 1957 zwischen Belgien, Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Türkei; BGBl. 1959 II S. 621. Vgl. dazu die Analysen von Drück, S. 271 - 298, sowie Libbrecht (passim, mit weiteren Literaturhinweisen S. 632 - 635). Eurochemie stellte ihre Tätigkeit 1974 vorerst ein, vgl. Gold­ schmidt / Kratzer, S. 27. 1978 ist die Anlage an Belgien übertragen worden, vgl. atw 23 (1978) S. 380 f. 10& Für . diese neue Anlage in Windscale, deren Baubeginn für 1981/82 vorgesehen ist, konnte die Privilegierung der alten Anlagen (unter ihnen auch eine in Windscale) nicht gelten ; in diesen Fällen müssen Energie­ minister und Secretary of State gern. § 303 NNPA gemeinsam befinden, die Wiederaufarbeitung „will not result in a significant increase of the risk of proliferation beyond that which exists at the time that approval is re­ quested". Vgl. auch. zu dem Fall Windscale / Thorp Bettauer, S. 1 129 Fn. 156.

150

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

explosive device" 10 7 • Die Frage, ob diese Anwendung des Gesetzes auf einer zutreffenden Interpretation beruht, darf hier dahingestellt blei­ ben. Im Rahmen dieser Arbeit interessiert vielmehr die Tatsache, daß Nye die Wiederaufarbeitungsklauseln der Kooperationsabkommen keines Wortes würdigte. Er unterstellte offenbar, es stehe j eweils im Belieben der USA, die Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern. Das dürfte auch richtig sein, soweit die Wiederaufarbeitung von Ma­ terial aus Japan außerhalb Japans zur Sprache steht, denn das Ko­ operationsabkommen faßt nichtj apanische Anlagen ins Auge „ as may be mutually agreed" 108 • Gegenüber Schweden, Schweiz und Spanien müßte der „safeguardability"-Aspekt allerdings mitberücksichtigt werden, doch da die Wiederaufarbeitung von Material aus diesen Ländern „ in facilities acceptable to both Parties" zu geschehen hat109 , haben die USA auch insoweit effektiv ein Vetorecht. Da der endgültigen Entscheidung aber eine „j oint determination" zur Kontrollierbarkeit vorgeschaltet sein soll, haben sich die USA wenigstens dann mit ihren Partnern ins Benehmen zu setzen, wenn sie in dieser Hinsicht durchgreifende Bedenken hegen. Die Partner müssen Gelegenheit erhalten, solche Bedenken zu zerstreuen, auch wenn mit einem hier erzielten Teilerfolg nicht gewährleistet wäre, daß die Erlaubnis nicht aus anderen Gründen versagt werden würde. In den bislang geschilderten Fällen ist den US-Partnern durch das Versäum­ nis, eine j oint determination herbeizuführen, allerdings kein Schaden entstanden, da Erlaubnisse an dem Kontrollaspekt nicht gescheitert sind ; schutzwürdige Belange sind insoweit also nicht verletzt worden. Wegen des ohnehin bestehenden Vetorechts wird die Lage auch durch den NNPA in Ansehung dieser Länder nicht verändert (also durch die Regelungen über die Feststellung „ not inimical to the common defense and security" bzw. diej enige keiner erhöhten Proliferationsgefahr nach Maßgabe der timely-warning-Formel). Nyes Grundsatzerklärung vom 3. Oktober 1 978 verheißt allerdings, daß die USA dieses Vetorecht zur Förderung ihrer allgemeinen Nichtverbreitungspolitik (pro Lagerung bestrahlter Kernbrennstoffe, contra Aufarbeitung) einzusetzen geden­ ken. Problematisch ist jedoch die Rechtsbefugnis zur Ablehnung einer Wiederaufarbeitung in nationalen Anlagen der insoweit technisch fort­ geschrittenen Staaten. In dem Abkommen mit Indien und Japan heißt es dazu : ,, reprocessing . . . may be performed in Indian (Japanese) 101 Erst während der Befragung durch Rep. Findley (Illinois) bezog sich Nye darauf, daß die Wiederaufarbeitung in einem Kernwaffenstaat gesche­ hen sollte, vgl. Hearings on Reprocessing, S. 73. Vgl. auch ibid., S. 81. 10s s. o. Anm. 101. 100 s. o. Anm. 99 und Text dazu. Ebenso das Abkommen mit Südafrika (Art. VIII Abs. G, TIAS 7845 = 25 UST 1 1 58).

1. Bindung der USA au·f Grund der Kooperationsabkommen

151

facilities upon a j oint determination of the Parties that the provisions of Article . . . (of this Agreement) (seil. on safeguards) may be effectively applied" 1 1 0 • In dieser Bestimmung ist keine Rede von einer ,,Annehmbarkeitsaussage" (,, acceptable" bzw. ,,mutually agreed facili­ ties"), die als „Erlaubnis" begriffen werden könnte, vielmehr erscheint die Wiederaufarbeitung als grundsätzlich zugelassen unter der einzi­ gen Voraussetzung einer vorherigen „j oint determination" . Prozedural müßte hier folglich nicht eine einseitig zu erteilende Zustimmung der USA in Frage stehen, sondern die gemeinsame Vornahme einer Beur­ teilung durch die beiden Vertragsparteien. Das erste - und schon des­ halb exemplarische - Beispiel dafür ist die Tokai-Mura-Vereinbarung zwischen den USA und Japan vom 1 2 . September 1 977 1 1 1 • Der Form nach - bereits das ist beachtenswert - handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag. Die Parteien (und sicherlich vor allem Japan) waren erkennbar bemüht, jeglichen Anklang an Unilateralismus zu vermeiden. Demgemäß heißt es dort nicht etwa, die USA stimmten der Wiederaufarbeitung des von ihnen gelieferten Materials zu, son­ dern einfach „The Government of Japan and the Government of the United States of America hereby jointly determine . . . ". Dies bestätigt die Auslegung der Wiederaufarbeitungsklausel, wonach allein die joint determination den Weg zur Aufarbeitung freigibt. Die Vereinbarung bescheidet sich allerdings nicht mit der kargen Feststellung, die Anlage in Tokai Mura könne Gegenstand wirksamer Sicherungsmaßnahmen sein. Mit ihrer Präambel, ihren weiteren Be­ stimmungen und dem sie begleitenden gemeinsamen Kommunique der beiden Regierungen erweist sie sich als aufschlußreiches Dokument der Einflußnahme der USA auf die Nuklearpolitik eines Partners. Zu­ nächst wird das Volumen des aufzuarbeitenden Materials auf höchstens 99 Tonnen begrenzt, obwohl die j apanische Anlage eine Jahreskapazi­ tät von 2 1 0 Tonnen erreichen soll 1 1 2 • Der Zusammenhang von Menge und „safeguardability" leuchtet nicht ohne weiteres ein. Sodann wird der Vorbehalt gemacht „No determination is now being made as to whether safeguards can be effectively applied to Purex reprocessing plants in general" . Zur Erläuterung sei mitgeteilt, daß die Tokai­ Mura-Anlage - wie die meisten bestehenden oder geplanten Anlagen dieser Art - nach dem sog. Purex-Verfahren aufarbeitet 1 1 3 , welches 110 Fundstellen : Oben Anm. 6, 101. Ebenso die Abkommen mit Argentinien (Art. IX, TIAS 6721 = 20 UST 2587) und Brasilien (Art. VIII Abs. F, TIAS 7439 = 23 UST 2477). 111 Vom 12. 9. 1977, Dept. of State Bull. 77 S. 460 (10. 10. 1977) = ILM 16 (1977) S. 1017. Verlängerung der Vereinbarung durch Notenaustausch vom 1. 10. 1979, vgl. Dept. of State Bull. 79 No. 2033 [December 1979] S. 68). 11 2 SIPRI Yearbook 1978, S. 18. us Mitteilung des Acting ERDA Administrator Fri, Hearings on H.R. 8638, S. 186.

152

h

B.II. Probleme der Durc setzung einer neuen Nutzungsordnung

zur Gewinnung reinen , unmittelbar waffengrädigen Plutoniums führt und einmal für militärische Programme entwickelt worden ist. In dem Vorbehalt kommt offenbar der Wunsch der USA zum Ausdruck, mit der Tokai-Mura-Vereinbarung möglichst keinen Präzedenzfall zu schaffen. Gleichwohl dürften entsprechende Fingerzeige wenigstens in dem Maße schwer zurückzuweisen sein, in dem Kontrollierbarkeit ein technisches Problem darstellt. Schließlich geht die Vereinbarung auch auf die künftige Perspektive einer Erhöhung des Mengenlimits ein : " . . . the United States would be prepared to enter into an affir­ mative j oint determination, if the mode of Operating the said facility is converted to full-scale coprocessing, subj ect to the requirements of its laws and mutual agreement on the scope and character of the coprocessing operation." ,, Coprocessing" ist ein Aufarbeitungsverfah­ ren, wonach der bestrahlte Kernbrennstoff zunächst einmal von Spalt­ produkten befreit wird, so daß ein (für Waffen untaugliches) Uran­ Plutonium-Gemisch entsteht. Die Gewinnung reinen Plutoniums ist danach keineswegs ausgeschlossen, erfordert j edoch mehr Zeit und Aufwand als bei dem Purex-Verfahren. Die USA neigen deshalb dazu, coprocessing für weniger proliferationsbegünstigend zu halten als Wie­ deraufarbeitung nach dem Purex-Verfahren. Die volle Bedeutung der zuletzt zitierten Passage aus der Vereinba­ rung erschließt sich erst bei einem Blick auf die Präambel sowie auf das gemeinsame Kommunique. Die Präambel nennt sechs Erwägungs­ gründe, auf denen die joint determination beruht : 1. Die im Kommuni­ que niedergelegten Absprachen, Grundsätze und Absichten ; 2. Japans ,, fortdauernde" Zugehörigkeit zum NPT ; 3. die begrenzte Menge Plu­ tonium, um die es gehe ; 4. der sorgfältig überwachte experimentelle Charakter des Aufarbeitungsvorhabens ; 5. die Anwendung effektiver IAEA-Sicherungsmaßnahmen ; 6. Erprobung fortgeschrittener Siche­ rungsmaßnahmen. Laut Kommunique schließlich teilen die Parteien die Auffassung, daß Plutonium eine ernste Proliferationsgefahr bedeute, und daß seine „ verfrühte" Kommerzialisierung vermieden werden sollte. Sie erklären ihre Absicht, für die Dauer der INFCE Entschei­ dungen über die kommerzielle Verwendung von Plutonium in Leicht­ wasserreaktoren aufzuschieben. Währenddessen sollen auch größere Schritte in Richtung auf zusätzliche Aufarbeitungsanlagen1 1 4 unter­ bleiben, und bei den nachfolgenden. Beschlüssen sollen die INFCE-Er­ gebnisse mitberücksichtigt werden „including spent fuel storage possi­ bilities and other technical and institutional alternatives to reproces­ sing". Die Parteien äußern gemeinsam den Wunsch „ to identify fuel cycles that are as proliferation resistant as possible" und einigen sich 114 Japan plante den Bau einer Großanlage für die 80er Jahre, vgl. Office of Technology Assessment, S. 254.

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

153

auf folgende Grundsätze für den Betrieb der Anlage während einer Anfangszeit von zwei Jahren (= erwartete INFCE-Dauer) : Japan schiebt die Errichtung einer Fabrik für Plutoniumbearbeitung auf ; die USA stellen in Aussicht, daraus etwa folgende Versorgungseng­ pässe bei Japans Forschungs- und Entwicklungsprogramm für fortge­ schrittene Reaktoren auszugleichen115 ; im Testlabor der Tokai-Mura­ Anlage wird experimentell coprocessing durchgeführt werden ; nach Ablauf der Anfangszeit wird die Anlage auf das coprocessing-Ver­ fahren umgestellt werden „if such coprocessing is agreed by the two Governments to be technically feasible and effective as a result of the experimental work . . . and in the light of the results of INFCEP" ; schließlich wird die Anwendung von IAEA-Sicherungsmaßnahmen vor­ gesehen, und Japan erklärt sich bereit , mit der IAEA bei der Erpro­ bung fortgeschrittener Methoden zusammenzuarbeiten. Die Tokai-Mura-Vereinbarung, das macht bereits die notwendiger­ weise umfangreiche Wiedergabe ihres Inhalts deutlich, geht insgesamt über eine reine safeguardability-Feststellung weit hinaus. Der Kon­ trollaspekt tritt gegenüber nuklearpolitischen Aussagen zur „Pluto­ niumwirtschaft" in den Hintergrund. Die Vereinbarung erhält ihre Prägung nicht von Bestimmungen, die den Kontrollgedanken im Sinne der „Abschreckungsdoktrin" zum Ausdruck bringen - d. h. solchen über möglichst perfekte Sicherungsmaßnahmen, die Japan von einer militärischen Nutzung des Plutoniums abschrecken sollen -, sondern von solchen, die auf die Hemmung der „Plutoniumproliferation", also die Abwendung von „Kernwaffenkapazität" abzielen. Sie enthält in­ soweit zwar eher deutliche Orientierungen als definitive Festlegungen, führt aber j edenfalls (wenigstens) zu Verzögerungen bei der Ausfüh­ rung des j apanischen Nuklearprogramms. Die Zustimmung dazu kann Japan als einem Land, das für die Befriedigung seines Energiebedarfs in hohem Maße vom Ausland abhängig ist und eine Streckung der Urannutzung durch Wiederaufarbeitung und Brutreaktoren anstrebt, nicht leicht gefallen sein. Dies war aber der Preis, den sich die USA - die zunächst nicht Willens waren, in eine joint determination einzu­ willigen - zahlen lassen wollten, als sie - aus welchem Grunde auch immer1 1 6 - von ihrem ursprünglichen Nein abrückten. So setzten sie 11 5 Von einer festen Zusage (,,guarantee", s. Administrative Survey: October 1976 to September 1977, S. 369) kann keine Rede sein: "The United States is prepared to consider with Japan . . . Japanese plutonium require­ ments . . . and to seek ways to ensure that any shortfalls . . . will not entail unnecessary delay in the Japanese program." 11 & Japan soll nach unbestätigten Berichten den Rücktritt vom NPT an­ gedroht haben, vgl. Franko, S. 1196. Der merkwürdige Hinweis in der Präambel der Vereinbarung auf Japans „fortdauernde" (continued) Zuge­ hörigkeit zum NPT könnte hierin eine Erklärung finden. Es wäre zweifellos übertrieben, von einer „vollständigen Kapitulation der USA" (ibid.) zu

154

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

die Wiederaufarbeitungsklausel im Fall Tokai Mura zur Förderung ihrer allgemeinen Nichtverbreitungspolitik ein und erreichten auch nach eigener Einschätzung, daß in die Tokai-Mura-Vereinbarung zahlreiche Elemente in ihrem Sinne aufgenommen wurden11 7 • Es erscheint zweifel­ haft, daß die Einnahme einer solchen Verhandlungsposition von der Wiederaufarbeitungsklausel im Abkommen mit Japan gedeckt ist. Wenn nämlich die einzige Bedingung für die Zulässigkeit der Aufar­ beitung in j apanischen Anlagen die gemeinsame Feststellung der Kon­ trollierbarkeit ist, dann haben die Parteien bona fide darüber zu be­ raten, ob die Voraussetzungen für effektive Sicherungsmaßnahmen gegeben sind1 18 • Es ist fraglich, ob sich Anforderungen der einen Par­ tei an die Gestaltung des Kernenergieprogramms der anderen Partei damit vereinbaren lassen, wofür äußerstenfalls das Argument ins Feld geführt werden könnte, eine Aktivität, die gerade zur Gewinnung waffengrädigen Materials führe, sei mit technischen Sicherungsmaß­ nahmen allein nicht in den Griff zu bekommen, vielmehr müßten poli­ tische Kontrollelemente hinzutreten. Im Hinblick auf Art. XI des Ko­ operationsabkommen USA-Japan hieße das, die dort beschriebenen Sicherungsmaßnahmen technischer und personeller Art seien bei Purex­ Wiederaufarbeitung unzureichend, so daß ihre Anwendung für sich allein gesehen keine ausreichende Grundlage für die Feststellung böte „that the provisions of Article XI may be effectively applied". Die Frage soll hier nicht überbewertet werden, da sich Japan und die USA ja schließlich zu einigen vermocht haben119 • Die Handhabung der Wie­ deraufarbeitungsklausel durch die USA wirft jedenfalls ein neues Licht auf das - von den USA keineswegs geleugnete120 - souveräne Recht sprechen. Japan hat aber immerhin zwei Hauptanliegen durchgesetzt, näm­ lich die Inbetriebnahme seiner Wiederaufarbeitungsanlage und den Fortgang seines Programms zur Entwicklung von Brutreaktoren. 1 1 1 Deputy ACDA Director Keeny bereits am 13. 9. 1977 in einer Senats­ anhörung, unter Berufung auf den Acting ERDA Administrator Fri, Dept. of State Bull. 77 S. 672 (14. 11. 1977). 11 s Im Administrative Survey : October 1976 to September 1977, S. 369, wird von japanischen Vorwürfen berichtet, die USA verhandelten „in bad faith". 11e Problematisch ist auch das Verhalten der USA gegenüber Indien. Die USA haben Indien bereits zu einem Zeitpunkt, als dessen neue Wiederauf­ arbeitungsanlage noch nicht fertiggestellt war, erklärt, sie seien nicht zu der Feststellung bereit, die Anlage werde Gegenstand wirksamer Siche­ rungsmaßnahmen sein können (siehe NRC Tarapur Memorandum and Order 1977, S. 16). Wenn in der Wiederaufarbeitungsklausel des Abkommens mit Indien von einer joint determination die Rede ist, dann muß dies u. a. so verstanden werden, daß beide Parteien wenigstens gesprächsbereit sein müssen. Andererseits ist nicht bekannt, daß Indien zu erkennen gegeben hat, es sei zur Hinnahme von Sicherungsmaßnahmen für diese Anlage bereit. 120 Pressegespräch Carters vom 7. 4. 1977, Dept. of State Bull. 76 S. 433 (2. 5. 1977). Zur souveränen Entscheidung der Staaten über Brüterprogramme vgl. Nye, Hearings on H.R. 8638, S. 1 16.

1. Bindung der USA au·f Grund der Kooperationsabkommen

155

Japans zur Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe. In dem Maße nämlich, in dem das dafür in Frage kommende Material fast ausschließlich aus den USA stammt und seine Aufarbeitung mithin die Zustimmung der USA zu einer joint determination voraussetzt, ist Japan bei der Ausübung seines souveränen Rechts aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen von den USA abhängig und der Ingerenz in seine Planung des Brennstoffkreislaufs ausgesetzt. Die Wiederauf­ arbeitungsklausel erweist sich demzufolge als ein wesentliches Ele­ ment jenes Systems institutionalisierter Abhängigkeitsverhältnisse, das ein wichtiger Baustein der von den USA angestrebten Weltnuklear­ ordnung sein soll. cc) Andere problematische Bestimmungen a) Das Verbot der Verwendung von US-Lieferungen für Kernsprengkörper

Zu den sofort wirksamen Exportkriterien des NNPA gehört auch die Bedingung, daß Materialien, Einrichtungen oder sensitive Kerntechno­ logie mit US-Ursprung nicht für Kernsprengkörper oder für ent­ sprechende Forschung und Entwicklung nutzbar gemacht werden dür­ fen. Von diesem Verbot sind auch „friedliche" Kernsprengkörper wie der von Indien 1974 gezündete betroffen. Der US-Kongreß hat den Standpunkt eingenommen, die Prohibition stehe im Einklang mit den Kooperationsabkommen. Deren Text weckt aber Zweifel. Die Partner der USA garantieren in den Abkommen, die ge­ lieferten Güter würden nicht „be used for atomic weapons, or for research on or development of atomic weapons, or for any other military purpose". Der Begriff „atomic weapon" wird definiert als „any device utilizing atomic energy, exclusive of the means for transporting or propelling the device (where such means is a separable and divisible part of the device), the principal purpose of which is for use as, or for development of, a weapon, a weapon prototype, or a weapon test device" 1 21 • Die Uniformität der Abkommen in diesem Punkt findet ihre Erklärung darin, daß Formulierungen des Atomic Energy Act einfach übernommen worden sind122 • Ganz ohne Zweifel umfaßt der so definierte Begriff „atomic weapon" nicht die zivilen Kernspreng1 2 1 Art. X Abs. A Ziff. 2, II Ziff. 4 Argentinien-Abkommen; Art. X Abs. A Ziff. 2, I Ziff. 3 Brasilien-Abkommen ; Art. XI Ziff. l EURATOM-Abkommen ; Art. VII Abs. A Ziff. 1, IX lit. f Indien-Abkommen ; Art. X Abs. A Ziff. 1, I lit. C Japan-Abkommen; Art. X Ziff. 2, I Ziff. 4 Spanien-Abkommen ; Art. XI Ziff. 2, I lit. g Südafrika-Abkommen. 122 Natürlich in der Fassung vor Änderung durch den NNPA, und zwar §§ 123, 11 (= 42 USC §§ 2135, 2014). § 401 NNPA ersetzte den Terminus ,,atomic weapons " durch „any nuclear explosive device".

156

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

körper. Diese können also nur betroffen sein von dem Verbot der Verwendung der US-Lieferungen „for any other military purpose", von der durchgängigen Orientierung der Kooperation auf „peaceful/ civil uses/purposes" sowie von folgender in den Abkommen regel­ mäßig wiederkehrender Klausel: ,,The Parties (to this Agreement) (The Government of the United States of America and the Government of . . .) emphasize their common interest in assuring that any material, equipment or device(s) made available to . . . pursuant to (transferred under) this Agreement . . . shall be used solely for civil (peaceful) purposes 1 23 ." Die Termini „military purpose" bzw. ,,peaceful/civil uses/purposes" werden in den Abkommen nicht näher bestimmt. Wen­ det man die „ ordinary meaning rule" (Art. 31 Wiener Vertragsrechts­ konvention) auf sie an, dann erscheint es mangels besonderer, aus dem Zusammenhang der Abkommen folgender Anhaltspunkte nicht möglich, die tatsächlichen Zwecke auf potentielle Zwecke, und die tatsächliche Nutzung (Verwendung) auf eine Nutzungs-(Verwendungs-)Möglichkeit auszudehnen. Die Zündung eines Kernsprengkörpers im Rahmen eines wahrhaft zivilen Programms dient eben nicht militärischen Zwecken und bleibt folglich eine zivile Form der Kernenergienutzung. Die USA haben die ungenügende Präzision dieser Klauseln schließlich auch durchaus erkannt und eingesehen124 • 1 972 erklärten sie gegenüber der IAEA, sie interpretierten die Abkommen dahin, daß die Verwendung ihrer Lieferungen für Kernsprengkörper dadurch untersagt sei, und die IAEA machte sich diesen Standpunkt zueigen 12 5 • An der Auslegung der Abkommen vermochten diese Schritte - ohne Mitwirkung der Kooperationspartner - nichts zu ändern. 1 974 gingen die USA dazu über, ihre Position den Partnern auf diplomatischem Wege förmlich zu notifizieren. Daraufhin sollen etliche zustimmende Antworten einge­ gangen sein126 • In vier Fällen nutzten die USA die Gelegenheit von Änderungs- oder Verlängerungsabkommen, ihre Haltung in einer Begleitnote mitzuteilen , nämlich gegenüber den Nicht-NPT-Staaten Israel, Portugal, Spanien und Südafrika. Mit Israel kam es zu einem förmlichen Notenaustausch, der zum integrierenden Bestandteil des Kooperationsabkommens erklärt wurde1 27 • Das Abkommen ist mittler1 2 a Art. XII Abs. A Argentinien-Abkommen, Art. XI Abs. A Brasilien­ Abkommen, Art. VI Abs. A Indien-Abkommen, Art. XI Abs. A Japan­ Abkommen, Art. XI Abs. A Spanien-Abkommen, Art. X Abs. A Südafrika­ Abkommen. 124 Vgl. Nye, Strategy, S. 604 - ,,Guarantees of ,peaceful use' were some­ times too loosely written" ; vgl. auch Gorove, S. 187. 125 Bettauer, S. 1 142 ; Schreiben des NRC-Vorsitzenden Rowden vom 16. 6. 1976, Hearings on S. 1439, S. 1076 ; Schreiben des Assistant Secretary McClos­ key vom 6. 5. 1976, ibid. S. 1110 f. 1 2& Bettauer, ibid., doch ohne Nennung der Absender. 1 21 TIAS 8019 = 26 UST 130 (Notenwechsel vom 13. 1. 1975).

1. Bindung der USA auf Grund der Kooperationsabkommen

157

weile am 1 1 . April 1977 durch Zeitablauf außer Kraft getreten. Süd­ afrika ging nicht so weit wie Israel. Es bestätigte nur den Erhalt der US-Note 128 , doch diese wurde damit zu einem Dokument, das von den USA in Verbindung mit dem Änderungsabkommen errichtet und von Südafrika als mit dem Abkommen in Verbindung stehendes Dokument anerkannt worden war. Damit gehört sie zum Zwecke der Auslegung in den Zusammenhang des Abkommens (Art. 31 Abs. 2 lit. b Wiener Vertragsrechtskonvention). Die widerspruchslose Entgegennahme des Dokuments mit dem Passus „ it is understood that the material . . . will not be used for any nuclear explosive device, regardless of how the device itself is intended to be used" muß dazu führen, der „peaceful/ civil uses/purposes" -Klausel die Bedeutung beizulegen, daß zivile Kernsprengkörper wegen der Ununterscheidbarkeit gegenüber militä­ rischen dadurch untersagt sind 129 • Die Antworten Portugals und Spa­ niens auf die ihnen übermittelten Noten sind in der amerikanischen Vertragssammlung nicht wiedergegeben130 ; von Spanien ist gleichwohl bekannt, daß es dem US-Standpunkt explizit zugestimmt hat131 , so daß hier entweder eine Vereinbarung in Verbindung mit dem Vertrags­ schluß (Art. 31 Abs. 2 lit. a Wiener Vertragsrechtskonvention) oder eine nachfolgende Vereinbarung hinsichtlich der Auslegung des Abkom­ mens (Art. 31 Abs. 3 lit. a Wiener Vertragsrechtskonvention) zustande­ gekommen sein dürfte. Portugal schließlich hat durch den Beitritt zum NPT am 1 5. Dezember 1977 132 ohnehin die Verpflichtung übernommen, keine Kernsprengkörper herzustellen. Nach alledem ist die Kern­ sprengkörperklausel in den Exportkriterien des NNPA - läßt man die Möglichkeit eines Rücktritts vom NPT außer Betracht - vor allem in Hinblick auf drei nukleartechnisch hinreichend fortgeschrittene Nicht­ NPT-Staaten problematisch, nämlich Argentinien, Brasilien und In­ dien. Dabei handelt es sich zugleich um diej enigen Länder, die in der Vergangenheit am beharrlichsten das Recht der Staaten zur Vornahme ziviler Kernexplosionen verfochten haben, mag Indien auch Anfang 1 978 erklärt haben, es verzichte auf weitere Nukleartests133• So wenig 12s TIAS 7845 = 25 UST 1168 (Notenwechsel vom 22. 5. 1974) : "have the honour to ack.nowledge receipt . . . " 120 Unnötig pessimistisch also Nye, als er am 12. 7. 1977 im Hinblick. auf Südafrika von „some ambiguity on the acceptance of our view on peaceful nuclear explosions" sprach (Dept. of State Bull. 77 S. 239 [22. 8. 1977]). Auch diese Formulierung (,,acceptance") deutet jedenfalls darauf hin, daß in der Exekutive keine großen Illusionen über die Möglichkeit herrschten, die eigene Interpretation einseitig durchzusetzen. 1 30 TIAS 7844 = 25 UST 1125 (Note vom 16. 5. 1974; S. 1 157) ; TIAS 7841 25 UST 1063 (Note vom 20. 3. 1974 ; S. 1 101). 1s1 Auskunft des Department of State, Hearings on H.R. 8638, S. 345. 1s2 BGBL 1978 II S. 406. 1 33 Wiederholung des „Abschwörens" durch Premierminister Desai am 9. 6. 1978 vor der UN-Generalversammlung, A/S-10/PV 24 prov., S. 8 - 10.

158

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

wahrscheinlich es auch sein mag, daß eines dieser Länder zivile Kern­ sprengkörper künftig herstellt und zündet, rechtlich führt kaum ein Weg an der Feststellung vorbei, daß vertragliche Verpflichtungen ge­ genüber den USA dadurch nicht verletzt würden.

ß) Die Sanktionsvorschrift Nach § 307 NNPA 134 muß ein Lieferstopp verhängt werden, wenn ein Staat künftig ein Abkommen über die Weitergabe von Ausrüstun­ gen, Materialien oder Technologie für Wiederaufarbeitung unter die souveräne Kontrolle eines Nichtkernwaffenstaates schließt, sofern dies nicht im Zusammenhang mit einer internationalen Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufs unter Beteiligung der USA oder auf der Grundlage einer von den USA mitgetragenen internationalen Verein­ barung oder Verständigung geschieht135 • Von dieser Sanktion können nur Kooperationspartner der USA getroffen werden, da nur solche als Adressaten von US-Lieferungen in Betracht kommen. Wegen der restriktiven Tendenzen bei bilateralen Transaktionen im sensitiven Bereich mag es unwahrscheinlich sein, daß die Geschäfte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Brasilien sowie zwischen Frankreich und Pakistan Nachfolger finden werden, die der Sanktionsvorschrift Aktualität verleihen würden. Gleichwohl muß hier festgehalten wer­ den, daß auch § 307 NNPA die US-Exekutive in dieser Hinsicht poten­ tiell auf ein völkerrechtswidriges Verhalten verpflichtet, denn die Kooperationsabkommen der USA bieten keinerlei Handhabe, die Fort­ führung der Zusammenarbeit (genauer : den Fortgang der Lieferungen) von bestimmten Export- oder Importentscheidungen der Partner ab­ hängig zu machen. Abgesehen von den Kooperationsabkommen ist die Sanktionsvor­ schrift auch unter weiteren völkerrechtlichen Gesichtspunkten pro­ blematisch, namentlich solchen des NPT. Das gilt auch für andere Maß­ nahmen und Programmpunkte im Rahmen der neuen amerikanischen Nichtverbreitungspolitik. Darauf wird nunmehr einzugehen .sein. In einem Schreiben vom 17. 9. 1974 hatte die indische Regierung überdies schriftlich zugesichert, die Lieferungen aus den USA würden ausschließlich für die Zwecke des Kernkraftwerkes Tarapur verwendet, soweit die USA nicht ausdrücklich etwas anderes zuließen (NRC Tarapur Memorandum and Order 1977, S. 22). Damit wird implizit zugesagt, die US-Lieferungen nicht für die Herstellung von Kernsprengkörpern einsetzen zu wollen. 1 34 § 129 AEA = 42 USC § 2158. 1ss Der Terminus „Verständigung" (understanding) deckt ein INFCE­ Ergebnis ab, welches nicht in Vertragsform gekleidet wird. - Auf die Gefahr einer negativen concurrent resolution hin darf der Präsident auch hier nach Maßgabe der „seriously prejudicial"-Formel Ausnahmen von einem Lieferstopp gestatten.

2. Bindungen der USA auf Grund des NPT

159

2. Die Bindungen der USA auf Grund des NPT: Schranken für die Gestaltung der bilateralen Kooperation auf Grund multilateralen Vertrags

a) Die Vereinbarkeit bestimmter einseitiger Maßnahmen mit Art. IV NPT

aa) Verstoß durch Embargo über sensitive Ausrüstungen? Ein Embargo über sensitive Ausrüstungen ist zwar nicht allein von den USA verhängt worden, so daß sich die Frage des NPT-Verstoßes nicht nur im Hinblick auf die USA stellt. Gleich.wohl erscheint es gerechtfertigt, die rechtliche Problematik im Rahmen der Auseinander­ setzung mit der US-Politik zu erörtern, denn die USA sind besonders nachdrückliche Verfechter des Embargogedankens gewesen. Es ist bereits bei der Interpretation von Artikel IV NPT berichtet worden, daß hohe amerikanische Regierungsvertreter Unsicherheit verraten haben, als sie die Vereinbarkeit des Embargos mit Art. IV dartun wollten (,,degree of tension" ) 136 • Es gibt durchaus gewichtige Stimmen, die insoweit zu einem negativen Ergebnis neigen137 • Hier soll nun eine Klärung versucht werden. Zwei Feststellungen seien vorausgeschickt. Ein Vertragsstaat würde seine Pflicht zur Austausch­ erleichterung gewiß verletzen, wenn er ein Embargo über alle - sensi­ tiven wie sonstigen - Ausrüstungen, Materialien und Informationen verkündete, mithin seine nukleare Zusammenarbeit mit anderen NPT­ Staaten vollkommen einstellte 138 • Andererseits führt kein Weg daran vorbei, daß Art. IV Abs. 2 den „free access" nicht verbrieft, die Ver­ tragsstaaten also nicht zur Erfüllung aller erfüllbaren Transferwünsche s.o. A.11, Anm.37, 38 und Text dazu. „these restrictions on transmission of sensitive technologies can be construed as a breach of the promise given in Article IV of the NPT", so immerhin Goldschmidt, damals Direktor für internationale Beziehungen im französischen Commissariat a !'Energie Atomique (Survey, S.80). In einem Arbeitspapier für die Internationale Konferenz über Kernenergie und ihren Brennstoffkreislauf (Salzburg, 2. - 13.5. 1977) wurde Goldschmidt deutlicher: ,, . . . derartige Restriktionen verstoßen gegen Geist und Buchstaben des NV­ Vertrags, der nur die Herstellung des Sprengsatzes untersagt" (EA 32 [1977] S.D 694). 13 s In dieser Auslegung zutreffend der - allerdings unglücklich pauschal gefaßte - Punkt 5 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. 4. 1979 (ABlEG C 127/44 vom 21. 5.1979). Das Amtsblatt gibt den Text der Entschließung jedoch insoweit falsch wieder, als es den spezifizierenden Halbsatz „wie die gegenwärtige Nuklearpolitik der Regierung der Vereinig­ ten Staaten beweist" mit abdruckt. Ein entsprechender Antrag der Fraktion der Europäischen Demokraten für den Fortschritt war vom EP abgelehnt worden (ABlEG, Anhang Nr. 242, S. 141). Mehrere Abgeordnete hatten in der Aussprache darauf hingewiesen, restriktive Maßnahmen würden nicht allein von den USA ergriffen (ebenda, S. 83, 88 - Flämig -, 84 - Walz -). Vgl. auch Reford, S.17. 138

131

160

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

verpflichtet. Das Problem des Embargos über sensitive Ausrüstungen scheint in dem Umstand begründet zu sein, daß die Maßnahme in der Mitte zwischen den beiden Grundsätzen liegt. Wenig überzeugend ist nun die Argumentation, die Waagschale neige sich zugunsten der Be­ fugnis zum Embargo, wenn man Art. IV Abs. 2 „im Lichte von" Art. I und II lese „where States undertake to avoid steps which would lead to the spread of nuclear weapons" 139 • Abgesehen davon, daß die Art. I und II NPT erheblich weniger pauschal formuliert sind, muß hier vor allem folgender Einwand vorgebracht werden: Deputy Under Secretary Nye geht einfach von der Unterstellung aus, die Verbreitung sensitiver Technologien führe zur Kernwaffenproliferation (statt : könne führen). Die Mißbrauchsmöglichkeit macht einen dialektischen Sprung zum ef­ fektiven Mißbrauch. Das ist mit dem NPT-Regime nicht vereinbar140 • Bei Ausarbeitung des Vertrags war allgemein bekannt, daß die An­ reicherungs- und Wiederaufarbeitungstechnologien sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Der NPT läßt ihre Anwendung den­ noch zu, mit der einzigen Maßgabe, daß von den beiden Nutzungs­ möglichkeiten allein die zivile tatsächliche wahrgenommen werde. Art. I und II NPT erhellen also nicht die Tragweite von Art. IV Abs. 2. Näheren Aufschluß könnte allerdings ein erneuter Blick auf die Umstände des Vertragsschlusses im Jahre 1968 geben ; diesen kommt gerade dann erhöhte Bedeutung zu, wenn die allgemeinen Auslegungs­ regeln zu keinem deutlichen Ergebnis führen (Art. 32 WVRK). Hier sei zunächst in Erinnerung gerufen, daß auf der Konferenz der Nichtkern­ waffenstaaten wiederholt die Freigabe speziell der Anreicherungs­ technologie gefordert wurde, ein schweizerischer Resolutionsentwurf allerdings, der den Kernwaffenstaaten präzise Verpflichtungen im Hinblick auf den Zugang zu fortgeschrittenen Technologien wie denen der Anreicherung zusprach, keine ausreichende Unterstützung fand141 • Bei diesen Begebenheiten nach Auflegung des NPI' zur Unterzeichnung handelt es sich zwar nicht um förmliche Interpretationselemente; doch sie haben immerhin den Erkenntniswert, daß die Nichtkernwaffen­ staaten damals davon ausgegangen sind, fortgeschrittene Technologien 1au Deputy Under Secretary Nye, Dept. of State Bull. 77 S. 668 (14. 1 1 . 1977). uo Die „economic sense"-Theorie von A. S. Fisher, dem zeitweiligen NPT­ Chefunterhändler der USA (vgl. oben A.II, Anm. 38 und Text dazu), ist zwar insoweit NPT-näher, als sie (NPT-konform) an die angeblich militäri­ sche Zielrichtung der in entsprechendem Verdacht stehenden Staaten an­ knüpft - also nicht (wie Nye) pauschaliert -, doch auch sie ersetzt die Tatsachenfeststellung durch eine - wie auch immer naheliegende - Unter­ stellung. - Nach Maßgabe dieser Lehrmeinung hätten die USA allerdings dem Iran unter Zugrundelegung von dessen früherem Kernenergieprogramm (etwa 20 Kernkraftwerke) nicht den Erwerb der Wiederaufarbeitungskapazi­ tät verwehren dürfen. - Ohne klare Aussage zu dem Problem auch Kausch, s. 266 ff. 141 s. o. A.II, Text zu Anm. 1 14 - 1 17.

2. Bindungen der USA auf Grund des NPT

161

bräuchten nicht weitergegeben zu werden. Sie sind außerdem ein In­ diz dafür, daß die Forderung nach freiem Zugang zu Ausrüstungen, Materialien und Informationen, die während der NPT-Verhandlungen vorgebracht wurden und in entsprechenden Änderungsanträgen Aus­ druck fanden, insbesondere - abgesehen von der Brennstoffliefer­ sicherheit - auf die Freigabe der sensitiven Technologien abzielten 142 • Das liegt auch deshalb nahe, weil die allgemeine Reaktortechnik schon seit langem kein Geheimnis mehr war. Mithin drängt sich die Schluß­ folgerung auf, daß es gerade auch der Wunsch nach einem Fortbestand der Verfügungsfreiheit über sensitive Technologien (Ausrüstungen und Kenntnisse) gewesen ist, der bei der Ablehnung der free access-An­ träge eine maßgebende Rolle gespielt hat. Berücksichtigt man überdies den im zivilen Nutzungsbereich liberalen, koordinationsrechtlichen Grundcharakter des NPT-Regimes, das insofern treffend als „un cadre souple" 1 43 bezeichnet worden, und in dem die Einschränkung der Staatenfreiheit wesensmäßig die Ausnahme ist, dann erscheint der Schluß unausweichlich, daß eine Kooperationsverweigerung im sensi­ tiven Bereich durch Art. IV Abs. 2 nicht verboten wird. Ein Embargo über sensitive Ausrüstungen verstößt also nicht gegen den NPT. bb) Verstoß durch Sanktionen gegen im Export- bzw. Importverhalten „leichtfertige" Staaten? Hier sei zunächst an das „Statement of Policy" des NNPA erinnert, wonach die USA die nukleare Belieferung in Aussicht stellen „ to nations which adhere to effective non-proliferation policies" 1 44 • Der NNPA ordnet demgemäß einen Lieferstopp zum Nachteil von solchen (auch Kernwaffen-)Staaten an, die Wiederaufarbeitungsausrüstungen, -materialien oder -technologie weitergeben 145 • Noch weiter geht § 1 2 des International Security Assistance Act o f 1 977, der Lieferanten oder Empfänger solcher Waren von j eglicher US-Wirtschafts- und Militär­ hilfe ausschließt146 • Diese Rechtsvorschriften werfen die Frage auf, ob ihre praktische Anwendung gegen NPT-Staaten den Art. IV verletzen würde. Es ist insoweit auszugehen von dem unveräußerlichen Recht der NPT-Staaten zur zivilen Kernenergienutzung sowie von deren souveränem Recht zur Unterstützung anderer Staaten, j eweils unter Einschluß sensitiver Aktivitäten. Mit diesen in Art. IV verbrieften 14 2 Vgl. beispielsweise den in Anm. 73 von Teil A.II zitierten Antrag und die in Anm. 84 (ebenda) wiedergegebene Äußerung. 143 Fischer, Bilan, S. 43 ; vgl. auch Delbrück, S. 654 (,,politisches Dokument"). 1 4 4 § 2 NNP A = 22 USC § 3201. Zu ähnlichen Formulierungen an anderen Stellen vgl. Anm. 123 in Abschnitt I. 145 § 307 = § 129 Ziff. 2 lit. B AEA (42 USC § 2158) ; siehe oben Text zu Anm. 154 in Abschnitt I. 1 4 6 Ebenda Anm. 105 - 107 und Text dazu. 11 Prill

162

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

Rechten147 korreliert die Pflicht der Vertragsstaaten, die Ausübung dieser Rechte durch ihre Partner zu respektieren. Das kann aber nichts anderes bedeuten, als daß die NPT-Staaten keine Maßnahmen ergrei­ fen dürfen, die darauf abzielen und dazu geeignet sind, ihre Vertrags­ partner von der Wahrnehmung dieser Rechte abzuhalten. Die An­ wendung der beschriebenen Gesetzesbestimmungen gegen NPT-Staa­ ten wäre folglich unvereinbar mit Art. IV NPT148•

b) Die Abwendung vom NPT-Regime im Spannungsfeld von Vertragstreue und Vertragsfreiheit Es sind nicht allein einseitige Maßnahmen, die die Frage eines NPT-Verstoßes aufwerfen können. Ein sehr schwieriges Problem kann dann auftreten, wenn zwei NPT-Staaten über den Abschluß eines bi­ lateralen Kooperationsabkommens verhandeln und der eine Verhand­ lungspartner die Vereinbarung der nuklearen Zusammenarbeit an die Bedingung knüpft, daß sich der andere verpflichtet, sein „unveräußer­ liches" Recht auf umfassende zivile Kernenergienutzung partiell nämlich im sensitiven Bereich - nicht auszuüben. Zur Veranschauli­ chung sei der Fall USA-Iran (1974/75) geschildert. Das Kooperations­ abkommen der beiden Staaten, das am 27. April 1959 in Kraft getre­ ten war 149 und am 26. April 1975 ausgelaufen ist, bezog sich nur auf Zusammenarbeit im Kernforschungsbereich. Als gegen Mitte der 70er Jahre die Lieferung von Kernkraftwerken durch amerikanische Unter­ nehmen in Aussicht stand, unterbreitete die US-Regierung dem Iran einen Abkommensentwurf, der von den bekannten Vorbildern erheb­ lich abwich150 • Dessen Text ist zwar nicht veröffentlicht worden, doch es darf als sicher gelten, daß dem Iran ein vertraglicher Verzicht auf den Erwerb eigener Wiederaufarbeitungskapazität, zumindest aber die Anerkennung eines dauerhaften US-Vetorechts über j egliche (also nicht notwendigerweise mit US-Lieferungen zusammenhängende) Wieder­ aufarbeitung angesonnen wurde151 • Der Iran hielt eine solche Souverä­ nitätseinschränkung für unzumutbar152• Das Abkommen kam nicht zustande. A.11. 1. Zu dieser Annahme neigte offenbar auch Assistant Secretary McClos­ key, vgl. Hearings on S. 1439, S. 831. 140 TIAS 4207 = 10 UST 733. 150 „differed remarkably from those previously executed", so Doub / 147 s. o.

148

Fidell, S. 918.

1s1 Dunn, India, Pakistan, Iran . . . : A Nuclear Proliferation Chain?, in : Overholt (ed.), S. 207 ; Porter (ehemaliger US-Vertreter bei der IAEA), Hearings on S. 1439, S. 480, 491 f. 152 Vgl. eine von Gall (S. 176) zitierte Interviewäußerung des Schah vom November 1975 (,,incompatible with our sovereignty") sowie einen von Porter (Hearings on S. 1439, S. 480) wiedergegebenen Kommentar des Leiters der

2.Bindungen der USA auf Grund des NPT

168

Hier ist nicht die Frage problematisch, ob die beiden NPI'-Staaten Iran und USA befugt gewesen wären, ein solches Abkommen zu schließen. Materiell hätte es sich dabei zwar um eine vom Prinzip des Art. IV Abs. 1 NPT abweichende inter se-Vereinbarung gehandelt, doch diese bilaterale Modifikation hätte die ziel- und zweckgemäße Aus­ führung des NPT in seiner Gesamtheit unberührt gelassen 1 53 • Fraglich ist vielmehr, ob die USA von NPI' wegen überhaupt berechtigt gewe­ sen sind, den Abschluß des Kooperationsabkommens an die beschrie­ bene Bedingung zu knüpfen. Es genügt insoweit nicht, einfach auf die Vertragsfreiheit sowie die geringe Stärke des Verpflichtungscharakters von Art. IV Abs. 2 zu verweisen. Es ist nämlich auch Abs. 1 von Art. IV mitzuberücksichtigen, denn mit der gestellten Bedingung sollte in die autonome Kernenergiepolitik eines NPT-Staates eingegriffen werden. Da die Bedingung abgelehnt werden konnte, wurde Abs. 1 von Art. IV für sich allein betrachtet nicht verletzt. Das Problem liegt hier aber in dem Ineinandergreifen der beiden Absätze: Absatz 2 ist immerhin allgemein auf Austausch und überhaupt auf eine Ausbreitung der zivi­ len Kernenergienutzung zuorientiert. Es würde dieser Grundorien­ tierung direkt zuwiderlaufen, dürfte die Aufnahme oder Aufrechter­ haltung von Austauschbeziehungen an die Bedingung einer Einschrän­ kung der zivilen Kernenergienutzung bzw. der Nichtausschöpfung aller Nutzungsmöglichkeiten geknüpft werden. Vorstehende Überle­ gung kann zu folgendem Grundsatz verdichtet werden: wegen Abs. 1 von Art. IV darf die konkrete Gestalt eines nationalen zivilen Kern­ energieprogramms nicht Kriterium für die Durchführung von Abs. 2 sein. Abs. 1 verbietet also nicht nur (repressive) Sanktionen, sondern in Zusammenschau mit Abs. 2 auch (präventive) Kooperationsbedin­ gungen, die in die autonome Kernenergiepolitik eines NPT-Staats ein­ greifen. Von diesem Einmischungsverbot wird nicht erfaßt ein Vetorecht des Lieferstaats über Wiederaufarbeitung, welches ausschließlich für ge­ lieferte Ausrüstungen und Materialien gilt. Eine entsprechende Ko­ operations- bzw. Lieferbedingung mag zwar zu einer tiefen Verwick­ lung in die energiepolitischen Entscheidungen anderer Länder füh­ ren154 ; sie verläßt aber nicht den Rahmen der bilateralen Austausch­ beziehungen, innerhalb derer der Empfangsstaat eben nicht autonom entscheiden kann. Im übrigen läßt sie aber dessen nuklearpolitische iranischen Atomenergiekommission, die Bedingungen gingen weit über das hinaus, was ein auf seine Unabhängigkeit bedachtes Land annehmen könne. isa Vgl. Art.41 WVRK, dessen Regelung hier sinngemäß angewendet wer­ den kann, auch wenn das Iran-USA-Abkommen keine förmliche inter se­ NPT-Änderung dargestellt hätte. Unzulässig wäre nach Art.41 beispiels­ weise eine Vereinbarung, in der sich . NPT-Nichtkernwaffenstaaten das Recht zuerkennen, Kernwaffen herzustellen. 15 4 Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S. 170. 11•

164

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

Entscheidungsfreiheit unberührt (etwa: Wiederaufarbeitung bestrahlten Kernbrennstoffs nationalen Ursprungs nach Verwendung in Kraftwer­ ken nationalen Ursprungs). Ihre Zulässigkeit ist also allein nach Maß­ gabe des Abs. 2 von Art. IV zu beurteilen und aus ähnlichen Erwä­ gungen wie denen zu bejahen , die zum Embargo über sensitive Aus­ rüstungen angestellt worden sind155 • Es verstößt demnach nicht gegen Art. IV NPT, wenn einem NPT-Staat die Kooperationsbedingung ge­ stellt wird, er garantiere „ that no material transferred pursuant to the agreement for cooperation and no material used in or produced through the use of any material, production facility, or utilization facility trans­ ferred pursuant to the agreement for cooperation will be reprocessed, enriched or . . . otherwise altered in form or content without the prior approval of the United States" 156 • Während Art. IV Abs. 2 diese Ausprä­ gung einer „ständigen Souveränität über nukleare Ressourcen" duldet, verbietet es Art. IV insgesamt, das Interesse eines - im Zweifel darauf angewiesenen - NPT-Staates an Unterstützung dazu auszunut­ zen, dessen Kernenergiepolitik auch außerhalb des von der nuklearen Kooperation erfaßten Bereichs mitzubestimmen. Eine solche Einmi­ schung in die autonome Kernenergiepolitik eines NPT-Staates trifft den NPT in einem Kernpunkt157 und läuft auf eine Infragestellung des Systems selbst hinaus158 • Eine Kooperationsbedingung, wie sie 1974/75 dem Iran gestellt wurde, ist nach alledem nicht NPT-konform. Es ist aber nicht allein der multilaterale NPT, welcher der Gestal­ tung der bilateralen Kooperation der Vertragsparteien Schranken setzt. Zur Durchsetzung ihrer Ziele dürfen Staaten nicht alle Mittel 155 Der im April 1978 durch die USA gegen EURATOM verfügte Liefer­ stopp bedeutete deshalb zwar einen Bruch des bilateralen Kooperations­ abkommens, nicht aber des NPT. Verfehlt ist also insoweit die im Euro­ päischen Parlament geäußerte Kritik (Abg. Walz, 9. 5. 1978, ABlEG, Anhang Nr. 230, S. 7 7 ; ähnlich wohl Abg. Flämig, 25. 4. 1979, ABlEG, Anhang Nr. 242, s. 83). 15 6 § 401 NNPA = § 123 AEA (lit. a (7)) = 42 UST § 2153. Diesen Bestim­ mungen wie auch den anderen des NNPA entspricht ein Modellabkommen, welches das State Department nach Inkrafttreten des NNPA ausgearbeitet hat (Administrative Survey : October 1977 to September 1978, S. 423). Die USA dürften nunmehr ihre Verhandlungen über neue Kooperationsabkom­ men auf der Grundlage dieses Musters führen. Zu den Gesprächspartnern hat 1978 auch der Iran gehört (ibid., Fn. 194). Die US-Regierung dürfte demnach ihre Forderung nach einem umfassenden Vetorecht über jegliche Wiederaufarbeitung fallengelassen haben. 1 •7 "destroy the very fabric of the NPT" (Nye zu "discriminatory policies on the civil side", Hearings on H.R. 8638, S. 1 02). 15s Vgl. Scheinman, Hearings on S. 1439, S. 74 f. : "The NPT . . . was the result of bargaining, compromise of competing priorities and interests, and hard negotiations . . . The NPT bargain . . . specifically included . . . assur­ ances about access to technological development . . . any basic change in the character of the bargain . . . may be regarded as a rejection of the system itself." Ähnlich Muntzing, S. 223.

3. Zusammenfassung und Weiterführung

165

einsetzen. Unproblematisch gilt das Verbot der Anwendung militäri­ scher Gewalt. Keine Übereinstimmung herrscht jedoch darüber, inwie­ weit auch weniger massive Machtmittel unzulässig sind, mit deren Einsatz ein anderer Staat gefügig gemacht werden soll, und deren verschiedene Erscheinungsformen unter dem Oberbegriff „Ausübung politischen oder wirtschaftlichen Drucks" zusammengefaßt zu werden pflegen. Es ist bereits festgestellt worden, daß verschiedene Maßnah­ men der USA auch unter diesem Gesichtspunkt problematisch er­ scheinen. Im folgenden soll deshalb versucht werden, die zur Ein­ flußnahme eingesetzten Mittel zu qualifizieren und an den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu messen, bevor dieser Abschnitt mit einer Würdigung der US-amerikanischen Anstöße zur Umgestaltung der Weltnuklearordnung abgeschlossen wird. 3. Zusammenfassung und Weiterführung unter besonderer Berücksichtigung allgemeiner Regeln des Völkerrechts a) Druck auf andere Staaten

aa) Problematische Beispielsfälle Die Pressionen, die die USA - aber nicht nur diese - auf andere Staaten ausgeübt haben, sind naturgemäß nicht offiziell bekanntgege­ ben worden und haben auch nur selten in allgemein zugänglichen Do­ kumenten Spuren hinterlassen. Soweit sich die folgenden Ausführun­ gen auf Mitteilungen im Schrifttum stützen, muß deshalb der Vorbe­ halt gemacht werden, daß möglicherweise nicht jeder Einzelfall völlig zutreffend geschildert wird. Bei der ersten Fallgruppe handelt es sich um die Ausübung von Druck auf andere Staaten zu dem Zweck, dieselben zu der Ratifikation des NPT oder dem Beitritt dazu zu bewegen. Herausragendes Beispiel ist Japan (Ratifikation am 8. Juni 1976) 1 59 • Außenminister Miyazawa sah sich im März 197 5 veranlaßt, vor dem Unterhaus auf die harte Tatsache hinzuweisen, eine Verzögerung der Ratifikation könne zu einem Stopp der regelmäßigen Kernbrennstofflieferungen aus den USA, dem Vereinigten Königreich und Kanada führen 16a . Insbesondere die USA hatten mit der Einstellung ihrer Lieferungen gedroht 161 • Die ue BGBl. 1977 II S. 232. t80 Kesavan, S. 14. 181 Steven J. Baker, Commercial Nuclear Power and Nuclear Proliferation, Peace Studies Program Occasional Paper No. 5 (May 1975) S. 29 f. (abgedruckt in Hearings on S. 1439, S. 1866 ff.). Auch die UdSSR soll die Leistung von Anreicherungsdiensten an die Bedingung der NPT-Ratifikation durch Japan geknüpft haben (ibid. S. 30). Fischer (Bilan, S. 45) nennt nur unspezifiziert die „pressions americaines et canadiennes".

166

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

Bundesrepublik Deutschland ist ebenfalls entsprechenden Einschüchte­ rungsversuchen ausgesetzt gewesen162 • Auch Libyen ist dem NPT of­ fenbar nicht ganz freiwillig beigetreten. Schon der unmittelbare zeit­ liche Zusammenhang zwischen dem NPT-Beitritt (26. Mai 197 5) 163 und dem Abschluß eines Kooperationsabkommens mit der UdSSR (Brief­ wechsel vom 30. Mai 197 5) 164 spricht für die Richtigkeit der Annahme, die Sowj etunion habe Libyens NPT-Beitritt zur Voraussetzung für das Abkommen gemacht165 • Von keinem Erfolg waren die Bemühungen der USA gekrönt, Süd­ afrika zum NPT-Beitritt zu bewegen (mit der Folge, daß die USA von einer Vereinbarung zurücktraten, Südafrika mit hochangereichertem Uran zu versorgen 166 , woraus der Schluß gezogen werden darf, daß der NPT-Beitritt zur Lieferbedingung erhoben worden war). Erwähnt sei schließlich auch die von Kanada seit 1976 vertretene Grundsatz­ haltung, Nuklearlieferungen nur noch an Staaten vorzunehmen, die dem NPT beigetreten seien, sich wenigstens aber umfassender IAEA­ Kontrolle unterworfen hätten167 • Die nukleare Zusammenarbeit mit Indien und Pakistan wurde 1976 eingestellt 168 • In einer zweiten Fallgruppe können diej enigen Pressionen zusam­ mengefaßt werden, die auf Partner bilateraler Verträge zum Zweck der Vertragsänderung ausgeübt worden sind. Hierzu zählt namentlich die Erzwingung von Neuverhandlungen über langfristig geltende Ab­ kommen mittels Lieferstopps (Fall EURATOM) oder der Androhung eines solchen (Fall Indien) , des weiteren die Führung von Verhandlun­ gen unter Setzung einer Frist, binnen derer ein bestimmtes Ergebnis erreicht sein muß. Die Methode ist treffend dahingehend charakteri­ siert worden, daß „vor Beginn der Verhandlungen bereits einseitig 162 Das kann als gesichert gelten, seitdem der ehemalige NPT-Chefunter­ händler der USA Fisher am 20. 1. 1976 vor einem Senatsausschuß offenherzig erklärt hat : "The Federal Republic of Germany reacted rather adversely to saying sign up on the treaty, or no assistance." (Hearings on S. 1439, S. 148.) 163 BGB!. 1976 II S. 552. 164 Nuclear Proliferation Factbook, S. 275, 277 (Anm. v daselbst), auf der Basis von SIPRI-Angaben. 165 D uffy, S. 96. Libyen hat allerdings erst im Juli 1980 das seit dem 26 . 1 1 . 1976 überfällige Kontrollabkommen mit der IAEA geschlossen, vgl. IAEA International Safeguards as of 1 August 1980. 166 AdG S. 22154 A (1978). 167 Bekanntgegeben am 22. 12. 1976, AdG S. 20683 J (1976) (allerdings mit falscher Datumsangabe, vgl. Noble, S. 44). 168 Mit Indien bereits am 19. 5. 1976, AdG s·. 20225 B (1976), mit Pakistan am 23. 12. 1976, AdG S. 20690 A (1977). Der pakistanische Außen- und Ver­ teidigungsminister erklärte am 3. 1. 1977, Kanada habe seinen Lieferstopp mit dem Erwerb einer Wiederaufarbeitungsanlage durch Pakistan begründet, und qualifizierte dies als Einmischung in innere Angelegenheiten, AdG

S. 20690 A (1977).

3. Zusammenfassung und Weiterführung

167

ein Vertragsverstoß für den Fall angekündigt wird, daß der die Än­ derungen anstrebende Vertragspartner seine Ziele nicht erreicht" 1 69 . Bei der dritten Fallgruppe geht es schließlich um Bemühungen, an­ dere Staaten zu Unterlassungen zu bestimmen. Allgemein bekannt sind die „Paradebeispiele" Brasilien (Erwerb von Anreicherungs- und Wie­ deraufarbeitungsanlagen von der Bundesrepublik Deutschland), Re­ publik Korea (Erwerb einer Pilotanlage für Wiederaufarbeitung von Frankreich) und Pakistan (Erwerb einer Wiederaufarbeitungsanlage von Frankreich). Im Hinblick auf Korea und Pakistan räumte Kissin­ ger öffentlich ein, die USA hätten „strongest representation" erho­ ben170. Die koreanische Regierung gab daraufhin nach und annullierte die Bestellung. Ein hoher Regierungsvertreter lehnte es ab, in öffent­ licher Senatsanhörung die (allerdings naheliegenden) Argumente mitzu­ teilen, mit denen Korea zu seiner Entscheidung hatte bewogen werden können 171 . Im Falle Pakistan hatten die USA keinen Erfolg. Es kann als sicher gelten, daß Pakistan auf die Konsequenzen des sog. Syming­ ton Amendment 172 hingewiesen worden ist 173 . Die Militärhilfe an Paki­ stan wurde später j edenfalls eingestellt, und die Wirtschaftshilfe weitgehend reduziert174 . Auch Brasilien ließ sich nicht umstimmen. Hier dürften die USA die Fortdauer ihrer Bereitschaft zur Lieferung von Kernbrennstoff und nuklearer Technologie in Frage gestellt ha­ ben 1 1s.

169 Dolzer, S. 10; vgl. auch Szegilongi, S. 859. 110 Hearings on S. 1439, S. 786. Auf einer Pressekonferenz in Lahore an­ läßlich eines Besuchs in Pakistan (9. 8. 1976) ließ sich Kissinger allerdings nicht aus der Reserve locken und wich insbesondere Fragen nach einer Ein­ stellung der US-Wirtschafts- und Militärhilfe aus, Dept. of State Bull. 75 s. 319 - 321 (6. 9. 1976). 171 Acting Assistant Secretary Kratzer ließ es bei der Feststellung bewen­ den „The South Korean Government reached its own decision that the cancellation of this plant was in its best interests" (Hearings on S. 1439, S. 419). Sen. Glenn deutete Koreas Verzicht als „an indication that the United States still has the clout, when it is willing to exercise it, to get other nations to see the nuclear proliferation problem our way" (ibid. S. 535). Im Schrifttum ist allgemein nur von starkem Druck der USA die Rede, vgl. Joskow, S. 799 ; Overholt, Nuclear Proliferation in Eastern Asia, in : Overholt (ed.), S. 137, 145. Laut Haftendorn (S. 16) aber sagten die USA Südkorea zu, ihre (nuklearen) Luftstreitkräfte im Land zu belassen und ihre Militärhilfe­ leistungen deutlich zu erhöhen. Dies würde für die Annahme sprechen, daß gegenteilige Maßnahmen angedroht worden sind. Szasz (S. 550) apostrophiert allgemein einen „threat of undesired repercussions". 112 Pub.L. 94 - 329 vom 30. 6. 1976, vgl. oben B.I, Anm. 105 ff. und Text dazu. 1 73 AdG S. 20394 D/4 (1976) ; Tahir-Kheli, S. 368 ; Haftendorn, S. 16. 11, Tahir-Kheli, S. 370 ; vgl. dazu auch die vorwurfsvolle Rede des pakista­ nischen Präsidenten Zia ul Haq vom 30. 8. 1979, AdG S. 22885 B (1979). 115 Redick, Regional Restraint, S. 193.

168

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung bb) Die Identifizierung zulässiger Druckmittel

Es kann wohl kein ernsthafter Zweifel bestehen, daß Maßnahmen wie die Einstellung von Kernbrennstofflieferungen und Hilfeleistungen (bzw. deren Androhung) zu dem Zweck, andere Staaten zu einem Tun oder Lassen zu bewegen, Formen von - vorwiegend wirtschaftlichem - Druck darstellen. Ihre völkerrechtliche Zulässigkeit kann - abge­ sehen von den oben erörterten vertragsrechtlichen Aspekten - wegen des allgemeinen Gewaltverbots , zumindest aber unter dem Gesichts­ punkt des Interventionsverbots in Zweifel gezogen werden. Es dürfte heute feststehen, daß sich das Gewaltverbot, welches in Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta Ausdruck gefunden hat, nur auf militärische Gewalt bezieht. Seit Inkrafttreten der UN-Charta hat es zwar immer wieder Versuche gegeben, dem Gewaltbegriff eine weite, auch nicht­ militärische „Waffen" erfassende Auslegung zu geben 176 , doch als dann die Ausformulierung neuer Völkerrechtsinstrumente anstand, sind ent­ sprechende Vorstöße regelmäßig gescheitert. Dies gilt zunächst für Art. 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention, der die Nichtigkeitsfolge für einen Vertrag vorsieht, wenn dessen Ab­ schluß durch Anwendung oder Androhung von Gewalt unter Verlet­ zung der in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grund­ sätze des Völkerrechts zustandegekommen ist. Zwar war schon in der Völkerrechtskommission die Meinung vertreten worden, ,,Gewalt" könne auch durch Maßnahmen wirtschaftlichen Drucks angedroht bzw. ausgeübt werden 177 ; auch hatten auf der Wiener Konferenz neunzehn Staaten den Antrag gestellt, ,, economic or political pressure" in Art. 52 ausdrücklich einzubeziehen 178 ; doch dieser Antrag, dem Aussicht auf eine große Mehrheit bescheinigt worden ist, wurde schließlich zurück­ gezogen, da die Konferenz bei seiner Annahme wegen der entschiede­ nen Gegnerschaft einer entschlossenen Minderheit hätte vollständig scheitern können 179 • Die Konferenz beschied sich dann damit, in einer einstimmig angenommenen , in die Schlußakte integrierten „Declara­ tion on the Prohibition of Military, Political or Economic Coercion in the Conclusion of Treaties" die Androhung oder Anwendung sol­ cher Gewalt feierlich zu verurteilen 180 • Sie mag dadurch ein Unwert­ urteil über diese Pressionserscheinungen gefällt haben, doch der ver110 Hierzu beispielsweise Derpa, S. 26 f. ; Kewenig, Gewaltverbot, S. 188 ff. ; jeweils mit weiteren Nachweisen. 177 A. M. Paredes (Ecuador), M. Bartos (Jugoslawien), YBILC 1963 vol. I S. 52 (para. 69), 53 (para. 5). 11s Afghanistan u. a., A/CONF. 39/C. 1/L. 67/Rev. 1/Corr. 1. 1 10 Kearney / Daiton, S. 534. Zur Entstehung von Art. 52 vgl. außerdem Brosche, S. 67 - 74, Sinclair, S. 96 - 99 (jeweils zur Frage des wirtschaftlichen Drucks). 1ao A/CONF. 39/C. 1/L. 323, sodann im Annex von A/CONF. 39/26 (Text auch in ILM 8 [1969] S. 728).

3. Zusammenfassung und Weiterführung

169

tragsrechtliche Gewaltbegriff blieb daraufhin an den der in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts gekoppelt, mithin vor allem den des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta181 . Zu dessen Erhellung hat sodann speziell die Entstehungsgeschichte der „Declaration on Principles of International Law concerning Friend­ ly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations" beigetragen18 2 . Dort wird Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta praktisch wortwörtlich wiederholt. Wesentlich ist insoweit die Tatsache, daß die westlichen Staaten mit Erfolg alle Versuche ab­ gewehrt haben, den Gewaltbegriff ausdrücklich auch auf wirtschaft­ lichen und politischen Druck zu beziehen. Man einigte sich, die Frage bei der Formulierung des Gewaltverbots auszuklammern und bei der Definition der Intervention aufzugreifen183 . Die Meinungsverschieden­ heiten wurden zwar damit nicht gelöst, so daß auch von einem Staa­ tenkonsens keine Rede sein kann, doch für die Staatenpraxis darf da­ von ausgegangen werden, daß im Einklang mit der insoweit nicht explizit aufgegebenen überkommenen Auffassung einstweilen allein eine militärische oder paramilitärische Aktion den Gewaltbegriff er­ füllt1 8 4, Sedes materiae für die völkerrechtliche Beurteilung nichtmilitäri­ scher Druckmittel ist demzufolge das aus dem Staatsattribut der Sou­ veränität abzuleitende Interventionsverbot. Dessen Verständnis im Sinne einer Völkerrechtswidrigkeit von „ dictatorial interference by a State in the affairs of another State for the purpose of maintaining 181 In den Erläuterungen der Völkerrechtskommission zu dem Entwurf für den späteren Art. 52 (YBILC 1966 vol. II S. 246 [para. 3 zu Art. 49] ) heißt es bereits : "The Commission . . . considered that the precise scope of the acts covered by this definition should be left to be determined in practice by interpretation of the relevant provisions of the Charter." In seinem 5. Bericht hatte Special Rapporteur Sir Humphrey Waldock vorher seinen Formulierungsvorschlag als „open-ended" bezeichnet und hinzugefügt : "Any interpretation of the principle that States are under an obligation to refrain from the threat or use of force . . . which becomes generally accepted as authoritative will automatically have its effects on the scope of the rule laid down in the present article" (YBILC 1966 vol. II S. 19 [para. 5] ). 182 A/Res. 2625 (XXV) vom 24. 10. 1970. Auf der Wiener Vertragsrechts­ konferenz war mehrfach darauf hingewiesen worden, es sei nicht Sache der Konferenz, die Ergebnisse der parallellaufenden Arbeiten des Special Com­ mittee on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States zu präjudizieren, vgl. Brosche, S. 74, Sinclair, S. 99. Ebenso schon Waldock, ibid. (Anm. 181). 183 Vgl. zu Dohna, S. 54 ff. 184 Siehe dazu statt aller Goodrich / Hambro / Simons, S. 49 ; Jimenez de Arechaga, S. 88 f. ; Scheuner, Auslegung, S. 1 1 4 ; Verdross ! Simma, S. 243. - Es sei ergänzend darauf hingewiesen, daß die Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung (A/Res. 3314 [XXIX] vom 14. 12. 1974) ausschließ­ lich der „use of armed force" gilt und explizit feststellt, die Tragweite der Chartabestimmungen bleibe unberührt.

170

B.II.Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

or altering the actual condition of things" 18 5 dürfte heute aufgegeben sein. Es gibt unverkennbar eine starke - und wenigstens teilweise er­ folgreiche - Tendenz in der Staatenwelt, den Interventionsbegriff aus­ zuweiten.Diese äußert sich vor allem in Deklarationen der UN-General­ versammlung, an die die weiteren Überlegungen sinnvollerweise anzu­ knüpfen haben 186 • An erster Stelle ist hier die Friendly Relations­ Deklaration zu nennen, in der es zur Einmischung in die inneren und äußeren Angelegenheiten anderer Staaten u. a. heißt : "No State may use or encourage the use of economic, political or any other type of measures to coerce another State in order to obtain from it the sub­ ordination of the exercise of its sovereign rights and to secure from it advantages of any kind." Sieht man von einem - allerdings wesent­ lichen - Unterschied ab, hatte sich die Generalversammlung schon 1965 zum Interventionsverbot wortgleich geäußert1 87 • Der Unterschied besteht in der Ersetzung des früher verwendeten Worts „ or" (also al­ ternatives Erfordernis) vor „to secure" durch „and" (mithin kumulati­ ves Erfordernis). In der sog. Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (Art. 3 2 ) 188 schließlich kehrte die Voraussetzung des Vorteilsstrebens erst gar nicht wieder. Damit fanden die damaligen Meinungsverschiedenheiten, die über die Wortwahl „ and"/,,or" erneut ausgebrochen waren, eine vordergründig einfache, jedenfalls aber eher den Wünschen der für eine möglichst restriktive Fassung des Interven­ tionsverbots eintretenden Staaten entgegenkommende Lösung 189 •

Oppenheim / Lauterpacht, S. 305. Durch dieses empirische Vorgehen kann der Gefahr begegnet werden, den Souveränitätsbegriff auf abstrakter Ebene allzusehr zu konkretisieren. Immerhin folgt aus der Souveränität auch das Recht der Staaten zur wechselseitigen Einflußnahme. Zum Zweck der Abgrenzung empfiehlt es sich deshalb, zunächst die in greifbaren Rechtsinstrumenten zum Ausdruck kommende Grundhaltung der Staatengemeinschaft zu Rate zu ziehen. 1 87 A/Res. 2131 (XX) vom 21. 12. 1965 = Declaration on the Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of Their Independence and Sovereignty, angenommen bei Enthaltung allein des Vereinigten König­ reichs (A/PV 1408, para.90), wenn auch nicht ohne Vorbehalte mehrerer Staaten (im Plenum noch einmal Del. de Beus (Niederlande), A/PV 1408, paras.70 - 74; im 1.Ausschuß hatten sich Australien, Belgien, die Nieder­ lande, Neuseeland und das Vereinigte Königreich der Stimme enthalten, vgl. A/C. 1/SR. 1422, para. 50). 1 88 A/Res. 3281 (XXIX) vom 12. 12. 1974. Art. 32 wurde im 1. Ausschuß ohne Gegenstimme angenommen, bei Enthaltung von Belgien, Dänemark, Bundes­ republik Deutschland, Frankreich, Irland, Israel, Italien, Japan, Luxemburg, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten, vgl. A/9946, para.22 = GAOR (XXIX), Annexes, agenda item 48, S.25. 189 Tomuschat, Charta, S. 456 und Fn. 55. - Erwähnt sei hier auch der einschlägige Passus der KSZE-Schlußakte, und zwar (aus Vergleichsgründen) in englischer Sprache. In Prinzip VI heißt es u. a. : "They (seil. The partici­ pating States) will likewise in all circumstances refrain from any other act of military, or of political, economic or other coercion designed to sub­ ordinate to their own interest the exercise by another participating State of the rights inherent in its sovereignty and thus to secure advantages of 1 85

186

3. Zusammenfassung und Weiterführung

171

Eine Zusammenschau dieser Instrumente muß zu dem Schluß füh­ ren, daß die Staatengemeinschaft im Hinblick auf die Illegalisierung von zwischenstaatlichen Erpressungsvorhaben das Gewicht auf die Zielsetzung des einen Staates legt, sich die Ausübung der souveränen Rechte des anderen Staates unterzuordnen. Damit wird die Gefügig­ machung als solche in den Vordergrund geschoben. ,, Subordination" ist nichtsdestoweniger ein recht unbestimmter Rechtsbegriff. Zu dessen Konkretisierung darf nun nicht entscheidend auf die Staatenpraxis ab­ gestellt werden, geht es hier doch nicht um die Bestimmung eines Satzes des Völkergewohnheitsrechts, sondern die Tragweite des Axioms der Souveränität, welche nicht nur grundlegendes Staatsattribut, son­ dern Strukturprinzip der Völkerrechtsgemeinschaft ist. Die Zulässig­ keit der zwischenstaatlichen Erpressung läßt sich im Hinblick auf den Schutzzweck der Souveränität nicht allein mit dem Argument vertei­ digen, sie sei gang und gäbe190 • Daneben sind es aber gerade die Grund­ strukturen der Völkerrechtsgemeinschaft, die vor einer zu weiten Fas­ sung des Interventionsverbots warnen lassen müssen. In einem koor­ dinationsrechtlichen System wie dem des Völkerrechts kann ein Mangel an Freiwilligkeit viel weniger berücksichtigt werden als etwa in na­ tionalen Zivilrechtsordnungen. Gerade in der Staatengemeinschaft, die auch heute noch vergleichsweise wenig organisiert ist, sind die Ak­ teure zur Interessenwahrung und -durchsetzung darauf angewiesen, auch zu dem Mittel zwischenstaatlicher Pressionen und politischer Einflußnahmen zu greifen. Diese sind aus dem zwischenstaatlichen Be­ reich einstweilen nicht hinwegzudenken. Die Grenze des noch Erlaubten wird erst da überschritten, wo das völkerrechtliche Strukturprinzip des Bestands souveräner Staaten in Gefahr gerät. Das ist dann der Fall, wenn ein Pressionen ausgesetzter Staat keine andere Wahl mehr hat, als dem Urheber der Pressionen willfährig zu sein19 1 • Allein in diesem restriktiven Sinne kann nach dem gegenwärtigen Entwicklungsstand des Völkerrechts der Passus „subordination of the exercise of its sovereign rights" verstanden werden. Nur insoweit verkörpert das einschlägige Prinzip der Friendly Relations-Deklaration einen Konsens der Staatengemeinschaft, wie auch gerade deren Entstehungsgeschichte belegt192 • Das recht hohe Abstraktionsniveau der „subordination"-For­ mel, also der Verzicht auf Präzisierungen, muß hier zu Lasten der Be­ fürworter einer extensiven Betrachtungsweise gehen, d. h. der Mehr­ heit der Staaten sowie der zahlreichen Stimmen im Schrifttum193, die any kind" (ILM 14 [1975] S. 1295). Das Tauziehen um die Fassung von Prin­ zip VI stand allerdings ganz im Zeichen von Bemühungen, der Breschnew­ Doktrin entgegenzuwirken, vgl. Ghebali, S. 95 f., RusseU, S. 267. 190 Zur Embargopraxis vgl. die Darstellung zahlreicher Beispiele durch Lindemeyer, S. 241 ff., und Dicke, S. 207 ff. 191 Insoweit ist Dicke (S. 150) zuzustimmen. 192 Vgl. zu den divergierenden Positionen ausführlich zu Dohna, S. 112 ff.

172

B.II. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

einen weiter gefaßten Begriff_ vom Interventionsverbot haben. über­ dies haben sich etliche dieser Staaten in der Praxis wiederholt im Widerspruch zu ihrer eigenen Doktrin verhalten 194 • Entscheidend bleibt letztlich, daß es unverändert eine beachtliche Anzahl von Staaten gibt, die sich gegen die Anerkennung dieser Auffassung wehren. Zwar kön­ nen auch die völkerrechtlichen Grundprinzipien von einem Wandel der Rechtsauffassung erfaßt werden, so daß es durchaus denkbar ist, daß im Zuge eines sich wandelnden Souveränitätsverständnisses - etwa als Folge zunehmender weltwirtschaftlicher Verflechtung und wechsel­ seitiger Staatenabhängigkeit sowie weiterer Regulierung der Austausch­ beziehungen - auch den Interventionsmöglichkeiten engere rechtliche Grenzen gezogen werden 195 , Ein solcher Wandlungsprozeß muß aber von der Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit getragen werden196 • Eine realitätsnahe, der Rechtsentwicklung nicht vorausgreifende Be­ trachtung des so umstrittenen Völkerrechtsinstituts der Intervention wird zu dem Ergebnis zu führen haben, daß nur solche Einwirkungen auf andere Staaten mit wirtschaftlichen oder politischen Mitteln illegal - also völkerrechtswidrig - sind, die die effektive Entscheidungsfrei­ heit dieser Staaten aufheben. Lenkt man nun die Aufmerksamkeit wieder auf die Ausgangsfrage zurück - nämlich die nach der allgemeinen Zulässigkeit der vor allem US-amerikanischen Pressionen auf andere Staaten -, so wird man keinen Rechtsverstoß feststellen können. Soweit das tatsächliche Ein­ gehen vertraglicher Bindungen zur Debatte steht (z. B. NPT-Beitritt), kann von einer Nichtigkeit keine Rede sein, da nicht Waffengewalt ursächlich war 1 97 • Soweit die Staaten dem auf sie ausgeübten Druck erfolgreich widerstanden haben (z. B. Pakistan), besteht schon auf Grund dessen eine unwiderlegliche Vermutung, daß ihre Entscheidungs1,s Eine Auseinandersetzung mit den zahllosen .Äußerungen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und verspräche außerdem wohl weniger Aufschluß als die hier vorgenommene Orientierung an der Evolution der Staatenpositionen. Eine eingehende Würdigung der Literatur findet sich bei Dicke, S. 165 ff. 194 Beispielsfälle bei Lindemeyer, S. 428 f. Das arabische Ölembargo stellt nur das bekannteste Beispiel dar. Zu der - positiv zu beantwortenden Frage nach dessen Völkerrechtskonformität vgl. die bekannte Kontroverse zwischen Paust / Blaustein und Shihata. 195 Siehe dazu die Überlegungen von Tomuschat, Charta, S. 454 ff. 196 Kaum kompromiß- und damit konsensfähig dürfte ein Modell sein, welches - wie die sog. Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten - einerseits Zwangsmaßnahmen verbietet, andererseits die weitgehende Handlungsfreiheit von Erzeugerkartellen garantiert (Art. 5, 32). 197 Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß sich das Europäische Parlament in einer Entschließung vom 25. 4. 1979 für „intensive politische Maßnahmen" einsetzte, ,,die darauf ausgerichtet sind, den Beitritt zum Atomsperrvertrag zu erweitern" (ABIEG C 127/44 vom 21. 5. 1979). Die Abg. Walz hatte in der Aussprache unverblümt die „Androhung von Sanktionen" gefordert (ABlEG, Anhang Nr. 242, S. 84).

3. Zusammenfassung und Weiterführung

178

freiheit durch die Pressionen nicht aufgehoben worden ist. Die Frage, ob äußerstenfalls wahrhaft existenzgefährdende Maßnahmen als völ­ kerrechtswidrig eingestuft werden müssen, stellt sich bei den geschil­ derten Beispielsfällen offensichtlich nicht. In dem vermutlich heikelsten Fall, nämlich dem des durch „ starken Druck" erreichten Verzichts der Republik Korea auf den Erwerb einer Pilotanlage für Wiederaufarbei­ tung, fehlt es an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine begründbare Einstufung. In den anderen Fällen schließlich, in denen die Pressionen zu dem gewünschten Erfolg geführt haben (z. B. Japans NPT-Beitritt), sind den betroffenen Staaten keine Nachteile in Aussicht gestellt worden, die derart gravierend gewesen wären, daß ihre Inkauf­ nahme unvertretbar erschiene. In Ansehung von Kernbrennstoffliefe­ rungen könnte diese Eventualität vielleicht bei einem Staat eintreten, dessen Energieversorgung überwiegend auf nuklearer Basis stünde und insoweit von den Brennstofflieferungen eines einzelnen Staates ab­ hinge. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre gab es aber keinen Staat (bzw. keine Staatengruppe), dessen Energieversorgung auch nur an­ nähernd zur Hälfte über Kernkraftwerke erfolgte, und eine zuneh­ mende Diversifizierung des Anbietermarktes war schon vorher ohne weiteres absehbar. Demgemäß ging speziell das in der Energieversor­ gung in besonderem Maße vom Ausland abhängige Japan dazu über, seinen Kernbrennstoff in Europa zu bestellen 198 • So hätten Lieferstopps vermutlich zu Versorgungsengpässen in verschiedenen Ländern ge­ führt, doch ein unausweichlicher Druck auf diese Staaten zur Erfül­ lung fremder Wünsche wäre dadurch nicht entstanden. Auch diese Überlegungen zu spezifischen Eigenheiten der Materie rechtfertigen die Schlußfolgerung, daß die hier erörterten Pressionen insgesamt nicht gegen allgemeine Völkerrechtsprinzipien wie das des aus dem Sou­ veränitätsaxiom folgenden Interventionsverbots verstoßen haben.

b) Das US-Konzept einer internationalen Nutzungsordnung - ein funktionales Hierarchisierungsmodell für die Staatengemeinschaft Ein führendes Mitglied des US-amerikanischen Congressional Re­ search Service hat seine - völkerrechtliche Probleme übrigens restlos ignorierenden - Erläuterungen zum NNPA mit einem bestechenden Abschnitt über „The Ideal Use of Nuclear Energy" eingeleitet199 • Es 10s F ür 1980 über 50 °/o, danach aber nach den Angaben in Hearings on S. 897 and 1432 (S. 59 ff.) immer weniger. 100 W. H. Donnelly (Senior Specialist, Energy, Environment and Natural Resources Policy Division), S. 1 - 3. Nahezu wortgleich ders., Applications of US non-proliferation legislation for technical aspects of the control of fissionable materials in non-military applications, in : SIPRI, Nuclear Energy, S. 199 f.

174

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

stellt darin die Vision einer idealen künftigen Kernenergienutzung dar, welche der US-Gesetzgebung zugrundeliege, die ihrerseits die Vorstel­ lungen von Kongreß und Exekutive zu einem beiderseits zufrieden­ stellenden Kompromiß verwoben habe. Diese Synopse erscheint derart treffend, daß sie hier in deutscher Übertragung wiedergegeben wer­ den darf, ,,Im Idealfall würden der internationale Handel mit und die einhei­ mische Erzeugung von reinem Plutonium, hochangereichertem Uran und reinem Uran 233 ausgesetzt, wenigstens jahrzehntelang. Zur Kern­ krafterzeugung würde weltweit nur natürliches oder leicht angerei­ chertes Uran verwendet werden. Die Endlagerung des nicht aufgear­ beiteten Brennstoffs würde in internationalen Anlagen stattfinden, wenigstens aber in nationalen Anlagen unter internationaler Schirm­ herrschaft und Beaufsichtigung. Plutonium würde nicht als Kernbrenn­ stoff verwendet werden. Lieferstaaten und Verbraucherländer würden sich auf gemeinsame Beschränkungen beim nuklearen Handel verstän­ digt haben. Insbesondere würden Anlagen und Ausrüstungen für An­ reicherung und Wiederaufarbeitung nicht weitergegeben werden. Es würde vereinbart werden, Sanktionen gegen Länder zu verhängen, die ihre Nichtverbreitungsverpflichtungen verletzten. Alle Staaten würden den NPT ratifiziert haben. Demgemäß würden alle Staaten mit Aus­ nahme der Kernwaffenstaaten alle ihre nuklearen Tätigkeiten IAEA­ Sicherungsmaßnahmen unterstellen. Kernwaffenstaaten würden ihre zivilen Kernanlagen freiwillig IAEA-Sicherungsmaßnahmen unter­ stellen. überall auf der Welt würden einheitliche und wirksame Nor­ men für die physische Sicherheit von Kernmaterialien und -anlagen gelten. Die Lieferstaaten würden die Verwendung der von ihnen stammenden Ausrüstungen, Materialien , Brennstoffe und Technologie kontrollieren können. Die Verbraucherländer würden einer Erlaubnis bedürfen für die Weitergabe, Anreicherung oder Wiederaufarbeitung bezogener Kernmaterialien, sowie der Zustimmung zur Lagerung be­ strahlten Brennstoffs. Der Hauptanreiz für die Übernahme entsprechender Nichtverbrei­ tungsverpflichtungen wäre eine gesicherte, zuverlässige Belieferung mit Kernkraftwerken und Nuklearausrüstungen durch die Lieferstaaten und mit Kernbrennstoff durch eine Internationale Kernbrennstoff­ behörde, die auch die Lagerung bestrahlten Brennstoffs übernehmen könnte. Die Staaten würden verpflichtet sein, keine neuen Anreiche­ rungs- oder Wiederaufarbeitungsanlagen zu errichten und würden be­ stehende Anlagen unter internationale Schirmherrschaft und Beauf­ sichtigung stellen. Sollte Wiederaufarbeitung erforderlich werden, würde sie wahrscheinlich in einer Anlage durchgeführt werden, die einer Art internationaler Leitung und Kontrolle unterstünde. IAEA-

3. Zusammenfassung und Weiterführung

175

Sicherungsmaßnahmen könnten für zeitige Warnung vor Abzweigungen sorgen. Nationale und internationale Forschung und Entwicklung würden auf die Vervollkommnung von Kernbrennstoffzyklen konzentriert, die eine bessere Ausnutzung des Energiepotentials der Uran- und Thorium­ ressourcen erlaubten, ohne ein höheres Proliferationsrisiko zu schaf­ fen als der Brennstoffzyklus des Leichtwasserreaktors mit Endlage­ rung bestrahlten Brennstoffs. Insgesamt würden in dieser idealen nuklearen Zukunft mehrere Jahrzehnte lang Brennstoffzyklen auf der Basis natürlichen oder leicht angereicherten Urans im Vordergrund stehen, wobei Gewicht auf ver­ besserte Brennstoffnutzung gelegt würde ; Brennstoffzyklen, bei denen leicht zugängliches Plutonium, Uran 233 oder hochangereichertes Uran verwendet werden müßte, würden als unratsam gelten . Der kommer­ zielle Einsatz der Wiederaufarbeitung und des Plutonium-Brüters würde in die entferntere Zukunft aufgeschoben, in der die Sicherungs­ maßnahmen so weit verbessert sein könnten, daß sie das nach j etzigem Stande mit dem schnellen Brutreaktor verbundene Proliferationsrisiko ausglichen. " Dieser gelungenen Kurzfassung der US-amerikanischen Wunschvor­ stellungen ist inhaltlich nichts hinzuzufügen. Völkerrechtliche Betrach­ tungen sollten aber nicht an dieses leicht idyllische Bild anknüpfen - hier soll nur festgestellt werden , daß ein weltweit frei vereinbartes Moratorium über nationale· sensitive Aktivitäten in der Tat ein be­ merkenswertes Beispiel eines Aktes internationaler Wirtschaftslen­ kung böte -, sondern an das tatsächliche Vorgehen, zu dem sich die USA aus kompromißbereiter Einsicht in reale Gegebenheiten und un­ ter Kompromittierung der Idealvorstellung entschlossen haben. Kurz­ um, es müssen die Abstriche mitberücksichtigt werden, die das Modell in der Praxis erfahren hat. Und insoweit darf vor allem die eine we­ sentliche Tatsache nicht übersehen werden, daß der Verzicht eines po­ tentiellen Partners auf nationale sensitive Aktivitäten im NNPA nicht zu einer förmlichen Bedingung für den Abschluß eines bilateralen nuklearen Kooperationsabkommens erhoben worden ist. Es verdient außerdem Beachtung, daß die Erteilung von Erlaubnissen für Wieder­ aufarbeitung differenziert - nämlich praktisch bestimmte zivile Atom­ mächte begünstigend - geregelt worden ist, und daß solche Erlaubnis­ se auch nach Inkrafttreten des NNPA - wenn auch sehr zurückhaltend - erteilt worden sind. Angesichts dessen darf die gesetzliche Anwei­ sung an den Präsidenten, andere Länder zum Verzicht auf nationale sensitive Aktivitäten zu bewegen, nicht überbewertet werden. Wichti­ ger erscheint demgegenüber die Erklärung von Präsident Carter vom 27. April 1 977 „We are not trying to impose our will on those nations

176

B.11. Probleme der Durchsetzung einer neuen Nutzungsordnung

like Japan and France and Britain and Germany which already have reprocessing plants in operation . . . They have a perfect right to go ahead and continue with their own reprocessing efforts. But we hope they'll j oin with us in eliminating in the future additional countries that might have had this capability evolve" 200 . Nicht vergessen werden darf freilich auch die namentlich in der Tokai-Mura-Vereinbarung zum Ausdruck kommende Tendenz der USA, sich in die Planung des Brenn­ stoffkreislaufs durch andere Staaten einzumischen. Nach alledem würde man dem US-Konzept nicht gerecht, stufte man es einfach als Modell für die Internationalisierung wesentlicher Teile des Kernbrennstoff­ kreislaufs ein, insbesondere der - soweit überhaupt stattfindenden sensitiven Aktivitäten. Vielmehr läuft es wenigstens für eine Über­ gangszeit auf die Errichtung einer Weltnuklearordnung hinaus, in der neben die Unterscheidung zwischen Kernwaffen- und Nichtkernwaffen­ staaten eine weitergehende Diskriminierung träte. Es würden prak­ tisch drei Staatenkategorien geschaffen. Erstens Staaten, die nationale sensitive Aktivitäten betreiben dürfen, ohne dazu im Einzelfall der Erlaubnis eines anderen Staates zu bedürfen. Zweitens Staaten, die nationale sensitive Aktivitäten betreiben dürfen , dazu aber im Ein­ zelfall die Erlaubnis eines anderen Staates einholen müssen. Drittens Staaten, die keine sensitiven Aktivitäten betreiben dürfen201 . Sensitive Aktivitäten würden danach zum staatlichen Statusmerkmal avancie­ ren202 ; der Lieferstaat würde als Quasi-Vormund eingesetzt203 . Eine solche Perspektive der Hierarchisierung fordert dazu heraus, unter dem Gesichtspunkt der Strukturprinzipien der Völkergemeinschaft kommentiert zu werden. Dies soll nun im abschließenden Teil der Ar­ beit geschehen. Die Überlegungen sollen sich dabei j edoch nicht länger auf die US-Anstöße für die Errichtung einer reglementierten Welt­ nuklearordnung konzentrieren, sondern auch die Politik anderer Staa­ ten und internationale Konzertierungsbemühungen - zunächst zwi­ schen den Lieferstaaten, sodann aber auch in einem weiteren Rahmen - einbeziehen. Mit deren Darstellung wird der Schlußteil deshalb ein­ zuleiten sein. 200 Dept. of State Bull. 76 S. 431, 433 (2. 5. 1977). 201 Unscharf insoweit Goldschmidt, Survey, S. 86. 2 02 Unmißverständlich Präsident Carter am 30. 3. 1978 (Pressekonferenz in Brasilia) : "Our own nuclear non-proliferation policy . . . tries to draw a distinction between the right and the meeting of need of countries to produce energy from atomic power on the one hand, and the right of the country to evolve weapons-grade nuclear materials through either enrich­ ment processes or through reprocessing." (Dept. of State Bull. 78 No. 2014 [May 1978] S. 8). 2 0s Carter am 4. 10. 1977 vor der UN-Generalversammlung : Verpflichtung der Lieferstaaten „to ensure that nothing we export contributes, directly or indirectly, to the production of nuclear explosives" (A/32/PV 18, para. 21).

C; Entwicklungstendenzen des Nuklearvölkerrechts zehn Jahre nach dem NPT I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer 1. Die zunehmend restriktive Haltung der Lieferanten

Von allen Nuklearexporteuren haben sicherlich die USA die spekta­ kulärste Wendung in der Ausfuhrpolitik vollzogen. Das große Auf­ sehen, das die US-amerikanischen Maßnahmen erregt haben, die Vor­ reiterrolle, die den USA regelmäßig zuerkannt worden ist, und die starken Machtmittel, die hier haben eingesetzt werden können, sind ein guter Grund gewesen, die durch den Prinzipienwandel der bilatera­ len Kooperation erwachsenen Rechtsprobleme an Hand des Beispiels der Vereinigten Staaten zu erörtern, Es darf aber nicht verkannt werden, daß die US-amerikanische Reaktion auf die Ereignisse des Jahres 1974 weltweit weder die schnellste noch die härteste war. Doch nicht aus diesem Grunde, sondern deshalb, weil eine Würdigung der aktuellen Tendenzen des Nuklearvölkerrechts einen Gesamtüberblick über die Staatenkonzepte und -praxis erfordert, soll nunmehr die Haltung der insoweit wichtigsten Staaten geschildert werden. Die Darstellung darf sich dabei auf die am bedeutsamsten anmutenden Punkte beschränken, d. h. vor allem solche , in denen einerseits eine Bestätigung der US-Politik zum Ausdruck kommt, andererseits Ab­ weichungen davon oder spezifische Besonderheiten. Vertragsrechtliche Probleme, die durch bilaterale Kooperationsabkommen aufgeworfen werden, können diesmal weitgehend ausgeklammert bleiben, geht es nun doch um eine abschließende Gesamteinschätzung der entstehenden Weltnuklearordnung. Fünf für den Nuklearexport besonders bedeut­ same Staaten seien einer Einzelbetrachtung unterzogen: Australien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Kanada und die Sowjetunion. a) Die „Harten": Kanada, AustraUen, UdSSR Hier sind Australien, Kanada und - mit Vorbehalten - die UdSSR zu nennen. Während Australiens Bedeutung in großen Uranvorkommen begründet ist, kommen die beiden anderen genannten - an spaltba­ ren Rohstoffen ebenfalls reichen - Länder nicht nur als Lieferanten 12 Prlll

178

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

von Kernbrennstoff, sondern auch als Exporteure von Kernkraftwer­ ken und Schwerem Wasser in Betracht. Als Urheber der restriktivsten Exportpolitik muß wohl Kanada gel­ ten 1 . Kanada, das seit 196 5 Uran nur noch für zivile Nutzungszwecke ausgeführt hatte, ging schon vor dem indischen Nukleartest von 1974 dazu über, sich von Kooperationspartnern vertraglich bestätigen zu lassen, daß auch friedlichen Zwecken dienende Kernsprengkörper keine zivile Nutzung darstellten und vereinbarte Sicherungsmaßnahmen auch nach Beendigung der nuklearen Zusammenarbeit in Kraft blieben2 • Nach dem indischen Test wurde die Kooperation mit Indien umgehend suspendiert3 • Am 20. Dezember 1974 gab die kanadische Regierung neue Exportgrundsätze bekannt. Für peaceful use-Zusagen und für Siche­ rungsmaßnahmen wurde das „Ansteckungsprinzip" verschärft. Sie hätten sich auch auf alle Anlagen, Ausrüstungen und Materialien zu erstrecken, die einmal mit von Kanada gelieferten Anlagen, Ausrüs­ tungen und Materialien gleichsam in Berührung kämen bzw. - was Anlagen und Ausrüstungen anbetrifft - unter Verwendung von aus Kanada stammender Technologie hergestellt würden. Die Weitergabe von Ausrüstungsgegenständen, Materialien oder Technologie kanadi­ schen Ursprungs würde stets der Einwilligung Kanadas bedürfen. Be­ strahlter Kernbrennstoff aus Kanada dürfe nur dann aufgearbeitet, Uran nur dann zu mehr als 20 °/o angereichert, Plutonium und zu mehr als 20 0/o angereichertes Uran nur dann gelagert werden, wenn Kanada zu dem Schluß komme, eine Proliferationsgefahr werde dadurch nicht geschaffen. Die bilateralen nuklearen Kooperationsabkommen sollten demgemäß neu ausgehandelt werden. Dafür wurde eine Übergangs­ zeit von zunächst einem, schließlich von zwei Jahren eingeräumt4 • Ka­ nada wurde so zu dem ersten Land, welches die Perspektive eines Lieferstopps als „Verhandlungsmittel" einsetzte5 • Im Dezember 1976 verschärfte Kanada seine Exportbedingungen ein weiteres Mal. Ein Partner mußte fortan Vertragspartei des NPT sein, wenigstens aber umfassende Sicherungsmaßnahmen über die Ge­ samtheit seiner zivilen Nuklearaktivitäten akzeptiert haben6 • Sofortige 1 „toughest of all suppliers", so Wonder, S. 19. Vgl allgemein zu Kanada neben Wonder Hunt, Noble und Campbell. 2 Hunt, S. 82 f. (zu einem Abkommen mit dem Iran). 3 Erklärung des Secretary of State for External Affairs Sharp vom 22. 5. 1974, CCD/426 = GAOR (XXIX) Suppl. 27 S. 88 f. 4 Vgl. zu der Grundsatzerklärung vom 20. 12. 1974 Hunt, S. 83 ; Kapur, Canada-lndia, S. 314; Noble, S. 44. 5 Goldschmidt / Kratzer, S. 37. 6 Bekanntgabe durch Secretary of State for External Affairs Jamieson am 22. 12. 1 976, AdG S. 20683 J (1 976). Vgl. Hunt, S. 96 Fn. 150 ; Noble, S. 44; Wonder, S. 1 9. Schon vorher hatte Kanada die Gewährung von Finanzhilfe

1. Die zunehmend restriktive Haltung der Lieferanten

179

Folge war die Einstellung von Materiallieferungen für das Kernkraft­ werk Karatschi, wodurch die schon vorher weitgehend suspendierte Zusammenarbeit mit Pakistan ein Ende fand7 • Bereits im Mai 1 976 war die Kooperation mit Indien definitiv abgebrochen worden, nach­ dem ein im März 1 976 paraphiertes neues Abkommen nicht die Bil­ ligung des kanadischen Kabinetts gefunden hatte8 • Aus einer kanadi­ schen Regierungserklärung muß geschlossen werden, daß Kanada schließlich doch auf Bedingungen bestanden hat, die zwar nicht dem Buchstaben nach, de facto aber - wegen des (auch retroaktiv wirk­ samen) ,,Ansteckungsprinzips" - auf die Einführung umfassender Sicherungsmaßnahmen in Indien hinausliefen9 •

Die neue Politik führte aber nicht allein in den Fällen Indien und Pakistan zu praktischen Konsequenzen. Während es gelang, mit eini­ gen Ländern neue Kooperationsabkommen auszuhandeln , die den verschärften Kriterien wohl gerecht wurden10 , sahen sich einige der traditionellen Partner Kanadas mit Lieferunterbrechungen konfron­ tiert, nämlich EURATOM, Japan, die Schweiz und die USA. EURATOM erhielt ab 1 .Januar 1 977 keine Uranlieferungen mehr, nachdem die im Sommer 1 976 aufgenommenen Verhandlungen bis zum Ende des Jahres (Ablauf der Übergangszeit) ergebnislos geblieben waren 1 1 • EURATOM

für nukleare Entwicklungsvorhaben an die Bedingung der NPT-Zugehörig­ keit geknüpft, vgl. Secretary of State for External Affairs MacEachen am 12.5. 1975, CanYBIL 14 (1976) S. 355 f. Ebenso Regierungsverlautbarungen vom 8.3. 1976 und 10.5. 1976, CanYBIL 15 (1977) S. 363 - 365. 7 AdG S.20690 A (1977) ; Goldschmidt l Kratzer, S.42; Tahir-Kheli, S. 360. Allerdings dürfte auch der Erwerb einer Wiederaufarbeitungsanlage durch Pakistan bei der kanadischen Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Den Kooperationsabkommen der beiden Länder vom 14. 5. 1959 (426 UNTS 203 betr. die Errichtung des Kernkraftwerks Karatschi) läßt sich eine spezifische Verpflichtung Kanadas zur Materiallieferung nicht entnehmen. Die einseitige Aufkündigung der Zusammenarbeit dürfte aber mit dem eine Kooperation ja gerade vorsehenden Abkommen von 1959 nicht vereinbar gewesen sein. s Erklärung des Secretary of State for External Affairs MacEachen vom 19. 5. 1976, AdG S. 20225 B (1976) ; Goldschmidt / Kratzer, S.42; Kapur, Ca­ nada-India, S. 315. 9 Kapur, Canada-India, S. 315 f. - Durch seine Maßnahme verstieß Kana­ da gegen das Abkommen mit Indien vom 16. 12. 1963 über die Errichtung des Kernkraftwerks Rajasthan (529 UNTS 45), dessen zweiter Reaktor zur Zeit des kanadischen Schritts noch nicht fertiggestellt war. 1 0 Bemerkenswerterweise auch mit der Republik Korea (Abkommen vom 26. 1. 1976) und Argentinien (Abkommen vom 30. 1. 1976, also vor Einführung der Kooperationsbedingung von full-scope safeguards). Vgl. dazu die Er­ klärung von MacEachen am 30. 1.1976, CanYBIL 15 (1977 S. 361 - 363 ; Hunt. S.83 - 85. Am 24. 10. 1977 wurde sogar mit Rumänien ein Kooperationsab­ kommen geschlossen, auf Grund dessen Kanada das erste westliche Land wurde, welches einem sozialistischen Staat Osteuropas ein Kernkraftwerk lieferte, vgl. International Perspectives September/October 1978 S. 39 (In­ krafttreten des Abkommens am 14. 6. 1978), sowie AdG S. 21341 A (1977). 1 1 Engel, S. 516 f. ; Girerd, S. 69; Noble, S.45. Das Bulletin der EG be­ gegnete diesen Komplikationen mit äußerster Diskretion. Die Einstellung 12•

180

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

sträubte sich vor allem gegen die Anerkennung eines kanadischen Vetorechts über Wiederaufarbeitung. Das grundlegende Kooperations­ abkommen vom 6. Oktober 1 959 12 enthielt keinen entsprechenden Vor­ behalt. Ein weiteres Problem bestand darin, daß das EURATOM-Mit­ glied Frankreich dem NPT nicht beigetreten war und seine zivilen Nuklearaktivitäten keiner anderen Sicherheitskontrolle als derjenigen von EURATOM unterstellt hatte. Am 16. Januar 1 978 wurde schließ­ lich eine Interimsvereinbarung zur Änderung des Abkommens von 1959 erzieW3 • Sie stellt einen komplizierten Kompromiß dar. Das wird schon an der äußeren Form deutlich: Die Vereinbarung besteht aus einem grundlegenden Briefwechsel (im folgenden: 1 . Brief) mit drei Anhängen (A = Katalog zum Ausdruck „Maschinen oder Werksteile" , B = Objektschutzgrade, C = Interimsvereinbarung über Anreiche­ rung, Wiederaufarbeitung und anschließende Lagerung von Kernma­ terial in der Gemeinschaft und in Kanada) sowie einem begleitenden Briefwechsel zu den Sonderfällen Vereinigtes Königreich und Frank­ reich (im folgenden: 2. Brief), einen weiteren begleitenden Briefwech­ sel ( 3. Brief) zu Spezialproblemen mit drei Anlagen (I = Erklärung zum Technologietransfer, II = Technischer Vermerk insbesondere zu der Kumulierung von Sicherheitsbestimmungen im Falle unterschied­ licher Lieferanten von Natururan und Anreicherungsdiensten, III = Vermerk über den Objektschutz) sowie einen letzten begleitenden Brief­ wechsel zu der Auswirkung des Abkommens im Hinblick auf den Zeitraum nach der Interimsperiode (im folgenden: 4. Brief). Die wesentlichen Punkte dieser Schachtelvereinbarung dürfen fol­ gendermaßen zusammengefaßt werden : Die Übergangszeit dauert drei Jahre, nämlich bis zum 31 . Dezember 1 980 (1. Brief, Anhang C, Punkt 5). Danach besteht vorbehaltlich eines neuen Abkommens keine Verpflich­ tung zur Lieferung von Material (also insbesondere von Natururan) (4. Brief). Davor deckt Kanada den laufenden Bedarf von EURATOM, wobei der Begriff „laufender Bedarf" auch die von EURATOM-Mit­ gliedstaaten übernommenen vertraglichen Verpflichtungen in bezug auf die Anreicherung berücksichtigt (1. Brief, Anlage C , Punkt 4). Das Ver­ einigte Königreich darf kanadisches Material vorläufig und mit der Maßgabe zum Endverbrauch verwenden, daß bis etwa Mitte 1978 ein der Uranlieferungen wurde erst mitgeteilt, nachdem letztere wieder auf­ genommen worden waren, Bull. EG 12-1977, Ziff. 2.2.63. Die EG-Kommission gab am 2 1 . 10. 1977 - also während des kanadischen Embargos - auf die Frage, welche Erzeugerländer den Zugang der EG zu ihren Uranerzreserven aus innen- oder außenpolitischen Gründen beschränkten, die knappe Ant­ wort „Die meisten Uranlieferanten und potentiellen Lieferanten sind gegen­ wärtig dabei, die Bedingungen für den Uranexport neu festzulegen " (SA Lord Bessborough, ABlEG C 277/4, 17. 1 1 . 1977). 12 ABlEG 60 (S. 1 165/59, 24. 1 1 . 1959) = 475 UNTS 187. 1a ABlEG L 65/16, 8. 3. 1978.

1. Die zunehmend restriktive Haltung der Lieferanten

181

Verifikationsabkommen mit der IAEA in Kraft treten wird (2. Brief, Punkt 2) 14• Frankreich darf solches Material anreichern und wieder­ aufarbeiten, j edoch erst nach Inkrafttreten eines Verifikationsabkom­ mens zum Endverbrauch verwenden15 ; vorher muß angereichertes bzw. wiederaufgearbeitetes Material nach Ablauf der für diese Operationen erforderlichen normalen Frist Frankreich wieder verlassen (2. Brief, Punkt 3). Zu der Anreicherung auf mehr als 20 0/o und zu der Wiederaufarbei­ tung von Material sowie zu der Lagerung von Plutonium oder von auf mehr als 20 0/o angereichertem Uran wird folgende Interimsrege­ lung getroffen: Diese Operationen erfolgen zu Bedingungen, die im Einvernehmen zwischen den Parteien schriftlich festgelegt worden sind (1. Brief, Punkt e, mit ausdrücklicher Verweisung auf Anhang C). Anhang C zieht insoweit zunächst einmal der Rückwirkung eine Grenze: In bezug auf das Uran kanadischen Ursprungs, das vor dem 20. Dezember 1 974 an EURATOM übertragen worden ist, können beide Parteien Konsultationen gemäß Art. IX Abs. 3 und XIII des Abkom­ mens von 1 959 beantragen (Punkt 4) 1 6 • Im übrigen muß EURATOM die kanadische Regierung j eweils im voraus über ihre Absicht unterrichten, eine solche Wiederaufarbeitung, Anreicherung oder Lagerung vorzir nehmen. Zweck der Notifizierung ist es, ,,gemeinsame Konsultationen zu ermöglichen, damit die Parteien prüfen können, ob die Sicherheits­ maßnahmen bei der geplanten Operation angemessen sind und ob die Gefahren einer Verbreitung von Kernmaterial vermieden werden" (Punkt 2). Im wohl wichtigsten Satz der Interimsvereinbarung heißt es dann: Wiederaufarbeitung und Hochanreicherung dürfen vorgenommen werden, ,,wenn sich in bereits in Betrieb befindlichen oder geplanten Anlagen im Euratom-Bereich eine solche Notwendigkeit ergibt. Das gleiche gilt für Plutonium und auf über 20 0/o U-235-Gehalt angerei­ chertes Uran, die im Euratom-Bereich gelagert sind" (Punkt 4). Anhang C des 1 . Briefes schließt mit einer Klausel, die als Musterbeispiel eines pactum de negotiando bezeichnet werden kann: ,,So bald wie möglich nach dem 31. Dezember 1979 oder nach Abschluß des INFCE-Pro­ gramms, wenn dieses eher beendet wird, nehmen die Parteien Ver­ handlungen im Hinblick auf die Ablösung dieser Vereinbarung durch andere Regelungen auf, die unter anderem den Ergebnissen der INFCE-Studien, die mit den betreffenden Operationen im Zusammen1 4 Das Abkommen ist dann am 14. 8. 1978 in Kraft getreten: Treaty Series No. 90 (1978). 1 5 Abschluß eines derartigen Abkommens am 19./27. 7. 1978, vgl. AdG S. 21942 C (1978) bzw. Bull. EG 7/8-1978 Ziff. 2.2.38 - Anfang 1980 noch nicht in Kraft. 10 Die Konsultationen gern. Art. IX Abs. 3 gelten der Wirksamkeit des Überwachungssystems, die gern. Art. XIII sind allgemeiner Natur.

182

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

bang stehen, Rechnung tragen." Im 4. Brief wird festgestellt, die Par­ teien hätten keine Verpflichtung übernommen „bezüglich der Tatsache, daß die für die sensitiven Operationen auszuhandelnde Regelung Be­ dingungen enthalten würde, und schon gar nicht bezüglich der Art die­ ser Bedingungen". Das EURATOM-Kanada-Abkommen vom 16. Januar 1978 ist ein ähn­ lich bemerkenswertes Dokument über die nuklearen Beziehungen in­ dustrialisierter und auch kerntechnisch fortgeschrittener Partner wie die Tokai-Mura-Vereinbarung. Um eine „Interimsvereinbarung" han­ delt es sich bei dem soeben beschriebenen Vertrag allerdings nur in­ soweit, als sensitive Aktivitäten angesprochen werden. Im übrigen ist den kanadischen Exportgrundsätzen vom 20. Dezember 1 974 bzw. 22. Dezember 1976 im wesentlichen Rechnung getragen worden17 • Im Haupt­ streitpunkt der Hochanreicherung, Wiederaufarbeitung und Lagerung haben sich die beiden Seiten auf einen befristeten modus vivendi ver­ ständigt, der sich soeben noch mit den j eweiligen Grundsatzpositionen vereinbaren läßt: In Ansehung der vom 20. Dezember 1974 bis zum 3 1 . Dezember 1 980 gelieferten Materialien verliert EURATOM ihre Entscheidungsfreiheit, wird aber keinem kanadischen Vetorecht ausge­ setzt, wohingegen Kanada insoweit zwar kein förmliches Vetorecht, aber starke Mitspracherechte erhält1 8 • Da die Meinungsverschiedenhei­ ten aber fortbestehen, kann es nach dem 3 1 . Dezember 1980 durchaus zu einem neuen Lieferstopp kommen1 9 • Wie an EURATOM, so endeten auch die kanadischen N atururanlie­ ferungen an Japan und die Schweiz am 1 . Januar 1 97 7 2 0 • Japan wehrte sich vor allem gegen j ene Kumulation von Restriktionen, die durch den Umstand begründet wurde, daß es Uran bezog, welches in Kanada gewonnen, in den USA aber angereichert worden war. Demgegenüber stellte die Wiederaufarbeitung als solche in diesem Fall kein neues Problem dar, da bereits das Kooperationsabkommen vom 2. Juli 1 959 insoweit ein kanadisches Zustimmungsrecht verbrieft hatte21 • Nachdem Insofern zutreffend Noble, s. 45. Die Frage, ob Kanada mit dem Embargo von 1977 das Kooperations­ abkommen von 1959 verletzt hat, ist schwierig zu beantworten. Dessen ein­ schlägige Bestimmungen über die Lieferung von Material (also u. a. von Natururan) sind zwar deutlich verbindlicher (Art. I Abs. 1 : ,,The co-opera­ tion . . . includes . . . (b) the supply of material") als die in anderen kana­ dischen Abkommen (,,The cooperation . . . may include . . . the supply of . . . materials", so Art. I des Abkommens mit Pakistan, 426 UNTS 129), bleiben in der Stringenz jedoch hinter vergleichbaren Aussagen in US-amerikani­ schen Abkommen klar zurück. Es spricht mehr für die Auslegung, daß sie eine völkerrechtliche Lieferpflicht nicht begründet haben. 10 Ebenso Goldschmidt I Kratzer, S. 51. 20 Noble, S. 45. 21 383 UNTS 243 (Englisch S. 262) ; vgl. Art. III lit. d. 11

18

1. Die zunehmend restriktive Haltung der Lieferanten

183

sich aber die USA und Kanada in einem Abkommen vom 15. November 1 977 auf eine prozedurale Verschränkung ihrer beiderseitigen Kontroll­ anforderungen verständigt hatten, gab Japan seinen Widerstand auf. Am 26. Januar 1978 wurde mit Kanada eine Einigung erzielt, so daß die Lieferungen von Natururan wieder aufgenommen werden konn­ ten 22 . Während die Komplikationen mit der Schweiz offenbar in Eigen­ heiten des eidgenössischen Gesetzesrechts wurzelten2 3 , ging es im Fall der USA um einen grundlegenden Aspekt der neuen kanadischen Ex­ portgrundsätze, nämlich das Erfordernis umfassender Sicherungsmaß­ nahmen über die zivilen Nuklearaktivitäten von Importländern. Am 1 8./25. März 1 976 hatten die USA und Kanada eine Interims-Verein­ barung getroffen, die im Kern vorsah, bis zum Inkrafttreten eines Kontrollabkommens mit der IAEA werde das aus Kanada eingeführte Material in ERDA-Einrichtungen gelagert werden2 4 . Am 1 5 . November 1 977 wurde eine weitere Interims-Vereinbarung geschlossen, die die Anwendung kanadischer Sicherungsmaßnahmen in den USA bestimmte und den Weg freimachte für den Gebrauch kanadischen Urans in US­ amerikanischen Kernreaktoren25 . Im Fall der USA wurde also das Inkrafttreten eines Kontrollabkommens mit der IAEA nicht abgewar­ tet. Unbeschadet dieser Inkonsequenz kann die kanadische Politik ins­ gesamt als eine besonders nachdrückliche Ausnutzung von Lieferan­ tenmacht zur Durchsetzung restriktiver, andere Staaten in ihrer ener­ giepolitischen Entscheidungsfreiheit deutlich beschneidender Export­ bedingungen eingeschätzt werden.

Australiens Exportpolitik ist ähnlich rigoros wie die Kanadas. Auch Australien verlangt umfassende IAEA-Sicherungsmaßnahmen sowie ein Vetorecht über Hochanreicherung und Wiederaufarbeitung2 6 • Meh­ rere Staaten haben sich bereiterklärt, entsprechende Kooperationsab­ kommen mit Australien zu schließen ; mit EURATOM war Anfang 1 980 noch kein Abkommen zustandegekommen27 • 22 Nobie, S. 46. Unterzeichnung des endgültigen Änderungsprotokolls am 22. 8. 1978, vgl. International Perspectives September/October 1978, S. 39. 2s Noble, S. 46. Demnach standen Probleme des nuklearen Technologie­ transfers im Vordergrund. Bis Anfang 1980 war noch kein Zusatzabkommen zu dem Kooperationsabkommen vom 6. 3. 1958 (869 UNTS 83) zwischen den

beiden Ländern abgeschlossen worden, so daß der Lieferstopp andauerte. 24 TIAS 8287 = 27 UST 189 1 . 2 5 AdG S. 2 1 369 A (1977) ; Dept. of State Bull. 77 S. 8 5 7 (12. 12. 1977) ; Noble, S. 45.

2 6 SIPRI Yearbook 1979, S. 320. Vgl. außerdem Girerd, S. 68 ; Mennicken, S. 208 f. ; Nitzsche, S. 54; Suter, S. 233. Brenner (S. 339, 341) weiß von Bemü­ hungen der USA zu berichten, mit Kanada und Australien gemeinsame Exportbedingungen zu vereinbaren. 21 Partner wurden Finnland, die Philippinen und die Republik Korea.

184

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

Die UdSSR kann nur mit Vorbehalten zu dem Kreis der „Harten " gezählt werden. Sie plädiert zwar für die Exportbedingung umfassen­ der IAEA-Sicherungsmaßnahmen über alle zivilen Nuklearaktivitäten von Einfuhrländern28 , ist aber im Gegensatz zu Kanada und Austra­ lien nicht bereit, diese Bedingung selber zu stellen, so lange sich nicht alle Ausfuhrländer insoweit übereinstimmend verhalten. 1976/ 1977 lieferte sie Indien demgemäß 200 t Schweres Wasser29 für das Kernkraftwerk Rajasthan, ohne daß Indien mehr unternommen hätte, als ein Kontrollabkommen mit der IAEA zu schließen, wonach die IAEA die beiden Reaktoren des Kraftwerks und das gesamte Kern­ material kontrollieren wird, das in dem Kraftwerk oder mit Hilfe des Schweren Wassers erzeugt, verarbeitet oder verwendet wird30• Die Folge ist, daß vor allem die indischen Forschungsreaktoren und Wieder­ aufarbeitungsanlagen unverändert keiner internationalen Überwachung unterliegen31 • Hart ist allerdings die Exportpolitik der UdSSR gegen­ über den Bündnispartnern : Die Sowjetunion verlangt NPT-Zugehörig­ keit; sie verhindert das Entstehen einer Anreicherungs- und Wieder­ aufarbeitungskapazität; bestrahlte Brennelemente sowjetischer Her­ kunft müssen in die UdSSR zurückgeführt werden32 • Im Falle des Nicht-NPT-Staates Kuba (der übrigens auch dem Vertrag von Tlate­ lolco ferngeblieben ist), wurde indessen eine Ausnahme gemacht. Die UdSSR sagte 1976 die Lieferung eines Kernkraftwerks zu, ohne daß Kuba vorher oder nachher dem NPT beigetreten wäre33 • Sehr viel großzügiger als gegenüber ihren eigenen Bündnispartnern ist die SoAdG S. 21925 C (1978), 22544 E (1979), atw 23 (1978) S. 380. Vgl. außerdem die Abkommen mit den USA vom 4./7. 8. 1978 und 5. 7. 1979 (Anm. 3 in B.II). Die Verhandlungen mit EURATOM wurden am 30. 10. 1979 aufgenommen, nach­ dem der EG-Rat am 18. 9. 1979 endlich die erforderlichen Direktiven gegeben hatte, vgl. 13. Gesamtbericht der EG-Kommission (1979), S. 220, 298 f. 2s Erklärung der sowjetischen Regierung, der IAEA zugeleitet mit Schrei­ ben vom 1 1. 1. 1978 (als „Letter XII" abgedruckt in ILM 17 [1978] S. 225) ; vgl. auch Duffy, S. 96; Nitzsche, S. 54 ; Zheleznov, S. 52. 29 AdG S. 20648 B (1976) ; Duffy, S. 97 f. ; Goldschmidt, Survey, S. 83 ; Kapur, Proliferation, S. 82 ; Power, S. 585 f. so Abkommen vom 17. 1 1 . 1977, AdG S. 21368 C (1977). Damit war immerhin gewährleistet, daß das von Kanada gelieferte Kraftwerk ungeachtet der Kooperationsbeendigung durch Kanada weiterhin Sicherungsmaßnahmen unterstehen würde. Das trilaterale Kontrollabkommen IAEA-Indien-Kanada vom 30. 9. 1971 (798 UNTS 155) ist allerdings in Kraft geblieben, vgl. IAEA, The Annual Report for 1978; S. 49. Seine Dauer ist an den Bestand des indisch-kanadischen Kooperationsabkommens gebunden (Art. 27 des tri­ lateralen Abkommens). 3 1 Vgl. die Tabelle im SIPRI Yearbook 1979, S. 314, sowie Nye, Hearings on Export to India, S. 50. 32 Duffy, S. 87 ; Goldschmidt, Survey, S. 84 ; Goldschmidt / Kratzer, s. 38 f. ; Nitzsche, S. 54 ; SIPRI Yearbook 1979, S. 322. ss AdG S. 20142 F (1976). Das von der UdSSR gemäß Art. III Abs. 2 NPT durchzusetzende Kontrollabkommen Kubas mit der IAEA ist schließlich am 5. 5. 1980 geschlossen worden, vgl. IAEA Bulletin 22 No. 3/4 (August · 1980), S. 102.

1.Die zunehmend restriktive Haltung der Lieferanten

185

wj etunion, wenn die Leistung von Anreicherungsdiensten für westliche Kunden in Frage steht. Aus einer ERDA-Aufstellung geht hervor, daß die UdSSR für den Zeitraum 1968 - 1990 Anreicherungsdienste für fünf EURATOM-Staaten sowie vier weitere nichtsozialistische euro­ päische Länder - unter ihnen den Nicht-NPT-Staat Spanien34 - gelei­ stet bzw. zugesagt hat35 • Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Sowj etunion ähnliche Schwierigkeiten bereitet hat wie Australien, Kanada und schließlich auch die USA36 • So mag die UdSSR zwar prin­ zipiell für „ the most rigid control over nuclear exports" 37 sein - d. h. für allumfassende Sicherungsmaßnahmen und gegen die Entstehung nationaler Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungskapazität sowie gegen Wiederaufarbeitung in Nichtkernwaffenstaaten überhaupt38 -, doch in ihrer Ausfuhrpraxis hat sie sich durchaus pragmatisch (d.h. wohl u. a.: ihre wirtschaftlichen Interessen gebührend mitberück­ sichtigend) verhalten, b) Die „Gemäßigten" : Frankreich, Bundesrepublik Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich lehnen es ab, um­ fassende IAEA-Sicherungsmaßnahmen zur Exportbedingung zu erhe­ ben. Sie setzen sich auch nicht dafür ein, daß die von ihnen wesentlich beeinflußten Gesellschaften EURODIF39 und URENC0 40 Anreicherungs­ dienste nur unter dem Vorbehalt einer Wiederaufarbeitungserlaubnis AdG S. 18684 B (1974). Hearings on S.897 and S.1432, S. 57 - 69, 72 f. Danach ist beispielsweise Italien 1978 zu 100 0/o von der Sowjetunion versorgt worden (ibid. S. 58, 73). - Vgl. auch Courteix, Cooperation, S. 775 f. 3 6 Vgl. P. Leventhal, Hearings on Export to India, S. 379. 3 7 So der in der Sowj etunion in Kernenergiefragen eine herausragende Stellung einnehmende V. Yemelyanov, S.73. 3 8 Duffy, S. 96 ff. ; demgemäß äußerte die UdSSR auch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich ihr Unbehagen wegen der Weitergabe der Wiederaufarbeitungstechnologie an Brasilien und Pakistan, vgl. Duffy, S. 98; Haftendorn, S. 5; Wilker, S. 206. 39 EURODIF ist am 27. 11. 1973 als Aktiengesellschaft nach französischem Recht gegründet worden (Vertragstext : Adam, S. 662) ; vgl. dazu Adam, S.53 - 55, 135 ; Courteix, Cooperation, S.777 - 783. Unter Berücksichtigung einer mittelbaren Beteiligung des Iran (neben Unternehmen aus Belgien, Italien, Spanien) beläuft sich der Anteil der französischen Cogema auf 42,78 0/o (AdG S.19148 C [1974], 19297 B [1975]). 40 Die am 1. 7. 1971 gegründete URENCO ist eine Gesellschaft nach bri­ tischem Recht, deren Anteile zu gleichen Teilen in britischen (BNFL), deutschen (URANIT) und niederländischen (UCN) Händen sind; vgl. Adam, S.56 ; Courteix, Cooperation, S. 784 - 792. Im Unterschied zu EURODIF ist der Gründung allerdings ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen der Bundes­ republik Deutschland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich vorausgegangen (Übereinkommen vom 4.3.1970, BGBl. 1971 II S. 930 = 795 UNTS 275), durch den ein Gemeinsamer Ausschuß mit wesentlichen Len­ kungsaufgaben eingesetzt wurde. 34 35

186

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

leisten. Beide Länder sind überdies die einzigen, die j emals Anreiche­ rungs- bzw. Wiederaufarbeitungstechnologie weitergegeben haben. Dies ist aber auch der Punkt, in dem sie in der Folgezeit zu einer restrik­ tiven Haltung übergegangen sind. Frankreich ging dabei der Bundesrepublik Deutschland voraus. Be­ reits am 1 1 . Oktober 1976 setzte der erst kurz zuvor eingerichtete Con­ seil de politique nucleaire exterieure ein Warnzeichen41 . Wenig später - nämlich am 16. Dezember 1976 - verkündete Frankreich „jusqu'a nouvel ordre" ein Embargo über die Lieferung von Wiederaufarbei­ tungsanlagen42 . Frankreich ist jedoch grundsätzlich nicht bereit, auf ein Land Druck auszuüben, um es daran zu hindern, sensitive Tech­ niken mit eigenen Mitteln zu erlangen oder zu exportieren43 . Vielmehr wird es alle erbetenen Dienstleistungen des Brennstoffkreislaufs also auch die der Wiederaufarbeitung - erbringen44 • Die französische Grundhaltung kommt gut zum Ausdruck in einem Arbeitspapier, wel­ ches Goldschmidt, damals Direktor für internationale Beziehungen im Commissariat a !'Energie Atomique, der Internationalen Konferenz über Kernenergie und ihren Brennstoffkreislauf (Salzburg, 2. - 13. Mai 1977) vorgelegt hat: Es müsse vermieden werden, daß bei vielen Län­ dern der Eindruck entstehe, ,,sich einem Kartell fortgeschrittener Mächte gegenüberzustehen, die unter dem Vorwand der Nichtverbrei­ tung ihre Privilegien so lange wie möglich zu behalten suchen" . . . ,,Es wäre ein politischer Fehler, auch nur im geringsten den Eindruck zu erwecken, daß die Kernenergie ein Monopol der fortgeschrittenen Mäch­ te bleiben solle, denn eine derartige Tendenz würde von den in Ent­ wicklung begriffenen Ländern als unerträglich betrachtet werden." Es werde kaum möglich sein, ,,die Hinnahme einer weiteren (seil. über den NPT hinausgehenden) Diskriminierung zwischen den Nichtkernwaffen­ staaten zu erreichen, je nachdem ob sie die Technologie der Wieder­ aufarbeitung oder der Anreicherung - die manche von ihnen ohnehin früher oder später aus eigener Kraft erlangen werden - besitzen oder nicht" 45.

Die Haltung der Bundesrepub lik Deutschland ist mit der Frank­ reichs eng verwandt. Es war gewiß kein Zufall, daß eine der wich4 1 „La France ne favorisera pas la proliferation de l ' arme nucleaire; dans sa politique d'exportations nucleaires elle renforcera les dispositions et garanties appropriees dans le domaine des equipements, des matieres et des technologies", AFDI 22 (1976) S. 1006. Deutsche Übersetzung : EA 32 (1977) S. D 692. Vgl. außerdem Goldschmidt, Survey, S. 82 f. ; Lellouche, Disput,

s. 547.

42 AFDI, ibid. = EA 32 (1977) S. D 693. Goldschmidt, EA 32 (1977) S. D 696 ; Goldschmidt I Kratzer, S. 38. 44 Vgl. die Erklärung vom 11. 10. 1976 (Anm. 41). 45 Zitiert nach EA 32 (1977) S. D 695 - 697.

43

2. Die „Richtlinien für den Nuklearexport"

1 87

tigsten Erklärungen der deutschen Bundesregierung zur Nuklearexport­ politik im Anschluß an Erörterungen im Rahmen der regelmäßigen deutsch-französischen Konsultationen abgegeben wurde: Am 1 7 . Juni 1 977 - also sechs Monate nach der entsprechenden Entscheidung Frankreichs - teilte die Bundesregierung der Öffentlichkeit mit, ,,bis auf weiteres" werde sie keine Genehmigung für die Ausfuhr von Wie­ deraufarbeitungsanlagen und -technologien erteilen. Bestehende Ver­ träge (d. h. praktisch: das Abkommen mit Brasilien) würden unbe­ rührt bleiben46 • In einer früheren bedeutsamen Verlautbarung (vom 7. April 1977) hatte die deutsche Bundesregierung eine gewisse Sym­ pathie für das Ziel einer „umfassenden Anwendung" internationaler Kontrollmaßnahmen bekundet, ohne jedoch über rein programmatische Äußerungen hinauszugehen, also etwa Folgen für das eigene Export­ verhalten anzudeuten47 • Vielmehr sind es vor allem zwei Gesichts­ punkte, die in Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland hervor­ gehoben zu werden pflegen: Zum einen die Betonung, die auf die spe­ zifischen Gegebenheiten der einzelnen Mitglieder der Staatengemein­ schaft gelegt wird48 , zum anderen das Plädoyer für die Herbeiführung eines möglichst universalen Konsenses und mithin implizit die Absage an einen Octroi49 • Nach alledem müssen Frankreich und die Bundesrepublik Deutsch­ land schon auf Grund ihrer kernenergiepolitischen Grundsatzerklärun­ gen als dem Unilateralismus abhold und folglich als Widersacher der anderen großen Nuklearexporteure eingestuft werden. Der Meinungs­ streit kam auch zum Ausdruck, als die Ausfuhrländer den Versuch unternahmen, eine gemeinsame Haltung festzulegen. 2. Die „Richtlinien für den Nuklearexport" 1976/1978

a) Entstehung und Inhalt Am 1 1 . Januar 1 978 übermittelten fünfzehn Staaten dem General­ direktor der IAEA weitgehend gleichlautende Schreiben, in denen sie mitteilten, an welche (übereinstimmenden) Exportgrundsätze sie sich fortan halten würden. Den Schreiben waren „Richtlinien für den Nuklearexport " (Guidelines for nuclear transfers) beigefügt, auf die ,s Bull. 1 977 S. 613 (Nr. 65, 22. 6. 1 977). Text auch in EA 32 (1 977) s. D 698 f. ; vgl. dazu auch Wilker, S. 207. 41 Bull. 1977 S. 331 (Nr. 36, 15. 4. 1 977). Text auch in EA 32 (1 977) S. D 697 f. 48 z. B. Erklärung vom 7. 4. 1 977 sowie Staatssekretär Haunschild auf der 21. Generalkonferenz der IAEA am 27. 9. 1 977 (EA 32 [1 977] S. D 700). 4 9 z. B. Erklärung vom 7. 4. 1 977 (,,Zustimmung der größtmöglichen Zahl von Mitgliedern der Völkergemeinschaft") sowie Bundeskanzler Schmidt am 26. 5. 1 978 vor der UN-Generalversammlung, A/S-10/PV 5 prov., s. 76.

188

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

sich die Absender verständigt hatten50 • Da die entsprechenden Ge­ spräche in London stattgefunden hatten, wurden diese Guidelines auch als Londoner Richtlinien bezeichnet, und für die sog. Gruppe der Nu­ klearlieferländer (Suppliers group), deren Beratungen vertraulich ge­ wesen waren, wurde demgemäß auch der Begriff „Londoner Club" geprägt. Die Version der Richtlinien, die schließlich veröffentlicht wor­ den ist, stammt vom 21. September 1977. Die erste - nie publizierte, von dem überarbeiteten Text aber offenbar nicht wesentlich abwei­ chende - Fassung war im November 197 5 verabschiedet worden. Die Entstehung der Richtlinien, die - soweit der Öffentlichkeit überhaupt bekannt - wiederholt geschildert worden ist51 , bedarf hier keiner langen Darstellung. Sie kann folgendermaßen zusammengefaßt werden. Zum Ausgangspunkt für die Koordinierung der Ausfuhrländer wurde Art. III Abs. 2 NPT, wonach sich jeder Vertragsstaat verpflichtet, ,,Aus­ gangs- oder besonderes spaltbares Material oder Ausrüstungen und Materialien, die eigens für die Verarbeitung, Verwendung oder Her­ stellung von besonderem spaltbarem Material vorgesehen oder herge­ richtet sind, einem Nichtkernwaffenstaat für friedliche Zwecke nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn das Ausgangs- oder besondere spaltbare Material den nach diesem Artikel erforderlichen Sicherungs­ maßnahmen unterliegt" . Nach Inkrafttreten des NPT erschien es im Interesse einer einheitlichen Handhabung erforderlich, daß sich die potentiellen Ausfuhrländer auf eine gemeinsame Auslegung der in Art. III Abs. 2 verwendeten Begriffe einigten, insbesondere von „Aus­ rüstungen und Materialien, die eigens für die Verarbeitung, Verwen­ dung oder Herstellung von besonderem spaltbarem Material vorge­ sehen oder hergerichtet sind" . Eine internationale Expertengruppe unter Vorsitz von C. Zangger (sog. Zangger-Ausschuß) arbeitete darauf­ hin eine Liste der von Art. III Abs. 2 NPT erfaßten Gegenstände aus (sog. Zangger-Liste bzw. ,,trigger list", d. h. eine Aufstellung von Ex­ portgegenständen, die das Erfordernis von IAEA-Sicherungsmaßnah­ men „auslösen"). Etliche Staaten - unter ihnen auch die Bundesrepu­ blik Deutschland und die Niederlande, die den NPT damals noch nicht ratifiziert hatten - machten sich diese Liste dadurch zueigen, daß sie dem IAEA-Generaldirektor im Sommer 1974 Schreiben nebst Anlagen so Schreiben und Richtlinien sind wiedergegeben im IAEA INFCIRC/254, abgedruckt in ILM 17 (1978) S. 220. Deutscher Text der Richtlinien : EA 33 (1978) S. D 171. In Bull. 1978 S. 45 (Nr. 6, 17. 1. 1978) fehlen die (durchaus wesentlichen) Anlagen. 51 Vgl. Administrative Survey : October 1976 to September 1977, S. 363 - 365; Administrative Survey: October 1977 to September 1978, S. 410 - 414; Courteix, Accords, S. 33 - 42 ; dies., Exportations, S. 46 - 54 ; Doub ! FideH, S. 951 - 956 ; Goldschmidt, Survey, S. 79 - 81 ; Kapur, Proliferation, S. 64 ff. ; von Preuschen, S. 741 - 743. Die weiteren Ausführungen beruhen im wesentlichen auf diesen Darstellungen.

2. Die „Richtlinien für den Nuklearexport"

189

übermittelten, durch die sie sich für ihr künftiges Exportverhalten auf die Zangger-Liste festlegten52 • Zu diesem Katalog kann allgemein fest­ gestellt werden, daß er keine großen Überraschungen enthielt. Die be­ teiligten Staaten trugen dafür Sorge , daß ihm ihre nationalen Rechts­ ordnungen entsprachen53 • Die Ereignisse des Jahres 1 974 veranlaßten die USA, die führenden Nuklearexporteure zu Gesprächen über das künftige Ausfuhrverhal­ ten aufzufordern. 1975 fanden daraufhin streng vertrauliche Beratun­ gen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Japan; Kanada, der UdSSR, den USA und dem Vereinigten Königreich statt. Vor allem die Beteiligung Frankreichs machte deutlich, daß es nicht mehr nur um die Durchführung des NPT ging54 • Im November erziel­ ten die sieben Staaten eine vorläufige Verständigung, die sie am 27. Januar 1976 durch Briefwechsel bestätigten55• Das Ergebnis ist nie offiziell bekanntgemacht worden, doch j eder aufmerksame Leser regie­ rungsamtlicher Verlautbarungen vor parlamentarischen Gremien An­ fang 1 976 hat ihren Inhalt unschwer ausmachen können56 • Danach wurden die Gespräche fortgeführt. Einige Staaten hielten die Ver­ ständigung für zu bescheiden und drängten auf eine Verschärfung der Richtlinien. Hauptstreitpunkte waren die Zulassung des Exports sen­ sitiver Anlagen sowie das Erfordernis umfassender Sicherungsmaß­ nahmen. Außerdem wurde der „Londoner Club" erweitert: 1976 kamen Bel­ gien, die CSSR, die DDR, Italien, die Niederlande, Polen und SchweH Australien, Dänemark, DDR, Bundesrepublik Deutschland, Finnland, Kanada, Niederlande, Norwegen, Polen, UdSSR, USA, Vereinigtes König­ reich. Der Text der Mitteilungen ist wiedergegeben im IAEA INFCIRC/209 und abgedruckt in ILM 14 (1975) S. 543. 63 Doub I Fidell, S. 953. In der Bundesrepublik Deutschland ist insofern maßgebend die „Internationale Kernenergieliste" in der Anlage Ausfuhrliste zur Außenwirtschaftsverordnung, vgl. Beilage 30/76 zum BAnz. vom 30. 12. 1976, s. 7 f. 64 Auch Japan war 1975 noch nicht NPT-Staat, und die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte den Vertrag erst am 2. 5. 1975. " Anläßlich einer Zusammenkunft der entsprechenden Botschafter im Auswärtigen Amt in Bonn, AdG S. 19977 B (1976). 68 Vgl. die Erklärungen von G. S. Vest, Direktor des Bureau of Politico­ Military Affairs, am 24. 2. 1976 vor einem Unterausschuß des Senate Com­ mittee on Foreign Relations, Dept. of State Bull. 74 S. 381 f. (22. 3. 1976), sowie von dem französischen Außenminister Sauvagnargues am 15. 3. 1976 vor der Commission des affaires etrangeres der Nationalversammlung, AFDI 22 (1976) S. 1005. Die Verlautbarungen unterscheiden sich nur dadurch, daß Sauvagnargues einen Exportgrundsatz mehr aufzählte als Vest. - In der Bundesrepublik Deutschland beriefen sich die Staatsminister Moersch und Wischnewski gegenüber parlamentarischen Anfragen auf die vereinbarte Vertraulichkeit; es wurden allerdings zwei Bundestagsausschüsse über die Richtlinien unterrichtet, s. Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Steno­ graphische Berichte S. 15699 (225. Sitzung, 20. 2. 1976), 15805 (227. Sitzung, 1 1 . 3. 1976).

190

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

den hinzu, 1977 auch die Schweiz 57 • Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland plädierten überdies dafür, auch Länder wie Argentinien, Brasilien , Indien, Israel, Pakistan und Südafrika hinzuzuziehen, also Staaten, die zum Nuklearexport bereits selbst imstande sind oder es in absehbarer Zeit sein werden. Vor allem wegen der ablehnenden Haltung der Betroffenen kam es aber zu keiner solchen Öffnung58 , so daß es schließlich die genannten fünfzehn Staaten waren, die die end­ gültigen Richtlinien am 2 1 . September 1977 verabschiedeten. Deren Inhalt läßt sich wohl am besten durch eine Gegenüberstellung mit der Zangger-Liste darstellen. Die Neuigkeiten, die dabei hervor­ treten, sind gewiß das Interessanteste an den „Londoner Richtlinien" . Zunächst sei z u deren Aufbau mitgeteilt, daß sie aus einem allgemeinen Teil mit sechzehn Einzelpunkten sowie zwei Anhängen bestehen, einem (A) mit der „ trigger list" und einem weiteren (B) mit Einzelbestim­ mungen zum physischen Schutz. Insbesondere im allgemeinen Teil gibt es wesentliche Neuerungen gegenüber dem Zangger-Memorandum. So hatte es dort zur Nutzung für friedliche Zwecke geheißen, das Aus­ fuhrland solle das Einfuhrland darauf hinweisen, die gelieferten Ma­ terialien dürften nicht zu Kernwaffen oder anderen Kernsprengkör­ pern abgezweigt werden, und für die Anwendung entsprechender Sicherungsmaßnahmen Sorge tragen. Nach den Richtlinien (Punkt 2) müssen jetzt die Lieferländer von den Empfängerländern „förmliche Zusicherungen" erhalten, ,,durch die jede Verwendung, die zum Ent­ stehen eines Kernsprengkörpers führen würde, ausdrücklich ausge­ schlossen wird". Im Fall von NPT-Staaten sollen diese bilateralen ,,förmlichen Zusicherungen" offenbar neben den multilateral ausgespro­ chenen Verzicht des Art. II NPT treten. Eine grundlegende Änderung hat der Anwendungsbereich der Siche­ rungsmaßnahmen erfahren. Insoweit muß allerdings zunächst festge­ halten werden, daß die Richtlinien - wie das Zangger-Memorandum - nicht darüber hinausgehen, Sicherungsmaßnahmen nur für weiter­ gegebene Gegenstände vorzuschreiben (Punkt 4) . In diesem zentralen Streitthema haben sich Frankreich und die Bundesrepublik Deutsch­ land mithin nicht umstimmen lassen59 • In der „trigger list" der Richt67 AdG S. 20265 A (1976) ; Courteix, Exportations, S. 49. Abgesehen von der CSSR und der Schweiz, hatten sich diese Länder schon im März 1976 zu den ursprünglichen Richtlinien bekannt, AdG S. 20074 A (1976). ss Courteix, ibid. S. 49 f. ; Haftendorn, S. 17. Zur nuklearen Kooperation von Ländern der Dritten Welt vgl. Meyer-Wöbse, Zusammenarbeit, S. 68 - 70. Namentlich Argentinien leistet bereits anderen Staaten Hilfe bei der Er­ richtung von Forschungsreaktoren, vgl. Abkommen mit Peru vom März 1977, AdG S. 21011 A (1977), und mit Uruguay vom August 1979, atw 24 (1979) S . .399. Vgl. auch ein Kooperationsabkommen zwischen Brasilien und dem Irak u. a. über den Austausch nuklearer Technologie vom 8. 1. 1980, AdG

S. 23333 B (1980).

2. Die „Richtlinien für den Nuklearexport"

191

linien für Material und Ausrüstungen gibt es überdies nur eine Ergän­ zung gegenüber der Zangger-Liste ; sie ist allerdings erheblich. Siche­ rungsmaßnahmen müssen vom Lieferstaat auch verlangt werden für ,,Anlagen zur Herstellung von Schwerem Wasser, Deuterium und Deu­ teriumverbindungen sowie eigens dafür vorgesehene oder hergerichtete Ausrüstungen" (Punkt 2.6.1 der Anlage A) . Demgegenüber hatte die Zangger-Liste zwar „Deuterium und Schweres Wasser" aufgeführt, nicht aber auch die der Herstellung davon dienenden Anlagen, die in der Tat nicht als „Ausrüstungen . . . , die eigens für die Verarbeitung, Verwendung und Herstellung von besonderem spaltbarem Material vorgesehen oder hergerichtet sind" im Sinne von Art. III Abs. 2 NPT qualifiziert werden können. Schweres Wasser ist ein nichtnukleares Material für Reaktoren und erscheint auch in beiden Listen unter einer entsprechenden Überschrift. Die grundlegende Änderung, die der Anwendungsbereich der Siche­ rungsmaßnahmen erfahren hat, betrifft die Weitergabe von Anlagen zur Wiederaufarbeitung, Anreicherung oder Schwerwasserproduktion bzw. von entsprechender Technologie. Bevor auf die Einzelheiten ein­ gegangen wird, muß zunächst die Grundsatzhaltung der Richtlinien zu solchen Transfers mitgeteilt werden. Auch hier wiederum haben sich Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland von ihrem Widerstand gegen eine schlichte Prohibition nicht abbringen lassen. So sollen sich die Lieferländer also bei der Weitergabe von sensitiven Anlagen, sen­ sitiver Technologie und waffengrädigem Material nur „ zurückhalten" (Punkt 7). Als „ sensitiv" werden exemplarisch Anlagen, Ausrüstungen oder Technologie zur Anreicherung oder Wiederaufarbeitung ange­ sprochen. Wenn diese weitergegeben werden sollen, sollen die Liefer­ länder die Empfängerländer ermutigen, als Alternative zu einem natio­ nalen Betrieb solcher Anlagen eine multinationale Lösung zuzulassen. „Sensitiv" sind nach dem Verständnis der Richtlinien allerdings auch Anlagen zur Schwerwasserproduktion60 • 59 Für die Festlegung einer Exportbedingung umfassender Sicherungs­ maßnahmen über alle zivilen Nuklearaktivitäten verwandten sich Kanada, Schweden, die Sowjetunion, die USA und das Vereinigte Königreich, vgl. Courteix, Exportations, S. 52 f. ; Administrative Survey : October 1977 to September 1978, S. 411. Daß die Richtlinien nicht bereits im September 1977 publiziert worden sind, ist darauf zurückzuführen, daß Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland Gelegenheit gegeben werden sollte, ihre Haltung nochmals zu überprüfen, vgl. Administrative Survey, ibid. (unter Berufung auf Mitteilungen von Beamten des Department of State). &o schweres Wasser ist alles andere als ein waffengrädiges Material, doch es wird für den Betrieb von auf Natururan-Basis operierenden Reaktoren benötigt. Diese können - im Unterschied zu den leicht angereichertes Uran verwendenden Leichtwasserreaktoren - kontinuierlich nachgeladen werden und gelten deshalb als weniger leicht überwachbar. Außerdem entsteht bei ihrem Betrieb mehr Plutonium als in Leichtwasserreaktoren. Wenn sich vor allem die USA gegen die Verbreitung der Technologie der Schwerwasser-

192

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

Ändert sich also nichts am Prinzip, daß die Ausfuhr von sensitiven Anlagen zulässig bleibt, so wird j edoch die Tragweite der vorzuschrei­ benden Sicherungsmaßnahmen beträchtlich vergrößert. Diese haben sich fortan auch auf Nachbauten bzw. Kopien der Ausfuhrgüter zu erstrek­ ken (Punkt 6). Sicherungsmaßnahmen sollen demnach auch auf Anlagen zur Wiederaufarbeitung, Anreicherung oder Schwerwasserproduktion Anwendung finden, ,,in denen Technologie verwendet wird, die unmit­ telbar durch das Lieferland weitergegeben oder aus weitergegebenen Anlagen oder wesentlichen kritischen Bestandteilen solcher Anlagen gewonnen worden ist" . Der Empfänger soll sich demgemäß verpflich­ ten, IAFA-Sicherungsmaßnahmen „auf alle Anlagen desselben Typs . . . " zuzulassen, ,,die während eines vereinbarten Zeitraums im Emp­ fängerland gebaut werden " 61 • Diese Abwehr von Versuchen, dem Er­ fordernis einer IAEA-Kontrolle über gelieferte Gegenstände durch Nachbauten auszuweichen bzw. dasselbe zu umgehen, stellt gleichsam ein Minus gegenüber der von etlichen „Club-Mitgliedern" geforderten62 Transferverweigerung dar. Für die Bestimmung haben sich Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland eingesetzt63 , und es ist insoweit konsequent, daß die umstrittenen Abkommen dieser beiden Länder mit Pakistan bzw. Brasilien derartige Kopierverbote (bzw. Klauseln über die Unterstellung von Kopien unter IAEA-Sicherungsmaßnahmen) enthalten64 • Im Teil B der Anlage A zu den Richtlinien wird versucht, den Rechtsbegriffen „Anlagen desselben Typs" und „während eines vereinbarten Zeitraums" schärfere Konturen zu geben. Danach soll es sich um einen Zeitraum handeln „von mindestens 20 Jahren nach dem Tag der Inbetriebnahme (1) einer Anlage, die weitergegeben worden ist oder weitergegebene wesentliche kritische Bestandteile umfaßt, oder (2) einer Anlage desselben Typs, die nach der Weitergabe von Technologie gebaut worden ist". Als „Anlagen desselben Typs" werproduktion ausgesprochen haben (vgl. j etzt auch §§ 4 (a) (6), 402 (b) NNPA), dann vor allem deshalb, um dem Entstehen eines autarken Brennstoff­ kreislaufs auf der Basis von Schwerwasserreaktoren entgegenzuwirken. a1 Vgl. Goldschmidt / Kratzer, S. 41 : " . . . requirement which is tantamount to a kind of safeguard on the transfer of sensitive technology itself - as distinct from the attachment of safeguards to sensitive facilities, equipment, or materials" . . . "prohibition against 'replication' ". 6 2 Vor allem USA, UdSSR, vgl. Courteix, Exportations, S. 52 f. 63 Courteix, ibid. S. 53 ; Goldschmidt / Kratzer, S. 14. 64 Art. 3 Abs. 2 des Abkommens Bundesrepublik Deutschland - Brasilien vom 27. 6. 1975 (BGBI. 1976 II S. 335) ; Art. 2 Ziff. 2 und 3 sowie Art. 4 des trilateralen Kontrollabkommens der beiden Länder mit der IAEA vom 26. 2. 1976 (Text : ILM 15 [1976] S. 489) ; Art. 2 lit. c, d, 3 und 4 des trilateralen Kontrollabkommens Frankreich - Pakistan - IAEA vom 18. 3. 1976 (Text: Courteix, Exportations, S. 214). Das bilaterale Abkommen Frankreich Pakistan vom 17. 3. 1976 ist unveröffentlicht. - Beide Transaktionen stehen im Einklang mit den „Londoner Richtlinien" ; ebenso Goldschmidt / Kratze�, s. 43.

2. Die „Richtlinien für den Nuklearexport "

193

den alle Anlagen bezeichnet, die dasselbe technische Verfahren anwen­ den wie dasjenige der übertragenen Anlage bzw. Technologie65 • Die Bedeutung dieser Regelungen läßt sich wohl am besten anhand eines konkreten Beispiels erklären: Wenn Brasilien von der Bundesrepublik Deutschland auf Grund des Abkommens vom 27. Juni 1975 eine Isoto­ pentrennanlage des Trenndüsentyps66 erhält, dann müßten nach den - hier jedoch mangels Rückwirkung unanwendbaren - ,,Londoner Richtlinien" alle Anlagen, die ebenfalls das Trenndüsenverfahren an­ wenden und in den der Inbetriebnahme der gelieferten Anlage folgen­ den zwanzig Jahre ihrerseits in Betrieb genommen werden, Sicherungs­ maßnahmen der IAEA unterstellt werden. Keiner Kontrolle unterlägen danach beispielsweise brasilianische Anreicherungsanlagen, die nach dem Gasdiffusions- oder Gaszentrifugenverfahren arbeiteten. Es kann kein Zweifel bestehen, daß das Bekenntnis zur Technologieverfolgung zu den bedeutendsten - wenn auch noch weiterreichende Einschrän­ kungswünsche nicht befriedigenden - Neuerungen der „Londoner Richtlinien" gehört. Abschließend sei noch kurz auf folgende Bestimmungen des Richt­ linienwerks hingewiesen: Gelieferte Anreicherungsanlagen sollen nur mit Zustimmung des Lieferlandes für Hochanreicherung (also Anreiche­ rung von mehr als 20 0/o) verwendet werden dürfen (Punkt 8). Bei der Lieferung von Kerrimaterial ist es „wichtig", eine „Abstimmung" der Beteiligten über Vorkehrungen für Wiederaufarbeitung und Lagerung vorzusehen, soweit „angebracht und durchführbar" (Punkt 9) 67 • Und all­ gemein sollten Exporteure Umsicht (prudence) walten lassen (Punkt 1 5). b) Die „Gruppe der Nuklearlieferländer": Ein „Club" als Völkerrechtsproblem?

Die „Londoner Richtlinien" sind derart vehement verurteilt worden - die Verdikte reichen hin bis zum „riesenhaften Weltkartell der Kernenergiebesitzer" 68 bzw. zum „technologischen Kolonialismus" 69 -, daß sich ihnen der völkerrechtliche Maßstäbe anwendende Betrachter nahezu verschüchtert zuwendet. Eine nüchterne Würdigung wird al­ lerdings zu dem Ergebnis führen müssen, daß es sich hier um ein politisch nicht sehr weitreichendes und rechtlich insgesamt unbedenk85 Ähnlich bereits die vorstehend zitierten trilateralen Abkommen in Art. 3 Abs. 2 (Deutschland - Brasilien - IAEA) bzw. 5 Abs. c (Frankreich - Pa..: kistan - IAEA). 88 AdG S. 19563 A (1975) ; Wilker, S. 192. Brasilien erhält also nicht die von URENCO verwendete Gaszentrifugentechnologie. 87 „non-compulsory recommendation", so Goldschmidt f Kratzer, S. 40. 88 Brezaric, Probleme (Heft 649), S. 7. ee Ders., ebenda (Heft 650) S. 25. 13 Prill

194

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

liches Regelwerk handelt. Die Richtlinien verstoßen insbesondere weder gegen den NPT noch gegen allgemeine Völkerrechtsregeln. Doch bevor auf diese Fragen eingegangen wird, sei zunächst kurz die Rechtsnatur dieser Richtlinien angesprochen. Es könnte sich hierbei um einen völkerrechtlichen Vertrag handeln. Die ungewöhnliche Form, in der die Verabredung publik gemacht wenn nicht sogar überhaupt erst getroffen - worden ist, nämlich die Übersendung weitgehend gleichlautender Schreiben70 an den IAEA­ Generaldirektor, stünde der Annahme eines Vertrages nicht entgegen, denn Staaten können vertragliche Bindungserklärungen durch irgend­ ein vereinbartes Mittel zum Ausdruck bringen71 • Ein deutliches Indiz für Bindungswillen könnte die in den Schreiben einheitlich verwen­ dete Formulierung sein „The Government of . . . has (have) decided that, when considering the export of nuclear material, equipment or technology, it (they) will act in accordance with the principles con­ tained in the attached documents" 72 • Es fällt auch auf, daß in den Richtlinien anders als in den „Zangger-Memoranden" nicht der indivi­ dualisierende Begriff „Die Regierung . . . " (,,The Government") verwen­ det wird, sondern die kollektive Bezeichnung „Die Lieferländer" (,,supp­ liers"). Schließlich ließe sich auch in Erwägung ziehen, der Schlußbe­ stimmung des Allgemeinen Teils „Unanimous consent is required for any changes in these guidelines . . . " einen Anhaltspunkt für vertrag­ liche Bindung der Beteiligten abzugewinnen. Doch diesen Überlegun­ gen läßt sich ohne weiteres entgegenhalten: Aus der Tatsache , daß Entscheidungen getroffen worden sind, darf nicht auf deren rechtliche Unumstößlichkeit geschlossen werden ; Kollektivbezeichnungen finden sich reichlich auch in anderen Instrumenten als Verträgen (z. B. Kom­ muniques nach bi- oder multilateralen Regierungskonsultationen) ; und daß multilaterale Abreden nicht unilateral geändert werden dürfen, 10 Es gab folgende Abweichungen vom Standardtext : Schweden ließ den Passus aus „fully aware of the need to contribute to the development of nuclear power in order to meet world energy requirements" ; Kanada be­ kannte sich nicht nur zu den Richtlinien, sondern darüber hinaus auch zu „other principles considered pertinent by it" ; Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Italien, die Niederlande und das Vereinigte Königreich er­ innerten an ihre Verpflichtungen auf Grund der Römischen Verträge (nicht aber Frankreich) ; und Italien verwies außerdem auf seine Rechte und Pflichten gemäß Art. IV NPT. Belgien, Japan und die Schweiz machten in besonderen Schreiben wegen ihrer nationalen Rechtsordnungen Vorbehalte gegenüber den Grundsätzen zum Technologietransfer geltend, während sich die vier beteiligten sozialistischen Staaten Osteuropas - ebenfalls in be­ sonderen Schreiben - für das Prinzip umfassender Sicherungsmaßnahmen einsetzten (vgl. die verschiedenen Texte in ILM 17 [1978] S. 220 - 225). 11 Art. 11 WVRK. 12 Ähnlich allerdings die im Anschluß an die Arbeiten des Zangger-Aus­ schusses 1974 aufgesetzten Schreiben : "The Government of . . . has decided to act . . . in accordance with the attached memoranda" (ILM 14 [1975] S. 544).

2. Die „Richtlinien für den Nuklearexport"

195

ist auch im außervertraglichen Bereich im Grunde eine Selbstverständ­ lichkeit. Es ist jedoch der folgende Umstand, der letztlich entscheidend gegen den vertragsrechtlichen Charakter der „Londoner Richtlinien" spricht : Die beteiligten Staaten stimmen selber darin überein, daß es sich dabei nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt. An den entsprechenden Regierungsverlautbarungen73 führt kein Argumenta­ tionsweg vorbei. Das Fazit muß demnach lauten, daß sich die Urheber der Richtlinien durch dieselben nicht vertraglich gebunden haben74 • Ein findiger Jurist mag die zum Vertragsschluß unwilligen Staaten da­ durch überlisten wollen, daß er die Rechtsverbindlichkeit der Richt­ linien mit parallelen einseitigen Festlegungen begründet75 • Es dürfte j etzt zwar anerkannt sein, daß einseitige Staatenerklärungen recht­ liche Verpflichtungen begründen können76, doch kann für die praktische Anwendung dieser Lehre gewiß dort kein Raum sein, wo eine Staaten­ vielzahl, die eine Materie durch Vertrag regeln könnte, auf die Wahr­ nehmung dieser Möglichkeit gerade deshalb verzichtet, weil sie die Be­ gründung von Rechtspflichten vermeiden möchte. Es muß also bei dem Ergebnis bleiben, daß die Richtlinien für den Nuklearexport die Mitglie­ der des „Londoner Clubs" nicht rechtlich binden und von denselben mithin j ederzeit widerrufen werden können. Sie stellen deshalb in der Tat nicht mehr als ein „gentlemen's agreement " 77 dar. Diese Verabredung könnte allerdings gegen den NPT verstoßen, dem vierzehn der fünfzehn „Club"-Mitglieder angehören (nämlich alle außer Frankreich). An anderer Stelle ist dargelegt worden, daß Art. IV NPT Maßnahmen verbietet, die darauf abzielen und dazu geeignet sind, Ver­ tragspartner von der Wahrnehmung ihres unveräußerlichen Rechts auf zivile Kernenergienutzung abzuhalten, und daß er insbesondere Ko­ operationsbedingungen untersagt, die in die autonome Kernenergie­ politik eines NPT-Staats eingreifen78 • An diesem Maßstab wird die 7 3 Staatsminister Wischnewski (Bundesrepublik Deutschland), Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Stenographische Berichte S. 15805 C (227. Sitzung, 11. 3. 1976) (,,kein völkerrechtlicher Vertrag") ; Assistant Secretary McCloskey, 16. 6. 1976, Hearings on S. 1439, S. 824 (,,not binding as a matter of treaty law . . . political commitments") ; Bundesrat Graber (Schweiz), AdG S. 20676 D/24 (1976) (,,keine rechtlichen Vereinbarungen"). 7 4 Ebenso Administrative Survey : October 1976 to September 1977, S. 364 ; Bettauer, S. 1 109 Fn. 14 (,,parallel commitments to unilateral action") ; Courteix, Accords, S. 32 ; dies., Exportations, S. 63; Meyer-Wöbse, Verein­ barungen, S. 570 f. ; von Preuschen, S. 743 (,,ohne völkerrechtliche Verbindlich­ keit"). 7 5 Dahingehende Tendenz bei Doub / Fidell, S. 957. 7 6 Vgl. die Nuclear Tests Cases vor dem IGH (Anm. 29 in A.I). 77 So Courteix, Meyer-Wöbse, von Preuschen (Anm. 74). Vgl. auch Graf Vitzthum, Atomsperrvertrag, S. 241 : ,,politisch-moralische Selbstbindung der Hauptlieferländer". Weitergehend, wenn auch nicht ganz klar, FahL, S. 75 : ,,Vertragsähnliche Bindungswirkung."

13•

196

C.I. Die Koordinierung der Ausfuhrländer

Anwendung der Richtlinien also zu messen sein. Es kann kein ernst­ hafter Zweifel bestehen, daß sie der Prüfung standhält. Die Richtlinien enthalten mehrere Bestimmungen, die im NPT nicht angelegt sind. Davon erscheinen hervorhebenswert: ,,Zurückhaltung" bei der Weitergabe von sensitiven Anlagen, sensitiver Technologie und waffengrädigem Material; Sicherungsmaßnahmen über weiterge­ geb ene sensitive Technologie; Sicherungsmaßnahmen über ausgeführte Anlagen zur Schwerwasserproduktion; Erlaubnisvorbehalt für Uran­ anreicherung von mehr als 20 °/o in weitergegeb enen Anlagen79 • Es dürfte auf der Hand liegen, daß keine dieser Beschränkungen in die autonome zivile Kernenergiepolitik von Empfängerländern eingreift. Wenn ein Embargo über sensitive Ausrüstungen - wie oben erläutert - mit dem NPT noch vereinbar ist, dann hält sich eine insoweit „zurück­ haltende" Einstellung erst recht im Rahmen des NPT80 • Dies muß auch für die sonstigen Restriktionen gelten, die allesamt darauf hinauslau­ fen, daß das Ausfuhrland eine Kontrolle über exportierte Güter be­ halten möchte, zu deren Weitergabe es nach dem NPT nicht spezifisch verpflichtet ist. So mögen die „Londoner Richtlinien" zwar Erwartun­ gen enttäuschen, die an den NPT geknüpft - und wohl auch bewußt erweckt - worden sind81 • Von einem ernsthaften „Eingriff in die Kompetenzen des Nichtverbreitungsvertrags" 82 kann aber, rechtlich ge­ sehen, keine Rede sein83 • Schließlich ist auch kein Gesichtspunkt erkennbar, unter dem die Richtlinien des „Londoner Clubs" in Widerspruch zu allgemeinen Völ­ kerrechtsregeln stehen könnten. Bezeichnenderweise ist ein dahinge­ hender Vorwurf auch - soweit ersichtlich - gar nicht erhoben wor­ den. Die von den Entwicklungsländern geübte Kritik, die in zwei Punk­ ten zusammengefaßt werden kann - nämlich Kartellbildung84 und Diskriminierung85 - ist wohl nur als politische, nicht aber als recht­ liche Mißbilligung gedacht. Eine allgemeine Völkerrechtswidrigkeit Vgl. oben B.II.2. Zu milde also Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S. 169, wenn er allein die ,,Straffung der Klauseln über Konsultation und Sanktionen" hervorhebt. 80 Ebenso Meyer-Wöbse, Vereinbarungen, S. 571 ; vgl. im übrigen oben 78 79

B.11.2.a.aa.

Vgl. die Warnung im OTA Report, S. 223. Brezaric, Probleme (Heft 649), S. 9. 8 3 Ebenso Willrich, Hearings on S. 1439, S. 120. 84 So z. B. der algerische Außenminister am 1. 6. 1978: " . . . desire of those countries which possess nuclear technology to organize themselves into a cartel so as to consolidate their monopoly and guarantee their supremacy" (A/S-10/PV 12 prov., S. 12). 85 z. B. C. Castro Madero, Präsident der Nationalen Atomenergiebehörde Argentiniens, am 18. 6. 1976 : Die Londoner Vereinbarungen seien unfair; sie behandelten nicht alle Länder gleich (AdG S. 20300 A [1976]). 81

82

2. Die „Richtlinien für den Nuklearexport"

197

wird damit jedenfalls nicht geltend gemacht. Auch hier sei wiederholt, daß das Völkerrecht kein allgemeines Diskriminierungsverbot kennt. Was den anderen Vorwurf angeht, so mag es zwar stimmen, daß der ,,Londoner Club " ein Kartell in Form interner Marktregulierung dar­ stellt86 - die Bildung eines solchen setzt nicht den Abschluß eines Vertrages voraus87 -, doch dieses ist im Hinblick auf die Staatensou­ veränität ebensowenig unzulässig wie ein Preiskartell im Sinne der OPEC88 . Gerade die Entwicklungsländer müssen sich hier die sog. Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten entgegen­ halten lassen, wonach j eder Staat die volle und ständige Souveränität einschließlich des Besitz-, des Nutzungs- und des Verfügungsrechts über alle seine Reichtümer, Naturschätze und wirtschaftlichen Betäti­ gungen hat und diese Souveränität ungehindert ausübt (Art. 2 Abs. 1) 89 . Da die Londoner Richtlinien insgesamt keine grundlegenden Neue­ rungen vorsahen90 und die autonome zivile Nutzungsfreiheit anderer Staaten unberührt ließen91 , lassen sich die heftigen Reaktionen etlicher Entwicklungsländer - im Falle Jugoslawiens gipfelten sie in der Dro­ hung, vom NPT zurückzutreten92 und Kernwaffen herzustellen93 wohl vor allem durch das Verfahren des „Clubs " erklären. Dieser tagte hinter verschlossenen Türen und konnte dieserart den Eindruck er­ wecken, die Nuklearlieferländer heckten in - konspirativ anmutenden - Treffen Pläne zur Beherrschung der zivilen Nuklearaktivitäten in den Empfängerländern aus94 • Es wurde anscheinend nicht registriert, 86 Haftendorn, S. 25. 87 Irrig Assistant Secretary McCloskey, Hearings on S. 1439, S. 824 ; vgl. auch Courteix, Exportations, S. 63. Zutreffend der Einwand von Doub / FideU, S. 958. 88 Dazu Tomuschat, Rohstoffbereich, S. 158 f. 89 A/Res. 3281 (XXIX) vom 12. 12. 1974. Vgl. auch Art. 4 Satz 3 : ,,Bei der Durchführung des internationalen Handels und anderer Formen der wirt­ schaftlichen Zusammenarbeit steht es jedem Staat frei, die Formen der Gestaltung seiner Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland zu wählen und zwei- und mehrseitige Abmachungen zu schließen, die im Einklang mit seinen internationalen Verpflichtungen und mit den Erfordernissen der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit stehen." Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß von den 15 „Club-Mitgliedern" nur die vier so­ zialistischen Staaten sowie Schweden Art. 2 Abs. 1 zugestimmt haben, vgl. GAOR (XXIX), Annexes, agenda item 48, S. 19. 90 Zu geringschätzig allerdings Wonder, S. 30 : "inability of the London Group to do more than patch leaks in the current set of rules or to advance beyond ratifying existing practices." 9 1 Verfehlt deshalb Brezaric, Monopol, S. 6 (,,Diese neuen Richtlinien be­ schränken die Freiheit souveräner Staaten . . . "). BZ N entwich, S. 381. 9 8 Generaloberst Kukoc, Mitglied des Exekutivkomitees des Präsidiums des Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens in einem Interview vom 13. 3. 1977, nachgedruckt in Survival 19 (1977) S. 128. 94 Vgl. die Kritik von Doub / FideU, S. 956, und vor allem von Goldschmidt / Kratzer, S. 39.

198

C.Il. Die sich herauskristallisierende internationale Ordnung

daß im „Londoner Club" auch Staaten mitwirkten, die selber zugleich Empfängerländer und als solche Opfer von Restriktionen waren95 • In einer j uristischen Arbeit darf freilich offenbleiben, ob Vorgehen und Beschlüsse des „Londoner Clubs" politisch glücklich gewesen sind. Jedenfalls empfanden auch Beteiligte wie Frankreich und die Bun­ desrepublik Deutschland Unbehagen und plädierten dafür, die Emp­ fängerländer in die Londoner Gespräche einzuschalten9 6 • Dazu ist es dann zwar nicht gekommen, doch noch vor Veröffentlichung der Richt­ linien entstand mit der „Internationalen Bewertung des Kernbrenn­ stoffkreislaufs" ein neues Forum, das zum Schauplatz eines wahrhaft multilateralen Dialogs wurde. Die Methode der „Club-Bildung" er­ wies sich damit im Grunde als überholt97 , und für den bis dahin von bestimmten Lieferstaaten forcierten und durch dieselben wohl auch dominierten Wandel der Weltnuklearordnung ergaben sich daraufhin völlig neue Perspektiven. II. Die sich herauskristallisierende Weltnuklearordnung: Allgemeine Verantwortung der Völkergemeinschaft oder besondere Verantwortung bestimmter Staaten?

1. Der Dialog zwischen Ausfuhr- und Einfuhrländern in der ,,Internationalen Bewertung des Kembrennstoffkreislaufs" (INFCE) a) INFCE: Eine neuartige Form internationaler Konzertierung

INFCE ist treffend als „a pioneering effort at international assess­ ment"1 bzw. als ein „in der modernen Geschichte bislang einmalige(s) Vorhaben einer weltweiten technisch-analytischen Bewertung einer Technologie" 2 bezeichnet worden. Mag sie auch (bislang) ein Unikum der Völkerrechtsgeschichte sein, so reiht sie sich doch in einem weiteren Sinne ein in die ständig zunehmende Fülle jener internationa­ len Beratungen, die auf die Erzielung eines „Konsenses", nicht aber eines völkerrechtlich bindenden Ergebnisses gerichtet sind. Als Bei­ spiele seien hier genannt - ohne daß damit deren Gleichrangigkeit 95 Goldschmidt / Kratzer, ibid. Es sei an die Lieferstopps gegen EURATOM und Japan erinnert. Zu einseitig also Khan. 9 6 Haftendorn, S. 17 ; Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S. 159. 87 So zutreffend Kaiser, ibid. S. 169; ders., Neue Dimensionen, S. 271. Völlig abwegig der Vorschlag von Gleissner, die Gruppe als eine Art „Sicherheits­ rat" der IAEA zu institutionalisieren (S. 288). Wenig problembewußt auch Gündling, S. 151 ff. 1 Nye, Dept. of State Bull. 79 No. 2022 (January 1979) S. 41. 2 Patermann, Halbzeit bei INFCE, s. 173.

1.,,Internationale Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufs" (INFCE) 199 oder auch nur Vergleichbarkeit behauptet werden soll - die Verhand­ lungen über Verhaltens-Codices für transnationale Unternehmen3 und für Technologietransfer4 sowie über ein Regelwerk für restriktive Ge­ schäftspraktiken5 , die (General-)Konferenzen von UNIDO6 und UNC­ TAD 7 sowie die - der Vorbereitung davon dienenden, an Sitzungen von gewerkschaftlichen Tarifkommissionen erinnernden - Treffen der (Entwicklungsländer-)Gruppe der 77 8 , die erfolgreichen Bemühungen der Vereinten Nationen um Grundsatzerklärungen wie denen zu der Aggression und den freundschaftlichen Beziehungen und der Zusammen­ arbeit zwischen den Staaten9 , sowie schließlich auch die KSZE 10 • All diesen Beratungen ist gemeinsam, daß die Staaten sie mit dem Ziel führen, sich auf (in der Regel rechtlich unverbindliche) Richtschnuren für ihr künftiges Verhalten zu verständigen. INFCE unterscheidet sich davon insofern grundlegend, als sie gerade nicht der Ort von Verhand­ lungen über eine Harmonisierung unterschiedlicher Auffassungen sein sollte, sondern eben nur eine technisch-analytische Untersuchung 11 • Juristisch betrachtet, wirft sie keine speziellen Probleme auf, insbe­ sondere keine vertragsrechtlichen - weder im bilateralen noch im multilateralen (etwa NPT-)Verhältnis, weder im Hinblick auf ihr Zu­ standekommen noch wegen ihres Gegenstandes. Wenn hier ihre we-

s Vgl. die Berichterstattung in VN 25 (1977) S.26, 93 f., 26 (1978) S.95 f., 27 (1979) S.29, 67 f., 143 f. sowie die Formulierungsvorschläge in E/C.10/ AC. 2/8 vom 13.12.1978. 4 Hier hat eine UN-Konferenz vom 16. 10. bis zum 11.11.1978 sowie vom 26. 2. bis zum 9. 3. und vom 29.10. bis zum 16. 11. 1979 getagt, vgl. die Be­ richte des UNCTAD-Sekretariats in TD/CODE TOT/10 und TD/CODE TOT/15 sowie den Kodexentwurf vom 16.11.1979 (TD/CODE TOT/20). 6 Verabschiedet auf einer UN-Konferenz Anfang Mai 1980. 8 Vgl. die Lima Declaration and Plan of Action on lndustrial Development and Co-operation, angenommen von der 2. Generalkonferenz am 26.3.1975 (ILM 14 [1975] S.826), allerdings bei einer Gegenstimme und sieben Ent­ haltungen. Demgegenüber stieß die New Delhi Declaration and Plan o.f Action der 3.Generalkonferenz am 9.2.1980 bei einer Enthaltung auf 22 Ge­ genstimmen, vgl. UNIDO newsletter, No.143, March 1980, S.1. 7 Zu den über dreißig, zumeist einmütig angenommenen Resolutionen der 5.Konferenz (7.5.- 3.6.1979) vgl. knapp VN 27 (1979) S.139 f. 8 Vgl. zuletzt das „Arusha Programme for Collective Self-Reliance and Framework for Negotiations" vom 16.2.1979 für UNCTAD V (TD/236). 9 A/Res.3314 (XXIX) vom 14.12.1974; A/Res.2625 (XXV) vom 24.10.1970. 10 Bull. 1975 S.965 ff. (Nr.102, 15.8. 1975). 11 Siehe aber auch die kritischen Kommentare von Farinelli, in : SIPRI, Nuclear Energy, S.261 (,, ... it was obvious that they [seil. country represent­ atives] would be chosen to represent their nations' predominant views and would be given political instructions."), 262 (,,The whole procedure is more like a diplomatic negotiation than international technical cooperation."); Goldschmidt, Complexe, S.429 (,,delices du compromis technico-diploma­ tique") ; Kapur, Proliferation, S.105 (,, ... it is difficult to separate the technical from the political issues.") ; Moss, S.9 (,,Yet another attempt in the field of nuclear power to disguise political judgments as technical ones") ; Popp, S.215 (,, ... die Aufgabenstellung ... ist stark politisch ...").

200

C.II. Die sich herauskristallisierende internationale Ordnung

sentlichen Punkte gleichwohl geschildert werden, dann deshalb, weil sie bedeutende Aufschlüsse über mögliche Strukturprinzipien der künf­ tigen Weltnuklearordnung geben, Was INFCE sein sollte, erschließt sich in erster Linie aus dem Ab­ schlußkommunique der Organisationskonferenz1 2 • Für das Verständnis dieses Dokuments bzw. der Tragweite einzelner Formulierungen ist es nützlich, die - keineswegs einfachen - Bemühungen zu kennen, die vorausgegangen waren. Von einem „evaluation program" war erstmals in Präsident Fords Erklärung vom 28. Oktober 1976 die Rede. Der ERDA Administrator wurde angewiesen, ein „reprocessing and recycle evaluation program" aufzustellen. Der Secretary of State sollte andere Länder auffordern, sich daran zu beteiligen13 • Präsident Carter griff den Gedanken in seiner Grundsatzerklärung vom 7. April 1977 auf und verallgemeinerte ihn. Ausgehend von der Einschätzung, die Prolifera­ tionsgefahr würde durch die Ausbreitung sensitiver Technologien ,,which entail direct access to plutonium" ganz erheblich zunehmen, plädierte Carter für eine „concerted effort among all nations to find better answers to the problems and risks accompanying the increased use of nuclear power" und dann präziser für „the establishment of an international nuclear fuel cycle evaluation program aimed at develo­ ping alternative fuel cycles" 1 4 • In dieser Verlautbarung ist eine Ab­ sage an den herkömmlichen Brennstoffkreislauf (mit seiner Option auf Wiederaufarbeitung sowie Recycling des gewonnenen Plutoniums in Leichtwasserreaktoren oder dessen Verwendung in Schnellen Brut­ reaktoren) unterstellt. INFCE hätte also nur den Zweck haben sollen, proliferationssichere Alternativen dazu zu entwickeln. Die Erläuterun­ gen, die Deputy Under Secretary Nye einige Wochen später gab, waren zwar bereits differenzierter, doch der Schwerpunkt lag auf „studying alternative fuel cycles, including future generation reactors and institutional arrangements for reducing proliferation risks". Die Mög­ lichkeit einer „breeder economy" wurde zwar angesprochen, doch mit der Maßgabe von „alternative forms of an institutional means of managing reprocessing to reduce proliferation risks". Nye stellte im­ merhin klar, der Zweck von INFCE solle sein „mutual education and voluntary harmonization of policies" 15• 12 Dept. of State Bull. 77 S. 661 ff. (14. 11. 1977). Deutscher Text : EA 32 (1977) S. D 710. ia Dept. of State Bull. 75 S. 637 (22. 11. 1976). u Dept. of State Bull. 76 S. 429 f. (2. 5. 1977). Zutreffend dazu Loosch, S. 35 : Vorrang „der Vermeidung oder Verzögerung aller Schritte, die zu einer Proliferation führen könnten". u Dept. of State Bull. 76 S. 553 f. (30. 5. 1977). Ebenso Nye am 23. 5. 1977 (Hearings on S. 897 and S. 1439, S. 78).

1. ,,Internationale Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufs" (INFCE) 201 Als Carter seinen Plan Anfang Mai auf dem Londoner Weltwirt­ schaftsgipfel vortrug, begegnete er Skepsis und Zurückhaltung. Dies deuten schon die vorsichtigen Wendungen der Abschlußerklärung an, in der zunächst das Ziel gesetzt wird, den Energiebedarf der Welt zu befriedigen und die friedliche Nutzung der Kernenergie in weitem Um­ fang zugänglich zu machen, zugleich aber die Gefahr einer Verbreitung von Kernwaffen zu vermeiden. Die Teilnehmer bekunden sodann ihre gemeinsame Auffassung, Nichtverbreitungs-Maßnahmen sollten mög­ lichst für Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen annehm­ bar sein, um Wirksamkeit zu entfalten. Schließlich heißt es: "To this end, we are undertaking a preliminary analysis to be completed within two months of the best means of advancing these objectives, including the study of terms of reference for international fuel cycle evalua­ tion1 6. " Schon wenige Wochen später kündigte sich eine flexiblere Hal­ tung der USA an, als Nye das INFCE-Konzept in einer Senatsanhö­ rung mit „ coordinated research and study programs for existing reactor fuel cycles and future fuel cycle alternatives" umschrieb 17 . Die USA waren also damit einverstanden, daß INFCE nicht auf eine Un­ tersuchung von Alternativen beschränkt bleiben, sondern auch den herkömmlichen Brennkreislauf mit Plutoniumoption einbeziehen wür­ de 18 . Angesichts verbreiteten Mißtrauens war Flexibilität auch not­ wendig, um das Zustandekommen von INFCE sicherzustellen19 • Die USA führten „careful negotiations" 20 mit über dreißig Staaten, und zwar auch mit Entwicklungsländern21 . Die . größten Schwierigkeiten hatten sie offenbar mit einigen nukleartechnisch fortgeschrittenen westlichen Partnern im Rahmen einer Expertengruppe, die auf dem Londoner Wirtschaftsgipfel eingesetzt worden war. Die USA drängten zum einen darauf, für die Dauer von INFCE ein Moratorium über Wiederaufarbeitung und Brüterentwicklung zu vereinbaren; zum anderen nahmen sie den Standpunkt ein, die INFCE-Ergebnisse soll­ ten für die Teilnehmer verbindlich sein. Demgegenüber machten die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und Japan ihre Be­ teiligung von genau entgegengesetzten Voraussetzungen abhängig: Lau­ fende Programme müßten unberührt bleiben; die INFCE-Ergebnisse 16 Dept. of State Bull. 76 S. 585 (6. 6. 1977). Die deutsche Fassung in Bull. 1977 S. 448 (Nr. 49, 11. 5. 1977) leidet unter einigen Übersetzungsschwächen. 11 Hearings on S. 897 and S. 1432, S. 78. 18 Goldschmidt / Kratzer, S. 49. 1u J acobucci attestiert den USA „flessibilita e senso della misura" (S. 651). 20 Nye, Strategy, S. 615. 2 1 Press Release 463 vom 14. 10. 1977, Dept. of State Bull. 77 S. 659 (14. 11. 1977). Bevor Carter mit dem INFCE-Projekt vor die Öffentlichkeit trat, hatten bereits Gespräche mit 15 - 20 Ländern stattgefunden, vgl. Presse­ gespräch des Präsidenten vom 7. 4. 1977, Dept. of State Bull. 76 S. 431 (2. 5. 1977). Vgl. auch Nye am 12. 7. 1977, Dept. of State Bull. 77 S. 239 (22. 8. 1977).

202

C.11. Die sich herauskristallisierende internationale Ordnung

dürften nur Empfehlungscharakter haben. Die USA lenkten ein22 • Hatte Nye schon Mitte Juli 1977 nur noch vorsichtig einen „mutual learning process that can stimulate voluntary coordination of policies" ins Auge gefaßt23 , so fand er Anfang Oktober 1977 die wohl endgültige Formel zum INFCE-Zweck, nämlich „to evaluate scientifically various aspects of the fuel cycle and lay an agreed factual basis upon which a future consensus might be built. Participation in the program does not commit a country to anything" 24 • Genau ein Jahr später belehrte er einen skeptischen Unterausschuß des Repräsentantenhauses darüber, weshalb die USA geade im Interesse ihrer neuen Nonproliferationspolitik sowie des INFCE-Projekts selber so starke Abstriche von ihrem ursprüng­ lichen Konzept hätten machen müssen : ,, . . . in changing the rules of the game and trying to get others to join us in developing new rules to the game, a !arger sense of justice is necessary to secure that coopera­ tion25." Mit dem Einlenken der USA im Sommer 1977 war der Weg jedenfalls frei für INFCE. Die Organisationskonferenz von INFCE fand vom 19. bis zum 21. Oktober 1977 in Washington statt. Vierzig Staaten waren vertreten, unter ihnen zwölf, für die der NPT damals nicht in Kraft stand26 . Das Schlußkommunique27 stellte zugleich das INFCE-Mandat dar. Seine wichtigsten Punkte waren wohl die folgenden. 22 Zum Vorstehenden s. Antonem, S. 205 ; Kapur, Proliferation, S.99 ff.; Popp, S.284 (,,nicht immer unkontroverse[n] Vorarbeiten"). Vgl. auch die Erklärung des Sprechers der Bundesregierung vom 26.9. 1977 zur Teilnahme an INFCE, abgedruckt in : Abrüstung und Rüstungskontrolle. Dokumente zur Haltung der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg. Auswärtiges Amt), 1978, S. 140. 23 Dept. of State Bull. 77 S. 239 (22.8. 1977). 24 Dept. of State Bull. 77 S.669 (14. 11.1977). Ibid. S. 670 ist die Rede von einem „truly international effort without results prejudged in advance". Vgl. auch Goldschmidt / Kratzer, S. 49 (,,emphasis of the U.S. policy pronounce­ ments shifted from the importance of deferral to the importance of re­ view . .."). Rückfall allerdings bei Deputy Assistant Secretary Nosenzo am 28. 10. 1977 : INFCE als ein Hauptbeispiel für „initiatives to discourage the further spread of sensitive facilities and thus reduce proliferation risks" (Dept. of State Bull. 77 S. 918 [26. 12. 19771 ). 25 Hearings on Reprocessing, S. 88. Frankreich war in den Vorgesprächen in besonderem Maß auf der Hut gewesen, und zwar vor allem wegen des Betriebs seiner kommerziellen Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague. So erklärte Nye in einer schriftlichen Antwort auf Zusatzfragen von Kongreß­ vertretern : "Ambassador Gerard Smith told the French that we would not interfere in the operation of their existing facilities at La Hague during INFCE. This assurance was given on the authority of the President . . . It is possible that the French would have participated in INFCE without the 1US commitment, but we believe that they would have played a 'less constructive role which would not have been conducive to the cooperative approach necessary to reach a successful outcome of the INFCE exercise" (Hearings on Reprocessing, S. 118). Vgl. auch Goldschmidt, Complexe, S.429. 28 Portugal, Indonesien und die Türkei wurden später NPT-Staat.

1. ,,Internationale Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufs" (INFCE) 203 ,,Die Teilnehmer . . . sind sich der dringenden Notwendigkeit be­ wußt, den Energiebedarf der Welt zu befriedigen, und sie sind sich dessen bewußt, daß zu diesem Zweck die Kernenergie für friedliche Verwendung weithin verfügbar gemacht werden sollte. Sie sind auch davon überzeugt, daß wirksame Maßnahmen auf nationaler Ebene und durch internationale Abkommen ergriffen werden können und sollten, um die Gefahr der Verbreitung von Kernwaffen möglichst gering zu halten, ohne die Energieversorgung oder die Entwicklung der Kern­ energie für friedliche Zwecke zu gefährden." Diese einleitenden Sätze stellten klar, daß die Gesichtspunkte der Energiebedarfsdeckung durch zivile Kernenergienutzung sowie der Nonproliferation a priori gleich­ wertig waren, dem der Nonproliferation also nicht etwa - wie noch in Carters Erklärung vom 7. April 1977 - von vornherein der Vorrang zuerkannt wurde28 • Die Ausgewogenheit und gegenseitige Rücksicht­ nahme kamen auch in einem Passus zum Ausdruck, in dem „der le­ benswichtigen Bedeutung . . . von wirksamen und raschen Maßnahmen zur Einstellung und Rückgängigmachung des nuklearen Wettrüstens zwischen den Kernwaffenstaaten" Tribut gezollt wurde, und nicht zu­ letzt in der Ankündigung, ,,daß besondere Beachtung auch den spezi­ fischen Bedürfnissen und Bedingungen der Entwicklungsländer ge­ schenkt werden solle" (höchstens achtzehn der vierzig ursprünglichen Teilnehmerstaaten konnten als „Entwicklungsländer" eingestuft wer­ den) . Die zentrale Aussage des Kommuniques galt der Bedeutung des Be­ schlusses, eine internationale Bewertung des Kernbrennstoff-Kreislaufs durchzuführen: Die Teilnehmer stimmten darin überein, INFCE solle eine technische und analytische Untersuchung und keine Verhandlung sein. Die Ergebnisse werden den Regierungen übermittelt werden, damit sie sie bei der For­ mulierung ihrer Kernenergiepolitik sowie in internationalen Diskussionen über Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie und die zugehöri­ gen Kontrollen und Sicherungsmaßnahmen berücksichtigen können. Die Teilnehmer werden auf die Ergebnisse von INFCE nicht festgelegt. Die Untersuchung wird durchgeführt werden in einem Geiste der Ob­ jektivität sowie unter gegenseitiger Achtung der Optionen und Entschei­ dungen eines j eden Landes auf diesem Gebiet und ohne Gefährdung seiner j eweiligen Brennstoffkreislauf-Politik beziehungsweise seiner in­ ternationalen Zusammenarbeit, Abkommen und Kontrakte über friedliche Nutzung der Kernenergie, sofern nur vereinbarte Sicherungsmaßnahmen angewendet werden. Vor allem diese Passage des INFCE-Mandats verbot jeden Zweifel darüber, daß das ursprüngliche US-Konzept gescheitert war, INFCE 27 Vgl. Anm. 12. Laut Jacobucci war ihm vorausgegangen "un lungo ed acceso dibattito " (S. 651 ) . 2s Ebenso Loosch, S. 35.

204

C.11. Die sich herauskristallisierende internationale Ordnung

zu einer Veranstaltung zu erheben, die den Aufschub der, wenn nicht die Absage an die „Plutoniumwirtschaft" nur noch abzusegnen hatte. Nicht nur sollten alle teilnehmenden Staaten durch die INFCE-Ergeb­ nisse in keiner Weise gebunden werden, sondern es sollten auch alle laufenden Programme während des Gangs der Untersuchung unbe­ helligt bleiben. Nur am Rande sei vermerkt, daß der knapp fünf Mo­ nate nach der INFCE-Organisationskonferenz in Kraft getretene US Nuclear Non-Proliferation Act mit dieser Festlegung der Vereinigten Staaten eindeutig kollidierte29 • Die Tragweite von INFCE blieb davon jedoch, nachdem das Programm einmal initiiert worden war, unbe­ rührt. Diese Tragweite soll nun abgesteckt werden. b) Auf dem Weg zu einem Regulierungsabkommen?

INFCE ist im Februar 1980 abgeschlossen worden. Die Perspektiven, die sie behandelt hat, ergeben sich aus dem Arbeitsprogramm vom Oktober 1977 sowie dem Kommunique der abschließenden Plenar­ konferenz vom 27. Februar 1980 und der Zusammenfassung und Über­ sicht über die Bewertung durch den sog. Technischen Koordinierungs­ ausschuß. Vor ihrer Erörterung seien jedoch zunächst einige organisa­ torische Aspekte angesprochen. 66 Staaten haben sich in die Arbeiten von INFCE eingeschaltet, Südafrika allerdings nur auf der Ebene von Arbeitsgruppen ; in der Mehrzahl handelte es sich um Entwicklungsländer. Etwa ein Viertel der Teilnehmer war nicht NPT-Partei. Von den nukleartechnisch rele­ vanten Staaten stand praktisch allein China abseits30 • Nur dessen Fernbleiben vermag die Einschätzung zu relativieren, daß der INFCE­ Teilnehmerkreis für die „transnationale nukleare Bruderschaft" 3 1 ins­ gesamt repräsentativ war. Die Hauptarbeit von INFCE wurde in acht Arbeitsgruppen geleistet, denen alle Staaten angehörten, die zu den entsprechenden Unter2e Ähnlich Administrative Survey : October 1977 to September 1978, S. 414 Fn. 132 ; Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S. 169, 171. Vgl. insbesondere auch den INFCE gewidmeten § 105 NNPA (,,emphasis on alternatives to an eco­ nomy based on the separation of pure plutonium or the presence of high enriched uranium") sowie das „Statement of Policy" in § 2 (,,identify alter­ native options to nuclear power", allerdings nur auf fremde Staaten bezo­ gen !). Bemerkenswert · ist auch die Feststellung im Senate Report zu dem NNPA „any final proposals (seil. of INFCE) which would involve the establishment of numerous sovereign facilities and widespread access to weapons-grade nuclear materials would be inconsistent with the objectives of the Act" (zitiert nach Administrative Survey, ibid. S. 415 Fn. 135). ao Angaben nach Schlußkommunique der Organisationskonferenz (Anm. 12) ; Patermann, Halbzeit bei INFCE, S. 174; INFCE Summary Volume, S. 273. at So eine etwas blumige Formulierung von Nye, Strategy, S. 616 (,,trans­ national nuclear fraternity").

1. ,,Internationale Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufs" (INFCE) 205 suchungen beitragen wollten, wobei alle Teilnehmer ihre eigenen Ko­ sten trugen. Die Arbeitsgruppen wurden von zwei oder drei Staaten gemeinsam präsidiert. Die 22 Mitvorsitzenden bildeten zusammen den Technischen Koordinierungsausschuß, dessen Funktion sich schon aus der Bezeichnung ergibt. Es erscheint gerechtfertigt festzustellen, daß wenigstens die Hälfte der Mitvorsitzenden den US-Tendenzen bei INFCE-Beginn zumindest skeptisch gegenüberstand. Der Ablauf von INFCE braucht nicht im einzelnen geschildert zu werden32 • Hier interessieren allein die Untersuchungsgegenstände und Ergebnisse. Letztere hat der Technische Koordinierungs-Ausschuß in einer abschließenden Zusammenfassung und Übersicht herausgearbei­ tet. Die für die Fortentwicklung der Weltnuklearordnung bemerkens­ wertesten Zukunftsperspektiven waren bereits in dem Programm für die einzelnen Arbeitsgruppen angesprochen worden. Dessen Lektüre muß zu dem Befund führen, daß Untersuchungsaufgaben wirtschaft­ licher bzw. technischer Art gestellt worden waren den Arbeitsgruppen für „Verfügbarkeit von Kernbrennstoff und Schwerem Wasser" (Mit­ vorsitzende: Ägypten, Indien , Kanada) sowie für „Neuartige Konzep­ tionen für Brennstoffkreisläufe und Reaktoren" (Republik Korea, Ru­ mänien, USA). Die Arbeitsgruppen für „Behandlung ausgedienten Brennmaterials" (Argentinien, Spanien) sowie für „Behandlung und Lagerung von Abfällen" (Finnland, Niederlande, Schweden) sollten sich auch mit nicht näher erläuterten „institutionellen Aspekten" be­ fassen. Demgegenüber hatten die übrigen vier Arbeitsgruppen aus­ drücklich auch die Möglichkeit multinationaler Lösungen für bestimmte Probleme ihrer Aufgabengebiete zu studieren: Die Arbeitsgruppen für ,.Verfügbarkeit der Anreicherung" (Bundesrepublik Deutschland, Frank­ reich, Iran), für „Wiederaufarbeitung sowie Behandlung und Wieder­ verwendung von Plutonium" (Japan, Vereinigtes Königreich) und für „Schnelle Brüter" (Belgien, Italien, UdSSR) mußten sich auch mit der Modellvorstellung von „multinationalen oder regionalen Brennstoff­ kreislauf-Zentren bzw. ähnlicher Vorkehrungen" auseinandersetzen, die zweitgenannte Gruppe außerdem mit der Perspektive einer „inter­ nationalen Kontrolle über konzentriertes Plutonium (unter Einschluß von Lagerung unter IAEA-Auspizien und damit verbundenen Kriterien der Verfügbarkeit)". Und schließlich widmete sich die Arbeitsgruppe für „Sicherstellung langfristiger Verfügbarkeit von Technologie, Brenn­ stoff, Schwerem Wasser und Dienstleistungen im Interesse nationaler Bedürfnisse und im Einklang mit dem Nichtverbreitungsgedanken" (Australien, Philippinen, Schweiz) u. a. auch der Möglichkeit „multis2 Vgl. dazu Farinelli, in : SIPRI, Nuclear Energy, S. 261 ff. ; Gotdschmid.t, Complexe, S. 428 ff. ; Kapur, Proliferation, S. 98 ff. ; LeUouche, Politics; Patermann, Halbzeit bei INFCE ; Popp, S. 284 ff. ; Witt, S. 257 ff.

206

C.II. Die sich herauskristallisierende internationale Ordnung

nationaler oder internationaler Mechanismen zur Garantie rechtzeitiger Versorgung im Falle von Lieferverzögerungen oder -einstellungen" . Die Internationalisierung der Anreicherung , Wiederaufarbeitung und Lagerung mag einstweilen noch utopisch erscheinen33 , und als Konzept ist sie überdies mit dem frühen Scheitern des Baruch-Plans belastet3 4 • Unbeschadet dessen ist die Tatsache bemerkenswert, daß sich fast alle nukleartechnisch relevanten Staaten bereiterklärt haben, multinationale Lösungsansätze für die Probleme des Brennstoffkreis­ laufs zum Gegenstand einer gemeinsamen technisch-analytischen Un­ tersuchung zu machen. In der Spezialfrage einer internationalen Kon­ trolle über konzentriertes Plutonium gibt es sogar deutliche Anzeichen für konkrete Fortschritte. Dies kam zum Ausdruck, als sich Brasilien mit der Bundesrepublik Deutschland, den Niederlanden und dem Ver­ einigten Königreich über die Sicherungsmaßnahmen einigte, die auf wenden seien. Umstritten war vor allem, wie das durch Wiederaufar­ beitung des verbrauchten Brennstoffs gewonnene Plutonium zu be­ das von URENCO an Brasilien zu liefernde angereicherte Uran anzu­ handeln sei. Die vier Regierungen stimmten in der Absicht überein, auf die Schaffung eines IAEA-Systems für Plutoniumlagerung gemäß Art. XII Abs. A Ziff. 5 IAEA-Satzung hinzuwirken35 • Dieses System würde dann auch in Brasilien angewendet werden. Sollte in dem Zeitpunkt, in dem Wiederaufarbeitung in Brasilien aktuell würde, ein solches System noch nicht bestehen, würden sich die vier Regierungen auf ein ad hoc-Abkommen über Lagerung nach Maßgabe der Grund­ sätze des Art. XII Abs. A Ziff. 5 IAEA-Satzung verständigen36 • Die 33 Goldschmidt, EA 32 (1977) S. D 697. Es sei erinnert an das Bekenntnis des NNPA zu „the siting, development, and management under effective international auspices and inspection of facilities for the provision of nuclear fuel services, including the storage of special nuclear material" (§ 104 = 22 usc § 3223). 34 Vgl. oben A.I, Text zu Anm. 98, 99. Vgl. auch Jacobucci, S. 654 (,,tra­ montate per sempre"). Der Baruch-Plan ging über den (gleichwohl als Wiederbelebungsversuch anzusehenden) NNPA insofern hinaus, als die da­ nach anvisierte International Atomic Development Authority auch im „nicht­ gefährlichen" (also beispielsweise Kernkraftwerk-)Bereich Kompetenzen ha­ ben sollte, nämlich „power to control, inspect, and license ". 36 Dort wird ein System in Aussicht gestellt, wonach „alles wiedergewon­ nene oder als Nebenprodukt anfallende besondere spaltbare Material, soweit es die für die genannten Verwendungszwecke (seil. Forschung, Re­ aktorbetrieb) benötigten Mengen übersteigt, bei der Organisation hinterlegt wird, um eine Anhäufung dieses Materials zu verhindern, jedoch mit der Maßgabe, daß späterhin dieses bei der Organisation hinterlegte besondere spaltbare Material dem betreffenden Mitglied oder den betreffenden Mit­ gliedern auf ihren Antrag unverzüglich zur Verwendung gemäß den oben genannten Bedingungen (seil. friedliche Nutzung etc.) zurückzugeben ist" (Text der Satzung : BGBl. 1958 II S. 4). 3 6 Vereinbarung im Wege eines Netzes bilateraler Notenwechsel, vgl. denjenigen zwischen Brasilien und dem Vereinigten Königreich vom 1. 9. 1978, Treaty Series No. 68 (1979), S. 3 - 6.

1. .,Internationale Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufs" (INFCE)

207

Aussagen in dieser Vereinbarung können als Indiz dafür gewertet wer­ den, daß die Aussichten für eine Internationalisierung der Lagerung von Überschußplutonium - etwa in der Folge von INFCE - nicht ungünstig sind37 • Im Rahmen der IAEA sind darüber jedenfalls seit Dezember 1978 Expertengespräche im Gange38 , und auch der Technische Koordinierungsausschuß der INFCE ist in seiner Zusammenfassung und Übersicht zu dem Schluß gekommen, ein System für die inter­ nationale Lagerung von Überschußplutonium könne unter den Ge­ sichtspunkten der Nonproliferation und der Liefersicherheit bedeutende Vorzüge aufweisen39 • Wie bei der Spezialfrage der Plutoniumlagerung, so erscheint es auch in anderen Punkten, auf die sich INFCE erstreckt hat, durchaus vor­ stellbar , daß multinationale Regelungen in der Folgezeit getroffen werden. So könnte es im Interesse der Versorgungssicherheit zu der Einrichtung einer Brennstoffbank (also eines Vorratslagers) für Staaten mit kleinem Atomprogramm kommen. Im Schlußdokument des Techni­ schen Koordinierungsausschusses heißt es dazu: "Although the market has, in the past, operated in general to permit successful response and adjustment to minor interruptions in supply, it was recognized that more formal back-up arrangements, possibly in­ cluding governmental participation, would be helpful in this regard, particularly for countries with smaller nuclear programmes . . . lt was emphasized that these arrangements should . . . be designed . . . to operate as a last resort in case of market failure40." Es wird dann unterstrichen, für den Fall, daß ein Garantiesystem eingeführt werde, sei es notwendig, präzise Kriterien aufzustellen, bei deren Erfüllung eine Brennstofflieferung automatisch stattzufinden habe. Es liegt auf der Hand (und wird vom zentralen INFCE-Organ gebührend betont), daß Modelle wie das einer Internationalen Kern­ brennstoffbank schwierige institutionelle Probleme aufwerfen. Dies würde erst recht für die Internationalisierung von sensitiven Teilen des nuklearen Brennstoffkreislaufs gelten. Auch dort müßten Probleme wie Standorte der Anlagen, Mitgliedschaft, Finanzierung, 87 Vgl. auch Patermann, Halbzeit bei INFCE, S. 175, Goldschmidt ! Kratzer, S. 52, die Zukunftsvision von Jacobucci, S. 654 (IAEA als künftige ,;Banca Mondiale del Plutonio"), und allgemein die Vorschläge von Fox / Russell für eine „international custody of plutonium stocks", S. 10 ff. Der im US-Senat eingebrachte erste NNPA-Entwurf S. 897 war besonders weit gegangen: ,,No special nuclear material will be stockpiled except in a facility in a nu­ clear-weapon state or on international territory and under effective inter­ national auspices and inspection" (als US-Exportbedingung) - so § 16 (a) (1), s. Hearings on S. 897 and S. 1432, S. 9. 88 IAEA, The Annual Report for 1978, S. 5; vgl. dazu Popp, S. 294. SD INFCE Summary Volume, S. 46. 40 Ebenda, S. 33. Vgl. auch Patermann, Halbzeit bei INFCE, S. 175 ; Popp,

s. 289,

295.

208

C.II. Die sich herauskristallisierende internationale Ordnung

Stimmregelung, Zutrittsrecht, Streitschlichtung usf. gelöst werden41 • Die zusammenfassende Stellungnahme des Technischen · Koordinierungs­ ausschusses verrät j edenfalls große Zurückhaltung :

"The nature o f a n International Nuelear Fuel Authority (INFA) ... was found to be not yet elear, and its formation and operation would require a major international initiative; there is little indieation at present of any demand for the serviees of such an authority42."

Schließlich seien hier die - besonders behutsam formulierten, den Charakter eines heiklen Formelkompromisses tragenden - Aussagen zu Problemen der bilateralen Lieferbeziehungen wiedergegeben:

"lt was generally aeeepted that more uniform, eonsistent and predietable applieation of national export and import eontrols by each supplier and eonsumer eountry, in aeeordanee with more eonerete eriteria, would go a long way to mitigate uneertainties and thus strengthen assuranees of supply. lt was eonsidered desirable that governments develop mecha­ nisms for the management of changes in non-proliferation poliey designed to reduee to a minimum the risk that such changes, when they give rise to disagreement between supplier and eonsumer eountries, would lead to interferenee with supplies4a."

Der Akzent liegt also auf Vorhersehbarkeit und Vertrauensschutz. Dasselbe gilt auch für die Passagen, die der Ausübung eines Rechts auf vorherige Zustimmung zur Wiederaufarbeitung gewidmet worden sind: Dafür sollten beizeiten feste, verläßliche Kriterien aufgestellt werden44•

Die INFCE-Ergebnisse mögen zwar völkerrechtlich unverbindlich sein - wobei diese Aussage für die bilateralen Beziehungen USA­ J apan45 , EURATOM-Kanada46 und EURATOM-USA47 wegen der zwi-

4 1 Vgl. den gelungenen Überblick von Kratzer, S. 20 ff., die Modellstudie von Dolzer I Hilf I Münch I Richter I Stein, S. 58 ff. sowie die Beiträge in Chayes / Lewis (eds.), S.145 ff. 42 INFCE Summary Volume, S.46. Vgl. auch Witt, S.265 (,,Das .. . Konzept . .. stieß nicht auf großes Interesse."). 48 INFCE Summary Volume, S.35. 44 Ebenda. 45 Vgl. die Tokai Mura-Vereinbarung vom 12.9.1977: " ... when making deeisions on such (seil. reproeessing) faeilities, they intend to take into ae­ eount the outeome of the INFCEP, ineluding spent fuel storage possibilities and other technieal and institutional alternatives to reproeessing" (Dept. of State Bull.77 S. 460 f. (10. 10. 1977] = ILM 16 [1977] S. 1019). Vgl. im übrigen oben B.11.1.b.bb.ß. 48 Inaussichtnahme von Regelungen, ,,die unter anderem den Ergebnissen der INFCE-Studien ... Rechnung tragen", vgl. das Interims-Abkommen vom 16. 1. 1978 (ABlEG L 65 (8. 3. 1978), hier S.24) sowie oben C.I, Text zu Anm.13 ff. 47 Vgl. die Mitteilung der EG-Kommission, in den Gesprächen mit den USA werde beiderseits „den Ergebnissen dieser Konferenz (seil. INFCE) Rechnung getragen" werden (SA Couste, ABlEG C 282/7 - 8, 27.11.1978). Vgl. außerdem oben B.11, Text zu Anm. 92 ff.

2. Die Tendenz zur „Entstaatlichung"

209

sehen den Parteien abgesprochenen, an anderer Stelle geschilderten INFCE-Klauseln nur eingeschränkt gilt -; politisch können sie gleich­ wohl eine Entwicklung einleiten, in deren Verlauf der bislang (trotz IAEA und NPT) von Uni- und Bilateralismus geprägte Rahmen der zivilen Kernenergienutzung durchbrochen wird und multinationale Regelungen nicht nur untersucht, sondern auch angestrebt werden. Prozedural gesehen war INFCE letztlich nicht mehr - aber auch nicht weniger - als ein originelles Konzertierungsbemühen48 , das sich, mag das Erzielen eines Einvernehmens auch nicht ausdrücklich gestellte Aufgabe gewesen sein, einreiht in das heute schon breite Spektrum von Versuchen, Streitfälle durch multilaterale Konsenssuche zu bewälti­ gen; da sie sich auf Faktensammlung gerichtet hat, ist sie vielleicht vergleichbar einem „Hearing" im Völkerrechtssetzungsverfahren, des­ sen Ergebnisse die Rechtsentwicklung beeinflussen können, diese Folge aber keineswegs haben müssen, und mit der ungewöhnlichen Maßgabe, daß die Staaten als die „Herren" des Völkerrechts selber die zu Worte gekommenen Sachverständigen gewesen sind. Insgesamt stellt INFCE schon auf Grund der Tatsache einen Meilenstein des Nuklearvölker­ rechts dar, daß sie überhaupt veranstaltet worden ist - als interna­ tionales Forum, das unter Einschluß fast aller Betroffener den Versuch unternommen hat, den Gesamtkomplex der modernen Kernenergie­ wirtschaft zu überprüfen und eine Revision der Grundregeln der Non­ proliferation sowie des Zugangs zur Kerntechnologie zu erörtern49 • 2. Die Tendenz zur „Entstaatliclumg"

Wäre es nicht zu INFCE gekommen, fiele es gewiß nicht schwer, ein Fazit zu ziehen. Es bliebe wohl nichts anderes übrig, als der Mehrheit der Nuklearlieferländer gute Aussichten zu bescheinigen, der Völker­ rechtsgemeinschaft ihre restriktiven Bedingungen zu diktieren. Neben den „Londoner Richtlinien", den Embargos über sensitive Anlagen, den harten Anforderungen Australiens und der prinzipiell restriktiven, wenn auch keineswegs widerspruchsfreien Haltung der UdSSR würde der Gesamteindruck geprägt durch die Einstellung der USA und Ka­ nadas: Seitens der USA fielen ins Gewicht die ständigen Verzögerun­ gen in der Versorgung Indiens, die Lieferunterbrechung zum Nachteil von EURATOM, die Anwendung der „ exceptional merit"-Maxime bei der Weitergabe hochangereicherten Urans und speziell der Wider­ ruf entsprechender Zusagen gegenüber Südafrika, der Ordnungsruf 48 Es soll hier nicht die blumige Beschreibung vorenthalten werden, die der französische Kopräsident der Arbeitsgruppe für Verfügbarkeit der An­ reicherung gegeben hat : ,,une sorte de happening scientifique geant" (Gold­ schmidt, Complexe, S. 429). ,e Kaiser, Welt-Nuklearordnung, S, 169; ders., Neue Dimensionen, S. 271 f. 14 Prlll

210

C.II. Die sich herauskristallisierende internationale Ordnung

an Japan in der Form der Tokai-Mura-Vereinbarung sowie allgemein die Handhabung vertraglicher Klauseln über Wiederaufarbeitungs­ erlaubnis , und schließlich die Pressionen auf zahlreiche andere Staaten wie Brasilien, die Republik Korea und Pakistan ; seitens Kanadas die Lieferstopps zum Nachteil von EURATOM, Japan und der Schweiz. Die besondere - und insoweit durchaus praktische - Bedeutung von INFCE ergibt sich auch aus dem Umstand, daß etliche einseitige Maß­ nahmen vermutlich nicht (oder j edenfalls erst später) eingestellt bzw. suspendiert worden wären, hätte es nicht gegolten, den INFCE-Burg­ frieden zu respektieren. Freilich ist ungewiß, welche Folgen INFCE haben wird, so daß die Perspektive einer konsensualen multinationalen Lösung für die Probleme der zivilen Kernenergie-Nutzungsordnung nicht an die Stelle der, sondern neben die Perspektive eines von den Lieferländern aufoktroyierten und von ihnen beherrschten Systems getreten ist. a) Die Perspektive institutionalisierter Ab hängig keitsver häl tnisse

Dieses System trüge im wesentlichen die folgenden Züge50 : Alle Nuklearaktivitäten in Nichtkernwaffenstaaten unterstünden IAEA­ Sicherungsmaßnahmen. Nichtkernwaffenstaaten dürften über keine sensitiven Anlagen verfügen (und könnten demgemäß auch keine sen­ sitiven Materialien herstellen), wobei dem status quo Tribut gezollt würde, bestehende Anlagen also unberührt blieben. In j edem Fall behielte aber ein Lieferland die Kontrolle über seine Lieferungen, so daß ein Empfangsstaat zur Hochanreicherung und Wiederaufarbeitung unter Verwendung gelieferter Gegenstände nur mit Erlaubnis des Lieferlandes schreiten dürfte. Es wäre ein System, welches . die Abhängigkeit der Empfangsstaaten von den Lieferländern institutionalisieren würde. Die Staatengemein­ schaft würde - wie bereits an anderer Stelle festgestellt51 - durch Aufteilung in drei Kategorien hierarchisiert. Einige Staaten hätten im sensitiven Bereich Handlungsfreiheit, einige weitere dürften dort unter Aufsicht ihrer Lieferanten tätig werden , und die große Mehrheit der Staaten wäre ausgeschlossen. Die Nonproliferation würde durch die Deplutonisation52 vollendet. Hinter diesem Hierarchisierungsmodell, das dazu dient, das Postulat eines Wiederaufarbeitungsvorbehalts sowie - besser noch - einer Kon6 0 Die folgende grobe Schematisierung wird wohl der Politik keines Nuklearlieferlandes völlig gerecht; als Querschnitt nationaler Grundsatz­ positionen dürfte sie jedoch eine breite Strömung wiedergeben. 61 s. o. B.II.3.b., Text zu Anm. 201. &2 „ deplutonizzazione" , so Jacobucci, S. 649.

2. Die Tendenz zur „Entstaatlichung"

211

zentration der sensitiven Anlagen in einigen wenigen Ländern zu verwirklichen, steht letztlich der Gedanke, eine kleine Anzahl von Staaten trage in Fragen der internationalen Kernenergienutzung eine besondere Verantwortung gegenüber der Völkergemeinschaft und sei insoweit zu einer weltweiten Führungsrolle berufen. Im Hinblick auf die Nuklearexporteure ist er selten klarer ausgedrückt worden als in der Rede, die US-Präsident Carter am 4. Oktober 1977 vor der UN­ Generalversammlung gehalten hat: Die Nuklearlieferländer hätten die „ feierliche Verpflichtung" sicherzustellen, daß keines ihrer Exportgüter unmittelbar oder mittelbar zu der Herstellung von Kernsprengkörpern beitrage53 • Es läßt sich leicht erkennen, daß die besondere Verantwor­ tung einer kleinen Staatengruppe nicht einfach aus dem Faktum kern­ technischer Stärke folgen soll, sondern daß hinter dem Konzept die Vorstellung steht, die meisten Staaten - und insbesondere die Ent­ wicklungsländer - hätten nicht die Reife und Disziplin, die von Staa­ ten verlangt werden müsse, die über nukleare Technologie verfügten54 • Den der Unzuverlässigkeit geziehenen Staaten55 treten die Starken ent­ gegen, die - von ihrer ethisch-moralischen Überlegenheit56 und ihrer Rechtgläubigkeit überzeugt - durch Hegemonie für Sicherheit und Ordnung sorgen57 • Es handelt sich dabei um eine sektoral begrenzte Anwendung der Großmachtidee, die im gegebenen Zusammenhang be­ sagen würde: Es gibt Staaten, die auf Grund ihrer faktischen Macht­ stellung in der Lage sind, auf andere Staaten in Fragen der zivilen Kernenergienutzung einen überragenden Einfluß auszuüben und durch ihre gemeinsame Willensbildung auf das Verhalten der VölkergemeinA/32/PV. 18, para. 21. Vgl. die Stellungnahme des EP-Ausschusses für Umweltfragen, Volks­ gesundheit und Verbraucherschutz zur Tätigkeit des EURATOM-Kontroll­ organs, EP-Dok. 3/79, 30. 3. 1979, S. 29 : ,, Die Verfügungsgewalt über nukleare Technologie legt allen Beteiligten große moralische Verpflichtungen auf. Ob alle Empfängerländer der Dritten Welt dieser Verpflichtung gerecht werden, ob sie die notwendige Reife und Disziplin heute schon besitzen, ist mindestens fraglich." Zu der entsprechenden Skepsis in den USA s. Goldschmidt / Krat­ zer, S. 35 - 36. Vgl. auch de Araujo Castro, S. 161 : "The general philosophy appears to be that arms are extremely dangerous in the hands of the small states but not in the hands of the strong and therefore, theoretically, mature and responsible countries." 55 Stärker noch die Apostrophierung von „irresponsible Governments" durch Del. Young (USA) vom 9. 6. 1978, A/S-10/AC.1/PV.5 prov., S. 51. 66 "There is a fundamental arrogance in the American position . . . lt is an arrogance that, in its simplest terms, states : we the United States do not trust you, . . . , therefore we are asking you to trust us. lt is the noble but intolerable parternalism of the white man's burden in the new scientific guise. Above all, it is the approach from which bad peaces are made. lt reeks of insult and innuendo ; of an insinuation of moral and ethical superiority of this Nation" (L. King, Hearings on S. 897 and S. 1432, S. 118). 5 7 Vgl. in diesem Zusammenhang H. Krüger, S. 175 f. : ,,Die ,moral leader­ ship' . . . bewirkt neue Gestalten der Hegemonie mit einem geradezu natur­ rechtlichen Geltungsanspruch . . . " 53

54

1 4•

212

C.11.Die sich herauskristallisierende internationale Ordnung

schaft richtunggebend einzuwirken, die gewillt sind, ihre Stärke aus eigener Kraft politisch zur Geltung zu bringen, und die wegen ihrer universalen nuklearpolitischen Bedeutung dazu berufen sind, sich der Belange der Weltsicherheit wie solchen der Nonproliferation anzuneh­ men58 . Daß es heute tatsächlich Staaten gibt, denen eine derartige Macht­ position bescheinigt werden muß, kann kaum zweifelhaft sein. Frag­ lich ist jedoch, ob hier nur das Faktum festgestellt, oder ob dazu auch eine juristische Aussage getroffen werden kann - etwa im Sinne einer rechtlichen Verfestigung von nichtmilitärischen Nukleargroßmachtstel­ lungen. In der Völkerrechtslehre sind fast nie Zweifel daran laut geworden, daß der Großmachtstatus keine rechtliche Kategorie darstellt, sondern in den Bereich der wissenschaftlichen Disziplin der „internationalen Beziehungen" verwiesen werden muß. Zu den Ausnahmen gehört wohl die Bonner Antrittsvorlesung von Hermann Mosl er, in welcher ausge­ führt wurde, die Großmächte hätten größere „Zuständigkeit" als die übrigen Staaten: Die gleichen Rechtssubjekte der Völkerrechtsgemein­ schaft hätten verschiedene Befugnisse und trügen unterschiedliche Pflichten59 • Derselbe Rechtsgelehrte hat j edoch viele Jahre später klar­ gestellt, die Großmachtstellung habe niemals eine völkerrechtliche An­ erkennung erfahren60 • Es bleibt mithin dabei, daß in der Völkerrechts­ geschichte zwar gelegentlich Spuren der Doktrin eines bevorrechtigten Status der „Großmächte" hinterlassen worden sind - so etwa durch den Schriftsatz Frankreichs und das Plädoyer von J. Basdevant in dem Donau-Kommission-Fall vor dem Ständigen Internationalen Gerichts­ hof61 -, daß dem Großmachtstatus aber nur ganz selten eine Rechts­ qualität bescheinigt worden ist62 • Soweit es dabei um das Anliegen geht, den schutzwürdigen Belangen der schwächeren Staaten Genüge 5 8 Formulierungen in Anlehnung an Abendroth, WV I S.713 ; Moster, Großmachtstellung, S. 21 f., 39. 59 Großmachtstellung, S.38. 60 International Society, S.26. 6 1 „On est la, ..., en presence d'un de ces cas qui peuvent servir a illustrer cette phrase ... 'Les Puissances ont, dans de nombreux cas, depuis 1815, et notamment lors de la conclusion des traites de paix, cherche a etablir un veritable droit objectif, de vrais statuts politiques, dont les effets se font sentir en dehors meme du cercle des Parties contractantes"', Memoire francais (4 avril 1927), C.P.J.I., Serie C, No. 13-IV, S. 1674 f. Vgl. auch J. Basdevant, ibid. S.88, und die Zurückweisung der Doktrin durch den Richter Negulesco in einer abweichenden Meinung, C.P.J.I., Serie B, No. 14, S.95 (Competence de la Commission europeenne du Danube). Der Gerichtshof hat es verstanden, die Frage in seinem Rechtsgutachten zu umgehen. 62 Unklar dazu im jüngeren Schrifttum Tenekides: Die Unterscheidung zwischen schlicht unabhängigen Staaten und Hegemonialmächten müsse auch vom Juristen zur Kenntnis genommen werden (S. 140 Fn.67).

2. Die Tendenz zur „Entstaatlichung"

213

zu tun, bedarf es keines eigenen Rechtsinstituts „Großmachtstatus" oder „Hegemonialmacht", denn den Ingerenzmöglichkeiten werden schon durch das Interventionsverbot rechtliche Grenzen gezogen63 • Die Prä­ ponderanz von Großmächten kann aber vor allem deshalb nicht als Rechtsprinzip angesehen werden, weil sie in der weltpolitischen Wirk­ lichkeit zu differenziert zur Geltung gebracht wird und überdies wan­ delbar ist64 • Es ist keineswegs so - und das gilt gerade auch für den Bereich der zivilen Kernenergienutzung -, daß die Großmächte der Welt ihren Willen diktierten, vielmehr wirken sie in einer Welt von Staaten mit widerstreitenden Interessen und unterschiedlichen Wider­ standskräften, in der sie häufig - je nach Sachgebiet und Kontrahent - nicht ohne (wechselnde) Bündnisse und Kompromisse zum Erfolg kommen können65 • So haben die USA beispielsweise Brasilien letztlich nicht zu beeindrucken vermocht und für INFCE regelrecht werben müssen. Die Fragwürdigkeit eines rechtlichen Hegemonialprinzips wird im Nuklearbereich vollends deutlich, unternimmt man den Versuch, die zivilen Nukleargroßmächte zu identifizieren. Unter Berücksichti­ gung von natürlichen Ressourcen und bestehender technischer Kapazi­ tät müßten mit Sicherheit d1e USA und die Sowjetunion dieser Katego­ rie zugeordnet werden, vielleicht auch Frankreich. In Betracht kommen außerdem die großen Exporteure von Natururan (insbesondere Kanada, Südafrika, Australien), die Erbringer von Anreicherungsdiensten (etwa die URENC0-Staaten ; EURODIF dürfte zu sehr von Frankreich domi­ niert werden, als daß die vier übrigen Staaten hier Berücksichtigung finden könnten), die Inhaber von Wiederaufarbeitungsanlagen (u. a. Indien!) und die Exporteure von Kernkraftwerken (u. a. Schweden66} . I n etlichen Fällen sind Zweifel a m Platz, etwa bei Australien, Indien, Italien, Japan - ressourcenarm und im Nuklearexport eher unbedeu­ tend -, Niederlande, Schweden, Südafrika, und nicht zuletzt auch China, das als Nuklearlieferland bislang nicht in Erscheinung getreten ist67 und sich aus der Diskussion über eine gleichermaßen prolifera­ tionssichere wie distributionsorientierte Weltnuklearordnung weit­ gehend herausgehalten hat. Das Problem wird kaum leichter lösbar, will man nicht nur auf die faktische Machtstellung, sondern auch auf den politischen Geltungswillen abstellen, der ebenfalls Großmacht­ kriterium sein soll68 • Kurzum, so wenig zweifelhaft es erscheinen mag, Dies verkennt Tenekides, S. 141. Bd. 1, S. 166 f. Zum Wandel der Großmachteigenschaft vgl. Mosler, Großmachtstellung, S. 12 ff. ; Oppenheim I Lauterpacht, S. 275 ff. 65 Vgl. dazu vor allem die pragmatische Analyse von Thierry I Combacau, in : Thierry / Combacau / Sur / Vallee, S. 23 ff. 6 6 Lieferung von zwei Kernkraftwerken nach Finnland, vgl. SIPRI Year­ book 1979, S. 308. 61 Berichte, China habe Pakistan die Lieferung einer Wiederaufarbeitungs­ anlage angeboten (Le Monde vom 16. 8. 1978, S. 14), sind unbestätigt geblieben. 63

H Dahm,

214

C.11. Die sich herauskristallisierende internationale Ordnung

daß es zivile Nukleargroßmächte gibt, so schwierig ist es doch, die ent­ sprechenden Staaten zu bezeichnen. Gewiß kann es den Völkerrechtler wenig befriedigen, daß das Ord­ nungsmodell der „ institutionalisierten Abhängigkeit", der Hierarchi­ sierung der Staatengemeinschaft und der „ besonderen Verantwortung" einiger Staaten im sensitiven Bereich der zivilen Kernenergienutzung einstweilen eine Machtfrage bleibt. Rechtsqualität gewönne es erst, wenn es - wie der Sicherheitsrat durch die UN-Charta69 - vertrag­ lich in die Völkerrechtsordnung eingeführt würde bzw. im Wege der Bildung von Gewohnheitsrecht dort Einzug hielte. Vorerst bleibt es ein sektorales „ world order"-Modell hegemonialen Zuschnitts, über das politisch gefochten wird und dessen Zukunftsaussichten ungewiß sind. b)

Die Perspektiv e einer Internationalisierung

Die Idee, die Kernenergienutzung einem System wahrhaft über­ staatlicher Kontrolle und Lenkung zu unterstellen - was wohl prak­ tisch durch Einschaltung einer im Regelungs- und Durchsetzungsbereich selbständig handelnden internationalen Organisation geschähe70 -, ist praktisch so alt wie die Kernenergienutzung selber7 1 • Insoweit sind die aktuellen Internationalisierungsmodelle, würdigt man sie unter einem rechtsgeschichtlichen Blickwinkel, keineswegs revolutionär. Gleichwohl ist es unmöglich, ihre völkerrechtspolitische Bedeutung zu überschätzen. Ihre Durchführung würde ein neues Element in das Völkerrecht ein­ führen und dadurch einen Wandel des Völkerrechts schlechthin be­ wirken. Anders als bei staatsfreien Räumen, in denen Staaten zwar a priori Handlungsfreiheit genießen , sich aber auch mit der Handlungs­ freiheit anderer Staaten abfinden und arrangieren müssen, und in denen eine Internationalisierung jedenfalls nicht in den eigentlichen Hoheitsbereich der Staaten eingriffe, würde die Internationalisierung eines Zweiges nationalstaatlicher wirtschaftlicher Betätigung den staat­ lichen domaine reserve antasten. Sie ginge an die Substanz der Sou­ veränität. Sie bedeutete nichts anderes als die Errichtung eines funk­ tional (oder, wenn man so will, sektoral) begrenzten Weltstaats72 • Auch hier ist es letzten Endes müßig, die Realitätsnähe einer solchen Perspektive einschätzen zu wollen. Vor allem im Schrifttum hat sie 68

„ Eine Großmacht bringt sich aus eigener Kraft politisch zur Geltung"

(Mosler, Großmachtstellung, S. 21).

Vgl. den berechtigten Hinweis von Dahm, Bd. 1, S. 167. „regime d'administration directe exerce par une autorite internationale", so zu der Internationalisierung staatsfreier Räume Rousseau, t. 2, S. 413. 71 Vgl. den Baruch-Plan von 1946, s. o. A. I, Anm. 98, 99 und Text dazu. 12 "amount of interference with the economic and industrial life of nations which amounts to the establishment of a world State for the limited purpose of controlling nuclear energy" (Schwarzenberger I Brown, S. 322). 69

10

2. Die Tendenz zur „Entstaatlichung"

215

zahlreiche Befürworter gefunden, insbesondere mit Blick auf die Lage­ rung von Plutonium73 • Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses völkerrecht­ lich innovative Modell eines Tages in das positive Völkerrecht einge­ führt wird, ist gleichwohl größer als die Aussicht, daß Entsprechendes dem - politisch durchaus klassischen - Hegemonieproj ekt gelingt. Denn beide Alternativen müssen, um rechtlich anerkannt zu werden, die Zustimmung der Völkergemeinschaft finden, und es bedarf wohl keiner großen Prophetengabe, um vorherzusagen, daß die die Staaten­ gleichberechtigung durch uniforme Souveränitätseinschränkung re­ spektierende Internationalisierung eher konsensfähig sein wird als das diskriminierende Konkurrenzmodell. INFCE könnte den Weg dazu weisen. Jedenfalls stimmt - auch rechtlich - die Feststellung : ,, Eine Nichtverbreitungspolitik muß, um wirksam und erfolgreich zu sein, von der größtmöglichen Zahl von Mitgliedern der Völkergemeinschaft getragen werden74 . "

13 z. B. Beaton, Nuclear Fuel-for-all, S. 667 ("international agency which owned the fuel from the start") ; Bloomfield, S. 753 ("enriched uranium and all plutonium . . . as 'public goods"') ; Bloomfield I Cleveland, S. 42 ("all plutonium . . . is considered to be held in trust for the international community") ; Fox I Willrich; Jacobucci, S. 634 (,,sincera e rigorosa internazionalizzazione della materia, attuata attraverso un'apposita istituzione mondiale, dotata di adeguati poteri"), S. 654 „un'organizzazione con poteri circoscritti, ma con­ creti, in materia di amministrazione dei materiali e delle tecnologie sensibili e relativi servizi") ; Kaiser, Neue Dimensionen, S. 274 (,,Idee eines internationa­ len Eigentumsrechts an Plutonium") ; Willrich, S.185. 74 Erklärung der deutschen Bundesregierung vom 7. 4. 1977, Bull. 1977 S. 331 (Nr. 36, 15.4. 1977).

Literaturverzeichnis Abendroth, Wolfgang : Großmächte, in: K. Strupp / H.-J. Schlochauer, Wör­

terbuch des Völkerrechts, 2.Aufl., 1.Bd., Berlin 1960, S.713. Adam, H.T.: Les organismes internationaux specialises. Contribution a la theorie generale des etablissements publics internationaux, vol..IV, Paris 1977. Administrative Survey : October 1974 to September 1975, in: Law and Policy in International Business 8 (1976) S.279. - October 1975 to September 1976, in : Law and Policy in International Business 9 (1977) S. 1. - October 1976 to September 1977, in: Law and Policy in International Business 10 (1978) S. 1. - October 1977 to September 1978, in : Law and Policy in International Business 11 (1979) S. 1. Antonelli, Cristina : 11 Trattato di non proliferazione, in : Rivista di studi politici internazionali 45 (1978) S. 194. Arangio-Ruiz, Gaetano: Some International Legal Problems of the Civil Uses of Nuclear Energy, in : Recueil des Cours 107 (1962 III) S.503. de Araujo Castro, Joao Augusto : The United Nations and the Freezing of the International Power Structure, in: International Organization 26 (1972) S.158. Bargman, Abraham: Nuclear Diplomacy, in : David A. Kay (ed.), The Changing United Nations. Options for the United States, New York/ London 1977, S. 159. Bauser, Michael A.: United States Nuclear Export Policy : Developing the Atom as a Commodity in International Trade, in: Harvard International Law Journal 18 (1977) S.227. Baxter, R.R.: The Law of International Waterways, Cambridge (Mass.) 1964. (zit.: Waterways) - Treaties and Custom, in : Recueil des Cours 129 (1970 1) S.25. (zit.: Treaties and Custom) Beaton, Leonard : Kernwaffen-Sperrvertrag und nationale Sicherheit, in: Europa-Archiv 24 (1969) S.5. (zit.: Sperrvertrag) - Nuclear Fuel-for-all, in: Foreign Affairs 45 (1966 - 67) S.662. (zit.: Nuclear-Fuel-for-all) Beckurts, Karl Heinz: Internationale Probleme bei der Einführung der Kern­ energie, Vortrag am 22.Juni 1978 vor der Deutschen Gesellschaft für aus­ wärtige Politik, in: Europa-Archiv 33 (1978) S.489. Bettauer, Ronald J.: The Nuclear Non-Proliferation Act of 1978, in t Law and Policy in International Business 10 (1978) S. 1105.

Literaturverzeichnis

217

Beyerlin, Ulrich : Factum de contrahendo und pactum de negotiando im

Völkerrecht?, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 36 (1976) S.407. Bloomfield, Lincoln P.: Nuclear Spread and World Order, in: Foreign Affairs 53 (1974/75) s.743. B!oomfield, Lincoln P./ Cleveland, Harlan: A Strategy for the United States, in : International Security 2 No. 4 (Spring 1978) S. 32. Börner, Bodo: Rechtsfolgen des Atomsperrvertrages für die Bundesrepublik Deutschland, Düsseldorf 1968.

Bolton, John R.: The Legislative Veto, Washington (D.C.) 1977.

Brenner, Michael : Carter's Nonproliferation Strategy: Fuel Assurances and

Energy Security, in: ORBIS 22 (1978) S.333.

Brezaric, J. : Probleme auf dem Gebiet der Kernenergie, in: Internationale

Politik (Belgrad), Hefte 648, S.14, 649, S.6, 650, S.25 (5.4., 20.4., 5.5.1977). (zit : Probleme) - Gegen das nukleare Monopol, in : Internationale Politik (Belgrad), Hefte 668, S.4, 669, S.14 (5. und 20.2.1978). (zit.: Monopol) Brosche, Hartmut : Zwang beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge. Eine Untersuchung der in der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 ge­ troffenen Regelung, Berlin 1974. Brower, Charles N.: The Charter of Economic Rights and Duties of States and the American Constitutional Tradition: A Bicentennial Perspective on the "New International Economic Order", in: The International Lawyer 10 (1976) s. 701. Bull, Hedley: Rethinking Non-Proliferation, in: International Affairs 51 (1975) s. 175. Bunn, George: The Nuclear Nonproliferation Treaty, in : Wisconsin Law Review 1968, S.766. Burns, E. L. M.: The Nonproliferation Treaty: Its Negotiation and Prospects, in: International Organization 23 (1969) S.788. Bywater, Marion : Les relations C.E.E./ U.S.A. mises a l'epreuve, in : Revue du Marche Commun 21 (1978) S.225. Caflisch, Lucius: Pratique suisse 1974, in: Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht 31 (1975) S.155. Cahier, Philippe: Le probleme des effets des traites

a l'egard des Etats tiers, in: Recueil des Cours 143 (1974 III) S.589. Campbell, Ross: Canadian Nuclear Export Policy Toward Developing coun­ tries, in : Asian Perspective 3 (1979) S.1.

Carreau, Dominique / Juillard, Patrick / Flory, Thiebaut: Droit international

economique, 2e ed., Paris 1980.

Castaneda, Jorge : La no proliferaci6n de las armas nucleares en el orden

universal, Mexico 1969.

Charpentier, Jean: Diskussionsbeitrag, in: L'elaboration du droit international

public, Societe franc;aise pour le droit international, Colloque de Toulouse, Paris 1975, S.214.

218

Literaturverzeichnis

Chayes, Abram / Lewis, W. Bennett (eds.) : International Arrangements for Nuclear Fuel Reprocessing, Cambridge (Mass.) 1977. Colombos, C. John : The International Law of the Sea, 6th rev. ed., London 1967. Corwin's (Edward S.) The Constitution and what it means today, Revised by Harold W. Chase / Craig R. Ducat, 1974 ed., Princeton (N. J.). Courteix, Simone : La cooperation europeenne dans le domaine de l'enrichis­ sement de l'uranium, in : Annuaire Francais de Droit International 20 (1974) s. 773. (zit. : Cooperation) - Les Accords de Londres entre pays exportateurs d'equipements et de materiel nucleaires, in : Annuaire Francais de Droit International 22 (1976) s. 27. (zit. : Accords) - Exportations nucleaires et non-proliferation, Paris 1978. (zit. : Exportations) Dahm, Georg : Völkerrecht, Bände 1 und 3, Stuttgart 1958, 1961. Delbrück, Jost : Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, in : Abschreckung und Entspannung. Fünfundzwanzig Jahre Sicherheitspolitik zwischen bipolarer Konfrontation und begrenzter Kooperation, Veröffent­ lichungen des Instituts für internationales Recht an der Universität Kiel 76, Berlin 1977, S. 623. Delcoigne, Georges / Rubinstein, Georges : Non-proliferation des armes nucle­ aires et systemes de contröle, Bruxelles 1970. Derpa, Rolf M. : Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, Bad Homburg 1970. Detter, Ingrid : The Problem of Unequal Treaties, in : International and Com­ parative Law Quarterly 15 (1966) S. 1069. Dicke, Detlev Christian : Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht. Zugleich ein Beitrag zu den Fragen der wirtschaftlichen Souveränität, Baden-Baden 1978. Doehring, Karl : Gewohnheitsrecht aus Verträgen, in : Zeitschrift für aus­ ländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 36 (1976) S. 77. zu Dohna, Bernt Graf : Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freund­ schaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Die Arbeit des UN-Sonderausschusses über die völkerrechtlichen Grund­ sätze betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammen­ arbeit zwischen den Staaten und das geltende Völkerrecht, Berlin 1973. Dolzer, Rudolf: Nukleare Außenpolitik - ein atlantischer Stolperstein? Zu den Gesprächen zwischen Washington und Euratom, in : Frankfurter All­ gemeine Zeitung, 15. 1 1 . 1978, S. 9. Dolzer, R. / Hilf, M. I Münch, E. / Richter, B. I Stein, G. : Institutionelle Aspekte des nuklearen Brennstoffkreislaufs, Jülich, Januar 1980 (Spezielle Be­ richte der Kernforschungsanlage Jülich - Nr. 69). Donnelly, Warren H. : The Nuclear Non-Proliferation Act of 1978, Public Law 95 - 242 : An Explanation (Environment and Natural Resources Policy Division, Congressional Research Service, Library of Congress, Report No. 78 - 198 S., October 25, 1978).

Literaturverzeichnis

219

Donnelly, Warren H. / Rather, Barbara L. : United States Agreements for

Cooperation in Atomic Energy : An Analysis (Environment and Natural Resources Policy Division, Congressional Research Service, Library of Congress, A report prepared for the Senate Committee on Government Operations, January 15, 1976).

Doub, William 0. / Dukert, Joseph M. : Making Nuclear Energy Safe and Secure, in: Foreign Affairs 53 (1974/75) S. 756. Doub, William 0. / Fidell, Eugene R. : International Relations and Nuclear Commerce : Developments in United States Policy, in : Law and Policy in International Business 8 (1976) S. 913. Drück, Helmut : Gemeinsame Unternehmen in Staatenverbindungen. Ent­ wicklung und Rechtsformen, insbesondere auf dem Gebiet der Kern­ energie, Göttingen 1962. Duffy, Gloria : Soviet Nuclear Exports, in International Security 3 No. 1

(Summer 1978) S. 83.

Dupuy, Rene-Jean : L'inspection internationale des navires, in : G. Fischer /

D. Vignes (ed.), L'inspection internationale, Bruxelles 1976, S. 249.

Engel, Tessa : La Communaute europeenne face aux exigences croissantes en

matiere de contr6le de securite nucleaire, in : Revue du Marche Commun 20 (1977) s. 515.

Epstein, William : Nuclear Proliferation : The Failure of the Review Confer­

ence, in : Survival 17 (1975) S. 262. (zit. : Failure). - The Last Chance, New York/London 1976. (zit. : The Last Chance)

Fahl, Gundolf: Der Nichtverbreitungs-Vertrag vom 1. Juli 1968. Eine Unter­

suchung zum zehnten Jahrestag seines Inkrafttretens, in : Die Friedens­ Warte 61 (1978) S. 5.

Felder, Joseph Friedrich : Das Problem der Staatengleichheit in der Organi­

sation der Völkergemeinschaft, Schüpfheim 1950.

Feuer, Guy : Les principes fondamentaux dans le droit international du

developpement, in : Pays en voie de developpement et transformation du droit international (Societe francaise de droit international, Colloque d'Aix-en-Provence), Paris 1974, S. 194.

Firmage, Edwin Brown : The Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear

Weapons, in : American Journal of International Law 63 (1969) S. 7 1 1 .

Fischer, David : International Safeguards 1979, New York/London 1979 (Inter­

national Consultative Group on Nuclear Energy, Working Paper).

Fischer, Georges : The Non-Proliferation of Nuclear Weapons, London 1971.

(zit. : Non-Proliferation) - Le Traite americano-sovietique relatif a la limitation des essais souter­ rains d'armes nucleaires, in : Annuaire Francais de Droit International 20 (1974) s. 153. (zit. : AFDI 20) - La Conference des Parties chargees de l'examen du Traite de non-pro­ liferation des armes nucleaires, in : Annuaire Francais de Droit Internatio­ nal 21 (1975) S. 9. (zit. : Conference)

220

Literaturverzeichnis

Fischer, Georges : Le Traite americano-sovietique sur la limitation des ex­

plosions nucleaires souterraines a des fins pacifiques, in: Annuaire Fran