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German Pages [415] Year 2022
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 171
Margarete Strauss
Vision und Assoziation Form- und Motivanalyse hymnenartiger Passagen in der Johannesoffenbarung und Vergleich mit den Orphischen Hymnen
Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Begründet von Günther Bornkamm und Gerhard von Rad Herausgegeben von David S. du Toit, Martin Leuenberger, Johannes Schnocks und Michael Tilly
171. Band
Margarete Strauss
Vision und Assoziation Form- und Motivanalyse hymnenartiger Passagen in der Johannesoffenbarung und Vergleich mit den Orphischen Hymnen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2567-9694 ISBN 978-3-666-56081-1
Herrn Prof. Dr. Klaus Berger, requiescat in pace
Vorwort
Mit der Johannesoffenbarung verbinde ich persönlich viel. Umso bedauerlicher, dass sie in meinem Studium nie umfassend behandelt worden war. Als ich mich mit der Frage auseinandersetzte, im Anschluss an das Theologiestudium zu promovieren, kam mir die Johannesoffenbarung als Thema sofort in den Sinn. Sie ist in der katholischen Exegese ein wenig zurückhaltend behandelt worden, obwohl sich ihr in den letzten Jahren Studien vermehrt gewidmet haben. Daran möchte ich mit dieser Studie anschließen und hoffe auf eine weitere Auseinandersetzung mit diesem spannenden biblischen Buch! Zunächst möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Adrian Wypadlo danken für die Betreuung meines Dissertationsprojekts. In vielen Lesestunden, Gesprächen und Diskussionen hat die Studie nach und nach Gestalt angenommen. Besonderer Dank gilt seiner Geduld, ein Projekt von einem anderen Doktorvater zu übernehmen, das außerhalb des eigenen Forschungsbereichs liegt und somit zusätzlichen Aufwand bedeutet. Danken möchte ich auch meinem ersten Betreuer Prof. Dr. Wilfried Eisele, mit dem ich die Idee und das Konzept der Studie entwickelt habe. Seine Erfahrung sowie seine erfrischende Art haben mich sehr inspiriert. Aufgrund seines Lehrstuhlwechsels endete die Betreuung leider vorzeitig, doch hat er wesentlich zur Bereitung des „Bodens“ meiner Studie beigetragen. Ich durfte einige Jahre als wissenschaftliche Hilfskraft an seinem Projekt über pagane Kulte im Heiligen Land mitarbeiten, was mich methodisch auch für das eigene Dissertationsprojekt vorbereitet hat. Vielen Dank auch Herrn Prof. Dr. Dr. Alfons Fürst für das Zweitgutachten sowie die effektiven Gespräche rund um das Dissertationsprojekt und darüber hinaus. Er hat mir viele gute Ratschläge gegeben und mir die Überarbeitung der Studie vereinfacht. Prof. Dr. Martin Karrer sei gedankt für die hilfreichen Hinweise zur motivanalytischen Untersuchung der Johannesoffenbarung. Er hat mir mit seinem erstaunlichen Wissen gezielt geholfen. Ich danke auch besonders Prof. Dr. Klaus Berger für die inspirierenden Gespräche und auch für den Doppelband der Johannesoffenbarung, den er mir zur Hochzeit schenkte. Leider verstarb er bereits vor der Fertigstellung meiner Studie, die ich ihm eigentlich im Anschluss überreichen wollte. Möge er in Frieden ruhen. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Manfred Spieker, der mir in den letzten Jahren ein guter Freund geworden ist und mich immer wieder motiviert hat, das Projekt erfolgreich abzuschließen. Besonderer Dank gilt auch den Kommilitonen und Kollegen aus dem wissenschaftlichen Mittelbau, insbesondere Volker Niggemeier und Ludger Hiepel. Sie
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Vorwort
haben meine Fragen stets mit Geduld beantwortet und ihren Erfahrungsschatz mit mir geteilt. Dem ganzen Oberseminar der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster sei Dank für die Bewertungen und Diskussionen meiner Werkstattberichte, die die Studie nach und nach geformt haben. In diesem Kontext bedanke ich mich bei Prof. Dr. Gerhard Hotze von der PTH Münster sowie bei Roland Kpadonou, Dr. Rebekka Groß und Manuel Hartmann. Bei der Drucklegung unterstützte mich Herr Dr. de Hulster, wofür ihm Dank gebührt, insbesondere für die Hilfe bei numismatischen Fragen. Auch Christoph Spill hat mich bei der Vorbereitung des Manuskripts dankenswerterweise unterstützt. Den Herausgebern Prof. Dr. Michael Tilly und Prof. Dr. David du Toit sei gedankt für die konstruktive Kritik, die zu einer inhaltlichen Schärfung der Studie beigetragen hat. Besonders zu danken sei Prof. Dr. Johannes Schnocks, der als Mitherausgeber meine Studie empfohlen und mich bereits in der Zeit als studentische Hilfskraft an seinem Lehrstuhl sehr bereichert hat. Ganz herzlich möchte ich Danke sagen meinem lieben Ehemann Eduard, der Korrekturstunden und schlaflose Nächte für dieses Projekt geopfert, mir in allem den Rücken gestärkt hat und mir stets eine mentale Stütze gewesen ist. Auch meiner ganzen Familie sei Dank ausgesprochen, die mich in den Jahren der Promotion sehr unterstützt und entlastet hat, wo es nur ging. Schließlich sei dem Herrn gedankt für all die Gnade und Kraft, mit der ich ausgerüstet diesen Weg voller Umwege und Überraschungen beschreiten durfte. Hagen am Teutoburger Wald, im Juli 2022
Margarete Strauss
Inhalt
Vorwort ................................................................................................
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1. Einleitung ........................................................................................ 1.1 Formgeschichtliche Beiträge ......................................................... 1.2 Motivanalytische Beiträge ............................................................ 1.3 Zusammenfassung der Forschungsgeschichte ................................. 1.4 Ziel und Relevanz der Studie ........................................................ 1.5 Methodisches Konzept ................................................................ 1.5.1 Formale Analyse................................................................. 1.5.2 Motivanalyse......................................................................
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2. Formale Analyse .............................................................................. 2.1 Aufbau ...................................................................................... 2.1.1 Aufbereitung des bergerschen Konzepts für die Offb ............ 2.1.2 Ergänzende Formelemente .................................................. 2.1.3 Einführung in die OH und die Orphik .................................. 2.1.4 Methodische Vorüberlegungen zur formalen Analyse der OH.............................................................................. 2.1.5 Aufbereitung des bergerschen Konzepts für die OH ............. 2.1.6 Vergleich mit der Offb......................................................... 2.1.7 Kritische Würdigung des bergerschen Konzepts .................. 2.2 Funktion .................................................................................... 2.2.1 Topoi der hymnenartigen Passagen ....................................... 2.2.2 Topoi der Visionsschilderungen ........................................... 2.2.3 Verhältnis von hymnenartigen Passagen und visionärem Kontext............................................................. 2.2.4 Weitere Beobachtungen ....................................................... 2.3 Herkunft .................................................................................... 2.4 Zwischenfazit .............................................................................
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3. Motivanalyse ................................................................................... 3.1 Vorverständigung über die Textauswahl......................................... 3.2 Semantisches Inventar ................................................................. 3.2.1 Der himmlische Thronsaal I (Offb 4,1–11) ............................. 3.2.2 Der himmlische Thronsaal II (Offb 5,1–14)............................ 3.2.3 Die Besiegelung der Knechte Gottes (Offb 7,1–17) ..................
69 74 92 125 139 139 142 144 154 165 167 171 171 173 173 182 192
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Inhalt
3.2.4 Die Vermessung des Tempels und die zwei Zeugen (Offb 11,1–19).................................................................... 3.2.5 Die Ankündigung der letzten Plagen (Offb 15,1–8) ................. 3.2.6 Kontextualisierung und Gruppierung.................................... 3.3 Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse....... 3.3.1 Der himmlische Thronsaal I (Offb 4,1–11) ............................. 3.3.2 Der himmlische Thronsaal II (Offb 5,1–14)............................ 3.3.3 Die Besiegelung der Knechte Gottes (Offb 7,1–17) .................. 3.3.4 Die zwei Zeugen (Offb 11,1–19) ........................................... 3.3.5 Die Ankündigung der letzten Plagen (Offb 15,1–8) ................. 3.3.6 Das Johannes-Phänomen anhand der Lexeme ἅγιος, ἄξιος und θέλημα ............................................................... 3.4 Historische Nachweise ................................................................. 3.4.1 Numismatik....................................................................... 3.4.2 Epigraphie ......................................................................... 3.4.3 Archäologische Stätten ........................................................ 3.4.4 Griechische Plastik ............................................................. 3.4.5 Sonstige Kleinfunde ............................................................ 3.5 Zwischenfazit .............................................................................
199 209 213 223 224 239 248 255 262 269 277 277 299 319 340 348 355
4. Gesamtfazit und Ausblick ................................................................. 359 Literatur ............................................................................................... 371 Bildnachweise ...................................................................................... 403 Register ............................................................................................... Personenregister ............................................................................... Ortsregister ...................................................................................... Sachregister...................................................................................... Bibelstellenregister ............................................................................
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1.
Einleitung
Zu allen Zeiten hat die Exegese sich die Frage nach dem hermeneutischen Bildungswissen von Adressaten gestellt. Dass ein hermeneutischer Vorgang in der Bibel u. U. missglücken kann, schildert Apg 14,8: Paulus und Barnabas heilen einen lahmen Mann in Lystra, woraufhin sie als in Menschengestalt herabgefahrene Götter Zeus (Barnabas) und Hermes (Paulus) missinterpretiert werden. Die Ironie des hermeneutischen Missgeschicks der Lykaonier und der Bezeichnung des Paulus ausgerechnet als Gott der Interpretation veranlasst zu der Frage, ob die Adressaten der Johannesoffenbarung derselben Gefahr ausgesetzt waren. Schließlich richtet sich die Offb an Gemeinden derselben geographischen und kulturellen Region. Die in Apg 14,8 zum Ausdruck kommende religiöse Mentalität spiegelt sich auch in den sieben Sendschreiben der Johannesoffenbarung wider, „eine[r] krause[n] Mythologie“1 , „bizarr und rätselhaft“2 , „one of the most controversial, complicated and esoteric books in the New Testament canon“3 , einem drastisch geschriebenen Text wie kein anderer im gesamten NT. Die metaphorische Dichte der Schrift, die an pagane Texte erinnert, stellt einen literarischen Höhepunkt gewalttätiger Bilder im NT dar. Und doch ist die Offb4 entgegen aller Vorurteile kein „Horrorszenario“ der Zukunft, sondern eine Hoffnungsbotschaft beginnend in der Gegenwart. Geschrieben für bedrängte Christen enthält sie insbesondere im apokalyptischen Hauptteil tröstende Worte und schildert einen positiven Ausgang der Menschheitsgeschichte. Die Verdichtung des Triumphs Gottes schlägt sich in vereinzelten Gesängen nieder, die an Gott und das Lamm gerichtet werden. Ihnen sind gewisse formale und inhaltliche Aspekte gemein, die sie zu einer Textgruppe verbinden. Im Laufe der Forschungsgeschichte hat man v. a. die „Plerophorie des Ausdrucks“ und den „erhabene[n], gerade für hymnische Stücke charakteristische[n] Stil“ herausgestellt.5 Die Visionen sowie die himmlischen Gesänge sind von einer reichhaltigen Metaphorik geprägt, die die Forschung v. a. mit Bildfeldern des AT und der hellenistisch-jüdischen Literatur zu erklären versucht. Inwiefern ist es gerechtfertigt, bei diesen Passagen von ὕμνοι zu sprechen? Falls eine solche Terminologie angemessen ist: Bietet der Textvergleich mit zeitgenössischen und geographisch nahen Referenztexten aus dem griechisch-römischen Bereich eine zufriedenstel-
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Wengst, Recht, 21. Frey, Bildersprache, 162. Kruger, reception, 159. Die Johannesoffenbarung wird in dieser Studie mit Offb abgekürzt. Deichgräber, Gotteshymnus, 11.72.
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Einleitung
lende Antwort auf obige Frage? Analogien zum AT werden heutzutage zur Genüge herausgestellt, doch angesichts des kulturellen und denkerischen Horizonts der Offb darf und muss für sie eine differenziertere Sicht angenommen werden.6 Für einen Textvergleich sticht eine Sammlung von 87 orphischen ὕμνοι ins Auge. Diese Schrift ist etwa zeitgleich mit der Offb entstanden und wird nach Kleinasien lokalisiert.7 Zudem spiegelt sie die synkretistische Religiosität Kleinasiens wider. Ihre Nähe zur Offb veranlasst zur Frage, ob zwischen beiden Quellen formale und inhaltliche Analogien zu erkennen sind.8 Dabei betrifft diese Frage auch die semantische Analogie. Eine solche Fragestellung ist heutzutage selten relevant: Bald nach Aufkommen des Religionsgeschichtlichen Vergleichs wurden pagane Interpretationsmuster hinter dem NT durch die Herausstellung anderer Traditionen abgelöst. Für die Offb bedeutet dies konkret, dass traditionsgeschichtliche Untersuchungen sich v. a. mit alttestamentlicher Prophetie und Apokalyptik beschäftigen.9 Dabei wird ausgeblendet, dass der Kontext der Offb eine Kombination von verschiedensten religiösen und politischen Denkrichtungen darstellt: Die olympisch-griechische Religiosität wird mit vorgriechischen Traditionen verbunden oder verläuft parallel dazu. Mysterienkulte sind stark verbreitet, darunter v. a. des Dionysos und der Großen Mutter.10 Darüber hinaus ist das hellenistische Judentum präsent. Seit einigen Jahrzehnten bestehen die ersten Christengemeinden. Weitere religiöse Strömungen u. a. aus Ägypten üben Einfluss auf das religiöse Milieu Kleinasiens aus.11 Zudem etabliert sich der Kaiserkult in der Provinz Asia.12 Die Vermischung oder gegenseitige Beeinflussung der unterschiedlichen Strömungen beweist, dass die Frage nach bisher vernachlässigten Traditionen notwendig ist.13 Karrer stellt seit
6 So auch Cameron, Christianity, 38; Karrer, Gottesbild, 55; Kennel, Hymnen, 2. 7 Dabei ist anzumerken, dass in dieser Studie die Offb in die domitianische Regierungszeit datiert wird und somit der opinio communis folgt. 8 Dies wiederum bedeutet nicht, dass eine Entstehung des Christentums aus mysterienkultischen oder allgemein paganen Vorstellungen vorausgesetzt wird. Vgl. zu den religionsgeschichtlichen Tendenzen dieser Auffassung Herrero de Jáuregui, Orphism, 2–11. Dies zu behaupten, verkennt das dominierende biblisch-jüdische Gerüst, das die Offb konstruiert. Bei der gemeinsamen Betrachtung von Offb und Orphik handelt es sich allenfalls um Analogien. 9 Dies betrifft v. a. Kommentare wie Beale, book; Giesen, Offenbarung; Müller, Offenbarung; Roloff, Offenbarung; Satake, Offenbarung etc. 10 Vgl. Köster, Einführung, 185. 11 Vgl. Bommas, Heiligtum, 20–25; Fleck, Isis, 289; Hoffmann, Kulte, 175; Hölbl, Gottheiten, 157–192. 12 Vgl. Friesen, cults, 25; Koch, Geschichte, 77–78. Cassius Dio erwähnt die Errichtung des ersten provinzialen Kaisertempels in Pergamon 29 v. Chr. Cass. Dio 51.20.6–9. 13 Und dies heißt für literarische Traditionen: „Jewish, Greek, and Roman texts are not merely ‚background‘ for the New Testament but rather texts that share a culture and context.“ Cameron, Christianity, 38; ferner Pattemore, people, 57. Die synkretistischen Entwicklungen jener Zeit gehen zudem mit magischen Vorstellungen einher. Vgl. Aune, Apocalypse, 482f; Thomas, motifs, 3.
Einleitung
Jahren allgemein die Frage nach griechisch-römischen Einflüssen in der Offb bzw. in Bezug auf den Verständnishorizont der Adressaten.14 Entgegen der Anpassung an Forschungstrends – z. B. der Fixierung auf jüdisch-alttestamentliche Traditionen oder den imperialen Kaiserkult – stellt sich die Frage nach weiteren Einflüssen auf die Offb: Die Integration zeitgeschichtlicher Gesichtspunkte ist entscheidend, da die Erfassung historischer Realitäten hinter biblischen Schriften deren Aussagekraft vertiefen kann. Dies ist in der neutestamentlichen Exegese keine innovative Feststellung, doch es ist entscheidend, einen historischen Kontext umfassend zu beschreiben und dabei den gleichzeitigen Einfluss verschiedener Traditionen zu berücksichtigen. Die vorliegende Studie hat die Intention, ausgehend von dieser Feststellung formale und inhaltliche Beobachtungen an der Offb anzustellen und diese auf eine bestimmte, in der Forschungsgeschichte vernachlässigte Tradition zu beziehen: auf pagane religiöse Vorstellungen, insbesondere die Mysterienkulte. Um auf das Missverständnis von Lystra zurückzukommen: Paulus und Barnabas richteten sich an eine pagane Umwelt, die erstmals vom Evangelium Christi erfuhr, während die Offb sich an bereits bestehende Christengemeinden wandte. Auch wenn die Gefahr einer hermeneutischen Missinterpretation in der Offb keine „lykaonischen“ Ausmaße angenommen haben wird, sind ähnliche hermeneutische Prozesse bei den Adressaten der Offb zu vermuten. Die Frage nach ihrem hermeneutischen Bildungswissen veranlasst die folgende Studie. In der forschungsgeschichtlichen Zusammenfassung werden v. a. jene Beiträge berücksichtigt, die sich mit der Form und dem Motivbefund im NT sowie in der paganen Literatur beschäftigen. Der erste Zugang befasst sich mit der „neutestamentlichen Hymnenforschung“, die sich seit Lohmeyers Beitrag über Phil 2,5–1115 als Forschungszweig der neutestamentlichen Exegese etabliert hat.16 14 „Die Möglichkeit tritt ins Blickfeld, dass die Apk von einem Judenchristen auf griechischem Boden gezielt für griechische Empfänger nichtjüdischer Herkunft geschrieben wurde. […] Die Öffnung der Apk-Betrachtung für traditions- und religionsgeschichtliche Umfelder auch im nichtjüdischen und nichtchristlichen Hellenismus ist fortzuführen. Sie verspricht namentlich Auskünfte über die Orientierung der Apk an griechisch-hellenistischen Adressaten und an für jene eigentümlichen Traditionen und religiösen Vorstellungen.“ Karrer, Johannesoffenbarung, 62. Ähnliche Fragestellungen thematisieren Schüssler Fiorenza, Offenbarung, 49f und Glonner, Bildersprache, 44. Auf Seite 45 schreibt er zudem: „Eine Adaption der heidnischen Mythologie wäre plausibel, da die Adressaten des Johannes ja inmitten dieser Welt lebten und, soweit Heidenchristen, sicherlich damit vertraut waren.“ Schließlich auch Kennel, Hymnen, 2: „Durchmischung verschiedener kultureller Einflüsse“. 15 Lohmeyer, Kyrios. 16 Einige methodische Vorbemerkungen zur Studie: Bei Zitationen werden Hervorhebungen übernommen und im Einzelfall nicht erneut angemerkt. Die alte Schreibweise mit „ß“ wird bei Zitation automatisch mit „ss“ wiedergegeben, ohne jeden Fall mit [sic!] zu kennzeichnen. Fachtermini aus dem Griechischen werden i. d. R. mit lateinischen Buchstaben geschrieben außer der Begriff ὕμνος. Er soll auf diese Weise vom altkirchlichen „Hymnus“ abgegrenzt werden. Bibelstellen und Aus-
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Einleitung
1.1
Formgeschichtliche Beiträge
Die Forschungsgeschichte bezüglich neutestamentlicher Hymnenforschung ist von unterschiedlichen Problemen durchzogen, deren Ursprung in den Anfängen zu finden ist. Im Folgenden sollen ausgewählte methodische Probleme bei der Untersuchung von ὕμνοι thematisiert werden, um die Relevanz der eigenen Studie herauszustellen. Zunächst wird die antike Literatur betrachtet, bevor die Sichtung aktueller Beiträge daran anschließt. Die Hauptprobleme, denen nachgegangen werden soll, sind einerseits eine terminologische Unschärfe, andererseits eine fehlende Differenzierung von Verwendungsbereichen und Gattungsniveaus. Der erste problematische Aspekt bei der Frage nach ὕμνοι im NT bezieht sich auf die genaue Definition des Begriffs, die die ganze Forschungsgeschichte hindurch ausbleibt. Dies führt zu einem Mangel an Präzision in zahlreichen Studien. Das Begriffsfeld von ὕμνος geht auf die griechische Antike zurück und wird von Anfang an synonym mit anderen Begriffsfeldern verwendet, die jedoch nicht als bedeutungsgleich anzusehen sind. In den Hom. h., die zu den ältesten Zeugnissen zählen, sind ὑμνεῖν, ἀείδειν und Kombinationen wie ὕμνον ἀείδειν belegt.17 Ein weiteres Beispiel für ein synonymes Verständnis stellt das gleichzeitige Auftreten von ἄλλη ἀοιδή18 und ἄλλος ὕμνος19 dar. Homers semantische Voraussetzung ist uneindeutig, da er die Begriffe einerseits synonym verwendet, andererseits in Kombination, was gegen eine Synonymie spricht. Bei Hesiod20 und Bakchylides21 beobachtet man dieselbe Synonymie von ὑμνεῖν und ἀείδειν. Pindar und Thukydides setzen für den Begriff προοίμιον unterschiedliche Definitionen von ὕμνος voraus.22 Als weitere Synonyme kommen ᾠδή und ψαλμός hinzu, die in Kombination mit ὕμνος auftreten.23 Formgeschichtliche Merkmale bzgl. ὕμνος weisen keine Unterschiede zu den Synonymen auf, die bei der terminologischen Präzisierung Abhilfe schaffen könnten. Inhaltlich ist dennoch
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schnitte aus den OH werden ohne konkrete Zahl mit den entsprechenden Artikeln versehen, die bei Nummerierung etc. wegfallen (z. B. „in der Offb“, aber „in Offb 4“; „in den OH“, aber „in OH 27“). Vgl. Thraede, Art. Hymnus, 916. Hom. h. II 495; III 546; IV 580; u. a. Vgl. Lattke, Hymnus, 14. Hom. h. V 293; IX 9; XVIII 11. Vgl. Lattke, Hymnus, 14. Vgl. Lattke, Hymnus, 15. Bakchyl. epin. Vgl. Lattke, Hymnus, 27. Dies lässt sich besonders an der Bewertung der Hom. h. herausstellen. Thukydides bewertet ὕμνος 3 als προοίμιον ἀπόλλωνος und behandelt ihn nicht synonym zur üblichen Definition von ὕμνος, da er damit einen Gesang meint, nicht speziell Lobpreis. Thuk. III 104,4f; vgl. Thraede, Art. Hymnus, 916. Pindar bezeichnet die Hom. h. als rhapsodische προοίμια, Pind. N. II 3. Beispielsweise ist bei Diodor ὕμνοι μετ᾽ ᾠδῆς belegt. Diod. V 46,3. Während in diesem Fall beide Begriffe unterschiedlich konnotiert erscheinen, wird bei Pindar teilweise eine Synonymie der Begriffe vorausgesetzt, denn er bezeichnet einige Siegeslieder als ὕμνοι.
Formgeschichtliche Beiträge
zu erkennen, dass ὕμνοι bei älteren Autoren noch allgemein Gesang meinen, später aber die religiöse Konnotation eines Besingens von Göttern erhalten.24 Insgesamt muss man feststellen, dass griechische Autoren keine gattungsgeschichtlichen Unterscheidungen der einzelnen Begriffe vornehmen, auch wenn das Gegenteil in idealisierender Literatur behauptet wird.25 Die Tendenzen einer Unklarheit des Begriffs werden weitergeführt, als der Begriff ὕμνος in andere sprachliche und religiöse Kontexte übertragen wird. Die lateinische Übersetzung und ihr dazugehöriges Wortfeld ist spät bezeugt,26 hat aber z. B. mit ars poetica des Horaz eine rege Rezeption und Beeinflussung späterer christlicher Hymnik in Gang gebracht.27 Der für die griechischen ὕμνοι typische Lobaspekt wird weitergeführt.28 Man beobachtet eine inhaltliche und teilweise formale Kontinuität zum Griechischen, was auch die terminologische Unschärfe betrifft.29 Die griechischen Synonyme ᾠδή und ψαλμός werden mit canticum bzw. 24 Vgl. Lattke, Hymnus, 20; Norden, Theos, 164, Thraede, Art. Hymnus, 917. Damit einhergehend unterscheidet man zudem ὕμνοι und Enkomien je nach dem Gepriesenen: ὕμνους θεοῖς καὶ ἐγκώμια τοῖς ἀγαθοῖς. Plat. rep. X 607a. Ein weiterer Begriff, der entweder synonym oder mit anderer Bedeutung zu ὕμνος verwendet wird, ist das Wortfeld μέλος, das in solchem Kontext „Melodie“ bedeuten kann. Alkman gebraucht das Wort für seine Dichtungen und kombiniert es mit dem Wortfeld ὕμνος: Καλὸν ὑμνιοισᾶν μέλος. P Oxy. 2387,5. Ein weiteres Beispiel für eine Kombination beider Wortfelder findet sich bei Stesichoros. Vgl. Lattke, Hymnus, 18. Zudem gebraucht Himerios Jahrhunderte später bei der Bewertung der Werke des Alkaios sowohl μέλος als auch ᾠδή. Vgl. Him. or. 28,2; 14,10–11. Euripides weist besonders vielfältige Synonymien auf wie sonst keiner: Er verwendet ὕμνος und μέλος bedeutungsgleich (Eur. Alc. 444–454) sowie ὕμνος und ᾠδή (Eur. Med. 196–197). Außerdem tauchen bei ihm das selten belegte Synonym ψαλμός (Eur. Rhes. 363) und weitere Kombinationen sowie Korrelationen (Eur. Med. 422–430; Cycl. 423) auf. Ein besonders dichtes Beispiel mit mindestens drei verschiedenen Synonymen und der Verwendung des Hapaxlegomenons ἀντίψαλμος ist Eur. Iph. T. 178–185. 25 „[E]ine Gattung des Gesanges waren Gebete an die Götter, welche mit dem Namen von Hymnen bezeichnet wurden, diesen gegenüber stand sodann eine andere, die man gewöhnlich Threnen, Klagelieder nannte […]. Alle diese und noch einige andere Arten hatten nun ihre fest bestimmte Ordnung […].“ Plat. leg. III 700b (Übersetzung Susemihl, Werke). 26 Thraede, Art. Hymnus, 917. Für Kleinasien ist die Übersetzung von ὕμνος mit carmen seit der Regierungszeit des Augustus belegt. Mit Verweis auf das Monumentum Ancyranum vgl. Lattke, Hymnus, 87f. 27 Lattke, Hymnus, 83. Zu beachten ist zudem die Bemerkung von Wünsch, Art. Hymnos, 177: „[…] zum Teil lassen sich noch die griechischen Vorbilder nachweisen […].“ 28 Horaz und Ovid greifen Lob und das damit verbundene Vokabular auf (Synonymie von carmen und laudes, laus, celebrare etc.). Vgl. Lattke, Hymnus, 83–85, ferner 88 für Apuleius. Das bei vielen griechischen Autoren verwendete χαίρειν wird z. B. als lateinisches salvere verwendet. Catull. 146–147. 29 Vgl. Apul. met. 11,25. Dazu Norden, Theos, 157: „Dass nun eine in lateinischer Poesie so feste und verbreitete Form aus dem Griechischen abgeleitet werden muss, ist von vornherein selbstverständlich.“ Eine Kontinuität zeigt sich zudem an den Werken Vergils: Verg. Aen. VI 791–792; 8, 284ff; ferner Hor. carm., das laut Lattke mit Mercurius, Alkios, Pindar und Alkman vergleichbar sei. Vgl. Lattke, Hymnus, 83. Bei Ovid ist zu Beginn von met. 4 ein Dionysoshymnus eingebaut,
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Einleitung
carmen und psalmus übersetzt. Der bereits erwähnte Horaz weist ebenfalls Spuren der griechischen ὕμνοι auf. Die unangebrachte Synonymie der lateinischen Begriffe ist parallel zum griechischen Wortfeld zu betrachten. Die Rezeption des ὕμνος-Begriffs ist besonders im Psalmenkontext der LXX problematisch: Da er dort ein weites Bedeutungsspektrum aufweist, erfährt er einen immensen Bedeutungsverlust. Die Übersetzung der hebräischen Begriffe ist nicht eindeutig an bestimmte griechische Übersetzungen gebunden, sondern variiert stark. Zusätzliche Verwirrung entsteht durch lateinische Übersetzungen, die sich an der LXX orientieren.30 In den griechischsprachigen Schriften des AT, wie z. B. die Zusätze in Dan 3,57–90, werden Sprachelemente des antiken ὕμνος deutlicher übernommen als im Psalter.31 Auch wenn sich im jüdischen Kontext nichts am unpräzisen terminologischen Umgang ändert, ist zumindest eine Kontinuität ursprünglich griechischer Formelemente erkennbar, ohne dass geklärt wird, um welche Elemente es sich genau handelt.32 Das NT greift die griechischen Wortfelder um ὕμνος herum auf und führt die Synonymieproblematik weiter, wenn einerseits in Kol 3,16 und Eph 5,19 die Trias ψαλμοί-ὕμνοι-ᾠδαί genannt wird und dabei der Eindruck unterschiedlicher Bedeutungen entsteht, andererseits z. B. in Offb 5,8 der folgende Gesang mit eindeutigen hymnenartigen Elementen als ᾠδή angekündigt wird und damit ein Indiz für Synonymie darstellt. In christlicher Literatur wird die oben beschriebene terminologische Handhabung fortgesetzt, dabei aber das lateinische Wortfeld gewählt.33 Dabei fällt auf, dass der lateinische Begriff im nichtchristlichen Kontext nicht so stark belegt ist wie im christlichen. Die starke christliche Bezeugung des lateinischen Wortfelds ist ein Grund für die rege Wirkungsgeschichte des altkirchlichen Hymnusbegriffs. Bei
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der formale Parallelen zu griechischen ὕμνοι aufweist. Vgl. Lattke, Hymnus, 85; Spahlinger, Ars, 14–27. Thraede zeigt die verschiedenen Begriffe auf und stellt dabei eine regelrechte „Titelwillkür“ fest. Diese entsteht v. a. aufgrund der Weiterführung der griechischen Synonymie verschiedener Begriffe zu ὕμνος, die für sich genommen eigene Konnotationen aufweisen. Als Beispiel führt Thraede Ps 17 an: Die hebräische Überschrift ְתִּפָלּהtefillah wird mit προσευχή, lateinisch oratio, übersetzt. Dasselbe Wort wird in Ps 72,20 verwendet, aber griechisch mit οἱ ὕμνοι übersetzt, das in den Veteres Latinae wiederum mit psalmus oder canticum übersetzt wird. Vgl. Lattke, Hymnus, 97; Thraede, Art. Hymnus, 918f. Dazu zählen Du- und Er-Prädikationen. Vgl. Thraede, Art. Hymnus, 918; ferner Norden, Theos, 207. Eine Beobachtung in der apokryphen Schrift 3Makk zeigt, dass in 7,16 die häufig synonymen Verben αἰνεῖν und ὑμνεῖν unterschieden werden. Ein anderer Beleg für unterschiedlich konnotiertes Vokabular ist PsSal 15 und 17, wo ψαλμός μετὰ ᾠδῆς genannt wird. Ansonsten liegt in der apokryphen Literatur eine Synonymie der verschiedenen Wortfelder vor. Hil. pict. in Ps 54 tract. 1; Apul. flor. 18.
Formgeschichtliche Beiträge
Betrachtung frühchristlicher Literatur fällt trotz Weiterführung einer willkürlichen Synonymie eine semantische und terminologische Wende auf: Die undifferenzierten Begriffe werden zunehmend mit unterschiedlichen Verwendungszwecken assoziiert. Schon die deuteropaulinische Trias ψαλμοί-ὕμνοι-ᾠδαί wird Differenzierungsversuchen unterzogen.34 Psalmus kristallisiert sich immer mehr als terminus technicus für die Psalmen des AT heraus, wohingegen canticum und hymnus als Begriffe für den gottesdienstlichen Gesang angesehen werden. Im Psalmenkommentar des Augustinus wird außerdem eine Synonymie von hymnus und laus thematisiert und Dan 3,51 LXX als hymnus charakterisiert.35 Cyprian und Isidor assoziieren mit dem Verb hymnum canere/dicere das Singen von AT-Psalmen,36 dagegen weist Thraede auf Apuleius und Aristides hin, die damit einen Redetypen verbinden, eine „laudes dei in gehoben-feierlicher Prosa“.37 Dies zeigt, dass solche Tendenzen nicht einheitlich verlaufen. Gleichzeitig wird die bisherige Vielfalt an Formelementen eingeengt, indem hymnus zunehmend als Lied mit feststehendem Metrum aufgefasst wird.38 Zu der terminologischen Weiterführung treten nun einseitigere Formelemente in den Vordergrund als zuvor. Zu dem Zeitpunkt sind diese Elemente immer noch nicht genau geklärt. In der Sekundärliteratur der letzten Jahre ist die oben beschriebene Unklarheit des Begriffs ὕμνος zwar erkannt, jedoch nicht behoben worden.39 Während im frühen 20. Jh. u. a. noch von ὕμνοι im NT die Rede ist,40 problematisiert man seit den Monographien von Deichgräber, Schille und Wengst sowie dem Aufsatz von
34 Dies versucht Hieronymos, als er in ὕμνοι das Lob des Schöpfers, in Psalmen eine moralische Anleitung als Schwerpunkt sieht. Hier. in Epist. ad Eph. 5,19. Angesichts der in Psalmen vorkommenden Preisungen der Schöpfung scheint eine solche Differenzierung nicht haltbar zu sein. Hieronymos stützt sich insgesamt auf die griechischen Väter, relevant ist an dieser Stelle v. a. Orig. comm. in Eph. 5,19, der aber wiederum Lob auf die Schöpfung in Ps 148 (Orig. epist. 18,1) thematisiert. In Ps 118 wiederum differenziert er die Begriffe ψαλμός und ὕμνος. Orig. in Ps. 118,171. Also liegt auch hier ein unterschiedlicher Befund vor, der Unklarheit dokumentiert. 35 Aug. in Ps. 36 Vgl. Thraede, Art. Hymnus, 921. 37 Thraede, Art. Hymnus, 921. 38 Vgl. Meyer-Sickendiek, Affektpoetik, 99. 39 Löhr stellt z. B. fest: „Our investigation of some of the terminology used in the sources demonstrates that the early Christians had no fixed terminology to designate singing and songs in their communal service. At the same time, however, it becomes clear that praising God and Christ through singing was within their imagination from the earliest times onward.“ Löhr, What can we know, 166f. Zudem sagt Vollenweider: „Offenkundig ist es die unklare Bestimmung der Beschreibungssprache, die zur Aufrichtung von verwirrenden und möglicherweise falschen Alternativen führt – und damit zu wenig ergiebigen exegetischen Schattengefechten.“ Vollenweider, Hymnus, 211. 40 Harnack, Magnificat; Gunkel, Lieder; Innitzer, hymnus; Norden, Theos; Spitta, Magnificat; Weiss, Beiträge.
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Delling den Begriff sowie dazugehörige Erklärungen.41 Zudem kommen synonyme Bezeichnungen in die Debatte, die für sich genommen andere Konnotationen aufweisen. Solche sind häufig „Lied“42 oder „Gebet“43 , ansonsten Begriffe aus Redegattungen wie „Enkomion“44 . Die terminologische Unbestimmtheit der aktuellen Sekundärliteratur ist das Ergebnis der dargestellten Anfänge. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die neutestamentliche Hymnenforschung, die mit Lohmeyer ihren Anfang nahm, sich seit Norden, Weiss und Innitzer der Überwindung der altkirchlichen Engführung und der Berücksichtigung antiker griechischer Maßstäbe bei der Untersuchung neutestamentlicher Passagen widmet. Die Überwindung einer Vereinseitigung von ὕμνοι durch die frühchristliche Tradition muss als eine Errungenschaft anerkannt werden. Insgesamt ist es nicht übertrieben, die bis in die heutige Zeit tradierte terminologische Synonymie als willkürlich zu bezeichnen, da selbst Differenzierungsversuche – bei den Kirchenvätern wie in heutiger Sekundärliteratur – zu Missverständnissen führen. Die dargestellte unangebrachte Synonymie bringt ein weiteres methodisches Problem mit sich: unterschiedliche gattungsgeschichtliche Einordnungen. Diese reichen in die Bereiche Gesang bzw. Dichtung, Gebet und Redetypus. Die Unterschiede haben u. a. Konsequenzen für die Zuordnung von ὕμνοι in den Bereichen der Poesie, Dramaturgie und/oder Prosa.45 Beschäftigt man sich eingehender mit ὕμνοι verschiedener Epochen und Autoren, wird ersichtlich, dass man sich nicht auf einen einzigen Ansatz beschränken kann. Eine mögliche Ursache beleuchtet Käppel46 : Er macht darauf aufmerksam, dass es in der Antike chorlyrische47 ὕμνοι mit prominenten Dichtern wie Sappho, Alkaios, Pindar und Bakchylides gab, gleichzeitig aber auch hexametrische ὕμνοι, die mit Hom. h. ihren Anfang nahmen und epischer Natur waren.48 Während der erste Typ v. a. die Kulthymnendichtung 41 Deichgräber, Gotteshymnus; Delling, Art. ὕμνος; Schille, Hymnen; Wengst, Formeln. Weitere Differenzierungen nehmen Käppel, Gegenstand und Vollenweider, Hymnus vor. 42 Bultmann, Bekenntnis- und Liedfragmente; Burkert, Hymnoi; Hengel, Christuslied; Kathstede, Liturgia; Lattke, Hymnus; Schedtler, chorus; Vielhauer, Geschichte. 43 Alderink, Hymn; Alderink/Martin, Prayer; Bremer, Hymns; Deichgräber, Gotteshymnus; Rouwhorst, Hymns; Thraede, Art. Hymnus; Thurston, Prayer. 44 Berger, Formgeschichte; Russell/Wilson, Menander; Vollenweider, Hymnus. 45 Einseitige Zuschreibungen neutestamentlicher ὕμνοι in der Sekundärliteratur zum Bereich der Poesie nehmen Kennel, Hymnen; Kroll, Hymnendichtung; Lohmeyer, Kyrios; Wengst, Formeln vor. Dagegen macht Schedtler, chorus eine Zuschreibung zur Dramaturgie und Berger, Formgeschichte zu Redetypen. 46 Käppel, Gegenstand. 47 Unter Chorlyrik versteht man Dichtung, die v. a. zu kultischen Anlässen von einem Chor vorgetragen wurde. Es gibt eigenständige Chorlyrik, aber auch als Teil von Tragödien bzw. anderen dramaturgischen Kontexten. Vgl. Schmid, Geschichte, 479. 48 Die Selbstbezeichnung des zweiten Typs war Prooimion, also eine Hommage an die Gottheit, unter deren Gunst der sich anschließende epische Vortrag stehen sollte. Vgl. Käppel, Gegenstand, XII.
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betraf, war der zweite Typ von epischer Erzählkunst geprägt. Anhand einer solchen Unterscheidung kann man festhalten, dass ὕμνοι je nach Verwendungsbereich poetisch oder prosaisch konzipiert wurden. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, einseitige Zuschreibungen vorzunehmen, wie in der neueren Sekundärliteratur häufig zu beobachten ist.49 Aufgrund der unterschiedlichen Verwendungszwecke können sich ὕμνοι z. B. formal unterscheiden. Des Weiteren ist zu beachten, dass eine eindeutige Zuschreibung – also entweder zur Dichtung, Dramaturgie oder Epik – dadurch beeinträchtigt wird, dass rein literarische Texte einen für den Kult gedachten Text imitieren können, z. B. durch kultische Sprache und Thematik.50 Eine solche Vorgehensweise ist von Hom. h. bekannt.51 Eine kontextuelle Zuschreibung von hymnenartigen Texten muss den genannten Unterscheidungsmechanismen unterzogen werden, um möglichst präzise Antworten gewährleisten zu können. Die Sichtung der neueren Sekundärliteratur zeigt neben einseitigen Zuschreibungen differenzierte Ansätze und ein Bewusstsein für ursprünglich verschiedene Verwendungszwecke von ὕμνοι vergleichbar mit Käppels Beiträgen.52 Auch wenn nicht alle die Ursache für prosaische, poetische und dramaturgische Charakteristika bei ὕμνοι herausstellen, wird immerhin die Vielschichtigkeit erarbeitet. Ein weiteres Problem in der Forschungsgeschichte ist die fehlende Unterscheidung von Gattungsniveaus bei der Frage nach ὕμνοι im NT: Während die einen Vertreter ὕμνος als eigenständige Gattung voraussetzen, verstehen die anderen unter dem Adjektiv „hymnisch“ die Beschreibung eines Stils. Der Blick in hymnologische Materialsammlungen zeigt, dass ὕμνος nicht immer eine eigenständige Gattung zu sein scheint, jedoch im Kontext verschiedener Gattungen auftauchen kann und dadurch verschiedene Verwendungszwecke aufweist. Diese Annahmen kann man
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Die Hom. h. beinhalten häufig Vokabular, das die Aspekte Gesang (ἀείδειν, ἀοιδή), Gedenken (μνήσομαι) und Grüßen (χαῖρε, χαίρετε) berücksichtigt. Vgl. Lattke, Hymnus, 14. Die Problematik entsteht v. a. dann, wenn ein ὕμνος aus einem speziellen Bereich, z. B. aus dem Kult, analysiert wird und die Kennzeichen, z. B. kultisches Vokabular, auf den allgemeinen ὕμνος-Begriff übertragen werden. Sobald ein ὕμνος aus einem anderen Kontext zum Vergleich herangezogen wird, z. B. ein rein literarischer, epischer ὕμνος, entsteht ein Widerspruch. Lohmeyer unterschlägt z. B. bei Paulus prosaische Elemente, behauptet aber, Phil 2,5–11 sei „nicht ein Stück gewöhnlicher brieflicher Rede, auch nicht eine rhetorisch gesteigerte Prosa, sondern ein sorgsam komponiertes und bis in alle Einzelheiten hinein abgewogenes strophisches Gebilde, ein carmen Christi in strengem Sinne“. Er blendet zudem aus, dass strophische Strukturen auch in prosaischen Texten vorkommen können. Vgl. Lohmeyer, Kyrios, 7. Jörns setzt zudem einen Gegensatz zwischen „hymnisch“ und „prosaisch“ voraus. Vgl. Jörns, Evangelium, 16. Vgl. Thraede, Art. Hymnus, 928. Diesem Problem widmet sich der Aufsatz von Vollenweider intensiv. Vgl. Vollenweider, Hymnus. Brucker, Songs; Brucker, Christushymnen; Löhr, What can we know; Riesenfeld, Hymnen; Thraede, Art. Hymnus; Wünsch, Art. Hymnos.
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deshalb voraussetzen, weil ὕμνοι einerseits als Teile ganzer Hymnensammlungen belegt sind, andererseits als Abschnitte in gattungsgeschichtlich anderen Texten auftauchen und dort unterschiedliche Funktionen einnehmen.53 Für die neutestamentliche Hymnenforschung ist v. a. der zweite Typ relevant, da kein einziges biblisches Buch ausschließlich aus einem ὕμνος besteht. Auch wenn eine solche Unterscheidung berücksichtigt wird, bleibt ein Problem bestehen: Die Form- und Sprachelemente hymnenartiger Passagen im NT fallen qualitativ und quantitativ unterschiedlich aus. Mal umfassen sie einen Teilsatz, mal erstrecken sie sich über mehrere Verse. Während die eine Passage zu dem Urteil „hymnenhafter Stil“ führt, lässt sich an anderer Stelle formal und sprachlich ein mehr oder weniger abgeschlossener hymnenartiger Text ausmachen. Löhr fasst den heterogenen Gesamtbefund wie folgt zusammen: What becomes clear […] is that ‚hymn‘ is an umbrella term which covers a variety of texts and subgenres.“54 Wünsch, Deichgräber, Jörns und Berger55 erkennen in ihren Arbeiten die oben beschriebene Diskrepanz und versuchen die unterschiedlichen Ansätze und Vorannahmen in Gesamtmodellen zusammenzufassen. Sie bieten hilfreiche Aspekte für das eigene formgeschichtliche Konzept. Im Folgenden werden ihre Theorien zusammengefasst und bewertet: Wünsch beschreibt die Ursache für unterschiedliche ὕμνοι mithilfe von unterschiedlichen Verwendungszwecken: Er thematisiert ὕμνοι als Zauberformeln, Kultlieder, Proömien von Epen und Abschnitte im dramaturgischen Kontext. Dem-
53 Die hymnenartigen Passagen in der Offb werden z. B. zu den Chorliedern in griechischen Tragödien in Analogie gesetzt. Vgl. Brown, Apocalypse; Brewer, influence; Murphy, Babylon; Palmer, drama; Schedtler, chorus; Schüssler Fiorenza, Composition. Sie sind aber auch als Proömien in Lehrgedichten Hesiods, Arats, Vergils und des Lukrez belegt. Gepriesene sind nicht mehr nur Götter, sondern auch personifizierte abstracta und kosmologische Elemente wie die Sterne. Ein besonders prominentes Beispiel stellt der Bakchos-ὕμνος in Ovids Metamorphosen dar. Bewertung nach Thraede, Art. Hymnus, 931f. 54 Löhr, What can we know, 162. 55 Berger, Formgeschichte; Berger, Gattungen; Deichgräber, Gotteshymnus; Jörns, Evangelium; Wünsch, Art. Hymnos.
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entsprechend erklärt er die unterschiedlichen Bestandteile56 und Absichten57 von ὕμνοι. Er unterscheidet in dem Zusammenhang subjektive und objektive ὕμνοι.58 Seinem Ansatz ist dahingehend zuzustimmen, dass er die unterschiedlichen Verwendungszwecke nennt und damit die Differenzen im Aufbau erklären kann. Korrekt ist auch die Erwähnung von ὕμνοι in größeren Gattungszusammenhängen, z. B. in Tragödien. Allerdings sind seine Erklärungen zu künstlich, wenn er die Entwicklung unterschiedlicher ὕμνος-Formen nacheinander beschreibt. D.h. er geht davon aus, dass zunächst magische Zauberformeln existierten, dann kultische ὕμνοι entstanden, erst dann epische Formen aufkamen etc. Es ist dagegen belegt, dass unterschiedliche Formen gleichzeitig aufgetreten sind.59 Deichgräber bietet in seiner Monographie eine Unterscheidung von proklamatorischen und anbetenden ὕμνοι an, da ihm auffällt, dass die eine Gruppe sprachlich im Du-Stil und die andere Gruppe im Er-Stil formuliert ist.60 Er greift dabei Wünschs Theorie von objektiven und subjektiven ὕμνοι auf. Auch wenn eine strikte Trennung von beiden Formen zu künstlich ist, kann seine Theorie die Untersuchung der Offb unterstützen. Ihm ist terminologisch jedoch nicht zu folgen, da er z. B. von „Christushymnen“ spricht, wo streng genommen keine vorhanden sind: Im NT ist kein einziger ὕμνος im strengen Sinne belegt, weshalb man den Begriff nicht anbringen sollte.61 56 Ein Aufbau besteht aus Anrufungen, einer Aufzählung von Machttaten und schließlich einer Bitte. Differenzen entstehen in der unterschiedlichen Quantität der einzelnen Bestandteile. Der Bittaspekt ist z. B. stärker in kultischen Gesängen als in Epen, welche wiederum ausführliche partes epicae besitzen. Zusätzlich werden einige ὕμνοι von musikalischer Begleitung, Gesang, Tanz und Rhythmik getragen, in anderen ὕμνος-Arten bleiben diese ganz oder teilweise aus, da sie gesprochen werden. Die Vortragsform ist außerdem unterschiedlich: einerseits im Chor, andererseits von einer Einzelperson vorgetragen. Er thematisiert auch unterschiedliche metrische Gestaltung. Vgl. Wünsch, Art. Hymnos, 141–146. Ein bisher zu nennender Aspekt ist, dass in epischen ὕμνοι der Bittaspekt ganz wegfallen kann, so z. B. in Hom. h. Vgl. Vollenweider, Hymnus, 217. 57 Er schildert z. B. eine Veränderung der Absicht vom magischen zum kultischen ὕμνος: „Die Aufzählung mehrerer Namen wird als Reverenz vor der Allmacht des Gottes empfunden, der sich in so vielen Formen offenbart. Die Nennung der Eltern wird zum Rühmen der edlen Abkunft; zur Mehrung dieses Ruhmes fügt man wohl auch den Preis der Kinder des Gottes hinzu […]. Der Nennung des Geburtsortes tritt die Aufzählung der Kultorte zur Seite […]. Auch einzelne Taten des Gottes werden gerühmt, in ganz bestimmten, hieratisch festen Formen […].“ Wünsch, Art. Hymnos, 144. 58 In einem subjektivem ὕμνος wird die Gottheit direkt und um die Erfüllung eines persönlichen Anliegens angerufen. In einem objektiven ὕμνος wird über die Gottheit unpersönlich gesprochen und deren Taten beschrieben. Vgl. Wünsch, Art. Hymnos, 142. 59 In Lattkes Materialsammlung wird dies besonders deutlich, da er die verschiedenen ὕμνος-Arten unsortiert wiedergibt. Er legt dagegen Wert auf Chronologie. Vgl. Lattke, Hymnus. 60 Deichgräber, Gotteshymnus, 23. Er meint dabei, dass die Gottheit entweder über die 3. Pers. verkündet wird oder die direkte Ansprache einen anbetenden Charakter erzielt. 61 Er thematisiert z. B. 1Petr 1,3–5; Eph 1,3–14; Kol 1,12–14 sowie weitere Passagen und bezeichnet sie als ὕμνοι.
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Jörns schlägt vor, zwischen ὕμνος als eigenständiger Gattung und als Stilmittel in anderen Gattungen zu unterscheiden. Mit seinem Beitrag wird die Vielschichtigkeit von Hymnenartigkeit im NT erfasst. Zudem bestimme die Absicht des „Sängers“, ob der Gesang als hymnisch bezeichnet werden könne.62 Diesem Ansatz muss an zwei Stellen widersprochen werden: Einerseits zeugen die formgeschichtlichen Beiträge (s. o.) davon, dass die Intention der „Sänger“ sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat, andererseits hängt sie vom jeweiligen Verwendungsbereich ab.63 Zudem ist der Begriff „hymnisch“ problematisch, da er sich nicht vom Nomen ὕμνος unterscheidet und dadurch der Eindruck entsteht, im NT seien klassische ὕμνοι belegt. Es wäre passender, einen Begriff wie „hymnenhaft“ oder „hymnenartig“ zu wählen.64 Ein Jahrzehnt später greift Berger65 Jörns‘ Abstufungstheorie wieder auf, indem er konkrete Formelemente für verschiedene Niveaus von Hymnenartigkeit in literarischen Texten anführt. Er geht davon aus, dass es literarische Quellen gibt, die dem klassischen griechischen ὕμνος entsprechen, solche, die teilweise die Kennzeichen eines klassischen griechischen ὕμνος beinhalten oder nur ein einziges Charakteristikum von ὕμνοι besitzen. Seine Auflistungen sind das Resultat eines Vergleichs vieler literarischer Quellen verschiedenster Kontexte. Da er sich auf verschiedene Beiträge bezieht66 und deren Erkenntnisse weiterentwickelt, ist sein Ansatz am geeignetsten für die Entwicklung eines formgeschichtlichen Konzepts in dieser Studie. Ihm ist außerdem am ehesten zuzustimmen, weil er den klassischen ὕμνος im NT nicht belegt sieht, ausgenommen an zwei Bibelstellen.67 Da seine Abstufungstheorie im weiteren Verlauf dieser Studie detailliert erklärt wird und eine Aufbereitung für die Offb sowie eine kritische Auseinandersetzung erfolgen, wird dies hier nicht weiter zur Sprache gebracht.
62 „Da, wo das rühmende, lobpreisende Moment das eigentliche Anliegen eines Stückes ist, ist die Bezeichnung ‚hymnisch‘ gerechtfertigt, auch wenn Form und Gattung des betreffenden Stückes als Gebet, Eulogie, Doxologie o. ä. bezeichnet werden müssen. Es legt sich von daher nahe, zwischen ‚Hymnus‘ als literarischer Gattung einerseits und ‚hymnisch‘ als intentionalem Charakteristikum […] zu unterscheiden.“ Jörns, Evangelium, 17f. 63 Kult-ὕμνοι haben v. a. die Absicht, eine Bitte zu formulieren, epische ὕμνοι zielen v. a. auf die Bildung einer mythologischen Schilderung im Sinne von Genealogien und Kosmologien ab. 64 Eine solche Terminologie (hymnlike) gebraucht bereits Aune, influence, 109, jedoch nicht konsequent als Ersatz für „hymn“. 65 Vgl. Berger, Formgeschichte; Berger, Gattungen. 66 Deichgräber, Gotteshymnus; Jörns, Evangelium; Norden, Theos; Wünsch, Art. Hymnos etc. 67 „Im Neuen Testament entsprechen diesem Aufbau [des klassischen griechischen ὕμνος, M.S.] nur Act 4,24b–30 und teilweise das Vaterunser (Mt 6,9–13; Lk 11,2–4).“ Berger, Formgeschichte, 239.
Motivanalytische Beiträge
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Motivanalytische Beiträge
Im Anschluss an die bisherigen Probleme und Errungenschaften zur formalen Analyse von ὕμνοι erfolgt eine forschungsgeschichtliche Zusammenfassung von inhaltlichen Analysen der Offb. Motivanalytische Verfahren in der Exegese des NT mehren sich ab den 1990er Jahren. Die bisher erschienenen Publikationen fokussieren sich entweder auf verschiedene Motivtypen oder einen einzigen Typ, widmen sich entweder synchronen Analysen68 oder dem Religionsgeschichtlichen Vergleich und nehmen verschiedene Deutungsschemata sowie den Verständnishorizont der Adressaten in den Blick. Im Folgenden werden die Beiträge der letzten zwanzig Jahre auf diese Aspekte hin zusammengefasst und ausgewertet.69 Für eine Motivanalyse werden Motive in Form von ganzen Erzählschemata, Personen, Orten oder Handlungen zum Untersuchungsgegenstand. Dabei hängt der Umfang vom jeweiligen Exegeten ab. Manche beschäftigen sich gleichzeitig mit mehreren, andere beschränken sich auf nur einen Typ. Frenschkowski70 behandelt ausschließlich eine Narrationsform in der Offb und nimmt dabei das Erzählschema der verborgenen Epiphanie in den Blick. Durch die Konzentration auf einen Motivtyp eröffnet sich die Möglichkeit, möglichst viele Referenzquellen heranzuziehen, die aus verschiedenen religiösen Kontexten stammen. Toth71 sortiert den vorliegenden Motivbefund, da er sich mit mehreren Typen beschäftigt (Personen, Ereignisse, Handlungen, Orte).72 Gallusz73 befasst sich ausschließlich mit dem Motiv des Throns Gottes. Er nimmt quantitative Untersuchungen, komparatistische sowie Kontextanalysen hinsichtlich des narrativen Kontexts vor, der die Funktion des Thron-Motivs herausstellt. Die Intensität einer Motivanalyse durch die Beschränkung auf ein einzelnes Motiv spitzt sich bei Chan74 noch weiter zu als bei Gallusz: Er untersucht das Lamm-Motiv und systematisiert die
68 Unter anderem wird der Terminus „Textimmanenz“ gebraucht. Als Gegenbegriff ist „Texttranszendenz“ zu nennen. Vgl. Sternberg, Film, 225; Stöber, Methoden, 309. 69 Dabei ist zu beachten, dass viele der hier aufgezählten Beiträge mit „Motivanalyse“ nicht immer das meinen, was in dieser Studie unter „Motiv“ und „Motivanalyse“ zu verstehen ist. Häufig geht es zunächst um semantische Arbeitsschritte, die dennoch für die eigene Fragestellung von Relevanz sind und deshalb herangezogen werden. 70 Frenschkowski, Offenbarung. 71 Toth, Tier. 72 Aufgrund terminologischer Ungenauigkeiten fällt dabei auf, dass häufig Lexeme in ihren verschiedenen Wortfeldern, die einer semantischen Untersuchung unterzogen werden sollen, bereits als Motiv bezeichnet werden, so auch bei Toth, Tier. 73 Gallusz, throne motif. Er macht zudem darauf aufmerksam, dass der Begriff des Motivs in der Forschungsgeschichte oft nicht sauber umrissen wird, was zu methodischen Unschärfen geführt hat, vgl. Gallusz, throne motif, 3.12. 74 Chan, Metapher.
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verschiedenen Analysemethoden stärker als seine Vorgänger, da er für die Untersuchung die kulturell-linguistische, sozialgeschichtliche und kirchenpolitische Methode wählt.75 Berger76 beschäftigt sich mit verschiedenen Arten von Lexemen77 , sortiert diese aber nicht. Sowohl das religionsgeschichtliche Textbuch zum NT als auch der doppelbändige Kommentar zur Offb sind davon geprägt, dass er für vereinzelte oder szenisch behandelte Lexeme möglichst viele Referenzquellen aus verschiedenen Kontexten heranzieht. Er stellt aus literarischen Quellen sowie epigraphischen, numismatischen und weiteren historischen Zeugnissen eine umfassende Enzyklopädie zusammen, statt eine Motivanalyse im eigentlichen Sinne vorzunehmen. Die Motive werden im ersten Schritt meistens synchron erklärt und dabei wesentlich einer semantischen Analyse unterzogen, bevor im Sinne des Religionsgeschichtlichen Vergleichs diachrone Schritte erfolgen. Viele Arbeiten bedienen sich dabei möglichst vieler Kontexte zum NT (AT, Hellenistisches Judentum, pagane Religionen, zeitgeschichtliche Gesichtspunkte etc.). Einige beschränken sich auf einen Kontext, sodass eine beträchtliche Anzahl an Publikationen sich mit dem Kaiserkult beschäftigt.78 Toth erarbeitet den Motivbefund ausführlich in seinem Beitrag. Er stellt das Aktantengerüst und die Gliederung von Offb 13 heraus, bevor er die vorkommenden „Motivtypen“ in Dinge, Ereignisse, Personen und Handlungen kategorisiert.79 Erst im zweiten Schritt nimmt er Verknüpfungen mit historischen Begebenheiten vor. Bemerkenswert ist außerdem seine Herausstellung von Elementen des antiken Orakelwesens in der Offb.80 Chan geht es in der sozialgeschichtlichen Analyse ebenfalls um mögliche Einflüsse aus christli-
75 Die drei Analysen sind verbunden mit folgenden Fragestellungen: Was konnte man von der LammMetapher als Adressat der Offb verstehen? Welche Einflüsse kamen von griechisch-römischen, jüdischen und christlichen Kontexten? Was wollte der Seher mit dieser Metapher bei den Adressaten erreichen? 76 Berger/Colpe, Textbuch; Berger, Apokalypse. 77 „Lexem“ ist ein Fachterminus der Linguistik und bezeichnet eine sprachliche Bedeutungseinheit, die „kontextunabhängig auf Erscheinungen der außersprachlichen Wirklichkeit bezogen ist.“ Müller, Lexikon, 162. Bei semantischen Untersuchungen in dieser Studie wird statt „Begriff “ und „Motiv“ der Terminus „Lexem“ verwendet. 78 Ebner, Spiegelungen; Scherrer, Signs; Witulski, Kaiserkult uvm. 79 Vielmehr ist sein Vorgehen zu begreifen als das sorgfältige Anlegen eines semantischen Inventars vor jeglichen motivanalytischen Untersuchungen. Deshalb ist der Begriff „Motivtyp“ auch an dieser Stelle irreführend. 80 Er nennt u. a. das klarische Apollorakel bzgl. Vv.11–17, setzt den ψευδοπροφήτης aus den Vv.12–17 mit dem προφήτης an Orakelstätten in Analogie, die drachenartige Redeweise des ψευδοπροφήτης in V.11 mit dem klarischen Orakelpropheten, die ἀνάβασις des ψευδοπροφήτης in V.1 mit den unterirdischen Räumen der Orakelstätten etc. Er führt über das kleinasiatische Orakelwesen hinaus noch Indizien für das alexandrinische Sarapisorakel an.
Motivanalytische Beiträge
chen und paganen Kontexten.81 Karrer begrenzt sich in seinem Aufsatz nicht auf einen bestimmten Bereich, vergleicht dafür sprachliche Indizien der Offb u. a. mit der antiken Dramaturgie.82 Berger bleibt bei der Heranziehung von paganen Kontexten im religionsgeschichtlichen Textbuch eher unbestimmt, weist in seinem Kommentar jedoch auf die Spuren ägyptischer Apokalyptik hin.83 Je mehr religionsgeschichtliche Kontexte in Beiträgen einbezogen werden, desto stärker verlagert sich der Schwerpunkt von synchroner Untersuchung der Offb auf den Religionsgeschichtlichen Vergleich. Während Toths und Chans Beiträge durch ihre Systematisierung mehr Raum für synchrone Beobachtungen zulassen, bleibt der Religionsgeschichtliche Vergleich beschränkt. Dagegen richtet Berger in seinen Beiträgen den Blick auf möglichst viele Traditionen aus allen zeitgenössischen Kontexten, ohne zuvor ein semantisches Inventar anzulegen. Ein weiterer Aspekt betrifft die Beobachtung von Mehrschichtigkeit.84 Einige Forscher stellen heraus, dass in der Offb verschiedene Traditionen verarbeitet sind. Besonders auffällig sind die Beiträge Karrers, der entgegen der häufig vertretenen Meinung, der metaphorische Befund der Offb sei v. a. jüdisch zu erklären, leichte Abänderungen zu jüdischen Traditionen aufzeigt und alternative Erklärungen aus dem paganen Kontext vorschlägt.85 Die Beobachtung leicht veränderter Sememe86 , die man sonst jüdischen Vorstellungen zuordnet, macht auch Ebner in seinem Aufsatz, der ebenfalls pagane Interpretationsmuster als Alternative anführt.87 Bei ihm spielt der politische Kontext eine stärkere Rolle als bei Karrer. Ein damit
81 Er schließt für die Offb sowohl die Pessachlamm-Theologie des Judentums als auch die AstralwidderTheorie aus. Zudem sieht er als Sitz im Leben die Auseinandersetzung mit dem Kaiserkult. Vgl. Chan, Metapher. 82 Er stellt folgende Beobachtungen heraus: Eulogien und kurze Lieder in der Offb beweisen die rhetorische Kompetenz des Autors, zudem Stilmittel wie die Ausrufe ἰδού und οὐαί. Die rechtliche Dimension göttlicher Zeugnisse ist eine Konvention, die man auch von Quintilian kennt. Die Plagenreihen werden im Kontext antiker Prodigien relevant, die reichhaltige Metaphorik ist vergleichbar mit griechischer Dichtung laut Biguzzi, Giovanni, 101. Die antike Tragödie wird in Offb 18 aufgegriffen und ist vergleichbar mit dem Untergang Trojas bei Euripides. Vgl. Karrer, Motive, 43f. 83 Berger, Apokalypse, 87–89. 84 Damit ist die Überlagerung von verschiedenen Traditionen in einem literarischen Text gemeint, die zu verschiedenen Deutungsansätzen führt. 85 Laut Karrer greift die Offb griechische Traditionen strukturell auf, ohne sie sprachlich zu übernehmen. Ein Beispiel für sprachliche Abweichung ist ἕσθαι statt καθέσθαι bzgl. des Thronenden. Weitere Anspielungen betreffen das veränderte Gottesbild von Zeus. Vgl. Karrer, Gottesbild, 66. 86 Unter Semem wird in der Linguistik die Konstellation von Semen verstanden, also Bedeutungen eines Lexems. Ein Sem ist dagegen eine einzelne Bedeutung eines Lexems. Vgl. Greimas, Semantik. 87 Er erklärt dies anhand der 24 Ältesten, die jüdisch gesehen die Aufgaben der Leviten und Priester kombinieren. Sie haben die dafür gebrauchten Gegenstände in der Hand, also kitharai und Räucherwerk. Die Abweichung veranlasst zur Assoziation mit den Hymnoden im Kaiserzeremoniell. Diese
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verbundener Aspekt ist der Blick auf den Verständnishorizont der Adressaten: Sowohl Karrer als auch Ebner beschäftigen sich mit der Lesekompetenz der Adressaten, indem sie danach fragen, wie diese die dichte Metaphorik der Offb verstanden haben. Die Kompetenzfrage stellt sich auch Chan mit der kulturelllinguistischen Analyse des Lamm-Motivs. Prigent stellt in seinem Kommentar zwar heraus, dass jüdische Motivik in der Offb dominiert, doch aufgrund des kulturell religiösen Kontexts „Hellenistic influences“ nicht ganz ausgeschlossen werden dürfen. Ausgehend von dieser Feststellung fragt er jedoch nicht nach der hermeneutischen Kompetenz der Adressaten, sondern nach der Beeinflussung des Autors.88 Auch Lichtenberger und Frenschkowski stellen in ihren Beiträgen den mehrschichtigen Charakter der Motive heraus.89 Bemerkenswert sind zudem die Ausführungen Freys in seinem ZThK-Artikel, in dem er die Motivik der Offb als polyvalent umschreibt.90 Anhand des Stichworts pastiche faltet Fletcher die autonome Vorgehensweise des Autors der Offb mit vorliegenden Traditionen aus und stellt dabei die Mehrschichtigkeit des konzipierten Texts dar. Sie bezieht sich jedoch schwerpunktmäßig auf jüdisch-alttestamentliche Traditionen und greift auf solche Studien zurück.91 Auf ähnliche Weise befasst sich Huber mit der Herangehensweise, aber auch mit der theologischen Absicht des Autors.92 Besonders bewusst wählt Hongisto eine rezeptionsorientierte Herangehensweise an die Offb, bleibt dabei jedoch theoretisch und nimmt weniger konkrete „real-life frames“
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Verknüpfung unterstützt er historisch durch die belegte Verdopplung von Hymnoden von 12 auf 24 durch Kaiser Hadrian in Smyrna. Vgl. Ebner, Spiegelungen, 108. Vgl. Prigent, Commentary, 50, besonders 50–68. Lichtenberger geht aber nicht auf den hermeneutischen Kontext der verschiedenen Adressatengruppen ein. Vgl. Lichtenberger, Apokalypse, 49. Frenschkowski, Apokalyptik, 191: „Alttestamentliche Prätexte sind natürlich von immenser Wirkmacht (und standen mit Recht in den letzten Jahrzehnten in einem Fokus der Forschung), aber Apokalyptik speist sich nicht nur aus Schrifttheologie. […] In Wahrheit existiert breit gestreut in der hellenistisch-römischen Ära ein Motivspektrum apokalyptischer Einzelmotive, die nicht etwa nur in theologisch-religiösen Systemen, sondern in populären Narrativen, in religiösen Ritualen, zuweilen auch nur als bloße Denkmöglichkeiten existieren.“ Er geht hier sowie in Frenschkowski, Offenbarung nur auf einen Bereich des hellenistisch-römischen Kontexts ein. „Im übrigen [sic!] lässt sich der Sinn ihrer Sprachbilder auch aus alttestamentlichen oder jüdischapokalyptischen Quellen nicht eindeutig bestimmen, jedenfalls nicht so, dass man diese im Sinne einer Äquivalenzrelation in bildlose Aussagen übersetzen könnte.“ Frey, Bildersprache, 166. Der Begriff der Polyvalenz fällt auf Seite 169. „Pastiche is a specific practice of imitation and combination that sits somewhere between original and copy, parody and homage, and collage and mosaic.“ Fletcher, Revelation, 48. Er betrachtet diese als Collagetechnik. Vgl. Huber, Imagery, 53–68.
Zusammenfassung der Forschungsgeschichte
ein.93 Dennoch beachtet er die motivische Mehrschichtigkeit der Offb.94 Konkretere Referenzen sind vielmehr in Whitakers Studie zu lesen, die den paganen Kontext einbezieht. Er vergleicht Lexeme einzelner Visionen mit literarischen Schilderungen der Profanliteratur. Dabei wird jedoch weder ein semantisches Inventar durchgeführt noch das mysterienkultische Phänomen in den Blick genommen.95 Glonner räumt ebenfalls eine motivische Mehrschichtigkeit ein und bezieht diese auf den kulturell-religiösen Kontext der Adressaten. Er thematisiert auch den Hybridcharakter von Einzelmotiven, belässt es jedoch bei Einzelbemerkungen ohne zeitgeschichtliche Bewertung.96 Insgesamt wird die motivische Mehrschichtigkeit der Offb erkannt, jedoch nicht umfassend untersucht. Dabei werden auch die sich daraus ergebenden rezeptionsästhetischen Fragestellungen nicht immer behandelt.
1.3
Zusammenfassung der Forschungsgeschichte
Die formgeschichtlichen Ausführungen des vorangegangenen Kapitels weisen problematische Entwicklungen auf: Einerseits beobachtet man eine heterogene Terminologie des ὕμνος-Begriffs, z. B. durch unangebrachte Synonymien in der griechischen Antike und beim Übergang in andere sprachliche Kontexte. Gleichzeitig bleiben die damit verbundenen Formelemente ungeklärt. Zudem fehlt häufig eine Differenzierung von Gattungsniveaus und Verwendungsbereichen. Problematisch ist außerdem die semantische Verengung des ὕμνος-Begriffs ab den Kirchenvätern. Diese Tendenzen sind noch in der Sekundärliteratur des letzten Jahrhunderts zu beobachten. Dennoch ist anzuerkennen, dass die neutestamentliche Hymnenforschung diese Phänomene erkannt hat und zu überwinden versucht. Sie bemüht sich konkret um die Rückbesinnung auf den Begriff des antiken griechischen ὕμνος bei der Frage nach ὕμνοι im NT sowie um die Entwicklung von Abstufungstheorien. Die Forschungsgeschichte zu motivanalytischen Aspekten zeigt zwar weniger problematische Entwicklungen, dafür verschiedene Schwerpunkte in der Methodik, die kombinierbar sind: Synchrone Analysen in ausführlichen Teiluntersuchungen
93 Hongisto, Apocalypse, 50.66–73. Er bietet immerhin leserorientierte Konzepte auf Basis der formgeschichtlichen Beobachtungen, der narrativen Struktur der Offb sowie des soziokulturellen Umfelds an und gliedert so seine Studie. 94 „An intriguing quality of the Apocalypse is its ability to evoke in the reader possibilities of a variety of reflections.“ Hongisto, Apocalypse, 102. Er bezieht sich an der Stelle zwar v. a. auf die Textsorte, doch wird diese Ansicht in der gesamten Studie mehrfach aufgegriffen. 95 Whitaker, Ekphrasis. 96 Zur Mehrschichtigkeit vgl. Glonner, Bildersprache, 44–45. Er erwähnt auf Seite 166 zudem für Offb 4,8 ein sprachliches Phänomen, das als Hebraismus bewertet wird, zugleich jedoch auch bei Homer zu lesen ist.
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Einleitung
können mit der Methode des Religionsgeschichtlichen Vergleichs kombiniert werden, der unterschiedlich ausführlich durchgeführt werden kann. Weitere Erkenntnisse der forschungsgeschichtlichen Zusammenfassung betreffen die Motivanalyse im Anschluss an die Anlegung eines semantischen Inventars, die Bearbeitung verschiedener synchroner Arbeitsschritte wie Kontextanalysen, komparatistische Analysen und Gruppierungen von Motiven. Hinsichtlich des Religionsgeschichtlichen Vergleichs ist herausgestellt worden, dass eine Mehrschichtigkeit berücksichtigt werden muss. Letztendlich deckt sich dies mit der Realität: Die Situation, in der ein literarischer Text entsteht, stellt das Aufeinandertreffen verschiedener Traditionen dar.
1.4
Ziel und Relevanz der Studie
Die Forschungsgeschichte zu ausgewählten Fragestellungen offenbart Probleme bzgl. des Themas ὕμνος im NT. Der gegenwärtige Trend geht von der Grundannahme aus, im NT keine ὕμνοι zu sehen. Die vorliegende Studie stellt einen Beitrag dar, der die bestehende Hypothese hinterfragen soll. Es geht um eine differenzierte Herangehensweise an ausgewählte Passagen in der Offb mithilfe eines „Abstufungsmodells“: Anstatt ὕμνοι im NT ganz auszuschließen, soll ein solches Modell dazu dienen, teilweise Elemente des griechischen antiken ὕμνος nachzuweisen. Es soll anhand bereits bestehender Ansätze weiterentwickelt werden. Dadurch soll die literarische Nähe der Offb zu zeitgenössischen paganen Texten wie den OH97 herausgestellt werden. Ein Textvergleich zwischen der Offb und den OH ist bisher nicht vorgenommen worden. In der Debatte um literarische Nähe biblischer Texte zu paganer Literatur stellt die vorliegende Studie somit ein Novum dar. Da die aktuellste Gesamtausgabe der OH 1928 erschienen ist, werden eigene Übersetzungen vorgenommen.98 In den letzten Jahren sind vermehrt Beiträge erschienen, die sich mit Motiven in der Offb befassen. Die Innovation dieser Studie besteht in der Rückbesinnung auf griechisch-römische Einflüsse, welche bald nach Aufkommen des Religionsgeschichtlichen Vergleichs als Untersuchungsgegenstand im NT durch andere verarbeitete Traditionen abgelöst worden sind. Angesichts der Tatsache, dass man im kaiserzeitlichen Kleinasien des 1. Jh. von einer erheblichen Anzahl völkerchristlicher Adressaten mit Kenntnis paganer Kulte ausgehen kann, sind Fragestellungen bzgl. paganer Einflüsse in der Offb berechtigt. Diese werden punktuell bei Karrer
97 Die orphischen ὕμνοι werden in dieser Studie mit OH abgekürzt. 98 Plassmann, Orpheus. Die Übersetzung legt den Akzent nicht auf wortgetreue Wiedergabe, sondern auf ästhetisches Deutsch. Eine wortgetreue Übersetzung ist umso notwendiger.
Methodisches Konzept
herausgestellt, der dabei allgemein bleibt. Der motivanalytische Teil der Studie konzentriert sich auf fünf abgeschlossene szenische Einheiten der Offb. Dies hängt mit der reichhaltigen Metaphorik zusammen, die bei einer Gesamtschau nur oberflächlich behandelt werden könnte. Die forschungsgeschichtlichen Beiträge zur Motivik der Offb weisen entweder ein hohes Maß an textimmanenten Analysen oder an Materialsammlungen im Sinne eines Religionsgeschichtlichen Vergleichs auf. In dieser Studie werden dagegen gleichermaßen sorgfältige synchrone Analysen sowie religionsgeschichtliche Aspekte angestrebt. Dabei soll die Forschungslücke der Mysterienreligionen und der Orphik über den Weg der Motivanalyse geschlossen werden. Die dargelegten Detailfragen form- und motivanalytischer Art sollen dabei auf die zentrale Frage nach dem hermeneutischen Bildungswissen der Adressaten der Offb zurückgeführt werden.
1.5
Methodisches Konzept
Die Beantwortung der zentralen Fragestellung soll im Folgenden über zwei Wege erfolgen. Einerseits sollen formale Parallelen zu den OH herausgestellt werden. Durch die zeitliche und geographische Nähe zur Offb bietet dieser Referenztext einen Abriss des zeitgenössischen religiösen Milieus, das von Synkretismus geprägt ist. Andererseits soll eine Motivanalyse vorgenommen werden, die die spezifische Verarbeitung verschiedener Traditionen in der Offb herausstellt. Mithilfe von numismatischen, epigraphischen, archäologischen und sonstigen Funden sollen die Ausführungen mit nachweisbaren paganen Verehrungen in Verbindung gebracht werden. 1.5.1
Formale Analyse
Die formale Analyse der Offb (2) erfolgt in Anlehnung an Jörns gemäß dem formgeschichtlichen Dreischritt Aufbau, Funktion und Herkunft (2.1, 2.2, 2.3), wobei der Aufbau den größten Schwerpunkt einnimmt. Dafür wird insbesondere das Abstufungsmodell von Berger aufgegriffen und für die Offb aufbereitet (2.1.1), bevor es weiterentwickelt wird (2.1.2). Im Anschluss an eine umfassende Materialsammlung aus verschiedenen literarischen Kontexten stellt Berger in drei Kategorien Auflistungen zusammen, die Formelemente von ὕμνοι zusammenfassen. Biblische Texte sind Bergers Konzept nach der zweiten Kategorie zuzuordnen, weil sie keine ὕμνοι im ursprünglichen Sinne darstellen. Die dafür vorgeschlagenen
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Einleitung
Formelemente werden im Folgenden aufgelistet und kurz erläutert. Dabei sind die Formulierungen Bergers zugrundeliegenden Werken entlehnt.99 a) Reihung von Attributen Gottes Die Aufzählung von Attributen Gottes geschieht durch Gottesprädikationen, die einerseits die physis, andererseits die dynamis Gottes loben. Durch die Ansammlung vieler Anrufungen wird die Aufmerksamkeit der für das Gebetsanliegen zuständigen Gottheit gesichert. b) Beschreibung der Herkunft des Gelobten aus Gott Dieser Aspekt wird im jüdisch-christlichen Kontext kaum rezipiert, was sich mit der monotheistischen Art des Gottesverständnisses erklären lässt, und taucht höchstens bei Christusprädikaten in „Christushymnen“ auf (z. B. Kol 1,15.18b). c) Aufzählung der Werke der Gottheit Dieser Punkt macht in ὕμνοι wesentlich den epischen Mittelteil aus und erfüllt neben einer lobpreisenden Funktion auch den rechtfertigenden Zweck, eine Bitte zu erfüllen, die der Hymnode im Anschluss formuliert und auf die der epische Mittelteil hinausläuft.100 Die hier ausformulierten Prädikationen Gottes enthalten oft Wendungen wie ἐκ σοῦ γάρ/„denn (nicht) ohne dich“101 , μόνος-Prädikationen in Doxologien102 und „alles“-Prädikationen. d) Der Gelobte als Anfang, Anführer, Erster Bei Aussagen, die eine Gottheit als ἀρχή, ἀρχηγέτης oder πρώτος umschreiben, soll die Betonung auf der Hoheit der jeweiligen Gottheit ausgedrückt werden.103 e) Schöpfermacht und Weltherrschaft Die Kombination der beiden Aspekte des Schöpfers und Weltenherrschers ist ein Phänomen, das im paganen Kontext oft anzutreffen ist. Beispiele sind der Zeus-ὕμνος des Kleanthes, der Asklepios-ὕμνος des Kleanthes, die Zeus-Rede des Aristides und der ὕμνος auf die Natur von Pythagoras bei Mesomedes.104
99 100 101 102 103 104
Berger, Formgeschichte; Berger, Gattungen. Vgl. Berger, Gattungen, 1156. Vgl. Berger, Gattungen, 1159. Vgl. Berger, Gattungen, 1158. Vgl. Berger, Gattungen, 1160. Vgl. Berger, Gattungen, 1160.
Methodisches Konzept
f) Betonung der Einzigkeit des gepriesenen Gottes Der bei Mesomedes belegte Isis-ὕμνος stellt ein paganes Beispiel dar.105 Im monotheistischen Kontext jüdischer und christlicher ὕμνοι erklärt sich dieser Aspekt von selbst. g) Semantik: Retten und Retter, Licht, Geben, Erlösen und Befreien Ein wichtiger gattungsspezifischer Aspekt ist die Art der Semantik. Zu einer auch für NTὕμνοι typischen Begrifflichkeit gehören nach Keyssner106 ἵλαος, ἵλαθι, ἱλήκειν, ἱλάσκεσθαι, σώζειν, σωτήρ, φώς, διδόναι und ῥύεσθαι. h) Aretalogie im Ich-Stil Eine spezifische Art von göttlichen Prädikationsreihen in ὕμνοι sind solche, die in Ich-Form formuliert sind. So etwas findet man im paganen Kontext z. B. bei Isis-Texten, aber auch im jüdischen Kontext (Sib VIII 361–428). Berger vermutet für diese Art von Aretalogien einen ägyptischen Ursprung. Im NT sind Offb 1,17–18 und 21,6 zu nennen.107 Exkurs: Begriffsgeschichte der Aretalogie An dieser Stelle muss die genaue Bedeutung des Begriffs „Aretalogie“ im Kontext dieser Studie vorgenommen werden, da er in einem Zeitraum mehrerer Jahrhunderte eine semantische Entwicklung durchlaufen hat und deshalb uneindeutig ist: Das Wortfeld ἀρετή κτλ ist in frühester Zeit zunächst im kultischen Kontext bekannt. Es bezieht sich auf die Wundertaten der Götter mythischer Art. So belegen zwei delische Inschriften, dass ägyptische Kultpriester als Aretalogisten mit der Umschreibung des mythischen Wirkens der Gottheiten beauftragt worden sind.108 In hellenistischer Zeit durchläuft der Begriff eine Bedeutungsverschiebung dahingehend, dass nun nicht nur mythische Taten der Götter gepriesen werden, sondern auch ihr konkret historisches Wirken.109 So berichten mehrere Inschriften von „Erlösungstaten“ der Götter wie bei einem Wunder der Athena und vor allem bei Heilungswundern des Asklepios.110 In diesem Kontext wird der Begriff der ἀρετή oft mit dem der δύναμις kombiniert. Trotz dieser semantischen Verschiebung lässt sich die ursprüngliche Bedeutung
105 106 107 108
Vgl. Berger, Gattungen, 1162. Keyssner, Gottesvorstellung, 92.106f.123.124ff. Vgl. Berger, Gattungen, 1162. Ein Kultpriester namens Purgias richtet sich als ἀρεταλόγος κατὰ προστάγμα an Isis, IG XI 4,1263. Ein gewisser Ptolomaios widmet als ὀνειροκρίτης καὶ ἀρεταλόγος eine Inschrift der Isis-Tyche, IG XI 4,2072. Vgl. Du Toit, Art. Aretalogy, 697. 109 Vgl. Du Toit, Art. Aretalogy, 697f; Aly, Aretalogoi, 15–16; Grandjean, arétalogie, 1–8. 110 Syll.3 1131; IG IV 12 ,128.
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Einleitung
in Schriften hellenistischer Zeit nachweisen. In lateinischen Texten der Kaiserzeit ist eine weitere semantische Verschiebung erkennbar, die den Begriff der Aretalogie um die negative Konnotation einer unglaubwürdigen Erzählung ergänzt. Juvenal und Sueton verstehen unter dem Begriff „Aretalogist“ unseriöse Märchendichter.111 Die heutige Forschung bezieht den Begriff der Aretalogie vor allem auf die ersten begriffsgeschichtlichen Phasen und ordnet ihm einen religiösen Kontext zu. Dabei unterscheidet sie zwischen prosaischen Texten vornehmlich auf Inschriften und Papyri, die ein konkretes Wunderwirken einer Gottheit bezeugen, und hymnischen/enkomiastischen Texten, in denen sowohl das Wesen als auch das Wirken einer Gottheit gepriesen werden, wobei diese sich gerade nicht auf Wunder beziehen.112 Wenn in dieser Studie der Begriff der Aretalogie verwendet wird, bezieht er sich auf die positive Konnotation des Begriffs, wie er in den ersten begriffsgeschichtlichen Phasen verwendet worden ist, und dabei auf Aretalogien im preisenden Kontext. Aretalogien im Kontext der Offb werden zudem auf ihren kultischen Charakter hin untersucht. In Anlehnung an das bergersche Konzept werden in dieser Studie dynamis und physis einer Gottheit nicht gänzlich voneinander getrennt betrachtet, jedoch nur dann als Aretalogie bezeichnet, wenn es um die dynamis einer Gottheit geht.
Im Anschluss werden die OH und die Orphik kurz eingeführt (2.1.3) und einige methodische Vorüberlegungen angestellt (2.1.4), bevor die OH anhand des bergerschen Modells aufbereitet werden (2.1.5). Dafür werden einzelne ὕμνοι ausgewählt, bei denen formale Beobachtungen besonders herausstechen. An dieser Stelle ist methodisch anzumerken, dass die OH aufgrund eines höheren Niveaus von Hymnenartigkeit anhand des bergerschen Konzepts einer anderen kategorischen Einstufung unterzogen werden. Daraufhin kann ein literarischer Vergleich zwischen Offb und OH vorgenommen werden (2.1.6). Das bergersche Abstufungsmodell verdient schließlich eine kritische Würdigung (2.1.7). Im Anschluss an die Untersuchung des Aufbaus erfolgt ein Abschnitt über die Funktion der in der Offb verstreuten Passagen (2.2). Der Grund für einen solchen Arbeitsschritt liegt in der Beobachtung, dass die Verse gattungsgeschichtlich anders einzuordnen sind als der apokalyptische Visionsbericht, in den sie eingebettet sind. Dabei werden die hymnenartigen Passagen in der Makrostruktur der Offb untersucht (2.2.1), bevor sich eine thematische Zusammenschau der Visionsschilderung daran anschließt (2.2.2). Daraufhin werden beide Textebenen miteinander verglichen (2.2.3) und weitere Beobachtungen ihres Zusammenhangs herausgestellt (2.2.4). Schließlich erfolgt die Thematisierung des Zusammenhangs von himmlischen Gesängen und Visionsschilderung aus der Perspektive des Autors (2.3). Dieser
111 Iuv. Sat. XV 16; Suet. Aug. 74. 112 Vgl. Du Toit, Art. Aretalogy, 699.
Methodisches Konzept
Aspekt ist literarkritisch zu hinterfragen und knüpft an die textlichen Beobachtungen des Arbeitsschrittes „Funktion“ an. Ausgehend von den in 2.1 und 2.2 erarbeiteten Erkenntnissen ist nach der Einheitlichkeit des Texts der Offb zu fragen. In einem Zwischenfazit (2.4) werden die Ergebnisse der formalen Analyse zusammengetragen und ein erster Antwortversuch auf die Frage nach literarischen Analogien mit Blick auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Offb angestrebt. 1.5.2
Motivanalyse
Die Motivanalyse (3) ist eine entscheidende Herangehensweise zur Beantwortung der zentralen Fragestellung. Die formale Analyse allein kann nicht überzeugend genug eine Nähe zu paganen Vorstellungen und literarischen Quellen herausstellen. In der Motivanalyse wird die Konzentration auf fünf szenische Ausschnitte relevant, deren Auswahl zunächst begründet werden muss (3.1). Durch die Textauswahl bietet es sich an, ein „semantisches Inventar“ zu erstellen. Dieses wird an den ausgewählten Kapiteln der Offb vorgenommen (3.2.1–5). Für die Offb machen die Wortfelder „Personen und Attribute“, „Handlungen“ und „Orte“, „Zeitangaben und Zahlensymbolik“ sowie „wörtliche Rede“ Sinn.113 Neben der Untersuchung unterschiedlicher Wortfelder nehmen verschiedene Untersuchungstypen einen Schwerpunkt der Motivanalyse ein. Dabei ist zu beachten, dass die Lexeme für eine semantische Erschließung einerseits gruppiert, andererseits im Kontext betrachtet werden müssen (3.2.6). In Anlehnung an Chans drei Herangehensweisen bei der Lamm-Metapher wird die Motivanalyse von folgenden Fragestellungen begleitet: Was konnte auf welche Weise von den Adressaten der Offb verstanden werden und welche griechischrömischen Einflüsse spielen dabei eine Rolle? Bei der zweiten Frage interessieren v. a. die griechischen Mysterienreligionen und der typisch kleinasiatische Synkretismus des 1. Jh.n. Chr.114 Dementsprechend wird eine dreifache soziologische Motivanalyse angestrebt (3.3): Die soziolinguistische Analyse besteht aus einer begriffsgeschichtlichen Zusammenfassung der gesammelten Begriffe. Dabei wird ein Abriss der gesamten Profangräzität vorgenommen und besonderes Augenmerk auf die OH gelegt. Die darauffolgende soziorhetorische Analyse betrachtet die Verarbeitung desselben Motivs im NT und in der Offb, um die Rezeption der
113 Unter dem Begriff „Wortfeld“ ist in dieser Studie eine „Gruppe von unterschiedlichen, nicht vom selben Stamm abgeleiteten Wörtern mit inhaltlicher Zusammengehörigkeit, die ein Inhaltsfeld, einen Sinnbezirk umgrenzen“, gemeint. Er ist zu unterscheiden von „Wortfamilie“, die etymologisch verwandte Wörter zusammenfasst. Müller, Lexikon, 254. 114 Es ist zu beachten, dass Gallusz in seiner Motivanalyse ebenfalls solche Fragestellungen formuliert. Vgl. Gallusz, throne motif, 3.
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Einleitung
Begriffsgeschichte durch den Verfasser der Offb zu ermitteln.115 Als Drittes wird eine soziokulturelle Analyse an dem Motiv mit der Frage vorgenommen: Welche Wirkung erzielt der vom Verfasser der Offb konzipierte Text bei den Adressaten und inwiefern konnten die Signale erkannt werden? Der soziologische Dreischritt wird in den fünf Kapiteln der Offb für jedes Lexem durchgeführt (3.3.1–5). Im Anschluss wird ein für den Verfasser der Offb typisches Phänomen anhand von drei Beispielen erläutert (3.3.6).116 Die zusammenzutragenden Aspekte bleiben für sich genommen hypothetisch ohne historisches Fundament. Deshalb sollen historische Belege herangezogen werden (3.4), die die herausgestellten Motive und ihre rezeptionsästhetische Relevanz für die Adressaten bestätigen.117 Konkret geht es um den Nachweis zeitgenössischer kleinasiatischer Kulte, die den Adressaten der Offb bekannt gewesen sein müssen. Aufgrund ihrer repräsentativen Bedeutung für den Nachweis paganer Religiosität ist zunächst nach numismatischen Funden zu suchen (3.4.1), bevor epigraphisches (3.4.2) sowie archäologisches Material (3.4.3), Plastiken (3.4.4) und Kleinfunde (3.4.5) herangezogen werden.118 Wichtig ist die Kombination verschiedener Zeugnisse, um die Historizität einer Verehrung gewährleisten zu können.119 In einem Zwischenfazit (3.5) wird das vielseitige Material der Motivanalyse zusammengefasst und ihr Ertrag für die zentrale Fragestellung geklärt. 115 Das ist der eigentlich motivanalytische Schritt, denn ein Terminus wird zum Motiv durch die Herausstellung spezifischer Semantik in der christlichen Subkultur Kleinasiens. Vgl. Gallusz, throne motif, 13f; Freedman, motif, 123–131; Frenzel, Symbolforschung, 27–33. Weil alle Arbeitsschritte dieses Kapitels darauf hinauslaufen, wird es mit dem Titel „Motivanalyse“ bezeichnet. 116 Es ist an dieser Stelle zu präzisieren, was genau der Begriff „Motiv“ bedeutet, da er äußerst vielschichtig ist. „Motiv“ wird einerseits für traditionelle Vorstellungskomplexe verwendet, die entweder begrifflich gefasst oder durch eine Handlung bzw. Situation umschrieben werden. In diese Richtung geht u. a. der Motivbegriff bei Ebner/Heininger, Exegese, 71. Andererseits wird der Begriff „Motiv“ für semantische Spezialisierungen eines Lexems innerhalb einer Subkultur gebraucht. Vgl. Gallusz, throne motif, 13; Freedman, motif, 127–128; Frenzel, Symbolforschung, 27–29. Im Kontext neutestamentlicher Motivanalyse wird vor allem die zweite Bedeutungsebene relevant. Vgl. Mehring, Motivkritik, 236. In dieser Studie wird ebenfalls die zweite Bedeutungsebene für den Begriff „Motiv“ vorausgesetzt. 117 Zimmermann betont die Wichtigkeit bezogen auf Epitheta, doch im Grunde ist es auf sämtliche religiöse Aussagen auszuweiten: „Götterbezeichnungen im Sinne von Epitheta sind eng an konkrete historische Kulte gebunden und erfüllen eine bestimmte soziale Funktion.“ Zimmermann, Namen, 11. 118 „Münzen eignen sich besonders gut für die Untersuchung der Kulte einer Stadt, denn sie sind ein offizielles Medium einer Stadt in ihrer Selbstdarstellung nach außen und gegenüber ihren Bürgern […].“ Lichtenberger, Kulte, 2. 119 Das Problem besteht in den nicht mehr vollständig erhaltenen archäologischen Heiligtümern, die aber bei antiken Geschichtsschreibern noch erwähnt und auf Münzen sowie Inschriften belegt sind. Die Zusammenschau mehrerer Zeugnisarten kann diesem und anderen Problemen somit Abhilfe verschaffen.
Methodisches Konzept
Am Ende der Studie erfolgt ein Gesamtfazit (4), das die Ergebnisse resümiert sowie einen Ausblick weiterführender Aspekte für die Zukunft der Forschungsdebatte gibt.
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2.
Formale Analyse
Der erste Hauptteil beschäftigt sich mit der Untersuchung formaler Charakteristika jener Textpassagen in der Offb, die durch hymnenartige Elemente auffallen. Dafür werden Aufbau, Funktion und Herkunft1 dieser Verse analysiert. Dieser dreifache Arbeitsschritt bezieht den Gesamtbestand der Offb ein, da die spezifischen Formelemente der Offb in ihrem Kontext deutlicher herausstechen. Vorab muss geklärt werden, welche Passagen als hymnenartig einzustufen sind. Des Weiteren ist der Untersuchungsumfang einzugrenzen. Dies ist deshalb vonnöten, da sich durch die Sichtung des bergerschen Konzepts eine unübersichtliche Anzahl betroffener Verse ergibt: Ein Vers wird als relevant erachtet, sobald dieser einem einzigen Formelement der bergerschen Liste entspricht. Berger selbst gibt bei seinem Konzept keine Auskunft darüber, ob die von ihm angeführten Formelemente unterschiedliches Gewicht erhalten oder wie viele erfüllt sein müssen, um sie der zweiten Kategorie seines Konzepts zuzuordnen.2 Dies ist im Rahmen dieser Studie nachzuholen. Um die unübersichtliche Menge hymnenartiger Elemente einzugrenzen, wird das Grundgerüst klassischer griechischer ὕμνοι berücksichtigt, das sich durch die gesamte Forschungsgeschichte hindurch bewährt hat: Viele forschungsgeschichtliche Beiträge beobachten in klassischen griechischen ὕμνοι eine dreigliedrige Struktur, die je nach Inhalt quantitativ unterschiedlich aussehen kann. Sie besteht aus den Bestandteilen „Anrufung“, „Rechtfertigung“ und „Bitte“.3 Mit der Anrufung, griechisch ἐπίκλησις, lateinisch invocatio, wird die korrekte Ansprache an die für das Anliegen zuständige Gottheit gesichert. Unter Rechtfertigung ist daraufhin die Aufzählung von Taten, Machtbehauptungen gegen andere Gottheiten und das Verhältnis zu ihnen sowie die Erzählung bereits
1 Dieser formgeschichtliche Dreischritt ist von Jörns inspiriert. Vgl. Jörns, Evangelium. Unter „Aufbau“ ist die Anordnung bestimmter Formelemente gemeint, die analysiert werden sollen. Im Kapitel über die „Funktion“ wird redaktionskritisch die Verarbeitung jener Formelemente im Gesamttext, unter „Herkunft“ die Frage nach der verfasserischen Einheit des Gesamttexts betrachtet. 2 Bergers Konzept ist ein Abstufungsmodell, bei dem die neutestamentlichen Schriften der zweiten Kategorie zuzuordnen sind. Es handelt sich um Textstellen, die hymnenartige Elemente aufweisen, jedoch keine eigenständigen ὕμνοι darstellen. 3 Dieses Dreierschema geht auf Ausfeld, quaestiones zurück. Neuere Beiträge, die sich damit befassen, sind Alderink, Hymn, 190–194; Alderink/Martin, Prayer, 123–127; Brucker, Christushymnen, 347; Schabow, Königreich, 113 in Bezug auf Bremer, Hymns, 193f. Auf Seite 196 nennt dieser die drei Bestandteile „invocation, argument, and petition“. Deichgräber erklärt v. a. die Elemente Lobpreis (im Abschnitt der Rechtfertigung) und Bitte und dessen Vorkommen in jeder Religion mit ihrem anthropologischen Kern. Vgl. Deichgräber, Gotteshymnus, 21.
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Formale Analyse
erfüllter Gebetsanliegen gemeint, die das aktuelle Anliegen des ὕμνος legitimieren sollen. Die anschauliche Beschreibung von physis/morphe und dynamis/erga4 der gepriesenen Gottheit wird auch Ekphrasis genannt.5 Die hier aufgeführten Punkte laufen wie ein Fluchtpunkt in eine formulierte Bitte zusammen, die den eigentlichen Anlass des gesamten ὕμνος darstellt. Ein weiteres Kennzeichen von ὕμνοι ist die direkte Ansprache der Gottheit (2. Pers. Sg. oder Pl.) oder eine indirekte Adressierung (3. Pers. Sg. oder Pl.). Zudem liegt die Aufmerksamkeit auf der gepriesenen Gottheit.6 Aufgrund der Sprechrichtung werden in der Offb auch jene Verse beachtet, die in der direkten Rede oder in Briefform formuliert sind.7 Zur weiteren Eingrenzung werden wörtliche Reden formal untersucht, die Gott und das Lamm zum Dialogpartner haben. Dies erklärt sich mit der Tatsache, dass in griechischen ὕμνοι nicht Menschen, sondern Götter die Gepriesenen darstellen. Die sich durch diese Vorüberlegungen ergebenden Textpassagen in der Offb sind: 4,8c; 4,11; 5,9b–10; 5,12b; 5,13b; 7,10b; 7,12; 11,15b; 11,17f; 12,10b–12; 15,3b–4; 16,5b–6; 16,7b; 19,1b–2; 19,3; 19,5b; 19,6b–8.
Dieser Textbestand kann noch durch die Vv.1,4–8; 21,6 und 22,13 ergänzt werden, die im briefartigen Rahmen der Offb zu finden sind. Dort ist die „direkte Rede“ nicht in den narrativen Kontext integriert, sondern in den Kontext einer Briefeinleitung. Sender und Empfänger entsprechen nicht den Figuren in der Erzählung, sondern dem Verfasser der Offb und den Adressaten der Schrift. Im Folgenden wird für die Klärung des Aufbaus das bergersche Konzept für die Offb aufbereitet, da die Anwendung auf ein gesamtes biblisches Buch bisher nicht vorgenommen worden ist.8
4 So fasst Berger die Themen des epischen Mittelteils von ὕμνοι zusammen. Vgl. Berger, Gattungen, 1152. In dieser Studie werden die Begriffe physis und dynamis übernommen. 5 Neben der kunsthistorischen Bedeutung ist die Ekphrasis ein terminus technicus antiker Rhetorik und „[a] speech that brings the subject matter vividly before the eyes.“ Webb, Ekphrasis, 1. Vgl. dazu auch Heffernan, Museum, 21, wo die homerische Ekphrasis als „narrative“ und „verbally framed“ beschrieben wird. 6 Vgl. Deichgräber, Gotteshymnus, 22 in Anlehnung an Westermann, Loben, 22: „Im Loben bin ich ganz auf den gerichtet, den ich lobe; das bedeutet notwendig in diesem Augenblick ein Wegsehen von mir.“ 7 Die sprachliche Form, in der ein Brief verfasst wird, stellt eine einzige direkte Rede dar. 8 Berger zählt in der Formgeschichte des NT lediglich die Kriterien für drei verschiedene Kategorien auf, ohne sie zu erläutern: Die Kennzeichen, die er der ersten Kategorie zuordnet, sind in klassischen griechischen ὕμνοι belegt. Die Kennzeichen, die er der zweiten Kategorie zuordnet, ähneln denen der ersten Kategorie, sind aber in Quellen zu finden, die keine ὕμνοι sind. Deshalb wird in dieser Studie der Begriff „hymnenartig“ für entsprechende Beobachtungen in der Offb verwendet. Der
Aufbau
2.1
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Die folgenden Ausführungen basieren auf der zweiten Kategorie des bergerschen Konzepts, dessen Formelemente in der Einleitung bereits aufgelistet und kurz erläutert worden sind. Da sie für die Offb aufgegriffen werden, bedarf es einerseits der Anwendung mit anschließenden Ergänzungen und Vorbehalten, andererseits der kritischen Auseinandersetzung bzgl. Handhabung und Relevanz. Dementsprechend setzt die Untersuchung des Aufbaus bei der Aufbereitung der zweiten Kategorie an. Die Anwendung der Formelemente auf die Offb ist deshalb unerlässlich, da Berger für die aufgelisteten Kriterien vereinzelte Bibelstellen aus dem gesamten NT nennt, ohne sie konkret anzuwenden. 2.1.1
Aufbereitung des bergerschen Konzepts für die Offb
Die einzelnen Formelemente werden mit a) bis h) gekennzeichnet und fallen quantitativ unterschiedlich aus. Dies lässt sich mit den spezifischen Eigenarten der Offb erklären. Hierbei sind die Punkte a) und c) von besonderer Relevanz: die Reihung von Gottes- und Christusprädikaten, die als Epitheta9 bezeichnet werden, sowie Aretalogien der Werke Gottes. Die Überschriften sind von Berger übernommen und werden gegebenenfalls erklärt.10 a) Reihung von Attributen Gottes
Für den klassischen ὕμνος sind Reihungen, in denen göttliche Attribute im Sinne von Beinamen aneinandergereiht werden, elementar. Berger zählt sie zu den Formelementen, die ebenfalls in neutestamentlichen Schriften eingesetzt werden. Bei einer Vielzahl von Gottheiten sollen dadurch Verwechslungen vermieden wer-
Begriff „hymnisch“ erweckt zu sehr den Eindruck, dass die zu untersuchenden Texte klassische griechische ὕμνοι darstellen. Zur dritten Kategorie rechnet Berger alle Quellen, die nur ein einziges hymnenartiges Charakteristikum aufweisen. Das Problem ist, dass er für die einzelnen Kriterien der zweiten Kategorie, die für die Offb relevant wird, punktuelle Beispiele aus dem NT angibt, ohne das jeweilige hymnenartige Formelement konkret anzuwenden. 9 „Als Epitheta gelten diejenigen ‚Beiworte‘, die einen göttlichen Beinamen näher qualifizieren.“ Zimmermann, Namen, 34. Ferner verhelfen sie zu einem Brückenschlag zwischen abstrakter Gottheit und religiösem Alltag. Vgl. Gladigow, Art. Gottesnamen, 1228. 10 Die Titel sind an die Formulierungen Bergers für die zweite Kategorie seines Konzepts angelehnt. Vgl. Berger, Formgeschichte, 240. Auch die Gliederung mit Buchstaben geht auf Berger zurück und wird in dieser Studie übernommen. Bei den Prädikationsformeln mischt Berger griechische und deutsche Begriffe (Alles-Prädikation, aber μόνος-Prädikation). Dies ist zur Kenntnis genommen worden, wird aber unverändert übernommen.
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Formale Analyse
den, da sie den „Aspekt“11 der Gottheit präzisieren und von anderen Gottheiten abgrenzen sollen.12 Solche Aufzählungen von Beinamen tauchen am häufigsten im Anrufungsteil eines ὕμνος auf. Deshalb ist die grammatikalische Form der einzelnen Attribute zumeist vokativisch und tritt zusammen mit Imperativen wie ἔλθε oder mit Verben in der 1. Pers. Sg./Pl. wie κικλήσκω auf. Der Gebrauch von Imperativen weitet die einfache Anrufung zu einer Herbeirufung der Gottheit aus. Zudem werden Reihungen im Mittelteil von ὕμνοι bei der Beschreibung von physis und dynamis der Gottheit verwendet. Sie sollen nicht nur den „Wirkungsbereich“ eines Gottes präzisieren wie im Anfangsteil, sondern auch die Gottheit gnädig stimmen sowie daran erinnern, in welchen Situationen sie bereits gewirkt hat. Solche Attribute können ebenfalls im Vokativ stehen, aber auch in Partizipial- und Relativkonstruktionen.13 Im Folgenden wird die Offb im Hinblick auf die verschiedenen Arten von Reihungen untersucht. Bei der Reihung von Attributen Gottes in der Offb beobachtet man unterschiedliche Arten. Einerseits gibt es paraphrasierende Reihungen: Gott und Christus werden in ihren göttlichen Aspekten und Wesenseigenschaften umschrieben (Typ 1). Andererseits werden solche Attribute in Reihungen nachgewiesen, die Gott und Christus entweder bereits besitzen oder die ihnen zuteilwerden sollen (Typ 2).14 Die verschiedenen Reihungen werden getrennt betrachtet, da v. a. grammatikalische sowie funktionale Unterschiede zu erkennen sind. Sie werden zudem chronologisch sortiert, d. h. nach Versen geordnet. Gleichzeitig werden diejenigen Verse zusammengefasst, in denen dieselbe Reihung auftritt. Falls Abweichungen vorliegen, werden diese thematisiert. Textkritische Bemerkungen werden nur dann angeführt, wenn sie relevante Veränderungen nach sich ziehen.15 In der Offb entsprechen sechs Reihungen Typ 1: ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόμενος (Offb 1,4b)
11 Unter „Aspekt“ ist in dem Kontext ein Wesens- oder Charakterzug einer Gottheit gemeint. Göttliche Aspekte sind z. B. Schöpfertätigkeit, Vater- oder Mutteridentität, kriegerisches Wesen etc. 12 Vgl. Zimmermann, Namen, 33. 13 Vgl. Norden, Theos, 166–176. Zur grammatikalischen Form von Epitheta allgemein und speziell im NT auch Zimmermann, Namen, 20–21.23. 14 Norden nimmt eine Unterscheidung bei Gottes-Epitheta im NT mithilfe der Begriffe „essentiell“ (das Wesen der Gottheit betreffend) und „dynamisch“ (die Werke der Gottheit betreffend) vor. Vgl. Norden, Theos, 221; so auch Berger, Gattungen, 1152.1165. 15 Die textkritischen Bemerkungen sind jeweils dem apparatus criticus der jeweiligen Bibelstellen entnommen. Da dafür durchgehend NA28 herangezogen wird, werden die Ausführungen nicht im Einzelnen zitiert.
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Die erste Reihung findet man nicht im apokalyptischen Hauptteil, sondern im briefartigen Beginn der Offb. Die zweite Verbform steht in der 3. Pers. Sg., wohingegen die anderen Formen als Partizipien offenbleiben. Die Reihung wirkt somit proklamatorisch nach der Definition von Deichgräber.16 Die drei Bestandteile der Reihung haben folgende grammatikalische Formen: Die erste Verbform ist ein Partizip Präsens in nominativischer Form. Die zweite Form ist ein indikativer Imperfekt in der 3. Pers. Sg. Die letzte Form ist wiederum ein Partizip, diesmal eine Mediumform im Nominativ. An dieser Stelle fällt auf, dass es sich bei den Formen um keine Genitive handelt, die man nach der Präposition ἀπό erwarten würde.17 Dieser sprachliche Bruch ist anscheinend absichtlich vorgenommen worden, um die absolute Autonomie Gottes zu artikulieren.18 Auffällig ist, dass bei der Reihung die letzte Form herausfällt, da sie eine Form von ἔρχομαι und nicht von εἰμί darstellt. Die drei Zeitformen – wenn man ἔρχομαι trotz der vorliegenden Präsensform futurisch interpretiert – drücken Gottes Wesenseigenschaft der Ewigkeit aus. ὁ μάρτυς, ὁ πιστός, ὁ πρωτότοκος τῶν νεκρῶν καὶ ὁ ἄρχων τῶν βασιλέων τῆς γῆς (Offb 1,5)
Die zweite Reihung steht ebenfalls im Briefproömium und bezieht sich auf Christus, sodass die aufgezählten Attribute als Christus-Epitheta bezeichnet werden können. Bemerkenswert an dieser Christus-Reihung ist, dass sie aus mehr Elementen besteht als die anderen angeführten Reihungen. An dieser Stelle fällt der nominativische Charakter der Epitheta auf. Im Kontext der Offb erwartet man Genitivformen, da sich die Reihung auf ἀπὸ Ἰησοῦ Χριστοῦ bezieht.19 Sie ist mit dem grammatikali-
16 Diverse Minuskeln, M (ar) und weitere Textzeugen fügen vor ὁ ὢν noch θεοῦ ein. Diese Ergänzung verändert die Reihung in ihrer theologischen Bedeutung nicht, sondern ist wahrscheinlich nachträglich eingefügt worden. Dadurch wird sichergestellt, dass Gott mit der „Dreizeitenformel“ in Verbindung gebracht wird. Dass θεοῦ ursprünglich nicht vorgesehen war, zeigt die Vielzahl älterer Textzeugen: Papyrus 18, allerdings nicht sicher (ut videtur), ansonsten mehrere Majuskeln und weitere Textzeugen. Die „Dreizeitenformel“ ist eine sprachliche Wendung, bei der Gottes Wissen um die gesamte Weltgeschichte ausgedrückt werden soll. Diese Formel ist bereits bei Hom. Il. 70 und Hes. theog. 31f.38 belegt, später bei Ov. met. I 517f und dann ins hellenistische Judentum aufgenommen worden. Vgl. Karrer, Johannesoffenbarung, 156f. 17 Vgl. BDR §143; Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 362; Rienecker, Schlüssel, 611. 18 „[…] perhaps to indicate that God is not subject to change.“ Harrington, Apocalypse, 74. Zahn schätzt die Verbformen als beabsichtigte „Indeclinabilia“ ein. Vgl. Zahn, Offenbarung, 11; ferner Karrer, Offb, 214; Ladd, Revelation, 24; Satake, Offenbarung, 128; Prigent, Commentary, 115: „beyond the bounds of grammatical restriction“. Beale sieht darin den Code für „God’s sovereign guidance“. Beale, book, 187. 19 Dies erklärt sich mit der Bezogenheit auf den grammatisch autonom artikulierten Gott. Vgl. BDR §136²; Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 362; Rienecker, Schlüssel, 611.
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schen Bruch in 1,4 zu verbinden.20 Die Textstelle ist textkritisch gesehen unauffällig, da bei ὁ πρωτότοκος τῶν νεκρῶν lediglich ein ἐκ ergänzt wird. Die Wesenseigenschaften, mit denen Christus in dieser Reihung versehen wird, sind einerseits seine Treue und seine Wahrhaftigkeit, weil er ein Zeuge ist. Andererseits erhält er den Wesensaspekt des Lebendigwerdens nach dem Tod und die oberste Weltherrschaft. κύριος/κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ, ὁ ἦν καὶ ὁ ὢν καὶ ὁ ἐρχόμενος, ὁ παντοκράτωρ (Offb 1,8b; 4,8c; 11,17f)
Die dritte Reihung ist nominativisch außer im ersten Glied in 11,17, wo der Vokativ κύριε nachgewiesen wird. Dieser zieht wiederum Nominativformen nach sich. Selbst die Partizipialformen der Dreizeitenformel, die in der Offb in abgewandelter Form verwendet wird, sind nominativisch statt vokativisch. Da in 1,8b der Nominativ κύριος steht, wirkt die Reihung proklamatorisch. Dies wird durch den Kontext unterstützt, denn die Passage folgt auf eine wörtliche Rede, welche durch λέγει, also eine Verbform in der 3. Pers. Sg., eindeutig abgeschlossen ist. Zudem fällt in diesem Vers eine Besonderheit auf: Während παντοκράτωρ sonst in Kombination mit κύριος ὁ θεός steht, wird es an dieser Stelle durch die Dreizeitenformel von den anderen beiden Attributen getrennt. 4,8c ist ebenfalls proklamatorisch und besitzt nur nominativische Formen. Für 4,8c ist eine textkritische Bemerkung anzuführen: In MK und 046 wird als alternative Lesart das Trishagion zu einem neunmaligen, in *אzu einem achtmaligen Heiligruf. Eine weitere textkritische Bemerkung betrifft 11,17: Dort geben Papyrus47(*).c sowie אalternativ die Nominativform mit Artikel ὁ κύριος statt die artikellose Vokativform κύριε an. Zusätzlich sieht P47 im Anschluss daran ὁ θεός vor, sodass eine Glättung in der Reihung entsteht: Es ergibt drei gleich gebildete Epitheta: ὁ κύριος ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ. Die bezeichnende Artikellosigkeit des Begriffs κύριος als Eigenname entfällt dabei. Durch παντοκράτωρ erhält Gott den Aspekt des Weltherrschers,21 der analog zum Christus-Epitheton ὁ ἄρχων τῶν βασιλέων τῆς γῆς zu verstehen ist. In vielen Reihungen wird κύριος ohne Artikel verwendet, wodurch die griechische Übersetzung der hebräischen Umschreibung von JHWH ausgedrückt wird. Gott erhält durch dieses Epitheton außerdem den Aspekt, Eigentümer von allem zu sein bzw. Macht über alles zu haben.22
20 Anders Beale, der darin das Bemühen des Autors um eine direkte Bezugnahme auf Pss 88(89), 38(37) erkennt. Vgl. Beale, book, 192. 21 Vgl. Aune, Revelation, 57f; Karrer, Offb, 227. 22 Zu den sprachlichen Besonderheiten der drei Bibelstellen vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 363.371.383; Rienecker, Schlüssel, 611.615.621.
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ὁ κύριος ὁ θεὸς ἡμῶν (Offb 4,11)
Bei der vierten Reihung in 4,11 fällt auf, dass trotz der direkten Anrede Gottes durch die sogenannte ἄξιος-Formel, die der Reihung unmittelbar vorausgeht, die folgenden Attribute nicht im Vokativ stehen, sondern nominativisch sind.23 Zudem sticht der Artikel vor κύριος heraus, da er mit Blick auf die gesamte Verwendung in der Offb einen der wenigen Ausnahmefälle darstellt.24 Der textkritische Blick zeigt, dass eine Vokativform belegt ist, allerdings bei Textzeugen frühestens aus dem 7. Jh. (P 1854 MA syh ). Eine weitere alternative Lesart bietet beide Formen hintereinander an: κύριε ὁ κύριος. Diese Version ist im Codex Sinaiticus belegt. Zusätzlich steht in einigen Minuskeln, in den Koine-Handschriften der Offb und in syrh** am Ende der Reihung noch ὁ ἅγιος. Bemerkenswert an den Epitheta dieser Reihung ist das Possessivpronomen nach θεός: Der Gepriesene wird zu einem Gott, zu dem die Preisenden eine persönliche Beziehung haben. κύριος ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ (Offb 15,3b; 16,7b; 19,6b)
Die fünfte Reihung ist in drei Versen belegt. Es ist auffällig, dass das Attribut παντοκράτωρ, das Gottes Herrscheraspekt ausdrückt, insgesamt nur in Kombination mit κύριος ὁ θεός auftaucht, wohingegen die anderen beiden Attribute auch einzeln oder in Zweierkombination verwendet werden.25 Zu den betreffenden Textstellen sind keine textkritischen Besonderheiten anzumerken außer für 19,6b: Die Reihung wird in *אumgestellt und vor κύριος der Artikel ὁ eingefügt (ὁ θεὸς ὁ κύριος ἡμῶν). Die bezeichnende Artikellosigkeit bei dem Attribut κύριος wird aufgehoben.26 Die einzelnen Bestandteile stellen Nominativformen dar.27 ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν, ὁ ὅσιος (Offb 16,5b–6)
Der sechsten Reihung geht erneut eine direkte Anrede voraus, bevor in nominativischer Form die Reihung auftaucht. Allerdings wird sie mit δίκαιος εἶ eingeleitet
23 Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 371. 24 Als grammatikalische Erklärung führen Haubeck und Siebenthal die Ersatzkonstruktion eines Nominativs mit Artikel statt des Vokativs an. Vgl. BDR §147; Gradl, Buch, 230; Haubeck/ Siebenthal, Schlüssel, 469. 25 Die Bezeichnung κύριος steht mit Possessivpronomen in 11,15, in 15,4 als Vokativ. Der Begriff θεός steht mit Possessivpronomen in 7,10.12; 12,10; 19,1 und 19,5. 26 Die Version im Fließtext setzt ἡμῶν in eckige Klammern und ist in P, diversen Minuskeln, in MK , lateinischen, syrischen und sahidischen Handschriften belegt. 27 Zu den sprachlichen Besonderheiten vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 392.393.402; Rienecker, Schlüssel, 626.631.
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und nicht mit der ἄξιος-Formel. Die verwendeten Attribute entsprechen teilweise der Dreizeitenformel, doch wird das dritte Element durch ὁ ὅσιος ausgetauscht. Dessen Verwendung ergibt im Erzählkontext mehr Sinn als ἐρχόμενος, ebenso wie das Adjektiv δίκαιος gegenüber ἄξιος: Der himmlische Gesang in 16,5b–6 erklingt im Kontext eines Gerichtsurteils, nicht als Herrscher-Akklamation.28 In dieser abgeänderten Form wird die Formel u. a. als „judgment doxology“ bezeichnet.29 Auffällig sind alternative Lesarten für diese Reihung: Die letzten beiden Glieder fallen recht variabel aus.30 Die einzige alternative Lesart, die die Aussage verändert, ist ὅς ἦν ὅσιος, da dadurch Gottes Heiligkeit in die Vergangenheit verlagert wird. Das Imperfekt von εἰμί und die Umschreibung Gottes als ὅσιος stehen eigentlich in unterschiedlichen Zeitformen. Der Titel ὅσιος beschreibt Gott als den Anderen, der sich vom Profanen unterscheidet31 und zugleich eine Intoleranz gegenüber dem Bösen zeigt.32 Die zweite Art von Attributen Gottes und Christi (Typ 2) erscheint ebenfalls in Form von Reihungen, d. h. diese werden in den hymnenartigen Gesängen meistens in aufgezählter Form an Gott und das Lamm gerichtet. Die grammatikalische Konstruktion, in der diese Art von Attributen steht, ist entweder ein Nominalsatz mit Dativus possessivus oder eine Kombination mit dem Verb λαμβάνειν. Bei der ersten Konstruktion stehen die Epitheta im Nominativ, bei der zweiten im Akkusativ. Zudem kann die erste Konstruktion als Doxologie charakterisiert werden.33 Für die zweite Konstruktion fällt eine einzigartige Verwendung von Verben auf, die sich von paganen Beispielen unterscheidet.34 Zunächst werden die Passagen untersucht, die die Struktur einer Doxologie aufweisen. Daraufhin werden die Verse mit λαμβάνειν angeführt.
28 Vgl. Beale, book, 817. 29 Aune, Revelation, 885 in Anlehnung an Deichgräber, Gotteshymnus, 45.56; ferner Berger, Formgeschichte, 238. 30 Während die im Fließtext übernommene Version im Codex Sinaiticus belegt ist sowie in P 051 MA und sa, werden die Alternativen ὅς ἦν ὅσιος (P47 046. 2329 MK ), ὅς ἦν καὶ ὅσιος (P47 2329), ὁ ἦν καὶ ὁ ὅσιος (1006. 1841. 2053. 2062) und ὁ ἦν ὅσιος (A C 1611. 1854) angeboten. 31 Vgl. Beale, book, 817: „God’s sovereign uniqueness“. 32 Vgl. Prigent, Commentary, 467. Somit wird das Epitheton zum Kennzeichen des sich nun vollziehenden Gerichts, zur „depiction of final judgment“. Bauckham, Judgment, 59. 33 Deichgräber erklärt die Bestandteile einer Doxologie, die er als kurzen Lobspruch definiert, folgendermaßen: Die Empfänger des Lobs stehen im Dativ, das doxologische Prädikat im Nominativ. Oft schließen Doxologien mit der Ewigkeitsformel εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων ἀμήν ab. Vgl. Deichgräber, Gotteshymnus, 25. 34 In paganer Literatur ist z. B. der Imperativ δίδου belegt, durch den an die gepriesene Gottheit eine Forderung gestellt wird. Vgl. Keyssner, Gottesvorstellung, 55. Stattdessen ist in der Offb eine Anerkennung an die Gottheit formuliert, jene aufgezählten Attribute zu besitzen, die auf λαμβάνειν folgen.
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ἡ δόξα καὶ τὸ κράτος (Offb 1,6)
Zunächst muss eine Passage aus dem Briefproömium angeführt werden, in der eine doxologische Reihung zu lesen ist. Der Empfänger des Lobs wird durch αὐτῷ angedeutet, was sich auf Christus bezieht. Dieser wird in 1,5 genannt (καὶ ἀπὸ Ἰησοῦ Χριστοῦ). Die Doxologie wird durch die Ewigkeitsformel abgeschlossen. Die Reihung selbst weist keine textkritischen Besonderheiten auf.35 ἡ εὐλογία καὶ ἡ τιμὴ καὶ ἡ δόξα καὶ τὸ κράτος (Offb 5,13)
Die zweite doxologische Reihung besteht aus vier Attributen. Diese werden in den Reihungen der Offb mehrmals aufgegriffen: εὐλογία kommt insgesamt dreimal vor (5,12.13; 7,12), τιμή viermal (4,11; 5,12.13; 7,12), δόξα fünfmal (4,11; 5,12.13; 7,12; 19,1) und κράτος einmal (5,13). Die Doxologie weist zwei Empfänger des Lobs auf (τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῷ θρόνῳ καὶ τῷ ἀρνίῳ). Der hymnenartige Abschnitt ist somit an Gott und das Lamm gerichtet.36 ἡ εὐλογία καὶ ἡ δόξα καὶ ἡ σοφία καὶ ἡ εὐχαριστία καὶ ἡ τιμὴ καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ ἰσχύς
(Offb 7,12)
Die dritte doxologische Reihung besteht aus sieben Attributen, welche gegenüber den ersten Reihungen um die Epitheta σοφία, εὐχαριστία, δύναμις und ἰσχύς erweitert werden. Das Epitheton σοφία ist neben 7,12 noch in 5,12 belegt, δύναμις kommt in den Reihungen 4,11; 5,12; 7,12; 12,10 und 19,1 vor, also insgesamt fünfmal. Der Begriff ἰσχύς ist schließlich in 5,12 und 7,12 belegt. Der Empfänger des Lobs wird durch das Syntagma τῷ θεῷ ἡμῶν ausgesagt. Der Gesang richtet sich somit nur an Gott. Die zweite Art von Reihung, in der die Attribute Gott und dem Lamm zuerkannt werden, kommt zweimal in der Offb vor (4,11; 5,12). λαβεῖν τὴν δόξαν καὶ τὴν τιμὴν καὶ τὴν δύναμιν (Offb 4,11)
35 Nur die abschließende Ewigkeitsformel wird unterschiedlich belegt: Als Alternative wird die abgekürzte Form εἰς τοὺς αἰώνας ἀμήν angeboten (P18 A P 2050 bo). Die Version des Fließtextes ist in zahlreichen Handschriften belegt (C, viele Minuskeln, M latt sy Did). 36 Für diesen Vers sind alternative Lesarten belegt: Einerseits wird der Dativ im doxologischen Prädikat ἐπὶ τῷ θρόνῳ durch einen Genitiv ersetzt (א P 1006. 1611. 1841. 2053 MA ). Beide Formen sind mit „auf “ übersetzbar. Andererseits ergänzen einige Handschriften ἀμήν nach der Ewigkeitsformel (046 M). Diese Textstelle ist bezeichnend, da ἀμήν in 5,14 eigentlich narrativ nachgestellt ist (A P 1006. 1611. 1841. 1854. 2050. 2053. 2329. 2344. 2351).
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Für die vorliegende Reihung liegen keine textkritischen Besonderheiten vor. Auffällig ist, dass der Infinitiv eine Aoristform darstellt. Der hier verwendete Aorist ist ingressiv zu verstehen, also als Anfangspunkt, und bezieht sich konkret auf die Machtergreifung Gottes.37 λαβεῖν τὴν δύναμιν καὶ πλοῦτον καὶ σοφίαν καὶ ἰσχὺν καὶ τιμὴν καὶ δόξαν καὶ εὐλογίαν
(Offb 5,12)
Für diese Textstelle gibt es textkritische Varianten: Zahlreiche Minuskeln sowie MK ergänzen vor πλοῦτον den Akkusativ-Artikel τόν. Fraglich ist, warum nur vor diesem Epitheton ein Artikel hinzugefügt wird, bei den restlichen jedoch nicht.38 In dieser Reihung werden neue Attribute verarbeitet, deren gesamtes Vorkommen geklärt werden muss: πλοῦτος kommt in Reihungen nur an dieser Stelle vor, σοφία ist neben 5,12 noch in 7,12 belegt.39 ἡ σωτηρία καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἡμῶν καὶ ἡ ἐξουσία τοῦ χριστοῦ αὐτοῦ
(Offb 12,10)
Diese und folgende Reihung sind weder der ersten noch der zweiten Form zuzuordnen. Sie fallen formal heraus, da sie weder doxologisch noch mit λαβεῖν strukturiert sind. Textkritische Varianten betreffen die Anordnung des Epithetons σωτηρία: In der Minuskel 1854 wird es anstelle von βασιλεία gesetzt, in P47 anstelle von ἐξουσία. Zwei Epitheta werden um Genitive erweitert: ἡ βασιλεία wird durch τοῦ θεοῦ ἡμῶν spezifiziert, ἐξουσία durch τοῦ χριστοῦ αὐτοῦ. Neue Attribute sind σωτηρία (belegt in 12,10 und 19,1b in einer Reihung, ansonsten in 7,10 als einziges doxologisches Prädikat), βασιλεία (neben 12,10 auch in 11,15 belegt, aber nicht als Reihung) und ἐξουσία (in einer Reihung nur in 12,10).
37 Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 371; Rienecker, Schlüssel, 615. 38 Zu vermuten ist der doppeldeutige Charakter des Begriffs. Eventuell könnte sonst darunter die Gottheit Πλούτων missverstanden werden. Solch ein Missverständnis entsteht v. a. durch das Hören der Offb (1,3). 39 An dieser Stelle schlägt Hoffmann eine Einteilung der Epitheta in zwei Gruppen vor: Die ersten vier Epitheta bezögen sich auf die Vollmachten, die das Lamm zur Herrschaftsausübung erhielt („received in order to reign“), die letzten drei Epitheta seien Gründe für die Anbetung des Lammes. Vgl. Hoffmann, destroyer, 157. Dabei ist allerdings zu fragen, ob die Konnotationen der einzelnen Epitheta bzgl. der Aspekte des Herrschens und der Anbetung so scharf voneinander getrennt werden können. Abgesehen davon gibt es keine sprachlichen Indizien dafür, diese Unterscheidung vorzunehmen: Der Infinitiv λαβεῖν drückt keineswegs aus, dass die ersten vier Christusprädikate in der Vergangenheit bereits erlangt worden sind. Es artikuliert bestätigend den rechtmäßigen Empfang der Epitheta.
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ἡ σωτηρία καὶ ἡ δόξα καὶ ἡ δύναμις (Offb 19,1b)
Textkritisch fällt auf, dass einige Handschriften nur δύναμις belegen ( *אund ar sowie in 4 2 3 1 046. 1854. 2030 MK und gig), andere Handschriften belegen δόξα καὶ ἡ τιμή καὶ ἡ δύναμις (2329 [syh ] bo). Diese Dreierkombination ist in 4,11 z. B. im Fließtext zu lesen. 19,1b wird durch eine solche Ergänzung 4,11 angeglichen. Dieser Vers beinhaltet wiederum eine Aufzählung, die sich formal von den anderen unterscheidet: Sie steht nicht im Kontext einer Doxologie, doch die Attribute stehen im Nominativ. Die detaillierte Sichtung der einzelnen Aufzählungstypen und verschiedener Epitheta beweist, dass die Belege in der Offb deutliche Unterschiede zu paganen Beispielen aufweisen. Insbesondere der zweite Typ von Reihungen ist vom Lobaspekt getragen. Überdies ist der Gebrauch des Verbs λαβεῖν ungewöhnlich, im Gegensatz zum pagan üblichen Imperativ δίδου. Die mit λαβεῖν verbundenen Epitheta besitzen eine positive Bedeutung. Durch sie wird ersichtlich, dass die Preisenden Gott und das Lamm mit rühmenden Ausdrücken anbeten. b) Beschreibung der Herkunft des Gelobten aus Gott
Aufgrund des monotheistischen Gottesbildes ist dieses Formelement in der Offb als irrelevant einzustufen. Im NT kann dieser Aspekt höchstens bei christologischen Aussagen relevant werden. Auf die Offb angewandt müssten also jene hymnenartigen Passagen geprüft werden, die an das Lamm gerichtet sind. Dort findet sich mit einer Reihung von Christus-Prädikaten nur ein genealogischer Hinweis. In V.6 wird Gott als Vater zugeordnet. An anderen, nicht hymnenartigen Textstellen kann man aus Jesu Mund selbst die Bezeichnung „Vater“ vernehmen, ansonsten aus dem Mund des Visionärs.40 Weder die Herkunft des Lammes noch genealogische Bemerkungen sind zu finden. V.6 bildet die einzige Ausnahme und ist nicht spezifisch genug.41
40 Offb 2,28; 3,5; 3,21; 14,1. 41 Der Vaterbegriff wird nicht eindeutig exklusiv gebraucht, indem das Lamm von der Schöpfung abgegrenzt wird. Das Epitheton ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως in 3,14 ist zweideutig zu verstehen: Einerseits wird impliziert, dass Christus als erster geschaffen wurde und somit Teil der Schöpfung ist, andererseits greift Gott selbst den Begriff in 21,6 und 22,13 für seine Ursprunghaftigkeit auf (ἐγώ εἰμι … ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος). Dadurch rückt das Lamm ontologisch gesehen in die Nähe Gottes. Ein weiteres Indiz, das für Unklarheit sorgt, ist das Sitzen auf dem Thron: Christus verheißt in 3,21 den νικῶντες das Sitzen auf dem Thron zusammen mit ihm (ὡς κἀγὼ ἐνίκησα καὶ ἐκάθισα μετὰ τοῦ πατρός μου ἐν τῷ θρόνῳ αὐτοῦ). Dadurch, dass er das „Mitsitzen“ der νικῶντες mit seinem „Mitsitzen“ auf Gottes Thron in Analogie setzt, bleibt eine kategoriale Unterscheidung Christi vom Rest der Schöpfung aus. Mit dieser Problematik setzt sich auch Hoffmann, destroyer, 134–152 ausführlich auseinander.
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c) Aufzählung der Werke der Gottheit
In Punkt a) ist bereits eine Art von Aufzählung thematisiert worden, bei der die Wesenseigenschaften einer Gottheit in den Blick genommen werden. Die Aufzählung göttlicher Taten wird Aretalogie genannt. Auf die Offb angewandt erscheint es sinnvoll, die Werke des Gepriesenen zunächst zu sammeln und in ihrer Gesamtheit zu betrachten, weil sie einen thematischen Zusammenhang aufweisen. Es sind sowohl die Werke Gottes als auch des Lammes zu berücksichtigen, da beide die Gepriesenen der hymnenartigen Passagen darstellen: ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα καὶ διὰ τὸ θέλημά σου ἦσαν καὶ ἐκτίσθησαν (Offb 4,11b) ὅτι ἐσφάγης καὶ ἠγόρασας τῷ θεῷ ἐν τῷ αἵματί σου ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους καὶ ἐποίησας αὐτοὺς τῷ θεῷ ἡμῶν βασιλείαν καὶ ἱερεῖς, καὶ βασιλεύσουσιν ἐπὶ τῆς γῆς (Offb 5,9b–10) ἐγένετο ἡ βασιλεία τοῦ κόσμου τοῦ κυρίου ἡμῶν καὶ τοῦ χριστοῦ αὐτοῦ, καὶ βασιλεύσει εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων (Offb 11,15) ὅτι εἴληφας τὴν δύναμίν σου τὴν μεγάλην καὶ ἐβασίλευσας. καὶ τὰ ἔθνη ὠργίσθησαν, καὶ ἦλθεν ἡ ὀργή σου καὶ ὁ καιρὸς τῶν νεκρῶν κριθῆναι καὶ δοῦναι τὸν μισθὸν τοῖς δούλοις σου τοῖς προφήταις καὶ τοῖς ἁγίοις καὶ τοῖς φοβουμένοις τὸ ὄνομά σου, τοὺς μικροὺς καὶ τοὺς μεγάλους, καὶ διαφθεῖραι τοὺς διαφθείροντας τὴν γῆν (Offb 11,17b–18) ἄρτι ἐγένετο ἡ σωτηρία καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἡμῶν καὶ ἡ ἐξουσία τοῦ χριστοῦ αὐτοῦ, ὅτι ἐβλήθη ὁ κατήγωρ τῶν ἀδελφῶν ἡμῶν, ὁ κατηγορῶν αὐτοὺς ἐνώπιον τοῦ θεοῦ ἡμῶν ἡμέρας καὶ νυκτός. καὶ αὐτοὶ ἐνίκησαν αὐτὸν διὰ τὸ αἷμα τοῦ ἀρνίου καὶ διὰ τὸν λόγον τῆς μαρτυρίας αὐτῶν καὶ οὐκ ἠγάπησαν τὴν ψυχὴν αὐτῶν ἄχρι θανάτου (Offb 12,10b–11) ὅτι μόνος ὅσιος, ὅτι πάντα τὰ ἔθνη ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου, ὅτι τὰ δικαιώματά σου ἐφανερώθησαν (Offb 15,4) ὅτι ταῦτα ἔκρινας, ὅτι αἷμα ἁγίων καὶ προφητῶν ἐξέχεαν καὶ αἷμα αὐτοῖς [δ]έδωκας πιεῖν, ἄξιοί εἰσιν (Offb 16,5b–6) ὅτι ἀληθιναὶ καὶ δίκαιαι αἱ κρίσεις αὐτοῦ· ὅτι ἔκρινεν τὴν πόρνην τὴν μεγάλην ἥτις ἔφθειρεν τὴν γῆν ἐν τῇ πορνείᾳ αὐτῆς, καὶ ἐξεδίκησεν τὸ αἷμα τῶν δούλων αὐτοῦ ἐκ χειρὸς αὐτῆς (Offb 19,2) ὅτι ἐβασίλευσεν κύριος ὁ θεὸς [ἡμῶν] ὁ παντοκράτωρ (Offb 19,6b) ὅτι ἦλθεν ὁ γάμος τοῦ ἀρνίου καὶ ἡ γυνὴ αὐτοῦ ἡτοίμασεν ἑαυτὴν καὶ ἐδόθη αὐτῇ ἵνα περιβάληται βύσσινον λαμπρὸν καθαρόν·τὸ γὰρ βύσσινον τὰ δικαιώματα τῶν ἁγίων ἐστίν (Offb 19,7b–8)
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In der Aufzählung von Werken Gottes und des Lammes werden folgende theologische Themen behandelt: Gott hat alles aus freiem Willen geschaffen (4,11).42 Das Wirken des Lammes wird in 5,9b–10 in einem Dreischritt beschrieben: Es hat einen Sühnetod erfahren, durch den die Erlösung und Heiligmachung von Menschen erwirkt worden ist.43 In 11,15 treten Gott und das Lamm die ewige Weltherrschaft an.44 Zwei Verse später erfolgt thematisch erneut der Herrschaftsantritt Gottes, der sein Wirken in der Welt offenbart hat. Die Gottesherrschaft wird mit seinem Zorn und einem Gericht der Toten gekoppelt. Gott erscheint als gerechter Richter. Die Attribute, die Gott und Christus bisher gewünscht worden sind, werden beiden in 12,10 zuteil, da der κατήγωρ τῶν ἀδελφῶν „hinabgeworfen“, d. h. entmachtet worden ist. Somit ist der Triumph Gottes und des Lammes sowie der ἀδελφοί erreicht. Als Konsequenz des endgültigen Triumphs erfolgt in 15,4 die universale Anbetung Gottes.45 Die folgenden Textstellen 16,5b–6 und 19,2 greifen erneut das gerechte Gericht Gottes auf. Es wird an allen Stellen positiv dargestellt, da es als Erlösung von ungerechten Verhältnissen wahrgenommen wird. In 19,6b wird erneut der Herrschaftsantritt Gottes thematisiert sowie der Durchbruch der eschatologischen Endzeit in Form der Hochzeit des Lammes. Für eine sorgfältige Untersuchung der Aufzählung von Werken ist es hilfreich, die verwendeten Verben zu analysieren, da durch sie die Taten Gottes und des Lammes ausgedrückt werden. Anhand der grammatikalischen Untersuchung wird deutlich, wie Gott und das Lamm handeln und welches Gottesverständnis die Preisenden bei der Verwendung bestimmter Verbformen voraussetzen.46 Es fällt auf, dass die grammatikalischen Formen zumeist Vergangenheitsformen sind: In 4,11 kommen ἔκτισας, ἦσαν und ἐκτίσθησαν vor. Die Zeitformen sind Aorist, Imperfekt und Aorist.47 Das Schöpfungswirken 42 Bei der Aufzählung der Werke Gottes in 4,11 begegnet ein hysteron-proteron: Zuerst erscheint das Verb ἦσαν, bevor ἐκτίσθησαν zu lesen ist. Das Stilmittel zur Umkehrung logischer Abfolgen ist in der Offb gebräuchlich. Vgl. Aune, Revelation, 312; Ansonsten taucht es außerhalb der hymnenartigen Passagen auf (3,17; 5,2; 6,4 etc.). 43 Jörns sieht den Dreischritt, der besonders durch die Dreiheit der Verben ἐσφάγης - ἠγόρασας ἐποίησας ausgedrückt wird, als Argumentation für die messianische Identität des Lamms. Vgl. Jörns, Evangelium, 165. 44 Jörns begreift den Antritt der endgültigen Weltherrschaft Gottes und des Lammes als Theophanie der Endzeit. Vgl. Jörns, Evangelium, 165. 45 Jörns spricht von „eschatologische[r] Wallfahrt“. Jörns, Evangelium, 165. 46 In einer Studie Mathewsons wird anhand einer Verbanalyse vor dem Hintergrund diskursanalytischer Überlegungen diese Aussage präzisiert: Der Gebrauch von Verbformen gibt Aufschluss über das göttliche Handeln aus der Sicht des Autors. So schließt Mathewson aus dem mehrheitlichen Gebrauch der indikativen Aoristform bei göttlichen Handlungen: „[T]he aorist grammaticalizes the author’s conception of a process as perfective. That is, the action is viewed in its entirety from a perspective external to the action.“ Vgl. Mathewson, aspect, 51. 47 Da die Aoristformen indikativisch sind, kann man sie als Vergangenheitsform übersetzen. Vgl. BDR §331; Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 371; Rienecker, Schlüssel, 615.
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Gottes steht in der Vergangenheit.48 Die verwendeten Verben in 5,9b–10 ἐσφάγης, ἠγόρασας und ἐποίησας sind bereits zur Sprache gekommen und stellen indikative Aoristformen dar. Das Erlösungswirken des Lammes wird somit ebenfalls retrospektiv gepriesen.49 In 11,15 wird die Form ἐγένετο verwendet, welche eine Aoristform darstellt. Die zweite Form βασιλεύσει kann entweder als Futur oder als Konjunktiv Aorist bestimmt werden. Hier ist die futurische Option korrekt, da auf das Verb die Ewigkeitsformel folgt.50 Durch diese wird impliziert, dass der beschriebene Sachverhalt – also die göttliche Herrschaft – auch für die Zukunft gilt. In 11,17–18 werden zahlreiche Verben verwendet: Während εἴληφας als Perfektform eine Ausnahme darstellt, dominieren indikative Aoristformen wie ἐβασίλευσας, ὠργίσθησαν und ἦλθεν. Dazu kommen Infinitivformen, die gleichzeitig im Aorist stehen: κριθῆναι, δοῦναι und διαφθεῖραι. Dadurch soll der einmalige Charakter des Totengerichts, der Belohnung und des Verderbens hervorgehoben werden. Der Begriff διαφθείροντας als ein Partizip Präsens fällt aus der Aoristreihe heraus. Diese Form artikuliert die anhaltende Handlung der Verderber, die durch das einmalige Verderben Gottes gestoppt werden. Der Herrschaftsantritt Gottes und sein gerechtes Gericht stehen durch die grammatikalischen Verbformen wie das Schöpfungs- und Erlösungswirken in der Vergangenheit.51 Durch die Futurform in 11,15 wird die Endlosigkeit der Herrschaft ausgedrückt. Die Verben in 12,10b stellen fast vollständig Aoristformen dar. Durch das signalhafte ἄρτι wird die folgende indikative Aoristform ἐγένετο ingressiv charakterisiert, d. h. die nachfolgenden Werke Gottes markieren einen Anfangspunkt.52 Auch ἐβλήθη, ἐνίκησαν und ἠγάπησαν sind als indikative Aoristformen zu bezeichnen und punktuell zu verstehen. Mit dem Präsens Partizip κατηγορῶν, das sich auf den dauerhaft anklagenden κατήγωρ bezieht, wird ein anhaltender Zustand ausgedrückt, der durch Gottes Eingreifen beendet wird.53 In 15,4 stehen die indikativen Futurformen ἥξουσιν und
48 Die Aoristform wird am häufigsten als Perfekt übersetzt. Vgl. Mathewson, aspect, 51.54. Die retrospektive Form sagt zudem aus, dass der Autor wiedergibt, was er einmalig sah. Vgl. Mathewson, aspect, 54. Ein Einwand ist dennoch zu nennen. Im Kontext der Gesamtabfolge der Offb und einer Neuschöpfung von Himmel und Erde in Offb 21 ist eine Interpretation der Aoristform ἔκτισας als ingressive Aoristform ebenfalls denkbar. Diese würde nicht eine punktuelle abgeschlossene Tat, sondern den Anfangspunkt signalisieren. 49 Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 372; Rienecker, Schlüssel, 616. 50 Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 383; Rienecker, Schlüssel, 621. 51 Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 383f; Rienecker, Schlüssel, 621. 52 Mathewson stellt den präsentischen Charakter solcher Aoristformen heraus. Vgl. Mathewson, aspect, 55. Er zieht daraus das diskursanalytische Fazit, dass es die Gleichzeitigkeit von Vision und Versprachlichung derselben herausstelle. 53 Vgl. Mathewson, aspect, 88; Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 385.; Rienecker, Schlüssel, 622.
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προσκυνήσουσιν.54 Die indikative Aoristform ἐφανερώθησαν begründet die uni-
versale Anbetung Gottes. Die hier verwendeten Futurformen sind auffällig, da man ausgehend von den Zeitformen der vergangenen Verse mit Formen rechnet, die präsentisch sind und einen Zeitraum ausdrücken, z. B. Präsens Partizipien. Durch die vorliegende Verwendung von Zeitformen entsteht eine Zeitspanne zwischen dem Antritt der Herrschaft Gottes in 12,10ff und der universalen Anbetung Gottes in Offb 15. In 16,5b–6 sind einerseits die indikativen Aoristformen ἔκρινας und ἐξέχεαν belegt, andererseits die Perfektform δέδωκας, der sich darauf beziehende Infinitiv πιεῖν und die indikative Präsensform εἰσίν.55 Die Aoristformen und die Perfektform beziehen sich auf die vergangenen Heilstaten Gottes. Die Einmaligkeit der Handlungen Gottes der vergangenen Verse wird aufgrund des Aorists ἔκρινας weitergeführt.56 Die Präsensform impliziert, dass die berechtigte Strafe der Ungerechten ein gegenwärtiges Resultat ist. In 19,2 ist wieder eine Dreiheit von indikativen Aoristformen zu beobachten: ἔκρινεν, ἔφθειρεν und ἐξεδίκησεν.57 Die zweite Form muss logisch gesehen zur ersten Verbform in ein vorzeitiges Verhältnis gesetzt werden, auch wenn sie kein Plusquamperfekt ist. Die Einmaligkeit des Gerichts Gottes wird erneut durch die Verwendung der Aoristform ausgedrückt. Die Verben ἐβασίλευσεν, ἦλθεν, ἡτοίμασεν und ἐδόθη in 19,6b–8 stellen erneut indikative Aoristformen dar.58 Die ersten Formen sind bzgl. des göttlichen Machtantritts und des Beginns der Hochzeit ingressiv zu verstehen. Dabei ist ἡτοίμασεν effektiv zu verstehen, da die Handlung abgeschlossen ist. Die Passivform ἐδόθη zeigt an, dass sich die Braut die Vorbereitung der Hochzeit nicht selbst ermöglicht hat. Bei περιβάληται handelt es sich um einen Konjunktiv Aorist, der sich mit der Konjunktion ἵνα erklären lässt. Er drückt ingressiv den Beginn der eschatologischen Hochzeit aus. Das präsentische ἐστίν lässt sich mit dem Kontext einer Erläuterung des βύσσινος erklären.59 Die Aoristformen implizieren einerseits ingressiv den
54 Die zwei Futurformen werden als „eschatologisches Futurum“ bezeichnet. Vgl. Jörns, Evangelium, 30. 55 Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 393; Rienecker, Schlüssel, 626. 56 Die Form ἐξέχεαν erscheint ungewöhnlich, da man ein Partizip erwartet. Das Blutvergießen bezieht sich auf die Verfolger und ist somit ein Zustand. Der Aorist ergibt nur dann Sinn, wenn das Blutvergießen aus der Perspektive jedes einzelnen Heiligen und Propheten zu betrachten ist. Dann impliziert es jeweils den einmaligen Tod. 57 Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 401; Rienecker, Schlüssel, 631. 58 Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 402; Rienecker, Schlüssel, 631. 59 Mathewson bezeichnet solche „Einschübe“ im grammatikalischen Präsens als „TimelessDescriptive“ und meint damit die zeitliche Ungebundenheit erläuternder Aussagen. Vgl. Mathewson, aspect, 86.
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Anfangspunkt der Hochzeit, andererseits effektiv die abgeschlossene Vorbereitung der Braut.60 Bezeichnend für die Aufzählung von Werken in der Offb ist eine retrospektive Sicht. Die Preisenden formulieren die Aufzählung der Werke aus der Perspektive des bereits Eingetretenen heraus. Dies ist grammatikalisch durch dominierende Aoristformen nachweisbar. Diese Perspektive hebt sich von derjenigen der geschilderten Personengruppen im Visionsbericht ab. Wenige Futurformen, die in späteren Versen nicht mehr verwendet werden, beweisen eine Entwicklung innerhalb der himmlischen Gesänge. Zusätzlich fällt auf, dass v. a. indikative Aoristformen vorliegen. Gottes Taten werden dadurch als einmalig charakterisiert. Taten von anderen Personengruppen werden häufig mit Partizipien ausgedrückt, wodurch Zeiträume und Zustände beschrieben werden. Das Wirken Gottes wird durch die hymnenartigen Passagen so dargestellt, dass es einmalig in bestehende Strukturen eingreift und diese dadurch aufhören. Als weiterer charakteristischer Aspekt der Aufzählung von Werken Gottes in der Offb ist die sprachliche Hinführung zu solchen Aufzählungen zu nennen: Wenn sie auf die Anrufung Gottes und des Lammes folgen, werden sie oft durch ὅτι mit diesen verknüpft. Dies betrifft alle Textpassagen außer 11,15 und 12,10b–12. Dies hat zur Folge, dass fast alle Werksaufzählungen in einem Kausalzusammenhang stehen. Durch diese syntaktische Beobachtung kann man nachvollziehen, warum häufig vorzeitig zu verstehende Aoristformen verwendet werden. Teilweise wird ὅτι in einer Ekphrasis mehrmals eingesetzt, wenn diese komplexer gestaltet ist.61 Die Konjunktion ὅτι kommt dreimal im Kontext von sogenannten „Prädikationsformeln“62 vor, die Berger in seinem Kriterienkatalog als mögliche Einleitung einer Ekphrasis angibt: In 15,4 ist eine μόνος-Prädikation belegt: Ὅτι μόνος ὅσιος. Der Satz ist elliptisch gestaltet, d. h. es fehlt ein Verb, in dem Fall εἰμί.63 Unmittelbar darauf folgt eine „Alles“-Prädikation: Πάντα τὰ ἔθνη
60 Die zuvor festgestellte Zeitspanne des ausstehenden Machtantritts Gottes und seines Lamms zwischen Offb 12 und 15 ist nicht mehr zu erkennen. Die angebrochene Heilszeit kommt zum endgültigen Durchbruch und die Parusie ist bereits eingetreten. Dies ist grammatikalisch mit dem Fehlen von Futurformen nachweisbar. 61 Dies trifft auf 15,4; 16,5b–6 und 19,2 zu. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle ὅτι-Einsätze die Funktion besitzen, eine Ekphrasis einzuleiten, sondern es steht entweder als kausale Konjunktion in einer Aussage (z. B. das dritte ὅτι in 15,4) oder leitet einen neuen Aspekt im Sinne eines neuen Einsatzes ein (z. B. das zweite ὅτι in 15,4). In 19,2 muss ein zweites Mal ὅτι eingefügt werden, weil die Ekphrasis durch eine Selbstaufforderung zum Lob unterbrochen wird. 62 Eine Prädikationsformel ist eine formelhafte „Identitäts- oder Wesensaussage“ in der 2. Pers. Sg./ Pl. In hymnenartigen Texten sind z. B. „du allein bist heilig“ zu finden oder „du allein hast alles geschaffen“. Auch Negationsformen sind als Prädikationsformel zu bezeichnen: „Nichts ist ohne dich“. Vgl. Dausner, Christologie, 52. Zur Abgrenzung zur Identifikationsformel vgl. Gnilka, Markus, 53. 63 Eine solche Syntax ist ungewöhnlich und selten. Die Ersetzung des wegfallenden Verbs durch ein Personalpronomen ist ebenfalls ungewöhnlich. Vgl. BDR §128.
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ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου. Ein weiterer Beleg ist in 4,11 zu lesen: Ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα. Eine weitere „Alles“-Prädikation ist in den Aufzählungen von Werken in 5,9b–10 belegt: Sie fungiert hier als Ausdruck der universalen Auswirkung des Sühnetodes des Lammes (ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους). Weitere Prädikationsformeln, die Berger in seinem Katalog vorschlägt, sind in der Offb nicht belegt.64 Solche formelhaften Satzanfänge leiten einerseits Werksaufzählungen ein und sorgen andererseits für einen hyperbolischen Stil, d. h. eine überschwängliche Ausdrucksweise. Es ist auffällig, dass die grammatikalischen Formen nicht davon beeinflusst werden, ob die Aufzählung der Werke in der 2. Pers. Sg./Pl. formuliert wird oder in der 3. Pers. Sg./Pl.65 Sowohl anbetende/subjektive Aufzählungen der Werke Gottes und des Lammes als auch proklamatorische/objektive Aufzählungen weisen indikative Aoristformen auf. Dies zeigen 4,11; 5,9b–10; 11,17b–18 einerseits und 11,15; 12,10b–12; 19,2.6b–8 andererseits. 15,3b–4; 16,5b–6 sind insofern „Mischformen“, als sie erstens Formen in der 3. Pers. Sg./Pl. aufweisen, aber im Kontext einer direkten Ansprache Gottes stehen.66 Zweitens sind Verbformen in der 2. und 3. Pers. Sg./Pl. belegt.67 Diese grammatikalische Beobachtung unterstützt die These, dass sowohl eine direkte als auch indirekte Ansprache der gepriesenen Gottheit als Eigenschaft hymnenartiger Passagen im NT zu bezeichnen ist.
d) Der Gelobte als Anfang, Anführer, Erster
Das nächste hymnenartige Indiz, das auf die Offb angewandt werden muss, ist die Bezeichnung der Gottheit als Anfang, Anführer oder Erster. Dafür müssen die Anfänge der Dreizeitenformel angeführt werden: Die Vergangenheitsform ἦν impliziert indirekt die Ursprunghaftigkeit Gottes. Diese Form tritt im Kontext der Dreizeitenformel in 4,8c; 11,17 und 16,5b auf. In Verknüpfung mit den Vergangenheitsformen ἦσαν und ἐκτίσθησαν gewinnt diese Andeutung an Gewicht. Durch sie wird vorausgesetzt, dass Gott existierte, bevor das All geschaffen wurde. Es ist auffällig, dass der für dieses Formelement typische Begriff ἀρχή nicht in den hymnenartigen Passagen verwendet wird, dafür aber in 21,6 und 22,13. In den genannten Versen ist ἀρχή mit τέλος gekoppelt. Der Gelobte wird somit nicht nur
64 ἐκ σοῦ γάρ oder „denn (nicht) ohne dich“. Vgl. Berger, Gattungen, 1159. 65 Es ist also irrelevant, ob laut Deichgräbers Schema die Aufzählung der Werke anbetend oder proklamatorisch gestaltet ist, laut Wünsch im Kontext eines subjektiven oder objektiven Lobpreises steht. 66 In 15,3b–4 stehen einerseits die Formen ἥξουσιν und προσκυνήσουσιν, die sich auf die ἔθνη beziehen, und ἐφανερώθησαν, das sich auf die δικαιώματα bezieht. Dennoch ist die Aufzählung dieser Werke anbetend/subjektiv, weil das Possessivpronomen σου mehrmals eine direkte Ansprache Gottes signalisiert. 67 In 16,5b–6 sind gleichzeitig ἔκρινας und δέδωκας sowie εἰσιν und ἐξέχεαν belegt.
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als Ursprung von allem gepriesen, sondern auch als Abschluss. Zusätzlich wird die Ursprunghaftigkeit durch die Aussage ἐγώ εἰμι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ ergänzt. Dies ist zusätzlich in 1,8 belegt. In 22,13 fehlt das Verb εἰμί. Bemerkenswert ist, dass der Begriff ἄλφα als Chiffre für die Ursprunghaftigkeit ausgeschrieben wird, der daran gekoppelte Begriff für den Abschluss ὦ nur mit Anfangsbuchstabe erscheint. Als weiteren Begriff für den Anfangscharakter ist in 22,13 πρῶτος zu nennen. Auch dieser Begriff ist an einen Gegenbegriff gekoppelt: ἔσχατος. Als mögliche Erklärung für diese Erweiterung ist das Gottes- und Weltbild der Offb heranzuziehen, das sich von dem der paganen Religion deutlich unterscheidet: In der Offb kommt zum Ausdruck, dass das ganze Dasein von Gott geschaffen worden ist (4,11) und auf die eschatologische Herrschaft desselben hinausläuft (11,15b; 11,17–18; 19,6b–8). Sowohl die Visionsschilderung als auch die hymnenartigen Gesänge weisen einen gewissen Bruch des Bisherigen auf: In Offb 20,11–15 wird ein universales Gericht Gottes geschildert, dem eine Unterbrechung der bisherigen Weltordnung vorausgegangen ist. Daraufhin ist die Rede von einem neuen Himmel und einer neuen Erde in Offb 21,1. Dagegen herrscht die pagane Vorstellung, dass der Kosmos in seiner Ordnung ewig weiterlaufe.68 In griechischen ὕμνοι wird ein untrennbares Verhältnis von Kosmos und Götterwelt vermittelt, das in der Offb gerade nicht gegeben ist.69 e) Schöpfermacht und Weltherrschaft
Charakteristisch für hymnenartige Passagen im NT ist die thematische Kopplung von Schöpfer- und Herrschaftsaussagen. In der Offb ist eine solche Kombination belegt. Kennzeichnend ist, dass diese beiden Wirkungstaten Gottes u. a. in einem kausalen Zusammenhang stehen: In 4,11 beginnt die hymnenartige Passage mit der ἄξιος-Formel, die als Akklamation im Kaiserzeremoniell belegt ist.70 Durch ὅτι wird sie an die Begründung der Schöpfung des Alls geknüpft. Als weiterer Hinweis ist das Epitheton παντοκράτωρ zu nennen, das in 4,8; 15,3b; 16,7b und 19,6b vorkommt. Der Begriff vereint im paganen Kontext die beiden göttlichen
68 Plato sagt z. B., der Kosmos sei ein „sich selbst genügender ewiger Gott.“ Byk, Hellenismus, 38. Auch der Neuplatoniker Salustios spricht von der Unvergänglichkeit des Kosmos. Vgl. Stenger, Identität, 322. Plotins Metaphysik ist weitreichend: Der Kosmos sei ein „erhabener, notwendiger, vollkommener, ewiger Kosmos, und das Göttliche […] eine Dimension des Kosmos selbst.“ Schlette, Studien, 190. Die Ewigkeit des Kosmos erklärt Kritolaos damit, dass seine Ursache in sich selbst liege. Vgl. Gleede, Platon, 270. 69 „[D]as Göttliche wird nicht als ein von ihm [dem Kosmos, M.S.] wesenhaft Verschiedenes, als ein Anderes erfahren, sondern letztlich als eine Dimension des Kosmos selbst.“ Schlette, Studien, 190. 70 Vgl. Aune, Revelation, 309f; Beale, book, 334f; Ebner, Spiegelungen, 106; Giesen, Offenbarung, 156; Karrer, Offb, 430; Prigent, Commentary, 236; Roloff, Offenbarung, 70; Schick, Apokalypse, 70.
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Aspekte der Allherrschaft und der Schöpfermacht.71 Des Weiteren ist auffällig, dass der Begriff des παντοκράτωρ teilweise im Kontext der Dreizeitenformel auftaucht: In 1,8 ist παντοκράτωρ der Dreizeitenformel nachgestellt, in 4,8c geht er ihr voraus. 11,17b folgt der Reihenfolge von 1,8. Selbst wenn das Epitheton nur die Herrscher-Bedeutung besitzen würde, ist durch die Kombination mit der Dreizeitenformel eine Verknüpfung von beiden göttlichen Aspekten gewährleistet: Durch die Vergangenheitsform ἦν wird indirekt Gottes Schöpfungstätigkeit angedeutet. 15,3b stellt eine Ausnahme dar, da an dieser Stelle keine Dreizeitenformel belegt ist. Indirekt könnte die Aussage μεγάλα καὶ θαυμαστὰ τὰ ἔργα σου Gottes Schöpfungswirken andeuten. Der Begriff ἔργα ist aber zu allgemein, um sich ausschließlich auf die Schöpfung Gottes zu beziehen. Vielmehr kann eine Verknüpfung zu Gottes Herrscher-Aspekt nachgewiesen werden, welcher durch das nachgestellte ὁ βασιλεὺς τῶν ἐθνῶν ausgedrückt wird. Auch 16,7b ist ein Beleg für παντοκράτωρ ohne Schöpfungsaussage. Stattdessen ist es mit Gottes Wesen als Richter verknüpft (ἀληθιναὶ καὶ δίκαιαι αἱ κρίσεις σου). In 19,6b wird παντοκράτωρ mit der Verbform ἐβασίλευσεν verbunden, die Gottes Herrscher-Aspekt thematisiert. f) Betonung der Einzigkeit des gepriesenen Gottes
Dieser Aspekt ist im monotheistischen Kontext selbstverständlich. Deshalb geben die hymnenartigen Passagen keine direkten Belege her. Die bereits erwähnte μόνοςPrädikation in 15,4 stellt eine mögliche Andeutung dar, ist aber nicht eindeutig genug. Die Heiligkeit einer Gottheit schließt nicht die Existenz anderer Gottheiten aus. Die Aussage selbst ist also nicht als Beleg für das monotheistische Wesen Gottes in der Offb anzusehen. Eine weitere Andeutung der Einzigkeit Gottes in der Offb scheint zudem mit dem Begriff παντοκράτωρ gegeben zu sein. Auch dieses Indiz ist zu schwach, da der Titel auch im polytheistischen Kontext für Gottheiten gebraucht wird, ohne damit die Existenz anderer Gottheiten auszuschließen.72 g) Semantik: Retten und Retter, Licht, Geben, Erlösen und Befreien
Hymnenartigkeit weist einen gewissen sprachlichen Stil auf, der die Begriffsfelder „Retten und Retter“, „Licht“ und die Verben „geben“, „erlösen“, „befreien“ umfasst. Die Begriffe, die Berger nennt, sind jedoch nur eine kleine Auswahl aus dem großen Pool hymnischen Vokabulars, das im NT verarbeitet wird. Er beruft sich auf Keyssner, der weitere, im NT ebenfalls rezipierte Begriffe aufzählt. Diese sind in der Offb teilweise stärker belegt als die von Berger gewählten Wortfamilien.
71 Das liegt daran, dass für den Begriff u. a. die Bedeutung des All-Erhaltens belegt ist. Ein paganes Beispiel stellt der Zeus-ὕμνος des Kleanthes 1–3 dar. Vgl. Karrer, Gottesbild, 74. 72 In paganer Literatur ist v. a. die Adjektivform belegt. Oft bezieht sich das Epitheton auf Zeus. Vgl. Berger, Gattungen, 1160; Karrer, Gottesbild, 73f. Zur Aussage der Einzigkeit, ohne die Existenz anderer Gottheiten auszuschließen, vgl. Herrero de Jáuregui, Orphism, 325.
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Charakteristisch ist z. B. das Wort γενέτης: Dessen Begriffsfeld sowie Komposita wie παγγενέτης sind zwar nicht belegt, doch ist der Vaterbegriff typisch für das NT. In der Offb fällt allerdings auf, dass er in den hymnenartigen Passagen selbst nicht verwendet wird.73 Die Wortfamilie ἵλαος, ἵλαθι, ἱλήκειν, ἱλάσκεσθαι sowie die Begriffe φώς und ῥύεσθαι sind in den hymnenartigen Gesängen der Offb nicht belegt. Für die Wortfamilie σώζειν, σωτήρ etc. gibt es zwei Entsprechungen in der Offb: In 7,10b wird σωτηρία im Kontext einer doxologischen Formel genannt. In 12,10 wird σωτηρία als durchgesetzte Machttat Gottes und Christi erwähnt. Neben dem Epitheton σωτηρία kommen die von Keyssner als typisch hymnisch bezeichneten Attribute ἰσχύς, κράτος und σοφία vor.74 Solche Epitheta fungieren laut Keyssner als „Bezeichnung der Macht des Gottes“75 . Diese Begriffe werden in den hymnenartigen Passagen der Offb ebenfalls aufgegriffen: ἰσχύς kommt in 5,12 und 7,12 vor, κράτος kommt in 1,6 sowie 5,13 vor und σοφία ist in 5,12; 7,12 belegt. Als elementarer Begriff der Macht einer gepriesenen Gottheit ist δύναμις zu nennen. In der Offb gehört er zu den am häufigsten gebrauchten Epitheta mit Belegen in 4,11; 5,12; 7,12; 11,17; 12,10; 19,1. Als Konsequenz „bei den Menschen“76 wird dann der typisch hymnische Begriff τιμή erwähnt. Auch dieses Attribut wird häufig in der Offb aufgegriffen: 4,11; 5,12.13; 7,12. Ein bestimmtes von Keyssner vorgeschlagenes Vokabular an Verben ist in der Offb dagegen nicht belegt. Er nennt als typische Verben κατέχειν, ἐφέπειν, μεθέπειν, ἀμφιπολεύειν und ἀμφιβαίνειν. Des Weiteren thematisiert Keyssner bestimmte Sinnbilder einer göttlichen Herrschaft. Er zählt dazu „Stab, Schlüssel und Siegel“ auf, „wobei durch einen hinzugesetzten Genitiv häufig der Machtbezirk des Gottes genau umschrieben wird“.77 In Offb 5,9b ist die Rede von den σφραγῖδας αὐτοῦ. Das Possessivpronomen bezieht sich aber nicht auf das Lamm, sondern auf τὸ βιβλίον. Weitere typisch hymnische Begriffe sind ἁγνός und σεμνός. Beide sind nicht belegt, dafür aber das begriffsverwandte Adjektiv ἅγιος (4,8c). Außerdem lässt sich das Synonym ὅσιος nachweisen (15,4). Das Verb διδόναι ist in den hymnenartigen Passagen in abgewandelter Form belegt: In 16,6 taucht die Perfektform δέδωκας auf. Als Ausdrucksmittel für das Verhältnis von Göttern zu Menschen führt Keyssner die Wortfamilien εὐμενής, εὔφρων in Kombination mit θυμός oder βουλή, εὐάντητος, ἤπιος, μείλιχος an.78 Diese Begrif-
73 Er kommt dafür an den Stellen vor, an denen das Lamm selbst spricht: 2,28; 3,21; 3,5. Es taucht auch im Kontext der Visionsschilderung auf (14,1). Auffällig ist, dass es an allen Stellen mit Possessivpronomen vorkommt. Der Autor der Offb legt Wert darauf, dass Gott den Titel aufgrund der Vater-Sohn-Beziehung mit dem Lamm erhält. 74 Vgl. Keyssner, Gottesvorstellung, 52. 75 Keyssner, Gottesvorstellung, 52. 76 Keyssner, Gottesvorstellung, 55. 77 Keyssner, Gottesvorstellung, 79. 78 Vgl. Keyssner, Gottesvorstellung, 87–98.
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fe sind in der Offb nicht belegt. Dazu kann die Vermutung angestellt werden, dass solche Begriffe in paganen ὕμνοι oft im Bittkontext stehen. Dies erübrigt sich im Kontext der Offb, wo keine Bittabschnitte vorhanden sind. Stattdessen nehmen der dankende Lobpreis und die Anbetung eine elementare Stellung ein. h) Aretalogie im Ich-Stil
In hymnenartigen Texten werden häufig Reihungen in Ich-Form verwendet. Berger schlägt als betreffende Stellen in der Offb die Verse 1,17–18 und 21,6 vor. Zu ergänzen sind 1,8, obwohl dieser Vers keine wirkliche Reihung ist, und 22,13. Offb 1,8 besteht nur aus den Bestandteilen ἄλφα und ὦ. Eine Reihung folgt auf die Ich-Rede und steht nicht in der 1. Pers. Sg. Möglicherweise kann man V.8 als Mischung von Reihung in Ich-Form und sonst üblicher Reihung, in diesem Fall in der 3. Pers. Sg., bezeichnen. Göttliche Taten werden aber nicht erwähnt, weshalb man in Offb 1,8 nicht von Aretalogie sprechen kann. 1,17–18 ist eine eindeutige Aretalogie im Ich-Stil. Die Aufzählung besteht sowohl aus Epitheta, die mit ἐγώ εἰμι eingeleitet werden, als auch aus Werken. Christi Selbstbezeichnungen sind: ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος und ὁ ζῶν. Er nennt als eigene Handlungen: ἐγενόμην νεκρὸς καὶ ἰδοὺ ζῶν εἰμι, was von der Ewigkeitsformel εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων begleitet wird und an die Aufzählungen von Werken in c) erinnert. Als weitere Heilstat ist ἔχω τὰς κλεῖς τοῦ θανάτου καὶ τοῦ ᾅδου zu nennen. In 21,6 spricht Gott, während in 1,17–18 Christus eine Ich-Aretalogie formuliert. Gottes Ich-Aretalogie ist wiederum eine Mischung aus Epitheta und Werken: Er nennt sich wie Christus τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ und leitet die Eigenbezeichnung mit ἐγώ εἰμι ein. Ein weiteres Epitheton ist ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. Die verwendeten Verbformen für die Werke Gottes stehen im Futur.79 Dadurch, dass Gott seine Werke in der Zukunft beschreibt, werden diese entweder zur Verheißung oder zur Drohung. Seine beschriebenen Gerichtsaussagen betreffen das Universalgericht. In 22,13.16 sind Epitheta zu lesen. V.13 belegt als Titulationen Christi τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. Auffällig ist, dass in der Einleitung dieser Aretalogie nur ἐγώ steht, εἰμι jedoch fehlt. In V.16 ist ein erneuter Ansatz einer Reihung von Epitheta in Ich-Form belegt: Sie beginnt mit ἐγώ εἰμι und zählt die Attribute ἡ ῥίζα καὶ τὸ γένος Δαυίδ, ὁ ἀστὴρ ὁ λαμπρὸς ὁ πρωϊνός auf. Hier werden Wesenseigenschaften aufgezählt, weshalb auch dieser Beleg keine Aretalogie im eigentlichen Sinne darstellt.
79 Die verwendeten Futurformen sind δώσω, κληρονομήσει, was sich jedoch auf die Überwinder bezieht, ἔσομαι und ἔσται. Die Präsensform ἐστιν stellt eine Ausnahme dar, die für eine Erläuterung verwendet wird.
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2.1.2
Ergänzende Formelemente
Die von Berger angeführten Formelemente sind zwar zahlreich, decken jedoch nicht alle formgeschichtlichen Beobachtungen an der Offb ab: Es liegen weitere Formeln und Reihungen sowie Lob- und Dank-Formulierungen vor, die der Offb einen hymnenartigen Charakter verleihen. Diese Aspekte werden im Folgenden behandelt und mögliche Analogien in der paganen Hymnenliteratur angedeutet. Auf diese Weise soll gerechtfertigt werden, warum diese Formelemente in diesem Kapitel thematisiert werden. Andernfalls müsste man sie als Elemente bezeichnen, die mit anderen Traditionsfeldern, z. B. hellenistisch-jüdischen, erklärt werden können. Als solche würden sie dem zu untersuchenden Textbestand nicht mehr hinzugerechnet werden. Die folgenden Formelemente werden nicht chronologisch behandelt, sondern thematisch sortiert. 2.1.2.1 Ewigkeitsformel
Typisch für griechische ὕμνοι ist der Topos der Ewigkeit. Dies hängt mit dem Glauben zusammen, dass der Kosmos und die davon untrennbaren Gottheiten ewig seien. Neben den oben besprochenen Prädikationsformeln stellt das Adverb ἀεί/αἰεί ein typisches Formelement paganer ὕμνοι dar. Es wird im Kontext der Beschreibung äußerer Erscheinungsformen80 , Charakterzüge81 , Wohnsitze82 und Machttaten83 der gepriesenen Gottheiten eingesetzt. Das Adverb ἀεί trägt zur Bildung des für ὕμνοι eigentümlichen hyperbolischen Stils bei. Zudem fällt das Vorkommen des Begriffs als Versschluss in hexametrischen Versen84 sowie die Kombination mit der Aufzählung von Beiwörtern auf.85 Überprüft man diese Eigenschaften in den hymnenartigen Versen der Offb, fallen dort die Versabschlüsse mit εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων ἀμήν auf, welche z. B. Deichgräber als „Ewigkeitsformel“86 bezeichnet: Einerseits besitzt die Ewigkeitsformel Abschlusscharakter, andererseits tritt sie in Kombination mit Aretalogien auf. Als Abschluss sind Ewigkeitsformeln in 5,13b;
80 Keyssner führt als Beispiel Hom. h. X 2 an Aphrodite an, ansonsten Kall. h. II 36 an Apoll. Vgl. Keyssner, Gottesvorstellung, 39f. 81 Z. B. Hom. h. XXIV 3 an Hestia. 82 Z. B. Hom. h. XXIX 1. 83 Z. B. Kleanth. 1 an Zeus, Kall. h. I 2; P Oxy. 1380, 231; Soph. Oid. T. 904; Philod. 60; Orph. h. LVI 4. 84 Dort steht es oft mit einer Form von εἰμί. Vgl. Keyssner, Gottesvorstellung, 40. 85 Dies trifft auf Orph. h. IV 1; V 1; VII 9; LIX 17 zu, ferner auf Kall. h. IV 26 etc. 86 Für ihn ist dieser formelhafte Abschluss ein Bestandteil in Doxologien, die er als kurze Lobsprüche definiert. Dieses Formelement ist bereits in der Aufbereitung des bergerschen Konzepts (1.1) zur Sprache gekommen. Vgl. Deichgräber, Gotteshymnus, 25.
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7,12; 11,15; 19,3 zu finden. In 5,13b und 7,12 gehen der Ewigkeitsformel unmittelbar Reihungen voraus. Die Passagen in der Offb scheinen sich terminologisch von dem Schlüsselwort ἀεί zu unterscheiden, da das Wortfeld ἀιών gebraucht wird. In den griechischen Zauberpapyri ist ἀιών ebenfalls belegt.87 Dort hat es jedoch keinen Abschlusscharakter, sondern steht in einem ὕμνος mittig und in einer rhetorischen Frage. Pape erklärt den Mangel an Belegen für ἀιών damit, dass es sich um ein Kontraktum der beiden ursprünglichen Begriffe ἀεί und ὤν handele. Auf diese Weise kann eine sprachliche Verbindung zu dem häufig belegten Wortfeld ἀεί hergestellt werden.88 Die kontrahierte Form ἀιών ist in einer Ewigkeitsformel im paganen Kontext nicht belegt, zumindest nicht in der sprachlichen Form, wie sie in der Offb nachweisbar ist. Weinreich u. a. sprechen jedoch von einer sogenannten „orphischen Ewigkeitsformel“, die bereits Plato bekannt gewesen sein soll: Ζεὺς κεφαλή, Ζεὺς μέσσα, Διὸς δ’ ἐκ πάντα τέτυκται.89 Die Ewigkeit einer Gottheit wird im paganen Kontext oft so ausgedrückt, dass Anfang, Mitte und Ende einer Gottheit genannt werden. Es kann eine funktionale Analogie zur Offb hergestellt werden, d. h. Beschreibungen von Anfang, Mitte und Ende einer Gottheit streben dieselbe Funktion an wie die Ewigkeitsformel in der Offb, auch wenn die sprachliche Form anders ist. Deshalb ist die Ewigkeitsformel in der Offb als ein hymnenartiges Charakteristikum zu ergänzen. 2.1.2.2 Ἄξιος-Formel
Charakteristisch für die hymnenartigen Passagen in der Offb ist die sogenannte ἄξιος-Formel, die in 4,11; 5,9b und 5,12b als Einleitung dient. Sie ist kein spezifisch hymnenartiges Charakteristikum, jedoch in der paganen Literatur belegt.90 Sie besteht aus dem Prädikativ ἄξιος in Verbindung mit einer Form von εἰμί. Es ist auffällig, dass die Formel an allen Stellen einer Reihung vorausgeht, die eine Konstruktion mit der Infinitiv Aoristform λαβεῖν darstellt. Es liegt jeweils ein AcI vor, was v. a. die Attribute im Akkusativ beweisen. Während die ersten beiden Belege 4,11 und 5,9b in der 2. Pers. formuliert sind, wird bei der dritten Formel in 5,12b die
87 Dort wird es im ὕμνος an den Allschöpfer gebraucht und verbindet die Themen Ernährung und Herrschaft. Vgl. Henrichs, Papyri, 237. Ein weiterer Beleg für ἀιών ist bei Lykurg. 106 zu finden: εἰς πάντα τὸν αἰῶνα. Bemerkenswert ist, dass eine ähnliche Formulierung in Tob 12,17 LXX belegt ist. 88 Vgl. Pape, Handwörterbuch, 64. 89 Wille, Schriften, 338. Ansonsten auch Keyssner, Gottesvorstellung, 18; Prümm, Handbuch, 238 Fußnote 2 mit Verweis auf Kern, Religion, 158. 90 Eur. Hec. 309; Xen. an. I 9,29. Es gibt auch Beispiele mit Negation, z. B. Plat. Phaid. 119d. Zudem ist diese Formel als Akklamation im Kaiserzeremoniell geläufig. Vgl. Aune, Revelation, 309f; Giesen, Offenbarung, 156; Roloff, Offenbarung, 70.
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3. Pers. verwendet. In diesem Kontext ist es lohnenswert, die darauffolgenden Epitheta der Reihungen zu betrachten. Dabei fällt auf, dass für die einzelnen Elemente königliche Terminologie verwendet wird: Wie oben beschrieben sind v. a. δύναμις und τιμή als „Bezeichnung der Macht des Gottes“91 zu verstehen, ferner auch die in 5,12b aufgezählten Epitheta ἰσχύς und σοφία. Zudem sind die σφραγῖδες in 5,9 als Sinnbild göttlicher Herrschaft zu betrachten.92 Anhand der auf die ἄξιος-Formel folgenden Attribute wird der Aspekt der Herrscherakklamation unterstrichen. Dies wird auch dadurch gestützt, dass die ἄξιος-Formel ausschließlich in den ersten hymnenartigen Versen der Offb verwendet wird, also in 4,11; 5,9b und 5,12b, in denen Gottes Herrschaft ein thematischer Schwerpunkt ist. Eine Ausnahme stellt 16,6 dar: Einerseits kommt die ἄξιος-Formel in einem Kontext vor, in dem Gerichtsthematik verwendet wird. Andererseits muss der Begriff ἄξιος in diesem Fall anders übersetzt werden: Statt „sie sind würdig“ muss „sie haben es verdient“ angenommen werden.93 Die Verwendung der ἄξιος-Formel dient an dieser Stelle der Bekräftigung des gerechten Gerichtes Gottes und besitzt eine negative Konnotation. Da die Formel nicht am Anfang des himmlischen Gesangs steht, fungiert sie nicht als Einleitung wie in 4,11; 5,9b und 5,12b, sondern als abschließende Feststellung. 2.1.2.3 Δίκαιος-Formel
In den bereits besprochenen Vv.16,5b–6 wird statt der dreimal einleitenden ἄξιοςFormel eine Einleitung mit δίκαιος εἶ verwendet. Man kann diese Einleitung ebenfalls als formelhaft bezeichnen, auch wenn die Struktur anders ist als bei der ἄξιοςFormel: Zwar liegt kein AcI vor, dafür wird eine Konstruktion mit ὅτι gewählt und eine Aretalogie unmittelbar an δίκαιος εἶ angeschlossen. Da diese Formulierung eine Aretalogie einleitet, muss man sie als Formel charakterisieren. Pagane Literaturhinweise belegen, dass diese Formel u. U. wie die ἄξιος-Formel übersetzt wird.94 Ein weiterer Aspekt betrifft die Auswahl an Epitheta.95 Im Gegensatz zum zeitlosen bzw. zustandhaften Charakter des Infinitivs λαβεῖν wird eine indikative Aoristform verwendet, durch welche das göttliche Gericht als einmalig gekennzeichnet wird. Wie bereits herausgestellt ist die Verwendung an dieser Stelle mit der Gerichtsthe-
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Keyssner, Gottesvorstellung, 52. Vgl. Keyssner, Gottesvorstellung, 79. Vgl. Gemoll, Schul- und Handwörterbuch, 91. Es wird sowohl die positive als auch die negative Konnotation von ἄξιος nachgewiesen. Hdt. I 32; IX 60; Thuk. IV 7 etc. 95 Diese Feststellung wird durch die Sichtung der Attribute in der nachfolgenden Reihung unterstützt: Diese weist neben der Dreizeitenformel das Epitheton ὅσιος auf. Die Kombination von ὅσιος und δίκαιος ist bei Plato, Isokrates und Demosthenes belegt. Vgl. Passow, Handwörterbuch, 688.
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matik des Kapitels zu erklären, in welchem δίκαιος als geeigneter erachtet wird als ἄξιος. 2.1.2.4 Personenbezogene Reihungen
Es gibt weitere Aufzählungen, die zu einem hyperbolischen Stil in den hymnenartigen Gesängen der Offb beitragen und sich in die bisher genannten Kategorien des bergerschen Konzepts nicht einordnen lassen. Zunächst ist in 5,9b die Aufzählung ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους zu nennen, durch die die Universalität des Erlösungswirkens des Lammes ausgedrückt werden soll. Bezeichnend für Reihungen in der Offb allgemein ist die Verbindung der Elemente durch wiederholtes καί, das auch für diese Reihung zutrifft. In 11,18 wird erneut eine personenbezogene Reihung verwendet: Καὶ δοῦναι τὸν μισθὸν τοῖς δούλοις σου τοῖς προφήταις καὶ τοῖς ἁγίοις καὶ τοῖς φοβουμένοις τὸ ὄνομά σου, τοὺς μικροὺς καὶ τοὺς μεγάλους. Diesmal fungiert sie als Ausdruck des universalen Heils Got-
tes, das nicht auf eine einzige Personengruppe beschränkt bleibt. Die Aufzählung besteht einerseits aus Personengruppen, die τὸν μισθόν erhalten. Diese werden im Dativ wiedergegeben. Andererseits erfolgt eine weitere Aufzählung in Bezug auf jene, die den Namen fürchten. Diese sind akkusativisch, da sie sich auf τὸ ὄνομά σου beziehen. Die grammatikalische Verschachtelung von verschiedenen Personengruppen trägt zum hyperbolischen Stil bei.96 Ein weiteres Beispiel stellt 19,5b dar: πάντες οἱ δοῦλοι αὐτοῦ [καὶ] οἱ φοβούμενοι αὐτόν, οἱ μικροὶ καὶ οἱ μεγάλοι. Einige Bezeichnungen der Personengruppen aus 11,17f werden erneut aufgegriffen. Aufzählungen sind in ähnlicher Form auch in paganen ὕμνοι belegt, weshalb obige Reihungen im weiteren Sinne als hymnenartiges Charakteristikum einbezogen werden müssen. 2.1.2.5 Lob und Dank statt Bittaspekt
In den hymnenartigen Passagen der Offb fällt der für ὕμνοι eigentümliche Bittabschnitt ganz weg. Dies erklärt sich damit, dass die preisenden Personengruppen aus der Perspektive bereits erfüllter Bitten triumphale Gesänge an Gott und das Lamm richten. Stattdessen ist für die Offb der Aspekt des Lobens und Dankens elementar. Es fällt auf, dass die Lob- und Dankelemente entweder als Epitheta in Reihungen oder in Verbform erscheinen. Lobabschnitte können außerdem in Form von Lobaufforderungen auftreten. 5,13b stellt den ersten Versteil dar, in welchem indirekt 96 Beim Syntagma τοῖς δούλοις σου τοῖς προφήταις wird diskutiert, ob es sich auf eine Gruppe oder auf zwei verschiedene Gruppen bezieht. Zu den verschiedenen Argumenten: Aune, Revelation, 645. Da sich die Bezeichnungen δούλοι und προφήται im Gesamtkontext der Offb auf unterschiedliche Personengruppen beziehen, ist die zweite diskutierte These plausibler.
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eine Lobbekundung getätigt und mit einer Doxologie verbunden wird. Dies geschieht durch das Epitheton εὐλογία in der Reihung. Auf dieselbe Weise kann 7,12 zu den Lobabschnitten in den hymnenartigen Passagen der Offb gezählt werden. In 11,17f erscheint die erste Dankformulierung in Form eines Verbs (εὐχαριστοῦμέν σοι). Diese ist präsentisch, was sich aus der Situation der Gepriesenen ergibt. Im Anschluss an die Dankbekundung wird als Begründung angeführt: Gott hat die Macht angetreten und für Gerechtigkeit gesorgt, um welche offensichtlich gebeten worden war. Als Folge des Machtantritts wird nun der gegenwärtige Zustand der Preisenden im Präsens ausgedrückt. Im Abschnitt 12,10b–12 ist eine Lobaufforderung zu lesen, die sich an eine komplexe Ekphrasis anschließt. Die Aufforderung wird sprachlich durch den Präsens Imperativ εὐφραίνεσθε ausgedrückt und durch die Einleitung διὰ τοῦτο mit der Ekphrasis verknüpft.97 Als Lobaufforderung gilt zudem an drei Stellen der Halleluja-Ruf (19,1b–2; 19,3; 19,6b–8), weil er übersetzt „Preist Jahwe“ bedeutet. Er steht jeweils am Anfang eines hymnenartigen Abschnitts und hat somit einleitenden Charakter. Eine weitere Lobaufforderung kommt in 19,5b zum Ausdruck, die erneut am Anfang eines hymnenartigen Abschnitts steht. Es ist bemerkenswert, dass die Lobaufforderungen sowie Dankformulierungen ausschließlich aus Pluralformen bestehen. Zudem fällt auf, dass sich die Lobaufforderungen zum Ende des Visionsberichtes hin mehren und im letzten hymnenartigen Abschnitt mehrere Einsätze zu lesen sind: Einerseits beginnt der Gesang mit ἁλληλουϊά, andererseits setzt das Lob wenig später mit den Verbformen χαίρωμεν καὶ ἀγαλλιῶμεν καὶ δώσωμεν τὴν δόξαν erneut ein. Zudem sind die Lobelemente in den letzten hymnenartigen Gesängen direkter als solche in den ersten, wo man lediglich durch Epitheta in den Reihungen Lobausdrücke findet. Anhand von 12,10b–12 kann die Relevanz von Lobaussagen in der Offb am besten herausgestellt werden: Der Satzanfang διὰ τοῦτο hat ähnlichen Signalcharakter wie die Begriffe νῦν und ἀλλά in griechischen ὕμνοι. Diese leiten üblicherweise die alles entscheidenden Bittabschnitte von ὕμνοι ein. Durch die Verwendung des signalhaften διὰ τοῦτο in der Offb entsteht der Eindruck, dass der eingeleitete Lobabschnitt den entscheidenden Teil eines hymnenartigen Gesangs darstellt. 2.1.2.6 Sonstige Formelemente
Ein zu ergänzendes Formelement, das keinem der bisher genannten zugeordnet werden kann, ist ein Weheruf in 12,10b–12.98 Dieser Ruf wird mit οὐαί eingelei-
97 In paganen ὕμνοι werden im Anschluss an eine Werksaufzählung u. a. Begriffe wie νῦν oder ἀλλά verwendet, die die Bittabschnitte einleiten. Vgl. Berger, Formgeschichte, 239. 98 Weherufe stellen das Gegenteil von Makarismen dar. Beide sind an eine Bedingung geknüpft, die sich wiederum auf gewisse Verhaltensweisen bezieht: Während bei Makarismen ein bestimmtes Verhalten eine verheißungsvolle Konsequenz nach sich zieht, sind bei einem Weheruf bedrohliche Folgen zu
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tet. Die Bezugselemente, denen das „Wehe!“ gilt, sind Erde und Meer, da sie die Aufenthaltsorte des Teufels darstellen (v.12 ὅτι κατέβη ὁ διάβολος πρὸς ὑμᾶς). Die grammatikalische Form ist der Akkusativ.99 Die Interjektion hat stets prophetischen Charakter. Außerhalb der Offb ertönt der Ausruf zumeist aus dem Mund Jesu.100 Auf den Weheruf folgt eine durch ὅτι kausal verknüpfte Erklärung. Als weitere formgeschichtliche Beobachtung ist eine rhetorische Frage in 15,3b–4 zu nennen.101 Sie steht im Kontext von Lobbekundungen direkt vor dem Einsatz einer Ekphrasis, in welcher die Werke Gottes beschrieben werden. Die rhetorische Frage wird in dem vorliegenden Vers verwendet, um das unbedingte und ausschließliche Recht Gottes auf den Empfang himmlischer Gesänge zu unterstreichen.102 Im selben himmlischen Gesang ist ein Parallelismus erkennbar: Einerseits wird der proklamatorische Ausruf μεγάλα καὶ θαυμαστὰ τὰ ἔργα σου getätigt. Andererseits erfolgt in paralleler Struktur nach der Reihung κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ die Proklamation δίκαιαι καὶ ἀληθιναὶ αἱ ὁδοί σου. Im Anschluss daran ist wiederum parallel zur ersten Reihung eine erneute zu lesen: ὁ βασιλεὺς τῶν ἐθνῶν. Die beiden Proklamationen stellen Nominalsätze dar, in denen das Verb εἰμί weggelassen wird. In beiden Nominalsätzen werden zwei Adjektive bzw. Prädikative für ein Bezugswort verwendet: μεγάλα und θαυμαστά beziehen sich auf ἔργα; δίκαιαι und ἀληθιναί beziehen sich auf ὁδοί. Die grammatikalischen Formen sind identisch und beide Bezugswörter werden durch das Possessivpronomen σου ergänzt. Der Vergleich der beiden Reihungen zeigt Abweichungen in der Quantität und teilweise in der grammatikalischen Form: Während die erste Reihung aus drei Bestandteilen besteht, von der das erste Epitheton einen Vokativ darstellt, beschränkt sich die zweite Reihung auf nur einen Titel im Nominativ. Streng genommen ist die zweite
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erwarten. Vgl. Berger, Formgeschichte, 188–191 zur Form, Funktion und Gegensätzlichkeit von Makarismen und Weherufen. Es gibt in der paganen Literatur nur einen Beleg für einen Weheruf. Dort ist das Bezugselement aber im Dativ: Bei Arrian heißt es οὐαί μοι! Arr. Epict III 19. Vgl. Aune, Revelation, 704. Für die Hymnenhaftigkeit von rhetorischen Fragen sowie der zusätzlich beobachtete Parallelismus vgl. Aune, Revelation, 875; Beale, book, 796. Auffällig ist dabei, dass Berger in der ersten Kategorie seines Konzepts solche rhetorischen Fragen als hymnisches Element aufzählt. Dabei haben diese jedoch eine andere Absicht bzw. Aussage: Während Berger rhetorische Fragen am Anfang eines ὕμνος meint, die ausdrücken, dass die Preisenden dem Lobpreis nicht gewachsen sind, wird in der Offb einerseits die Frage nicht an den Anfang gestellt, andererseits das Gegenteil ausgesagt. In 15,3b–4 wird ausgedrückt, dass es nichts und niemanden gibt, der den Namen Gottes nicht anrufen würde. Diese gegenteilige Aussage zeichnet ein anderes Gottesbild als die sonst übliche Form „Oh Herr, wie könnte dich jemand preisen?“
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Anrufung somit keine Reihung. Parallelismen im NT werden häufig als ein Element semitischer Poesie bewertet, dabei gibt es pagane Entsprechungen.103 2.1.3
Einführung in die OH und die Orphik104
Nachdem die Aufbereitung des bergerschen Konzepts erfolgt und weiterentwickelt worden ist, richtet sich der formanalytische Blick nun auf die andere zu untersuchende Quelle: Die OH und ihr religiös-kultureller Kontext stellen für neutestamentliche Exegeten Neuland dar. Während vereinzelte Spatenstiche unternommen worden sind, sind umfassende „Grabungen“ bisher ausgeblieben.105 Es sind auch keine einzelnen OH der hier zu untersuchenden spezifischen Sammlung mit Texten des NT verglichen worden. Aus diesem Grund ist die Zusammenfassung der üblichen „Einleitungsfragen“, d. h. die Frage nach Autor, Adressatenschaft, Abfassungsort, Datierung etc. an den Anfang zu stellen. 2.1.3.1 Grundinformationen und Einleitungsfragen
Die OH sind eine Sammlung von 87 ὕμνοι, die der mythischen Figur Orpheus zugeschrieben werden.106 Den eigentlichen ὕμνοι, die 6 bis 30 hexametrische Verse umfassen können, wird eine Anleitung und Widmung an den Orpheus-Schüler Musaios vorangestellt. Die ὕμνοι beinhalten Lobpreisungen an die Gottheiten des orphischen Pantheons.107 Die Datierung ist höchst umstritten, auch wenn Calame das 2. Jh.n. Chr., Plassmann sogar das 1. Jh.n. Chr. annimmt.108 Zwar sind zahl-
103 In der antiken Rhetorik gibt es die drei Formen von Parallelismus Antitheton, Isokolon und Paromoion, die bereits von Aristoteles aufgegriffen werden. Vgl. Brucker, Christushymnen, 26. 104 Wenn der Begriff der „Orphik“ verwendet wird, impliziert er keineswegs eine dahinterstehende homogene Gruppierung. Er stellt vielmehr einen Sammelbegriff für eine schwer fassbare Strömung dar: „The very definition of Orphism remains contested, and the debates over the religious beliefs associated with it are far from settled.“ Edmonds, Myths, 37; ähnlich Kloft, Mysterienkulte, 10. 105 Häufig wird die Orphik in Übersichtswerken zum NT und seinem Umfeld angerissen. Vgl. Köster, Einführung; Kollmann, Neues Testament; Nicklas, worlds. 106 Er stamme aus Libethra in Thrakien, sei der Sohn von Oiagros und Kalliope, sei elf Generationen vor dem Troianischen Krieg geboren und habe bis zu elf Generationen gelebt. Homer sei ein Nachfahre von Orpheus. Vgl. Raphael, Orphik, 32. Er habe zudem Kenntnis über geheime Riten, v. a. in Bezug auf Dionysos, gehabt, durch die die Seele nach dem Tod erlöst werde. Er habe dieses Wissen in Form von Mysterien weitergegeben. Der Adressat der OH Musaios sei sein Schüler gewesen. Vgl. Athanassakis, Hymns, XI; Raphael, Orphik, 98. Weitere Informationen über Orpheus in Bremmer, Orpheus, 56–58; Samter, Religion, 81; Scheffer, Mysterien, 107f. 107 Wichtige Gottheiten sind Dionysos, Kronos, Rhea, Eros, Helios, Selene, Tyche, Themis, Dike, Thanatos und Physis. Vgl. Calame, Art. Orphik, Orphische Dichtung, Sp. 63. 108 Vgl. Plassmann, Orpheus, 161; ferner Calame, Art. Orphik, Orphische Dichtung, Sp. 63. Laut Kern sprechen einige Argumente für eine frühere Datierung, wiederum andere für eine Spätdatie-
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reiche literarische Belege orphischer Dichtung belegt, d. h. zeitgenössische Autoren beziehen sich auf orphische Gedichte, doch zumeist ist nicht die spezifische Sammlung von 87 OH gemeint. Dadurch wird eine genaue Datierung erschwert.109 Als Entstehungsort ist am ehesten Kleinasien anzunehmen.110 Kern hält Pergamon für den Entstehungsort der OH.111 Die Zurückführung auf einen einzigen Autor ist nicht gesichert, doch aus redaktions- und formkritischer Sicht wahrscheinlich: Der klassische Aufbau der einzelnen ὕμνοι nach einem Dreierschema, die Aufzählung zahlreicher Epitheta und die durchgängig hexametrische Gestaltung der Verse sprechen für einen einzigen Verfasser.112 Die redaktionelle Tätigkeit des Autors ist als Zusammenfassung unterschiedlicher religiöser Anschauungen in hexametrischer Gestaltung zu bezeichnen.113 Ziel der Zusammenstellung der ὕμνοι scheint weniger die Konstruktion eines abgeschlossenen religiösen Systems zu sein. Vielmehr
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rung. Dieterich, De hymnis, argumentiert für eine Frühdatierung, Wilamowitz-Möllendorff, Literatur, für eine Spätdatierung. Kern selbst hält eine vorchristliche Entstehungszeit für wahrscheinlicher und schließt sich dabei Petersen, Ursprung, 410, an, der das Fehlen von Aussagen über den Kaiserkult als Hinweis dafür sieht. Dagegen ist einzuwenden, dass der öffentliche Charakter des Kaiserkults für Mysterienreligionen eher irrelevant ist. Zudem wird der Kaiserkult für das gesamte Römische Reich erst mit Domitian verbindlich. Vgl. Heyse, Gerechtigkeit, 24; Wienecke-Janz, Chronik, 327; Rapp, Mysterienbild, 42. Die Tendenz zur Universalisierung ursprünglich spezifischer Gottheiten in den OH schließt einen allzu frühen terminus post quem aus. Besonders starke Auswirkungen von interpretationes Graecae sind in römischer Kaiserzeit in Form der sogenannten „additiven Universalisierung“ anzunehmen. Vgl. Cancik, Europa, 160–165. In den OH erhält z. B. der Hirtengott Pan universale Züge. Der Zeitraum 1.–2. Jh.n. Chr. scheint am plausibelsten für die Abfassungszeit der OH. Vgl. Athanassakis, Hymns, X, in Bezug auf die literarischen Erwähnungen von Plat. leg. 829d–e und Paus. IX 30,12. Die Gottheiten Mise, Hipta und Melinoe waren auf dem griechischen Festland nicht bekannt, was für Kleinasien als Entstehungsort spricht. Dies wird durch zahlreiche epigraphische Zeugnisse aus Kleinasien gestützt, die die Gottheiten erwähnen. Vgl. Athanassakis, Hymns, X. Ein ergänzender Hinweis betrifft die vorgeschriebenen Rauchopfer: Styrax, das bei 13 OH vorgeschrieben wird, wurde in der Antike v. a. aus Kleinasien importiert. Vgl. Donkin, brain, 10; Hünemörder, Art. Styrax, Sp. 1063. Vgl. Kern, Demeterheiligtum, 432. Plassmann hält Smyrna, Ephesos oder andere Städte der Westküste Kleinasiens ebenfalls für denkbar. Vgl. Plassmann, Orpheus, 161. Dieterich hält Ägypten für möglich. Vgl. Dieterich, De hymnis, 52. Die Zusammengehörigkeit von Einleitung und ὕμνοι, die z. B. durch die Nennung unterschiedlicher Gottheiten und differierender Zusammenstellung des Pantheons infrage gestellt wird, stellt eine eigene Fragestellung dar. Vgl. West, Notes, 288; Petersen, Ursprung, 389; Kern, Prooimion, besonders 20–21. Vgl. Athanassakis, Hymns, XII. Zusammengebrachte Philosophien sind stoische Elemente sowie vorsokratisches, pythagoreisches und neuplatonisches Gedankengut. Athanassakis, Hymns, XIII.
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spiegeln die OH den ausgeprägten Synkretismus des kaiserzeitlichen Kleinasiens wider.114 Spezifisch für die Orphik ist eine bestimmte Anthropologie, nach der der Mensch eine Mischung aus titanischen und dionysischen Elementen darstellt. Diese entsprechen dem Körper und der Seele.115 Zudem ist die Vorstellung von einer Seelenwanderung bezeichnend, welche Transmigration genannt wird: Nach dem Tod gelangt die Seele in die Unterwelt, wird dort gerichtet und gestraft bzw. gereinigt, bevor sie erneut eine Verbindung mit einem Körper eingeht. Im neuen Leben erhält die Seele die Vergeltung vergangener Taten.116 Weitere Grundbausteine der Orphik sind die Überwindung der Wiedergeburten und die Unsterblichkeit als Lebensziel117 , eine eigene Ethik118 , der Verzicht auf Fleischverzehr119 sowie eine synkretistische Theound Kosmogonie mit Dionysos als wichtigster Gottheit.120 Dies erkennt man an sieben bzw. neun ihm gewidmeten ὕμνοι. Elemente der hesiodischen Theogonie werden einbezogen und unter dem Einfluss philosophischer Strömungen werden abstrakte Begriffe wie Gerechtigkeit oder Gesetz personifiziert.121 Der Sitz im Leben der OH sind vermutlich religiöse Vereinigungen, die v. a. Dionysos verehrten, sogenannte θίασοι.122 Ihre Mitglieder wurden μύστης, μυστι-
114 Vgl. Athanassakis, Hymns, XIII. 115 Vgl. Samter, Religion, 82. Durch Schlaf, Meditation oder Tod könne sich der Mensch an seine göttliche Natur erinnern, von der er abstamme. Vgl. Raphael, Orphik, 36. 116 Vgl. Samter, Religion, 82. In diesem Aspekt unterscheiden sich die Orphischen Mysterien von der olympischen Religion am wesentlichsten: Während in der olympischen Religion der Tod den unüberwindbaren Schluss darstellt, ist er bei den Orphikern „the beginning of life, and not its end.“ Herrero de Jáuregui, Orphism, 1. 117 Vgl. Samter, Religion, 82; Plat. Phaid. 29; Guthrie, Orpheus, 194; Raphael, Orphik, 55. 118 Vgl. Samter, Religion, 82. Die Askese der Seele soll zur Freiheit vom Leib führen, der als Gefängnis verstanden wird. Vgl. Calame, Art. Orphik, Orphische Dichtung, Sp. 66. Man trug weiße Leinenkleider statt Wolle als Symbol ritueller Reinheit und aus Verzicht des Ausbeutens von Tieren. Vgl. Scheffer, Mysterien, 101; Guthrie, Orpheus, 199. Die Mysten sind sogar in weißen Leinengewändern bestattet worden. Vgl. Bremmer, Orpheus, 67. Weitere Informationen zur Ethik vgl. Raphael, Orphik, 85. 119 Vgl. Athanassakis, Hymns, XIII; Bremmer, Orpheus, 67; Calame, Art. Orphik, Orphische Dichtung, Sp. 66; Guthrie, Orpheus, 196f; Samter, Religion, 82; Scheffer, Mysterien, 101f. 120 Im Gegensatz zur hesiodischen Theogonie gehen Nyx und Phanes/Protogonos der Trias UranosKronos-Zeus voraus. Vgl. Kotwick, Papyrus, 28. 121 Die orphische Kosmogonie ist uneinheitlich. Nach einer Version ist die Welt aus einem Ei hervorgegangen, das die Göttin Nyx legte und aus dem Eros/Phanes/Protogonos schlüpfte. Vgl. Borchhardt-Bierbaumer, Imago, 63. Dass das orphische Pantheon synkretistisch ist, merkt man daran, dass mit Adonis eine vorderorientalische Gottheit, mit Kybele, Mise, Hipta und Melinoe anatolische Gottheiten einbezogen werden. Synkretistische Tendenzen sind für Mysterienkulte grundsätzlich kennzeichnend und nehmen in der Spätantike zu. Vgl. Kloft, Mysterienkulte, 10. 122 Ihre Grundlage sind die Orphischen Mysterien. Diese werden u. a. als eine Eigenart des Dionysoskults angesehen. Vgl. Guthrie, Orpheus, 39.41.
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πόλος oder ὀργιοφάντης genannt. Ihre geheimen Zeremonien wurden als ὄργια
oder τελεταί bezeichnet, der höchste Priester als βούκολος.123 Im Zuge solcher Rituale könnten die ὕμνοι gesungen worden sein. Als Gebetsanliegen wurden in solchen Vereinigungen zumeist ein gutes Lebensende, ansonsten Reichtum, Frieden, Gesundheit oder allgemein Segen an die jeweiligen Gottheiten gerichtet. Vor fast jedem OH findet sich ein Hinweis auf ein vorgeschriebenes Rauchopfer.124 Eine andere Möglichkeit besteht in einem rein literarischen Ursprung: Der Autor der OH hat sich vielleicht von einer bereits existierenden Kultgemeinde inspirieren lassen und in seinem literarischen Werk einen kultischen Charakter imitiert, wie es bereits bei Hom. h. praktiziert worden war.125 Die Zusammenstellung der ὕμνοι ist streng geordnet: Erstens sind genealogische Strukturen gemäß des orphischen Pantheons zu erkennen.126 Zudem orientieren sich die ersten ὕμνοι gemäß der orphischen Theogonie an den älteren Gottheiten und solchen, deren Wirkungsgebiet die Geburt ist.127 Daran schließen sich ὕμνοι an die Gottheiten bzgl. der vier Elemente an (15–27),128 welche zum ersten Dionysosὕμνος führen. In diesem wird die Geburt des Dionysos thematisiert, im weiteren Verlauf werden sein Tod und seine Wiedergeburt geschildert (31–38). Ein weiteres Cluster befasst sich mit eleusinischen Themen (40–43),129 bevor die nachfolgende Gruppe den dionysischen Kult behandelt (44–54). Im Anschluss wird Aphrodite
123 Vgl. Kloft, Mysterienkulte, 8f zur Terminologie. 124 Als Angaben sind Styrax, Feuerbrand, Weihrauch, Safran, Myrrhe, Gewürze, Weihrauchmanna, Manna, alle Samen außer Bohnen und Gewürze, alles außer Weihrauch und Milch-Trankopfer, Mohn sowie Verschiedenes verzeichnet. Die ὕμνοι ohne vorgeschriebenes Rauchopfer sind 1, 18, 29, 31, 45, 50, 55, 61 und 64. Eventuell hängt die Wahl eines bestimmten Duftes mit der Jahreszeit zusammen, da die einzelnen Rituale für die orphischen Gottheiten zu festgesetzten Zeiten im Jahr stattfanden. Vgl. Athanassakis, Hymns, XVII. 125 Vgl. Thraede, Art. Hymnus, 928. In den frühen Phasen der orphischen Mysterienreligion nimmt man eine „lose Organisation“ mit „hoher lokaler Mobilität und relativ instabiler Anhängerschaft“ an. Vgl. Heinze, Art. Orphikoi, Sp. 69f; Scheffer, Mysterien, 105; Herrero de Jáuregui, Orphism, 27. In dieser Phase zogen die Orpheotelesten umher und verbreiteten die orphischen Mysterien. Vgl. Bremmer, Orpheus, 69. Da die OH wahrscheinlich in einer späteren Phase der orphischen Mysterienreligion entstanden sind, kann man eher davon ausgehen, dass sie eine bereits bestehende Kultgemeinde voraussetzen. 126 Die ὕμνοι an Kronos und Rhea stehen z. B. direkt hintereinander und sind Zeus vorangestellt, der als ihr Nachkomme gilt. Danach steht ein ὕμνος an die Zeus-Frau Hera (13–16). 127 Die ersten drei ὕμνοι sind Hekate, Prothyraia und Nyx gewidmet. Hekate bewacht die Lebensgrenzen, Prothyraia steht den Gebärenden bei, aus Nyx entstand das Weltenei. 128 Gemeint ist, dass die ὕμνοι an Gottheiten mit den entsprechenden Wirkungsbereichen gerichtet sind, also Erde, Wasser, Feuer und Luft. 129 Aufgrund dieser Hymnengruppe nimmt man an, dass die eleusinischen Mysterien in den orphischen Mysterien verarbeitet sind. Zum Zusammenhang der beiden Gottheiten Dionysos und Demeter bzw. der Mysterien von Eleusis und Orpheus vgl. Bremmer, Orpheus, 65.
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in einem Cluster thematisiert (55–68), bevor kleinere Gottheiten erwähnt werden (79–84). Den Abschluss bilden die drei Gottheiten Hypnos, Oneiros und Thanatos (85–87). Das vorherrschende Thema ist der Tod. Diese Anordnung bildet die Betrachtung von Geburt, Tod und Wiedergeburt heraus, typische Elemente des Dionysos-Mythos, den die Mysten bei ihren Ritualen nachempfunden haben.130 2.1.3.2 Textgeschichte
Die in dieser Studie verwendete griechische Ausgabe der OH ist von Quandt.131 Die Textgeschichte der OH ist schwer zu rekonstruieren. Ein Problempunkt besteht in der bereits erwähnten Vielfalt literarischer Zeugnisse, die Orpheus zugeschrieben werden, einer mythischen Figur, deren Existenz nicht gesichert ist. Antike Quellen erwähnen die hier analysierte Hymnensammlung nicht.132 Ein Hinweis führt zurück ins 9./10. Jh.n. Chr.: Ein byzantinisches Corpus mit den ὕμνοι des Homer, des Kallimachos, des Orpheus samt Argonautika und des Proklos ist bekannt.133 Die ersten Abschriften davon, die 1423 durch Giovanni Aurispa und 1427 durch Franciscus Philadelphus von Konstantinopel nach Italien gelangten, sind zusammen mit vermutlich vier weiteren Handschriften verloren gegangen. Der Verlust des Aurispa-Manuskripts ist besonders bedauerlich, da es wahrscheinlich den Archetypen der späteren Codices darstellt.134 Von diesen sind 36 Codices erhalten, einige beinhalten die OH nur fragmentarisch. Eine erste gedruckte Edition wurde 1500 in Florenz publiziert.135 Diese enthielt neben den 87 OH die orphischen Argonautika und einige ὕμνοι des Proklos. Bis 1600 erschienen weitere fünf Ausgaben.136 Vermutlich von diesen gedruckten Versionen ist eine lateinische 130 Unter Mysten versteht man die Eingeweihten in einen Mysterienkult. Vgl. Kloft, Mysterienkulte, 8. Eine moderne Definition und Abgrenzung von Magoi bietet zudem Edmonds, people, 16–39. Wahrscheinlich haben sie ihre Rituale die Nacht hindurch vollzogen und mit der Morgendämmerung die Hoffnung auf ein neues Leben verbunden. Dies betraf wahrscheinlich auch die Gestaltung des Jahreskreises mit dem Kommen und Gehen der blühenden Jahreszeiten. Vgl. Athanassakis, Hymns, XVIII. 131 Quandt, Hymni. 132 Athanassakis deutet eine Hypothese an, die zu unsicher ist: Ps-Demosthenes thematisiere die orphische Vorstellung, dass Dike auf Zeus‘ Thron sitze und die menschlichen Belange beobachte. Dies sei ein Umstand, der auch im OH 62 an Dike zu lesen ist. Da diese Vorstellung typisch orphisch ist und nicht ausschließlich in den OH geschrieben steht, kann eine direkte Kenntnis der OH durch Ps-Demosthenes nicht vorausgesetzt werden. Vgl. Athanassakis, Hymns, X. 133 Vgl. Burkert, Hymnoi, 10; Herrero de Jáuregui, Orphism, 35f; Zuntz, Hymnen, 105. 134 Vgl. Athanassakis, Hymns, IX. 135 Der Herausgeber ist Philippus Junta, für eine italienische Übersetzung dieser Ausgabe vgl. Cioni, Bartolomeo. 136 U. a. gehört dazu die Ausgabe vom Verleger Aldine aus dem Jahr 1517. Vgl. den vollständigen griechisch-lateinischen Titel in Kaplan, The Aldine Press, 136.
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Übersetzung durch Joseph Justus Scaliger (1520–1609) vorgenommen worden.137 1689 wurde Eschenbachs Ausgabe138 veröffentlicht, 1805 eine wirkungsgeschichtlich relevante Ausgabe139 von Hermann, dagegen erfuhr die 1885 veröffentlichte Edition140 von Abel rege Kritik. Wilhelm Quandt stellte seine Ausgabe 1941 fertig, doch erfuhr sie kriegsbedingt erst ab 1955 Aufmerksamkeit, als sie neugedruckt und in überarbeiteter Form publiziert wurde.141 Bis heute stellt diese kritische Ausgabe die Grundlage für alle Übersetzungen dar. 2.1.4
Methodische Vorüberlegungen zur formalen Analyse der OH
Bevor ein Textvergleich zwischen der Offb und ausgewählten OH vorgenommen werden kann, muss eine methodische Erklärung vorangestellt werden. Die beiden zu vergleichenden Textquellen sind unterschiedlichen Gattungen zuzuordnen. Während die Offb eine Mischung aus Brief und Apokalypse ist, handelt es sich bei den OH um eine Sammlung von paganen ὕμνοι. Bevor die beiden Quellen miteinander verglichen werden, muss das bergersche Abstufungsmodell auf die OH angewandt werden. Aufgrund der verschiedenen Gattungen weisen die beiden Textquellen jedoch unterschiedliche Kategorien des bergerschen Abstufungsmodells auf. Die OH halten sich formgeschichtlich an die Vorgaben des antiken ὕμνοςMaßstabs, wodurch die Kategorie 1 des bergerschen Modells für eine Anwendung infrage kommt. Erst nach einer Anwendung der entsprechenden Formelemente auf die OH sind die gleichen Voraussetzungen für beide Textquellen gegeben und ein Vergleich methodisch gesichert. 2.1.4.1 Kurze Erläuterung der Kategorie 1
Berger erläutert die Formelemente seines Abstufungsmodells nicht wirklich, wie in den vergangenen Kapiteln herausgestellt worden ist. Umso notwendiger ist es, auch die Kategorie 1 mit ihren verschiedenen Formelementen kurz zu erklären, welche nicht immer eindeutig zu verstehen sind. Die Überschriften sind Bergers Auflistung entlehnt.142
137 Vgl. Graf/Johnston, texts, 50. 138 Eschenbach, Argonautica. 139 Hermann, Orphica. Er distanzierte sich jedoch von der Behauptung, die Texte seien von Orpheus selbst verfasst. Vgl. Graf/Johnston, texts, 50. 140 Abel, Orphica. 141 Quandt, Hymni. 142 Vgl. Berger, Formgeschichte, 239.
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Unter a) Name der Gottheit (gr. Epiklesis) ist der Anrufungsteil eines ὕμνος zu verstehen. Der Begriff „Epiklesis“ wurde bereits erklärt und heißt „Herabrufung“. Die grammatikalischen Formen einer Epiklesis sind Bezeichnungen der Gottheit im Vokativ.143 Diese werden in einer Reihung aufgezählt.144 b) Einleitung z. B. als Selbstaufforderung zum Gesang wie in AT-Psalmen: Dieses Formelement stellt einen alternativen Einstieg in einen griechischen ὕμνος dar, bei dem Verbformen im Konjunktiv verwendet werden. Diese sind als Wunschform zu interpretieren. Häufige Verben sind Formen von καλέω oder ἀείδω. c) Physis des Gottes wird beschrieben: Mit der Beschreibung der physis des gepriesenen Gottes wird ein episches Motiv in den ὕμνος eingebaut, bei dem die Geburt, Wanderungen, Kämpfe und Machtbehauptungen gegenüber anderen Göttern berichtet werden.145 Dazu zählt auch die Genealogisierung der Gottheit in ein gesamtgöttliches Beziehungs- und Verwandtschaftsnetz. Weitere Elemente sind zudem körperliche Merkmale, Kleidung und zugeschriebene Gegenstände. Das Formschema, welches Berger beobachtet, besteht v. a. aus einer Ansammlung von Beinamen, u. a. als Partizipien. d) Anaphorische Du-Anrede mit Aufzählung der Taten: In anaphorischem Stil wird nach der Beschreibung der physis die dynamis der Gottheit anhand ihrer Taten beschrieben. Diese Aufzählung bildet den zweiten großen Schwerpunkt, der den epischen Hauptteil von griechischen ὕμνοι ausmacht. Zusammen mit Punkt c) ergibt sich aus dieser Epik eine Art Mythologie der gepriesenen Gottheit. e) Aretalogie mit Nebensätzen, die mit „denn“ eingeleitet werden, oder Relativsätze und Zielangaben mit „damit“: Der epische Mittelteil von ὕμνοι wird sprachlich u. a. durch Prädikationsformeln eingeleitet. Die sich anschließende Beschreibung von physis und dynamis einer Gottheit kann neben Reihungen von Beinamen auch in Nebensätzen ausgedrückt werden.146 Die häufigsten Formen von Prädikationsformeln wurden bereits in der Anwendung auf die Offb herausgestellt und haben unterstützende Funktion. Sie leiten meistens die Beschreibungen von physis und dynamis einer Gottheit ein. Die Nebensätze, die den epischen Mittelteil gestalten, bestehen grammatikalisch v. a. aus Relativsätzen, Partizipialkonstruktionen oder Finalsätzen. f) Als Einleitung kann auch Bitte um das Kommen der Gottheit stehen: Eine alternative Übersetzung des Begriffs Epiklesis ist „Herbeirufung“. Deshalb kann eine Epiklesis auch Imperative enthalten, durch die die Bitte um das Kommen der Gottheit ausgedrückt wird. Manchmal werden die Musen als Beistand angerufen. Dies erklärt sich damit, dass der Hymnode sich der Aufgabe, die Größe des Gottes zu preisen, nicht gewachsen sieht. Dementsprechend formuliert er auch rhetorische Fragen, die sein Unvermögen ausdrücken. Man 143 Bezüglich der Ansammlung vieler Gottesbezeichnungen vermutet Usener bereits im 19. Jh., dass es sich dabei ursprünglich um die Bezeichnungen von Sondergöttern handelte, bevor sie als Eigenschaften einer Hauptgottheit zusammengefasst worden seien. Vgl. Usener, Götternamen, 218–219. 144 Vgl. Burkert, Hymnoi, 14. 145 Vgl. Burkert, Hymnoi, 15. 146 Vgl. Berger, Gattungen, 1156.
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kann diese Form der Epiklesis auch als Rechtfertigung des folgenden Lobpreises betrachten.147 g) Schluss mit Gebet, oft mit „und nun/jetzt“ eingeleitet: Das abschließende Gebet ist ein Bittgebet, das das Ziel des gesamten ὕμνος darstellt und auf das die Epiklesis sowie der epische Mittelteil hinauslaufen. Die Bitte wird individuell ausformuliert, je nachdem, um welche Gottheit es sich handelt. Diese hat jeweils einen eingeschränkten Macht- bzw. Tätigkeitsbereich, welcher für eine sichere Gebetserhörung nicht verwechselt werden darf. Die Verbformen dieses Schlussgebets sind meistens Imperative, können aber auch Optative darstellen. Für den signalhaften Beginn der abschließenden Bittabschnitte werden häufig νῦν oder ἀλλά verwendet. 2.1.4.2 Begründete Auswahl der OH
Die OH sind eine Sammlung von 87 ὕμνοι. Für einen Textvergleich mit der Offb ist der Umfang zu groß, sodass eine angemessene Eingrenzung anhand verschiedener Auswahlkriterien vonnöten ist. Die auszuwählenden ὕμνοι sollten idealerweise alle Formelemente der Kategorie 1 des bergerschen Konzepts aufweisen, um möglichst anschauliche Beispiele darzustellen. Dabei ist zu beachten, dass es drei verschiedene Arten von Hymnenanfängen gibt. Sie entsprechen den Punkten a), b) und f). Bei der Auswahl der OH ist also zu berücksichtigen, dass möglichst Beispiele für alle drei Varianten herangezogen werden. Der angestrebte Textvergleich mit der Offb ist formgeschichtlich. Daher ist es wichtig, diejenigen ὕμνοι auszusuchen, welche besonders zahlreiche Formelemente mit festem Formschema aufweisen. Die inhaltlich ausgerichteten Punkte c) und d) werden ohnehin in jedem ὕμνος nachgewiesen und haben daher wenig spezifische Aussagekraft. Zudem ist ein typisches Charakteristikum dieser Hymnensammlung der hohe Gehalt an Aretalogien. Da diese Eigenschaft in allen ὕμνοι nachgewiesen wird, ist sie bei der Eingrenzung von ὕμνοι wenig hilfreich. Umso sinnvoller erscheint die Berücksichtigung von Prädikationsformeln. Zunächst werden die ὕμνοι 1 bis 87 auf die Formelemente a) bis g) der Kategorie 1 hin untersucht und im Folgenden mit Nummer notiert.148 a) Name der Gottheit (gr. Epiklesis): 4 (5) 10 12 13 14 16 19 21 23 24 26 31 32 35 37 38 40 41 43 51 55 (57) 63 65 66 67 75 76 81 82 84 85
147 Vgl. Berger, Gattungen, 1151. 148 Die eingeklammerten Zahlen zeigen die ὕμνοι an, welche das gefragte Formelement nur indirekt aufweisen. Dies betrifft OH 5 und 57 bzgl. Formelement a).
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b) Einleitung z. B. als Selbstaufforderung zum Gesang: 1 3 6 7 11 15 20 22 25 30 33 34 39 42 44 46 47 49 52 53 58 61 62 64 71 73 74 77 79 83 86 c) Physis des Gottes: 1–87, unsichere Nummern sind 47 61 63 64 73 d) Taten und jetziges Wirken: 1–87, unsichere Nummern sind 37 43 60 e) Aretalogie mit Nebensätzen, die mit „denn“ eingeleitet werden, oder Relativsätze und Zielangaben mit „damit“: 2 3 6 10 12 13 14 17 18 23 24 25 26 27 28 29 32 33 36 37 39 40 41 44 45 46 47 48 53 55 56 47 59 61 62 63 64 65 68 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 82 83 84 87 f) Als Einleitung Bitte um das Kommen der Gottheit: 2 8 9 17 27 28 29 36 45 48 50 54 56 59 60 68 69 70 72 78 80 82 87 g) Schluss mit Gebet (oft mit „und nun/jetzt“): 1–87, jedoch mit unterschiedlichen Varianten
Die Überprüfung der verschiedenen Formelemente für die OH stellt neben unterschiedlichen Hymnenanfängen auch unterschiedliche Überleitungen zu Bittabschnitten heraus. Dies betrifft Punkt g) Schluss mit Gebet. Ein Bittabschnitt am Ende ist in jedem ὕμνος belegt, wird jedoch unterschiedlich gestaltet: Einige OH beginnen den letzten Abschnitt mit ἀλλά, manche mit νῦν, einige mit den Imperativen κλῦθι, δός und ἔλθε, andere mit Optativen oder Partizipien. Eine letzte Gruppe von OH beginnt den Bittabschnitt mit einer Verbform in der 1. Pers. Sg.149 In einer Übersicht ergibt dies folgende Sortierung:150
149 OH 54 stellt eine Ausnahme dar, da dort die Interjektion δεῦρο mit apostrophierter Endung verwendet wird. Sie hat den Charakter eines Imperativs. 150 Die Sortierung richtet sich nach der Relevanz der Einleitungsarten. Ἀλλά und νῦν sind in paganen ὕμνοι die typischsten Signalwörter bei Bittabschnitten und stehen deshalb ganz oben.
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ἀλλά: 6 10 11 16 19 19 23 25 26 33 41 48 53 57 58 59 62 64 68 69 71 72 74 76 77 78 79 85
86 87 νῦν: 3 21 44 50 κλῦθι: 2 4 8 15 22 28 29 30 32 34 35 39 63 66 83 ἔλθε: 7 9 12 14 27 36 40 43 45 46 47 49 51 52 55 56 67 80 1. Pers. Sg.: 5 18 24 37 70 75 82 Optative: 17 31 38 42 60 73 81 Partizipien: 1 13 20 65 84 δός: 61
Es wäre sinnvoll, solche ὕμνοι auszuwählen, die unterschiedlich eingeleitete Bittabschnitte aufweisen. Dadurch werden möglichst verschiedene Beispiele verwendet und die Vielfalt der OH hervorgehoben. Bei der Sichtung von Prädikationsformeln und Nebensätzen in den OH sticht heraus, dass einige ὕμνοι mehrere Arten von formelhaften Wendungen aufweisen: Nebensatz mit ἵνα oder ὅτι: 59 und 27 μόνος-Prädikation: 2 10 Alles-Prädikation: 62 τοιγάρτοι: 73 82 ἐκ σοῦ/σὲο γάρ: 14 27 55 68 79 ἐν σοὶ γάρ: 2 61 63 72 73 74 87 Relativkonstruktionen: 2 3 6 12 13 14 17 18 23 24 25 26 27 28 29 32 33 36 37 39 40 41 44 45 46 47 48 53 56 57 59 61 62 63 64 65 70 71 75 76 77 78 79 83 84 87
Für möglichst herausstechende Beispiele sollten solche ὕμνοι berücksichtigt werden, die möglichst mehrere Formen von Prädikationsformeln beinhalten. Viele ὕμνοι mit Prädikationsformeln weisen zugleich Relativkonstruktionen auf. Diese werden bei der Beschreibung von physis und dynamis einer Gottheit häufig verwendet. Fasst man alle Beobachtungen zusammen und prüft die Vollständigkeit sowie die Vielfalt an Formelementen mit festem Formschema, ergibt dies eine engere Auswahl folgender OH: Vorauswahl: 2 14 27 55 59 61 62 73 79
Die Auswahl berücksichtigt bereits das Vorkommen unterschiedlicher Einleitungen, d. h. es sind Varianten, die die Punkte a), b) und f) der Kategorie 1 des bergerschen Konzepts abdecken. Die neun ὕμνοι werden auf die Vielfalt an Prädikationsformeln untersucht. Dabei stechen die ὕμνοι 2 und 27 mit jeweils drei verschiedenen
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Formeln besonders heraus. Weniger relevant sind die ὕμνοι 14, 59, 62 und 79, weil sie jeweils zwei verschiedene Formeln aufweisen. 55 wird außen vor gelassen, da nur eine Formel vorliegt. Die endgültige Auswahl stellt sich damit wie folgt dar: Endgültige Auswahl: 2 14 27 62
Für einen Textvergleich mit der Offb werden letztendlich die ὕμνοι 2 an Prothyraia sowie 27 an die Göttermutter aufgegriffen, die denselben Hymnenanfang aufweisen (Punkt f). Zudem wird ὕμνος 62 an Dike ausgewählt, weil er einerseits einen Hymnenanfang gemäß Punkt b) aufweist, andererseits den signalhaften Beginn des Bittabschnitts mit ἀλλά. Als viertes Beispiel für einen Textvergleich wird ὕμνος 14 an Rhea herangezogen, weil ein Hymnenanfang gemäß Punkt a) belegt und das Ende imperativisch gestaltet ist.151 2.1.5
Aufbereitung des bergerschen Konzepts für die OH
Die im vorherigen Kapitel erarbeitete Auswahl wird ähnlich den hymnenartigen Passagen der Offb nun dem bergerschen Konzept unterzogen. Dabei werden die bereits erläuterten Formelemente a) bis g) der Kategorie 1 verwendet. a) Name der Gottheit (gr. Epiklesis)
Der epikletische Hymnenanfang, der unter Punkt a) thematisiert wird, kann in ὕμνος 14 an Rhea nachgewiesen werden. Die ersten Begriffe sind bereits Beinamen im Vokativ, anhand derer die Art des Hymnenanfangs deutlich gekennzeichnet wird: Πότνα Ῥέα, θύγατερ πολυμόρφου Πρωτογόνοιο
Herrin Rhea, Tochter des vielgestaltigen Protogonos (OH 14)
Der Anrufungsteil dieses ὕμνος ist verhältnismäßig kurz und kann durch einen sich anschließenden Relativsatz vom epischen Mittelteil deutlich abgegrenzt werden. Dieser wird durch ἥτε in apostrophierter Form signalisiert. Der dritte vokativische Bestandteil θύγατερ ist bereits eine Verwandtschaftsbezeichnung, die man v. a. im epischen Mittelteil erwarten würde, und wird durch genitivische Zuschreibungen spezifiziert: Rhea wird als Tochter von Protogonos angerufen.152 Der Titel πότνα
151 Die Untersuchung beschränkt sich ausschließlich auf formgeschichtliche Aspekte. Daher ergibt sich rein zufällig ein Textbestand, der weiblichen Gottheiten gewidmet ist. 152 Dies zeigt an, dass Rhea in das orphische Pantheon eingegliedert wird. Vgl. Winkler, Weltentstehung, 268.
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kommt in den OH insgesamt noch fünfmal vor, jedoch nicht mehr an einem Hymnenanfang.153 Es handelt sich um eine typische Anrede weiblicher Gottheiten und ist das weibliche Pendant zu πόσις.154 Der Anrufungsteil dieses ὕμνος ist Punkt a) zuzuordnen, weil keine Verbformen nachgewiesen werden. b) Einleitung z. B. als Selbstaufforderung zum Gesang wie in AT-Psalmen
Dieses Formelement wird im Anrufungsteil von OH 62 an Dike nachgewiesen: Ὄμμα Δίκης μέλπω πανδερκέος, ἀγλαομόρφου.
Ich will das Auge der allsehenden herrlich-gestaltigen Dike besingen. (OH 62)
Die Epiklesis ist wie in OH 14 an Rhea verhältnismäßig knapp und durch einen sich anschließenden Relativsatz deutlich vom epischen Mittelteil abgegrenzt. Die Selbstaufforderung wird durch die Konjunktivform des Verbs μέλπω155 erzielt, welches u. a. mit „singen“ übersetzt wird. Das Objekt des Besingens ist allerdings nicht Dike selbst, sondern ihr Auge. Der gesamte ὕμνος beginnt mit dem Begriff ὄμμα, was die schlüsselhafte Funktion des Wortes unterstreicht. Weitere Eigenschaften der Dike sind πανδερκέος und ἀγλαομόρφου. Beide Genitivformen sind sowohl für feminine als auch maskuline Bezugswörter belegt.156 Die Gottheit wird feminin gedacht, weil sie als abstractum das Genus der bezeichneten Sache übernimmt.157 c) Physis des Gottes wird beschrieben
Dieser Aspekt kann in allen ausgewählten Beispielen nachgewiesen werden. Für eine Betrachtung in den ausgewählten Beispielen werden die epischen Mittelteile nacheinander untersucht. ἣ κατέχεις οἴκους πάντων θαλίαις τε γέγηθας, λυσίζων’, ἀφανής, ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι, συμπάσχεις ὠδῖσι καὶ εὐτοκίηισι γέγηθας, Εἰλείθυια, λύουσα πόνους δειναῖς ἐν ἀνάγκαις· μούνην γὰρ σὲ καλοῦσι λεχοὶ ψυχῆς ἀνάπαυμα· ἐν γὰρ σοὶ τοκετῶν λυσιπήμονές εἰσιν ἀνῖαι, Ἄρτεμις Εἰλείθυια, καὶ, ἡ σεμνή, Προθυραία.
die du begossest die Häuser aller und [über] Lebensfreuden dich gefreut hast, Gürtellöserin, Unsichtbare, du zeigst dich aber [in] allen Werken, du leidest mit [bei] Geburtswehen
153 Er kommt in abgewandelter Form noch in 17, 27, 36 und 40 vor, in 27 sogar zweimal. 154 Aus diesen beiden Epitheta entstanden die beiden abgeleiteten Formen δεσπότης und δέσποινα. Vgl. LSJ, Art. πόσις, 1452–1455. 155 1. Pers. Sg. Konj. Präs. Akt. Dass es als Konjunktiv interpretiert werden kann, zeigt erstens die Identität der Verbform mit der 1. Pers. Sg. Ind. Präs. Akt., zweitens der Kontext des ὕμνος-Beginns. 156 Vgl. Gemoll, Schul- und Handwörterbuch, 604. 157 Das Nomen δίκη, „Sitte, Brauch, Recht, Weise, Weisung“, ist grammatikalisch gesehen feminin. Daher ist die Vorstellung der Gottheit selbst auch feminin. Vgl. Meyer, Wunschbilder, 183.
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und hast gejubelt [über] leichte Geburten, Eileithyia, lösend die Not in schrecklichen Bedrängnissen: Denn dich allein rufen die Wöchnerinnen Ruhe der Seele: Denn in dir sind die Geburten [von] Sorge befreit, Artemis Eileithyia und Verehrte, Prothyraia. (OH 2)
In OH 2 an Prothyraia wird der epische Mittelteil durch eine Relativkonstruktion eingeleitet. Nach dem Relativpronomen ἥ folgt die Verbform κατέχεις, von καταχέω, „ausgießen, ausschütten“.158 Die physis der Prothyraia wird durch eine Aussage über das Aussehen der Gottheit belegt. Dafür wird das Adjektiv ἀφανής verwendet. Es handelt sich um eine Negativaussage, welche durch den Satz ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι relativiert wird. Das Aussehen der Prothyraia definiert sich damit durch ihre Werke. An anderer Stelle wird sie als κλειδοῦχε bezeichnet, also als Schlüsselhalterin. Das Attribut ist als Herrschaftszeichen bekannt, weshalb der Prothyraia durch dieses Epitheton Macht zugeschrieben wird.159 ἥτ’ ἐπὶ ταυροφόνων ἱερότροχον ἅρμα τιταίνεις, τυμπανόδουπε, φιλοιστρομανές, χαλκόκροτε κούρη, μῆτερ Ζηνὸς ἄνακτος Ὀλυμπίου, αἰγιόχοιο, πάντιμ’, ἀγλαόμορφε, Κρόνου σύλλεκτρε μάκαιρα, οὔρεσιν ἣ χαίρεις θνητῶν τ’ ὀλολύγμασι φρικτοῖς, παμβασίλεια Ῥέα, πολεμόκλονε, ὀμβριμόθυμε, ψευδομένη σώτειρα, λυτηριάς, ἀρχιγένεθλε· μήτηρ μέν τε θεῶν ἠδὲ θνητῶν ἀνθρώπων· ἐκ σοῦ γὰρ καὶ γαῖα καὶ οὐρανὸς εὐρὺς ὕπερθεν καὶ πόντος πνοαί τε φιλόδρομε, ἀερόμορφε·
die du anspannst an die Stiertötenden den heiligen Streitwagen, mit Pauken Lärmende, Raserei Liebende, mit Erz dröhnende Kore, Mutter des Herrn Zeus Olympios Aigiochos (die Ägis haltend), Allehrwürdige, von schöner Gestalt, selige Ehefrau des Kronos, die du dich erfreust [an] Bergen und [an] schauderhaften Schreien der Sterblichen, Allkönigin Rhea, dich kriegerisch Tummelnde, Starkmütige, täuschende Retterin, Erlöserin, Urheberin des Geschlechts: Ja, du Mutter der Götter und sterblichen Menschen: Denn aus dir [sind] die Erde, der weite Himmel oberhalb, das Meer und die Winde, das Laufen Liebende, Luftgestaltete: (OH 14)
158 Vgl. LSJ, Art. καταχέω, 921. 159 Mit Blick auf den Namen der Gottheit drückt der Begriff der Schlüsselhalterin zudem aus, dass Prothyraia Göttin der Übergänge ist, in diesem Kontext ist sie für den Eingang in ein neues Leben zuständig. Die beiden Epitheta Prothyraia und Schlüsselhalterin weisen übrigens darauf hin, dass OH 2 Hekate gewidmet ist. Es handelt sich um typische Eigenschaften dieser Gottheit. Die Anordnung als OH 2 bestärkt diesen Hinweis, da bereits OH 1 an Hekate gerichtet ist. Vgl. Wrede, Herme, 23: „Hekate Prothyraia als Verkörperung der Wege und Grenzen“. Ganz anders sieht es Plassmann, der das Epitheton κλειδοῦχος ausschließlich auf Artemis bezieht, was in Kombination mit Εἰλείθυια ebenfalls plausibel ist. Vgl. Plassmann, Orpheus, 137. Es ist zu beachten, dass Hekate und Artemis teilweise angeglichen werden und sogar mit Selene zu einer synkretistischen Gottheit verschmelzen. Vgl. Hopfner, Hekate-Selene-Artemis, 125. Diese ist u. a. für das kaiserzeitliche Ephesos belegt. Vgl. Schwindt, Weltbild, 129. Insgesamt bedeutet der Besitz eines Schlüssels die Macht über den verschlossenen Raum. Vgl. Thomas, motifs, 88.
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OH 14 an Rhea behandelt die physis der angerufenen Gottheit ausführlicher als in ὕμνος 2. Rhea wird als κούρη bezeichnet, was u. a. mit „Jungfrau, Mädchen“ übersetzt oder als Eigenname der Kore übernommen werden kann.160 Gleichzeitig wird sie als die Mutter des Zeus Olympios Aigiochos und als Ehefrau, wörtlich als Bettgenossin, des Kronos angerufen. Zudem wird sie mit ἀγλαόμορφε betitelt, also mit „Schöngestaltige“. Des Weiteren gilt ihr die in den OH häufig verwendete Anrufung „Mutter der Götter und sterblichen Menschen“.161 Sonstige Anrufungen, die die physis der Gottheit thematisieren, sind die Vokativformen ἀρχιγένεθλε und ἀερόμορφε. Das erste Epitheton unterstreicht ihren Ursprungscharakter, das zweite bezieht sich auf ihr „luftartiges“, also immaterielles Aussehen.162 ταυροφόνων ζεύξασα ταχύδρομον ἅρμα λεόντων, σκηπτοῦχε κλεινοῖο πόλου, πολυώνυμε, σεμνή, ἣ κατέχεις κόσμοιο μέσον θρόνον, οὕνεκεν αὐτὴ γαῖαν ἔχεις θνητοῖσι τροφὰς παρέχουσα προσηνεῖς. ἐκ σέο δ’ ἀθανάτων τε γένος θνητῶν τ’ ἐλοχεύθη, σοὶ ποταμοὶ κρατέονται ἀεὶ καὶ πᾶσα θάλασσα, Ἑστία αὐδαχθεῖσα· σὲ δ’ ὀλβοδότιν καλέουσι, παντοίων ἀγαθῶν θνητοῖς ὅτι δῶρα χαρίζῃ
anspannend den schnell laufenden Streitwagen der Stiere tötenden Löwen, Zepterträgerin des berühmten Poles, Vielnamige, Ehrwürdige, die du festhältst den mittigen Thron der Welt, weswegen du selbst die Erde hast, gewährend den Sterblichen Speisen, Freundliche. Aus dir ist das Geschlecht der Unsterblichen und der Sterblichen geboren, du hast immer Macht [über] die Flüsse und das ganze Meer, Herd des Hauses Hestia: Dich rufen sie Glücksspenderin, weil du den Sterblichen allerlei gute Geschenke erweist (OH 27)
OH 27 bezeichnet die angerufene Gottheit als „Göttermutter“, wodurch bereits eine Aussage über die physis gemacht wird. Das Epitheton σκηπτοῦχε, Zepterträgerin, drückt aus, dass ihr eine Herrschaft zugeschrieben wird. Durch den Zusatz im
160 Der Titel κούρη wird auch für die Nymphen des Zeus Aigiochos verwendet. Vgl. Hom. Od. XVIII 279. Von Proklos ist zudem bekannt, dass er die drei Gottheiten Rhea, Demeter und Kore sehr eng verknüpft. Vgl. Berg, hymns, 257; ferner Takacs, Art. Kybele, Sp. 952. Mit „Erz dröhnend“ wird zudem das Schlagen der Schallbecken, der sogenannten kymbala angedeutet. Vgl. Kloft, Mysterienkulte, 56. 161 Eine solche Zuschreibung verrät den Einfluss der Kybele, da Rhea diese Eigenschaft ursprünglich nicht innehat. Vgl. Roscher, Lexikon 3, Sp. 92; Plassmann, Orpheus, 141: „Urmutter, Mutter der Hauptgötter“. 162 Womöglich bezieht sich das zweite Epitheton auf ihren Aufenthaltsort: Als interpretatio Graeca der phrygischen Kybele ist auf das „zerklüftete anatolische Bergland“ hinzuweisen, das sie zur „Bergmutter“ werden lässt. Kloft, Mysterienkulte, 56; vgl. zudem Giebel, Geheimnis, 117. Eine andere Vermutung ist der Konnex des Epithetons mit dem Begriff des Uranischen. Vgl. Kim, Mythos, 134, wo im Kontext des Dionysosmythos „uranisch“ als „geistig“ und „transzendent“ verstanden wird. Dieses Epitheton ist somit der olympischen Rhea zuzuordnen, das sich mit den chthonischen Elementen der vorgriechischen Muttergottheit verbindet.
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Genitiv κλεινοῖο πόλου wird der Herrschaftsbereich genauer spezifiziert. Die physis der Göttermutter wird weiterhin durch die Vokativform πολυώνυμε thematisiert, da der Name einer Gottheit deren Natur in Worte fasst.163 Durch die Aussage ἐκ σέο δ’ ἀθανάτων τε γένος θνητῶν τ’ ἐλοχεύθη wird ihr Ursprungscharakter betont, d. h. alles ist aus ihr hervorgegangen. Im Bittabschnitt dieses ὕμνος sind weitere Epitheta zu lesen, welche Punkt c) entsprechen: πανδαμάτωρ, „Allbezwingerin“, kann u. U. die Machtbehauptung gegenüber anderen Gottheiten meinen.164 Die Genitivform Φρυγίης verortet sie bzw. den Kult nach Phrygien. Die Attribute Κρόνου συνόμευνε, Bettgenossin des Kronos, und Οὐρανόπαι, Uranoskind, fügen die Göttermutter in das orphische Pantheon ein, der auch hesiodische Elemente in sich birgt. ἣ καὶ Ζηνὸς ἄνακτος ἐπὶ θρόνον ἱερὸν ἵζει οὐρανόθεν καθορῶσα βίον θνητῶν πολυφύλων, τοῖς ἀδίκοις τιμωρὸς ἐπιβρίθουσα δικαία, ἐξ ἰσότητος ἀληθείαι συνάγουσ’ ἀνόμοια· πάντα γάρ, ὅσσα κακαῖς γνώμαις θνητοῖσιν ὀχεῖται δύσκριτα, βουλομένοις τὸ πλέον βουλαῖς ἀδίκοισι, μούνη ἐπεμβαίνουσα δίκην ἀδίκοις ἐπεγείρεις· ἐχθρὰ τῶν ἀδίκων, εὔφρων δὲ σύνεσσι δικαίοις.
die auch auf dem heiligen Thron des Herrn Zeus sitzt, vom Himmel her herabschauend [auf] das Leben der Sterblichen vieler Stämme, beistehendes Gesetz, schwer lastend [auf] den Ungerechten, zusammenführend aus Unparteilichkeit Ungleiches [durch] Wahrheit. Denn so viel, wie alles Verworrene [wegen] schlechter sterblicher Urteile getrieben wird, vorziehend das Volle [an] ungerechten Absichten, weckst allein du die Gerechtigkeit, tretend [auf] die Ungerechten. Feindselig der Ungerechten, doch gnädig bist du zugleich [mit] den Gerechten. (OH 62)
In OH 62 wird Dike mit herrlicher Gestalt angerufen.165 Das verwendete Epitheton ἀγλαόμορφος drückt ihre Schönheit aus, die im Gegensatz zu der rachsüchtigen Handlung an den Ungerechten steht.166 Ansonsten bleiben Aussagen über die phy-
163 Dieses Epitheton sagt zudem aus, dass die Gottheit unter mehreren Namen bekannt ist bzw. unterschiedlich angerufen wird. Rhea wird im selben OH Hestia genannt, was ursprünglich der Titel einer anderen Gottheit ist. Dazu gehören die Aussagen „Herd des Hauses“ und „mittiger Thron“, die Hestia zugeschrieben werden. Vgl. Hom. h. V 22–30. Dies deutet zudem an, dass es sich um die ursprüngliche anatolische Muttergottheit handeln muss, die je nach Region unterschiedliche Bezeichnungen und Götterprofile erhalten hat, von der die Kybele aus Phrygien eine besonders reiche Wirkungsgeschichte nach sich zog. Vgl. Kloft, Mysterienkulte, 56; Plassmann, Orpheus, 143: „eigentlich gleichbedeutend mit der Rhea und der Kybele“. 164 Angesichts ihrer chthonischen Wesenseigenschaften ist womöglich auch die Zähmung der Naturgewalten gemeint. Vgl. LSJ, Art. πανδαμάτωρ, 1296. 165 Dabei wird die Genitivform ἀγλαομόρφου verwendet. Dies erklärt sich damit, dass das Auge der Dike besungen wird und alle sie beschreibenden Epitheta grammatikalisch an die Genitivform des Namens Dike angepasst werden. 166 Vgl. Berti, Götter, 270.
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sis fast ganz aus. Dies kann damit erklärt werden, dass es sich bei Dike um eine Personifikation handelt, bei der das Aussehen weniger Relevanz besitzt. Zur Personifikation zählen über das allsehende Auge hinaus die Handlungen „sitzen“ und „treten“. Dikes Mitthronen auf dem Zeusthron drückt ihre Verbindlichkeit für alle Menschen aus. Gleichzeitig erhält sie als personifiziertes abstractum herrschaftliche Züge, da der Thron eine Herrschaftsinsignie darstellt. Dadurch, dass sie auf dem olympischen Thron mitthront, hat sie einen besseren Überblick über das „Thun [sic!] und Treiben der Menschen.“167 Bei Hesiod ist sie zudem die Tochter des Zeus.168 Ihr Treten auf Ungerechte ist metaphorischer Ausdruck der Ablehnung von Ungerechtigkeit, zugleich ein Zeichen des Triumphs.169 Das Epitheton πανδερκής hat u. a. die Bedeutung „allsehend“ und stattet Dike mit einer universalen Macht aus, da ihr nichts entgeht.170 d) Anaphorische Du-Anrede mit Aufzählung der Taten
Bei diesem Punkt werden die überschaubare Menge an Verbformen sowie bestimmte Nominalformen analysiert, die eine Tätigkeit beschreiben. Die Verbformen, welche Anrufungs- und Bittabschnitt definieren, also Imperativ- oder Wunschformen, werden außer Acht gelassen. Der Blick richtet sich auf diejenigen Verben, deren Subjekt die jeweilige Gottheit darstellt. Ein erster Blick auf die Werksaufzählungen in den OH zeigt, dass keine anaphorische Gestaltung vorliegt. παροῦσα νέαις θνητῶν […] φιλοτρόφε
anwesend [bei] den jungen Sterblichen […] Gern-Ernährerin (OH 2)
Das erste Verb in OH 2 an Prothyraia ist das Partizip παροῦσα. Es leitet sich von πάρειμι, „anwesend sein“, ab. Durch diese Form wird ihre besondere Verbundenheit mit jungen Menschen ausgedrückt, welche durch den Zusatz νέαις θνητῶν herausgestellt wird. Durch die verwendete Vokativform φιλοτρόφε, die wenig später verwendet wird, erhält Prothyraia die Funktion des Ernährens.171 167 Hirzel, Themis, 140. 168 Hes. theog. 900–902. Vgl. Thiel, Philosophie, 268. 169 In griechischer Ikonographie ist ein bekanntes Beispiel die Tychedarstellung von Antiochia. Vgl. Ridgway, sculpture, 233; Lichtenberger, Kulte, 199 im Kontext der Münzfunde von Gerasa. Er erwähnt diesen Typus bei fast allen Städten der Dekapolis. 170 Als weitere Übersetzungsmöglichkeit wird auch „von allen gesehen“ oder „allglänzend, ganz sichtbar“ belegt. Diese Variante ergibt im Kontext von OH 62 jedoch wenig Sinn. Vgl. Gemoll, Schul- und Handwörterbuch, 604; LSJ, Art. πανδερκής, 1296. 171 Anhand dieses Epithetons wird die Nähe der Gottheit zu vorgriechischen Vorstellungen von chthonischen Muttergottheiten deutlich. Der Ernährer-Aspekt ist auch anderen Gottheiten eigen, die ebenfalls eine Zurückführung auf einen Muttergottheitskult aufweisen: So wird z. B. Demeter traditionell mit dem Epitheton „Allnährende“ angerufen (Hes. theog. 913), ebenso die Artemis Ephesia.
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ἣ κατέχεις οἴκους πάντων θαλίαις τε γέγηθας, λυσίζων’
die du begossest die Häuser aller und [über] Lebensfreuden dich gefreut hast, Gürtellöserin (OH 2)
Die Vergangenheitsformen κατέχεις von καταχέω, „ausgießen/ausschütten“, und γέγηθας von γηθέω, „sich freuen/jubeln“, kennzeichnen Prothyraia als Freude spendend, großzügig und wohlwollend. Dies wird durch den Zusatz οἴκους πάντων θαλίαις unterstrichen. Das sich anschließende apostrophierte Epitheton λυσιζώνη drückt das Wirken der Gottheit bei Geschlechtsverkehr und Geburt aus.172 ἀφανής, ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι
Unsichtbare, du zeigst dich aber [in] allen Werken (OH 2)
Mit der Verbform φαίνῃ drückt der Hymnode aus, dass Prothyraia zwar unsichtbar, jedoch in ihren Werken präsent ist und dadurch ihr Wesen preisgibt. συμπάσχεις ὠδῖσι καὶ εὐτοκίηισι γέγηθας
du leidest mit [bei] Geburtswehen und hast gejubelt [über] leichte Geburten (OH 2)
Durch dieses Syntagma wird Prothyraia der Machtbereich der Geburt zugeschrieben. Zugleich wird sie als mit den Gebärenden emotional Verbundene charakterisiert. Die Perfektform γέγηθας, welche bereits einige Verse zuvor verwendet wurde, deutet einen wichtigen Schritt bei Geburten an.173 λύουσα πόνους δειναῖς ἐν ἀνάγκαις
lösend die Not in schrecklichen Bedrängnissen (OH 2)
Vgl. Smith, Dictionary, 376. Insbesondere der Bezug zu Demeter ist erhellend, da Hekate ihr oft beigesellt wird, insbesondere in den Mysterien von Eleusis. Vgl. Gallant, interpretation, 1544. 172 Das Epitheton setzt sich aus λύω und ζώνη zusammen. Für die Bedeutung des Gürtellösens in der Antike vgl. King, woman, 86; Moraw, Bilder, 83. Bemerkenswert ist auch an dieser Stelle eine Übereinstimmung des göttlichen Wesensaspekts zwischen Prothyraia und z. B. Artemis. Diese kann auf eine gemeinsame vorgriechische Wurzel zurückgeführt werden. Zur gürtellösenden Artemis vgl. Bettini, Women, 71. 173 „The birth of a healthy child and a healthy mother were the cause of real rejoicing. […] [W]hen a child did come to the couple, it was not regarded as automatically a person and a member of the household until the father accepted it […].“ Campbell, Marriage, 122. Wenn die Freude Prothyraias zweimal explizit genannt wird, verdeutlicht dies, dass sie die geborenen Kinder akzeptiert, eine nicht selbstverständliche Reaktion in der Antike.
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Die Partizipialkonstruktion zeigt, dass die Gottheit als Retterin oder Erlöserin verstanden wird. Eine solche Erlösung bezieht sich auf den Machtbereich der Geburt, was durch den Kontext dieser Aussage ersichtlich ist. Μούνην γὰρ σὲ καλοῦσι λεχοὶ ψυχῆς ἀνάπαυμα
denn dich allein rufen die Wöchnerinnen Ruhe der Seele (OH 2)
Durch die Verknüpfung des Verbs καλέω mit einer μόνος-Prädikation wird Prothyraias Alleinanspruch auf den Machtbereich der Geburtshilfe unterstrichen. ἐν γὰρ σοὶ τοκετῶν λυσιπήμονές εἰσιν ἀνῖαι
Denn in dir sind die Geburten [von] Sorge befreit (OH 2)
Das Syntagma stellt eine weitere Zuschreibung zum Machtbereich der Geburt dar, indem Prothyraia als Geburtshelferin eine helfende und entlastende Funktion einnimmt. ἐπαρωγὸς ἐοῦσα
ein Beistand seiend (OH 2)
Diese kurze Partizipialkonstruktion aus dem Bittabschnitt umschreibt die dauerhafte Funktion der Prothyraia als Helferin. Der Titel ἐπαρωγός ist eigentlich ein Maskulinum, wird aber auch feminin gebraucht.174 δίδου δὲ γονὰς […] ὥσπερ ἔφυς αἰεὶ σώτειρα προπάντων
ganz wie du hervorgebracht hast […] stets Retterin aller (OH 2)
Im Bittabschnitt wird dieser Vergleich mithilfe von ὥσπερ an die Bitte um Nachwuchs angeschlossen (δίδου δὲ γονάς). Dabei wird die Gottheit an ihr universales Schöpfungshandeln erinnert, das an dieser Stelle erstmalig und explizit genannt wird. Die Verbform ἔφυς ist auffällig, da in dem ὕμνος sonst Partizipien für das Wirken der Gottheit verwendet werden. Der Schöpfungsakt wird dadurch einmalig verstanden.175 ἥτ’ ἐπὶ ταυροφόνων ἱερότροχον ἅρμα τιταίνεις, τυμπανόδουπε, φιλοιστρομανές […] πολεμόκλονε
174 Apoll. Rhod. IV 196. 175 Dies ist vermutlich damit zu erklären, dass sich das Hervorbringen auf den Geburtsvorgang bezieht, der wiederum einmalig ist.
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die du an die Stiertötenden den heiligen Streitwagen anspannst, mit Pauken Lärmende, Raserei Liebende […] dich kriegerisch Tummelnde (OH 14)
Der ὕμνος 14 an Rhea weist als erste Verbform τιταίνεις in einem Relativsatz auf. Durch den Zusatz ἐπὶ ταυροφόνων ἱερότροχον ἅρμα wird ihr ein kriegerischer Aspekt zugeschrieben.176 Dieser wird durch den Vokativ πολεμόκλονε unterstützt, welcher später genannt wird. Die Verbindung von Raserei und Paukenlärm durch die sich direkt anschließenden Vokative τυμπανόδουπε und φιλοιστρομανές deutet auf Rheas Präsenz bei religiösen Feierlichkeiten hin.177 οὔρεσιν ἣ χαίρεις θνητῶν τ’ ὀλολύγμασι φρικτοῖς
die du dich erfreust [an] Bergen und [an] schauderhaften Schreien der Sterblichen (OH 14)
Durch diese Formulierung werden zwei Aspekte genannt: Einerseits wird Rheas besonderer Bezug zu Gebirgen ausgedrückt. Andererseits wird durch die Erwähnung schauderhafter Schreie der orgiastische Kult der Verehrer Rheas angedeutet. Dies ist in Verbindung mit τυμπανόδουπε und φιλοιστρομανές zu lesen.178 ψευδομένη σώτειρα, λυτηριάς […] φιλόδρομε
Täuschende Retterin, Erlöserin […] Rennen/das Laufen Liebende (OH 14)
Durch das Partizip ψευδομένη wird Rhea ein intriganter Charakterzug zugeschrieben, welcher in Verbindung mit dem Epitheton σώτειρα auf die Rettung ihres
176 Dies wird durch den Streitwagen deutlich. Zugleich wird dadurch eine Feindseligkeit gegenüber Stieren ausgesagt. Der Begriff „Stiertöter“ ist eine bildhafte Umschreibung von Löwen. Vgl. Athanassakis, Hymns, 103. Der somit geschilderte Löwenwagen stellt ein typisches Kennzeichen der Kybele dar, das insbesondere ikonographisch belegt ist. Vgl. Giebel, Geheimnis, 117. 177 In der griechischen Antike ist eine orgiastische Stimulierung durch Pauken u. ä. verbreitet. Eur. Bacch. 58f. „Die Instrumente stimulieren die Orgiastik der Teilnehmer und machen somit eine direkte Gotteserfahrung möglich.“ Behnk, Dionysos, 90. Unübersehbar sind Verschmelzungen mit dem Kybele-Kult in OH 14. Zur Identifizierung der Rhea mit der phrygischen Kybele vgl. Athanassakis, Hymns, 103. Das Epitheton drückt nicht nur aus, dass ihr die Raserei der Mysten gefällt, sondern sie selbst rast mit den Korybanten, ihren Söhnen. Vgl. Plassmann, Orpheus, 141. 178 Rhea wird in der griechischen Mythologie häufig als Gebirgsgöttin verstanden. Vgl. Preller, Mythologie, Art. Rhea Kybele, wo der Titel μήτηρ ὀρεία mit den Waldgebirgen Kretas und Kleinasiens interpretiert wird, in denen Rhea in orgiastischen Kulten verehrt wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass trotz griechischer Bezeichnung die Wesenseigenschaften die der Kybele sind, für die ekstatische Kulte belegt sind. Vgl. Behnk, Dionysos, 89.
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Sohnes Zeus anspielt.179 Im Anschluss erfolgt das Epitheton λυτηριάς, das eine Variante von λύτειρα, Erlöserin, darstellt. Rhea wird dadurch nicht nur in Bezug auf ihren Sohn ein rettender Aspekt zugeschrieben, sondern allgemein eine soteriologische Bedeutung. Das anschließende Epitheton φιλόδρομος beschreibt ihre Vorliebe für Wettläufe und Rennbahnen. Dies wird durch den bereits oben genannten Streitwagen gestützt.180 σωτήριος εὔφρονι βουλῆι
rettend [mit] freundlichen Ratschlüssen (OH 14)
Das Adjektiv σωτήριος umschreibt erneut Rheas soteriologischen Charakter, der durch den Zusatz εὔφρονι βουλῆι die Art der Rettung in Form von freundlichen Ratschlüssen spezifiziert. Durch den Gedanken freundlicher Ratschlüsse werden ihr zusätzlich schicksalhafte Züge verliehen. εἰρήνην κατάγουσα σὺν εὐόλβοις κτεάτεσσιν sowie λύματα καὶ κῆρας πέμπουσ’ ἐπὶ τέρματα γαίης
herabsendend den Frieden zusammen mit wohlhabenden Besitztümern, sendend die Beschmutzungen und gewaltsamen Tode zu den Grenzen der Erde (OH 14)
Das Syntagma drückt aus, dass Rheas bereits erwähnter kriegerischer Aspekt auf Frieden abzielt. Zudem verbindet sie damit die Gabe von Reichtümern. Schließlich wird durch diese Aussage vermittelt, dass sie eine entscheidende Rolle beim guten Ausgang des Lebens spielt.181 τροφὲ πάντων […] θνητοῖσι τροφὰς παρέχουσα
Ernährerin aller […] Speisen gewährend den Sterblichen (OH 27)
OH 27 an die Göttermutter beinhaltet verschiedene Wirkungsbereiche: Durch den Vokativ τροφέ wird sie als Ernährerin charakterisiert. Diese Eigenschaft wird durch
179 Sie bringt ihn in einer Höhle heimlich zur Welt und bewahrt ihn davor, von Kronos verschlungen zu werden. Hes. theog. 453–506. Dass es nicht ein Einzelfall bleibt, zeigt ihr Täuschungsmanöver bei der Rettung ihres Sohnes Poseidon nach der Erzählung von Paus. VIII 8,2. 180 Es ist zu fragen, ob der Rhea oder vielmehr der Meter/Kybele ein Agon gewidmet war, auf den φιλόδρομος anspielt. Dies würde den Einfluss römischer ludi in die kleinasiatische Agonistik zur Abfassungszeit der OH voraussetzen. Als terminus post quem würde sich dann die Kaiserzeit ergeben, ab der ludi in der Asia erst belegt sind. 181 Für den Orphiker ist entscheidend, im Zustand ritueller Reinheit und vorbereitet zu sterben, um eine kürzere Läuterungszeit sowie ein besseres Leben danach zu erhalten, bestenfalls die Erlösung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten. Vgl. Bremmer, Orpheus, 67; Samter, Religion, 82.
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die Partizipialkonstruktion verstärkt. Während das Epitheton offen bleibt, wird durch die zweite Aussage spezifiziert, wen sie nährt. ταυροφόνων ζεύξασα ταχύδρομον ἅρμα λεόντων, σκηπτοῦχε κλεινοῖο πόλου
anspannend den schnell laufenden Streitwagen der Stiere tötenden Löwen, Zepterträgerin des berühmten Poles (OH 27)
Durch diese Partizipialkonstruktion erhält sie einen kriegerischen Aspekt. Zugleich werden ihr Löwen zugeordnet und eine Feindseligkeit gegenüber Stieren herausgestellt.182 Das Epitheton im Vokativ σκηπτοῦχε kennzeichnet die Göttermutter als eine Herrschergottheit. Die sich anschließende Erweiterung im Genitiv κλεινοῖο πόλου stellt eine Spezifizierung des Machtbereichs dar. ἣ κατέχεις κόσμοιο μέσον θρόνον οὕνεκεν αὐτὴ γαῖαν ἔχεις
die du den mittigen Thron der Welt festhältst, weswegen du selbst die Erde hast (OH 27)
Dieser Relativsatz erklärt, was mit dem berühmten Pol gemeint ist. Der sich anschließende Nebensatz betont, dass der Machtanspruch der Göttermutter universal und eng an die Erde gekoppelt ist.183 ἐκ σέο δ’ ἀθανάτων τε γένος θνητῶν τ’ ἐλοχεύθη
denn aus dir ist das Geschlecht der Unsterblichen und der Sterblichen geboren (OH 27)
Bei diesem Satz handelt es sich um eine genealogische Aussage, durch welche die mütterliche Identität der Göttermutter zum Ausdruck gebracht wird. σοὶ ποταμοὶ κρατέονται ἀεὶ καὶ πᾶσα θάλασσα
du hast immer Macht [über] die Flüsse und das ganze Meer (OH 27)
Durch diese Aussage erhält die Göttermutter als Machtbereich die Flüsse und alle Meere. Δ‘ ὀλβοδότιν καλέουσι, παντοίων ἀγαθῶν θνητοῖς ὅτι δῶρα χαρίζῃ […] τυμπανοτερπής
[…] βιοθρέπτειρα, φίλοιστρε
182 Wie in OH 14 an Rhea wird hier ein typisches Kennzeichen der Kybele aufgegriffen. Vgl. Giebel, Geheimnis, 117; Plassmann, Orpheus, 143; Turner/Coulter, Encyclopedia, 137. 183 „Man dachte sie auf dem Weltenthrone sitzend, die Erde als Schemel […].“ Plassmann, Orpheus, 143.
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Dich rufen sie Glücksspenderin, weil du den Sterblichen allerlei gute Geschenke erweist […] dich Freuende über Paukenschlag […] Lebenserhalterin, Raserei Liebende (OH 27)
Als letztgenannten Wirkungsbereich im epischen Mittelteil wird ihr die Zuteilung von glückbringenden Gaben zugeschrieben. Da die Göttermutter bereits an zwei Stellen als Ernährerin charakterisiert wird, könnten mit den glückbringenden Gaben Lebensmittel gemeint sein. Im Bittabschnitt erfolgt ähnlich wie beim ὕμνος an Rhea die Kombination von Paukenlärm und Raserei, welche auf die Präsenz der Gottheit bei religiösen Feierlichkeiten hindeutet.184 Die betreffenden Epitheta sind τυμπανοτερπής und φίλοιστρε. Das Epitheton βιοθρέπτειρα schließlich ist ihrem Charakter als Ernährerin zuzuordnen.185 ἣ καὶ Ζηνὸς ἄνακτος ἐπὶ θρόνον ἱερὸν ἵζει
die auch auf dem heiligen Thron des Herrn Zeus sitzt (OH 62)
OH 62 an Dike beinhaltet einige Verbformen und unterstützende Nominalformen, die die Taten der Gottheit ausdrücken. Der obige Relativsatz drückt ihren Charakter der Mitherrschaft aus, die mit der Macht des Zeus vergleichbar ist. οὐρανόθεν καθορῶσα βίον θνητῶν πολυφύλων
vom Himmel her herabschauend [auf] das Leben der Sterblichen vieler Stämme (OH 62)
Die sich anschließende Partizipialkonstruktion kennzeichnet sie als Beobachterin der Lebenswandel. Durch den Titel πολυφύλων wird ausgedrückt, dass diese Funktion universal ist. Mit „viel“ ist keine Einschränkung von „alle“ gemeint, sondern es verdeutlicht, dass ihre Rolle nicht auf ein einziges Volk beschränkt bleibt.186
184 Die entsprechenden Epitheta stehen zwar nicht direkt hintereinander, sind dennoch in einem Abschnitt erwähnt und dadurch zusammenhängend zu verstehen. Vgl. Plassmann, Orpheus, 143: „rast zum Klange der Becken“. 185 Unter Berücksichtigung der Aussage, Mutter der Götter und Menschen zu sein, können die Aussagen über den Ernährer-Aspekt der Göttermutter mit dem Schöpfer-Aspekt verknüpft werden. Das Semem, das Schöpfung und Erhaltung kombiniert und typisch für pagane ὕμνοι ist, kann an dieser Stelle nachgewiesen werden. Es wird oft mit dem Begriff der Fruchtbarkeit zusammengefasst. Vgl. Mai, Religionen, 148. 186 Der dazugehörige Begriff des allsehenden Auges versinnbildlicht die allsehende Gerechtigkeit und war ursprünglich die Aufgabe des Helios. Vgl. Plassmann, Orpheus, 155. Die Spuren einer solchen Vorstellung sind in OH 8 an Helios noch zu lesen, wo es heißt: πανδερκὲς ἔχων αἰώνιον ὄμμα.
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τοῖς ἀδίκοις τιμωρὸς ἐπιβρίθουσα δικαία
beistehendes Gesetz, schwer lastend [auf] den Ungerechten (OH 62)
Dieses Syntagma stellt ihr ambivalentes Wirken als Gesetz heraus. Während die Gerechten ein positives Bild von ihr haben, wirkt sie für die Ungerechten bedrohlich.187 ἐξ ἰσότητος ἀληθείαι συνάγουσ’ ἀνόμοια
zusammenführend aus Unparteilichkeit Ungleiches [durch] Wahrheit (OH 62)
Durch diese Partizipialkonstruktion wird der Dike ein harmonisierender Charakter zugeschrieben. πάντα γάρ, ὅσσα κακαῖς γνώμαις θνητοῖσιν ὀχεῖται δύσκριτα, βουλομένοις τὸ πλέον βουλαῖς ἀδίκοισι, μούνη ἐπεμβαίνουσα δίκην ἀδίκοις ἐπεγείρεις· ἐχθρὰ τῶν ἀδίκων, εὔφρων δὲ σύνεσσι δικαίοις
denn so viel, wie alles Verworrene [wegen] schlechter sterblicher Urteile getrieben wird, vorziehend das Volle [an] ungerechten Absichten, weckst allein du die Gerechtigkeit, tretend [auf] die Ungerechten (OH 62)
Diese komplexe Aussage erklärt, auf welche Weise Dikes Harmonisierungsprozess vollzogen wird: durch die Bekämpfung von Ungerechtigkeit, nicht durch Kompromisse. Μόλ’ ἐπὶ γνώμαις ἐσθλαῖσι δικαία
komm auf die edlen Gedanken, Gerechte (OH 62)
Im Bittabschnitt dieses ὕμνος wird Dike in einer Bitte der Wirkungsbereich der Gedankenwelt zugewiesen, was bereits zuvor durch die Erwähnung schlechter Gedanken angedeutet wird, also durch κακαῖς γνώμαις. ὡς ἂν ἀεὶ βιοτῆς τὸ πεπρωμένον ἦμαρ ἐπέλθοι
bis dass der stets bestimmte Tag vermutlich kommt (OH 62)
187 Dagegen Hirzel, der den bedrohlichen Charakter der Dike ungleich höher einschätzt: „Wie die Erinyen stellte sie das Naturgesetz dar und zwar nicht nach seinen freundlichen Wirkungen, sondern als ein hemmendes […] ja Furcht erweckendes.“ Hirzel, Themis, 154.
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Der abschließende Nebensatz zeichnet Dike als eine beistehende Gottheit, die die Zeit bis zum Lebensende begleitet und den Mysten befähigt, die ethischen Forderungen der Orphiker zeitlebens umzusetzen. e) Aretalogie mit Nebensätzen, Relativsätze und Zielangaben mit „damit“
Die vier Beispiel-ὕμνοι werden im Folgenden auf Prädikationsformeln hin untersucht. Es werden auch hypotaktische Satzstrukturen berücksichtigt. Am häufigsten sind Relativsätze belegt. Prothyraia
In ὕμνος 2 an Prothyraia sind verschiedene solcher Formeln belegt. Sowohl zwei μόνος-Prädikationen als auch die Wendung ἐν γὰρ σοί sind zu lesen. Zudem werden physis und dynamis der Prothyraia u. a. mithilfe von Verbformen in Hauptsätzen oder in Relativkonstruktionen beschrieben. Zunächst richtet sich der Blick auf die μόνος-Prädikationen: Dabei fällt auf, dass diese nicht immer einen vollständigen Satz einleiten, sondern auch im Kontext der typischen Aufzählungen der OH nachgewiesen werden können. Der erste Beleg ist im Anrufungsteil zu lesen und betont die Exklusivität Prothyraias als Retterin der gebärenden Frauen.188 Die zweite Stelle ist eine klassische μόνος-Prädikation, d. h. sie leitet mithilfe von γάρ einen vollständigen Satz ein. In diesem Fall wird mithilfe dieser formelhaften Wendung die Begründung eingeleitet, dass Prothyraia die Einzige sei, die von den Wöchnerinnen als Ruhe der Seele bezeichnet werde.189 Die Wendung ἐν γὰρ σοί wird verwendet, um die entlastende Funktion der Prothyraia in Geburtssituationen auszudrücken.190 Als weitere formelhafte Wendung ist eine Alles-Prädikation zu lesen. Sie fungiert als Ausdruck der universalen Präsenz Prothyraias in allen Werken.191 Im Anrufungsteil wird zudem ein Syntagma verwendet, das zwar keinen vollständigen Satz einleitet, dennoch wie eine Alles-Prädikation fungiert: Die Kombination πᾶσι προσηνής, welche im Kontext der Aufzählung von Epitheta vorkommt, drückt Prothyraias Zuneigung für alle aus. Im Bittabschnitt ist schließlich eine weitere Wendung zu lesen, welche einer Alles-Prädikation ähnelt: Das Syntagma αἰεὶ σώτειρα προπάντων drückt Prothyraias universale Heilsbedeutung aus. Das Adjektiv πρόπας kann u. a. mit „ganz und gar“ übersetzt werden und stellt als Kompositum eine gesteigerte Variante der Alles-Prädikation dar. Als letztes
188 Das entsprechende Syntagma lautet θηλειῶν σώτειρα μόνη. Auch wenn θῆλυς allgemein mit „weiblich“ übersetzt werden muss, kann aus dem weiteren Kontext geschlossen werden, dass gebärende Frauen gemeint sind. 189 Der entsprechende Satz lautet: Μούνην γὰρ σὲ καλοῦσι λεχοὶ ψυχῆς ἀνάπαυμα. 190 Es heißt wörtlich in OH 2 ἐν γὰρ σοὶ τοκετῶν λυσιπήμονές εἰσιν ἀνῖαι. 191 Es heißt in OH 2 ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι, wodurch Prothyraias Aussehen durch ihre Werke definiert wird.
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Wort des ὕμνος erhält es ein besonderes Gewicht und verleiht der gesamten letzten Aussage Nachdruck. Neben Reihungen zahlreicher Epitheta ist in diesem ὕμνος ein Relativsatz belegt, der mit dem Relativpronomen ἥ beginnt und die Verbform κατέχεις nach sich zieht. Zudem sind drei Partizipialkonstruktionen belegt, die ebenfalls als Relativsätze übersetzt werden können, jedoch keine Artikel aufweisen.192 Zählt man das erste Partizip zum Anrufungsteil, sollte es eher nicht als Nebensatz verstanden werden. Es kann u. a. als Vokativform bestimmt werden und ist dann eher als Nominalform zu übersetzen, also in dem Fall mit „Anwesende bei den jungen Sterblichen“.193 Die beiden anderen Partizipialkonstruktionen können unterschiedlich, u. a. als Nebensatz und dadurch auch als Relativsatz, übersetzt werden. Rhea
OH 14 an Rhea beinhaltet folgende Prädikationsformeln: Es ist ἐκ σοῦ γάρ zu nennen, das einen Nominalsatz einleitet. Das Verb εἰμί entfällt dabei. Mithilfe dieser Formel wird Rheas Ursprungscharakter betont, also die Abstammung aller Teile der Schöpfung aus Rhea. Der sonst sparsame Gebrauch der Konjunktion καί in den OH ist in diesem ὕμνος nicht zu beobachten. Insbesondere im Zusammenhang mit der bereits erwähnten Prädikationsformel wirkt die sich anschließende Aufzählung formelhaft, fast anaphorisch. Zudem werden verschiedene Teile der Schöpfung aufgezählt, was bereits als Stilmittel in ὕμνοι festgestellt worden ist. Das Epitheton πάντιμος, das in diesem ὕμνος in apostrophierter Form belegt ist, beinhaltet πᾶς. Durch πάντιμος wird dieselbe Funktion angestrebt wie mit der üblichen Alles-Prädikation: Eine bestimmte Eigenschaft soll der Gottheit in gesteigerter Form entgegengebracht und dadurch ein hyperbolischer Stil erreicht werden.194 Ein weiterer Beleg für eine solche epithetische Andeutung der AllesPrädikation ist mit dem Begriff παμβασίλεια verbunden: Durch das Kompositum der Begriffe πᾶς und βασίλεια wird die Universalität der Herrschaft Rheas betont. Der Rhea-ὕμνος beinhaltet zahlreichere Relativsätze als der ὕμνος an Prothyraia: Der erste Beleg ist die Einleitung in die Ekphrasis des ὕμνος. Durch das apostrophierte ἥτ’ wird der Nebensatz eingeleitet, welcher das Verb τιταίνεις beinhaltet. Durch die 2. Pers. wird die Gottheit angeredet. Die direkte Ansprache durch die Vokativformen im Anrufungsteil wird im Mittelteil somit fortgesetzt. Dasselbe gilt für die Relativkonstruktion ἣ χαίρεις θνητῶν τ’ ὀλολύγμασι φρικτοῖς, in welcher
192 Es handelt sich um die Konstruktionen παροῦσα νέαις θνητῶν, λύουσα πόνους δειναῖς ἐν ἀνάγκαις und ἐοῦσα καὶ σῴζ’. 193 Betrachtet man das Partizip jedoch als Übergang zur Ekphrasis, ergibt eine Übersetzung als Relativsatz Sinn. 194 Rhea ist somit nicht nur ehrwürdig, sondern wird universal, also „all-ehrwürdig“ genannt.
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Rhea direkt adressiert wird. Schließlich werden die Taten Rheas durch Partizipialkonstruktionen artikuliert. Der erste direkte Hinweis ist durch das Syntagma εἰρήνην κατάγουσα gegeben, das den friedenstiftenden Aspekt der Gottheit betont. Das vorausgehende Syntagma σωτήριος εὔφρονι βουλῆι wird grammatikalisch zwar mit einem Adjektiv eingeleitet, doch wird es wie ein Partizip ins Deutsche übersetzt und kann dadurch im weiteren Sinne dazugezählt werden.195 Durch diese Satzstruktur wird ihre soteriologische Bedeutung ausgedrückt. Eine letzte Partizipialkonstruktion des Bittabschnitts ist mit der apostrophierten Form von πέμπουσα belegt. Durch das Syntagma wird erneut die soteriologische Eigenschaft der Rhea thematisiert sowie das Gebetsanliegen des Mysten ausgedrückt. Göttermutter
OH 27 an die Göttermutter beinhaltet mehrere Formeln und nennenswerte Syntagmata. Im Anrufungsteil ist das Epitheton τροφὲ πάντων zu lesen, durch welches der Ernährer-Aspekt der Göttermutter universal genannt wird. Der Mittelteil wird durch einen Relativsatz eingeleitet. Zugleich beginnt an dieser Stelle eine Reihung von Nebensätzen: Das erste relativische Syntagma wird durch ἣ κατέχεις signalisiert und artikuliert den Machtbereich der Göttermutter.196 An diese Konstruktion schließt sich unmittelbar ein Nebensatz mit der Konjunktion οὕνεκεν an, die u. a. kausal übersetzt werden kann.197 Das Syntagma fungiert als Erläuterung des Machtbereichs durch die Beschreibung der Lebenswelt.198 Die sich anschließende Partizipialkonstruktion θνητοῖσι τροφὰς παρέχουσα thematisiert zudem den Aspekt des Ernährens. Wenig später ist eine Prädikationsformel zu lesen, die den Ursprungscharakter der Gottheit ausdrückt (ἐκ σέο δ’). Im Verlauf des Mittelteils wird die Formulierung πᾶσα θάλασσα verwendet, um die umfassende Macht der Göttermutter über das Meer zu beschreiben. Weitere Hinweise, die funktional einer Alles-Prädikation gleichkommen, sind παντοίων ἀγαθῶν und πανδαμάτωρ. Während die erste Formulierung πᾶσα θάλασσα adjektivisch ist, handelt es sich bei dem zweiten Begriff um ein Epitheton, das zugleich ein Kompositum ist. Mithilfe von παντοίων wird die Großzügigkeit der Göttermutter ausgedrückt, durch das Epitheton πανδαμάτωρ die Überlegenheit gegenüber ihren Gegnern bzw. den
195 Vgl. Beyer, PONS, 502; LSJ, Art. σωτήριος, 1751; Pape, Handwörterbuch, 1005. 196 Laut ὕμνος hält die Göttermutter den mittigen Thron der Welt fest: […] ἣ κατέχεις κόσμοιο μέσον θρόνον. 197 Eine kausale Übersetzung ähnlich ὅτι ist v. a. dann angebracht, wenn es als Konjunktion gebraucht wird. Alternativ ist auch die Übersetzung „weswegen“ üblich. Vgl. Ebeling, Wörterbuch, 255; Gemoll, Schul- und Handwörterbuch, 594. 198 Das Verb ἔχω kann in diesem Kontext die Bedeutung „umfassen, besitzen, innehaben“ oder sogar „bewohnen“ erhalten. Das Verb könnte in dem Kontext zudem auch die Bedeutung „Verantwortung tragen“ besitzen. Vgl. Gemoll, Schul- und Handwörterbuch, 373.
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Naturgewalten. Die Formulierung παντοίων ἀγαθῶν ist zudem in einen Nebensatz eingebettet, der mit ὅτι eingeleitet und kausal übersetzt wird. Dieser hat die Funktion, das Epitheton ὀλβοδότης mit der Großzügigkeit der Göttermutter zu erklären. Dike
In OH 62 an Dike sind sowohl nennenswerte Nebensätze, Epitheta als auch Prädikationsformeln zu lesen. Im Anrufungsteil wird das Epitheton πανδερκής verwendet, das ein Kompositum ist. Dike wird dadurch die Fähigkeit eines universalen Blicks zugeschrieben. Direkt an das Epitheton schließt sich ein Relativsatz an, der den Mittelteil des ὕμνος einleitet. Da im Anrufungsteil Dike nicht direkt angesprochen wird, sondern in der 3. Pers., setzt sich diese Perspektive auch im Relativsatz fort.199 Im Mittelteil sind zwei Prädikationsformeln zu lesen, die ineinandergreifen. Mit πάντα γάρ wird ein Satz eingeleitet, durch welchen die Gerechtigkeitsliebe der Dike betont wird. Das komplette Syntagma besteht aus mehreren Satzteilen. Dabei ist ein Relativsatz mit der Partikel ὅσσα eingeschoben.200 Die sich anschließende μόνοςPrädikation wird eingesetzt, um die ausschließliche Berechtigung und Fähigkeit der Dike auszudrücken, Menschen zur Gerechtigkeit zu befähigen und selbst zu richten. f) Als Einleitung kann auch Bitte um das Kommen der Gottheit stehen
Die hier zu thematisierenden alternativen Einleitungen sind die der ὕμνοι 2 an Prothyraia und 27 an die Göttermutter. Bezeichnend für diesen ὕμνος-Beginn sind Imperativformen, die zusammen mit Epitheta im Vokativ auftreten können. Im ὕμνος an Prothyraia wird als Verb eine Form von κλύω verwendet, in diesem Fall die Imperativ Aoristform κλῦθι, welche in den OH häufig belegt ist.201 Auch wenn die Übersetzung nicht „komm“, sondern „höre“ ist, kann dieser ὕμνος hier angeführt werden. In den OH wird mit der Aufforderung zum Hören die Aufmerksamkeit der Gottheit auf sich gezogen, bevor im zweiten Schritt die Bitte um das Kommen formuliert wird. Dies geschieht zumeist im Bittabschnitt der ὕμνοι, also im Schlussteil. An die Bitte κλῦθί μοι schließt sich in OH 2 eine katalogartige Anrufung an, die aus Vokativformen besteht. Diese werden von der Interjektion ὦ begleitet, die in den OH sonst nicht üblich ist. Der Übergang zum Mittelteil wird durch den Relativsatz beginnend mit ἣ κατέχεις signalisiert. Eventuell könnte
199 Dies ist an der Verbform ἵζει zu sehen. 200 Das gesamte Syntagma lautet: Πάντα γάρ, ὅσσα κακαῖς γνώμαις θνητοῖσιν ὀχεῖται δύσκριτα, βουλομένοις τὸ πλέον βουλαῖς ἀδίκοισι, μούνη ἐπεμβαίνουσα δίκην ἀδίκοις ἐπεγείρεις. 201 In den OH sind mindestens 36 Belege zu lesen. 32 davon stehen im Sg., vier weitere im Pl. Dies hängt damit zusammen, dass einige ὕμνοι an eine Gruppe von Gottheiten gerichtet sind.
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der Übergang bereits bei der Partizipialkonstruktion mit παροῦσα angenommen werden. Der ὕμνος an die Göttermutter weist eine weniger starke Bitte auf als im Prothyraia-ὕμνος, da die Verbform in der Einleitung kein Imperativ ist. Stattdessen ist der Optativ Aorist μόλοις zu lesen, der von βλώσκω abzuleiten ist. Die Übersetzung „mögest du kommen“ deutet auf den eindeutigen Wunsch um das Kommen der Gottheit hin. Dieses wird zudem mit einem konkreten Ziel des Kommens verknüpft: Die Göttermutter soll auf die Gebete der Mysten kommen.202 Verbunden mit der Verbform μόλοις sind Vokativformen wie θεότιμε, μῆτερ, κράντειρα etc. belegt, diesmal ohne Interjektion. Der Anrufungsabschnitt wird diesmal entweder durch eine Partizipialkonstruktion oder später durch einen Relativsatz vom Mittelteil abgegrenzt.203 g) Schluss mit Gebet, oft mit „und nun/jetzt“ eingeleitet
Die Abschlüsse der ὕμνοι werden manchmal mithilfe von Signalwörtern eingeleitet und beinhalten als Bittgebete Verbformen wie Imperative oder Optative, manchmal auch Partizipien. Die vier ausgewählten ὕμνοι werden im Folgenden auf ihre Bittabschnitte hin untersucht. OH 2 an Prothyraia hat kein zusätzliches Signalwort, das einen neuen Abschnitt anzeigt. Stattdessen wird ein Imperativ verwendet, welcher selbst signalhaft genug ist. Das verwendete Verb ist erneut die Imperativ Aoristform κλῦθι. Der Prothyraiaὕμνος weist zudem einen weiteren Imperativ auf, der in Bittabschnitten der OH weit verbreitet ist: δίδου. Schließlich wird der Imperativ σῷζε in apostrophierter Form verwendet. Der Bittabschnitt des Prothyraia-ὕμνος erhält ein besonderes Gewicht durch die Trias von κλῦθι, δίδου und σῴζ’. Nicht alle OH besitzen im Bittabschnitt derart zahlreiche Imperative. In OH 14 an Rhea ist ebenfalls kein Signalwort zu lesen, das den Bittabschnitt einleitet. Stattdessen ist erneut ein Imperativ, in diesem Fall ἐλθέ, belegt. Bei diesem ὕμνος wird nur ein Imperativ verwendet, jedoch mit Partizipien bzw. Adjektiven verknüpft: Rhea soll mit ihrem Kommen gleichzeitig mit freundlichen Ratschlüssen
202 Dies wird durch das Satzglied ἐπ’ εὐχαῖς deutlich. 203 Für eine Grenze mit der Partizipialkonstruktion spricht, dass ταυροφόνων ζεύξασα ταχύδρομον ἅρμα λεόντων epische Eigenschaften besitzt. Gleichzeitig sind solche Elemente z. T. in Anrufungsund Bittabschnitten zu lesen. Dementsprechend könnte die Grenze auch beim Relativsatz gezogen werden, der mit ἣ κατέχεις beginnt. Für diese Grenzziehung spricht zudem, dass die Partizipialkonstruktion keinen Artikel hat und eine Übersetzung als Relativsatz nicht zwingend notwendig ist. Übersetzt man ζεύξασα als Nominalform und bestimmt es als Vokativ, kann die gesamte Partizipialkonstruktion der Einleitung zugeschrieben werden.
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retten, den Frieden herabbringen und Beschmutzungen sowie gewaltsame Tode zu den Grenzen der Erde senden.204 OH 27 an die Göttermutter stellt wieder ein Beispiel für einen Bittabschnitt ohne zusätzliches Signalwort dar. In diesem Fall reicht erneut ein Imperativ als Signal aus. Dieser Bittabschnitt ist relativ komplex gestaltet, da im Anschluss an den Imperativ ἔρχεο zahlreiche Anrufungen folgen. Diese haben zudem epische Elemente, d. h. es werden Epitheta genannt, die physis und dynamis der Gottheit thematisieren. Daraufhin wird ἔρχεο wiederholt, wodurch der Bitte Nachdruck verliehen wird. Neben der Wiederholung des Imperativs von ἔρχομαι liegen keine weiteren Verbformen vor. OH 62 an Dike ist ein Beispiel für einen Bittabschnitt mit dem Signalwort ἀλλά. Auf dieses folgt der Imperativ in apostrophierter Form μόλ’, der wieder die Aoristform des Verbs βλώσκω darstellt. Der Optativ steht aufgrund der direkten Ansprache der Gottheit in diesem ὕμνος in der 2. Pers. Über diese Verbform hinaus liegt eine weitere Optativform vor. Diese ist allerdings nicht als Wunschform zu übersetzen, sondern als Optativus potentialis, da der Kontext ein unbestimmter Tag in der Zukunft ist.205 Weitere Verbformen liegen außer einem Perfekt Partizip nicht vor, das jedoch adjektivische Funktion besitzt: πεπρωμένον. 2.1.6
Vergleich mit der Offb
Im Folgenden wird ein Textvergleich zwischen den ausgewählten OH und den hymnenartigen Passagen der Offb vorgenommen.206 In der Anwendung des bergerschen Konzepts auf die Offb stellte sich heraus, dass die Kategorien 1 und 2 gewisse Formelemente aufweisen, die einander entsprechen. Dies betrifft v. a. die verschiedenen Reihungen. Zudem hat die formgeschichtliche Untersuchung der Offb ergeben, dass ergänzende Formelemente der ersten Kategorie zugeschrieben werden können. Anhand dieser Feststellung kann ein Textvergleich zwischen Offb
204 Das erste als Partizip übersetzte, aber eigentlich adjektivische Wort ist σωτήριος, die Partizipien sind κατάγουσα und πέμπουσ’. 205 Es geht um den Beistand der Dike, bis zum verhängten Tag, d. h. dem Tag des Sterbens: ὡς ἂν ἀεὶ βιοτῆς τὸ πεπρωμένον ἦμαρ ἐπέλθοι. Da aber nicht bekannt ist, wann das Leben endet, wird durch den Optativ eine Unbestimmtheit ausgedrückt. In der Übersetzung könnte ein Begriff der Vermutung wie „vielleicht“ oder „jemals“ eingesetzt werden: „[…] bis der stets bestimmte Tag jemals herannaht.“ Vgl. BDR §385. 206 Die Anwendung des bergerschen Konzepts auf zwei Textquellen sowie der sich anschließende Textvergleich stellt eine Neuheit dar, sodass Sekundärliteratur als Referenz kaum vorhanden ist. Berechtigt ist ein Vergleich beider Textquellen u. a. dahingehend, dass für beide Texte eine gewisse „magische“ Mentalität diskutiert wird. Für die Offb hat Aune mehrere Schriften dazu abgefasst. Vgl. Aune, Magic; Aune, Apocalypse. Für die OH Guthrie, Epithets, 217: „magic invocations […] constraining a deity to appear perforce by mentioning all his names“.
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und OH erleichtert werden. Die betreffenden Formelemente, die sich zwischen den Kategorien überschneiden, werden im Folgenden heraus- und gegenübergestellt. Sie stellen die Basis für den sich anschließenden Textvergleich dar.207 a) Name der Gottheit (Epiklese) / Reihung von Attributen Gottes b) Physis der Gottheit / Herkunft, der Gelobte als Anfang, Anführer, Erster c) Anaphorische Du-Anrede mit Taten / Werke der Gottheit (Hauptsätze) d) Aretalogie mit Nebensätzen / Werke der Gottheit (Prädikationsformeln und Nebensätze) Darüber hinaus kommen ergänzende Formelemente hinzu, die für die Offb geprüft worden sind208 und u. a. der Kategorie 1 entsprechen: e) Ewigkeitsformel und weitere Formeln f) Personenbezogene Aretalogien g) Selbstaufforderung zum Lob h) Sonstige Formelemente Die einzelnen Formelemente werden jeweils anhand der betreffenden Passagen der Offb und der vier orphischen Beispiel-ὕμνοι untersucht und es werden Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede herausgestellt. a) Name der Gottheit (Epiklese) / Reihung von Attributen Gottes
Mit „Name der Gottheit (Epiklese)“ ist die Anrufung einer Gottheit gemeint, die grammatikalisch aus Vokativformen besteht. Dem entspricht in Kategorie 2 die Reihung von Attributen Gottes, da diese oft in Form von Epitheta aneinandergereiht werden. Im Folgenden werden alle Anrufungsteile der Offb zunächst in einer Übersicht zusammengestellt. Daraufhin werden diese mit dem Anrufungsteil des Rhea-ὕμνος auf formgeschichtliche Aspekte hin verglichen.209 ὁ μάρτυς, ὁ πιστός, ὁ πρωτότοκος τῶν νεκρῶν καὶ ὁ ἄρχων τῶν βασιλέων τῆς γῆς (Offb 1,5) κύριος ὁ θεός, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόμενος, ὁ παντοκράτωρ (Offb 1,8) κύριος ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ, ὁ ἦν καὶ ὁ ὢν καὶ ὁ ἐρχόμενος (Offb 4,8c)
207 Die erste Überschrift entspricht jeweils der Kategorie 1, die zweite Überschrift nach dem Schrägstrich der Kategorie 2. Die Formulierungen sind aufgrund der Länge gekürzt und an Berger angelehnt. 208 Diese ergänzenden Formelemente stellen eine eigene Ergänzung aufgrund formgeschichtlicher Beobachtungen dar, welche durch das bergersche Konzept nicht abgedeckt werden. 209 Dieser ὕμνος entspricht nämlich Formelement a), die anderen Anrufungsteile sind den Punkten b) und f) der Kategorie 1 zuzuordnen. Deshalb werden sie in diesem Arbeitsschritt nicht miteinander verglichen.
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ὁ κύριος καὶ ὁ θεὸς ἡμῶν (Offb 4,11) ἡ εὐλογία καὶ ἡ τιμὴ καὶ ἡ δόξα καὶ τὸ κράτος (Offb 5,13b) ἡ εὐλογία καὶ ἡ δόξα καὶ ἡ σοφία καὶ ἡ εὐχαριστία καὶ ἡ τιμὴ καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ ἰσχύς
(Offb 7,12) κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν (Offb 11,17) ἡ σωτηρία καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἡμῶν καὶ ἡ ἐξουσία τοῦ χριστοῦ αὐτοῦ (Offb 12,10b) κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ (Offb 15,3b) ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν, ὁ ὅσιος (Offb 16,5b) κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ (Offb 16,7b) ἡ σωτηρία καὶ ἡ δόξα καὶ ἡ δύναμις τοῦ θεοῦ ἡμῶν (Offb 19,1b) κύριος ὁ θεὸς [ἡμῶν] ὁ παντοκράτωρ (Offb 19,6b) der Zeuge, der Treue, der Erstgeborene der Toten und der Herrscher der Könige der Erde (Offb 1,5) Herr der Gott, der Seiende, der war und der Kommende, der Allherrscher (Offb 1,8) Herr der Gott, der Allherrscher, der war, der Seiende und der Kommende (Offb 4,8c) unser Herr und Gott (Offb 4,11) das Lob und die Ehre und die Herrlichkeit und die Kraft (Offb 5,13b) das Lob und die Herrlichkeit und die Weisheit und der Dank und die Ehre und die Macht und die Stärke (Offb 7,12) Herr der Gott der Allherrscher, der Seiende und der war (Offb 11,17) die Rettung und die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten (Offb 12,10b) Herr der Gott der Allherrscher (Offb 15,3b) der Seiende und der war, der Heilige (Offb 16,5b) Herr der Gott der Allherrscher (Offb 16,7b) die Rettung und die Herrlichkeit und die Macht unseres Gottes (Offb 19,1b) Herr [unser] Gott der Allherrscher (Offb 19,6b) Πότνα Ῥέα, θύγατερ πολυμόρφου Πρωτογόνοιο
Herrin Rhea, Tochter des vielgestaltigen Protogonos (OH 14)
Vergleicht man den kurzen Anrufungsteil des Rhea-ὕμνος mit denen in der Offb, fällt ein grammatikalischer Unterschied auf: Die meisten Epitheta der Offb stellen Nominativformen dar, während die Epiklesis des Rhea-ὕμνος Vokativformen aufweist.210 Am deutlichsten ist dies am Begriff θύγατερ zu erkennen, wobei die
210 Die Eigenart der Offb, im Kontext einer Anrufung Nominativ- statt Vokativformen zu verwenden, beschreibt auch Gradl, Buch, 230; zudem Aune, Revelation, CLXIX; BDR §147.
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Anrede πότνα ebenfalls als Vokativform interpretiert werden kann.211 Die Anrufungsabschnitte der Offb weisen zwei unterschiedliche Arten von Epitheta auf, die in der Anwendung des bergerschen Konzepts thematisiert worden sind.212 Bei beiden Arten fällt eine Dominanz von Nominativformen auf: Typ 1 ist am häufigsten in der Dreizeitenformel ὁ ἦν καὶ ὁ ὢν καὶ ὁ ἐρχόμενος sowie in der Trias κύριος ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ (4,8c) belegt. Beide Anrufungen tauchen wiederholt in der gesamten Offb auf – manchmal in abgewandelter Form (4,11; 11,17; 15,3b; 16,5b; 16,7b; 19,6b) – und werden sogar miteinander kombiniert, wie z. B. in 1,8 zum Ausdruck kommt. Eine Ausnahme bildet das Epitheton κύριος in Offb 11,17; 15,3b und 16,7b, das mit der Vokativform κύριε ausgedrückt wird. Für Typ 2 der Anrufungsabschnitte in der Offb wurden zwei Ausformungen herausgestellt – entweder in Form einer Doxologie oder als AcI. Die Epitheta in Doxologien sind nominativisch und im AcI akkusativisch. Typ 2 von anrufenden Reihungen ist in der Epiklesis des Rhea-ὕμνος gar nicht zu beobachten und scheint ein Spezifikum des NT zu sein.213 Weder doxologische Elemente noch AcI-Konstruktionen sind belegt. Als weiterer Unterschied ist die Verwendung von Artikeln und Konjunktionen wie καί zu nennen: Auch wenn die Epiklesis des Rhea-ὕμνος relativ knapp ausfällt, ist zu erkennen, dass weder Artikel noch die Konjunktion καί bei der Aufzählung verwendet werden. Dagegen sind Artikel und καί in der Offb elementar. Die Konjunktion καί wird v. a. bei doxologischen Reihungen eingesetzt. Artikel sind bei Typ 1 in der Offb fast durchgängig belegt.214 Die Trennung der einzelnen Epitheta im Rhea-ὕμνος wird durch Kommata gekennzeichnet.215 Beim Rhea-ὕμνος fällt auf, dass nicht nur die Epitheta selbst ohne Artikel auftreten, sondern auch deren Bezugswörter: Nicht nur das Epitheton θύγατερ taucht ohne Artikel auf, sondern
211 Übrigens ist diskutabel, ob mit der Anrede πότνα Ῥέα die kybelische Vorstellung als „Herrin der Tiere“ angedeutet wird. Vgl. Giebel, Geheimnis, 117; Kloft, Mysterienkulte, 56 „Herrin des Wildes“. 212 Es wurden solche Epitheta herausgestellt, die die Wesenseigenschaften Gottes und des Lammes umschreiben (Typ 1), und solche, die Gott und das Lamm besitzen bzw. besitzen sollen (Typ 2). 213 V. a. Doxologien können neben der Offb auch bei Paulus nachgewiesen werden (Röm 16,27; 1Tim 6,16 etc.). 214 Eine Ausnahme stellt das Epitheton κύριος dar, welches als Eigenname verstanden und fast immer ohne Artikel auftaucht. Dies betrifft 1,8; 4,8c; 11,17; 15,3b; 16,17b und 19,6b. Offb 4,11 fällt heraus. Textkritische Beobachtungen beweisen, dass durch „Glättungen“ die Artikellosigkeit im Laufe der Textgeschichte nicht so eindeutig wahrgenommen worden ist: Für 11,17 ist in P47(*).c die Hinzufügung eines Artikels belegt, für 4,11 ist im Codex Sinaiticus eine Kombination von artikelloser Vokativform und Nominativform mit Artikel ()*א. 215 Angesichts der Tatsache, dass Interpunktion erst seit dem 9. Jh.n. Chr. durchgehend verwendet wurde, stellt sich die Frage, ob die in der heutigen kritischen Ausgabe vorliegende Interpunktion ursprünglich oder nachträglich ist, sodass auf Interpunktion basierende Argumente mit Vorbehalt zu formulieren sind. Zur Einführung der Interpunktion vgl. Nesselrath, Einleitung, 93.
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auch der im Genitiv formulierte „vielgestaltige Protogonos“. Man würde τοῦ erwarten. Im Gegensatz dazu erhält fast jedes einzelne Element in der Offb einen Artikel. Betrachtet man als Beispiel 1,5 (ὁ μάρτυς, ὁ πιστός, ὁ πρωτότοκος τῶν νεκρῶν καὶ ὁ ἄρχων τῶν βασιλέων τῆς γῆς), fällt neben dem Artikel vor jedem Epitheton die Verwendung des Genitiv-Artikels auf, also τῶν und τῆς. Ein weiterer Unterschied betrifft eine grammatikalische Besonderheit in OH 14: Die Genitivform Πρωτογόνοιο, welche die Verwandtschaftsbezeichnung θύγατερ spezifiziert, ist eine epische Form. Die normale Genitivform von Πρωτόγονος würde eigentlich Πρωτογόνου lauten. In diesem kurzen Textabschnitt aus den OH ist nur eine einzige epische Form zu lesen, doch bei einer umfassenderen grammatikalischen Untersuchung fällt eine zahlreiche Menge an solchen speziellen Formen auf. Das dazugehörige Adjektiv πολυμόρφου stellt im Gegensatz zu Protogonos eine übliche Genitivform dar. b) Physis der Gottheit / Herkunft, der Gelobte als Anfang, Anführer, Erster
Punkt b) stellt den ersten epischen Schwerpunkt dar, der in den Passagen der Offb und den ausgewählten Beispiel-ὕμνοι miteinander verglichen wird. Die betreffenden Verse aus der Offb werden dafür erneut aufgeführt und nacheinander mit den betreffenden Stellen aus den vier OH verglichen. „Physische“ Aspekte in der Offb betreffen v. a. den Ursprungscharakter Gottes und sind durch den eschatologischen Aspekt Gottes in der Offb zu ergänzen. Die Herkunft des Gelobten aus Gott ist im Kontext der Offb jedoch irrelevant. ὁ πρωτότοκος τῶν νεκρῶν … καὶ ἐποίησεν ἡμᾶς … ἱερεῖς τῷ θεῷ καὶ πατρὶ αὐτοῦ (Offb 1,6) Ἐγώ εἰμι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ (Offb 1,8) ὁ ἦν καὶ ὁ ὢν καὶ ὁ ἐρχόμενος (Offb 4,8c) ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα καὶ διὰ τὸ θέλημά σου ἦσαν καὶ ἐκτίσθησαν (Offb 4,11b) κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν (Offb 11,17) ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν, ὁ ὅσιος (Offb 16,5b) ἐγώ [εἰμι] τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος (Offb 21,6) ἐγὼ τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος (Offb 22,13) der Erstgeborene der Toten … und der uns gemacht hat … Priester seinem Gott und Vater (Offb 1,6) ich bin das Alpha und das O(mega) (Offb 1,8) der war und der Seiende und der Kommende (Offb 4,8c) denn du hast das All geschaffen und durch deinen Willen war [es] und ist [es] geschaffen worden (Offb 4,11b) Herr der Gott der Allherrscher, der Seiende und der war (Offb 11,17) der Seiende und der war, der Heilige (Offb 16,5b)
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ich [bin] das Alpha und das O(mega), der Anfang und das Ende (Offb 21,6) ich [bin] das Alpha und das O(mega), der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende (Offb 22,13)
Die Chiffre τὸ ἄλφα (1,8), die in den hymnenartigen Passagen der Offb dreimal verwendet wird (1,8; 21,6; 22,13), deutet Gottes Ursprungscharakter an. Das Besondere an der Offb ist die Ergänzung τὸ ὦ. Beide Elemente sagen nicht nur aus, dass Gott u. a. am Anfang war, sondern dass er selbst der Anfang und das Ende sei. Durch die in den Versen hinzutretenden Begriffspaare ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος in 21,6 und zusätzlich ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος in 22,13 werden Ursprungs- und Zielcharakter Gottes präzisiert. Als weiteres Element ist die Vergangenheitsform ὁ ἦν der Dreizeitenformeln in 1,8; 4,8c; 11,17 und 16,5b zu berücksichtigen, die den Ursprungscharakter des Gepriesenen andeutet. Als möglicher weiterer Untersuchungsgegenstand hat sich eine Verwandtschaftsbezeichnung herausgestellt. Gott wird in 1,6 Christus als Vater zugeordnet, wodurch dessen physis beschrieben wird. Im Folgenden werden die „physischen“ Aussagen der vier Beispiel-ὕμνοι angeführt und jeweils mit den Passagen der Offb verglichen, die zuvor zusammengefasst worden sind. λεχῶν ἡδεῖα πρόσοψι […] παροῦσα νέαις θνητῶν […] κλειδοῦχ’ […] ἀφανής, ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι
angenehmer Anblick der Wöchnerinnen […] Anwesende [bei] den jungen Sterblichen […] Schlüsselhalterin […] Unsichtbare, doch zu zeigst dich [in] allen Werken (OH 2)
Die Aussagen über die physis der Prothyraia sind relativ knapp und bestehen u. a. aus Negativaussagen. Das Aussehen der Prothyraia bleibt abstrakt (ἀφανής) und wird ausschließlich durch all ihre Taten konkret fassbar. Als angenehmer Anblick der Wöchnerinnen ist weniger ihr Aussehen und vielmehr ihre Anwesenheit bei Geburten gemeint, weshalb kein Widerspruch zu ἀφανής besteht. Die „physischen“ Aussagen über Prothyraia betreffen den Anfang des Lebens. Mit diesem Aspekt wird eine Gemeinsamkeit zu den Aussagen Gottes in der Offb geschaffen. Dennoch ist zu ergänzen, dass sie selbst nicht als Schöpfergottheit zu verstehen ist, sondern ihr Wirkungsbereich den Beginn des irdischen Lebens darstellt. Die Aussagen in OH 2 bleiben auf den Lebensbeginn beschränkt.216 Dagegen ist in der Offb Gott nicht nur der Schöpfer und der Anfang selbst, wie durch die Syntagmata ὅτι σὺ ἔκτισας
216 Dies ergibt sich aus dem Text von OH 2, was den grundsätzlichen Wirkungsbereich der Hekate nicht ausschließt, die mit Prothyraia identifiziert wird. So wird sie in anderen Schriften auch am Ende des Lebens relevant. Vgl. Roscher, Lexikon 2, 1218.
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τὰ πάντα καὶ […] ἦσαν καὶ ἐκτίσθησαν sowie ἐγώ εἰμι τὸ ἄλφα ausgedrückt wird,
sondern er ist auch der Zielpunkt seiner Schöpfung, was die Begriffe τὸ ὦ, ὁ ἔσχατος und τὸ τέλος aussagen. Durch die Dreizeitenformel wird Gott in der Offb als Herr aller Zeiten charakterisiert und sein Herrschaftsbereich als ewig gekennzeichnet.217 Prothyraia erhält zwar das Epitheton der κλειδοῦχος, „Schlüsselhalterin“, doch ihr damit angedeuteter Herrschaftsbereich beschränkt sich auf den Beginn des irdischen Lebens. Zudem wird sie dadurch als Schwellengottheit verstanden, d. h. ihr Wirken beginnt an der Schwelle des Lebens.218 Dagegen werden Gott in der Offb keine Grenzen gesetzt. Seine Herrschaft ist vielmehr als ewig und universal zu bezeichnen. Ein gemeinsamer bemerkenswerter Aspekt betrifft die Offenheit in der Beschreibung des Aussehens: Es werden keine konkreten Angaben über das Aussehen Gottes und Prothyraias gemacht. Während Prothyraia als unsichtbar bezeichnet wird, wird Gott mit der Chiffre καθήμενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ umschrieben. Diese signalisiert weniger die Unsichtbarkeit Gottes, sondern vielmehr das bewusste Verschweigen seines Aussehens zur Wahrung seiner reinen Transzendenz. θύγατερ πολυμόρφου Πρωτογόνοιο […] κούρη, μῆτερ Ζηνὸς ἄνακτος Ὀλυμπίου, αἰγιόχοιο, […] ἀγλαόμορφε, Κρόνου σύλλεκτρε μάκαιρα, […] ἀρχιγένεθλε· μήτηρ μέν τε θεῶν ἠδὲ θνητῶν ἀνθρώπων […] ἀερόμορφε Tochter des vielgestaltigen Protogonos […] Kore, Mutter des Herrn Zeus Olympios Aigiochos, […] von schöner Gestalt, selige Bettgenossin des Kronos, […] Urheberin des Geschlechts: Ja, du Mutter der Götter und sterblichen Menschen, […] Luftgestaltete (OH 14)
Eine bereits erwähnte Verwandtschaftsbezeichnung betrifft den Begriff θύγατερ mit anschließenden Bezugsworten im Genitiv. Rhea wird als Tochter des Protogonos, einem Beinamen des Eros bzw. Phanes, angerufen. Eine weitere Einordnung in das orphische Pantheon geschieht durch die Aussagen „Mutter des Herrn Zeus Olympios Aigiochos“ und „selige Ehefrau des Kronos“, wobei im Gegensatz zur Offb für Genitivformen eine epische Sonderform verwendet wird.219 Zudem erhält sie den häufig für Ursprungsgottheiten verwendeten Titel „Mutter der Götter und sterblichen Menschen“. Der Begriff ἀρχιγένεθλος unterstreicht den Ursprungscharakter der Gottheit. Rheas Aussehen wird mit den Begriffen ἀγλαόμορφε und
217 Dazu auch Shin, Wahrnehmung, 114, der mit ihr die „dreigliedrige Zeitbezogenheit Gottes“ gegeben sieht. 218 Vgl. Roscher, Lexikon 2, 1218. 219 Statt die gängige Genitivform von Zeus Aigiochos αἰγιόχου wird die epische Form αἰγιόχοιο verwendet. Der vermehrte Gebrauch solcher Formen in den Ekphraseis griechischer ὕμνοι ist häufig zu beobachten. Angesichts der epischen Art hymnischer Mittelteile scheint dieses Stilmittel angebracht.
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ἀερόμορφε ausgedrückt. Das zweite Epitheton drückt womöglich eine immaterielle
Natur aus. Ähnlich wie Prothyraia wird Rhea durch die „physischen“ Aussagen ein Herrschaftsbereich am Anfang des Lebens zugeschrieben. Im Gegensatz zu Prothyraia ist sie selbst diejenige, aus der sowohl Göttliches als auch Menschliches hervorgehen. Dagegen ist Prothyraia „nur“ Beistand bei menschlichen Geburten. Als Gemeinsamkeit mit der Offb sind die Ursprungsaussagen Rheas zu nennen. Durch sie sei alles hervorgegangen (ἀρχιγένεθλος) – eine Aussage, die mit dem Syntagma ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα καὶ διὰ τὸ θέλημά σου ἦσαν καὶ ἐκτίσθησαν aus Offb 4,11b vergleichbar ist. Die Aussagen über das Aussehen Rheas sind zwar konkreter als die der Prothyraia, doch bleiben detaillierte Beschreibungen aus. Dies ist vergleichbar mit dem absichtlichen Schweigen über Gottes Aussehen. Er wird in den hymnenartigen Passagen wie im gesamten Visionsbericht der Offb lediglich als ὁ καθήμενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ bezeichnet.220 Rheas luftgestaltiges Aussehen ist vergleichbar mit dem in der Offb gezeichneten rein transzendenten Gottesbild. Im Rhea-ὕμνος sind zahlreichere Verwandtschaftsbezeichnungen zu finden als in den Passagen der Offb. Dies erklärt sich mit dem polytheistischen Kontext der OH, der mehr genealogische Präzisierung verlangt als der monotheistische Kontext der Offb. Als „genealogische“ Aussage in der Offb ist immerhin 1,5f zu nennen, wo in einer Christus-Reihung der Vater genannt wird. Zudem ist der Titel „Erstgeborener der Toten“ zu lesen, der im weiteren Sinne eine „physische“ Eigenschaft kennzeichnet (πρωτότοκος τῶν νεκρῶν). Diese soteriologische Aussage kann insofern als „physische“ Eigenschaft Christi bezeichnet werden, als sie Christi nachösterliche Existenz beschreibt. Sie ist vergleichbar mit den Aussagen der Unsterblichkeit von Gottheiten. In OH 14 ist allerdings kein konkreter Hinweis darauf zu lesen. σκηπτοῦχε κλεινοῖο πόλου, πολυώνυμε, […] ἣ κατέχεις κόσμοιο μέσον θρόνον, […] ἐκ σέο δ’ ἀθανάτων τε γένος θνητῶν τ’ ἐλοχεύθη, σοὶ ποταμοὶ κρατέονται ἀεὶ καὶ πᾶσα θάλασσα, […] Κρόνου συνόμευνε, Οὐρανόπαι
Zepterträgerin des berühmten Poles, Vielnamige, […] die du den mittigen Thron der Welt festhältst, […] denn aus dir ist das Geschlecht der Unsterblichen und der Sterblichen geboren, du hast immer Macht [über] die Flüsse und das ganze Meer, […] Bettgenossin des Kronos, Uranoskind (OH 27)
Die Göttermutter erhält in OH 27 u. a. den Titel „Zepterträgerin“, welcher andeutet, dass sie einen Herrschaftsbereich innehat. Dieser wird durch die Aussage im
220 Es ist die häufigste Bezeichnung für Gott in der Offb. Vgl. Zimmermann, Namen, 24.
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Genitiv κλεινοῖο πόλου spezifiziert.221 Während ihr als Erdgöttin ein begrenzter Herrschaftsbereich zukommt, wird Gottes Herrschaft in der Offb als universal gekennzeichnet, wie im Begriff des Allherrschers, παντοκράτωρ, zusammengefasst wird. Die Göttermutter erhält den Titel πολυώνυμε, der sonst oft Dionysos zukommt.222 Eine solche Varietät an Namen ist mit den hymnenartigen Passagen der Offb insofern vergleichbar, als Gott oder das Lamm sich mit unterschiedlichen Namen offenbaren. Dafür stellen die „Ich-bin“-Worte in 1,8 und 21,6 Beispiele dar. Dort bezeichnet Christus sich einerseits als τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, andererseits als ἀρχή und τέλος. Während bei den OH die Vielzahl an göttlichen Bezeichnungen von den Hymnoden ausgeht, offenbaren Gott und Christus ihre Namen von sich aus. Des Weiteren wird trotz der Varietät der Namen Gottes und Christi immer nur ein und derselbe Gott verstanden, wohingegen in den OH unterschiedliche Gottheiten zu einer einzigen verschmelzen und ein Zeugnis von Synkretismus darstellen. In OH 27 ist die Rede davon, dass die Göttermutter den „mittigen Thron der Welt“ festhält.223 Diese Aussage ist auf ihren Herrschaftsbereich zu beziehen, was bereits durch die Bezeichnung „berühmter Pol“ ausgesagt worden ist. Gott wird in der Offb ebenfalls als Thronender verstanden (ὁ καθήμενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ), wodurch seine Herrschaftsausübung ausgedrückt wird. Im weiteren Verlauf wird die Göttermutter als Urheberin des göttlichen und menschlichen Geschlechts angebetet. Diese Aussage ist mit der Schöpfungsaussage in Offb 4,11b vergleichbar. Während die Göttermutter ausschließlich Menschen und Götter hervorgebracht hat, wird in der Offb Gott als der Schöpfer von allem angebetet (τὰ πάντα). Zudem wird im Gegensatz zu OH 27 in Offb 4,11b betont, dass Gott aus freiem Willensentschluss alles geschaffen hat (διὰ τὸ θέλημά σου). Die genealogischen Aussagen in OH 27 sind mit Offb 1,6 vergleichbar, wo Gott als Vater Christi bezeichnet wird. Eine weitere „physische“ Aussage wird mit dem Christus-Epitheton πρωτότοκος τῶν νεκρῶν in Offb 1,6 vorgenommen. Wie bereits erwähnt handelt es sich dabei
221 Die vorliegende Genitivform ist eine epische. Man würde sonst die Form κλεινοῦ erwarten. Epische Formen betreffen in den OH v. a. Genitivformen. Dagegen sind die Genitivformen in der Offb nie episch. 222 Er deutet an, dass die damit angesprochene Gottheit u. a. mit anderen Gottheiten identifiziert wird und dadurch unter anderem Namen bekannt ist. In diesem Fall ist v. a. die Entsprechung zu Kybele aus Phrygien zu nennen, mit der die Göttermutter identifiziert wird. Zudem sind Verschmelzungen mit Rhea zu erkennen. Vgl. Schelske, Orpheus, 43f; Takacs, Art. Kybele, Sp. 952. Dass Dionysos dieser Titel häufig zukommt, erklären Athanassakis, Hymns, XVI; Guthrie, Orpheus, 41. 223 Die Genitiv-Zuschreibung κόσμοιο ist erneut als epische Sonderform zu bestimmen. Die Sichtung aller epischen Genitivformen in den OH zeigt, dass sie sich stets auf singulare Genitivformen beziehen. Die häufig verwendeten pluralen Genitivformen ἀθανάτων und θνητῶν stellen keinen epischen Dialekt dar. Vgl. Thumb, Handbuch, 14 zum Charakter epischen Kunstdialekts in griechischer Literatur.
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um die soteriologische Eigenschaft Christi, die zugleich seine nachösterliche Existenz umschreibt. Vergleichbar ist diese Aussage in OH 27 mit dem Schlüsselwort ἀεί: Es steht im Kontext einer Herrschaftsaussage (κρατέονται ἀεί) und impliziert eine immerwährende Herrschaft der Göttermutter über einen festgelegten irdischen Herrschaftsbereich. Dies setzt jedoch voraus, dass die Gottheit sowie der zugeschriebene Bereich ewig existieren. In OH 27 sind insgesamt mehrere genealogische Verweise zu lesen: Die Göttermutter wird als Kronos‘ Ehefrau und Kind des Uranos bezeichnet.224 ἣ καὶ Ζηνὸς ἄνακτος ἐπὶ θρόνον ἱερὸν ἵζει οὐρανόθεν καθορῶσα βίον θνητῶν πολυφύλων, […] ἐπεμβαίνουσα […] ἀδίκοις
die auch auf dem heiligen Thron des Herrn Zeus sitzt, vom Himmel her herabschauend [auf] das Leben der Sterblichen vieler Stämme, […] tretend […] [auf] die Ungerechten (OH 62)
Die physis der Dike bleibt relativ unbestimmt, da es sich bei dieser Gottheit um ein abstractum handelt. Ihr Aussehen bleibt demnach unklar. Anzeichen einer Personifikation sind ihre menschlichen Eigenschaften des Sitzens (ἵζει), das Auge, mit dem sie auf das Leben der Menschen herabsehen kann (καθορῶσα) und der Tritt auf die Ungerechten (ἐπεμβαίνουσα). Die Zurückhaltung bei „physischen“ Angaben ist mit denen der Offb vergleichbar. Gottes konkretes Aussehen bleibt unbestimmt. Dagegen wird auch er als Sitzender auf dem Thron beschrieben. Als Beispiel ist Offb 7,10 zu nennen, wo in einer doxologischen Formel Gottes Titel im Dativ steht (τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῷ θρόνῳ). Durch die Aussage des Thronens wird sowohl in OH 62 als auch in Offb 7,10 etc. die Assoziation mit Macht erzielt. Während in der Offb ein solches Bild zweierlei Konnotationen aufweist – die der Herrschaft und des Gerichts –, wird in OH 62 v. a. die zweite Konnotation akzentuiert. Die physis der Dike definiert sich in OH 62 durch ihr Handeln. Ähnlich verhält es sich mit den Versen der Offb. Auf die Herausstellung der Handlungen wird in Punkt c) näher eingegangen. c) Anaphorische Du-Anrede mit Taten / Werke der Gottheit (Hauptsätze)
Im Folgenden werden die Werke der Gottheiten in den vier OH mit denen Gottes und des Lammes verglichen. Zunächst werden die Taten Gottes und des Lammes in der Offb zusammengefasst, bevor sie nacheinander mit OH 2, 14, 27 und 62 verglichen werden.
224 Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Göttermutter in einigen Wesenseigenschaften mit Rhea identifiziert wird.
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Τῷ ἀγαπῶντι ἡμᾶς καὶ λύσαντι ἡμᾶς ἐκ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν ἐν τῷ αἵματι αὐτοῦ, καὶ ἐποίησεν ἡμᾶς βασιλείαν, ἱερεῖς τῷ θεῷ καὶ πατρὶ αὐτοῦ (Offb 1,6) ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα καὶ διὰ τὸ θέλημά σου ἦσαν καὶ ἐκτίσθησαν (Offb 4,11b) ὅτι ἐσφάγης καὶ ἠγόρασας τῷ θεῷ ἐν τῷ αἵματί σου ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους καὶ ἐποίησας αὐτοὺς τῷ θεῷ ἡμῶν βασιλείαν καὶ ἱερεῖς, καὶ βασιλεύσουσιν ἐπὶ τῆς γῆς (Offb 5,9–10) ἐγένετο ἡ βασιλεία τοῦ κόσμου τοῦ κυρίου ἡμῶν καὶ τοῦ χριστοῦ αὐτοῦ, καὶ βασιλεύσει (Offb 11,15) ὅτι εἴληφας τὴν δύναμίν σου τὴν μεγάλην καὶ ἐβασίλευσας. καὶ τὰ ἔθνη ὠργίσθησαν, καὶ ἦλθεν ἡ ὀργή σου καὶ ὁ καιρὸς τῶν νεκρῶν κριθῆναι καὶ δοῦναι τὸν μισθὸν τοῖς δούλοις σου τοῖς προφήταις καὶ τοῖς ἁγίοις καὶ τοῖς φοβουμένοις τὸ ὄνομά σου, τοὺς μικροὺς καὶ τοὺς μεγάλους, καὶ διαφθεῖραι τοὺς διαφθείροντας τὴν γῆν (Offb 11,17b–18) ἄρτι ἐγένετο ἡ σωτηρία καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἡμῶν καὶ ἡ ἐξουσία τοῦ χριστοῦ αὐτοῦ, ὅτι ἐβλήθη ὁ κατήγωρ τῶν ἀδελφῶν ἡμῶν, ὁ κατηγορῶν αὐτοὺς ἐνώπιον τοῦ θεοῦ ἡμῶν ἡμέρας καὶ νυκτός. καὶ αὐτοὶ ἐνίκησαν αὐτὸν διὰ τὸ αἷμα τοῦ ἀρνίου καὶ διὰ τὸν λόγον τῆς μαρτυρίας αὐτῶν καὶ οὐκ ἠγάπησαν τὴν ψυχὴν αὐτῶν ἄχρι θανάτου (Offb 12,10b–12) ὅτι μόνος ὅσιος, ὅτι πάντα τὰ ἔθνη ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου, ὅτι τὰ δικαιώματά σου ἐφανερώθησαν (Offb 15,4) ὅτι ταῦτα ἔκρινας, ὅτι αἷμα ἁγίων καὶ προφητῶν ἐξέχεαν καὶ αἷμα αὐτοῖς [δ]έδωκας πιεῖν, ἄξιοί εἰσιν (Offb 16,5b–6) ὅτι ἀληθιναὶ καὶ δίκαιαι αἱ κρίσεις αὐτοῦ· ὅτι ἔκρινεν τὴν πόρνην τὴν μεγάλην ἥτις ἔφθειρεν τὴν γῆν ἐν τῇ πορνείᾳ αὐτῆς, καὶ ἐξεδίκησεν τὸ αἷμα τῶν δούλων αὐτοῦ ἐκ χειρὸς αὐτῆς (Offb 19,2) ὅτι ἐβασίλευσεν κύριος ὁ θεὸς [ἡμῶν] ὁ παντοκράτωρ (Offb 19,6b) ὅτι ἦλθεν ὁ γάμος τοῦ ἀρνίου καὶ ἡ γυνὴ αὐτοῦ ἡτοίμασεν ἑαυτὴν καὶ ἐδόθη αὐτῇ ἵνα περιβάληται βύσσινον λαμπρὸν καθαρόν·τὸ γὰρ βύσσινον τὰ δικαιώματα τῶν ἁγίων ἐστίν (Offb 19,7b–8)
dem, der uns geliebt und uns in seinem Blut von unseren Sünden erlöst hat, und er hat uns ein Königtum gemacht, Priester seinem Gott und Vater (Offb 1,6) denn du hast das All geschaffen und durch deinen Willen war [es] und ist [es] geschaffen worden (Offb 4,11b) denn du bist geschlachtet worden und hast in deinem Blut [für] Gott erkauft aus jedem Stamm und [jeder] Sprache und [jedem] Volk und [jeder] Nation und hast sie [für] unseren Gott [zu] einem Königtum und [zu] Priestern gemacht und sie werden auf der Erde herrschen (Offb 5,9–10) die Weltherrschaft unseres Herrn und seines Gesalbten ist gekommen und er wird herrschen (Offb 11,15) denn du hast deine große Macht ergriffen und bist König geworden. Und die Nationen sind zornig geworden und dein Zorn ist gekommen und der Zeitpunkt der Toten,
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gerichtet zu werden und den Lohn deinen Knechten zu geben, den Propheten und den Heiligen und denen, die deinen Namen fürchten, den Kleinen und den Großen, und zu vernichten die Vernichter (Verderber) der Erde (Offb 11,17b–18) jetzt ist die Rettung und die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten gekommen, denn hinabgeworfen wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie vor unserem Gott Tag und Nacht Anklagende. Und sie haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes und durch das Wort ihres Zeugnisses und sie haben ihr Leben bis zum Tod nicht geliebt (Offb 12,1b–12) denn allein heilig [bist du], denn alle Nationen werden kommen und sich vor dir niederwerfen, weil deine Rechtsurteile offenbar geworden sind (Offb 15,4) weil du diese gerichtet hast, denn sie haben Blut [von] Heiligen und Propheten vergossen und Blut hast du ihnen gegeben zu trinken, sie sind [es] wert (sie haben es verdient) (Offb 16,5b–6) denn wahr und gerecht sind seine Gerichte, denn er hat die große Hure gerichtet, die die Erde in ihrer Unzucht verdarb, und er hat das Blut seiner Knechte aus ihrer Hand gerächt (Offb 19,2) denn König geworden ist Herr [unser] Gott der Allherrscher (Offb 19,6b) denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen und seine Frau hat sich bereit gemacht und ihr wurde gegeben, damit sie sich umwerfe ein leuchtendes reines Leinen(gewand); das Leinen(gewand) sind nämlich die gerechten Taten der Heiligen (Offb 19,7b–8)
Da eine ausführliche Analyse bei der Anwendung des bergerschen Konzepts auf die Offb bereits vorgenommen worden ist, wird dies nicht erneut wiederholt. An dieser Stelle sei knapp zusammengefasst, dass durch die gezielte Verwendung verschiedener Zeitformen (sowohl Vergangenheit, Gegenwart als auch Zukunft) und Aspekte (durativ, punktuell und resultativ) das Handeln Gottes und des Lammes detailliert ausgefaltet wird. Diese besteht v. a. darin, dass die göttlichen Handlungen in bestehende Zustände der Menschheitsgeschichte punktuell eingreifen und ohne Zutun der Menschen von Gott und dem Lamm ausgehen. Die göttlichen Handlungen der Offb werden mit denen von OH 2, 14, 27 und 62 nacheinander verglichen. - παροῦσα νέαις θνητῶν […] φιλοτρόφε - ἣ κατέχεις οἴκους πάντων θαλίαις τε γέγηθας, λυσίζων’ - ἀφανής, ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι, - συμπάσχεις ὠδῖσι καὶ εὐτοκίηισι γέγηθας - λύουσα πόνους δειναῖς ἐν ἀνάγκαις - μούνην γὰρ σὲ καλοῦσι λεχοὶ ψυχῆς ἀνάπαυμα - ἐν γὰρ σοὶ τοκετῶν λυσιπήμονές εἰσιν ἀνῖαι - ἐπαρωγὸς ἐοῦσα
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- δίδου δὲ γονὰς […] ὥσπερ ἔφυς αἰεὶ σώτειρα προπάντων - anwesend [bei] den jungen Sterblichen […] Gern-Ernährerin - die du begossest die Häuser aller und [über] Lebensfreuden dich gefreut hast, Gürtellöserin - Unsichtbare, du zeigst dich aber [in] allen Werken - du leidest mit [bei] Geburtswehen und hast gejubelt [über] leichte Geburten - lösend die Not in schrecklichen Bedrängnissen - denn dich allein rufen die Wöchnerinnen Ruhe der Seele - denn in dir sind die Geburten [von] Sorge befreit - ein Beistand seiend - gib doch Nachwuchs […] ganz wie du hervorgebracht hast, stets Retterin aller (OH 2)
Die ἔργα Gottes in der Offb und die der Prothyraia scheinen sich auf den ersten Blick wesentlich voneinander zu unterscheiden. Dennoch sind Gemeinsamkeiten zu erkennen: Die erste Handlung Gottes in den hymnenartigen Passagen der Offb ist die Erschaffung des Alls durch seinen Willen (4,11). Diesen Aspekt findet man in OH 2 an Prothyraia durch die Aussage ὥσπερ ἔφυς wieder. Während das Schöpfungswirken Gottes in der Offb universal ist (τὰ πάντα), bezieht sich die Hervorbringung Prothyraias auf die Geburt der Menschen. Dies wird durch die Aussage παροῦσα νέαις θνητῶν gestützt. Zudem geht dem Nebensatz ὥσπερ ἔφυς die Bitte δίδου δὲ γονάς voraus, die darauf schließen lässt. Dabei ist zu beachten, dass durch die Mehrdeutigkeit des Verbs φύω nicht deutlich wird, ob Prothyraia selbst als Schöpferin verstanden wird oder ob sie das bereits entstehende Leben wachsen lässt.225 Davon hängt ab, ob eine Gemeinsamkeit zu Gott in der Offb vorliegt. Die Aussage Prothyraias ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι scheint auf den ersten Blick eine Bestärkung ihrer schöpferischen Aktivität darzustellen, doch ist die Dativform ἔργοισι auf ihre eigenen Werke und nicht auf Schöpfungswerke allgemein zu beziehen. Ihr schöpferischer Aspekt bleibt somit ungewiss. Die ἔργα des Lammes in der Offb besitzen einen soteriologischen Aspekt. Durch die Schlachtung werden Menschen erkauft (5,9b) und der Ankläger hinabgeworfen (12,10b). Soteriologische Wesenseigenschaften besitzt Prothyraia in OH 2 in der
225 Das Verb φύω hat u. a. die Übersetzungsmöglichkeiten „hervorbringen, erzeugen“ und „wachsen lassen“. Sie implizieren Tätigkeiten, die deutlich zu unterscheiden sind. Je nach Übersetzung entscheidet sich, ob Prothyraia als Schöpfungsgottheit anzusehen oder ausschließlich Geburtshelferin und Amme ist. Geht man von dem Einfluss einer vorgriechischen Muttergottheit aus, die als Fruchtbarkeits- und Vegetationsgottheit verstanden worden ist, sind beide Aspekte für Prothyraia-Hekate denkbar. Brahms fasst die Entwicklung der kleinasiatischen Hekate zusammen. Vgl. Brahms, Archaismus, 153.
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Hinsicht, dass sie aus der Not in Bedrängnis erlöst (λύουσα πόνους δειναῖς ἐν ἀνάγκαις). Zudem nimmt sie den Gebärenden die Sorge (τοκετῶν λυσιπήμονές εἰσιν ἀνῖαι). Während der erlösende Aspekt des Lammes universal ist (ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους), bezieht sich die soteriologische Fähigkeit der Prothyraia auf den Bereich der Geburt. Verbunden mit soteriologischen Aussagen ist in OH 2 die Aussage συμπάσχεις ὠδῖσι καὶ εὐτοκίηισι γέγηθας zu betrachten. Prothyraia wird als eine solidarische Gottheit verstanden, die mit den Gebärenden mitleidet. Analog dazu ist in Offb 5,9b das Verb ἐσφάγης zu lesen. Während Prothyraia lediglich mitleidet, erleidet das Lamm einen Sühnetod. Eine letzte Tätigkeit Gottes ist mit der Hochzeit des Lammes verknüpft. Diese versinnbildlicht die eschatologische Heilszeit, die sich nun endgültig durchsetzt (19,6b–8). Durch diesen Vers wird ausgedrückt, dass die Hochzeit von Gott ausgeht, der die Herrschaft angetreten hat (ὅτι ἐβασίλευσεν κύριος ὁ θεὸς [ἡμῶν] ὁ παντοκράτωρ).226 -
ἥτ’ ἐπὶ ταυροφόνων ἱερότροχον ἅρμα τιταίνεις, τυμπανόδουπε, φιλοιστρομανές […] πολεμόκλονε
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οὔρεσιν ἣ χαίρεις θνητῶν τ’ ὀλολύγμασι φρικτοῖς ψευδομένη σώτειρα, λυτηριάς […] φιλόδρομε σωτήριος εὔφρονι βουλῆι εἰρήνην κατάγουσα σὺν εὐόλβοις κτεάτεσσιν, λύματα καὶ κῆρας πέμπουσ’ ἐπὶ τέρματα γαίης
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die du an die Stiertötenden den heiligen Streitwagen anspannst, mit Pauken Lärmende, Raserei Liebende […] dich kriegerisch Tummelnde die du dich erfreust [an] Bergen und [an] schauderhaften Schreien der Sterblichen Täuschende Retterin, Erlöserin […] Rennen/das Laufen Liebende rettend [mit] freundlichen Ratschlüssen herabsendend den Frieden zusammen mit wohlhabenden Besitztümern, sendend die Beschmutzungen und gewaltsamen Tode zu den Grenzen der Erde (OH 14)
Auch wenn die ἔργα der Rhea in OH 14 nicht so zahlreich sind wie die der Prothyraia, sind bemerkenswerte Analogien zur Offb zu erkennen. Gottes Initiative
226 Insgesamt ist dennoch eine wichtige Analogie herauszustellen: Die Mysteriengottheiten weisen eine charakteristische Affinität zum Leiden auf, das wiederum ein hohes Identifizierungspotenzial in sich birgt. Eine Gottheit, die selbst durch Leiden gegangen ist, kann die Situation der Mysten optimal nachvollziehen. Insbesondere die hinter OH 2, 14 und 27 stehende anatolische Muttergottheit besitzt in ihren regionalen Ausformungen zahlreiche Mythen mit Schicksalsschlägen wie dem Tod des Attis (phrygische Kybele) oder dem Raub der Kore (Demeter von Eleusis). Vgl. zur grundsätzlichen Leidensaffinität Giebel, Geheimnis, 13; Burkert, Religion, 414: „von ‚leidenden‘ Göttern“.
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in der Offb zeigt sich u. a. in der gerichtlichen Verurteilung jener, die die Gerechten unterdrückt oder sogar getötet haben. Dabei vollstreckt Gott das Urteil auch selbst, was durch folgende Verse herausgestellt werden kann: In 16,6 gibt Gott den Mördern von Heiligen und Propheten Blut zu trinken. In 19,2 rächt Gott das Blut seiner Knechte durch seine eigene Hand. Zudem vergilt Gott in 11,18 böse Taten.227 In OH 14 an Rhea wird anhand von mehreren Aussagen Rheas kriegerischer Wesenszug herausgestellt. Erstens erhält sie das Epitheton πολεμόκλονος, zweitens wird ihr ein Streitwagen zugeordnet (ἥτ’ ἐπὶ ταυροφόνων ἱερότροχον ἅρμα τιταίνεις). Verbunden mit dem Relativsatz ἣ χαίρεις θνητῶν τ’ ὀλολύγμασι φρικτοῖς entsteht ein blutrünstiges Gottesbild. Die Partizipialkonstruktion εἰρήνην κατάγουσα in Kombination mit allen Kriegsaussagen stellt jedoch heraus, dass Rheas kriegerische Handlungen auf Frieden abzielen. Ähnlich verhält es sich mit den Gerichtsaussagen und Urteilsvollstreckungen Gottes in der Offb. Werden diese von den darauffolgenden Heilstaten Gottes und des Lammes isoliert, entsteht ein blutrünstiges und bedrohliches Gottesbild. Dabei gelten die Gerichtsaussagen der Offb als unabdingbar für die Durchsetzung des eschatologischen Heils.228 Zudem wird in den Gerichtsaussagen betont, dass Gottes Gericht nicht willkürlich, sondern gerecht ist (11,18; 16,5b–6; 16,7b; 19,2).229 Ein entscheidender Unterschied besteht darin, dass der ersehnte Frieden in OH 14 die irdische Existenz betrifft, während eschatologisches Heil in der Offb – die endgültige βασιλεία Gottes und des Lammes – nach Abbruch der Zeiten erwartet wird. In den beiden zu vergleichenden Texten ist eine weitere bemerkenswerte Analogie zu erkennen: Sowohl die Offb als auch OH 14 setzen bei Gott bzw. Rhea einen göttlichen Willen voraus. Während in Offb 4,11 Gottes Wille im Kontext seines Schöpfungswirkens thematisiert wird (διὰ τὸ θέλημά σου ἦσαν καὶ ἐκτίσθησαν), kommt er in OH 14 in einem soteriologischen Kontext zum Tragen. Der verwendete Terminus ist jedoch εὔφρων βουλή. Der in der Offb verwendete Begriff θέλημα signalisiert, dass die gesamte Weltgeschichte nach Gottes Heilsplan verläuft und das eschatologische Heil das Ziel der Weltentwicklung ist, dieses aber für alle verborgen bleibt (Buch mit sieben Siegeln). Dagegen deutet der Begriff der βουλή die Praxis an, durch Orakel u. ä. Gottheiten über Zukünftiges zu befragen.230 227 Die Verwendung des Verbs διαφθείρω ist ein Wortspiel, da es als Handlung Gottes mit „verderben“ im Sinne von „zugrunde richten“ übersetzt, dagegen als Handlung der Verderber „verderben“ mit dem alternativen Sem „verführen“ verstanden werden muss. So bezeichnet auch Bauckham die Verwendung der Doppeldeutigkeit des Verbs als „wordplay“. Bauckham, Judgment, 56. 228 Vgl. Söding, Gott, 87. 229 „God will avenge his people“. Keener, Revelation, 41. 230 Wichtigste Orakel waren Delphi, aber auch Dodona, Argos, Didyma und Klaros. Die letzte Stätte ist v. a. in der römischen Kaiserzeit zu einer regen Anlaufstelle geworden. Vgl. Nilsson, Geschichte, 447–448. Eine Übersicht zu dem Thema bietet zudem Ebner, Stadt, 306–329. Der Ratschluss einer Gottheit war nicht direkt zugänglich, weshalb Orakelstätten sowie -gottheiten überhaupt
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Eine Untersuchung soteriologischer Elemente in beiden Texten veranlasst in der Offb erneut den Blick auf 5,9 und den Sühnetod des Lammes, durch den eine universale Erlösung erzielt wird. In OH 14 wird Rhea als σώτειρα bezeichnet. Das Epitheton erscheint zusammen mit ψευδομένη und deutet eine mythologische Erzählung an.231 Dementsprechend stellt Rhea keine universale Erlöserin dar. Das Adjektiv σωτήριος, welches einen zweiten soteriologischen Hinweis darstellt, ist dahingehend einzugrenzen, dass Rhea durch freundliche Ratschlüsse rettet. Ihre erlösende Rolle bleibt im Gegensatz zu der des Lammes beschränkt.232 In der Offb ist die Rede von der Hochzeit des Lammes, bei der die Braut sich einen reinen weißen byssinos anlegen darf (περιβάληται βύσσινον λαμπρὸν καθαρόν).233 Dieser Aspekt zeigt eine Analogie zu der Bitte an Rhea auf, Beschmutzungen zu vertreiben (λύματα […] πέμπουσ’ ἐπὶ τέρματα γαίης). Vor dem Hintergrund orphischen Ideals sind die λύματα als rituelle Verunreinigungen zu interpretieren, die zu einem schlechten Urteil nach dem Tod führen. Als Zeichen ritueller Reinheit trugen die Mysten weiße Leinengewänder.234 Im Unterschied zu den orphischen Mysterien wird die Reinheit des symbolischen Gewandes in der Offb durch gerechte Taten der Heiligen erzielt (τὸ γὰρ βύσσινον τὰ δικαιώματα τῶν ἁγίων ἐστίν). Zugleich ist das Gewand eine Gabe (ἐδόθη αὐτῇ). Dagegen besteht die orphische Reinheit in der Enthaltung von Fleisch und anderen tierischen Produkten (Wollkleider) und v. a. in der Einweihung in die Mysterien.235 Die Bitte um Vertreibung von Beschmutzungen ist in OH 14 an die Bitte um Vertreibung gewaltsamer Tode geknüpft. Ein plötzlicher Tod ist für einen Mysten bedrohlich, da dadurch seine Chancen auf eine kurze Läuterung nach dem Tod und angenehme Existenz im neuen Leben verringert werden. Ebenso verringert sich die Chance, aus dem ewigen Kreislauf befreit zu werden, um bei den Göttern
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vonnöten waren. Insbesondere Apoll wurde zum Interpreten des untrüglichen Ratschlusses des Zeus. Vgl. Tubach, Schatten, 370. Aber diese göttliche „Aufgabe“ ist nicht ausschließlich an ihn gebunden. Vgl. Balty, ThesCRA III, 49. Insbesondere durch Homer ist der Begriff göttlicher βουλή auf besondere Weise mit Zeus verknüpft, was den Begriff selbst als Zeus-Charakteristikum erscheinen lässt. Hom. Il. I 5. Rhea habe der Überlieferung nach ihren Sohn Zeus davor bewahrt, durch den Vater Kronos verschlungen zu werden, indem sie einen Stein in Windeln wickelte. Rhea als Orakelgottheit verwundert. An dieser Stelle ist nach synkretistischen Vorstellungen zu fragen. Zu vermuten ist der Einfluss Gaias als ursprüngliche Gottheit des delphischen Orakels, mit der Rhea identifiziert worden ist. Vgl. Kim, Mythos, 163. Es ist nicht ganz ersichtlich, ob als Material Leinen oder Muschelseide übersetzt werden muss. Das Tragen weißer Gewänder ist wahrscheinlich dem Pythagoreismus entnommen. Vgl. Bremmer, Orpheus, 67. Bemerkenswert ist an dieser Stelle der Zusammenhang mit anderen Mysterien wie denen von Eleusis, wo das Anlegen eines neuen Gewandes nach den Weihen ebenfalls belegt ist. Vgl. Giebel, Geheimnis, 36: „um zu bezeugen, dass man ein ‚neuer Mensch‘ geworden war.“
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zu wohnen. In der Offb wird ein positiveres Verhältnis zu gewaltsamen Toden deutlich: Gott rächt am strengsten jene Mörder, welche Christen aufgrund ihres Glaubens getötet haben (z. B. 19,2). Zusätzlich werden die Opfer gewaltsamer Tode belohnt (11,18: δοῦναι τὸν μισθόν).236 -
τροφὲ πάντων […] θνητοῖσι τροφὰς παρέχουσα ταυροφόνων ζεύξασα ταχύδρομον ἅρμα λεόντων, σκηπτοῦχε κλεινοῖο πόλου ἣ κατέχεις κόσμοιο μέσον θρόνον οὕνεκεν αὐτὴ γαῖαν ἔχεις ἐκ σέο δ’ ἀθανάτων τε γένος θνητῶν τ’ ἐλοχεύθη σοὶ ποταμοὶ κρατέονται ἀεὶ καὶ πᾶσα θάλασσα δ’ ὀλβοδότιν καλέουσι, παντοίων ἀγαθῶν θνητοῖς ὅτι δῶρα χαρίζῃ […] τυμπανοτερπής, πανδαμάτωρ […] βιοθρέπτειρα, φίλοιστρε
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Ernährerin aller […] Speisen gewährend den Sterblichen anspannend den schnell laufenden Streitwagen der Stiere tötenden Löwen, Zepterträgerin des berühmten Poles die du den mittigen Thron der Welt festhältst, weswegen du selbst die Erde hast denn aus dir ist das Geschlecht der Unsterblichen und der Sterblichen geboren du hast immer Macht [über] die Flüsse und das ganze Meer Dich rufen sie Glücksspenderin, weil du den Sterblichen allerlei gute Geschenke erweist […] dich Freuende über Paukenschlag […] Lebenserhalterin, Raserei Liebende (OH 27)
Der Vergleich der hymnenartigen Passagen der Offb mit OH 27 ist bzgl. schöpferischer Aussagen besonders interessant und erklärt sich mit dem primären Wesensaspekt der Göttermutter, zu schöpfen und zu erhalten. Die Schöpfungsaussage in der Offb, die in den vorherigen Vergleichen bereits ausführlich analysiert worden ist, findet in OH 27 eine Analogie in zahlreichen Aussagen. Dabei werden die beiden Aspekte des Schöpfens und Erhaltens berücksichtigt: Die Göttermutter wird als Ernährerin aller durch die Gewährung von Speisen und allerlei Geschenken angesehen. Zudem wird ihr das Epitheton βιοθρέπτειρα, Lebenserhalterin, verliehen. Dies betrifft den Aspekt des Erhaltens. Durch die Aussage σέο δ’ ἀθανάτων τε γένος θνητῶν τ’ ἐλοχεύθη wird der Aspekt des Schöpfens selbst ausgedrückt. Ein entscheidender Punkt, der sich von der Offb deutlich unterscheidet, ist die Beschreibung des Verhältnisses von Schöpfung und Schöpfer: In OH 27 sind die Göttermutter und das Geschlecht der Unsterblichen und Sterblichen genealogisch verknüpft, was mit dem Verb ἐλοχεύθη zum Ausdruck kommt. Dies impliziert eine ontologische Gemeinsamkeit der Göttermutter mit ihrer „Schöpfung“. In Offb 4,11b
236 Offb 20 beweist sogar, dass gerade diese Personengruppe die erste Auferstehung erfahren darf.
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wird durch den Zusatz διὰ τὸ θέλημά σου eine gewisse Distanz zu τὰ πάντα gewahrt. Die Formulierung in der Offb impliziert somit nicht automatisch, dass die Schöpfung ontologisch auf einer Ebene mit Gott ist.237 Die zahlreichen Gerichtsaussagen der Offb, die in den vorherigen Vergleichen im Einzelnen herausgestellt worden sind, lassen sich mit der Zuordnung eines Streitwagens der Göttermutter vergleichen (ταχύδρομον ἅρμα). Zudem erhält sie das Epitheton πανδαμάτωρ, das einen triumphalen Charakter der Gottheit andeutet. Die Gerichtsaussagen der Offb sind ebenfalls als triumphale Passagen zu bezeichnen. Die Herrschaft Gottes und des Lammes wird z. B. aufgrund der Verurteilung der πόρνη μεγάλη in 19,2 erlangt. Grundsätzlich sind die hymnenartigen Passagen der Offb aus der Perspektive des Triumphes Gottes geschrieben. Gott erhält in der Offb häufig das Epitheton παντοκράτωρ, das seine Universalherrschaft ausdrückt. In dem Zusammenhang ist in 15,4 die Aussage zu lesen, dass alle Völker zu einer eschatologischen Wallfahrt aufbrechen und Gott anbeten werden. Schließlich ist 11,15 dazu zu zählen, wo die Universalherrschaft Gottes für die Zukunft verheißen wird. In OH 27 wird der Göttermutter ein mittiger Thron zugeschrieben (μέσον θρόνον), der ihre Herrschaft auf Erden lokalisiert. Zudem wird der Herrschaftsbereich auf die Flüsse und das ganze Meer eingeschränkt (κρατέονται ἀεὶ καὶ πᾶσα θάλασσα). Auch das Epitheton σκηπτοῦχε ist so zu verstehen, dass sie keine universale Herrschaft besitzt.238 Die zeitliche Unbegrenztheit beider Herrschaften stellt einen weiteren gemeinsamen Aspekt dar: Während in Offb 11,15b die Herrschaftsaussage mit der Ewigkeitsformel abgeschlossen wird, ist in OH 27 das Adverb ἀεί zu lesen. Gottes endgültige Herrschaft wird als eine eschatologische verstanden, die Herrschaft der Göttermutter ist irdisch. Dies zeigt sich u. a. an der Lokalisierung der Throne: Gottes Thron ist laut Offb im Himmel, bevor er in das neue Jerusalem verlegt wird. Der Thron der Göttermutter befindet sich auf der Erde. -
ἣ καὶ Ζηνὸς ἄνακτος ἐπὶ θρόνον ἱερὸν ἵζει οὐρανόθεν καθορῶσα βίον θνητῶν πολυφύλων τοῖς ἀδίκοις τιμωρὸς ἐπιβρίθουσα δικαία ἐξ ἰσότητος ἀληθείαι συνάγουσ’ ἀνόμοια
237 Im narrativen Gesamtzusammenhang wird die kategorische Differenz zwischen Gott und seiner Schöpfung noch deutlicher: Einerseits ist der himmlische Thronsaal im Himmel, andererseits wird Gottes Präsenz erst dann auf die Erde verlegt, nachdem die gesamte Schöpfung zerstört und neugestaltet worden ist. 238 Es ist zumindest davon auszugehen, dass sie als chthonische Muttergottheit keinen uranischen Einfluss besitzt. Kim, Mythos, 42: „Für die Geschichte des Griechentums bedeutet dieser Vorgang eine grundlegende Wandlung des chthonisch geprägten vorhellenisch-archaischen Weltbezuges zu dem uranisch geprägten hellenisch-griechischen […].“
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Formale Analyse
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πάντα γάρ, ὅσσα κακαῖς γνώμαις θνητοῖσιν ὀχεῖται δύσκριτα, βουλομένοις τὸ πλέον βουλαῖς ἀδίκοισι, μούνη ἐπεμβαίνουσα δίκην ἀδίκοις ἐπεγείρεις· ἐχθρὰ τῶν ἀδίκων, εὔφρων δὲ σύνεσσι δικαίοις
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μόλ’ ἐπὶ γνώμαις ἐσθλαῖσι δικαία ὡς ἂν ἀεὶ βιοτῆς τὸ πεπρωμένον ἦμαρ ἐπέλθοι
die auch auf dem heiligen Thron des Herrn Zeus sitzt vom Himmel her herabschauend [auf] das Leben der Sterblichen vieler Stämme beistehendes Gesetz, schwer lastend [auf] den Ungerechten zusammenführend aus Unparteilichkeit Ungleiches [durch] Wahrheit denn so viel, wie alles Verworrene [wegen] schlechter sterblicher Urteile getrieben wird, vorziehend das Volle [an] ungerechten Absichten, weckst allein du die Gerechtigkeit, tretend [auf] die Ungerechten komm auf die edlen Gedanken bis dass der stets bestimmte Tag vermutlich kommt (OH 62)
OH 62 an Dike ist ein bemerkenswerter Vergleichstext, da die angebetete Gottheit das Gesetz selbst darstellt. Gott wird in der Offb häufig in seiner Richterfunktion gepriesen. Seine Gerichtsurteile werden mehrfach als gerecht angesehen, weil er um die Taten aller Menschen weiß (16,5b–16; 16,7b; 19,1b–2). In OH 62 wird Dike diese Eigenschaft ebenfalls zugeschrieben (οὐρανόθεν καθορῶσα βίον θνητῶν πολυφύλων). Sie wird dabei als Mitthronende auf dem Zeusthron angebetet (Ζηνὸς ἄνακτος ἐπὶ θρόνον ἱερὸν ἵζει). Analog dazu können Gottes Thronen und die Anwesenheit des Lammes angesehen werden (7,10b). In der Offb wird nicht ganz ersichtlich, wer genau die Richterfunktion einnimmt,239 jedoch hat das Lamm eine entscheidende Mitfunktion beim Gericht: Die Verse 12,10b–12, in denen Gerichtsaussagen vorgenommen werden, sind an Gott und das Lamm zugleich gerichtet. Das Blut des Lammes ist das entscheidende Mittel zur Überwindung des Anklägers (αὐτοὶ ἐνίκησαν αὐτὸν διὰ τὸ αἷμα τοῦ ἀρνίου). Dabei wird deutlich, dass das Blut des Lammes bereits in der irdischen Existenz der Überwinder relevant geworden ist, wohingegen das Gerichtsurteil Gottes eschatologisch erfolgt. Eine Analogie ist in OH 62 in der Hinsicht zu erkennen, dass Dike ebenfalls als Mittel zu einem gerechten Gerichtsurteil angesehen wird und ihr Kommen auf die Gedanken der Menschen zu gerechten Entscheidungen führen soll (μόλ’ ἐπὶ γνώμαις ἐσθλαῖσι δικαία). Ihr Beistand soll zudem bis zum Lebensende gegeben sein (ὡς ἂν ἀεὶ βιοτῆς τὸ πεπρωμένον ἦμαρ ἐπέλθοι). Während Dikes Funktion die Beherrschung der Gedanken ist, was neben der abschließenden Bitte auch durch die Aussage μούνη […] δίκην […] ἐπεγείρεις belegt wird, ist die Funktion des Lammes der Sühnetod (Offb 1,6; 5,9b). Die Gerechtigkeitsbegriffe in der Offb und in OH 62 unterscheiden
239 Vgl. Erlemann, Vision, 91.
Aufbau
sich wesentlich: Im Dike-ὕμνος erzielt der Myste selbst seine Gerechtigkeit durch eigene Taten, aber unter dem Beistand der Dike (τιμωρός). Dagegen wird die Gerechtigkeit in der Offb durch die Initiative Gottes im Sühnetod des Lammes erlangt, worauf die Erlösten angemessen reagieren sollen (Offb 12,12). Während der Myste bis zum Lebensende die Ungewissheit des ihn erwartenden postmortalen Urteils aushalten muss, kann sich der Erlöste laut Offb seiner Erlösung sicher sein. Durch einen sich differierenden Gerechtigkeitsbegriff unterscheidet sich zudem das Bild des Richters: Zwar ist eine Analogie zwischen Gott in der Offb und Dike zu erkennen, weil die ambivalente Reaktion beider auf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ähnlich ist. In der Offb wird dies mithilfe der Kategorien „Lohn“ (11,18: δοῦναι τὸν μισθὸν τοῖς δούλοις σου) und „Strafe“ (11,18: διαφθεῖραι τοὺς διαφθείροντας) ausgedrückt, in OH 62 durch die Kategorien „Beistand“ (τιμωρός) und „Belastung“ (τοῖς ἀδίκοις […] ἐπιβρίθουσα). Jedoch ist der entscheidende Unterschied zu erkennen, dass Gottes Gericht als positiv angesehen wird, in OH 62 jedoch ein bedrohlicher Duktus überwiegt. Dieser Unterschied entsteht dadurch, dass das Gerichtsurteil in OH 62 von den Taten des einzelnen Menschen abhängt, in der Offb hingegen von dem Festhalten an dem Erlösungswirken des Lammes (12,10b–11). Zwar erfolgt das Gericht Gottes in Offb 20 ebenfalls nach den Werken der Menschen, doch sind diese als Konsequenz des Erlösungswirkens des Lammes zu betrachten.240 Die entscheidende Aktivität, die zu einem positiven Gerichtsurteil führt, geht in der Offb von Gott und dem Lamm aus, nicht von den Menschen selbst. Ein letzter zu vergleichender Aspekt ist die Zusammenführung von Menschen durch Gott bzw. das Lamm in der Offb und Dike in OH 62. Mit der Ankündigung der eschatologischen Wallfahrt in Offb 15,4 und der Sammlung durch das Lamm in 5,9b–10 wird ein Sammlungsmotiv ausgedrückt, welches bereits bei Ezechiel thematisiert wird.241 Dadurch erhalten Gott und das Lamm einen harmonisierenden Charakter. In OH 62 wird dies durch die Aussage ἐξ ἰσότητος ἀληθείαι συνάγουσ’ ἀνόμοια erzielt. Während in der Offb die gemeinsame Identität ausgedrückt werden soll, die eine existenzielle Bedeutung v. a. für die eschatologische Heilszeit besitzt (5,10: καὶ βασιλεύσουσιν), meint die Zusammenführung durch Dike die Ermöglichung eines friedlichen irdischen Zusammenlebens unterschiedlicher Menschen.
240 Dies wird in den Sendschreiben paränetisch ausgefaltet, wo die Zustände der Gemeinden geschildert werden. Die thematisierten Verhaltensweisen beziehen sich auf die nachösterliche Existenz von Christen. Dies sticht in Offb 5 deutlicher hervor, wo die Erlösung retrospektiv formuliert wird. 241 Dies betrifft Ez 33–37.39. Bei Ezechiel ist das Sammlungsmotiv mit dem des Zurückführens verbunden. Vgl. Westermann, Heilsworte, 129f.
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Formale Analyse
d) Aretalogie mit Nebensätzen / Werke der Gottheit (Prädikationsformeln und Nebensätze)
Im nächsten Schritt werden hypotaktische Strukturen und damit verbundene formelhafte Satzeinleitungen der beiden Textquellen miteinander verglichen. Die formgeschichtliche Untersuchung beider Texte hat bereits ergeben, dass in den OH deutlich mehr Prädikationsformeln verwendet werden, die hypotaktische Syntagmata einführen. In der Offb überwiegen bei Werksaufzählungen dagegen parataktische Syntagmata mithilfe der Konjunktion καί. Wie bereits herausgestellt werden Nebensätze in den hymnenartigen Passagen der Offb zumeist als Kausalsätze gestaltet, die durch ὅτι eingeleitet werden. Solche hypotaktischen Syntagmata sind in zahlreichen Versen zu lesen, bei denen die Konjunktion ὅτι entweder einmal oder aufgrund von komplexen Werksaufzählungen zweimal verwendet wird. Eine einfache Verwendung ist in 4,11; 5,9b; 11,17b; 12,10c und in 19,6b zu lesen. Ein doppeltes ὅτι ist in 16,5b–6 und 19,1b belegt. In 15,4 kann sogar eine dreifache Verwendung nachgewiesen werden. Die Belege von ὅτι haben zumeist die Funktion, einen Kausalsatz einzuleiten. Dabei werden sie teilweise mit Prädikationsformeln verbunden: In 4,11 wird mithilfe von ὅτι eine Alles-Prädikation eingeleitet, die das Schöpfungswirken Gottes als universal kennzeichnen soll. Die Besonderheit bei 15,4 besteht darin, dass bei der mehrmaligen Verwendung von ὅτι die Konjunktion zunächst mit einer μόνος-Prädikation verbunden wird und dann eine Alles-Prädikation einleitet. Neben Kausalsätzen sind wenige weitere Hypotaxen in der Offb zu beobachten. In 12,10c und in allen Versen mit Dreizeitenformel sind Partizipialkonstruktionen zu erkennen. Zudem sind die AcI-Konstruktionen in 4,11; 5,9b und 5,12b hypotaktischer Natur. Schließlich sind als Nebensätze ein dreifacher Infinitivsatz in 11,18 und ein Relativsatz in 19,2 zu nennen. Im Folgenden werden die hypotaktischen Strukturen der vier OH denen der Offb gegenübergestellt. Zunächst werden die formelhaften Einleitungen untersucht, bevor Hypotaxen analysiert werden. θηλειῶν σώτειρα μόνη […] μούνην γὰρ σὲ καλοῦσι λεχοὶ ψυχῆς ἀνάπαυμα
alleinige Retterin der Frauen […] denn dich allein rufen die Wöchnerinnen Ruhe der Seele (OH 2)
Die beiden Textstellen aus OH 2 sind mit der μόνος-Prädikation in Offb 15,4 vergleichbar. Während in OH 2 Prothyraia der Alleinanspruch auf den Wirkungsbereich der Geburt zuerkannt wird, hat die μόνος-Prädikation in der Offb die Funktion, Gottes Alleinanspruch auf Anbetung zu betonen. Zudem fällt auf, dass in der Offb die Prädikationsformel mit ὅτι, in OH 2 dagegen mit γάρ kombiniert wird. Trotz der unterschiedlichen Wortwahl können insbesondere μούνην γὰρ σὲ
Aufbau
καλοῦσι λεχοὶ ψυχῆς ἀνάπαυμα in OH 2 und ὅτι μόνος ὅσιος in Offb 15,4 kausal
übersetzt werden. Grundsätzlich wird in der Offb die Konjunktion ὅτι bevorzugt, während in den OH v. a. γάρ und δέ verwendet werden. Als weiterer Unterschied zwischen OH und Offb ist an dieser Stelle die grammatikalische Form der μόνοςPrädikation herauszustellen: Während in der Offb das Schlüsselwort μόνος als Nominativform verwendet wird, ist in OH 2 die epische Akkusativform μούνην zu lesen. Beide Formen passen in den jeweiligen Kontext, da die Ekphraseis hymnenartiger Passagen in der Offb nie mithilfe von epischen Sonderformen gestaltet werden, dagegen die OH zahlreiche epische Formen aufweisen. πᾶσι προσηνής […] ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι, […] σώτειρα προπάντων
freundlich [zu] allen […] du zeigst dich aber [in] allen Werken […] Retterin aller (OH 2)
Die drei Passagen aus OH 2 stellen unterschiedliche Verarbeitungen der AllesPrädikation dar. Dabei ist nur ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι als Prädikationsformel zu bezeichnen. In den OH wird das Adverb πᾶς/πᾶσα/πᾶν häufig mit solchen Epitheta verbunden, die einen hohen Stellenwert einnehmen. Entweder verschmelzen beide Bestandteile zu einem Wort oder sie werden grammatikalisch aufeinander bezogen. Durch πᾶσι προσηνής und σώτειρα προπάντων wird eine grammatikalische Bezogenheit belegt. Das Adverb πρόπας hebt die Wichtigkeit des Wirkens der Prothyraia hervor, auch wenn der Ausdruck „Retterin aller“ nicht universal gemeint ist. Dieser bezieht sich auf die alleinige Wirkung der Prothyraia während Geburten. Zudem wird sie „freundlich [zu] allen“ genannt, um zu betonen, dass sie bei allen für Nachwuchs sorgt. In der Offb sind beide Formen von der Verarbeitung des Adverbs πᾶς/πᾶσα/πᾶν belegt: Komposita, in denen das Adverb mit einem Gottesprädikat verschmolzen ist, sind in der Offb üblich. Dies ist an dem häufig gebrauchten Titel παντοκράτωρ zu erkennen. Die Verwendung des Adverbs in einem Satzglied ohne Verschmelzung ist in 15,4 zu lesen (πάντα τὰ ἔθνη ἥξουσιν). ἐν γὰρ σοὶ τοκετῶν λυσιπήμονές εἰσιν ἀνῖαι
denn in dir sind die Geburten [von] Sorge befreit (OH 2)
Die Satzeinleitung ἐν γὰρ σοὶ ist eine häufig belegte Formel in paganen ὕμνοι. Sie wird in OH 2 verwendet, um die Entlastungsfunktion der Prothyraia bei Geburten auszudrücken. Eine solche formelhafte Satzeinleitung ist in der Offb gar nicht belegt. OH 2 weist mehrere Nebensätze auf: παροῦσα νέαις θνητῶν […] λύουσα πόνους δειναῖς ἐν ἀνάγκαις
Anwesende [bei] den jungen Sterblichen […] lösend die Nöte in der schrecklichen Bedrängnis (OH 2)
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Formale Analyse
Die erste Partizipialkonstruktion wird verwendet, um die dauerhafte Anwesenheit der Prothyraia zu betonen. Prothyraias „soteriologische“ Funktion bei Geburten wird durch den Einsatz der zweiten Partizipialkonstruktion als durativ gekennzeichnet. Prothyraias Wirken wird durch den Einsatz der beiden Partizipialsätze als zustandhaft bzw. iterativ verstanden. Dagegen sind in der Offb keine Partizipialsätze im Kontext des göttlichen Wirkens belegt. Einzig die Dreizeitenformel mit ὤν und ἐρχόμενος ist partizipial. Während der durative Aspekt sich in OH 2 auf die Taten der Prothyraia bezieht, wird er in der Offb bei der Beschreibung der Wesenseigenschaft Gottes eingesetzt. Göttliche Taten in der Offb werden dagegen vorwiegend mit Aoristformen als punktuell charakterisiert. ἣ κατέχεις οἴκους πάντων θαλίαις τε γέγηθας
die du begossest die Häuser aller und [über] Lebensfreuden dich gefreut hast (OH 2)
In OH 2 ist ein Relativsatz belegt, der eine Handlung der Prothyraia im Imperfekt beinhaltet. Betrachtet man den Relativsatz in Offb 19,2 (ἥτις ἔφθειρεν τὴν γῆν ἐν τῇ πορνείᾳ αὐτῆς), ist als erster Unterschied zu OH 2 das erweiterte Relativpronomen ἥτις statt der Form ἥ zu nennen. Während die Offb ein Relativpronomen verwendet, das sich normalerweise auf ein unbestimmtes Subjekt bezieht, ist in OH 2 ein Relativpronomen belegt, das ein bestimmtes Subjekt voraussetzt.242 In beiden Textquellen wird das Pronomen jedoch auf ein bestimmtes Subjekt bezogen.243 ἐκ σοῦ γὰρ καὶ γαῖα καὶ οὐρανὸς εὐρὺς ὕπερθεν καὶ πόντος πνοαί
denn aus dir [sind] die Erde, der weite Himmel oberhalb, das Meer und die Winde (OH 14)
In OH 14 sind weder Alles- noch μόνος-Prädikationen belegt. Dafür wird die formelhafte Satzeinleitung ἐκ σοῦ γάρ eingesetzt, um Rheas Ursprunghaftigkeit zu betonen. Auf die Formel folgt eine Aufzählung von irdischen Bereichen, die Rhea entsprungen sind. In der Offb ist eine solche formelhafte Einleitung nicht belegt, doch wird die Präposition ἐκ in 5,9b auch im Kontext einer Aufzählung eingesetzt. Es wird verwendet, um die Universalität des Loskaufs durch das Lamm herauszustellen (ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους).
242 Bei LSJ heißt es: „referring to a definite object, prop. only when a general notion is implied“. LSJ, Art. ὅστις, 1263. 243 Unter Umständen wird beides synonym verwendet. Vgl. Menge, Taschenwörterbuch, 321.
Aufbau
πάντιμ’ […] παμβασίλεια Allehrwürdige […] Allkönigin (OH 14)
In OH 14 sind zwei Epitheta zu lesen, die mit dem Adverb πᾶς/πᾶσα/πᾶν verschmolzen sind. Durch das erste Attribut wird Rheas Verehrung als universal gekennzeichnet, durch das zweite Attribut ihre Herrschaft. In der Offb ist als analoges Epitheton παντοκράτωρ zu nennen, das ebenfalls eine universale Herrschaft Gottes impliziert. Hier wird die Allherrschaft monotheistisch gesehen, während der Titel παμβασίλεια in OH 14 als rhetorisches Stilmittel die Existenz anderer Gottheiten nicht infrage stellt. ἥτ’ ἐπὶ ταυροφόνων ἱερότροχον ἅρμα τιταίνεις […] ἣ χαίρεις θνητῶν τ’ ὀλολύγμασι φρικτοῖς
die du anspannst an/auf die Stiertötenden den heiligen Streitwagen […] die du dich erfreust [an] Bergen und [an] schauderhaften Schreien der Sterblichen (OH 14)
Die beiden Relativsätze unterscheiden sich in der Verwendung unterschiedlicher Pronomen. In OH 14 wird beim ersten Relativsatz ἥτε verwendet, beim zweiten ἥ. Die erste Form ist eine poetische Variante, die in der Offb nicht belegt ist. In Offb 19,2 wird das Pronomen ἥτις verwendet. Die Verbformen der beiden Relativsätze sind jeweils Präsensformen. In Offb 19,2 ist eine Imperfektform belegt. Alle Formen deuten grammatikalisch einen durativen bzw. iterativen Aspekt an. Während in OH 14 dadurch Rheas zustandhaftes und irdisches Wirken beschrieben wird, bezieht sich das irdische und zustandhafte Wirken in der Offb auf die πόρνη μεγάλη, nicht auf Gott oder das Lamm. εἰρήνην κατάγουσα σὺν εὐόλβοις κτεάτεσσιν, λύματα καὶ κῆρας πέμπουσ’ ἐπὶ τέρματα γαίης
herabsendend den Frieden zusammen mit wohlhabenden Besitztümern, sendend die Beschmutzungen und gewaltsamen Tode zu den Grenzen der Erde (OH 14)
Die doppelte Partizipialkonstruktion wird am Ende von OH 14 eingebaut und ist wiederum ein Mittel zur Beschreibung zustandhafter Taten der Rhea im irdischen Leben. Partizipialsätze in der Offb mit Tatenbeschreibungen beziehen sich nie auf Gott oder das Lamm, sondern auf Menschen. Wie bereits herausgestellt ist als einzige Partizipialkonstruktion in Bezug auf Gott die Dreizeitenformel und somit eine Wesensbeschreibung Gottes zu lesen. ἐκ σέο δ’ ἀθανάτων τε γένος θνητῶν τ’ ἐλοχεύθη
aus dir ist das Geschlecht der Unsterblichen und der Sterblichen geboren (OH 27)
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Formale Analyse
In OH 27 wird analog zu OH 14 bei einer Ursprungsaussage der Gepriesenen eine formelhafte Satzeinleitung mit ἐκ aufgegriffen: ἐκ σέο δέ. Die Partikel δέ wird neben γάρ in formelhaften Satzeinleitungen verwendet und je nach Kontext unterschiedlich übersetzt.244 Die Übereinstimmung mit OH 14 ist auf die Verschmelzung mit dem phrygischen Kybelekult zurückzuführen.245 In der Offb ist keine solche Formel belegt, doch wird in 5,9b durch ἐκ die Universalität des Erlösungswirkens des Lammes betont. In OH 27 an die Göttermutter ist keine μόνος-Prädikation belegt, doch sind mehrere Verse zu benennen, in denen Alles-Prädikationen in hypotaktischer Form oder Alles-Epitheta zu lesen sind. παντοίων ἀγαθῶν θνητοῖς ὅτι δῶρα χαρίζῃ
weil du den Sterblichen allerlei gute Geschenke erweist (OH 27)
Dieser Nebensatz stellt ein Beispiel für eine Alles-Prädikation dar, die zusammen mit der Konjunktion ὅτι einen Kausalsatz einleitet. Durch die Verwendung παντοίων ἀγαθῶν kommt zum Ausdruck, dass die Gaben der Göttermutter vielfältig und nicht auf einen bestimmten Bereich beschränkt sind. Dadurch wird ihre Großzügigkeit hervorgehoben. Das Adjektiv παντοῖος ist in der Offb nicht belegt, doch wird durch das häufig verwendete Epitheton παντοκράτωρ eine verwandte Form des Adjektivs verarbeitet. Während die Alles-Prädikation aus OH 27 im Kontext der Erhaltungsfunktion der Göttermutter zum Einsatz kommt, betont in der Offb das Epitheton παντοκράτωρ die Herrschaftsfunktion Gottes. τροφὲ πάντων […] πανδαμάτωρ
Ernährerin aller […] Allbezwingerin (OH 27)
Die Alles-Epitheta in OH 27 knüpfen an die Alles-Prädikation παντοίων ἀγαθῶν θνητοῖς ὅτι δῶρα χαρίζῃ dadurch an, dass die Göttermutter in ihrer Erhaltungsfunktion universalisiert wird (τροφὲ πάντων). Außerdem wird ihr ein Sieg gegen-
244 Zumeist bleibt die Partikel unübersetzt oder wird adversativ verstanden. In dem hier vorliegenden Zusammenhang, der Beschreibung von Wirkungsbereichen der Göttermutter, ist eher eine kopulative Funktion anzunehmen. Vgl. Menge, Taschenwörterbuch, 106. 245 Bereits in OH 14 wird eher Kybele gezeichnet als die griechische Rhea. Vgl. Behnk, Dionysos, 90. In dieser Studie werden die Begriffe „Meter“, „Meter Theon“, „Göttermutter“ und „Kybele“ synonym behandelt. Eine solche Gleichsetzung orientiert sich an zahlreichen Experten, die sich mit der kleinasiatischen Muttergottheit befassen. Die phrygische Ausformung als Kybele übt nämlich gesamt-asiatischen Einfluss aus und wird später im gesamten Römischen Reich relevant. Vgl. Roller, search, 28.
Aufbau
über Mächten zuerkannt (πανδαμάτωρ).246 Das zweite Attribut der Göttermutter ist mit παντοκράτωρ in der Offb hinsichtlich des Herrschaftsaspekts vergleichbar. Die Kombination von Erhaltungsfunktion und Herrschaft der Göttermutter weist zudem Parallelen zu Offb 4,11 auf. Zwar wird dort nicht der Begriff παντοκράτωρ verwendet, doch werden durch ein AcI weitere Herrschaftsbegriffe aufgegriffen (λαβεῖν τὴν δόξαν καὶ τὴν τιμὴν καὶ τὴν δύναμιν), bevor sich das Schöpfungswirken Gottes kausal anschließt (ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα). ἣ κατέχεις κόσμοιο μέσον θρόνον, οὕνεκεν αὐτὴ γαῖαν ἔχεις
die du festhältst den mittigen Thron der Welt, weswegen du selbst die Erde hast (OH 27)
Diese Relativkonstruktion ist als eine Verknüpfung zweier Relativsätze anzusehen, bei der eine nominativische und eine genitivische Konjunktion die beiden Syntagmata jeweils einleiten. Beide Nebensätze werden dazu eingesetzt, den Herrschaftsbereich der Göttermutter als chthonisch zu spezifizieren.247 In der Offb ist der deutliche Unterschied zu erkennen, dass Gott als παντοκράτωρ die Macht über alle Bereiche des Daseins besitzt, nicht nur über die Erde. Die Kategorien „chthonisch“ und „uranisch“ sind für das christliche Gottesbild irrelevant. Zudem wird deutlich, dass sich Gottes Thron im Gegensatz zur Göttermutter außerhalb der Schöpfung befindet. Während sie den „mittigen Thron“ innehat, an anderer Stelle gleichzusetzen mit dem „berühmten Pol“, ist Gottes Thron in der Offb zunächst im Himmel.248 ταυροφόνων ζεύξασα ταχύδρομον ἅρμα λεόντων […] θνητοῖσι τροφὰς παρέχουσα
anspannend den schnell laufenden Streitwagen der Stiere tötenden Löwen […] gewährend den Sterblichen Speisen (OH 27)
Schließlich sind zwei Partizipialkonstruktionen zu nennen, durch die der militärische Aspekt der Göttermutter sowie ihre Ernährungsfunktion beschrieben werden. Das Partizip ζεύξασα impliziert dabei, dass ihre kämpferische Natur sich nicht auf
246 Bezieht sich das zweite Epitheton auf die Zähmung von Naturgewalten, wie LSJ, Art. πανδαμάτωρ, 1296 andeuten, dann betont es den Schöpfungsaspekt der Gottheit. Durch das nachfolgende Syntagma, das ihren mittigen Thron thematisiert, wird eine Kopplung von Herrschaft und Schöpfermacht erzielt. 247 Der Begriff „chthonisch“ bezeichnet zumeist den Gegensatz zu „uranisch“, also himmlisch. Gottheiten, die als chthonisch bezeichnet werden, sind entweder unterirdisch oder selbst mit der Erde verbunden. Die Übergänge sind teilweise fließend, sodass Zeus einerseits als uranischer Gott verehrt wird, andererseits auch den Beinamen χθόνιος erhält. Vgl. Prümm, Art. Erdgottheiten, 974f. 248 Der göttliche Thronsaal, der in Offb 4–5 visionär geschildert wird, befindet sich im Himmel: καὶ ἰδοὺ θύρα ἠνεῳγμένη ἐν τῷ οὐρανῷ (4,1).
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Formale Analyse
ein einmaliges Ereignis bezieht, sondern ein dauerhafter Zustand ist. Durch die Verwendung des Partizips παρέχουσα wird zudem deutlich, dass die Göttermutter immer wieder für Nahrung sorgt, was durch die wiederkehrenden Jahreszeiten mit ihren Früchten zu erkennen ist. Wie bereits herausgestellt ist Gottes Handeln in der Offb grammatikalisch von punktuellen Verbformen geprägt. Gott und das Lamm greifen einmalig in bestehende Zustände ein, ein Handlungsschema, das typisch apokalyptisch ist.249 Ein besonders anschauliches Beispiel stellt Offb 11,18 dar, wo dasselbe Verb als menschliches und göttliches Verhalten unterschiedliche grammatikalische Formen erhält: διαφθεῖραι τοὺς διαφθείροντας τὴν γῆν. Der Infinitiv, der sich auf Gottes punktuelle Gerichtstätigkeit bezieht und deshalb eine Aoristform darstellt, wird dem Prozess der Verderbnis durch Menschen entgegengesetzt, was grammatikalisch durch ein Präsens Partizip ausgedrückt wird. Verknüpft man die Wirkweisen Gottes bzw. der Göttermutter mit entsprechenden Herrschaftsbereichen, erhärten diese die Argumentation: Gott greift in Zustandhaftes ein, weil sich sein Thron außerhalb der fortlaufenden Weltgeschichte befindet. Die Handlungen der Göttermutter sind zustandhaft aufgrund ihres weltimmanenten Throns. Der Gott der Offb ist ausschließlich in sich selbst zustandhaft, was die Dreizeitenformeln beweisen. πάντα γάρ, ὅσσα κακαῖς γνώμαις θνητοῖσιν ὀχεῖται δύσκριτα, βουλομένοις τὸ πλέον βουλαῖς ἀδίκοισι, μούνη ἐπεμβαίνουσα δίκην ἀδίκοις ἐπεγείρεις
denn so viel, wie alles Verworrene [wegen] schlechter sterblicher Urteile getrieben wird, vorziehend das Volle [an] ungerechten Absichten, weckst allein du die Gerechtigkeit, tretend [auf] die Ungerechten (OH 62)
Dieses komplexe Syntagma stellt die Verschränkung einer Alles- und einer μόνος-Prädikation dar. Die Alles-Prädikation, die durch πάντα γάρ signalisiert wird, betont Dikes entscheidende Bedeutung als Inspirationsquelle guter Taten. Die sich anschließende μόνος-Prädikation, die durch die epische Sonderform μούνη eingeleitet wird, unterstützt die exklusive Rolle der Dike als Ursprung gerechten Verhaltens. Während die Verwendung einer μόνος-Prädikation in OH 62 dazu dient, eine göttliche Handlung im Menschen zu beschreiben, ist der Nachweis einer μόνος-Prädikation in Offb 15,4 ausschließlich auf Gott bezogen. Seine Heiligkeit wird um seinetwillen erwähnt, nicht weil sie den Menschen nützt. Die sich anschließende Alles-Prädikation ὅτι πάντα τὰ ἔθνη ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου bekräftigt Gottes absolute Souveränität, die per se universal anbetungswürdig
249 Die Gottesherrschaft setzt sich endgültig durch, nachdem die gesamte Weltgeschichte abgebrochen ist. Vgl. Erlemann, Vision, 90.
Aufbau
ist. Die Betrachtung der jeweiligen Verbformen in den μόνος-Prädikationen bestätigt die unterschiedlichen Sichtweisen: Dikes Wecken der Gerechtigkeit wird durch eine indikative Präsensform ausgedrückt (ἐπεγείρεις), zugleich ihr Treten auf Ungerechte durch ein Präsens Partizip (ἐπεμβαίνουσα). Beide Formen beziehen sich auf ein dauerhaftes bzw. wiederkehrendes Handeln am Menschen während seines irdischen Daseins. Dagegen wird in 15,4 bewusst ein Nominalsatz gestaltet, bei dem das Verb εἰμί, das man erwarten würde, ausgelassen wird. Gottes Heiligkeit ist ein Zustand, der durch grammatikalische Zeitformen nicht festgelegt wird. πανδερκέος […]
der allsehenden […] (OH 62)
Im Anrufungsteil von OH 62 an Dike ist das Alles-Epitheton πανδερκέος zu lesen, welches eine Genitivform darstellt. Es betont, dass Dikes universale Urteilsfähigkeit durch eine Gesamtschau menschlicher Taten erlangt wird. Da die Allschau der Dike auf Gerechtigkeit abzielt, kann eine Verknüpfung zur Offb hergestellt werden. Gottes Gesamtschau über die gesamte Heilsgeschichte wird epithetisch zwar nicht ausgedrückt, doch durch Selbstaussagen wie ἐγώ εἰμι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ angedeutet. In Verbindung mit der universalen Gerichtstätigkeit Gottes (Offb 11,17–18) wird ohne die explizite Aussage der Allschau Gottes dessen Kompetenz, universal zu richten, vermittelt. ἣ καὶ Ζηνὸς ἄνακτος ἐπὶ θρόνον ἱερὸν ἵζει
die auch auf dem heiligen Thron des Herrn Zeus sitzt (OH 62)
Der Relativsatz drückt aus, dass der Dike eine mit Zeus vergleichbare Macht zukommt. Zudem verbindet sich ihr elementarer Wirkungsbereich des Gerichts mit dem der Herrschaft. Dies ist vergleichbar mit den Wirkungsfeldern Gottes in der Offb: Die hymnenartigen Passagen preisen Gott einerseits in seiner Herrschaftsfunktion, andererseits in seiner Richtertätigkeit. Während in den ersten Kapiteln der Offb Gottes Herrschaft angebetet und akklamiert wird (4–11), mehren sich Gerichtsaussagen in den darauffolgenden Kapiteln (11–19). οὐρανόθεν καθορῶσα βίον θνητῶν πολυφύλων
vom Himmel her herabschauend [auf] das Leben der Sterblichen vieler Stämme (OH 62)
Diese Partizipialkonstruktion schließt sich unmittelbar an den einzigen belegten Relativsatz in OH 62 an. Sie schildert die dauerhafte Beobachtung der Lebenswandel durch Dike. Das Adjektiv πολύφυλος ist nicht selektiv zu verstehen, sondern drückt mit Blick auf das Epitheton πανδερκής die universale Schau aus, die sich nicht auf
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Formale Analyse
ein einziges Volk beschränkt. Dennoch ist auffällig, dass in OH 62 der Begriff πολύφυλος verwendet wird, in Offb 5,9b hingegen Wert auf das Adjektiv πᾶς gelegt wird (ἐκ πάσης φυλῆς). Während die dauerhafte Beobachtung vieler Stämme durch Dike mit ihrer Gerichtstätigkeit verbunden ist, handelt es sich in der Offb um eine einmalige Handlung des Lammes, die soteriologisch ist. e) Ewigkeitsformel
Im Folgenden werden Ewigkeitsformeln in den hymnenartigen Passagen der Offb und Ewigkeitsaussagen in OH 2, 14, 27 und 62 miteinander verglichen. Ein Vergleich mit der ἄξιος- bzw. δίκαιος-Formel der Offb ist insofern nicht sinnvoll, als keine plausiblen Verknüpfungspunkte zu den OH vorliegen.250 In der Offb werden folgende Verse mit einer Ewigkeitsformel gestaltet: αὐτῷ ἡ δόξα καὶ τὸ κράτος εἰς τοὺς αἰῶνας [τῶν αἰώνων]· ἀμήν (Offb 1,5) τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῷ θρόνῳ καὶ τῷ ἀρνίῳ ἡ εὐλογία καὶ ἡ τιμὴ καὶ ἡ δόξα καὶ τὸ κράτος εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων (Offb 5,13b) ἀμήν, ἡ εὐλογία καὶ ἡ δόξα καὶ ἡ σοφία καὶ ἡ εὐχαριστία καὶ ἡ τιμὴ καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ ἰσχὺς τῷ θεῷ ἡμῶν εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων· ἀμήν (Offb 7,12b) καὶ βασιλεύσει εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων (Offb 11,15) καὶ ὁ καπνὸς αὐτῆς ἀναβαίνει εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων (Offb 19,3)
ihm [sei/ist] die Herrlichkeit und Kraft in die Ewigkeiten [der Ewigkeiten hinein], Amen (Offb 1,5) dem Sitzenden auf dem Thron und dem Lamm [seien/sind] das Lob und die Ehre und die Herrlichkeit und die Kraft in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] (Offb 5,13b) Amen, das Lob und die Herrlichkeit und die Weisheit und der Dank und die Ehre und die Macht und die Stärke unserem Gott in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein], Amen (Offb 7,12b) und er wird herrschen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] (Offb 11,15) und ihr Rauch steigt auf in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] (Offb 19,3)
Wie bei der Anwendung des bergerschen Konzepts auf die Offb bereits herausgestellt fällt bei 1,5; 5,13b und 7,12b die Verbindung der Ewigkeitsformel mit einer Reihung auf. Alle drei Reihungen sind doxologischer Art. Da sie sich in der 3. Pers. an Gott bzw. das Lamm richten, sind sie proklamatorisch. Allen oben angeführten fünf Versen ist gemein, dass die Ewigkeitsformel Abschlusscharakter besitzt.
250 Die Argumente für eine Analogisierung der Begriffe ἄξιος und σεμνός sind nicht überzeugend genug und werden in diese Studie deshalb nicht integriert.
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Während in 1,5 und 7,12 die Formel mit ἀμήν abgeschlossen wird, fehlt es in 5,13b; 11,15 und 19,3.251 In den OH ist eine Ewigkeitsformel wie in der Offb nicht belegt. Allerdings ist das Adverb ἀεί elementar. Dieser Schlüsselbegriff wird in OH 2, 27 und 62 verwendet: αἰεὶ σώτειρα προπάντων (OH 2) σοὶ ποταμοὶ κρατέονται ἀεὶ καὶ πᾶσα θάλασσα (OH 27) ὡς ἂν ἀεὶ βιοτῆς τὸ πεπρωμένον ἦμαρ ἐπέλθοι (OH 62)
stets Retterin aller (OH 2) du hast immer Macht [über] die Flüsse und das ganze Meer (OH 27) bis dass der stets bestimmte Tag vermutlich kommt (OH 62)
Bei den drei Belegen fällt auf, dass zwei jeweils im Abschlussteil des ὕμνος eingebaut sind. In OH 2 an Prothyraia wird dadurch ihre dauerhafte Rolle als Geburtshelferin betont, in OH 62 an Dike das dauerhaft unbekannte Todesdatum ausgedrückt. OH 27 fällt dadurch heraus, dass der Schlüsselbegriff ἀεί im Kontext einer Werksaufzählung verwendet wird, um die stetige Herrschaftsfunktion der Göttermutter über die irdischen Gewässer zu unterstreichen. Die Verwendung des Adverbs ἀεί in den beiden Textquellen ist deutlich zu unterscheiden. Während in der Offb eine kontrahierte Form in Verbindung mit dem Verb εἰμί verwendet wird, erscheint die Adverbialform ἀεί bzw. epische Sonderform αἰεί in den OH. Trotz bemerkenswerter Analogien sind Differenzen nicht von der Hand zu weisen. Die Anwendung in beiden Textquellen hat jeweils die Funktion, die Dauerhaftigkeit einer Tat oder eines Zustands zu betonen. Gott und dem Lamm stehen bestimmte Attribute ewig zu (1,5; 5,13b; 7,12b), genauso ist Prothyraia ewig die „Retterin aller“ bzw. in OH 27 der Machtbereich über die Gewässer der Erde stets der Göttermutter vorbehalten. Es ist jedoch auffällig, dass in Offb 1,5; 5,13b und 7,12b die Ewigkeit sich auf göttliche Wesenseigenschaften bezieht und nur in einem Fall eine göttliche Tat als ewig gekennzeichnet wird (11,15). In OH 2 und 27, in denen der Begriff des Ewigen sich auf die gepriesenen Gottheiten bezieht, wird er ausschließlich mit göttlichen Taten verknüpft – mit Geburtshilfe und Herrschaft über die Gewässer. Die Ewigkeitsformeln in den hymnenartigen Passagen der Offb beziehen sich auf Gott und das Lamm, außer in Offb 19,3, wo sie die dauerhafte Strafe der πόρνη μεγάλη betonen. In den OH bezieht sich die Ewigkeit ebenfalls auf die gepriesene Gottheit, nur wird der Begriff in OH 62 für den Todestag verwendet. Der entscheidende Unterschied liegt in der Sprechrichtung: Der sich auf Prothyraia bzw.
251 Dabei ist einzuräumen, dass in 5,13b das ἀμήν einen Vers später narrativ ergänzt wird: Καὶ τὰ τέσσαρα ζῷα ἔλεγον· ἀμήν.
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die Göttermutter beziehende Ewigkeitsbegriff ist in eine direkte Ansprache der Gottheit eingebettet. Dagegen bleiben die Ewigkeitsformeln der Offb, die sich auf Gott und das Lamm beziehen, proklamatorisch. Prothyraias ewige Funktion als Geburtshelferin wird in Form einer Anrufung artikuliert,252 die Herrschaft der Göttermutter über die Gewässer als Aussagesatz mit dem Pronomen σοί. Wie bereits herausgestellt schließen die Ewigkeitsformeln der Offb proklamatorische Aussagen ab, also solche, in denen die Gepriesenen in der 3. Pers. adressiert werden. Der wichtigste Unterschied betrifft den Kontext der Verwendung: Beide Textquellen besitzen Ewigkeitsaussagen zumeist in abschließenden Passagen, jedoch handelt es sich um unterschiedliche Abschlussarten. Gemäß paganem Maßstab eines ὕμνος-Aufbaus handelt es sich bei den OH um Bittabschnitte, in der Offb hingegen stellen Ewigkeitsformeln die Abschlüsse von kurzen Lobsprüchen253 dar. Durch die unterschiedlichen Kontexte ergeben sich unterschiedliche Funktionen: Durch die Verwendung von ἀεί in den OH soll die Tätigkeit der gepriesenen Gottheiten aufgewertet werden, um die Wahrscheinlichkeit einer Gebetserhörung zu erhöhen. Die Ewigkeitsformeln in der Offb haben dagegen die Funktion, einen hymnenartigen Gesang abzuschließen und dabei den hyperbolischen Stil solcher Passagen zu verstärken. Die Proklamation einer ewigen Heilsherrschaft Gottes und seines Gesalbten mithilfe der Ewigkeitsformel ist zugleich zweckfrei und ausschließlich Ausdruck lobpreisender Anbetung. f) Personenbezogene Reihungen
Bei der Anwendung des bergerschen Konzepts wurde eine Art von Reihung festgestellt, die den hymnenartigen Stil der Offb unterstützt. Es geht um Aufzählungen verschiedener Personengruppen. In der Offb sind folgende Verse davon betroffen: ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους (Offb 5,9b) καὶ δοῦναι τὸν μισθὸν τοῖς δούλοις σου τοῖς προφήταις καὶ τοῖς ἁγίοις καὶ τοῖς φοβουμένοις τὸ ὄνομά σου, τοὺς μικροὺς καὶ τοὺς μεγάλους (Offb 11,18) πάντες οἱ δοῦλοι αὐτοῦ [καὶ] οἱ φοβούμενοι αὐτόν, οἱ μικροὶ καὶ οἱ μεγάλοι (Offb 19,5b)
aus jedem Stamm und [jeder] Sprache und [jedem] Volk und [jeder] Nation (Offb 5,9b) den Lohn deinen Knechten zu geben, den Propheten und den Heiligen und denen, die deinen Namen fürchten, den Kleinen und den Großen (Offb 11,18) alle seine Knechte und die ihn Fürchtenden, die Kleinen und die Großen (Offb 19,5b)
252 Diese wird dadurch ersichtlich, dass σώτειρα u. a. als Vokativform interpretiert werden kann. 253 Die Bezeichnung ist Deichgräber entnommen, der mit diesem Oberbegriff Doxologien, Eulogien, Dankgebete etc. zusammenfasst. Vgl. Deichgräber, Gotteshymnus, 24–59.
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Die drei belegten personenbezogenen Reihungen haben die Funktion, das universale Heil Gottes und seines Gesalbten zu betonen. In Offb 5,9b wird durch die Aufzählung von Stämmen, Sprachen, Völkern und Nationen die Universalität des Erlösungswirkens des Lammes hervorgehoben. Die Verschachtelung in 11,18 mit zwei Personenreihungen in unterschiedlichen grammatikalischen Formen stellt Gottes eschatologisches Heil heraus.254 In 19,5b werden Elemente der Personenreihung aus 11,18 aufgegriffen. Die Betonung des universalen Heils Gottes mithilfe von einer Reihungsart verstärkt die überschwängliche Ausdrucksweise der hymnenartigen Passagen in der Offb und somit die lobpreisende Anbetung Gottes und des Lammes. Die Reihung von Personengruppen, die das eschatologische Heil erwarten, ist in den OH nicht zu finden. Wenn in OH 2 oder 14 die gepriesenen Gottheiten als σώτειρα bezeichnet werden, wird keine Reihung derjenigen angeführt, die gerettet werden. Am Ende von OH 2 ist lediglich die Rede von σώτειρα προπάντων. Die OH zeigen grundsätzlich andere Strukturen, um Personengruppen herauszustellen. Dennoch sind einige Beispiele zu nennen, in denen Reihungen gebildet werden: μήτηρ μέν τε θεῶν ἠδὲ θνητῶν ἀνθρώπων (OH 14) γαῖα καὶ οὐρανὸς εὐρὺς ὕπερθεν καὶ πόντος πνοαί τε (OH 14) ἐκ σέο δ’ ἀθανάτων τε γένος θνητῶν τ’ ἐλοχεύθη (OH 27) οὐρανόθεν καθορῶσα βίον θνητῶν πολυφύλων (OH 62)
Ja, du Mutter der Götter und sterblichen Menschen (OH 14) die Erde, der weite Himmel oberhalb, das Meer und die Winde (OH 14) Aus dir ist das Geschlecht der Unsterblichen und der Sterblichen geboren (OH 27) herabschauend [auf] das Leben der Sterblichen vieler Stämme (OH 62)
In OH 2 ist keine Art von Reihung zusätzlich zu Anrufungen und Werksaufzählungen belegt. Dafür weist OH 14 zwei Stellen auf, an denen unterschiedliche Reihungen verwendet werden. Der erste Beleg stellt eine Aufzählung der aus Rhea hervorgebrachten „Personengruppen“ dar. Statt der Formulierung, alles sei aus ihr hervorgegangen, ist konkret die Rede von Göttern und Menschen. Dies stellt eine hyperbolische Erweiterung dar, die typisch hymnisch ist. Das zweite Beispiel zeigt eine Aufzählung von kosmischen Elementen, die aus Rhea entstanden seien. Durch diese Aufzählung, in der auffälligerweise die Konjunktion καί verwendet wird – eine Tatsache, die in den OH sehr selten beobachtet werden kann –, wird Rheas Wesen als Ursprungsgottheit betont. In OH 27 wird die Personenreihung aus OH 14
254 Während die erste Personenreihung dativisch gestaltet ist und sich auf den Lohn bezieht, ist die zweite Personenreihung akkusativisch und bezieht sich auf das Fürchten des Gottesnamens.
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erneut aufgegriffen, nach der die Göttermutter die „Unsterblichen“ und „Sterblichen“ hervorgebracht habe.255 Im Gegensatz zu OH 14, wo die „Personengruppen“ genitivisch an Rhea angepasst werden, wird hier akkusativisch ausgedrückt, dass durch die Göttermutter die beiden Geschlechter geboren seien. Vergleicht man die Belege aus den OH mit der Offb, stellt man erhebliche Unterschiede fest. Eine wie in OH 14 beobachtete Reihung kosmischer Elemente ist in der Offb nicht belegt. Stattdessen wird in Offb 4,11 ausgesagt, dass Gott τὰ πάντα geschaffen habe, ohne dass die einzelnen Bestandteile seiner Schöpfung konkret ausformuliert werden. In OH 62 an Dike ist zwar keine erwähnenswerte zusätzliche Reihung belegt, doch kann anhand der Aussage βίον θνητῶν πολυφύλων ein wichtiger Unterschied zur Offb herausgestellt werden: Sowohl dieser Vers aus OH 62 als auch Offb 5,9b greifen den Begriff der φυλή auf. Während in der Offb die Universalität des Erlösungswirkens des Lammes betont werden soll, unterstreicht OH 62 Dikes Kompetenz der Allschau. Die grammatikalische Gestaltung des Begriffs unterscheidet sich dabei wesentlich. In der Offb fungiert der Begriff als Bestandteil einer Reihung, in OH 62 hingegen wird er zusammen mit πολύ als contractum gebildet. Dabei werden keine konkreten Personengruppen aufgezählt, deren Lebenswandel beobachtet wird. Trotz dieser deutlichen Differenz ist als gemeinsames Ziel die Andeutung einer universalen Rolle des Lammes bzw. der Dike zu nennen. g) Selbstaufforderung zum Lob
Ein wichtiges Formelement für ὕμνοι besteht in der Selbstaufforderung zum Lob. Dieses Element wurde bei der Anwendung des bergerschen Konzepts auf die Offb ausführlich thematisiert. Die analysierten Verse der Offb, die mit ähnlichen Passagen in den OH verglichen werden, sind folgende: διὰ τοῦτο εὐφραίνεσθε, [οἱ] οὐρανοὶ καὶ οἱ ἐν αὐτοῖς σκηνοῦντες (Offb 12,12) ἁλληλουϊά (Offb 19,1.3.6) χαίρωμεν καὶ ἀγαλλιῶμεν καὶ δώσωμεν τὴν δόξαν αὐτῷ (Offb 19,7)
darum freut euch, [die] Himmel und die in ihnen Wohnenden (Offb 12,12) Halleluja (Offb 19,1.3.6) lasst uns freuen und jauchzen und ihm die Ehre geben (Offb 19,7)
Die aufgeführten Verse der Offb stellen unterschiedlich gestaltete Lobaufforderungen dar. Während in Offb 12,12 durch einen pluralischen Imperativ eine Personengruppe zum Lob aufgefordert wird, fällt an drei Stellen in Offb 19 das hebräische Fremdwort ἁλληλουϊά, das mit „Preist Jahwe“ übersetzt wird und ebenfalls einen
255 Durch ἀθάνατος wird die göttliche Sphäre impliziert. Vgl. Nilsson, Geschichte, 845; Tillich, Theologie, 464.
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Imperativ Plural darstellt. In 19,7 erfolgt schließlich eine Selbstaufforderung zum Lob. Auch dieser Vers weist Pluralformen auf – hier die Konjunktiv-Trias χαίρωμεν, ἀγαλλιῶμεν und δώσωμεν. Von diesen Belegen in der Offb entspricht die letzte am deutlichsten einem Formelement, das in Einleitungen paganer ὕμνοι belegt ist. Eine solche Selbstaufforderung ist in OH 62 zu lesen. Dort fungiert sie als alternative Einleitung des ὕμνος: ὄμμα Δίκης μέλπω πανδερκέος, ἀγλαομόρφου
ich will das Auge der allsehenden herrlich-gestaltigen Dike besingen (OH 62)
Die vorliegende Verbform μέλπω kann sowohl als Indikativ- als auch Konjunktivform interpretiert werden. Angesichts des Vorkommens in der Einleitung ist die Interpretation als Konjunktiv sinnvoller. Der Lobaspekt wird an dieser Stelle durch das Verb μέλπω angedeutet, welches u. a. das Singen in Kombination mit (Reigen-)Tanz impliziert und einen feierlichen Kontext einbezieht.256 Im Gegensatz zur Offb, die jede Lobbekundung auf eine Personengruppe zurückführt, handelt es sich in OH 62 um eine Form in der 1. Pers. Sg. Dies ist damit zu erklären, dass die himmlischen Gesänge der Offb ausschließlich von Personengruppen gesungen werden, die OH dagegen von Einzelpersonen. Ein weiterer Unterschied betrifft die Funktion von Lobbekundungen: Die Lobaufforderungen in der Offb bezwecken ausschließlich die lobpreisende Anbetung Gottes, ohne dass die Preisenden zusätzlich einen eigenen Zweck anstreben würden. Die Lobaufforderung in OH 62 stellt ein rhetorisches Stilmittel dar, das die Größe der Gottheit hervorheben, sie gnädig stimmen und für die Zwecke des Hymnoden gefügig machen soll. 2.1.7
Kritische Würdigung des bergerschen Konzepts
Nachdem eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem bergerschen Konzept erfolgt ist und eine ergänzende Analyse von weiteren Formelementen vorgenommen wurde, schließt sich eine kritische Würdigung des Konzepts an. Das bergersche Abstufungsmodell wurde für die eigene Studie aufgegriffen, weil es hilfreiche Elemente für eine eigene formgeschichtliche Untersuchung bietet. Deshalb werden zunächst positive Aspekte angeführt, die zu der Entscheidung geführt haben, das bergersche Konzept im Rahmen der eigenen Studie anzuwenden. Daraufhin werden Problempunkte, v. a. methodischer Art, herausgestellt. Für ein besseres Verständnis werden die Formelemente der besonders relevanten Kategorie 2 erneut aufgelistet:
256 Vgl. LSJ, Art. μέλπω, 1100.
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a) Reihung von Attributen Gottes b) Beschreibung der Herkunft des Gelobten aus Gott (oft genealogische Formulierungen) c) Aufzählung der Werke der Gottheit d) Der Gelobte als Anfang, Anführer, Erster e) Schöpfermacht und Weltherrschaft f) Betonung der Einzigkeit des gepriesenen Gottes g) Semantik: Retten und Retter, Licht, Geben, Erlösen und Befreien h) Aretalogie im Ich-Stil 2.1.7.1 Vielfalt an Formelementen
Ein Vorteil des bergerschen Konzepts besteht in der Vielfalt an aufgelisteten Formelementen. Berger thematisiert sowohl solche Formelemente, die ein festes Formschema besitzen, als auch solche, die eher inhaltlich orientiert und formlos gestaltet sind. Betrachtet man dies anhand der Kategorie 2 seines Konzepts, die für die Offb relevant ist, erkennt man Prädikationsformeln, die eine feste Struktur besitzen (Punkt c). Für die Formelemente a), c) und h) gemäß aretalogischer Strukturen wird hingegen keine konkrete Formgestaltung vorgegeben, sodass sie unterschiedlich aussehen können. Gänzlich formlos gestaltete Formelemente sind in den Punkten b), d), e) und f) enthalten. Die unterschiedlichen Arten angebotener Formelemente entstehen v. a. dadurch, dass Berger für die Zusammenstellung seiner drei Kategorien eine Vielzahl an Quellen aus verschiedenen Kontexten miteinander verglichen hat. Dadurch erhalten seine Auflistungen eine gewisse Offenheit und sind nicht der Gefahr ausgesetzt, zu spezifisch auf einen bestimmten Bereich ausgerichtet zu sein. Im Gegensatz zum bergerschen Konzept ist z. B. Deichgräbers Monographie257 deutlich vom biblisch-jüdischen Forminventar beeinflusst. Er thematisiert demnach Formelemente wie Doxologien, Eulogien, Verkündigungsformeln, Homologien, Bekenntnisformeln etc. Terminologisch und von der Vielfalt der angebotenen Formelemente her ist Bergers Konzept für die Anwendung auf literarische Quellen verschiedener religiöser Kontexte geeignet. Er vermeidet z. B. bei Punkt h) die Bezeichnung „Gottesrede“, die im Kontext biblischer Exegese gebräuchlich ist, und verwendet stattdessen „Aretalogie im Ich-Stil“. Unter Punkt f) vermeidet er zudem den biblischen Begriff des Monotheismus und ersetzt ihn durch die „Einzigkeit des Gottes“. Dadurch wird ein weiter Interpretationsrahmen dieses Formelements in anderen religiösen Kontexten sichergestellt.258 257 Deichgräber, Gotteshymnus. 258 Pagane Quellen verwenden z. B. Ekphraseis, in denen Gottheiten als Allherrscher bezeichnet werden, ohne dabei die Existenz anderer Gottheiten anzuzweifeln. Dies ist von polytheistischen Kontexten her zu vermuten. In solchen Fällen müsse man die Betonung der Einzigkeit der geprie-
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Für die vorliegende Studie ist es hilfreich, dass Bergers Konzept gleichzeitig auf die Offb und die OH angewandt werden kann. Wie bereits erwähnt überlappen sich in der Offb verschiedene religiöse Traditionen und Vorstellungen. Sie bilden das religiöse Milieu der römischen Kaiserzeit in Kleinasien literarisch ab. Durch die Offenheit des bergerschen Konzepts kann diese Pluralität formgeschichtlich erfasst werden. Konkret bedeutet dies, dass die Formelemente zugleich auf Texte der biblisch-jüdischen Tradition und der Profanliteratur angewandt werden können. 2.1.7.2 Problemlösung durch unterschiedliche Kategorien
Wie bereits herausgestellt ist Bergers Konzept ein Abstufungsmodell. Durch seine drei Kategorien259 wird das Problem unterschiedlicher Hymnenniveaus gelöst, d. h. der unterschiedliche Bestand literarischer Texte kann diesen drei Niveaus zugeordnet werden.260 Greift man diese Zuordnung auf, kann man zudem eine terminologische Unterscheidung vornehmen. Literarische Quellen, die an antiken Standards gemessen keine ὕμνοι im eigentlichen Sinne darstellen, können von den tatsächlichen ὕμνοι durch den Begriff der Hymnenartigkeit abgegrenzt werden. Die Wortfamilie ὕμνος κτλ kann auf die erste Kategorie beschränkt bleiben. Neutestamentliche Texte müssen ausgehend vom bergerschen Abstufungsmodell nicht mehr hymnisch genannt werden, weil sie der zweiten Kategorie zugeschrieben werden. Dadurch löst sich ein terminologisches Missverständnis der letzten Jahrzehnte auf.261 2.1.7.3 Hilfreiche Überschneidungen zwischen den Kategorien 1 und 2
Betrachtet man die aufgelisteten Formelemente der Kategorien 1 und 2, fällt auf, dass sich einige Formelemente wiederholen. Vergleicht man die beiden Auflistungen, sind mehrere Entsprechungen zu erkennen.262
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senen Gottheit als rhetorisches Stilmittel für einen nachdrücklicheren Lobpreis bewerten, das eine Gebetserhörung begünstigen soll. Es handelt sich um 1. ὕμνοι im eigentlichen Sinne, 2. Texte anderer Gattung mit einigen hymnenartigen Formelementen und 3. Texte anderer Gattung mit nur einem hymnenartigen Element. Texte mit teilweise hymnenartigen Elementen können der Kategorie 2 zugeordnet werden. Texte mit nur einem hymnenartigen Element werden Kategorie 3 zugeordnet. Griechische ὕμνοι im eigentlichen Sinne werden Kategorie 1 zugeschrieben. Vgl. Berger, Formgeschichte, 240f. Dieses terminologische Problem ist in der forschungsgeschichtlichen Zusammenfassung in der Einleitung thematisiert worden. Die Formelemente vor dem Schrägstrich entsprechen der Kategorie 1 des bergerschen Modells, die Formelemente nach dem Schrägstrich entsprechen der Kategorie 2.
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a) Name der Gottheit (Epiklese) / a) Reihung von Attributen Gottes, c) Physis des Gottes wird beschrieben / b) Beschreibung der Herkunft des Gelobten aus Gott, d) Der Gelobte als Anfang, Anführer, Erster d) Anaphorische Du-Anrede mit Taten, e) Aretalogie mit Nebensätzen / c) Aufzählung der Werke der Gottheit
Im Vergleich stechen v. a. aretalogische Strukturen heraus. Beiden Kategorien gemein sind zudem Beschreibungen von Werken der Gottheit sowie ihre „physischen“ Eigenschaften, d. h. ihre Herkunft, ihr Aussehen etc. Der Vorteil einer solchen Entsprechung zeigt sich, sobald zwei Texte aus diesen beiden Kategorien miteinander verglichen werden sollen. Ein Textvergleich wird dadurch erleichtert, dass die zu vergleichenden Quellen Formelemente enthalten, die in beiden Kategorien aufgezählt werden. 2.1.7.4 Fehlende Sortierung und Erläuterung der Formelemente
Im Folgenden werden problematische Aspekte thematisiert, die bei der Anwendung des Konzepts auf die Offb deutlich geworden sind. Beim ersten Lesen der unterschiedlichen Kategorien von Bergers Abstufungsmodell fällt eine unsortierte Auflistung ins Auge. Die angeführten Formelemente sind unterschiedlicher Art, werden aber unsortiert untereinander gesetzt. Berger macht weder Aussagen über die Verschiedenheit dieser Elemente, noch fasst er ähnliche zu Gruppen zusammen. Dabei sind solche durchaus zu beobachten: Betrachtet man die für diese Studie relevante Kategorie 2,263 fällt auf, dass z. B. unterschiedliche Arten von Reihungen aufgelistet werden: Diese sind Reihungen von Epitheta, die v. a. im Anrufungsteil vorkommen. Zudem werden Aretalogien verwendet, um die Taten des Gepriesenen aufzuzählen. Schließlich gibt es Aretalogien, die der Gepriesene selbst formuliert. Dies betrifft die Formelemente a) Reihung von Attributen, c) Aufzählung von Werken und h) Aretalogie im Ich-Stil. Diese drei Aspekte nehmen außerdem einen quantitativen Schwerpunkt in der Offb ein. Etwa die Hälfte des hymnenartigen Textbestands besteht aus solchen Reihungen. Von den zwanzig hymnenartigen Passagen weisen 16 mindestens eine Art von oben beschriebenen Aretalogien auf. Das Problem ist, dass die Zusammengehörigkeit der Formelemente a), c) und h) nicht deutlich gemacht wird, indem diese z. B. direkt untereinander aufgelistet werden. Bei der Gruppe der Prädikationsformeln stellt Berger deutlicher eine Zusammengehörigkeit heraus und ordnet sie funktional dem Punkt c) zu.
263 Das liegt daran, dass die Offb formgeschichtlich betrachtet keinen reinen ὕμνος darstellt und somit nicht der Kategorie 1 zugeordnet werden kann.
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Im ANRW-Artikel bewertet er die Prädikationsformeln als „eine Reihe von Einzelzügen“, die sich von grundsätzlicheren Formelementen „in der Makrostruktur“ unterscheiden.264 Es handelt sich um „allein du/er“-Prädikationen in Doxologien, „alles“-Prädikationen und Formulierungen wie „denn aus dir“/„denn (nicht) ohne dich“.265 Den Punkten b) Beschreibung der Herkunft aus Gott, d) Der Gelobte als Anfang, e) Schöpfermacht und Weltherrschaft und f) Betonung der Einzigkeit des Gottes ist gemein, dass sie den epischen Mittelteil gestalten. Zudem vermitteln sie theologische Topoi, z. B. die Zeichnung eines bestimmten Gottesbildes oder im christlichen Kontext die Bildung von christologischen Aussagen. Insgesamt fällt auf, dass die zusammenhängenden Formelemente verstreut aufgelistet werden, sodass der Eindruck entsteht, sie würden nicht zusammenhängen. Gleichzeitig fällt eine andere Sortierungsart auf: Es ist eine Grobgliederung, in der zuerst die Formelemente der Anrufung, daraufhin die des epischen Mittelteils, schließlich die des Bittabschnitts aufgelistet werden. In der Kategorie 2 gibt es keine Elemente, die eine Bitte ausdrücken. Zudem wird eine solche Sortierung nur daran erkennbar, dass in a) der Hauptbestandteil eines Anrufungsteils – die Aufzählung von Epitheta – thematisiert wird. Eine grobe Dreigliederung wird in Kategorie 1 deutlicher, weil alle drei Hauptbestandteile Anrufung, Rechtfertigung und Bitte abgedeckt werden: Die Punkte a) Name der Gottheit (Epiklese) und b) Einleitung z. B. als Selbstaufforderung zum Gesang betreffen den Anrufungsteil. Die Punkte c) Beschreibung der physis des Gottes, d) Anaphorische Du-Anrede mit Aufzählung der Taten und e) Aretalogie mit Nebensätzen entsprechen der Rechtfertigung. Punkt g) Schluss als Gebet mit „und nun/jetzt“ betrifft den Bittabschnitt. Falls Berger eine grobe Sortierung gemäß diesen drei elementaren Bestandteilen eines ὕμνος anstrebt, hält er diese allerdings nicht streng ein, da er für Punkt f) Einleitung als Bitte um das Kommen der Gottheit ein Formelement anführt, das den Anrufungsteil eines ὕμνος betrifft. Man würde dieses Element als Punkt c) erwarten, da es eine alternative Anrufungsart darstellt. Insgesamt stellt man fest, dass es Berger nicht um eine Sortierung oder Gruppierung der Formelemente in allen Kategorien geht. Dadurch wird eine Anwendung des Konzepts erschwert. Die grundsätzliche Dreiheit von Anrufung, Rechtfertigung und Bitte in ὕμνοι wird nicht deutlich genug vermittelt. Des Weiteren werden Gruppierungen der aufgezählten Formelemente nicht herausgestellt. Aus diesem Grund musste für eine Anwendung eine eigene Sortierung an den Anfang gestellt werden. Da ein solcher Arbeitsschritt unterschiedlich gestaltet werden kann, werden u. U. unterschiedliche Zusammenhänge zwischen den einzelnen Formelementen hergestellt, was zu widersprüchlichen Ergebnissen führen kann.
264 Berger, Gattungen, 1158. 265 Die Bezeichnungen sind Berger, Formgeschichte, 240 entlehnt.
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Der zweite Kritikpunkt betrifft die Nachvollziehbarkeit: Berger erläutert die einzelnen Formelemente unzureichend. Insbesondere die für diese Arbeit relevante Kategorie 2 bleibt in seiner „Formgeschichte des NT“ unerklärt. Im ANRW-Artikel nimmt er immerhin kurze Anwendungen auf pagane oder jüdische Beispiele vor. Selten und knapp werden daraufhin Entsprechungen neutestamentlicher Textpassagen angeführt. Trotz des Artikelthemas „Hellenistische Gattungen im NT“ kommt das NT zu kurz. Es entsteht das Problem, dass die Anwendung des Konzepts auf eine neutestamentliche Schrift einen weiten Interpretationsspielraum zulässt. Eine präzise formgeschichtliche Analyse neutestamentlicher Passagen wird dabei beeinträchtigt, weil eben jene Formelemente unterschiedlich ausgelegt werden können, die sich nicht von selbst erklären. Weil durch die fehlende Erläuterung die konkrete Gestaltung der Formelemente häufig offenbleibt, können zahlreiche Formen einbezogen werden, die im entferntesten Sinne davon betroffen sind: Berger zählt Punkt a) der Kategorie 2 zu den hymnenartigen Formelementen im NT, also die Reihung von Attributen. Dabei lässt er offen, in welcher grammatikalischen Struktur diese Attribute stehen müssen. Im ANRW-Artikel erklärt er zwar, dass in einer Epiklesis „gehäufte Vokative, Partizipien oder Relativsätze“266 vorkommen, doch wird in seinem Abstufungsmodell in „Formgeschichte des NT“ nicht deutlich, ob dies auch für Punkt a) der Kategorie 2 Reihung von Attributen Gottes zutrifft.267 Bei der Anwendung auf einen neutestamentlichen Text können also keine Aufzählungen ausgeschlossen werden, die im Nominativ stehen oder andere grammatikalische Formen aufweisen. Er erwähnt auch nicht, ab wie vielen Epitheta eine für ὕμνοι charakteristische Reihung vorliegt. Demnach ist keine Passage auszuschließen, die mindestens zwei Attribute nacheinander aufzählt. Dadurch entsteht eine große Menge an betroffenen Versen in einem neutestamentlichen Text. Betrachtet man Punkt c) Aufzählung von Werken der Gottheit, wird die methodische Problematik noch komplexer: Sind alle Taten des Gepriesenen einzubeziehen? Wird ein neutestamentlicher Text zu einem hymnenartigen Text, sobald zwei Taten aufeinander folgen? Berger lässt offen, in welcher grammatikalischen Form die Werke der Gottheit vorliegen müssen. Er überlässt die Interpretation dem Anwender seines Konzepts. Besonders problematisch ist das Fehlen von Erläuterungen bei Punkt g) Spezifische Semantik: Er erklärt nicht, in welcher grammatikalischen Form diese Wortfelder vorkommen müssen, um als hymnenartiges Indiz zu gelten. Ebenso erklärt er nicht, wie er auf genau diese Wortfelder kommt, verweist jedoch immerhin auf Keyssners Beitrag.268 In der Anwendung des Konzepts bleibt unklar, ob das
266 Berger, Gattungen, 1152. 267 Seine Erklärung bezieht sich nämlich auf eigentliche ὕμνοι, deren Formelemente laut Abstufungsmodell in Kategorie 1 aufgelistet werden. 268 Keyssner, Gottesvorstellung.
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Vorkommen eines einzigen Wortfelds seiner Auflistung genügt, um als hymnenartiges Charakteristikum einbezogen zu werden. Die eher formlosen Formelemente stellen die Problematik am komplexesten dar: Aufgrund des Ausbleibens jeglicher Formschemata erklären sich die Punkte b) Beschreibung der Herkunft des Gelobten aus Gott, d) Der Gelobte als Anfang, Anführer, Erster, e) Schöpfermacht und Weltherrschaft und f) Betonung der Einzigkeit des gepriesenen Gottes so gut wie gar nicht von selbst. Je nach Interpretation kann z. B. unter b) sowohl eine geographische Zuordnung verstanden werden als auch eine genealogische. Bei der Anwendung auf das NT können unterschiedliche Interpretationen zu verschiedenen theologischen Aussagen führen: Punkt b) kann bei christologischen Aussagen sowohl als die Präexistenz Christi interpretiert werden, gleichzeitig als Beauftragung Christi durch Gott. Dann ist „Herkunft“ weniger genealogisch oder geographisch gemeint. Je nach angestrebtem Ziel des Anwenders werden unterschiedliche Textpassagen als relevant herangezogen. Wenn eine weite Interpretation von „Herkunft“ vorausgesetzt wird, könnten Bibelstellen in der Offb als hymnenartig eingestuft werden, in denen z. B. Personen mit göttlicher Beauftragung thematisiert werden. Unterschiedliche Interpretationen der einzelnen Formelemente können wiederum zu unterschiedlichen Anwendungen und Ergebnissen führen. 2.1.7.5 Fehlende Rangordnung der Formelemente
Ein weiteres Problem betrifft die fehlende Abstufung: Es wird nicht erklärt, dass die einzelnen Formelemente unterschiedliche Relevanz besitzen. Die Gruppe der Reihungen, also die Formelemente der zweiten Kategorie a) Reihung von Attributen Gottes, c) Aufzählung der Werke der Gottheit und h) Aretalogie im Ich-Stil, nimmt wie bereits erwähnt quantitativ einen hohen Stellenwert ein. Reihungen sorgen wesentlich für einen hyperbolischen Stil, der für hymnenartige Texte bezeichnend ist. Die Gruppe der Prädikationsformeln nimmt dagegen eine unterstützende Funktion ein. Sie wird dem Punkt c) untergeordnet, da durch solche Formeln die Aufzählung von Werken hyperbolisch verstärkt wird. Ein Beispiel stellt 15,4 dar, wo eine μόνος-Prädikation erfolgt und im Anschluss darauf eine Alles-Prädikation verwendet wird: τίς οὐ μὴ φοβηθῇ, κύριε, καὶ δοξάσει τὸ ὄνομά σου; ὅτι μόνος ὅσιος, ὅτι πάντα τὰ ἔθνη ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου, ὅτι τὰ δικαιώματά σου ἐφανερώθησαν. (Offb 15,4)
Die beiden Prädikationsformeln sind in eine Aretalogie von Nebensätzen eingebettet. Diese werden durch ὅτι aneinandergereiht. Der Kontext, in dem die beiden Formeln stehen, ist bereits in einem hyperbolischen Stil gehalten. Durch die
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Verwendung der Prädikationsformeln wird dieser hymnenartige Stil zusätzlich verstärkt. Durch die μόνος-Prädikation wird der Alleinanspruch Gottes, angebetet zu werden, betont. Die Alles-Prädikation unterstreicht die universale Herrschaft Gottes. Eine überschwängliche Ausdrucksweise wird auch ohne solche Formeln erreicht, weshalb ihre Relevanz den Reihungen untergeordnet ist. Dies zeigt auch die quantitative Verteilung: In den zwanzig hymnenartigen Passagen sind nur vier Prädikationsformeln belegt. Zwei davon finden sich in 15,4, die anderen beiden sind in 4,11 und 5,9b–10 verarbeitet. Die Gruppe der Formelemente, die eine eher inhaltliche Funktion besitzen, sind von der Form her offener gestaltet, während die anderen Formelemente v. a. syntaktisch feste Strukturen aufweisen. Beispielsweise werden Reihungen mithilfe von Anaphern gebildet. Dies entspricht Punkt d) Anaphorische Du-Anrede der Kategorie 1. Im NT werden sie häufig durch die Konjunktion καί konstruiert. In der Offb sind feste Formelemente bei Reihungen zudem doxologische Konstruktionen269 und solche mit dem Verb λαβεῖν. Die Prädikationsformeln weisen aufgrund ihres formelhaften Charakters ebenfalls feste Formen auf. Im NT, insbesondere in der Offb, sind sie unterschiedlich ausgestaltet. Die μόνος-Prädikation kann z. B. in unterschiedlichen Kontexten verwendet werden. Die Formelemente mit charakteristischen Syntagmata oder auch sprachlichen Strukturen erhalten durch ihren spezifischen Charakter stärkeres Gewicht bei der Bildung eines hymnenartigen Stils. Formgeschichtlich flexiblere Formelemente können weniger von anderen Gattungen oder Stilen abgegrenzt werden. Zudem werden sie in zahlreichen Gattungen verwendet, sodass sie an Eigenständigkeit verlieren. Ein Beispiel stellt der Punkt b) Beschreibung der Herkunft des Gelobten aus Gott dar: Wenn man diesen Aspekt im NT sucht, wird man ihn im Kontext verschiedenster Textsorten finden, ohne dass man ihn als ausschlaggebendes Formelement einer einzigen Gattung bezeichnet: Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν … οὗτος ἦν ἐν ἀρχῇ πρὸς τὸν θεόν. πάντα δι’ αὐτοῦ ἐγένετο, καὶ χωρὶς αὐτοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἕν. (Joh 1,1-18) ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν, πρὶν Ἀβραὰμ γενέσθαι ἐγὼ εἰμί. (Joh 8,58b) ὃς ἐν μορφῇ θεοῦ ὑπάρχων οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα θεῷ, ἀλλ’ ἑαυτὸν ἐκένωσεν μορφὴν δούλου λαβών, ἐν ὁμοιώματι ἀνθρώπων γενόμενος· (Phil 2,5-11) ὁ μόνος ἔχων ἀθανασίαν, φῶς οἰκῶν ἀπρόσιτον, ὃν εἶδεν οὐδεὶς ἀνθρώπων οὐδὲ ἰδεῖν δύναται· (1Tim 6,16)
Das Formelement aus Punkt b) kommt sowohl in Joh 1,1–18 zum Einsatz als auch in allen möglichen Aussagen Jesu, die seine Präexistenz thematisieren (z. B. Joh 8,58).
269 Sie bestehen aus doxologischen Prädikaten im Nominativ und dem Gepriesenen im Dativ. Häufig treten sie in Kombination mit der Ewigkeitsformel auf. Vgl. Deichgräber, Gotteshymnus, 25.
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Die Briefliteratur stellt ebenfalls ein Beispiel dafür dar (Phil 2,5–11; 1Tim 6,16). Während die ersten beiden Bibelstellen aus einem Evangelium stammen, handelt es sich bei den anderen beiden Beispielen um Briefliteratur. Dennoch ist die Thematik der Herkunft Christi in allen Beispielen zu finden. In den Paulusbriefen ist am ehesten ein bewusst eingesetztes Formelement in einem hymnenartigen Kontext erkennbar. Gleichzeitig wird es in den Aussagen Jesu in den Evangelien kaum als bewusst verwendetes Formelement wahrgenommen. Bei der Anwendung des bergerschen Konzepts besteht ein methodisches Risiko: Es kann sein, dass bei der konkreten Aufbereitung für eine neutestamentliche Textpassage der unterschiedliche Stellenwert der Formelemente unterschiedlich ausgelegt oder ignoriert wird. Dies kann u. U. zu verschiedenen Ergebnissen bei der Bewertung der Hymnenartigkeit eines Textes führen. Wenn z. B. ein Formelement wie Punkt b) Beschreibung der Herkunft des Gelobten aus Gott von der Rangordnung her wie eine Reihung oder eine Prädikationsformel eingestuft wird, also einen hohen Stellenwert erhält und als eigenständiges Element erachtet wird, dann können u. U. Verse aus der Offb fälschlicherweise als hymnenartig eingestuft werden: Μετὰ ταῦτα εἶδον ἄλλον ἄγγελον καταβαίνοντα ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἔχοντα ἐξουσίαν μεγάλην, καὶ ἡ γῆ ἐφωτίσθη ἐκ τῆς δόξης αὐτοῦ. (Offb 18,1)
Dieses Beispiel zeigt einen Vers, der im Kontext einer Visionsschilderung steht. Dies wird durch die Einleitung μετὰ ταῦτα εἶδον deutlich. Dennoch kann es sein, dass durch die drei folgenden Hinweise der Punkt b) an dieser Stelle als erfüllt angesehen wird: Erstens beschreibt die κατάβασις des Engels aus dem Himmel, der als Thronsaal Gottes beschrieben worden ist (Offb 4), dessen Herkunft von Gott. Zweitens besitzt er laut 18,1 ἐξουσίαν μεγάλην, die in 12,10b als Epitheton dem Lamm zugeschrieben wird. Drittens leuchtet die Erde von der δόξα des Engels auf. Dieser Begriff zählt zu den häufigsten Gottesepitheta in den hymnenartigen Passagen der Offb. Aufgrund dieser Beobachtungen könnte der Vers zu den hymnenartigen Passagen in der Offb hinzugerechnet werden, auch wenn an dieser Stelle eindeutig kein hymnenartiger Kontext gegeben ist. Wenn Punkt b) dann fälschlicherweise als ein ranghohes Formelement aufgefasst wird, das Eigenständigkeit und eine hohe Gewichtung besitzt, geraten viele weitere Verse dieser Art ins Blickfeld, die keinen hymnenartigen Charakter oder Kontext aufweisen. Bei den untersuchten hymnenartigen Passagen kommt Punkt b) Herkunft des Gelobten aus Gott in Kombination mit anderen Formelementen vor, weil es nicht eigenständig ist. Es wird in Offb 1,5–6 beobachtet, wo Jesus Christus anhand einer Reihung gepriesen und daraufhin Gott als sein Vater bezeichnet wird. Punkt b) wird in diesem Fall genealogisch interpretiert. Ausschlaggebend wird Punkt b) erst in Kombination mit der Reihung. Allein die Bezeichnung Gottes als Vater Jesu Christi stellt noch kein
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hymnenartiges Element dar, wodurch die Vv.5–6 zu den hymnenartigen Passagen hinzuzurechnen sind. Insgesamt kann so ein ganz inkorrekter Textbestand zustande kommen, der formgeschichtlich betrachtet keine hymnenartigen Eigenschaften besitzt. 2.1.7.6 Fehlende kriteriologische Vorgaben
Ein wesentlicher Kritikpunkt an Bergers Abstufungsmodell stellt die ausbleibende methodische Erklärung dar. Er erklärt dem Leser keine methodischen Vorüberlegungen am Anfang seines Konzepts. In seinem ANRW-Artikel nimmt er lediglich eine kurze Erklärung des Aufbaus von ὕμνοι sowie die Benennung der Elemente vor.270 Unmittelbar darauf folgt die Auflistung der Elemente mit knappen Erläuterungen anhand paganer Beispiele. In seiner „Formgeschichte des NT“ wird das Problem noch deutlicher, da methodische Vorüberlegungen ganz ausbleiben. Für den Anwender des Konzepts wird erstens nicht ersichtlich, wie Berger auf die genannten Formelemente kommt, zweitens anhand welcher Kriterien er die drei Kategorien erstellt. Ein drittes Problem betrifft die Anwendung des Konzepts: Er gibt nicht vor, wie seine aufgelisteten Formelemente in einem neutestamentlichen Text gesucht, wie diese Beobachtungen ausgewertet und v. a. anhand welcher Kriterien sie einer der drei Kategorien zugeordnet werden müssen. Weil er keine methodischen Vorgaben erstellt, muss dies vom Anwender des Konzepts selbst unternommen werden. Dies stellt jedoch ein Risiko dar, denn methodische Konzepte können individuell ausfallen. Wenn bereits unterschiedliche Voraussetzungen gegeben sind, werden die Ergebnisse der Anwendung auf ein und dieselbe neutestamentliche Schrift unterschiedlich ausfallen. Dies wird an der eigenen Anwendung und den vorgenommenen methodischen Vorüberlegungen deutlich: Zu Beginn des ersten Hauptteils (2), also noch vor der Anwendung des Abstufungsmodells, ist festgelegt worden, dass nur jene Bibelstellen in der Offb untersucht werden sollen, die eine direkte Rede darstellen, in denen Christus und Gott direkt oder indirekt angesprochen werden. Dies wurde deshalb entschieden, weil sich sonst eine unübersichtliche Menge an relevanten Versen als Untersuchungsgegenstand ergeben hätte. Darin enthalten wären auch solche Verse, die im entferntesten Sinne dazu zählen. Die eigene Vorauswahl, die vorab festgelegt worden ist, stellt nicht die einzige Möglichkeit dar und im Einzelfall könnten weniger, mehr oder andere Verse hinzugezogen werden. Wenn schon die Vorauswahl unterschiedlich ausfallen kann, die erst im zweiten Schritt Bergers Abstufungsmodell unterzogen wird, sind unterschiedliche Ergebnisse vorauszusehen. Das Fehlen methodischer Vorüberlegungen führt dazu, dass Bergers Abstufungsmodell angreifbar wird.
270 Vgl. Berger, Gattungen, 1151.
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Viele Fragen werden aufgeworfen, die er mit seinem Konzept nicht beantwortet. Es entsteht der Eindruck, dass durch sein Modell mehr Probleme entstehen als gelöst werden. Dadurch verliert sein Abstufungsmodell an wirkungsgeschichtlicher Relevanz, denn formgeschichtliche Beiträge werden lieber methodisch abgesicherte Konzepte aufgreifen und weiterentwickeln.271 Dabei sind Bergers Beobachtungen korrekt und für die neutestamentliche Hymnenforschung erkenntnisreich. Eine methodische Überarbeitung des bereits bestehenden Konzepts wäre optimal. Vor der Auflistung der einzelnen Formelemente könnte eine kriteriologische272 Einleitung dazu verhelfen, die Anwendung des Konzepts auf eine festgelegte Vorgehensweise zu lenken. Durch die Objektivierung der Methodik würde Bergers Konzept an wirkungsgeschichtlicher Relevanz gewinnen.273 2.1.7.7 Fehlende Aussagen über den Grad der Hymnenartigkeit
Aufgrund der nicht erklärten unterschiedlichen Relevanz der Formelemente entsteht ein weiteres Problem: Wie viele Formelemente müssen beobachtet werden, damit ein zu untersuchender Text als hymnenartig eingestuft werden kann? Da Berger keine Aussagen über das unterschiedliche Gewicht der aufgelisteten Formelemente tätigt, ist auch unklar, wie viele davon vorliegen müssen, um einen Text einer bestimmten Kategorie zuzuordnen. Er unternimmt eine grobe Einteilung, indem er drei Kategorien feststellt: Klassische griechische ὕμνοι entsprechen Kategorie 1 aufgrund der strengen Einhaltung des hymnischen Aufbaus. Literarische Quellen mit einem einzigen hymnenartigen Formelement entsprechen Kategorie 3 und alle restlichen Texte werden der Kategorie 2 zugeordnet. Dies ist jedoch problematisch, da die aufgelisteten Formelemente in einem Text nicht alle belegt sein müssen. Für neutestamentliche Schriften ist z. B. Punkt b) grundsätzlich irrelevant, höchstens bei Jesu Präexistenz. Er wird nur dort bedeutsam, wo der Gepriesene Christus und nicht Gott ist. Das betrifft die sogenannten „Christushymnen“, wie sie in der Forschungsliteratur ab 1920 häufig bezeichnet worden sind.274 Dabei ist zu fragen: Ist eine Textpassage der Kategorie 2 zuzuordnen, wenn sie beispielsweise nur Reihungen aufweist, dafür weder Prädikationsformeln noch inhaltlich
271 Auch Kennel merkt die fehlende Kriteriologie an: „Eine methodisch-kriteriologische Erfassung dieses Phänomens lässt Berger leider vermissen.“ Kennel, Hymnen, 40. 272 D. h. es wäre eine Herausstellung von Kriterien hilfreich, die das bergersche Konzept rechtfertigen bzw. erklären. Zur Definition von Kriteriologie vgl. Siegwart, Vorfragen, 342. 273 Im Rahmen einer solchen Studie ist dies aber kaum möglich. Dazu bedarf es einer gesonderten Studie, die sich gänzlich dem formgeschichtlichen Problem des ὕμνος im NT widmet. 274 Bornkamm, Bekenntnis; Bultmann, Bekenntnis- und Liedfragmente; Deichgräber, Gotteshymnus; Dibelius, Formgeschichte; Kroll, Hymnodik; Käsemann, Analyse; Lohmeyer, Kyrios; Schille, Hymnen; Wengst, Formeln.
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ausgerichtete Formelemente vorkommen? Ist ein Text eher der Kategorie 2 zuzuschreiben, wenn relevantere Formelemente wie Reihungen verwendet oder wenn viele Formelemente beobachtet werden, die dafür weniger Relevanz besitzen? An welchen objektiven Kriterien darf man solche Entscheidungen festmachen? Dies vermittelt Berger nicht. Eine eigene Entscheidung fällt aufgrund fehlender objektiver Kriterien schwer. Man kann höchstens die Tendenz vermuten, dass ein Text eher als hymnenartig eingestuft werden kann, wenn syntaktisch und sprachlich fest strukturierte Formelemente beobachtet werden, selbst wenn diese nicht so zahlreich sind. Da sie spezifischer sind als inhaltlich ausgerichtete Formelemente, sind sie weniger der Gefahr ausgesetzt, aufgrund von subjektiven Einschätzungen falsch zugeordnet zu werden. Dies würde sich an einer Vielzahl von sich widersprechenden Forschungsergebnissen bemerkbar machen. Je weniger objektive Strukturen vorliegen, desto mehr besteht das methodische Risiko konträrer Ergebnisse. Diese werden davon beeinflusst, mit welcher Absicht das bergersche Konzept aufgegriffen wird: Die einen werden mithilfe der eher formlosen Formelemente b), d), e) und f) versuchen, das gesamte Konzept zu entkräften und griechische ὕμνοι im NT ganz auszuschließen. Die anderen werden mithilfe von solchen Formelementen Textpassagen im NT überinterpretieren, die an sich keine hymnenartigen Charakterzüge besitzen. Optimal wäre eine kriteriologische Überarbeitung des bergerschen Konzepts, da die Formelemente an sich für eine differenzierte Analyse des NT auf Hymnenartigkeit hin hilfreich sind. Das Abstufungsmodell müsste ein methodisch abgesichertes Konstrukt erhalten, um wirkungsgeschichtlich an Einfluss zu gewinnen. 2.1.7.8 Willkürliche Eingrenzung der Kategorie 2
Betrachtet man die von Berger vorgeschlagenen Formelemente der zweiten Kategorie, stellt man fest, dass längst nicht nur diese für das NT zutreffen, sondern auch Formelemente der Kategorie 1 in der Offb belegt sind. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Berger nur die von ihm aufgeführten Formelemente der zweiten Kategorie zuordnet, andere belegte Elemente aber nicht einbezieht. Dieser Kritikpunkt ist mit Vorbehalt zu nennen, weil er aufgrund der eigenen Beobachtungen an der Offb aufgeführt wird. Es ist zu fragen, inwiefern dieser Kritikpunkt bei der Berücksichtigung aller neutestamentlichen Schriften gilt.275 Es ist also unklar, in welchem Ausmaß Formelemente der Kategorie 1 im gesamten NT zu beobachten sind. Womöglich sind diese nicht häufig genug zu finden und somit gar nicht signifikant 275 Womöglich sind in anderen neutestamentlichen Schriften tatsächlich nur Formelemente der zweiten Kategorie nachweisbar und somit die Offb eine Ausnahme. Dann wäre dieser Kritikpunkt nicht berechtigt. Aufgrund fehlender Auseinandersetzung mit dem gesamten NT bei der Frage nach Hymnenartigkeit bleibt die Frage offen.
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genug für eine Aufzählung in Kategorie 2. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ab wann ein Formelement signifikant genug ist, um in eine der Kategorien einbezogen zu werden. Darüber macht Berger keine Aussagen. Er erklärt auch nicht genau, wie er im Detail auf die Zusammenstellung der drei Kategorien kommt. Im Folgenden werden Formelemente der Offb herausgestellt, die der Kategorie 1 entsprechen. Ein von Berger als hymnisch herausgestelltes Formelement, das auch in der Offb begegnet, ist die rhetorische Frage (15,4). Auch wenn in der Offb die Verwendung einer rhetorischen Frage eine andere Funktion besitzt als vom bergerschen Konzept vorgegeben, ist eine Analogie zu griechischen ὕμνοι erkennbar, wie in der Formanalyse bereits herausgestellt worden ist. Ein weiteres Formelement ist die Selbstaufforderung zum Lob, die den Psalmen des AT ähnlich ist: In 19,7 ist das Syntagma χαίρωμεν καὶ ἀγαλλιῶμεν καὶ δώσωμεν τὴν δόξαν αὐτῷ zu lesen. Die Konjunktive können als Selbstaufforderung übersetzt werden, was dem Punkt b) der Kategorie 1 entspricht. Die Aufforderung der einzelnen Teile der Schöpfung zum Lobpreis findet in Offb 12,12 ebenfalls eine Andeutung. Auch wenn die sprachliche Umsetzung anders ist als im vorgegebenen Konzept, ist eine Analogie nicht von der Hand zu weisen. Anhand dieser Beispiele wird ersichtlich, dass für die Offb auch Formelemente der Kategorie 1 zu finden sind, obwohl es sich um eine andere Gattung bzw. Mischgattung handelt. Die Frage, warum Berger diese Formelemente nicht in die Kategorie 2 integriert, kann nur beantwortet werden, wenn alle neutestamentlichen Schriften auf dieses Problem hin untersucht würden. Eine solch umfassende Untersuchung kann im Rahmen dieser Studie nicht erfolgen, weshalb die Frage nach der Zusammenstellung von Kategorie 2 unbeantwortet bleiben muss. 2.1.7.9 Unverständliche Auswahl an Wortfeldern
Wendet man Punkt g) Spezifische Semantik der Kategorie 2 auf die Offb an, fällt ein weiterer Kritikpunkt ins Auge. Die von Berger aufgezählten Wortfelder, die einen hymnenartigen Stil im NT erzeugen, scheinen nicht die einzige repräsentative Auswahl an tatsächlich belegten Wortfeldern darzustellen. Sie sind z. T. sogar gar nicht belegt, wie man z. B. an dem Fehlen von ἵλαος, ἵλαθι, ἱλήκειν, ἱλάσκεσθαι sowie φώς und ῥύεσθαι erkennen kann. Das Studium des von Berger aufgegriffenen Keyssner-Beitrags beweist, dass zahlreiche Wortfamilien in der Offb sogar stärker rezipiert werden als die von Berger genannten. Wie bei der Aufbereitung des bergerschen Konzepts für die Offb herausgestellt worden ist, sind die Epitheta ἰσχύς, κράτος und σοφία, v. a. aber die wesentlichen Schlüsselbegriffe δύναμις und τιμή, die die Macht des Gepriesenen in einem ὕμνος ausdrücken, häufig in der Offb verarbeitet. Die hier aufgezählten Attribute bilden eine für die Offb charakteristische Art von Reihungen. Das von Berger genannte Wortfeld σωτήρ ist zweimal in der Offb belegt. Insgesamt erhalten ganz andere Begriffe ein stärkeres Gewicht
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als die von Berger genannten Wortfelder.276 Berger erklärt nicht, warum er von den zahlreichen Begriffen, die Keyssner als typisch hymnisch bezeichnet und die auch wesentliche Entsprechungen im NT aufweisen, nur die von ihm aufgezählte Auswahl getroffen hat. Neben Punkt g) seiner Kategorie 2 fällt noch eine weitere nicht nachvollziehbare Selektion auf: Er benennt für seine Formelemente punktuelle Beispiele aus dem NT mithilfe von Bibelstellen in nachstehenden Klammern. Dabei fällt auf, dass andere Bibelstellen mit dem jeweiligen Formelement geeignetere Beispiele darstellen. Ausgehend von der eigenen Studie kann diese Kritik nur für die Offb formuliert werden. Betrachtet man die Bibelstellen der Kategorie 2, fallen folgende Beobachtungen ins Auge: Für Kategorie 2 Punkt a) Reihung von Attributen Gottes führt Berger Offb 11,17a an. Die vorliegende Reihung entspricht in ihrer Gestalt der Reihung in 4,8c. Es ist also nicht nachvollziehbar, warum Berger nur 11,17a aufzählt, 4,8c aber nicht erwähnt. In ähnlicher Form taucht die Reihung zudem in 1,8 auf. 11,17a ist immerhin derjenige Vers, in dem die meisten Epitheta aneinandergereiht werden, wenn man andere Arten von Reihungen ausblendet.277 Andernfalls wäre 7,12 mit sieben Epitheta eine geeignetere Bibelstelle für die Aufzählung von Beispielen. Berger zählt u. a. charakteristische Prädikationsformeln auf. Als Beispiele für die Alles-Prädikation führt er 4,11 und 5,9 an. Dabei fällt auf, dass diese beiden Beispiele die einzigen Belege in der Offb darstellen. Bei diesem Formelement orientiert sich Berger am Kriterium der Vollständigkeit, obwohl er das zuvor nicht getan hat. Die Sache an sich ist nicht problematisch, aber es fehlt die Begründung, warum er sein Auswahlkriterium ändert. Es wäre nachvollziehbarer, wenn er kurz erläutert hätte, dass er aufgrund der zahlreichen Belege im NT den Punkt a) auf die relevantesten Beispiele beschränkt. Stattdessen lässt er ganz aus, anhand welcher Kriterien er die Bibelstellen auswählt. Ein weiteres Beispiel betrifft Punkt h) Aretalogie im Ich-Stil. Er bringt Offb 1,17–18 sowie 21,6 an. Dabei kann noch 22,13 als Aretalogie im Ich-Stil genannt werden. Diese Aretalogie besteht aus mehr Elementen als jene in 21,6 und stellt somit ein geeigneteres Beispiel dar. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Berger eine andere Wahl trifft. Weder das Argument des relevantesten Beispiels noch das der Vollständigkeit können seine Auswahl
276 Auch hier ist der Vorbehalt zu nennen, dass das Konzept nicht auf alle neutestamentlichen Schriften angewandt worden ist und der Kritikpunkt nur für die Offb berechtigt angebracht werden kann. Da eine umfassende Untersuchung von Hymnenartigkeit im NT nicht unternommen worden ist, ist unklar, inwiefern die für die Offb relevanten Wortfamilien für das gesamte NT einen repräsentativen Bestand darstellen. Womöglich müssten dafür noch zahlreiche andere Begriffe aus Keyssners Beitrag herangezogen werden. 277 Dies trifft also nur zu, wenn man nur jene Reihungen einbezieht, die Gottes Wesen beschreiben. Reihungen, in denen Gott und Christus Attribute entgegengebracht werden, die sie besitzen sollen, werden dabei außer Acht gelassen.
Funktion
erklären. Insgesamt fehlen methodische Erläuterungen sowie ein kontinuierliches Vorgehen.
2.2
Funktion
Die bisherigen formgeschichtlichen Ausführungen haben sich auf den Aufbau der zu untersuchenden Textquellen bezogen. Gemäß dem formgeschichtlichen Dreischritt, der sich an Jörns1 anlehnt, ist im nächsten Schritt nach der Funktion der hymnenartigen Verse in der Offb zu fragen. Sie sind zumeist in den Visionsschilderungen verstreut und in bestimmte Kontexte integriert, um eine gezielte Funktion einzunehmen. Im Folgenden wird diese herausgestellt. Zunächst ist eine Sichtung von Theologumena2 in den hymnenartigen Passagen vorzunehmen, um mögliche Zusammenhänge herzustellen. Daraufhin werden die Theologumena des erzählenden Kontexts untersucht, bevor im dritten Schritt die „makrostrukturelle[n] Komposition[en]“3 beider Textteile miteinander verglichen werden. Mögliche Parallelen können einen Aufschluss über die Verwendung der hymnenartigen Passagen geben. Im Anschluss daran werden weitere formgeschichtliche Beobachtungen in der Offb herausgestellt, die funktionale Aspekte der hymnenartigen Passagen ergänzen. 2.2.1
Topoi der hymnenartigen Passagen
Für eine Untersuchung der hymnenartigen Passagen auf ihre Topoi4 hin ist eine tabellarische Zusammenstellung vorzunehmen.5 Dabei werden vorwiegend die Themen der Ekphraseis gesammelt, die die Taten Gottes und des Lammes herausstellen. Deshalb werden nicht alle hymnenartigen Verse aufgezählt, sondern nur solche, die Aufschluss über die Taten Gottes und des Lammes geben: Gott ist der Allherrscher. (Offb 4,8c) Gott hat alles durch seinen Willen geschaffen. (Offb 4,11)
1 Jörns, Evangelium. 2 Darunter versteht man einen theologischen Lehrsatz oder einen theologisch konnotierten Begriff. Vgl. Gunneweg, Verstehen, 54. 3 Toth, Vision, 324. 4 Die Topoi in den hymnenartigen Passagen sind theologisch gefärbte Aussagen, weshalb man sie alternativ als Theologumena bezeichnen kann. 5 Für weitere Zusammenstellungen der Topoi in den hymnenartigen Passagen vgl. Kathstede, Liturgia, 290.
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Das Lamm hat durch seinen Tod weltweit Menschen für Gott gewonnen und diese geheiligt. (Offb 5,9b–10) Gott und das Lamm werden als Urheber des Heils gepriesen. (Offb 7,10.12) Gott und das Lamm treten die Herrschaft an. (Offb 11,15b) Gottes Herrschaft kommt, damit verbunden vollzieht sich ein eschatologisches Gericht. (Offb 11,17f) Gottes Herrschaft setzt sich im Himmel durch, nachdem der Ankläger besiegt worden ist. (Offb 12,10b–12) Eine endzeitliche, universale Wallfahrt zu Gott sowie die ewige Anbetung werden angekündigt. (Offb 15,3b–4) Gott hat besonders diejenigen gerächt und gerichtet, die Heilige und Propheten um ihres Glaubens willen getötet haben. (Offb 16,5b–6) Gott hat Babylon gerichtet. (Offb 19,1b–2) Die Hochzeit des Lammes mit der vorbereiteten Braut ist gekommen. (Offb 19,6b–8) Gott macht die Zusage, dass er das Wasser des Lebens allen gebe, die zur Quelle kommen. (Offb 21,6)
Die thematische Synopse der göttlichen Werke6 lässt einen Abriss der gesamten Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen erkennen, wie sie in den Schriften des AT und NT vermittelt wird und im christlichen Glaubensbekenntnis trinitarisch zum Ausdruck kommt: Die erste Ekphrasis thematisiert das Schöpfungswirken Gottes (4,11). Daraufhin werden in mehreren Schritten das Erlösungswirken Christi sowie die Heiligung der Gläubigen (5,9b–10) zusammengefasst. Dieses vollzieht sich in einem soteriologischen Dreischritt mithilfe der Verbformen ἐσφάγης, ἠγόρασας und ἐποίησας. Das erste Verb bezieht sich auf den Tod des Lammes, das zweite auf die Konsequenz des Todes, nämlich die Erkaufung von Menschen für Gott. Das dritte Verb signalisiert die Heiligung von Menschen zu einem Königtum und zu Priestern (βασιλείαν καὶ ἱερεῖς) für Gott.7 Für dieses soteriologische Handeln preisen diejenigen aus der Bedrängnis Gott und das Lamm (7,10.12). Dann setzt der eschatologische Herrschaftsantritt Gottes und Christi ein, der von einem Gericht begleitet wird (11,15.17f).8 Die Gerichtstätigkeit bzw. die Urteilsvollstreckung vollzieht sich dabei in mehreren Durchläufen und trifft unterschiedliche Instan-
6 Die Nachzeichnung der Heilsgeschichte mithilfe von hymnenartigen Gesängen nimmt auch Toth vor. Er konzentriert sich dabei jedoch besonders auf Offb 4–5, die er als eine Einheit versteht. Vgl. Toth, Kult, 202–205. Zur Heilsgeschichte und zum Glaubensbekenntnis siehe auch Schick, Apokalypse, 14. 7 Vgl. Schabow, Königreich, 129. 8 Der Herrschaftsantritt Gottes und des Lammes wird in den Bildern einer „endzeitliche[n] Theophanie“ angekündigt. Jörns, Evangelium, 165.
Funktion
zen.9 Dies hängt damit zusammen, dass trotz des Herrschaftsantritts Gottes und des Lammes ab 11,15 der κατήγωρ τῶν ἀδελφῶν eine gewisse Wirkmacht behält. Auch wenn er in 12,10b–12 hinabgeworfen (ἐβλήθη) und sein himmlischer Einfluss somit beendet wird, besteht sein Einfluss auf Erden fort. Die eschatologische Wallfahrt aller Völker und die ewige Anbetung (15,4) werden angekündigt, bevor Gottes Herrschaft sich endgültig durchsetzt (19,6b). Dieser Gesichtspunkt sowie die Verwendung futurischer Verbformen (ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν) kennzeichnen die Wallfahrt als eschatologisch. Nach mehreren Gerichtsdurchläufen in den hymnenartigen Versen von Offb 16 und 19 ist die Hochzeit des Lammes gekommen (19,6b). Dieses Bild besitzt denselben Kern wie das der eschatologischen Wallfahrt. Der Unterschied besteht in der Endgültigkeit und der Offenbarwerdung: In 15,4 werden Futurformen verwendet, weil Gottes Herrschaft noch verborgen ist. Eine Enthüllung wird bereits in 15,4 angekündigt, wo als Begründung für die Wallfahrt ὅτι τὰ δικαιώματά σου ἐφανερώθησαν steht. In 19,6b wird Gottes Herrschaft als offenbar deklariert und die Hochzeit kommt, weshalb die Aoristform ἦλθεν verwendet wird. Diese ist ingressiv zu verstehen und signalisiert den Anfangspunkt der endgültigen und offenbar gewordenen eschatologischen Heilszeit. Die hymnenartigen Passagen in Offb 16 und 19 weisen vermehrt Gerichtsaussagen auf und statt der ἄξιος-Formel wird in 16,5b–6 zweimal δίκαιος verwendet. Gerichtstätigkeit ist Teil des eschatologischen Heils bzw. die Voraussetzung für die endgültige eschatologische Herrschaft Gottes und des Lammes. Deshalb erfolgen mehrfache Urteilsvollstreckungen, bevor sich die eschatologische Heilszeit endgültig durchsetzen kann. In dieser wird Gott sein lebendiges Wasser ausschütten für alle, die an die Quelle kommen. Was in 7,17 angekündigt wird10 , erfüllt sich nun in Offb 21.11 Von der Schöpfung Gottes in 4,11 bis zur Neuschöpfung in Offb 21 wird ein thematischer Bogen heilsgeschichtlicher Ereignisse gespannt, der das Wirken Gottes, des Lammes und des Geistes umfasst.12
9 Neben 11,15 und 11,17f wird in 12,10b–12; 16,5b–6; 16,7b und 19,1b–2 Gottes Gerichtstätigkeit thematisiert. Das Gericht trifft einerseits die πόρνη μεγάλη (19,1b–2), andererseits die Mörder der Heiligen und Propheten (16,5b–6). Einmal werden allgemein die Verderber der Erde genannt (11,18), schließlich der Ankläger (12,10b–12). Die Gerichtstätigkeit Gottes hinter den verschiedenen Plagen und Siebenerreihen bestätigt auch Rand, Soteriology, 473. 10 Dort erfolgt die Verheißung allerdings durch das Lamm und nicht durch Gott, der in 21,6 selbst die Gabe des lebendigen Wassers verspricht: ὁδηγήσει αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων. 11 Die Identifizierung des lebendigen Wassers mit dem Geist Gottes wird sowohl im AT angedeutet (im Zusammenhang der Schöpfung Gen 1,2; im Zusammenhang mit Wundern Ex 7,14 etc., als Zeichen des Heils Pss 65,9; 73,10; Jes 12,3; Ez 17,8; 47,1–12; Jo 3) als auch im NT bezeugt (als Zeichen des mit Christus gekommenen Heils Joh 4,10.14; 7,38.39). Vgl. Mussner, Art. Wasser, 963f. 12 Eine heilsgeschichtliche Übersicht in der Offb sieht auch Benz, Urbild, 311.
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2.2.2
Topoi der Visionsschilderungen
Nachdem die hymnenartigen Passagen der Offb thematisch zusammengefasst worden sind, wird eine Zusammenschau des narrativen Kontexts vorgenommen, der verschiedene Visionszyklen umfasst.13 Nachfolgend wird die Zusammenschau derjenigen Topoi aufgeführt, die den unmittelbaren Kontext der hymnenartigen Passagen darstellen: Gott wird als Allherrscher und Schöpfer in seinem Thronsaal sitzend eingeführt. (Offb 4,1–11) Das geschlachtete Lamm ist befugt, das Buch mit den sieben Siegeln entgegen zu nehmen. (Offb 5,1–14) Aus den Stämmen Israels werden insgesamt 144000 besiegelt, dann sieht der Visionär die Siegerschar. (Offb 7,1–17) Gott erweckt seine zwei getöteten Zeugen zum Leben und führt sie in den Himmel. (Offb 11,1–14) Im himmlischen Engelskampf wird Satan besiegt und aus dem Himmel hinabgeworfen. (Offb 12,7–9) Im Bild der Ernte wird Gottes Gerichtswirken umschrieben und die Sieger loben Gott. (Offb 14,20; 15,5–8) Die Engel Gottes gießen die Schalen des Zorns aus. (Offb 16,1–4) Babylon wird innerhalb von einer Stunde zerstört. Verschiedene Personengruppen klagen um sie. (Offb 18,9–24) Nach einer apokalyptischen Schlacht werden das Tier, der falsche Prophet, der Satan und der Tod selbst in den See von brennendem Schwefel geworfen. (Offb 19,11–21; 20,10.14) Es vollzieht sich die Neuschöpfung Gottes und das Kommen des himmlischen Jerusalem. (Offb 21,1–5)
Anhand dieser Auswahl an Perikopen wird ersichtlich, dass die Visionszyklen einen Abriss des gesamten heilsgeschichtlichen Wirkens Gottes und seines Gesalbten darstellen: Gott hat alles durch seinen Willen geschaffen und seine Herrschaft ist zunächst verborgen, deshalb wird der Seher in den himmlischen Thronsaal entrückt (4,1–11). Die soteriologische Bedeutung des geschlachteten Lammes wird durch die Szene herausgestellt, in der die Endzeit nur durch einen Befugten eröffnet werden kann (5,1–14). Das soteriologische Handeln wird durch die Besiegelung der 144000 konkretisiert, die einen eschatologischen Schutz trotz kosmischer Katastrophen
13 Dabei ist zu beachten, dass trotz unterschiedlicher Zyklen und verschiedener Bildfelder ein einheitlicher Visionsbericht herauszustellen ist. Vgl. Bauckham, climax, 3; Frey, Bildersprache, 161.
Funktion
erhalten (7,1–8). Der dadurch in Aussicht gestellte Sieg zeigt sich in der Siegerschar, die liturgisch gekleidet vor Gott stehen kann (7,9–17). Die zwei Zeugen, die die Endzeit auf Erden ankündigen und von den Menschen getötet werden, sind das Sprachrohr Gottes. Ihre Auferweckung und Entrückung sind Zeichen der Endzeit (11,1–14).14 Die Verbannung Satans aus dem Himmel und das Werfen auf die Erde (ἐβλήθη εἰς τὴν γῆν) sind ein entscheidender Sieg Gottes und stellen seine Alleinherrschaft im Himmel heraus. Satan und seine Engel behalten eine gewisse Macht auf der Erde, weshalb weitere Schlachten dort folgen (12,7–9).15 Göttliche Urteilsvollstreckungen werden in unterschiedlichen Bildern beschrieben, sodass im Bild der Ernte die „Sieger über das Tier“ als Frucht vor Gott treten (15,2). Der sich anschließende Visionszyklus der sieben Zornschalen stellt weitere Gerichtsvollzüge dar (16,1–4). Durch verschiedene Plagen soll die Menschheit zur Umkehr gebracht werden, u. a. durch die Verwandlung des Meeres in Blut (16,3). Die Zerstörung Babylons innerhalb von einer Stunde stellt eine Rache Gottes dar, der dadurch seine Initiative für die um des Glaubens willen Getöteten offenbart (18,9–24). In einer Endschlacht werden der falsche Prophet und das Tier in den brennenden Schwefelsee geworfen (19,20). In 20,10 folgen Satan und in 20,14 der Tod selbst. In Offb 21 schaut der Visionär die Neuschöpfung Gottes (21,1.5), der dadurch einen Ort für das himmlische Jerusalem schafft (21,2a). Das Kommen des himmlischen Jerusalem ist der Beginn der eschatologischen Hochzeit (21,2b). Die visionären Ereignisse beschreiben das heilsgeschichtliche Wirken Gottes von der Schöpfung bis zur Neuschöpfung parallel zu den hymnenartigen Passagen. Die Reihenfolge der heilsgeschichtlichen Ereignisse verläuft analog. Es entsteht der Eindruck, dass die hymnenartigen Gesänge das Geschilderte wie eine Art „Gedächtnisstütze“16 aufgreifen und zugleich die gesamten Visionszyklen strukturieren.17 Wie das Verhältnis von visionärem Kontext und himmlischen Gesängen im Einzelnen zu beobachten ist, wird im Folgenden herausgestellt.
14 Bereits die alttestamentlichen Propheten beweisen, dass Gott durch sie Totenerweckungen als Zeichen der Endzeit wirkt. Zwei Beispiele stellen Elija und Elischa dar. Dass die Totenerweckung ein Zeichen Gottes durch den erwarteten Messias darstellt, untersuchen Kammler, Jesus, 161; Martínez, Erwartungen, 185; Stegemann, Essener, 290f.341. 15 Dies wird in den weiteren Visionen geschildert und in dem Endkampf in 19,11–21 beschrieben. 16 Kathstede, Liturgia, 290. 17 Vgl. Herms, Apocalypse, 159.
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Formale Analyse
2.2.3
Verhältnis von hymnenartigen Passagen und visionärem Kontext
Die thematische Abfolge von Ereignissen und Gesängen ist analog zu verstehen.18 Eine detaillierte Verhältnisbestimmung von Gesang und narrativem Kontext kann Aufschluss darüber geben, welche Funktion die hymnenartigen Passagen im Kontext der Visionszyklen einnehmen. Danach sah ich und siehe eine geöffnete Tür im Himmel und die erste Stimme, die ich hörte, wie eine Posaune sprechend mit mir, sagend: Steig hier hinauf und ich werde dir zeigen, was danach geschehen muss. Sogleich wurde ich im Geist, und siehe, ein Thron stand im Himmel und auf dem Thron ein Sitzender und der Sitzende gleich dem Anblick [von] einem Jaspisstein und einem Karneol und ein Regenbogen rings um den Thron gleich dem Anblick [von] einem Smaragd. Und rings um den Thron 24 Throne und auf den Thronen 24 Älteste sitzend, umhüllt in weiße Oberkleider und auf ihren Köpfen goldene Kränze. Und vom Thron gehend Blitze, Stimmen und Donner und sieben Fackeln von Feuer brennend vor dem Thron, welche die sieben Geister Gottes sind. Und vor dem Thron wie ein Glasmeer, gleich Kristall. Und inmitten des Throns und rings um den Thron vier Lebewesen voll seiend von Augen vorne und hinten. Und das erste Lebewesen gleich einem Löwen und das zweite gleich einem Mastkalb und das dritte Lebewesen habend das Gesicht eines Menschen und das vierte Lebewesen gleich einem fliegenden Adler. Und die vier Lebewesen, jedes einzelne von ihnen habend je sechs Flügel, ringsum und innerhalb voll seiend von Augen und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht sagend: … Und sooft die Lebewesen Herrlichkeit, Ehre und Dank dem geben, der auf dem Thron sitzt, dem Lebendigen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein], werden die 24 Ältesten niederfallen vor dem Sitzenden auf dem Thron und huldigen dem Lebendigen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] und ihre Kränze vor den Thron ablegen, sprechend… (Offb 4,1–11) Heilig, heilig, heilig, Herr der Gott, der Allherrscher, der war, der Seiende und der Kommende. (Offb 4,8c) Würdig bist du, unser Herr und Gott, zu empfangen die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht, denn du hast das All geschaffen und durch deinen Willen war [es] und ist [es] geschaffen worden. (Offb 4,11)
Der himmlische Thronsaal wird mit dem Thronenden als Zentrum beschrieben, um den sich in konzentrischen Kreisen verschiedene Personengruppen bzw. Lebewesen bewegen. Kosmische Elemente wie ein Regenbogen, Blitze und Donner implizieren
18 Hahn, Bekenntnisbildung, 541: „die hymnischen Stücke, die Doxologien, die Würdig-Rufe etc. sind streng kontextbezogen und allein aus diesem Zusammenhang zu erklären.“ Dazu auch Richard, Apokalypse, 205.
Funktion
einen Schöpfer und Herrscher.19 Dies wird auch durch das Meer gestützt sowie durch die vier Lebewesen, die die stärksten Vertreter aller Tierarten darstellen.20 Keel sieht in den vier Lebewesen kosmische Chiffren.21 Das Epitheton παντοκράτωρ in 4,8c fasst die visionären Details um den Thronenden herum zusammen, die kosmische und schöpferische Konnotationen aufweisen. Zudem wird in der Ekphrasis in 4,11 für den anbetenden Lobpreis die Begründung angeführt, dass Gott durch seinen Willen τὰ πάντα geschaffen hat. Gottes Wesenseigenschaften als Schöpfer und Herrscher werden durch die kosmischen Elemente und aufgrund des Thronens in der Vision beschrieben. Durch die hymnenartigen Gesänge in 4,8c und 4,11 werden beide Aspekte in einen Kausalzusammenhang gebracht und dadurch theologisch reflektiert. Zudem wird der anbetende Charakter des hymnenartigen Gesangs in 4,11 durch die Gesten der 24 Ältesten in 4,9 vorbereitet.22 Eine letzte Beobachtung gibt weiteren Aufschluss über die Verwobenheit von Narration und Gesang: In 4,9 wird geschildert, dass die vier Lebewesen dem Thronenden Ehre verleihen werden (δώσουσιν … δόξαν). Im Gesang von 4,11 wird diese Ehrerbietung bestätigt, wenn im Kontext einer ἄξιος-Formel das zu δίδωμι komplementäre Verb λαμβάνειν verwendet wird. Und ich sah auf der Rechten (Hand) des Sitzenden auf dem Thron ein Buch, innen und außen beschrieben, versiegelt [mit] sieben Siegeln. Und ich sah einen starken Engel verkündend in lauter Stimme: Wer (ist) würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen? Und keiner im Himmel, auch nicht auf der Erde, auch nicht unter der Erde vermochte, das Buch zu öffnen oder es zu sehen. Und ich weinte viel, weil keiner würdig befunden wurde, das Buch zu öffnen oder es zu sehen. Und einer von den Ältesten sagte mir: Weine nicht, siehe, gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel David, zu öffnen das Buch und dessen sieben Siegel. Und ich sah inmitten des Throns und der vier Lebewesen
19 „[…] John sees the sovereignty of the God who created all things […].“ Bauckham, praise, 56. 20 Der Löwe galt im altorientalischen Kontext als das Stärkste aller wilden Tiere, der Stier aller Haustiere und der Adler aller Vögel. Der Mensch wurde als Krone der Schöpfung bezeichnet. Eine solche Interpretation der vier Lebewesen als „Liste der biologischen Alphatiere“ stützt Berger, Apokalypse, 440. Der Ursprung der vier sei in der babylonischen Mythologie zu finden, in der die vier Gestalten als Hüter der Weltecken vier Sternenbilder des altbabylonischen Tierkreises darstellen würden. Vgl. Bousset, Offenbarung, 251f; Wengst, Recht, 19. 21 „Der Ostwind wird durch einen Vogel dargestellt, weil er die Sonne emporträgt; der Südwind durch einen Löwen, weil er Dürre und Zerstörung bringt; der Nordwind durch einen Stier, weil er Regen und Fruchtbarkeit bedeutet.“ Keel, Geschöpfe, 142f. 22 Der anbetende Charakter des Gesangs wird durch die direkte Ansprache des Gepriesenen mithilfe der 2. Pers. Sg. deutlich. Dagegen sind proklamatorische Gesänge solche in der 3. Pers. Sg. Eine iterative Interpretation von ὅταν wird von zahlreichen Exegeten vertreten: Giesen, Offenbarung, 154f; Mounce, Revelation, 126; Roloff, Offenbarung, 70; Satake, Offenbarung, 201; Schimanowski, Liturgie, 151–154.
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Formale Analyse
inmitten der Ältesten ein Lamm gestellt, wie geschlachtet, habend sieben Hörner und sieben Augen, die die [sieben] Geister Gottes sind, gesandt in die ganze Erde [hinein]. Und es kam und empfing (es) aus der Rechten des Sitzenden auf dem Thron. Und als es das Buch empfing, fielen die vier Lebewesen und die 24 Ältesten vor dem Lamm nieder, habend jeweils eine kithara und goldene Schalen voll von Räucherwerk, welche die Gebete der Heiligen sind. Und sie singen ein neues Lied, sagend: (Offb 5,1–8) Würdig bist du, zu empfangen das Buch und zu öffnen seine Siegel, denn du bist geschlachtet worden und hast in deinem Blut [für] Gott erkauft aus jedem Stamm und [jeder] Sprache und [jedem] Volk und [jeder] Nation und hast sie [für] unseren Gott [zu] einem Königtum und [zu] Priestern gemacht und sie werden auf der Erde herrschen. (Offb 5,9b–10)
In Offb 5,1–8 wird beschrieben, wie das siebenmal versiegelte Buch zunächst von keinem geöffnet und gelesen werden kann, worauf der Seher mit Bestürzung reagiert. Daraufhin erklärt einer der Ältesten, dass das Lamm die Befugnis und die Fähigkeit besitze. Der sich in 5,9b–10 direkt anschließende hymnenartige Gesang greift das Szenario der Vision auf und deutet es: Das Lamm hat die Befugnis aufgrund seines soteriologischen Wirkens. Zudem erklärt der Gesang, wodurch das Lamm gesiegt hat (5,5 ἐνίκησεν): durch seinen Sühnetod (ἐσφάγης καὶ ἠγόρασας τῷ θεῷ ἐν τῷ αἵματί σου). Die Einführung des Lammes als lebendig und zugleich geschlachtet (5,6 ἑστηκὸς ὡς ἐσφαγμένον) findet eine Entsprechung in der Ekphrasis des Gesangs (5,9), in der der Sühnetod genannt wird. Dies wird durch das Aufgreifen des Verbs σφάζω deutlich.23 Insgesamt sind die Gesänge in Offb 4 und 5 als Reaktion auf das durch die Entgegennahme und Entsiegelung der Buchrolle nun beginnende Gerichtsgeschehen aufzufassen.24 Danach sah ich vier Engel zu den vier Ecken der Erde gestellt, Macht habend über die vier Winde der Erde, damit nicht wehe Wind weder auf die Erde, noch auf das Meer, noch jeden Baum. Und ich sah einen anderen Engel aufsteigend vom Aufgang der Sonne, habend das Siegel des lebendigen Gottes, und er rief mit großer Stimme den vier Engeln [zu], denen selbst gegeben war, die Erde und das Meer zu schädigen, sagend: „Schädigt weder die Erde noch das Meer noch die Bäume, bis wir die Knechte unseres Gottes auf ihren Stirnen besiegelt haben.“ Und ich hörte die Zahl der Besiegelten, 144000, Besiegelte aus allen Stämmen der Söhne Israels: … Danach sah ich, und siehe eine große Menge, die zu zählen keiner vermochte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen gestellt
23 Zur Verwobenheit der hymnenartigen Gesänge und der Narration vgl. Gradl, Buch, 265–267. 24 Vgl. Toth, Kult, 453 in Bezug auf Jörns, Evangelium, 41. Der nachfolgende Siegelzyklus verleiht Offb 5 rückwirkend die Konnotation einer beginnenden Gerichtshandlung. Vgl. Aune, reading, 52: „constitutes an unusual form of judgment scene.“
Funktion
vor den Thron und vor das Lamm, sich umgeworfen weiße Gewänder und Palm(zweige) in ihren Händen, und sie rufen mit großer Stimme sagend: (Offb 7,1–4.9–10) Die Rettung unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm. … Amen, das Lob und die Herrlichkeit und die Weisheit und der Dank und die Ehre und die Macht und die Stärke unserem Gott in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein]. (Offb 7,10.12)
Auch wenn diskutiert wird, ob die zwei geschilderten Gruppen identifiziert werden können, muss ein Zusammenhang vorliegen. Womöglich wird dasselbe aus unterschiedlichen Perspektiven berichtet, sodass der sichere Sieg der Besiegelten visionär vorweggenommen wird.25 Durch die hymnenartigen Gesänge wird erst deutlich, dass der Besiegelungsvorgang eine Rettungsaktion darstellt.26 Zudem führen sie die Besiegelung als Tat Gottes und des Lammes zurück, vor denen sie stehen.27 Und mir wurde ein Rohr gegeben gleich einer Rute, sprechend: Steh auf und miss den Tempel Gottes und den Altar und die Huldigenden in ihm. Aber den Hof, den außerhalb des Tempels, wirf hinaus und miss ihn nicht, weil (er) den Völkern gegeben wurde und sie werden die Heilige Stadt 42 Monate (lang) niedertreten. Und ich werde meinen zwei Zeugen geben und sie werden prophezeien 1260 Tage (lang), sich Säcke umgeworfen. Diese sind die zwei Ölbäume und die zwei Leuchter, die vor den Herrn der Erde gestellt sind. Und wenn jemand ihnen schaden will, geht Feuer von ihrem Mund aus und verzehrt ihre Feinde. Und wenn jemand ihnen schaden will, muss dieser getötet werden. Diese haben die Vollmacht, den Himmel zu verschließen, damit kein Regen die Tage ihrer Prophetie benetze, und sie haben Vollmacht über die Wasser, sie zu verwandeln in Blut und die Erde zu schlagen in jede Wunde sooft sie wollen. Und wenn sie ihr Zeugnis vollenden, wird das aus dem Abgrund aufsteigende Tier mit ihnen Krieg machen und sie besiegen und sie töten. Und ihr Leichnam (liegt) auf der Straße der großen Stadt, die geistlich Sodom und Ägypten genannt wird, wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde. Und aus den Völkern, Stämmen, Sprachen und Nationen sehen (welche) ihren Leichnam drei Tage und einen halben und sie erlauben nicht, dass ihre Leichname in ein Grab gelegt werden. Und die Wohnenden auf der Erde freuen sich über sie und sind heiter und werden einander Geschenke schicken, weil diese zwei Propheten die Wohnenden auf der Erde erprobt
25 Ein deshalb vorausgesetztes „zeitliches Nacheinander“ derselben Gruppe folgert auch Jörns, Evangelium, 77. Dagegen Bousset, Offenbarung, 287. 26 Die Besiegelung hat jedoch nicht den Effekt, die Besiegelten vor jeglichem kosmischen Schaden zu bewahren. Die Möglichkeit, den Märtyrertod zu sterben, bleibt weiterhin bestehen. Es handelt sich also um eine eschatologische Rettungsaktion. Aus diesem Grund schließt Jörns, dass sie „den Endereignissen ohne Furcht entgegensehen können.“ Jörns, Evangelium, 77. 27 Während im Visionsbericht bereits angedeutet wird, dass es sich bei dem Engel mit dem Siegel um die Exekutive Gottes handelt, fungiert der anschließende Lobpreis in V.10 als explizite Proklamation Gottes und des Lammes als Urheber der Rettungsaktion. Vgl. Jörns, Evangelium, 88.
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haben. Und nach den drei Tagen und einem halben kam der Lebensgeist aus Gott in sie hinein und sie stellten sich auf ihre Füße und große Furcht fiel auf die, die sie sahen. Und sie hörten eine laute Stimme aus dem Himmel ihnen sagend: „Steigt hier herauf!“ Und sie stiegen auf in den Himmel in der Wolke und ihre Feinde schauten ihnen zu. Und in jener Stunde geschah ein großes Erdbeben und das Zehntel der Stadt fiel und Namen von 7000 Menschen wurden getötet und die übrigen wurden Fürchtige und gaben dem Gott des Himmels Herrlichkeit. Das zweite Wehe verging, siehe, das dritte Wehe kommt schnell. (Offb 11,1–14) Die Weltherrschaft unseres Herrn und seines Gesalbten ist gekommen und er wird herrschen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein]. (Offb 11,15) Wir danken dir, Herr der Gott der Allherrscher, der Seiende und der war, denn du hast deine große Macht ergriffen und bist König geworden. Und die Nationen sind zornig geworden und dein Zorn ist gekommen und der Zeitpunkt der Toten, gerichtet zu werden und den Lohn deinen Knechten zu geben, den Propheten und den Heiligen und denen, die deinen Namen fürchten, den Kleinen und den Großen, und zu vernichten die Vernichter (Verderber) der Erde. (Offb 11,17f)
Offb 11 stellt eine Erzählung dar, in der die Verkündigung zweier Zeugen ein tödliches Ende nimmt, bevor die Verstorbenen wieder lebendig werden und in den Himmel aufsteigen. Durch diese Episode kommen einige zum Glauben an Gott, wohingegen 7000 Menschen sterben. In den eingebundenen hymnenartigen Passagen werden Gott und sein Gesalbter dafür gepriesen, dass ihre Herrschaft einsetzt. Damit verbunden führen die Preisenden an, wodurch die Herrschaftsausübung gekennzeichnet wird: durch Totengericht und Rache an den Verderbern. Die hymnenartigen Vv.15 und 17f stellen somit erneut reflexive Einschübe dar, die aus heilsgeschichtlicher Perspektive die Erzählung in Offb 11 interpretieren. Die Erweckung der Toten durch den Geist Gottes wird somit als Signal der eschatologischen Endzeit gedeutet.28 Gottes Initiative in der Menschheitsgeschichte spricht für den Beginn seiner – nun auch irdisch offenbar werdenden – Herrschaft. Erst durch die hymnenartigen Gesänge wird das vermeintliche Scheitern der Zeugen durch deren Tod zu einem heilsgeschichtlichen Knotenpunkt.29
28 Wie den Schriften von Qumran zu entnehmen ist, bestand die Erwartung, dass zur Zeit des Messias Gott Totenerweckungen durchführen würde. Vgl. Martínez, Erwartungen, 185; Stegemann, Essener, 290f. Eine solche theologische Deutung besitzt somit eine Tradition und stellt in der Offb kein Novum dar. 29 Toth, Kult, 453 interpretiert die hymnenartigen Verse in Offb 11 nicht als abschließende Reflexion von Offb 11, sondern als Antizipation von Offb 12. Kathstede und Richard deuten sie als Antizipation von Offb 20. Vgl. Kathstede, Liturgia, 293; Richard, Apokalypse, 105.
Funktion
Und es entstand ein Krieg im Himmel, Michael musste Krieg führen und seine Engel mit dem Drachen. Und der Drache führte Krieg, und seine Engel. Und er war nicht stark und sein Ort im Himmel wurde nicht mehr gefunden. Und hinabgeworfen wurde der große Drache, die alte Schlange, Teufel und der Satan gerufen, der den ganzen Erdkreis in die Irre führt. Er wurde hinabgeworfen in die Erde [hinein] und seine Engel wurden mit ihm hinabgeworfen. (Offb 12,7–9) Jetzt ist die Rettung und die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten gekommen, denn hinabgeworfen wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie vor unserem Gott Tag und Nacht Anklagende. Und sie haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes und durch das Wort ihres Zeugnisses und sie haben ihr Leben bis zum Tod nicht geliebt. Darum freut euch, [die] Himmel und die in ihnen Wohnenden. Wehe der Erde und dem Meer, denn hinabgestiegen ist der Teufel zu euch, habend große Wut, wissend, dass er wenig Zeit hat. (Offb 12,10b–12)
In 12,7–9 wird ein himmlischer Kampf geschildert, nach dem der Drache und dessen Engel auf die Erde verbannt werden. Im Anschluss erfolgt ein hymnenartiger Abschnitt, der diese Niederlage wiederum deutet: Gott und das Lamm haben ihre Herrschaft gegenüber den himmlischen Feinden behauptet, sodass ihre Herrschaft zunächst im Himmel gesichert und die Rettung der „Brüder“ gewährleistet wird.30 Die hymnenartige Reflexion führt die soteriologische Hoffnung der „Brüder“ auf den Sieg Gottes und des Lammes im Himmel zurück. Die verbleibenden dämonischen Kämpfe werden dadurch als „verlorenes letztes Gefecht“ herabgesetzt, das „keine Zukunft“ hat und „begrenzt“ ist.31 Eine solche ätiologische Argumentation stärkt die Hoffnung der Adressaten der Offb. Im weiteren Verlauf des hymnenartigen Abschnitts erfolgen ein Aufruf zur Freude und ein Weheruf. Durch die antithetische Einsetzung der beiden Stilmittel wird herausgestellt, dass Gottes Herrschaft im Himmel nun unbestritten ist, dessen besiegter Feind auf Erden jedoch weiterhin Macht besitzt. Mithilfe des Weherufs wird der Sturz Satans und seiner Engel zur Warnung bzw. zum Appell für die Adressaten der Offb.32 Und die Kelter wurde außerhalb der Stadt getreten und aus der Kelter kam Blut heraus bis zu den Zaumzeugen der Pferde, von 1.600 Stadien. … Und danach sah ich, und der Tempel des Zeltes des Zeugnisses wurde im Himmel geöffnet, und die sieben Engel, die die sieben Plagen hatten, kamen aus dem Tempel heraus, gekleidet in reines leuchtendes Leinen und umgürtet um die Brust mit goldenen Gürteln. Und eines von den vier Lebewesen gab den
30 Vgl. Kathstede, Liturgia, 293 in Bezug auf Richard, Apokalypse, 105. 31 Wengst, Recht, 158. Der in den Vv.7–9 noch bedrohliche Kampf wird im hymnenartigen Gesang aus heilsgeschichtlicher Perspektive relativiert, sodass nur noch das Verb ἐβλήθη daran erinnert. Vgl. Jörns, Evangelium, 119. 32 Vgl. Jörns, Evangelium, 120 „paränetisch-drohend“.
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sieben Engeln sieben goldene Schalen voll seiend des Zornes des lebendigen Gottes in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein]. Und der Tempel wurde angefüllt mit Rauch von der Herrlichkeit Gottes und von seiner Macht, und keiner durfte in den Tempel hineingehen, bis die sieben Plagen der sieben Engel vollendet wurden. (Offb 14,20; 15,5–8) Groß und wunderbar [sind] deine Werke, Herr der Gott der Allherrscher. Gerecht und wahr sind deine Wege, der König der Nationen. Wer würde dich nicht fürchten, Herr, und verherrlichen deinen Namen? Denn allein heilig [bist du], denn alle Nationen werden kommen und sich vor dir niederwerfen, weil deine Rechtsurteile offenbar geworden sind. (Offb 15,3b–4)
In Offb 14 und 15 werden Gerichtsvollzüge Gottes geschildert, bei denen einerseits die Metapher der Ernte verwendet wird, andererseits der Einsatz der SiebenSchalen-Vision erfolgt. Die durch das Ausgießen der Schalen veranlassten Plagen vollziehen sich ungehindert, da die damit beauftragten Engel bei der Ausgießung nicht gestört werden sollen. Der eingeschobene hymnenartige Gesang betont v. a. die Gerechtigkeit des göttlichen Wirkens. Die Kombination der Adjektive „gerecht“ und „wahr“ kennzeichnen Gott als idealen Richter. Die Einbettung dieser hymnenartigen Verse stellt die sich anschließenden Plagen in den universalen Heilsplan Gottes und verdeutlicht deren Notwendigkeit. Der Einsatz von Plagen wirkt dadurch nicht willkürlich, sondern als angemessene Maßnahme. In V.4 wird die eschatologische Völkerwallfahrt angekündigt, die als Konsequenz der offenbargewordenen gerechten Gerichtsurteile verstanden wird. Durch die Verknüpfung des gerechten Gerichts Gottes und der Aussicht auf eschatologisches Heil wird hervorgehoben, dass diesem notwendigerweise ein Gericht vorausgehen muss. Die Adressaten der Offb sollen so die Plagen als Vorstufe zum eschatologischen Heil und Teil des Heilsplans Gottes einordnen.33 Und ich hörte eine laute Stimme aus dem Tempel sagend den sieben Engeln: „Geht fort und gießt die sieben Schalen des Zornes Gottes in die Erde aus.“ Und der erste ging weg und goss seine Schale in die Erde aus, und es entstand eine schlechte und bösartige Wunde auf den Menschen, die das Prägemal des Tiers hatten und seinem Bild huldigten. Und der zweite goss seine Schale aus ins Meer, und es wurde Blut wie eines Toten, und jeder Atem des Lebens starb, das im Meer. Und der dritte goss seine Schale aus in die Flüsse und die Quellen der Wasser und (es) wurde Blut. (Offb 16,1–4) Gerecht bist du, der Seiende und der war, der Heilige, weil du diese gerichtet hast, denn
33 Zwar ist Toth, Kult, 453 in Bezug auf Jörns, Evangelium, 134 derselben Auffassung, sieht im hymnenartigen Gesang jedoch eine Antizipation der Geschehnisse in Offb 16. Bemerkenswert ist zudem, dass laut Jörns Gottes gerechtes Gericht nicht nur bestätigt, sondern auch motiviert werden soll. Dies zeige sich an der beginnenden Ausgießung der Zornschalen in Offb 16. Vgl. Jörns, Evangelium, 139.
Funktion
sie haben Blut [von] Heiligen und Propheten vergossen und Blut hast du ihnen gegeben zu trinken, sie sind [es] wert. (Offb 16,5b–6)
Offb 16,1–4 führt detailliert aus, welche Plagen infolge der einzelnen Schalenausgießungen die Menschen befallen. In den Vv.5–6 schließen sich die hymnenartigen Gesänge an, in denen analog zu 15,3b–4 Gottes Gerechtigkeit betont wird. Wie in Offb 15 wird Gottes Handeln reflektiert und die Plagen als angemessene Rache bewertet.34 In Bezug auf die Sieger, die man als Preisende des Gesangs in 16,5b–6 vermuten kann, besitzen diese Verse die Funktion, den ewigen Schutz bei Gott zu betonen.35 Und die Könige der Erde werden weinen und über sie trauern, welche mit ihr Unzucht getrieben und im Überfluss gelebt haben, wenn sie den Rauch ihres Brands sehen, von weitem stehend aus Furcht vor ihrer Qual, sagend: Wehe, wehe, die große Stadt, Babylon, die starke Stadt, denn [in] einer Stunde kam dein Gericht. Und die Kaufleute der Erde weinen und klagen über sie, weil keiner mehr ihre Fracht kauft, Fracht des Goldes, Silbers, kostbaren Steins, der Perlen, des Leinen, Purpurs, der Seide, des Scharlachstoffes, jedes Holz des Thuyabaums, jedes elfenbeinerne Gerät, jedes Gerät aus wertvollstem Holz, Kupfer, Eisen, Marmor und Zimt, Amomon, Räucherwerk, Myrrhe, Weihrauch, Wein, Öl, feinstes Mehl, Weizen, Rinder, Schafe, der Pferde, Wagen, der Körper und Seelen von Menschen. Und die Frucht der Begierde deiner Seele ist von dir weggegangen und das Fette und Leuchtende von dir ging zugrunde und man wird sie gewiss nicht mehr finden. (Offb 18,9–14) Halleluja; die Rettung und die Herrlichkeit und die Macht unseres Gottes, denn wahr und gerecht sind seine Gerichte, denn er hat die große Hure gerichtet, die die Erde in ihrer Unzucht verdarb, und er hat das Blut seiner Knechte aus ihrer Hand gerächt. (Offb 19,1b–2)
In 18,9–1436 werden die bestürzten Reaktionen verschiedener Personengruppen zur Zerstörung Babylons geschildert. Nur die himmlischen Personengruppen freuen sich über den Untergang. Durch den darauffolgenden hymnenartigen Gesang wird die Zerstörung der Stadt als Gericht Gottes interpretiert.37 Dass die Urteilsvollstreckung rechtmäßig ist, wird damit begründet, dass der Tod der Knechte Gottes
34 „Gemeinsam dienen beide Stücke [Offb 15,3b–4 und 16,5b–6, M.S.] dem Lobpreis der Gerechtigkeit Gottes, die sich in seinem Gerichtshandeln offenbart.“ Jörns, Evangelium, 137. Ihre innere Zusammengehörigkeit zeigt sich auch in der Verarbeitung derselben Szene. 35 Vgl. Herms, Apocalypse, 160. 36 Die Handlung verläuft noch weiter bis mindestens V.24, doch aufgrund von sich wiederholenden Aussagen wird der Text abgekürzt. 37 Vgl. Jörns, Evangelium, 157.
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Formale Analyse
dadurch gerächt worden ist. Mithilfe des hymnenartigen Gesangs wird zudem der Adressat der Offb davor bewahrt, die Freude an der Zerstörung Babylons als Schadenfreude misszuverstehen. Vielmehr soll göttliches Gericht positiv charakterisiert werden, da es die universale Erlösung von Unrecht darstellt. Und ich sah den Himmel geöffnet und siehe ein weißes Pferd und der Sitzende auf ihm, genannt treu und wahrhaftig, und in Gerechtigkeit richtet er und führt er Krieg. Seine Augen aber wie eine Feuerflamme und auf seinem Kopf viele Diademe, habend einen geschriebenen Namen, den keiner kennt außer er selbst und er hat sich umgeworfen ein Obergewand getaucht [in] Blut und sein Name wird Wort Gottes genannt. Und die Heere, die im Himmel, folgten ihm auf weißen Pferden, gekleidet in ein reines weißes Leinen(gewand) und aus seinem Mund kam ein scharfes Schwert heraus, um in ihm die Völker zu schlagen und er selbst wird sie weiden in eisernem Zepter und er selbst tritt die Kelter des Weines der Leidenschaft des Zorns Gottes, des Allherrschers, und er hat auf seinem Gewand und seinem Schenkel einen Namen geschrieben: König der Könige und Herr der Herren. … Und ich sah das Tier und die Könige der Welt und ihre Heere versammelt, Krieg zu führen mit dem Sitzenden auf dem Pferd und mit seinem Heer. Und das Tier wurde gefasst und mit ihm der falsche Prophet, der die Zeichen vor ihm gemacht hat, in denen er die in die Irre geführt hat, die das Prägemal des Tieres empfingen und seinem Bild huldigten. Die zwei wurden lebendig in den Feuersee geworfen, der in Schwefel brennt. Und die Übrigen wurden in dem Schwert des Sitzenden auf dem Pferd getötet, das aus seinem Mund herauskam, und alle Vögel wurden von ihrem Fleisch gemästet. … Und der sie in die Irre führende Teufel wurde in den See des Feuers und Schwefels hinabgeworfen, wo auch das Tier und der falsche Prophet [sind], und sie werden Tag und Nacht gefoltert werden in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein]. … Und der Tod und das Totenreich wurden in den Feuersee geworfen. Dies ist der zweite Tod, der Feuersee. (Offb 19,11–21; 20,10.14) Halleluja; denn König geworden ist Herr [unser] Gott der Allherrscher. Lasst uns freuen und jauchzen und ihm die Ehre geben, denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen und seine Frau hat sich bereit gemacht und ihr wurde gegeben, damit sie sich umwerfe ein leuchtendes reines Leinen(gewand); das Leinen(gewand) sind nämlich die gerechten Taten der Heiligen. (Offb 19,6b–8)
Der hymnenartige Gesang in 19,6b–8 geht der apokalyptischen Episode voraus, in der die Parusie des Menschensohns unter der Chiffre „Wort Gottes“ geschildert wird.38 Er kündigt die Hochzeit des Lammes und die Bereitschaft der Braut an. Die
38 Dass es sich um den Menschensohn handelt, wird durch den Zusammenhang von 19,15 mit 1,16 und 2,12 deutlich: Alle Textstellen beschreiben ein zweischneidiges Schwert, das aus dem Mund der Person kommt.
Funktion
sich anschließenden visionären Ereignisse werden durch die Einstimmung mithilfe des Gesangs als eschatologische Metapher verstanden. Das erwartete Lamm als Bräutigam erscheint wenig später als apokalyptischer Feldherr, der mit einem Heer gegen die Könige der Erde in die Schlacht zieht. Die Begriffe „Menschensohn“ und „Lamm“ werden dadurch miteinander verbunden und als Bezeichnungen des einen Gesalbten Gottes gedeutet.39 Seine irdische Präsenz wird nicht nur als der Beginn der apokalyptischen Endschlacht, sondern auch als Beginn der Hochzeit gedeutet. Da der Menschensohn ohne Mühe sowohl das Tier als auch den Propheten in den brennenden Schwefelsee wirft, wird dieser Deutungsansatz gestärkt: Die Endschlacht ist kein Kampf mit ungewissem Ausgang, sondern die Abrechnung mit den Mächtigen der Erde.40 Die im hymnenartigen Gesang genannte Braut, die für die Hochzeit bereit und in einen weißen byssinos gekleidet ist, wird in der Beschreibung der Endschlacht zu einer militärischen Größe: Das Heer des Menschensohns besteht aus Personen, die ebenfalls mit einem byssinos bekleidet sind. Durch den Zusammenhang von 19,6b–8 und 19,11–21 wird deutlich, dass zur Braut des Lammes die himmlischen Heere gehören. Eine exklusive Zugehörigkeit geht daraus jedoch nicht hervor. Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind verschwunden und das Meer nicht mehr. Und ich sah die Heilige Stadt, das neue Jerusalem, herabkommend von Gott aus dem Himmel, vorbereitet worden wie eine Braut, die sich [wegen] ihrem Mann geschmückt hat. Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron aus, sagend: „Siehe, das Zelt Gottes unter den Menschen und er wird unter ihnen wohnen und sie werden seine Völker sein und Gott selbst wird unter ihnen sein [ihr Gott], und er wird jede Träne aus ihren Augen auslöschen und der Tod wird nicht mehr sein, auch keine Trauer, auch kein Geschrei, auch Mühsal wird nicht mehr sein, weil die Ersten verschwunden sind.“ Und der Sitzende auf dem Thron sprach: „Siehe, ich mache alles neu“ und er sagte: „Schreib! Denn diese Worte sind treu und wahr.“ (Offb 21,1–5) Halleluja; denn König geworden ist Herr [unser] Gott der Allherrscher. Lasst uns freuen und jauchzen und ihm die Ehre geben, denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen und seine Frau hat sich bereit gemacht und ihr wurde gegeben, damit sie sich umwerfe ein leuchtendes reines Leinen(gewand); das Leinen(gewand) sind nämlich die gerechten Taten der Heiligen. (Offb 19,6b–8) Ich [bin] das Alpha und das O(mega), der Anfang und das Ende. Ich werde dem Dürstenden aus der Quelle des Wassers des Lebens umsonst geben. (Offb 21,6)
39 Die Indizien, die addiert die Identifikation des Lammes, des Menschensohngleichen und des apokalyptischen Feldherrn aus Offb 19 erzeugen, werden u. a. in Hubers Aufsatz dargelegt. Vgl. Huber, Reiter, 405f; ferner Witherington, Revelation, 31. 40 „Der in Aussicht gestellte Kampf ist allem Anschein nach von vornherein entschieden.“ Huber, Reiter, 406.
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Der letzte zu untersuchende Zusammenhang betrifft Offb 21: Der Visionär wird Zeuge der Neuschöpfung Gottes und des Kommens des himmlischen Jerusalem. In den Vv.1–5 wird zudem beschrieben, was die hymnenartigen Vv.19,6b–8 angekündigt haben: die Hochzeit des Lammes. Durch die Ankündigung von Offb 19 wird dies interpretatorisch vorgegeben und zugleich die Beschreibung als ewige Gegenwart Gottes „unter den Menschen“ als Erklärung der eschatologischen Hochzeit angeführt. Die Gottesrede aus 21,6 schließt sich mit der Rede vom Wasser des Lebens direkt an die Vv.1–5 an. Dadurch entsteht eine weitere Interpretationslinie, nach der ein Zusammenhang zwischen Neuschöpfung und dem Wasser des Lebens hergestellt wird. Die traditionsgeschichtliche Verknüpfung des Wassers mit dem Geist Gottes interpretiert somit die Neuschöpfung Gottes als Gabe des Geistes. Als Konsequenz folgt die ewige Gemeinschaft mit Gott (21,7). Insgesamt stellt man fest, dass die hymnenartigen Passagen immer an narrativen und zugleich heilsgeschichtlichen Eckpunkten die Visionsschilderungen begleiten. Sie untermauern die Etappensiege Gottes in der endgültigen Durchsetzung seiner Herrschaft, weshalb der Gottesthron jeweils Leitmotiv und Zentrum des Lobpreises darstellt.41 Die hymnenartigen Passagen „not only provide important connection […]; they also recall the hymnic elements of the author’s earlier, programmatic vision of the heavenly throne […].“42 Das programmatische Leitmotiv des Throns in Offb 4–5 in Form von flashbacks (Offb 7; 15) bildet einen roten Faden im Gesamt der Visionsschilderung.43 2.2.4
Weitere Beobachtungen
Der thematische Vergleich von narrativem Kontext und eingebetteten hymnenartigen Gesängen hat zweierlei gezeigt: Einerseits konnte herausgestellt werden, dass beide Ebenen analog zueinander gelesen werden können. Andererseits werden durch die Verwendung der hymnenartigen Passagen die visionären Geschehnisse gedeutet und zu einer spezifischen Theologie weiterentwickelt.44 Insbesondere das retrospektive Aufgreifen der visionären Ereignisse führt zu einer Bewertung des Geschehenen aus heilsgeschichtlicher Perspektive.45 Erst durch die Gesänge wird das 41 Vgl. dazu auch Grabiner, hymns, 3f: „The hymns accompany ‚all the major events‘ in Revelation“. Er bezieht sich im kursiven Teil auf Ford, function, 211. 42 Herms, Apocalypse, 161. 43 „By incorporating recurring characters, images and motifs into this intensifying narrative, the author anticipates and builds toward his belief in final judgment […].“ Herms, Apocalypse, 161. 44 Nicht nur der Vergleich der direkt ineinandergreifenden zwei Ebenen zeigt diese Analogie auf. Es sind auch Entsprechungen von Texten herauszustellen, die nicht direkt aufeinanderfolgen. Eine solche Vorgehensweise findet sich bei Grabiner, hymns, 69–217. 45 „Alle Zeitgeschichte hat nämlich ihren Sinn und empfängt ihre Klärung von ihrem endgültigen Ausgang und Ziel her […]. Aus diesem Grund zieht die Apokalypse alle Linien von der vergänglichen
Funktion
in drastischen Bildern beschriebene Weltgeschehen auf den Zielpunkt des eschatologischen Heils fokussiert und die Offb somit zu einem „Evangelium“.46 Insgesamt fungieren die hymnenartigen Gesänge im Kontext der Visionen als „introduction“, „summary“ oder „anticipation“.47 Im nächsten Schritt ist nach formgeschichtlichen Indizien zu fragen, die das bereits thematisch herausgestellte Verhältnis von narrativem Kontext und hymnenartigen Gesängen differenzieren. 2.2.4.1 Die Überleitung zum Lobpreis
Die hymnenartigen Passagen sind zwar verstreut in der gesamten Offb zu finden, doch sind sie nicht unmittelbar eingesetzt. Vielmehr kann eine organische Verbundenheit herausgestellt werden, da die hymnenartigen Passagen durch signalhafte Überleitungen, sozusagen durch „Präludien“48 , eingeführt werden. Vor jedem hymnenartigen Vers wird die singende Personengruppe angekündigt. Zudem erfolgt eine Einleitung durch die Verwendung bestimmter Verben.49 Diese narrativen Einführungen werden im Folgenden untersucht: καὶ ἀνάπαυσιν οὐκ ἔχουσιν ἡμέρας καὶ νυκτὸς λέγοντες· (Offb 4,8c) καὶ βαλοῦσιν τοὺς στεφάνους αὐτῶν ἐνώπιον τοῦ θρόνου λέγοντες· (Offb 4,10c) καὶ ᾄδουσιν ᾠδὴν καινὴν λέγοντες· (Offb 5,9a) λέγοντες φωνῇ μεγάλῃ· (Offb 5,12a) πάντα ἤκουσα λέγοντας· (Offb 5,13a) καὶ φωνῇ κράζουσιν μεγάλῃ λέγοντες· (Offb 7,10a)
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Vorläufigkeit bis in die endgültige Ewigkeit der heilsgeschichtlichen Vollendung aus.“ Schick, Apokalypse, 9. Vgl. dazu auch Roloff, Offenbarung, 72. Zur Schlüsselfunktion der hymnenartigen Passagen auch Kathstede, Liturgia, 294f. Auch Jörns stellt fest: „[W]enn man die Hymnen herausstreicht, so wäre das Bild […] düster und fast durchgehend Unheilsbotschaft. Die Hymnen stellen demgegenüber die Seite des Heils dar.“ Jörns, Evangelium, 168. Ähnlich Keener, Revelation, 41: „[…] [W]orship leads us from grief over our sufferings to God’s eternal purposes seen from a heavenly perspective.“ Die wichtige Funktion der hymnenartigen Gesänge auch bei Grabiner, hymns, 2: „meaningful contribution“. Ähnlich Toth, Kult, 451. Morton, Glory, 91.93. Dabei ist zu beachten, dass die Gesänge zumeist als „summary“ fungieren. Ebenso stellt Schabow fest, dass durch die Gesänge Geschehnisse vorbereitet oder zusammengefasst werden. Vgl. Schabow, Königreich, 114. Um es abschließend mit Toth zu formulieren: „Von diesen himmlischen Präludien her wird erst die theologische Tiefendimension der in den Siebenerreihen und Visionsblöcken geschilderten irdischen Abläufe verständlich […]. Offenbar haben diese Kultszenen eine systematisierende und ordnungsgliedernde Funktion für den Gesamtaufbau der Johannesapokalypse.“ Toth, Vision, 329.339. Ferner Witherington, „The hymns clearly comment on and complement the visions and auditions of the book […].“ Witherington, Revelation, 19. Toth, Vision, 328. Diese Verbformen sind durchgehend präsentisch gehalten und leiten signalhaft wörtliche Reden ein. Vgl. Mathewson, aspect, 77.
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Καὶ πάντες οἱ ἄγγελοι εἱστήκεισαν κύκλῳ τοῦ θρόνου καὶ τῶν πρεσβυτέρων καὶ τῶν τεσσάρων ζῴων καὶ ἔπεσαν ἐνώπιον τοῦ θρόνου ἐπὶ τὰ πρόσωπα αὐτῶν καὶ προσεκύνησαν τῷ θεῷ λέγοντες· (Offb 7,11f) Καὶ ὁ ἕβδομος ἄγγελος ἐσάλπισεν· καὶ ἐγένοντο φωναὶ μεγάλαι ἐν τῷ οὐρανῷ λέγοντες· (Offb 11,15) Καὶ οἱ εἴκοσι τέσσαρες πρεσβύτεροι [οἱ] ἐνώπιον τοῦ θεοῦ καθήμενοι ἐπὶ τοὺς θρόνους αὐτῶν ἔπεσαν ἐπὶ τὰ πρόσωπα αὐτῶν καὶ προσεκύνησαν τῷ θεῷ λέγοντες· (Offb 11,16f) καὶ ἤκουσα φωνὴν μεγάλην ἐν τῷ οὐρανῷ λέγουσαν· (Offb 12,10a) καὶ ᾄδουσιν τὴν ᾠδὴν Μωϋσέως τοῦ δούλου τοῦ θεοῦ καὶ τὴν ᾠδὴν τοῦ ἀρνίου λέγοντες· (Offb 15,3a) Καὶ ἤκουσα τοῦ ἀγγέλου τῶν ὑδάτων λέγοντος· (Offb 16,5a) Καὶ ἤκουσα τοῦ θυσιαστηρίου λέγοντος· (Offb 16,7a) Μετὰ ταῦτα ἤκουσα ὡς φωνὴν μεγάλην ὄχλου πολλοῦ ἐν τῷ οὐρανῷ λεγόντων· (Offb 19,1a) Καὶ δεύτερον εἴρηκαν· (Offb 19,3) Καὶ φωνὴ ἀπὸ τοῦ θρόνου ἐξῆλθεν λέγουσα· (Offb 19,5a) Καὶ ἤκουσα ὡς φωνὴν ὄχλου πολλοῦ καὶ ὡς φωνὴν ὑδάτων πολλῶν καὶ ὡς φωνὴν βροντῶν ἰσχυρῶν λεγόντων· (Offb 19,6a)
Der hymnenartige Vers 4,8c setzt ein, nachdem die Personengruppe der vier Lebewesen eingeführt worden ist (4,6f). Der sich anschließende Gesang wird als ununterbrochene Tätigkeit der Lebewesen charakterisiert (ἀνάπαυσιν οὐκ ἔχουσιν) und unmittelbar mit einem Partizip eingeführt (λέγοντες). Die gezielt partizipiale Verwendung betont den durativen Charakter der Tätigkeit. In 4,10 werden die 24 Ältesten in ihrer Tätigkeit beschrieben, wobei futurische Verben verwendet werden (προσκυνήσουσιν und βαλοῦσιν). Entscheidend ist, dass unmittelbar vor dem Gesang erneut die Partizipialform λέγοντες eingesetzt wird. Die Tätigkeit der lobpreisenden Anbetung wird erneut als durativ gekennzeichnet, zudem eine Gleichzeitigkeit von Gesten und Gesang vermittelt. Die Verwendung des Verbs λέγω bei beiden Versen impliziert weniger die Handlung des Singens, vielmehr einen gesprochenen Lobpreis. Die betroffene Personengruppe in 4,11 wächst von vier auf 24 an. In 5,8 interagieren die vier Lebewesen mit den 24 Ältesten. Dabei wird als Haupthandlung eine gemeinsame Proskynese geschildert (ἔπεσαν). Dadurch, dass sich ein Partizip Präsens anschließt, wird wiederum eine gleichzeitige durative Handlung impliziert (ἔχοντες). In V.9 werden beide Gruppen als gemeinsame Lobpreisgruppe des nächsten hymnenartigen Gesangs eingeleitet. Bemerkenswert ist die Verwendung des Verbs ἀείδω und die Rede von einem neuen Lied. An dieser Stelle wird erstmals der hymnenartige Gesang explizit als Gesang gekennzeichnet. Zu fragen ist dennoch, warum im Kontext des neuen Liedes unmittelbar das Partizip λέγοντες verwendet wird.
Funktion
In 5,11 wird als preisende Personengruppe die bereits thematisierte Engelschar eingeführt (μυριάδες μυριάδων καὶ χιλιάδες χιλιάδων) und in V.12 um den Zusatz φωνῇ μεγάλῃ erweitert. Der sich anschließende Lobpreis wird erneut partizipial eingeleitet und dadurch als durativ signalisiert. Die preisende Gruppe wird von 24 auf 10000-mal 10000 erweitert. In 5,13 öffnet sich die himmlische Szene, sodass die gesamte Schöpfung in einen Lobpreis verfällt (καὶ πᾶν κτίσμα). Bemerkenswert an der Szene ist die erlebnishafte Perspektive des Visionärs, der den anhaltenden Lobpreis – durch λέγοντας signalisiert – einmalig hört (ἤκουσα). Die hymnenartigen Gesänge von Offb 4–5 sind innerhalb einer szenischen Einheit verstreut. Die Menge der preisenden Personen wird stetig vermehrt. Die Reihenfolge der preisenden Gruppen ergibt sich zudem aus der Positionierung im himmlischen Thronsaal: Sie bewegen sich in konzentrischen Kreisen um den Thron Gottes. Der Lobpreis beginnt bei den vier Lebewesen, die dem Thronenden am nächsten stehen, und endet mit der gesamten Schöpfung, die über den himmlischen Thronsaal hinausgeht. In 7,9 sieht der Visionär eine Schar von Personen, die zu Gott schreit (κράζουσιν).50 In Anlehnung an 5,12 wird in V.10 der Zusatz φωνῇ μεγάλῃ aufgegriffen.51 Unmittelbar vor dem hymnenartigen Gesang erfolgt erneut das Signalwort λέγοντες. In 7,11 wird die Personengruppe aus 5,12 aufgegriffen: Alle Engel (πάντες οἱ ἄγγελοι) vollziehen eine Proskynese (προσεκύνησαν). In 7,12 schließt sich wiederum das Partizip λέγοντες an, das die Gleichzeitigkeit von Geste und Lobpreis signalisiert. Im Vorfeld von 11,15 spricht der Visionär recht unbestimmt von Stimmen im Himmel (φωναὶ μεγάλαι ἐν τῷ οὐρανῷ).52 Er vernimmt sie plötzlich (ἐγένοντο), doch als dem Gesang unmittelbar vorausgehende Verbform wird wieder das partizipiale λέγοντες verwendet. Einen Vers später werden erneut die 24 Ältesten als nächste Lobpreisgruppe beschrieben und Proskynese sowie Lobpreis als zeitgleich bestimmt. Dies wird erneut durch die Verwendung des partizipialen λέγοντες nach der Verbform προσεκύνησαν erzielt. In 12,10a wird der sich anschließende hymnenartige Gesang erneut aus der erlebnishaften Sicht des Visionärs angekündigt, das Erleben wiederum mit einer punktuell wirkenden Verbform unterstrichen (Aoristform ἤκουσα). Der Visionär hört erneut eine große Stimme im Himmel, die unbestimmt bleibt.53 Unmittelbar
50 Das Verb κράζω impliziert oft das inspirierte Sprechen. Vgl. Wengst, Recht, 23. 51 Es fällt auf, dass dieser Zusatz häufig als Einleitung von hymnenartigen Gesängen im Kontext großer Mengen von Personen eingesetzt wird. 52 Da erneut φωναὶ μεγάλαι verwendet wird, geht der Adressat der Offb von einer großen Personengruppe aus. 53 Dabei ist zu fragen, ob es sich um das unisono einer großen Schar handelt, was der Kontext hymnenartiger Passagen erklärt, oder ob an dieser Stelle nur eine Person spricht.
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vor dem hymnenartigen Gesang ist erneut eine Partizipialform zu lesen (λέγουσαν), die sich grammatikalisch auf die große Stimme bezieht. In 15,3 vernimmt der Visionär eine Gruppe von Siegern über das Tier (τοὺς νικῶντας ἐκ τοῦ θηρίου), welche den sich anschließenden Lobpreis singen und dabei kitharai tragen. In der Ankündigung dieses Gesangs wird wie in 5,9 explizit die Form des Singens betont (ᾄδουσιν). Als Unterschied ist jedoch anzumerken, dass es sich hier nicht um ein neues Lied handelt, sondern um das des Mose (τὴν ᾠδὴν Μωϋσέως), zugleich des Lammes (καὶ τὴν ᾠδὴν τοῦ ἀρνίου). Im Anschluss daran ist wie vor jedem hymnenartigen Gesang λέγοντες zu lesen. Der hymnenartige Gesang von 16,5 ist insofern herausragend, als ausnahmsweise eine einzelne Person den Lobpreis singt (ἤκουσα τοῦ ἀγγέλου). Das Erleben des Visionärs wird dabei erneut mit einer Aoristform artikuliert und als Signalwort das Partizip λέγοντος verwendet.54 Analog zur Einleitung des hymnenartigen Gesangs ist V.17 zu verstehen, wo vom Altar her (θυσιαστηρίου) eine Einzelperson einen Lobpreis von sich gibt. Dass es sich um eine Einzelperson handelt, ist an der grammatikalischen Form des Partizips λέγοντος erkennbar. Im Laufe der Offb wird die Identifizierung der lobpreisenden Personen immer unbestimmter, sodass in 19,1 der Visionär die lobpreisende Gruppe mithilfe eines Vergleichs definiert. Als bildliche Referenz wird eine mehrfach verwendete Metapher gewählt, die zumeist bei unzähliger Menge eingesetzt wird (ὡς φωνὴν μεγάλην). Unmittelbar vor dem Gesang wird wie immer eine Partizipialform von λέγω verwendet. Direkt nach dem hymnenartigen Gesang erfolgt die Überleitung zu einem weiteren Lobpreis in 19,3. Durch die grammatikalische Verbform εἴρηκαν und das Adverb δεύτερον wird signalisiert, dass dieselbe Personengruppe erneut zum Lobpreis ansetzt. Die Einleitung des hymnenartigen Gesangs in 19,3b fällt durch das Fehlen eines Partizips von λέγω auf. Die knappe Einleitung des Lobpreises erklärt sich damit, dass 19,1b–2 und 19,3b fast direkt aufeinanderfolgen und von derselben Personengruppe gesungen werden. In 19,5 wird erneut ein hymnenartiger Gesang einer Einzelperson zugeschrieben, da nur eine einzelne Stimme vom Thron her vernommen wird (φωνὴ ἀπὸ τοῦ θρόνου). Unmittelbar vor dem Gesang steht die sich auf die Stimme beziehende Partizipialform λέγουσα. Einen Vers später vernimmt der Seher (ἤκουσα) wieder eine Personengruppe als lobpreisend, die unzählbar ist. Der Klang der Gruppe scheint schwer beschreibbar zu sein, da der Visionär verschiedene Vergleiche anbringt: ὡς φωνὴν ὄχλου πολλοῦ καὶ ὡς φωνὴν ὑδάτων πολλῶν καὶ ὡς
54 Dabei ist unklar, warum der Engel sich grammatikalisch mit einem Genitiv an ἤκουσα anschließt, statt akkusativisch. Dementsprechend ist auch die Partizipialform genitivisch. Vgl. Haubeck/ Siebenthal, Schlüssel, 393.
Funktion
φωνὴν βροντῶν ἰσχυρῶν. Dem eigentlichen Lobpreis in 19,6b wird wieder eine
Partizipialform des Verbs λέγω vorangestellt. In den hymnenartigen Passagen von Offb 4–5 und dem unmittelbaren narrativen Kontext erzeugt das Zusammenspiel von Gesten und Worten beim Adressaten einen kultischen bzw. liturgischen Grundduktus.55 Im weiteren Verlauf werden die lobenden Personengruppen jedoch unbestimmter, was durch die Anhäufung von Vergleichssätzen deutlich wird. Zudem bleibt die Schilderung von zeitgleich vollzogenen Gesten der Personengruppen aus. Schematische Eigenschaften wie der Lobpreis Gottes durch Gruppen und die Verwendung des partizipialen Signalwortes bleiben häufiger aus.56 Dennoch ist unverkennbar, dass die hymnenartigen Gesänge in den narrativen Kontext nicht fragmentarisch eingesetzt, sondern organisch verwoben sind. Insgesamt zeigt sich dabei eine homogene Vorgehensweise durch den Autor. Für den Adressaten wird signalhaft angekündigt, dass mit den hymnenartigen Passagen entscheidende Verse folgen, denen besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. 2.2.4.2 Wiederaufgreifen der Narration
Für eine vollständige Kontextualisierung der hymnenartigen Gesänge im narrativen Kontext ist der Übergang von Gesang zu Erzählung zu untersuchen. Im Anschluss an den hymnenartigen Gesang in 4,11 wird in 5,1 die Erzählung des Visionären wieder aufgegriffen. Dabei wird signalhaft καὶ εἶδον an den Anfang des Verses gesetzt, um die Fortsetzung der visionären Schau zu kennzeichnen.57 Derselbe Übergang liegt nach dem hymnenartigen Gesang in 5,9b–10 vor. Das Ende der übrigen hymnenartigen Gesänge der Thronsaalvision wird durch die Einführung neuer Personengruppen kenntlich gemacht. Eingeleitet durch die Konjunktion καί wird z. B. in 5,13a der himmlische Thronsaal geöffnet und die gesamte Schöpfung als Lobende des folgenden Lobpreises angekündigt. Ähnlich verhält es sich mit 7,11, wo als Lobpreisgruppe die Kombination der vier Lebewesen, 24 Ältesten und aller Engel geschildert wird. Der Übergang in 7,13 bleibt recht unauffällig. Immerhin wird durch die Aoristform ἀπεκρίθη eine Änderung des szenischen Vorgangs signalisiert, in den der hymnenartige Gesang aus 7,12 eingebettet ist. In
55 Vgl. Gradl, Buch, 256. 56 Dass die wiederholt partizipiale Verwendung des Verbs λέγω Signalhaftigkeit besitzt, führt auch Jörns aus. Vgl. Jörns, Evangelium, 20. 57 Die Signalhaftigkeit wird deutlich im Vergleich mit anderen Versen, in denen die Erzählung nach einem hymnenartigen Gesang wieder aufgenommen wird. Vgl. Mathewson, aspect, 54 in Anlehnung an Aune, Revelation, 338; darüber hinaus Gradl, Buch, 222. Frey sieht in der Satzeinleitung καὶ εἶδον zudem ein Verbindungsglied zwischen den visionären Szenen. Vgl. Frey, Bildersprache, 161; Gradl, Buch, 250.
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11,16 wird erneut ein unauffälliger Übergang gestaltet, da in V.17 bereits der nächste hymnenartige Gesang einsetzt. Die kurze Überleitung zwischen den Gesängen wird mithilfe einer einsetzenden Handlung der 24 Ältesten geschildert (ἔπεσαν, προσεκύνησαν). Im Anschluss an den Gesang in 11,17–18 setzt ein neues Geschehen ein, das mithilfe der Aoristform ἠνοίγη eingeleitet wird. Nach den hymnenartigen Versen in 12,10b–12 wird der Anschluss an die visionäre Schilderung mithilfe eines Temporalsatzes gekennzeichnet (καὶ ὅτε εἶδεν). In Offb 15 ist ein signalhafter Übergang zu erkennen (καὶ μετὰ ταῦτα εἶδον). Die Signalhaftigkeit wird einerseits durch das temporale μετὰ ταῦτα, andererseits durch die Aoristform εἶδον erzielt. Das Verb signalisiert die visionäre Schau, die sich nach dem Gesang fortsetzt. In 16,6 wird der Anschluss der Erzählung an den hymnenartigen Gesang durch ein neues Medium erzielt: durch die Audition. Diese wird durch die Aoristform ἤκουσα deutlich. Dieser Vers dient erneut der Überleitung zu dem sich direkt anschließenden hymnenartigen V.7. Im Anschluss wird die Schalenvision weitergeführt, indem die Ausgießung der vierten Zornschale geschildert wird (καὶ ὁ τέταρτος ἐξέχεεν). Der narrative Charakter der visionären Ereignisse wird durch das Imperfekt ἐξέχεεν verdeutlicht, das sich vom elliptischen V.16,7b unterscheidet. In 19,3 wird durch einen kurzen Hinweis eine Überleitung vom hymnenartigen Gesang in 19,1b–2 und 19,3b vorgenommen. Auffällig ist bei den Anbindungen an den narrativen Kontext, dass das Medium der Audition dem der Vision vorgezogen wird. Dies zeigt sich an der Wiederholung von ἤκουσα in 19,1a.6a. In 19,4 wird der Übergang durch eine neu einsetzende Handlung signalisiert (καὶ ἔπεσαν οἱ πρεσβύτεροι), in 19,9 schließlich durch das Angesprochenwerden des Visionärs (καὶ λέγει μοι). Insgesamt fällt auf, dass die Signalhaftigkeit der narrativen Fortsetzung nach hymnenartigen Passagen unauffälliger ist als der Übergang von Visionsschilderungen zu hymnenartigen Passagen. 2.2.4.3 Formeln
Für die Herausstellung der Funktion hymnenartiger Passagen in der Offb ist eine Untersuchung von Formeln hilfreich.58 Es ist auffällig, dass sowohl in den hymnenartigen Passagen als auch in der visionären Erzählung formelhafte Wendungen verwendet werden. Im Folgenden werden ἄξιος-Formeln und Ewigkeitsformeln in den Blick genommen: τίς ἄξιος ἀνοῖξαι τὸ βιβλίον καὶ λῦσαι τὰς σφραγῖδας αὐτοῦ· Wer (ist) würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen? (Offb 5,2b)
58 Über die folgenden Formeln hinaus hat Schimanowski z. B. auf die doxologischen Formeln in 5,13.14 und 1,6 hingewiesen. Vgl. Schimanowski, Liturgie, 41.
Funktion
In der Thronsaalvision von Offb 4–5 fällt auf, dass die ἄξιος-Formel mehrfach verwendet wird (4,11; 5,9b; 5,12b). Die bewusste Wiederholung weist einen strophenartigen Charakter auf und scheint, die Szene insgesamt zu gliedern.59 Diese These wird u. a. dadurch veranlasst, dass diese Art von Formel ausschließlich in dieser Szene verarbeitet wird. Die Zusammengehörigkeit der Verse, in denen die ἄξιος-Formel verwendet wird, wurde bereits herausgestellt.60 An dieser Stelle ist V.2b zu untersuchen, der eine wörtliche Rede im Erzählkontext darstellt: Ein Engel ruft nach einer kompetenten Person, die das siebenmal versiegelte Buch öffnen kann, woraufhin sich zunächst keiner findet und der Seher mit Bestürzung reagiert.61 V.2b weist eine ἄξιος-Formel in der Form der drei hymnenartigen Verse auf: Nach dem Adjektiv ἄξιος schließt sich ein AcI an, welcher zwei Handlungen beinhaltet (ἀνοῖξαι und λῦσαι in Verbindung mit akkusativischen Zusätzen). Dadurch, dass diese Frage wie eine ἄξιος-Formel gestaltet und in der szenischen Einheit eingebettet ist, die drei weitere solcher Formeln aufweist, wird eine Verbindung hergestellt: Auf diese Weise wird die Frage aus 5,2b durch den hymnenartigen Gesang in 5,9b beantwortet. Diese Verbindung wird zudem durch die Verwendung desselben Vokabulars verstärkt.62 Im Folgenden werden Passagen aufgegriffen, die eine Ewigkeitsformel verwenden: Καὶ ὅταν δώσουσιν τὰ ζῷα δόξαν καὶ τιμὴν καὶ εὐχαριστίαν τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῷ θρόνῳ τῷ ζῶντι εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων (Offb 4,9) πεσοῦνται οἱ εἴκοσι τέσσαρες πρεσβύτεροι ἐνώπιον τοῦ καθημένου ἐπὶ τοῦ θρόνου καὶ προσκυνήσουσιν τῷ ζῶντι εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων (Offb 4,10)
Und sooft die Lebewesen Herrlichkeit, Ehre und Dank dem geben, der auf dem Thron sitzt, dem Lebendigen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] (Offb 4,9) werden die 24 Ältesten niederfallen vor dem Sitzenden auf dem Thron und dem Lebendigen huldigen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] (Offb 4,10)
Die Vv.9 und 10 schildern anbetende Handlungen zweier Personengruppen vor dem Thron Gottes. Wenn als Bezugsperson der anbetenden Handlung Gott erwähnt wird, erhält dieser als partizipiale Erweiterung eine Ewigkeitsformel. Diesbezüglich
59 Vgl. Jörns, Evangelium, 23. 60 Dies geschah im Rahmen der Aufbereitung des bergerschen Konzepts. Dabei wurde herausgestellt, dass in den entsprechenden Versen die Formel mit einer Reihung in Form einer AcI-Konstruktion verbunden wird. 61 Sein Weinen ist „Zeichen der außerordentlichen Ergriffenheit“. Schimanowski, Liturgie, 182. Womöglich ist die Emotionalität des Sehers mit seinem ekstatischen Zustand ἐν πνεύματι (4,2) durch die Visionen hindurch in Verbindung zu bringen. 62 In 5,9b liegt eine leichte Abwandlung vor: λαβεῖν τὸ βιβλίον καὶ ἀνοῖξαι τὰς σφραγῖδας αὐτοῦ.
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wurde herausgestellt, dass sie einerseits Abschlusscharakter haben, andererseits ausschließlich der Wesensbeschreibung Gottes dienen. Die Verwendung im narrativen Kontext ist ähnlich, da sich die Formel jeweils auf Gott und seine ewige Existenz bezieht. Es ist auffällig, dass die Formel in V.9f keinen Abschlusscharakter aufweist, da die Handlung weitergeführt wird. Erst in 5,13b, wo im letzten hymnenartigen Vers die Ewigkeitsformel erneut aufgegriffen wird, dient sie zum Abschluss der gesamten Szene. Dabei fällt eine interessante Verschränkung von hymnenartigem Gesang und narrativem Kontext auf: Häufig endet eine Ewigkeitsformel mit ἀμήν. Dieses erscheint jedoch nicht in 5,13b, sondern wird in V.14 narrativ nachgestellt. Dort wird geschildert, dass die vier Lebewesen den Gesang mit ἀμήν abschließen (καὶ τὰ τέσσαρα ζῷα ἔλεγον·ἀμήν). καὶ ὤμοσεν ἐν τῷ ζῶντι εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων
und er schwor bei dem Lebenden in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] (Offb 10,6)
In Offb 10 wird die Ewigkeitsformel wie in der Thronsaalvision auf Gott und seine Wesensart bezogen, wenn ein Engel einen Schwur ablegt. Der nächste hymnenartige Gesang in 11,15 unterscheidet sich davon, da die Verwendung einer Ewigkeitsformel diesmal auf die göttliche Herrschaftsausübung bezogen wird (καὶ βασιλεύσει εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων). καὶ ὁ καπνὸς τοῦ βασανισμοῦ αὐτῶν εἰς αἰῶνας αἰώνων ἀναβαίνει
und der Rauch ihrer Folterung steigt auf in Ewigkeiten von Ewigkeiten [hinein] (Offb 14,11)
Dieser Vers ist auffällig, da er drei Abweichungen von sonstigen Ewigkeitsformeln aufweist: Erstens wird die Formel diesmal nicht auf Gott bezogen, sondern auf Babylon. Zweitens bezieht sie sich auf eine Handlung und nicht auf eine Wesenseigenschaft, da das Aufsteigen des Rauchs als ewig gekennzeichnet wird. Drittens fehlen die Artikel, wodurch die Ewigkeitsformel knapper ausfällt. Während sie sonst eine positive Aussage abschließt, unterstreicht sie in 14,11 eine Strafe. Diese wird in Offb 14 zunächst angekündigt und in 19,3 ausgeführt. Dort wird eine ähnliche Formulierung in einem hymnenartigen Vers aufgegriffen.63 ἓν ἐκ τῶν τεσσάρων ζῴων ἔδωκεν τοῖς ἑπτὰ ἀγγέλοις ἑπτὰ φιάλας χρυσᾶς γεμούσας τοῦ θυμοῦ τοῦ θεοῦ τοῦ ζῶντος εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων
einer von den vier Lebewesen gab den sieben Engeln sieben goldene Schalen voll seiend des Zornes des lebendigen Gottes in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] (Offb 15,7)
63 Dort heißt es καὶ ὁ καπνὸς αὐτῆς ἀναβαίνει εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων.
Funktion
Offb 15,7 ist vergleichbar mit bereits thematisierten Ewigkeitsformeln im narrativen Kontext: Hier wird die Formel erneut auf Gottes Wesenseigenschaft der ewigen Existenz bezogen. Dabei werden im Gegensatz zu 14,11 wieder Artikel verwendet. καὶ ὁ διάβολος ὁ πλανῶν αὐτοὺς ἐβλήθη εἰς τὴν λίμνην τοῦ πυρὸς καὶ θείου ὅπου καὶ τὸ θηρίον καὶ ὁ ψευδοπροφήτης, καὶ βασανισθήσονται ἡμέρας καὶ νυκτὸς εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων
und der sie in die Irre führende Teufel wurde in den See des Feuers und Schwefels hinabgeworfen, wo auch das Tier und der falsche Prophet [sind], und sie werden Tag und Nacht gefoltert werden in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] (Offb 20,10)
Offb 20,10 schildert die Urteilsvollstreckung an dem Teufel. Am Ende wird eine Ewigkeitsformel verwendet und dabei auf den Bestraften bezogen, nicht wie sonst auf Gott. Sie betrifft zudem keine Wesenseigenschaft, sondern die Handlung des Folterns (βασανισθήσονται). Es fällt auf, dass die Ewigkeitsformel auf andere Personen bezogen wird, wenn sie im Kontext von Gerichtsrede und Verurteilung zum Einsatz kommt (14,11; 20,10). Insgesamt wird sie im narrativen Kontext außer an zwei Stellen auf Gottes Wesensart bezogen und wirkt wie eine bekenntnishafte Wendung des Autors selbst, wenn er über Gott spricht. 2.2.4.4 Reihungen
Aufgrund einer kurzen Reihung ist Offb 4,9 erneut anzuführen: Καὶ ὅταν δώσουσιν τὰ ζῷα δόξαν καὶ τιμὴν καὶ εὐχαριστίαν τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῷ θρόνῳ τῷ ζῶντι εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων
Und sooft die Lebewesen Herrlichkeit, Ehre und Dank dem geben, der auf dem Thron sitzt, dem Lebendigen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten [hinein] (Offb 4,9)
Zwei Verse später wird erneut eine Reihung verwendet, diesmal im hymnenartigen Kontext, und dabei zwei der drei Bestandteile aus V.9 aufgegriffen (τὴν δόξαν καὶ τὴν τιμὴν καὶ τὴν δύναμιν). Selbst die grammatikalische Form stimmt überein. Es ist jedoch einzuräumen, dass in 4,11 im Gegensatz zu V.9 Artikel verwendet werden. Im hymnenartigen Kontext verstärkt die Verwendung von Artikeln den hyperbolischen Effekt. An mehreren Stellen werden personenbezogene Reihungen im narrativen Kontext verwendet: οὐδεὶς ἐδύνατο ἐν τῷ οὐρανῷ οὐδὲ ἐπὶ τῆς γῆς οὐδὲ ὑποκάτω τῆς γῆς ἀνοῖξαι τὸ βιβλίον οὔτε βλέπειν αὐτό (Offb 5,3)
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Formale Analyse
καὶ πᾶν κτίσμα ὃ ἐν τῷ οὐρανῷ καὶ ἐπὶ τῆς γῆς καὶ ὑποκάτω τῆς γῆς καὶ ἐπὶ τῆς θαλάσσης καὶ τὰ ἐν αὐτοῖς πάντα (Offb 15,3a)
keiner in dem Himmel, auch nicht auf der Erde, auch nicht unter der Erde vermochte, das Buch zu öffnen oder es zu sehen (Offb 5,3) Und jedes Geschöpf, welches in dem Himmel, auf der Erde, unter der Erde, auf dem Meer und alles in ihnen (ist) (Offb 5,13a)
In 5,3 wird mithilfe einer solchen Reihung ein Negativbefund unterstrichen. Dabei werden Lebewesen verschiedener Lebensräume aneinandergereiht, um die fehlende Kompetenz der gesamten Schöpfung zu betonen. Insbesondere die Aufteilung in Himmel, Erde und Unterirdisches (sowie Meer) ist ein gängiges Stilmittel griechischer Dichtung.64 Eine ähnliche Reihung erfolgt in 5,13a unmittelbar vor einem hymnenartigen Gesang. Dort wird jedes Lebewesen aufgezählt, das den folgenden Lobpreis an Gott und das Lamm richtet (5,13b). In diesem Vers wird die Reihung für eine positive Aussage verwendet. βλέπουσιν ἐκ τῶν λαῶν καὶ φυλῶν καὶ γλωσσῶν καὶ ἐθνῶν τὸ πτῶμα αὐτῶν ἡμέρας τρεῖς καὶ ἥμισυ
aus den Völkern, Stämmen, Sprachen und Nationen sehen (welche) ihren Leichnam drei Tage und einen halben (Offb 11,9)
Die Reihung in 11,9 fällt dadurch ins Auge, dass sie analog zu 5,9b zu lesen ist: Alle vier verwendeten Begriffe der Reihung werden dort bereits erwähnt65 und stellen eine formelhafte Wendung zur Beschreibung eines universalen Gesichtspunkts dar. Dass es sich um ein hyperbolisches Stilmittel handelt, ist mit Blick auf die Semantik der Begriffe zu sehen. Alle vier Begriffe haben zwar ihre eigene Nuance, stellen aber semantisch gesehen eine Wortfamilie dar. Die Verwendung von Reihungen im narrativen Kontext wirkt wie ein Spiegel des religiösen Verständnisses des Autors. Die hyperbolische Färbung des narrativen Kontexts veranlasst den Adressaten dazu, die Visionsschilderung weniger als objektive Wiedergabe eines Erlebnisses anzusehen, sondern vielmehr als gläubiges Bekenntnis des Autors hinter dem Erzählten.
64 Elliger führt z. B. auf, wie die kosmischen Elemente „Himmel“, „Erde“, „Unterirdisches“ und „Meer“ u. a. im hymnischen Kontext verarbeitet werden. Vgl. Elliger, Darstellung, 368–370. 65 Dort wird jedoch eine andere Reihenfolge verwendet: ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους.
Herkunft
2.3
Herkunft
Wie im vorherigen Kapitel herausgestellt worden ist, besteht die Funktion der hymnenartigen Gesänge im Gesamtkontext der Offb in der Umformung des in apokalyptischen Bildern geschilderten Katastrophenberichts zu einer Heilsbotschaft.1 Konkret wird dies durch die Gesänge als reflexive Einschübe erreicht, die die vorausgegangenen Visionen und Bilder theologisch deuten. Zudem bereiten die hymnenartigen Gesänge Visionen vor, indem sie deren theologischen Gehalt antizipieren (z. B. 19,6b–8). Die sprachliche Analyse zeigte zudem die Komplementarität des Vokabulars, insbesondere der Verben (z. B. δίδωμι und λαμβάνω). Da in der Gesamtbetrachtung von Visionen und hymnenartigen Gesängen eine chronologische Analogie erkennbar ist, stellt sich die Frage nach der Einheitlichkeit der Offb. „Zu Recht wurde in den letzten Jahren vermehrt die Aufmerksamkeit auf die Kohärenz des gesamten Werkes gelenkt.“2 Aufgrund der bisherigen formgeschichtlichen Untersuchungen und der funktionalen Analyse der Gesänge kann man schlussfolgern, dass die Gesänge Produkt des Autors selbst sind. Dies widerspricht nicht der Möglichkeit, dass bestehende Traditionen in die Abfassung von hymnenartigen Gesängen eingeflossen sind. Ganz auszuschließen ist jedoch die These, dass eine bestehende vollständige Liturgie in der Offb verarbeitet werde.3 Es ist eher davon auszugehen, dass die himmlischen Gesänge der Offb eine derart wirkungsgeschichtliche Resonanz erfahren haben, dass sie in christlichen Liturgien „ihren vornehmsten Wirkungsort gefunden“ haben.4 Der liturgische Charakter hymnenartiger Gesänge wurde zwar kontinuierlich herausgestellt, jedoch als Vorlage für die Liturgie, nicht umkehrt.5 Die Einheitlichkeit des Texts kann schon deshalb angenommen werden, weil keine textgeschichtlichen Indizien dafür zu finden sind: „Nirgendwo tradieren Papyri oder alte Codices Teile der Apk gesondert oder finden in Drittschriften literarische Dubletten zu einzelnen ihrer
1 „Dass diese Hymnen von Himmlischen, von Vollendeten […] gesungen werden, legitimiert ihre Botschaft: die [sic!] Vollendeten sind Unterpfand für den Glauben der Gemeinde an die auch ihr verheißene Vollendung.“ Jörns, Evangelium, 174. 2 Schimanowski, Liturgie, 37; ähnlich Taeger, Veröffentlichungen, 41: „eine durchdachte Komposition“. 3 Läuchli sieht hinter den hymnenartigen Passagen eine christliche Liturgie, insbesondere im Vergleich mit Justin und der Didache. Vgl. Läuchli, Gottesdienststruktur, 370–371. Ebenso Bousset: „Das sind die […] Hymnen, deren Form wohl bereits dem christlichen Gottesdienst entlehnt ist.“ Bousset, Offenbarung, 18. Ansonsten wird häufig eine Analogie zu jüdischen Liturgien herausgestellt: Mowry, Revelation; Piper, Apocalypse; Thompson, book uvm. 4 Berger, Apokalypse, 106. 5 Es ist z. B. auf Amalarius v. Metz hinzuweisen, der im 8. Jh. eine Auslegung der Offb im Kontext von liturgischen Abhandlungen vorgenommen hat. Vgl. Bergers Zusammenfassung in Berger, Apokalypse, 159.
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Formale Analyse
Visionen.“6 Die literarkritischen Untersuchungen Vischers, Spittas u. a. zweifeln eine literarische Einheit an, sind durch ihre eigenen zeitgeschichtlichen Kontexte allerdings beeinflusst.7 Auch in jüngerer Zeit entkräftet die textgeschichtliche sowie sprachliche Einheit der gesamten Offb die meisten literarkritischen Modelle, die das Gegenteil zu beweisen versuchen.8 Plausibel bleibt die Fragmententhese, nach der ein einziger Autor verschiedene Quellen verarbeitet. Doch selbst bei Annahme der Fragmententhese muss danach gefragt werden, wie der Autor mithilfe von bereits bestehenden Quellen eine derart exakte theologische Komplementarität zwischen Gesängen und Narration herstellen konnte. Die einzig schlüssigen Erklärungsansätze sind a) eine Abfassung der Visionsschilderung um die bereits bestehenden Gesänge herum oder b) eine selbstständige Abfassung beider Teile unter Bezugnahme formaler und semantischer Traditionen.9 Für Hypothese a) finden sich jedoch keine textgeschichtlichen Hinweise: Es finden sich keine Handschriften, die ausschließlich die himmlischen Gesänge beinhalten und älter datiert sind als Handschriften mit dem Gesamttext. Es ist also eher davon auszugehen, dass der Autor die gesamte Offb selbst abgefasst hat (b). Die sprachliche, formale und theologische Vielschichtigkeit des Texts weist darauf hin, dass der Autor sich dabei von verschiedenen Traditionen und Vorstellungen hat beeinflussen lassen. Dieser Überlegung wird im Zuge der Motivanalyse eingehender nachgegangen. Diese berücksichtigt neben traditionskritischen und rezeptionsästhetischen Aspekten die soziologische Dimension hinter der gesamten Offb, im Besonderen hinter den hymnenartigen Passagen. Für diese kann eine eigenständige Abfassung des Autors angenommen werden, der sich jedoch formal von zeitgenössischen Gesängen verschiedener religiöser Kontexte hat inspirieren lassen.10 Der Gesamttext der Offb
6 Karrer, Offb, 82. 7 Es handelt sich um die Abhandlungen von Charles, commentary; Spitta, Offenbarung; Vischer, Offenbarung uvm. Für eine Zusammenfassung der literarkritischen Hauptargumente vgl. Karrer, Offb, 82f. Die Blütezeit der Literarkritik ist in eine Zeit antijudaistischer Tendenzen zu datieren, die Einfluss auf die Exegese der Offb genommen haben. Demnach werden unverständliche und „dumpfe“ (Gunkel, Schöpfung, 396) Abschnitte der Offb als jüdische Vortexte abgespalten. 8 Zu nennen sind die Kompilations-, Bearbeitungs-, Redaktions- sowie die Fragmententhese. Detailliert nachzulesen bei Karrer, Offb, 84. 9 Hahn fasst zusammen: „Zwar hat der Verfasser dem Werk in allen Teilen seinen eigenen Stempel aufgedrückt, aber es kann doch nicht zweifelhaft sein, dass er sich vorgegebener Gattungen und geprägten Formelgutes sowie überlieferter Schemata bedient hat.“ Hahn, Bekenntnisbildung, 560. 10 So auch Roloff, wenn auch nicht auf verschiedene religiöse Verehrungen bezogen: „Sicher hat Johannes hier jeweils an Elemente und Ausdrucksformen des Gottesdienstes seiner Zeit angeknüpft, aber er hat die hymnischen Stücke, wie die kunstvolle Sprache verrät, im wesentlichen [sic!] selbst gedichtet.“ Roloff, Offenbarung, 22. Er „wrote new hymns for their present context making use of some traditional Jewish and Christian and liturgical traditions and forms, including the hallelujah, the amen, the sanctus […], doxologies […] and acclamations […].“ Aune, Revelation, 315f.
Zwischenfazit
kann aufgrund der durchgeführten Analyse des Aufbaus sowie der Funktion der hymnenartigen Gesänge als insgesamt homogenes Werk eingeschätzt werden, das die Feder eines einzigen Autors erkennen lässt.11
2.4
Zwischenfazit
Im ersten Hauptteil (2) wurde eine formgeschichtliche Herangehensweise an die hymnenartigen Passagen der Offb gewählt, bei der ein formgeschichtlicher Textvergleich mit den OH vorgenommen worden ist. Als Konzept für Analyse und Textvergleich wurde das Abstufungsmodell Bergers mit kritischen Vorbehalten aufgegriffen sowie weiterentwickelt. Für eine erste Bestandsaufnahme der bisherigen Ergebnisse ist danach zu fragen, welche der in der Einleitung der Studie formulierten Fragestellungen bereits beantwortet werden können und welche offengeblieben sind. Zunächst wurde die Frage nach ὕμνοι im NT gestellt, die antiken griechischen Standards gerecht werden. Die Anwendung (2.1.1) und Weiterentwicklung (2.1.2) des bergerschen Konzepts hat ermöglicht, eine nicht zu unterschätzende Menge an hymnenartigen Formelementen herauszuarbeiten. Dabei sind Reihungen von Gottes- und Christusepitheta sowie die Aufzählung der Taten Gottes und Christi besonders augenfällig geworden. Zudem wurde ein semantischer Pool herausgestellt, der für griechische ὕμνοι spezifisch ist. Zugleich hat die detaillierte formgeschichtliche Analyse ergeben, dass die Hymnenartigkeit in der Offb ihre ganz individuellen Eigenarten aufweist: So überwiegen Nominativformen bei Epiklesen, es fallen die für griechische ὕμνοι entscheidenden Bittabschnitte weg und werden durch ein ungewöhnlich hohes Maß an Lobelementen ersetzt. Syntaktische Eigenarten betreffen das hohe Maß an Parataxen, welche mithilfe der Konjunktion καί gestaltet werden, und Reihungen als AcI. Hypotaxen werden meist partizipial oder kausal umgesetzt, wobei häufig die Konjunktion ὅτι verwendet wird. Anhand dieser Abweichungen gegenüber paganen Konventionen wird ersichtlich, dass die formale Gestaltung der Offb sich zwar an den Standards antiker griechischer ὕμνοι orientiert, durch Abweichungen und Akzentuierungen jedoch autonom bleibt. Dies zeigt sich auch daran, dass gewisse Formelemente wie die Thematisierung der Herkunft Gottes oder seines Gesalbten sowie Gottes Einzigkeit irrelevant bleiben. Durch die Verwendung von ἄξιος-, δίκαιος- oder Ewigkeitsformeln kommen ganz eigene Formelemente hinzu. 11 So auch Swete, der die zahlreichen Referenzen auf das AT mit hoher redaktioneller Autonomie des Autors feststellt. Vgl. Swete, apocalypse, LIII. Schüssler Fiorenza stellt die kompositionelle Kompetenz und narrative Struktur des Gesamtwerkes heraus, das auf einen einzigen Autor schließen lässt. Vgl. Schüssler Fiorenza, Offenbarung, 52–56.
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168
Formale Analyse
Als weitere Fragestellung dieser Studie wurde die Vergleichbarkeit der Offb mit paganen Referenztexten aufgegriffen. Die differenzierte Analyse der Offb hat ergeben, dass weitere Formelemente zu beobachten sind (2.1.2), die sich der ersten Kategorie des bergerschen Konzepts zuordnen lassen wie die Selbstaufforderung zum Lob oder der Begriff der Ewigkeit. Auch wenn diese Elemente wiederum ganz individuell umgesetzt werden, z. B. die Verwendung des Ewigkeitsbegriffs in Form einer Abschlussformel, besteht eine Nähe zur ersten Kategorie des bergerschen Modells, dem die OH zuzuordnen sind. Die Übereinstimmungen zwischen den Kategorien vereinfachten den Textvergleich der Offb mit den OH. Letztere sind zuvor eingeführt (2.1.3–4) sowie für das bergersche Modell aufbereitet worden (2.1.5). Die dritte Fragestellung betraf die Ergebnisse eines Textvergleichs zwischen Offb und OH. Auch im Textvergleich (2.1.6) hat sich die grundsätzliche Beobachtung bestätigt, dass die Offb einerseits strukturelle Analogien zu paganen ὕμνοι, andererseits bewusst abweichende Schwerpunkte aufweist: Auch wenn beide Textquellen Reihungen aufweisen, werden diese sprachlich unterschiedlich konstruiert. Während in der Offb als Bindeglied die Konjunktion καί verwendet wird, verzichten die OH entweder ganz auf Konjunktionen, setzen Kommata oder verwenden τε. Die Plerophorie der Offb entsteht teilweise durch die konsequente Verwendung von Artikeln. Dagegen werden diese in den OH fast durchgehend vermieden. Während in der Offb Koine-Griechisch verwendet wird, bedienen sich die OH häufig des epischen Dialekts. Die theologisch unterschiedlichen Kontexte der Quellen veranlassen zu unterschiedlicher Gewichtung von genealogischen Formelementen und verschiedenen Theologumena. Die auf den ersten Blick analogen Formelemente wie der Begriff der Ewigkeit werden unterschiedlich ausgefaltet. Während der Ewigkeitsbegriff der Offb apokalyptisch gedacht wird, Ewigkeit also den Abbruch der Weltgeschichte einbezieht, wird er im paganen Kontext auf die unaufhörliche Weiterführung des Irdischen bezogen. Der Textvergleich hat zudem gezeigt, dass trotz der Analogie von göttlichen Wesenseigenschaften entscheidende Unterschiede zu beobachten sind. Die völkerchristlichen Adressaten der Offb werden solche Eigenschaften aus dem paganen Kontext, zugleich die Abweichungen erkannt haben. Dies betrifft z. B. die Schöpfertätigkeit oder die soteriologische Funktion von Gottheiten. In der Offb ist die Tendenz einer Universalisierung solcher Tätigkeiten zu beobachten, was sich u. a. mit dem monotheistischen Gottesbild der Offb erklären lässt. Überdies werden aus dem paganen Kontext bekannte göttliche Wesenseigenschaften neu definiert. Dies betrifft z. B. den Begriff der Soteriologie, der in der Offb nicht bloß die solidarische Anwesenheit beim Preisenden impliziert, sondern den Sühnetod des Gepriesenen. Während der erste vergleichende Blick auf die beiden Textquellen eine Übereinstimmung bei Prädikationsformeln aufweist, wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass die Interpretationen dieser formelhaften Satzanfänge in unterschiedliche Rich-
Zwischenfazit
tungen verlaufen: In den OH werden Prädikationsformeln zumeist als rhetorisches Stilmittel verwendet, um die Gottheit gnädig zu stimmen. Davon lässt sich jedoch keine theologische Aussage ableiten. Dies betrifft z. B. die Alles-Prädikation, mithilfe derer ausgesagt wird, dass die Gottheit alles geschaffen habe, alles beherrsche etc. In der Offb ist die Alles-Prädikation weniger Stilmittel und vielmehr wörtlich zu verstehen, sodass theologische Aussagen wie die Alleinherrschaft oder die universale Schöpfertätigkeit Gottes daraus abgeleitet werden. Die Untersuchung der Funktion der hymnenartigen Passagen in der Offb (2.2) hat gezeigt, dass sie genauso Produkt des Autors sein müssen wie die Visionsschilderungen. Ihre reflektierende und interpretierende Funktion sowie ihre heilsgeschichtliche Perspektive vermitteln den Adressaten die Hoffnungsbotschaft hinter einer apokalyptischen Katastrophe. Auch wenn die typische Dreiteiligkeit von ὕμνοι in der Offb nicht mehr gegeben bzw. verändert ist, wird den Adressaten durch hervorstechende und gewichtige Formelemente eine Assoziation mit paganen ὕμνοι nicht entgangen sein. Zugleich werden sie eine Akzentverschiebung wahrgenommen haben: die reine Anbetung statt Kontrollierung einer Gottheit. Die Untersuchung der Funktion der hymnenartigen Passagen im narrativen Gesamtkontext förderte eine beachtliche Analogie beider chronologischen Abfolgen sowie eine ausgearbeitete textliche Komplementarität zutage, was zu der Frage nach der Einheitlichkeit des Textes sowie Autors veranlasst. Dieser wurde im Kapitel „Herkunft“ nachgegangen (2.3). Aufgrund der Beobachtungen der vorangegangenen Kapitel ist die These formuliert worden, dass sowohl die hymnenartigen Passagen als auch der narrative Kontext aus derselben Feder stammen, dabei zugleich die Varietät von Traditionen erkennbar wird, die den Autor beeinflusst haben. Die literarkritische These einer älteren Hymnensammlung, auf die der Verfasser zugegriffen habe, ist aufgrund von fehlenden Belegen haltlos. Die Offb ist ausschließlich als ganze überliefert. Auch wenn aus formaler Sicht der Kern paganer ὕμνοι in der Offb feststellbar ist, darf dies über die zahlreichen formalen Unterschiede nicht hinwegtäuschen. Der Charakter der hymnenartigen Passagen in der Offb ist zwar dem von paganen ὕμνοι ähnlich, doch relativiert die stark abweichende Funktion dieser Gesänge eine eindeutige Hymnenartigkeit. Infolgedessen ist infrage zu stellen, ob die Adressaten die Passagen der Offb durch die herausgestellten formalen Beobachtungen als ὕμνοι verstanden haben. Umso mehr ist eine weitere Herangehensweise aus anderer Perspektive vonnöten, die auf die hermeneutische Kompetenzfrage der Adressatenschaft abzielt. Dafür bietet sich eine Motivanalyse an, in welcher der Verständnishorizont v. a. der völkerchristlichen Adressaten geprüft und die hermeneutische Nähe zu paganen Traditionsfeldern nachgezeichnet wird. Aus diesem Grund schließt sich als zweiter Hauptteil eine Motivanalyse an.
169
3.
Motivanalyse
„Apokalyptische Theologie bedient sich einer Art ‚mythologischer Bildersprache‘, die nur für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe mit entsprechendem Bildungswissen verständlich ist (‚Soziolekt‘, codierte Sprache).“1 Diese Feststellung Schreibers trifft insbesondere auf die Sprache der Offb zu, die als „Bilderbuch“2 solche Bilder verwendet, die als Träger von Information und Emotion fungieren.3 Der komplexe Soziolekt der Offb erfordert sowohl für die primären Adressaten als auch für die heutige Interpretation des Textes ein derart hohes Maß an „Decodierungsarbeit“, dass eine gründliche Motivanalyse vonnöten ist. Hierfür muss „eine regelrechte ‚Sprache‘“ erlernt werden, „deren Vokabeln man lernen und beherrschen muss, wenn man die Aussagen verstehen will.“4 Der zu decodierende Aufwand in der Offb ist dabei derart hoch, dass eine Auswahl von Kapiteln der Offb vonnöten ist. In Anlehnung an die Definition und Strukturierung bei Söding/ Münch umfasst die Motivanalyse synchrone und diachrone Arbeitsschritte, die die Motivik eines Texts erschließen. Im Anschluss an eine Festlegung des Textbestands werden Lexeme5 zunächst im Text identifiziert, auf ihren Bedeutungsgehalt hin untersucht und ihr Verwendungszusammenhang betrachtet, bevor sich eine diachrone Analyse anschließt.6
3.1
Vorverständigung über die Textauswahl
Ein erster Blick auf den Gesamtbestand der Offb fördert eine derart hohe metaphorische Dichte zutage, dass eine gründliche Untersuchung des Gesamtbestands im Rahmen einer Dissertation unmöglich ist.7 Von daher ist eine Vorauswahl zu
1 2 3 4 5
Schreiber, Offenbarung, 559. Frey, Bildersprache, 162, Vgl. Glonner, Bildersprache, 52–55. Siegel, Offenbarung, 5. Im Kontext von semantischen Untersuchungen werden die zu untersuchenden Begriffe als „Lexem“ bezeichnet, die einzelnen Konnotationen bzw. Bedeutungen als „Sem“ und das Gesamtkonstrukt von Bedeutungen als „Semem“ bezeichnet. Vgl. Greimas, Semantik. 6 Vgl. Söding/Münch, Methodenlehre, 117. 7 Karrer vergleicht mit Verweis auf Biguzzi die metaphorische Dichte der Offb mit griechischer Dichtung, insbesondere mit griechischen Tragödien. Vgl. Karrer, Motive, 44; ebenso Schreiber, Offenbarung, 564. Whitaker stellt die starke Visualisierung von Kult als Charakteristikum griechischrömischer Religiosität heraus. Vgl. Whitaker, Ekphrasis, 13.
172
Motivanalyse
treffen, die einerseits eine gründliche Motivanalyse und ein überschaubares semantisches Inventar gewährleistet, andererseits einen repräsentativen Eindruck der Motivik in der Offb verleiht. Einer Auswahl müssen plausible Kriterien zugrunde liegen: a) Die Textabschnitte sollen so viele Lexeme wie möglich beinhalten, die den festgelegten Wortfeldern zugeordnet werden können: Personen, Handlungen, Attribute, Orte, Worte. b) Die vorliegenden Lexeme sollen möglichst unterschiedlicher Art sein: Personen, Handlungen, Attribute, Orte, Worte. c) Die Textabschnitte sollen die Sänger der hymnenartigen Gesänge sowie den/die Besungenen schildern. d) Die Textabschnitte sollen demnach hymnenartige Gesänge beinhalten.8
Punkt a) ist vonnöten, da in einer Motivanalyse motivisch dichte Texte die prägnantesten Beispiele darstellen. Punkt b) ist insofern einzubeziehen, als das Kriterium der Quantität allein keine gründliche Motivanalyse gewährleisten kann. Vielmehr verringert das Kriterium der Qualität die Gefahr einer einseitigen Untersuchung. Punkt c) muss berücksichtigt werden, weil die hymnenartigen Gesänge in der Motivanalyse einen Vorrang besitzen. Es sollen demnach nur solche Texte einbezogen werden, in denen die preisende Personengruppe geschildert wird. Entscheidend ist auch die Beschreibung des oder der Gepriesenen, da die Interpretation des Lobpreises davon abhängt.9 Punkt d) sieht vor, dass nur jene Texte verwendet werden sollen, in denen überhaupt hymnenartige Gesänge vorkommen. Prüft man die Offb anhand dieser vier Kriterien, ergibt sich folgende engere Auswahl an Kapiteln: 4 5 7 11 12 15 16 19. Betrachtet man jene Kapitel, in denen hymnenartige Verse verarbeitet sind, lassen sich folgende fünf Kapitel für die endgültige Auswahl heranziehen: 4 5 7 11 15. Diese Auswahl ergibt sich dadurch, dass in den Kapiteln die meisten hymnenartigen Verse vorkommen und möglichst unterschiedliche Lexeme zu Wortfeldern zusammengefasst werden können. Die Kapitel 4, 5 und 7 sind optimal für die Motivanalyse, weil sie zugleich die meisten hymnenartigen Gesänge mit jeweiliger Personengruppe aufweisen. Kapitel 15 hat nur einen Gesang, steht in der Vielzahl der analysierbaren Lexeme den anderen Kapiteln jedoch in nichts nach. Kapitel 11 weist zwar wie das ausgeschiedene Kapitel 16 zwei hymnenartige Gesänge auf, doch bleibt eine der Gesangsgruppen unbekannt. Die Entscheidung zwischen 11 und 16
8 Die Kriterien stellen das Ergebnis eigener logischer Betrachtungen dar. 9 Beispielsweise charakterisiert die einem Gesang vorausgehende Schilderung einer priesterlichen Figur mit Kultgegenständen in der Hand (Offb 5,8) den Gesang selbst als Kultgesang (Offb 5,9.12.13).
Semantisches Inventar
fällt aufgrund der zahlreicheren potenziellen Motive innerhalb der Gesänge auf Kapitel 11.
3.2
Semantisches Inventar
Der erste Zugang erfolgt rein synchron, d. h. der Text wird in seiner Endgestalt analysiert (Offb 4,5,7,11,15). Ein Text stellt in seiner Endgestalt eine durchdachte Komposition von Lexemen mit ihren Semen und Sememen dar, die zunächst in Augenschein genommen werden muss, bevor traditionskritische und rezeptionsästhetische Analysen sich daran anschließen, die die eigentliche Motivanalyse darstellen. Eine getrennte Betrachtung nach Wortfeldern ermöglicht eine vertiefte Sicht auf die einzelnen Bestandteile und deren Interpretation. Durch die Anordnung von Lexemen zu Gruppen in einem bestimmten Kontext kann ihr Bedeutungsgehalt umfassender betrachtet werden. Bei der Sichtung der verschiedenen Lexeme werden folgende Wortfelder ausgewählt: Personen und ihre Attribute (z. B. Bekleidung, Gegenstände und Farben), Handlungen der Personen, Orte, Zeitangaben, Zahlen und wörtliche Rede. Die genannten Wortfelder werden szenenweise gesichtet. 3.2.1
Der himmlische Thronsaal I (Offb 4,1–11)
Personen und ihre Attribute
Zu Beginn von Offb 4 wird eine als bekannt vorausgesetzte Stimme eingeführt, die zuvor mit dem Visionär kommuniziert hat (4,1 ἡ φωνὴ ἡ πρώτη ἣν ἤκουσα). Die maskuline Partizipialform λέγων, zu dem das feminine φωνή als Bezugswort nicht passt, veranlasst zu einer Bezugnahme auf Offb 1,10, wo die Stimme erstmals thematisiert wird. In 1,13 wird bekannt, dass sie dem „Menschensohngleichen“ gehört (ἐν μέσῳ τῶν λυχνιῶν ὅμοιον υἱὸν ἀνθρώπου). Das Partizip in Offb 4 bezieht sich womöglich auf die bereits bekannte maskulin beschriebene Figur.10 Der Autor der Offb verwendet häufig nicht das grammatikalisch übliche Genus, sondern nimmt eine constructio ad sensum vor.11 In Offb 4 erscheint zum ersten Mal der Thronende (4,2 ἐπὶ τὸν θρόνον καθήμενος). Er bleibt an dieser Stelle noch namenlos und wird erst in 4,8c als κύριος eingeführt.12 Nur zu Beginn und zum Ende des Kapitels wird statt der partizipialen Umschreibung der Begriff θεός verwendet.13 Der Thron als Attribut des Thronen10 Vgl. Giesen, Offenbarung, 147; Maier, Offenbarung, 257. 11 Vgl. Karrer, Offb, 436. 12 Die Artikellosigkeit des Begriffs zeigt, dass es sich um den „Gott des hebräischen Tetragramms“ handelt. Karrer, Offb, 428. 13 Vgl. Moloney, Apocalypse, 90.
173
174
Motivanalyse
den ist das Leitmotiv von Offb 4–514 und wird insgesamt 47-mal verwendet, in Offb 4,1–11 siebenmal.15 Es ist auffällig, dass der Thron noch vor dem Thronenden selbst thematisiert wird.16 Das Aussehen der Person wird nicht direkt beschrieben, jedoch mithilfe von Vergleichen umschrieben.17 Dabei werden die Edelsteine Jaspis und Karneol/Sarder genannt (4,3).18 Um den Thron herum wird ein Regenbogen gleich einem Smaragd beschrieben (4,3 ἶρις κυκλόθεν τοῦ θρόνου ὅμοιος ὁράσει σμαραγδίνῳ). Die farbliche Zuordnung von „Regenbogen“ und „Smaragd“ ist unlogisch und bedarf einer näheren motivanalytischen Betrachtung. Die Bedeutung von Farben ist für die Offb bezeichnend.19 Die daraufhin eingeführte Personengruppe umfasst 24 Älteste auf 24 Thronen um den mittigen Thron herum (4,4). Im Gegensatz zum mittig Thronenden werden konkrete Aussagen über die Kleidung der Ältesten gemacht: Sie tragen weiße
14 Vgl. Giesen, Offenbarung, 145; Karrer, Offb, 396; ebenso Roloff, Offenbarung, 67. Grabiner geht sogar weiter und bewertet es als Leitmotiv der gesamten Offb, räumt jedoch die besondere Verdichtung in der Thronsaalvision ein: „The throne is the essential prop in the entire narrative of Revelation […]. Nineteen of the forty-seven occurrences found in Revelation are located in these two chapters [Offb 4–5, M.S.].“ Grabiner, hymns, 71. 15 Es kommt in Offb 4,2.3.4.5.6.9.10 vor. 16 Der Autor verwendet diese Reihenfolge auch in 19,11–16; 20,4–6. Vgl. Giesen, Offenbarung, 146. Es kommt vor, dass in der Offb der Thron Gottes beschrieben, dabei aber Gott umschrieben wird. Dies trifft auf 4,10 und 8,3 zu. Vgl. Aune, Revelation, 285. Es ist diskutabel, ob es hier als hysteron-proteron rhetorisch gestaltet ist. 17 Bereits in der formgeschichtlichen Untersuchung der Offb ist festgestellt worden, dass je schwieriger ein Sachverhalt für den Visionär zu beschreiben ist, desto mehr Vergleichssätze er verwendet. 18 Die Verwendung des Bildfelds „Edelstein“ deutet möglicherweise auf zwei Aspekte hin: Einerseits könnte es eine gewisse Farbgebung umschreiben, andererseits Lichteffekte. Dies hängt damit zusammen, dass Edelsteine unterschiedliche Farben besitzen und durch ihre unterschiedliche Beschaffenheit unterschiedliche Lichtreflexionen verursachen können. Hadorn tendiert zur Assoziation mit Lichtverhältnissen. Vgl. Hadorn, Offenbarung, 70. Ritt kombiniert dagegen beide Konnotationen. Vgl. Ritt, Offenbarung, 37. Foerster betont den Lichtaspekt hinsichtlich Gottes Reinheit: „[E]in Edelstein ist nur dann ‚Edelstein‘, wenn seine Klarheit und sein Glanz fleckenlos und gänzlich ungetrübt ist.“ Foerster, Art. κτίζω, 1029. Berger betont die Farbgebung: „Gott ist umgeben von herrlichen Farben“. Berger, Apokalypse, 395. Die Kombination von Farbe und Licht scheint der Schilderung des Visionärs am ehesten zu entsprechen. 19 Dies zeigt sich in Offb 4 an den Vergleichen mit Edelsteinen, Regenbogen sowie den Farben Weiß und Gold. Vgl. Berger, Apokalypse, 395.
Semantisches Inventar
Gewänder20 und goldene Kränze (4,4).21 Anhand der Schilderungen wird nicht ersichtlich, wer die 24 Ältesten konkret sind.22 Als weitere neue Personengruppe werden vier Lebewesen (4,6) beschrieben. Fast jedes dieser Wesen ähnelt einem Tier.23 Die individuellen Kennzeichen der vier Lebewesen werden einzeln und mithilfe von Vergleichen geschildert: Das erste Lebewesen wird mit einem Löwen verglichen (4,7 ὅμοιον λέοντι), das zweite mit einem Stier/Mastkalb (ὅμοιον μόσχῳ), das dritte mit einem Menschen bzw. dem Gesicht eines Menschen (ἔχων τὸ πρόσωπον ὡς ἀνθρώπου). Das letzte Lebewesen wird mit einem Adler verglichen (ὅμοιον ἀετῷ). Durch die Verwendung des Adjektivs ὁμοῖος und des Adverbs ὡς wird ausgedrückt, dass die vier Lebewesen mit den verglichenen Geschöpfen nicht gleichzusetzen sind. Der Visionär kann die Gestalten nur mithilfe von ihm bekannten Geschöpfen deuten. Allen Lebewesen gemein sind sechs Flügel (4,8 ἓν καθ’ ἓν αὐτῶν ἔχων ἀνὰ πτέρυγας ἕξ) mit Augen ringsum und innerhalb (κυκλόθεν καὶ ἔσωθεν γέμουσιν ὀφθαλμῶν).24 Ein herausragendes Merkmal sind zudem ihre zahlreichen Augen an der Vorder- und Rückseite (γέμοντα ὀφθαλμῶν ἔμπροσθεν καὶ ὄπισθεν).25 Insgesamt zeichnet der Autor die Lebewesen als Gestalten mit therio- und anthropomorphen Zügen.
20 Prigent zieht eine Verbindung zu Offb 3,5 und hält die weißen Gewänder der Ältesten für ein Zeichen der Erlösung. Vgl. Prigent, Commentary, 227. Da die Identität der Ältesten umstritten ist, scheint der Bezug auf die göttliche Sphäre plausibler. Darüber hinaus symbolisiert die Farbe Weiß grundsätzlich Reinheit und Unschuld. Vgl. Berger, Apokalypse, 439. 21 Die Farbe Gold ist im biblischen Kontext ein Hinweis auf die göttliche Sphäre. Goldkränze implizieren deshalb von Gott verliehene Kränze. Vgl. Glonner, Bildersprache, 171.184; Schöne, Licht, 25. Die Botschaft des Bildes ist also: Die Ältesten haben ihren Sieg und ihre Macht Gott zu verdanken, dem sie beides zurückgeben. 22 In der Forschung werden die unterschiedlichsten Ansätze diskutiert. Einige relevante sind: die 24 Ältesten 1. als Apostel und Propheten, 2. als 24 alttestamentliche Propheten, 3. als alttestamentliche Väter, 4. als jüdische und christliche Gestalten, 5. als Selige im Himmel uvm. Vgl. die Zusammenfassung bei Berger, Apokalypse, 410f. Einige Exegeten sehen astronomische Hinweise, wiederum andere körperlose Engelgestalten. Gegen die Engelsthese vgl. Prigent, Commentary, 227: „[T]hese are not angels but men, even if their heavenly status obliges us to speak of glorified men“. 23 Roloff vermutet eine absichtliche Vermeidung des Begriffs „Tier“, da dieser „gottfeindlichen Gestalten vorbehalten bleibt“. Roloff, Offenbarung, 68; vgl. ferner Hadorn, Offenbarung, 72; Lohse, Offenbarung, 40. 24 Eine mögliche Deutung der sechs Flügel ohne traditionsgeschichtliche Bezugnahmen ist die Symbolisierung eines universalen Dienstes „oben und unten, im Norden, Süden, Westen und Osten“. Ritt, Offenbarung, 38. 25 Dies bedeutet, dass sie nach innen und außen sehen können. Vgl. Karrer, Offb, 409; Müller, Offenbarung, 146. Sie sehen die verschiedenen Schauplätze und eschatologischen Dimensionen in der Offb. Ähnlich betrachtet es Prigent, der die Augen mit Wachsamkeit in Verbindung bringt: „watchfulness without failing“. Prigent, Commentary, 232; dagegen Berger, der sie als Zeichen von Schönheit bezeichnet. Vgl. Berger, Apokalypse, 431f. Hadorn stellt die Interpretation des Allwissens Gottes zur Debatte. Vgl. Hadorn, Offenbarung, 72. Kombiniert man die kognitiven
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Handlungen
Die Stimme des Menschensohngleichen weist als Handlung das Sprechen zu dem Visionär auf (4,1 λαλούσης μετ’ ἐμοῦ λέγων). Sie lädt ihn nach oben in den himmlischen Thronsaal ein (ἀνάβα ὧδε). Dies impliziert eine geistige Aufwärtsbewegung des Visionärs (4,2 ἐγενόμην ἐν πνεύματι).26 Die Stimme kündigt die zahlreichen Visionszyklen an (καὶ δείξω σοι). Zugleich vermittelt sie durch die Futurform δείξω, dass sie die Instanz ist, die ihn durch die sich anschließenden Visionszyklen führt. Es bleibt offen, wer die Himmelstür geöffnet hat (θύρα ἠνεῳγμένη).27 Der Begriff ἠνεῳγμένη ist ein passives Perfekt-Partizip.28 Es zeigt an, dass es sich um eine einmalige Öffnung des sonst verschlossenen Thronsaals handelt. Der Thronende stellt den Kern der Vision dar, weil alle erwähnten Personengruppen auf ihn ausgerichtet sind. Er selbst weist keine andere Handlung auf als das dauerhafte Sitzen auf dem Thron, angezeigt durch eine Partizipialform (4,3 καθήμενος). Sie bildet in der Thronsaalvision ein statisches Element. Durch die Verwendung der Imperfektform ἔκειτο wird signalisiert, dass der Thron bereits vor der Vision steht oder aufgestellt worden ist und das Stehen ein dauerhaft ruhender Zustand ist. Die 24 Ältesten sitzen ebenfalls auf Thronen (4,4 καθημένους).29 Durch die Verwendung von Partizipialformen bei der Einführung der 24 Ältesten in Offb 4 wird ein weiteres statisches bzw. zustandhaftes Element hinzugefügt. Dies zeigt sich nicht nur durch das dauerhafte Thronen (καθημένους), sondern auch durch das Umworfensein (περιβεβλημένους) in strahlende Gewänder. Erst ab 4,10 werden neu einsetzende Handlungen geschildert (πεσοῦνται und βαλοῦσιν), die die Zustandhaftigkeit des Bisherigen indikativisch aufbrechen.30 Zeitgleich bringen sie einen
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und ästhetischen Interpretationsansätze, erscheinen die Lebewesen keineswegs als furchteinflößend, sondern als schön und klug. An dieser Stelle geht Maier mit Verweis auf Schneider von einer kultischen Konnotation aus. Vgl. Maier, Offenbarung, 257; Schneider, Art. βαίνω κτλ, 517. Die Aussage ἐν πνεύματι wird u. a. auf den Hl. Geist bezogen. Vgl. Aune, Revelation, 283; Lohse, Offenbarung, 19.37; Lohmeyer, Offenbarung, 44–45; Mounce, Revelation, 133. Caird versteht es so, dass der Visionär in einen Trancezustand verfällt. Caird, commentary, 59. Anders Aune, der Gott als Türöffner für denkbar hält. Vgl. Aune, Revelation, 280. Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 370; Rienecker, Schlüssel, 615; Schimanowski, Liturgie, 68. Die Geste des Sitzens sowie die goldene Bekränzung implizieren Majestätisches. Vgl. Michl, Apokalypse, 10.14; Satake, Offenbarung, 196; Stevenson, crown, 258–268; Kränze/Kronen als Herrscherinsignie auch bei Giesen, Offenbarung, 150. Er betrachtet die Ältesten als „Vasallenkönige“. Der himmlische Thronsaal wird zugleich statisch und dynamisch beschrieben, da neben Zustandhaftem v. a. huldigende Handlungen und Lobpreis hinzutreten. Vgl. Lichtenberger, Apokalypse, 119. Das Ablegen der Kränze vor dem Thron bedeutet die „Einordnung in den Herrschaftsbereich Gottes.“ Gradl, Buch, 231.
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Lobpreis vor den Thronenden, was durch die Partizipialform λέγοντες ausgedrückt wird.31 Karrer erklärt dieses Phänomen vom Konzept der Charakterisierung Gottes her: Da Gott als der ὁ ἦν καὶ ὁ ὢν καὶ ὁ ἐρχόμενος bezeichnet wird (4,8c), werden in der theozentrischen Vision Verbformen der Vergangenheit (4,2 ἔκειτο), Gegenwart (4,8 ἔχουσιν) und Zukunft (4,9f δώσουσιν, πεσοῦνται, προσκυνήσουσιν und βαλοῦσιν) verwendet.32 Die vier Lebewesen werden ebenfalls zustandhaft eingeführt, indem einerseits auf ein Verb verzichtet, andererseits erneut eine Partizipialform verwendet wird (4,6 γέμοντα). Dies setzt sich bei der näheren Beschreibung der Lebewesen fort.33 Die Verwendung der Partizipialform λέγοντες in 4,8 kennzeichnet die Dauerhaftigkeit des anschließenden Lobpreises. In 4,9 fällt auf, dass in Kombination mit ὅταν, das eigentlich eine Konjunktivform nach sich zieht, eine indikative Futurform verwendet wird (δώσουσιν).34 Im Kontext der Szene ist eigentlich eine iterative Aussage zu erwarten, die der Aussage in 4,8 entspricht (ἀνάπαυσιν οὐκ ἔχουσιν ἡμέρας καὶ νυκτός) bzw. zu dem „Bild von erhabener Ruhe“35 der gesamten Szene passt. Da eine solche grammatikalische Konstellation im biblischen Kontext immer dort auftaucht, wo „ein einmaliges zukünftiges Geschehen“36 geschildert wird, ist die Ankündigung eines zukünftigen Lobpreises denkbar, der sich von dem immerwährenden Lobpreis in 4,8 unterscheidet.37
31 Als alternative Erklärung für die Futurformen führt Karrer die theologische Begründung an, dass Gott die Zukunft gehöre. Vgl. Karrer, Offb, 409 bzgl. Thompson, syntax, 119 Anm. 62. Satake vermutet Semitismen aufgrund des hebräischen Imperfekts, welcher u. a. als Futurform übersetzbar ist. Vgl. Satake, Offenbarung, 201; ferner Giesen, Offenbarung, 154; Michl, Apokalypse, 56; Thompson, syntax, 45–47. 32 Vgl. Karrer, Offb, 409. An dieser Erklärung ist problematisch, dass die Verbformen sich nicht ausschließlich auf den beziehen, von dem her die theologische Begründung für den grammatikalischen Gebrauch vorgenommen wird. Gerade die Futurformen stellen keine Handlungen Gottes, sondern der Ältesten und Lebewesen dar. 33 In 4,7 wird auf ein Verb verzichtet und es heißt jeweils καὶ τὸ ζῷον … ὅμοιον … Die optischen Gemeinsamkeiten werden mithilfe der Partizipialformen ἔχων und γέμουσιν beschrieben (4,8). 34 Vgl. Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 371, die gleichzeitig auf die alternative Lesart δωσωσιν aufmerksam machen, die eine zu erwartende aoristische Konjunktivform darstellt. Rienecker, Schlüssel, 615 bewertet die Futurform als eine frequentative. 35 Müller, Offenbarung, 141. Vgl. ferner Lohse, Offenbarung, 38. 36 Müller, Offenbarung, 142. Er nennt als biblische und nachbiblische Beispiele 1Kön 10,7 LXX; Lk 13,28 (Handschriften B und D); Barn XV 5; 2 Clem XII 2; XVII 6. 37 Müller sieht die Einlösung der Ankündigung in Offb 5, nachdem die Entgegennahme des siebenmal versiegelten Buches durch das Lamm erfolgt ist. Vgl. Müller, Offenbarung, 142.
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Orte
Offb 4 spielt hauptsächlich im himmlischen Thronsaal.38 Der Visionär ist nicht von Anfang an dort anwesend, sondern wird zunächst dorthin gerufen (4,1).39 Im Laufe der Vision zeigt sich, dass die hinzukommenden Personengruppen konzentrisch um den erstgenannten Thron angeordnet sind: Im Anschluss an den mittigen Thron werden 24 Throne thematisiert (4,4). Der Begriff κυκλόθεν betont die Umringung des mittigen Throns durch die 24 Throne. Die entscheidende Bedeutung des Throns als „locus from which all salvation and judgment comes“40 wird durch die beobachtete Konzentrik hervorgehoben. Zwischen dem mittigen Thron und den 24 Thronen wird ein lebendiger Zwischenraum geschildert.41 In diesem befinden sich meteorologische Elemente wie Blitze, Stimmen und Donner sowie sieben Fackeln.42 Ein weiteres kosmisches Element vor dem Thron ist das gläserne Meer, das Kristall ähnelt (4,6).43 Die Lokalisierung der vier Lebewesen wird dabei zur crux interpretum44 . Es heißt gleichzeitig ἐν μέσῳ und κύκλῳ. Karrer unternimmt einen traditionsgeschichtlichen Erklärungsversuch, den er selbst
38 Maier warnt vor einer irreführenden Bezeichnung des Ortes Gottes als Thronsaal. Entgegen einem Saal, der einen geschlossenen Raum impliziert, wird in Offb 4 ein weiter, offener Ort beschrieben, der einen Thron zum Zentrum hat. Vgl. Maier, Offenbarung, 264. Dem ist zwar zuzustimmen, jedoch fehlt es an alternativer Terminologie. Der Begriff „Thronsaal“ wird weiterhin verwendet unter dem Vorbehalt, dass es sich nicht um einen wörtlich zu verstehenden Begriff handelt, so auch Krodel, Revelation, 155; Mounce, Revelation, 119. Entgegen der Zeichnung eines Thronsaals als königlichem Raum sieht Berger in Offb 4 die Zeichnung eines Kultraums. Vgl. Berger, Apokalypse, 391. 39 Dabei kommt er der Aufforderung nach, was die Schau des Thronsaals überhaupt erst ermöglicht. Vgl. Wengst, Recht, 16; Middleton, violence, 65 „immediately transported“. Anders dagegen jüngst Huber, der einen Ortswechsel in den himmlischen Thronsaal hinauf ausschließt. Er begründet dies mit der fehlenden Aussage über die tatsächliche Himmelfahrt des Visionärs und der Bemerkung ἐγενόμην ἐν πνεύματι. Vgl. Huber, Standort, 106. 40 Herms, Apocalypse, 159. 41 „Der Raum zwischen den Ältestenthronen und dem Gottesthron ist lebendig.“ Roloff, Offenbarung, 68. Ritt spricht von bewegtem Raum. Vgl. Ritt, Offenbarung, 38. 42 Die Blitze werden u. a. als Zeichen der Gegenwart Gottes interpretiert. Vgl. Maier, Offenbarung, 264 in Bezug auf Foerster, Art. ἀστραπή, 503; ferner Bauckham, earthquake, 224–233; Prigent, Commentary, 229. Parallel dazu werden Donnerlaute als Theophaniezeichen gedeutet. Vgl. Jacob, Buch, 546f; Foerster, Art. βροντή, 638. Schließlich werden Fackeln und Feuer als Zeichen der Gottesgegenwart bezeichnet. Vgl. Lang, Art. πῦρ, 934f; Oepke, Art. λάμπω κτλ, 26. Grundsätzlich assoziiert man die kosmischen Zeichen mit der „majesty of God“. Mounce, Revelation, 122; Schimanowski, Liturgie, 115 „theophane Elemente“. 43 Vgl. Maier, Offenbarung, 267 zur luxuriösen Bedeutung von Glas in der Antike. Ähnlich auch Wengst, Recht, 18. Umso bedeutsamer ist, dass Glas wegen der Unreinheiten im Material eigentlich nicht durchsichtig war, hier aber als lichtdurchlässiger Stoff beschrieben wird. Vgl. Maier, Offenbarung, 268; vgl. Schlatter, Offenbarung, 181 „mit funkelndem Glanz“. 44 Auch Schimanowski, Liturgie, 125 verwendet diesen Begriff.
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problematisiert, und schließt damit, dass die Formulierung bewusst offengehalten wird.45 Die Bedeutung von ἐν μέσῳ als „nächste Nähe“ am Thron Gottes löst den Widerspruch womöglich auf.46 Zeitangaben und Zahlensymbolik
Der Visionär leitet mit der Angabe Μετὰ ταῦτα εἶδον die neue Vision ein, wobei der zeitliche Abstand zu der vorherigen Vision unbekannt bleibt.47 Die Zeitangabe darf jedoch nicht auf die eschatologische Abfolge von Ereignissen bezogen werden, da sowohl in den Sendschreiben als auch in den sich anschließenden Visionszyklen Ereignisse aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erwähnt und überlagert werden.48 Für Offb 4 ist grundsätzlich festzuhalten, dass symbolisch gesehen „vollkommene Zahlen“ verwendet werden.49 Die Zahl 24 für die Ältesten symbolisiert Fülle. Eventuell ist an eine Doppelung der Zwölfzahl zu denken, was die Bedeutung „Fülle“ unterstreichen würde.50 Die vier Lebewesen preisen Gott ἡμέρας καὶ νυκτός (4,8). Diese Zeitangabe wird durch die Aussage ἀνάπαυσιν οὐκ ἔχουσιν verstärkt und drückt den immerwährenden Lobpreis aus.51 „Tag und Nacht“ sind aufgrund des himmlischen Ortes nicht wörtlich zu verstehen (Offb 10,6).52 Die Vierzahl der Lebewesen impliziert eine Weltbezogenheit bzw. Geschöpflichkeit,53 die Sechszahl ihrer Flügel symbolisiert den irdischen Makrokosmos im Gegensatz zur himmlischen Sphäre. Dies unterstützt die Weltbezogenheit und Geschöpflichkeit ihrer Vierzahl.54 Die Unzählbarkeit der Augen fällt im Kontext von genauen Zahlenanga-
45 Vgl. Karrer, Offb, 423. Die meisten Erklärungsversuche sind traditionskritischer Art. Zumeist werden unterschiedliche Traditionen vermutet. Vgl. z. B. Hall, creatures, 609f; Satake, Offenbarung, 200. 46 Vgl. Mounce, Revelation, 123 „in the immediate vicinity“. 47 Vgl. Hadorn, Offenbarung, 69; Lohse, Offenbarung, 38. 48 Dieser Problematik war sich bereits Hadorn bewusst. Vgl. Hadorn, Offenbarung, 70. 49 Dazu zählen „3, 4, 7, 12, 24 und 6 Flügel“ Berger, Apokalypse, 411. 50 „Wahrscheinlich symbolisiert die Zahl in Offb eine Ganzheit.“ Weder, Art. εἴκοσι, 941f. Zur Verdopplung der Zwölfzahl auch Wengst, Recht, 17. 51 Vgl. Aune, Revelation, 302; Bauernfeind, Art. ἀναπαύω, 353; Delling, Art. νύξ, 1118; Satake, Offenbarung, 234. 52 So auch Maier, Offenbarung, 276. 53 „Die Zahl Vier bringt im Himmel stets die Weltbezogenheit vierfach vorhandener Größen zum Ausdruck (Vier ist die Zahl für die Vollständigkeit der Schöpfung; daher bis heute die vier Himmelsrichtungen und die vier Winde, vgl. Apk 7,1) […] Dabei ist Vier in der Apokalyptik die Zahl für innerweltliche Vollständigkeit.“ Berger, Apokalypse, 433.441. So auch Balz, Art. τέσσαρες, 131; Schmitz, Art. ἀριθμός, 1454. Dass die Vierzahl verschiedene Interpretationsmöglichkeiten aus der Schöpfung zur Folge hat, unterstreichen auch Bauckham, climax, 31; Prigent, Commentary, 231. 54 Der Schöpfungsbericht in Gen 1–2 sieht für den Schöpfungsvorgang selbst sechs Tage vor. Zur Sechszahl vgl. Hasenfuss, Art. Zahlensymbolik, Sp. 1303–1305.
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ben auf. Sie impliziert eine so große Anzahl, deren Überblick nicht mehr gegeben ist. Die sieben Fackeln vor Gottes Thron, die der Seher selbst als Gottes Geister interpretiert, signalisieren die „Vollkommenheit des Universums“55 und unterstützen dabei die Universalität des παντοκράτωρ (4,8). Wenn ἶρις als Regenbogen übersetzt wird,56 könnten die sieben Farben des Regenbogens angedeutet werden, die den Thronenden umgeben. Die Gottesvision des Johannes wird gleichsam zu einem Blick durch ein Kaleidoskop, das das Licht in alle erdenklichen Farben bricht. Wörtliche Rede
Der Begriff ἅγιος, den die vier Lebewesen singen, bezeichnet in Anlehnung an das AT Gottes innerstes Wesen57 und zugleich dessen wesenhafte Unterscheidung von seiner Schöpfung.58 Durch die dreimalige Anrufung wird Gottes Heiligkeit als „vollständig, abgeschlossen, endgültig“ gekennzeichnet.59 Die gleichzeitige Betitelung Gottes als κύριος ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ stellt einen Bezug zu Jes LXX her.60 Insbesondere die Artikellosigkeit des Begriffs κύριος macht die Umschreibung des Tetragramms wahrscheinlich. Der κύριος-Titel impliziert im alttestamentlichen Kontext zunächst eine Herrschaft über Menschen, nicht über Dinge. Bei Jesaja ist bereits eine Universalisierung des Titels als Allherrscher zu beobachten, der Gott als „de[n] ausschließliche[n] Träger der Gewalt über den Kosmos und alle Menschen, als de[n] Schöpfer der Welt und Gebieter über Tod und Leben“ umfasst.61
55 Dies ergab sich aus der Fünfzahl der damals bekannten Planeten sowie Sonne und Mond. Vgl. Hasenfuss, Art. Zahlensymbolik, 1304. Grundsätzlich auch Schmitz, Art. ἀριθμός, 1455 „Allg[emein] bedeutet die 7-Zahl hier das endzeitliche, alles umgreifende und bewegende Eintreten Gottes für seine Gemeinde“. Gradl bezieht die Zahl auf die „universale Vielfalt“. Gradl, Buch, 223. 56 Aufgrund von textkritischen Abweichungen bei diversen Handschriften wird diskutiert, ob überhaupt der Begriff ἶρις ursprünglich ist. Karrer thematisiert die Lesart ἱερεῖς und die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Vgl. Karrer, Offb, 415–417. Selbst bei Voraussetzung des Begriffs ἶρις werden unterschiedliche Übersetzungen bzw. Interpretationen diskutiert. Vgl. die Übersicht bei Karrer, Offb, 417; Satake übersetzt mit „Halo“. Vgl. Satake, Offenbarung, 195. 57 Vgl. Procksch, Art. ἅγιος (NT), 101. 58 Vgl. Mounce, Revelation, 125. 59 Diese Bedeutung erhalten dreimalig wiederholte Aussagen und Taten im NT. Vgl. Delling, Art. τρεῖς, 221. 60 Die Dreierkette begegnet in Jes 6,3, nur dass der hebräische Begriff ְצָבאוֹתzebaoth griechisch transkribiert beibehalten, in der Offb jedoch übersetzt wird. Aune listet weitere Stellen aus der LXX auf, die sich für die Übersetzung παντοκράτωρ bei der Dreierkette entscheiden. Vgl. Aune, Revelation, 306. 61 Vgl. Foerster, Art. κύριος, 1060. Ähnlich auch Bietenhard, Art. κύριος, 662: „Indem Gott im NT als κύριος angeredet und bekannt wird, wird damit bes[onders] seine Schöpferkraft, seine Geschichtsmächtigkeit und seine rechtmäßige universale Herrschaft über das Weltall zum Ausdruck gebracht“.
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In der Offb stellen die Proklamation der Ewigkeit Gottes durch die Dreizeitenformel62 und seine Allmacht durch die Anrede παντοκράτωρ die Außenseiten seiner Heiligkeit dar.63 Das Epitheton παντοκράτωρ unterstützt die Umschreibung des Gottesnamens, indem es Gottes universale Herrschaft artikuliert. Es besitzt weniger eine dynamische als vielmehr eine statische Konnotation im Sinne von Gottes dauerhafter Überlegenheit gegenüber allen anderen Mächten.64 Die gesungene ἄξιος-Formel der 24 Ältesten wird „in moral relation“ gebraucht, denn Gott verdient die Anbetung aufgrund seiner Taten.65 Daraufhin wird eine Kette von Epitheta angeführt, deren Empfang Gott würdig ist (4,11). Das Verb λαμβάνω ist in diesem Kontext in seiner passiven Bedeutung „empfangen, bekommen“ zu verstehen, da die darauf bezogenen Epitheta Wesenseigenschaften sind, die „dem Sein Gottes immanent“ sind.66 Da er sie bereits besitzt, wird vielmehr ausgesagt, dass die Ältesten die folgenden Epitheta als rechtmäßig bestätigen. Die ersten zwei Begriffe δόξα und τιμή werden häufig als synonym erachtet,67 zumindest müssen sie als verwandte Begriffe verstanden werden. Die Darbringung bzw. der Empfang von δόξα setzt nicht voraus, dass diese beim Adressaten zuvor nicht vorhanden ist.68 Als synonymes Wortpaar tauchen δόξα und τιμή im NT dann auf, wenn sie in einem liturgischen69 bzw. hymnischen70 Kontext gebraucht werden. Mit τιμή ist an dieser Stelle am ehesten die „Anerkennung der mit dem Amt oder Stand verbundenen Würde“71 sowie die „Wertschätzung“72 gemeint. Das dritte Epitheton δύναμις meint im apokalyptischen Kontext v. a. die „in der Endzeit wirkende Gotteskraft“73 , deren
62 „I think, that the Dreizeitenformel indicates ‚timeless eternity‘.“ McDonough, YHWH, 56f. Ebenso Aune, Revelation, 306f. 63 Vgl. Procksch, Art. ἅγιος (NT), 101. 64 Vgl. Michaelis, Art. κράτος, 914. 65 Vgl. LSJ, Art. ἄξιος, 171; Aune, Revelation, 309. 66 Vgl. Delling, Art. λαμβάνω, 6. 67 So z. B. Aune, Revelation, 312; Kittel, Art. δόξα, 251: „oft fließend und nur künstlich gegeneinander abzugrenzen“. Dagegen aber Schneider, demzufolge τιμή der δόξα untergeordnet sei und ihr Bedeutungsfeld nur einen Teil der δόξα ausmache. Vgl. Schneider, Art. τιμή, 176. 68 Vgl. Kittel, Art. δόξα, 251. 69 Vgl. Schneider, Art. τιμή, 179. 70 Vgl. Hegermann, Art. δόξα, 834. Dabei ist zu beachten, dass die Bezeichnung „hymnisch“ im Kontext des NT unangemessen ist und stattdessen der Begriff „hymnenartig“ zu wählen ist. Es liegt kein einziger gemäß antiken Standards konstruierter ὕμνος im NT vor. 71 Aalen, Art. τιμή, 208. 72 Bauer, Wörterbuch, Sp. 1629f; zudem Schneider, Art. τιμή, 175f; Aalen, Art. τιμή, 207 „gebührende Anerkennung“. 73 Betz, Art. δύναμις, 923.
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AT-Tradition im NT aufgegriffen wird: Gott als Herr und Ziel der Geschichte.74 Die sich anschließende Ekphrasis preist Gottes Schöpfertätigkeit. Das in dem Kontext verwendete Verb κτίζω (4,11) sowie die gesamte Wortfamilie werden im NT nur im Zusammenhang mit Gottes schöpferischer Tätigkeit gebraucht, parallel zu ָבּ ָראbr‘ (Gen 1,1).75 Der Begriff θέλημα zeigt, dass Geschöpflichkeit immer gottgewollt ist.76 Insgesamt fällt in Offb 4 auf, dass Gott selbst keinen Redeanteil besitzt.77 3.2.2
Der himmlische Thronsaal II (Offb 5,1–14)
Personen und ihre Attribute
Offb 4–5 stellt eine Einheit dar, gleichsam eine Verschränkung78 , doch in Offb 5 wird einerseits eine neue Figur, andererseits ein neuer Gegenstand eingeführt: So wird zu Beginn eine Buchrolle auf der rechten Hand des mittig Thronenden erwähnt, die innen und außen beschrieben sowie siebenmal versiegelt ist (5,1). Aufgrund des achtmaligen Vorkommens stellt sie das Leitmotiv von Offb 5 dar. Sie liegt zwar auf der Hand Gottes, doch ist es nicht seine Aufgabe, sie zu entsiegeln.79 Der Visionär nennt speziell die rechte Hand Gottes, im Übrigen eine sonst untypische anthropomorphe Aussage über Gott in der Offb. Als Schlüsselfigur in Offb 5 wird der „Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel David“ angekündigt (5,5), der die Kompetenz der Entsiegelung der versiegelten Buchrolle besitzt.80 In 5,6.7 wird eine Lammgestalt eingeführt, die mit dem angekündigten Löwen aus Juda identifiziert wird.81 Dies zeigt sich bei der Entgegennahme der Buchrolle (5,7). Die Figur wird als Lamm bezeichnet (5,6 ἀρνίον),
74 „Damit ist im NT in einzigartiger Weise die at.liche Vorstellung von der in der Geschichte wirksamen, die Geschichte gestaltenden und ihr ein Ziel gebenden Kraft Gottes wieder aufgenommen.“ Grundmann, Art. δύναμις, 307. 75 Vgl. Foerster, Art. κτίζω, 1027. 76 Vgl. Foerster, Art. κτίζω, 1028. 77 Vgl. Hadorn, Offenbarung, 67. 78 Vgl. Moloney, Apocalypse, 97. 79 Vgl. Aune, Revelation, 347; Hoffmann, destroyer, 113. 80 Das griechische Wort βιβλίον ist ein Diminutiv, der wahrscheinlich mit „Buchrolle“ übersetzt werden muss. Vgl. Gemoll, Schul- und Handwörterbuch, 166. Zur Entstehungszeit der Offb war diese Buchform noch am gebräuchlichsten. Vgl. Schrenk, Art. βίβλος κτλ, 617. Prigent widerspricht der Interpretation als Diminutiv, stimmt jedoch der Buchrollenform zu. Vgl. Prigent, Commentary, 241f. Zur Buchrollenform auch Wengst, der zudem den Inhalt als Zusammenfassung der Weltgeschichte begreift. Vgl. Wengst, Recht, 13. 81 Die Bezeichnung ist im Spätjudentum wie auch im Text der Offb messianisch konnotiert: 1QSb 5,29. Vgl. die Ausführungen bei Moloney, Apocalypse, 97.
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wobei die Übersetzung mit „Widder“ ebenfalls diskutiert wird.82 Eine wichtige Eigenschaft des Lammes ist das Geschlachtetsein (5,6 ὡς ἐσφαγμένον), was an eine Schächtwunde am Hals denken lässt.83 Dieses steht im Widerspruch zum Lebendigsein, das durch das Verb ἑστηκός ausgedrückt wird.84 Als weitere Attribute des Lammes werden sieben Hörner und sieben Augen genannt (5,6).85 Der Autor selbst interpretiert die sieben Augen als sieben Geister, die in die Welt ausgesandt sind (5,6 οἵ εἰσιν τὰ [ἑπτὰ] πνεύματα τοῦ θεοῦ ἀπεσταλμένοι εἰς πᾶσαν τὴν γῆν). Auch an dieser Stelle fällt auf, dass die Beschreibung gängigen zoologischen Vorgaben widerspricht.86 Die bereits eingeführte Personengruppe der 24 Ältesten wird in Offb 5 mit kitharai und goldenen Schalen ausgestattet (5,8). Auch an dieser Stelle führt der Autor eine Interpretation an, wonach das Räucherwerk die Gebete der Heiligen bedeute (5,8).87 Die Attribute haben kultischen Charakter.88 Die Erwähnung des Materials 82 Die Übersetzung mit „Widder“ thematisieren insbesondere Böcher, Israel, 40f; Boll, Offenbarung, 44f; Bornhäuser, Wirken, 245f; Clemen, Erklärung, 382f; Karrer, Johannesoffenbarung, 236.261; Spitta, Christus, 173ff. 83 Vgl. Behm, Offenbarung, 36; Bengel, Offenbarung, 324; Charles, commentary, 141; Jeremias, Art. ἀμνός, 344f; Michel, Art. σφάζω, 925f; Schlatter, Offenbarung, 189; Zahn, Offenbarung, 335. Das Geschlachtetsein und die Nähe bei Gott zeichnen das Lamm zudem als „proto-martyr“ aus. Middleton, violence, 97. „Das Perfekt […] drückt die sichtbare Nachwirkung am Subjekt aus“. Schabow, Königreich, 128. 84 Die beiden zusammengebrachten Aspekte von Lebendigsein und Schlachtung deuten an, dass „Lamm“ ein Bild ist. Berger nach weist die Gegensätzlichkeit darauf hin, dass es sich um kein „kreatürliches Lamm“ handelt. Berger, Apokalypse, 437. 85 An dieser Stelle fällt erneut eine constructio ad sensum auf: Der griechische Begriff für das Lamm ist grammatikalisch ein Neutrum, das als Partizip ἔχον statt ἔχων verlangt. Hier wird allerdings das Genus Christi verwendet, der mithilfe der Lamm-Metapher umschrieben wird. Vgl. BDR §136; Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 372. Neben Karrer macht auch Maier auf die constructio ad sensum aufmerksam. Vgl. Maier, Offenbarung, 299. 86 Darüber hinaus scheinen die Hörner und Augen keine organische Bedeutung zu besitzen. Vgl. Foerster, Art. κέρας, 670; Maier, Offenbarung, 300. Anders sieht es Zahn, der die Hörner als die „angeborenen Schutz- und Trutzwaffen“ versteht. Zahn, Offenbarung, 336. Dafür gibt es im Text jedoch keinen Anhaltspunkt, da das Lamm die Hörner nicht verwendet. In diesem Kontext ist auch die Entgegennahme der Buchrolle zu erwähnen (5,7). Genau genommen kann ein Lamm als Paarhufer keinen Gegenstand ergreifen. Vgl. Zahn, Offenbarung, 337. Auch hier muss man davon ausgehen, dass entweder realistische, zoologische Vorgaben irrelevant sind oder die verschlüsselte Beschreibung des Sehers mit dem Geschauten nicht übereinstimmt. Vgl. Bengel, Offenbarung, 316f. 87 Unter προσευχή ist das Gebet im Allgemeinen zu verstehen. Demnach können Lob- und Dankgebete, Anbetung sowie Klage gemeint sein. Vgl. Greeven, Art. εὔχομαι, 807. 88 Der Begriff φιάλη impliziert eine Schale für die Darbringung von Rauchopfern. Vgl. Bauer, Wörterbuch, 1711; Bengel, Offenbarung, 327. Anders dagegen Mounce in Bezug auf Josephus, Ant. III 6,6.: „φιάλη was a flat, shallow cup or bowl for drinking or libations.“ Mounce, Revelation, 134 Anm. 26. Selbst als Gerät für Trankopfer ist es als kultisches Werkzeug einzuordnen.
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Gold lässt die gesamte Szene erhaben wirken. Die Deutung des Weihrauchs als Gebet der Heiligen impliziert, dass die Räucherschalen in Verwendung sind. Die Ankündigung eines neuen Lieds deutet zugleich an, dass die Ältesten sich selbst mit den Instrumenten begleiten. Diese Beobachtungen sind paradox und logisch gesehen unmöglich, da sowohl die Darbringung von Rauchopfern als auch das Spielen einer kithara jeweils beide Hände in Anspruch nehmen. Dem Visionär geht es offensichtlich nicht um die Wiedergabe einer realistischen Handlungsabfolge. In 5,11 wird eine Engelschar eingeführt, bei der nicht das Aussehen der Engel beschrieben wird, sondern deren Klang (φωνὴν ἀγγέλων πολλῶν). Als Attribut dieser Gruppe wird die laute Stimme genannt, mit der sie den anschließenden Lobpreis vollzieht (5,12 λέγοντες φωνῇ μεγάλῃ). Als letzte Personengruppe wird die gesamte Schöpfung thematisiert (5,13 καὶ πᾶν κτίσμα), die den mittig Thronenden und das Lamm lobpreisend anbetet. Der Autor verdeutlicht wiederum, dass er sie hört und nicht sieht (5,13 ἤκουσα). Handlungen
Der Visionär erblickt zu Anfang des Kapitels eine innen und außen beschriebene und versiegelte Buchrolle in der rechten Hand des mittig Thronenden (5,1 ἐπὶ τὴν δεξιὰν τοῦ καθημένου ἐπὶ τοῦ θρόνου). Das Partizip γεγραμμένον zeigt an, dass die Buchrolle fertig geschrieben ist. Als neue „Handlung“ im weiteren Sinne ist für Gott demnach das Halten der Buchrolle zu nennen.89 Ein Engel mit lauter Stimme (5,2 ἐν φωνῇ μεγάλῃ) fragt nach einem Befugten zur Entsiegelung des Buches,90 wird jedoch nicht fündig (5,3). Nicht das Lesen, sondern die Entsiegelung der Buchrolle wird als entscheidend erachtet.91 Nach anfänglicher Verzweiflung des Visionärs (5,4 ἔκλαιον πολύ) wird dieser von einem der Ältesten getröstet (5,5 μὴ κλαῖε), der die daraufhin auftretende Schlüsselfigur als Befugten proklamiert (ἰδοὺ ἐνίκησεν ὁ λέων ὁ ἐκ τῆς φυλῆς Ἰούδα, ἡ ῥίζα Δαυίδ, ἀνοῖξαι τὸ βιβλίον καὶ τὰς ἑπτὰ σφραγῖδας αὐτοῦ).
89 Genau genommen wird nämlich kein Verb verwendet, das die Handlung des Haltens kennzeichnet. Das Verb des Satzes bezieht sich auf die visionäre Schau des Sehers (εἶδον). 90 Bei der Frage des Engels erstaunt die Reihenfolge: Er nennt zunächst die Öffnung der Buchrolle und erst dann die Entsiegelung. Es handelt sich um ein hysteron-proteron und ist somit als rhetorisches Stilmittel zu bewerten. Vgl. Kraft, Offenbarung, 105; Mounce, Revelation, 130. Johannes geht es an dieser Stelle nicht um die korrekte Abfolge, sondern um die Anordnung nach Relevanz. Vgl. Maier, Offenbarung, 291; ähnlich auch Prigent, Commentary, 246. Übrigens hat „lösen“ hier die Bedeutung von „losmachen“. Vgl. Büchsel, Art. λύω, 337. 91 Vgl. Reichelt, Buch, 220f; Satake, Offenbarung, 206. Dagegen betonen aber Bengel und Michaelis, dass βλέπειν das Lesen einbezieht im Sinne von „Einsicht nehmen“. Vgl. Bengel, Offenbarung, 312; Michaelis, Art. ὁράω, 343. Beide Stränge müssen gemeinsam betrachtet werden. Zwar wird mit „hineinsehen“ die Einsichtnahme einbezogen, doch ist dies in dem Vers irrelevant.
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Das Lamm ist hingestellt (5,6 ἑστηκός) und zugleich wie geschlachtet (ὡς ἐσφαγμένον). Die erste Verbform impliziert, dass es dort bereits vor der Vision stand und
zugleich hingestellt worden ist. Die zweite Form impliziert mit der Schlachtung eine passive Handlung an ihm. Als nächste Tätigkeiten werden sein Kommen zum Thron Gottes (5,7 ἦλθεν) und die Entgegennahme der Buchrolle genannt (εἴληφεν ἐκ τῆς δεξιᾶς). Dies stellt für die 24 Ältesten einen Anlass zur Anbetung dar (5,8 ἔπεσαν ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου).92 Gleichzeitig haben sie kitharai und phialai bei sich (ἔχοντες). Sie singen ein neues Lied (5,9 ᾄδουσιν ᾠδὴν καινήν). Daraufhin hört der Seher eine Engelschar (5,11 ἤκουσα φωνὴν ἀγγέλων πολλῶν). Ihr anschließender Lobpreis wird erneut mit dem Zusatz „mit lauter Stimme“ umschrieben (λέγοντες φωνῇ μεγάλῃ). Schließlich hört der Visionär die gesamte Schöpfung (5,13 πᾶν κτίσμα), die einen Lobpreis an Gott und das Lamm tätigt (ἤκουσα λέγοντας). Dieser wird durch das Amen der vier Lebewesen sowie mit einer Proskynese der 24 Ältesten abgeschlossen (5,14 καὶ τὰ τέσσαρα ζῷα ἔλεγον· ἀμήν. Καὶ οἱ πρεσβύτεροι ἔπεσαν καὶ προσεκύνησαν). Orte
Die himmlische Thronsaalvision wird in Offb 5 weitergeführt, weshalb die lokale Disposition zunächst dieselbe bleibt. Das Zentrum ist wiederum der mittige Thron, auf dem Gott sitzt. Die zentrale Handlung findet dort statt, wo Gott die siebenmal versiegelte Buchrolle übergibt. Bei der Frage nach einem Befugten zur Entsiegelung der Rolle wird die negative Aussage gemacht, dass niemand in den verschiedenen Bereichen der gesamten Schöpfung dazu befugt sei. Dabei wird das Trikolon „im Himmel, auf der Erde und unter der Erde“ verwendet (5,3).93 An dieser Stelle wird der himmlische Thronsaal für einen Moment verlassen, bevor er im nächsten Vers wieder den Ort des Geschehens darstellt. Dies ist daran zu erkennen, dass einer der Ältesten Kontakt zum Visionär aufnimmt, der sich seit Offb 4 im himmlischen Thronsaal befindet (5,5 εἷς ἐκ τῶν πρεσβυτέρων λέγει μοι). Bei der Einführung des Lammes wird der Fokus erneut auf den mittigen Thron verlagert. Dabei wird nicht ganz ersichtlich, wo genau das Lamm zu verorten ist: Einerseits steht es inmitten des Throns und der vier Lebewesen, andererseits inmitten der
92 Vgl. Michaelis, Art. πίπτω, 163f. Zu beachten ist an dieser Stelle die gleichzeitige Anbetung und das Halten von kitharai sowie phialai. 93 Das Trikolon weist auf die jeweiligen Bewohner der drei Bereiche hin: Engel, Menschen und Dämonen. Vgl. Prigent, Commentary, 247; Ritt, Offenbarung, 40. Als alternative Interpretation wird die Umschreibung der gesamten Schöpfung angebracht. Vgl. Maier, Offenbarung, 292. Beide sowie weitere Bedeutungsebenen stellt Huber, Topoi, 147–151 heraus.
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Ältesten (ἐν μέσῳ τοῦ θρόνου καὶ τῶν τεσσάρων ζῴων καὶ ἐν μέσῳ τῶν πρεσβυτέρων ἀρνίον).94 Zudem scheint es doch vom Thron entfernt zu stehen, da es zum Thronenden kommt, um die Buchrolle zu empfangen (5,7).95 Womöglich ist das Kommen nicht lokal zu verstehen. Dadurch würde sich der Widerspruch auflösen.96 Daraufhin erfolgt der erste Lobpreis an das Lamm, das analog zu Gott als Objekt der Anbetung mittig angeordnet ist. Die anbetenden Subjekte positionieren sich in konzentrischen Kreisen um die Mitte herum. Diese These wird durch die erwähnten Engelscharen bestärkt, die konzentrisch angeordnet sind und einen Lobpreis auf das Lamm formulieren (5,11). Am Ende von Offb 5 öffnet sich der himmlische Thronsaal, sodass jedes Geschöpf Gott und das Lamm lobpreisend anbetet (5,13 πᾶν κτίσμα). An dieser Stelle wird erneut das Trikolon „im Himmel, auf der Erde und unter der Erde“ aufgegriffen (5,13), dabei jedoch durch das Meer ergänzt (καὶ ἐπὶ τῆς θαλάσσης). Satake spricht von einer Kombination von „senkrechte[r] Dreiteilung des Kosmos (Himmel, Erde und Untererde) und [der] horizontale[n] Zweiteilung der Erdoberfläche (Land und Meer).“97 Die explizite Nennung einer Öffnung des Raums bleibt aus. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Raum nicht klar umgrenzt ist. Der Visionär erwähnt keine Mauern, obwohl er den Thronsaal ansonsten sehr anschaulich beschreibt.98 Beim Abschluss des Lobpreises werden wiederum die nahe beim Thron angesiedelten Personengruppen genannt (5,14), sodass der letzte Fokus erneut auf den Thronsaal gelegt wird und der Kreis sich schließt: Die Lokalisierung der thematisierten Figuren und Gruppen beginnt in der Mitte des Thronsaals und bewegt
94 Klar ist zumindest, dass das Lamm „in Gottes nächster Nähe“ zu verorten ist. Vgl. Schlatter, Offenbarung, 188. Diese Nähe muss nicht geographisch verstanden werden. Sie kann auch die Regierungseinheit Gottes und des Lammes bedeuten, wenn der narrative Kontext der gesamten Szene berücksichtigt wird. Vgl. Berger, Apokalypse, 503. 95 Karrer versteht die Bewegung vom Thron zum Visionär. Das Verb ἦλθεν in 5,7 impliziere nicht die Bewegung zum Thron Gottes: „Doch er [der junge Widder, M.S.] befindet sich schon auf dem Thron. Daher ist die entgegengesetzte Bewegungsrichtung maßgeblich. Jesus […] kommt dem Seher entgegen.“ Karrer, Offb, 463; dagegen Aune, Revelation, 352; Beale, book, 350 u. a. 96 Es werden die verschiedensten Bedeutungen des Verbs ἔρχομαι bedacht, die über die rein lokale Bedeutung hinausgehen. Vgl. Bauer, Wörterbuch, Sp. 629; Schneider, Art. ἔρχομαι, 663. Besonders herausragend ist die eschatologische Interpretation des Kommens als Parusie Christi „yet to take place at the end of time.“ Mounce, Revelation, 134. Ein anderer Versuch, den Widerspruch zu entkräften, besteht in der Interpretation der Zuschreibung „inmitten des Throns“: Wenn dies nicht lokal zu verstehen ist, sondern die göttliche Natur des Lammes beschreibe, so wäre kein Widerspruch vorhanden. Vgl. Prigent, Commentary, 252. Auch Moloney deutet die Lokalisierung als göttliche Charakterisierung. Vgl. Moloney, Apocalypse, 98. 97 Satake, Offenbarung, 214. 98 Karrer weist darauf hin, dass die Weite des himmlischen Raums eine christliche Tradition darstellt. Vgl. Karrer, Offb, 396 Anm. 4.
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sich von dem Zentrum immer weiter weg.99 Dies gipfelt in dem Verlassen des Thronsaals, als die gesamte Schöpfung den letzten Lobpreis der Szene anstimmt. Je weiter eine Personengruppe entfernt ist, desto zahlreicher wird sie: Das Lamm ist allein, die Anzahl der Lebewesen beträgt vier, die Ältesten sind 24 Personen, die Engel sind bereits unzählbar und die ganze Schöpfung passt nicht einmal in den himmlischen Thronsaal. Zeitangaben und Zahlensymbolik
Auf der rechten Hand Gottes wird ein siebenmal versiegeltes Buch beschrieben. Die Siebenzahl im Kontext von versiegelten Schriftrollen impliziert im römischen Recht eine Versiegelung durch sieben Zeugen100 und kennzeichnet zudem, dass die Buchrolle gänzlich unzugänglich für Unbefugte ist.101 Der verborgene Inhalt der Rolle wird als universal relevant gekennzeichnet.102 Die Siebenzahl der Augen und Hörner des Lammes impliziert vollkommene Weisheit bzw. Fülle an Wissen und die vollkommene Schönheit.103 In Kombination mit Hörnern wird die vollkommene sowie universale Macht und Herrschaft des Lammes ausgedrückt.104 Dies rückt das Lamm in die Nähe des παντοκράτωρ, wie auch die Interpretation des Visionärs unterstreicht: Die Augen des Lammes symbolisieren die sieben Geister Gottes (5,6). Die Schar der Engel wird mit μυριάδες μυριάδων καὶ χιλιάδες χιλιάδων angegeben (5,11). Angesichts der sonst sehr genauen Zahlenangaben fällt die unbestimmte Angabe dieses Verses auf. Sie sagt aus, dass die Engelschar nicht zählbar ist.105 Dies ist insbesondere mit der etymologischen Zurückführung auf μυριάς zu begründen, was die Zahl 10000 ergibt. Diese ist jedoch nicht wörtlich zu verstehen, sondern als Ausdruck einer „countless multitude“.106 Das Zahlwort wird u. a. als „Unzahl“ be-
99 Damit einhergehend sind die ersten hymnenartigen Gesänge nahe am Thron von der Sprechrichtung her direkt an die Gepriesenen gerichtet, während die weiter entfernten Personengruppen in der 3. Pers. über die Gepriesenen sprechen. Vgl. Bengel, Offenbarung, 332. 100 Vgl. Stauffer, Christus, 182f. 101 Zur Vollkommenheit als Bedeutung der Siebenzahl vgl. Bauckham, climax, 30; Schmitz, Art. ἀριθμός, 1455; zur Unzugänglichkeit Gradl, Buch, 244. 102 Zur Universalität der Siebenzahl vgl. Hasenfuss, Art. Zahlensymbolik, 1304. 103 Die Interpretation von Augen wurde bereits im Kontext der vier Lebewesen thematisiert: a) Allschau, vgl. Karrer, Offb, 409; Müller, Offenbarung, 146; b) Wachsamkeit, vgl. Prigent, Commentary, 232; c) Schönheit, vgl. Berger, Apokalypse, 431f; d) Allwissen, vgl. Hadorn, Offenbarung, 72. Durch die Siebenzahl liegen die genannten Eigenschaften beim Lamm auf vollkommene Weise vor. 104 So etwa Foerster, Art. κέρας, 670; Wengst, Recht, 121. 105 Vgl. Maier, Offenbarung, 310. 106 Mounce, Revelation, 137. Ähnlich auch Roloff, Offenbarung, 81.
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zeichnet, was die Ablehnung einer wörtlichen Interpretation von μυριάς zusätzlich unterstreicht.107 Wörtliche Rede
Zu Beginn kommt ein starker Engel (5,2 ἄγγελον ἰσχυρόν) zu Wort, der nach einer würdigen Person zur Entsiegelung der Buchrolle fragt. Das Signalwort ἄξιος in einem Nominalsatz signalisiert Würdigung aufgrund eines bestimmten Verhaltens.108 Die Frage des Engels zielt sowohl auf die Fähigkeit als auch auf die Qualifikation ab, die Buchrolle entgegenzunehmen.109 Auf das Weinen des Visionärs reagiert einer von den Ältesten mit dem Ausruf μὴ κλαῖε (5,5). Eine solche Aussage stellt sonst eine typische Gottesrede dar, was die Worte des Ältesten als Auftrag Gottes kennzeichnet.110 Er kündigt das Lamm als Sieger an, was mit dem Begriff ἄξιος verknüpft wird und die Qualifikation des Gesuchten aufgrund eines bestimmten Verhaltens betont. Der Älteste betitelt das Lamm als Löwen aus dem Stamm Juda (ὁ λέων ὁ ἐκ τῆς φυλῆς Ἰούδα) sowie als Wurzel David (ἡ ῥίζα Δαυίδ). Beide Formulierungen stellen messianische Formeln dar, die ihren Ursprung im AT haben.111 Der Löwe wird zu allen Zeiten als Sinnbild „eines tapferen oder auch gewalttätigen Menschen“ verstanden.112 Speziell für Israel symbolisiert er zudem einen Herrscher, der seine Feinde besiegt und dem die Völker dienen.113 Das Lamm wird ferner als „Wurzel David“ betitelt, was gegenüber Jes 11 eine Neuheit darstellt: Nicht David ist der Ursprung, aus dem der Messias hervorgeht, sondern der Messias selbst ist die Wurzel und seine Würde somit ungleich höher als die Davids.114
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Vgl. Kremer, Art. μυριάς, 1097. Vgl. LSJ, Art. ἄξιος, 171. Vgl. Aune, Revelation, 347. Vgl. Maier, Offenbarung, 294. Der „Löwe aus dem Stamm Juda“ geht auf Gen 49,9 zurück, während die „Wurzel David“ einen Terminus aus Jes 11,1 darstellt. Zur messianischen Signalhaftigkeit vgl. Hoffmann, destroyer, 115. Die Kombination von beiden Titeln ist bereits in 4Qpatr und 4Esr belegt. Vgl. Giesen, Symbole, 258. 112 Michaelis, Art. λέων, 258. Die Diskrepanz zwischen dem erwarteten Löwen und der Erscheinung des Lamms ist vom Autor der Offb intendiert: „it is precisely the relationship between the two that is held to contain the key to unlock successfully John’s theological world.“ Middleton, violence, 66. 113 Vgl. Gradl, Buch, 254; Karrer, Offb, 451. 114 Vgl. Karrer, David, 333–335. Dagegen Maurer, der mit Blick auf Jes 11 eher den Charakter von Nachkommenschaft in dem Begriff ῥίζα gegeben sieht. Vgl. Maurer, Art. ῥίζα, 988. Oft wurde die Wendung ἡ ῥίζα Δαυίδ als Kürzel für „Spross aus der Wurzel David“ vermutet. Vgl. Karrer, Offb, 451. Insgesamt zeichnet sich in Offb 5 durch die verwendeten Epitheta eine Erhöhungschristologie, wie sie Herghelegiu, Wolken, 16–22; Holtz, Christologie, 31 entfalten. Dagegen Hengel, Throngemeinschaft, 159–175, der eher von einer Präexistenzchristologie ausgeht, ebenso Roloff, Offenbarung, 44; eine adoptianistische Christologie bei Hofius, Zeugnis, 511–528.
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Als das Lamm die Buchrolle entgegennimmt, führen die Ältesten und Lebewesen eine liturgische Zeremonie durch mit dem Gesang eines neuen Liedes, in dem Völker, Stämme, Sprachen und Nationen erwähnt werden. Die verwandten Begriffe tragen in ihrer Gesamtheit zum hyperbolischen Stil der hymnenartigen Gesänge bei. Dennoch ist herauszustellen, dass es sich nicht um synonyme Begriffe handelt: Mit φυλή ist an dieser Stelle die Herkunft aus einem Volksstamm gemeint.115 Der Begriff γλῶσσα bedeutet „Sprache“ oder „Mundart“ und betrachtet eine Bevölkerungsgruppe aus der Perspektive ihrer gemeinsamen Sprache.116 Mit λαός wird der Erwählungscharakter eines Volkes ausgedrückt, da der Begriff in der LXX u. a. das Volk Israel bezeichnet.117 Dagegen ist ἔθνος die Bezeichnung einer „Menge, Schar, die durch dieselbe Gewohnheit, Sitte oder sonstige Eigentümlichkeiten verbunden ist.“118 Eine Bevölkerung wird durch diesen Begriff somit vom Sittenaspekt her betrachtet. Entscheidend ist ἔθνος im NT v. a. als Gegenstück zu λαός und meint die nichtjüdischen Völker.119 Zusammenfassend ist zu sagen: Die Begriffe werden gemeinsam genannt, „um den Gesamtumfang der Menschheit in ihrer völkischen und sprachlichen Gliederung zu bezeichnen.“120 Der Lobpreis beginnt mit einer ἄξιος-Formel, die als Antwort auf die Frage des starken Engels in 5,2 zu betrachten ist. Die Bedeutung von ἄξιος bleibt unverändert, sodass als Begründung für die „Qualifikation“ des Lobpreises die dreifache soteriologische Handlung des Lammes genannt wird. Weiterhin wird das Lamm dafür gepriesen, durch den Sühnetod die oben genannte Menschenmenge zu einem Königreich und zu Priestern für Gott gemacht zu haben (5,10). Als Übersetzungsmöglichkeiten von βασιλεία gelten „Königreich“ im funktionalen oder geographischen Sinne, das Amt des Königs sowie die Königswürde.121 Der Ausdruck impliziert also zugleich die Zugehörigkeit zum Herrschaftsbereich Gottes und die Würde, mit der die Erkauften durch den Sühnetod des Lammes ausgestattet werden.122 Der Loskauf durch das Lamm hat neben der kö-
115 Vgl. Paulsen, Art. φυλή, 1060. 116 Vgl. Behm, Art. γλῶσσα, 719. 117 Die Übertragung in das NT ist vielseitig und reicht von der Ersetzung des Volkes Israel durch die Kirche bis zur gemeinsamen Identität von Juden und Nichtjuden als neues Volk Gottes. Vgl. Frankemölle, Art. λαός, 837–848. 118 Schmidt, Art. ἔθνος (NT), 366. 119 Vgl. Walter, Art. λαός, 925. 120 Strathmann, Art. λαός, 33. 121 Vgl. Lampe, Art, βασιλεία, 483. 122 Die Erkaufung selbst impliziert den Freikauf von Kriegsgefangenen, die unter Fremdvölkern wohnen. Vgl. Müller, Offenbarung, 161.
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niglichen auch die priesterliche Würde zur Folge.123 Der Begriff ἱερεύς ist aufgrund des im himmlischen Jerusalem wegfallenden Tempels nicht wörtlich zu verstehen, da der dazugehörige Tempeldienst ebenfalls irrelevant wird.124 Die anschließende Aussage βασιλεύσουσιν ἐπὶ τῆς γῆς ist auffällig, da das Verb βασιλεύειν im NT sonst auf Gott oder Christus bezogen wird.125 Die Zusage bedeutet also, dass die mit königlicher und priesterlicher Würde ausgezeichneten Losgekauften mit Gott und Christus herrschen werden. Die nächsten beiden Redeanteile stellen hymnenartige Gesänge der Engelschar und der gesamten Schöpfung dar. In ihnen werden Reihungen voller Gottes- und Christus-Epitheta verwendet. Der erste Lobpreis in 5,12 beginnt erneut mit einer ἄξιος-Formel und ist der in 5,9 einsetzenden Formel zuzuschreiben. Die Engelschar stellt eine neue Personengruppe dar, die die Inthronisationsszene mit einem Lobpreis als angemessen bestätigt und somit dasselbe zum Ziel hat wie die vorangehende Lobpreisgruppe. Der Begriff der δύναμις ist bereits in Offb 4 thematisiert worden. Hier wird die „in der Endzeit wirkende Gotteskraft“126 auf das Lamm übertragen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es unabhängig von der δύναμις Gottes eine eigene Kraft habe, denn „neben dem Vater übt er [Christus, M.S.] mit seinem Wort als Kraftträger die Weltherrschaft aus.“127 Zudem wirkt sich Gottes Macht durch das Lamm aus.128 Das Epitheton πλοῦτος kann in der Grundbedeutung „Fülle an Lebensgütern“ verstanden werden, die Paulus bereits aufgreift und die in der Offb weitergetragen wird. Damit verbunden ist auch die „Wohlfahrt eines glücklichen Lebens“.129 Betrachtet man πλοῦτος im Kontext der anderen ChristusPrädikate, ist als Bedeutung auch die „Fülle des Wirkens“ und „das, was Gott oder Christus in grenzenloser Fülle besitzen“130 , denkbar. Mit σοφία ist eine eschatologische Heilsgabe gemeint. Sie ist „den christlichen Bekennern vorbehaltene[s] Wissen, auf Grund dessen sie eine Durchschau in den wahren Sinn und die eigentlichen Zusammenhänge der irdischen Geschehnisse ihrer Zeit erhalten.“131 Das Lamm hat durch die Entgegennahme und Entsiegelung der Buchrolle die vollkommene Durchschau erlangt und ist somit würdig, dafür gepriesen zu werden. 123 Dagegen Sand, der die priesterliche Würde der königlichen Würde unterordnet: „Die Priesterwürde […] ist Teil der Königswürde, die ihr von Gott und seinem Christus übergeben wird.“ Sand, Art. ἱερεύς, 428. Beide Aspekte auch bei Schrenk, Art. ἱερεύς, 265. 124 Vgl. Sand, Art. ἱερεύς, 429. 125 Vgl. Schmidt, Art. βασιλεύω, 592. 126 Betz, Art. δύναμις, 923. 127 Grundmann, Art. δύναμις, 306. 128 Vgl. Betz, Art. δύναμις, 924. 129 Vgl. Hauck/Kasch, Art. πλοῦτος, 317. 130 Bauer, Wörterbuch, Sp. 1355; Hauck/Kasch, Art. πλοῦτος, 328. Schlatter versteht unter πλοῦτος den Reichtum, „mit dem er alle begaben kann“. Schlatter, Offenbarung, 193. 131 Wilckens, Art. σοφία, 525.
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Diese erlangte σοφία ist eine den menschlichen Möglichkeiten weit übersteigende göttliche Gabe.132 Mit ἰσχύς wird ein verwandter Begriff zu δύναμις genannt, der zugleich seine theologische Komponente aus der LXX bezieht.133 Der Unterschied zu δύναμις besteht in dem Schwerpunkt auf tatsächlichem Vermögen und wirklicher Fähigkeit.134 Die Preisung der Fähigkeit des Lammes bezieht sich vermutlich auf die Entgegennahme der Buchrolle. Der bereits thematisierte Begriff δόξα als „Gottesaussage“ wird zugleich „Träger der Christusaussage“135 und zu einem relevanten Kernbegriff in soteriologischen Aussagen.136 Das Lamm ist berechtigt, den Titel für sich zu beanspruchen aufgrund der nachösterlichen Verklärung. Der Terminus ist demnach nur im Kontext einer erhöhten Christologie bedeutsam. Das Epitheton τιμή ist erneut eng mit der anfänglichen ἄξιος-Formel zu betrachten. Zugleich impliziert der Titel die Anerkennung des Christus nach seiner Erhöhung und wird so zu einem eschatologischen Heilsbegriff.137 Der letzte Begriff εὐλογία hat eine kultische Konnotation, wenn er „als Sprechen des Lobpreises Gottes in ekstatischer Rede“138 fungiert. Da er am Ende der Reihung steht, wird der gesamte Lobpreis, dessen das Lamm als würdig erachtet wird, auf einen Begriff gebracht.139 Er hat hier die Bedeutung „Lob, Preis“, denn die v. a. in der Briefliteratur häufige Bedeutung „Segen“ ist in Bezug auf Gott und das Lamm auszuschließen. Segen geht immer von Gott aus.140 Im Kontext eines Lobpreises an Gott hat der Begriff im NT stets doxologischen Charakter141 und stellt in diesem Kontext den Höhepunkt des Gesangs dar.142 In 5,13 verfällt die gesamte Schöpfung in einen Lobpreis und greift dabei einige der bereits thematisierten Prädikate wieder auf (εὐλογία, τιμή, δόξα). Als neues Epitheton erscheint κράτος, das sich als Attribut im NT nie auf Menschen bezieht.143 Damit ist ausschließlich „die überlegene Macht Gottes gemeint, der
132 Vgl. Maier, Offenbarung, 311; Wilckens, Art. σοφία, 489. 133 Vgl. Hoffmann, destroyer, 160; Paulsen, Art. ἰσχύς, 512. 134 Vgl. Grundmann, Art. ἰσχύω, 400. Als weitere Hauptübersetzung wird „physische Stärke“ angeboten. Vgl. LSJ, Art. ἰσχύς, 844. Bezieht sich die Preisung physischer Stärke auf das Lamm, entsteht ein Paradox zwischen „Stärke“ und „Lamm“. 135 Kittel, Art. δόξα, 251. 136 Vgl. Hegermann, Art. δόξα, 835. 137 Vgl. Aalen, Art. τιμή, 208. 138 Beyer, Art. εὐλογία, 761. 139 Denn darunter sind „Preis, Ruhm und Lob [zu verstehen], den die Gottheit mit Recht empfängt.“ Maier, Offenbarung, 312. 140 Vgl. Patsch, Art. εὐλογέω, 199f. 141 Vgl. Link, Art. εὐλογία, 1124. Dadurch eignet er sich als Abschluss eines hymnenartigen Gesangs, wo keine Ewigkeitsformel vorliegt. 142 Vgl. Barclay, Revelation, 180 „the inevitable climax of it all“. 143 Vgl. Michaelis, Art. κράτος, 907.
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auch der Endsieg gehören wird.“144 Durch κράτος wird nicht nur die Machtergreifung bezeichnet, sondern auch das Festhalten an der Macht.145 Der Begriff κράτος impliziert somit eine ewige Herrschaft Gottes sowie des Lammes, oft im Rahmen von Doxologien. Dies ist typisch für hymnenartige Gesänge sowie Gebete im NT.146 Die abschließende Ewigkeitsformel mit pluralen Wendungen von αἰών wird konstruiert, um „die Unendlichkeit der Zukunft Gottes zur Ewigkeit“ zu erweitern.147 3.2.3
Die Besiegelung der Knechte Gottes (Offb 7,1–17)
Personen und ihre Attribute
In Offb 7 werden verschiedene Engel genannt, die verschiedene Funktionen einnehmen. Die ersten vier Engel halten die vier Enden der Erde fest und haben die Kontrolle über die vier Winde (7,1). Diese Vierergruppe wird kosmisch und mit Gewaltpotenzial gezeichnet. Ein weiterer, aus dem Osten aufsteigender Engel besitzt Gottes Siegel (7,2).148 Dies bedeutet nicht, dass an ihm die Besiegelung vorgenommen wurde, sondern er selbst der Besiegelnde ist.149 Ihm wird eine laute Stimme als Attribut zugeordnet (7,2 ἔκραξεν φωνῇ μεγάλῃ; 7,10 κράζουσιν φωνῇ μεγάλῃ).150 Im weiteren Verlauf werden je 12000 besiegelte Menschen aus den zwölf Stämmen Israels genannt. Ihre Besiegelung soll auf der Stirn sichtbar sein (7,3). Im Anschluss an den ersten Teil der Vision erfolgt die Schau der aus der Bedrängnis Kommenden, die die Bedrängnis bereits durchgestanden haben (7,14). Sie halten nun am Thron Gottes Anbetung (7,15) in weißen Gewändern und Palmzweigen in den Händen (7,9). Der Autor legt Wert auf die Farbe der Bekleidung.
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Michaelis, Art. κράτος, 908. Vgl. Baumann, Art. κράτος, 814. Vgl. Osten-Sacken, Art. κράτος, 780. Vgl. Holtz, Art. ἀιών, 108. Lohse versteht unter dem Siegel Gottes einen Siegelring. Vgl. Lohse, Offenbarung, 52; ebenso Hadorn, Offenbarung, 91; Mounce, Revelation, 167. Berger spricht von „Stempel“. Vgl. Berger, Apokalypse, 597. Dass der Engel das Siegel Gottes bei sich hat, spricht für sein hohes Amt. Vgl. Maier, Offenbarung, 352. 149 „Nach biblischer Anschauung können Engel dank Fehlens eines fleischlichen, leidensfähigen Leibes gar nicht versiegelt werden.“ Berger, Apokalypse, 598. 150 Bereits in der synchronen Analyse von Figuren und Attributen zeigt sich eine Gesetzmäßigkeit: Bei Engelsgestalten, die einen wichtigen Sachverhalt verkünden, wird als Attribut eine laute Stimme hinzugefügt. Ganz anders sieht es Grundmann, der die Wendung „laute Stimme“ als Jubelruf versteht. Vgl. Grundmann, Art. κράζω, 903. Plausibel ist zumindest, dass laute Stimmen in der Offb eine gewisse Autorität innehaben. Vgl. Maier, Offenbarung, 495.
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Die Attribute verleihen der Personengruppe eine festliche Wirkung. Besonders augenfällig ist, dass die aus der Bedrängnis Kommenden mit lauter Stimme Lobpreis vor Gott und das Lamm bringen (7,10 φωνῇ μεγάλῃ).151 Handlungen
Die erste beschriebene Handlung geht von vier Engeln an den Weltecken aus, die die vier Winde festhalten (7,1). Das Verb ἑστῶτας zeigt auf, dass die Engel sich nicht von selbst dort hingestellt haben, sondern dort hingestellt worden sind.152 Das Partizip κρατοῦντας impliziert ein dauerhaftes Festhalten der Winde. Die Engel haben die Kompetenz, kosmischen Schaden zu verursachen (7,2). Der Visionär sieht einen anderen Engel aus dem Osten aufsteigen (7,2), wobei der Aufstieg unterschiedlich interpretiert werden kann.153 Der Engel erteilt Verbote an die vier Engel und hält das Strafgericht bis zu einem vorgegebenen Zeitpunkt zurück (7,3). Mithilfe des Siegels, das er bei sich hat, drückt er Menschen den Siegelabdruck auf. Die Verbform σφραγίσωμεν sowie das Possessivpronomen ἡμῶν zeigen an, dass der Engel nicht selbst, sondern in einer Gruppe handelt. Diese bleibt unbekannt. Der Vorgang der Besiegelung selbst wird nicht beschrieben, sondern lediglich ihr Resultat. Der Seher selbst nimmt den Zählvorgang nicht vor und es bleibt offen, von wem er die Zahl erfährt.154 Der Visionär sieht die 144000 nicht, sondern erfährt lediglich ihre Zahl (7,4 ἤκουσα τὸν ἀριθμὸν τῶν ἐσφραγισμένων).155 Die nächste Personengruppe, die geschaut wird, ist die unzählbare Schar der aus der Bedrängnis Kommenden (7,9). Sie kommt nicht von selbst vor den Thron, sondern ist dort hingestellt worden. Das Partizip ἑστῶτες drückt einerseits aus, dass die Menge bei der Schau des Visionärs bereits vor dem Thron und dem Lamm steht, das
151 Dies wird normalerweise bei Verkündigungen durch Engel erwähnt. 152 Mehrere Exegeten sehen das Stehen der vier Engel als Ruhemoment vor einer erneuten Handlung an. Vgl. Charles, commentary, 189; Hartenstein, Herr, 118; Maier, Offenbarung, 351. Dem ist zuzustimmen und zugleich zu ergänzen, dass himmlische Prozesse in der Offb häufig als Ruhemomente dargestellt werden. Dies trifft insbesondere auf die Thronsaalvision zu, die mithilfe von Partizipialformen Zustandhaftes ausdrückt. 153 Die relevantesten Ansätze verstehen in diesem Kontext das Verb ἀναβαίνειν als „auftreten“, oft mit der Absicht einer kultischen Handlung. Vgl. Maier, Offenbarung, 352; Schneider, Art. βαίνω κτλ, 517. 154 Laut Maier könnte es einer der Ältesten (5,5; 7,13) oder ein Engel (10,6ff) sein, weil sie auch an anderer Stelle mit dem Visionär kommunizieren. Vgl. Maier, Offenbarung, 355. Dies bleibt jedoch Spekulation. Zudem hat der Visionär auch an anderer Stelle Auditionen, bei denen er die Stimmen keiner Person zuordnen kann (4,5; 6,6; 9,13; 10,4 uvm.). 155 Hadorn führt als Erklärung an, dass die Besiegelten noch verstreut sind und deshalb nicht geschaut werden können. Die Zusammensetzung von 12-mal 12000 deute darauf hin, dass der Visionär den Vorgang der Versiegelung auf eine Weise wahrnimmt. Vgl. Hadorn, Offenbarung, 92.
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Stehen andererseits dauerhaft ist. Es ist auffällig, dass die Schar dieselbe Haltung einnimmt wie die Engel in V.11. Die Menschenmenge setzt zu einem Lobpreis an, der mit dem Zusatz „mit lauter Stimme“ angekündigt wird (7,10 κράζουσιν φωνῇ μεγάλῃ λέγοντες). Dadurch entsteht die Assoziation mit verkündenden Engeln. Jene Menschen haben ihre weißen Gewänder selbst gewaschen (7,14 ἔπλυναν τὰς στολὰς αὐτῶν) und durch das Blut des Lammes die weiße Farbe erhalten (ἐλεύκαναν αὐτὰς ἐν τῷ αἵματι τοῦ ἀρνίου). Als Konsequenz dieses Reinigungsprozesses mithilfe des Lammes wird die immerwährende Anwesenheit vor dem Thron sowie die Geborgenheit durch den Thronenden erklärt (7,15 ὁ καθήμενος ἐπὶ τοῦ θρόνου σκηνώσει ἐπ’ αὐτούς). Im Anschluss an den Lobpreis der aus der Bedrängnis Kommenden (7,10) erfolgt eine Proskynese aller Engel (7,11), die an einen weiteren Lobpreis gekoppelt ist (7,12). Der Thronende sowie das Lamm weisen in Offb 7 neue Handlungen auf. In Bezug auf diejenigen aus der Bedrängnis wird das Zelten Gottes über ihnen angekündigt (7,15). Die Futurform σκηνώσει zeigt an, dass das Zelten des Thronenden zum Zeitpunkt der Vision noch aussteht. Als weitere Handlung Gottes wird das Abwischen aller Tränen derjenigen aus der Bedrängnis genannt (7,17). Auch diese Handlung steht noch aus, was durch die Futurform ἐξαλείψει impliziert wird. Der angekündigte Trost wird als vollständig beschrieben, da alle Tränen getrocknet werden (πᾶν δάκρυον). Das Lamm weist zum Ende des Kapitels zwei zukünftige Handlungen auf: Einerseits wird es diejenigen aus der Bedrängnis weiden (ποιμανεῖ αὐτούς), andererseits zu den Quellen des Lebenswassers führen (ὁδηγήσει αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων). An dieser Stelle werden erneut zwei Futurformen verwendet, um die Taten des Lammes als zukünftig zu kennzeichnen. Rein textlich ergibt sich ein Widerspruch, da ein Lamm ein geweidetes Tier darstellt, nicht den Hirten.156 Orte
Der lokale Rahmen von Offb 7 wird durch die Schilderung von vier Engeln an den vier Ecken der Erde aufgespannt (7,1). Diese drücken die „Gesamtheit der
156 Berger interpretiert dies nicht als Widerspruch, sondern schlussfolgert daraus: „Der Hirte ist daher von derselben Art und Natur wie die Lämmer, die er leitet.“ Berger, Apokalypse, 632. Der Teilhabe-Gedanke wird bereits für Offb 5 diskutiert, indem der Sieg des Löwen aus dem Stamm Juda mit den sogenannten „Überwindersprüchen“ aus den Sendschreiben verknüpft wird. Vgl. Schabow, Königreich, 134f. Zu ergänzen wäre die Verknüpfung des Löwen in Offb 5 mit der Schar der Sieger in Offb 7. Beiden gemeinsam ist eine Form von θλίψις: Das Lamm ist geschlachtet worden (5,9). Die θλίψις der Siegerschar aus Offb 7 bleibt offen. Der Bezug zum Lamm wird durch das Waschen der Gewänder im Blut des Lammes hergestellt.
Semantisches Inventar
irdischen Welt“ aus157 und implizieren zugleich eine viereckig gedachte Erde.158 Der befehlende Engel mit dem Siegel Gottes steigt von Osten her auf (7,2), was zu einer astralen oder Sonnen-Assoziation verleitet.159 Die genaue Angabe der Himmelsrichtung „Osten“ scheint zumindest eine signalhafte Bedeutung zu haben. Die besiegelten 12000 aus den zwölf Stämmen Israels lassen erahnen, dass es sich um eine irdische Sammlung handelt.160 Bei der Schau der aus der Bedrängnis Kommenden erfolgt eine Lokalisierung in den himmlischen Thronsaal, der in Offb 4–5 eingeführt worden ist. Die Schar ist vor den mittigen Thron gestellt (7,9). Die Besonderheit der Szene besteht darin, dass erstmals Menschen im himmlischen Thronsaal gesehen werden.161 Es findet also keine Bewegung statt, sondern der Visionär sieht bereits einen Zustand. Lediglich die globale Zusammensetzung der Personen lässt erahnen, dass sie von allen Orten der Welt vor den Thron gekommen sind (ἐκ παντὸς ἔθνους καὶ φυλῶν καὶ λαῶν καὶ γλωσσῶν).162 Die hier beschriebenen Menschen unterscheiden sich von den Besiegelten grundlegend, was u. a. die Lokalisierung in den Himmel anzeigt.163 Der lokale Fokus richtet sich weiterhin auf den himmlischen Thronsaal, während die Engelscharen um die vier Lebewesen und 24 Ältesten einen Lobpreis an Gott richten (7,11). Die Konstellation der in Offb 4–5 eingeführten Personengruppen bleibt offensichtlich bestehen. Es kommt erneut zum Kontakt zwischen einem der Ältesten und dem Visionär innerhalb des himmlischen Thronsaals (7,13). Die Handlungen verlaufen weiterhin im himmlischen Thronsaal. Dies ändert sich auch nicht mit der Aussage der Ältesten, dass diejenigen aus der Bedrängnis vor Sonneneinstrahlung oder Hitze von Gott beschützt werden, den Boden für Gottes Zelt darstellen oder vom Lamm geweidet sowie an die Quelle geführt werden (7,16f). Diejenigen aus der Bedrängnis stehen dauerhaft am Thron Gottes, beten an
157 Holtz, Offenbarung, 69. 158 Roloff erklärt, dass nach antiker Weltvorstellung die Erde eine quadratische Oberfläche aufweise. Vgl. Roloff, Offenbarung, 88; ebenso Lohse, Offenbarung, 52; Prigent, Commentary, 281, der zugleich die rechteckige Entsprechung des himmlischen Jerusalem thematisiert. Dagegen spricht sich Behm aus, der unter „Ecken“ vielmehr ein Synonym für „Enden“ versteht. Vgl. Behm, Offenbarung, 44. Ihm muss insofern Recht gegeben werden, als die einseitige Übersetzung von γωνία mit „Ecke“ nicht zu dem Schluss führen sollte, ein rechteckiges Weltverständnis anzunehmen. 159 Ein weiterer Interpretationsansatz sieht mit der Himmelsrichtung „Osten“ das Signal eines göttlichen Ursprungs. Vgl. Maier, Offenbarung, 352. Dieser Ansatz scheint nicht überzeugend, da andere Indizien wie das Tragen weißer Gewänder eher für einen göttlichen Ursprung sprechen. 160 Die Gruppe der Besiegelten ist demnach eine Sammlung auf Erden. Vgl. Berger, Apokalypse, 588. 161 Vgl. Prigent, Commentary, 289. 162 „The universality of the multitude is stressed by the fourfold division into nations, tribes, peoples, and languages.“ Mounce, Revelation, 162. 163 Berger sieht in der Unterteilung einer Szene in himmlisch und irdisch ein typisch apokalyptisches Kennzeichen. Vgl. Berger, Apokalypse, 588f.
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und dienen Gott im himmlischen Tempel (7,15), sodass der himmlische Thronsaal bis zum Ende des Kapitels den Ort des Geschehens darstellt. Zeitangaben und Zahlensymbolik
Die Vision beginnt mit Μετὰ τοῦτο, wodurch keine zeitliche Abfolge eschatologischer Ereignisse vermittelt wird, sondern eine Abfolge geschauter Visionen. Die erste Zahlenangabe ist die Vierzahl der Engel an den Weltecken.164 Da sie im Auftrag Gottes handeln, wird dadurch die universale Wirksamkeit Gottes in der Schöpfung ausgedrückt. Die zentrale Zahlenangabe in Offb 7 ist die Zahl 144000.165 Die Zusammensetzung ergibt sich aus der Zwölfzahl der Stämme und der 12000 pro Stamm. Dabei ist zu beachten, dass die Anzahl 12000 wiederum aus 12-mal 1000 Mitgliedern zusammengesetzt ist. Die Zusammensetzung ergibt eine Menge der Vollständigkeit.166 Im heilsgeschichtlichen Kontext ist die Zwölfzahl zudem sakral und hat einen Hang zum Kultischen.167 Die Erwähnung von 12000 aus jedem Stamm (7,4 ἐκ πάσης φυλῆς) impliziert weniger eine eklektische Gruppe als vielmehr „the full number of faithful believers alive when that event takes place.“168 In diesem Sinne unterstützt ἐκ die „Internationalität“ der zu besiegelnden Gruppe.
164 „Die Vier deutet die kosmische Ganzheit an“. Weiter heißt es: „In der Bibel ist die Vier Hinweis auf die von Gott erschaffene Welt.“ Lurker, Wörterbuch, 331f. 165 Dass es sich um eine bewusst eingesetzte Zahlenangabe handelt, wird u. a. daran erkennbar, dass der Autor die Zahl in Offb 14,1.3 erneut aufgreift. Vgl. Aune, Revelation, 440; Prigent, Commentary, 284; Maier, Offenbarung, 355: „eine von Gott festgelegte Vollzahl“. Gemäß der Identität der 144000 werden fünf Hauptansätze vertreten: 1. der gläubige Rest Israels, 2. Judenchristen, 3. Völkerchristen, 4. Christen allgemein, 5. Märtyrer. Vgl. die Aufzählung bei Maier, Offenbarung, 360. Die letzte Hypothese ist insofern besonders augenfällig, als in 6,11 weitere Märtyrer angekündigt werden. Die Märtyrerthese vertreten auch Charles, commentary, 201f; Caird, commentary, 94; Kiddle, Revelation, 133f uvm. Die Annahme einer bestimmten Personengruppe innerhalb des Christentums ist insgesamt zu hinterfragen, da sie auf Vermutungen basiert. Eine wörtliche Interpretation der Zahl 144000 ist ebenso zu vermeiden, da sie an dem symbolischen Wert der Aussage vorbeigeht. 166 „Twelve is both squared and multiplied by a thousand – a twofold way of emphasizing completeness.“ Mounce, Revelation, 158. Maier sieht die 144000 als „heilige Zahl, zusammengesetzt aus 3 (Trinität) mal 4 (gesamte Schöpfung) sowie aus 12 (Gottesvolk) mal 1000 (Fülle).“ Der Code, der dem Leser vermittelt werden soll, sei demnach: „Der heilige dreieinige Gott bringt seine Gemeinde durch alle Nöte der Endzeit hindurch ins ewige Leben.“ Maier, Offenbarung, 362. 167 Vgl. Berger, Apokalypse, 590. 168 Mounce, Revelation, 157. Schmitz argumentiert aus numerologischer Sicht: „Die Zahl 12 bezeichnet in der Heiligen Schrift primär das Volk Gottes in seiner Gesamtheit […]. Die Zahl 144 000 bezeichnet also nicht eine numerische Begrenzung der Versiegelten, sondern sie symbolisiert die endzeitliche Vollendung des Gottesvolkes (vgl. auch 7,9).“ Schmitz, Art. ἀριθμός, 1455f. Dagegen Aune, der mit dem grammatikalischen Konstrukt eine ausgewählte Gruppe aus den Stämmen gegeben sieht: „indicating that a limited number are separated from a larger group“. Aune, Revelation, 440.
Semantisches Inventar
Da in 7,9 eine neue Vision einsetzt, wird der Vers mit der signalhaften Wendung μετὰ ταῦτα eingeleitet. Sie besagt erneut die Abfolge von geschauten Visionen, keine
eschatologische Chronologie. Die Erwähnung einer unzähligen Schar ab 7,9 ist insofern auffällig, als sie im Gegensatz zur fest umrissenen 144000 ganz unbestimmt bleibt (ὄχλος πολύς, ὃν ἀριθμῆσαι αὐτὸν οὐδεὶς ἐδύνατο). Die Unzählbarkeit weist auf die überdimensionale Anzahl hin.169 In 7,15 wird die Zeitangabe ἡμέρας καὶ νυκτός vorgenommen, um die ewige Anwesenheit derjenigen aus der Bedrängnis bei Gott auszudrücken. Den Lebewesen wird dieses temporale Attribut ebenfalls zugeschrieben (4,8).170 Wörtliche Rede
Die erste Aussage in Offb 7 kommt vom aufsteigenden Engel, der den vier Engeln an den vier Weltecken aufträgt, ihr Gewaltpotenzial zurückzuhalten (7,3). Die Aufzählung der zu verschonenden Weltdinge überrascht: Die Erde, das Meer und der Baum im Kontext von Winden lassen zunächst die Erfahrung vermuten, die Windstärke anhand von Baumbewegung abzulesen. Im NT stellt der Begriff δένδρον ein Sinnbild für den Menschen dar, „insofern sein Handeln über seinen Wert vor Gott und damit über seine Zukunft entscheidet.“171 Die Aufzählung von Erde und Meer setzt wörtlich die Unterscheidung von Festland und Gewässer voraus, im übertragenen Sinne die Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden.172 Der nächste Redeanteil stellt den hymnenartigen Gesang der Schar aus der Bedrängnis dar (7,10). Der Kernbegriff σωτηρία173 bedeutet dabei nicht nur Rettung von etwas oder jemandem, wie durch die Erklärung eines Ältesten vermittelt wird (7,14), sondern umfasst „die gesamte endzeitliche Erlösung“.174 Im Anschluss stimmen alle Engel, Lebewesen und Ältesten einen hymnenartigen Gesang an, der eine komplexe Reihung aufweist (7,12). Dabei wird als neues Epi-
169 Aune vermutet einen Ausdruck für eine große Menschenmenge, der in frühchristlicher Zeit die Gesamtheit der Christen bezeichnet hat. Vgl. Aune, Revelation, 445. 170 Maier stellt zudem den Zusammenhang mit 22,3 her, wo der ewige Dienst der Erlösten ebenfalls thematisiert wird. Vgl. Maier, Offenbarung, 369. 171 Nützel, Art. δένδρον, 684. 172 Langenberg vermutet aus prophetischer Semantik heraus hinter „Land“ und „Meer“ Chiffren für das Volk Israel und die nichtjüdischen Völker, die durch die destruktive Macht von Winden Schaden nehmen. Vgl. Langenberg, Apokalypse, 180f. 173 „Alles, was die Erlösten zu sagen haben, konzentriert sich in dem Begriff des Heils […].“ Maier, Offenbarung, 364. 174 Maier, Offenbarung, 365. Dagegen versteht Mounce hinter σωτηρία die Erlösung von den Sünden. Vgl. Mounce, Revelation, 162. Beide Bedeutungen sind Tradition des AT, die in das NT aufgenommen werden. Im NT ist die Bedeutung „Heil in übernatürlich-endzeitlichem Sinn“ zumeist gewichtiger, jedoch in der Offb „die Errettung der Kirche aus der währenden Bedrängnis“ ebenso relevant. Schelkle, Art. σωτηρία, 785.
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theton εὐχαριστία eingeführt. Es ist im hymnenartigen Kontext zu erwarten und meint „doxologische Danksagung.“175 Im NT bezieht sich εὐχαριστία zumeist auf Gott oder Christus.176 Der hymnenartige Gesang ist aufgrund eines zweimaligen ἀμήν auffällig. Während das erste ἀμήν zu Anfang des Gesangs als Bestätigung des vorausgehenden Gesangs gedeutet werden kann, erzeugt der Abschluss in V.12 mit ἀμήν einen liturgischen Charakter.177 Im Anschluss an die Gesänge wird der Visionär von einem der Ältesten nach der Identität der Personenschar gefragt, woraufhin der Seher mit Unwissen reagiert. In der darauffolgenden Erklärung des Ältesten wird zunächst die große Bedrängnis genannt (7,1). Der Begriff θλίψις wird im NT im übertragenen Sinne gebraucht, sodass er an dieser Stelle mit „Bedrängnis“ übersetzt werden muss. Diese kann eine innere (Trübsal) und äußere Dimension (Bedrängnis, Not) einschließen. Die konkreten Aspekte der θλίψις wurden in den Sendschreiben und dem Siegelzyklus geschildert, sodass sich beide Dimensionen in der Antwort des Ältesten vereinen. Auch wenn die Formulierung ἐκ τῆς θλίψεως τῆς μεγάλης ein konkretes Ereignis vermuten lässt,178 sollte unter Berücksichtigung des Partizips ἐρχόμενοι ein dauerhaftes Kommen aus jeglichen Bedrängnissituationen nicht ausgeschlossen werden.179 Im zweiten Teil der Erklärung des Ältesten wird das Weißmachen der Gewänder durch das Blut des Lammes geschildert (7,14). Die Aussage erscheint paradox, wenn das Weißmachen der Gewänder sowie die Farbe an sich wörtlich verstanden werden. Die Farbe Weiß ist in dem Kontext als „Symbol der Gerechtfertigten“180 , als „Symbol der Zugehörigkeit zur himmlischen Welt“181 und „victors‘ robes“182 zu interpretieren. Das αἷμα des Lammes ist wiederum ein „Todessymbol“183 , das auf den Tod des Lammes verweist: Der (Sühne-)Tod des Lammes ermöglicht denen aus der Bedrängnis die Rechtfertigung und Zugehörigkeit zum Himmel. In diesem Sinne liegt kein Paradox vor. Dies hat zur Folge, dass die Erlösten dauerhaft am Thron Gottes stehen und ihm dienen (7,15). Im NT wird
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Esser, Art. εὐχαριστία, 173. Vgl. Patsch, Art. εὐχαριστία, 221. Vgl. Mounce, Revelation, 163. Dies vermutet z. B. Mounce mit Blick auf den bestimmten Artikel: „It is that specific period of distress and cruel persecution which will take place prior to the return of Christ.“ Mounce, Revelation, 164. „Sie alle, die hier als Erlöste stehen, mussten durch Trübsal gehen. Ohne Leiden gibt es keine Herrlichkeit.“ Maier, Offenbarung, 368. In diesem Sinne auch Hughes, book, 97; Robbins, Revelation, 115. Vgl. Maier, Offenbarung, 350. Satake, Offenbarung, 231; ferner Giesen, Offenbarung, 150; Michaelis, Art. λευκός, 255 „Ausdruck der himmlischen Herrlichkeit“. Mounce, Revelation, 161. Böcher, Art. αἷμα, 91; Aune, Revelation, 446 „atoning death of Christ“.
Semantisches Inventar
λατρεύω wie in der LXX religiös-kultisch verstanden.184 Das bedeutet, dass durch
die Aufnahme in die himmlische Sphäre die Erlösten in die himmlische Liturgie einbezogen werden. 3.2.4
Die Vermessung des Tempels und die zwei Zeugen (Offb 11,1–19)
Personen und ihre Attribute
Der Seher wird aufgefordert, mithilfe eines ihm überreichten Rohrs den Tempel, den Altar und die Anbetenden auszumessen (11,1). Der Auftraggeber wird aufgrund der passiven Formulierung zunächst nicht genannt, jedoch wird in V.3 deutlich, dass es sich um Gott handeln muss.185 Dies ist anzunehmen, wenn die Ausmessungsund die anschließende Zeugenepisode miteinander zusammenhängen. Das Rohr (κάλαμος), das ihm gegeben wird, hat die Funktion eines Messinstruments. Der sich anschließende Vergleich (ὅμοιος ῥάβδῳ) macht Raum für weitere Assoziationen. Die Beauftragung des Visionärs umfasst auch die Messung der Anbeter im Tempel. Diese Gruppe wird nicht näher beschrieben, obgleich ihre Nennung überrascht. Die gemeinsame Messung von Gebäuden, Dingen und Personen scheint unüblich.186 Bei der Auslassung des äußeren Tempelhofs (11,2) wird als Personengruppe allgemein von „Heiden“ gesprochen (τοῖς ἔθνεσιν). Sie sind es, die die Heilige Stadt 42 Monate lang zertreten werden. Die zwei Zeugen stellen entscheidende Figuren dar, deren Identität aufgrund der Art ihrer Einführung als bekannt vorausgesetzt wird (11,3 τοῖς δυσὶν μάρτυσίν μου). Dennoch werden die Namen nie erwähnt.187 Darüber hinaus impliziert das Possessivpronomen μου, dass sie besonders innig mit dem Auftraggeber verbunden sind.188 Ihnen wird jeweils ein Sack(gewand) zugeordnet (11,3 περιβεβλημένοι σάκκους). Zudem werden sie als Ölbäume und Leuchter bezeichnet (11,4). Bemerkenswert ist auch das tödliche Feuer aus ihren Mündern (11,5).189
184 Vgl. Balz, Art. λατρεύω, 849f; Hess, Art. λατρεύω, 189: „im Sinne religiösen Dienens“. 185 Hadorn u. a. sehen eher Christus als Auftraggeber. Vgl. Hadorn, Offenbarung, 117; Bengel, Offenbarung, 515; Hahn, Briefe, 301. Die Passivform von δίδωμι ist an anderen Stellen in der Offb jedoch immer ein Hinweis auf göttliche Beauftragung. Vgl. Maier, Offenbarung, 456; Zahn, Offenbarung, 419; Pohl, Offenbarung, 62. Es könnte sich auch um den starken Engel aus Offb 10 handeln. Vgl. Bousset, Offenbarung, 371. Dieser würde wiederum in Gottes Auftrag handeln, der dann den eigentlichen Auftraggeber darstellt. 186 Dies weist bereits darauf hin, dass es nicht um den Tempel als Raum geht. 187 Berger sieht darin eine bewusste Vermeidung des Namens. Die Versuchung, Engel und Propheten anzubeten, würde dadurch vermieden. Vgl. Berger, Apokalypse, 769. 188 Vgl. Maier, Offenbarung, 462. 189 Damit ist eine „mit Worten des Fluchs herbeigeführte Bestrafung“ gemeint. Berger, Auferstehung, 270 Anm. 106. Die ausgeführten Vollmachten der beiden Zeugen sind gleich verteilt, sodass
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Das Ende der Zeugen wird durch das aufsteigende Tier aus dem Abgrund besiegelt, das sie bekämpft, besiegt und tötet (11,7). Die Verwendung des bestimmten Artikels impliziert wiederum die Bekanntheit des Tieres. Als weitere Personengruppe in Offb 11 wird eine Menschenmenge aus allen Weltregionen thematisiert (11,9) sowie Gott selbst, der mithilfe seiner Intervention die Entwürdigung und das böse Ende der zwei Zeugen abwendet (11,11). Bei ihrer Auferweckung nimmt die Menschenmenge eine laute Stimme vom Himmel her wahr (11,12). Bei der daraufhin berichteten Naturkatastrophe kommen 7000 Menschen um, was für die Überlebenden Anlass zur Bekehrung darstellt (11,13). Nach den irdischen Geschehnissen schaut der Visionär himmlische Ereignisse im Anschluss an die siebte Posaune. Diese ist ein Attribut, das einem Engel zugeordnet wird (11,15). Ganz unbestimmt erwähnt der Visionär laute himmlische Stimmen, die einen Lobpreis an Gott sowie das Lamm richten (11,15).190 In Offb 11 werden die 24 Ältesten mit ihren Thronen erneut thematisiert, wobei keine neuen Aspekte vermittelt werden (11,16). Am Ende des Kapitels wird als neues Attribut Gottes dessen Bundeslade eingeführt (11,19). Diese impliziert sein Allerheiligstes und den verdichteten „Ort Gottes“.191 Handlungen
Die Besonderheit in Offb 11 besteht darin, dass der bisher passive Seher aktiv in das Visionsgeschehen einbezogen wird.192 Er erhält ein Rohr (11,1 ἐδόθη μοι) und soll den Tempel, den Altar und die Anbeter messen (μέτρησον).193 Dabei soll er den äußeren Tempelvorhof jedoch aussparen (11,2 ἔκβαλε ἔξωθεν καὶ μὴ αὐτὴν μετρήσῃς). Diese Unterscheidung lässt als Zweck der Ausmessung die Erhaltung
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keiner der beiden nur die eine oder andere Vollmacht erhält. Vielmehr geht es um prophetische Eigenschaften in Form einer „Liste mit pauschaler Bedeutung“. Beide Zeugen sind zugleich Ölbaum und Leuchter. Vgl. Berger, Apokalypse, 770. Satake vermutet eine Engelschar. Vgl. Satake, Offenbarung, 273. Dies ist insofern plausibel, als „laute Stimmen“ häufig als Attribut von Engeln verwendet werden. In 11,15 wird für die φωναί, die grammatikalisch als Fem. Pl. zu bestimmen sind, das maskuline Partizip λέγοντες verwendet. Diese constructio ad sensum beweist, dass der Autor hinter den Stimmen Personen vermutet. Vgl. Prigent, Commentary, 361. Vgl. Holtz, Offenbarung, 89. Vgl. Mounce, Revelation, 219. Offb 11,1 beinhaltet einen Semitismus: Der Visionär erhält ein Messinstrument, was durch die Passivform ἐδόθη ausgedrückt wird. Im Anschluss wird jedoch die aktive Partizipialform λέγων angehängt, die die gleichzeitige Beauftragung und Übergabe des Messinstruments ausdrückt. Sie bezieht sich auf den Auftraggeber, der durch die Passivformulierung jedoch nicht genannt wird. Vgl. Prigent, Commentary, 340.
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bzw. Bewahrung des zu Messenden vermuten.194 Zudem wird durch das Messen der Anbeter angedeutet, dass es nicht um den Raum selbst geht, sondern um diejenigen, die ihn nutzen.195 Auch die Personengruppe der zwei Zeugen wird passiv durch Gott beauftragt, was dieser selbst ankündigt (11,3 δώσω τοῖς δυσὶν μάρτυσίν μου)196 . Er muss als der eigentliche Akteur der Szene bezeichnet werden. Ihre zukünftige Aufgabe wird sein, 1260 Tage lang in Säcke gekleidet zu prophezeien (προφητεύσουσιν … περιβεβλημένοι σάκκους).197 Gott umschreibt daraufhin die beiden Zeugen als Ölbäume und Leuchter vor dem Herrn der Erde (11,4). Durch das Perfekt-Partizip ἑστῶτες wird ersichtlich, dass sie dort dauerhaft hingestellt sind.198 Sie genießen
194 Vgl. Müller, Offenbarung, 206; Hadorn, Offenbarung, 117; Maier, Offenbarung, 457; Schneider, Art. ῥάβδος, 968; Michel, Art. ναός, 892f; Prigent, Commentary, 341: „to measure […] means to preserve“. 195 So z. B. Rissi, Was ist, 99–107. Müller widerspricht dem entschieden und sieht sowohl die Detailtreue bei der Schilderung des Tempels als auch die Identifizierung als christliche Gemeinde mit Verweis auf paulinische Parallelen hinter dem Bild. Vgl. Müller, Offenbarung, 207. Folgende mögliche Konsequenz für die Metapher des Messens entsteht, wenn die Gesamtheit der Christen hinter der Gesamtheit des Tempelgeländes vermutet wird: Der äußere Tempelvorhof wäre dann auch Teil der Christenheit und würde diejenigen symbolisieren, die „von den Heiden zertreten“ werden. Vgl. Prigent, Commentary, 347. Dies ergibt Sinn im Hinblick auf die zwei Zeugen, die dann den Teil der zertretenen Christen unter den „Heiden“ repräsentieren. Die einleuchtendste Interpretation besteht nicht in der Unterscheidung zweier Christengruppen – die Beschützten und die Ausgelieferten –, sondern in der Perspektive der gesamten Christenheit: Demnach ist mit dem äußeren Tempelvorhof die Repräsentation der Kirche ad extra gemeint, während der Rest das innere Leben der Kirche symbolisiert. Die Zertretung durch die „Heiden“ betrifft also die Repräsentation der Kirche unter den Nichtchristen. Ähnlich auch Harrington, Apocalypse, 119. 196 So sehen es auch Holtz, Offenbarung, 84; Mounce, Revelation, 22.223. Die Erwähnung des Herrn in der 3. Pers. stelle dabei eine bewusst formulierte Offenheit dar. Bousset hält den starken Engel aus Offb 10 für denkbar. Vgl. Bousset, Offenbarung, 315. Dies erklärt die Verwendung des Possessivpronomens μου jedoch nicht. Hadorn sieht Christus als Auftraggeber. Vgl. Hadorn, Offenbarung, 121. Beide sind möglich. Vgl. Prigent, Commentary, 349. Die grammatikalischen Unstimmigkeiten zwischen V.3 μου und V.4 τοῦ κυρίου lassen erahnen, dass die Frage nach dem Auftraggeber bewusst unbeantwortet bleiben soll. 197 Das Verb προφητεύειν deutet zunächst an, dass ein Prophet zugleich „Verheißungswort, Drohwort, Heilsbotschaft, Unheilsbotschaft, Zukunftsansage, prophetische Anklage […], Bußruf, Mahnwort“ von Gott weitergibt. Rendtorff, Art. προφήτης, 810f. In diesem Kontext muss es sich hauptsächlich um eine Umkehrpredigt handeln, da die Zeugen in Säcke gekleidet sind. Vgl. Maier, Offenbarung, 463. Sie werden somit als Bußprediger beschrieben. Vgl. Behm, Offenbarung, 59; Bengel, Offenbarung, 528; Grünzweig, Johannes-Offenbarung, 276; Wikenhauser, Offenbarung, 85. 198 Das Verb ἵστημι und die Verortung an Gottes Thron implizieren als eigentliche Bedeutung den Dienst an Gott. Vgl. Berger, Auferstehung, 268 Anm. 102. Das maskuline Partizip bei den femininen Bezugswörtern ἐλαῖαι und λυχνίαι deutet erneut auf eine constructio ad sensum hin. BDR §136,3; Haubeck/Siebenthal, Schlüssel, 382.
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den Schutz dessen, der sie beauftragt, da die Ungerechtigkeit an ihnen durch Feuer aus ihren Mündern gerächt wird (11,5). Die beiden Zeugen haben die Kompetenz, den Himmel zu verschließen und das Wasser in Blut zu verwandeln bzw. Plagen zu veranlassen (11,6). Die wiederholte Verbform ἔχουσιν zeigt die Vollmacht an, nicht deren Ausführung.199 Diese ist nur indirekt nachweisbar, da im nächsten Vers der zukünftig abgeschlossene Auftrag thematisiert wird (11,7 ὅταν τελέσωσιν τὴν μαρτυρίαν αὐτῶν). Bei der Bekämpfung der Zeugen durch das Tier impliziert die Formulierung ποιήσει μετ’ αὐτῶν πόλεμον weniger den Kampf gegen zwei einzelne Menschen als vielmehr gegen eine größere Gruppe.200 Das Liegenbleiben der Leichen201 der getöteten Zeugen (11,8) sowie die Erweckung durch Gott (11,11) zeigen eine ausbleibende Aktivität der Zeugen. Erst der befohlene Aufstieg zu Gott wird als aktive Handlung charakterisiert.202 Gott kündigt den Tod der beiden Zeugen durch das Tier an (11,7). Da das Aufsteigen des Tieres mithilfe eines Präsens-Partizips umschrieben wird (τὸ ἀναβαῖνον), wird sein Aufstieg ebenfalls als zukünftig gekennzeichnet. Bei der Schilderung des Todes der beiden Zeugen werden Menschen aller Weltregionen thematisiert, die den Tod der Zeugen bezeugen (11,9) und sich aus Er-
199 Die Beschreibung der verschiedenen Vollmachten zeigt, dass es sich nicht um einen begrenzten, sondern universalen Wirkungsort handelt. Vgl. Maier, Offenbarung, 470. 200 Die Wahl der Verbform beweist, dass der Autor die zwei Zeugen als Symbol für die Kirche nach außen versteht, keine konkreten zwei Propheten, die am Ende der Zeiten auftreten werden. So auch Mounce, Revelation, 220. 201 Der Begriff πτῶμα ist ein drastischer Ausdruck, der das Ausmaß an Schande betont: Er bezeichnet den Leib eines gewaltsam Getöteten oder das Aas von Tieren. Dadurch wird die maximale Entwürdigung der Zeugen, die durch ein ausbleibendes Begräbnis deutlich wird, zusätzlich verschärft. Vgl. Bauer, Wörterbuch, Sp. 1456f; Michaelis, Art. πίπτω, 167. 202 Die Vv.11–14 weisen im Gegensatz zu den vorangehenden Versen keine Futurformen, sondern indikative Aoristformen auf. Vgl. Rienecker, Schlüssel, 621. Interpretiert man diese üblicherweise als Vergangenheitsformen, entsteht ein Bruch innerhalb der Episode: Der Beginn wird zukünftig und damit als ausstehend gekennzeichnet. Ab V.11 wird impliziert, dass die zuvor beschriebenen Ereignisse bereits eingetreten sind und die folgende Schilderung ebenfalls der Vergangenheit angehört. Denkbar wäre, die indikativen Aoristformen als gnomisch bzw. futurisch zu interpretieren und ins Deutsche präsentisch zu übersetzen. Dann wäre die gesamte Schilderung als ein Ereignis der Zukunft zu verstehen, das womöglich kein konkretes, sondern immerwährendes/wiederkehrendes Ereignis meint. Vgl. BDR §333,1–2.
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leichterung gegenseitig Geschenke zusenden (11,10).203 Die Erleichterung wird mit der Befreiung von der Qual der Zeugen begründet (11,10 ἐβασάνισαν).204 Nachdem die Auferweckung und der Aufstieg der beiden Zeugen erfolgt sind,205 kommen 7000 Menschen bei einem Erdbeben um (11,13), wobei die Überlebenden sich zu Gott bekehren (11,13). Das Erdbeben sowie der Untergang der Stadt veranlassen zu Furcht und Umkehr.206 Ab 11,15 erfolgt ein szenischer Wechsel, bei dem ein Engel die siebte Posaune bläst (ὁ ἕβδομος ἄγγελος ἐσάλπισεν). Dies veranlasst laute Stimmen im Himmel zum Lobpreis. Im Anschluss erfolgt eine Proskynese durch die 24 Ältesten (11,16). Die Anbetungsgeste wird mit einem Lobpreis gekoppelt (11,17f). Dadurch, dass sich die Proskynese aus 4,10 wiederholt, entsteht eine Kontinuität zu den bisherigen himmlischen Lobpreisszenen. Orte
Offb 11 ist szenisch in drei Teile geteilt, wobei der Ort des Geschehens wechselt. Die erste Szene umfasst die Vv.1–2. Sie läuft wahrscheinlich in Jerusalem ab (11,2 τὴν πόλιν τὴν ἁγίαν), wo der Visionär den Tempel Gottes vermessen und die Anbeter zählen soll (11,1). Dabei soll er den äußeren Tempelhof auslassen, weil
203 Mounce sieht in der Geste des gegenseitigen Beschenkens und der Beglückwünschung die Andeutung, dass das Tier den Tod der Zeugen zu einem Feiertag erhebt: „A holiday is declared with merrymaking and the exchange of gifts.“ Mounce, Revelation, 227. Dieses Fest erinnert an das Hochzeitsmahl des Lammes in 19,9, ist jedoch nur auf die 3 12 Tage beschränkt. Vgl. Berger, Apokalypse, 786. 204 Das Verb βασανίζω impliziert mit seinen Grundbedeutungen „quälen“, „erproben“ und „foltern“, dass die Qual der Bewohner an ihren Gewissen spürbar geworden ist. Das biblische Zeugnis zeigt, dass damit durchaus eschatologische Konnotationen einbezogen werden sowie eine innere „seelische (Gewissens-)Qual“. Maier, Offenbarung, 481; ferner Schneider, Art. βάσανος, 560f. 205 Die Zeugen werden vielmehr wiederbelebt, statt eine Auferweckung im Sinne des Osterereignisses zu erfahren. Ein Indiz dafür sei, dass die Feinde die zwei wiederbelebten Zeugen sofort wiedererkennen. Vgl. Michaelis, Art. ὁράω, 315f. Demnach ist eine Parallele zu dem Osterereignis eher infrage zu stellen. Dagegen Caird, commentary, 138; Kraft, Offenbarung, 159; Ritt, Offenbarung, 62; Roloff, Offenbarung, 118; Schick, Apokalypse, 123 für eine Parallele. Das Argument sofortigen Wiedererkennens ist nicht gewichtig genug, einen Bezug auszuschließen. Viel evidenter ist die Analogie zwischen den zwei Zeugen in Offb 11 und Christi Zeugenschaft in Offb 1,5: Allen widerfährt dasselbe vermeintlich schlechte Schicksal, bevor eine unerwartete heilsgeschichtliche Intervention Gottes erfolgt, die den Tod ins Leben verwandelt. 206 Es werden verschiedene Erklärungen für das Erdbeben angeboten: 1. Vorzeichen der Totenauferstehung, vgl. Kraft, Offenbarung, 160; 2. Vorzeichen des göttlichen Gerichts, vgl. Mounce, Revelation, 228; 3. Vorzeichen des Weltendes, vgl. Bornkamm, Art. σείω, 197. Diese Aspekte sind gemeinsam zu betrachten, das Erdbeben zugleich als Ruf zur Umkehr zu verstehen. Ebenso sieht es Maier, Offenbarung, 486.
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dieser den „Heiden“ für 42 Monate überlassen ist. Die Vv.3–14 haben einerseits die Erde zum Schauplatz, andererseits die göttliche Sphäre (11,4 αἱ ἐνώπιον τοῦ κυρίου τῆς γῆς ἑστῶτες). Dies erklärt sich damit, dass die zwei Zeugen zum Zeitpunkt der Beauftragung in Offb 11 noch vor Gott stehen, zukünftig aber den Auftrag auf Erden umsetzen. Nach Abschluss ihres Auftrags werden sie getötet werden (11,7). Dabei werden konkret die Orte Sodom und Ägypten genannt, die als geistliche Chiffren zu verstehen sind (11,8).207 Als weitere Chiffre wird „die große Stadt“ genannt (τῆς πόλεως τῆς μεγάλης). Da zu Anfang von Offb 11 die Ausmessung des Tempels thematisiert wird, ist Jerusalem denkbar. Dies erhärtet sich mit Blick auf die Bemerkung, dass ihr Herr dort gekreuzigt worden ist (ὅπου καὶ ὁ κύριος αὐτῶν ἐσταυρώθη).208 Dennoch ist Jerusalem wie auch Sodom und Ägypten geistig zu verstehen, da der Auftrag der Zeugen weltweit ist (11,6 πατάξαι τὴν γῆν).209 Die Zeugen werden vom Tier getötet, das aus dem Abgrund aufsteigt (11,7). Diese Lokalisierung verdeutlicht den dämonischen Ursprung des Tiers.210 Die gesamte Weltbevölkerung sieht die Leichname der Getöteten (11,9), die das ausschlaggebende Zeugnis der Zeugen darstellen. Dies wird deutlich, als eine Auferweckung der beiden erfolgt (11,11) und die Weltbevölkerung in Furcht versetzt wird. Bevor eine kosmische Katastrophe ihren Lauf nimmt, werden die beiden Auferweckten in die himmlische Sphäre entrückt (11,12). Damit wird impliziert, dass Leidvolles ausschließlich auf irdischer Ebene passiert und die himmlische Sphäre einen Schutzraum ohne Leiden darstellt.211 Die Überlebenden des sich anschließenden Erdbebens bekehren sich zu Gott und geben ihm die Ehre (11,13). Durch die Entrückung sowie die Bekehrungsepisode wird der Fokus auf die göttliche Sphäre
207 „Sodom“ impliziert eine Abkehr von den Geboten Gottes, „Ägypten“ die Fremdherrschaft und Sklaverei. Vgl. Roloff, Offenbarung, 117. Lohse sieht in „Ägypten“ zudem die Haltung der Verstocktheit. Vgl. Lohse, Offenbarung, 67. In Anbetracht der grammatikalischen Verbformen, die von einem konkreten Ereignis wegführen, ist die These bestimmter (zeitloser) Haltungen evident. 208 Jerusalem als hinter den Chiffren stehende Stadt vermuten auch Holtz, Offenbarung, 86; Lohse, Offenbarung, 65; Roloff, Offenbarung, 112. 209 Maier stellt neben der Bemerkung, die Erde zu schlagen (11,6), die Beispiele ägyptischer Plagen heraus, die „über das Israelland hinaus[führen].“ Maier, Offenbarung, 472. Die ganze Erde als Wirkungsort sehen auch Kiddle, Revelation, 176: „The whole world was moved“; Mounce, Revelation, 219f. Dem ist insgesamt zuzustimmen, da auch die Vermessung zu Beginn von Offb 11 nicht das Tempelgebäude, sondern die Gemeinschaft der Christen meint. Ebenso befinden sich hinter der geistigen Chiffre „Jerusalem“, „Ägypten“ oder „Sodom“ keine realen Räume. Huber, Topoi, 156–158 bewertet diese Ortsbezeichnungen ebenfalls als Chiffren und schließt konkrete Ortszuschreibungen aus. 210 „His demonic origin and character are portrayed by the fact that he ‚comes from the Abyss,’ the haunt of demons […].” Mounce, Revelation, 219. 211 Dass dem so ist, zeigt sich überdies an der Lokalisierung der hymnenartigen Gesänge, die als triumphaler Ausdruck des errungenen Sieges Gottes zu betrachten sind: Sie erklingen stets „vom Himmel her“. Kathstede, Liturgia, 290.
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gelegt und ein Übergang zur nächsten szenischen Einheit geschaffen. Diese hat den Himmel zum Schauplatz. Der siebte Engel bläst die Posaune, um die eschatologischen Ereignisse voranzutreiben (11,15). Dies hat den Klang himmlischer Stimmen zur Folge, die einen Lobpreis anstimmen. Im Anschluss wiederholt sich eine Proskynese der 24 Ältesten, die sonst auf 24 Thronen sitzen (11,16).212 Der Ort des Geschehens ist demnach der himmlische Thronsaal, in dem sie den mittigen Thron umgeben. Sie bringen Gott einen ausführlichen Lobpreis dar (11,17f). Das Kapitel wird durch die Schau des himmlischen Tempels abgeschlossen, in dem die Bundeslade sichtbar wird (11,19).213 Die Offenbarung des Allerheiligsten führt zu meteorologischen Reaktionen, deren konkrete Verortung ausbleibt. Zeitangaben und Zahlensymbolik
In Offb 11 kommen zwei Zeitangaben vor, die einander entsprechen und eine weitere Übereinstimmung im darauffolgenden Kapitel aufweisen. In 11,2 wird der Zeitraum von 42 Monaten genannt. Dieser entspricht bei einem Mondzyklus mit jeweils 30 Tagen 1260 Tagen, der Angabe, die in 11,3 vorgenommen wird.214 In Offb 12, das außerhalb des zu untersuchenden Textbestandes liegt, wird die Anzahl der Tage wiederum in Jahre umgerechnet und mit 3 12 angegeben. Es handelt sich dabei immer um eine von Gott fest umrissene und den Zeitraum nicht überschreitende Phase der Bedrängnis.215 Eventuell ist die Zahl als Halbierung der Siebenzahl zu interpretieren.216 In 11,2 wird dies durch die Belagerung des äußeren Tempelvorhofs durch die „Heiden“ deutlich. 11,3 zeigt, dass die Dauer des Auftrags der Zeugen und die der Zertretung des Vorhofs durch die „Heiden“ identisch sind.217 Vermutlich sind beide Ereignisse zeitgleich zu verstehen.218 Der Zeugendienst, der in Offb 11 detailliert beschrieben wird, umfasst zwei Zeugen. Die Zweizahl ist bewusst gewählt und verleiht der Bußpredigt der beiden Zeugen doppeltes Gewicht. Zudem klingt das Zwei- bzw. Dreizeugenrecht des AT an, das Jesus in
212 Durch die Verknüpfung mit 4,4 setzt der Autor das Stilmittel des flashbacks ein, das für sein literarisches Können spricht. Durch das Wiederaufgreifen der in Offb 4 genannten Proskynese wird herausgestellt, dass dies die hauptsächliche Aufgabe der Ältesten sei. Vgl. Maier, Offenbarung, 497. 213 Dass es nicht um den irdischen Tempel in Jerusalem geht, behauptet auch Mounce, Revelation, 228. 214 Vgl. Prigent, Commentary, 345. 215 Vgl. Roloff, Offenbarung, 114; Aune, Revelation, 609: „a symbolic apocalyptic number of a divinely restricted period of time“. 216 „God has decided to limit it to half of a week of years, or 3 and a half years.“ Prigent, Commentary, 345. Dann würde die Zeit göttlicher Beauftragung immer nur einen Bruchteil göttlicher Fülle darstellen. 217 Vgl. Roloff, Offenbarung, 116. 218 Vgl. Aune, Revelation, 610f; Grünzweig, Johannes-Offenbarung, 275; Hartenstein, Herr, 149; Maier, Offenbarung, 463; Müller, Offenbarung, 208.
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den Evangelien aufgreift.219 Der Gebrauch der Zweizahl im Kontext von Berufung und Aussendung ist elementar.220 Die Umschreibung der beiden Zeugen als zwei Leuchter und zwei Ölbäume impliziert, dass beide Zeugen jeweils Leuchter und Ölbaum sind. Dies veranlasst zu einer Verknüpfung mit 1,6 und 5,10, da Ölbaum und Leuchter priesterliche und königliche Chiffren darstellen.221 Grammatikalisch entsteht ein Problem, da die beiden Bilder zwei Femininformen darstellen, das dazugehörige Partizip jedoch ein Maskulinum ist. Während einige Ausleger auf einen Solözismus hinweisen,222 ist an eine constructio ad sensum zu denken.223 Der Autor hat die beiden Zeugen als männlich vorausgesetzt und das Partizip auf ihre Person bezogen, nicht auf die beiden Bilder. Das schandvolle Ende der beiden Zeugen wird auf 3 12 Tage begrenzt. Dies signalisiert, dass selbst die physische Bedrängnis der Gerechten streng berechnet und begrenzt ist.224 Eventuell kommt die krumme Zahlenangabe von der Halbierung der Siebenzahl.225 Die 3 12 Jahre Bußpredigt und 3 12 Tage Totsein stehen in einem Zusammenhang.226 Im Verhältnis zur 3 12 -jährigen Bußpredigt ist die Bestrafung und Entwürdigung der Zeugen verhältnismäßig kurz. Da innerhalb der 3 12 Jahre die widergöttlichen Mächte ungehindert wirken können, sehen einige Ausleger in der Zahl 3 12 das Zahlensymbol des Gegenspielers Gottes.227 Eindeutig ist zumindest, dass 3 12 in der Offb eine Zahl zeitlicher Begrenzung durch Gott darstellt.228 Beim geschilderten Erdbeben kommt ein Zehntel der Stadt um. Die Zahl ist symbolisch zu verstehen und meint ein abgerundetes Ganzes.229 Im Vergleich zu anderen Visionen der Offb ist die Zahl der Umkommenden überraschenderweise
219 „Die Aussage eines zeugnisfähigen Mannes allein reicht nicht aus, es müssen mindestens zwei sein. […] Wenn Jesus oder andere Autoritäten Aufträge zu überbringen haben, senden sie wegen der Glaubwürdigkeit gleich zwei Boten aus.“ Dormeyer, Art. δύο, 872. 220 Vgl. Dormeyer, Art. δύο, 873. 221 Die beiden Aspekte sind v. a. aus der alttestamentlichen Tradition bekannt. In Sach 4 stehen zwei Gesalbte vor dem Herrscher der Welt und repräsentieren „das königliche und das priesterliche Amt des irdischen Israel.“ Hanhart, Sacharja, 295. Ebenso sehen es Bruce, Revelation, 649; Mounce, Revelation, 217. Im Gegensatz zu Sach 4 sind beide Zeugen in Offb 11 sowohl Ölbaum als auch Leuchter, was durch das zweifach vorkommende Zahlwort δύο zu erkennen ist. 222 So z. B. BDR §136,1. 223 Vgl. Prigent, Commentary, 351. 224 Vgl. Roloff, Offenbarung, 117. 225 So auch Lohse, Art. χιλιάς κτλ, 459. 226 Vgl. Lohse, Offenbarung, 67; ebenso Behm, Offenbarung, 61; Bousset, Offenbarung, 380; Hadorn, Offenbarung, 123; Lohmeyer, Offenbarung, 93; Mounce, Revelation, 227. 227 Vgl. Aune, Revelation, 621; Schick, Apokalypse, 115. 228 Vgl. Prigent, Commentary, 356. 229 Als Bruchzahl erinnert sie an den Zehnten als „heilige Abgabe an Gott“. Hauck, Art. δέκα, 35f.
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gering.230 Eventuell spricht das für ein vergleichsweise schwaches Erdbeben.231 Die Umkommenden werden mit der Zahlenangabe 7000 umschrieben. Diese Zahl setzt sich aus siebenmal 1000 zusammen. Die Kombination der beiden Zahlenangaben symbolisiert ein Höchstmaß an Fülle und lässt erahnen, dass sowohl die Umkommenden als auch die vorausgehenden Ereignisse universal zu verstehen sind.232 Wörtliche Rede
Der erste Redeanteil erfolgt durch einen unbekannten Sprecher. Der Seher wird zur Ausmessung von Tempel, Altar und Anbetern aufgefordert (11,1). Das Verb μετρέω ist wörtlich zu verstehen, was die Verbindung mit κάλαμος ὅμοιος ῥάβδῳ verstärkt.233 Im zweiten Schritt wird dem Seher befohlen, den äußeren Tempelvorhof auszulassen, da er von den „Heiden“ zertreten werde. Das Verb ἐκβάλλειν weist unterschiedliche Seme auf und heißt wörtlich „hinauswerfen“. Es bezieht sich im NT fast immer auf den Hinauswurf von Personen und hat einen gewaltsamen Charakter.234 Bemerkenswert ist die positive Bedeutung „senden“ in Mt 9,38 par. Lk 10,2 sowie „hinausführen“ in Joh 10,4.235 Es ist zu überlegen, ob solche Bedeutungen auch in Offb 11,2 denkbar sind. Diese würden einen Übergang zur nächsten Szene herstellen, in der die Sendung von zwei Zeugen beschrieben wird. Diese sind Vertreter der Kirche ad extra und die Personifikation des äußeren Tempelvorhofs. Dieser wiederum ist den „Heiden“ gegeben (ἐδόθη). Die anschließenden Zeugen stellen eine Gabe Gottes dar, in dessen Auftrag sie ausgesandt werden. Die Passivform von δίδωμι ist im NT häufig ein passivum divinum.236 Es kommt aus dem Judentum und wird häufig in apokalyptischen Texten verwendet, „wo [es] zumeist 230 In Offb 8 und 9 kommt ein Drittel um, in Offb 4 ein Viertel. Vgl. Maier, Offenbarung, 487; ähnlich Morris, Revelation, 151. Bousset spricht von einem „außerordentlich günstige[n] Ausgang der Plage“. Bousset, Offenbarung, 324. 231 „The earthquake is purposefully presented as moderate.“ Prigent, Commentary, 358. 232 Vgl. Hasenfuss, Art. Zahlensymbolik, 1304f; Lurker, Wörterbuch, 285f. Dagegen sind die Ansätze abzulehnen, die hinter der 7000 die reale Bruchzahl an Einwohnern Jerusalems sehen. So z. B. Holtz, Offenbarung, 86; Lohse, Offenbarung, 67; Müller, Offenbarung, 213. Diese Entsprechung mag vielleicht zutreffen, geht jedoch am hohen Niveau der Zahlensymbolik und somit der metaphorisch-theologischen Aussagekraft der Offb vorbei. 233 Vgl. Pesch, Art. μετρέω, 1035. Die weitere Bedeutung „zumessen“ würde den Sinn des Messens zur Erhaltung des zu Messenden mehr betonen, doch gibt es keinen sprachlichen Hinweis darauf. Die Übersetzung „zumessen“ benötigt ein Bezugswort im Dativ, welcher nicht gegeben ist. Vgl. LSJ, Art. μετρέω, 1122. 234 Vgl. Annen, Art. ἐκβάλλω, 985. 235 Vgl. Annen, Art. ἐκβάλλω, 986; Bietenhard, Art. ἐκβάλλω, 169. 236 So wird schon die Sendung Jesu Christi als Gottesgabe verstanden. Vgl. Vorländer, Art. δίδωμι, 419. Wenn in diesem Kontext ἐκβάλλω mit „senden“ übersetzt wird, verstärkt δίδωμι den Aspekt der Gottesgabe.
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eine Ermächtigung […] oder Ausstattung […] bezeichnet.“237 In den folgenden Versen wird vom Missbrauch dieser Gabe berichtet, sodass als weitere Übersetzung von δίδωμι „ausliefern“ denkbar ist.238 Im Anschluss an die Szene der zwei Zeugen erklingt ein hymnenartiger Gesang, dessen Sänger unbekannt sind (11,15). Ein zu untersuchender Aspekt dieses Gesangs ist der Titel χριστός. Er bezeichnet eine gesalbte Person im Kontext eines Rechtsaktes239 und jemanden, der feierlich in ein Amt eingeführt worden ist.240 Die Inthronisation des Gesalbten ist visionär in Offb 5 geschaut worden und die königliche Konnotation des Begriffs in der Offb besonders stark.241 Während χριστός im AT eine Funktionsbezeichnung darstellt, wird es in Bekenntnisaussagen des NT zum Titel und Beinamen des Erhöhten.242 Die Verbform βασιλεύσει steht in der 3. Pers. Sg. Diese besagt jedoch nicht, dass nur Gott allein herrschen wird, sondern bezieht sich auf die gemeinsame Herrschaft Gottes und seines Gesalbten.243 Wenig später ertönt ein zweiter hymnenartiger Gesang, der von den 24 Ältesten getätigt wird. Dabei werden bereits besprochene Lexeme erneut aufgegriffen. Die Verbform εἴληφας hat an dieser Stelle eine andere Konnotation als in der Thronsaalvision (Offb 4–5): Diesmal muss die aktive Bedeutung von λαμβάνω angenommen werden im Sinne von „aus eigener Initiative an sich nehmen.“244 Gott greift aktiv in das Weltgeschehen ein, indem er seine δύναμις in Anspruch nimmt. Die Übersetzung „nehmen, ergreifen“ ist hinsichtlich des narrativen Kontexts unpassend, da sie impliziert, dass Gott zuvor die Herrschaft nicht besaß. Die Thronsaalvision in Offb 4–5 zeigt jedoch, dass die Herrschaft zuvor bereits erlangt, jedoch verborgen war. In der Ekphrasis des hymnenartigen Gesangs wird die Wortfamilie ὀργίζω κτλ gleichzeitig für Gott und die ἔθνη verwendet. Es wird im AT und NT sowohl für menschlichen als auch göttlichen Zorn gebraucht und mal als angemessene Reaktion des Gerechtigkeitssinns, mal als Untugend verstanden.245 Im eschatologischen Kontext wird ὀργή zum Begleitbegriff göttlichen Gerichts, wodurch Gottes Zorn
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242 243 244
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Popkes, Art. δίδωμι, 773. Vgl. Popkes, Art. δίδωμι, 775. Vgl. Kutsch, Salbung, 9f. Vgl. Rengstorf, Art. χριστός, 760. Vgl. Hahn, Art. χριστός, 1164 „Bes[onders] betont ist jeweils die Herrschaftsfunktion“. Dies wird durch die Kombination mit βασιλεύω unterstrichen. Zur Inthronisationsmotivik himmlischer Thronszenen vgl. Aune, reading, 52. Vgl. Hahn, Art. χριστός, 1149. Es „emphasizes the unity of this joint sovereignty“. Mounce, Revelation, 226. Maier, Offenbarung, 499; Delling, Art. λαμβάνω, 5f. Der aktive Gebrauch von λαμβάνω ist im NT nicht so häufig wie der passive bzw. rezeptive und kommt vor allem in der Speisungs- und Mahlterminologie vor. Vgl. Kretzer, Art. λαμβάνω, 830. Vgl. Hahn, Art. ὀργή, 1499.
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die erste Bedeutung einnimmt.246 In Offb 11,18 steht Zorn gegen Zorn: „Es ist der große eschatologische Gegenzorn gegen den Gotteszorn […], so dass das Drama der Offb zum großen Teil als ein Kampf zweier ὀργαί verstanden werden kann.“247 Der weitere Verlauf zeigt die Überlegenheit des Gotteszorns, da dieser die Toten richten und die Knechte, Heiligen und Propheten belohnen wird. Der Begriff μισθός wird durch die Verwendung im eschatologischen Kontext zum „Verheißungsgut“.248 3.2.5
Die Ankündigung der letzten Plagen (Offb 15,1–8)
Personen und ihre Attribute
Die erstgenannte Personengruppe in Offb 15 besteht aus sieben Engeln mit den sieben letzten Plagen (15,1). Während diese zu Beginn abstrakt bleiben, wird im Laufe des Kapitels ersichtlich, dass sie in Form von goldenen Zornschalen durch eines der vier Lebewesen ausgehändigt werden (15,7).249 Als weitere Attribute werden den sieben Engeln strahlende Leinengewänder und goldene Brustgürtel zugeordnet (15,6). Ihre Bekleidung erinnert an die Beschreibung des Menschensohnähnlichen in 1,13, der ebenfalls einen goldenen Brustgürtel trägt. Insgesamt werden sie als erhabene und noble Gestalten charakterisiert.250 Eine weitere Personengruppe setzt sich aus den Siegern über das Tier, sein Standbild und die Zahl seines Namens zusammen (15,2). Sie haben kitharai, welche aber nicht ihre eigenen sind, sondern die Gottes (15,2 ἔχοντας κιθάρας τοῦ θεοῦ).251 Das Loblied, das die Sieger anstimmen, ist zugleich das des Mose und des Lammes (15,3).252
246 Im NT wird das begriffsverwandte Wort θυμός für Gott eher vermieden, da er stärker den impulsiven Zorn gepaart mit „Emotion und Maßlosigkeit“ konnotiert. Vgl. Pesch, Art. ὀργή, 1294. 247 Stählin, Art. ὀργή, 440. 248 Dagegen ist μισθός im NT häufig wörtlich zu verstehen und meint einen irdischen Lohn, der im Anschluss an Arbeit ausgeteilt wird. Vgl. Pesch, Art. μισθός, 1064. 249 Der Begriff φιάλη impliziert wie in Offb 5 Schalen für den liturgischen Gebrauch. Vgl. Prigent, Commentary, 463; Bauer, Wörterbuch, 1711; Bengel, Offenbarung, 327. 250 Vgl. Mounce, Revelation, 289. Allerdings werden nur ihre Attribute konkret beschrieben, ihr eigentliches Aussehen bleibt unbekannt. Vgl. Maier, Offenbarung, 184. 251 Es sind „von Gott geschenkte Harfen“. Maier, Offenbarung, 190; Kraft, Offenbarung, 201; Smalley, Revelation, 385. Als weitere Interpretation von κιθάρας τοῦ θεοῦ könnte auch die Bestimmung zum Lobpreis Gottes gemeint sein, nicht Gott als Besitzer und Schenker der Instrumente. Vgl. Vitringa, Ἀνάκρισις, 681; Bengel, Offenbarung, 798. Von der Theologie der Offb her sowie aus dem narrativen Kontext heraus sind beide Ansätze plausibel. 252 Es verdeutlicht, dass die Heilstaten am Volk Israel bei der Befreiung aus Ägypten und die Heilstaten an den Siegern des nachösterlichen Gottesvolkes am Ende der Tage vom selben Gott ausgehen bzw. Ereignisse ein und derselben Heilsgeschichte darstellen. Vgl. Schick, Apokalypse, 169.
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Motivanalyse
Handlungen
Die erste Handlung in Offb 15 geht von den Siegern über das Tier, sein Standbild und die Zahl seines Namens aus (15,2). Die Kombination von νικῶντας und ἐκ impliziert dabei, dass sie aus etwas heraus gesiegt haben. Sie stehen auf dem Kristallmeer (V.2). Das Perfekt-Partizip ἑστῶτας impliziert wiederum, dass sie zum Zeitpunkt der Vision bereits dort stehen und hingestellt worden sind. Sie besitzen die kitharai Gottes, wobei das Partizip ἔχοντας das Halten der Instrumente meint. Dies wird durch den anschließenden Gesang deutlich, bei dem sie sich selbst instrumental begleiten (15,3). Dadurch, dass sie die Instrumente Gottes verwenden, werden sie in die himmlische Liturgie einbezogen.253 Die Präsensform ᾄδουσιν impliziert eine dauerhafte Handlung.254 Ab V.5 erfolgt ein Szenenwechsel, bei dem sich der himmlische Tempel öffnet (15,5 ἠνοίγη ὁ ναός) und die sieben Engel der letzten Plagen heraustreten (15,6 ἐξῆλθον οἱ ἑπτὰ ἄγγελοι). Eines der vier Lebewesen übergibt den Engeln sieben Zornschalen Gottes (15,7). Der himmlische Tempel ist von dem Zeitpunkt an nicht betretbar, bis die sieben Plagen durch die sieben Engel ausgelöst worden sind.255 Der verbotene Zutritt wird vom aufkommenden Rauch als Manifestation der Herrlichkeit und Macht Gottes begleitet (15,8).256 Orte
Das gesamte Kapitel ereignet sich innerhalb des himmlischen Schauplatzes. Dieser wird mit der Bemerkung „Zeichen am Himmel“ des Visionärs eingeführt (15,1 σημεῖον ἐν τῷ οὐρανῷ), wodurch u. a. eine Verknüpfung mit dem Gesamtkontext hergestellt wird.257 Die sieben Engel mit den letzten Plagen betonen die himmlische Sphäre, die zunächst nicht näher beschrieben wird. Erst die Schau des bereits genannten Kristallmeers, nun in brennendem Zustand (15,2), deutet auf den himmlischen Thronsaal hin.258 In diesem stehen die Sieger vor dem Thron Gottes und
253 Vgl. Mounce, Revelation, 286. 254 Vgl. Maier, Offenbarung, 190: „Eine Art Praesens aeternum.“ 255 Bemerkenswert ist, dass der Vorgang der Ausgießung u. a. als magischer Vorgang bewertet wird. Vgl. Hoffmann, destroyer, 130. 256 Die Interpretation von Rauch und Wolken als Manifestation Gottes ist alttestamentlich bezeugt, siehe Ex 19,18; Jes 6,4. Für weitere Details vgl. Prigent, Commentary, 463. 257 Es heißt nämlich ἄλλο σημεῖον (15,1), wodurch auf die Zeichen in 12,1.3 Bezug genommen wird. Vgl. Maier II, Offenbarung, 183; Swete, apocalypse, 193; Bengel, Offenbarung, 794; Kraft, Offenbarung, 201. 258 Das Brennen des Kristallmeers impliziert laut Hadorn die nun rote Farbe. Vgl. Hadorn, Offenbarung, 159. Auch Mounce thematisiert durch die Rede von Feuer eine Farbgebung. Vgl. Mounce, Revelation, 286. Eventuell wird der reinigende Charakter von Feuer angedeutet. Prigent bringt das Brennen mit den vom Thron ausgehenden Blitzen und Fackeln in Verbindung. Vgl. Prigent,
Semantisches Inventar
bringen ihm einen Lobpreis dar. Die Verortung am Thron und der Lobpreis machen deutlich, dass die Sieger durch ihren Sieg eine Würde erhalten haben wie die Ältesten, Lebewesen und Engel. Diese berechtigt sie, „im numinos erstrahlenden Bereich des Heils“ stehen zu können.259 Daraufhin schaut der Visionär erneut den himmlischen Tempel, der sich öffnet (15,5). In V.5 wird er zunächst als „Zelt des Zeugnisses“ bezeichnet, einer Chiffre, die an die Stiftshütte während der Wüstenwanderung erinnert. In V.6 wird der Tempelbegriff explizit genannt.260 Die bereits thematisierten Plagenengel treten heraus und empfangen von einem der vier Lebewesen sieben goldene Zornschalen (15,6f). Das Heraustreten aus dem Tempel unterstreicht den göttlichen Ursprung ihres Auftrags.261 Dies impliziert die Bewegung der Engel vom himmlischen Tempel zum Thronsaal, denn die vier Lebewesen befinden sich unmittelbar um den Thron Gottes. Nach Entgegennahme der Schalen kehren die sieben Engel offensichtlich in den Tempel zurück, der bis zur Ausgießung jeder Schale von niemandem betreten werden soll (15,8). Tempel und Thronsaal werden als unterschiedliche Orte innerhalb der himmlischen Sphäre geschaut. Ginge man von einer Identität aus, entstehe ein Widerspruch zwischen dem immerwährenden Lobpreis in Gottes Thronsaal und dem temporären Verbot, den Tempel zu betreten. Zeitangaben und Zahlensymbolik
Die letzten Plagen Gottes, in denen sein Zorn den Höhepunkt erreicht (15,1), werden mit der Zahl Sieben umschrieben, ebenso die Anzahl der sie ausführenden Engel. Der sich durch die Plagen offenbarende Zorn Gottes wird somit als vollkommen gekennzeichnet.262 Anhand der Zahlensymbolik wird dem Adressaten vermittelt, dass der Höhepunkt von Plagen erreicht wird. Zugleich impliziert die Siebenzahl, dass die angekündigten Plagen dem Willen Gottes entsprechen.263 Zwischen den beiden Visionsteilen, die der Visionär schaut, wird als gliederndes
259
260 261 262 263
Commentary, 459, ebenso Lohmeyer, Offenbarung, 130; Müller, Offenbarung, 274; Giesen, Offenbarung, 342. Herausragend ist auch der Ansatz, dass Kristall und Feuer als Reinheitssymbole in Kombination die Reinheit des Ortes sowie der Anwesenden zusätzlich steigern. Vgl. Berger, Apokalypse, 1123. Laut Jörns deuten sie das beginnende Gericht an. Vgl. Jörns, Evangelium, 127. Holtz, Offenbarung, 108. Die immerwährende Anbetung im Himmelsthronsaal wird in Offb 15 erneut aufgegriffen. Der Autor führt an dieser Stelle das Stilmittel des flashbacks an. Die Anbetung im Thronsaal stellt in der Offb eine Hintergrundfolie aller weiteren Geschehnisse und Schauungen dar, die nur durch kleinere Details verändert wird. Vgl. Roloff, Offenbarung, 159; Lohse, Offenbarung, 91; Müller, Offenbarung, 275. Vgl. Mounce, Revelation, 289. Vgl. Hasenfuss, Art. Zahlensymbolik, 1304; Lurker, Wörterbuch, 285. Vgl. Maier, Offenbarung, 184; Rengstorf, Art. ἑπτά, 629; Mounce, Revelation, 284 „certainty and completeness of divine wrath against all unrighteousness“.
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Motivanalyse
Element erneut μετὰ ταῦτα verwendet. Es hat keine chronologische Funktion bei eschatologischen Ereignissen, sondern bei den geschauten Visionen. Wörtliche Rede
In Offb 15 ertönt ein hymnenartiger Gesang durch die Sieger vor dem Thron. Der an Gott gerichtete Lobpreis beinhaltet signalhafte Adjektive: μέγας ist ein in der apokalyptischen Literatur häufig anzutreffendes Adjektiv, das eine „Steigerung ins Überdimensionale“264 ausdrückt. Gottes Wirken wird im Lobpreis also als unermesslich charakterisiert. Hinzu kommt, dass etwas Umfassendes in der Offb groß genannt wird, in diesem Fall das Heilswirken Gottes.265 Das Adjektiv θαυμαστός, im NT synonym zu θαυμάσιος, umschreibt zumeist eine göttliche (Wunder-)Tat, die Erstaunen hervorruft. Gottes Taten sind staunenswert und übersteigen menschliches Fassungsvermögen. Die geeignetste Übersetzung ist „wunderbar“.266 Der Begriff δίκαιος umschreibt im NT vornehmlich das Verhalten von Menschen. Auf Gott bezogen wird δίκαιος stets im Gerichtskontext verwendet. In der Offb ist mit Gottes gerechten ἔργα demnach Gottes Gerichtshandeln gemeint.267 Das Adjektiv ἀληθινός ist besonders herausragend in dem Kontext: Die wörtliche Übersetzung „un-verborgen“268 zeigt, dass Gottes Handeln nicht nur wahrhaft ist, sondern universal offenbar wird. Hinzu kommen die Seme „Treue“ und „Zuverlässigkeit“.269 Weitere Signalwörter sind ἔργον und ὁδός. Das Nomen ἔργα im Plural legt den Fokus weniger auf die Vielzahl der Taten Gottes, sondern ist vielmehr als Kollektiv zu betrachten.270 Gottes Wirken in seiner Gesamtheit wird gepriesen. Der Begriff ὁδός weist im NT eine „schillernde Bedeutungsvielfalt“271 auf. Er ist nicht wörtlich zu verstehen, sondern bezieht sich im eschatologischen Kontext auf den universalen Plan Gottes mit der Schöpfung. Der hymnenartige Gesang preist Gottes gerechte und offenbare Heilsabsichten. Das Adjektiv ὅσιος wird im NT hauptsächlich für die Frömmigkeit eines Menschen gebraucht. In Bezug auf Gott wird ὅσιος eingesetzt, wenn Loblieder in Anlehnung an das AT formuliert werden.272 Im eschatologischen Kontext der Offb umschreibt das Adjektiv „die Heiligkeit Gottes, dessen Gerechtsein nicht menschlichen Maßstäben folgt, sondern die Maßstäbe bleibenden Rechts
264 265 266 267 268 269 270 271 272
Thiele, Art. μέγας, 618. Vgl. Betz, Art. μέγας, 986. Vgl. Annen, Art. θαυμάσιος κτλ, 333–335. Vgl. Schneider, Art. δίκαιος, 783. Die etymologische Herleitung des Begriffs führt zum Verb λανθάνω, was mit „verborgen sein“ übersetzt wird. Vgl. Link, Art. ἀλήθεια, 1343. Ebenso Böder, Wortgebrauch, 99 „sagen, wie es ist“. Vgl. Hübner, Art. ἀλήθεια, 140. Vgl. Heiligenthal, Art. ἔργον, 124. Völkel, Art. ὁδός, 1201. Vgl. Balz, Art. ὅσιος, 1310f.
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erst setzt.“273 Das Verb ἥκω hat resultative Bedeutung und muss wörtlich mit „gekommen sein“ übersetzt werden. Es bezieht sich demnach nicht auf den Prozess oder die Bewegung des Kommens vergleichbar mit ἔρχομαι. Bemerkenswert ist der kultisch-sakrale Charakter des Verbs.274 Eine solche Konnotation passt besonders zu der Anbetungsgeste (προσκυνήσουσιν). 3.2.6
Kontextualisierung und Gruppierung
„[D]ie Bilder der Apokalypse [sind] nicht je für sich zu verstehen […], sondern in ihrem literarischen Kontext, in dem sie sich ergänzen und semantisch anreichern.“275 Es werden also solche Lexeme thematisiert, die erst durch ihre kontextuelle Einordnung ihren spezifischen Gehalt erlangen, also zu Motiven im eigentlichen Sinne werden (im Folgenden unter a) untersucht).276 Ebenso verhält es sich mit Gruppierungen bestimmter Lexeme – solche, die sich durch die Gruppierung verändern (im Folgenden unter b) untersucht).277 3.2.6.1 Offb 4 Φωνή
a) Betrachtet man das Lexem φωνή isoliert, wird aus dem Text heraus nicht evident, zu wem sie gehört. Erst die Bezugnahme auf Offb 1 lässt erkennen, dass sie dem Menschensohngleichen zuzuordnen ist. Er verwendet in den Sendschreiben oft die Formulierungen „ich kenne“ und „ich weiß“. Dadurch wird ersichtlich, dass er einerseits die Gemeinden gut kennt (Offb 2–3), andererseits versteht man die Tragweite der nachfolgenden Visionen ab Offb 4: Es handelt sich um eine prophetische Stimme im Sinne einer Deutung des Gegenwärtigen aus heilsgeschichtlicher Sicht. b) Als isoliertes Lexem besitzt φωνή keine große Aussagekraft. Ihre Relevanz wird erst dadurch deutlich, dass sie mit einer Posaune verglichen wird. Die Adjektive „laut“ sowie „groß“ betonen dabei die Wichtigkeit der Aussage und die Autorität des Sagenden.278 Dass die Stimme einer prophetischen Person gehört, zeigt sich erst an der Aussage, die sie tätigt (4,1 δείξω σοι ἃ δεῖ γενέσθαι μετὰ ταῦτα).
273 274 275 276
Balz, Art, ὅσιος, 1311. Vgl. Schneider, Art. ἥκω, 929 „das Kommen der Menschen, der Kultgenossen zur Gottheit“. Frey, Bildersprache, 182. Aus diesem Grund ist dieser Arbeitsschritt bereits ein motivanalytischer Vorgang, wenn auch rein synchron. 277 Vgl. Frey, Bildersprache, 166f: „in welchem Sinn diese in ihrem neuen Kontext verstanden sein wollen“. 278 Vgl. Maier, Offenbarung, 495.
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Motivanalyse
Θύρα ἠνεῳγμένη
a) Die geöffnete Tür als Signal für den Durchgang in eine andere Welt wird erst durch die Einbettung in einen bestimmten narrativen Kontext erlangt: Zuvor ist der Ist-Zustand beschrieben worden (Sendschreiben). Dadurch, dass das Lexem „Tür“ an den Anfang einer neuen Vision gesetzt wird, erlangt es erst die Funktion eines Durchgangsmotivs. b) Die Kombination von geöffneter Tür und himmlischem Aufstieg ist in der antiken Literatur das Motiv einer göttlichen Offenbarung. Es werden zudem noch die Stimme, die ruft, sowie die Schau Gottes auf seinem Thron mit diesem Epiphaniemotiv verbunden.279 Die Verwendung der Verbform δείξω verdeutlicht in Kombination mit ἠνεῳγμένη, dass der Seher eine göttliche Offenbarung erhält, die von Gott ausgeht: Ihm wird etwas gezeigt, ohne dass er zuvor darum bittet. Die Himmelstür steht bereits auf, bevor er um die Öffnung bitten kann. Ἐπὶ τὸν θρόνον καθήμενος
a) Der Sitzende auf dem Thron wird zu Beginn einer neuen Szene thematisiert. Für eine Kontextualisierung ist der Blick auf Offb 5, 7 und 15 zu richten. Dort wird wie in Offb 4 der Thron zum Zielpunkt von Gesängen und liturgischen Handlungen, Herrscherverehrungen und Akklamationen.280 b) Durch die Kombination der Lexeme „Thron“ und „sitzend“ in Bezug auf Gott wird signalisiert, dass dieser eine Vatergottheit nach antiker Auffassung darstellt.281 Die Herrscherattribute wie die Anbetungsgesänge, die Epitheta δύναμις, δόξα und τιμή und die ἄξιος-Formel statten die Vatergottheit mit der Wesenseigenschaft der Herrschaft aus. Die Ansammlung kosmischer und meteorologischer Elemente ergänzt schöpferische und universale Elemente. Τέσσαρα ζῷα
a) Die vier Lebewesen bergen für sich genommen sehr unterschiedliche Bedeutungen. Die Einbettung in den Kontext einer kultisch/herrscherlichen Szene lässt jedoch bestimmte Konnotationen stärker hervortreten. So werden sie zu Kulttieren und geben Hinweise auf die Identität des Thronenden, denn sie werden gleichsam zu Beitieren Gottes, wie man sie von den Gottheiten des paganen Kontexts kennt.282
279 Vgl. Aune, Revelation, 280; Gilbertson, God, 92. 280 Die Hauptkonnotation ist die der Herrschaft. Vgl. Roloff, Offenbarung, 67. 281 Karrer erklärt, dass καθήμενος die gängige Bezeichnung für kultische Sitzbilder war. Vgl. Karrer, Offb, 414 Anm. 30. Dabei wird v. a. Zeus mit der Vatergottheit in Verbindung gebracht worden sein, da er als „Vater der Götter und Menschen“ (Hom. Il. I 544) und dadurch als Inbegriff der thronenden Vatergottheit verbreitet war. Vgl. Henrichs, Art. Zeus, Sp. 782. 282 Aus dem paganen Kontext sind die Zuordnungen des Adlers zu Zeus, des Löwen zu Kybele und Herakles, des Stiers zu Dionysos und Artemis etc. bekannt, wie die historischen Zeugnisse zeigen.
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b) Die Beschreibung der vier Lebewesen als gesamte Schöpfung in Kombination mit dem unaufhörlichen Lobpreis zeigt, dass die ganze Schöpfung ewig anbetet.283 Erst die Gruppierung der vier Lebewesen ermöglicht die Interpretationsansätze, die diskutiert werden (Alphatiere, Astralthese etc.). Die Proklamation der Heiligkeit Gottes im Trishagion und der Ort der himmlischen Sphäre gehören zusammen und betonen die Heiligkeit. Der Thronsaal ist „übergeschöpfliche[r] Raum“.284 Θάλασσα ὑαλίνη
a) An sich besitzt das Lexem „Meer“ viele mögliche Seme, wodurch eine eindeutige Signalhaftigkeit ausbleibt. Erst die Platzierung in die Nähe Gottes macht das Meer zu einem Gottesort, wie man ihn z. B. aus dem paganen Bereich kennt.285 Die Nennung in Offb 4 ist im weiteren Verlauf als Einführung wichtig: In Offb 15 steht eine Menschenschar auf eben jenem Meer und preist Gott. Da den Adressaten das Lexem schon zuvor nahegebracht wird, erschließt es sich ihnen in Offb 15 direkt. b) Auch die Kombination des Lexems „Meer“ mit weiteren Lexemen lässt es an Signalhaftigkeit gewinnen: Die Verbindung der beiden Bildfelder „Meer“ und „Kristall“ erscheinen paradox, da ein Gewässer höchst bewegt ist, Kristall dagegen ein starres Material darstellt.286 Diese scheinbare Unlogik veranlasst jedoch erst die verschiedenen Interpretationen im jüdisch-alttestamentlichen oder paganen Kontext und lässt für den Adressaten erkennen, dass es sich um ein codiertes Bild handelt. 3.2.6.2 Offb 5 Καθήμενος
a) Das bereits in Offb 4 eingeführte Lexem des Thronenden wird in Offb 5 erweitert: Der Thronende hat eine Buchrolle auf der Hand. Der Begriff bleibt weiterhin statisch, da zunächst keine Handlungen beschrieben werden. Erst mit der Übergabe der Buchrolle an das Lamm wird implizit eine Handlung erwähnt, denn das Lamm empfängt die Buchrolle aus der Hand des Thronenden (5,7). Die Weiterführung des Lexems in Offb 5 zeigt einen semantischen Schwerpunkt auf dem Herrscheraspekt in der ersten Hälfte des Kapitels und verlagert sich in der zweiten Hälfte auf den kultischen Aspekt durch die Anbetung ab Offb 5,8.
283 284 285 286
Vgl. Prigent, Commentary, 235. Procksch, Art. ἅγιος (NT), 101. Dort sind es Gottheiten wie Poseidon, denen das Meer als Wirkungsbereich zugeordnet wird. Vgl. Glonner, Bildersprache, 171. Zugleich ist zu bedenken, dass die Vorstellung von einem gefrorenen Himmelsmeer nachweisbar ist: „In fact, the heavenly waters are readily seen as being icy cold, and the Hebrews did not distinguish clearly between the terms ‚ice‘ and ‚crystal‘ or ‚glass‘.“ Prigent, Commentary, 230.
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b) Der Thron als Leitmotiv aus Offb 4 wird durch die Buchrolle auf der rechten Hand Gottes ergänzt. Erst die Kombination des Thronmotivs mit den Lexemen der hymnenartigen Gesänge, der kitharai und phialai sowie durch die Verben προσκυνέω und ἀείδω zeichnet das bisher auf die Herrschaftskonnotation konzentrierte Motiv als Kultmotiv. Βιβλίον
a) Das Lexem βιβλίον weist eine semantische Bandbreite auf. Da es das Leitmotiv in Offb 5 darstellt, ist eine Spezifizierung vonnöten. Einerseits bereitet das Thronmotiv in Offb 4 die Herrschaftskonnotation des Lexems βιβλίον vor, andererseits verhelfen die sich anschließenden Siegelvisionen ab Offb 6 zur Vermittlung eines weiteren Sems: Wissen über die kommenden Ereignisse und Vollmacht, die eschatologischen Ereignisse einzuleiten.287 Die Auslösung von Ereignissen durch Versiegelung weist zudem eine magische Konnotation auf.288 b) Gerade die Verbindung von Buchrolle und Rechten erzeugt das Sem „Herrschaft“.289 Die Überreichung einer solchen Rolle durch einen amtierenden Herrscher an einen anderen umschreibt Inthronisation und Machtübergabe.290 Erst die beidseitige Beschriftung und siebenmalige Versiegelung machen aus der Buchrolle zudem ein offizielles Dokument.291 287 Die Mehrschichtigkeit der Konnotationen fasst Maier folgendermaßen zusammen: 1. kennzeichnet Eigentum, 2. kennzeichnet Original gegenüber Kopie, 3. dient der Sicherung eines Testaments, 4. Bedeutung als Staats-, Amts- oder Königssiegel, 5. dient der Geheimhaltung, 6. wer es führt, ist Machtträger. Vgl. Maier, Offenbarung, 289. Gerade die Entsiegelung als Wissensaneignung wird durch die Aussage deutlich: „Das Buch ist die Urkunde der Allmacht, der Allwissenheit und Geschichtslenkung Gottes.“ Maier, Offenbarung, 290. zur Veranlassung eschatologischer Ereignisse. Diese sieht auch Wengst durch die Entsiegelung in Gang gesetzt. Vgl. Wengst, Recht, 13.14. 288 Vgl. Müller, Offenbarung, 153. 289 „Die schriftliche Urkunde (Buchrolle, Buch) ist deshalb geradezu Signal für eine geordnete Regierungsgewalt.“ Berger, Apokalypse, 477. Die rechte Hand ist dabei Zeichen von Macht und Herrschaft. Vgl. Ritt, Offenbarung, 40; Wengst, Recht, 13; Gradl, Buch, 240. Sie ist zudem Zeichen seines heilsgeschichtlichen Handelns. Vgl. Grundmann, Art. δεξιός, 37. 290 Vgl. Karrer, Offb, 398. Er vergleicht in Anm. 14 die Inthronisation mithilfe einer Buchrolle mit Dtn 17,18. Roloff, Offenbarung, 73: „[S]ein Empfang bedeutet deren rechtsgültige Übertragung auf das ‚Lamm‘, die Lösung seiner Siegel ist Zeichen für die aktive Ausübung der Herrschaftsfunktion.“. Vgl. Giesen, Offenbarung, 162 für den Aspekt der Machtübergabe. 291 Es ist an eine Doppelurkunde zu denken. Vgl. Roloff, Offenbarung, 73; Karrer, Offb, 441; Müller, Offenbarung, 152; Gradl, Buch, 243. Giesen thematisiert in Bezug auf Roller die Bedeutung der Doppelrolle. Vgl. Giesen, Symbole, 259; Roller, Buch, 98–113. Die Versiegelung eines Dokuments stellt zudem seine Beglaubigung dar: „Wer das Siegel hat, kann über das Versiegelte verfügen. Das gilt nicht nur für Privatpersonen, sondern insbes. von den Behörden einer Stadt und Königen; das Siegel symbolisiert ihre Autorität […]. Auch im religiösen Leben hat das Siegel Bedeutung; zB kann ein Tier durch das Siegel als kultisch rein für das Opfer ausgewiesen werden […]. So kann es auch heißen, dass der Mund versiegelt wird, oder Worte […]. Das gilt namentlich
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Ἀρνίον
a) Das Lexem kann auf unterschiedliche Weise interpretiert werden. Die ganz spezifische Bedeutung in der Offb wird durch die narrative Vorbereitung in Offb 5 erreicht, wo es als „Löwe von Juda“ und „Wurzel David“ angekündigt wird. Dies macht es zu einem Siegesmotiv. Zudem sticht die Vollmacht des Lammes im Anschluss an eine gescheiterte Problemlösung der Entsiegelung stärker hervor. Dass es göttliche Vollmacht besitzt, wird in den nachfolgenden Kapiteln deutlich, in denen es die Siegel nacheinander löst. b) Die ausschließliche Nennung eines Lammes macht es noch nicht zu einem mächtigen Wesen. Erst die Verbindung einer bestimmten Attribuierung wie das siebenfache Gehörntsein,292 das Stehen trotz der Schlachtung sowie die Entgegennahme der Buchrolle machen es zu dem mächtigsten Wesen und zu einem Siegesmotiv.293 Die Siebenzahl in Verbindung mit dem Gehörntsein stellt zudem eine Verknüpfung zu den sieben Geistern vor Gottes Thron her.294 Κιθάραι, φιάλαι, προσκυνέω, ἀείδω
a) In Offb 4 sind bereits kultische Elemente eingeführt worden wie die Gesänge der 24 Ältesten und vier Lebewesen, das Sitzen Gottes auf dem Thron, das an pagane Kultbilder erinnert, die Kleidung und das Mitthronen der 24 Ältesten sowie die Fackeln vor Gottes Thron, die durchaus kultisch gedeutet werden können.295 Gewiss hat der Herrschaftsaspekt in Offb 4 einen Schwerpunkt, doch wird die kultische Dimension der Szene dort bereits angedeutet. Dadurch wird die Einführung von explizit kultischen Begriffen in Offb 5 wie der kitharai, phialai sowie der Verben προσκυνέω und ἀείδω erleichtert. b) Für sich genommen können kitharai verschiedene Konnotationen besitzen. Sie können musisch-künstlerisch und weitergehend agonal aufgefasst werden, nicht
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für die Geheimhaltung in den Mysterien.“ Schippers, Art. σφραγίς, 1136. Er nennt im selben Artikel die juristische Natur eines versiegelten Dokuments sowie dessen Garantie. Dass es sich überhaupt um eine Urkunde handeln könnte, zeigt die siebenfache Versiegelung, die in griechischen Urkunden den Regelfall darstellte. Vgl. Roller, Buch, 102f. Interessant ist auch der Ansatz, vor dem Hintergrund römischer Rechtsordnung die siebenfache Versiegelung auf ein siebenfach bezeugtes Testament zu beziehen. Die Öffnung der Siegel würde demnach die Umsetzung des Testaments bedeuten. Vgl. Hadorn, Offenbarung, 75; Thomas, motifs, 127. Die Hörner sind „direkter Ausdruck für Macht“. Foerster, Art. κέρας, 668. Sie „symbolize his irresistible might.“ Mounce, Revelation, 133. Zudem sind Sie Zeichen von Stärke und königlicher Würde. Vgl. Prigent, Commentary, 251. Vgl. Karrer, Offb, 398. Vgl. Prigent, Commentary, 252; Bauckham, theology, 112–114. Auch im paganen Kontext spielen gehörnte Gottheiten eine große Rolle. In den OH wird z. B. Dionysos in seiner bukolischen Wesenseigenschaft als Stiergehörnter angerufen. Vgl. Kerenyi, Herkunft, 9. Auch Gradl fasst die Elemente in Offb 4 als kultisch auf. Vgl. Gradl, Buch, 229.
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nur kultisch. Ihr spezifisch kultischer Akzent entsteht erst durch die Anordnung mit phialai, Lobgesängen und Anbetungsgesten. Darüber hinaus trägt die weiße Gewandfarbe der Ältesten zur kultischen Konnotation bei.296 Bemerkenswert ist auch die Kombination mit den in Offb 4 eingeführten und in Offb 5 fortgesetzten Herrschaftsbegriffen, v. a. des Throns Gottes und der 24 Ältesten. Der Kult wird an eine bestimmte Herrschaft gekoppelt, nämlich an die des mittig Thronenden. Dies drückt auch der Gesang in 5,9 aus, der das Werden der Erlösten zu Königen und Priestern aussagt. Das Mitthronen der 24 Ältesten aus Offb 4 wird somit nachträglich als Mitherrschaft und Priestertum interpretiert, was kultische und herrschaftliche Konnotationen in sich vereint. 3.2.6.3 Offb 7 Σφραγίζω
a) Das Lexem „Siegel“ ist bereits in Offb 5 eingeführt worden. Dort wird es v. a. in der Bedeutung „verschließen“ für die absolute Unzugänglichkeit zum Inhalt der Buchrolle verwendet. Zudem hat der Kontext von Offb 5 gezeigt, dass die siebenfache Versiegelung v. a. den Schutz des Inhalts vor Unbefugten impliziert. Diese semantische Stoßrichtung wird in Offb 7 aufgegriffen, wenn Menschen mit dem Siegel versehen werden. Dadurch, dass dies durch das Siegel Gottes geschieht, wird eine Analogie zur Buchrolle hergestellt, die ebenfalls von Gott ausgeht. Insbesondere die narrative Einleitung des Kapitels unterstreicht diesen Aspekt, da die ersten Verse vom zerstörerischen Potenzial der vier Winde berichten. Vor dieser Zerstörung werden die Besiegelten bewahrt, analog zur Bewahrung der Buchrolle vor den unbefugten Lesern in Offb 5. b) Die Zuordnung des Siegelbegriffs zu Menschengruppen und die Besiegelung auf der Stirn vermitteln die schwerpunktmäßige Konnotation des Schutzes,297 die im paganen Kontext u. a. eine magische Dimension besitzt.298 Die Gruppierung mit dem sich anschließenden hymnenartigen Gesang bestätigt diese semantische Stoßrichtung durch die Proklamation „die Rettung kommt von Gott und dem
296 Weiße Gewänder als kultische Farben stellt u. a. Karrer heraus. Vgl. Karrer, Offb, 419. 297 Vgl. Roloff, Offenbarung, 89; Müller, Offenbarung, 177; Lohse, Offenbarung, 52; Witherington, Revelation, 137. 298 Vgl. Müller, Offenbarung, 153. Die Besiegelung ist zudem eine „metaphor drawn from the world of ancient magic, where sealing functions either to protect the person sealed or to control the evil spirit that is sealed.“ Aune, Revelation, 453; Thomas, motifs, 121.
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Lamm“.299 Dieser Gesang deutet den Besiegelungsvorgang vor dem Hintergrund der vier Winde als Rettungsaktion Gottes.300 Στολαὶ λευκαί
a) Während der Begriff des Palmzweigs für sich betrachtet eindeutig zu interpretieren ist,301 können weiße Gewänder unterschiedliche Bedeutungen aufweisen. Das Lexem wird bereits in Offb 4 und 5 vorbereitet. Es bezieht sich dort auf die Kleidung der 24 Ältesten und drückt somit die Zugehörigkeit zur himmlischen Sphäre aus.302 Zudem kennzeichnet es die Uniform des himmlischen Personals. Dies wird dadurch verdeutlicht, dass sowohl die 24 Ältesten als auch die Schar in Offb 7 liturgische Aufgaben übernehmen. Die Tätigkeit der Ältesten wird in Offb 5 geschildert. In Offb 7,15 wird der Dienst der Schar beschrieben. b) Ein liturgischer Dienst am Gottesthron erfordert eine besondere Befugnis. Dies wird dadurch vermittelt, dass die weißen Gewänder als Kultgewänder zuvor einem Reinigungsvorgang unterzogen worden sind. Die liturgische Dimension der weißen Gewänder wird durch die Kombination mit dem Reinigungsvorgang durch das Blut des Lammes in ihrer ganzen Tragweite vermittelt. Dass es sich um ein semantisches Signal handelt, wird durch den logischen Bruch der Aussage deutlich: Im Normalfall kann Blut kein Gewand weißwaschen. Diese Kombination fügt der kultischen Dimension zudem den Rechtfertigungsaspekt hinzu. Die Reinigung der Gewänder zieht eine Würdigung der Träger nach sich, vor Gottes Thron existieren zu dürfen.303 Dies wiederum schlägt eine Brücke zum hymnenartigen Gesang in 5,9, wo die Heiligung der durch den Sühnetod des Lammes Erlösten thematisiert304
299 Damit zählen sich die Preisenden auch zu Gott und dem Lamm. Die Zugehörigkeit zu einer Gottheit durch Besiegelung ist auch im paganen Kontext geläufig. Vgl. Satake, Offenbarung, 228; Schneider, Art. μέτωπον, 639, Anm. 14. Die Anhänger des Dionysos verwendeten z. B. ein Siegel in Form eines Efeublattes. Vgl. Ritt, Offenbarung, 48. 300 Dabei ist zu beachten, dass die Rettungsaktion keine irdische Unversehrtheit der Besiegelten garantiert. Die sich anschließenden Katastrophenvisionen beweisen eher, dass die Besiegelten besonders viel erleiden, bis hin zum Tod. Das, was durch die Besiegelung gesichert wird, ist ihre eschatologische Existenz. Vgl. Fitzer, Art. σφραγίζω κτλ, 951; Maier, Offenbarung, 353; Thomas, motifs, 134: „in an eschatological sense“. 301 Es ist nämlich Zeichen des errungenen Sieges. Vgl. Lohse, Offenbarung, 54; Maier, Offenbarung, 364; Roloff, Offenbarung, 91; Satake, Offenbarung, 231. 302 Vgl. Giesen, Offenbarung, 150; Maier, Offenbarung, 369; Michaelis, Art. λευκός, 255; Satake, Offenbarung, 231; Wengst, Recht, 18 „Himmelsbewohner“. 303 Vgl. Behm, Offenbarung, 46; Caird, commentary, 100; Maier, Offenbarung, 350.364; Morris, Revelation, 116. 304 Vor diesem Hintergrund werden die weißen Gewänder zum Zeichen der Erlösung. Vgl. Prigent, Commentary, 289.
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und deren Neuexistenz damit begründet wird.305 Schließlich entsteht durch die Kombination mit Palmzweigen und Triumphgesängen eine Siegeskonnotation.306 3.2.6.4 Offb 11 Κάλαμος ὅμοιος ῥάβδῳ
a) Der Vorgang des Messens von Tempel, Altar und Anbetern ist in seiner signalhaften Bedeutung erst verständlich, wenn der Kontext der Szene bedacht wird. In Offb 10 isst der Visionär ein kleines Büchlein und beschreibt den Geschmack. Dieser Vorgang wird als prophetische Zeichenhandlung vermittelt. Dies zeigt sich an der Aussage in 10,11 (δεῖ σε πάλιν προφητεῦσαι). Zuvor heißt es in V.7 ὡς εὐηγγέλισεν τοὺς ἑαυτοῦ δούλους τοὺς προφήτας. Durch diese narrative Vorbereitung wird der Messvorgang in Offb 11 ebenfalls zur prophetischen Zeichenhandlung. Zudem schließt sich an den Messvorgang die Episode der zwei Zeugen an, die ebenfalls als Propheten auftreten. b) Für sich genommen besitzt ein Messstab keine symbolische Strahlkraft. Erst die Verbindung von Messstab, Messvorgang und zu messenden Personen erzeugt die übertragene Bedeutung des Verbs μετρέω als „erhalten“, denn die Messung von anbetenden Personen ergibt wörtlich gesehen keinen Sinn. Insbesondere die Auslassung und die Beschreibung der späteren Zerstörung des Vorhofs lassen darauf schließen, dass der Messvorgang eine symbolische Bedeutung besitzt. Μάρτυρες
a) Die Einbettung der Zwei-Zeugen-Episode zeigt, dass es sich bei den Zeugen um Propheten handelt. Die bereits bei der Analyse des Messstabs herausgestellte prophetische Zeichenhandlung in Offb 10 sowie der Messvorgang zu Beginn von Offb 11 bereiten den prophetischen Duktus der Zwei-Zeugen-Episode vor. An sich wird mit dem Begriff μάρτυς noch nicht ausgesagt, dass es sich dabei um einen Propheten handelt. b) Das Sem „Zeuge“ ergibt sich v. a. aus der Anordnung mit dem Verb προφητεύω und den beschriebenen Zeichenhandlungen (V.6 ausbleibender Regen, V.5 Feuer speiender Mund etc.). Ihr Kampf und Tod sowie die Wiederbelebung ist zudem in Bezug zu setzen zum treuen Zeugen aus Offb 1: Das Ablegen eines Zeugnisses schließt den möglichen Tod des Zeugen ein, wenn das Bezeugte auf Widerstand trifft. Dieser wird in Offb 11 mithilfe des θηρίον-Lexems personifiziert, wobei der Ursprung des Widerstands in Offb 12 in Form eines himmlischen Kampfes
305 Das weiße Gewand wird zum Symbol derer, „die in die reine, neue Schöpfung aufgenommen werden und das ewige Leben haben“. Vgl. Maier, Offenbarung, 364. 306 Vgl. Mounce, Revelation, 161; Ritt, Offenbarung, 49.
Semantisches Inventar
ätiologisch erklärt wird. Die Ergänzung um die Zweizahl vermittelt zudem den Wahrheitsanspruch des Bezeugten.307 Θηρίον
a) Das Lexem θηρίον weist ein weites Bedeutungsspektrum auf. Da es in Offb 11 erstmals und unvermittelt auftritt, ohne dass es näher beschrieben wird, ist bei diesem Lexem eine Kontextualisierung besonders vonnöten.308 Der weitere Verlauf der Offb zeigt eine Erklärung des Tiers ein Kapitel später: Bei der Beschreibung des Himmelszeichens in Offb 12 wird das Tier als „Drache“ und „alte Schlange“ betitelt. Während bereits in Offb 11 das Aufsteigen aus dem Abgrund dessen dämonische Identität erahnen lässt, wird hier explizit die diametrale Rolle des Tiers zum Heilsplan Gottes herausgestellt. Die Beschreibung seines Aussehens lässt zudem erkennen, dass es keinen zoologischen Vorgaben unterliegt: Dies ergibt sich z. B. aus den zahlreichen Hörnern, die einen Code seiner Stärke und Macht darstellen.309 Mit θηρίον ist also weniger ein konkretes Tier, sondern eher eine Bestie gemeint. Insgesamt wird durch den narrativen Kontext das Lexem θηρίον aus Offb 11 erklärt. b) Die Kombination des Lexems θηρίον mit der Ortsangabe ἄβυσσος gibt implizit Aufschluss über die Identität des Tiers, denn es zeigt dessen dämonischen Ursprung.310 Die Verben ποιέω πόλεμον, νικάω und ἀποκτείνω lassen zudem erkennen, dass es sich um eine gottfeindliche Figur handelt. Wie bei der Beschreibung des Lammes wird die anthropomorphe Dimension seines Handelns deutlich, denn ein Tier kann keinen Krieg führen. Diese Parallele sowie die des Ungebundenseins von zoologischen Gesetzmäßigkeiten zeichnen ein Gegenbild zum Lamm.311 3.2.6.5 Offb 15 Θάλασσα μεμιγμένη πυρί
a) Das Bild des brennenden Meeres vor Gottes Thron ist in Bezug zur Erstnennung in Offb 4 zu setzen. Es wird erneut als Kristallmeer beschrieben, jedoch durch die Vermischung mit Feuer erweitert. Erst durch die Bezugnahme auf Offb 4, wo die
307 In der Antike musste eine Wahrheit von mindestens zwei Zeugen bekundet werden. Vgl. Roloff, Offenbarung, 115. 308 Sein unmittelbares Auftreten ohne nähere Erklärung kann wohl auf die Kenntnis des Tieres bei den Adressaten bezogen werden. Vgl. Mounce, Revelation, 225; Prigent, Commentary, 354; Swete, apocalypse, 137. 309 Das Horn als Symbol der Stärke bei Roloff, Offenbarung, 76. Als Machtsymbol bei Lohse, Offenbarung, 44. 310 Vgl. Mounce, Revelation, 219. 311 Diese theriomorphen Besonderheiten zeigen sich beim Lamm bereits in der Anzahl der Hörner (Offb 5,6).
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Motivanalyse
genaue Lokalisierung des Kristallmeers vorgenommen wird, können die preisenden Sieger in Offb 15,3–4 auf dem brennenden Kristallmeer vor Gottes Thron lokalisiert werden. b) Die Verbindung von Meer und Feuer ist ein zusätzliches Paradox zur Verbindung von Meer und Kristall. Die Elemente Wasser und Feuer stehen sich logisch gesehen diametral gegenüber. Dieser Widerspruch wird bewusst verwendet, um die symbolische Bedeutung des Gewässers herauszustellen. Das Meer wird durch die Kombination mit der Ankündigung „Lied des Mose“ in die Nähe des Exodus gerückt.312 Dessen Semantik wird gebraucht, um in Offb 15 den Triumph Gottes und seines Volkes hervorzuheben. Mithilfe des Feueraspekts wird das Hindurchgehen durch das Meer zum Reinigungsvorgang. Die Kombination der Begriffe νικῶντας und ἐκ erzeugt zudem eine Typologie zur Befreiung aus der Knechtschaft in Ex.313 Φιάλαι γέμουσαι τοῦ θυμοῦ
a) Die Beschreibung der sieben Plagenengel mit den Schalen voll des Zornes Gottes ist im Zusammenhang mit Offb 14 zu lesen. Dort wird mithilfe des Bildfelds „Ernte“ ein Gerichtsvollzug Gottes beschrieben, bei dem mehrere himmlische Personen beteiligt sind. In dieser semantischen Linie wird der Gerichtsvollzug als Pflückund Kelterungsvorgang beschrieben, wodurch die Menschen als die zu erntenden Beeren zu verstehen sind. In diesem Zusammenhang ist das Ausgießen der Zornschalen in Offb 15 zu interpretieren, die voll des in Offb 14 erzeugten Weines sind und ab Offb 16 nacheinander ausgegossen werden. Erst die Kontextualisierung dieser Handlung im Gesamtkontext der Offb lässt den Inhalt der Schalen als Wein erkennen. b) Die Schalen voll des Zornes Gottes sind an sich kryptisch, solange der Inhalt nicht genauer beschrieben wird. Erst die Kombination der Zornschalen mit der Bekleidung der Plagenengel,314 die Lokalisierung in den Tempel Gottes sowie die
312 Vgl. Lohse, Offenbarung, 91; Roloff, Offenbarung, 158; Satake, Offenbarung, 327. Das Feuer stellt vor diesem Hintergrund ein Theophaniemotiv dar, denn Gott offenbart sich in Ex im brennenden Dornbusch. Nachts ist er zudem als Feuersäule anwesend. Das Meer erinnert an den Zug durchs rote Meer. Interpretiert man das Feuer zudem farblich, erzeugt es die Assoziation mit dem roten Meer. 313 Vgl. Pattemore, people, 178; Satake, Offenbarung, 327 Anm. 553. 314 An dieser Stelle ist die Kombination von weißen Gewändern mit goldenen Brustgürteln zu nennen, die eine priesterliche bzw. kultische Uniform signalisieren. Vgl. Roloff, Offenbarung, 159. Er sagt aber auch, dass goldene Gürtel von vornehmen Menschen getragen wurden. Lohse sieht darin eine königliche Insignie. Vgl. Lohse, Offenbarung, 91.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
Rede vom aufsteigenden Rauch färben das kryptische Bild kultisch.315 Dies wird auch durch die Kombination mit dem Siegesgesang erreicht.
3.3
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse1
„Wer einen Text aus ferner Vergangenheit verstehen will, der muss versuchen, zu ermitteln, was der Verfasser damals seinen Lesern sagen wollte und in welchem Sinne seine Botschaft von diesen Lesern verstanden werden konnte.“2 Der folgende analytische Dreischritt ist für eine Motivanalyse elementar. Die Offb muss in eine konkrete Zusammensetzung von Adressaten in einem konkreten kulturellen Milieu mit einer bestimmten hermeneutischen Kompetenz eingeordnet werden. So wie jede soziale Gruppe besaßen die primären Adressaten einen bestimmten Soziolekt, der für den heutigen Adressaten decodiert werden muss.3 Schon die Abfassung der Offb verlangte die Kenntnis dieses Soziolekts, d. h. eines Bildungswissens, um die Kommunikation des Autors mit den Adressaten über den Text der Offb zu ermöglichen. Die folgende Analyse kombiniert die Methoden der Traditionskritik und der Rezeptionsästhetik.4 Zunächst wird die Begriffsgeschichte von Lexemen (soziolinguistisch) und ihr spezifisches Semem in der Offb (soziorhetorisch) untersucht.5 Dies ist bzgl. der Offb unentbehrlich, denn „Johannes hat keines seiner
315 Aus 1Kön 8,10–11 oder Ex 40,34–35 ist bekannt, dass bei Aufsteigen des Rauchs, d. h. durch die Gegenwart Gottes, der Tempel nicht betretbar ist. Dies spricht umso mehr für eine kultische Konnotation des Rauchs. Vgl. Prigent, Commentary, 463. 1 Der Titel und die Methodik ist Chan, Metapher, 26–28 entlehnt. 2 Roloff, Offenbarung, 22. Giesen, Symbole, 256: „Daraus folgt, dass Metaphern und Symbole zunächst aus ihrer zeitgeschichtlichen Situation heraus interpretiert werden müssen.“ 3 Ein solcher Soziolekt als Bildungswissen zwischen Verfasser und Adressaten ist in apokalyptischer Theologie verbreitet. Vgl. Schreiber, Offenbarung, 559. Giesen spricht von Gruppensprache: „Die Symbolsprache [der Offb, M.S.] ist eine Art Gruppensprache, die die gegenwärtige Weltsituation für Eingeweihte erhellen kann.“ Giesen, Offenbarung, 21. Ähnlich auch Hongisto, Apocalypse, 46: „The use of symbolic systems provides a specific vision of life and of the world.“ Vgl. auch Wengst, Recht, 21. 4 Vgl. Chan, Metapher, 26–28. Das heißt konkret: „Motivkritik analysiert die Bedeutung dieser Motive in ihrem ursprünglichen kulturellen Kontext und vergleicht die traditionelle Bedeutung des jeweiligen Motivs in der Art und Weise der Aufnahme und Abwandlung dieser Motive bei der Einfügung in die biblischen Schriften.“ Mehring, Motivkritik, 236. 5 Vgl. Chan, Metapher, 29 in Bezug auf Trudgill, Sociolinguistics. Es werden also die zuvor untersuchten Lexeme mithilfe von entsprechenden Wörterbüchern und Datenbanken begriffsgeschichtlich untersucht. Dabei wird die semantische Entwicklung des Begriffs von der Profangräzität, speziell der OH, bis zum NT aufgezeigt und seine Rezeption in der Offb herausgestellt. Zwecks Übersichtlichkeit werden nicht alle Werke der Profangräzität angegeben, sondern nur ein Ausschnitt. Für eine weiterführende Lektüre wird jeweils auf die Lexikonartikel verwiesen.
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Motivanalyse
Bilder einfach kopiert“.6 Im Anschluss daran werden die Adressaten mit ihrer hermeneutischen Kompetenz näher beleuchtet (soziokulturell). Die dreifache Analyse erfolgt szenenweise, sodass in insgesamt fünf Durchgängen die drei Schritte dieser Untersuchung vorgenommen und mit a) – c) strukturiert werden. Der semantische Bestand der Offb ist derart dicht, dass nicht alle Lexeme des „semantischen Inventars“ in die dreifache Analyse einbezogen werden können. Deshalb werden jene Lexeme der Offb thematisiert, die sowohl in der Profanliteratur als auch in den OH Entsprechungen finden. Genau genommen handelt es sich bei dem Arbeitsschritt b) um die eigentliche Motivanalyse. Die soziokulturellen Aussagen in c) stellen im Rahmen dieses Arbeitsschritts Schlussfolgerungen aus a) und b) dar. Daraus folgt eine Bewertung der Adressatenkompetenz auf rein literarischer Basis.7 3.3.1
Der himmlische Thronsaal I (Offb 4,1–11)
Im Folgenden werden Lexeme aus Offb 4 untersucht, die teilweise in Offb 5 weitergeführt werden. Für die begriffsgeschichtliche Untersuchung wird eine Unterteilung in die Phasen „Klassik“ (8.–4. Jh.v. Chr.), „erste Koinephase“ (3.–1. Jh.v. Chr.), „zweite Koinephase“ (1. Jh.n. Chr.) und „dritte Koinephase“ (2.–4. Jh.n. Chr.) vorgenommen.8 3.3.1.1 Θρόνος
a) In der klassischen Periode kommt das Lexem θρόνος besonders häufig mit dem Sem „Sitz, Stuhl“ vor und wird synonym mit κλισμός gebraucht.9 Es bezeichnet zudem Sitzgelegenheiten, die etwas erhöht sind und für Ehrengäste vorgesehen 6 Glonner, Bildersprache, 61. Noch pointierter ist festzuhalten, dass der Autor eine polemisierende oder sogar parodisierende Absicht mit seiner spezifischen Handhabung hybrider Begriffe verfolgt. Huber formuliert es in seinem Aufsatz folgendermaßen: „Apart from some general influence on the imagery used in the text, the author’s particular aim is to develop so-called ironic or polemical parallelisms […], mirroring, satirizing, and unmasking imperial ideology, the ruling emperor, and the imperium as a whole.“ Huber, Imagery, 61. 7 Die rein literarische Schlussfolgerung bleibt hypothetisch. Erst im nächsten Schritt werden historische Fakten zur Untermauerung der Hypothesen herangezogen. Immerhin kann festgehalten werden, dass von einer regen literarischen Bezeugung von Lexemen auf ihre panhellenische Bedeutung geschlossen werden kann. Die Kenntnis der Adressaten ist somit als plausibel vorauszusetzen. Vgl. Henrichs, Art. Zeus, Sp. 784. 8 Die Begriffe sowie die Einteilung in vier Phasen ist Chan, Metapher, 46–49 entlehnt. Die Zitation der antiken Autoren selbst erfolgt chronologisch oder thematisch (bei Varianten). Die Werke eines einzigen Autors werden alphabetisch oder thematisch sortiert (bei Varianten). 9 Hom. Il. XXIV 515; Hom. Od. I 145. Der Begriff κλισμός wird bei Homer nicht nur als Synonym verstanden, sondern tritt auch gleichzeitig mit θρόνος auf, was als „Homerische Parallelie“ bezeichnet wird. Pape, Handwörterbuch, 1220.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
waren.10 Weitere Seme sind „Herrschersitz“11 und „Göttersitz“12 . Häufig ist dieser dem Zeus vorbehalten oder als Doppelthron gedacht.13 Im Plural meint der Begriff allgemein Herrschaft.14 Weitere Seme von θρόνος sind „Richterstuhl“15 , „Lehrerstuhl“16 und „Orakelstuhl des Apoll“17 . Bemerkenswert ist das begriffsverwandte θρόνωσις, das die Inthronisation der Neueingeweihten bei den Mysterien der Korybanten bezeichnet (Plat. Euthyd. 277d).18 Der Ausdruck θρόνος kommt in den OH in Form von zahlreichen Komposita wie περιθρόνια, εὔθρονε, σύνθρονε vor. Er tritt jedoch auch in reiner Form auf (OH 18, 27, 40, 62). Dabei versteht man unter θρόνος jeweils den Sitz einer Gottheit, der zugleich Herrschaft bedeutet. Wahlweise erscheint auch ἕδρανον in derselben Bedeutung (OH 18, 19, 26). Die unterschiedlichen Seme aus der Klassik werden hier als spezifisches Semem kombiniert. b) Im NT kommt θρόνος 60-mal vor, davon 45-mal in der Offb. Die Bedeutungsvielfalt des Profangriechischen setzt sich hier durch. Zumeist ist Gott derjenige auf dem himmlischen Thron und die Wendung ὁ καθήμενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ wird in der Offb zum terminus technicus für Gottes Funktion als Richter und Herrscher.19 Der Autor weitet das Lexem auf die 24 Ältesten mit eigenen Thronen aus (Offb 4,4). Er verdeutlicht durch die Erwähnung der 24 Throne, dass er weitere Seme der Begriffsgeschichte mitdenkt, in denen nichtgöttliche Personen thronen. Schließlich unterstreicht er die Kombination von „Göttersitz“ und „Herrschersitz“ durch die Schilderung von Anbetungsgesten durch die 24 Ältesten und vier Lebewesen.20 Als Unterschied von θρόνος in der Offb im Gegensatz zur Profangräzität ist die eschatologische Dimension zu nennen. Die 24 Ältesten als „Mitherrscher“ nehmen in der himmlischen Sphäre Platz auf dem Thron ein. Gottes Thron ist zudem im Himmel positioniert, wohingegen Götterthrone in den OH irdisch lokalisiert werden.21 Insgesamt ist festzuhalten, dass Johannes das Semem von θρόνος in der Offb deutlich ausbaut.
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Hom. Od. I 130; VIII 65f. Hdt. I 14; Xen. hell. I 5,3. Aischyl. Eum. 220; Soph. Ant. 1028. Gemeint sind dann v. a. Zeus und Hera. Vgl. Schmitz, Art. θρόνος, 161; Schabow, Königreich, 109. Aischyl. Choeph. 565.969; Soph. Oid. K. 425.448; Soph. Oid. T. 237.166. Vgl. auch Sänger, Art. θρόνος, 388. Plat. rep. X 621a. Plat. Prot. 315c; Philostr. soph. II 2; Lib. ep. 819. Aischyl. Eum. 616; Eur. Iph. T. 1254.1282. Vgl. LSJ, Art. θρόνος, 807 für eine vollständige Zusammenfassung. Vgl. Aune, Revelation, 277; Karrer, Offb, 414; Sänger, Art. θρόνος, 388. Vgl. Aune, Revelation, 277. Der Thron der Göttermutter befindet sich z. B. inmitten der Erde (OH 27 ἣ κατέχεις κόσμοιο μέσον θρόνον).
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Motivanalyse
c) Die primären Adressaten der Offb sind in der Varietät von Traditionsfeldern hinsichtlich θρόνος situiert. Insbesondere für völkerchristliche Adressaten stellt es kein Problem dar, θρόνος zugleich im Kontext von Göttlichem und Nichtgöttlichem zu begreifen. Das Mitthronen der 24 Ältesten ist für sie fassbar, da sie diese mit der θρόνωσις als Einweihung in Mysterien vergleichen konnten. Im Gesamtkontext der Offb erkennen die primären Adressaten die Signale „Herrschersitz“ und „Richterstuhl“ zusammen mit den Epitheta der hymnenartigen Gesänge, die sowohl juridischen als auch Herrscher-Charakter aufweisen, wie beim Anlegen des „semantischen Inventars“ herausgestellt worden ist. Dies betrifft zudem die Verwendung von ἄξιος- und δίκαιος-Formeln, die Gerichtstätigkeit Gottes und den Gebrauch des Wortfelds βασιλεία, βασιλεύω. 3.3.1.2 Ἀστραπή und βροντή
a) Das Lexem ἀστραπή erscheint im Profangriechischen in den Formen ἀστεροπή, στεροπή und ἀστραπή mit der Bedeutung „Blitz, Blitzstrahl“.22 Es wird dabei u. a. als Vergleich angeführt, so z. B. bei Plat. Tim. LXVIII 4. Weitere Seme sind das Blitzen von Augen23 und das Licht einer Lampe.24 Der Terminus βροντή ist im Profangriechischen fast immer wörtlich zu verstehen, nur einmal im Sinne von „vom Donner getroffen“ als Ausdruck des Erstaunens oder der Überraschung bei Hdt. VII 10. Wörtlich ist es häufig im Zusammenhang mit Zeus25 , in Verbindung mit ἀστραπή26 oder in Verbindung mit weiteren Begriffen wie κεραυνός oder μύκημα zu finden.27 Im klassischen Griechisch erscheint es auch im Plural.28 Später entfernt sich der Sprachgebrauch von der wörtlichen zur metaphorischen Bedeutung wie in Lib. ep. XCVIII 4.29 Das Lexem ἀστραπή kommt in den OH als Epitheton für Zeus vor (OH 15, 20). Als Partizipialform erscheint es zusätzlich in OH 20 (ἀστράπτοντα). Das am häufigsten anzutreffende Sem zeigt sich in dem Epitheton καταιβάτα, „herabsteigend in Blitz und Donner“. Diese sind in den OH Theophaniezeichen des Zeus, da sich seine Präsenz in diesen meteorologischen Phänomenen zeigt. Diese Präsenz wird
22 Hdt. III 86; Xen. hell. VII 1,31 (ἀστεροπή und στεροπή); Soph. frg. 578; Plat. Krat. 409c; Plat. Tim. 68a; Aristot. meteor. CCCLXIXb 6 (ἀστραπή). 23 Soph. frg. 474; Aristoph. Ach. 566; Antiph. CXCV 4; in der dritten Koinephase bei Ach. Tat. VI 6. 24 Aischyl. frg. 386. Vgl. LSJ, Art. ἀστραπή, 262 für eine vollständige Zusammenfassung. 25 Hom. Il. XXI 199; XIII 796; Hom. Od. XX 121. 26 Aischyl. Suppl. 34; Hdt. III 86; Soph. frg. 578. 27 Aischyl. Prom. 1017.1062.1083. 28 Soph. Oid. K. 1514; Aristoph. av. 1745; Xen. hell. I 6,28; Theophr. sign. 21. 29 Vgl. LSJ, Art. βροντή, 331 für eine vollständige Zusammenfassung.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
als furchteinflößend für die gesamte Erde empfunden.30 Der Ausdruck βροντή steht in den OH häufig mit ἀστραπή als Begriffspaar. Dementsprechend ist es auch als Epitheton für Zeus in OH 15 und 19 zu verstehen. Es wird jedoch auch in OH 21 an die Wolken verwendet (OH 21 „Donnernde“). Vermutlich hängt dies mit der Vorstellung zusammen, dass Blitze und Donner von Wolken ausgehen.31 Ein weiterer Begriff für Donner ist das Wortfeld um κεραύνιος.32 b) Im NT kommt ἀστραπή 9-mal vor33 und wird zumeist als Bild in einem Vergleich eingesetzt.34 Umso stärker fällt auf, dass der Autor der Offb mit dem Begriff anders umgeht als das restliche NT. Er verwendet Blitze (und Donner) nicht im Vergleich, sondern erlebnishaft und real als Vision und Audition. Das Lexem ἀστραπή steht immer mit Donner und Stimmen in einem Trikolon, dagegen wird βροντή auch unabhängig davon verwendet.35 Der Verfasser erweitert das bis dahin im paganen Kontext bekannte Begriffspaar ἀστραπή-βροντή um φωνή.36 Das so entstehende Trikolon fungiert als Theophaniezeichen (4,5 ἐκ τοῦ θρόνου ἐκπορεύονται ἀστραπαὶ καὶ φωναὶ καὶ βρονταί).37 Insgesamt zeigt der Autor eine begriffsgeschichtliche Anbindung an die Klassik sowie eine gemeinsame Linie mit den OH. c) Trotz der Erweiterung um φωνή müssen die völkerchristlichen Adressaten sowohl ἀστραπή als auch βροντή als Theophaniezeichen erkannt haben, nicht nur die judenchristlichen Adressaten.38 Da sie es in Bezug auf Zeus kannten, werden sie die Charakterisierung Gottes in Offb 4 mit den Wesenseigenschaften des Zeus
30 In OH 19 an Zeus heißt es z. B.: Ἀμαιμάκετον πρηστῆρος οὐράνιον βέλος ὀξὺ καταιβάτου ἰθαλόεντος, ὃν καὶ γαῖα πέφρικε θάλασσά τε παμφανόωντα, καὶ θῆρες πτήσσουσιν, ὅταν κτύπος οὖας ἐσέλθηι· („den sehr langen, himmlischen, scharfen Spieß des Blitzstrahls, des feurigen Herabfahren-
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den, gegen den auch die Erde und das hell leuchtende Meer sich gesträubt haben, auch die Tiere fürchten sich, sooft der Lärm das Ohr betritt.“) In OH 19 heißt es nämlich παμμακάρων ἕδρανον θείαις βρονταῖσι τινάσσων, νάμασι παννεφέλοις στεροπὴν φλεγέθουσαν ἀναίθων· („erschütternd den Sitz der Allseligen [mit] göttlichen Donnern, [aus] ganz wolkigen Strömen entzündend den sengenden Blitz“). OH 15 an Zeus κεραύνιε; OH 19 an Zeus κεραυνοῦ Διός, κεραυνούς, κεραυνός und κεραυνόν. Vgl. Moulton, concordance, 118 für eine vollständige Zusammenstellung. Vgl. Foerster, Art. ἀστραπή, 502. Im NT kommt es 11-mal vor, 9-mal in der Offb. Es wird u. a. als Vergleich angeführt (zumeist wenn eine Stimme oder ein Klang mit Donner verglichen wird), wobei es dann genitivisch formuliert wird (βροντῆς) und mit ὡς sowie einer Form von φωνή erscheint (Offb 6,1; 14,2; 19,6). Ansonsten wird es pluralisch verwendet (Offb 4,5; 8,5; 10,3.4; 11,19; 16,18). Gewiss ist dies den judenchristlichen Adressaten insofern keine Neuheit, als ihnen Belegstellen aus der LXX wie Ex 19,16 bekannt waren. Vgl. Wengst, Recht, 18. Diese sind mit den Theophaniezeichen des AT ganz und gar vertraut: Ex 19,16f; Ri 5,4f; 2Sam 22,8f; Hab 3,3f; Pss 18; 77; 97 etc. Insbesondere ist an Ez 1,13 zu denken.
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Motivanalyse
verglichen haben.39 Sie werden das bewusste Verschweigen des Aussehens Gottes nachvollzogen haben, da ihnen der furchteinflößende Aspekt dieses Theophaniezeichens aus dem profanen Kontext geläufig war. Der Vergleich mit Zeus wird sich durch die zahlreichen meteorologischen Begriffe verstärkt haben.40 3.3.1.3 Φωνή
a) Das Lexem φωνή meint in der Profangräzität primär den „von beseelten Wesen in der Kehle erzeugte[n] hörbare[n] Laut“.41 Es wird im klassischen Griechisch als menschlicher Klang verwendet,42 als tierischer Klang,43 als artikulierter Klang und Gegensatzwort zu ψόφος,44 aber auch als Klang von Gegenständen,45 als Sprache46 und als das Gesprochene selbst.47 In den OH tritt φωνή in verschiedenen Ausformungen auf.48 Am häufigsten bezieht es sich auf die um Schutz flehenden Stimmen der Hymnoden sowie auf Gottesepitheta und göttliche Handlungen. b) Das Lexem ist im NT 139-mal und in der Offb 55-mal belegt. Es bezeichnet stets etwas Hörbares wie Klänge oder Stimmen aus der Natur und der Umwelt des Menschen, kann aber auch den Sprecher, das Gesprochene sowie die Sprache insgesamt meinen.49 In Offb 4 verwendet der Autor das Lexem zunächst im musikalischen Sinne, wenn er eine bekannte Sprecherstimme mit dem Schall einer Posaune vergleicht
39 „Deshalb entsteht bei Lesern und Leserinnen, die mit Zeus aufwuchsen, eine Äquivalenz zu Zeus, dem Gott, den sie einst als höchsten verehrten. Dessen klassische Attribute sind ja Blitze und Donner […].“ Karrer, Offb, 420f. 40 Zu nennen sind der Regenbogen, das Kristallmeer, die vier Lebewesen, die die Alphatiere der gesamten Schöpfung symbolisieren, sowie der hymnenartige Gesang in 4,11, in dem Gott als Urheber des Alls gepriesen wird. 41 Betz, Art. φωνή, 272. 42 Hom. Il. II 490; III 161; XIV 400; XV 686; XVII 555; Xen. kyn. VI 20; Xen. Kyr. I 2,3; Xen. mem. I 4,12; Demosth. or. XVIII 195.280; XIX 336; Aischin. Ctes. III 209; Aischin. leg. II 23.157; Plat. Euthyd. 293a; Plat. Gorg. 474e; Plat. leg. 890d; Plat. Phaidr. 259d; Plat. Prot. 322a; Plat. rep. 475a; Plat. Tim. 67b etc. 43 Hom. Od. X 239; XII 86.396; XIX 521; Hdt. IV 129. 44 Soph. Ant. 1206; Plat. Tht. 203b; Aristot. hist. an. DXXXVa 32; Aristot. poet. MCDLVIb 22. 45 Soph. frg. 595; Eur. Tro. 127; Plat. rep. 397a. 46 Aischyl. Ag. 1051; Aischyl. Choeph. 563; Soph. El. 548; Soph. Oid. K. 1283; Hdt. II 55; IV 114.117; Eur. Or. 1397; Thuk. VI 5.7.57; Xen. kyn. II 3; Plat. apol. 17d; Plat. Krat. 398d.409e; Plat. Tht. 163b. 47 Plat. Prot. 341b. In der ersten Koinephase als artikulierter Klang Philod. V 20.21, als Gesprochenes bei Epik. Her. XXXVI 8. Vgl. LSJ, Art. φωνή, 1967–1968 für eine vollständige Zusammenfassung. 48 OH 3 an die Nacht φωνήν; OH 7 an die Sterne φωναῖσι; OH 13 an Kronos φωνήν; OH 30 an Dionysos φωνῆς; OH 34 an Apoll φωνῆι; OH 39 an Korybas φωνῶν; OH 86 an Oneiros προσφωνῶν. 49 Vgl. Radl, Art. φωνή, 1068.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
(4,1). Zudem verarbeitet er in Offb 4,5 den Begriff im Trikolon ἀστραπαὶ καὶ φωναὶ καὶ βρονταί. Hier setzt er die Bedeutung „Naturklang“ voraus, da es sich auf den Lärm von Blitz und Donner bezieht. Mit der Verwendung in Offb 4,1 liegt der Autor ganz auf der Linie paganer Literatur. Als Naturklang in Offb 4,5 grenzt er sich dagegen von der Profangräzität ab, da er für unartikulierte Laute eine andere Terminologie wählt.50 c) Die völkerchristlichen Adressaten der Offb werden unter dem Begriff φωνή einen artikulierten Klang verstanden und im Trikolon von Offb 4,5 weniger auf den Donnerlärm bezogen haben. Womöglich werden sie inmitten des Gewitters die artikulierten Klänge der Stimme Gottes vermutet haben. Ihnen muss die Vorstellung v. a. aus dem orphischen Mysterienkontext (OH 15.19) bekannt gewesen sein, dass Zeus in Blitz und Donner von den Wolken auf die Erde herabsteigt. Sie kannten aus der Profanliteratur51 die donnerartige und furchteinflößende Stimme des Zeus und konnten sich ausgehend davon ein Bild von der überwältigenden Stimme Gottes in der Offb machen. 3.3.1.4 Λαμπάς und πῦρ
a) Das Lexem λαμπάς weist im klassischen Griechisch zahlreiche Belege auf. Die früheste Bedeutung ist „Fackel“.52 Als solche wird sie oft im Kontext von nächtlichen Unternehmungen erwähnt.53 Bemerkenswert ist die Verwendung in Aristoph. Ran. 340, wo der Plural λαμπάδες bei bakchischen Zeremonien gebraucht wurde, und in Aristoph. Ran. 1525 sowie Aristoph. Thesm. 102 bei festlichen Prozessionen. Es wird auch metaphorisch für meteorologische Größen wie die Sonne oder Blitze verwendet.54 Ab der ersten Koinephase entwickelt sich die alternative Bedeutung „Gestell“ oder „Behälter für das Licht“, d. h. Leuchter, Lampen etc.55 Das Lexem besitzt schließlich eine Herrschaftskonnotation.56 Auch πῦρ weist eine breit gefächerte Semantik auf: In der klassischen Periode hat es die wörtliche Bedeutung
50 Für unartikulierte Naturklänge sind ihnen aus dem paganen Bereich andere Begriffe wie ψόφος geläufig. 51 Diese wird z. B. bei Lukian, Icar. 23 geschildert. 52 Aischyl. Sept. 433; Thuk. III 24; Aristoph. Thesm. 655 etc. 53 Vgl. Oepke, Art. λάμπω κτλ, 17. Bei Hom. Il. XVIII 492 wird es übrigens als Brautfackel verstanden, was an das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen in Mt 25 erinnert. 54 Parm. X 3; Soph. Ant. 879; Eur. Bacch. 244; 594; Eur. Suppl. 1011. 55 Vgl. Schneider, Art. λαμπάς, 834. 56 Vgl. Karrer, Offb, 421 in Bezug auf Aune, Revelation, 295f.
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„Feuer“57 , sodann „Kultfeuer“58 , „Feuer bei Bestattungen“59 , „Herdfeuer“60 , „Metapher für den Blitz“61 , „Feuer von Fackeln“62 uvm. Zudem wird πῦρ in zahlreichen idiomatischen Wendungen gebraucht.63 In den OH wird λαμπάς entweder als Adjektiv oder Kompositumform verwendet.64 Dabei fungiert es als Eigenschaft der Gottheiten selbst, d. h. die Gottheiten werden als leuchtende, schimmernde oder glänzende Wesen charakterisiert. Zudem wird es für leuchtende Gegenstände verwendet, die Gottheiten zugeordnet sind. Die Belege zeigen, dass es sich häufig um meteorologische bzw. Luftgottheiten handelt, weshalb das Sem „meteorologische Metapher“ weitergeführt wird. Mit πῦρ verhält es sich ähnlich: Der Ausdruck ist für die OH derart elementar, dass er sowohl in zahlreichen Komposita65 als auch in absoluter Form aufgegriffen wird.66 Er kommt schließlich als Partizipialform πυρόεντες in OH 7 an die Sterne vor. Im orphischen Kontext wird πῦρ vorwiegend als eines der drei Elemente γῆ, πῦρ und ὕδωρ angesehen, was v. a. eine wörtliche Konnotation zugrunde legt.67 Die Belege zeigen auch hier eine bevorzugte Verwendung bei Luftgottheiten. b) Im NT werden λαμπάδες „bei nächtlichen Unternehmungen, vor allem im Freien, verwendet“.68 In der Offb betrifft es die zwei Stellen Offb 4,5 und 8,10. In Offb 4,5 gebraucht der Autor es pluralisch und bezieht es auf die sieben Fackeln vor Gottes Thron.69 Da es sich in Offb 4 um eine Vision handelt, die einen hohen Symbolgehalt aufweist, kann mit λαμπάς sowohl die Übersetzung „Fackel“ als auch „Lampe“ gemeint sein.70 Der Autor der Offb verarbeitet verschiedene
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Hom. Il. VIII 521; XV 597.718; Hom. Od. VII 7; VIII 501; Aristoph. Lys. 293; Xen. an. V 2,14.27 etc. Hom. Il. IX 220; Hom. Od. III 341.446; Plat. Kritias 120a; Demosth. or. LIV 40. Hom. Il. VII 79; XV 350; XXII 342; XXIII 76; Hdt. I 86. Hom. Il. X 418; Hom. Od. V 59; Aischyl. Ag. 1435; Eur. Or. 47; Plut. Num. 9 (zweite Koinephase). Pind. fr. 146; Pind. P. I 6; Aischyl. Prom. 1044; Soph. Ant. 131; Soph. Oid. T. 470; Soph. Phil. 728. Aischyl. Ag. XXI 282.299; Soph. Ant. 964. Vgl. LSJ, Art. πῦρ, 1555 für eine vollständige Zusammenfassung. OH 6 an Protogonos λαμπρός; OH 9 an Selene λαμπετίη, λαμπομένη; OH 66 an Hephaistos λαμπόμενος; OH 40 an Demeter λαμπαδόεσσα; OH 78 an Eos λαμπροφαής. OH 5 an den Äther πυρίπνου; OH 7 an die Sterne πυρίδρομοι; OH 8 an Helios πυρόεις; OH 8 an Helios πυρίδρομε; OH 10 an die Physis πυρίπνους; OH 19 an Zeus πυραυγέα; OH 20 an Zeus πυρίδρομον; OH 21 an die Wolken πυρόεσσαι; OH 42 an Mise πυροφόροις; OH 44 an Semele πυρφόρωι; OH 45 an Dionysos πυρίσπορε; OH 47 an Perikionios πυρφόρος; OH 52 an Trieterikos πυρίσπορε, πυριπόλε und πυριφεγγές; OH 58 an Eros πυρίδρομον. OH 11 an Pan; OH 66 an Hephaistos jeweils im Nominativ; OH 11.66.84 im Genitiv. Vgl. Lang, Art. πῦρ, 929. Schneider, Art. λαμπάς, 834. Neben der nominalen Form kommt im NT häufig das Adjektiv λαμπρός vor, das sich auf klares Wasser in Offb 1, den Morgenstern in 22,16 und strahlende Gewänder bezieht (Offb 15,6 und 19,8). Der himmlische Thronsaal kann entweder als geschlossener Raum betrachtet werden, weshalb der Visionär durch eine geöffnete Himmelstür muss, oder als offener Raum, weshalb die ganze
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Seme der Profanliteratur. Aufgrund des visionären Kontexts ist ein wörtliches Verständnis von λαμπάς vorauszusetzen. Die pluralische Verwendung erinnert an Aristoph. Ran. 340, wo im Kontext bakchischer Riten der Plural gebraucht wird. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass Gott die Fackeln oder Leuchter nicht selbst transportiert, sondern diese vor seinem Thron brennen. Das Lexem πῦρ kommt im NT 73-mal vor und wird „meist in endzeitlichen Zusammenhängen“ verwendet.71 In der Offb wird es 26-mal gebraucht. Es wird in Offb 4,5 in Kombination mit λαμπάς als Eigenschaft göttlicher Sphäre eingesetzt. Der Autor der Offb verwendet das Lexem mit dem Sem „Fackelfeuer“, was an der Wendung ἑπτὰ λαμπάδες πυρός erkennbar wird. Da er die λαμπάδες πυρός zugleich in die Nähe der ἀστραπαὶ καὶ φωναὶ καὶ βρονταί lokalisiert, bezieht er das Sem „Blitzmetapher“ ein, das in der Profangräzität sowohl für λαμπάς als auch für πῦρ belegt ist. Da der Autor in Offb 4 kultische Elemente verarbeitet, ist ein kultisches Sem von λαμπάς und πῦρ denkbar. Im Gegensatz zur Profangräzität interpretiert der Autor die λαμπάδες πυρός als die Geister Gottes (ἅ εἰσιν τὰ ἑπτὰ πνεύματα τοῦ θεοῦ). Eine solche pneumatische Färbung ist im Profangriechischen nicht üblich.72 c) Angesichts der zahlreichen Belege in den OH werden die Adressaten der Offb bei der Nennung von λαμπάδες an einen Mysterienkontext gedacht haben. Insbesondere die Verehrung der Demeter von Eleusis war einer der wichtigsten Kulte der Antike bis in die späte Kaiserzeit hinein.73 Die Adressaten werden die λαμπάδες vor Gottes Thron womöglich mit den erwähnten Blitzen in Verbindung gebracht haben. Plausibel ist zumindest, dass die λαμπάδες πυρός vor Gottes Thron u. a. als Theophaniesignal wahrgenommen worden sind.74 Womöglich werden sie dadurch weitere Wesenseigenschaften wiedererkannt haben, die sie von Zeus gewöhnt sind. Da die beiden Lexeme metaphorische Umschreibungen für die Sonne darstellen, könnten die Adressaten überdies eine Assoziation mit Sonnengottheiten hergestellt, zumindest die kosmische Charakterisierung Gottes erkannt haben.75
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Schöpfung in Offb 5 Gott und das Lamm anbeten können. In letzterem Fall könnte „Fackel“ eine Übersetzung darstellen, die mit einem offenen Raum besser kombinierbar ist. Lichtenberger, Art. πῦρ, 478. Eine solche Verknüpfung ist in Sach 4,2 zu finden und stellt vermutlich die Vorlage des Autors dar. Vgl. Jong, Mysterienwesen, 9. Dass λαμπάδες im NT u. a. als Theophaniezeichen verstanden werden, behaupten auch Maier, Offenbarung, 265; Oepke, Art. λάμπω κτλ, 26. Dieser besonders weitreichenden Aussage ist historisch nachzugehen. Insbesondere die im orphischen Kontext häufig erfolgende Identifizierung des Helios mit Apoll könnte kleinasiatisch relevant sein. Vgl. Wheeler, dynamics, 67.
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3.3.1.5 Ἴασπις, σάρδιον, σμάραγδος und ἶρις
a) Ἴασπις ist zwar nicht in den OH zu finden, dafür in den orphischen Lithika 267, 613, bei Theophr. lap. 23; Plat. Phaidr. 110d und in der Anth. Gr. IX 746. Insbesondere die orphischen Lithika geben einen entscheidenden Einblick in die magische Bedeutung des Jaspissteins: Die Darbringung von Opfern mit dem Jaspis bringt lang ersehnte Wolken und Regengüsse für die ausgetrockneten Felder.76 Der σάρδιον ist ein Edelstein,77 der laut Theophr. zwei verschiedene Formen aufweisen kann: Entweder ist er transparent rot, dann als weiblich aufgefasst und im Deutschen mit „Karneol“ wiederzugeben. Oder er kann transparent braun sein, dann männlich aufgefasst und mit „Sarder“ wiederzugeben.78 Bei Plin. nat. XXXVII wird der Edelstein zusammen mit dem Jaspis genannt. Der σμάραγδος stellt im klassischen Griechisch einen Oberbegriff für verschiedene grüne Steine dar. In der Bedeutung „Smaragd“ ist er sowohl in der Klassik als auch in den sich anschließenden Koinephasen belegt.79 Mit ἶρις ist im klassischen Griechisch häufig eine Botengottheit gemeint,80 die Bedeutung „Regenbogen“ ist jedoch auch mehrfach belegt.81 Das Lexem ἶρις wird grundsätzlich bei mehrfarbigen/leuchtenden Kreisen gebraucht, die etwas umkreisen.82 Bei Plin. nat. XXXVII 136 wird ἶρις als Edelstein begriffen. b) Die Edelsteine ἴασπις, σάρδιον, σμάραγδος sowie das Lexem ἶρις kommen im NT nur in der Offb vor und sind ansonsten Thema im AT.83 Der Autor der Offb verwendet sie im Kontext der Umschreibung Gottes in seiner Herrlichkeit. Das Bildfeld „Edelstein“ ist ihm aus dem AT offensichtlich bekannt. Er geht jedoch weiter und kombiniert andere Edelsteine als in Ex 28 und insbesondere in Ez 1,26, wo ebenfalls das Bildfeld „Edelstein“ bei der Umschreibung Gottes verwendet wird. Dort wird Gottes Anblick jedoch ausschließlich mit einem Saphir verglichen.84
76 Vgl. Orph. Lith. 267–270. 77 Aristoph. frg. 320,13; Plat. Phaid. 110d; Theophr. lap. 8.23.30; Men. Aspis 373. 78 In der zweiten Koinephase ist σάρδιον bei Josephus, Bell. 5,5,7, in der dritten Koinephase bei Philop. CCCXXI 10 als Maskulinum belegt. Vgl. LSJ, Art. σάρδιον, 1584 für eine vollständige Zusammenfassung. 79 Hdt. II 44; III 41; Plat. Phaid. 110d; später Theophr. lap. 23; Men. Aspis 373; Orph. Lith. 26,1; Nonn. Dion. V 178; XVIII 80. Vgl. LSJ, Art. σμάραγδος, 1619 für eine vollständige Zusammenfassung. 80 Hom. Il. II 786; VIII 398; XXIII 198; Hes. theog. 780. 81 Hom. Il. XI 27; später auch Epik. epist. CIX 9; Nik. Alex. 406; Plut. symp. II 664e. 82 Aristot. meteor. CCCLXXVa 18; Lukian, dom. 11. 83 Dort werden Edelsteine allgemein im Kontext von Architektur (1Kön 5,31; 1Kön 7,9–11; Jes 28,16) und Kleidung (Ex 28,17–20; 39,10–13; Ez 28,13) eingesetzt. 84 In Ez 1,26 LXX heißt es ὡς ὅρασις λίθου σαπφείρου. In Ex 28, wo der Brustschild des Priesters voller Edelsteine besetzt werden soll, wird Jaspis in einer Reihe mit ἄνθραξ und σάπφειρος genannt.
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Der Umgang des Autors mit alttestamentlichen Traditionsfeldern ist recht selbstständig, sodass eine Nähe zwar noch feststellbar ist, jedoch nicht ausschließlich angenommen werden muss. Insbesondere die Nähe zwischen Jaspis und Smaragd, aber auch die spezifische Anordnung von Steinen in der Offb lassen erahnen, dass der Autor Plinius‘ Steinkunde gekannt haben muss, ebenso Theophr. lap. und die orphischen Lithika.85 Dieser Verdacht erhärtet sich mit Blick auf ἶρις: In den orphischen Lithika wird ein Edelstein namens Achat als bunter Edelstein bezeichnet, der die Farben des Jaspis, Karneols und Smaragds in sich vereint.86 Während in den alttestamentlichen Bibelstellen die jeweiligen Edelsteine nicht in direktem Zusammenhang stehen, jedoch in den orphischen Lithika, muss der Autor der Offb zeitgenössische Steinkunden vorausgesetzt haben. Zudem hat er ἶρις womöglich als Edelstein verstanden und in die dreifache Aufzählung von Edelsteinen eingereiht, denn bei Plin. nat. wirft ἶρις als Edelstein einen Regenbogen an die nächstliegende Wand.87 c) Die völkerchristlichen Adressaten werden mit der Verwendung des Bildfelds „Edelstein“ Gottes Umschreibung nicht nur mit Kostbarkeit und Lichtglanz assoziiert, sondern eine gewisse Wirkmächtigkeit Gottes vermutet haben. Edelsteine haben im paganen Kontext magische Wirkung, sodass ἴασπις einen meteorologisch wirkenden Gott signalisiert.88 Insbesondere die Nennung von Blitz und Donner verstärkt dieses Signal für die Adressaten. Auch die Kombination von ἴασπις und σάρδιον wird den völkerchristlichen Adressaten nicht entgangen sein, da sie mindestens in einem bekannten Werk wie der Naturkunde des Plinius bereits thematisiert worden ist. Dass die Adressaten der Offb die Steinkunde gekannt haben
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Insgesamt zur alttestamentlichen Analogie: Vgl. Aune, Revelation, 285. Die Unterschiede zwischen Ez und Offb greift auch Wengst, Recht, 17 auf. Laut Theophr. lap. IV 23 entsteht der echte und seltene Smaragd aus dem Jaspis. Es gibt darüber hinaus identisch aussehende Steine wie den χρυσοκόλλα, der mit Smaragd verwechselt werden konnte. Man entdeckte die Formung des echten Smaragdes aus dem Jaspis durch die Entdeckung eines Steines, bei dem die Hälfte zu einem Smaragd entwickelt war, die andere Hälfte noch die Entwicklungsstufe des Jaspis aufwies. „Trinke vermischt mit lauterem Bromier ferner den edlen buntaussehenden Stein des Achats […]. Farben genug sind leicht am Stein des Achats zu sehen; denn beim Beschauen wirst du finden in ihm glasartigen Jaspis, blutrotartigen Sarder, sowie lichthellen Smaragdstein.“ Übersetzung Seidenadel, Lithika, 604–608. „Den dem Keraunia nächsten Wert hat bei den Magiern der sogenannte Iris. Man findet ihn auf einer Insel des Roten Meeres, welche 40,000 Schritte von der Stadt Berenice entfernt ist. Seiner sonstigen Beschaffenheit nach ist er ein Kristall […]. Den Namen Iris hat er deshalb, weil er unter einem Dach von der Sonne beschienen, Gestalt und Farben eines Regenbogens an die nächstliegende Wand wirft.“ Übersetzung Wittstein, Naturgeschichte, 274. Dies wird auch nicht dadurch gemildert, dass weder σάρδιον noch σμάραγδος in den Orph. Lith. eine medizinische Wirkung aufweisen. Vgl. Fühner, Lithotherapie, 20.
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könnten, ist aufgrund der zeitlichen Nähe der Abfassungszeit zwischen Offb und Steinkunde wahrscheinlich. 3.3.1.6 Στέφανος und χρυσός
a) Στέφανος ist grundsätzlich immer etwas Umgebendes oder ein Kreis.89 Es meint auch eine Krone oder einen Kranz.90 Dazu kommen die Seme „Siegespreis“91 , „Zeichen der Ehrung“92 und „Teil der Berufsbekleidung“93 . Schließlich wird er als Fruchtbarkeitszeichen, Lebens- und Lichtsymbol verstanden und im magischen Kontext für einen Bindungszauber verwendet.94 Goldkränze sind als Ehren- und Weihegeschenk belegt.95 Die wörtliche Bedeutung von χρυσός begegnet häufig in der klassischen Periode,96 aber auch als Material jeglicher Dinge,97 und wird im poetischen Sinne für etwas Kostbares verwendet.98 In den OH begegnet der Begriff στέφανος zumeist in Kompositumform und fungiert als Gottesprädikat. Häufig wird εὐστέφανος in der wörtlichen Bedeutung „schönbekränzt“ verwendet.99 In OH 54 werden die Bakchanten mit Efeukränzen
89 Hom. Il. XIII 736; Pind. O. VIII 32; Orph. Arg. 761.897; Eur. Herc. 839. 90 Hom. h. VII 42; XXXII 6; Hes. theog. 576; Pind. I. VIII (VII) 74; Pind. N. VII 77; Pind. P. IV 240; Eur. Bacch. 102.703; Eur. Hipp. 73; Eur. Ion 1433; Eur. Med. 984.1160; Aristoph. Ach. 1006; Aristoph. Equ. 1227; Aristoph. Ran. 330; Thuk. IV 121; Plat. Ion 530d; Plat. symp. 212e; Men. Aspis 273; erste Koinephase bei Theokr. eid. VII 64; zweite Koinephase Plut. symp. II 646e. 91 Hdt. VIII 26; Pind. I. I 21; Pind. N. V 5; Pind. O. VIII 76; X (XI) 61. 92 Hdt. IV 88; Pind. P. I 100; Soph. Ai. 465; Soph. Phil. 841; Thuk. II 46; Eur. Suppl. 315; Plat. leg. 943c; Aischin. Ctes. III 187; Aischin. leg. II 46; Demosth. or. 18; Lykurg 50. 93 Demosth. or. XXI 32; XXVI 5; Aristot. Ath. pol. LVII 4; in der dritten Koinephase bei Philostr. soph. I 21,2; Lib. or. LIII 4. Vgl. LSJ, Art. στέφανος, 1642 für eine vollständige Zusammenfassung. 94 Bekränzung diente im Mysterienkontext zudem als sonnenhaftes Lichtzeichen, das zur Erleuchtung führt. Vgl. Grundmann, Art. στέφανος, 615.619. In orphischen Kreisen wurden Efeukränze benutzt. Eur. Bacch. 106.177. Bemerkenswert ist zudem der Brauch, bei den Mithrasmysterien den gereichten Kranz abzulegen und zu verkünden: „Mithras ist mein Kranz“. Tert. coron. 15. 95 Thuk. IV 121,1; Aristoph. av. 1274; Xen. an. VII 7; Plat. Ion 530d. Goldkränze wurden zudem von Magistratspersonen getragen. Vgl. Aune, Revelation, 293; Grundmann, Art. στέφανος, 617; Karrer, Offb, 419. 96 Hom. Il. VI 48; X 294; XVIII 475; Hom. Od. III 384.437; V 38; VI 232; Pind. N. IV 82; Pind. O. XIII 78; Hdt. I 50; Plat. polit. 303d; Plat. rep. 413e; später Lukian, nav. 20. 97 Hom. Il. VIII 43; XIII 25; Eur. Med. 1193; Xen. Kyr. VIII 7,25; später Lukian, merc. cond. 26. 98 Aischyl. Choeph. 372; Pind. N. VII 78; Pind. O. I 1; III 42; VII 50; Soph. frg. 557; Eur. Tro. 432; Aristoph. Nub. 912; Aristoph. Plut. 268; erste Koinephase bei Dion. Hal. rhet. IX 4; zweite Koinephase bei Plut. Sert. 5. 99 OH 42 an Mise; OH 46 an Liknites (Bezug zur schönbekränzten Aphrodite); OH 74 an Leukothea (Bezug zum schönbekränzten Dionysos).
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ausgestattet, da sie zu Dionysos gehören.100 Das Adjektiv χρυσός wird in OH 6 an Protogonos und sonst als Kompositum verwendet.101 Die Bedeutung ist jeweils ein goldener Gegenstand. In den OH wird χρυσός mit dem Sem „Material“ fortgesetzt. Durch die Einsetzung als Gottesepitheton wird die Farbe auf Göttliches bezogen. b) Im NT kommt das Lexem 18-mal vor, wobei acht Belege auf die Offb fallen. „Στέφανος umfasst die Bedeutung der beiden Begriffe, die wir als ‚Kranz‘ und ‚Krone‘ unterscheiden.“102 Aufgrund des wörtlichen Gebrauchs im paganen Kontext wird es im NT als „Ausdruck ihrer End- und Jenseitserwartungen“103 rein metaphorisch gebraucht. Der Autor der Offb geht weniger zurückhaltend mit dem Lexem um, da der visionäre Kontext per se bildhaft ist, in dem es verarbeitet ist. In Offb 4 konstruiert der Autor für die Goldkronen der 24 Ältesten das Semem bestehend aus den Semen „Königsinsignie“, „Ehrengeschenk“, „Magistratsperson“ und „Kult“.104 Die Wortfamilie von χρυσός kommt 42-mal im NT vor, davon 24-mal in der Offb. Dort erscheint es zumeist als Adjektiv. In Offb 4 umschreibt der Autor damit die Kronen der 24 Ältesten. Zu beachten ist, dass der Autor bei den üblichen Traditionen des Begriffs nicht stehen bleibt, sondern ihn eschatologisch weiterführt: Er setzt die Farbe als Signal für die göttliche bzw. himmlische Sphäre ein, sodass die Kränze übernatürlichen Charakter erhalten und gleichsam zur eschatologischen Gabe geformt werden.105 Im paganen Kontext ist die Verbindung von χρυσός und göttlicher Sphäre zwar auch bekannt, jedoch auf die Gottheiten selbst zu beziehen. c) Die primären Adressaten der Offb werden die herrschaftliche Konnotation erkannt haben, umso mehr in Kombination mit anderen Lexemen wie den 24 Thronen. Vor dem Hintergrund der zahlreichen Belege der Profangräzität werden die kundigen Adressaten die Ehre der 24 Ältesten erkannt haben, die durch die Bekränzung angedeutet wird. Zudem werden sie daraus geschlossen haben, dass die 24 Ältesten eine feste Aufgabe in Analogie zu den irdischen Ämtern der Griechen und Römer übernehmen, u. a. politische oder kultische. Das wird sich durch den Lobpreis der Ältesten bestärkt und diesen wiederum als kultisch gezeichnet haben. 100 Laut Tertullian ist überliefert, dass Dionysos eine von Hephaistos mit Edelsteinen besetzte Goldkrone Ariadne geschenkt habe. Tert. coron. 7. 101 In OH 8 an Helios χρυσαυγής und χρησολύρη; OH 34 an Apoll χρυσαυγής und χρυσοκόμης; OH 52 an Trieterikos χρυσεγχής; OH 55 an Aphrodite χρυσεοτεύκτοις. 102 Kraft, Art. στέφανος, 654. 103 Kraft, Art. στέφανος, 655. 104 Diese unterschiedlichen Stoßrichtungen werden im narrativen Kontext vertieft, wenn die 24 Ältesten Herrscherakklamationen vornehmen (4,11 ἄξιος εἶ), auf Thronen sitzen (4,4 ἐπὶ τοὺς θρόνους … πρεσβυτέρους καθημένους) und Opferhandlungen vollziehen (5,8 πρεσβύτεροι ἔπεσαν ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου ἔχοντες ἕκαστος κιθάραν καὶ φιάλας χρυσᾶς γεμούσας θυμιαμάτων). 105 Die Farbe Gold ist im biblischen Kontext ein Hinweis auf die göttliche Sphäre. Goldkränze implizieren deshalb von Gott verliehene Kränze. Vgl. Glonner, Bildersprache, 171.184.
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Die Offenheit des Begriffs wird für die Adressaten dabei kein Problem darstellen, da sie die gleichzeitige Bekleidung priesterlicher, politischer und herrschaftlicher Ämter aus ihrer Lebenswelt gewöhnt sind.106 Sie werden überdies die Goldfarbe der Kränze der göttlichen Sphäre zugeordnet haben. Vor dem Hintergrund der Mysterienreligionen werden die Adressaten womöglich eine Assoziation mit Apotheose und Erleuchtung hergestellt und das Ablegen der Kronen vor Gott mit den Initiationsbräuchen der Mithrasmysterien verglichen haben. 3.3.1.7 Δόξα
a) Das Lexem δόξα bedeutet im Profangriechischen zunächst „Erwartung“.107 Nachhomerisch besitzt es zudem die Seme „Meinung, Urteil“.108 Es kann auch im negativen Sinne „Mutmaßung, Vermutung“109 sowie „Phantasie, Vision“110 meinen. Schließlich bedeutet es auch „Ansehen, Ruf “ als Meinung, die andere von einem haben.111 In den OH wird der Begriff mehrfach verwendet und dabei die Seme „Meinung, Urteil“ sowie „Ansehen“ im positiven Sinne („Ruhm“) aufgegriffen.112 Die profangriechische Begriffsgeschichte von δόξα wird in den OH vielseitig weitergeführt. b) Im NT wird δόξα ausgehend vom profangriechischen Sem „Ansehen“ im positiven Sinne fortgesetzt. Insgesamt wird das Lexem 167-mal verwendet, davon 17-mal in der Offb. Der Verfasser führt das traditionelle Semem weiter und formt es um, indem er die Ehre des Betroffenen in Form von Machtglanz und Herrlichkeit sichtbar werden lässt. Zudem verbindet er es mit dem Thronbegriff, der in Offb 4
106 In römischer Kaiserzeit ist das Amt des pontifex maximus mit dem Kaisertum verschmolzen. Vgl. Rüpke, Zentralisierung, 47f. 107 Hom. Il. X 324; Hom. Od. XI 344; Pind. O. X (XI) 63; Hdt. I 79; VII 203; Xen. hell. VII 5,21; Plat. soph. 216d. 108 Parm. I 30; Aischyl. Pers. 28; Soph. frg. 235; Soph. Trach. 718; Plat. Gorg. 472e; Plat. Phil. 41b; Plat. rep. 506c.534a; Plat. Tht. 187b. 109 Thuk. I 32; V 105; Hdt. VIII 132; Plat. Tht. 161e etc. 110 Aischyl. Ag. 275; Aischyl. Choeph. 1053; Pind. O. VI 82; Eur. Rhes. 780 etc. 111 Thuk. II 11; Aischyl. Eum. 373; Pind. O. VIII 64; Eur. Herc. 157; Hdt. V 91; Plat. Mx. 241b; Demosth. or. II 15.17; III 24; XX 10 etc. Vgl. LSJ, Art. δόξα, 444 für eine vollständige Zusammenfassung. 112 In OH 59 an die Moiren als Schicksalsgöttinnen stellt eine solche Übersetzung die sinnvollste dar: ὅθι πάγγεον ἅρμα διώκει δόξα („wo das Urteil den die ganze Erde umfassenden Streitwagen antreibt“). In OH 15 an Zeus verlangt der Kontext das Sem „guter Ruf, Ansehen“ (πλούτου δόξαν ἄμεμπτον, „des Reichtums vollkommener Ruhm“). In OH 69 an die Erinnyen wird schließlich im Kontext von Rachegottheiten wieder das Sem „Urteil, Meinung“ vorausgesetzt, weshalb πραΰνοον μετάθεσθε βίου μαλακόφρονα δόξαν mit „wechselt [zu] sanftmütigem, weichmütigem Urteil“ übersetzt werden muss.
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zentral ist.113 Das Sem „Machtglanz“ als Licht ist ebenso aus dem alttestamentlichen Kontext für δόξα bekannt.114 c) Die Adressaten der Offb werden ausgehend von ihrem begriffsgeschichtlichen Wissen mit δόξα womöglich an ein juridisches Charakteristikum gedacht haben, da es das häufigste Sem von δόξα darstellt.115 Der unmittelbare Kontext des Lexems in Offb 4 wird ihnen zugleich das Sem „Ehre“ als positive Form von Ansehen vor Augen geführt haben, denn in 4,11 erteilt Gott nicht δόξα, sondern er empfängt sie.116 Dieser Empfang von Ehre wird den Adressaten insofern als Machtglanz illustriert, als Gott von buntem Lichtglanz umgeben ist, eine Charakterisierung, die insbesondere durch die Bildfelder „Edelstein“ und „Kristallmeer“ gezeichnet wird. 3.3.1.8 Τιμή
a) Das Lexem τιμή ist im Profangriechischen als Semem bestehend aus „Anbetung, Wertschätzung, Ehre“117 , „Würde, Herrschaft“118 , „Amt“119 , „Ehrengeschenk, Opfer“120 , „Wert, Preis“121 und „Strafe, Wiedergutmachung“122 belegt. Insbesondere durch Aristoteles wird der äußere Ehrbegriff durch eine innerliche Ebene ergänzt, sodass Ehre und Tugendhaftigkeit ineinandergreifen.123
113 Vgl. Hegermann, Art. δόξα, 832–841. 114 Ex 28,2.36 LXX; 2Chr 32,33 LXX; Ez 3,23 LXX. 115 Dies wird durch die weiteren richterlichen Lexeme verstärkt, die in Offb 4 verarbeitet sind wie die Kleidung der 24 Ältesten. 116 Denn es heißt dort ἄξιος εἶ, … λαβεῖν τὴν δόξαν καὶ τὴν τιμὴν καὶ τὴν δύναμιν. 117 Hom. Od. VIII 480; Hom. Il. I 510; IV 410; IX 319; XVII 251; Aischyl. Pers. 166; Aischyl. Prom. XXX 946; Pind. P. I 48; VIII 5; Soph. Ai. 1351; Soph. El. 356.364; Soph. Phil. 1062; Hdt. I 134; III 3; Eur. Hipp. 329.1424; Xen. Kyr. VIII 8,24; Plat. leg. 837c; Plat. rep. 415c.538e; Aristoph. Ach. 640; etc. 118 Hom. Il. I 278; VI 193; IX 498; Hom. Od. I 117; V 335; Hes. theog. 203.393; Aischyl. Ag. 44; Aischyl. Eum. 228; Aischyl. Pers. 919; Aischyl. Prom. 172; Pind. P. IV 108; Soph. Oid. T. 909 etc. 119 Hdt. I 59; VII 36; Thuk. II 63; Xen. Kyr. I 3,8.9; Plat. apol. 35b; Plat. Phil. 61c; Plat. Tim. 20a; Aristot. pol. MCCLXXXIa 31 etc. 120 Hes. erg. 142; Aischyl. Pers. 622; Plat. Phaid. 113e; Plat. rep. 347a.361c. 121 Hom. h. 132; Aristoph. Ach. 895; Lys. XXII 15; Hdt. VII 119; Plat. leg. 744e; Aristot. rhet. MCCCXCIa 1. 122 Hom. Il. I 159; III 286.288; V 552; XVII 92; Hom. Od. XIV 70.117; XXII 57; Plat. Gorg. 497b. Vgl. LSJ, Art. τιμή, 1793–1794 für eine vollständige Zusammenfassung. 123 Aristot. eth. Nic. VII 1123b. Schneider fasst es wie folgt zusammen: „Der Hochgesinnte muss tugendhaft sein, da es ohne Tugend keine Ehre gibt. So besitzt er Ehre auf Grund seiner inneren Werthaftigkeit. Durch seine ἀρετή wird ihm dann auch von außen her […] Ehre erwiesen.“ Schneider, Art. τιμή, 172.
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Motivanalyse
Das Lexem findet in den OH vielfältige Verwendung, sodass es u. a. in Kompositumform als Beiname verschiedener Gottheiten fungiert.124 Dabei werden die verschiedenen Traditionen der Profangräzität wie „Würde“, „Anbetung“, aber auch „Opfer“ fortgesetzt. Im Mysterienkontext allgemein bezieht sich τιμή nicht nur auf die verehrten Gottheiten, sondern kann von den Mysten selbst erlangt werden.125 b) Im NT wird τιμή 41-mal verwendet, wobei sechs Belege in der Offb zu lesen sind. Dort setzt der Autor sie in einem doxologischen bzw. hymnenartigen Kontext ein. Er konstruiert das Lexem vermehrt im Trikolon, δόξα, τιμή, δύναμις, wo es als „Würdeprädikat Gottes“ fungiert.126 Der Autor setzt somit das Sem „Ehre, Anbetung“ voraus, da er das Lexem im Kontext eines anbetenden Gesangs verwendet. Zugleich führt er das Sem „Würde, Herrschaft“ der Profangräzität fort, da τιμή zusammen mit weiteren Herrscher-Attributen in einem Lobpreis formuliert wird. Das Besondere im Gegensatz zur Profanliteratur ist, dass τιμή in der Offb ausschließlich für den Gepriesenen, jedoch nie für den Preisenden gebraucht wird. Ehre erlangen demnach nur Gott und das Lamm. c) Die Adressaten der Offb werden die besondere Lenkung von τιμή auf die Seme „Ehre, Anbetung“ und „Würde, Herrschaft“ v. a. durch den hymnenartigen Kontext wahrgenommen haben. Mit Blick auf die herausgestellte Begriffsgeschichte (a) werden sie neben der äußerlich sichtbaren Ehre des hymnenartigen Kontexts auf eine auf ἀρετή basierende innerliche Ehre geschlossen haben. Dies wird sich in Offb 5,12 im Lobpreis an das Lamm vertieft haben, wo das Gottesepitheton τιμή zum Christusepitheton ausgeweitet wird. Es wird dem Lamm dargebracht, nachdem dessen Erlösungswirken geschildert worden ist. Für die Adressaten stellt die zuerkannte τιμή somit die Konsequenz von dessen ἀρετή dar. 3.3.1.9 Δύναμις
a) Das Lexem δύναμις ist in der Profanliteratur in der Bedeutung „physische Stärke“127 , „Fähigkeit allgemein“128 , „Einfluss, Autorität“129 , „Kriegsgewalt“130 , „Vermö-
124 Das Epitheton πάντιμος ist in OH 14, 63, 64 und 79 belegt; τιμωρός ist in OH 62, 69 und 70 zu lesen; τετιμένος in OH 45 und 54; τιμή in OH 44, 57 und 79. 125 Eine solche τιμή wird v. a. durch eine gewisse Lebensführung selbst erlangt. Vgl. Reitzenstein, Mysterienreligionen, 252–254. 126 Vgl. Hübner, Art. τιμή, 858. 127 Hom. Il. VIII 294; XIII 787; Hom. Od. II 62; XX 237. 128 Hes. erg. 336; Antiph. IV 3,2; Thuk. I 70; Hdt. III 142; Plat. Phaidr. 231a; Plat. rep. 458e; Demosth. or. XVIII 193. 129 Aischyl. Ag. 779; Aischyl. Pers. 174; Thuk. VII 21; Hdt. I 90; Xen. hell. IV 4,5; Demosth. or. XIII 29. 130 Hdt. V 100; Xen. an. I 3,12; Plat. Mx. 240d.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
gen, Kapazität“131 , „elementare Kraft wie Hitze, Kälte“132 , „magische Wirkung“133 und „göttliche Mächte“134 belegt. Im Gegensatz zu anderen Kraftbegriffen meint δύναμις die tatsächliche Fähigkeit einer Sache.135 In den OH wird das Lexem als Kompositum konstruiert und als Epitheton εὐδύνατος verwendet.136 Es werden verschiedene Seme vorausgesetzt: Im Kontext von Machtbereichen wie in OH 29 umfasst es das Sem „Einfluss, Autorität“. Im Kontext kriegerischer Gottheiten wie der Kureten ist mehr das Sem „Kriegsgewalt“ erkennbar. Insgesamt ist mit εὐδύνατος das Vermögen innerhalb eines fest umrissenen Rahmens gemeint. b) Im NT wird δύναμις 119-mal gebraucht, wovon zwölf Belege in der Offb nachgewiesen werden. Das weit gefächerte Bedeutungsspektrum der Profangräzität wird weitergeführt, was sich u. a. in der reichen Synonymik zeigt: Für „Macht“ sind als Synonyme ἰσχύς, κράτος, ἐξουσία und ἐνεργεία nachweisbar. In 4,11 setzt der Autor das alttestamentliche Sem voraus, dass Gott „die geschichtsbildende und geschichtsgestaltende Kraft“ ist.137 Er greift damit eine Vorstellung auf, die auch in der paganen Literatur bzgl. Zeus thematisiert wird.138 c) Die Adressaten der Offb werden erkannt haben, dass Gott nicht nur das Potenzial, sondern auch das tatsächliche Vermögen zur Heilswirksamkeit besitzt. In Offb 4 wird ihnen dies durch Gottes Schöpfungswirken vor Augen geführt. Die ἄξιος-Formel wird ihnen zudem das Sem „Einfluss, Autorität“ im herrschenden Sinne signalisiert haben. Gottes schöpferische δύναμις zeigt sich ihnen schließlich als „elementare Kraft“, die sie nun universal wahrnehmen im Gegensatz zu der im polytheistischen Kontext üblichen Begrenztheit. 3.3.2
Der himmlische Thronsaal II (Offb 5,1–14)
In der zweiten zu bearbeitenden Szene werden weniger Lexeme analysiert als in der ersten, da viele bereits analysierte Lexeme wiederholt sowie erweitert werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Offb 4–5 eine einzige komplexe Szene darstellt.
131 Plat. rep. 532a; Plat. Tht. 185e; Aristot. pol. MCCCIXa 35; Demosth. or. XXII 11; Men. Aspis 578; Pol. I 84,6; II 56,5. 132 Aristot. part. an. DCL a 5; Epik. frg. 60. 133 PGM VIII 12; Hld. Aith. IV 7. 134 Porph. abst. II 34; PGM I 1275. Vgl. LSJ, Art. δύναμις, 452 für eine vollständige Zusammenfassung. 135 Vgl. Grundmann, Art. δύναμις, 286. 136 OH 29 an Persephone (aber in Bezug auf Pluton), OH 33 an Nike, OH 38 an die Kureten, OH 74 an Leukothea, OH 77 an Mnemosyne. 137 Grundmann, Art. δύναμις, 294. Dies geht z. B. aus 1Chr 29,10f hervor. 138 So z. B. der Zeus-ὕμνος des Kleanthes, 1–3.
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3.3.2.1 Σφραγίς
a) Das Lexem σφραγίς hat eine komplexe Begriffsgeschichte. In der Klassik wird es am häufigsten entweder als Instrument der Besiegelung oder als Siegelabdruck selbst verstanden.139 Darüber hinaus umschreibt der Ausdruck im medizinischen Kontext Tabletten140 und ein Areal, das einer bestimmten Herrschaft zugeteilt wird. In den OH wird σφραγίς entweder als einer Person zugeordneter Gegenstand oder als Epitheton der jeweiligen Gottheit thematisiert. Einerseits wird das Sem „Instrument der Besiegelung“, andererseits mit genitivischem Zusatz das Sem „Herrschaftsareal“ vorausgesetzt.141 b) Im NT kommt das Lexem 16-mal vor, allein 13-mal in der Offb. Die meiste Verwendung findet σφραγίς bei der Schilderung der Buchrolle in Offb 5. Der Autor der Offb versteht es in der Bedeutung „geheimes Wissen“.142 Er greift dabei eine Gepflogenheit auf, die sowohl bei den Mysterienkulten als auch im AT thematisiert wird. Als weiteres Sem ist „Herrschaftsantritt“ zu nennen.143 c) Die kundigen Adressaten, die von den Praktiken okkulter Gruppierungen ihrer Zeit wussten, werden u. a. das Sem „geheimes Wissen“ erkannt und somit die absolut unzugängliche Vorsehung Gottes tiefer verstanden haben. Das Bildfeld „Siegel“ bedient zugleich solche Adressaten mit paganer Kenntnis als auch solche alttestamentlicher Traditionen. 3.3.2.2 Ῥίζα
a) Ῥίζα ist ein vielseitig eingesetztes Wort im Profangriechischen. Mit dem Sem „Wurzel“ erscheint es v. a. im Plural bei Homer,144 ansonsten in den Semen „Wurzel“
139 Als Instrument der Besiegelung, z. B. als Siegelring ist es bei Aristoph. av. 560; Aristoph. Eccl. 632; Aristoph. Thesm. 415; Hdt. I 195; III 41; Plat. Hipp. min. 368c; Aristot. Ath. pol. XLIV 1; Strab. IX 3,1 (erste Koinephase) belegt. Als Siegelabdruck erscheint es bei Theogn. 19; Soph. El. 1223; Eur. Iph. A. 155; Soph. Trach. 615; Thuk. I 129.132; Lukian, Alex. 11 (dritte Koinephase). 140 Vgl. LSJ, Art. σφραγίς, 1742 für eine vollständige Zusammenfassung. 141 OH 34 an Apoll ἔχεις κόσμου σφραγῖδα τυπῶτιν; OH 24 an die Nereiden σφράγιαι βύθιαι; OH 64 an Nomos σφραγῖδα δικαίαν πόντου. 142 „Auch im religiösen Leben hat das Siegel Bedeutung; zB kann ein Tier durch das Siegel als kultisch rein für das Opfer ausgewiesen werden […]. So kann es auch heißen, dass der Mund versiegelt wird, oder Worte […]. Das gilt namentlich für die Geheimhaltung in den Mysterien.“ Schippers, Art. σφραγίς, 1136. Vgl. dazu auch Fitzer, Art. σφραγίζω κτλ, 942. 143 Vgl. Karrer, Offb, 398. Ein solcher zieht den Besitz von Macht nach sich. Vgl. Giesen, Offenbarung, 162. 144 Hom. Il. IX 542; XII 134; Hom. Od. XII 435.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
im medizinischen Kontext,145 metaphorisch als Wurzel des Auges,146 der Erde oder Quellen,147 als Federn bzw. Haare,148 Zähne149 und im kriegerischen Kontext.150 Allgemein wird ῥίζα verwendet, wenn der Ursprung einer Sache ausgedrückt werden soll, insbesondere im genealogischen Sinne.151 In den OH wird ῥίζα immer dann verwendet, wenn es um irdische Tiefen geht. Das profanliterarische Sem „Wurzel der Erde oder Quellen“ wird fortgesetzt.152 b) Im NT kommt ῥίζα 17-mal vor, davon zweimal in der Offb. Es wird bildlich verwendet und stellt jeweils eine Anspielung an das AT dar. Der Autor nutzt es jeweils in einem genealogischen Kontext, sodass in Offb 5 die „Wurzel Davids“ eine genealogische Zuschreibung des Lammes darstellt. Primär stellt dieses ChristusEpitheton eine abgewandelte Anspielung von Jes 11,1.10 dar. c) Dadurch, dass der Autor dieses Lexem aus Jes wählt, verstehen es sowohl juden- als auch völkerchristliche Adressaten. Es wird nicht nur als Schriftzitat aufgefasst, auch das genealogische Sem „Ursprung, Grund“ wird greifbar. Das Lexem sagt für alle aus, dass das Lamm den Ursprung Davids darstellt – sowohl für die Judenchristen, die die Umkehrung des Jesaja-Begriffs erfassen, als auch für die Völkerchristen, die ῥίζα als Umschreibung für Ursprungshaftigkeit aus der Profanliteratur gekannt haben dürften. 3.3.2.3 Κέρας
a) Der Begriff κέρας wird vielseitig verwendet und besitzt ein weites Bedeutungsspektrum: Horn eines Tieres,153 Material bei Hom. Od. XIX 563, Gegenstände, die
145 146 147 148 149 150 151
Hom. Il. XI 846; Hippokr. V 34. Hom. Od. IX 390; Eur. Herc. 933. Hes. erg. 19; Aischyl. Prom. 1047. Plat. Phaidr. 251b; Aristot. hist. an. DXVIIIb 14. Aristot. gen. an. DCCLXXXIXa 13; Aristot. hist. an. CDXCIIIa 18. Plut. Pomp. 21 zweite Koinephase; Athen. deipn. XII 523f (dritte Koinephase). Aischyl. Ag. 966; Aischyl. Sept. 755; Pind. I. VIII (VII) 61; Pind. O. II 46; Pind. P. IV 15; IX 8; Soph. Ai. 1178; Eur. Iph. T. 610 etc. Vgl. LSJ, Art. ῥίζα, 1570 für eine vollständige Übersicht. 152 OH 34 an Apoll ῥίζας νέρθε δέδορκας; OH 18 an Pluton ὃς ἔχει ῥιζώματα γαίης; OH 23 an Nereus κατέχων πόντου ῥίζας. 153 Hom. Il. XVII 521; Hom. Od. XIX 211; Eur. Bacch. 743; in der dritten Koinephase auch bei Aret. SD. II 13; Opp. kyn. II 494.
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aus κέρας hergestellt sind oder κέρας verwenden (Bögen154 , Musikinstrumente155 und Trinkhörner156 ), Gegenstand in Form eines Horns.157 In den OH wird der Begriff zumeist als Kompositum verwendet und stellt jeweils ein Epitheton der gepriesenen Gottheit dar.158 Es wird stets wörtlich gedacht und oft mit einem bestimmten Tier in Verbindung gebracht, was v. a. durch das Epitheton ταυρόκερως deutlich wird. Der vermehrte Gebrauch von Stierhörnern impliziert womöglich eine kultische Bedeutung.159 Es ist auch an altorientalische Einflüsse zu denken, nach denen Hörnerkronen ein Zeichen der Vergöttlichung und direkter Ausdruck für Macht sind.160 b) Im NT taucht der Begriff ausschließlich in der Offb auf und dabei v. a. bei der Beschreibung apokalyptischer Tiere. In Offb 5 gebraucht der Autor das Lexem im Kontext des Lammes. Die Nennung von sieben Hörnern ist neu. Selbst die Belege des AT kennen dieses Bild nicht. Offensichtlich greift der Autor das Sem „Stärke, Macht“ auf, das mit κέρας v. a. in den Psalmen belegt ist und im Rahmen messianischer Erwartungen verwendet wird.161 c) Selbst die Adressaten der Offb, die mit den Psalmen nicht sehr vertraut sind, werden das Signal „Stärke, Macht“ mit κέρας verknüpft haben. Zwar ist diese Assoziation in der klassischen Profanliteratur nicht geläufig, jedoch im synkretistischen Milieu, in dem auch die orphischen Mysterien eingebettet sind. Aufgrund des altorientalischen Einflusses, der in einigen OH spürbar ist, kann vermutet werden, dass die Adressaten der Offb mit κέρας in Offb 5 das Sem „Stärke, Macht“ verstanden haben. Womöglich haben sie ein Vergöttlichungsbild erkannt und so die Messianität des Lammes begriffen.
154 155 156 157
158
159 160 161
Hom. Il. XI 385; Hom. Od. XXI 395; Kall. epigr. 38; Theokr. Eid. XXV 206. Xen. an. II 2,4; später Poll. IV 74.4,76; Lukian, dial. deor. XII 1; Athen. deipn. IV 184a. Aischyl. frg. 185; Pind. fr. 166; Soph. frg. 483; Xen. an. VII 2,23; später Gal. XIII 435. Frisur: Hom. Il. XI 385; Poll. II 31; Flussbiegung: Hes. theog. 789; Pind. fr. 201; Thuk. I 110,4; Strab. VII 6,2; Pol. IV 43,7; Philostr. soph. I 21,2; eine Abteilung der Armee und militärischer Kontext: Hdt. IX 26; VI 8; Aischyl. Pers. 399; Eur. Suppl. 704; Thuk. II 90,5; III 78; Xen. an. I 10,9; Xen. hell. VI 5,16; Xen. Kyr. VII 1,8.22.28; Hdt. VI 12.14; Pol. I 40,14 etc.; Gipfel eines Berges: Hom. h. I 8; Xen. an. V 6,7; Lykophr. Alex. 534. Vgl. LSJ, Art. κέρας, 941 für eine vollständige Zusammenfassung. OH 9 an Selene ταυρόκερως; OH 11 an Pan κεράστης; OH 29 an Persephone κερόεσσα; OH 30 an Dionysos δικέρωτα; OH 34 an Apoll δικέρωτ’; OH 52 an Trieterikos ταυρόκερως und κερώς; OH 53 an Amphietes κερασφόρε; OH 56 an Adonis δίκερως. Im orphischen Kontext ist zumindest herauszustellen, dass Dionysos u. a. als Stiergott verstanden wurde. Vgl. Kerenyi, Herkunft, 9. Vgl. Foerster, Art. κέρας, 668. 1Sam 2,10; Pss 18.132.
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3.3.2.4 Κιθάρα
a) Der Terminus κιθάρα ist in der hier vorliegenden Form selten belegt. Es stellt ein Musikinstrument dar,162 insbesondere das Instrument Apolls.163 Mit der maskulinen Form κίθαρος ist der Brustkorb, v. a. von Pferden, gemeint (Hippokr. 38.46). In den OH wird das Lexem nur einmal als Musikinstrument Apolls erwähnt (OH 34). Ansonsten wird der Begriff λύρα bevorzugt, der auch in der gesamten Profanliteratur häufiger auftaucht.164 Auch wenn es sich um unterschiedliche Instrumente handelt, verwenden die OH sie teilweise synonym, wie an dem gleichzeitigen Vorkommen in OH 34 zu sehen ist. Die Verwendung bei Apoll, dem Gott der Künste, zeigt, dass im Kontext von ὕμνοι sowohl λύρα als auch κιθάρα elementar sind. b) Der Ausdruck κιθάρα kommt im NT recht selten vor, sodass nur 1Kor 14,7 und drei Belegstellen in der Offb es verwenden. In 5,8 erwähnt der Autor das Musikinstrument als Attribut der 24 Ältesten. Aufgrund des narrativen Kontexts in Offb 5 setzt der Verfasser ein kultisches Verständnis des Instruments voraus. Es dient als Begleitinstrument des Lobpreises in 5,9f. Dies wird durch die gleichzeitige Darbringung von Rauchopfern und der Bekleidung der 24 Ältesten unterstrichen. c) Die Adressaten der Offb werden dieses eher selten belegte Wort als kultisches Instrument erkannt haben, da es u. a. als Attribut Apolls angesehen wird. In Kombination mit der in Offb 4 geschilderten Kleidung der 24 Ältesten, dem Räucherwerk und dem sich anschließenden Lobpreis wird ihnen der kultische Charakter verdeutlicht worden sein. Aus dem paganen Kontext ist ihnen die Praxis geläufig, das Singen oder Sprechen von ὕμνοι mit einem Saiteninstrument zu begleiten.165 Die hymnenartigen Gesänge werden durch dieses Lexem als solche den Adressaten vermittelt. 3.3.2.5 Φυλή, γλῶσσα, λαός und ἔθνος
a) Das Lexem φυλή meint im Profangriechischen ein organisiertes Corpus von Personen, die miteinander verwandt sind, sozusagen einen Clan.166 Es sagt aber auch die Gesamtheit von Menschen aus, die an einem Ort leben.167 Ansonsten wird
162 Eur. Ion 882; Hdt. I 24; Plat. rep. III 399. Häufiger ist die Form κίθαρις belegt: Hom. Od. I 153; Pind. P. V 65; Aristoph. Thesm. 124. 163 Vgl. Aune, Revelation, 355. 164 OH 8 an Helios χρησολύρη; OH 31 an die Kureten κρουσιλύρης, OH 34 an Apoll χρυσολύρη. 165 Vgl. Aune, Revelation, 356. 166 Hdt. IV 145; V 68.69; Xen. Kyr. I 2,5.12; Aristot. Ath. pol. VIII 3; Plut. Lyk. 6; Plut. Sol. 19. 167 Hdt. V 69; VI 131; Plat. leg. 753c; Aristot. pol. MCCCa 25; Plut. Rom. 20.
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es im militärischen Kontext verwendet168 oder meint die Art bzw. Spezies einer Sache (Xen. oik. IX 6).169 Der Ausdruck γλῶσσα ist im Profangriechischen zunächst das Organ der Zunge selbst.170 Es kann aber auch die Sprache meinen.171 Schließlich wird alles als γλῶσσα bezeichnet, was die Form einer Zunge aufweist.172 Das Wort λαός bezeichnet entweder eine militärische Gruppierung173 ähnlich φυλή, eine Gruppierung von Menschen, die einen gemeinsamen Beruf ausüben oder ein gemeinsames Interesse verfolgen,174 eine versammelte Menschenmenge auf begrenztem Raum175 oder ein Volk, das eine gemeinsame Gruppenbezeichnung aufweist.176 Der Begriff ἔθνος bezeichnet im Profangriechischen eine Menschenmenge, die zusammenlebt,177 eine Nation,178 Fremdvölker,179 römische Provinzen180 oder eine Klasse bzw. einen Rang.181 In den OH wird φυλή zumeist pluralisch verwendet und bezieht sich auf die verschiedenen Stämme der gesamten Weltbevölkerung.182 Der einzige Beleg von γλῶσσα ist in OH 28 an Hermes zu finden.183 Das Lexem λαός ist in OH 34 an
168 Thuk. VI 98,4; III 90,2; Hdt. VI 111; Xen. hell. IV 2,19; Plat. leg. 755c.d; Lys. XIII 79. 169 Vgl. LSJ, Art. φυλή, 1961 für eine vollständige Zusammenfassung. 170 Bei Homer ist die attische Form γλῶττα belegt, Hom. Od. III 332. Ansonsten Hes. erg. 322.709; Aischyl. Choeph. 266; Aischyl. Eum. 830; Aischyl. Prom. 331.884; Theogn. 63; Pind. O. VI 13; Soph. Ai. 199.1142; Soph. Ant. 128.962; Soph. Oid. K. 806; Eur. Bacch. 1049; Eur. Hipp. 612; Thuk. VII 10; Hdt. I 123 etc. 171 Hom. Od. XIX 175; Hom. Il. II 804; Hdt. I 142; IV 109.183; Aristot. rhet. MCCCLVIIb 10 etc. 172 Aischin. Ctes. 3,229; Aischin. frg. 57; Plat. frg. 51; Vgl. LSJ, Art. γλῶσσα, 353 für eine vollständige Zusammenfassung. 173 Hom. Il. II 115.365.578.809; IV 76.91; VII 342.434; IX 424; X 14; XIII 108.495; XVI 129. 174 Hom. Il. XI 676; XVII 226.390; XXIV 611; Hom. Od. VI 194; XIV 248; Aischyl. Pers. 383; Aischyl. Suppl. 90.517; Soph. frg. 844; Aristoph. Pax 920. 175 Aischyl. Eum. 681; Aristoph. av. 448.1275; Aristoph. Equ. 163; Aristoph. Pax 551; Aristoph. Ran. 676.219; Plat. rep. 458d. 176 Hom. Il. XXIV 611; Aischyl. Pers. 770; Pind. N. I 17; Pind. O. VIII 30; IX 46; Pind. P. IV 153; IX 54; Soph. Oid. T. 144; Soph. Phil. 1243 etc. Vgl. LSJ, Art. λαός, 1029–1030 für eine vollständige Zusammenfassung. 177 Hom. Il. II 91; III 32; VII 115; XI 724; XII 330; XIII 495; XVII 552; Hom. Od. X 526; Aischyl. Eum. 366; Pind. N. III 74; XI 42; Pind. O. I 66; Pind. P. IV 252; Soph. Ant. 344; Soph. Phil. 1147. 178 Aischyl. Pers. XLIII 56; Hdt. I 101; IX 106. 179 Aristot. pol. MCCCXXIVb 10. 180 App. civ. II 13; Herodian I 2,1; Cass. Dio XXXVI 41; Dion Chrys. XLIII 11. 181 Xen. symp. III 6; Plat. Gorg. 455b; Plat. leg. 776d; Plat. rep. 290b; Plat. rep. 420b.421c; Diod. XVII 102. Vgl. LSJ, Art. ἔθνος, 480 für eine vollständige Zusammenfassung. 182 OH 12 an Herakles; OH 34 an Apoll; OH 69 an die Erinnyen; OH 78 an Eos jeweils φῦλα; nur in OH 55 an Aphrodite Singular φῦλον, allerdings bezogen auf die Tierwelt. 183 Es heißt nämlich in OH 28: γλώσσης δεινὸν ὅπλον τὸ σεβάσμιον ἀνθρώποισι „den Menschen ein gewaltiges und verehrungswürdiges Werkzeug der Zunge“.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
Apoll mit der Bedeutung „Völker“ belegt. Es geht um ein Gelöbnis bzw. Gebet für die Völker (κλῦθί μευ εὐχομένου λαῶν ὕπερ). Das Lexem ἔθνος ist in den OH zweimal belegt. Es bezieht sich einmal auf alle Völker weltweit (OH 66 an Hephaistos, ἔθνεα πάντα) und einmal auf die vielbevölkerten Meere (OH 78 an Eos, εἰναλίων πολυεθνῶν). b) Im NT wird φυλή 31-mal verwendet, davon 21-mal in der Offb. Der Autor der Offb verwendet es in der Bedeutung „Volksstamm“. Damit setzt er die Bedeutung der Profangräzität teilweise fort und verwendet zugleich ein Lexem, das von der alttestamentlichen Tradition her bekannt ist.184 Das Lexem γλῶσσα erscheint 50-mal im NT und hat hauptsächlich die Seme „Sprache“ oder „Zunge“. Der Autor der Offb versteht es, beide Seme zu einem Semem zu verbinden, wenn er es auf die Sprachen aller Nationen bezieht. Von allen vier Lexemen weist λαός mit 142 Belegen die zweithäufigste Verwendung auf, wovon lediglich neun Belege auf die Offb fallen. Die Hauptbedeutungen im NT sind „Volk, Bevölkerung, Volksmenge“, „das Volk Israel“ und „die christliche Gemeinde“. In Offb 5 setzt der Autor nicht mehr die exklusive Bedeutung von λαός im Sinne von „Volk Israel“ voraus, das die nichtjüdischen Völker ausschließt, sondern verarbeitet das Lexem nun in einer Aufzählung der gesamten Menschheit in ihrer völkischen und sprachlichen Gliederung. Schließlich ist das Lexem ἔθνος am häufigsten im NT verarbeitet (162-mal), mehrheitlich pluralisch. Der Autor der Offb setzt für ἔθνος nicht das sonst im NT häufige Sem „pagane Völker“ voraus, sondern versteht es universal. Die Unterscheidung in λαός und ἔθνος ist zur Entstehungszeit der Offb nicht mehr relevant. Folglich verarbeitet der Verfasser insbesondere die beiden Begriffe λαός und ἔθνος so, dass keine Exklusivität und Abgrenzung mehr gedacht werden kann. Ihm wird Dan 3,4; 7,14 bekannt gewesen sein, wo dieselben vier Lexeme aufgegriffen werden. c) Die unterschiedlichen Adressaten werden von ihrem jeweiligen traditionsgeschichtlichen Hintergrund φυλή in der Bedeutung „Volksstamm“ verstanden und auf diese Weise die Erlösungstat des Lammes als universal begriffen haben. Auch wenn der Begriff γλῶσσα in der Profanliteratur häufig wörtlich aufgefasst wird, werden die Adressaten der Offb γλῶσσα in Offb 5,9 nicht als Körperteil, sondern als Sprache im Sinne der sie sprechenden Gruppe verstanden haben.185 Gemäß der Begriffe λαός und ἔθνος ist herauszustellen, dass aufgrund der ausbleibenden Exklusivität sowohl völkerchristliche als auch judenchristliche Adressaten der Offb die Erlösung der gesamten Menschheit begreifen konnten. Die einen werden aufgrund der profangriechischen Literaturbeispiele die Exklusivität von λαός nicht verstanden haben, für die anderen wird dies insofern irrelevant gewesen sein, als der
184 Maier spricht von „alttestamentlicher Sprachfärbung“. Maier, Offenbarung, 308. 185 Zwar ist diese Verwendungsart im Profangriechischen kaum belegt, doch ist bei dem karischen Geografiker Skylax eine solche Verwendung nachweisbar (Skyl. 15).
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Motivanalyse
„Oppositionsbegriff “186 ἔθνος bezogen auf die nichtjüdischen Völker sich direkt an den Volk-Gottes-Begriff λαός anschließt. 3.3.2.6 Πλοῦτος
a) Das Lexem πλοῦτος kommt im Profangriechischen am häufigsten in der primären Bedeutung „Reichtum, Schätze“187 vor, ansonsten als „Reichtum von etwas“188 . Schließlich wird auch der Gott der Reichtümer selbst damit ausgesagt.189 Es bezeichnet stets eine Fülle von etwas. Bereits die Vorsokratiker erkennen, dass wahrer Reichtum nicht auf wirtschaftlicher oder materieller Ebene zu suchen ist. Die Stoiker haben eine zunehmend pessimistische Sicht auf πλοῦτος.190 Die OH widmen einen ὕμνος der Gottheit Pluton (OH 18), weshalb der Gott selbst gemeint ist. In der Form πλοῦτος ist der Begriff in der Bedeutung „Reichtum, Schätze“ belegt, u. a. als Kompositum.191 Er ist derjenige, der Erntereichtum verleiht.192 Da die OH von philosophischen Strömungen wie der Stoa beeinflusst sind, ist das Sem „Reichtum, Schätze“ aber nicht auf materielle Sicht beschränkt. Dementsprechend führt die Kombination mit „Leben“ und „geben“ zum Semem „erfülltes Leben“, das von Gottheiten erbeten werden konnte. b) Im NT kommt das Substantiv 22-mal vor, davon zweimal in der Offb. Der Autor setzt in Offb 5,12 die Bedeutung „Reichtum von etwas“ voraus „im Sinne der göttlichen Fülle“193 , die dem Lamm zuerkannt wird. Er entwickelt den Reichtumsbegriff weiter, indem er ihn auf die eschatologische Sphäre überträgt: Reichtum bedeutet vollkommenes Wohlergehen im eschatologischen Sinne. Dies faltet er insbesondere in den letzten Kapiteln der Offb aus, wenn er die Hochzeit des Lammes thematisiert. Er verwendet mit πλοῦτος erneut ein Lexem, das semantisch von verschiedenen traditionellen Kontexten her fassbar ist.194
186 Frankemölle, Art. λαός, 848. 187 Hom. Il. I 171; XVI 596; Pind. O. II 53; Eur. frg. 137; Aristoph. Eccl. 602; Hdt. II 121; And. I 131; Plat. Gorg. 523c; Plat. leg. 801b; Plat. Prot. 354b; Plat. rep. 421d.618b. 188 Aischyl. Sept. 948; Aischyl. Ag. 1383; Xen. symp. IV 34.43; Plat. Euthyphr. 12a. 189 Hes. theog. 969; Hesych. 7077. Vgl. LSJ, Art. πλοῦτος, 1423 für eine vollständige Zusammenfassung. 190 Vgl. Hauck/Kasch, Art. πλοῦτος, 318–320. 191 OH 15 an Zeus; πλούτου; OH 18 an Pluton πλουτοδοτῶν; OH 40 an Demeter πλουτοδότειρα und πλοῦτον; OH 68 an Hygieia πλοῦτος; OH 73 an Daimon πλουτοδότην. 192 In OH 18 heißt es über diese Wesenseigenschaft: πλουτοδοτῶν γενεὴν βροτέην καρποῖς ἐνιαυτῶν. 193 Merklein, Art. πλοῦτος, 278. 194 Auch im AT wird Reichtum über die materielle Dimension hinaus gedacht und als „Gottes Gabe u[nd] Ausdruck seines persönlichen Segens“ angesehen. Hauck/Kasch, Art. πλοῦτος, 321. Als erfülltes Leben erscheint es insbesondere in 1Chr 29,28; Sir 44,1–8.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
c) Die Adressaten werden das Sem „Reichtum von etwas“ aus ihrer Kenntnis paganen Schrifttums heraus erkannt haben. Da ihnen die kritische Auseinandersetzung mit Reichtum in der Profangräzität bekannt gewesen sein muss, werden sie ihr Augenmerk auf die positive Sicht von πλοῦτος in der Offb gelegt haben. Zugleich wurde ihnen vermittelt, dass der wahre Reichtum nicht nur nicht materiell, sondern nicht einmal irdisch anzustreben ist. Wahrer Reichtum ist ein eschatologisches Gut. Dass πλοῦτος eine Gottesgabe darstellt, wird sowohl über alttestamentliche Traditionen als auch über die OH erkannt worden sein. 3.3.2.7 Σοφία
a) Mit σοφία ist im Profangriechischen zunächst ein abgeschlossenes handwerkliches, künstlerisches oder wissenschaftliches Können gemeint.195 Darüber hinaus bezeichnet es ein Können in Bezug auf Lebenserfahrung oder Charakter.196 Es hat zudem das Sem „Weisheit, Bildung“.197 Es meint nie eine konkrete Tätigkeit, sondern stets eine Eigenschaft.198 In den OH wird der Begriff in der Bedeutung „Wissen“ (OH 63 an Dikaiosyne) und „Können in Bezug auf Charakter“ (OH 69 an die Erinnyen) zweimal verarbeitet. In OH 69 ist es an die ἀρετή gekoppelt. b) Im NT kommt der Begriff 51-mal vor, am häufigsten im Corpus Paulinum. In der Offb wird er viermal verwendet. Der Autor setzt es im Kontext eines Lobpreises an das Lamm ein. Dadurch setzt er die Seme „Wissen“ und „Können“ voraus, die in der Profangräzität eine lange Tradition aufweisen. Das Lamm besitzt das Können, die Buchrolle zu entsiegeln, und empfängt das Wissen über die ausstehenden eschatologischen Ereignisse. Auch in der Begründung des Könnens zeigt sich, dass die σοφία des Lammes durch sein soteriologisches Verhalten offengelegt wird. Der Autor der Offb verarbeitet somit das Sem „Können als Lebenserfahrung oder Charakter“. Mit dem Lexem σοφία erreicht der Autor die Charakterisierung des Lammes ausgehend von unterschiedlichen Traditionssträngen.199
195 Hom. h. 483.511; Hom. Il. XV 412; Pind. O. I 117; VII 53; IX 107; Pind. P. III 54; Soph. Oid. T. 502; Aristoph. Ran. 676.882; Xen. an. I 2,8; Xen. mem. IV 2,33; Plat. apol. 22b; Plat. Ion 542a; Plat. Prot. 32.1d; Plat. rep. 406b.365d; Plat. Thg. 123c. 196 Theogn. 790.876.1074; Pind. O. IX 38; Hdt. I 30,60; 1,68; Plat. Prot. 360d; Plut. Them. 2. 197 Plat. Ap. 20e.22e; Herakl. 615; Eur. Bacch. 395; Aristot. metaph. MVb 1.MLXIb 33. Vgl. LSJ, Art. σοφία, 1621–1622 für eine vollständige Zusammenfassung. 198 Während σοφία in der klassischen Periode auf den theoretischen Aspekt verengt worden ist, wurde sie in späterer Zeit um das praktische Können ergänzt. Vgl. Wilckens, Art. σοφία, 467f. 199 Auch im AT besitzt σοφία die Seme „handwerklich-künstlerisches Können“, „Klugheit und Kenntnis“, „Lebenskunst“ und v. a. „ethisches, frommes Verhalten“. Vgl. Fohrer, Art. σοφία, 476.
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Motivanalyse
c) Die Adressaten der Offb werden eine Assoziation mit dem geheimen Wissen in Mysterienkulten hergestellt haben, denn die siebenmal versiegelte Buchrolle impliziert für sie etwas vollkommen Geheimes. Offb 5 schildert die Inthronisationsszene des Lammes, das an den Thron Gottes kommt und von da an mit Gott angebetet wird. Für die Adressaten wird mit Rückgriff auf den Initiationsbegriff θρόνωσις das Lamm zum Neueingeweihten, der inthronisiert und in das geheime Wissen eingeführt wird. Sie werden zudem aus ihren jeweiligen kulturellen Kontexten heraus die σοφία des Lammes auf dessen Handlungsweise bezogen haben, die universale Erlösung nach sich zieht. 3.3.3
Die Besiegelung der Knechte Gottes (Offb 7,1–17)
Offb 7 setzt sich aus zwei unterschiedlichen Szenen zusammen. Dabei werden teilweise die Lexeme aus Offb 4–5 aufgegriffen und durch einen neuen Kontext semantisch erweitert. 3.3.3.1 Σφραγίζω
a) Das Lexem σφραγίζω hat die wörtlichen Bedeutungen „schließen, versiegeln“200 , „ein Objekt zertifizieren“201 und „ein verpfändetes Objekt versiegeln“202 . Darüber hinaus wird es metaphorisch in den Bedeutungen „verschließen“203 , „bestätigen“204 , „markieren“205 und „ein Ende setzen, begrenzen“206 interpretiert. Insbesondere in den späteren Koinephasen setzen sich die metaphorischen Seme zunehmend durch. Zu nennen ist auch die magische Komponente des Verschließens.207 In den OH ist das Wortfeld nur nominal, nicht verbal belegt. Es wird als zugeordneter Gegenstand sowie als metaphorisches Epitheton der gepriesenen Gottheit verwendet. Die vorausgesetzten Seme sind „Instrument der Besiegelung“ und „Herrschaftsareal“.208 Es werden gleichermaßen wörtliche und metaphorische Seme der Profangräzität aufgegriffen. 200 201 202 203 204 205 206
Aischyl. Eum. 828; Eur. Iph. A. 38; Demosth. or. IV 59. Hdt. II 38. In der zweiten Koinephase Plut. Pomp. 5; Arr. Epict. II 13,7. Gal. XII 215; Nonn. Dion. XXVI 61. S. Emp. adv. math. I 271; Anth. Gr. IX 236. Eur. Iph. T. 1372; Anth. Gr. III 25; V 34. Antig. Mir. 89; Anth. Gr. IX 297. Vgl. LSJ, Art. σφραγίζω, 1742 für eine vollständige Zusammenfassung. 207 Vgl. Aune, Revelation, 453. 208 Die Ausführungen zur nominalen Verwendung wurden bereits zu Offb 5 thematisiert. Es handelt sich um die OH 34 an Apoll ἔχεις κόσμου σφραγῖδα τυπῶτιν; OH 24 an die Nereiden σφράγιαι βύθιαι sowie OH 64 an Nomos σφραγῖδα δικαίαν πόντου.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
b) Auch im NT gibt es einen eigentlichen (Mt 27,66; Röm 15,28; 2Kor 8,20f) und übertragenen (2Tim 2,19; 1Kor 9,2; Joh 3,33; 6,27; Röm 4,11; Eph 1,13f; 4,30) Sinn des Verbs σφραγίζω, das insgesamt 15-mal vorkommt.209 Das vielfältige Semem der Profangräzität wird im NT übernommen, sodass neben dem wörtlichen Sem „versiegeln“ auch die Seme „verifizieren“ und „bestätigen“ belegt sind.210 In der Offb kommt das gesamte Wortfeld 32-mal vor und nimmt semantisch betrachtet eine besondere Stellung ein: Es wird am häufigsten im Zusammenhang mit dem Siegel Gottes verwendet, taucht aber auch in negierter Form auf, so in Offb 22,10 (μὴ σφραγίσῃς). Das Sem ist „geheimhalten“.211 Offb 10,4 stellt ein weiteres Beispiel mit derselben Bedeutung dar (σφράγισον). In 20,3 wird das Sem „verschließen“ im Kontext von eschatologischer Gerichtsausübung vorausgesetzt. Im Vergleich zum übrigen neutestamentlichen Gebrauch geht der Autor der Offb vielfältiger vor, indem er mehr Seme der Profangräzität in der Offb weiterführt. In Offb 7 hat der Vorgang des Versiegelns das Sem „Markierung“ bzw. „Kennzeichnung als Gott zugehörig“.212 Das Lexem ist in diesem Kontext als Schutz- und Eigentumszeichen zu verstehen.213 c) Das in der zweiten Koinephase mehrfache Vorkommen von σφραγίζω in der Profangräzität bei der Versiegelung verpfändeter Objekte ist bemerkenswert mit Blick auf das in dieselbe Zeit datierte NT.214 In 2Kor 1,22 ist im Kontext eines Versiegelungsvorgangs die Rede von dem ἀρραβών, der der Hl. Geist ist. Aus zeitgeschichtlichen Gründen könnten die schriftkundigen Adressaten der Offb die Versiegelung der Knechte vermutlich aus der paulinischen Tradition sowie vom AT (z. B. Gen 38) her gekannt haben. Gleichzeitig wird dem völkerchristlichen Teil der Adressatenschaft das Sem „verpfänden“ durch zeitgenössische Werke vertraut gewesen sein. Beiden Gruppen wird die Vorläufigkeit des besiegelten Zustands klargeworden sein, da er bis zu einem bestimmten Zeitpunkt anhält. Den Adressaten wird zudem bewusst gewesen sein, dass die Schilderung der Versiegelung metaphorisch und nicht wörtlich zu verstehen ist, da viele Texte im NT sowie pagane Texte der späteren Koinephasen ein metaphorisches Verständnis von σφραγίζω belegen.
209 210 211 212
Vgl. Schramm, Art. σφραγίζω, 756; Fitzer, Art. σφραγίζω κτλ, 948. Vgl. Fitzer, Art. σφραγίζω κτλ, 950. Vgl. Fitzer, Art. σφραγίζω κτλ, 950; Schramm, Art. σφραγίζω, 757. „Mit dem Siegel Gottes wird die Zugehörigkeit zum Volke Gottes oder zur Gottesgemeinschaft gekennzeichnet. Die das Zeichen tragen, gehören zu Gott, sind sein Eigentum.“ Fitzer, Art. σφραγίζω κτλ, 951. 213 Vgl. Schippers, Art. σφραγίς, 1138. 214 Zur Wiederholung: Laut Chan, Metapher, 46–59, deren Einteilung in dieser Analyse übernommen wird, entspricht die zweite Koinephase dem 1. Jh.n. Chr.
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Motivanalyse
3.3.3.2 Πηγή
a) Das Lexem πηγή sowie die Variante παγά sind im Profangriechischen zunächst Begriffe für fließendes Wasser.215 Zudem wird πηγή für fließende Flüssigkeiten wie Tränen oder Muttermilch eingesetzt.216 In diesem Fall wird das Lexem bei Homer häufig pluralisch verwendet. Grundsätzlich besitzt es alternativ das Sem „Quelle eines Stroms“217 und wird im übertragenen Sinne für etwas Ursprüngliches verwendet.218 In den OH ist das Begriffsfeld insgesamt viermal und fast immer pluralisch belegt.219 Entweder wird es in Kompositumform (OH 83) oder in absoluter Form (OH 22, 37, 51) verwendet. Die Belege weisen unterschiedliche Seme auf, sodass die wörtliche Bedeutung „Wasserquelle“ (OH 22, 51, 83), aber auch die übertragene Bedeutung einer ursprünglichen Sache (OH 37) belegt ist. Die Begriffsgeschichte der Profangräzität wird in den OH insgesamt weitergeführt, wobei das Sem „fließende Flüssigkeit“ ausbleibt. b) Im NT ist der Begriff 10-mal belegt. Er wird als Quelle von etwas (Jak 3,11; Joh 4,14) oder als Metapher (Mk 5,29; 2Petr 2,17) verstanden. Dabei wird ausschließlich in Joh 4,6 eine bestimmte Quelle thematisiert. Bemerkenswert ist, dass das fehlende Sem v. a. bei den Tragikern und anderen Werken der klassischen Phase verwendet worden ist und in jüngeren Werken fehlt. Dies erklärt das Ausbleiben in den OH und Texten des NT, die in den Koinephasen abgefasst worden sind. In der Offb wird das Lexem 5-mal verwendet. Der Gebrauch ist vergleichbar mit den übrigen neutestamentlichen Stellen: Alle Belege setzen die Bedeutung „Quelle von etwas“ voraus (Offb 7,17; 8,10; 14,7; 16,4; 21,6). In Offb 7,17 fällt zunächst auf, dass das Lexem wie in den OH vermehrt pluralisch gebraucht wird. Das Sem ist „Wasserquelle“ im übertragenen Sinne als Wasser des Lebens (ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων). Der Autor der Offb versteht es, die Motivik der Offb in die Gesamttradition des Lexems einzuordnen und weiterzuführen. Die Gabe sowie die Verweigerung von Wasserquellen werden in der Offb zu eschatologischen Indikatoren. Die eschatologische Heilszeit wird durch das Vorhandensein von unversiegbaren (Trinkwasser-)Quellen angezeigt (7,17; 21,6; 22,1.17). Dagegen kennzeichnet das
215 Hom. Il. XX 9; XXII 147; Aischyl. Pers. 202; 311; 613; Eur. Herc. 1297; Hdt. I 189. 216 Aischyl. Ag. 888; Soph. Ant. 803; Soph. El. 895; Soph. Trach. 852; Eur. Alc. 1068; Plat. Mx. 237e etc. 217 Aischyl. Prom. 809; Aischyl. Pers. 238; Soph. Oid. T. 1387; Hdt. II 28; IV 53. Strab. XVII 1,52; Plut. mor. II 856e. 218 Aischyl. Pers. 743; Xen. Kyr. VII 2,13; Plat. Phaidr. 245c; Plat. Phil. 62d; Pol. XVIII 40,3; Dam. princ. 95. Vgl. LSJ, Art. πηγή, 1399. Vgl. Böcher, Art. πηγή, 1368 für eine vollständige Zusammenfassung. 219 OH 22 an das Meer πηγῆς; OH 37 an die Titanen πηγαί; OH 51 an die Nymphen πηγαῖαι; OH 83 an den Ozean πηγόρρυτοι.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
Ausbleiben von Trinkwasser die vorausgehende eschatologische Katastrophe (8,10; 11,6; 16,4). Der Autor der Offb greift also die wörtliche Verwendung von πηγή auf und weitet sie zu einem eschatologischen Indikator aus. c) Die unterschiedlichen Adressaten der Offb werden jeweils aus ihrer Tradition heraus die Bedeutung der in 7,17 thematisierten Quellen lebendigen Wassers verstanden haben. Johannes verwendet mit dem Lexem πηγή einen Begriff, der sowohl in der biblisch-jüdischen Tradition als auch in paganen Quellen wie den Historien des Herodot eine lebenspendende Größe sowie eine Gottesgabe darstellt. Die judenchristlichen Adressaten werden πηγή z. B. mit Pss 65 und 104 als lebenspendende Gabe JHWHs assoziiert und den eschatologischen Aspekt von πηγή mit Jes 12,3; 43,19–21; 44,3; Ez 47,1–12 bzw. Paradiesvorstellungen in Gen 2,10–14 in Verbindung gebracht haben. Dabei werden sie den durststillenden Aspekt aus Sir 24,30–33 in Offb 7,17 wiedererkannt haben. Diese Aspekte werden jedoch auch den völkerchristlichen Adressaten bekannt gewesen sein: Von Hdt 2,28 wissen sie z. B., dass Quellen wie die des Nils als bodenlos gedacht worden sind. Das Bild der Quelle als endlose Lebensquelle war ihnen aus Naturschilderungen bekannt. Ihnen wird beim Hören von Offb 7,17 womöglich OH 83 in den Sinn gekommen sein, in dem Okeanos als ewig existierender Ursprung aller Wasserquellen verehrt wird. Auf diese Weise werden sie zudem begriffen haben, dass in der Offb die Quellen, zu denen das Lamm führen wird, Gott selbst ist. 3.3.3.3 Δένδρον
a) Für den Begriff δένδρον sind verschiedene Varianten belegt (δένδρος, δένδρεον, δενδρίον, δένδρειον). Die Form δένδρεον ist stets in epischer Dichtung der klassischen Periode belegt.220 In der späteren Literatur ist δένδρειον vorherrschend.221 Alle Varianten weisen die wörtliche Bedeutung „Baum“ auf.222 Im weiteren Sinne ist δένδρον in der Bedeutung „hohe Pflanze“ und „Stock“ belegt.223 Trotz wörtlichen Verständnisses ist zu beachten, dass Bäume im paganen Kontext den Status einer heiligen Stätte aufwiesen, an der Opfer dargebracht worden sind. Zudem wurden sie selbst als Symbol der Gottheit verstanden und symbolisierten das Leben.224
220 Hom. Il. III 152; Hom. Od. XIX 520; Hdt. IV 22. 221 Arat. 1008; Nik. Ther. 832. 222 Eur. Bacch. 563; Thuk. II 75; Aristoph. av. 617; Hdt. I 17.193.202; VI 79; Plat. leg. 625b; Strab. II 1,14 (erste Koinephase); Theokr. Eid. XXIX 12. 223 Hdt. I 193; VIII 115; Theophr. h. plant. V 4,7; Kall. frg. 49. Vgl. LSJ, Art. δένδρον, 378 für eine vollständige Zusammenfassung. 224 Vgl. Lurker, Wörterbuch, 39.
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Motivanalyse
In den OH ist das Lexem in der Form δένδρεον belegt: In OH 38 beeinflussen die Kureten das Meer und die Bäume. Sie scheinen eine Affinität zu Winden zu haben.225 Wenig später werden erneut Meer und Bäume hintereinander genannt. b) Im NT kommt das Lexem 25-mal vor. Der Begriff wird zunächst im Literalsinn gebraucht. Darüber hinaus wird er im Kontext der Reich-Gottes-Verkündigung als Metapher für die Durchsetzung und Ausbreitung des Reiches Gottes verwendet. Die moralische Umschreibung des Menschen stellt die häufigste metaphorische Verwendung des Begriffs dar.226 In der Offb wird δένδρον rein wörtlich gedacht (Offb 7,1.3; 8,7; 9,4), wobei die wörtliche Bedeutung in visionäre Schilderungen eingebettet ist. Damit knüpft der Autor der Offb an die profangriechischen Traditionen an. Womöglich verwendet er mit δένδρον ein Lexem, das die Windstärke unterstreicht, denn δένδρον wird in Kombination mit θάλασσα genannt. c) Insbesondere für die völkerchristlichen Adressaten der Offb wird die gemeinsame Nennung von Meer und Baum ein Signal für Winde dargestellt haben. Sie kennen von den OH die Affinität der Kureten zu Winden und werden ausgehend davon das zerstörerische Potenzial der vier Engel konkret als Sturmwind begriffen haben. Da ihnen die Symbolhaftigkeit von Bäumen bekannt gewesen ist, werden sie mit der Zerstörung der Bäume in Offb 7 die grundsätzliche Auslöschung von Leben assoziiert haben. 3.3.3.4 Σωτηρία
a) Das Lexem σωτηρία weist die Bedeutungen „Erlösung, Rettung, Bewahrung“227 , „Weg/Mittel zur Sicherheit“228 , „sichere Rückkehr“229 , „Erhaltung, Bewahrung“230 und „Garantie, Sicherheit“231 auf. Das Lexem ist mehrfach in den OH belegt und setzt verschiedene Seme voraus.232 Das hauptsächliche Sem stellt „Erlösung, Rettung, Bewahrung“ dar, es wird
225 In OH 38 werden sie auch als πνοιαὶ ἀέναοι sowie ζωιογόνοι πνοιαί angerufen. 226 Vgl. Nützel, Art. δένδρον, 683f. 227 Aischyl. Choeph. 203; Aischyl. Pers. 508; Soph. Ai. 1080; Eur. Iph. A. 1472; Eur. Heraclid. 1045; Eur. Or. 1178; Eur. Tro. 753; Thuk. VI 83; Hdt. V 98; VII 172; Xen. Kyr. IV 1,2; Plat. leg. 647b; Plat. Prot. 321b. 228 Aischyl. Pers. 735; Aischyl. Sept. 209; Eur. Or. 778; Aristoph. Equ. 12; Thuk. III 20. 229 Aischyl. Ag. 343.1238; Aischyl. Pers. 797; Thuk. VII 70; Demosth. or. L 16; Plut. apophth. lac. II 241e. 230 Aischyl. Eum. 909; Hdt. IV 98; Plat. rep. 425e.433c; Aristot. pol. MCCCXXIb 21. 231 Thuk. II 60; Plat. leg. 908a.909a; Plat. Prot. 354b.356d; Demosth. or. XXXV 13. Vgl. LSJ, Art. σωτηρία, 1751. 232 OH 14 an Rhea σώτειρα; OH 38 an die Kureten σωτῆρες und σωτήριοι; OH 67 an Asklepios σωτήρ; OH 74 an Leukothea σώτειρα und σωτήριος; OH 75 an Palaimon σώζειν und σωτήρ.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
aber auch in OH 74 und 75 das Sem „Erhaltung, Bewahrung“ im Kontext einer unbeschadeten Seefahrt belegt. In den OH werden unterschiedliche Seme der Profangräzität fortgeführt. b) Das Lexem wird im NT insgesamt 46-mal gebraucht.233 In alttestamentlicher Tradition steht es für eine bestimmte Tat Gottes oder für sein allgemeines Wirken. Im apokalyptischen Kontext meint es das eschatologische Heil Gottes. Das Lexem wird im NT jedoch auch mit den profangriechischen Semen fortgesetzt. So wird mit σωτηρία häufig die Rettung „in bezug [sic!] auf eine akute Gefahr des leiblichen Lebens“234 bezeichnet. Es betrifft neben der Errettung aus leiblicher Gefahr das gesamtmenschliche Heil, das über die irdische Wirklichkeit hinausgeht und zudem die Befreiung von der Sünde erwirkt.235 Insgesamt wird die Begriffsgeschichte des Profangriechischen weitergeführt und eschatologisch erweitert. In der Offb taucht das Lexem dreimal in Nominalform auf. Es erscheint jeweils im hymnenartigen Kontext und wird Gott zugeschrieben. Durch den hymnenartigen Kontext erhält es eine triumphale Bedeutung, da es sich jeweils an einen errungenen Sieg anschließt (7,10; 12,10; 19,1). In Offb 7 wird deutlich, dass der Sieg der Versiegelten zugleich Gottes Sieg darstellt.236 c) Die Adressaten der Offb werden das Lexem in seiner Bedeutungsvielfalt gekannt haben. Für die völkerchristlichen Adressaten wird der Begriff v. a. als Ausdruck für die Rettung aus einer konkreten Situation bekannt gewesen sein. Aufgrund des triumphalen Kontexts werden sie womöglich an die Rettung aus einem Kampf gedacht haben, aus dem die Schar als Sieger hervorgegangen ist. Für sie wird die eschatologische und gesamtexistenzielle Dimension von σωτηρία das Innovative dargestellt haben. Von den OH kennen sie Rettungen aus bestimmten Lebenssituationen, die über das irdische Dasein jedoch nicht hinausgehen.237 Für die judenchristlichen Adressaten wird der eschatologische Aspekt dieses Heils deutlicher hervorgetreten sein, da sie aus den apokalyptischen Texten des AT mit dem von Gott kommenden Heil vertraut gewesen sind (Jes 43,5–7; 45,22; 49,6 Jer 31,7; 46,27; Sach 8,7 uvm.).
233 Die Verteilung sieht wie folgt aus: Paulusbriefe 14, Deuteropaulinen 4, Hebr 7, Katholische Briefe 6, Offb 3, Lk 4, Apg 6, Joh 1, Mk 1. Vgl. Schelkle, Art. σωτηρία, 784. 234 Foerster, Art. σωτηρία, 989. Ähnlich auch Schelkle, Art. σωτηρία, 785. 235 Vgl. Foerster, Art. σωτηρία, 990. 236 Vgl. Foerster, Art. σωτηρία, 999. 237 In OH 38 werden die Kureten und in OH 14 Rhea als Retter bezeichnet, da sie Zeus vor seinem Vater Kronos gerettet haben.
253
254
Motivanalyse
3.3.3.5 Αἷμα
a) Das Lexem αἷμα wird in unterschiedlichen Kontexten verwendet. Es meint neben der wörtlich-physiologischen Bedeutung238 die übertragene Bedeutung „Geist, Mut“239 . Weitere Kontexte, in denen αἷμα eingesetzt wird, sind Blutvergießen240 und Blutsverwandtschaft241 . Das Lexem erscheint in den OH viermal, wobei es in fast allen Fällen in absoluter Form belegt ist. Nur einmal wird es in einem Kompositum eingesetzt.242 Dieses wird im Kontext von Blutvergießen verwendet. Das Sem der übrigen Belege ist ebenfalls das Blutvergießen (OH 45 an Dionysos und OH 65 an Ares), ferner die Blutsverwandtschaft (OH 72 an Tyche). Somit werden mehrere Traditionen der Profangräzität in den OH weitergeführt, wobei der Schwerpunkt auf dem Kontext des Blutvergießens zu erkennen ist. b) Im NT erscheint das Lexem an 97 Stellen, davon 19-mal in der Offb. Das NT versteht es vorwiegend christologisch, doch es liegen auch wörtliche und sinnbildliche Bezüge auf Menschenblut, Tierblut und in Kombination von Fleisch und Blut vor, die die Vergänglichkeit des Menschen ausdrückt.243 Die Offb enthält insgesamt 19 Stellen, an denen das Lexem „Blut“ verarbeitet wird. Vorherrschend ist der christologische Blutbegriff (5,9; 7,14; 12,11). Die bewirkende Sühne durch das Blutvergießen des Lammes leitet sich von der alttestamentlichen Vorstellung der Riten Jom Kippurs ab, die u. a. ein Sündopfer vorsehen (Lev 16,7–10.20–22.26). In der Offb wird αἷμα zu einem Indikator der Endzeit (Offb 6,12; 8,7). Selbst das Traubenblut ist Symbol für das göttliche Endgericht (Offb 14,19–20).244 Der Autor der Offb greift also das Sem „Blutvergießen“ auf und wendet es christologisch an. Gleichzeitig ergänzt er ein Sem, das in der paganen Tradition nicht belegt ist – die apokalyptische Symbolik von Blut. Insgesamt wird ersichtlich, dass der Autor sich von der Profangräzität nicht gänzlich abhängig macht, sondern eine gewisse Autonomie bewahrt, indem er eigene semantische Schwerpunkte entwickelt.
238 Hom. Il. I 303; XVI 162; Aischyl. Ag. 1293; Soph. Ant. 121; Soph. El. 786; Eur. El. 1172. 239 Aristot. an. CDV 4; Aischin. Ctes. III 160. 240 Aischyl. Choeph. 66.520.650; Aischyl. Suppl. 449; Soph. El. 1394; Soph. Oid. T. 101; Eur. Bacch. 139; Eur. Or. 285.406.1139; Eur. Phoen. 1502; Eur. Suppl. 148; Demosth. or. XXI 105. 241 Hom. Od. IV 611; VIII 583; Hom. Il. XIX 111; Aischyl. Eum. 606; Pind. N. XI 34; Soph. Ai. 1305; Soph. Oid. T. 1406; Thuk. 141. Vgl. LSJ, Art. αἷμα, 38 für eine vollständige Zusammenfassung. 242 OH 39 an Korybas αἱμαχθέντα; OH 45 an Dionysos αἵματι; OH 65 an Ares αἵματι; OH 72 an Tyche αἵματος. 243 Vgl. Böcher, Art. αἷμα, 88; Laubach, Art. αἷμα, 132f. 244 Vgl. Laubach, Art. αἷμα, 134.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
c) Durch die einerseits übernommene profangräzistische, andererseits alttestamentlich-apokalyptische Konnotation von αἷμα erreicht der Autor der Offb die hermeneutische Öffnung des Begriffs für die verschiedenen Adressaten.245 Das Sem „Blutvergießen“ ist sowohl den völkerchristlichen als auch den judenchristlichen Adressaten wesentlich aus dem Opferkontext bekannt gewesen. Die völkerchristlichen Adressaten, die die Opfervorstellungen antiker Mysterienkulte kannten, werden sich beim Hören von 7,14 an Dionysos erinnert haben, dem laut OH 45 das Blut von getöteten Menschen gefällt. Insbesondere die Kombination mit weißen Gewändern wird in ihnen die Assoziation einer Rechtfertigung entfacht haben. Sie werden dabei den entscheidenden Unterschied erkannt haben: Nicht mehr das vergossene Blut anderer als Darbringung für Dionysos erzielt das Wohlwollen der Gottheit. Das Lamm selbst wird in Offb 7 zum Opfer, das die Rechtfertigung errungen und das Weißmachen der Gewänder ermöglicht hat. Die Initiative geht vom Lamm aus, nicht von den Gerechtfertigten. 3.3.4
Die zwei Zeugen (Offb 11,1–19)
Bei Offb 11 handelt es sich um ein komplexes Kapitel, das sich aus mehreren Handlungssträngen bzw. geschilderten Episoden zusammensetzt. Dementsprechend komplex sind auch die verwendeten Lexeme, von denen mehrere eine begriffsgeschichtliche Kontinuität aufweisen. 3.3.4.1 Ῥάβδος
a) Das Lexem ῥάβδος weist in der Profangräzität die Bedeutungen „Zauberstab“246 , „Angelrute“247 , „Leimrute“248 , „Stab für die Züchtigung“249 und „junger Trieb“250 auf. Bemerkenswert ist die Bedeutung des begriffsverwandten ῥάβδουχος. Es handelt sich um das Amt des lictors, der v. a. die Aufgabe eines Leibwächters innehat, da er einen Schlagstock mit sich trägt. In ähnlicher Weise werden Polizei- oder Gerichtsdiener als ῥάβδουχος bzw. ῥαβδοφόρος bezeichnet.251 245 Bemerkenswerterweise betrifft dies auch die Verwendung weißer Gewänder: Für die judenchristlichen Adressaten wird das Anlegen weißer Gewänder aus dem Wallfahrtskontext bekannt gewesen sein, während für die völkerchristlichen Adressaten die mysterienkultische Konnotation dominiert. Zur Wallfahrtskonnotation Wengst, Recht, 25 in Bezug auf Safrai, Wallfahrt, 177. 246 Hom. Od. X 238.319; XVI 172; Hom. Il. XXIV 343; Pind. O. IX 33; Hdt. IV 67. 247 Hom. Od. XII 251. 248 Aristoph. av. 527. 249 Xen. equ. VIII 4; Plat. leg. 700c; später Plut. Alex. 51; Plut. Luc. 36; Plut. Publ. 10; Pol. XI 29,6; Dion. Hal. ant. IV 11; Strab. V 2,2. 250 Theophr. h. plant. II 1,2. Vgl. LSJ, Art. ῥάβδος, 1562 für eine vollständige Zusammenfassung. 251 Vgl. Pape, Handwörterbuch II, 830.
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Motivanalyse
Das Lexem taucht einmal in OH 57 an Hermes Chthonios auf (ῥάβδωι). Es ist hier am ehesten dem Sem „Zauberstab“ zuzuordnen, da es die einschläfernde Wirkung des Stabes andeutet.252 Die OH liegen ganz auf der Linie der profangriechischen Literatur. b) Das Lexem ῥάβδος taucht 12-mal im NT auf, wobei vier Belegstellen in der Offb zu lesen sind. In der Offb werden die Seme „Hirtenstab“ und „Messstab“ aufgegriffen, sodass das Lamm sowie die Sieger den Hirtenstab als eschatologisches Herrschaftszeichen besitzen (12,5; 19,15). In Offb 11 wird dem Visionär ein Messstab übergeben, der gleich einer Rute beschrieben wird. Der Autor schlägt mit der Verwendung des Lexems einen ganz anderen Weg ein als die OH. Er vergleicht einen κάλαμος mit einem ῥάβδος, wodurch das Sem „Messstab“ für ῥάβδος erst zustande kommt. Das Lexem κάλαμος impliziert nämlich u. a. eine Maßeinheit, die 5 bzw. 6 2/3 πήχεις entspricht.253 c) Für die völkerchristlichen Adressaten wird die Verbindung der beiden Lexeme im Kontext eines Messvorgangs für Erstaunen gesorgt haben. Zwar kannten sie κάλαμος als Maßeinheit, doch besaß ῥάβδος ein ganz anderes Semem, das sie sogar mit der Gottheit Hermes in Verbindung gebracht haben. Womöglich werden sie mit dieser Assoziation die Verbindung der Seme „Hirtenstab“ und „Herrscherstab“ besser begriffen haben: Mit dem Messinstrument soll der Visionär in Offb 11 nicht nur messen, sondern auch zählen. Das wie der Hirtenstab Apolls beschriebene Messinstrument, das dieser dem Hermes schenkt, wird zugleich in einem Vorgang beschrieben, den die römischen Kaiser regelmäßig wiederholten – die Volkszählung. Die judenchristlichen Adressaten kannten das Sem „Messstab“ von κάλαμος aus Ez 40,3.5 LXX. Sie werden beim Hören der Übergabe des Stabes an den Visionär sofort verstanden haben, dass es als Messinstrument fungieren wird. Aus ihrer biblisch-jüdischen Kenntnis heraus werden sie dagegen ῥάβδος nicht als Messinstrument kennen. Dieser ist ihnen v. a. mit dem Sem „Herrscherstab“ vertraut. Zugleich kannten sie die Funktion eines Herrschers als Hirte, so z. B. Gott in Ps 22,4 LXX. Den judenchristlichen Adressaten wird das Erkennen von ῥάβδος mit den beiden gleichzeitigen Bedeutungen leichter gefallen sein als den völkerchristlichen Adressaten. Die Kombination der beiden Lexeme ist folglich entscheidend für alle Adressaten, um die drei gleichzeitigen Signale „Herrscherstab“, „Hirtenstab“ und „Messstab“ zu erkennen. Der Unterschied besteht in dem Weg des Erkennens: Für die völkerchristlichen Adressaten wird κάλαμος über pagane
252 Es heißt nämlich εὐιέρωι ῥάβδωι θέλγων, „[mit] dem hochheiligen Stab verzaubernd“ und direkt im Anschluss ὑπνοδώτειρα πάντα καὶ πάλιν ὑπνώοντας ἐγείρεις, „Schlafgeber aller und (immer) wieder weckst du auf die Schlafenden“. Dies erinnert an Hom. Il. XXIV 343, das die einschläfernde Wirkung jenes Stabes bereits überliefert. 253 Laut IG IX 1,61,50 entspricht es fünf πήχεις. Dagegen ist es bei Heron IV 11; XXIII 13 mit 6 2/3 πήχεις angegeben.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
Autoren als Maßeinheit erkannt worden sein, für die judenchristlichen Adressaten wird dies von Ez 40 her bekannt gewesen sein. Während den völkerchristlichen Adressaten ῥάβδος mit den beiden Semen „Herrscherstab“ und „Hirtenstab“ über die mythologischen Überlieferungen bzgl. Hermes zugänglich geworden ist, haben die Judenchristen diese Gleichzeitigkeit aus der LXX hergeleitet. 3.3.4.2 Θηρίον
a) Der Begriff θηρίον wird in der Profangräzität für wilde Tiere254 , Tiere allgemein255 , Biester im Sinne von gefährlichen Wesen256 und als Beleidigung für Menschen verwendet257 . Darüber hinaus hat es auch eine astrale Konnotation.258 Dabei ist unter „wildes Tier“ v. a. die Abgrenzung zu zähmbarem Vieh zu verstehen und es verzeichnet eine „starke Nebenbezihung [sic!] auf Wildheit und Grausamkeit.“259 Das Lexem θηρίον wird in den OH zumeist in Kompositumform verwendet, obwohl auch das Lexem selbst in OH 17, 19, 38, 51 und 55 auftaucht.260 Das vorherrschende Sem stellt dabei „wildes Tier“ dar. Die OH schließen sich somit der begriffsgeschichtlichen Tradition der Profangräzität an. b) Im NT wird θηρίον insgesamt 46-mal verwendet, wobei 39 Belegstellen allein in der Offb verzeichnet sind. Mit dem Lexem ist stets ein wildes, d. h. ungezähmtes Tier gemeint, das in der Offb antichristlich gefärbt ist.261 Die Begriffsgeschichte der Profangräzität wird einseitig fortgesetzt. In der Offb wird der Begriff bis auf Offb 6,8 als Verkörperung des Antichristen bzw. für seinen Lügenpropheten verwendet. In Offb 11,7 erscheint das Tier zum ersten Mal und besiegt die zwei Zeugen. Im Kontext des letzten Buches der Bibel wird das Lexem stets für dämonische Tierverkörperungen verwendet und bei der Beschreibung anderer apokalyptischer Tiere bewusst vermieden. Der Autor der Offb verwendet mit θηρίον einen Begriff, der trotz grammatikalischen Diminutivs alles andere als harmlos erscheint. Da er dessen Grausamkeit ähnlich der profanen Literatur schildert, zugleich in einen apokalyptischen Kontext setzt, beweist er 254 255 256 257 258 259 260
Hom. Od. X 171.180; Hom. h. 4; Xen. an. I 2,7; Hdt. III 108; Pol. XI 1,12. Hdt. I 119; III 16; Plat. Phaidr. 249b; Plat. rep. 535e; Plat. symp. 188b; Theokr. XXV 79. Aristoph. av. 93; Aristoph. Nub. 184; Plat. Mx. 237d; Hdt. VI 44; Plat. Phaidr. 230a; Plat. rep. 588c. Aristoph. Equ. 273; Aristoph. Plut. 439; Plat. Phaidr. 240b; Men. georg. 78. Eud. frg. 58; Vett. Val. VI 13. Vgl. LSJ, Art. θηρίον, 800 für eine vollständige Zusammenfassung. Schmidt, Synonymik II, 434. OH 1 an Hekate θηρόβρομον; OH 11 an Pan θηρητήρ; OH 17 an Poseidon θηρσίν; OH 19 an Zeus Keraunos θῆρες; OH 22 an das Meer θηροτρόφε; OH 24 an die Nereiden θηροτύποις; OH 36 an Artemis θηροκτόνε; OH 38 an die Kureten θῆρες; OH 39 an die Korybanten θηρότυπον; OH 51 an die Nereiden θηρσίν; OH 54 an Satyr und Silen θηροτύποις; OH 55 an Aphrodite θηρῶν; OH 69 an die Erinnyen θηρόπεπλοι. 261 Vgl. Strobel, Art. θηρίον, 368f.
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Motivanalyse
seine Belesenheit sowohl in griechischer als auch in jüdisch-alttestamentlicher Apokalyptik. Ihm war offensichtlich Dan 7 LXX bekannt.262 c) Die Adressaten der Offb werden mit θηρίον ein wildes Tier vor Augen gehabt haben, das unzähmbar ist. Die Judenchristen werden zudem ausgehend von Dan 7,6.11 LXX das Lexem θηρίον als Chiffre für die dämonische Macht verstanden haben. Die völkerchristlichen Adressaten werden die Gefahr wilder Tiere begriffen haben, da sie aus paganer Literatur den dramatischen Tod von Menschen durch wilde Tiere kennen. Herodot überliefert z. B. den Tod vieler Menschen durch Haie. Gleichzeitig wird den Völkerchristen bewusst gewesen sein, dass mit dem Lexem auch Ungeheuer und Fabelwesen gemeint sein konnten und das Tier in Offb 11 nicht zwangsläufig wörtlich verstanden werden musste. Dies war ihnen durch Literatur wie Aischyl. Sept. 558 bekannt, wo Eteokles von dem „verhasstesten Untier“ spricht (θήρ ἔχθιστος). Das Lexem θηρίον verhilft somit allen Adressaten zur Erkenntnis der zerstörerischen Macht des Widersachers sowie der Bildhaftigkeit der Bezeichnung. 3.3.4.3 Ναός
a) Das Lexem ναός hat in der Profanliteratur in der Form ναός sowie νηός, νεώς etc. die primäre Bedeutung „Tempel“.263 Darüber hinaus bezieht es sich auf den heiligsten Bereich innerhalb eines Tempels264 oder einen tragbaren Schrein.265 Das Lexem ist verwandt mit dem Verb ναίω und umschreibt im Profangriechischen zunächst das Wohnen allgemein. Seit Homer wird die Nominalform auf gebaute Gotteshäuser bezogen.266 In den OH wird die Variante νηός verwendet.267 Auch hier ist die Bedeutung „Tempel“ bzw. „Heiligtum“ belegt. b) Im NT tritt ναός 45-mal auf, davon 16-mal in der Offb. Zumeist bezieht sich ναός auf den Jerusalemer Tempel. Für heidnische Tempel wird das Lexem nur in
262 Intertextuelle Bezüge zu Dan 7 LXX werden in zahlreichen Kommentaren zur Offb diskutiert. Vgl. z. B. Aune, Revelation, 617; Beale, book, 588; Mounce, Revelation, 225; Müller, Offenbarung, 219; Prigent, Commentary, 354; Satake, Offenbarung, 268 uvm. 263 Die Schreibart ναός: Aischyl. Pers. 810; Soph. El. 8; Eur. Hipp. 31; Xen. an. V 3,9; Xen. hell. II 3,20; Plat. leg. 738c.814b; Plat. rep. 394a; Pol. X 4,4; νηός: bei Hom. und Hdt.; νεώς: Aischyl. Pers. 810; Aristoph. Nub. 401; Aristoph. Plut. 733; Eur. Herc. 340; Xen. hell. I 6,1; VI 4,7; VI 5,9; Aristid. Or. XXVII 19. 264 Hdt. I 183; VI 19; Xen. apol. 15. 265 Hdt. II 63; Diod. I 15. Vgl. LSJ, Art. ναός, 1160 für eine vollständige Übersicht. 266 Vgl. Meding, Art. ναός, 1217. 267 OH 17 an Poseidon νηῶν; OH 42 an Mise νηωι. Im OH an Poseidon ist jedoch auch denkbar, dass mit νηῶν der Gen. Pl. von ναῦς gemeint ist. Aufgrund des Kontexts scheinen Schiffe sogar wahrscheinlicher als Übersetzung.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
Apg 17,24; 19,24 verwendet. In übertragener Bedeutung werden auch Menschen bzw. ihre Leiber als ναός bezeichnet. In der Offb bezieht sich der Begriff ναός zumeist auf den himmlischen Tempel Gottes, ist aber auch als Sinnbild für die Gemeinschaft mit Gott belegt (Offb 3,12).268 Der Verfasser setzt in Offb 11 das Sem „Tempel“ voraus und deutet die Funktion des Begriffs als terminus technicus für den Jerusalemer Tempel an. Dies wird durch die Details wie die Existenz eines Vorhofs für die „Heiden“ und die Umschreibung „heilige Stadt“ (Offb 11,2 τὴν πόλιν τὴν ἁγίαν) ersichtlich. Der Autor greift gleichermaßen alttestamentliche sowie profangriechische Traditionen des Lexems auf: Einerseits verleiht er dem ναός von Offb 11 Details des Jerusalemer Tempels, wie sie in der LXX belegt sind (v. a. 1Kön 6; Ez 41). Andererseits hält er sich durch die genitivische Zuschreibung τὸν ναὸν τοῦ θεοῦ an die im paganen Kontext gängige Konvention, genitivisch die Gottheit zu nennen, die im Tempel wohnt.269 Dies erhärtet sich durch die Kombination von ναός mit θυσιαστήριον und προσκυνοῦντας. c) Die Adressaten der Offb verstanden unter ναός von ihrer jeweiligen Tradition her die Umschreibung der Wohnstatt Gottes. Für die völkerchristlichen Adressaten wird dabei als neuer Aspekt hinzugekommen sein, dass Gottes Wohnen nicht seine gesamte Existenz an dem Ort seines Heiligtums bedeutet. Im Kontext des gesamten Kapitels werden sie nämlich erkannt haben, dass die Beauftragung der zwei Zeugen globale Züge trägt und „heilige Stadt“ allenfalls eine Chiffre für die gesamte Welt darstellt. Damit wird auch infrage gestellt, ob der Tempel Gottes in Offb 11 überhaupt ein konkretes irdisches Gotteshaus meint. Insbesondere das Ende des Kapitels wird den völkerchristlichen Adressaten zu denken gegeben haben, da der himmlische Tempel das Wohnen Gottes nicht auf einen einzigen Ort beschränkt. 3.3.4.4 Προφητεύω κτλ
a) Das Begriffsfeld προφητεύω κτλ taucht in der Profanliteratur als Verbalform mit der Bedeutung „Prophet sein, Interpret Gottes sein“270 auf, darüber hinaus „ein Quacksalber sein“.271 In der Nominalform ist es mit der Bedeutung „Interpret des Willens Gottes“272 belegt, aber auch als Titel für Priester in Heiligtümern bekannt,
268 269 270 271 272
Vgl. Borse, Art. ναός, 1123f. Vgl. Borse, Art. ναός, 1123. Eur. Ion 369.413; Hdt. VII 111; Plat. Phaidr. 244d; Lukian, ver. hist. II 33. Gal. XV 172. Vgl. LSJ, Art. προφητεύω, 1539–1540 für eine vollständige Übersicht. Aischyl. Eum. 19; Bakchyl. epin. VIII 3; Pind. N. I 60; Eur. Bacch. 551; Eur. Or. 364; Eur. Rhes. 972; Hdt. VIII 36.37.135; Plat. Phaidr. 262d; Plat. Tim. 72a.
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260
Motivanalyse
die u. a. im Besitz orakischer Kräfte sind.273 Grundsätzlich ist ein προφήτης im paganen Kontext ein Vermittler oder Bote.274 In den OH kommt das Lexem einmal in OH 28 an Hermes als Nominalform vor: Dort ist die Vokativform προφῆτα belegt. Der Kontext gibt das allgemeine Sem „Vermittler, Bote“ vor, da diese göttliche Wesenseigenschaft des Hermes auch im orphischen Kontext vorherrschend ist.275 Seine prophetische Aufgabe besteht weniger in der Zukunftsprognose, sondern vielmehr in der Interpretation göttlichen Willens. Die Orphiker riefen ihn als „Prophet des Wortes“ an, um diesen Willen in Erfahrung zu bringen. b) Das Lexem προφήτης ist im NT insgesamt 144-mal zu lesen, 8-mal in der Offb. Es ist auffällig, dass die Mehrzahl der Belege sich auf alttestamentliche Propheten bezieht, wohingegen nur 21 Belege neutestamentliche Propheten meinen.276 Insgesamt spricht Gott durch die Propheten (2Petr 1,21), nimmt jedoch zugleich deren eigenständige Reflektion ernst (1Petr 1,10). Vergleichbar mit den OH wird im NT der interpretatorische Aspekt von Propheten betont, nicht die Vorhersage der Zukunft. In der Offb wird das Lexem προφήτης insgesamt siebenmal verwendet: 10,7; 11,18; 16,6; 18,20.24; 22,9; 22,18f. Es wird entweder alleine genannt oder in einer Aufzählung mit den Ämtern der Apostel und Heiligen. Der Autor der Offb versteht sich selbst als Prophet und setzt dadurch göttliche Autorität sowie Bevollmächtigung voraus. Ebenso verhält es sich mit den zwei Zeugen in Offb 11, die Gottes Botschaft global prophezeien sollen (11,3 προφητεύσουσιν).277 Der Autor der Offb führt die profangriechischen Bedeutungen von προφήτης fort und legt einen Schwerpunkt auf das Sem „Interpret des Willens Gottes“. c) Die Adressaten der Offb werden die zwei Zeugen als Interpreten des Willens Gottes verstanden haben. Während die judenchristlichen Adressaten ihr Wesen als Propheten v. a. durch die an Elija und Mose erinnernden Gesten erkannt haben,278 wird den völkerchristlichen Adressaten die Bewegung der beiden Zeugen vom Thron Gottes (11,4) zu den Menschen (11,9f) bis hin zurück zur himmlischen Sphäre (11,12) aufgefallen sein. Dies erinnert an Hermes, der sich als Götterbote zwischen Sender und Empfänger bewegt und deshalb den Beinamen πτηνοπέδιλος besitzt (OH 29). Sie werden womöglich auch durch ihre Vertrautheit mit dem
273 Aischyl. Ag. 409; Aischyl. Sept. 611; Aristoph. av. 972. 274 Anakr. XXXII 11; Pind. N. IX 50; als Herold bei Spielen Bakchyl. epin. IX 28 (pl.). Vgl. LSJ, Art. προφήτης, 1540 für eine vollständige Übersicht. 275 Hermes wird in OH 28 als Διὸς ἄγγελε und διάκτορε angerufen. Zudem wird er als ἑρμηνεῦ πάντων verstanden, was die interpretatorische Dimension seines Mittlertums ausdrückt. 276 Vgl. Schnider, Art. προφήτης, 443. 277 Vgl. Schnider, Art. προφήτης, 448. 278 Gemeint sind das Zurückhalten von Regen, die Verwandlung von Wasser in Blut etc. in Offb 11,6.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
kleinasiatischen Orakelwesen das Amt und die Funktion eines Propheten begriffen haben.279 3.3.4.5 Δῶρον
a) Das Lexem wird homerisch als Ehrengeschenk oder Votivgabe für eine Gottheit verstanden.280 Insgesamt hat δῶρον in der Profanliteratur die Bedeutung „Geschenk, Gabe“281 , speziell „Bestechungsgabe“282 und „Talent“.283 Es bezieht sich schließlich auf die Handfläche eines Menschen.284 In den OH kommt es zumeist als Kompositumform vor, nur einmal in absoluter Pluralform in OH 27 an die Göttermutter (δῶρα).285 Das vorherrschende Sem ist stets die Gabe als Geschenk, weniger als Talent. Die Fortsetzung profangriechischer Traditionen erfolgt einseitig. b) Im NT taucht das Lexem 19-mal auf, in der Offb nur in 11,10. Es ist auffällig, dass der Begriff in den Evangelien fast gar nicht vorkommt und im Hebr rein pluralisch gebraucht wird. Die primäre Bedeutung ist „Gabe, Geschenk“ von Menschen untereinander oder die Opfergabe von Menschen an Gott. Nur in Eph 2,8 wird mit δῶρον die Gabe Gottes bezeichnet, ansonsten wird dafür der Begriff δώρημα oder δωρεά verwendet. Die Belege für δῶρον im NT sind zumeist pluralisch.286 Wie die OH setzt das NT die profangriechische Tradition des Begriffs δῶρον einseitig fort. In der Offb wird der Begriff ebenfalls pluralisch verwendet und bezieht sich auf menschliche Geschenke untereinander. Auch hier ist Gabe als Geschenk und nicht als Talent gemeint. In Offb 11,10 beschreibt es die Freude und Erleichterung der
279 „Western Asia Minor […] boasted various oracular centers, so we know that even new Gentile converts in the seven Churches were familiar with the idea of prophecy.“ Keener, Revelation, 32. Vgl. zudem Robinson, Oracles, 59–77. 280 Ein Beleg für ein Ehrengeschenk ist Hom. Il. I 213. Ein Beleg für eine Votivgabe ist Hom. Il. VI 293. 281 Hom. Il. III 54.64; XX 265; Hom. Od. XVIII 142; Aischyl. Ag. 91; Eur. Hel. 363; Hdt. II 5; Plat. leg. 796e. 282 Aristoph. Nub. 591; Lys. XXVII 3; And. I 74; Aischin. Ctes. III 232; Aristot. Ath. pol. LV 5; Plut. Per. 32. 283 Lib. ep. 19. 284 Poll. II 144; Nik. Ther. 398. Vgl. LSJ, Art. δῶρον, 465 für eine vollständige Zusammenfassung. 285 Folgende Kompositumformen sind belegt: OH 10 an die Physis πανδώτειρα; OH 40 an Demeter ὀλβιοδῶτι, πλουτοδότειρα und παντοδότειρα; OH 43 an die Horen καρποδοτείρηι; OH 47 an Perikionios μεθυδώτην; OH 55 an Aphrodite χαριδῶτι und βιοδῶτι; OH 57 an Hermes ὑπνοδώτειρα; OH 60 an die Chariten ὀλβοδότειραι; OH 65 an Ares ὀλβιοδῶτιν; OH 67 an Asklepios ἠπιόδωρε; OH 68 an Hygieia ὀλβοδότης; OH 73 an den Dämon βιοδώτορα und πλουτοδότην; OH 76 an die Musen ὀρθοδότειραι. 286 Vgl. Schneider, Art. δῶρον, 884.
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Menschen über den Tod der zwei Zeugen. Der Autor der Offb liegt somit ganz auf der Linie neutestamentlichen Gebrauchs. c) Der Plural von δῶρον wird in Offb 11,10 insbesondere für die völkerchristlichen Adressaten bemerkenswert gewesen sein. Aus ihrer paganen Vergangenheit wird ihnen der Brauch des gegenseitigen Beschenkens bekannt gewesen sein, dem man zu Freudenfesten nachging.287 Sie werden die Kritik des Autors an dieser Praxis erkannt haben, weil sie mit dem Tod der zwei Zeugen zusammenhängt. Für die judenchristlichen Adressaten wird das Lexem von der LXX her in der Hauptbedeutung „Geschenk“ bekannt gewesen sein, das Menschen sich gegenseitig machen. In Offb 11,10 wird diese Assoziation aufgrund des Wortes ἀλλήλοις verstärkt worden sein. 3.3.5
Die Ankündigung der letzten Plagen (Offb 15,1–8)
Im Gegensatz zu Offb 11 stellt Offb 15 ein recht kurzes Kapitel dar. Umso bemerkenswerter ist, dass es dennoch mehrere Visionsteile aufweist. Dadurch ist die Varietät der zu untersuchenden Lexeme trotz kurzen Kapitels nicht zu unterschätzen. 3.3.5.1 Ἄγγελος
a) In der Profangräzität bezieht sich ἄγγελος zunächst auf einen Gesandten288 oder generell auf jemanden, der eine Botschaft verkündet.289 Das Lexem wird im Kontext halbgöttlicher Personen erwähnt, besonders auch in magischer oder mystischer Literatur.290 Bemerkenswert ist, dass der Begriff als Epitheton der Artemis von Syrakus verwendet worden ist (Hesych. 391).291 Die als ἄγγελος Bezeichneten sind nach profangriechischem Verständnis unverletzlich, weil sie unter dem Schutz der Götter stehen. Es ist auffällig, dass in den späteren Koinephasen ἄγγελος zunehmend chthonische Gottheiten umschreibt.292
287 Vgl. Schneider, Art. δῶρον, 885. Mounce vermutet an der Stelle sogar, dass diese Geste darauf hinweise, dass der Tod der Zeugen zu einem Feiertag erhoben worden sei. Vgl. Mounce, Revelation, 227. 288 Hom. Il. II 26; Hdt. V 92; Men. Aspis 32. 289 Hom. Il. XXIV 292.296; Theogn. 549.769; Soph. Ant. 277; Soph. El. 149; Eur. Suppl. 203; in der dritten Koinephase bei Plot. V 3,3. 290 Iul. or. IV 141b; Iambl. de myst. II 6; Prokl. pol. II 243; insbesondere zu beachten sind mystische und magische Schriften wie Stob. I 49,45 und PGM XLVI 121. 291 Vgl. LSJ, Art. ἄγγελος, 7 für eine vollständige Zusammenfassung. 292 Vgl. Bietenhard, Art. ἄγγελος, 226.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
In den OH wird ἄγγελος als Epitheton der Gottheiten Hermes, Eos und Oneiros eingesetzt.293 Dabei wird das Sem „Bote, Gesandter“ weitergeführt, das für die Profanliteratur wesentlich ist. b) Im NT ist das Lexem 175-mal belegt. Es verteilt sich gleichmäßig und kommt 67-mal in der Offb vor. Es besitzt zumeist die Bedeutung „Geistwesen“ sowie „Bote Gottes“ und umschreibt nur dreimal einen menschlichen Gesandten.294 Die Existenz und göttliche Beauftragung der Engel wird im NT als selbstverständlich vorausgesetzt, wobei sie zumeist eine Botenfunktion übernehmen. Darüber hinaus haben sie die Funktion, Menschen zu stärken, zu trösten oder zu bestrafen, bevor sie schließlich beim eschatologischen Gericht eine Helferfunktion einnehmen. In der Offb werden Engel vielfältig thematisiert. Sie übernehmen neben der Botenfunktion v. a. eschatologische Aufgaben. Darüber hinaus werden Gemeindeengel (2,1–3,22), aber auch strafende bzw. zerstörende Engel genannt wie die vier Engel mit Macht über die Winde (7,1), über das Feuer (14,18) und über das Wasser (16,5). Die Erwähnung von sieben Engelfürsten lässt darüber hinaus die Vorstellung einer Hierarchie erahnen (8,1–9,21). Bedeutsam sind auch die im Thronsaal und Tempel dienenden Engel (5,11; 7,11).295 Man kann diese Gruppen zusammenfassend als eschatologische Helfer bezeichnen, was sich entweder auf kosmische Aufgaben oder auf Dienste im Himmel bezieht. Der Autor der Offb greift das Lexem ἄγγελος insgesamt sehr vielseitig auf, wobei ein Schwerpunkt auf eschatologischen Semen zu beobachten ist. In Offb 15 verarbeitet der Autor ebenfalls das Sem „eschatologischer Helfer“, wobei die genannten ἄγγελοι liturgische Dienste im Himmel übernehmen. Der Autor verarbeitet mit dem Sem „eschatologischer Helfer“ entsprechende Traditionen des AT und des frühen Judentums. Dies betrifft auch die Beschreibung der Kleidung der ἄγγελοι.296 Es ist bemerkenswert, dass die Aufgabenverteilung der Engel in der Offb Analogien zu den Wirkungsbereichen chthonischer Götter in der Profangräzität aufweist. c) Die Adressaten der Offb werden die verschiedenen Funktionen von ἄγγελοι in der Offb von ihrer jeweiligen religiösen Vorgeschichte verstanden haben. Während die judenchristlichen Adressaten insbesondere die kosmischen Aufgaben von Engelwesen von jüdisch-alttestamentlichen Traditionen her kannten (v. a. Dan 4–12), werden die völkerchristlichen Adressaten aus der jüngeren profangriechischen Tradition ἄγγελοι mit chthonischen Wesenseigenschaften verglichen haben. Zugleich werden sie einen grundsätzlichen Unterschied zur profangriechischen Tradition erkannt haben: Die ἄγγελοι der Offb sind im Gegensatz zu den chthonischen Gottheiten der Profangräzität keine Götter. Sie werden vielmehr als 293 294 295 296
OH 28 an Hermes ἄγγελε; OH 78 an Eos ἀγγέλτειρα; OH 86 an Oneiros ἄγγελε und ἐξάγγελος. Vgl. Broer, Art. ἄγγελος, 32. Das Bild der unzähligen Engel ist bereits Thema in Dan 7,10; äth Hen 14,22; 40,1; 60,1; 71,8. Vgl. Broer, Art. ἄγγελος, 35.
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Geistwesen beschrieben, die Gottes Gericht ausführen. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass sie Gott anbeten (Offb 5,11f), anstatt selbst angebetet zu werden. In Offb 15 wird die priesterliche Kleidung der Engel und ihre Lokalisierung in den himmlischen Tempel ein weiteres Signal dafür gewesen sein, dass sie selbst nicht göttlich zu verstehen sind. 3.3.5.2 Θυμός
a) Das Lexem θυμός ist für die Profangräzität zentral und vielseitig belegt: Es meint zunächst in Ableitung von θύω eine Leidenschaft oder einen Trieb bzw. die Seele oder den Geist als Lebensprinzip.297 Deshalb bezieht es sich häufig auf physische Aspekte wie den Atem, die Kraft oder den Herzschlag.298 Zudem meint es häufig innere Aspekte wie Neigungen und Wünsche.299 Mit θυμός wird auch der Wille oder Charakter eines Menschen ausgesagt.300 Viele Quellen bezeugen das Sem „Mut“301 , aber auch „Zorn“302 . Schließlich werden oft metaphorische Größen wie das Herz als Sitz der Emotionen303 und der Geist bzw. die Seele als Sitz von Gedanken mit θυμός ausgedrückt.304 In den OH wird das Lexem entweder absolut, als Adverb oder als Kompositum verwendet.305 Die Seme sind bei der absoluten Form „Zorn“ (OH 32, 71, 72), „Herz“ (OH 1, 34, 51) und „Lebenskraft“ (OH 19, 31). Das Herz wird dabei als Sitz der
297 Plat. Krat. 419e. 298 Hom. Il. I 205.593; V 155.852; XVII 744; XXII 68; Hom. Od. X 78.163; Aischyl. Ag. 1388; Eur. Bacch. 620. 299 Hom. Il. I 173; IV 263; VII 68; VIII 301; XIII 73; XVI 255; XXI 65; XXII 346; Hom. Od. IX 139; XVII 603; Pind. O. III 25.38; Soph. El. 286.1319; Hdt. V 49; VIII 116; Xen. Kyr. III 1,37. 300 Hom. Il. VIII 39; IX 639; XV 94.710; XIX 229; XXII 263; Hom. Od. V 191; IX 302; Plat. leg. 633d. 301 Hom. Il. XV 280; XX 174; Hom. Od. X 461; Soph. El. 26; Aristoph. Equ. 570; Hdt. I 120; Xen. Kyr. IV 2,21; Plat. rep. 411c.440b. 302 Hom. Il. I 429; II 196; IX 496.598; XVI 616; Soph. Ai. 718; Soph. Ant. 718; Soph. Oid. K. 1193; Eur. Med. 1079; Thuk. II 11; Aristoph. Vesp. 567; Aristoph. Nub. 1369; Hdt. I 137; VII 160; Plat. leg. 867b; Plat. Phil. 40e; Plat. Prot. 323e; Aristot. rhet. MCCCXCa 11. 303 Hom. Il. I 562; II 171; V 243; VII 189; XIV 39.156; Hom. Od. X 415; Eur. Med. 8; Theokr. Eid. XVII 130 etc. 304 Hom. Il. I 193; II 409; IV 163; XV 566; XVI 646; Aischyl. Prom. 706; Soph. El. 1347; Soph. Oid. T. 975. Vgl. LSJ, Art. θυμός, 810 für eine vollständige Zusammenfassung. 305 OH 1 an Hekate θυμῶι; OH 9 an Selene βαρύθυμε; OH 12 an Herakles ὀμβριμόθυμε, ἀγριόθυμε; OH 14 an Rhea ὀμβριμόθυμε; OH 15 an Zeus ὀμβριμόθυμε; OH 18 an Pluton ὀμβριμόθυμε, προθύμως; OH 19 an Zeus Keraunos βαρύθυμον, θυμόν, ὀλβιόθυμον, ὀμβριμοθύμους, εὐθύμοισιν; OH 31 an die Kureten θυμῶι; OH 32 an Athene ὀμβριμόθυμε, θυμόν; OH 34 an Apoll θυμῶι; OH 35 an Leto μεγάθυμε; OH 51 an die Nymphen θυμῶι; OH 59 an die Moiren ἠπιόθυμοι; OH 65 an Ares ὀμβριμόθυμε, ἀλγεσίθυμον; OH 66 an Hephaistos ὀμβριμόθυμε; OH 71 an Melinoe θυμῶι; OH 72 an Tyche θυμῶι; OH 84 an Hestia προθύμως.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
Emotionen verstanden sowie mit der Willenskraft des Betroffenen in Verbindung gebracht. Dies zeigt sich insbesondere in den meisten Kompositumformen sowie den Adverbien (OH 18, 19, 84). Dabei fällt das am häufigsten verwendete Kompositum ὀμβριμόθυμος ins Auge. Es umschreibt die orphischen Götter als starkmütige Wesen. Entweder bezieht es sich auf einen starken Willen, eine starke Lebenskraft oder auf starke Emotionen. Die Begriffsgeschichte ist dahingehend uneindeutig. b) Das Lexem taucht im NT 19-mal auf, wobei die meisten Belege in der Offb zu finden sind (10-mal). Es ist bemerkenswert, dass in den Belegen außerhalb der Offb θυμός sich auf einen menschlichen Gemütszustand bezieht. So meint es den Zorn als menschliche Reaktion und ein Laster, das bei Paulus in Lasterkataloge aufgenommen wird. Es steht dort mehrfach neben ὀργή. Erst in Röm 2,8 wird es zusammen mit ὀργή auf den göttlichen Zorn des Endgerichts bezogen, wobei die Tradition des AT ersichtlich wird (Dtn 9,19; Ps 2,5; Hos 13,11).306 In dieser Hinsicht ist es nicht als Laster, sondern als angemessene und kontrollierte Emotion Gottes einzuordnen. In der Offb bezieht sich θυμός mit einer Ausnahme in Offb 12,12 auf den göttlichen Zorn. Dieser wird metaphorisch als ausgegossener Zornwein ausgedrückt (14,8.10.19; 15,7; 16,1.19; 18,3; 19,15). Der Autor der Offb wird diese aus alttestamentlicher Tradition stammende Metapher gekannt haben (Jes 51,17.22; Jer 25,15f; Ps 75,9). Das Lexem ist somit nicht negativ konnotiert, sondern meint eine angemessene Reaktion Gottes auf die ungerechten Verhältnisse in seiner Schöpfung. Der Autor der Offb greift die positiven Seme der Profangräzität auf und kombiniert sie: Bei ihm ist θυμός Sitz der Emotionen, welche jedoch willentlich gesteuert werden. c) Die Adressaten der Offb werden verstanden haben, dass Gottes θυμός in seiner Gerichtstätigkeit Ausdruck findet und positiv zu verstehen ist im Sinne einer Durchsetzung seiner Gerechtigkeit in ungerechten Verhältnissen. Während die judenchristlichen Adressaten Gottes θυμός von der alttestamentlichen Tradition her begriffen (Dtn 9,19; Ps 2,5; Hos 13,11; Jes 25; 51) und von daher ein solidarisches Gottesbild in der Offb angenommen haben, werden die völkerchristlichen Adressaten Gottes θυμός in der Offb als Kombination verschiedener Seme aus der Profangräzität aufgefasst haben. Ihnen wird womöglich das Adjektiv ὀμβριμόθυμος in den Sinn gekommen sein, das zahlreiche Gottheiten umschreibt und sich auf deren starken Willen bzw. starke Emotion bezieht. Von den Hom. h. oder OH her wird ihnen bekannt gewesen sein, dass die Erhörung von Gebeten vom Willen der gepriesenen Gottheit abhängig ist.307 Gleichzeitig wird ihnen ein wesentlicher
306 Vgl. Vögtle, Art. Zorn, Sp. 1403. 307 Dies kommt insbesondere in den Bittabschnitten der OH zum Ausdruck, wenn die Gottheiten wohlgesinnt oder mit erfreutem Herzen auf die Gebete der Mysten kommen sollen (z. B. OH 51 an die Nymphen: ἔλθετ’ ἐπ’ εὐφήμοις ἱεροῖς κεχαρηότι θυμῶι νᾶμα χέουσαι ὑγεινὸν ἀεξιτρόφοισιν
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Unterschied aufgefallen sein: Während der θυμός paganer Gottheiten in der Profanliteratur oft überzogen und unkontrolliert dargestellt wird, ist Gottes θυμός in der Offb auf ein gerechtes Gericht hingeordnet.308 Während pagane Gottheiten in der Profanliteratur aufgrund eigener Interessen ihren θυμός zeigen, geht es Gott in der Offb um die ungerecht Behandelten.309 Die Ausgießung des Zornes Gottes in Offb 15 wird beiden Adressatengruppen als Gerichtshandlung und das Gericht Gottes als gerechte Handlung, nicht als unkontrollierter Affekt klargeworden sein. 3.3.5.3 Ζώνη
a) In der Profangräzität besitzt ζώνη die Bedeutung „Gürtel“ als Teil der Frauenbekleidung.310 Das Ablegen oder Lockern eines Gürtels impliziert Geschlechtsverkehr311 , Schwangerschaft und Geburt312 sowie das (militärische) Marschieren.313 Es meint oft den Gürtel des Mannes, speziell des Kriegers314 , bezieht sich aber auch auf die Körperregion, um die ein Gürtel gelegt wird.315 Im übertragenen Sinne bezeichnet ζώνη alles, was eine Sache umgibt.316 Schließlich meint ζώνη im Plural eine Ordnung göttlicher Wesen, die über einen Bereich herrschen, oder den Bereich, der sie umgibt.317 Das Lexem erscheint in den OH zweimal als Kompositum und einmal in absoluter Form.318 Die vorausgesetzten Seme sind Geschlechtsverkehr bzw. Geburt und kosmische Bereiche. Beides lässt sich mit dem Wirkungsbereich der jeweiligen Gottheiten erklären: Prothyraias Gebiet ist der Beginn des Lebens, die Sterne betreffen die himmlischen Sphären. ἐν ὥραις „Kommet auf die andachtsvollen Opfer [mit] erfreutem Herzen ausgießend den heilsamen
Regen in wachstumsnährenden Jahreszeiten“). 308 Insbesondere das homerische Gottesbild in Hom. Il. und Hom. Od. ist zu nennen. Die Emotionalität der Götter wird z. B. in Kölsch, Homer, 199–200 thematisiert. 309 In OH 71 an Melinoe wird z. B. beschrieben, wie die Gottheit mit dem Zorn ihrer Mutter Persephone die Sterblichen durch grauenhafte Erscheinungen in den Wahnsinn treibt (θυμῶι Φερσεφόνης δὲ δισώματον ἔσπασε χροιήν, ἣ θνητοὺς μαίνει φαντάσμασιν ἠερίοισιν, ἀλλοκότοις ἰδέαις μορφῆς τύπον ἐκπροφαίνουσα). 310 Hom. Il. XIV 181; Hom. Od. V 231; X 544; Hdt. I 51. 311 Hom. Od. XI 245; Eur. Iph. T. 204; Plut. Lyk. 15; Anth. Gr. VII 324; Philostr. Ap. VII 6. 312 Aischyl. Choeph. 1000; Aischyl. Eum. 608; Pind. O. VI 39; Eur. Hec. 762; Kall. h. 209; Opp. kyn. III 56. 313 Hdt. VIII 120; Kall. h. 237. 314 Xen. an. I 6,10; IV 7,16; Aristot. meteor. CCCXLIIIb 24; Plat. Hipp. min. 368c; Lukian, Anach. 33. 315 Hom. Il. II 479; XI 234; Paus. IX 17,3. 316 Lukian, musc. enc. 3; Porph. adv. Christ 69. 317 Dam. princ. 96; Prokl. Parm. DCXLVII 7. Vgl. LSJ, Art. ζώνη, 759 für eine vollständige Zusammenfassung. 318 OH 2 an Prothyraia λυσίζων’; OH 7 an die Sterne ζώνας; OH 36 an Artemis λυσίζωνε.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
b) Das Lexem ist im NT insgesamt siebenmal belegt, davon zweimal in der Offb. Es umschreibt stets einen Gürtel als Kleidungsstück. Dabei meint es entweder den Gürtel eines Menschen oder einer himmlischen Figur. Es wird zudem als Aufbewahrungsort von Geld bezeichnet. Der Autor der Offb greift das primäre Sem „Kleidungsstück“ auf und kombiniert es mit der Farbe Gold zu einem priesterlichen bzw. himmlischen Kleidungsstück. In Offb 15 stattet er die Plagenengel damit aus und verdeutlicht dadurch, dass ihre Aufgabe einen liturgischen oder priesterlichen Aspekt aufweist. Die Beschreibung der Plagenengel in Offb 15 lässt erahnen, dass der Autor der Offb Ex 28 mit der Beschreibung des hohepriesterlichen goldenen Brustschildes kannte. c) Die verschiedenen Adressatengruppen werden begriffen haben, dass das Lexem ζώνη sich auf ein Kleidungsstück bezieht. Zugleich werden sie die liturgische Rolle derer erkannt haben, die eine ζώνη tragen: Für die judenchristlichen Adressaten wird ζώνη zunächst für Irritationen gesorgt haben, da sie als Kleidungsstück nicht um die Brust getragen wird.319 Vielmehr werden sie das Lexem allgemein mit dem Sem „etwas, das eine Sache umgibt“ verstanden und mithilfe der Bemerkung περὶ τὰ στήθη (Offb 15,6) ein hohepriesterliches Attribut erkannt haben. Für die völkerchristlichen Adressaten wird die unkonventionelle Position der ζώνη weniger für Verwunderung gesorgt haben, da sie die Hochgürtung womöglich als eine Modeerscheinung interpretiert haben.320 Möglicherweise werden beide Adressatengruppen hinter der Hochgürtung eine pragmatische Ursache erkannt haben.321 3.3.5.4 Ἔργον
a) Die primäre Bedeutung von ἔργον ist „Arbeit“ sowie „Aufgabe“.322 Es betrifft aber auch friedlichen Wettbewerb323 sowie die Bestellung von Land.324 Viele Quel-
319 Als Kleidungsstück bezeichnet das Lexem einen Gürtel, der direkt über den Hüften getragen wird. Hom. Od. V 231; X 544; Hom. Il. XIV 181; Hdt. I 51. 320 Vgl. Whibley, companion, 628. 321 Bei der Arbeit störte das Obergewand, das man zugleich vor Beschmutzung schützen wollte. Es war nicht waschbar. Vgl. Dalman, Arbeit II, 151. 322 Hom. Il. II 436; III 422; VI 490.492; XII 271.412; Hom. Od. IV 683; XIV 228; Hes. erg. 311. 323 Pind. O. IX 85; XIII 38; Pind. P. IV 233. 324 Hom. Il. II 751; XII 283; XVI 392; Hom. Od. II 22; VI 259; X 147; XIV 65.344; XV 372; XVI 140; Hdt. I 36.
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len bezeugen es als Berufstätigkeit.325 Jegliche Handlung wird ἔργον genannt.326 Schließlich bezeichnet es jede Art von Ding oder Angelegenheit327 sowie etwas Hergestelltes.328 In den OH wird das Lexem 13-mal nominal verwendet. Dabei sind die meisten Belege pluralisch.329 Die vorausgesetzten Seme sind dabei „göttliches Wirken“ und „menschliche Taten“, die moralisch bewertet werden. Dies zeigt sich durch die Ausstattung des Lexems mit Adjektiven. Bemerkenswert ist eine Verwendung in den abschließenden Bittabschnitten, in denen den Hymnoden gemessen an ihren Werken ein gutes Lebensende beschert werden soll. Insgesamt wird den aufgegriffenen Traditionen der Profangräzität ein paränetischer Aspekt hinzugefügt. b) Das Lexem ist im NT 169-mal belegt. Es ist gleichmäßig auf die einzelnen Schriften verteilt, wobei die Synoptiker auffällig wenige Belege aufweisen. Besonders häufig ist es dagegen in den Pastoralbriefen zu lesen, insbesondere in Kombination mit dem Adjektiv καλός. Das hauptsächliche Sem im NT ist „Handlung“ im paränetischen Sinne. Dabei werden nicht nur menschliche Werke thematisiert, sondern auch die Werke Gottes, insbesondere die er an bzw. durch Jesus Christus getan hat.330 Zwischen dem NT und den OH ist eine Analogie zu erkennen. In der Offb wird der Begriff 17-mal, zumeist pluralisch verwendet. Er steht primär im Gerichtskontext und erscheint z. B. mit der präpositionalen Wendung κατὰ τὰ ἔργα (Offb 18,6; 20,12.13). Das Lexem bezieht sich zumeist auf menschliche Taten, die das Gerichtsurteil entscheiden. Der Autor der Offb greift somit die profangriechische Bedeutung „Handlung“ auf und liegt insbesondere mit der moralischen Bedeutung auf einer Linie mit den meisten neutestamentlichen Belegen sowie den Bittabschnitten der OH. In Offb 15 bezieht sich der Plural von ἔργον auf Gottes Taten. Diese werden von den Preisenden als μεγάλα und θαυμαστά bewertet. c) Die Adressaten der Offb kannten das Lexem ἔργον bzw. den Plural ἔργα sowohl auf Gott als auch auf Menschen bezogen. Aus ihren jeweiligen religiösen
325 Hom. Il. II 614; V 429; IX 228.390; Hom. Od. XI 246; XXII 422; XX 72; Aischyl. Ag. 1207; Xen. Kyr. I 2,12; Theokr. XXII 42; Lukian, dial. deor. XVII 1; Anth. Gr. XII 209. 326 Hom. Il. III 130; V 872.876; XXII 395; Hom. Od. I 338; Hdt. I 16; Aischyl. Prom. 1080; Soph. Ai. 116; Soph. El. 358; Soph. Oid. K. 782.783; Soph. Oid. T. 517; Eur. Alc. 339; Eur. Iph. T. 1190; Plat. Alk. I 119e; Thuk. II 65. 327 Hom. Il. I 294; II 38; II 252; VI 348; IX 527; Hom. Od. IV 663; XVII 78; Soph. Ai. 466; Soph. Oid. T. 847; Soph. Trach. 1157; Thuk. III 3. 328 Vgl. LSJ, Art. ἔργον, 682–683 für eine vollständige Zusammenfassung. 329 OH 2 an Prothyraia ἔργοισι; OH 7 an die Sterne ἔργοις; OH 8 an Helios ἔργων; OH 18 an Pluton ἔργων; OH 25 an Proteus ἔργοις; OH 33 an Nike ἔργοις; OH 57 an Hermes ἔργοις; OH 65 an Ares ἔργα; OH 66 an Hephaistos ἔργοις; OH 78 an Eos ἔργων; OH 85 an Hypnos ἔργοις; OH 86 an Oneiros ἔργων. 330 Vgl. Heiligenthal, Art. ἔργον, 123–127.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
Vorgeschichten war ihnen die Kombination des Begriffs mit einem Adjektiv bekannt, das die Taten bewertet. Die in Offb 15 verwendeten Adjektive μεγάλος und θαυμαστός lassen eine positive Bewertung erkennen, die Anlass für den himmlischen Lobpreis ist. Die völkerchristlichen Adressaten werden sich an hymnische Literatur wie die OH erinnert haben, da wie in Offb 15 die Offenbarung Gottes durch seine Werke auch in paganer Literatur thematisiert wird. In OH 2 wird z. B. ausgesagt, dass Prothyraia zwar unsichtbar sei, sich jedoch in ihren Werken zeige.331 Zugleich werden sie bemerkt haben, dass in paganer Literatur der Schwerpunkt vielmehr auf den menschlichen Werken liegt, an denen die Gottheiten das Maß glücklichen Lebens abgewogen haben. Aus dieser orphischen Vorstellung heraus werden sie die eschatologische Dimension menschlicher Taten begriffen haben. Für die Judenchristen wird die Preisung der guten Werke Gottes insbesondere aus dem Psalmenkontext und grundsätzlich aus alttestamentlicher Literatur bekannt gewesen sein, sodass in Kombination mit den verschiedenen Exodus-Signalen wie dem Feuermeer (Offb 15,2) und dem Lied des Mose (Offb 15,3) der Lobpreis als höchst biblischer Gesang gekennzeichnet wird. Insgesamt kommt in der dreifachen soziologischen Motivanalyse verstärkt zum Ausdruck, dass die Wahl der Metaphorik in der Offb rezeptionsästhetisch betrachtet hybrid ist: Die teilweise „überladenen Bildkompositionen“ sind so konzipiert, dass sie „gerade in ihrer bleibenden Offenheit für schriftkundige Leser ein reiches Potenzial möglicher Sinnbezüge eröffnen.“332 Konkret bedeutet dies, dass die gewählten und zusammengesetzten Motive sowohl von Juden- als auch Völkerchristen begriffen werden können. Diese semantische Überlappung bzw. Offenheit lässt das multireligiöse, -kulturelle und synkretistische Milieu erahnen, in dem die Adressaten der Offb lebten. 3.3.6
Das Johannes-Phänomen anhand der Lexeme ἅγιος, ἄξιος und θέλημα333
Der Autor der Offb hat die Eigenart, die aufgegriffenen Begriffstraditionen so zu rezipieren, dass er häufig keine wörtliche Analogie zu den Lexemen herstellt, sondern lediglich eine, wenn auch klar zu erkennende, strukturelle Analogie.334 Durch eine soziokulturelle, -linguistische und -rhetorische Analyse wird dieses häufig
331 Dort heißt es nämlich ἀφανής, ἔργοισι δὲ φαίνῃ ἅπασι, „Unsichtbare, doch du zeigst dich [in] allen Werken.“ 332 Frey, Bildersprache, 174. 333 Diese von mir gewählte Bezeichnung umschreibt ein rezeptionsästhetisches Phänomen des Autors der Offb. 334 Karrer stellt dies in seinem Aufsatz über das Gottesbild in der Offb fest. Vgl. Karrer, Gottesbild, 58.
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Motivanalyse
anzutreffende Phänomen der Offb nicht erfasst. Daher ist es sinnvoll, den soziomethodischen Dreischritt ergänzend für eben solche Fälle anzuwenden, die keine wörtliche Übereinstimmung aufweisen. Dieses „Johannes-Phänomen“ soll anhand von drei ausgewählten Beispielen aus den hymnenartigen Passagen veranschaulicht werden.335 Der Unterschied zur bisherigen Analyse besteht nun darin, nicht exakt dieselben, sondern ähnliche Lexeme mit einer analogen Begriffsgeschichte miteinander zu vergleichen. Dieses Phänomen wurde bereits in der formalen Analyse angerissen, jedoch vom formalen Aspekt her betrachtet. In der folgenden ergänzenden Motivanalyse werden die drei soziologischen Fragestellungen aus den vorherigen Kapiteln herangezogen. Der Mehrwert gegenüber der formalen Analyse besteht insbesondere in der Frage nach der hermeneutischen Kompetenz der Adressaten (rezeptionsästhetische Frage). 3.3.6.1 Beispiel 1: Ἅγιος (Offb 4)
a) Das Lexem ἅγιος weist im profangriechischen Kontext unterschiedliche Synonyme auf: Bei Homer, Hesiod und bei den Tragikern wird statt ἅγιος das Lexem ἁγνός verwendet.336 Ein weiteres häufig anzutreffendes Lexem für „heilig“ ist ἱερός. Das Lexem ἅγιος fehlt bei Homer, Hesiod und den Tragikern vollkommen. Es meint in der übrigen Profanliteratur entweder heilige Dinge oder Orte (Tempel)337 sowie heilige Personen.338 Grundsätzlich bezieht es sich auch auf Personen, die den Göttern ergeben sind. Es kann auch etwas oder jemanden Abscheuliches, Verfluchtes meinen.339 Das Synonym ἁγνός bezieht sich ebenfalls auf die Heiligkeit eines Ortes340 oder einer Person341 , kann aber auch eine göttliche Person wie Artemis, Apoll, die Chariten, Demeter, Persephone, Zeus etc. umschreiben.342 Es
335 Die Auswahl der drei Beispiele ergibt sich einerseits aus der Begrenzung auf die hymnenartigen Passagen, die den wesentlichen Untersuchungsgegenstand dieser Studie darstellen, andererseits aus der gut dokumentierten Begriffsgeschichte der ausgewählten Begriffe in der Profangräzität und speziell in den OH. 336 Vgl. Frisk, Wörterbuch, 10. 337 Isokr. or. X 63; Hdt. II 41.44; Xen. hell. III 2,19; Plat. Kritias 116c; Plat. leg. 729e; Lukian, Syr. Dea 13. 338 Aristoph. av. 522; Isokr. or. XI 25. 339 Kratin. frg. 373. Vgl. LSJ, Art. ἅγιος, 9 für eine vollständige Zusammenfassung. 340 Hom. h. 187; Hom. Od. XXI 259; Aischyl. Prom. 282; Aischyl. Suppl. 223; Pind. I. VI (V) 74; Pind. P. I 21; IV 204; Soph. El. 86; Soph. Oid. K. 37; Soph. Trach. 287; Eur. Ion 243; Thuk. I 126; Dion. Hal. ant. I 38. 341 Aischyl. Ag. 245; Pind. P. IV 103; Eur. Hipp. 102; Plat. leg. 840d; Demosth. or. LIX 78; Men. Epitr. 223. 342 Hom. h. 203.337.439; Hom. Od. V 123; XI 386; XVIII 202; Aischyl. Suppl. 653; Pind. P. IX 64; Soph. Oid. T. 830; Soph. Phil. 1289.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
kann auch die Schuldlosigkeit einer Person meinen.343 Die negative Bedeutung von ἅγιος fehlt bei ἁγνός. Das dritte Lexem ἱερός weist ein breites semantisches Spektrum auf: Entweder bedeutet es „angefüllt mit göttlicher Macht“344 , „göttliche Dinge“345 , „irdische heilige Dinge oder Personen“346 , „unter göttlichem Schutz“347 , „Opfer“348 , „Kult, Kultstätte“349 oder „Mitglieder einer religiösen Gruppe“350 . Zusammenfassend stellt man fest, dass ἅγιος sich immer nur auf Menschen bezieht, nie auf Götter. Der Begriff ἁγνός kann auch Beiname einer Gottheit sein. Das dritte Lexem akzentuiert die kultische Komponente. Allen Synonymen gemein ist die Umschreibung heiliger Orte oder Personen. Das Lexem ἁγνός ist 42-mal in den OH belegt, dagegen ist ἅγιος nur fünfmal vertreten. Das Synonym ἱερός wird 32-mal genannt und kommt oft im selben ὕμνος vor, der auch ἁγνός enthält. Die drei Lexeme werden hier zumeist synonym gebraucht, wobei die Mysterienriten mehrheitlich mit ἱερός umschrieben werden. Die kultische Komponente des Lexems in den OH stellt eine Fortsetzung profangriechischer Traditionen dar. Der Begriff ἅγιος wird als Attribut von Gottheiten stets vermieden. Er bezieht sich auf Gegenstände, Weihen oder Feste. Das Lexem ἁγνός dagegen wird sowohl als Beiname oder Attribut von Gottheiten als auch für Feste, Gegenstände etc. gebraucht. Sowohl ἅγιος als auch ἁγνός setzen profangriechische Begriffstraditionen fort. b) Das NT stellt eine begriffsgeschichtliche Zäsur dar, denn es verwendet zumeist das Lexem ἅγιος für „heilig“. Es ist insgesamt 230-mal belegt. Dabei bezieht es sich sowohl auf die Christen allgemein, als auch auf Gott, insbesondere in Kombination mit πνεῦμα auf den Hl. Geist. Die Autoren des NT setzen sich somit über begriffsgeschichtliche Traditionen der Profangräzität hinweg, indem sie bewusst Göttliches und Gott selbst mit ἅγιος umschreiben, was profangriechisch unüblich ist. Der
343 Soph. Ant. 889; Soph. Trach. 258; Eur. El. 975; Eur. Hipp. 138.316; Eur. Iph. A. 940; Eur. Or. 1604; Plat. leg. 759c. Vgl. LSJ, Art. ἁγνός, 12 für eine vollständige Zusammenfassung. 344 Hom. Il. VIII 66; XI 194.631.726; XVII 464; Hom. Od. II 409; VIII 421; X 275.351; Hes. erg. 339.466; Soph. Oid. T. 1428; Soph. Phil. 1215; Eur. Hipp. 1206; Eur. Ion 117; Eur. Med. 410; Kall. epigr. 11; Theokr. V 22. 345 Hom. Od. X 426; Hes. theog. 21.57.93; Aristoph. av. 556. 346 Hom. Il. I 99.431; II 305; VI 89; XVI 407; Hom. Od. XIII 372; Soph. Oid. K. 469; Soph. Oid. T. 1379; Eur. Ion 512.1285; Thuk. II 52; Hdt. II 36; II 42.81; Xen. vect. V 4; Plat. rep. 568d; Strab. VI 2,6; Demosth. or. XXI 35; Plut. Tib. Gracch. 15; Men. Aspis 320; Dion. Hal. ant. VII 8. 347 Hom. Il. V 648; XVI 100; XVIII 504; Hom. Od. I 2; III 278; VI 322; XI 323; XIII 104; XXI 108; Soph. Ai. 1221; Hdt. I 80; II 41; Xen. an. V 3,13; Aristoph. Plut. 937; Plat. leg. 955e.755e; Plat. Tim. 45a. 348 Hom. Il. I 147; II 420; XXIII 207; Hom. Od. XVI 184; Hes. erg. 336; Aischyl. Sept. 1015; Soph. Phil. 1033; Hdt. I 59.172; IV 33; V 44; VIII 54; Xen. an. I 8,15; II 2,3. 349 Thuk. IV 90; V 18; Hdt. V 119; II 112.170; Pol. XVI 39,4. 350 SIG MX 7; IG V 1,1. Vgl. LSJ, Art. ἱερός, 822 für eine vollständige Zusammenfassung.
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Motivanalyse
Terminus wird synonym für die Heiligkeit Gottes und der Christen verwendet, wohingegen im Profangriechischen unterschiedliche Lexeme dafür vorgesehen sind. Gott wird durch das dreimalig genannte Lexem ἅγιος in Offb 4,8c von den vier Lebewesen gepriesen. Der Autor der Offb verwendet es 26-mal, wobei drei Belege formelhaft als Trishagion zu werten sind. An zwei Stellen steht das Lexem in Kombination mit ἀληθινός. Der Autor der Offb schließt sich den Traditionen des NT an, indem er sowohl für Gott als auch für die Christen denselben Begriff wählt. Dies scheint bewusst gesetzt zu werden, um herauszustellen, dass die Gläubigen Anteil an der Heiligkeit Gottes besitzen. Dies wird in den apokalyptischen Bildern illustriert, in denen himmlische Gestalten weiß gekleidet sind und dadurch ihre Zugehörigkeit zur himmlischen Sphäre kennzeichnen. Anstatt Gott also mit einem eigenen Lexem auszustatten, wird jenes Lexem für Gott und Menschen verwendet, das ursprünglich für Menschen und Dinge vorgesehen war, die heilig und Gott ergeben sind. Das Lexem ἱερός ist in der Offb dreimal pluralisch in einem hymnenartigen oder entfernt hymnenartigen Kontext belegt. Es bezieht sich stets auf die Heiligung der Menschen durch das Erlösungswirken Christi, nie auf Gott. Der Autor der Offb führt das Sem „Mitglieder einer religiösen Gruppe“ weiter, das in der Profangräzität für ἱερός bereits belegt ist. c) Für die völkerchristlichen Adressaten der Offb wird die Verwendung des Lexems ἅγιος aufgrund der Bezugnahme auf Gott für Erstaunen gesorgt haben. Aus dem Wissen der paganen Literatur heraus werden sie ἁγνός erwartet haben. Womöglich werden sie mithilfe des unüblichen Begriffs die Andersartigkeit und furchteinflößende Gegenwart des transzendenten Gottes besser begriffen haben, denn das Wort ἅγιος konnte in der Profangräzität auch eine bedrohliche Konnotation haben. Dadurch, dass zudem der Begriff ἁγνός vermieden wird, bleibt das Risiko einer fälschlichen Identifizierung von Heiligen als göttliche Personen und die Assoziierung mit paganen Gottheiten aus. Für völkerchristliche Adressaten, die die Einzigkeit des Gottes Jesu Christi erst lernen mussten, wird die Umgehung von ἁγνός unbedingt notwendig gewesen sein, da sie ἁγνός als Epitheton verschiedenster griechischer Gottheiten kannten. 3.3.6.2 Beispiel 2: Ἄξιος (Offb 4 und 5)
a) Das Lexem ἄξιος weist in der Profangräzität ein breites semantisches Spektrum auf. Es besitzt ein komplexes Semem bestehend aus den Semen „ausgleichend,
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
wert“351 als Gewicht und Währung, „wert“ im Sinne „es lohnt sich“352 , „ansehnlich, stattlich“353 , „etwas verdienend“354 , „ausreichend“355 , nachhomerisch im moralischen Sinne „würdig, schätzenswert“356 , positiv und negativ gemeint „verdienend“357 sowie „passend“358 . Bei Homer wird es einmal Zeus zugeschrieben. Das Synonym ἱκανός besitzt zahlreiche Analogien zum ersten Lexem: Es bezieht sich ebenfalls auf Personen, die kompetent sind bzw. einer Sache genügen.359 Ferner bezieht es sich auf Dinge, von denen quantitativ und qualitativ genug vorhanden ist.360 Als weiteres Sem ist „ausreichend, zufriedenstellend“361 belegt. Im Gegensatz zu ἄξιος ist ἱκανός schwächer ausgeprägt. Es wird verwendet, wenn eine Person oder eine Sache so weit vorhanden ist, dass sie zufriedenstellend ist, umschreibt aber keine exzellente Tat oder einen Wert, weder im moralischen noch im finanziellen Sinne. Das Lexem ἱκανός ist auch als Epitheton für Apoll belegt. Das dritte Lexem ἀγαυός weist im Gegensatz zu den anderen beiden Lexemen eine geringere Begriffsgeschichte auf. Es besitzt die Seme „berühmt, erhaben“362 , „brilliant, herrlich“363 und ist als Beiwort von Helden und Gottheiten belegt.364 Während ἄξιος sich auf das Verdienst einer Sache aufgrund begangener Taten bezieht365 , betont das Lexem ἱκανός die grundsätzliche Fähigkeit zu einer Tat, ohne dass sie auch umgesetzt worden ist. Der Begriff ἀγαυός ist ganz eng mit Heroen und Gottheiten im mythologischen Kontext verbunden.
351 Hom. Il. VIII 234; Theogn. 456; Thuk. I 73; II 65; Aristoph. av. 797; Aristoph. Equ. 672.895; Lys. XXII 18; Hdt. I 32.133; VII 21; Xen. an. IV 1,28; Xen. Kyr. II 2,14; Xen. vect. IV 50; Plat. Gorg. 464d; Plat. leg. 692c; Plat. Phaidr. 235b; Plat. symp. 185b; Aristot. pol. MCCCVIb 12; Demosth. or. XXVII 10; Theophr. char. III 3; Nonn. Dion. VIII 314. 352 Hom. Il. XXIII 562; Hom. Od. I 318; Xen. an. II 1,14. 353 Hom. Il. IX 261; Hom. Od. XV 429; XX 383; Xen. Kyr. III 3,2. 354 Aischyl. Ag. 1527; Soph. El. 298; Eur. Ion 735; Xen. hist. Gr. I 6,11; Xen. oik. XII 19. 355 Demosth. or. XIV 27. 356 Aischyl. Choeph. 445; Aischyl. Eum. 435; Eur. Ion 735; Hdt. VII 224. 357 Eur. Heraclid. 507; Eur. Med. 1124; Eur. Or. 1326; Thuk. II 71; Isokr. or. IX 80; Xen. Ag. X 3; Plut. Kim. 5. 358 Hdt. I 14. Vgl. LSJ, Art. ἄξιος, 171 für eine vollständige Zusammenfassung. 359 Soph. Oid. T. 377; Thuk. I 9; Lys. II 42; Hdt. III 4.45; Antiph. I 15; Isokr. or. X 38; Xen. equ. II 1; Xen. Kyr. I 4,12; I 6,15; Plat. leg. 875a; Plat. Phaidr. 277a; Plat. rep. 365a; Pol. XXV 3,6; Lukian, dial. deor. XX 3. 360 Aristoph. Lys. 1047; Aristoph. Pax 354; Lys. III 10; Eur. Phoen. 554; Eur. Tro. 996; Thuk. I 2; VII 77; Antiph. II 1,6; II 2,2; Xen. Hier. IV 9; Hdt. IV 121; Plat. rep. 373d. 361 Plat. Hipp. min. 369c; Plat. symp. 179b; Pol. XI 25,1; XXXII 3,13; Diog. Laert. IV 50; Diod. XI 40. Vgl. LSJ, Art. ἱκανός, 825 für eine vollständige Zusammenfassung. 362 Hom. Il. III 268; Hom. Od. XI 213; XIII 71; XV 229; Aischyl. Pers. 986; Pind. P. IV 72. 363 Hom. h. 442; Pind. paian. IX 36; Arat. 71. 364 Hom. Il. III 268. Vgl. LSJ, Art. ἀγαυός, 6 für eine vollständige Zusammenfassung. 365 Vgl. Foerster, Art. ἄξιος, 379.
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In den OH kommen die Lexeme ἄξιος und ἱκανός gar nicht vor. Stattdessen findet sich eine Vielzahl von Belegen für ἀγαυός.366 Bis auf einen ὕμνος ist stets ein Epitheton für Persephone gemeint. Dies verdeutlicht den epischen Akzent der OH mit teilweise sehr ausführlichen Ekphraseis, die einer mythologischen Erzählung gleichkommen. b) In Offb 4,11 wird der Sitzende auf dem Thron für sein Schöpfungswirken gepriesen. Der Lobpreis wird mit einer ἄξιος-Formel eingeleitet. Sie bezieht sich an dieser Stelle auf einen Lohn – hier das Lob – im Anschluss an ein bestimmtes Handeln – hier der Schöpfungsakt. Das Lexem ἱκανός, das im NT den profanen Sprachgebrauch übernimmt367 und zumeist die Tauglichkeit von Menschen zu etwas ausdrückt,368 ist in der Offb gar nicht belegt. Dies erklärt sich im hymnenartigen Kontext damit, dass die Schilderung von Heilstaten Gottes aus retrospektiver Sicht erfolgt. Das mehrfach vorkommende ἄξιος liegt ganz auf der Linie der profangriechischen Tradition. Es fällt auf, dass der dritte Begriff ἀγαυός im NT vollständig vermieden wird. c) Der himmlische Lobpreis in Offb 4–5 erfährt mit einem dreimaligen ἄξιος eine Strukturierung, die gleichermaßen formal und semantisch einen wichtigen Kern ausmacht: Die Adressaten verstehen dadurch, dass Gott und das Lamm aufgrund der bereits erfolgten Heilstaten gepriesen werden, nicht für ein theoretisches Heilspotenzial. Das Lexem ἄξιος unterstützt die retrospektive Natur des Lobpreises, was durch den Gebrauch von ἱκανός nicht vermittelt werden kann. Aufgrund der völkerchristlichen Adressaten ist die Vermeidung von ἀγαυός unbedingt notwendig und offensichtlich gewollt, da sie es zu sehr mit paganen Gottheiten assoziiert hätten, insbesondere mit Persephone. 3.3.6.3 Beispiel 3: Θέλημα (Offb 4)
a) Das Lexem θέλημα ist in der Profangräzität recht selten belegt und bezeichnet einen Willen.369 Es ist einmal in der Form θελήμη belegt und bedeutet „Vergnügen“.370 Die Verbalform weist eine viel umfangreichere Begriffsgeschichte auf, wobei sie zumeist in der Form ἐθέλω zu lesen ist. Bei Homer und Hesiod fehlt die neutestamentliche Form θέλω ganz. Insgesamt setzt sich dessen Semem zusammen aus
366 OH 38 an die Kureten ἀγαυοί; OH 41 an die Mutter Antaia ἀγαυήν; OH 44 an Semele ἀγαυῆς; OH 46 an Liknites ἀγαυήν; OH 78 an Eos ἀγαυοῦ. 367 Vgl. Rengstorf, Art. ἱκανός, 294. 368 Vgl. Trummer, Art. ἱκανός, 453. 369 Antiph. 58; Ain. Tact. XVIII 19. 370 Theogn. 112. Vgl. LSJ, Art. θέλημα, 788 für eine vollständige Zusammenfassung.
Soziolinguistische, soziorhetorische und soziokulturelle Analyse
„bereit sein, etw. zu tun/zustimmen“371 , „wünschen“372 , „ein Wollen oder Sollen der Zukunft ausdrücken“373 und „natürlich veranlagt, gewöhnt“374 . Das Lexem βουλή ist in der Profangräzität viel geläufiger als θέλημα. Dessen Semem umfasst die Seme „göttlicher Wille, Beschluss“375 , „Ratschluss“376 , „Überlegung“377 , „Erlass“378 und „Ältestenrat, Senat“379 . Die Verbalform βούλομαι weist die Seme „beabsichtigen, wünschen“380 , „etwas (Anderes) vorziehen im Gegensatz zum zustimmenden θέλω“381 , „wollen bezogen auf Gottheiten“382 und „meinen“383 auf. Während das Wortfeld von θέλημα allgemein v. a. auf zustimmende Subjekte bezogen wird, ist das Wortfeld βουλή vermehrt auf den göttlichen Willen bezogen, der etwas anderes vorsieht als den eigenen Plan. Jedoch sind semantische Überschneidungen zu beobachten, insbesondere bei Homer. Er verwendet βούλομαι häufig dann, wenn im Gesamt der Begriffsgeschichte betrachtet ἐθέλω/θέλω zu erwarten ist. Insgesamt ist das Verb ἐθέλω/θέλω stärker an die konkrete Ausführung gekoppelt als das die Absicht oder den Plan betonende βούλομαι.
371 Hom. h. 46; Hom. Il. I 549; VI 336; IX 397; XIII 106; XIV 120; XVIII 262; Aischyl. Prom. 783.1028; Soph. Oid. K. 1133; Soph. Oid. T. 649; Antiph. V 99; Thuk. V 72; Aristoph. Plut. 347; Aristoph. Ran. 533; Hdt. II 2; VI 12; Xen. hell. VI 5,21; Xen. Kyr. II 4,19; V 2,9; Aischin. leg. II 139; Demosth. or. XLVII 5; Cass. Dio XLIV 26; XLVI 47. 372 Hom. Il. VII 364; XIX 274; XXIII 894; Hom. Od. III 272.324; XI 566; Aischyl. Prom. XIV 172; Eur. Hipp. 1327; Thuk. V 50; Hdt. I 3.71. 373 Aischyl. Eum. 429; Pind. N. VII 90; Aristoph. Vesp. 536; Hdt. I 109; II 11; VII 49; Plat. rep. 370b.375a. 374 Thuk. II 89; Hdt. I 74; VII 50; Aristot. metaph. MXIIIb 27; Aristot. meteor. CCCXLVIIa 5. Vgl. LSJ, Art. ἐθέλω, 479 für eine vollständige Zusammenfassung. 375 Hom. Il. I 5; Hes. theog. 534; Demosth. or. XVIII 90. 376 Hom. Il. I 258; II 202; XXIV 652; Hes. erg. 266; Aischyl. Prom. 221; Hdt. VII 12; III 78; VI 101; Thuk. 842; Xen. Kyr. VII 2,26; Plat. Krit. 49d; Demosth. or. XVIII 192; Dion. Hal. ant. II 44. 377 Demosth. or IX 46. 378 And. I 61; II 28. 379 Hom. Il. II 53; Hom. Od. III 127; Aischyl. Ag. 884; Thuk. III 70; Aristoph. Vesp. 590; Antiph. VI 40; Thuk. VIII 66; Hdt. VII 149; IX 5; Xen. hist. Gr. V 2,29; Aischin. Ctes. III 20; Dion. Hal. ant. VI 69; Paus. V 20,8; VII 11,1. Vgl. LSJ, Art. βουλή, 325 für eine vollständige Zusammenfassung. 380 Hom. Il. I 67.113; XI 79; Hom. Od. XVIII 364; Soph. Oid. K. 732; Soph. Oid. T. 1077; Eur. Hel. 752; Thuk. II 2; VI 79; Hdt. I 4.11; III 143; Demosth. or. I 15; VIII 2; Aristid. Or. XLVIII (XXIV) 8; Gal. XIII 636. 381 Aristoph. Plut. 1090. Plat. Alk. 1.135d; Plat. Gorg. 522e; Plat. rep. 347b.437b; Plat. Prot. 309b; Demosth. or. II 20; XIX 23.V.a. mit ἤ „bevorzugen“ Hom. Il. I 112.117; Hom. Od. III 232; XI 489; XII 350; XV 88; Hdt. III 40. 382 Hom. Il. VII 21.182; XI 79; XV 51; XXIII 682; Hom. Od. IV 353; XX 316; Theogn. 184; Aristoph. Ran. 1279; Antiph. XVIII 6; LII 11; Plat. Euthyphr. 3a; Aristot. pol. MCCCIXb 17. 383 Plat. Krat. 412c; Plat. rep. 362e.590e.595c; Plat. Tht. 156c; Dion. Hal. ant. IV 59. Vgl. LSJ, Art. βούλομαι, 325–326 für eine vollständige Zusammenfassung.
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Motivanalyse
In den OH ist das Wortfeld von θέλημα fast gar nicht belegt. Lediglich die Verbform ἐθέλεις ist in OH 50 an Lysios Lenaios in der profangriechischen Bedeutung „wünschen, wollen“ belegt. Das Lexem βουλή wird dagegen entweder als eigenständiges Wort verwendet oder als Kompositum. Davon erscheinen am häufigsten die Epitheta εὔβουλος und ποικιλόβουλος.384 Es bezieht sich stets auf göttliche Ratschlüsse und wird u. a. bei den Bittabschnitten verwendet, wo es den Wunsch der Mysten nach einem ihnen wohlgesinnten göttlichen Ratschluss artikuliert. Die Verbform ist nur einmal in OH 62 an Dike belegt, wobei es dort partizipial gebraucht wird. Aufgrund des hymnischen Kontexts, bei dem die Gepriesenen stets Gottheiten darstellen, wird βούλομαι θέλω vorgezogen. b) Auch wenn das Lexem βουλή in der Offb fehlt, ist es immerhin 12-mal im NT belegt. Es hat dort die Bedeutung „Ratschluss, Vorhaben, Absicht“, wobei das Subjekt der βουλή sowohl Menschen als auch Gott sein kann.385 Die Autoren des NT weiten den Begriff auf Menschen aus und entwickeln die Begriffsgeschichte von βουλή weiter. Die Verbalform wird ebenso für Gott und Mensch gebraucht. Dabei werden die profangriechischen Traditionen weitergeführt: Während θέλω die tatsächliche Ausführung des Gewollten betont, wird βούλομαι bei der Überlegung und Beabsichtigung einer Sache verwendet.386 Der Autor der Offb verzichtet auffälligerweise auf das Wortfeld von βουλή und verwendet ausschließlich das Wortfeld von θέλημα und somit „den zur That [sic!] drängenden Willen“.387 Da die Autoren des NT βουλή häufig verwenden, um den Heilsratschluss Gottes hervorzuheben, fällt umso mehr auf, dass der Autor der Offb dies vermeidet. Eine theologische Kernaussage der hymnenartigen Passagen ist ja eben jener Heilswille Gottes, der trotz gegenwärtiger Katastrophen alles zum Heil führt. c) Aus der Perspektive der Adressaten lässt sich die Vermeidung des Lexems βουλή in der Offb beantworten: Der Autor verzichtet deshalb auf βουλή, weil es im
384 OH 13 an Kronos ποικιλόβουλ’; OH 14 an Rhea βουλῆι; OH 18 an Pluton Εὔβουλ’; OH 25 an Proteus πολύβουλος; OH 28 an Hermes ποικιλόβουλε; OH 29 an Persephone Εὐβουλῆος; OH 30 an Dionysos Εὐβουλεῦ und πολύβουλε; OH 41 an die Mutter Antaia Εὔβουλον; OH 42 an Mise Εὐβουλῆος; OH 44 an Semele βουλαῖς (bezogen auf Kronos); OH 46 an Liknites βουλαῖσι (bezogen auf Zeus); OH 52 an Trieterikos Εὐβουλεῦ, OH 56 an Adonis Εὐβουλεῦ; OH 59 an die Moiren βουλῆι; OH 62 an Dike βουλομένοις und βουλαῖς; OH 69 an die Erinnyen βουλαῖσι; OH 70 an die Eumeniden βουλῆι; OH 72 an Tyche Εὐβουλῆος; OH 74 an Leukothea βουλῆι; OH 79 an Themis βουλῆι. 385 Vgl. Ritz, Art. βουλή, 539. 386 Ein besonders einsichtiges Beispiel stellt Mt 1,19 dar, wo Josef mit dem Gedanken spielt, Maria in aller Stille zu verlassen (ἐβουλήθη λάθρᾳ ἀπολῦσαι αὐτήν). Dies tut er deshalb, weil er entschlossen ist, sie nicht bloßzustellen (μὴ θέλων αὐτὴν δειγματίσαι). Vgl. Heine, Synonymik, 143. 387 Heine, Synonymik, 143. Dabei bezieht sich die Aussage auf Cremers begriffsgeschichtliche Herleitung vom AT her.
Historische Nachweise
paganen Kontext zu eng mit paganen Gottheiten verknüpft ist. Die völkerchristlichen Adressaten hätten mit βουλή den zur Tat drängenden Willen Gottes in der Offb nicht erkannt, sondern zu stark mit paganen Gottesvorstellungen identifiziert.
3.4
Historische Nachweise
Die bisherigen motivanalytischen Arbeitsschritte bewegten sich auf textlicher Ebene. Einerseits wurde die Semantik der Offb intensiv betrachtet, andererseits mit profangriechischen Referenztexten, insbesondere mit den OH, verglichen. Die sich jeweils anschließenden Ausführungen zum adressatenorientierten Verstehenshorizont (soziokulturelle Analyse) blieben angesichts der Beschränkung auf Literaturvergleich hypothetisch. Im Folgenden werden historische Zeugnisse aus verschiedenen historischen Disziplinen herangezogen, die die bisher genannten Hypothesen untermauern sollen.1 Dabei interessiert v. a. der Nachweis religiöser Verehrung in den Städten der Sendschreiben. „Diese Lage – in der die Gemeinden umgeben sind von Misch- und Mysterienreligionen“2 – ist hauptsächlicher Untersuchungsgegenstand der folgenden Ausführungen. 3.4.1
Numismatik
Ein sinnvoller Anfang ist mit der Numismatik gegeben, weil sie religiöse Verehrung repräsentativ wiedergibt, somit eine Vorsortierung ermöglicht und der Geldverkehr grundsätzlich universal ist.3 „Im Gegensatz zu anderen archäologischen Quellen wie Inschriften, Skulpturen, Kleinfunden, aber auch Architektur sind über die 1 Zu Beginn ist zu betonen, dass nicht jedes Lexem der Offb in den einzelnen historischen Disziplinen gleichermaßen gut bezeugt ist. Es werden jeweils die Lexeme der fünf ausgewählten Kapitel der Offb thematisiert, für die eine nennenswerte Bezeugung vorliegt. Bei Reichsmünzen werden die lateinischen Bezeichnungen der Gottheit verwendet, bei kleinasiatischen Provinz- und Stadtprägungen die griechischen. Reichsmünzen sind stark abhängig vom Kaiser, weshalb dort jeweils eine Beschränkung auf die domitianischen Prägungen erfolgt, bei Provinzprägungen jedoch auch die Münzen der nachfolgenden Regierungszeiten berücksichtigt werden. Dabei werden Provinzprägungen im Umfeld der Städte der sieben Sendschreiben einbezogen. 2 Lähnemann, Sendschreiben, 523. 3 Freilich ist zu beachten, dass nicht alle Münztypen für alle Gesellschaftsschichten zugänglich waren. Aurei und Denare sind für die Oberschicht geprägt worden und zeigen die komplexesten Darstellungen. Ihr Münzwert unterschied sich aufgrund der Materialien Gold und Silber wesentlich von den niedrigeren Münzwerten. Sie wurden für die Reichsprägung verwendet, wohingegen lokale Prägungen aus Bronze, Kupfer oder Messing hergestellt wurden. Vgl. Franke, Kleinasien, 9. Während insbesondere Aurei für die Oberschicht geprägt worden sind, verbreiteten sich die Nominale mit niedrigerem Münzwert unter der Allgemeinheit und besaßen einfache Motive. Die Serien der Provinzprägungen sollen im Zuge dieser Untersuchung die höchste Priorität erhalten.
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Motivanalyse
Münzen die Kulte der Stadt und nicht allein Kulte in einer Stadt zu fassen […].“4 In römischer Kaiserzeit war Rom die vorherrschende Stätte für Reichsprägungen. Daneben erlaubten die Kaiser Provinzprägungen, die lokalen Charakter besaßen und für diese Studie von besonderem Interesse sind.5 Das gesuchte Lokalkolorit bzgl. religiöser Verehrung ist insbesondere auf solchen Münzen sowie auf Stadtprägungen zu suchen.6 In dieser Studie werden vor allem die Provinzprägungen der Regierungszeit Domitians untersucht, der Vollständigkeit halber teilweise auch Reichsprägungen berücksichtigt.7 Es ist überdies zu beachten, dass das tatsächliche Münzaufkommen vornehmlich in den Orten der sieben Sendschreiben genau betrachtet werden muss, um den repräsentativen Wert genauer zu ermitteln.8 Eine weitere zu beachtende Unterscheidung betrifft die Motivarten: Es gibt solche Abbildungen, die kurzlebig und auf ganz konkrete politische Situationen der Kaiser
4 Lichtenberger, Kulte, 2. Ähnlich auch Klauck, Johannesoffenbarung, 207: „Münzen waren die bevorzugten Massenkommunikationsmedien und Propagandamittel der antiken Welt und verdienen schon von daher unsere Aufmerksamkeit.“ 5 Diese Provinzprägungen wurden unter kaiserlicher Aufsicht in Provinzstädten geprägt und stellten die Währung größerer Gebiete dar. Vgl. Franke, Kleinasien, 9. 6 Die Mehrheit des verwendeten Geldes im Römischen Reich bestand aus Stadtprägungen, für die pro Stadt eine Erlaubnis beim Kaiser bzw. bei den zuständigen Behörden eingeholt werden musste. Vgl. Franke, Kleinasien, 9. Gerade die Stadtprägungen zeugen von Lokalkolorit: „Obwohl die olympischen Götter […] allen Griechen gemeinsam waren, hat doch nahezu jede Polis die Gottheiten in einer ganz besonderen, lokal verschiedenen Erscheinungsform verehrt. Das zeigen allein die Beinamen, die für einzelne Götter in die Hunderte gehen.“ Franke, Kleinasien, 30. Zum Lokalkolorit mit spezifischen religiösen Motiven auch Norena, Coins, 259. Laut Henrichs, Art. Zeus, Sp. 783 sind zusammen mit literarischen Erwähnungen allein für Zeus 1000 Belege nachweisbar. 7 Dass nicht nur die Provinzprägung berücksichtigt wird, liegt an einem Prozentsatz der teilweisen Überschneidung der Kategorien RPC und RIC, die nicht übergangen werden soll. Vgl. Norena, Coins, 249; Burnett, coinage, 171–173. Norena erklärt: „On local coinages, too, we can discern the influence of imperial coins.“ Norena, Coins, 263. Zugleich zirkulierte das von der breiten Masse verwendete Kleingeld „jeweils in lokal sehr begrenzten Räumen.“ Reiser, Numismatik, 460. Zudem sind es unter anderem lokale Autoritäten, die die Regionalprägungen beeinflussen und somit ihr eigenes Lokalkolorit in die Motivik einfließen lassen: „Actual decisions about output and design were taken […] by specific collectivities (the Roman senate and local councils) and by authorized individuals (moneyers, magistrates, mint officials, emperors). It was these actors, and not states as such, that used coins to communicate messages.“ Norena, Coins, 251. 8 Es stellt sich dabei die Frage, ob es sich um Einzelfunde oder um Hortfunde handelt, die auf eine größere Verbreitung eines Motivs hindeuten. Aus dem Grund wird in den folgenden numismatischen Angaben die tatsächliche Anzahl an Exemplaren ebenfalls aufgeführt. Münzfunde mit nur einem Exemplar werden ausgelassen. Die Anzahl steht in den Klammern hinter den Ortsangaben bei RPCMünzen. Da RIC-Münzen ohnehin weniger repräsentativ sind, wird auf die tatsächlichen Angaben aus Übersichtsgründen verzichtet. Das tatsächliche Münzaufkommen ist kritisch zu betrachten, da Hortfunde selten sind und in archäologischen Berichten oft nicht aufgeführt werden, wie sich am Beispiel der Münzhorte in Palästina gezeigt hat. Vgl. Reiser, Numismatik, 463.
Historische Nachweise
zu beziehen sind, und solche, die sich über die Regierungszeiten halten.9 Diese Unterscheidung muss in der numismatischen Auswertung berücksichtigt werden. 3.4.1.1 Offb 4 Καθήμενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ
In der Offb wird Gott mit der partizipialen Wendung καθήμενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ umschrieben. Das Motiv des Sitzens oder Thronens weist auf eine Vater- bzw. Muttergottheit hin und ist in der Numismatik häufig vertreten. Zur Zeit des Domitian sowie seiner Nachfolger zeigt das Revers der meisten kleinasiatischen Stadtund Provinzprägungen Zeus/Juppiter (Olympios) in Sitzposition, ein Motiv, das sich durch die Regierungszeiten hindurch hält und insbesondere in Ephesus und Smyrna belegt ist.10 Kleinasiatische Provinzemissionen zeigen darüber hinaus den sitzenden Apoll, häufig belegt in Laodizea.11 Zudem ist Kybele als Muttergottheit oft in sitzender Pose abgebildet, insbesondere in Smyrna und insgesamt häufiger belegt als andere Münzmotive.12
Abb. 1: RPC II 1021
9 Zugleich ist zu sagen, dass Emissionen bis zu hundert Jahre lang in Umlauf waren und sich Motive auf diese Weise über die angedeutete politische Botschaft hinaus gehalten haben. Vgl. Howgego, Coin circulation, 5–21. 10 RPC II 1012 (Smyrna 6); RPC II 1073 (Ephesos 7); RPC II 1245 (Sebastopolis 3); RPC III 692 (Perinthos 2); RPC III 1772 (Stratonikeia 16). 11 RPC II 1039 (Teos 3); RPC II 1294 (Laodizea 11); RPC III 2004 (Kolophon 2). 12 RPC II 1021 (Smyrna 41); RPC II 1343.1344 (Sala 12.4); RPC II 1364 (Aizanoi 4); RPC II 1388 (Eumenea 15); RPC II 1392 (Kidyessos 10).
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Motivanalyse
Diversen anderen Gottheiten begegnet man punktuell, auffällig oft jedoch Semele in Smyrna oder der personifizierten Stadt Smyrna.13 Der numismatische Befund unterstützt die literarische Bezeugung der Motivanalyse: Der Götterthron ist häufig Zeus/Juppiter als Vatergottheit, jedoch auch Kybele als Muttergottheit vorbehalten, sodass auch die Münzemissionen mit thronenden Götterdarstellungen Zeus/ Juppiter am meisten zeigen. Die häufige Bezeugung des thronenden Apoll auf Münzen bekräftigt zudem die literarische Erwähnung von θρόνος als Orakelstuhl des Gottes.14
Abb. 2: RPC II 945
Die Adressaten der Offb konnten folglich nicht umhin, die Beschreibung eines thronenden Gottes in Offb 4 in erster Linie mit dem olympischen Zeus zu assoziieren. Dabei war der religiöse Kontext der Adressaten irrelevant, da sie im alltäglichen Geldverkehr gezwungenermaßen mit solchen Abbildungen in Kontakt kamen. In der Motivanalyse ist festgestellt worden, dass auffälligerweise zunächst der Thron Gottes selbst genannt wird, bevor die Rede vom Thronenden ist. Zahlreiche Münzen der Reichsprägungen unter Domitian und seinem Vorgänger zeugen
13 Die personifizierte Stadt Smyrna: RPC II 1018 (Smyrna 9); Semele: RPC II 1015 (Smyrna 9); Pluton: RPC II 1113 (Nysa 2). 14 Von den vier erwähnten Prägungen zeigen zwei zusätzlich einen Dreifuß, der wiederum im Orakelwesen Verwendung gefunden hat, so Plut. de def. or. Allerdings ist zu erwähnen, dass die meisten Apolldarstellungen mit Dreifuß eine stehende Kultstatue des Apoll zeigen. Die Reichsprägungen stellen häufig den Dreifuß ohne Gottheit dar: RIC II,12 Tit. 126–132, RIC II,12 Dom. 5.6.18.37–39.73–75.102.311.312. Der Dreifuß ist aber auch in der Provinzprägung verbreitet: RPC II 945 (Thyatira 27).
Historische Nachweise
von Abbildungen diverser Sitzgelegenheiten ohne Personen.15 Womöglich werden diese Münzmotive den Adressaten vor Augen gewesen sein, als sie die Schilderung des Throns in Offb 4 gehört haben. Ἀστραπαὶ καὶ φωναὶ καὶ βρονταί
Von diesem Thron heißt es, dass Blitze, Stimmen und Donner ausgehen (Offb 4,5 ἐκ τοῦ θρόνου ἐκπορεύονται ἀστραπαὶ καὶ φωναὶ καὶ βρονταί). Sowohl die Reichsals auch die Provinzprägungen Domitians belegen durchgehend Blitzbündel – entweder allein bzw. in Kombination mit anderen Gegenständen oder in der Hand einer Gottheit. Unter Domitian betrifft dies Zeus und Minerva in erstaunlich guter Bezeugung.16
Abb. 3: RPC III 1752
15 Ein curulis ist verbreitet in der Reichsprägung: RIC II,12 Tit. 106–109; 2 RIC II,1 Dom. 8–11.21–24.46–50. Sonstige Sitze sind auf folgenden Münzen abgebildet: RIC II,12 Tit. 117–125; RIC II,12 Dom. 3.4.14–17.31–35. 70–72.100.101. 16 Blitzbündel allein oder in Kombination mit anderen Juppiter-Attributen wie dem Adler: RIC II,12 Dom. 143.144.196–200.269.270. In der Hand des Juppiter: RIC II,12 Dom. 218.219.221.275; RPC II 1209 (Orthosia 5), RPC III 1752.1754.1758 (Attaia 8.12.9), RPC III 2414 (Daldis 20). In der Hand der Minerva: RIC II,12 Dom. 261–264.321.335.336.344.428.429.438.439.447.457.458.508.519.554.558.568.578–581. 593.654.659.665.669.673.676.691.697.721.726.732.737.741.745.763.768.772.777.778.789.819. Es ist auch anzumerken, dass Domitian sich selbst in den Zügen des Juppiter darstellen lässt und dabei dessen Attribute Zepter und Blitzbündel in der Hand hält. Dies betrifft diverse Reichsprägungen: RIC II,12 Dom. 283.362.404.474.532.639.640.703.752.795. Eine Auswertung wird in dieser Studie nicht vorgenommen, da kaiserkultische Indizien unabhängig von Mysterienreligionen zu betrachten sind und deshalb keinen Teil der zentralen Fragestellung darstellen.
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Motivanalyse
Einige Reichsprägungen stellen Blitzbündel in Kombination mit einem Sitz dar.17 Offb 4,5 ist die literarische Ausformulierung dieses Münzmotivs. Vor dem numismatischen Hintergrund erklärt sich die irritierende Vernachlässigung des Thronenden bei der Beschreibung von Blitzen, Stimmen und Donner. Die Adressaten der Offb werden eine solche Schilderung nicht als störend empfunden, sondern offensichtlich die Zeus-/Juppiter-Assoziation hergestellt haben. Sie werden mit dem Thronenden der Offb, von dem Blitze und Donner ausgehen, die Vatergottheit Zeus, einen der höchsten Götter, assoziiert haben. Dabei ist unerheblich, ob sie mit den olympischen Göttern, allen voran Zeus, vertraut waren, wie sie Homer und Hesiod schildern, oder mit dem Zeus der Mysterienmythen. Damit bestätigt sich numismatisch, was in der Motivanalyse bereits thematisiert worden ist: Blitze und Donner erscheinen am meisten im Kontext von Zeus als Theophaniezeichen. Ἑπτὰ λαμπάδες
Vor dem Thron werden zudem sieben Fackeln bzw. Lampen geschildert (Offb 4,5 ἑπτὰ λαμπάδες πυρὸς καιόμεναι ἐνώπιον τοῦ θρόνου). Im Kontext von Mysterienreligionen handelt es sich um ein wesentliches Bild, das zumeist der Demeter zugeordnet wird.18 Der numismatische Befund ist insbesondere in den Provinzen sehr umfangreich. Entweder tauchen Fackeln einzeln auf dem Revers diverser Provinz- und Stadtprägungen auf oder in der Hand von Gottheiten, zumeist Demeter/Ceres.19 Die meisten Exemplare sind aus der ionischen Hafenstadt Erythrai sowie aus dem mysischen Kyzikos erhalten.
17 RIC II,12 Dom. 4.33–36.68–72.101. 18 Laut Mythos, der auf Hom. h. an Demeter zurückgeht, verwendete Demeter Fackeln bei der Suche nach ihrer entführten Tochter Kore, weshalb die Mysterien bei ihren Weihen diese Suche mit Fackeln nachempfanden. Vgl. Burkert, Religion, 427; Giebel, Geheimnis, 22.38. 19 Eine einzelne oder mehrere Fackeln: RPC II 882 (Kyzikos 4), RPC II 1171.1172a (Kos 4.14), RPC III 1067 (Byzantion 3). In der Hand von Demeter oder anderer Gottheiten: RIC II,12 Dom. 349.350.396.462.641.834.840; RIC II,1 Nerva 52.68. RPC II 883.885 (Kyzikos 2.3), RPC II 957a (Elaia 2), RPC II 1036 (Erythrai 10), RPC III 1488.1490 (Kyzikos 4.9), RPC III 1991.1995 (Erythrai 4.2), RPC III 2013 (Metropolis 3), RPC III 2221 (Euippe 2). Die meisten Abbildungen zeigen Demeter/Ceres mit Fackel.
Historische Nachweise
Abb. 4: RPC II 882
Die eleusinische Demeter/Ceres ist also in der Region um die SendschreibenStädte Smyrna und Pergamon bekannt. Mysterienbilder waren so verbreitet und repräsentativ, dass die römischen Kaiser auch auf Reichsprägungen Demeter/Ceres mit Fackel prägen ließen. Auch wenn die Siebenzahl für die Adressaten ungewöhnlich gewesen sein muss, konnten sie nicht umhin, dieses Motiv v. a. mit den Mysterien von Eleusis zu verknüpfen. Als judenchristliche Adressaten wird ihnen das gängige Motiv von den Münzen bekannt gewesen sein, auch wenn sie nicht mit dem Demetermythos vertraut gewesen sind. In der Motivanalyse ist die Verbindung von λαμπάς und Demeter hypothetisch vorformuliert worden. Die Bezeugung von Fackeln auf Münzen beweist, dass trotz der Entwicklung des Begriffs λαμπάς zur Bedeutung „Gestell, Leuchte“ hin die ursprüngliche Bedeutung „Fackel“ sich im numismatischen Kontext gehalten hat. Dadurch wird die Hypothese erhärtet, dass die Adressaten der Offb mit den sieben λαμπάδες eine Verknüpfung zu Demeter hergestellt haben mussten. Εἴκοσι τέσσαρες πρεσβύτεροι
In Offb 4,4 werden 24 Älteste auf Thronen, gekleidet in weiße Gewänder und mit Goldkränzen auf dem Kopf eingeführt. Grundsätzlich sind Bekränzungen auf den meisten Nominalen zu sehen, da die Büsten der Kaiser, Kaiserinnen, Magistrate, Gottheiten etc. auf dem Avers verschiedenster Prägungen zumeist bekränzt dargestellt werden. Die herrschaftliche Würde, Ehre und der Sieg der bekränzten Personen werden allen Bewohnern des Römischen Reichs bekannt gewesen sein. Diese drei Bedeutungen sind in der Motivanalyse bereits zur Sprache gekommen. Auch die thematisierte Bedeutung von Kränzen als Teil der Berufsbekleidung wird im numismatischen Kontext bestätigt, da der Kaiser pontifex maximus war. Somit
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Motivanalyse
ist die Bekränzung oft auch kultisch zu verstehen.20 In der Motivanalyse wurde zudem herausgestellt, dass der Kranz als Weihegabe fungierte. In Kombination mit Abbildungen des Dreifußes ist diese Bedeutung in der Numismatik bezeugt.21 In Offb 4 sind es die 24 Ältesten, die mit Kränzen ausgestattet sind. In Kombination mit den 24 Thronen fällt auf, dass in der Reichsprägung zahlreiche Emissionen auf dem Revers einen curulis mit Kranz zeigen.22
Abb. 5: RIC II, 12 Dom. 47
Da es sich dabei um den Amtsstuhl der höheren Magistrate handelt, ist zu vermuten, dass die Adressaten der Offb die 24 Ältesten mit kaiserlichen Beamten verglichen haben, die auf für sie vorgesehenen Plätzen sitzen und zugleich bekränzt sind. Auch wenn die Bewohner Kleinasiens weniger Zugang zu Reichsprägungen besaßen, kann man von einem Allgemeinwissen bezüglich hierarchischer Strukturen im Römischen Reich ausgehen. Die Beschreibung der 24 Ältesten in Offb 4 bedient sich zweier Farben mit Signalwirkung. Auf Münzen sind diese nicht abbildbar, außer das Material der Nominale wird berücksichtigt. Gerade die Goldkränze könnten auf diese Weise eine numismatische Entsprechung finden: Aus der Re-
20 Die bekränzte Kaiserbüste auf dem Avers wird oft mit einem kultischen Motiv auf dem Revers kombiniert. Dabei ist oft ein Altar abgebildet, neben dem u. a. Domitian selbst steht. Andere Prägungen zeigen Domitian mit patera: RIC II,12 Dom. 7.19.20.40–45.93.94.208–210.224–228.277.281.282.304.305.349.350.355.359–361.385.396.399. 402.403.418.462.467.471–473.494.531.608.612–614.623–627.637.784. 21 Dies hängt damit zusammen, dass auch Dreifüße als Weihegabe für Apoll und später für Dionysos angesehen wurden. Vgl. Fontenrose, Didyma, 66; Kerenyi, Dionysos, 211; Meyer, Geschichte, 677. RIC II,12 Dom. 5.6.18.37–39.73–75.102. 22 RIC II,12 Dom. 1.8–11.21–24.46–50.95.
Historische Nachweise
gierungszeit des Kaisers Domitian sind acht Reichsprägungen erhalten, bei denen auf Aurei ein Kranz abgebildet ist.23 Von den vielen Semen des Begriffs στέφανος stechen im numismatischen Kontext die Ehrengabe bzw. das Weihegeschenk, der Herrscheraspekt oder die Siegesinsignie, die Bekleidung des Magistraten und der Kult, insbesondere die Mysterienreligionen und das Orakelwesen heraus.24 Dabei ist anzumerken, dass speziell der Lorbeerkranz ursprünglich der Kopfschmuck Apolls war, ein Umstand, der mit den anderen apollonischen Aspekten der 24 Ältesten zusammenpasst.25 Ἀετός
In Offb 4 werden die vier Lebewesen am Thron Gottes eingeführt. Eines dieser Lebewesen wird mit einem fliegenden Adler verglichen (Offb 4,7 ὅμοιον ἀετῷ πετομένῳ). Sowohl Provinz- als auch Reichsprägungen zeigen einen Adler. Dieser wird jeweils als Attribut des Zeus/Juppiter vorausgesetzt.26 Die numismatische Bezeugung ist außerordentlich gut, wie das tatsächliche Münzvorkommen in den Städten der sieben Sendschreiben beweist. In der vorausgegangenen Motivanalyse sind die vier Lebewesen nicht zur Sprache gekommen. Die Wahl der zu analysierenden Lexeme hing mit der Bezeugung sowohl in der Offb als auch in den OH zusammen, wobei z. B. das Lexem ἀετός in den OH auffälligerweise nicht belegt ist. Dies verwundert insofern, als ein Adler nicht nur in der homerischen Gottesvorstellung als Beitier dem Zeus zugeordnet wird. Die interpretatio Graeca kleinasiatischer Vatergottheiten als Zeus umfasst nichtsdestotrotz eine Ausstattung mit Adler, insbe-
23 RIC II,12 Dom. 22.47.116.119.120.515.588.603. Davon zeigen zwei Emissionen den Kranz über curulis, fünf weitere stellen Victoria in Bekränzungsgeste dar. Eine Münzserie zeigt eine Siegessäule mit Lorbeerkranz. 24 Letztgenanntes ist insofern herauszustellen, als der Dreifuß neben seiner Funktion als Weihegabe an Apoll in Delphi als Orakelstuhl Apolls verehrt worden ist. Für eine Zusammenfassung der Mythen vgl. Fontenrose, Python, 401. 25 U. a. sind der Orakelaspekt sowie die kitharai zu nennen. Vgl. Sear, coins, 11 für die Verbindung von Apoll und Lorbeerkranz. 26 Dass es sich um ein Juppiter zugeordnetes Tier handelt, sieht man bei Reichsprägungen explizit an der Legende ivppiter conservator. Dies betrifft die Prägungen RIC II,12 Dom. 143 und 144. Bei den Prägungen RIC II,12 Dom. 196–200.269.270 und 824 wird dies implizit durch die Kombination des Adlermotivs mit Blitzbündel deutlich. Andere Darstellungen des Adlers stellen die Emissionen RIC II,12 Dom. 619.628 (bei beiden ein Adler im Giebel einer Tempelarchitektur), 807 und 808 dar. Die kleinasiatischen Prägungen sind vielseitig: RPC II 953 (Apollonis 7); RPC II 1099–1101 (Tralles 4.4.3); RPC II 1198 (Mylasa 5); RPC II 1282.1283 (Laodizea 5.7); RPC II 1328 (Philadelphia 5); RPC II 1341 (Sala 3); RPC II 1351 (Silandos 9); RPC II 1360 (Kadoi 10); RPC II 1363 (Aizanoi 2); RPC III 1816 (Thyatira 8); RPC III 2319 (Laodizea 4); RPC III 2379 (Philadelphia 9). Zeus ist dabei nicht immer thronend dargestellt, sondern auch stehend. Einige Prägungen zeigen nur den Adler ohne Zeus.
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sondere Zeus Laodiceus.27 Die synkretistische Verschmelzung von kleinasiatischen vorgriechischen Gottheiten mit denen des olympischen Pantheons ist ein typisches Kennzeichen auch für die OH. Umso mehr verwundert das Ausbleiben in den OH. Die Adressaten der Offb werden das Bild des Adlers nichtsdestotrotz von dem Geldverkehr her gekannt und mit Zeus assoziiert haben. Auf den Münzen ist der Adler ausnahmslos sein Beitier, wodurch Verwechslungen ausgeschlossen wurden. Λέων
Das erste der vier Lebewesen aus der himmlischen Thronsaalvision ähnelt einem Löwen (Offb 4,7 ὅμοιον λέοντι). Dieses Tier wird auf Münzen häufig abgebildet, da es als Beitier einerseits des Herakles, andererseits der phrygischen Kybele verstanden worden ist. Dabei ist zu beachten, dass in Kombination mit Herakles in der Regel keine lebendigen Löwen abgebildet wurden, sondern ein Löwenfell – als Bekleidung des Herakles oder zusammen mit einer Keule.28 Die umfangreichen Münzvorkommen in Smyrna fallen besonders ins Auge. Im Zusammenhang mit Kybele werden zumeist lebendige Löwen zu ihren Füßen abgebildet.29 Dieses Motiv ist am häufigsten in Smyrna nachgewiesen. Auch der Löwe ist wie der Adler in der Motivanalyse nicht behandelt worden. Zwar ist der Begriff λέων in OH 27 einmal belegt, wo im ὕμνος an die Göttermutter Eigenschaften der phrygischen Kybele absorbiert werden. Jedoch fehlt eine umfassende Begriffsgeschichte in der sonstigen Profangräzität. Der Beleg in den OH zeigt immerhin, dass Löwen die Beitiere einer vorgriechischen Muttergottheit dargestellt haben. Die Adressaten der Offb werden den Löwen sowohl aus dem orphischen Mysterienkontext als auch aus der Numismatik als Signal für den phrygischen Kybelekult erkannt haben. 27 Münzprägungen, auf denen Zeus mit neuen Epitheta ausgestattet wird, zeigen zugleich das Adlermotiv. Aus der Regierungszeit Domitians sowie Trajans sind mehrere Prägungen belegt, die Zeus Laodiceus mit Adler auf der ausgestreckten rechten Hand zeigen: RPC II 1282.1283.1288.1289.1292 (Laodizea 5.7.3.8.15); RPC III 2319 (Laodizea 4); RPC III 2379 (Philadelphia 9). Insgesamt hat „nahezu jede Polis die Gottheiten in einer ganz besonderen, lokal verschiedenen Erscheinungsform verehrt. Das zeigen allein die Beinamen […].“ Franke, Kleinasien, 30. Die unterschiedlichen Prägeorte zeigen dennoch, dass es sich um eine verbreitete Verehrung handelte, womöglich verbunden mit einem Kultbild aus Laodizea. Das erklärt auch die zahlreichen Münzen aus Laodizea. 28 Es existieren keine domitianischen Reichsmünzen mit dem Motiv, erst wieder unter Trajan. Umso prominenter ist das Motiv in der Provinzprägung, insbesondere in Smyrna: RPC II 1022 (Smyrna 38); RPC II 1182 (Rhodos 2); RPC II 1418 (Nakoleia 16); RPC III 1965 (Smyrna 27). 29 Die Existenz des Kybelemotivs in der Reichsprägung erklärt sich mit der Popularität des Kybelekults in Rom, der seit Kaiser Claudius in gewohnt blutrünstiger Form gefeiert worden ist. Die Gottheit wurde dort allerdings Magna Mater genannt. Vgl. Köster, Einführung, 198. Eine domitianische Prägung zeigt auch ein Kybele-Heiligtum: RIC II,12 Dom. 813. Zur Provinzprägung: RPC II 1021.1021a (Smyrna 41.2); RPC II 1125 (Briula 2); RPC II 1343.1344 (Sala 12.4); RPC II 1364 (Aizanoi 4); RPC II 1388 (Eumenea 15); RPC II 1411 (Kotyaion 9); RPC II 1415 (Midaion 2); RPC III 2376.2377 (Philadelphia 2.2).
Historische Nachweise
3.4.1.2 Offb 5 Βιβλίον
Zu Anfang von Offb 5 wird die himmlische Thronsaalszene durch die Buchrolle in der rechten Hand des Thronenden erweitert. Sie ist numismatisch verbreitet. In der Regierungszeit des Titus und Domitian existieren Reichsmünzen, auf denen die Kaiser Buchrollen halten.30 Trajanische Münzen zeigen den Kaiser oder Gottheiten ebenfalls mit Buchrolle in der Hand.31 Bemerkenswert sind auch Münzen, die den thronenden Homer mit Buchrolle darstellen.32 In der vorausgegangenen Motivanalyse ist die Buchrolle nicht zur Sprache gekommen, weil keine signifikanten Analogien in der Profangräzität sowie den OH festgestellt werden konnten. Auch die numismatischen Funde fallen dazu eher dürftig aus und sind von geringem repräsentativem Wert. Erst ab der Regierungszeit Kaiser Trajans verbreitet sich das Motiv numismatisch auch in den Provinzen. Κιθάρα
In Offb 5,8 treten die 24 Ältesten und vier Lebewesen zum Thron Gottes u. a. mit kitharai (ἔχοντες ἕκαστος κιθάραν). Das Bild der kithara bzw. der lyra ist in der Numismatik weit verbreitet.33 Sowohl die Reichsmünzen als auch die Provinz- und Stadtprägungen zeigen entweder das Instrument allein, in der Hand von kultischen Personen oder Gottheiten.34 Ein hohes tatsächliches Münzaufkommen ist in Thyatira und Laodizea zu beobachten. Die Tatsache, dass die Ältesten und Lebewesen in
30 RIC II,12 Tit. 184.185.186. Man sieht Kaiser Titus dabei in sitzendem Zustand wie Gott in der Offb. Dagegen steht Domitian auf einer niedrigen Plattform mit Buchrolle in der Hand. RIC II,12 Dom. 622. 31 RIC II Trajan 243.459. Bei beiden Prägungen fällt auf, dass die Rolle jeweils in der linken Hand der Person zu sehen ist. 32 Es handelt sich um Münzen, auf denen die Buchrolle geöffnet und u. a. der Buchstabe A zu erkennen ist. Zeitnah zur vermuteten Abfassung der Offb ist RPC III 1914 (Chios 4) zu nennen. Im Laufe des 2. Jh. wird dieses Motiv häufiger geprägt: RPC IV 5644 (Nicaea 4); RPC IV 6034 (Nicaea 6) etc. 33 Der Unterschied zwischen beiden Instrumenten besteht v. a. in der Größe und Spielart bzw. wird die kithara als eine bestimmte Art von lyra verstanden. Vgl. Husmann, Grundlagen, 82; West, music, 48–79. 34 Apoll Kitharodos mit Instrument und Räucherschale: RPC III 1763 (Germe 3); RPC III 1765 (Germe 16). Instrument allein: RIC II,12 Dom. 309.310; RPC II 878 (Apollonia a.R. 3); RPC II 935 (Nakrasa 6); RPC II 944 (Thyatira 10); RPC III 756 (Sestos 15); RPC III 1594.1598a (Apollonia a.R. 9.2); RPC III 1830 (Thyatira 2). Thronender Apoll Klarios mit angelehnter kithara und ähnliche Darstellungen: RPC II 985 (Magnesia a.S. 6); RPC II 1039 (Teos 3); RPC II 1294 (Laodizea 11); RPC III 1061 (Chalcedon 6); RPC III 2003.2004 (Kolophon 2.2). Stehender Apoll (Kitharodos) mit Instrument und Plektrum: RPC III 1589 (Apollonia a.R. 5); RPC III 2122 (Magnesia a.M. 10); RPC III 2276 (Apollonia Salbace 2). Instrumentalisten einer kultischen Szene: RIC II,12 Dom. 612–614.618–621.623–628.
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der einen Hand die kithara, in der anderen Hand eine Räucherschale halten, muss bei den Adressaten der Offb beim Hören die Assoziation mit Apoll Kitharodos entfacht haben. In der griechischen Ikonographie ist nur er derjenige, der beides in einer Hand hält. Die in der Regierungszeit des Domitian sowie seiner beiden Nachfolger belegten Münzen mit kithara bzw. lyra sind am häufigsten mit Apoll in Verbindung zu setzen.
Abb 6: RPC II 1294
Wie in der Motivanalyse bereits thematisiert, werden die Adressaten beim Hören von Offb 5 das gleichzeitige Tragen des Instruments und des Räucherwerks mit Apoll (Kitharodos) assoziiert haben, dessen Darstellung z. B. aus Germe numismatisch bezeugt ist. Es handelt sich dabei um einen statuarischen Typen, dessen kleinasiatische Bezeugung über die Numismatik hinaus untersucht werden muss. Durch die Kombination mit kultischen Elementen wie dem Räucherwerk, der Bekleidung der Ältesten sowie dem Singen des Lobpreises einen Vers später zeichnet sich für den Adressaten in Offb 5 das Bild einer Liturgie. Die zahlreichen kultischen Szenen auf Reichsmünzen, auf denen zugleich eine lyra zu sehen ist, bestätigen die Affinität zum Kultischen numismatisch. Φιάλαι χρυσαῖ
Die 24 Ältesten und vier Lebewesen tragen neben kitharai auch Räucherschalen zum Thron. Neben der beachtlichen numismatischen Bezeugung von kitharai sind ebenso umfangreiche Münzbelege für Räucherschalen anzuführen. Die Reichs-
Historische Nachweise
und Provinzprägungen zeigen entweder den Kaiser selbst, kultische Personen oder Gottheiten mit patera.35
Abb. 7: RPC III 1772
Dabei fällt auf, dass es sich zumeist um thronende Gottheiten handelt und mehrere Serien mit vielen Münzexemplaren nach Smyrna und Pergamon lokalisiert werden. Eine patera stellt eine Schale zur Darbringung von Trankopfern dar. Dennoch muss den Adressaten der Offb beim Hören von Offb 5 eine Ähnlichkeit zu den numismatischen Motiven von Kaiser oder Gottheit mit patera aufgefallen sein. Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, weil die patera derart häufig belegt ist, dass man nicht umhinkonnte, sie wiederzuerkennen. Sie ist in der Motivanalyse nicht thematisiert worden, da es in den OH nicht belegt ist. Nichtsdestoweniger ist zu betonen, dass Räucherwerk mit jedem OH verknüpft ist und für jeden ὕμνος eine genaue Festlegung des Räucherwerks vorliegt. Aufgrund des Verbotes, Tiere zu töten, sind nichttierische Opferformen wie Rauchopfer bei den Orphikern üblich.
35 Kaiser Domitian oder Domitia mit patera: RIC II,12 Dom. 136.277.355.399.467.608.637. Kultische Personen mit patera: RIC II,12 Dom. 494. Gottheiten mit patera: RIC II,12 Dom. 836 (Quadrans, Semis). RPC II 877 (Apollonia a.R. 8); RPC II 985 (Magnesia a.S. 6); RPC II 1021.1023 (Smyrna 41.33); RPC II 1057 (Nicaea 2); RPC II 1098 (Tralles 5); RPC II 1122 (Briula 1); RPC II 1245 (Sebastopolis 3); RPC III 1714.1716–1718 (Pergamon 2.16.32.20); RPC III 1720.1722.1724 (Pergamon 3.2.12); RPC III 1772 (Stratonikeia 16). Insgesamt sind diese numismatischen Funde im übertragenen Sinne zu bewerten, da in Offb 5 keine Trank-, sondern Rauchopfer dargebracht werden. Umso mehr interessieren diese numismatischen Funde im Kontext von Offb 15, wo sieben Plagenengel Zornschalen ausgießen. Da der Zorn Gottes in der Offb häufig als Zornwein beschrieben wird, stellt sich der Hörer der Offb den Inhalt der Schalen in Offb 15 als Flüssigkeit vor. Dort ist die Assoziation der Adressaten mit Libationen direkter als in Offb 5. Das Bild des Zornweins wird vorwiegend mit dem Begriff θυμός verbunden. Vgl. Miggelbrink, Zorn, 335.
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Motivanalyse
Auch Trankopfer sind in den OH belegt, sodass diese den numismatischen Funden noch näherstehen als die liturgische Handlung in Offb 5.36 Die Adressaten werden womöglich die mysterientheologische Dimension der Libationen und Rauchopfer gekannt und zahlreiche patera-Darstellungen auf Münzen damit verknüpft haben. Insbesondere die Kybele- und Demeterdarstellungen mit patera werden Anlass dazu gegeben haben, da sowohl der phrygische Kybelekult als auch die Mysterien von Eleusis in den OH verarbeitet werden. Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang übrigens der Beleg von domitianischen Münzen mit Räuchergefäß.37 Trotz ihrer nicht sehr repräsentativen Bedeutung könnten womöglich einige Adressaten diese Darstellungen gekannt und mit dem Gehörten verknüpft haben. Δύναμις
In Offb 5 preist eine große Engelschar das Lamm und proklamiert, dass es würdig sei, δύναμις zu empfangen. Dieses Stichwort ist als lateinische Übersetzung potestas ein wichtiger Bestandteil kaiserzeitlicher Münzprägung. Durch die Legende pot, tr pot, trp u. ä. wird einem vermittelt, dass der Kaiser die tribunizische Gewalt innehat. Die sich darauf beziehenden Kürzel auf den Münzen werden den Benutzern bekannt gewesen sein. Die Adressaten der Offb werden womöglich die δύναμις des Lammes sowie Gottes in Offb 4,11 mit der tribunicia potestas römischer Kaiser in Verbindung gebracht haben. Das numismatische Zeugnis erhärtet die Vermutung aufgrund des umfangreichen Befunds und die daraus zu schließende repräsentative Bedeutung von pot etc.38 Vor dem Hintergrund ihres numismatischen Wissens werden die Adressaten der Offb die Rede von δύναμις mit der kaiserlichen potestas assoziiert und zugleich verstanden haben, dass Gottes Macht sowie die des Lammes ungleich höher einzustufen ist. Sie ist an keine beschränkte Regierungszeit gebunden und übersteigt die irdische Macht. Was zu Anfang der Motivanalyse über δύναμις ausgesagt worden ist, bestätigt sich nun durch die allgegenwärtige numismatische Legende: Der Kaiser mag eine an sein Amt gebundene Vollmacht besitzen, die im Vergleich zu Gottes ewiger δύναμις jedoch kaum Gewicht hat.39
36 Von Libationen ist in OH 11 an Pan (βαῖν’ ἐπὶ λοιβαῖς εὐιέροις), OH 19 an Zeus Keraunos (χαρεὶς λοιβαῖσι), OH 53 an Amphietes (als Regieanweisung vor dem eigentlichen ὕμνος steht u. a. σπένδε γάλα), OH 59 an die Moiren (ἀκούσατ’ ἐμῶν ὁσίων λοιβῶν) und OH 66 an Hephaistos (πρὸς εὐιέρους ἐπιλοιβάς) die Rede. 37 RIC II,12 Dom. 600–602.617. Es existieren zwar auch Provinzprägungen mit Rauchopfermotiv, allerdings betreffen sie nicht die Provinz Asia. Sie sind auch zeitlich zu weit von der zu untersuchenden Zeitspanne entfernt, sodass sie in dieser Untersuchung nicht thematisiert werden. 38 RIC II,12 Dom. 1–6.40–91.93–102.137–142.158–204.255–272.324.332–390. Die Provinzprägungen der Asia verwenden den Titel nicht. 39 Betz nennt die δύναμις Gottes die „in der Endzeit wirkende Gotteskraft“. Betz, Art. δύναμις, 923.
Historische Nachweise
Πλοῦτος
Abb. 8: RPC II 847
Im selben Lobpreis in Offb 5,12 wird in der Aufzählung πλοῦτος genannt. Die Adressaten der Offb, die v. a. mit den Gottesvorstellungen der Mysterienreligionen vertraut waren, werden hier insbesondere durch die Akkusativform πλοῦτον beim Hören von Offb 5,12 an den Reichtum als personifiziertes Kind von Demeter/Kore gedacht haben.40 Der Getreidereichtum wird numismatisch durch ein Füllhorn dargestellt und ist sehr häufig mit den zwei Gottheiten Demeter-Kore bzw. Ceres-Annona zusammen abgebildet.41 Die auffälligsten Provinzprägungen sind in Ephesos und Smyrna belegt. In der Motivanalyse ist formuliert worden, dass die Adressaten beim Hören des Wortes πλοῦτον an die gleichnamige Gottheit gedacht
40 Pluton wird im offiziellen Kult vornehmlich als Unterweltgottheit verehrt, die Wesenseigenschaft als personifizierter (Getreide-)Reichtum ist kennzeichnend für die Mysterienreligionen. Ein uralter Mythos berichtet von der heiligen Hochzeit zwischen Demeter und Iason, bei der die Vereinigung der beiden die Übertragung der Leben spendenden Kraft Demeters auf Iason auslöst. Daraufhin gebärt sie Pluton als Personifikation des Getreidesegens. Dieser Mythos zeichnet Demeter chthonisch. Vgl. die Zusammenfassung bei Giebel, Geheimnis, 18. 41 Dabei interessieren v. a. Münzen, auf denen beide Gottheiten mit Füllhorn abgebildet werden. Aufgrund der mysterientheologischen Identifizierung von Mutter und Tochter ist dies jedoch nicht zwingend: RIC II,12 Dom. 349.350.396.462, RPC II 804.809.818.824.830.837.847.850.852.856 (Ephesos 4.13.7.5.24.4.16.5.10.4), RPC II 1019.1023 (Smyrna 3.33), RPC II 1098 (Tralles 5). Die Identifizierung beider Gottheiten hängt damit zusammen, dass Kore als „das zweite Ich der Demeter […] in Gestalt eines blühenden Mädchens“ begriffen worden ist. Kloft, Mysterienkulte, 19. Das Verhältnis von Demeter und Kore ist zudem die „Urbeziehung des Weiblichen“, d. h. die stete Verjüngung durch die Gebärtätigkeit. Giebel, Geheimnis, 20.
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Motivanalyse
haben könnten. Die Vorstellung eines personifizierten Reichtums ist von den Eleusinischen Mysterien bekannt und aufgrund der umfangreichen numismatischen Zeugnisse für die Adressaten der Offb signalhaft gewesen. 3.4.1.3 Offb 7 Δένδρον
In Offb 7,3 werden vier Engel eingeführt, die vier Sturmwinde zurückhalten, damit diese dem Land, Meer und den Bäumen keinen Schaden zufügen. Bisher ist die kryptische Nennung von Bäumen dahingehend bewertet worden, dass sich an der Baumbewegung die Windstärke ablesen lässt. Das numismatische Material zeigt mehrere Prägungen, auf denen Bäume abgebildet sind. Ganz prominent sind die Reichsmünzen des Titus mit trauernder Judäa an einer Palme. Sie erinnern an den Sieg Roms im Jüdischen Krieg 66 n. Chr.42 Zwar ist δένδρον auch hier mit einer Katastrophe verbunden, doch ist sie erstens nicht meteorologischer Natur, sondern symbolisiert eine politische Niederlage aus Sicht der trauernden Judäa. Zweitens fungiert der Baum nicht als „leidendes Objekt“ der Katastrophe, sondern als Lokalsymbol. Aus der Regierungszeit des Domitian ist eine Münze belegt, die einen Olivenbaum auf dem Revers zeigt (RIC II,12 Dom 802). Da es sich dabei jedoch um ein Einzelstück handelt, hat es keine repräsentative Funktion für eine Baummetaphorik in der Numismatik. Unter Domitian gibt die Provinzprägung weitaus mehr Belege her, die wiederum Palmen im Kontext des Sieges über Judäa zeigen. Diese betreffen aber Münzen aus Syrien und Judäa, sodass sie für den kleinasiatischen Raum eher unbekannt gewesen sein mussten. Erst über ein Jahrhundert später erscheint der δενδροφόρος, der Baumträger, auf kleinasiatischen Münzen aus Magnesia. Das Münzmotiv verrät eine Verbindung von Bäumen zum Mysterienkult der Kybele.43 Dies ist im Zuge weiterer historischer Untersuchungen zu überprüfen.
42 RIC II,12 Tit. 145–153.369.500–502.504. 43 „Ein girlandengeschmückter, von zwei Maultieren gezogener heiliger Wagen […], der kultischen Zwecken diente, begegnet uns in Ephesos (129), während der Dendrophoros, der Baumträger (118) zum Kult der Kybele und das Maultier (126) zum Kult des Dionysos gehört.“ Franke, Kleinasien, 16. Er bezieht sich auf eine Prägung aus dem Jahre 118 unter Gordian III. Auch unter Elagabal ist dieses Motiv in Magnesia a.M. geprägt worden: RPC VI 5131.
Historische Nachweise
Φοίνικες
Abb. 9: RPC II 1076
In Offb 7,9 wird eine große Schar geschildert, die in weißen Gewändern und mit Palmzweigen in der Hand vor dem Thron Gottes und dem Lamm stehen. Es handelt sich beim Palmzweig um ein bereits thematisiertes Siegessymbol.44 Anders als die Palme als Lokalzeichen ist der Palmzweig ein viel zahlreicheres numismatisches Münzmotiv sowohl der Reichs- als auch der Provinzprägung.45 Auch wenn aufgrund eines ausbleibenden Belegs in den OH keine Motivanalyse an dem Begriff vorgenommen worden ist, kann man von der Betrachtung der numismatischen Zeugnisse her sicher sagen, dass die Adressaten der Offb die Palmzweige in Offb 7,9 als Siegessymbol verstanden haben. Die Häufigkeit der Münzen, bei denen die Siegesgöttin Nike/Victoria einen Siegeskranz und einen Palmzweig übergibt, konnte gleichermaßen juden- und völkerchristlichen Adressaten nicht entgehen. Vor allem ist dieses Motiv in fünf der sieben Orte der Sendschreiben numismatisch belegt.
44 Dabei wird es nicht nur als Siegeszeichen verstanden, sondern auch als Symbol der Freude über den errungenen Triumph. Vgl. Lohse, Offenbarung, 54; Maier, Offenbarung, 364; Roloff, Offenbarung, 91. Satake, Offenbarung, 231. 45 Die Reichsmünzen zeigen die beiden Typen „Victoria bei der Siegerehrung mit Kranz und Palmzweig“ und „Adler mit Zweig im Schnabel“: RIC II,12 Dom. 115–121.203.204.271–273.297.298. 373.389.395.410.422.433.434.443.483.498.514–516.523.588–590.693.694.723.734.774.807.808. Die Provinzprägung zeigt die Siegerehrung durch Nike: RPC II 932 (Nakrasa 15); RPC II 942 (Thyatira 13); RPC II 956 (Pitane 3); RPC II 1028.1029 (Smyrna 24.15); RPC II 1056 (Nicaea Cilbianorum 6); RPC II 1076 (Ephesos 16); RPC II 1190–1194 (Rhodos 11.11.5.2.6.); RPC II 1255.1256 (Tabae 13.12); RPC II 1293 (Laodizea 17); RPC II 1337 (Philadelphia 10).
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Motivanalyse
3.4.1.4 Offb 11 Κάλαμος ὅμοιος ῥάβδῳ
Dem Visionär wird zu Beginn von Offb 11 ein Messstab zur Ausmessung des Tempels, des Altares und der Anbeter gegeben. Dieser sieht aus wie ein Stock (Offb 11,2 κάλαμος ὅμοιος ῥάβδῳ). In der Motivanalyse ist bereits angeklungen, dass ῥάβδος in der Profangräzität u. a. die Bedeutung „Zauberstab“ hat und in den OH auf den Hermesstab bezogen wird. In der Numismatik sind Stäbe sowie explizit Messstäbe zahlreich belegt. Es gibt viele Emissionen, die den Hermesstab entweder allein oder in der Hand verschiedener Gottheiten zeigen.46
Abb. 10: RPC II 1504
Auch Messinstrumente wie ein κάλαμος sind nicht selten in der Numismatik zu finden: In der Regierungszeit Domitians sind Boule und Nemesis auf zwei Emissionen zu sehen, wobei Nemesis einen Messstab hält.47 Es fällt auf, dass zahlreiche Nemesis-Abbildungen unter Trajan (und zuvor schon bei Claudius, Vespasian etc.) einen Hermesstab aufweisen, wodurch die in der Motivanalyse genannten Bedeutungen „Zauberstab“ und „Messinstrument“ numismatisch miteinander verschmelzen.48 Die Vermutung aus der Motivanalyse, dass die Adressaten beim Hören
46 Der caduceus in der Hand einer Gottheit: RIC II,12 Dom. 86.786.817. RPC II 1032.1033 (Klazomenai 6.3); RPC II 1227.1228 (Attuda 4.2), Der caduceus allein: RIC II,12 Dom. 160. RPC II 1419 (Nakoleia 19), RPC II 1504 (Koinon von Lykien 12). 47 RPC II 1319.1322 (Sardes 3.21). Ähnlich auch RPC II 1012 (Smyrna 6), wo zwei Nemeseis mit Zaumzeug und Messstab abgebildet sind. 48 Dies betrifft die Reichsprägung. Einige Beispiele sind: RIC II,12 Vesp. 1130.1180; RIC II Trajan 815.816.
Historische Nachweise
und v. a. Vergleich des Messstabs mit einem Stock an den Hermesstab in seiner Zauberfunktion gedacht haben, den darüber hinaus Nemesis als Rachegottheit verwendet, kann numismatisch gestützt werden. Ihnen wird der Bezug v. a. zu Hermes nicht entgangen sein. Die synkretistischen Gottesvorstellungen der Orphiker schlagen sich zudem auf jenen Münzemissionen nieder, die Dionysos mit Hermesfunktionen zeigen.49 Ἐλαῖαι καὶ λυχνίαι
Die zwei beauftragten Zeugen in Offb 11,4 werden metaphorisch jeweils als Ölbaum und Leuchter bezeichnet, die vor Gottes Thron stehen. Beide Begriffe sind numismatisch bezeugt. Aus der Regierungszeit Domitians ist lediglich ein Exemplar der Reichsprägung belegt, das auf dem Revers eines Dupondius einen Olivenbaum darstellt.50 Geläufiger ist ein Olivenzweig zumeist auf dem Revers der Reichs- und Provinzprägungen.51 Insbesondere im Kontext von Athene oder Minerva symbolisiert die Olivenpflanze Frieden, u. a. durch Einsatz von kämpferischen Mitteln.52 Diese allseits bekannte Grundbedeutung musste beim Hören des Wortes in Offb 11 mitgeschwungen sein. Die Propheten sind somit als Friedensbringer verstanden worden, deren Friedensangebot von der Weltbevölkerung jedoch nicht akzeptiert worden ist. Die dabei eingesetzten kämpferischen Mittel widersprechen dieser Friedenssymbolik keineswegs.53 Leuchter sind auf domitianischen Münzen nicht belegt. Lediglich ein Münztyp aus Abydos zeigt Leander und Hero mit Lampe.54
49 Es gibt viele Verehrungen ursprünglich anderer Gottheiten, die durch Dionysoskulte ersetzt oder mit solchen vermischt werden. Dies betrifft z. B. den Delphischen Apoll: „[I]n Delphi tritt der Dionysoskult mit dem Apollos in Verbindung“. Meyer, Geschichte, 677. 50 RIC II,12 Dom. 802. Immerhin wird er ans Ende der domitianischen Regierungszeit datiert. Eine weitere nicht sicher datierbare Münze zeigt einen Olivenbaum auf dem Revers sowie Minerva auf dem Avers: RIC II Anon. 9. Da es sich um eine für Domitian entscheidende Gottheit handelt, ist die Münze eventuell auch domitianisch. 51 RIC II,12 Dom. 240.241.247.252. Diese Münztypen sind im Gegensatz zu den punktuellen Olivenbaum-Münzen jeweils mehrfach belegt (bis zu 13 Münzen pro Emission). RPC II 1282.1283 (Laodizea 5.7). Die anderen Orte wie Ephesos und Pergamon prägen Olivenzweige auf ihren Münzen erst ab Hadrian oder Commodus. Es fällt auf, dass die Provinzprägung ausgerechnet Laodizea betrifft, die bei der numismatischen Betrachtung von Erdbeben eine wichtige Rolle spielt, denn zwei lokaltypische Indizien im Kontext eines einzigen Kapitels der Offb werden bei den Adressaten besondere Aufmerksamkeit erregt haben. 52 Vgl. Cuneo, armies, 119. 53 Solche Mittel stellen das verzehrende Feuer aus ihren Mündern, das Verschließen des Himmels, das Verwandeln des Wassers in Blut sowie alle anderen Plagen dar (Offb 11,5–6). 54 Die Erzählung dieser tragischen Liebesgeschichte, die auf Ovid zurückgeht, ist mit Abydos verknüpft, weshalb dieses Motiv ausschließlich bei der Lokalprägung der Stadt Abydos belegt ist. Es wird erst ab Marc Aurel verwendet, weshalb es für die Fragestellung dieser Studie irrelevant ist.
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Προφητεύω
Die zwei Zeugen sollen 3 12 Jahre prophezeien (11,3 προφητεύσουσιν ἡμέρας χιλίας διακοσίας ἑξήκοντα). Dieser Vorgang ist den Adressaten der Provinz Asia durch zahlreiche Orakelheiligtümer bekannt. Ein ganz verbreitetes Motiv des Orakelwesens ist der Dreifuß, auffällig bezeugt in Thyatira.55 In späterer Zeit wird der Dreifuß in einer Tempelarchitektur dargestellt, weshalb die Vermutung naheliegt, dass etablierte Orakelstätten vorausgesetzt worden sind.56 Da Reichs- und Provinzprägungen das Münzmotiv des Apoll mit Dreifuß gleichermaßen verwenden, muss eine weite Verbreitung der apollonischen Mantik vermutet werden: Die Adressaten der Offb werden v. a. das Delphische Orakel gekannt haben, darüber hinaus die kleinasiatischen Orakel von Didyma und Klaros.57 Beide Orte sind in geographischer Nähe zu den adressierten Gemeinden der Offb einzuordnen. Die Adressaten werden beim Hören der Prophetietätigkeit der zwei Zeugen unwillkürlich an die zeitgenössische Mantik gedacht haben. Σεισμός
In Offb 11 werden die zwei Zeugen wieder lebendig, nachdem ihre Leichname auf der Straße gelegen hatten. Sie steigen in den Himmel auf, bevor die Stadt von einem Erdbeben heimgesucht wird (11,13 ἐγένετο σεισμὸς μέγας). Diese Naturkatastrophe veranlasst zur Überlegung, ob Erdbeben in der Provinz Asia numismatisch belegt sind. Diese Überlegung rührt daher, dass es auf dem Gebiet Kleinasiens aufgrund der tektonischen Verhältnisse vermehrt zu Erdbeben kommt. Laodizea hatte nach einem schweren Beben in der Regierungszeit Neros die Stadt aus eigenen finanziellen Mitteln wieder aufgebaut, was auf ihren Reichtum hinweist.58 Während dieser Zeitspanne fällt auf, dass außer zwei Emissionen keine Stadtprägungen vorgenommen worden sind.59 Für das Lexem „Erdbeben“ gibt es somit einen nu-
55 RIC II,12 Dom. 5.6.18.37–39.73–75.102.311.312. Einige dieser Münzen führen auf dem Avers die Büste des Apoll, dem der Orakeldreifuß gehört. Zur Provinzprägung: RPC II 933 (Nakrasa 11); RPC II 941.945.949 (Thyatira 8.26.7). Einige Prägungen zeigen auf dem Revers Apoll zusammen mit Dreifuß: RPC II 1116 (Nysa 5); RPC II 1153 (Milet 6). Solche Münztypen setzen sich im 2. Jh. fort. 56 Grundsätzlich sind Orakel an Kultorte, also konkrete Heiligtümer gebunden. Vgl. Burkert, Religion, 178. 57 Insbesondere die kleinasiatischen Orakelstätten werden ihnen bekannt gewesen sein, nicht nur wegen der Nähe zu den Orten der Sendschreiben, sondern auch wegen der ansteigenden Beliebtheit in Klaros und Didyma im 1. Jh.n. Chr., als die Beliebtheit des Delphi-Orakels schwand Vgl. Johns, lamb, 58. 58 Diese Information ist epigraphisch gestützt und wird deshalb im entsprechenden Kapitel diskutiert. 59 Zwischen 60 und 79 sind überhaupt keine Münzemissionen aus Laodizea belegt, zur Zeit Vespasians sind lediglich zwei Münzprägungen erhalten. Erst mit Domitian setzt eine regelmäßige Prägung von Münzserien wieder ein. Die zwei vespasianischen Prägungen sind RPC II 1612.1613 (Laodizea Katakekaumene 18.14). Dies betrifft auch die Stadtprägungen des nahegelegenen Hierapolis mit
Historische Nachweise
mismatischen Hinweis im negativen Sinne: Das Ausbleiben von Münzprägungen ist ein Hinweis auf zerstörte Prägestätten. Die Adressaten der Offb aus Laodizea und Umkreis werden das Erdbeben aus Offb 11 womöglich auf die regelmäßigen Beben ihrer Region bezogen haben. Dieses apokalyptische Element bezieht sich in Offb 11 höchstwahrscheinlich nicht auf eine konkrete Stadt. In der Motivanalyse sind verschiedene Begründungen angeführt worden, die die Stadt einerseits als geistliche Chiffre auszeichnen, andererseits die gesamte Weltbevölkerung Zeuge der Wiederbelebung wird. Dennoch werden die Adressaten des Lykostals ihre lokale Bebentätigkeit damit in Verbindung gebracht haben. 3.4.1.5 Offb 15 Νικῶντες
Der Visionär sieht in Offb 15,2 die Sieger über das Tier, sein Standbild und die Zahl seines Namens. Eine solche Kombination ist in der Numismatik schwer zu finden. In der Regierungszeit des Domitian gibt es nur einen Münztypen, der eine Kaiserstatue zeigt, die auch ein Tier umfasst: Dabei handelt es sich um das monumentale Reiterstandbild auf RIC II,12 Dom. 797. Viel häufiger ist das Standbild des Kaisers Augustus belegt, insbesondere in Pergamon.60 Die Kombination von Tier und Standbild ist beim equus Domitiani sinnvoller, da das Augustusstandbild kein Beitier besitzt. Die Erwähnung einer Zahl bezieht sich auf Offb 13, wo als Zahlwert für das Tier 666 angegeben wird. Zahlreiche Exegeten sowie die frühchristliche Auslegung gehen von einer gematrischen Angabe aus, die jedoch unterschiedliche Möglichkeiten der Namensgenerierung eröffnet.61 Neuerdings wird dies jedoch wieder infrage gestellt und vielmehr auf die apokalyptische Zahlensymbolik bezogen.62 Angesichts der kleinasiatischen Adressatenschaft muss angenommen werden, dass beim Hören der Zahl des Namens eine gematrische Assoziation vorgenommen worden ist. Der Zahlenwert in Buchstaben ist eine kleinasiatische Erfindung.63 Die
60
61 62 63
nur drei vespasianischen Prägungen, bevor unter Trajan eine regelmäßige Prägung wieder einsetzt: RPC II 1300–1302 (Hierapolis 2.2.1). Unter Domitian gibt es lediglich drei Reichsprägungen mit stehendem Augustus: RIC II,12 854.855.918. Die Provinzprägung in der trajanischen Regierungszeit belegt hingegen mehrere Emissionen, die das Augustusstandbild in Tempelarchitektur abbilden: RPC III 1701–1703.1706.1707.1710.1717.1739 (Pergamon 12.12.11.18.2.3.32.28). Die gematrischen Deutungsversuche ergaben bisher die Namen römischer Kaiser von Nero bis Hadrian. Vgl. Öhler, Geschichte, 294; Metzner, Die Prominenten, 607. Vgl. den Kommentar von Klaiber, Offenbarung, 195. Diese brisante These stammt von Dornseiff: „Die Buchstaben waren für die Griechen zugleich die Zahlen. Das war eine griechische Erfindung, die im 8. Jahrh. von Milet ausging […]. Sämtliche phoinikischen, hebräischen, syrischen, aramäischen, arabischen usw. Inschriften kennen nur sog. natürliche Zahlzeichen (I II III INI), allenfalls Zeichen für 5 und 10, die aber auch keine Buchstaben
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Adressaten werden z. B. die gematrische Absicherung der Legende S.C. gekannt haben.64 Welche Botschaften sie von den diversen Legenden speziell der domitianischen Münzemissionen herausgelesen haben, ist im Einzelnen nicht mehr ersichtlich. Εἰκών
Es ist lohnenswert, den Sieg über das (Kult-)Bild numismatisch in den Blick zu nehmen. Sowohl die domitianische Reichsprägung als auch die kleinasiatischen Provinzprägungen zeigen eine Vielzahl an Kultbilddarstellungen auf dem Revers, insbesondere in Ephesos und Philadelphia.65
Abb. 11: RPC III 1701
sind. Die Überlieferung der hebräischen Bibel verrät Benutzung von Buchstaben für Zahlen, aber das ist offenbar spät eingedrungen.“ Dornseiff, Alphabet, 11. 64 Die Bedeutung dieser Legende ist Senatus Consultum und markiert das Recht des Senats, die Münzprägungen mit geringem Wert prägen zu lassen. S + C = 200 + 3 ergibt den Zahlenwert 203. Vgl. Figge, Abkürzung, 2. 65 Dabei sind Kultbilder entweder allein oder in einer Tempelarchitektur abgebildet. Unter Domitian ist Kybele in einer tetrastylen Tempelarchitektur zu sehen. RIC II,1² Dom. 813. Unter Claudius und dann erst wieder unter Hadrian ist zudem das Kultbild der Artemis Ephesia mit Stützen belegt. RIC I² Claud. 119; RIC II Hadr. 474 (mit Hirschen); 475a (in tetrastyler Tempelarchitektur). Dabei ist anzumerken, dass beide Kaiser diese Münze in Ephesos haben prägen lassen. Artemis Ephesia in der Provinzprägung (entweder allein oder in Tempelarchitektur): RPC II 1061.1062 (Cilbiani Superiores 3.8); 1070.1071.1072.1078.1079.1083.1085.1086.1089.1091 (Ephesos 5.17.2.3.15.2.5.3.9.30); 1244.1248 (Sebastopolis 2.5); RPC II 1334.1335 (Philadelphia 12.2); RPC II 1361 (Kadoi 18); Kultstatue des Zeus: RPC II 1363 (Aizanoi 2); RPC II 1375.1376 (Ankyra 7.3).
Historische Nachweise
Die Adressaten der Offb werden beim Hören des Sieges über das Standbild in erster Linie an den Sieg über die Artemis Ephesia gedacht haben, eventuell auch an den Sieg über Kybele oder Zeus, deren Standbilder aufgrund ihres mehrfachen Vorkommens auf Münzen einen repräsentativen Wert aufwiesen. Ναός
Bereits in Offb 11 wird das Lexem „Tempel“ thematisiert. Es bezieht sich jedoch auf einen irdischen Bau, der sich entweder konkret auf ein bestimmtes Heiligtum bezieht oder als „geistige Chiffre“ zu verstehen ist.66 In der Numismatik sind etliche Münzprägungen erhalten, die Tempelarchitekturen zeigen. An dieser Stelle interessieren solche, die zugleich eine Libationsszene darstellen. Unter Domitian sind mehrere Reichsmünzen geprägt worden, die den Kaiser selbst oder seine Angehörigen bei einer Libation zeigen.67 Ansonsten zeigen Provinzprägungen Gottheiten mit patera.68 3.4.2
Epigraphie
Die bisher herausgearbeiteten Motive werden im Anschluss an die numismatische Untermauerung epigraphisch geprüft. Dabei sind Grabinschriften von besonderem Interesse: Die Orphik weist als eine Hauptcharakteristik einen eschatologischen Grundduktus auf. Burkert fasst alle bakchischen Mysterien als „Jenseits-Religion“ zusammen.69 Dies veranlasst zu einer genaueren Betrachtung der Sepulkralfunde während der Abfassungszeit der Offb. Zur Herausstellung religiöser Verehrung in der Provinz Asia in römischer Kaiserzeit werden dennoch verschiedene Inschriften herangezogen wie Weihinschriften, Dekrete, Widmungen etc. Auch sie geben Aufschluss über die religiöse Verehrung in der kaiserzeitlichen Asia.70 Da
66 Die drei Haupttheorien sind a) die Stadt als geistige Chiffre für eine innere Haltung. Vgl. Lohse, Offenbarung, 67; Roloff, Offenbarung, 117. b) die Stadt als die gesamte Welt. Vgl. Kiddle, Revelation, 176; Mounce, Revelation, 219f. c) die Stadt als Andeutung Jerusalems. Vgl. Holtz, Offenbarung, 86; Lohse, Offenbarung, 65; Roloff, Offenbarung, 112. 67 Domitian: RIC II,12 Dom. 277.355.399.467.637. Angehörige: RIC II,1² Dom. 136.608. 68 RPC II 877 (Apollonia a.R. 8); RPC II 985 (Magnesia a.S. 6); RPC II 1021.1023 (Smyrna 41.33); RPC II 1057 (Nicaea Cilbianorum 2); RPC II 1098 (Tralles 5); RPC II 1245 (Sebastopolis 3); RPC II 1343.1344 (Sala 12.4); RPC II 1364 (Aizanoi 4); RPC II 1365.1367.1368 (Aizanoi 4.17.16). 69 Burkert, Religion, 436. Dies wird in diesem Kontext genannt, weil die Orphiker zu den bakchischen Mysterienkulten dazugerechnet werden. Vgl. Athanassakis, Hymns, XVI; Bremmer, Orpheus, 56; Kloft, Mysterienkulte, 39. Meyer sieht in der Orphik eine Weiterentwicklung der Dionysosreligion. Vgl. Meyer, Geschichte, 686; ebenso Giebel, Geheimnis, 72, die von einem „orphisch reformierten Dionysos“ spricht. 70 Grabinschriften mit Jenseitsaussagen sind zudem eher spärlich bezeugt: „Daneben muss ausdrücklich betont werden, dass die Inschriften, die jenseitsbezogene Aussagen enthalten, in weitaus ge-
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Motivanalyse
die Herstellung von Inschriften aufwendiger und weniger umfangreich ist als von Münzprägungen, wird der zu untersuchende Zeitraum weiter gefasst. Dadurch, dass die Sichtung von der klassischen bis zur kaiserzeitlichen Epoche erfolgt, kann die Kontinuität religiöser Verehrungen besser aufgezeigt werden. Aufgrund des Umfangs werden die Texte der Inschriften nur bei Bedarf wörtlich zitiert, ansonsten erfolgt eine namentliche Nennung und Aufzählung der relevantesten Inschriftenfunde aus den Orten der sieben Sendschreiben.71 3.4.2.1 Offb 4 Θρόνος
Der Begriff θρόνος taucht vermehrt auf Grab- und Kultinschriften auf.72 Dabei wird es mehrfach als Kompositum verwendet. Mit σύνθρονος wird die eschatologische Vorstellung artikuliert, dass die Verstorbenen zusammen mit den Göttern thronen. Besonders interessant ist dabei die erwähnte Ephesos-Inschrift, die das Thronen der Mysten mit Dionysos belegt. Insbesondere für die ephesischen Adressaten der Offb ist die Kenntnis orphischer Jenseitsvorstellungen wahrscheinlich gewesen. Bei der Rede vom Thron in Offb 4, insbesondere bezogen auf die Throne um den mittigen Thron Gottes, werden sie von der Orphik her ein eschatologisches Heilszeichen erkannt haben. Während die numismatischen Zeugnisse Throndarstellungen zumeist mit Zeus in Verbindung bringen, stellen die epigraphischen Zeugnisse eine größere Varietät göttlicher Thronmotive dar. Mit θρόνος wurde in der Motivanalyse in der Profangräzität z. B. der Orakelstuhl des Apoll thematisiert. In dem Grabgedicht ISmyrn 539 wird im Kontext des Thronens mit den Göttern die Freude über Dreifüße erwähnt. Dies deutet die Anwesenheit des Orakelstuhls Apolls an und untermauert somit die hypothetischen Ausführungen der Motivanalyse epigraphisch. Diese Untermauerung ergänzt auch die numismatischen Belege des Apollthrons, die in der numismatischen Untersuchung dargestellt worden sind. Das Lexem σύνθρονος, das in den OH häufig nachgewiesen wird, wird auch in der Epigraphie zu einem Kernmotiv.
ringerer Zahl vorkommen als solche Inschriften, die derartiger Reflexionen entbehren.“ Obryk, Unsterblichkeitsglaube, 3. 71 Bei der Zitation der Inschriften werden die Sonderzeichen mitzitiert, die die epigraphischen Experten in den Sammelbänden hinzugefügt haben. Das einzige eigene Zeichen ist […]. Dies wird zur Kürzung längerer Inschriften verwendet. 72 Smyrna: ISmyrn 529 σύνθρονος εὐσεβέσιν; ISmyrn 539 χρυσείοισι θρόνοισι παρήμενον ἐς φιλότητα; SEG 33,940. Ephesos: IEph 275 μύσται σύ[ν]-θρονον τῷ Διονύσῳ; SEG 28,857. Philadelphia: TAM V,3 1659. Pergamon: IvP II 497 Ἰουλίας συνθρόνου. Laodizea: CIG 3988; 3988,2.
Historische Nachweise
Ἀστραπὴ καὶ βροντή
Das Begriffspaar ist in der Motivanalyse vermehrt mit Zeus verbunden und als Theophaniezeichen interpretiert worden. Sowohl in der Profangräzität im Allgemeinen als auch in den OH im Einzelnen dominiert die wörtliche meteorologische Bedeutung. Der numismatische Befund zeigt eine durchgängige domitianische Bezeugung des Blitzmotivs entweder als alleinstehendes Symbol oder in der Hand einer Zeusdarstellung. Diese bisherigen Ausführungen können epigraphisch gestützt werden, auch wenn die Bezeugung nicht dasselbe quantitative Niveau erreicht.73 Beide Begriffe beziehen sich zumeist auf Zeus. Die Kombination von numismatischen und epigraphischen Zeugnissen verhilft zu einem komplementären historischen Befund, da die Münzfunde Blitzbündel darstellen, dafür die Inschriften Donner betonen.74 Während die Münzen v. a. den Typus des olympischen Zeus zeigen, widmen sich die Inschriften lokalen Zeus-Verehrungen, die interpretationes Graecae vorgriechischer Gottheiten andeuten. Beides zusammen stützt die Hypothese, dass v. a. die völkerchristlichen Adressaten das Begriffspaar zunächst mit Zeus assoziiert haben. Λαμπάς
Das Lexem λαμπάς ist sowohl in der Motivanalyse als auch im Kapitel über numismatische Funde eingehend betrachtet worden. Dabei wurde festgestellt, dass die zwei Hauptbedeutungen „Fackel“ und „Leuchter/Lampe“ die Begriffsgeschichte des Lexems dominieren, die Münzfunde jedoch die Bedeutung „Fackel“ untermauern. In der numismatischen Untersuchung ist die Assoziation mit Demeter und dem Mysterienkontext herausgestellt worden, der sich durch die zahlreichen Demeter-Kore-Motive der Provinzprägungen bestätigen lässt. Epigraphisch lassen sich ebenfalls Belege heranziehen, die das Lexem λαμπάς v. a. in der Bedeutung „Fackel“ bestärken.75 Dabei wird v. a. ein agonaler, kultischer oder bräutlicher Kontext
73 Als Begriffspaar in Philadelphia: TAM V,3 1659 ὅτε] βροντᾷ κὲ ἀστρά- [πτει; als Begriffspaar in Laodizea: IGR 3,245 Μηνόδ[ω]-[ρ]ος ἀρχιε[ρ]-[ε]ὺς Διὶ Βρον̣- τῶντι καὶ Ἀ- στράπτο- ντι [ε]ὐχή- ν. In Pergamon steht βροντή allein: IvP I 113 Βρο[ντέας](?) {Βρο[τέας]? Βρο[ντῖνος]? Βρό[μος]?}. 74 Dies zeigt ein Blick auf die zahlreichen phrygischen Inschriften, die Zeus Bronton erwähnen. Z. B. MAMA V R 9; AEM 7 (1883) 179,33; MAMA X 290.294.426; MAMA V 13–16.18.19.78.79.84.85.111.124–131.134–138.147.151–154.156.157.170–172.176–181.218–232; MAMA V R 3.5.9–11.14.15.21–23 etc. Diese phrygische Zeus-Verehrung mit Hauptsitz in Dorylaion und Nakoleia entfernt sich vom olympischen Zeus durch die Verbindung chthonischer und uranischer Wesenseigenschaften. Vgl. Breytenbach, Paulus, 70f; Marek, Geschichte, 633; Sahin, Zeus, 790. 75 Smyrna: ISmyrn 524 οὐ λαμπάδ’ ἧψε νυμφικήν; SEG 18,491 λαμπαδάρ- χου (…) εἰς λαμπαδαρχείαν. Ephesos: IEph 26 ἐν μὲν τοῖς δε[ίπνοις λαμ]παδουχε[ῖ]ν; SEG 15,698 mehrfache Verwendung von λαμπαδηφόρος; IEph 1138 λαμπαδάρχισσαν; IEph 1157 [—λαμπάδα τὴ]ν ἀπὸ βω-[μοῦ νικήσας ἐχα]ρίσετο; IEph 2446,2 ὑμνωδοῦ λαμπαδάρχου καὶ γυναικὸς αὐτοῦ; IEph 3068 [λ]αμπαδάρχισσαν
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Motivanalyse
vorausgesetzt. Besonders auffällig ist der häufige Beleg des Wortes λαμπάδαρχος in Ephesos, welches das Amt des Aufsehers bei Fackelläufen bezeichnet.76 Offenkundig sind zu Ehren der Artemis Ephesia solche ausgerichtet worden, wodurch die ephesischen Adressaten beim Hören der Offb mit hoher Wahrscheinlichkeit agonale Assoziationen hergestellt haben.77 In der Motivanalyse sowie dem NumismatikKapitel ist die mysterienkultische Bedeutung von Fackeln herausgestellt worden. Die ephesischen Adressaten werden auch diese Komponente erkannt haben, da für die Artemis Ephesia auch ein Mysterienkult etabliert war.78 Die pergamenischen Inschriften setzen ebenfalls einen kultischen Kontext voraus, wie die aufgezählten Inschriften beweisen. Die Grabinschriften von Smyrna beweinen unverheiratete Personen, für die vor dem Tod keine Brautfackel entzündet worden ist.79 Insgesamt stützen die Inschriften die numismatischen Zeugnisse, obgleich sie teilweise eine andere Gewichtung aufweisen. Στέφανος χρυσός
In der Motivanalyse ist der Begriff στέφανος ausführlich behandelt worden. Dabei ist die signalhafte Kombination mit der Farbe χρυσός herausgestellt worden. Im Zuge einer numismatischen Bestätigung haben sich als Hauptbedeutungen die Weihe-/Sieges-/Ehrengabe, die Magistratsbekränzung, der Kult (insbesondere die Mysterien) und das Orakelwesen herauskristallisiert. Die Epigraphie bietet ebenfalls eine Vielzahl von Kontexten: Sie stützt das Zeugnis zahlreicher Münzprägungen mit curulis und Kranz durch die Vielzahl von Inschriften mit der Amtsbezeichnung στεφανήφορος.80 Zudem wird in vielen Ehrinschriften ein (goldener) Kranz als Siegeszeichen oder Ehrengabe verliehen.81 Weitere Inschriften nennen einen Kranz
(…) λαμπαδαρχή- σασαν; SEG 34,1161 λαμπα]-δαρχίας; SEG 41,962 Λαμπὰ̣[ς] Λεοντίσκου Σελε̣υ̣-
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κεὺς; SEG 41,981 λύσει λαμπάσι πυρσοφόροις. Sardes: IGRR 4,1521 λαμπα[δηφο]-[ρία]ς. Thyatira: TAM V,2 945 λαμπαδαρχή-σαντα τῶν μεγάλων ἱερῶν Αὐγουστείων ἰσοπυθίων, δεκαπρωτεύσαντα. Pergamon: IGR 4,294 λαμπάς; MDAI.A 33 (1908) 375,1 λαμπάς; SEG 4,690 Ἑρμᾶι λαμπαδῖ. Laodizea: MAMA I 88 λαμπάδα. Vgl. Pape, Handwörterbuch II, 11. So auch schon Lehner, Agonistik, 5, der Ephesos als agonales Zentrum mit fünf gleichzeitig ausgetragenen Kranzagonen herausgestellt hat. IK Ephesos 26. Petzl übersetzt ISmyrn 524 οὐ λαμπάδ’ ἧψε νυμφικήν mit „keiner entzündete die Brautfackel“. Smyrna: ISmyrn 201.203.232.372.573II.639.654.655.697.698.730.771.772.775–777–779. Ephesos: IEph 1383.3131. Philadelphia: TAM V,3 1440.1448.1455.1463. Sardes: Sardis 7,1 21.43.93.105–110. IGRR 4,1523.1524. Thyatira: TAM V,2 931.965.969.974.976.980.992.998.1023. Pergamon: IMT Kaikos 818.819.831.922; IvP I 246. Laodizea: CIG 3942. Smyrna: ISmyrn 215.515.586.609.654.662 610. Ephesos: IEph 614c.952.1102.1390.1405.1407.1408.1411. 1415.1416.1440.1444.1448.1452.1453.1457.1466.1470.2003.2013.2070/2071.3070; SE 126,2.3. Philadelphia: TAM V,3 1894. Sardes: SEG 60,1301; Sardis 7,1 4.13.22.27; IGRR 4,1519; SEG 39,1286.
Historische Nachweise
im kultischen Kontext.82 Insgesamt fällt in diesen Inschriften auf, dass das geläufigste Kranzmaterial Gold ist. Das smyrnäische Epigramm ISmyrn 772 sticht heraus, da es den Kranz der Nike erwähnt, wodurch ein triumphaler Kontext herausgestellt wird. Die smyrnäischen Inschriften Ismyrn 639, 655, 730 und 731 belegen die Bekränzung durch einen bakchischen Mystenverein, der in Smyrna offenkundig bestanden hat.83 Die pergamenische Inschrift IvP II 374 kombiniert zudem Mysterien, Gesang und Bekränzung, was die bisherigen Ausführungen epigraphisch untermauert. Die Forschung prüft pergamenische Vereine auf Mysterienbezug, die bisher ausschließlich mit dem Kaiserkult in Verbindung gebracht worden sind.84 3.4.2.2 Offb 5 Ἀετός und λέων
Über die vier Lebewesen ist in der Motivanalyse aufgrund des Fehlens in den OH wenig ausgesagt worden, obgleich die numismatische Überprüfung eine Varietät an Münzprägungen aufweisen konnte. Dies deckt sich ebenso mit dem epigraphischen Zeugnis, wobei für die Orte der Sendschreiben nur eine Inschrift erhalten ist.85 Inschriftliche Belege aus dem gesamten kleinasiatischen Raum bestätigen, dass der Adler als Beitier des Zeus gedacht worden ist. Für den Löwen gibt es inschriftlich ebenfalls nur ein Beispiel.86 Auch wenn beide Epigramme interessante Einsichten vermitteln, ist zu beachten, dass sie keine hohe Gewichtung aufweisen. Es bleibt zu fragen, ob nicht weitere inschriftliche Belege, z. B. aus der Anth. Gr., Löwe oder Adler belegen. Die Sichtung erfolgt im späteren Kapitel über die Anth. Gr. Σφραγίς
Der nominale Begriff σφραγίς wird in Offb 5 zu einem Schlüsselbegriff und taucht in Offb 7 in verbaler Form auf. Da beide Formen zusammengehören, werden die epi-
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Thyatira: TAM V,2 903.959. Pergamon: IvP I 13.18,156.160.166.167.223.246; IvP II 252.256.459.535; IMT Kaikos 819.830; OGIS 764; IGR 4,292.293.295. Laodizea: MAMA VI 5. Smyrna: ISmyrn 598.731. Sardes: SEG 39,1291. Pergamon: IvP II 374. Vgl. Merkelbach, Hirten, 25, v. a. 29. Einen solchen Versuch unternahmen jüngst z. B. Eckhardt/Lepke, Mystai, 57. Aber auch Nilsson, Geschichte, 379 hat dies bereits thematisiert, indem er auf die Hymnoden des Dionysos Breiseus in Smyrna und die Demetermysten in Pergamon eingeht. ISmyrn 753 καὶ βωμὸς μαρμάρινος ἔχων ἀετὸν ἐν ἑαυτῷ Διός. Diese Inschrift belegt im Übrigen die Nähe der beiden Gottheiten Apoll und Helios, die in den OH durch die Verwendung derselben Epitheta aufgefallen ist: Sie dokumentiert die Gründung der religiösen Verehrung von Helios Apoll Kisauloddenos durch einen gewissen Apollonios Sparos. Vgl. Schnabel, Mission, 798. IK Laodikeia 69 [αἴθων ἐσ]χ̣ώρησε λέων μέγας, [ὃν πεφύλαξο]. Bemerkenswert ist, dass wenig später die Große Mutter genannt wird: δϛϛ[ϛγʹ κεʹ Μητρὸς Θεῶν]. Dabei handelt es sich um die phrygische Kybele, für die der Löwe das Beitier darstellt.
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Motivanalyse
graphischen Ausführungen im Gegensatz zur Motivanalyse gemeinsam betrachtet. Für das Verb ist u. a. die Bedeutung „bestätigen“ semantisch herausgestellt worden. Dies wird auch epigraphisch gestützt.87 Auch der Siegelabdruck ist inschriftlich belegt.88 Die wörtliche Bedeutung sowie die Metapher für einen Beschluss, die in der Profangräzität literarisch gut bezeugt sind, können auch epigraphisch nachgewiesen werden.89 Die Bedeutung „verschließen“ ist in einer pergamenischen Inschrift nachzulesen.90 Insgesamt können die semantischen Ausführungen, in denen für den Siegelbegriff eine Bandbreite von Bedeutungsfeldern herausgestellt worden ist, epigraphisch nachempfunden werden. Auch der inschriftliche Bestand zeigt eine Varietät an Bedeutungen, wobei für die Bedeutung „Siegelabdruck“ die meisten Beispiele erhalten sind. Κιθάρα
Die kithara ist in der Motivanalyse ausführlich zur Sprache gekommen und wurde sowohl in der Profangräzität im Allgemeinen als auch in den OH im Einzelnen hauptsächlich auf Apoll bezogen. Die Sichtung des numismatischen Bestands hat bestätigt, dass die Adressaten der Offb mindestens die kultische Dimension dieses Musikinstruments erfasst, wenn nicht sogar Apoll zugeschrieben haben. Die kultische Dimension des kithara-Spielens kann auch epigraphisch nachgewiesen werden, vornehmlich auf Ehrinschriften von Siegern bei Agonen.91 Der Bezug zu Apoll kommt nicht zum Ausdruck. Φιάλη
In Offb 5 tragen die 24 Ältesten und vier Lebewesen nicht nur jeweils eine kithara, sondern sind auch mit goldenen Schalen voll Räucherwerk ausgestattet. Dieses Lexem fehlt zwar in den OH, ist dafür aber numismatisch ausführlich behandelt worden. Zahlreiche Gottheiten werden auf Münzen mit patera dargestellt, der römischen Variante der phiale. Die epigraphischen Zeugnisse ergänzen den umfangreichen numismatischen Befund. Auch sie belegen die Opferutensilie in den Händen
87 Smyrna: ISmyrn 573I+II. Es handelt sich um ein Dekret über die Sympoliteia der Stadt mit Magnesia, das gemeinsam unterzeichnet worden ist. Ein weiteres Beispiel ist ISmyrn 597 ἐσφραγίσθη ἐν Ῥώμῃ. 88 Smyrna: ISmyrn 212.229.236b.238b. Ephesos: SEG 33,920.958; IEph 2218; IEph 1650.1655b.2568; SE 2663,14. Pergamon: IvP III 146; IGR 4,513. 89 Ephesos: SEG 36,1027 (wörtlich); SEG 26,1238 (durch Beschluss). Sardes: SEG,1396[1]; IGRR 4,1756 (wörtlich). Philadelphia: TAM V,3 1422 (wörtlich); SEG 32,1220 (wörtlich). 90 IvP I 13 (ungeöffnete Briefe). 91 ISmyrn 659 (agonaler Kontext). Ephesos: IEph 1106 κιθαρῳδός; SEG 33,886; IEph 1148. Sardes: Sardis 7,1 3. Pergamon: CIG 6829.
Historische Nachweise
von Gottheiten92 oder zumindest als kultisches Instrument in Heiligtümern.93 Einige Inschriften berichten von Weihungen der phiale an bestimmte Gottheiten.94 Insgesamt bestätigen die epigraphischen Zeugnisse, dass die Adressaten der Offb das Lexem als kultisches Instrument verstanden haben. 3.4.2.3 Offb 7 Δένδρον
In der Motivanalyse ist in der Untersuchung der Profanliteratur der Schwerpunkt einer wörtlichen Bedeutung herausgestellt worden. Ebenso ist angeklungen, dass Bäume im paganen Kontext mit Gottheiten symbolisch verbunden und deshalb zu kultischen Orten geworden sind. Die Numismatik hat die Signalhaftigkeit von „Baum“ bestätigt: Unter den Flaviern ist die Palme zum Lokalsymbol Judäas geworden, das im Jüdischen Krieg 66 n. Chr. besiegt worden ist. Relevanter ist das δενδροφόρος-Motiv auf kleinasiatischen Münzen von Magnesia, das eine Affinität von Bäumen zu Kybele bzw. Attis erkennen lässt. Die Epigraphie bietet Beispiele für das wörtliche Verständnis von Bäumen als Pflanzen95 sowie für das sakrale Verständnis von Bäumen: Sie dürfen nicht umgehauen werden, wenn sie Teil eines heiligen Bezirks sind, und werden zum Ort der Anbetung.96 Gerade Smyrna wird ab der klassischen Zeit zum Verehrungsort der Kybele und des Attis, wodurch der Baumkult smyrnäischer Inschriften eine konkrete Zuschreibung erfährt. Ἄνεμος
In Offb 7 halten die vier Engel an den Weltecken die vier Winde zurück. Im paganen Kontext wird die Gottheit Boreas mit Winden in Verbindung gebracht. Die inschriftliche Untersuchung führt nach Pergamon, wo z. B. eine Inschrift auf einem Altar im Demeterheiligtum die Verehrung von Winden belegt.97 Auch das Asklepieion weist eine Inschrift mit zweimaliger Nennung von Winden auf.98 In den OH sind drei ὕμνοι belegt, die an Winde gerichtet sind (OH 80–82). Aus Phil-
92 IEph 27b ὁ[μοίως καὶ ἄλλη Ἄρτεμις ἀργυρέα λαμπαδηφόρος, ἔχου]-[σα] φιάλην. 93 IEph 1 ἐγένοντο δὲ ἐκ ττούτο [—]εν η ἡμιμν[ῆ]ιον τῆς φιάλης (Inventar von Tempelschätzen). Pergamon: IMT Kaikos 934 ἀρχ]ιερεὺς τοῦ Ταρσηνοῦ [Ἀπόλλωνος] (…) ἀνατέ]θεικεν φιάλ[ην]. 94 IEph 1213 Ἴσιδι καὶ Σαράπιδι φιάλην. 95 IEph 2101 Λέσβωι ἐν εὐδένδρωι. 96 ISmyrn 736 μηδὲ δένδρα] ἐ̣κ̣κόπτ̣ε̣ι̣ν̣ μ̣η̣δ̣ὲ̣ καταβόσκειν τὰ καθωσι[ωμένα πλέθρα —]; ISmyrn 522b ἐγ δένδρου προπεσὼν̣ σφόνδυλον ἐξεράγη. Diese Grabinschrift beschreibt den Tod bei der Anbetung eines Baums und belegt zugleich einen Baumkult in Smyrna. 97 MDAI.A 35 (1910) 454,39 θεοῖς ἀγν̣[ώστοις] Καπίτω̣[ν] δᾳδοῦχο[ς̣]. [τοῖς] [Ἀ]ν̣έμοις Κασίγνητος ἐπιβώμιος.
98 IvP III 145. Sie wird in den Zeitraum 176–181 n. Chr. datiert.
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adelphia ist eine Inschrift erhalten, die an dieselben drei Windgötter gerichtet ist.99 Der pagane Kontext zeigt somit eine recht positive Konnotation von Winden. Die Adressaten der Offb werden einen deutlichen Kontrast zwischen den Winden in Offb 7, den paganen Vorstellungen der OH und der epigraphisch belegten religiösen Verehrung erkannt haben. Sie werden zudem begriffen haben, dass diese so hochverehrten Winde durch den einen Gott der Offb kontrolliert werden, der die vier Engel anleitet. Gott kann die Winde auch gegen jene verwenden, die sie als Götter verehren. Πηγὰς ὑδάτων
In Offb 7 wird den Adressaten der Offb die Zusage gemacht, dass das Lamm diejenigen aus der großen Bedrängnis zu den Quellen lebendigen Wassers führen wird. Für den Begriff der πηγή sind in der Motivanalyse die beiden Hauptbedeutungen „fließendes Wasser“ und „Quelle“ herausgestellt worden. Insbesondere die zweite Bedeutung ist inschriftlich fassbar.100 Für die Bewohner der Stadt Sardes, die im Zuge des schweren Erdbebens von 17 n. Chr. am meisten beschädigt worden ist, wird dies eine Überbietung des Wiederaufbaus durch den Kaiser Tiberius dargestellt haben: Das Wasser, das in Offb 7 versprochen wird, ist kein herkömmliches, sondern lebendiges Wasser (Offb 7,17 ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων).101 Auch die smyrnäischen Adressaten werden gestaunt haben: Im Gegensatz zu ihrem Aquädukt, dessen Wasser Zeus zugeführt wird, sind der Gott der Offb und sein Lamm diejenigen, die zu dem Wasser führen.102 Wie in der Motivanalyse festgestellt ist Gott selbst die Wasserquelle. Die Epheser werden hier auch eine Steigerung gesehen haben: Sie werden ans Wasser geführt, das ihnen nicht streitig gemacht wird. Sie brauchen keine Edik-
99 TAM V,3 1665 Ἀφηλιώτης Βορέας Νότος [Ζέφυρος]. Die vier Worte sind auf die vier Seiten der Marmorbasis verteilt. 100 Sardes: IGRR 4,1505 bezeugt die Zuführung von Quellwasser in die Stadt: ὕδωρ ἀπὸ πηγῆς π̣[ρὸς τὴν Σαρδιανῶν πόλιν διήγαγεν. Smyrna: ISmyrn 680 bezeugt den Bau eines Aquädukts, dessen Wasser zum Tempel des Zeus Akraios geleitet wird: ἐκ τοῦ εἰσαχθέντος ὕδατος ἐπὶ τὸν Δία τὸν Ἀκραῖον; ISmyrn 681 bezeugt die Reparatur eben jenes Aquädukts dreißig Jahre später: Τραιανοῦ ὕδατος ἀποκα- τασταθέντος ὑπὸ Βαιβίου Τούλλου ἀνθυπάτου. Ephesos: IEph 3217a Prokonsul Aulus Vicirius Martialis schützt mit diesem Edikt die Wasserversorgung der Stadt; IEph 3217b. Der Schutz der Wasserversorgung in Ephesos wird bekräftigt; IEph 695. Der dort verwendete Begriff ὑδρεγδοχῖον stellt ein Synonym zu νυμφαῖον dar. Vgl. Halfmann, Éphèse, 45. Laodizea: MAMA VII 11 εἰσ-αγωγῆς ὕδ̣ατος του ἐπὶ τὸ ἐν τῆ ἀγορᾶ νύμ-φαι[ο]ν. Die Zufuhr von Wasser ist ins bereits bestehende Nymphaion geleitet worden. Diese Inschrift wirft Probleme auf, da nicht sicher ist, ob zuvor kein Anschluss an die Wasserleitung bestanden hat oder ob mit der Inschrift die Restaurierung eines solchen geehrt worden ist. Vgl. Habermann, Wasserversorgung, 115. 101 Vgl. Cramme, Bedeutung, 249f. 102 Dass die Inschrift auf ein Heiligtum des Zeus Akraios hindeutet, behauptet auch Burrell, Neokoroi, 45.
Historische Nachweise
te mehr, in denen ein Prokonsul ihre Wasserversorgung schützt.103 Im Anschluss an die menschlichen Anstrengungen bei der Errichtung von Wasserbauten wurden diese der Artemis von Ephesos geweiht.104 Für die Adressaten aus Ephesos wird beim Hören von Offb 7 aufgegangen sein, dass Gott und das Lamm selbst Anstrengungen unternehmen, sodass diejenigen aus der großen Trübsal getränkt werden können. Durch die zahlreichen Bauinschriften, die Wasserbauten belegen, können relativ präzise Aussagen über die Assoziationen der Adressaten beim Hören von Offb 7 gemacht werden. In der Motivanalyse wurde die abschließende These formuliert, dass die Adressaten Offb 7,17 so verstanden haben, dass Gott die Lebensquelle selbst ist. Dagegen zeigen die epigraphischen Zeugnisse mit der paganen Bauweise einen Gegensatz auf, weil die paganen Gottheiten und ihre Heiligtümer nicht die Quelle selbst, sondern das Ziel des von der Quelle wegfließenden Wassers darstellen. 3.4.2.4 Offb 11 Κάλαμος und ῥάβδος
Die beiden Begriffe zur Beschreibung des Messutensils, das dem Visionär zu Beginn von Offb 11 überreicht wird, wurden in der Motivanalyse untersucht, wobei die profanliterarische Zusammenfassung sich v. a. auf ῥάβδος bezog. Die festgestellten Hauptbedeutungen sind „Hirtenstab“, „Messstab“ und „Herrscherstab“. Die Numismatik hat v. a. den „Hirtenstab“ des Hermes in seiner Zauberfunktion bestätigt. Ergänzt man die epigraphischen Zeugnisse, fällt auf, dass nicht nur das Lexem ῥάβδος das letztgenannte Sem aufweist, sondern auch gerade der zweite Begriff κάλαμος: Die Inschrift ISmyrn 728, die eine lex sacra zum Kult der Orphiker und des Dionysos vermittelt, spricht davon, dass am Tag der Opferungen keine Rasselgeräusche mit einem κάλαμος vorgenommen werden dürfen.105 Diese Inschrift belegt einerseits den Kult des Dionysos Bromios in Smyrna, andererseits die orphischdionysische Dimension von κάλαμος. Dies erhärtet zudem folgende Beobachtung in den numismatischen Funden: Dionysos erhält Attribute, die ursprünglich mit Hermes in Verbindung gebracht werden. Für die Adressaten der Offb bedeutet dies also, dass sie beim Hören von ἐδόθη μοι κάλαμος ὅμοιος ῥάβδῳ in Offb 11,1 nicht nur vermutlich, sondern ziemlich sicher an den dionysischen κάλαμος gedacht haben, der im Kult zum Einsatz gekommen ist. Auch die kultische Dimension des
103 Zu dem größeren Zusammenhang des Konflikts vgl. Tilborg, John, 108. 104 IEph 414 ρτέμιδι Ἐφεσίᾳ [καὶ Αὐτο]κράτορι Καί[σαρι —] σὺν τῇ εἰσαγωγῇ [τοῦ Μαρν]αντιανοῦ ὕδ[ατος —] [— ε]ἰσαγ̣ω̣[—]. Gerade in domitianischer Zeit sind Wasserbauten der Artemis sowie dem Kaiser gewidmet worden. Vgl. Horster, Bauinschriften, 104; IEph 414–417. 105 Denn es heißt καὶ καλάμοισι κροτεῖν οὐ θέσ̣[μιον εἶναι —] ἤμασιν. Dass das Rasseln Bestandteil dionysischer Riten war, belegt Nonn. Dion. XVI 402.
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Motivanalyse
Begriffs ῥάβδος kann inschriftlich nachgewiesen werden: In Ephesos ist das Amt des ῥαβδοῦχος belegt.106 In Sardes ist die Konnotation „Herrscherstab“ nachweisbar, da es das lateinische fascis als Attribut römischer Magistrate umschreibt.107 In Pergamon sind epigraphisch unblutige Opfer für Zeus Apotropaios und weiteren Gottheiten belegt, die u. a. aus geflochtenen Opferkuchen bestanden haben.108 Hier wird zwar ein wörtliches Verständnis vorausgesetzt, jedoch in einen kultischen Rahmen eingebettet. Fasst man die epigraphischen Zeugnisse der sieben Sendschreibenorte für beide Begriffe zusammen, zeigt sich eine gleichmäßig verteilte Bestätigung der numismatischen Ergebnisse. Θηρίον
Der Diminutiv θηρίον ist in der Motivanalyse zur Sprache gekommen, wobei dort bereits auf das Ausbleiben der Diminutivform in der Profangräzität hingewiesen worden ist. Die Konnotation ist jeweils ein gefährliches Wesen oder wildes Tier, das nicht zwingend den zoologischen Vorgaben unterliegen muss. Die Numismatik zeigt viele wilde Tiere wie Panther oder Löwen. Letztere sind v. a. im Kontext von Kybele und Herakles thematisiert worden. In der Epigraphie sind weniger Beispiele zu finden: Die meisten Zeugnisse beziehen sich auf römische Tierhetzen oder Agone mit Jagdwettbewerb.109 Die hier verwendete Bedeutung von θήρ ist „wildes Tier“ und deckt sich mit der Profangräzität. Bemerkenswert ist jedoch eine weitere Inschrift, die den Meterkult in Smyrna belegt und die jagende Handlung der großen Muttergottheit mithilfe des Verbs θηρεύω ausdrückt.110 Auch die OH bezeugen wilde Tiere im Kontext diverser Gottheiten.111 Die betroffenen ὕμνοι zeigen einen Zusammenhang von Tieren mit Rhea, Hekate und der Göttermutter, was sich jeweils aus der verarbeiteten Tradition der Verehrung einer vorgriechischen Muttergottheit ergibt.112 Wie bisherige Inschriften zu anderen Begriffen gezeigt haben, ist die Verehrung der Kybele für Smyrna gesichert. Die Adressaten dieser Stadt werden mit dem θηρίον in der Offb womöglich einen Bezug zu den Löwen der Kybele hergestellt haben, wenn sie nicht an die venationes gedacht haben. 106 107 108 109 110 111
IEph 734 Βᾶσσος [ῥαβ]δοῦχος. SEG 39,1290 καὶ ῥάβδων ἠλευθ[έ]-[ρ]ωσε̣ (…) ἀντάρχοντας. Vgl. Petzl, Sardis, 4–6. IvP III 161a+b πόπανον ῥαβδωτὸν ἐννεόμφαλον. Smyrna: ISmyrn 837; ISmyrn 838. Pergamon: MDAI.A 33 (1908) 409,42; CIG 3559. ISmyrn 743 αὐτὸν θηρεύσαν-τα Εὐχρωτίῳ τόνδε λα-γωόν. Besonders hervorzuheben sind an dieser Stelle die wilden Tiere im Kontext weiblicher Gottheiten, die sich durch zahlreiche Epitheta ausdrücken wie θηρόβρομος und ταυροπόλον in OH 1 an Hekate und ταυροφόνων in OH 14 an Rhea sowie ταυροφόνων […] ἅρμα λεόντων in OH 27 an die Göttermutter. 112 Es handelt sich bei Hekate und Rhea um die interpretatio Graeca der großen Muttergottheit. Die darauf hinweisenden „unüblichen“ Wesenseigenschaften der Rhea sind in der formalen Analyse dieser Studie herausgestellt worden.
Historische Nachweise
Σεισμός
In der Offb wird ein Erdbeben geschildert, als die zwei Zeugen in den Himmel auffahren. Erdbeben sind inschriftlich belegt und nehmen z. B. auf das besonders schwere Beben von 17 n. Chr. Bezug.113 Die Adressaten der Offb kannten das zerstörerische Potenzial der Erdbeben, die die Asia regelmäßig heimgesucht haben. Umso tröstlicher wird für sie die Schilderung in Offb 11 gewesen sein, in der die zwei Zeugen dem Beben entkommen, da sie in den Himmel auffahren. Dieser wird für die Adressaten als Ort beschrieben, an dem man vor Beben geschützt ist. Auch wenn diverse Inschriften die großzügigen Gesten des kaiserzeitlichen Euergetismus bezeugen, da Kaiser und wohlhabende Personen beim Wiederaufbau der zerstörten Städte geholfen haben, können sie kein zukünftiges Beben vermeiden. Der vollkommene Schutz ist den Adressaten bei Gott sicher. 3.4.2.5 Offb 15 Θυμός
In der Motivanalyse ist der θυμός als sehr vielseitiger Begriff herausgestellt worden. Gerade im paganen Kontext wird er als Zorn, Mut, Wille, Herz oder Seele übersetzt und in Form von Komposita in diesen Bedeutungen bei den OH fortgesetzt. Die Untersuchung des Begriffs schloss mit der Hypothese, dass die Adressaten die willentlich gesteuerte Reaktion Gottes auf die irdische Ungerechtigkeit und seine solidarische Verbundenheit mit ihnen verstanden haben. Zudem haben sie ein Gegenkonzept zum affektiven und launischen Verhalten paganer Gottheiten erkannt. Die Mehrschichtigkeit des Begriffs zeigt sich auch in den Inschriften: Der θυμός betrifft wie in der Profangräzität den Willen,114 aber auch Physisches wie die
113 Wie bereits erwähnt hat es Sardes besonders schwer getroffen, doch wird in SEG 28,928 ausgesagt, dass es dank Sokrates Pardalas und Julia Lydia im selben Jahr bereits Restaurierungen gab: Σωκράτης Πολεμαίου Παρδαλᾶς τὸν ναὸν κατε- σκεύασεν καὶ τὴν Ἥραν ἀνέ- θηκεν {vac.} Ἰουλία Λυδία ἡ ὑωνὴ αὐτοῦ μετὰ τὸν σεισμὸν ἐπεσκεύασεν. Auf ein späteres Beben nimmt folgende
Inschrift aus Thyatira Bezug, die die Zerstörung und Wiederherstellung einer Statue nebst Gestell thematisiert. TAM V,2 974 καὶ μετὰ ταῦτα ὑπὸ σεισμοῦ συντριβέντος τοῦ βωμοῦ καὶ ἀνδριάντος Ἰουλία Σευηρίνα{ς} Στρατο- νείκη ἔγγονος αὐτοῦ κατασκευάσασα τόν τε βωμὸν καὶ ἐπισκευάσασα τὸν ἀνδριάντα ἐκ τῶν ἰδίων ἀνέθηκεν. 114 ISmyrn 573I–III. Ephesos: IEph 8,0–19;21I,27c.728.1064.1390.1408.1409a.1411.1419.1421.1422. 1424–1427.1428.1431.1433–1435–1437.1443.1449.1450.1453.1454.1456.1457.1459.1460.1462.1463. 1465.1467.2003.2010.3057; SEG 33,932II.IV.V; SEG 37,881. Philadelphia: TAM V,3 1915. Sardes: SEG 60,1301; SEG 39,1284; Sardis 7,1 4.7.20.87.199. Thyatira: TAM V,2 942. Pergamon: IvP I 13.18.245; IvP II 276; IvP III 34; IMT Kaikos 830; IMT Kaikos 850; MDAI.A 27 (1902) 45,67(I); MDAI.A 32 (1907) 243,4.257,8; MDAI.A 35 (1910) 401,1.407,2. Laodizea: IK Laodikeia a.L. 4.
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Motivanalyse
Luft.115 Eine Besonderheit bietet die Inschrift ISmyrn 753: Sie belegt Räuchergefäße im Zusammenhang der Verehrung des Apoll Kisauloddenos. Durch die Verwendung des Begriffs θυμιατήριον wird ersichtlich, dass der Verfasser in Offb 15 ein indirektes Wortspiel vornimmt.116 In Offb 15 selbst wird der Inhalt der Schalen als Zorn Gottes bezeichnet. Während der weitere Verlauf der Erzählung diesen als Flüssigkeit beschreibt, bleibt dies in Offb 15 noch offen. Vielmehr heißt es dort, dass der Tempel Gottes sich mit Rauch füllt. Rauchopfer werden zudem in Offb 5 als Gebet der Heiligen beschrieben, wodurch Gottes Zorn und der Rauch der Heiligen verknüpft werden. Erst die Kombination von Offb 5 und 15 lässt das Wortspiel deutlich hervortreten.117 Auch wenn keine semantische Verwandtschaft der beiden Begriffe vorliegt, versteht der Adressat der Offb den Zusammenhang so, dass Gottes Zorn die Antwort auf die Gebete der Heiligen ist. 3.4.2.6 Religiöse Verehrungen in den Orten der Sendschreiben
Bisher sind Lexeme der Offb zum Anlass genommen worden, inschriftliche Zeugnisse heranzuziehen. Da es in dieser Studie über die Offb hinaus um die OH geht, die eine Reihe paganer Kulte und Philosophien verarbeiten, ist eine inschriftliche Prüfung gezielter Verehrungen sinnvoll. Die inschriftliche Bekundung religiöser Verehrung soll hinsichtlich der zentralen Fragestellung auf die Orte der sieben Sendschreiben eingegrenzt werden, wobei die Epigraphie in ihrer Unvollständigkeit kein repräsentatives Bild des religiösen Milieus zeichnen kann. Erst der Bezug zu den numismatischen Funden sowie den sich anschließenden archäologischen Betrachtungen kann ein nahezu realistisches Mosaik entwerfen. Verehrung vorgriechischer Muttergottheiten
Die inschriftliche Untersuchung des θηρίον hat gezeigt, dass die Adressaten womöglich an einen Kybelekult/Meterkult gedacht haben, der charakteristisch für den
115 Ephesos: SEG 28,866 ἐπιθυμιᾶν τὸν λιβα-νωτὸν καὶ τὰ ἱερατικὰ ἀρώματα. 116 Zugegebenermaßen wird in Offb 15 nicht der Begriff θυμίαμα verwendet, sondern καπνός. Deshalb ist es nur indirekt gegeben. Es gibt auch für Ephesos ähnliche Belege, die bei den ephesischen Adressaten das Wortspiel erzeugt haben könnten: IEph 1024 ἐπὶ θυμι- άτρου; 1047 [— ἐπὶ θ]υμιάτρου; außerdem IEph 1004–1023.1025.1027–1045.1076.1252.1342.1343. Pergamon: IMT Kaikos 818 ἐπιθυμιᾶ[ν τὸν λιβ]ανωτóν. 117 Das liegt daran, dass sowohl in Offb 5 als auch in 15 Opferschalen mit bestimmtem Inhalt beschrieben werden. In Offb 5,8 wird der Inhalt als Räucherwerk geschildert (γεμούσας θυμιαμάτων), in Offb 15 dagegen als Zorn Gottes (γεμούσας τοῦ θυμοῦ τοῦ θεοῦ). Die Ähnlichkeit der Begriffe fällt insbesondere beim Hören auf.
Historische Nachweise
kleinasiatischen Synkretismus ist.118 Auch für die OH ist die Absorption verschiedenster Meter-Verehrungen bezeichnend. Im Folgenden sollen die relevantesten Verehrungen in den Orten der Offb zusammengefasst werden, um den gemeinsamen religiösen Kontext der Offb und der OH epigraphisch zu konkretisieren. In Smyrna lässt sich inschriftlich die Meter Theon Smyrnaike sowie Meter Theon Sipylene nachweisen.119 Auch Demeter Thesmoforos ist belegt.120 Zudem sind Verehrungen von Artemis Ephesia etc. zu nennen.121 Aus Ephesos ist v. a. die Früchte tragende Demeter bekannt,122 aber auch Demeter-Kore (Sopolis), Kore und Demeter Thesmoforos, deren mysterienkultische Relevanz für diese Studie besonders wichtig ist.123 Einige Inschriften belegen zudem die Meter (Oreie oder Phrygie).124 Ganz elementar ist schließlich der Artemiskult in Ephesos.125 Für
118 Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen dem kleinasiatischen Meterkult und der Demeter durch chthonische Wesenseigenschaften. Deshalb sollen auch Demeter-Verehrungen inschriftlich nachgewiesen werden. Vgl. Burkert, Mysterien, 69. 119 Meter Theon Smyrnaike: ISmyrn 641.743; Meter Theon Sipylene: ISmyrn 227.232.235.239.244.248. 253.255.256.258–260.272. 120 ISmyrn 655.727 (Inschrift vom Synodos der Mysten der Megale Thea). 121 Es bestehen Diskussionen, die den Ursprung der Artemis Ephesia in den vorgriechischen Meterkulten suchen. Vgl. Elliger, Ephesos, 93; Letzner, Kulturführer, 20. Auch die Naturverbundenheit der Artemis rückt sie in die Nähe der Meter-Verehrungen. Vgl. Simon, Götter, 147f; Teichmann, Mysterien, 83–85.108. Inschriften zur Artemis Ephesia in Smyrna: ISmyrn 724; Artemis Sebaste: ISmyrn 749. 122 SEG 28,866 Δήμητρος Καρ-ποφόρου; IEph 4337 τῆς Σεβαστῆς Δήμητρος Καρπο- φόρου; IEph 213 ist besonders wichtig, weil es einen dazugehörigen Mysterienkult belegt: μυστήρια καὶ θυσίαι, κύριε, καθ’ ἕκαστον ἐνιαυτὸν ἐπιτελοῦνται ἐν Ἐφέσῳ Δήμητρι Καρποφόρῳ καὶ Θεσμοφόρῳ; IEph 1210 erwähnt neben der Gottheit auch ein Demeterheiligtum: τὸν τῆς Δήμητρος ναόν. 123 IEph 1077 [Δήμητρος Κόρης καὶ Σωπόλεως; IEph 1072 erwähnt gleich mehrere Gottheiten, darunter Hestia, Demeter und Demeter-Kore: εὐχαριστοῦμεν Ἑστίᾳ Βουλαίᾳ καὶ Πυρὶ ἀφθάρτῳ καὶ Δήμητρι καὶ Δήμητρος Κόρῃ καὶ Ἀπολ- λωνι Κλαρίῳ καὶ θεῷ Κινναίῳ καὶ πᾶσιν τοῖς θεοῖς; ferner IEph 1060.1067.1070a.1071.1236; FiE IX,1. 124 IEph 107–109.1216.1218.1220.1221.1224. IEph 1225 ist besonders bemerkenswert, da diese Widmung durch die Artemisia geschieht. Ausgehend davon ist nach einem Zusammenhang zwischen der Artemis Ephesia und der Meter in ihren lokalen Ausformungen zu fragen: Ἀρτεμισία Μητ[ρὶ Φρυγίαι?.]; 1576 ist ebenso aufschlussreich für die synkretistische Mehrschichtigkeit des Meterkultes, da sie auf einem Relief der Rhea gefunden worden ist und OH 27 inschriftlich stützt: Βότιλλα Μητρὶ Φρυγίῃ; 1217 Ε.ν̣.ς Μη- τρὶ Φρυγίῃ πατροί[ῃ.]. 125 Artemis Ephesia und ihr Heiligtum: IEph 17.18.24a–c.26–31.33–35.36a–d.212.221.264b. 273.274.276.291. 300a.304.411.413,1.413,2.414.418.421.422.424.425a.429–431.438.441.443.460.467. 469.470.487.492a.505,1.505,2.508.509.517.566,1.586.614a–c.617.624.634.647.661.663.666a.669.678. 683a.710b.711.712b.716.724.731.740.814.842.857.858.892.894.897.930.938.940.941.943.963.980.983. 986.982.985.987–990.994.1026.1042.1064.1068.1078.1088.1124.1139.1145.1152.1157.1204.1205. 1265.1266.1351.1382–1384.1387.1390.1398.1406.1408–1410.1411.1413.1438.1441.1443.1447–1449. 1450–1455.1464–1467.1471.1490b.1500.1503.1512.1519a.1520.1523.1524.1539.1556.1579a.1580–
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Philadelphia ist die Verehrung der Meter Philie bzw. Meter Ollie126 sowie der Meter Anaitis, Meter Leto, Meter Matyene, Meter Silindene belegt.127 Schließlich sind in Philadelphia Artemis-Verehrungen nachweisbar.128 In Sardes sind Inschriften mit Erwähnungen der Meter Theon, der Artemis Ephesia, Sardiane und Anaitis gefunden worden,129 die Meter und Artemis ebenso in Thyatira.130 In Pergamon sind Demeter-Kore131 und die Meter Theon epigraphisch bezeugt.132 Wie in Ephesos gibt es zudem Epigramme mit dem Namen der Früchte tragenden Demeter.133 Einmalig ist die inschriftliche Bezeugung des Gottesnamens Kybele in Kombination mit Rhea, die als interpretatio Graeca die verschiedenen Meter-Verehrungen übernimmt.134 Schließlich sind diverse Artemis-Verehrungen in Pergamon belegt.135 Die Inschriften aus Laodizea weisen schließlich Meter Theon und Meter Silandene nach.136 Diese zahlreichen Funde stützen die umfangreiche numismatische Bezeugung der Meter/Kybele: Die Reichsprägungen zeigen u. a. ein Kybele-Heiligtum,
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1582a+b.1586a.1589a.1590a+b.1598.1602.1606.1608a.1655b.1721.1812.1869.1904,3.1908,1+3. 1910,2.1912.1912,2.1914.1914,2.1951.2004.2005.2008.2026.2034.2035.2037.2040.2047.2113.2495. 2915.2928.3000,1+2.3003–3005.3008.3030.3059.3061.3072.3080.3092.3111.3510.3512.4327.4328. 4336.4343. SEG 34,1093.1103.1106.1107.1121.1124.1170. Sie wird in diesen zahlreichen Epigrammen oft als Soteira, Megiste Thea und Epiphanestate umschrieben, was sie in die Nähe der Meter-Verehrungen rückt. Besonders eindrücklich wird die Nähe zu Meter Theos in IEph 1225 herausgestellt: Ἀρτεμισία Μητ[ρὶ Φρυγίαι?.]. Lampadephoros: IEph 27b. SEG 49,1632.1634.1635; TAM V,3 1559.1569.1561.1563.1564.1566.1568.1576.1577–1579.1584.1587. 1589.1598.1605.1614–1620. SEG 35,1231; SEG 35,1222; SEG 35,1176.1177.1180.1181.1185.1193–1195. 1197.1200.1201.1204.1215. TAM V,3 1547–1549.1551.1554.1555. TAM V,3 1556 ist ein Beleg für Meter Leto und interessant für die orphischen Jenseitsvorstellungen, die auch in den OH zum Ausdruck kommen; ferner TAM V,3 1626–1628. TAM V,3 1784.1490.1836.1849.1913. Artemis Anaitis: TAM V,3 1550. Das Epitheton Anaitis ist auch für Meter Theon belegt, wodurch auch in Sardes eine Identifizierung des Meterkultes mit dem der Artemis stattgefunden haben muss. Meter Theon: Sardis 7,1 98.101; SEG 32,1238. Artemis Ephesia: SEG 46,1522. Artemis Sardiane: SEG 39,1290; SEG 46,1522 Artemis Anaitis: Sardis 7,1 95. Das Epitheton Anaitis ist auch für Meter Theon belegt, wodurch auch in Sardes eine Identifizierung des Meterkultes mit dem der Artemis stattgefunden hat. Artemis ohne Beinamen: Sardis 7,1 1.3.4.8.50.52, II.55.85.87.88.91–93.177.193. Meter Theon: TAM V,2 955.962.963.996. Artemis: SEG 49,1706; TAM V,2 931.995.996.1003. Artemis Boritene: SEG 57,1108; TAM V,2 84. IMT Kaikos 818. IMT Kaikos 906. IvP II 291. Weitere Meter-Verehrungen betreffen die Meter Basileia IvP II 334.481–484. Meter Theon Pergamene SEG 15,763; Meter Theon SEG 29,1269. IvP I 107 [Κυβ]έλ[η](?) [Ῥ]έα?. Artemis Ephesia: IvP I 157; IvP II 268; Artemis Lochia: IMT Kaikos 922; IvP II 311; Artemis ohne Beinamen: IvP III 117.118. Artemis Prothyraia: IvP III 161a+b. Meter Theon: IK Laodikeia a.L. 69; MAMA I 1.2. Meter Silandene: MAMA I 2c.
Historische Nachweise
was ihre Verbreitung über die kleinasiatischen „Grenzen“ hinaus dokumentiert. In Smyrna sowie Philadelphia sind Münzen mit der Kybele geprägt worden, auf denen man Löwen erkennen kann, ansonsten sind bis heute zahlreiche Kybelemünzen mit patera erhalten. Es handelt sich um eine allseits bekannte Muttergottheit, die verschiedene Umdeutungen als Artemis, Demeter, Kore etc. erfahren hat. Diese Überlagerung und Kenntnis göttlicher Wesenseigenschaften werden nicht nur für jene Adressaten der Offb ein Begriff gewesen sein, die zugleich die OH kannten: Allein die Artemis Ephesia wird einen umfassenden Bekanntheitsgrad genossen haben. Apoll
Aufgrund der vielen Apoll-Andeutungen in der Thronsaalvision ist inschriftlich auch nach Apoll-Verehrungen zu fragen. Für Smyrna ist Apoll Pandoi belegt,137 aber auch Apoll ohne Epitheton.138 Zudem wurde für Smyrna bereits die Verehrung des Apoll Kisauloddenos thematisiert.139 In dieser Verehrung erhält Apoll den Namen Helios. Die Nähe beider Gottheiten ist bereits in den OH aufgefallen und wird an dieser Stelle inschriftlich unterstützt.140 In Ephesos ist Apoll Klarios belegt.141 Zudem gibt es Hinweise auf Apoll Pythios142 sowie Apoll Patroos, Panionios und Prostaterios.143 Schließlich sind auch Inschriften ohne spezielle Epitheta belegt.144 In Sardes ist Apoll Pleurenos belegt, für den ein Mysterienkult nachweisbar ist.145 Für Thyatira ist Apoll Tyrimnos, ferner Pityaenos belegt.146 Eine Inschrift weist die Verknüpfung der beiden Gottheiten Helios und Apoll nach, die die bisherigen Aussagen stützen.147 Philadelphia weist Apoll Pythios auf.148 In Pergamon wurde Apoll Grynaeus verehrt, ferner Apoll Tarsenos.149 Zudem existieren epigraphische Hin-
137 138 139 140 141 142 143 144 145 146
ISmyrn 573. ISmyrn 598.751. ISmyrn 754.755. ISmyrn 753 τοῦ Ἡλίου Ἀπόλλωνος Κισαυλοδδηνοῦ. IEph 1060.1070a–1072.1077. IEph 9. Patroos: IEph 101.2055; SE 946,1. Panionios: IEph 814. Prostaterios: SE 946,3. IEph 102.802; SE 946,2; SE 2102,1. SEG 46,1519.1520.1528. Inschriftliche Nachweise ohne Beinamen: Sardis 7,1 15. Tyrimnos: SEG 49,1700a.1707; TAM V,2 882.883.946.956.984.993.997.1000.1001.1025. Pityaenos: TAM V,2 881; ohne Beinamen: TAM V,2 931. 147 TAM V,2 976 θεοῦ Ἡλίου Πυθίου Τυριμναίου Ἀπόλλωνος Θυατειρηνῶν; TAM V,2 984 θεοῦ Ἡλίου Πυθί- [ο]υ Ἀπόλλωνος υριμναίου; TAM V,2 997 [θεοῦ Ἡλίου Πυ]- 5 θί[ου Ἀ]π̣ό[λλωνος] Τυριμναί[ου — — —]; TAM V,2 1025 [θεοῦ Ἡλ]ίου Πυθίου Ἀπόλλωνος Τυριμναίου. 148 TAM V,3 1506.1507. 149 Grynaeus: IMT Kaikos 802; IvP I 158; Tarsenos: IMT Kaikos 934.
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Motivanalyse
weise auf eine Verehrung von Apoll Pythios und Didymaios.150 Schließlich ist der klarische Apoll inschriftlich bezeugt.151 Auch Laodizea weist eine Apoll-Verehrung und ein dafür bestimmtes Heiligtum auf.152 Zudem ist speziell die Verehrung von Apoll Phoibos bekannt.153 Die Sichtung der verschiedenen Verehrungen zeigt insgesamt eine mehrfache Nähe zu Helios und v. a. den Orakelaspekt des Apoll (Pythios, Didymaios, Klarios). Dies bestätigt die Verschmelzung von Gotteseigenschaften in Offb 4–5 durch die gleichzeitigen Andeutungen von Zeus-, Apoll- und Helios-Aspekten.154 Zudem werden die vielen Münzen mit Apollmotivik inschriftlich bestätigt, insbesondere Apoll mit Instrument auf Münzen aus Thyatira und Laodizea. Besonders herauszustellen ist die Thyatira-Inschrift TAM V,2 883, in der dem Apoll Tyrimnos ein Altar mit Räucherpfanne geweiht wird. Als die völkerchristlichen Adressaten, die solch kultische Grundlagen kannten, die Szene in Offb 5 hörten, wird ihnen die Analogie zu Apoll nicht entgangen sein. Zeus
Die kleinasiatische Verehrung von Zeus ist vielschichtig. Die Bezeugung von Epitheta bewegt sich im dreistelligen Bereich.155 Für Smyrna sind Verehrungen des Zeus u. a. mit den Beinamen Patroos, Kapetolios (Capitolinus) und Soter inschriftlich erfasst.156 Für Ephesos ist die Verehrung von Zeus Ktesios, Letos, Panhellenios, Soter, Olympios, Keraunios, Sabazios und Patroos bekannt.157 Die meisten Inschriften belegen dabei den olympischen Zeus. In Philadelphia wird Zeus mit den Epitheta Soter, Koryphaios, Sabazios und Targyenos angerufen.158 Die Inschriften
150 Pythios: IvP II 290.309; MDAI.A 32 (1907) 327,58; MDAI.A 32 (1907) 329,59/60; MDAI.A 33 (1908) 407,37. Didymaios: IvP III 2. Ohne Beinamen: MDAI.A 24 (1899) 186,45; MDAI.A 29 (1904) 168,9. 151 CIG 3538[1]. 152 IK Laodikeia a.L. 1 ἐν τῶι τ[οῦ Ἀ]πόλλωνος ἱερῶι. 153 IK Laodikeia a.L. 68. 154 In Offb 4 wird Gott als Lichtgestalt beschrieben, deren Leuchtkraft mit verschiedenen Edelsteinen verglichen wird. Zugleich ist in Offb 4,11 die Rede vom θέλημα als Synonym zur βουλή einer Orakelgottheit die Rede. Weitere „apollonische“ Details stellen die kitharai und Kränze der 24 Ältesten in Offb 5 dar. Insgesamt dominieren die in Offb 4 genannten zeusähnlichen Eigenschaften Gottes als Thronender mit Blitz, Donner und Adler. 155 Vgl. Franke, Kleinasien, 30. 156 Zeus Patroos: ISmyrn 591. Zeus ohne Beiname: ISmyrn 539.593.597. Zeus Kapetolios: ISmyrn 774.776. Zeus Soter: ISmyrn 738.757. 157 Zeus Ktesios: IEph 1240. Zeus Letos: IEph 1383. Zeus Panhellenios: IEph 1600. Zeus Soter: IEph 1243. Zeus Olympios: IEph 267–271.430.1115.1120.1556; SEG 33,943. Zeus Keraunios: IEph 1239. Zeus Sabazios: IEph 1242. Zeus Patroos: IEph 101. 158 Zeus Soter: TAM V,3 1539. Ohne Beinamen: TAM V,2 1543. Zeus Koryphaios: TAM V,3 1540. Zeus Sabazios: TAM V,3 1541. Zeus Targyenos: TAM V,2 1542.
Historische Nachweise
von Sardes belegen Zeus Polieus, Megistos, Genethlios und Baradateos.159 Für Thyatira ist die Verehrung von Zeus Kronides, Terpikeraunos, Keraunios und Olympios epigraphisch nachweisbar.160 Für Pergamon sind besonders zahlreiche Inschriften belegt, die Zeus-Verehrungen nachweisen und die Beinamen Olympios, Kapetolios, Soter, Bulaios, Tropaios, Sabazios, Polieus, Megistos, Keraunios, Apotropaios, Meilichios und Ktesios bezeugen.161 Für Laodizea sind die Beinamen Katachthonios, Soter, Megistos, Soter Megistos Fatnios und Keraunios belegt.162 Die inschriftlichen Zeugnisse zeigen, dass sowohl die „klassische“ olympische Verehrung als auch die Verehrung als interpretatio Graeca lokaler Vatergottheiten in den Städten der Sendschreiben bestanden hat. Dies stützt die Zusammenfassung des numismatischen Bestands hinsichtlich der vielen Zeusmotive. Dionysos
Hinsichtlich des Textvergleichs von Offb und OH ist es sinnvoll, auch die Verehrung des Dionysos inschriftlich zu prüfen. Für Smyrna ist die Verehrung von Dionysos ohne Beiname oder als Dionysos Breiseus inschriftlich bekundet.163 Bemerkenswert ist ferner die Bezeugung des Epithetons Bromios für Dionysos, das sonst für Zeus üblich ist.164 Solch eine Entwicklung ist auch für die OH bekannt, in denen ὕμνοι an Dionysos Eigenschaften anderer Gottheiten absorbieren.165 Für Ephesos ist der Befund umfangreicher: Es werden nicht nur zahlreichere Epitheta erwähnt,
159 Zeus Polieus: Sardis 7,1 8.47.48. Zeus ohne Beinamen: Sardis 7,1 17.22. Zeus Megistos: SEG 39,1290. Zeus Genethlios: SEG 39,1284. Zeus Baradateos: SEG 29,1205. 160 Zeus Kronides und Terpikeraunos: TAM V,2 1108. Zeus Keraunios: TAM V,2 889.890. Olympios: TAM V,2 908.909. 161 Zeus Olympios: IvP II 324; MDAI.A 37 (1912) 286,12. Zeus Kapetolios: IMT Kaikos 818. Zeus Soter und Bulaios: IvP I 246; IMT Kaikos 819. Zeus Tropaios: IvP I 237.239.247. Zeus Sabazios: IvP I 248. Zeus Soter: IvP II 251; IvP III 63. Zeus Polieus: IvP II 268. Zeus Olympios: IvP II 434. Zeus Megistos: MDAI.A 24 (1899) 167,5; MDAI.A 32 (1907) 243,4.257,8.313,36.314,37; MDAI.A 33 (1908) 402,28; MDAI.A 35 (1910) 407,2413,5.67,50; IvP II 327–329. Zeus ohne Beinamen: IvP I 17.29.33–37.51–56.58.63.65.66.69.151.185.186.214–216.225; IvP II 300; SEG 4,688. Diese Inschriften erwähnen Zeus häufig zusammen mit Athene. Zeus Keraunios: IvP I 232. Zeus Apotropaios und Meilichios: IvP III161a+b. Zeus Ktesios: MDAI.A 35 (1910) 452,35. 162 Zeus Katachthonios: IK Laodikeia a.L. 69. Zeus ohne Beiname: IK Laodikeia a.L. 82; MAMA I 3.4.7b. Zeus Soter: IK Laodikeia a.L. 21.62a; MAMA I 6. Zeus Soter Megistos: IK Laodikeia a.L. 24a+b. Zeus Fatnios: MAMA I 7. Zeus Keraunios: MAMA I 7a. Zeus Megistos: MAMA VII 1. 163 Ohne Beiname: ISmyrn 573II. Dionysos Breiseus: ISmyrn 600.601.758.759.639. 164 ISmyrn 728. Es handelt sich um eine lex sacra, die den Kult des Dionysos sowie des Orpheus belegt. 165 Athanassakis stellt heraus, dass Dionysos bzw. seine charakteristischen Epitheta in ὕμνοι an andere Götter erwähnt werden und andere Gottheiten Manifestationen des Dionysos darstellen. Es ist also zu fragen, ob das Epitheton Bromios überhaupt charakteristisch für Zeus oder ursprünglich für Dionysos ist. Vgl. Athanassakis, Hymns, XVI.
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Motivanalyse
sondern auch ein Heiligtum sowie Dionysospriester, -mysten und -vereine.166 In Philadelphia wird Dionysos v. a. als Kathegemon verehrt, so auch in Thyatira.167 In Sardes wird die Dionysos-Verehrung mit dem Kaiserkult gekoppelt.168 Die Dionysos-Verehrung in Pergamon ist auffallend umfangreich. Auch dort wird er als Kathegemon angerufen und weist inschriftlich ein Heiligtum sowie eine Priesterschaft auf.169 Für Laodizea liegt nur eine Inschrift ohne Beinamen vor.170 Insgesamt ist der Inschriftenbefund hinsichtlich Dionysos überraschend gering. 3.4.2.7 Epigraphische Besonderheiten – Anth. Gr.
Im Kontext einer epigraphischen Untersuchung religiöser Verehrung in Kleinasien ist es lohnenswert, als Ergänzung die Anth. Gr. – eine Sammlung von Gedichten vorwiegend inschriftlicher Form – heranzuziehen. Diese wird thematisch betrachtet, sodass nach Lexemen der fünf Kapitel der Offb und nach gezielten Gottheiten gesucht wird. Die Zitation erfolgt jeweils nach Beckby.171 Ἀνάβασις
In der Anth. Gr. liest man von Personen, die in den Olymp gelangen möchten und von den olympischen Göttern aufgehalten werden.172 Im Gegensatz dazu zeichnet die Offb sowohl in Offb 4 als auch in Offb 11 einen himmlischen Aufstieg, der jeweils einer ausdrücklichen Einladung bzw. Aufforderung folgt. Den Adressaten der Offb wird vermittelt, dass der Ort Gottes zugänglich ist. Die Himmelstür ist geöffnet (Offb 4 θύρα ἠνεῳγμένη) und wird allen in Aussicht gestellt, die Zeugnis für ihn ablegen (wie den zwei Zeugen in Offb 11).
166 Dionysos Propator: IEph 1600. Dionysos Phleos: IEph 1270.1595. Dionysos Oreios Bakchios pro poleos: IEph 1267. Dionysos Propator und Koreseitos: IEph 293. Priester des Dionysos: IEph 902.1270.1595.1600. Dionysosmysten/Mystenverein: IEph 275. Heiligtum des Dionysos: IEph 106. Weihung von Thyrsoi an Dionysos: IEph 1211. 167 Philadelphia: TAM V,3 1462.1497. Thyatira: TAM V,2 976.979. 168 Sardis 7,1 13 ἔδοξεν τοῖς ἀπὸ τῆς οἰκουμ]ένης περὶ τὸν Διόν[υσον καὶ] [Αὐτοκράτορα Καίσαρα Τραϊανὸν Ἁδριανὸν Σεβαστόν, νέον Δι]ό̣νυσον, τεχνείταις [ἱερονείκαις] [στεφανείταις καὶ τοῖς τούτων συναγωνισταῖς. Dass der Kaiser als neuer Dionysos verehrt worden ist, belegt auch Sardis 7,1 14 ἐψηφισάμεθα τάχειον ἀγῶνα πενταετη[ρικόν] ... Ἁδριανῷ Καί- σαρι, νέῳ Διονύσῳ. 169 Dionysos Kathegemon: IMT Kaikos 818; IvP I 221.222.236.248; IvP II 317–320.384.485.486a; MDAI.A 24 (1899) 177,27+.179,31; MDAI.A 32 (1907) 371,128; MDAI.A 33 (1908) 407,36+; MDAI.A 35 (1910) 461,43; CIG 6829; SEG 29,1264; 37,1020. Dionysosheiligtum: IvP I 163. Priester: MDAI.A 32 (1907) 257,8. 170 IK Laodikeia a.L. 65a. 171 Beckby, Anthologia Graeca. 172 Herausragende Beispiele dafür stellen Anth. Gr. VIII 683; Anth. Gr. IX 710 dar.
Historische Nachweise
Λαμπάδες
Bereits in der Motivanalyse ist die mysterienkultische Konnotation von Fackeln erwähnt und numismatisch gestützt worden. Während die meisten Vorkommen dort jedoch auf Demeter und die Eleusinischen Mysterien hinweisen, zeigen die Inschriften zusätzlich einen agonalen Kontext zu Ehren der Artemis Ephesia. Die Anth. Gr. ergänzt einen dionysischen Kontext durch ein Epigramm aus dem Apolltempel von Kyzikos.173 Zudem ist eine Verwendung von Fackeln in den Mysterien der Kybele belegt.174 Λέων
Die Motivanalyse ergab nur einen einzigen Beleg des Tieres in den OH, allerdings im Kontext einer vorgriechischen Muttergottheit. Die Sichtung der vielen Münzen mit Löwenmotiv bestätigt, dass die Adressaten der Offb den Löwen als Beitier der Kybele bzw. Meter gekannt haben müssen. Die epigraphische Bezeugung ist spärlich, jedoch sind in der Anth. Gr. mehrere ähnliche Epigramme enthalten, die das Löwenmotiv aufgreifen. Die Beschreibung der Löwen als „Stiere tötend“ verweist dabei wie in OH 14 und 27 auf den phrygischen Kybelekult.175
173 Anth. Gr. III 1: „Auf Dionysos, wie er seine Mutter Semele in den Himmel hinaufführt. Hermes geht voran, Satyrn und Silene geleiten sie mit Fackeln […].“ 174 Anth. Gr. IV 173: „Achrylis, phrygischen Stamms, die Priesterin, die ihre heilgen Locken so oftmal beim Schein flammender Fackeln geschwenkt und aus dem Munde so oft das schallende Schreien gestoßen, wie es zu Kybeles Ruhm heulend der Galle erhebt, weihte der Göttin des Berges ihr Haar am Tore des Tempels, da sie dem brennenden Fuß Einhalt im Rasen gebot.“ 175 Anth. Gr. IV 217: „In eine einsame Höhle trat einstens ein Galle; er suchte Zuflucht gegen des Schnees stürmisch erbrausenden Fall. Kaum war sein triefendes Haar getrocknet, stand plötzlich ein Stiere schlagender Löwe am Fels, der seinen Spuren gefolgt. Doch der Priester ergriff das Tympanon, schlug mit erhobnen Händen darauf, und dumpf dröhnte die Höhle vom Schall. Nicht vermochte das Untier, der Kybele heilige Klänge zu ertragen, es floh rasch in des Berges Gebüsch, fürchtend den Diener der Göttin, den Halbmann. Der brachte die blonden Locken und dieses Gewand dankbar der Rhea hier dar.“ Anth. Gr. IV 218: „Kybeles Priester, der einst sich selbst das zeugende Mannsglied weggeschnitten, durchschritt Idas bewaldete Höhn. Plötzlich begegnete ihm ein Löwe, ein Untier; das gähnte wild mit dem Rachen ihn an, hungrig, zum Fraße bereit. Doch in der tödlichen Angst vor dem Raubtier begann er zu schreien, und auf göttlichen Ruf schlug er aufs Tympanon drein. Siehe, da schloss das Tier den blutigen Rachen; am Nacken schwang es, der Göttin voll, schüttelnd die Mähne im Tanz. Also entfloh er dem Tod und weihte der Rhea das wilde Raubtier, welches von selbst Kybeles Tänze gelernt.“ Anth. Gr. IV 220: „Atys, der keusche Priester der Kybele, wallte vom phryg’schen Pessinus fort; er wollt Sardes erreichen und gab, trunken der Gottheit, den Winden sein Haar. Doch der wilden Verzückung gottgegebener Rausch kühlte sich abends, sobald durch das Dunkel er schritt. Da sah er nicht fern eine Höhle, die in die Erde hinab führte, und trat darin ein. Doch seine Spuren verfolgte ein Löwe, ein Schreck schon für mut’ge Männer, dem Gallen daher Grund zu unsagbarem Graun. Sprachlos blieb er vor Angst; dann, getrieben vom Hauch einer Gottheit, schlug auf des Tympanons straff ruhendes Fell seine Hand. Und bei dumpfem Getöse lief plötzlich der Löwe, das kühnste sämtlicher Tiere, so schnell wie
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Motivanalyse
Κιθάραι
Die Motivanalyse wies bereits auf eine Affinität zu Apoll hin und stellte die kultische Konnotation dieses Instruments heraus. In der numismatischen Untersuchung ist die häufige ikonographische Darstellung von Apoll Kitharodos aufgefallen. Die Abbildung von kitharai im Kontext kultischer Szenen bestätigt zudem numismatisch die kultische Konnotation. Die Sichtung der Inschriften hat ein weniger eindeutiges Ergebnis hervorgebracht, doch die Anth. Gr. belegt sowohl lyra als auch kithara im Kontext von Phoibos Apoll.176 Eine ganz neue Konnotation ergibt sich v. a. aus den Grabepigrammen der Anth. Gr.: Dort wird das Saiteninstrument zum orphischen Attribut.177 Apoll
Mehrere Epigramme weisen für Apoll das Epitheton Phoibos auf.178 Dieses charakterisiert Apoll als die Sonne. Es heißt z. B. in II 74: „[…], weil allen er leuchtet gleichmäßig; denn Phoibos, der Herrscher, ist die Sonne, und rein entsendet er fernhin die Strahlen.“ Somit bestätigt die Anth. Gr. die sonstige epigraphische Identifizierung von Apoll mit Helios in Kleinasien.179 Zudem bestärkt das genannte Epigramm den Orakelaspekt des Apoll, der numismatisch sowie epigraphisch herausgestellt worden ist.180
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eine Hinde davon, da er das dumpfe Gedröhn nicht ertrug. Da scholl’s vor dem Priester: ‚Mutter, die drüben du wohnst an des Sangarios Strand, nimm als Geschenk für die Rettung ein heilges Gemach denn und dieses tönend Geräte, das jetzt gar einen Löwen verscheucht.‘“ Anth. Gr. IV 83: „Weihend legte dereinst Eumolpos dem Phoibos die Zither auf den Dreifuß; voll Zorn über die alternde Hand sprach er: ‚Ich will meine Leier – gelobe ich – nie mehr berühren, nie mehr üb ich fortan mich in der früheren Kunst. Jünglinge mögen sich sorgen um Kitharaspiel; statt des Plektrons fasst meine zitternde Hand nur noch den stützenden Stab.‘“ Anth. Gr. VII 9: „[…] Er ersann auch dereinst die mystischen Weihen des Bakchos, gab nach heroischem Maß bindend dem Verse Gestalt und bezauberte dann mit den Klängen der Leier des harten Klymenos grausamen Sinn und sein gefühlloses Herz.“ Anth. Gr. VII 571 „Damals, als Orpheus geschieden, verblieb uns wohl noch eine Muse, aber, Platon, mit dir ist auch die Zither verstummt. Denn lebendig noch war in deinen Gedanken und Händen ein versiegender Rest ältester Lieder bewahrt.“ Anth. Gr. VII 617 „Musen begruben hier Orpheus, den Thraker mit goldener Leier, den der waltende Zeus traf mit dem Flammengeschoss.“ Anth. Gr. II 74f.266. Die Identifizierung beider Gottheiten ist seit dem 5. Jh.v. Chr. belegt. Vgl. Graf, Art. Apollon, Sp. 867. Es heißt in II 266 „weissagend hob er die Augen, gleichsam als wollte die Welt er durch Sprüche von Leiden erlösen“ und in II 283 „Es blickte der Gott in die Ferne, gleich als säh er die Zukunft auf seinem prophetischen Dreifuß“. III 6 „Voller Ekel vor Python, der erdentsprossenen Schlange […] wendet sich Leto hinweg. Wollte das Tier doch die Göttin, die kluge, entehren; doch Phoibos von einer Warte herb rafft es mit Pfeilen dahin, wird den prophetischen Dreifuß in Delphi nun setzen […].“
Historische Nachweise
Muttergottheiten
Die Untersuchung v. a. der Reichsprägung ergab eine rege Verwendung von Kybelesowie Demetermotiven. Auch das Kultbild der Artemis Ephesia ist zahlreich belegt. Die epigraphische Abgleichung ergab eine Identifizierung der Meter Theon mit Demeter, Kore, Artemis und in der phrygischen Bezeichnung Kybele. Die Sichtung der Anth. Gr. zeigt ergänzend eine Identifizierung der Meter mit Gaia aufgrund ihrer chthonischen Eigenschaften.181 Ein weiteres Epigramm identifiziert Meter mit Rhea und stellt somit einen Bezug zu den OH her.182 Κάλαμος ὅμοιος ῥάβδῳ
In der Numismatik sowie zuvor in der Motivanalyse ist die semantische Nähe von κάλαμος und ῥάβδος zum Hermesstab herausgestellt worden. Die epigraphische Untersuchung ergab zudem eine Weiterentwicklung des Zauberstabs zur Insignie des Dionysos. Durch das bereits thematisierte Gedicht des Christodoros wird das motivanalytisch festgestellte Sem „Hermesstab“ bezeugt.183 3.4.3
Archäologische Stätten
Die bisherigen Zeugnisse werden durch bis dato freigelegte Heiligtümer in den Städten der sieben Sendschreiben ergänzt. Einige der noch nicht identifizierten Stätten können mithilfe der anderen historischen Zeugnisse identifiziert werden. Insgesamt variiert der Umfang der folgenden Unterkapitel je nach Fortschritt der Ausgrabungen und je nach Relevanz der religiösen Verehrung für diese Studie. Die Frage nach dem Kaiserkult in den Orten der Sendschreiben wird allenfalls gestreift, da sie für die zentrale Fragestellung zweitrangig ist.184
181 Anth. Gr. IV 51: „Erde, du meine Mutter, du Amme der phrygischen Löwen, du, deren Mysten so gern schwärmen auf Dindymons Höhn, Hämling Alexis entsagte dem Rasen beim Klingen des Erzes, darum weihte er dir, was sein Verzücktsein entfacht: gellendklingende Zymbeln, das dumpfe Geschmetter des Hornes, das der gebogene Schmuck kraftvollen Rindes einst war, mächtig dröhnende Pauken […].“ 182 Anth. Gr. IV 94: „Die Pauken hier, die seine Hand so oftmals schlug, die Zymbeln mit dem hohlen Rand und grellen Klang, die Doppelflöte mit dem Hornruf, drauf er einst voll frohem Jauchzen, mit dem Kopfe wirbelnd, blies, und dieses doppelschneid’ge Beil, das ihn entmannt: dir gab’s, o Rhea, die im Löwenwagen fährt, Klytosthenes; alt ward nach wildem Tanz sein Fuß.“ 183 Anth. Gr. II 297: „Auch ein Hermes war dort mit goldenem Stabe […].“ 184 Der historische Nachweis religiöser Verehrung betrifft in dieser Studie v. a. die Mysterienkulte, die vom Kaiserkult getrennt betrachtet werden müssen. Dieser ist dermaßen komplex, dass er eine eigene Studie erfordert. Bemerkenswert ist, dass z. B. Clauss, Kaiser, 339; Nilsson, Geschichte, 370; Worth, cities, 194 Analogien und Überschneidungen beider religiöser Verehrungen thematisieren.
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Motivanalyse
3.4.3.1 Ephesos
Die Stadt Ephesos galt als eine der griechischen Hauptzentren.185 Die archäologische Sichtung ihrer religiösen Stätten lässt sofort an die große Artemis Ephesia denken. Schnell übersieht man dabei „jene ‚anderen‘ Götter […], die in Ephesos – wenn auch verdunkelt durch den Schatten der alles überstrahlenden Ephesia – ein durchaus respektables Eigenleben geführt haben.“186 Im Folgenden wird die religiöse Verehrung der Stadt in ihrer Vielfalt untersucht, insofern diese die eigene zentrale Fragestellung tangiert. Artemision
Die archäologische Betrachtung des wichtigsten Heiligtums Kleinasiens, des Artemisions, bestätigt die inschriftlichen Anklänge einer interpretatio Graeca der kleinasiatischen Meter/Kybele als Artemis: „[U]nter dem Artemision fanden sich mykenische Reste, vielleicht von dem uralten Heiligtum einer Naturgöttin, der ‚Herrin der Tiere‘, in der die Ansiedler ihre Artemis erkannten.“187 Die Ursprünge des Heiligtums sind mythisch und stützen sich auf eine amazonische Gründung.188 Die Bindung an einen heiligen Baum rückt die Artemis Ephesia dabei in das Licht einer Naturgottheit. Die ephesische Baugeschichte ergibt, dass das bis heute erhaltene Artemision einen Vorgängerbau besitzt.189 Der Tempel der Artemis Ephesia bildete
185 Vgl. Elliger, Ephesos, 68. 186 Knibbe, Stadt, 489. 187 Gruben, Tempel, 381. Auch Scherrer sagt, es bestand die Verehrung einer „Baum-, Quellund Fruchtbarkeitsgöttin.“ Scherrer, Ephesos, 15; vgl. ferner Fairchild, origins, 19; WohlersScharf, Forschungsgeschichte, 229: „Vor der Ankunft der Griechen wurde an der Stelle, an der später das Artemision errichtet wurde, die anatolische Muttergöttin Meter verehrt.“ Knibbe zählt das Artemision zu den Meterheiligtümern von Ephesos: „There, another religious center had arisen early around a sweet water spring close to the shore and near a sacred tree; this is the origin of Artemis, a tree goddess and a timeless symbol of fertility.“ Knibbe, Via, 143. Ähnlich auch Köster, Einführung, 170: „Die Artemis der Epheser war eine kleinasiatische Fruchtbarkeitsgöttin […].“ 188 Dabei sind mehrere Versionen des Gründungsmythos belegt und erwähnen u. a. eine Eiche oder Ulme. Vgl. Höcker, Art. Ephesos, Sp. 1081; Kerschner u. a., Ursprung, 202. Auf Seite 207: „Es war ein Baum, der nach dem lokalen Gründungsmythos das kultische und topografische Zentrum des Heiligtums markierte.“ Vgl. zudem Mac Sweeney, Foundation, 141. 189 Vgl. Höcker, Art. Ephesos, Sp. 1081. Letzner beschreibt ihn folgendermaßen: „Bei dem Tempel des 8. Jhs. v. Chr. handelte es sich um einen Ringhallentempel (Peripteros), dessen Cella kein Dach besaß. Stattdessen befand sich im Inneren ein kleiner Bau, ein Naiskos, der das Kultbild aufnahm. […] Im späten 7. Jh.v. Chr. entschlossen sich die Ephesier, einen neuen Tempel zu errichten, der gegenüber dem alten nach Westen verschoben wurde […]. Eine Zuweisung an Artemis ist unsicher. Vielleicht wurde in diesem Tempelbau Apoll verehrt, für den durch schriftliche Quellen hier ein Tempel belegt ist.“ Letzner, Kulturführer, 17; ähnlich auch Gruben, Tempel, 381–393; Scherrer, Ephesos, 15.
Historische Nachweise
das Zentrum von Ephesos. Ohne das Heiligtum hätte die Stadt keine derartige Entwicklung erfahren. Der Artemiskult war innerstädtisch derart allumfassend, dass auch im Rathaus eine Artemisstatue zu finden war.190 Das Artemision besaß zudem einen heiligen Hain, einen heiligen Wald, in dem man beten und opfern konnte.191 356 v. Chr. fiel das Heiligtum Brandstiftung zum Opfer. Der Legende nach sei es in der Nacht der Geburt Alexanders d. Gr. komplett heruntergebrannt.192 „Vorausgeschickt sei an dieser Stelle aber, dass im Kultbezirk der Artemis auch andere Götter verehrt wurden und dass sie ihre eigenen Kultbauten besaßen. Daneben standen im Heiligtum zahlreiche Weihegeschenke, die heute weitgehend verloren sind.“193 Das bekannte Kultbild der Artemis Ephesia ist genau genommen das dritte seiner Art, da es zwei hölzerne Vorbilder aufweist. Es ist mit dem Tempel des 4. Jh.v. Chr. hergestellt worden.194 Die numismatischen Funde haben mit dem Fackelmotiv vornehmlich Demeters Wesenseigenschaften angedeutet. Die Epigraphie hat jedoch mit der mehrfachen Nennung des λαμπάδαρχος bei ephesischen Inschriften ergeben, dass das Fackelmotiv hauptsächlich mit der Artemis Ephesia verknüpft wird. Ein solcher Fackellauf kann mit dem Artemision und dem etablierten Mysterienkult der Artemis Ephesia bestätigt werden. Das Heiligtum bestätigt auch die numismatischen Triumphmotive mit Nike und Goldkranz sowie die zahlreichen Epitheta auf Inschriften. Insgesamt ist bemerkenswert, wie eng Artemis und die vorgriechische Meter in Ephesos miteinander verknüpft waren, obwohl, wie im nächsten Abschnitt herausgestellt wird, für die phrygische Kybele ein gesondertes Heiligtum vorlag. Entscheidend ist die Affinität der Stadt zu einem Baumkult, mit dem das Artemision zusammenhängt. Im Sendschreiben an die Epheser wird den Gemeindemitgliedern in Aussicht gestellt, vom Baum des Lebens zu essen zu bekommen. Die Offb konzipiert ein Gegenkonzept zum Hl. Baum der Meter/Kybele und betont dadurch: Der einzige relevante Baum für Christen ist der Baum des Lebens Gottes. Meter, Demeter, Kybele
Es wurde ein Felsenheiligtum entdeckt, das der kleinasiatischen Meter/Kybele gewidmet war.195 Dieses besteht aus Felsnischen, in die man Bilder der Gottheit
190 Vgl. Teichmann, Mysterien, 73. Dabei sind diese Kopien des Kultbildes aus dem Artemision aus der Regierungszeit Hadrians. Vgl. Immendörfer, Ephesians, 101. 191 Vgl. Teichmann, Mysterien, 76. 192 Vgl. Immendörfer, Ephesians, 90; Höcker, Art. Ephesos, Sp. 1081. 193 Letzner, Kulturführer, 17. 194 Vgl. Letzner, Kulturführer, 21. 195 Vgl. Immendörfer, Ephesians, 100.
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sowie Weihinschriften eingehauen hat.196 Es ist zu beachten, dass Kybele in vorgriechischer Zeit die Hauptgottheit Kleinasiens gewesen ist. Die Importierung in die griechische Kultur ließ sie jedoch zunehmend mit Göttinnen des griechischen Pantheons verschmelzen.197 Die Verbindung mit der griechischen Artemis vollzog sich unter König Kroisos, der ein Gegengewicht zum Apolltempel von Didyma und Heratempel von Samos schaffen wollte.198 Dies erklärt, warum kein eigenständiger festgebauter Tempel der Kybele in Ephesos ausgegraben worden ist: Er ist von der Artemis „absorbiert“ worden.199 Obwohl Demeter in Ephesos nachweislich hohe Beliebtheit genoss, ist kein eigentliches Heiligtum nachgewiesen worden.200 Sie wurde zusammen mit ihrer Tochter Kore (eleusinische Bezeichnung für Persephone) ab dem 2. Jh.n. Chr. im Prytaneion verehrt.201 Schließlich ist auf ein Mosaik aus dem Hanghaus 2 hinzuweisen, das mit Blick auf den Besitzer eine Tierhetze-Szene darstellen könnte: Man sieht einen Löwen, der seine Pfote auf einem Stierkopf ablegt.202 Vor dem Hintergrund der phrygischen Kybele und ihrer mysterienkultischen Nähe zu Dionysos ist alternativ der Typus „stiertötender Löwe“ anzunehmen, der ein Charakteristikum des Kybele-Beitiers darstellt.203 Es ist also wahrscheinlich, dass es sich bei dem Bodenmosaik um ein Kybelemotiv handelt. Die archäologischen Funde sind einerseits überraschend, da sie im Vergleich zu den Münzfunden eine beachtliche Präsenz des Kybelekults aufweisen. Numismatisch wird diese durch die überragende Anzahl von Artemismünzen überdeckt.
196 Vgl. Roller, search, 200. Bemerkenswert ist auch, dass nicht nur Inschriften für die Meter eingehauen worden sind, sondern auch für den „väterlichen Zeus, vereinzelt auch für Apollon“. Scherrer, Ephesos, 62. 197 „As her prominence increased, she was Hellenized in name, appearance, and background, and became conflated with other, better-known Greek mother deities such as Rhea and Demeter. Yet she always retained her status as an outsider: she was the Asiatic Mother, the Phrygian Kybele, a foreigner whose position in Greek cult and Greek life was somewhat marginal.“ Roller, search, 119. 198 Vgl. Scherrer, Ephesos, 16. 199 Gleichzeitig ist anzumerken, dass der vorgriechische Kybelekult selbst in Phrygien keine archäologischen Spuren aufweist. Für den Kult sind offensichtlich keine Tempel errichtet, sondern natürliche Landschaften eingebunden worden wie felsige oder bergige Gegenden. Vgl. Roller, search, 79. 200 Die Inschriften von Ephesos beweisen zahlreiche Demeter-Verehrungen und Mystenvereinigungen. Es ist sogar der Bau eines Demetertempels durch einen gewissen Rutilius Bassus bekannt, doch ist dies archäologisch bisher nicht bestätigt worden. Vgl. Schwindt, Weltbild, 90. 201 Auch der klarische Apoll fand hier seinen Verehrungsort. Einhergehend mit der steigenden Popularität dieser Gottheiten schwand diejenige der Artemis Ephesia. Vgl. Knibbe, Via, 146. 202 Furius Aptus hat im 2. Jh.n. Chr. als Alytarch die ephesischen Olympien ausgerichtet. Vgl. Outschar/Wiplinger, Hanghaus 2, 114. Dies erklärt aber keinen Zusammenhang mit Tierhetzen, die einen Bestandteil römischer ludi dargestellt haben und mitnichten als olympische Disziplin vorgesehen waren. 203 Dieses Tier wird auch in den OH thematisiert, insbesondere in OH 14 an Rhea und 27 an die Göttermutter.
Historische Nachweise
Andererseits bestätigt die Archäologie, was die Inschriften mit „Meter Oreie“ und „Meter Phrygie“ erahnen ließen. Für die Adressaten der Offb aus Ephesos wird beim Hören der diversen Tiere/Bestien z. B. in Offb 11 Kritik mitgeschwungen sein. Sie werden die „Herrin der Tiere“ als Bedrohung der christlichen Gemeinde erkannt haben. Zugleich wird ihnen das Hören von Offb 4 die wahre Größenordnung aufgezeigt haben: Nicht Kybele/Meter ist die „Herrin der Tiere“, speziell der Löwen, auch nicht in ihrer interpretatio Graeca als große Artemis Ephesia, sondern der Sitzende auf dem Thron in Offb 4. Der Löwe muss ihm dienen. Apoll
Der allgegenwärtige Artemiskult veranlasst zur Frage, ob die Verehrung ihres Zwillings Apoll nicht ebenfalls durch archäologische Ausgrabungen nachgewiesen werden kann. Tatsächlich ist im Zusammenhang mit der ionischen Akropolis auf einem Ausläufer des Panayırdağ ein Felsspalttempel entdeckt worden, der ursprünglich als Orakeltempel des Apoll gedient hat. Womöglich ist er um das Jahr 400 v. Chr. errichtet worden.204 Auch wenn ansonsten ein Letoheiligtum an dieser Stelle vermutet wird, spricht für die Apoll-These die Bestätigung der inschriftlichen Belege: Die verschiedenen Orakelverehrungen des Apoll sind epigraphisch aufgezeigt worden, erkennbar an den Beinamen Klarios und Pythios. Auch die Weihinschriften des Felsenheiligtums für die Göttermutter, die Apoll gewidmet wurden, sind in diesem Kontext zu nennen. Die Adressaten der Offb aus Ephesos waren folglich mit dem Apoll der Orakelstätten vertraut. Demzufolge werden sie in Offb 4,11 aufgehorcht haben: Im hymnenartigen Gesang heißt es, dass Gott die Welt durch sein θέλημα geschaffen hat. Dies impliziert sein Wohlwollen für seine Schöpfung und einen Willen, der sich den Menschen nicht entzieht, den er ihnen v. a. aus eigener Initiative kundtut. Die Adressaten werden darin ein Gegenkonzept zum apollonischen Orakelwesen erahnt haben, bei dem die βουλή, der göttliche Ratschluss, erfragt werden musste. Der göttliche Wille erschließt sich im paganen Kontext, wenn überhaupt, durch menschliche Unternehmungen. Die Offb zeichnet ein Gegenkonzept dazu. Dionysos
In Ephesos sind am Abhang zwei Häuser freigelegt worden, bei denen das Hanghaus 2 das Eigentum des Dionysospriesters Flavius Furius Aptus darstellt.205 In Kombination mit der bereits thematisierten Inschrift aus seinem Haus, das Dionysos Oreios Bakchios belegt, erhärtet sich die Vermutung, dass Dionysos in Ephesos verehrt worden ist. Der Hinweis auf der Inschrift πρὸ πόλεως lässt zudem vermuten,
204 Vgl. Karwiese, Akropolis, 188–190. 205 Vgl. Scherrer, city, 7.
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dass Dionysos sogar Stadtgottheit war. Zudem sind ein Glasmosaik mit Dionysos und Ariadne im Weingarten sowie ein Mosaik einer Dionysosbüste belegt.206 In einem Raum neben dem basilikalen Hauptraum der Anlage (H2/8) sind im Deckengewölbe zudem Figuren des dionysischen Thiasos gefunden worden.207 Diese Darstellungen belegen den Weingott, weniger den orphisch weiterentwickelten Dionysos. Auch wenn aus diesen Hinweisen kein archäologischer Beleg für ein Dionysosheiligtum hervorgeht, bestätigen die genannten Indizien die rege epigraphische Bezeugung einer Dionysos-Verehrung in Ephesos. Inschriften bezeugen diverse Epitheta wie Phleus, Propator, das genannte Oreios Bakchios pro poleos sowie Koreseitos. Zudem waren eine Mystenvereinigung, Priesterschaft, ein Heiligtum und Weihegeschenke herausgestellt worden. Eine Priesterschaft sowie der Beiname Oreios Bakchios pro poleos können archäologisch bestätigt werden.208 Die ephesischen Adressaten der Offb werden folglich mit Dionysos vertraut gewesen sein, wobei eine orphische Ausrichtung der Gottheit sowie seines Kultes archäologisch bis dato nicht nachweisbar ist. Da inschriftliche Hinweise auf orphische Vorstellungen wie IEph 275 existieren, in welcher nach dem Tod das Thronen zusammen mit Dionysos ersehnt wird, ist in Zukunft die Entdeckung weiterer orphischer Hinweise zu erwarten, die bei Grabungen zutage treten könnten. Kaiserkult
Bereits Augustus hat für seinen Adoptivvater Cäsar in Ephesos einen Herrscherkult eingerichtet. Dieser Kult war gekoppelt an die Verehrung der Roma für die in Ephesos lebenden Römer.209 Dieses Heiligtum ist jedoch nicht eindeutig zuzuordnen. Als weitere Vermutung wird ein ehemaliger Isis- oder Augustustempel angenommen.210 Darüber hinaus gibt es Überreste eines Domitian- sowie Hadrianheiligtums.211 Es ist zudem ein sogenannter Domitiansplatz ausgegraben worden.
206 Vgl. Scherrer, Ephesos, 108 zur Erklärung des Glasmosaiks. 207 Vgl. Scherrer, Ephesos, 114. 208 Es wird ein Dionysosheiligtum in Ephesos vermutet, das bisher nicht gefunden worden ist. Dionysische Motive finden sich v. a. in Privathäusern und im Bereich des Embolos. Vgl. Aurenhammer, Sculptures, 267f. 209 Vgl. Elliger, Ephesos, 62; Immendörfer, Ephesians, 93. 210 Vgl. Scherrer, Ephesos, 84 für die verschiedenen Annahmen. Die Isis-These auch bei Letzner, Kulturführer, 45. 211 Das Heiligtum unter Domitian war das erste, das im Zuge einer Neokorie den Kaiserkult etablierte, somit das erste offizielle Kaiserkultheiligtum. Aufgrund der Verhängung der damnatio memoriae Domitians ist der Tempel nach einer anfänglichen Umwidmung an Vespasian abgetragen worden, sodass nur wenige Informationen erhalten sind. Vgl. Letzner, Kulturführer, 53; Scherrer, Ephesos, 26. Der Hadriantempel wurde im Zuge einer zweiten Neokorie erbaut, die Ephesos erhalten hatte. Vgl. Immendörfer, Ephesians, 94.104; Höcker, Art. Ephesos, Sp. 1082.
Historische Nachweise
Auf diesem ist ein Sockel entdeckt worden, der Hermes mit geflügeltem caduceus zeigt.212 Olympieion
Anfang des 2. Jh.n. Chr. ist eine sumpfige Fläche im Nordwesten der Stadt trockengelegt worden, wo ab 130 n. Chr. ein Tempelbezirk vergleichbar mit dem Artemision entstand. Vermutlich war dieser Bezirk für den provinzialen Kaiserkult Hadrians vorgesehen, gekoppelt an die Verehrung des Zeus Olympios.213 Von dieser Anlage ist jedoch kaum etwas erhalten.214 Es besteht zudem die Vermutung, dass weniger die Verknüpfung von hadrianischem Kaiserkult und Zeus Olympios angestrebt worden war als vielmehr deren Verschmelzung.215 Diese Anlage bestätigt archäologisch die inschriftlichen Erwähnungen von Zeus Olympios. Insgesamt ist Zeus in Ephesos mit vielen Epitheta verehrt worden. 3.4.3.2 Smyrna
Obwohl durch verschiedene Quellen eine umfangreiche religiöse Verehrung belegt ist, wurden bisher noch längst nicht alle Heiligtümer freigelegt bzw. sind diese nicht mehr erhalten.216 Die Stadt Smyrna, die heute Izmir heißt, hatte einen „Vorgänger“, der um das Jahr 1000 v. Chr. gegründet worden ist. Im 4. Jh.v. Chr. wurde die Stadt fünf Kilometer weiter südlich durch Alexander d. Gr. neugegründet.217 Athenetempel
Im 7. Jh.v. Chr. ist ein Tempel für Athene errichtet worden. Er gilt als das älteste Heiligtum für die Göttin.218 Dieser ist jedoch 545 v. Chr. wie die gesamte Stadt durch
212 Vgl. Sobel, Ephesos, 36. 213 Vgl. Letzner, Kulturführer, 107. 214 Es sind nur noch „traurige, aber immerhin die Mächtigkeit der einstigen Anlage erahnen lassende Fundamentreste“ übrig. Knibbe, Ephesus, 50. Karwiese, Olympieion, 186: „Der Tempel wurde 400 […] zerstört, seine Bauglieder zerschlagen und vor Ort zu Kalk verbrannt, die Hallen blieben jedoch bestehen; ca. 100 Jahre später wurden die Blockfundamente des Tempels hauptsächlich zur Gewinnung der Metallverbindungen komplett zerlegt.“ 215 „Kaiser Hadrian als Zeus Olympios“. Karwiese, Olympieion, 186. 216 „Unfortunately, almost nothing of the New Testament city of Smyrna is still standing.“ McRay, Archaeology, 274. 217 Vgl. McRay, Archaeology, 272; Schnabel, Mission, 798. 218 Vgl. Akurgal, Smyrna, 2.
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die Perser zerstört worden. Dies bestätigt die Athene-Verehrung archäologisch, auf die die Inschrift ISmyrn 721 hinweist.219 Metertempel
Für Smyrna ist ein Tempel für die Meter Theon in der Nähe des Hafens bekannt.220 Sie stellte eine Schutzgottheit Smyrnas dar: „The guardian of the city’s welfare was the mother goddess Meter, sometimes known as Cybele, who was worshiped throughout the region.“221 Womöglich handelt es sich um dieselbe Gottheit, die Schnabel allerdings als Demeter bezeichnet.222 Dieses Heiligtum erklärt zumindest die zahlreichen Inschriften der Meter Theon (Smyrnaike) sowie den kybelischen Baumkult, den wie bereits herausgestellt sowohl Münzen als auch Inschriften bezeugen. Womöglich ist von diesem Heiligtum aus der inschriftlich belegte Fackellauf organisiert worden, insofern dieser nicht die Artemis Ephesia betrifft, deren Heiligtum jedoch nicht mehr erhalten ist.223 Eine solche Verehrung ist nämlich inschriftlich belegt. Dies beweist zumindest, dass auch die smyrnäischen Adressaten der Offb die apokalyptisch codierte Kritik der Muttergottheit erfassen konnten, als sie Offb 4 gehört haben. Womöglich hat sie die Kritik noch direkter angesprochen als die Epheser aufgrund der expliziten Meter-Verehrung, deren interpretatio Graeca als Artemis kein ephesisches Ausmaß annahm. Diese Vermutung wird überdies dadurch verstärkt, dass die Stadt sich der „Krone Smyrnas“ rühmte, einer Straße mit öffentlichen Gebäuden, u. a. der Stadtgottheit Meter Smyrnaike gewidmet.224 Zudem bildete die Festung auf dem Pagos eine „spectacular skyline“, die Dichter zu dieser Bezeichnung inspiriert hat.225 Die Stadtgottheit wird mit Mauerkrone häufig auf Münzen dargestellt, wie in der numismatischen Untersuchung herausgestellt werden konnte. Angesichts des in Aussicht gestellten Lohns im Sendschreiben an die Gemeinde in Smyrna – dem Kranz des Lebens – ergeht an die Adressaten der Appell: Die wahre Krone, nämlich den Kranz des Lebens, verleiht Gott.
219 Diese belegt die Reparatur einer Athenestatue: ἡ συνεργασία τῶν ἀργυροκόπων καὶ χρυσοχόων τὴν Ἀθηνᾶν ἐπισκευάσασα ἀποκα- τέστησε τῇ πατρίδι, στρατηγοῦν- τος ἐπὶ τῶν ὅπλων Λ(ουκίου) Οὐινικίου. 220 Vgl. McRay, Archaeology, 272. 221 Koester, Revelation, 272; Köster, Einführung, 197f: „Die einzige griechische Stadt, in der Kybele als wichtigste Göttin des Gemeinwesens zu Hause war, ist in der klassischen Zeit das kleinasiatische Smyrna gewesen.“ 222 Er thematisiert Demeter und Dionysos, die pro poleos verehrt worden seien, was nicht geographisch „vor der Stadt“ meine, sondern den Status einer Schutzgottheit bezeichne. Die Vermutung liegt nahe, da er Meter Theon sonst nicht aufzählt. Vgl. Schnabel, Mission, 798. 223 Artemis Ephesia scheint plausibler angesichts der analogen Fackelläufe in Ephesos zu Ehren der ephesischen Artemis. 224 Vgl. Ascough, Interaction, 8. 225 Vgl. Daniels, spirits, 49.
Historische Nachweise
Kaiserkultische Tempel
Im Jahre 26 n. Chr. wurde Smyrna der Bau eines Tempels für den provinzialen Kaiserkult gewährt. Dieser wurde Tiberius, seiner Mutter Livia und dem Senat gewidmet.226 Unter Hadrian wurde ein zweites kaiserkultisches Heiligtum zugelassen, das zudem Zeus gewidmet worden ist. Insgesamt gehörte Smyrna zu den ersten Städten, die aufgrund einer Neokorie einen imperialen Kaiserkult etablierten.227 Die Coverehrung des Zeus im Kaiserkulttempel erklärt ansatzweise die vielfältigen Zeusinschriften mit einer Varietät von Beinamen und die Münzfunde. Dennoch ist inschriftlich ein weiteres Heiligtum belegt (für Zeus Akraios), das bisher noch nicht freigelegt oder zerstört worden ist. Homereion
Der berühmte Homer soll aus Smyrna stammen. Laut Strabon war ihm ein Schrein mit einem hölzernen Bild geweiht.228 Die smyrnäischen Adressaten der Offb waren folglich mit hexametrischer Poesie vertraut und kannten die homerischen Gottesvorstellungen gut, die von den ebenfalls hexametrisch gestalteten OH weiterentwickelt worden sind. Die hymnenartigen Gesänge der Offb werden sie an die weltweit bekannten Hom. h. erinnert haben. 3.4.3.3 Pergamon
Über Pergamon heißt es, dass sie „die eindrucksvollste unter den sieben Städten“ gewesen sei, sodass „die junge Kirche [nirgendwo] schärfer mit hellenistischer Kultur und Religion zusammengestoßen“229 sei als in dieser Stadt. Die recht gute Dokumentierung der Baugeschichte aufgrund der fortgeschrittenen Ausgrabungen beweist eine Vielzahl paganer Kulte der Stadt. Insbesondere für die Frage nach den orphischen Mysterien stellt Pergamons Archäologie einen relevanten Untersuchungsgegenstand dar, wie sich im Folgenden zeigen wird. Pergamonaltar für Zeus und Athene
Der Altar für Zeus und Athene ist heutzutage im Pergamonmuseum in Berlin untergebracht. Dieses Exponat ist eines der besterhaltenen archäologischen Stücke Pergamons.230 Es zeigt den Kampf der Giganten mit den olympischen Göttern.
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Vgl. Schnabel, Mission, 798. Vgl. Yamauchi, cities, 57. Vgl. Koester, Revelation, 272; Kötting, Art. Smyrna, 839; McRay, Archaeology, 272. Lähnemann, Sendschreiben, 528f. Ähnlich auch Beile, Zwischenruf, 207: „insgesamt als Hochburg heidnischer Religiosität gekennzeichnet“. Ferner Brütsch, Offenbarung, 143: „imposante Gesamtheit“. 230 Vgl. Fairchild, origins, 165.
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Dabei ist der Altar voll von Motiven, die in dieser Studie bisher thematisiert worden sind: Auf der Hauptseite des Altarfrieses sieht man Hekate mit Fackel und in Begleitung eines großen Hundes, der wie eine bedrohliche Bestie wirkt. Die Giganten werden teilweise tierhaft dargestellt, wobei sie Merkmale von Vögeln, Stieren, Schlangen und Löwen aufweisen. Drei der Tiere begegnen in Offb 4 als Lebewesen am Thron Gottes. Die Schlange wird zum Sinnbild des Bösen in Offb 9, 20 und insbesondere in Offb 12. Artemis wird als mädchenhafte Jägerin dargestellt und von einem bedrohlich und wild wirkenden Hund begleitet. Auch ihre Mutter Leto trägt eine Fackel, mit der sie einen Giganten zu verbrennen versucht. Apoll ist wie seine Zwillingsschwester in seiner Wesenseigenschaft als Jäger dargestellt. Zeus wird in seinen olympischen Eigenschaften vermittelt und kämpft mit Blitzbündel. Athene besiegt in Kriegsuniform den Lieblingssohn der Gaia und wird von Nike dafür mit dem Lorbeerkranz gekrönt. Dionysos ist mit seinem Gefolge zu sehen. Auch die Mutter der Leto Phoibe schwingt eine Fackel im Kampf gegen einen Giganten.231 Dieser Altar war Zeus und Athene geweiht und war trotz Bezug zum Atheneheiligtum dort nicht untergebracht worden. Dies war auch unmöglich, da er viermal so groß war wie das Heiligtum.232 Die zahlreichen Motive sind numismatisch, epigraphisch und literarisch in den verschiedenen Städten herausgestellt worden. Insbesondere das Fackelmotiv, die triumphale Bekränzung sowie die Beitiere tauchen häufig auf, sodass sie als verbreitete Symbole fungieren. Ein ergänzendes Bild ergibt sich auch durch die abgebildeten Gottheiten: Das Zwillingspaar ArtemisApoll wird inschriftlich belegt, jedoch in anderen Ausformungen, wie die Beinamen verraten. Insbesondere Apoll wird inschriftlich vorwiegend in seinen Orakeleigenschaften überliefert, weniger als olympischer Jäger wie auf dem Gigantenfries. Die Darstellung von Dionysos nebst Gefolge ergänzt die inschriftliche Bekundung von Dionysos Kathegemon. Am evidentesten ist die Darstellung des Zeus Olympios, da sie die gleichnamigen Inschriften bestätigt. Die pergamenischen Adressaten der Offb werden die Schilderung Gottes als Thronender in der Thronsaalvision von Offb 4–5 höchstwahrscheinlich mit dem olympischen Zeus assoziiert haben, der so prominent in Pergamon „thront“, als gewaltiger Altar, der das Hauptheiligtum um das Vierfache übersteigt. Zugleich wird ihnen mit der Charakterisierung Gottes in der Offb als Thronender ein Gegenkonzept aufgegangen sein: Zeus Olympios mag in Pergamon vermeintlich thronen, doch ist der Thron Gottes im Himmel ungleich höher einzustufen und der einzig wahre Götterthron. Dies erhärtet sich angesichts
231 Vgl. die Beschreibung des Altars von Napp, Altar, 5–8. Ferner fasst Radt, Pergamon, 201f die Darstellungen knapp zusammen, ebenso Gruben, Tempel, 473. 232 Vgl. Radt, Pergamon, 190–191; Gruben, Tempel, 469.
Historische Nachweise
des Sendschreibens an die Gemeinde in Pergamon: Der Thron Satans (Offb 2,13) wird häufig mit dem Pergamonaltar in Verbindung gebracht.233 Atheneheiligtum
Der Athenetempel von Pergamon ist wahrscheinlich im Auftrag einer persischen Konkubine Alexanders d. Gr. zwischen 330 und 325 v. Chr. gebaut und unter den Attaliden stets erneuert worden.234 Er ist das älteste Heiligtum der Stadt.235 Hinsichtlich des Bestrebens Pergamons, sich zu einem zweiten Athen zu entwickeln, ist der Athenetempel dem in Athen angelehnt. Dafür spricht auch, dass unter Attalos eine Kolossalstatue der Athene entstand, der wie in Athen unter dem Beinamen Promachos, „Vorkämpferin“, ein prominenter Platz vor dem Heiligtum zustand. In römischer Kaiserzeit wurde die Athenestatue durch ein Augustusstandbild ersetzt, da Augustus ein Jahr später die Stadt besuchte. Athene galt als Stadtgottheit, worauf das Epitheton Polias hindeutet.236 Zudem ist sie als Siegbringerin, Nikephoros, verehrt worden.237 Sie galt insgesamt als die Hauptgottheit der Stadt.238 Interessant ist jedoch, dass in römischer Kaiserzeit keine pergamenischen Münzen mit Athene geprägt worden sind. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass im Zuge des imperialen Kaiserkults eine Rivalität zwischen Athene und Augustus entbrannte, die zugunsten des römischen Kaisers ausging. Der Tausch der Statuen bestätigt die zahlreichen Münzprägungen mit Augustusstandbild. Demeterheiligtum
Es wurde ein hellenistisches Gebäude freigelegt, das eine Vielzahl an Mosaiken und Fresken barg. Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um ein Kultgebäude für Demeter. Daneben sind die Überreste eines Demeterheiligtums gefunden worden, das aus dem 2. Jh.v. Chr. stammt. Es lag ursprünglich außerhalb der Stadtmauern „aus kultischen Gründen“.239 Erst die Erweiterung der Stadt unter Eumenes II. brachte das Heiligtum in die Stadt hinein. Die Anfänge des Heiligtums sind ungewiss, sodass die Existenz eines Vorbaus nicht genau bestimmt werden kann. Der erste Bau stammt womöglich aus dem 4. Jh.v. Chr. und wurde zu einem Monumentalbau im 3. Jh.v. Chr., als Philetairos und Eumenes der Mutter Boa den
233 Zu den verschiedenen Ansätzen vgl. Beile, Zwischenruf, 207; Lähnemann, Sendschreiben, 529; Müller, Studien, 109. 234 Zur Baugeschichte des Athenetempels vgl. Eder, Art. Pergamon, Sp. 546. 235 Vgl. Gruben, Tempel, 464; Radt, Pergamon, 159. 236 Vgl. Radt, Pergamon, 179–182; Gruben, Tempel, 461: „Er [Attalos I., M.S.] wollte seine Residenz zu einem neuen Athen, zum geistigen Zentrum der hellenistischen Welt machen.“ 237 Vgl. Gruben, Tempel, 464. 238 Vgl. Eder, Art. Pergamon, Sp. 544. 239 Radt, Pergamon, 206.
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Demetertempel geweiht haben.240 Die inschriftliche Bekundung dieser Einweihung ist zuvor thematisiert worden. Die architektonischen Beschaffenheiten lassen auf eine Mysterienpraxis eines reinen Frauenvereins schließen. Darauf weist z. B. eine Schautreppe hin.241 Im 2. Jh.v. Chr. ist der Tempel wiederholt erweitert und durch Königin Apollonis der Demeter und der Kore geweiht worden. Die Erweiterung zum Götterpaar bestärkt den Mysteriencharakter dieses Heiligtums.242 Bemerkenswert sind Schrankenreliefs aus Marmor, die verschiedene Unterweltgötter aus dem Demeter-Umfeld zeigen, jedoch auch dionysische Motive. Dies unterstützt den Zusammenhang beider Mysteriengottheiten.243 Die synkretistische Tendenz in römischer Kaiserzeit tritt besonders deutlich durch unzählige Weihinschriften vieler Altäre hervor, die im Heiligtum aufgestellt worden sind, und zeigen Verschmelzungen von Gottheiten, Personifikationen sowie Entwicklungen zu einem Pantheismus.244 Die Betrachtung der Münzen ergab einen Schwerpunkt von Fackelabbildungen bei der mysischen Provinzprägung. Die meisten Fackelmotive finden sich auf Münzen aus Kyzikos. Bewertet man diese Funde nun vor dem Hintergrund des pergamenischen Demeterheiligtums, zeichnet sich eine relevante und einflussreiche Demeter-Verehrung in Mysien ab. Die Adressaten der Offb, die aus Pergamon und seinem Umfeld stammen, werden die sieben Fackeln vor Gottes Thron (Offb 4) mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Demeter assoziiert haben, wie sie in den Mysterienkulten verehrt worden ist. Sie werden auch weiter an einen orphisch-dionysischen Mysterienkontext gedacht haben, dem sich die Demetermysterien angenähert haben. Dies ist nachweisbar durch die bis heute noch in Pergamon befindlichen Altäre nebst Inschriften, die den Einzug orphischpantheistischer Elemente in die pergamenische Demeter-Verehrung beweisen. Die Verehrung des Götterpaars Demeter-Kore ist bereits inschriftlich nachgewiesen worden und kann durch die archäologischen Befunde bestätigt werden. Die pergamenischen Adressaten der Offb werden beim Hören der Thronsaalvision gestaunt haben: Die sieben Fackeln vor Gottes Thron werden bei ihnen einerseits für Irritationen gesorgt, andererseits ein Gegenbild zu dem ihnen vertrauten Demeterbild gezeichnet haben. Für die völkerchristlichen Adressaten gehörten Fackeln deshalb 240 Dagegen Eder, Art. Pergamon, Sp. 544, der den ersten Bau ins 5. Jh.v. Chr. datiert. Die Abweichungen zeigen, wie schwierig die Einordnung aufgrund fehlender Hinweise ist. Zum Aufbau des eigentlichen Tempels unter Philetairos vgl. Bohtz, AvP XIII, 40–51. 241 „Der […] Vorplatz des Tempels war für Mysterienspiele bestimmt. Bergseitig säumten ihn über zehn Sitzstufen, auf denen 800 Eingeweihte (Mysten) Platz fanden.“ Gruben, Tempel, 479. 242 Vgl. die zusammenfassenden Ausführungen zum Demeter-Heiligtum bei Gruben, Tempel, 478f; Radt, Pergamon, 206–209. 243 Vgl. Radt, Pergamon, 213. 244 „Immer wieder sind als Gottheiten bloße abstrakte Begriffe und Personifikationen genannt, wie etwa ‚Tugend und Weisheit‘, ‚Glaube und Eintracht‘. Es gab auch Altäre für ‚Alle Götter und Göttinnen‘ oder ‚Die unbekannten Götter‘ oder ‚Das Allgöttliche‘.“ Radt, Pergamon, 213.
Historische Nachweise
zu den Mysterienkulten, weil sie sich diese erstens mythisch erklärten (Demeter suchte nach ihrer Tochter mit einer Fackel), zweitens die Mysterien vorwiegend als Nachtfeiern begangen wurden. In der Thronsaalvision wird Gott als Lichtgestalt umschrieben, deren Licht in verschiedenste Farben gebrochen wird. Die Fackeln sind bei diesen Lichtausmaßen überflüssig. Gerade diese Irritation wird ihnen aufgezeigt haben: Der Gott der Offb in seinen meteorologischen und kosmischen Bildern der Thronsaalvision stellt Demeter in den Schatten. Heraheiligtum
Hügelabwärts bestand ein Heraheiligtum aus dem 2. Jh.v. Chr.245 Es wurde unter Attalos II. errichtet, was weihinschriftlich belegt ist. Das Hauptkultbild der Hera stellte eine Sitzstatue dar. Daneben ist ein überlebensgroßes Standbild des Stifters Attalos gefunden worden, das Züge des Zeus aufweist. Dieses Heiligtum belegt weniger eine etablierte pergamenische Hera-Verehrung und ist eher als Selbstdarstellung des Stifters anzusehen.246 Dionysostempel
Am Fuße des Theaters ist ein Dionysostempel freigelegt worden, der ursprünglich im 2. Jh.v. Chr. errichtet worden war, später jedoch Kaiser Caracalla umgewidmet worden ist. Zudem bestand in der Stadt eine Kulthalle, die Dionysos geweiht war.247 „Dionysos war der Gott der pergamenischen Königsdynastie und auch sonst ein in Pergamon sehr beliebter und geehrter Gott.“248 Zusammen mit Herakles wurde Dionysos zum Stammvater der Attaliden und unter dem Beinamen Kathegemon verehrt. Dies ermöglichte der Dynastie die genealogische Zurückführung auf den Göttervater Zeus, eine Strategie, die sich auch die Ptolemäer zu Eigen machten. Aufgrund des besonderen Bezugs zur Gottheit sind dionysische Räume in den Königspalästen gefunden worden. So war z. B. eine Art „Königliche Hauskapelle“ für den Gott vorgesehen.249 Unter den Attaliden wurde ein dionysischer Staatskult eingeführt, mit dem auch Mysterien und Feste verbunden waren. Dazu wurde auch eine feste Priesterschaft auf Lebenszeit etabliert. Auch die dionysischen Techniten, die Vereinigung von Schauspielern und Musikern, verdankten ihre Existenz der engen Beziehung der Dynastie zu der Gottheit. Der Zusammenhang von Theater und Dionysos zeigt sich in der Erbauung des Dionysostempels am Ende der Theaterterrasse. Der Tempel wurde ursprünglich hellenistisch gebaut und bei einem
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Vgl. Fairchild, origins, 167. Vgl. Radt, Pergamon, 216. Vgl. Fairchild, origins, 166. Radt, Pergamon, 216. Der Begriff sowie die Zusammenfassung der dionysischen Affinität der Attaliden sind Radt, Pergamon, 217 entnommen.
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Brand stark zerstört. In römischer Kaiserzeit wurde der Bau erneuert. Es ist nicht sicher, wem der kaiserzeitliche Tempel geweiht worden war: Eventuell ist das Heiligtum Dionysos gemeinsam mit Kaiser Caracalla geweiht worden, „der sich gerne als ‚Neuer Dionysos‘ feiern ließ“.250 An der Südseite des Theaters grenzte ein weiterer dionysischer Bau an, welcher der sogenannten Attalistenvereinigung gehörte. Es handelte sich um einen bakchisch-orgiastischen Verein, der ausgedehnte Trinkgelage veranstaltete. Das Vereinsgebäude war ein Nischenbau mit dreistufiger Terrassenanlage.251 Schließlich ist bei neueren Ausgrabungen ein Podiensaal freigelegt worden, der eine Art „Kultlokal“ für die Bukoloi dargestellt hat. Dieser dionysische Mystenverein verehrte den Gott in Stiergestalt und veranstaltete Feste mit Schauspiel und Gesang. Dieses Gebäude lag an der Hauptstraße und ist sukzessiv entstanden. Es fasste um die siebzig Personen und hatte einen Altar vor einer Kultnische. Reste von Wandmalereien bezeugen die dionysische Ausrichtung des Raumes.252 Insgesamt bestätigen die archäologischen Reste einer Dionysos-Verehrung in Pergamon die zahlreichen Inschriften, die die Vereine, ein Heiligtum sowie die Priesterschaft belegen. Bemerkenswert ist auch der Nachweis eines dionysischen Mystenvereins, bei dem die Bezeichnung „Bukolos“ verbreitet war. Das dionysische Gottesbild der Stiergestalt sowie „Bukolos“ werden auch in den OH verarbeitet.253 Die pergamenischen Adressaten der Offb, die mit dem in ihrer Stadt etablierten Dionysoskult vertraut waren, werden insbesondere beim Hören der Thronsaalvision eine Assoziation des Stiers mit dem stiergehörnten Dionysos hergestellt haben. Vor ihren Augen wird sich ein Gegenbild zur Dionysos-Verehrung abgespielt haben, in dem der Stier eben nicht Gott ist, sondern ein Lebewesen an dessen Thron. Dionysos muss gleichsam die Ehre geben τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῷ θρόνῳ τῷ ζῶντι εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων (Offb 4,9). Tempel für Roma und Augustus
29 v. Chr. gewährte Augustus den Pergamenern den Bau eines Heiligtums für den Herrscherkult.254 Dazu passen die zahlreichen Münzbilder mit Augustusstandbild 250 251 252 253
Radt, Pergamon, 221. Zudem fasst Gruben, Tempel, 477 die Baugeschichte zusammen. Vgl. die zusammenfassende Beschreibung des Gebäudes bei Radt, Pergamon, 222f. Vgl. die zusammenfassende Beschreibung des Gebäudes bei Radt, Pergamon, 196–199. In OH 1 an Hekate heißt es im Bittabschnitt βουκόλωι εὐμενέουσαν ἀεὶ κεχαρηότι θυμῶι. In OH 31 an die Kureten, in dem zudem Elemente der Meter Oreie verarbeitet werden, steht im Bittabschnitt βουκόλωι εὐάντητοι ἀεὶ κεχαρηότι θυμῶι. Die Bitte an die Gottheit weist auf kultische Handlungen hin, die von einem Bukolos vorgenommen werden. Nicht umsonst vermutet Kern, Demeterheiligtum, 432 Pergamon für den Ursprung der OH. Belege für den stierartigen Dionysos stellen OH 30 an Dionysos (ταυρωπόν), OH 45 an Dionysos Bassareus Trieterikos (ταυρομέτωπε) und 52 an Dionysos Trieterikos (ταυρόκερως) dar. 254 Vgl. Eder, Art. Pergamon, Sp. 561; Fairchild, origins, 161.
Historische Nachweise
und der abgebildeten Roma mit patera. Häufig wurden auch beide zusammen in einer Tempelarchitektur dargestellt. Der numismatische Befund ist zuvor thematisiert worden und wird durch die archäologischen Überreste bestätigt. Trajaneum
Der Kaiserkulttempel für Trajan wurde bereits in dessen Regierungszeit begonnen und unter Hadrian fertiggestellt, wobei beide Kaiser dort verehrt worden sind.255 Man hat Teile zweier Kolossalstatuen geborgen, die Trajan und Hadrian zuzuweisen sind, denen das Heiligtum geweiht worden ist. Aus einer Inschrift aus dem Jahre 113/114 n. Chr. geht hervor, dass Trajan entweder zusammen mit Zeus Philios oder als identifizierter Zeus Philios verehrt werden sollte. Man fand passend dazu ein Marmorzepter mit Adlerkopf. Im Zuge einer Erweiterung des Heiligtums im 2. Jh.n. Chr. sind u. a. seitliche Hallen hinzugefügt worden. Die Vergrößerung des Gesamtbaus ist durchaus als Übersteigerung des Atheneheiligtums und politische Aussage zu deuten.256 Die inschriftliche Bezeugung der Kopplung von Trajanund Zeus-Philios-Verehrung ist auch numismatisch fassbar: Eine Münzserie zeigt Zeus Philios mit Trajan in einer Tempelarchitektur.257 Rote Halle
Bei der Roten Halle handelt es sich um eine monumentale Anlage, die von den Maßen her die Riesentempel von Baalbek oder Palmyra übersteigt, von der jedoch wenig bekannt ist. Es muss sich um ein kaiserzeitliches Heiligtum handeln (wohl 2. Jh.n. Chr.), das zwei Tunnel für die Wassermassen des Winterregens vorsah.258 Womöglich sind ägyptische Gottheiten darin verehrt worden. Es ist noch ein Podium nebst Sockel erhalten, auf dem wahrscheinlich ein Sitzbild gestanden hat. Zisternen, Gänge und Treppen deuten eine Kultpraxis bei dem Sitzbild an. Mehrere Beckenanlagen weisen zudem auf den Einsatz von großen Wassermengen beim Kult hin. Als verehrte Gottheit ist sowohl Sarapis als auch Isis denkbar. Dies ist jedoch nicht gesichert.259 Angesichts der Vermutung, dass die OH in Pergamon
255 Vgl. Gruben, Tempel, 475; Radt, Pergamon, 242. 256 Vgl. Hoffmann, AvP XI,5, 226. Politisch ist an dieser Baumaßnahme die Abrückung vom bisherigen Ideal, ein zweites Athen werden zu wollen (dies bereits bei Augustus) und die Orientierung an Rom durch die Priorisierung des imperialen Kaiserkults gegenüber der Athene-Verehrung. 257 Unter Trajan ist in Pergamon z. B. RPC III 1716 geprägt worden, das Trajan mit Zeus Philios in einer Tempelarchitektur zeigt. Diese Prägung wurde anlässlich des Erhalts der zweiten Neokorie vorgenommen, also 113/114 n. Chr. 258 „In Pergamon wurden in der ersten Hälfte des 2. Jh.n. Chr. nahezu gleichzeitig drei große Heiligtümer, das Trajaneum, die Rote Halle und das Asklepieion, neu errichtet oder umgebaut […].“ Hoffmann, AvP XI,5, 225. 259 Vgl. die zusammenfassende Beschreibung des Heiligtums bei Radt, Pergamon, 228–237. Auch Hoffmann geht von einem ägyptischen Heiligtum aus. Vgl. Hoffmann, AvP XI,5, 226.
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Motivanalyse
entstanden seien, plausibilisieren diese vermutlich ägyptischen Kulte eine solche Lokalisierungsthese. Asklepieion
Das Asklepieion stellt eine Gesamtanlage dar, gewissermaßen ein „Gebäudekonglomerat“260 , das aus verschiedenen Gebäuden bestand. Es ist wohl im 4. Jh.v. Chr. vor den Stadttoren gegründet worden. Den Kern des Heiligtums bildete eine Felsbarre, die von drei Wasserquellen umgeben war. Diese sind später zu einem Fels-, Schöpf- und Badebrunnen ausgebaut worden. Auf dem Felsrücken sind drei Kultgebäude erbaut worden: der Haupttempel für Asklepios Soter und zwei weitere Bauten, in denen Hygieia und der Daimon Telesphoros verehrt worden sind.261 Der beschriebene hellenistische Bau sollte in römischer Kaiserzeit zunächst erweitert werden, bevor er unter Hadrian grundlegend neugestaltet worden ist.262 Es gab eine Art „Krankenhaus“, das dem Heilgott Asklepios, dem Sohn des Apoll, geweiht war. Es stellte den wichtigsten Bau seiner Art in ganz Kleinasien dar.263 Das Beitier des Asklepios war die Schlange, die man den Patienten in der Hoffnung auf bessere Genesung in die Betten gelegt hat. Aufgrund dieser Praxis wird das Gebäude auch Inkubationsbau genannt. Dies deckt sich mit den vielen Münzprägungen Pergamons, die Schlangen zeigen.264 Weitere Bestandteile der Anlage waren die Heilige Straße, die schon in hellenistischer Zeit existierte, das römische Theater, eine Marmorhalle, eine Bibliothek und Latrinen. In römischer Zeit ist ein neuer Tempel gebaut worden (Oberer Rundbau) und dem Zeus Asklepios Soter, „einer Art universellem Allgott intellektueller Kreise“, geweiht worden. Der alte Bau blieb jedoch weiterhin ein beliebter Pilgerort.265 Die zentrale Bedeutung des Heiligtums sowie des Heilgottes zeigt sich auch in den numismatischen und epigraphischen Funden: Stadtprägungen zeigen Asklepios und Hygieia auf dem Revers. Zahlreiche Inschriften belegen Asklepios (Soter) und den Universalgott Zeus Asklepios Soter.266 Angesichts der Prominenz des Asklepieions mit seinem
260 261 262 263 264
Hoffmann, AvP XI,5, 4. Vgl. Radt, Pergamon, 250–252. Für die Baugeschichte v. a. Ziegenaus, Asklepieion, 2f. Vgl. Fairchild, origins, 155. Vgl. Fairchild, origins, 157. Diese sind jedoch nicht untersucht worden, da das Schlangenmotiv keinen Teil des zu untersuchenden Textbestands darstellt. 265 Sowohl das Zitat als auch die Beschreibung der gesamten Anlage sind Radt, Pergamon, 250–260 entnommen. Auch Gruben beschreibt die gesamte Anlage. Vgl. Gruben, Tempel, 481–485. 266 Da die Asklepios-Verehrung im epigraphischen Kapitel nicht thematisiert worden ist, sei an dieser Stelle auf diese Zeugnisse verwiesen. Sie belegen entweder Asklepios ohne Beinamen, mit Soter, in Verbindung mit Zeus oder gepaart mit Hygieia: IvP I 13.246; IvP II 251.257.264.267.290.312.332.340.365.513; IvP III 10.11. 26.34.36.38–40.47–50.55.63–66; 70–106; IMT Kaikos 819.844.850.859.953 etc.
Historische Nachweise
regen Pilgerstrom wird den pergamenischen Adressaten der Offb der hymnenartige Gesang in Offb 7,10 wie ein direkter Appell vorgekommen sein: Ἡ σωτηρία τῷ θεῷ ἡμῶν τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῷ θρόνῳ καὶ τῷ ἀρνίῳ. Die σωτηρία kommt eben nicht von Asklepios, dessen Epitheton darauf hinweist, sondern von dem Thronenden in der Offb. Dessen σωτηρία ist existenziell und betrifft nicht nur den Gesundheitszustand der Flehenden. Da die verbreitete Meinung herrschte, „[e]s war der einzelne Mensch, dem im Heilschlaf [im Inkubationsbau, M.S.] der Gott [Asklepios, M.S.] persönlich im Traum erschien“267 , wird den pergamenischen Adressaten zudem das Verständnis der „Himmelfahrt“ des Visionärs leichtgefallen sein. Sie werden das gesamte Visionskorpus mit einem heilsamen Schlaf verglichen haben, analog zu den Erfahrungen im Inkubationsbau. Kybeleheiligtum
Unter Eumenes II. entstand das sogenannte Megalesion. Laut dem antiken Autor Varro wurde das Megalesion, das der Meter Megale geweiht war, in der Nähe der Stadtmauer errichtet. Der Fundort lässt auf eine Verehrung der Meter als Beschützerin der Tore und Grenzen schließen.268 Außerhalb der Stadt sind weitere Heiligtümer für die Meter errichtet worden, zu denen von der Stadt aus Wallfahrten unternommen worden sind.269 Das relevanteste Heiligtum war Mamurt Kale, das etwa 30 km von der Stadt entfernt lag und durch Philetairos errichtet worden ist.270 Ein weiteres Heiligtum lag 5 km von der Stadt entfernt und wurde Kapikaya genannt. Es besaß eine Grotte und eine Wasserquelle. Auch hier sind Stufen und Nischen für Reliefs in die felsige Landschaft gehauen worden. Dieses Heiligtum wurde im 3. Jh.v. Chr. errichtet, doch während des 1. Jh.n. Chr. in ein Mithräum umgewandelt, wodurch es als Kybeleheiligtum an Bedeutung verlor.271 Im Vergleich mit numismatischen und epigraphischen Zeugnissen bestätigt sich, dass Kybele/Meter in Pergamon nicht dieselbe Relevanz erlangte wie Athene. Es fehlen Kybeledarstellungen auf Münzen, die die übrigen kleinasiatischen Provinzprägungen sonst zeigen. Dies beweist, dass die große Mutter nicht zu den Hauptgottheiten Pergamons gezählt hat. Es stützt auch das Bestreben der Stadt, das hellenistische Niveau Athens erlangen zu wollen. Die inschriftlichen Belege der Meter Theon und der Kybele-Rhea stützen die nichtsdestotrotz bedeutungsvollen Heiligtümer in den außerpergamenischen Landschaften. Die an Kybele/Meter erinnernden Lexeme in Offb 4–5, insbesondere „Löwe“, werden bei den pergamenischen Adressaten nicht dieselbe signalhafte Wirkung haben wie in Ephesos oder Smyrna. Historisch 267 268 269 270 271
Köster, Einführung, 181. Vgl. Eder, Art. Pergamon, Sp. 545; Roller, search, 202. Vgl. Radt, Pergamon, 274. Vgl. Roller, search, 209f. Vgl. Roller, search, 211.
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Motivanalyse
versierte Adressaten Pergamons werden mit dem Löwenbegriff höchstens einen Bezug zu Herakles hergestellt haben, der zusammen mit Dionysos als Stammvater der Attaliden galt. Eine solche Bezugnahme ist aufgrund der zeitlichen Entfernung jedoch unwahrscheinlich. 3.4.3.4 Sardes
Die antike Stadt Sardes ist bisher nur teilweise freigelegt worden, weist dafür aber prominente Bauwerke wie den Artemistempel auf. Auch andere Verehrungen können archäologisch nachgewiesen werden. Artemisheiligtum
Ein Heiligtum für Artemis bildete das Zentrum der Stadt.272 Es stellte den viertgrößten ionischen Tempel weltweit dar und wurde im 4. Jh.v. Chr. errichtet.273 Im 2. Jh.n. Chr. wurde dieser von den Römern wieder aufgebaut, nachdem er einem schweren Erdbeben zum Opfer gefallen war. Demgegenüber existierte ein Vorgänger aus persischer und lydischer Zeit.274 Der Altar des Vorgängers war der Kybele-Artemis geweiht, was für eine Identifizierung oder zumindest für eine Nähe der beiden Gottheiten spricht.275 Im hellenistischen Tempel existierte eine Kolossalstatue des Zeus, weshalb die Cella eigens dafür angepasst worden ist.276 Auch wenn verschiedene religiöse Verehrungen für Sardes belegt sind, bleibt Artemis in hellenistischer und frührömischer Zeit die dominierende Gottheit bis zum Erdbeben von 17 n. Chr.277 Die archäologischen Reste des Tempels decken sich mit dem inschriftlichen Befund, der die Artemis mit den Beinamen Sardiane, Ephesia
272 Vgl. Schnabel, Mission, 809. 273 Vgl. Fairchild, origins, 180; Yamauchi, cities, 68. 274 Zur Ausgrabungsgeschichte des Artemistempels vgl. Hanfmann u. a.: period, 119–123; Howe, Sardis, 6; Ramage u. a., excavation, 49–56. 275 Vgl. Kaletsch, Art. Sardeis, Sp. 59; Gruben, Tempel, 432: „Unterhalb der Akropolis ragte heute noch die ungeheure Ruine eines Artemis-Tempels auf, in dem man bisher, wie es naheliegt, den Nachfolgerbau des alten Kybele-Tempels erkannte.“ Zugleich sagt er Sätze später, dass aufgrund eines Wildbaches an dem Ort der Kybelebau evtl. doch an anderer Stelle zu suchen sei. 276 Vgl. Hanfmann, period, 119. So auch Howe, Sardis, 6: „First, the cella originally had only one chamber facing west […]. At some time the west wall, west door, and interior columns were removed and a new west wall, a central dividing wall and the present east door were built producing the unusual back to back chambers.“ Vgl. ferner Kaletsch, Art. Sardeis, Sp. 61. 277 Vgl. Hanfmann, period, 129.
Historische Nachweise
und Anaitis belegt.278 Vor dem Hintergrund des etablierten Kults ist die häufige epigraphische Bezeugung von Goldkränzen nicht verwunderlich. Kybele
Es ist bekannt, dass die Stadt Sardes 499 v. Chr. niedergebrannt worden ist und dabei ein Heiligtum der Kybele zerstört wurde. Insgesamt sollen Artemis und Kybele die Hauptgottheiten gewesen sein.279 Einen weiteren Hinweis auf die gleichzeitige Verehrung von Kybele und Artemis stellt ein Relief dar, das beide Gottheiten gemeinsam darstellt. Es handelt sich um ein Votivrelief aus dem 4. Jh.v. Chr., das beide Gottheiten mit einem Tier im Arm zeigt: Artemis mit Hirsch und Kybele mit Löwe. Die Anbetung durch rechts stehende Personen und die Positionierung der Gottheiten auf einer gemeinsamen Plattform deuten entweder auf eine gemeinsame Verehrung oder auf eine Identifizierung der beiden hin.280 Das Relief wurde wiederum in der Synagoge gefunden. Die Unkenntlichmachung der Gesichter sowie die Verbauung des Reliefs weisen auf eine Triumphgeste der Juden hin.281 Die archäologischen Funde bestätigen die inschriftlichen Erwähnungen der Meter Theon, die im epigraphischen Kapitel thematisiert worden sind. Da sich die sardische Artemis-Verehrung an den Ephesoskult anlehnt, verwundert die Nähe zur Kybele nicht. Den sardischen Adressaten der Offb werden die kybeleähnlichen Elemente in der Offb wie das Lexem „Löwe“ eingeleuchtet haben. Dafür waren sie empfänglicher als die Adressaten von Pergamon. Artemis-/Kybele-Altar
Neben dem Großtempel der Artemis ist ein freistehender Altar freigelegt worden, der ganz aus Stein errichtet ist.282 Wahrscheinlich handelt es sich dabei um den „tower-altar“ aus lydischer Zeit, an dem vier Löwen geborgen worden sind, zudem eine Inschrift für Kuwawa, d. h. Kybele.283 Der Altar ist der Kybele als Schutzgöttin geweiht worden.284 Dieser Fund bestärkt die Ausführungen zum Kybeleheiligtum. Der Löwe ist mit hoher Wahrscheinlichkeit als das kybelische Symbol schlechthin begriffen worden.
278 Der Beiname Ephesia erklärt sich mit der Verehrung der Artemis Ephesia durch die Stadt und durch König Kroisos selbst. Er gewährte Ephesern Asyl, die den dann in Sardes gegründeten Kult an die Artemis Ephesia anlehnten. Vgl. Mac Sweeney, Foundation, 149. 279 Vgl. Hanfmann, Letters, 222; Yamauchi, cities, 68. 280 Vgl. Hanfmann, Letters, 237.238–239. 281 „I have the feeling that the Jewish builders used the piece with some feeling of triumph when they put it in as a building stone […].“ Hanfmann, Letters, 243. 282 Vgl. Ratté, masonry, 6. 283 Vgl. Gruben, Tempel, 433; Hanfmann, Letters, 221. 284 Vgl. Kaletsch, Art. Sardeis, Sp. 59.
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Dionysos?
In Sardes sind mehrere Dionysos-Funde gemacht worden, wobei kein Heiligtum freigelegt worden ist. Dennoch ist von einer Verehrung des Gottes auszugehen: Einerseits ist in der Synagoge ein römischer Tischstützer gefunden worden, der einen efeubekränzten Dionysos zeigt.285 Andererseits ist ein Kapitell mit Dionysoskopf entdeckt worden, der wahrscheinlich die interpretatio Graeca des lydischen Weingottes Baki aus Sardes belegt. Der Kopf wird ins Jahr 210 n. Chr. datiert und wurde am Eingang des „Marble Court“ gefunden.286 Das archäologische Fehlen eines Dionysosheiligtums ist weniger auf eine tatsächlich ausbleibende Existenz und vielmehr auf den noch nicht entdeckten Standort zurückzuführen. Womöglich ist ein Dionysosheiligtum bei kaiserkultischen Stätten zu suchen, da inschriftlich eine Kopplung von Dionysos- und Kaiserkult belegt ist. Aus den Inschriften geht zudem die Etablierung der dionysischen Techniten sowie einer Priesterschaft hervor. Die sardischen Bewohner mussten folglich mit dem Dionysoskult vertraut gewesen sein. Ob daraus auch die Kenntnis des orphisch gefärbten Dionysos einhergeht, bleibt jedoch unklar. Weitere nicht freigelegte Heiligtümer
Die Münzprägung von Sardes deutet an, dass ein Aphroditetempel existierte sowie Kaiserkultstätten, ein Altar für Zeus Lydios und ein weiterer großer Altar mit Kultbildern des Herakles und des Zeus. Auch inschriftlich werden diverse Verehrungen in Sardes thematisiert wie weitere Beinamen des Zeus und ein etablierter Mysterienkult für Apoll Pleurenos. Dazugehörige Stätten sind bisher jedoch nicht freigelegt worden.287 3.4.3.5 Philadelphia
„Philadelphia was founded by either Eumenes II or his brother Attalus II. The latter was called Philadelphus because of his obvious affection and loyalty towards his older brother […]. Among the various gods whose images were depicted on local coinage but whose actual temples have not yet been uncovered are Zeus, Aphrodite, Dionysus, and Helios.”288
285 Vgl. Hanfmann, Letters, 157. 286 Vgl. Hanfmann, Letters, 189.195. 287 Kaletsch, Art. Sardeis, Sp. 60 nimmt einen Zeus-Olympios-Tempel an. Vgl. ferner Yamauchi, cities, 69. 288 Worth, cities, 194.
Historische Nachweise
Dionysostempel
Bei Philadelphia handelt es sich um eine Weinstadt, die für ihre Winzerei bekannt war. Dementsprechend betrachtete sie Dionysos als ihre Stadtgottheit.289 Verschiedene historische Zeugnisse belegen die Verehrung als Dionysos Kathegemon sowie einen dazugehörigen Mystenverein.290 Kaiserkult
In Philadelphia sind verschiedene Kaiser kultisch verehrt worden, nachdem sie bei dem Wiederaufbau der Stadt nach schweren Erdbeben 17 und 23 n. Chr. geholfen haben. Es ist ein Heiligtum für Tiberius erbaut worden, später wurden andere Heiligtümer Caligula und Vespasian geweiht. Eine Neokorie erhielt die Stadt jedoch erst mit Caracalla, die den Bau eines dazugehörigen Kaiserkulttempels nach sich zog. Denkbar ist zudem, dass Dionysos (Kathegemon) zusammen mit dem Kaiser dort verehrt worden ist.291 Die Münzprägung und der Inschriftenbefund sind für diese Stadt derart umfangreich, dass bei zukünftigen Ausgrabungen zahlreiche Tempelfreilegungen zu erwarten sind, insofern diese durch die rege Erdbebentätigkeit nicht komplett zerstört worden sind. Aufgrund der vielen numismatischen und epigraphischen Funde wären die Freilegung oder Entdeckung von Meterheiligtümern sowie Spuren einer Zeus-, Apoll-, Dionysos- und sogar Herakles-Verehrung von besonderem Interesse. 3.4.3.6 Thyatira
Die Stadt ist archäologisch bisher wenig untersucht worden. Das heutige Akhisar verdeckt die meisten Teile der antiken Stadt, sodass bisher keine Tempel freigelegt werden konnten.292 Aufgrund des numismatischen und epigraphischen Befunds sind v. a. dionysische Bauten zu erwarten, denn Dionysos wurde als Kathegemon verehrt. Auch die belegte Verehrung der Meter und des Apoll sowie des Zeus könnten die zukünftige Ausgrabung entsprechender Heiligtümer nach sich ziehen.
289 Vgl. Worth, cities, 194. 290 Vgl. Merkelbach, Hirten, 20. 291 Das behauptet auch Worth: „[T]he worship of both the imperial cult and Dionysos tended to be blended together into joint worship.“ Worth, cities, 194. 292 Vgl. Fairchild, origins, 174; Hemer, letters, 106. Zurzeit werden Ausgrabungen an einem 2019 freigelegten hellenistischen Tempel vorgenommen. Die Identifizierung des Heiligtums ist noch nicht erfolgt. Erste Berichte sind zu lesen in AnAr 23, 159–192.
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3.4.3.7 Laodizea
In Laodizea sind Tempelanlagen ausgegraben worden, von denen nicht klar ist, wem sie geweiht waren. Für Tempel A wird am häufigsten angenommen, dass es sich ursprünglich um ein Heiligtum des Apoll entweder aus dem 1. oder 2. Jh.n. Chr. handelte, neben Apoll auch eine Artemis-Verehrung vorsah und später in einen Kaiserkulttempel umgewandelt worden ist.293 Die Verwendung von Spolien beweist, dass es sich um Heiligtümer verschiedener Zeiten handelt, deren Material wiederverwertet worden ist.294 Insgesamt sind trotz einer gewissen Ausgrabungsgeschichte bisher keine weiteren Heiligtümer freigelegt oder identifiziert worden. Aufgrund der inschriftlichen und numismatischen Hinweise wären Spuren einer Apoll- und v. a. Zeus-Verehrung zu erwarten. Zeus Laodiceus hat überregionale Bedeutung erlangt, was die Münzen anderer Stadtprägungen beweisen. Womöglich lassen sich zukünftig Hinweise finden, die die nicht identifizierten Tempel den zu erwartenden Gottheiten zuordnen können. 3.4.4
Griechische Plastik
Im Folgenden sollen Reliefs sowie kleine und große Skulpturen untersucht werden, die die bisherigen Ausführungen ergänzen. Die Sortierung folgt dabei wieder den Lexemen der fünf untersuchten Kapitel der Offb und nicht mehr den Orten der sieben Sendschreiben. 3.4.4.1 Offb 4 Μόσχος
Es wurden Opferstierdarstellungen auf ionischen Kapitellen in Ephesos gefunden, die bei den Artemisia geopfert worden sind. Dabei fällt eine Ähnlichkeit zu Stierdarstellungen in Samothrake auf, was wiederum auf die Nähe von Artemis und Kybele verweist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in Samothrake die Muttergottheit Kybele verehrt worden ist.295 Dieser Fund deckt sich mit dem in den OH verbreiteten Epitheton ταυροφόνος, das sich in OH 14 und 27 auf die stiertötende Rhea und Göttermutter bezieht. Das mythisch überlieferte Töten der Stiere durch Kybele wurde in den Artemiskult eingegliedert, wo die Tötung durch die Opferung von Stieren kultisch nachempfunden worden ist. Bemerkenswert ist auch die Nähe
293 Vgl. Șimșek/D’Andria, Landscape, 18; Yazıcı, Hierapolis, 111. 294 Vgl. Yazıcı, Hierapolis, 111. 295 „Die weibliche Gottheit, die bei den Mysterien von Samothrake verehrt wurde, hieß Kybele, die ‚Große Mutter‘.“ Behnk, Dionysos, 89.
Historische Nachweise
zu Dionysos, der in den OH als ταυρωπός, ταυρομέτωπος und ταυρόκερως angerufen wird. Anhand dieses Funds zeigt sich erneut die komplementäre Beziehung zwischen beiden Gottheiten.296 Λέων
Aus Smyrna sind mehrere schlecht erhaltene Plastiken belegt, die Kybele mit Löwen zeigen.297 Diese Beispiele veranschaulichen die rege Bezeugung von Kybele in Smyrna, was die städtische Münzprägung, insbesondere die thronenden Kybeledarstellungen mit patera bestätigt sowie die Inschriften der Meter Theon Smyrnaike und die Bezeugung eines Metertempels nahe des smyrnäischen Hafens. Eine jüngere Darstellung stellt eine Kybele mit tympanon und patera auf einem Prozessionswagen dar, der von zwei Löwen gezogen wird. Es handelt sich um eine Bronzefigur aus dem 2. Jh.n. Chr.298 Ein solcher Löwenwagen-Typus ist bereits auf der Silberplatte von Parabiago zu sehen.299 Auch für den ephesischen Meterkult ist ein Kleinfund erhalten: Es handelt sich um eine frühhellenistische Terrakottafigur der Meter, die 2009 im Felsenheiligtum der Meter auf dem Panayırdaǧ gefunden worden ist. In Ephesos ist ein Goldfundensemble entdeckt worden, das eine weibliche Statuette sowie Fibeln mit Löwenköpfen beinhaltet. Es ist in der Nähe einer Kultbasis des Artemisions gefunden worden, die aus dem 7. Jh.v. Chr. stammt.300 Diese Goldfunde sind höchstwahrscheinlich auf die phrygische Kybele zu beziehen. Zudem ist ein Elfenbeinlöwenkopf als Votivgabe im Artemision entdeckt worden.301 Schließlich sei auf ephesische Weihreliefs hingewiesen, die die stehende Kybele mit zwei Löwen und zwei weiteren Gottheiten zeigen und ein Zeugnis des kleinasiatischen Synkretismus darstellen.302 Ein weiterer Kybelefund in einem Ort der Sendschreiben betrifft 296 „Im griechischen Kult ist Kybele oftmals mit Dionysos vereint.“ Behnk, Dionysos, 90 in Bezug auf Eur. Bacch. 78–82. 297 Für eine Übersicht ist auf die Tf.557–566 in Vermaseren, CCCA I zu verweisen. 298 Die Figur ist im Metropolitan Museum of Art zu besichtigen und ist eine Stiftung von Henry C. Marquand. Vgl. Giebel, Geheimnis, 116. 299 Kybele und Attis sind beide auf dem Löwenwagen zu sehen. Die Platte stammt aus Parabiago und ist in Mailand ausgestellt. Es handelt sich um ein vergleichsweise junges Exponat (4. Jh.n. Chr.), das jedoch beweist, wie kontinuierlich die Kybelevorstellungen waren und wie weit sich der Kult verbreitet hat. Vgl. Giebel, Geheimnis, 142. 300 Vgl. Scherrer, Ephesos, 46. Das Exemplar ist im Ephesos-Museum in Selçuk zu besichtigen. 301 Vgl. Scherrer, Ephesos, 212. Das Exemplar ist im Ephesos-Museum in Selçuk zu besichtigen. 302 Vermaseren, CCCA I, 194–198 Tf.649–655 fasst zahlreiche Exemplare dieses Typs zusammen. Die Reliefs sind im Ephesos-Museum in Selçuk ausgestellt. Roller stellt heraus, dass während die jugendliche Figur neben Kybele mit Sicherheit Hermes darstelle, die bärtige Figur mehrere Interpretationsmöglichkeiten eröffne. Entweder handle es sich um Zeus oder um Apoll (jeweils Patroos). Die Bedeutung der beiden Begleiter sei mysterienkultisch zu betrachten: Hermes als Geleiter in die Unterwelt sei direkt einleuchtend, Zeus erschließe sich erst über die interpretatio Graeca der Kybele mit seiner Mutter Rhea. Vgl. Roller, search, 201f. Die synkretistische Tendenz
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ein Relief aus Sardes: Bei Ausgrabungen der Synagoge ist ein Marmormonument entdeckt worden, das die Gottheit in einem Schrein stehend zeigt. Sie drückt einen kleinen Löwen an ihre Brust und wird von zwei Schlangen umrahmt. Man sieht auf den anderen Seiten des Fundes weitere Figuren, darunter Löwen, anbetende Frauen und Silene, was die Verbindung der Göttermutter zum dionysischen Kreis belegt. Es sind auch Priesterinnen abgebildet, was auf eine Kultpraxis hindeutet.303 Ein weiterer Fund aus der Synagoge stellt ein Löwenpaar aus lydischer Zeit dar. Diese ursprünglich für Kybele vorgesehenen Skulpturen sind von der jüdischen Gemeinschaft wahrscheinlich weiterverwendet worden.304 Zahlreiche Weihreliefs bestätigen die inschriftlich belegten Meter Smyrnaike sowie Sipylene. Ἀετός
Bei der Freilegung der Synagoge von Sardes wurde ein Relief entdeckt, das einen Adler mit Blitzbündel zeigt.305 Es ist zudem auf das bereits genannte Kybelemonument zu verweisen, das auf der Rückseite zwei Adler zeigt. Diese attackieren Tiere an einem Baum.306 Λαμπάς
Die Fackel ist auf plastischen Darstellungen stets im (mysterien-)kultischen Kontext zu sehen. Es existiert eine Marmorplatte, die zugleich mehrere der in dieser Studie besprochenen Motive aufgreift, zu denen auch die Fackel gehört: Es handelt sich um eine Meter-Attis-Szene, die offensichtlich kultischer Art ist.307 Häufig sieht man Fackeln bei Szenen der Eleusisweihen: Auf einem der zahlreichen Reliefs sieht man Demeter und Kore zusammen, wobei Kore eine Fackel in der Hand hält. Diese deutet auf die Suche der Demeter nach ihrer Tochter und auf die Reinigung der Mysten bei den Eleusinischen Weihen hin.308 Ein weiteres Relief, das zur Lovatelli-
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zeige sich in diesem ikonographischen Typus, der Gottheiten des griechischen Pantheons mit der phrygischen Kybele vereint. Vgl. Roller, search, 202. Vgl. Hanfmann, Letters, 133.137. Vgl. Hanfmann, Letters, 134. Vgl. Hanfmann, Letters, 135. Vgl. Hanfmann, Letters, 133. Man sieht die Göttermutter auf einem Thron, das tympanon in ihrer Hand und einen Löwen zu ihren Füßen. Im Vordergrund ist ein brennender Altar zu erkennen sowie eine Fackel, eine phrygische Mütze, ein Krug und ein Teller. Zwei Opfertiere sind ebenfalls zu sehen: ein Widder und ein Lamm. Man sieht zudem eine Fichte – Attribut des Kultes – und einen Hirtenstab. Kymbala und eine Flöte sind zu sehen. Schließlich sieht man zwei Korybanten mit Helm und Schild, wobei einer den auf einem Felsen zusammenbrechenden Attis stützt. Hinter Kybele sieht man eine Göttin mit nimbus, die ein kymbalon schlägt. Dabei handelt es sich womöglich um Hekate oder Selene. Die Platte ist im Cabinet des Médailles in Paris zu besichtigen. Vgl. Burkert, Mysterien, T.9. Das Exponat ist im Museum von Eleusis zu begutachten. Vgl. Giebel, Geheimnis, 10.
Historische Nachweise
Urne gehört, zeigt die Reinigungsszene der Weihen: Ein Initiand sitzt verhüllt auf einem Hocker, während links von ihm eine Priesterin mit gesenkter Fackel zu sehen ist.309 Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Weihrelief an Leto aus Isparta, womöglich aber aus Smyrna: Dabei handelt es sich um ein Zeugnis des kleinasiatischen Synkretismus, denn die ikonographischen Eigenschaften sind denen der Kybele, Hekate und Artemis ähnlich. Leto wird in der dazugehörigen Inschrift zudem als Thea Leto bezeichnet. An anderer Stelle ist sie als Meter Leto bekannt.310 Auch eine Kandelaberbasis aus Veji zeigt das Fackelmotiv im kultischen Kontext: Man sieht Zeus und eine Priesterin neben einem geschmückten Pfeiler, an dem eine Fackel brennt.311 Der kultische Kontext der Fackel ist hier also mit Zeus verbunden, was mit den Assoziationen in der Offb vergleichbar ist: Dort brennen sieben Fackeln vor dem Thron Gottes (4,5). 3.4.4.2 Offb 5 Στέφανος
Die bereits mehrfach herausgestellte kultische Konnotation von Kränzen wird auf einem Weihrelief aus Eleusis dargestellt: Der Königssohn Triptolemos, der als erster Eingeweihter der Eleusismysterien gilt, empfängt von Demeter die ersten Kornähren und wird von Kore bekränzt.312 Ein Relief aus Milet zeigt Apoll frontal, wahrscheinlich als Kultbild. Dieses wird von zwei bekränzten männlichen Figuren umrahmt, die mit brennenden Fackeln ausgestattet sind.313 Κιθάρα
Die bisherigen historischen Zeugnisse ergaben, dass die kithara hauptsächlich als apollonisches Instrument verstanden worden ist. Deshalb sind Darstellungen von Apoll Kitharodos auch sehr häufig. Dieser ikonographische Typus, der sich vom griechischen Bild des Apoll als Jäger entfernt, tauchte u. a. vermehrt im Nordwesten Kleinasiens sowie in Karien auf Votivreliefs auf. Vermutet wird die interpretatio Graeca lokaler Vatergottheiten durch Apoll Kitharodos.314 Es ist ein oscillum gefunden worden, das eine mythologische Szene mit tanzendem Satyr zeigt: Apoll spielt
309 Das Relief ist im Nationalmuseum von Neapel zu sehen. Vgl. Giebel, Geheimnis, 32. 310 Das Weihrelief gehört zur Dresdner Sammlung und wird auf das 2. Jh.n. Chr. datiert. Vgl. Knoll, Katalog, 119. 311 Die Darstellung entspricht der Seite C der Kandelaberbasis und gehört zur Dresdner Sammlung. Vgl. Knoll, Katalog, 21–22. 312 Das Weihrelief ist im Nationalmuseum von Athen ausgestellt und wird ins Jahr 430 v. Chr. datiert. Vgl. Giebel, Geheimnis, 19. 313 Das Relief ist im Theater von Milet gefunden worden. Vgl. Napoli, reliefs, 266. 314 Vgl. Papantoniou, terracottas, 74.
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auf der kithara, wobei eine Hand eine Erholungsgeste andeutet. Der Silen Marsyas ist am rechten Bildrand an einem Baum aufgehängt. Ein Satyr tanzt ekstatisch zu der apollonischen Musik.315 Dass die kithara ein typisch apollonisches Instrument ist, zeigt auch ein Relieffragment mit dem spielenden Apoll aus Rom.316 Bemerkenswert ist an dieser Stelle die Kombination des Apoll Kitharodos mit dionysischen Elementen. Prozession
In Offb 5 bewegen sich die vier Lebewesen und 24 Ältesten zum Thron Gottes hin. Die Attribute in ihren Händen sowie ihre Bekleidung charakterisieren den Zug als liturgische Prozession. Solch kultische Festzüge sind im paganen Kontext geläufig. Insbesondere die Mysteriengottheiten des Kybele-, Demeter- und Dionysoskults werden auf griechischen Plastiken dargestellt. Zu nennen ist eine Prozessionsszene auf einem Altar, der ins Jahr 200 n. Chr. datiert wird. Die Prozession wird zu Ehren der Meter veranstaltet. Im Gegensatz zur Offb, bei der die Prozession sich zu einem Thron hinbewegt, sieht man auf dem Altar den Thron der Göttermutter als Teil der Prozession. Dieser wird von phrygisch gekleideten Männern auf einer Sänfte zusammen mit Statuetten transportiert.317 In diesem Kontext ist erneut auf die Bronzefigur der Kybele hinzuweisen, die einen von Löwen gezogenen Prozessionswagen mit Kybele darstellt. Auch dieses Exponat zeigt die Teilnahme der Gottheit bei der Prozession. Die Weihetafel der Niinnion zeigt ebenfalls eine Prozessionsszene, bei der eine göttliche Figur mitgeht. In dem Fall ist der göttliche Iakchos zu erkennen, der teilweise mit Dionysos identifiziert worden ist.318 Die Mitführung von Kultbildern der jeweiligen Gottheit ist eine verbreitete Konvention in den religiösen Verehrungen der Griechen und Römer. Die Offb schildert eine Prozession ganz anderer Natur: Es bedarf keiner Kultbilder und das Aussehen des Sitzenden auf dem Thron bleibt unbekannt. Zudem ist er nicht Teil der Prozession, sondern ihr Ziel: In Offb 5,8 ziehen die vier Lebewesen und 24 Ältesten mit liturgischen Utensilien zum Thron Gottes.
315 Das Exponat zählt zu der Dresdner Sammlung und wird ins 1. Jh.v. Chr. datiert. Vgl. Knoll, Katalog, 50f. 316 Es gehört zur Dresdner Sammlung und wird ins 2. Jh.n. Chr. datiert. Da der Gott nach rechts gewandt ist, handelt es sich womöglich um den Ausschnitt einer szenischen Darstellung, die Teil eines Sarkophags oder -deckels ist. Vgl. Knoll, Katalog, 171. 317 Der Altar steht im Fitzwilliam-Museum in Cambridge. Vgl. Burkert, Mysterien, T.10. 318 Vgl. Burkert, Religion, 428. Die Weihetafel ist im Museum von Eleusis zu begutachten und wird ins 4. Jh.v. Chr. datiert. Vgl. Giebel, Geheimnis, 35.
Historische Nachweise
3.4.4.3 Offb 7 Δένδρον
In Offb 7 haben die vier Engel an den Weltecken Macht über die vier Winde, welche über die Erde, das Meer und die Bäume wehen. Diese Beschreibung erinnert an griechische Plastiken, in denen Orpheus Macht über Bäume und Tiere aufweist.319 Ein solches Motiv ist z. B. auf einem Mosaik zu erkennen, das den spielenden Sänger in phrygischer Kleidung zeigt.320 Ein Relief zeigt zudem den Sänger beim Vorspielen eines Liedes für einen Baum.321 Zudem ist eine Katakombenmalerei des spielenden Orpheus unter Bäumen zu nennen.322 Ein Baumkult bzw. zumindest ein heiliger Baum ist auf einem Relieffragment aus dem 1. Jh.v. Chr. zu sehen: Im Geäst einer Platane sind eine Binde, ein Köcher und ein Bogen zu erkennen.323 Zu nennen ist auch eine Reliefplatte aus dem Telephosfries des Pergamonaltars: Man sieht eine Opferszene unter einer Platane, die beweist, dass dieser Baum kultische Bedeutung hatte.324 Ein uneindeutiger Fund stellt eine fragmentierte Marmorskulptur aus dem Theater des Asklepieions von Pergamon dar: Es wird angenommen, dass es sich bei dem Torso und dem abgestützten Arm an einem Baumstumpf um einen Satyr handele, neben dem ein Panther gesessen habe.325 Angesichts des Fundorts scheint die Identifizierung plausibel, wirft jedoch viele Fragen auf. Der Baumstumpf und die anlehnende Geste sowie das nicht erkennbare Tier lassen alternativ an den zusammenbrechenden Attis denken, der sich laut Mythos unter einem Baum entmannt und verblutend stirbt. Das Tier könnte ein Löwe gewesen sein.
319 „[I]t is with his music that he charmed animals, trees and stones […].“ Bremmer, Orpheus, 57. Ähnlich auch Guthrie, Orpheus, 1; Hogart, hymns, 19. 320 Das Mosaik ist in Palermo zu besichtigen. Vgl. Scheffer, Mysterien, T.7. 321 Das Relief ist im Oberösterreichischen Landesmuseum in Enns zu begutachten und stammt aus der Region. Dies beweist die weite Verbreitung des Motivs. 322 Die Katakombenmalerei ist aus Rom und wird ins 4. Jh.n. Chr. datiert. Vgl. Kloft, Mysterienkulte, 119. 323 Das Exponat gehört zur Dresdner Sammlung und stammt ursprünglich aus Rom. „Einzelne Bäume sind ein prägendes Element von sog. Sakrallandschaften, die ländliche Heiligtümer oder idyllische Szenen mit Bauern und Hirten zum Thema haben, in die häufig ein Götterbild oder ein sacellum integriert ist. […] Diese stimmungsgebenden Reliefs erfreuten sich im 1. Jh.v. Chr. und in der frühen Kaiserzeit einer besonderen Beliebtheit […].“ Knoll, Katalog, 61. 324 Die Platte ist im Pergamonmuseum Berlin zu begutachten. Vgl. Radt, Pergamon, 203. 325 Vgl. die zusammenfassende Beschreibung von Luca, Skulpturen, 250–251.259. Sie formuliert selbst Zweifel an einem dionysischen Zusammenhang und sieht als Argument die Zusammengehörigkeit mit weiteren dionysischen Funden.
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Motivanalyse
Στολαὶ λευκαί
In Offb 7 werden die Sieger beschrieben, die in weißen Gewändern vor dem Thron Gottes stehen, welche sie durch das Blut des Lammes weiß gemacht haben. Der Reinigungsvorgang durch Opferblut taucht im Mysterienkult der Kybele und des Attis ebenfalls auf: Eine Darstellung zeigt den Vorgang der sogenannten „Bluttaufe“ im Taurobolium, bei der ein Myste sich im unterirdischen Gewölbe befindet und durch einen über ihn geschlachteten Stier mit dessen Blut bedeckt wird. Dies wird durch einen aus durchlöcherten Brettern bestehenden Boden ermöglicht, auf dem der Stier geopfert wird.326 Dieser Vorgang ist als magisch einzustufen, da das Blut des Opferstiers eine Kraftübertragung auf den Mysten zur Folge hat.327 Es heißt an anderer Stelle, dass das Blut „die Schuld tilgte und dadurch dem Eingeweihten die Wiedergeburt schenkte, und zwar […] für jeweils zwanzig Jahre, […] nach deren Ablauf der Ritus wiederholt werden musste.“328 Den damit vertrauten Adressaten der Offb wird begreifbar, dass die durch das Blut des Lammes weißen Gewänder in Offb 7 ungleich höher einzustufen sind als der Vorgang im Taurobolium: Das Lamm stiftet eine endgültig und ewig neue Existenz, nicht nur für zwanzig Jahre. Φοίνικες
Die bereits erwähnte Weihetafel von Niinnion erinnert an die Sieger aus Offb 7, die in weißen Gewändern und mit Palmzweigen in den Händen vor Gottes Thron stehen. Die Tafel zeigt die Mysten von Eleusis, zwar nicht mit Palm-, sondern mit Myrtenzweigen, doch die Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Man erkennt zudem eine Bekränzung der Prozessionsteilnehmer, wahrscheinlich ebenfalls aus Myrten. Von den Mysten ist auch bekannt, dass sie nach der Weihezeremonie neue Gewänder als Zeichen eines neuen Lebens trugen.329 3.4.4.4 Offb 11 Κάλαμος ὅμοιος ῥάβδῳ
Auf einer Säulentrommel des jüngeren Artemisions in Ephesos ist eine Darstellung zu sehen, bei der eine Figur mit einem an den caduceus erinnernden Stab
326 Der Myste ist übrigens bei dem Vorgang goldbekränzt. Vgl. Kloft, Mysterienkulte, 62. Die Einrichtung eines Tauroboliums ist erstmalig in Pergamon belegt. Vgl. Ferguson, religions, 29; Johns, lamb, 67. Zur Analogie von Taurobolium und Taufe vgl. Herrero de Jáuregui, Orphism, 334 Anm. 71. 327 „Im Kult des Attis sollte der Myste durch die Bluttaufe des Tauroboliums mit höheren Kräften erfüllt werden; ja er erhoffte durch das über ihn rieselnde Tierblut eine Wiedergeburt.“ Lurker, Wörterbuch, 17. 328 Köster, Einführung, 199. 329 Vgl. Giebel, Geheimnis, 35.49.
Historische Nachweise
ausgestattet ist. Sie ist einer weiblichen Figur zugewandt. Dies lässt an Hermes Psychopompos denken, der Eurydike oder Alkestis zum Hades begleitet.330 Die Nähe von Hermes und Dionysos sowie ein Stab zeigen sich an einer Skulptur, die im Theater des Asklepieions von Pergamon gefunden worden ist: Die stark beschädigte Marmorstatue lässt trotz fehlender Teile erkennen, dass es sich um Hermes mit caduceus und dem Dionysoskind auf dem Arm handelt. Zwar ist der Kopf des Kindes abgeschlagen, doch ist ein solcher mit Efeukranz ebenfalls im Theaterkomplex geborgen worden.331 Ἀνέβησαν εἰς τὸν οὐρανόν
In zahlreichen Reliefs, Säulenbasen und Statuen wird häufig die gegenteilige Darstellung gezeigt: der Abstieg in die Unterwelt. Das Entscheidende ist an dieser Stelle nicht die Richtung, sondern das Ziel der Reise – die Gegenwart der Götter. Während v. a. die Jenseitsvorstellungen der Mysterienkulte einen direkten Abstieg ins Jenseits als ganz andere Welt schildern, ist die Vorstellung in der Offb, dass die Verstorbenen zu Gott kommen, um gerichtet zu werden. Seine Gegenwart wird im Himmel beschrieben, weshalb ein Aufstieg notwendig ist. Ein Abstieg in den Hades ist z. B. Thema eines Marmorreliefs, das Orpheus, Eurydike und Hermes zeigt.332 3.4.4.5 Offb 15 Ληνὸς τοῦ θυμοῦ τοῦ θεοῦ
In Offb 15 treten die sieben Engel mit den Zornschalen Gottes auf. Im weiteren Verlauf der Visionsschilderungen wird ersichtlich, dass deren Inhalt aus dem Zornwein Gottes besteht, der in Offb 14 geerntet worden ist. Das Erntebild erinnert an die zahlreichen dionysischen Reliefs, die die Ernte und Kelterung von Trauben zeigen: Wiederholt wird der Typus des Keltertanzes verwendet. Zwei Satyrn keltern Weintrauben, indem sie Hand in Hand einen Rundtanz vollführen. Ein weiterer Satyr begleitet den Tanz musikalisch auf der Doppelflöte. Diese Darstellung findet sich auf zwei Terracottareliefs.333 Bemerkenswert ist zudem das Erntemotiv auf einem weiteren Terracottarelief, auf dem man Satyrn bei der Weinlese erkennen
330 Hermes wird u. a. als „Gott des Grenzbereichs und des tabubrechenden Übergangs“ verstanden, wodurch ihm die Aufgabe des Totentransports zugekommen ist. Vgl. Burkert, Religion, 243. 331 Vgl. die Beschreibung von Luca, Skulpturen, 243–245. 332 Laut Mythos muss Hermes die von Orpheus befreite Eurydike wieder zurück in den Hades bringen, weil er sich nicht an die Bedingungen seiner Befreiung hielt (Ov. met. X 1–171). Das Exponat befindet sich im Museo Archeologico Nazionale in Neapel und wird ins Jahr 79 n. Chr. datiert. 333 Das erste Exemplar wird ins 1. Jh.n. Chr. datiert, das zweite ins 2. Jh.n. Chr. Vgl. Merkelbach, Hirten, 238.
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Motivanalyse
kann. Während die beiden dionysischen Motive positiv konnotiert sind, erlangen sie in der Offb eine negative Symbolik: Der Wein ist nicht mehr Symbol der Freude und des Überflusses wie beim Weingott Dionysos, sondern Zeichen des Zornes Gottes, der mit den Ungerechten und Unbußfertigen der Welt abrechnet. Die Ironie, die durch die Umdeutung des Weinsymbols entstanden ist, kann den Adressaten der Offb nicht entgangen sein. 3.4.5
Sonstige Kleinfunde
Für den dionysischen Kontext und mit Blick auf die Motive der Offb sind weitere Kleinfunde relevant, die einen weniger repräsentativen Wert besitzen als Münzen, Inschriften und Ausgrabungsstätten. Dabei sind einerseits Vasenbilder zu behandeln, weil sie zahlreiche Dionysosmotive, insbesondere orphischer Art, aufweisen. Andererseits sind die sogenannten Orphischen Goldblättchen zu thematisieren, die den Eingeweihten bei deren Bestattung um den Hals oder in den Mund gelegt worden sind.334 3.4.5.1 Vasenbilder
„Kaum eine andere Gottheit wird auf attischen Vasenbildern des sechsten und der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts so häufig dargestellt wie Dionysos.“335 Aus dem Grund lohnt sich ein Blick auf verschiedene Vasenbilder, die orphische und dionysische Szenen darstellen. Dabei werden Vasen verschiedener Epochen und Stile betrachtet. Grundsätzlich sind viele mysterienkultische Motive abgebildet, insbesondere auf Grabvasen. Auch wenn die erhaltenen Exemplare oft viel älter sind als die Offb und die OH, handelt es sich um Motive, die nicht an eine bestimmte Epoche gebunden sind. Dies zeigt sich z. B. an der Übereinstimmung der mysterienkultischen Motive mit Vorstellungen der OH. Auch wenn sich diese durchziehen, sind gewisse Entwicklungen zu beobachten: Eine Halsamphora aus dem 6. Jh.v. Chr. zeigt die bakchische Raserei: Dionysos ist mit zwei tanzenden Mänaden zu sehen, die fellbekleidet dem bekränzten Gott mit kantharos einen Hasen reichen.336 Zudem ist eine panathenäische Preisamphora aus dem 6. oder 5. Jh.v. Chr. als weitere Mänadendarstellung zu nennen, die eine blonde und bekränzte Mänade mit thyrsos zeigt.337 Im 5. Jh.v. Chr. verdrängen Dionysosdarstellungen mit thyrsos jene mit kantharos in der Hand. Die Gottheit 334 335 336 337
Vgl. Bernabé, Instructions, 294. Rühfel, Baum, 42f. Die Amphora ist im Cabinet des Médailles in Paris zu sehen. Vgl. Tetzlaff, Vasenbilder, 50. Das Exponat befindet sich in den Staatlichen Antikensammlungen in München. Vgl. Tetzlaff, Vasenbilder, 55.
Historische Nachweise
wird zunehmend jugendlich und bartlos dargestellt, obwohl der bärtige Typus sich zunächst noch hält. Ein jugendlicher Dionysos erscheint z. B. auf einer Vase des Dinosmalers aus dem Jahre 420 v. Chr. mit thyrsos.338 Dieser Dionysosstab mag den Adressaten beim Hören des κάλαμος ὅμοιος ῥάβδῳ in Offb 11 in den Sinn gekommen sein. Sowohl die Numismatik als auch die Epigraphie hat eine Nähe von Hermes und Dionysos in Kleinasien nachweisen können. Beide Gottheiten haben einen Stab zum Attribut. Diese Nähe wird auch durch Kleinfunde wie die „Namengebende Vase des Berliner Malers“ gestützt: Sie zeigt Hermes und einen Silen mit charakteristischen Attributen. Besonders auffällig ist dabei, dass Hermes mit caduceus bei dionysischen Darstellungen häufig anwesend ist.339 Dieses Exponat ist eine ikonographische Bestätigung des Hermesstabs und der Nähe zu Dionysos, wie sie numismatisch und epigraphisch herausgestellt worden ist. Interessant sind auch Halsamphoren, die Silene beim Keltern zeigen.340 Es erinnert an den Zornwein Gottes sowie an die Kelter in Offb 14; 19 und deckt sich mit den bereits thematisierten Kelterreliefs. Auch der Mythos des Orpheus wird auf Vasen dargestellt: Auf einem Kolonettenkrater aus dem 5. Jh.v. Chr. ist Orpheus zu sehen, wie er mit lyra ausgestattet den Thrakern vorsingt.341 Die bisher genannten Funde zeigen auf, dass die Mythen des Dionysos sowie des Orpheus ein hohes Alter aufweisen und v. a. den homerischen Dionysos darstellen, den Gott des Weines.342 Auf mehreren Exponaten wird eine eschatologische Entwicklung nachgewiesen: Eine dieser Darstellungen zeigt Eros, der eine Dionysosmystin zur Unterwelt geleitet. Eine weitere Mystin begrüßt diese mit dem Spiegel als Erkennungszeichen.343 Das orphische Spiegelmotiv taucht auf einer weiteren Vase auf: Eine verstorbene Frau ist mit einem Spiegel abgebildet, der sie als Eingeweihte der Dionysosmysterien kennzeichnet.344
338 Die Abbildung zeigt Dionysos bartlos und mit Thyrsosstab. Es gehört zur Berliner Antikensammlung (F 2402 [60]). Vgl. Heinemann, Gott, 75. 339 Die sogenannte „Namengebende Vase des Berliner Malers“ ist in Mannack, Vasenmalerei, 146 zu sehen und stammt von Furtwängler/Reichhold, Vasenmalerei, Tf.159,2. 340 Zwei Darstellungen sind auf der Halsamphora L 208 zu nennen, die im Martin von WagnerMuseum in Würzburg ausgestellt ist. Vgl. Rühfel, Baum, 48. 341 Die Vase ist im Antikenmuseum in Berlin zu begutachten. Vgl. Tetzlaff, Vasenbilder, 33. 342 Solche Darstellungen beginnen 570 v. Chr. und verwenden als Hauptattribute Efeu und Weintrauben. Vgl. Rühfel, Baum, 42. 343 Die Darstellung ist auf einem Glockenkrater und kann im Museo Archeologico Nazionale besichtigt werden. Vgl. Giebel, Geheimnis, 67. Das Spiegelmotiv ist auf den Dionysos-Zagreus-Mythos zurückzuführen, wonach die Titanen das Dionysoskind in dem Moment töten, als es in einen Spiegel schaut. Vgl. Burkert, Religion, 443. 344 Die Vase ist im Frankfurter Museum für Vor- und Frühgeschichte zu besichtigen. Vgl. Giebel, Geheimnis, 68.
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Neben diesen dionysischen und orphischen Motiven existieren Vasenbilder mit mysterienkultischen Themen anderer Gottheiten: Ein motivträchtiges Exponat stellt die sogenannte Daduchos-Vase aus Eleusis dar. Sie greift Motive auf, die in der Motivanalyse, der Numismatik, den Inschriften etc. thematisiert worden sind: Zu sehen ist ein Daduchos bzw. Hierophant mit zwei Fackeln, der einen Mysten mit Zweigbündel in der Hand zur Weihe führt. Das Zweigbündel erinnert an die Palmzweige, die die Siegerschar aus Offb 7 in Händen hält. Womöglich werden die Adressaten in Offb 7 zusätzlich zur triumphalen eine mysterientheologische Assoziation mit den Palmzweigen hergestellt haben. Die Mysterien von Eleusis waren im gesamten Römischen Reich die bekanntesten ihrer Art.345 Sie haben die Vasenmalerei inspiriert, wie ein weiteres Exponat beweist: der Volutenkrater des Berliner Malers. Eine weitere motivträchtige Vasenabbildung ist auf der bereits genannten Lovatelli-Urne zu finden, die aufgrund der augusteischen Datierung noch relevanter ist als die Daduchos-Vase. Auch dieses Exponat zeigt die Eleusinischen Weihen, wobei die Chronologie dreier Phasen abgebildet ist: Zunächst wird das eleusinische Voropfer mit Ferkel dargestellt, daraufhin die kultische Reinigung einer verhüllten Person, bevor der Höhepunkt der Mysterien gezeigt wird: Die Initianden vollziehen die eigentliche Weihe und schauen Kore.346 Die Motive der Lovatelli-Urne belegen ikonographisch die Kenntnis über die verschiedenen Stufen der Eleusinischen Weihe in römischer Kaiserzeit. In den epigraphischen und numismatischen Betrachtungen wurde deutlich, dass der Löwe als Beitier der Kybele sowie des Herakles verstanden worden ist. Herakles ist auf einer Bauchamphora aus dem 6. Jh.v. Chr. mit dem Kerberos abgebildet.347 Das Löwenmotiv wird hier durch seine Bekleidung mit einem Löwenfell deutlich. Eine weitere mythische Herakles-Erzählung ist auf einem kantharos zu begutachten, der Herakles im Kampf mit den Kentauren zeigt.348 Auch der Kampf mit dem Nemeischen Löwen ist auf einer Bauchamphora zu sehen.349 Schließlich ist auf eine Bauchamphora aus dem 6. Jh.v. Chr. hinzuweisen, die den Dreifußdiebstahl des Herakles sowie den sich wehrenden Apoll mit Bogen zeigt. Herakles ist erneut mit Löwenfell bekleidet.350 Dasselbe Motiv erscheint auf einer Amphora aus dem
345 Bei der Daduchos-Vase handelt es sich um einen rotfigurigen Stamnos, der auf 440 v. Chr. datiert wird und im Museum von Eleusis zu besichtigen ist. Vgl. Burkert, Mysterien, Tf.1. 346 Vgl. Burkert, Mysterien, Tf.2–4. 347 Die Bauchamphora steht im Louvre in Paris. Vgl. Tetzlaff, Vasenbilder, 54. 348 Das Exponat befindet sich im Antikenmuseum in Berlin. Vgl. Tetzlaff, Vasenbilder, 61. 349 Es handelt sich um ein Exponat aus dem 6. Jh.v. Chr., das in Brescia im Museo Civico Romano ausgestellt ist. Vgl. Tetzlaff, Vasenbilder, 64. 350 Das Gefäß steht im Antikenmuseum in Berlin. Weitere zu sehende Gottheiten sind Athena und Artemis. Vgl. Tetzlaff, Vasenbilder, 62.
Historische Nachweise
Martin von Wagner-Museum, die auf 500 v. Chr. datiert wird.351 Der Heraklesmythos weist ein hohes Alter auf, wie die Datierung der Gefäße beweist. Insgesamt ergänzen die verschiedenen Vasenbilder die Motive und Vorstellungen, die durch die anderen historischen Zeugnisse vermittelt werden, obgleich sie nicht dieselbe Relevanz und Repräsentanz erbringen. 3.4.5.2 Die orphischen Goldblättchen
Im Zuge einer Sammlung historischer Zeugnisse religiöser Verehrung in Kleinasien sind am Rande die sogenannten orphischen Goldblättchen zu thematisieren.352 Ihr repräsentativer Wert ist sehr gering, da weniger als zwanzig Exemplare existieren und ihre Herkunftsorte Kleinasien gerade nicht betreffen.353 Insgesamt erschweren viele Faktoren die Behandlung dieser Relikte erheblich. Neben der geringen Quantität sind das Fehlen von vergleichbaren Goldlamellen sowie die Unsicherheit bei der Bestimmung von Autor und Adressat zu nennen.354 Dennoch ist die Betrachtung dieser Lamellen lohnenswert aufgrund der Einzigartigkeit eschatologischer Erzählungen, die Aufschluss über die Jenseitsvorstellungen insbesondere orphischer Kreise geben.355 Auch verraten sie Relevantes über die älteste Phase der orphischen Mysterien.356 Sonstige Goldblättchen enthalten höchstens den Namen des Verstorbenen, eine Widmung an eine (Unterwelt-)Gottheit und Codewörter. Manchmal sind sie sogar unbeschriftet. Die orphischen Goldblättchen stellen dagegen eine ausführliche Inschrift dar, die Anweisungen für das Jenseits beinhalten.357 Jede Lamelle stellt eine Anleitung zum Verhalten des Verstorbenen nach seinem Tod dar. Dabei wird als Ziel das Erreichen des Jenseits vermittelt. Dieses wiederum wird als Parallelwelt zum Diesseits beschrieben, wobei ihr Erreichen mit gewis-
351 Vgl. Tetzlaff, Vasenbilder, 66–67. 352 Es handelt sich um knapp beschriebene Goldlamellen, die mit ins Grab eines orphisch Eingeweihten gegeben worden sind. Die Maße der Lamellen belaufen sich auf mindestens 4-mal 1 cm, höchstens auf 8-mal 3 cm. Rechtschreibung und Handschrift sind dürftig. Die Datierung der einzelnen Lamellen ergibt einen Zeitraum von 600 Jahren, obwohl die meisten Funde in das 4. oder 3. Jh.v. Chr. datiert werden. Der Text der Lamellen ist vorwiegend in daktylischen Hexametern verfasst. Vgl. Bernabé, Instructions, 2.4. 353 Vgl. Edmonds, Myths, 29. 354 Vgl. Edmonds, Myths, 31 zu fehlenden Vergleichsfunden; 33 zur Frage nach Autor und Adressaten. 355 Vgl. Edmonds, Myths, 30.46. 356 Vgl. Bernabé, Instructions, 1. 357 Vgl. Edmonds, Myths, 29.33: „Clearly, the purpose of these tablets is to provide a solution to whatever difficulty or obstacle is envisioned for the person after death. The deceased is buried with the gold tablet because it was believed […] that the solution provided by the tablet would allow her to obtain a desirable result in her journey after death.“
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Motivanalyse
sen Schwierigkeiten einhergeht.358 Die Art dieser Hindernisse unterscheidet sich, sodass folgende zwei Gruppen ausgemacht werden können: die Begegnung mit Bewohnern der Unterwelt (A) und das Erreichen der richtigen Wasserquelle (B).359 Die Texte der Gruppe B verdeutlichen die verbreitete Auffassung, dass die Seele eines Verstorbenen durstig sei.360 Deshalb sei die Versuchung groß, von der ersten Wasserquelle zu trinken, die dem Verstorbenen begegnet – dem Fluss des Vergessens. Die Lamellen verbieten dem Verstorbenen das Trinken aus dieser Quelle. Es ist anzumerken, dass kürzere Texte auf den Goldblättchen nur diese eine Quelle erwähnen und sie als die richtige beschreiben: 10 Eleutherna 1 I (masculine) am parched with thirst and am dying; but grant me to drink from the ever-flowing spring on the right, where the cypress is. „Who are you? Where are you from?“ I am a son of Earth and starry Sky.361
Stattdessen wird der Verstorbene angehalten, den Durst auszuhalten bis zum Erreichen der zweiten Wasserquelle – dem See der Erinnerung. Ausführlichere Lamellen bezeugen die Gegenüberstellung beider Wasserquellen: 1 Hipponion This is the work of Memory, when you are about to die down to the well-built house of Hades. There is a spring at the right side, and standing by it a white cypress. Descending to it, the souls of the dead refresh themselves.
358 Vgl. Bernabé, Instructions, 5 für eine inhaltliche Zusammenfassung. 359 Die Kategorisierung in A und B geht auf Zuntz zurück: „The A texts all came from the two mounds of Thurii; in them, the soul addresses the Underworld divinities and expects release from a cycle of reincarnation. All other texts belong to the B group: they were guides to the Underworld, partly addressed to the deceased, partly telling the deceased what he had to say when challenged by the powers of the beyond.“ Graf/Johnston, texts, 62. Auch Bernabé gruppiert die Lamellen auf diese Weise. Vgl. Bernabé, Instructions, 6f. 360 Edmonds vermutet, dass dies von der Beobachtung eines verstärkten Durstes bei Sterbenden herrühre. Vgl. Edmonds, Myths, 47. Dies erkläre möglicherweise die Darbringung von Trankopfern. 361 Die Übersetzung und Nummerierung ist Graf/Johnston, texts, 20–21 entnommen. Ebenso sind 11 Eleutherna 2, 12 Eleutherna 3, 13 Eleutherna 4 und 14 Eleutherna 5 zu nennen, kretische Goldblättchen. Vgl. Graf/Johnston, texts, 20–25.
Historische Nachweise
Do not even go near this spring! Ahead you will find from the Lake of Memory […].362
Ein ganz ähnliches Blättchen ist aus Petelia erhalten: 2 Petelia You will find to the left of the house of Hades a spring and standing by it a white cypress. Do not even approach this spring! You will find another, from the Lake of Memory, cold water pouring forth; there are guards before it […].363
Diese Wächter erfragen den Namen der Verstorbenen, weshalb die Erinnerung bis dahin aufrechterhalten bleiben muss. Die Antwort der Verstorbenen stellt eine weitere Gruppe von Goldblättchen dar: 18 Sfakaki 9 […] „Who are you? or From where do you come?“ „I am the mother of Earth and of starry Heaven“.364
Das erstrebenswerte Ziel hinter diesen Anweisungen ist die Bewahrung des Bewusstseins eigener Identität. Angesichts des orphischen Kontexts und der damit einhergehenden Reinkarnation ist dies unerlässlich, um im Rückblick auf das vergangene Leben die begangenen Fehler zukünftig zu vermeiden und die Leiden der Gegenwart nachvollziehen zu können.365 Die Aufforderung zu einem Durchhaltevermögen trotz Trinkbedürfnis bezeugt zudem das orphische Askeseverständnis.366 Die Offb bezeugt ebenfalls Wasserquellen für die Verstorbenen: Im Gegensatz zu den orphischen Goldblättchen müssen die Verstorbenen diese nicht selbst finden,
362 Die Übersetzung ist Graf/Johnston, texts, 5 entnommen. Dabei handelt es sich um ein Goldblättchen aus Hipponion. 363 Die Übersetzung stammt von Graf/Johnston, texts, 6–7. Sehr ähnlich ist auch der Text aus 25 Pharsalos, ein thessalisches Goldblättchen. Vgl. Graf/Johnston, texts, 34–35. 364 Die Übersetzung ist Bernabé, Instructions, 12 entnommen. 365 Vgl. Edmonds, Myths, 54. 366 Vgl. Edmonds, Myths, 55.
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Motivanalyse
sondern werden dort hingeführt. Es gibt in der Offb auch keine Verwechslungsgefahr, sodass sie vertrauensvoll daraus trinken können. Die Adressaten der Offb werden vor dem Hintergrund orphischer Jenseitsvorstellungen die Trostworte am Ende von Offb 7 besonders intensiv aufgefasst haben, da dort ein regelrechtes Gegenkonzept zur orphischen Eschatologie entworfen wird. Die zweite Gruppe von Lamellen beschreibt die Begegnung des Verstorbenen mit verschiedenen Unterweltsfiguren. Dabei unterscheiden sich die Erzählungen erheblich: Die Lamellen der Gruppe A schildern die Begegnung mit Persephone als Herrscherin der Unterwelt sowie Dionysos unter verschiedenen Namen.367 26a,b Pelinna Now you have died and now you have come into being, O thrice happy one, on this same day. Tell Persephone that the Bacchic One himself released you […].368
Bemerkenswert sind auch die „Codewörter“, also die Aussagen, die man bei der Begegnung mit den Unterweltmächten machen muss. Diese sind entweder in der 1. oder 3. Pers. Sg. formuliert. Dadurch wird das Goldblättchen zur Proklamation des Verstorbenen. Beispiele für die 1. Pers. Sg.: 6 Thurii 4 I come pure from the pure, Queen of the Chthonian Ones, Eucles and Eubuleus and other gods – as many daimones (as do exist). For I also claim to be of your happy race. I have paid the penalty for my unrighteous deeds. Either Moira overcame me or the star-flinger with lightning.
367 „The A tablets mention not only Phersephoneia [sic!] […], but also Eukles and Eubouleus, along with other unnamed divine figures. The Pelinna tablets mention both Persephone and Bacchios, and the Pherai tablet seems also to be referring to Persephone in the name of Brimo, while Dionysos seems to be the referent of the sacred symbolon […].“ Edmonds, Myths, 57. 368 Die Nummerierung und Übersetzung ist Graf/Johnston, texts, 36–37 entnommen.
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Now I come, come as a suppliant (feminine) to Persephone, so that she may kindly send me to the seats of the pure.369
Beispiel für die 3. Pers. Sg.: 9 Rom She comes pure from the pure, Queen of the Chthonian Ones. Eucles and Eubouleus, child of Zeus. „But accept this gift of Memory, sung of among mortals.“ „Caecilia Secundina, come, by law grown to be divine.“370
Weitere dionysische „Passwörter“: 27 Pherae 1 Passwords: Man-andchild-thyrsus. Man-and-childthyrsus. Brimo, Brimo. Enter the holy meadow, for the initiate is redeemed […].371
Abschließend bleibt zu sagen: „These so called Orphic gold tablets present one of the most intriguing puzzles in the study of Greek religious beliefs.“372
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Zwischenfazit
Der zweite Hauptteil dieser Studie (3) hatte den Zweck, die Frage nach der religiöshermeneutischen Kompetenz der Adressaten der Offb von einer anderen Perspektive aus zu beleuchten. Im ersten Hauptteil stellte sich heraus, dass zwischen der Offb und den OH nicht zu unterschätzende formale Analogien bestehen, die über
369 Dieses Goldblättchen stammt aus Thurii. Die Nummerierung sowie die Übersetzung sind Graf/ Johnston, texts, 14–15 entnommen. Sehr ähnlich sind auch 5 Thurii 3 und 7 Thurii 5. 370 Die Nummerierung und Übersetzung ist Graf/Johnston, texts, 18–19 entnommen. 371 Die Nummerierung und Übersetzung ist Graf/Johnston, texts, 38–39 entnommen. Ähnlich ist auch 30 Amphipolis, Makedonien. Vgl. Graf/Johnston, texts, 40–41. 372 Edmonds, Myths, 29.
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die deutlichen Differenzen jedoch nicht hinwegtäuschen können. Die Adressaten werden die himmlischen Gesänge in der Offb durchaus als formale Parodie zur paganen Hymnik erkannt haben. Die berechtigten formgeschichtlichen Betrachtungen, die eine teilweise Rekonstruktion des Bildungswissens der Adressaten ermöglichten, sind für sich genommen nicht gewichtig genug. Deshalb wurde die Nachzeichnung der hermeneutischen Kompetenz der Adressaten über den Weg motivanalytischer Betrachtungen ergänzt. Für diese neue Herangehensweise an die Offb weitete sich der Blick von vereinzelten hymnenartigen Versen auf ganze Kapitel aus. Der sich dadurch ergebende zu analysierende Umfang musste eingegrenzt werden, sodass eine Vorverständigung über eine gewisse Textauswahl vonnöten war (3.1). Der untersuchte Textbestand umfasste die Kapitel Offb 4, 5, 7, 11 und 15. Die motivanalytische Beantwortung der zentralen Frage nach der religiöshermeneutischen Kompetenz der Adressaten erforderte die Untersuchung eines bestimmten Soziolekts. Dieser bildet die Grundlage der Motivik der Offb, des Autors sowie der Adressatenschaft. Um diesen dreidimensionalen Blick auf den Soziolekt vorzubereiten, wurde ein semantisches Inventar mit verschiedenen Wortfeldern angelegt (3.2). Dabei ging es noch nicht um diachrone Methodenschritte, sondern um die semantische Betrachtung der Endgestalt des Texts. Für eine Systematisierung des Befunds bewährte sich die Einteilung in Personen, Handlungen, Orte, Zeit- und Zahlenangaben sowie wörtliche Rede (3.2.1–5). Die sich anschließende Kontextualisierung und Gruppierung der Motive erbrachte eine Vertiefung und vervollständigte das spezifische Profil der Motive (3.2.6). Der Ertrag dieser Untersuchungen wurde zum Anlass soziologischer Überlegungen, die die zentrale Fragestellung tangieren. Dabei handelte es sich um die sozioanalytische Umsetzung des dreidimensional zu betrachtenden Soziolekts hinter der Motivik der Offb (3.3). Diese bestand methodisch in der traditionsgeschichtlichen, in diesem Fall begriffsgeschichtlichen Zusammenfassung ausgewählter Lexeme der Offb mit Blick auf die gesamte Profanliteratur, die OH sowie das restliche NT. Davon ausgehend ist die Rezeption der Begriffsgeschichte der Lexeme durch den Autor der Offb analysiert worden. Dabei stellte sich heraus, dass der Autor weder ein ideenloser Eklektiker noch ein semantischer Exzentriker ist: Er greift semantisch aufgeladene Begriffe auf, entwickelt sie jedoch weiter und verleiht ihnen eine ganz spezifische Motivik. Auf diese Weise hantiert er mit Begriffen wie θρόνος, στέφανος sowie dem Wortpaar ἀστραπή-βροντή. Er spielt mit Farben wie Weiß und Gold und thematisiert kultische Geräte wie kitharai und Räucherwerk. Beachtenswert ist auch die Orientierung an der Semantik der restlichen Schriften des NT, wodurch die Zugehörigkeit der Offb zum neutestamentlichen Kanon nachvollzogen werden kann. Als besonders eindrückliches Beispiel sei die Hantierung mit den Begriffen ἄγγελος und στέφανος aus Gold erwähnt. Im Gegensatz zur Profangräzität bezieht sich das erste Lexem in der Offb sowie dem restlichen NT
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fast nie auf menschliche Boten. Der zweite Begriff wird in der Offb sowie dem restlichen NT eschatologisch verwendet und bildlich verstanden. Dass der Autor der Offb jedoch auch ein eigenes semantisches Profil entfaltet, zeigt sich z. B. an dem Begriffspaar ἀστραπή-βροντή, das er im Gegensatz zum restlichen NT visionär-wörtlich gebraucht und eben nicht metaphorisch in einem Vergleich. Als dritten Schritt einer sozioanalytischen Herangehensweise an die Motive der Offb wurde auf die hermeneutische Kompetenz der Adressaten Bezug genommen, die in dieser Studie die zentrale Fragestellung darstellt. Ein solches Bildungswissen der Adressaten ist vor dem Hintergrund der begriffsgeschichtlichen Ausführungen, d. h. auf Basis literarischen Wissens, nachgezeichnet worden, was aufgrund der einseitig literarischen Perspektive hypothetisch geblieben ist. Als Bilanz der sozioanalytischen Motivanalyse ist dennoch ein bemerkenswerter Einblick in das Dreieck „Autor – Text – Adressatenschaft“ eines gemeinsamen Soziolekts erfolgt. Das Gefüge förderte ein beachtliches „pädagogisches“ Niveau des Autors zutage. Er versteht es, jene Lexeme auszuwählen, die vom jeweiligen kulturell-religiösen Kontext der unterschiedlich zusammengesetzten Adressatenschaft begriffen werden können. Dies wurde z. B. an der Untersuchung der Edelsteinmotive besonders deutlich. Die teilweise recht komplexe Begriffsgeschichte einzelner Lexeme lässt zudem darauf schließen, dass von den Adressaten der Offb ein hohes Maß an hermeneutischer Kompetenz verlangt worden ist, wenn sie die Botschaften hinter dem dichten Nebel der apokalyptischen Metaphorik erkennen wollten. Zugleich, so ließ sich als erste Bestandsaufnahme nach der sozioanalytischen Untersuchung schließen, muss eben jener hohe Grad an Bildungswissen einen gewissen Schutz vor Angriffen ad extra gewährleistet haben. Angesichts der äußerst gesellschaftskritischen Botschaft der Offb wäre Widerstand sicher zu erwarten gewesen. Mit Blick auf die OH hat die Untersuchung zudem ein vertieftes Verständnis der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den OH und der Offb ermöglicht, die bereits aus formaler Sicht im ersten Hauptteil zur Sprache gekommen sind. Dazu haben auch die Ausweitung des zu untersuchenden Textbestands in der Offb auf ganze Kapitel sowie die Einbeziehung aller OH beigetragen: So konnten z. B. die Charakterisierungen der in den OH gepriesenen Gottheiten wie Zeus, Dionysos, Hermes, Apoll und Demeter detaillierter betrachtet werden. Der Vergleich mit der übrigen Profangräzität ließ ihre spezifischen Eigenarten hervortreten. Dadurch wird Apoll z. B. eher als Orakelgott und weniger als olympischer Jäger vermittelt. Hermes wird als Zauberer und Prophet gezeichnet, weniger als Schutzgott des Verkehrs und Gott der Diebe. Die Bedeutung des Dionysos wird im Vergleich zu seinem niedrigen Rang unter den olympischen Göttern deutlich angehoben. Zahlreiche weibliche Gottheiten wie Rhea und Demeter werden aufgrund „untypischer“ Wesenseigenschaften auf eine gemeinsame vorgriechische Muttergottheit zurückgeführt. Um die hypothetischen Aussagen über die hermeneutische Kompetenz der Adressaten zu bestätigen, die in der Motivanalyse formuliert worden sind, wurde
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Motivanalyse
im Anschluss eine Sichtung der verschiedenen historischen Zeugnisse des religiöskulturellen Kontexts der Offb vorgenommen (3.4). Dabei sind insbesondere jene Spuren verfolgt worden, die auf Mysterienkulte verweisen. Der kleinasiatische Kaiserkult ist dabei nur gestreift bzw. insofern thematisiert worden, als er mit Mysterienkulten gekoppelt war. Der Blick richtete sich zudem verstärkt auf die Orte der sieben Sendschreiben. Bei Bedarf ist jedoch auch der weitere geographische Kontext einbezogen worden. Die historische Sichtung nahm ihren Anfang mit der Numismatik (3.4.1). Diese ermöglichte eine Vorsortierung der städtischen Kulte, da nur die relevantesten Verehrungen auf Münzen geprägt worden sind. Im Anschluss sind die Inschriftenfunde zusammengefasst worden, die zur Numismatik eine bemerkenswerte Ergänzung darstellen (3.4.2). Während die Münzen z. B. den Donner des Zeus schwerlich abbilden konnten und so v. a. das Blitzmotiv nachgewiesen worden ist, zeigten die inschriftlichen Erwähnungen des Zeus eine überragende Mehrheit des Donnermotivs. Durch diese zwei Arten von historischen Zeugnissen konnte die Sichtung archäologischer Ausgrabungsstätten bewertet werden (3.4.3): Mithilfe von Münzen konnten der freigelegte Befund bestätigt und die zukünftig noch zu entdeckenden Heiligtümer bei Ausgrabungsarbeiten herausgestellt werden. Die Inschriften verhalfen überdies zur Identifizierung von Altären und Tempeln, die heutzutage teilweise stark beschädigt sind. So verhält es sich auch mit der Sichtung griechischer Plastik (3.4.4): Sowohl Statuen als auch Reliefs konnten entdeckte Heiligtümer bestimmten Gottheiten zuordnen. Ihre weite Verbreitung und ikonographische Kontinuität über viele Jahrhunderte hindurch konnte die „Wirkungsgeschichte“ der bereits in der Motivanalyse thematisierten Lexeme bestätigen, die bis dato nur literarisch aufgezeigt worden war. Aufgrund des besonderen Augenmerks auf die Orphik sind zwei Arten von Kleinfunden untersucht worden (3.4.5): Mithilfe diverser Vasenbilder (3.4.5.1) konnte die geographische und zeitliche Verbreitung orphischer Motive, insbesondere eschatologischer Art, bestätigt werden. Sie stützen die Plausibilität der Ausführungen, die in der Motivanalyse hypothetisch geblieben sind. Auch die orphischen Goldblättchen (3.4.5.2) gaben Aufschluss über eine orphische Eschatologie im Gegensatz zur Offb. Ihre Verbreitung und ihr Vorkommen sind zwar dürftig, doch konnten die auf ihnen geschriebenen Texte die bisherigen Vergleiche zwischen der Offb und den OH ebenfalls ergänzen.
4.
Gesamtfazit und Ausblick
Am Ende der Studie schweift der Blick über das entstandene Panorama eines vielfältigen Ertrags, den die unterschiedlichen Analysen erzielt haben. Er ist mit einem Mosaik vergleichbar, das sich aus Steinen form- und motivanalytischer Art zusammensetzt, sodass die zentrale Fragestellung mehrdimensionale Antworten erhalten hat. Die Kernfrage „Wer waren die primären Adressaten der Offb?“ stellte deren hermeneutisches Bildungswissen in den Mittelpunkt aller Untersuchungen. Diese werden abschließend vor dem Hintergrund der zentralen Fragestellung ausgewertet sowie weiterführende Überlegungen angestellt. Formale Analyse – Zusammenfassung
Ein erster Zugang zur Frage nach dem hermeneutischen Bildungswissen der Adressaten sowie des Autors der Offb erfolgte formal im jörnschen Dreischritt „Aufbau, Funktion und Herkunft“ (2.1–3). Der Schwerpunkt lag dabei auf dem ersten Schritt „Aufbau“, da die hymnenartigen Passagen der Offb sowie die OH dem bergerschen Abstufungsmodell unterzogen und miteinander verglichen worden sind. Insgesamt zeigt der Autor der Offb einen recht autonomen Umgang mit dem formalen Aufbau des klassischen griechischen ὕμνος, wie die Aufbereitung der zweiten Kategorie des bergerschen Konzepts auf die Offb (2.1.1) verdeutlicht hat. Der Verfasser gestaltet die vom griechischen Hymnenformular vorgegebenen Formelemente in seinem eigenen sprachlichen Stil und priorisiert sie gemäß eigenen theologischen Positionen. Konkret wurde ein Schwerpunkt auf Anrufungen Gottes und reihenartigen Aufzählungen göttlicher Taten nachgewiesen. Dagegen wurde deutlich, dass die Preisung der Einzigkeit und Herkunft Gottes in den hymnenartigen Gesängen der Offb nicht thematisiert wird. Dies ist jedoch nicht auf Nachlässigkeit, sondern auf den theologischen und weltanschaulichen Kontext des Verfassers zurückzuführen: Das monotheistische Gottesbild neutestamentlicher Schriften macht die genannten Formelemente überflüssig. Das signifikanteste Indiz für einen selbstständigen Umgang des Autors mit dem griechischen Hymnenformular stellt das Fehlen von Bittabschnitten dar. Dieser in griechischen ὕμνοι entscheidende Abschnitt wird in der Offb durch Lobelemente ersetzt, was ebenfalls auf die theologische Position des Autors schließen lässt: Die Verarbeitung von hymnenartigen Gesängen lässt erkennen, dass der Lobpreis Gottes eine rein anbetende Funktion besitzt, frei von Zwecken und Absichten der Preisenden. Insbesondere der Textvergleich mit den OH unterstreicht diesen entscheidenden Unterschied: Die gepriesenen Gottheiten der OH sollen für eine Gebetserhörung wohlgestimmt werden, sodass jeder einzelne ὕμνος einen konkreten Zweck verfolgt.
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Gesamtfazit und Ausblick
Dieses finale Urteil ergibt sich aus den formalen Beobachtungen, die bereits in der Aufbereitung des bergerschen Konzepts für die OH (2.1.5) im Einzelnen herausgestellt worden sind, umso mehr im Textvergleich mit den hymnenartigen Passagen der Offb (2.1.6). Die OH folgen im Wesentlichen den Vorgaben des griechischen Hymnenformulars, wie durch mehrere Varianten der Hymneneinleitung, Anrufungen und Werksaufzählungen der gepriesenen Gottheit sowie signalhafte Überleitungen zu Bittabschnitten nachgewiesen werden konnte. Die sprachliche Gestaltung der OH verläuft dabei einheitlich in Form von zahlreichen Neologismen durch Komposita, weniger in Form von syntaktischen Strukturen. Das in Bittabschnitten evident werdende Gebetsanliegen betrifft zumeist einen guten Ausgang des irdischen Lebens, sodass Aussagen über ein „eschatologisches“ Konzept orphischer Mysterienkulte gemacht werden können. Die eingehende Betrachtung der Epitheta und Analogien zwischen den ὕμνοι an unterschiedliche Gottheiten gab Aufschluss über die synkretistischen Tendenzen in den OH. In den vier analysierten OH 2, 14, 27 und 62 ist dabei v. a. die Verarbeitung des anatolischen Meterkults in phrygischem Lokalkolorit literarisch herausgearbeitet worden. Am meisten fiel dieser Synkretismus in OH 14 an Rhea auf, deren klassisch uranischer Charakter durch den chthonischen Meterkult überlagert wird. Es zeigte sich überdies eine Tendenz zu Personifizierungen von abstracta wie in OH 62 an Dike. Solche Personifizierungen sind zudem an Naturphänomenen (z. B. Wolken und Meer) sowie anthropologischen Vollzügen wie dem Schlaf beobachtet worden. Schließlich wiesen die Epitheta auf Überschneidungen von göttlichen Wesenseigenschaften sowie Wirkungsbereichen und teilweise auf synkretistische Verschmelzungen hin. Dies hat sich insbesondere an den Epitheta der Prothyraia gezeigt, die durch den Titel „Eileithyia“ in die Nähe der Artemis, durch den Namen „Prothyraia“ sowie durch den Beinamen „Kleidouchos“ jedoch in die Nähe der Hekate gerückt wird. Diese Beobachtungen stützen die Vermutung, dass die OH tatsächlich kaiserzeitlich entstanden sind und nicht im 4. Jh.v. Chr., wie einige Philologen des letzten Jahrhunderts angenommen haben. Der Textvergleich hat Folgendes ergeben: Beide Quellen weisen strukturelle Analogien auf, wobei die sprachlichen Ausgestaltungen differieren. In beiden Texten dominieren Aretalogien und reihenartige Gottesanrufungen. Die Differenzen der konkreten Ausformungen bestehen z. B. im Nominativstil der Anrufungen und in der parataktischen Strukturierung der Werksaufzählungen in der Offb. Dagegen dominieren in den OH der Vokativstil in Anrufungen sowie hypotaktische Syntagmata in den Werksaufzählungen. Als besonders konträr stellten sich die theologischen Auffassungen hinter gemeinsamen Topoi wie Schöpfung, Erlösung, Sühne, Ewigkeit etc. heraus, die v. a. durch den Verwendungszweck zum Ausdruck kommen. Die Alles-Prädikation z. B. betont in Offb 15,4 Gottes Universalherrschaft, wohingegen in OH 14 der Titel παμβασίλεια die Existenz anderer Gottheiten nicht ausschließt. Während
Gesamtfazit und Ausblick
die Prädikationsformeln des griechischen Hymnenformulars in der Offb wörtlich verstanden werden, dienen sie in den OH lediglich als rhetorische Stilmittel. Bei den Theologumena greifen beide Textquellen auf dieselbe Terminologie zurück, wobei daraus diametrale Konzepte entwickelt werden: Das Wortfeld σωτηρία z. B. wird sowohl in OH 14 an Rhea als auch in Offb 7,10 verwendet. Die σωτηρία des Lammes ist jedoch umfassend und existenziell zu verstehen, wohingegen Prothyraias erlösende Handlungen sich auf die Geburtssituation beschränken. Das Lamm opfert sich für die zu Erlösenden (Offb 5,9 ἐσφάγης), Prothyraia zeigt sich lediglich solidarisch (OH 2 συμπάσχεις). Gemäß jörnschem Dreischritt schlossen sich Überlegungen zur Funktion hymnenartiger Passagen in der Offb (2.2) an die ausführliche Untersuchung ihres Aufbaus an. Diese ergaben kompositorisch betrachtet eine homogene Makrostruktur: Durch die getrennte synoptische Betrachtung der Topoi in den hymnenartigen Passagen und Visionsschilderungen kristallisierten sich chronologische Abläufe heraus, die sich analog zueinander verhalten. Die gemeinsame Chronologie ist dabei als Abriss der gesamten Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen von der Schöpfung bis zur Neuschöpfung zu bezeichnen. Die sich anschließende detaillierte Untersuchung der hymnenartigen Passagen in ihrem Erzählkontext ergab, dass die Gesänge sich zu den Visionsschilderungen antizipatorisch, resümierend und reflektierend verhalten. Insbesondere die letzte Funktion, die quantitativ den höchsten Stellenwert einnimmt, ist theologisch betrachtet von größter Relevanz: Die drastischen und gewaltbehafteten Bilder und Visionen des narrativen Kontexts werden durch die hymnenartigen Passagen aus heilsgeschichtlicher Perspektive und aus der Sicht des bereits errungenen Sieges Gottes interpretiert. Dadurch erhält das gesamte Korpus der Offb den Charakter eines Evangeliums im Literalsinn, einer „Frohbotschaft“, die den Adressaten in akuter Bedrängnis Trost und Hoffnung verleiht. Unter dem jörnschen Stichwort „Herkunft“ (2.3) sind schließlich in knapper Ausführung Überlegungen zur Einheitlichkeit des Gesamtkorpus angestellt worden. Dabei stellte sich heraus, dass aufgrund des Ertrags aus der Untersuchung der Funktion hymnenartiger Passagen die Offb aus der Feder eines einzigen Verfassers stammen muss. Zwar sind für diese Vermutung diverse literarkritische Modelle reflektiert worden, doch fehlen textgeschichtliche Überlieferungen, die ausschließlich die hymnenartigen Passagen enthalten. Dadurch haben sich die meisten Modelle als ungeeignet erwiesen. Selbst die Fragmententhese ist als wenig plausibel bewertet worden, da die nachgewiesene Komplementarität von Visionen und Gesängen in der Offb nur durch die gleichzeitige Konzipierung beider Teile gewährleistet werden konnte. Als literarkritisches Urteil wurde eine Eigenkomposition beider Teile durch denselben Verfasser gefällt, wobei dieser sich unterschiedlichen Traditionen bedient hat.
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Formale Analyse – Auswertung
Die Anwendung des bergerschen Abstufungsmodells auf die beiden grundverschiedenen Textquellen erwies sich als äußerst gewinnbringend: Die Anwendung des Modells auf die hymnenartigen Passagen der Offb ermöglichte es, die deutlichen Analogien zum griechischen Hymnenformular aufzuzeigen und zugleich die Unabhängigkeit des Autors gegenüber formalen Konventionen herauszuarbeiten. Mit Blick auf die Adressaten der Offb kann geschlussfolgert werden, dass diese von ihrem jeweiligen religiösen Kontext her die hymnenartigen Gesänge als Lob Gottes und Preisung seiner Taten erkannt haben. Während die judenchristlichen Adressaten jene formalen Elemente wiedererkannt haben, die bereits in den Psalmen aufgegriffen werden, dürften für die völkerchristlichen Adressaten jene Formelemente signalhaft gewirkt haben, die sie von den paganen ὕμνοι kannten. Dies lässt ein hohes Maß an Integrität des Autors der Offb erahnen, der dadurch der Gesamtheit der Adressaten einen Zugang zur Offb ermöglicht hat. Die Anwendung des bergerschen Modells auf die OH bewies, dass es sich bei dem Korpus um ein Zeugnis kleinasiatischer Religiosität handelt, das das Milieu der Asia in römischer Kaiserzeit widerspiegelt. Einerseits werden durch die Epitheta in den Anrufungen und die Syntagmata in den Ekphraseis die gepriesenen Gottheiten in ihren klassischen olympischen Eigenschaften gerühmt. Andererseits zeigen sich synkretistische Tendenzen, die aufgrund des prägnanten Lokalkolorits die Verortung der OH nach Kleinasien begünstigen. Durch einen Textvergleich konnte auch die Offb in diesen zeitgenössischen und geographischen Kontext eingebettet werden. Führt man den bisher zusammengefassten Ertrag auf die zentrale Frage zurück, kann geschlussfolgert werden, dass die hymnenartigen Passagen der Offb dem antiken Hymnenformular nicht konsequent folgen. Ihnen fehlen entscheidende Formelemente, doch werden die Adressaten der Offb ihren hymnenartigen Kern, wenn nicht sogar eine bewusste Parodie erkannt haben. Diese lässt sich aufgrund der Abweichung vom antiken griechischen Hymnenformular an entscheidenden formalen und theologischen Punkten erahnen. Dabei fungiert die Parodie der Offb als Kritik an paganen ὕμνοι. Die in der Parodierung zum Ausdruck kommende Botschaft ist die vollkommene Zweckfreiheit göttlichen Lobpreises, dessen Plerophorie keine rhetorische „Verkleidung“ von Eigeninteressen darstellt, sondern den menschlichen Ausdruck von Dankbarkeit für das eschatologische Heil. Die Herausstellung der Funktion hymnenartiger Passagen im Gesamtkorpus der Offb ist für die zentrale Fragestellung insofern förderlich, als die Signalhaftigkeit den Adressaten nicht nur über den Aufbau, sondern zugleich durch die Anordnung im Visionskorpus vermittelt worden ist. Eine Nähe dieser Textpassagen zu griechischen Tragödien ist in der Forschung bereits thematisiert worden. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Verfasser der Offb eine Adressatenschaft mit entsprechendem formalem Bildungswissen vorausgesetzt hat.
Gesamtfazit und Ausblick
Formale Analyse – Ausblick
Die Anwendung des bergerschen Abstufungsmodells hat eine differenzierte formgeschichtliche Bewertung der hymnenartigen Passagen in der Offb ermöglicht. Zukünftig wäre eine methodische Optimierung zur kriteriologischen Absicherung des Modells sinnvoll. Dadurch kann es für weitere formgeschichtliche Untersuchungen an der Offb sowie weiteren Texten des NT zugänglich gemacht werden. Die Ergebnisse dieser Studie beweisen, dass das Modell eine größere wirkungsgeschichtliche Aufmerksamkeit verdient. Die in der Forschungsgeschichte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts inflationär gebrauchte Bezeichnung ὕμνος für Textpassagen aus Lk und den Paulusbriefen wurde in den letzten Jahrzehnten von einem regelrechten Tabu des Terminus im NT abgelöst. Die Anwendung des bergerschen Abstufungsmodells, das im Gegensatz zu Schemata wie dem von Deichgräber weit gefasst ist – d. h. die Terminologie und der Charakter der Formelemente bleibt nicht auf biblisch-jüdisches Forminventar beschränkt –, ermöglicht einen erneuten, jedoch differenzierten Blick auf die in der Vergangenheit so leichtfertig als ὕμνοι bezeichneten Texte, allen voran das Magnificat sowie der Philipper-„ὕμνος“. Auf diese Weise lässt sich in Zukunft womöglich eine neue Sprache und Methode finden, über solche Textpassagen zu sprechen. Die Anwendung des Modells auf hymnische Texte der Patristik birgt ein besonders großes Potenzial, da der ὕμνος-Begriff in dieser Phase eine formgeschichtliche Zäsur erlebt. Dadurch könnten die genauen formgeschichtlichen Differenzen gegenüber dem klassischen griechischen Hymnenformular herausgestellt werden. Anhand solcher Untersuchungen könnten die terminologischen Schwierigkeiten, v. a. bei der Übertragung des ὕμνος-Begriffs ins Lateinische, überwunden oder zumindest nachvollzogen werden. Überdies könnte eine zukünftige Optimierung des Modells den Textvergleich von Psalmen mit dem antiken griechischen Hymnenformular ermöglichen, ebenso den Vergleich mit hymnenartigen Texten im NT, sodass eine Abgrenzung der beiden Gattungen/Stile neu formuliert werden kann. Die forschungsgeschichtliche Zusammenfassung dieser Studie hatte ergeben, dass es bei der formgeschichtlichen Abgrenzung beider Textsorten an Präzision gefehlt hat. Auf diese Weise kann die formale Analogie von göttlichem Lobpreis jüdisch-biblischer und pagan-hymnischer Art herausgestellt werden, ohne die spezifischen Eigenschaften der Psalmen zu untergraben und die unterschiedlichen Niveaus von Hymnenartigkeit zu verwechseln. Insgesamt kann die Formgeschichte von so einem religiös weit gefassten Abstufungsmodell nur profitieren, da die Gefahr einer Über- sowie Unterschätzung von Hymnenartigkeit vermieden wird. Die verschiedenen Texte in und um das NT herum könnten zukünftig mit einer gewissen Unbefangenheit analysiert werden, ohne die Frage nach ὕμνοι zu überstrapazieren. Die Erzählstruktur der Offb ist in den letzten Jahren vermehrt untersucht worden, wobei auch zwischen den hymnenartigen Gesängen sowie im Verhältnis zu
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den Visionszyklen gewisse Zusammenhänge herausgestellt worden sind. In dieser Studie sind bisher nicht thematisierte Verknüpfungen zur Sprache gekommen: So wurde z. B. der hymnenartige Gesang in Offb 15 nicht ausschließlich zu Offb 16 in Beziehung gesetzt, sondern auch zum Erntemotiv in Offb 14. Ebenso verhält es sich mit Offb 19, deren Gesänge sich nicht nur auf Offb 18 als retrospektive Reflexion beziehen, sondern auch als Antizipation der apokalyptischen Schlacht von Offb 19. Dadurch wurde die Parusie des Messias in zweifacher Metaphorik entfaltet – einerseits als militärische Schlacht, andererseits als Hochzeit des Lammes. Der Bezug wird v. a. durch das Verb ἑτοιμάζω in Offb 19,7 deutlich, das einerseits „sich zurechtmachen“, andererseits „sich zum Kampf rüsten“ bedeutet. Diesem Zusammenhang ist zukünftig nachzugehen. Motivanalyse – Zusammenfassung
Der zweite Hauptteil befasste sich mit dem semantischen Gehalt der Offb vor dem Hintergrund der zentralen Frage nach dem Soziolekt der primären Adressaten der Offb. Der zu untersuchende Umfang wurde von einzelnen hymnenartigen Versen auf ganze Kapitel ausgeweitet, wodurch der entstandene Textbestand auf ausgewählte Kapitel eingegrenzt werden musste (3.1). Als geeignetste Kapitel sind Offb 4, 5, 7, 11 und 15 ausgewählt worden. Zunächst ist ein semantisches Inventar (3.2.1–5) mit den Wortfeldern „Personen“, „Attribute“, „Handlungen“, „Orte“ und „Zahlen-, Zeitangaben“ sowie „wörtliche Reden“ angelegt worden. Dadurch wurden die vielen Bilder der Offb systematisiert. Zwar sind erste interpretatorische Aussagen vorgenommen worden, doch entfalteten die untersuchten Lexeme ihr volles motivisches Potenzial erst in der Kontextualisierung und Gruppierung (3.2.6) sowie in den weiteren Arbeitsschritten. Das semantische Inventar diente zur Vorbereitung der sich anschließenden soziolinguistischen, soziorhetorischen und soziokulturellen Analyse (3.3). Durch diese wurde ein dreidimensionaler Blick auf den Text, den Autor und die Primäradressaten ermöglicht: Die soziolinguistische Analyse befasste sich mit der Begriffsgeschichte der Lexeme von der Profangräzität bis zum NT und der Offb. Im Zuge der profangriechischen Betrachtung lag besonderes Augenmerk auf den OH. Bei der soziorhetorischen Analyse ist der rezeptionelle Umgang des Autors der Offb mit den begriffsgeschichtlichen Traditionen betrachtet worden. Es konnte ein autonomer Umgang des Verfassers nachgewiesen werden, indem er einerseits an die jeweilige Begriffsgeschichte anknüpft, andererseits die Lexeme v. a. durch apokalyptische Konnotationen erweitert. Er hat somit aus den paganen Begriffen spezifische Motive im eigentlichen Sinn gebildet. Insgesamt ist aufgefallen, dass diese Motive mehrschichtig konnotiert sind, d. h. von verschiedenen religiösen Vorstellungen her richtig gedeutet werden können. Die Hybridhaftigkeit der Motive zeigte sich in der gleichzeitigen Interpretationsmöglichkeit vom biblisch-jüdischen
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als auch mysterienkultisch-paganen Kontext her. Diese semantische Weite impliziert jedoch nicht, dass die Motive der Offb allgemein verständlich waren. Es ist eher davon auszugehen, dass die Motivik der Offb den Primäradressaten einen besonders hohen Grad an Bildungswissen abverlangt hat, sodass der dadurch artikulierte v. a. gesellschaftskritische Inhalt der Schrift einen gewissen Schutz nach außen erhalten hat. In der soziokulturellen Analyse ist die Frage nach der hermeneutischen Kompetenz der Adressaten vor dem Hintergrund der erarbeiteten begriffsgeschichtlichen Zusammenhänge gestellt worden. Die Schlussfolgerungen eines Bildungswissens der Adressaten auf literarischer Basis stehen auf wackeligen Beinen, sodass ihnen ein gewisser hypothetischer Grad erhalten bleibt. Motivanalyse – Auswertung
Die beschriebene dreifache Analyse erwies sich im zweiten Hauptteil als die entscheidende Untersuchung zur Beantwortung der zentralen Fragestellung: Auf motivanalytische Weise wurde ein Antwortversuch auf die Frage nach dem hermeneutischen Bildungswissen der Adressaten unternommen. Insbesondere die in der Einleitung als notwendig erachtete Betonung der Mehrschichtigkeit von Lexemen konnte anhand von begriffsgeschichtlichen Zusammenfassungen genauer beleuchtet werden. Dabei trat ein immenser semantischer Reichtum zutage, der in motivanalytischen Untersuchungen an der Offb in Beiträgen der letzten Jahrzehnte vernachlässigt worden ist. Angesichts der christlichen Gemeinden Westkleinasiens, die sich auch aus völkerchristlichen Adressaten zusammensetzten, ist die ergänzende Analyse der paganen Seite der Motivik in der Offb unbedingt notwendig. Es ist v. a. deutlich geworden, dass die zentralen Motive der Offb auch im mysterienkultischen Kontext eine entscheidende Rolle gespielt haben. Auch methodisch erwies sich die dreifache soziologische Motivanalyse als äußerst erkenntnisreich: Durch die dreidimensionale Betrachtung von Text, Autor und Adressaten konnte der religiös-kulturelle Kontext, das Können des Verfassers sowie die hermeneutische Kompetenz der Adressaten gleichzeitig berücksichtigt sowie zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Diese Art von Untersuchung bietet die Chance, eine Kontextrekonstruktion auch für die weiteren neutestamentlichen Schriften vorzunehmen. Sie vermeidet eine zu einseitige Betrachtung von Motiven so wie des Sitzes im Leben des Texts. Durch eine solche dreifache Motivanalyse wird berücksichtigt, dass ein Text nie in einem Vakuum entsteht, sondern durch vorherrschende Traditionen stets beeinflusst wird. Sie berücksichtigt zudem, dass bei der Abfassung eines Texts für eine bestimmte Adressatenschaft eine Kommunikationssituation entsteht, die einen gemeinsamen hermeneutischen Pool erfordert. Die soziorhetorische und soziokulturelle Analyse ein und desselben Texts verhilft dazu, die Abhängigkeit der beiden Ebenen zueinander ernstzunehmen. Gerade für biblische Texte mit unbekannter Identität des Autors und/oder der Adressaten
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erscheint dieses dreifache Modell hilfreich. Entscheidend ist dabei, diese soziologische Motivanalyse mit historischen Untersuchungen zu kombinieren. Dadurch wird die hermeneutische Kompetenz von Autor und Adressaten nicht nur auf textlicher, sondern auch auf empirischer Ebene nachgewiesen. Die Plausibilität von Schlussfolgerungen wird auf diese Weise wesentlich erhärtet. Motivanalyse – Ausblick
Bei der Anlegung eines semantischen Inventars sind die Wortfelder „Personen und ihre Attribute“ sowie „Handlungen“ priorisiert worden, sodass die Betrachtung insbesondere von Zeitangaben und Zahlensymbolik knapper ausgefallen sind. Zahlreiche, in dieser Studie zitierte Beiträge haben sich bereits intensiv diesen Wortfeldern gewidmet. Mit Blick auf die Frage nach dem Bildungswissen insbesondere der völkerchristlichen Adressaten bieten sich zukünftig Untersuchungen an, in denen die Zahlensymbolik der Offb auf ihre Mehrschichtigkeit hin untersucht wird. In den letzten Jahrzehnten lag diesbezüglich das Hauptaugenmerk auf einer Zurückführung der Zahlensymbolik auf das AT. Ihre Untersuchung in der Offb auf pagane Konventionen hin kann eine Einseitigkeit auf hebräische Gematrie überwinden. Zudem bietet es sich an, durch die Kombination der Wortfelder „Zeit“ und „Ort“ umfassende Analysen vorzunehmen. Solche Untersuchungen werden heutzutage bereits in den Blick genommen – es ist z. B. auf Bachtins Chronotopos hinzuweisen. Ein innovativer Vorschlag wäre die vermehrte Berücksichtigung paganer Konnotationen. Viele narrative Analysen bauen auf traditions- bzw. begriffsgeschichtlichen Untersuchungen auf, die sich in der Offb auf jüdisch-apokalyptische Konnotationen konzentrieren. Die Untersuchung des semantischen Gesamtbestands der Offb hätte den Umfang dieser Studie gesprengt, sodass nur die relevantesten Motive der fünf motivisch dichtesten Kapitel in den Blick genommen worden sind. In weiteren Studien könnten vernachlässigte Lexeme und Wortfelder dem soziologischen Dreischritt unterzogen werden, sodass weitere mysterienkultisch wichtige Begriffe, die auch in der Offb begegnen, Aufmerksamkeit erhalten. Besonders vielversprechend scheint die Analogie zwischen der Hochzeit des Lammes und der Heiligen Hochzeit in den Mysterienkulten zu sein, z. B. von Eleusis. Das Motiv wird v. a. in Offb 19 behandelt, das in dieser Studie außerhalb des zu untersuchenden Textbestands lag. Dieser Zusammenhang ist insofern bemerkenswert, als er mithilfe von verschiedenen historischen Zeugnissen untermauert werden kann. Historische Nachweise – Zusammenfassung
Die in der Motivanalyse hypothetisch gebliebenen Aussagen über das Bildungswissen der Adressaten wurden im Anschluss anhand von historischen Belegen erhärtet (3.4): Konkret sind verschiedene Zeugnisse berücksichtigt worden, die die religiöse
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Verehrung Kleinasiens nachweisen. Der Beginn mit numismatischen Zeugnissen (3.4.1) erlaubte eine Vorsortierung religiöser Verehrung nach Relevanz. Insbesondere die domitianischen Provinzprägungen zeichnen dabei ein repräsentatives Bild städtischer Kulte in den Orten der Sendschreiben. Was durch die Münzfunde nicht nachgewiesen werden konnte, ergänzten die epigraphischen Zeugnisse (3.4.2). Die Untersuchung mehrerer Motive hat eine Komplementarität zwischen numismatischen und epigraphischen Zeugnissen zutage geführt. Während z. B. das Blitzmotiv auf Zeusmünzen der sieben Sendschreiben und Umgebung vermehrt nachgewiesen wurde, Donner bildlich jedoch nicht dargestellt werden konnte, ist eine vermehrte Bezeugung des Epithetons κεραυνός für Zeus inschriftlich belegt. Insgesamt ist der epigraphische Befund beständiger als häufig wechselnde Münzemissionen, wodurch inschriftlich ein größerer Untersuchungszeitraum berücksichtigt worden ist. Die numismatischen und epigraphischen Zeugnisse bildeten eine Grundlage für die sich anschließende Zusammenfassung archäologischer Ausgrabungsstätten in den Orten der sieben Sendschreiben (3.4.3): Zahlreiche archäologische Stätten, insbesondere in den bereits freigelegten Orten Smyrna, Sardes, Ephesos und v. a. Pergamon, konnten die Münzen und Inschriften, somit konkrete religiöse Verehrungen, bestätigen. Die anschließende Sichtung griechischer Plastiken (3.4.4) und ausgewählter Kleinfunde (3.4.5) diente der Ergänzung und Bestätigung religiöser Verehrung. Ein bewusst weiter Untersuchungszeitraum diente dabei der Herausstellung religiöser Kontinuität. Die Betrachtung der orphischen Goldblättchen verhalf zu einem tieferen Verständnis orphischer „Eschatologie“ im Sinne von Jenseitsvorstellungen. Insgesamt dient das zusammengetragene Material als historische Enzyklopädie, auf die man zur Bestätigung und Präzisierung eigener motivanalytischer Hypothesen zurückgreifen kann. Historische Nachweise – Auswertung
Die abschließende historische Betrachtung religiöser Verehrungen in Kleinasien erwies sich als bedeutsame Bestätigung der motivanalytischen Hypothesen (3.3). Dabei hat die Gesamtheit aller historischen Zeugnisse den gemeinsamen religiösen Kontext der Offb sowie der OH aufgezeigt. Die Münzfunde zeigten ein hohes Maß an Lokalkolorit und stellten sich als universale Träger religiöser Motive heraus. Sie prägten die hermeneutische Wirklichkeit, in der sich Autor und Adressaten der Offb bewegten, maßgeblich. Niemand konnte sich der vorgegebenen Währung als antikes Massenmedium und der damit verbundenen Verbreitung religiöser Botschaften entziehen. Das Lokalkolorit der entsprechenden Provinzprägungen zeigte bemerkenswerte Entsprechungen zu den Gottesbildern in den OH. Ein auf phrygischen Münzen verbreiteter Zeustypus z. B. zeigt den stehenden Zeus Laodiceus, der sich vom klassischen olympischen Sitztypus unterscheidet. In den OH wird Zeus
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mit vielen Beinamen versehen, die ebenfalls auf diese regionale Verehrungsform hinweisen. Auch wenn Inschriften nicht dieselbe universale Verbreitung wie Münzen erreichen, tragen sie dennoch zu einer maßgeblichen hermeneutischen Prägung bei. Sie sind teilweise an öffentlichen Plätzen aufgestellt worden und überdauerten viele Jahrhunderte. Selbst Grabinschriften mit „eschatologischen“ Botschaften wurden entlang der Straßen aufgestellt, auf denen sich auch die Adressaten der Offb bewegt haben. Auch diesem Medium konnten sie sich somit nicht entziehen. Die inschriftlich belegten lokalen Verehrungen schlagen sich auch in den OH nieder. So verehren die Dionysosmysten aus Pergamon den Gott in Stiergestalt, was in den OH durch zahlreiche Epitheta ebenfalls zum Ausdruck kommt. Die Ausgrabungsstätten paganer Heiligtümer sind heutzutage nicht immer identifizierbar, doch lässt sich ihr damaliges Öffentlichkeitspotenzial erahnen. Die Adressaten der Offb werden mit den städtischen Kulten durch Opfer- und agonale Tätigkeit in Berührung gekommen sein. Insbesondere die Artemis Ephesia war allgegenwärtig bekannt, sodass Assoziationen in der Offb mit ihr nicht abwegig waren. Selbst die Mysterienkulte in den Orten der Sendschreiben wiesen ein gewisses Maß an Öffentlichkeit auf, sodass die Adressaten der Offb wahrscheinlich mit den städtischen Mysterienkulten vertraut gewesen sind, z. B. mit den Dionysosmysten in Pergamon und Smyrna sowie den Artemismysten in Ephesos. Die die bisherigen historischen Zeugnisse stützenden Kleinfunde werden nicht denselben Einfluss auf die Adressaten der Offb ausgeübt und eher punktuell ihre Wirkung erzielt haben. Dies hängt damit zusammen, dass Weihreliefs, Skulpturen etc. sich zumeist in den Heiligtümern befanden, die die Christen nicht aufgesucht haben. Gelegentlich bei Naturheiligtümern für die Göttermutter werden die Adressaten der Offb damit in Berührung gekommen sein. Eine weitere Gelegenheit bestand zudem durch Kolossalstatuen, die auf öffentlichen Plätzen aufgestellt worden sind, z. B. die Athenestatue in Pergamon, die durch ein Augustusstandbild ersetzt worden ist. Zur Abfassungszeit der Offb betraf dies vor allem kaiserkultische Statuen. Historische Nachweise – Ausblick
In dieser Studie wurde v. a. eine umfassende numismatische und epigraphische Sichtung der Zeugnisse angestrebt, da dies bei exegetischen Untersuchungen in einem solchen Ausmaß bisher ausgeblieben ist. Dabei wurde nach solchen Belegen gesucht, die sich auf die in der Motivanalyse untersuchten Lexeme beziehen. Dies könnte zu weiterführenden Studien an der Offb veranlassen, in denen die nicht thematisierten Motive numismatisch und epigraphisch überprüft werden. Dies ist punktuell bereits vorgenommen worden, doch kann eine umfassende Sichtung die Frage nach der hermeneutischen Kompetenz der Adressatenschaft wirklich-
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keitsgetreuer beantworten. Die Sichtung archäologischer Stätten in Kombination mit den numismatischen und epigraphischen Funden lässt auf zukünftige Ausgrabungsprojekte hoffen, durch welche die erwarteten Verehrungen auf Münzen und Inschriften archäologisch bestätigt werden können. Unter den Kleinfunden regen die orphischen Goldblättchen auf besondere Weise zum Weiterdenken an: Ihre Untersuchung und historische Bewertung ist vielfach problematisiert worden und gibt Anlass zu einer eingehenderen Erforschung dieser Medien. Da sie Aufschluss über die orphischen Jenseitsvorstellungen geben, könnte ein Textvergleich mit „eschatologischen“ Texten des NT sowie des AT bemerkenswerte Analogien oder Differenzen aufdecken. Dies würde die Debatte über die Nähe von Christentum und Mysterienkulten neu entfachen, die seit mindestens einem Jahrhundert zwischen Historikern und Theologen ohnehin geführt wird. Insbesondere der Textvergleich von Offb und orphischen Goldblättchen erscheint lohnenswert, verlangt jedoch eine eigene Studie. Eine auffällige Analogie, die zu weiteren Studien anregt, betrifft die prophetische Zeichenhandlung des Buchessens in Offb 10 und die Konvention, die orphischen Goldblättchen den verstorbenen Eingeweihten in den Mund zu legen. Ein Textvergleich oder eine zeitgeschichtliche Analyse könnten einen wichtigen Beitrag in der Orphik-Forschung leisten. Insgesamt war ein Textvergleich der Offb mit den OH zur Herausstellung eines gemeinsamen religiösen Kontexts berechtigt. In Kombination mit der soziologischen Motivanalyse sowie der Sichtung historischer Belege konnte das religiöse Milieu in den Orten der sieben Sendschreiben realistisch nachgezeichnet werden. Die Gesamtheit der Untersuchungen hat derart viele pagane Verehrungen zutage gefördert, dass die in den letzten Jahrzehnten einseitige traditionsgeschichtliche Untersuchung an der Offb kritisch bewertet werden muss. Will man die Adressaten eines so motivisch anspruchsvollen Werks wie die Offb ernst nehmen, bei denen ein besonders hohes Bildungswissen verlangt worden ist, dürfen insbesondere motivanalytische Studien bei der jüdisch-apokalyptischen Perspektive nicht stehen bleiben. Will man die Offb zeitgeschichtlich sensibel untersuchen, muss die Überlagerung verschiedener religiöser Verehrungen als ihr Kontext berücksichtigt werden. Die Lektüre der Offb mit ausschließlich jüdisch-apokalyptischen Augen geht an der Realität vorbei. Sie verkennt die hermeneutische Kompetenz einer hybriden, d. h. hier juden- und völkerchristlichen Adressatenschaft in einer synkretistischen Gesellschaft. Die Sichtung der religiösen Verehrungen lässt erkennen, dass die Provinz Asia in domitianischer Zeit einen Schmelztiegel verschiedenster Religionen und Philosophien darstellt. Davon ausgehend ist die Beurteilung des Bildungswissens der Adressaten als besonders hoch einzuschätzen. Zudem wird ihre hermeneutische Kompetenz angesichts ihrer Lebenswelt besonders im Bereich paganer Vorstellungen ausgeprägt gewesen sein. Wagt man am Ende dieser Studie vor dem Hintergrund des erarbeiteten vielseitigen Ertrags eine Relecture des Lystravorfalls aus Apg 14,8, stößt das hermeneutische
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Missverständnis der Lykaonier beim Leser nicht mehr auf Unverständnis. Die fehlgeleiteten hermeneutischen Prozesse der Bewohner Lystras können vielmehr auf ein durch kleinasiatisch geprägtes paganes Bildungswissen zurückgeführt werden, das den Adressaten der Offb ähnlich gewesen sein muss.
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Bildnachweise
RIC-Münzen: Umzeichnungsvorlage http://numismatics.org/ocre/ (zuletzt aufgerufen am 04.06.2022). RPC-Münzen: Umzeichnungsvorlage https://rpc.ashmus.ox.ac.uk (zuletzt aufgerufen am 04.06.2022). Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11
Umzeichnung nach RPC II 1021 Umzeichnung nach RPC II 945 Umzeichnung nach RPC III 1752 Umzeichnung nach RPC II 882 Umzeichnung nach RIC II, 12 Dom. 47 Umzeichnung nach RPC II 1294 Umzeichnung nach RPC III 1772 Umzeichnung nach RPC II 847 Umzeichnung nach RPC II 1076 Umzeichnung nach RPC II 1504 Umzeichnung nach RPC III 1701
Register
Personenregister A Abel, Eugenius 69 Alexander d. Gr. 325, 329 Alexander d. Gr. 321 Attalus II 338 Augustus 297, 324, 329, 332 B Berger, Klaus 20, 22, 24, 25, 29–31, 37, 39, 52, 53, 55, 57, 58, 69, 70, 126–130, 134–138 Burkert, Walter 299 C Caligula 339 Caracalla 331, 332, 339 Chan, Common Lung Pun Claudius 294
23–26, 33
D Deichgräber, Reinhard 17, 20, 21, 41, 58, 126, 363 Delling, Gerhard 18 Domitian 278–281, 285, 287, 288, 292, 294, 295, 297, 299, 324 E Ebner, Martin 25, 26 Eschenbach, Andreas 69 Eumenes II. 329, 335, 338
F Flavius Furius Aptus 323 Frenschkowski, Marco 23, 26 Frey, Jörg 26 G Gallusz, Laszlo 23 Glonner, Georg 27 H Hadrian 324, 325, 327, 333, 334 Hermann, Gottfried 69 Hesiod 14, 66, 78, 79, 270, 274, 282 Homer 14, 68, 240, 250, 258, 270, 273–275, 282, 287, 327 I Innitzer, Theodor
18
J Jörns, Klaus-Peter
20, 22, 29, 139
K Käppel, Lutz 18, 19 Karrer, Martin 12, 25, 26, 28, 177, 178 Keel, Othmar 145 Keyssner, Karl 31, 55, 56, 130, 137, 138 L Lichtenberger, Hermann 26 Lohmeyer, Ernst 13, 18 Löhr, Hermut 20
406
Register
N Norden, Eduard 18 P Plato 59 Prigent, Pierre 26 Q Quandt, Wilhelm 68, 69 S Satake, Akira 186 Schille, Gottfried 17 Schnabel, Eckhard J. 326 Schreiber, Stefan 171 Spitta, Friedrich 166
T Thraede, Klaus 17 Titus 287, 292 Toth, Franz 23–25 Trajan 287, 294, 333 V Vespasian 294, 339 Vischer, Eberhard 166 W Weiss, Johannes 18 Wengst, Klaus 17 Whitaker, Robyn 27 Wünsch, Richard 20, 21
Ortsregister
Ortsregister B Baalbek
333
D Didyma
296, 322
E Eleusis 231, 283, 290, 342, 343, 346, 350, 366 Ephesos 291, 298, 300, 302, 307, 308, 311–315, 320–325, 335, 340, 341, 346, 367, 368 Erythrai 282 G Germe
288
I Isparta
343
K Kapikaya 335 Karien 343 Klaros 296 Kleinasien 12, 28, 65, 66, 127, 284, 296, 316, 318, 320, 322, 334, 343, 349, 351, 362, 365, 367 Kyzikos 282, 317, 330 L Laodizea 279, 287, 296, 297, 312, 314–316, 340 Lykostal 297 Lystra 11, 13, 370 M Magnesia 292, 305 Mamurt Kale 335 Milet 343 P Palmyra 333 Panayırdaǧ 323, 341 Parabiago 341
407
408
Register
Pergamon 65, 283, 289, 297, 305, 308, 312, 313, 315, 316, 327–337, 345, 347, 367, 368 Philadelphia 298, 306, 312–314, 316, 339 S Samos 322 Samothrake 340 Sardes 306, 308, 312, 313, 315, 316, 336–338, 342, 367 Smyrna 279, 280, 283, 286, 289, 291, 302, 303, 305, 307, 308, 311, 313–315, 325–327, 335, 341, 343, 367, 368 T Thyatira V Veji 343
287, 296, 312–316
Sachregister
Sachregister A Adler 144, 175, 285, 286, 303, 333, 342 Annona 291 Apoll 225, 243, 245, 256, 270, 273, 279, 280, 285, 288, 296, 300, 304, 310, 313, 314, 318, 323, 328, 334, 338–340, 343, 344, 350, 357 Artemis 76, 262, 270, 299, 302, 307, 311–313, 317, 319–323, 326, 328, 336, 337, 340, 343, 360, 368 Asklepios 30, 31, 334, 335 Athene 295, 325, 327–329, 335 Attis 305, 342, 345, 346 B bergersches Abstufungsmodell 32, 69, 125, 127, 128, 130, 134–136, 167, 359, 362, 363 bergersches Konzept 32, 37–39, 61, 64, 71, 73, 74, 92, 95, 103, 120, 122, 124–127, 133, 135–137, 167, 168, 359, 360 C caduceus 325, 346, 347, 349 Ceres 282, 283, 291 chthonisch 117, 262, 263, 319, 360 D Demeter 231, 270, 282, 283, 290, 291, 301, 305, 311–313, 317, 319, 321, 326, 329–331, 342–344, 357 Dionysos 12, 66–68, 100, 235, 254, 255, 295, 300, 307, 315, 316, 319, 322–324, 328, 331, 332, 336, 338, 339, 341, 344, 347–349, 354, 357, 368 Dreifuß 284, 296
E Ekphrasis 38, 52, 62, 63, 88, 140, 145, 146, 182, 208 Epigraphie 300, 302, 305, 308, 310, 321, 349 Epiklesis 37, 70, 71, 74, 75, 93–95, 129, 130, 167 Erdbeben 148, 203, 204, 206, 207, 296, 297, 306, 309, 336, 339 F Fackel 144, 178, 180, 217, 229–231, 282, 283, 301, 302, 317, 321, 326, 328, 330, 331, 342, 343, 350 Füllhorn 291 G Gaia
319, 328
H Hekate 308, 328, 343, 360 Helios 313, 314, 318, 338 Hera 331 Herakles 331, 336, 338, 339, 350, 351 Hermes 11, 244, 256, 257, 260, 263, 295, 307, 325, 347, 349, 357 J Jörnscher Dreischritt
29, 139, 359, 361
K Kaiserkult 12, 13, 24, 303, 316, 319, 325, 327, 329, 338–340, 358, 368 Kantharos 348, 350 Kithara 146, 158, 183–185, 209, 210, 216, 217, 287, 288, 304, 318, 343, 344, 356 Kore 76, 77, 98, 291, 301, 311–313, 319, 322, 330, 342, 343, 350
409
410
Register
Korybanten 225 Kybele 116, 279, 280, 286, 290, 292, 299, 305, 308, 310, 312, 313, 317, 319–323, 326, 335–337, 340–344, 346, 350 L Leto 312, 314, 323, 328, 343 Löwe 77, 84, 108, 117, 144, 145, 175, 182, 188, 217, 286, 303, 308, 313, 317, 322, 323, 328, 335, 337, 341, 342, 344, 345, 350 Lyra 287, 288, 318, 349 M Mänaden 348 Mantik 296 Meter 308, 310–312, 317, 319–321, 323, 326, 335, 337, 339, 341–344, 360 Minerva 281, 295 Muttergottheit 279, 280, 286, 308, 313, 317, 326, 340, 357 Myste, Mystin 68, 87, 89, 91, 107, 111, 238, 276, 300, 342, 346, 349, 350, 368 Mystenverein 303, 324, 332, 339 Mysterien, Mysterienkult, Mysterienreligion 12, 13, 27, 29, 33, 107, 225, 226, 229, 231, 236, 238, 240, 242, 248, 255, 271, 277, 282, 283, 285, 286, 290–292, 299, 301–303, 311, 313, 317, 321, 322, 327, 330, 331, 338, 343, 346–351, 358, 360, 365, 366, 368, 369 N Neokorie 327, 339 Nike 293, 303, 321, 328 Numismatik 277, 279, 284, 286–288, 292, 294, 297, 299, 302, 305, 307, 308, 319, 349, 350, 358
O Orpheus 64, 68, 345, 347, 349 orphisch 12, 59, 64, 65, 67, 68, 78, 93, 98, 107, 229, 230, 232, 233, 242, 260, 265, 269, 286, 300, 307, 318, 324, 327, 330, 338, 348–351, 353, 354, 358, 360, 367, 369 P Panther 308, 345 Patera 289, 290, 299, 304, 313, 333, 341 Persephone 270, 274, 322, 354, 355 Phiale 185, 216–218, 288, 304, 305, 310, 347 Provinzprägung 278, 279, 281, 282, 285, 287, 289, 291–293, 295, 296, 298, 299, 301, 330, 335, 367 R Reichsprägung 278, 280–285, 287, 288, 292, 293, 295, 296, 298, 299, 312, 319 Rhea 74–77, 82, 83, 85, 88, 89, 91, 93–95, 98, 99, 105–107, 114, 115, 123, 124, 308, 312, 319, 335, 340, 357, 360, 361 S Satyr 343–345, 347 Silene 342, 344, 349 Stier 76, 77, 82, 84, 105, 108, 115, 117, 175, 242, 317, 322, 328, 332, 340, 346, 368 T Thyrsos 348, 349 Tympanon 341 U uranisch
117, 360
V Vatergottheit 214, 280, 282, 285, 315, 343 Victoria 293
Sachregister
W Wein 151, 152, 222, 324, 338, 339, 347–349 Z Zeus 11, 30, 76–79, 83, 85, 98, 101, 110, 119, 225–229, 231, 239, 270, 273,
279–282, 285, 286, 299–301, 303, 306, 308, 314, 315, 325, 327, 328, 331, 333, 334, 336, 338–340, 343, 355, 357, 358, 367
411
412
Register
Bibelstellenregister Gen 2,10–14 251 Gen 38 249 Ex 28
232, 267
Lev 16,7–10.20–22.26 Dtn 9,19
254
Dan 3,4 245 Dan 3,51 LXX 17 Dan 3,57–90 16 Dan 4–12 263 Dan 7 LXX 258 Dan 7,6.11 LXX 258 Dan 7,14 245
265 Hos 13,11
1Kön 6
265
259
Ps 2,5 265 Ps 22,4 LXX 256 Ps 65 251 Ps 75,9 265 Ps 104 251
Sach 8,7
253
Mt 9,38
207
Mk 5,29
250
Lk 10,2
207
Sir 24,30–33 251 Jes 11 188 Jes 11,1.10 241 Jes 12,3 251 Jes 25 265 Jes 43,5–7 253 Jes 43,19–21 251 Jes 44,3 251 Jes 45,22 253 Jes 49,6 253 Jes 51 265 Jes 51,17.22 265 Jer 25,15f 265 Jer 31,7 253 Jer 46,27 253 Ez 1,26 232 Ez 40 257 Ez 40,3.5 LXX 256 Ez 41 259 Ez 47,1–12 251
Joh 1,1-18 132 Joh 3,33 249 Joh 4,6 250 Joh 4,14 250 Joh 6,27 249 Joh 8,58 132 Joh 10,4 207 Apg 14,8 11, 369 Apg 17,24 259 Apg 19,24 259 Röm 2,8 265 Röm 4,11 249 1Kor 9,2 249 1Kor 14,7 243 2Kor 1,22 249 2Kor 8,20f 249
Bibelstellenregister
Eph 1,13f 249 Eph 2,8 261 Eph 4,30 249 Eph 5,19 16 Phil 2,5–11
13, 132, 133
Kol 1,15.18b 30 Kol 3,16 16 1Tim 6,16
132, 133
2Tim 2,19
249
Jak 3,11
250
1Petr 1,10
260
2Petr 1,21 2Petr 2,17
260 250
Offb 1,4b 38, 40, 42 Offb 1,5 41, 45, 93, 94, 96, 99, 120, 121, 133 Offb 1,6 45, 56, 96, 97, 100, 102, 110, 206 Offb 1,8 42, 54, 55, 57, 93–97, 100, 138 Offb 2,13 329 Offb 3,12 259 Offb 4,1 144, 173, 176, 178, 213, 229 Offb 4,4 174–176, 178, 225, 283 Offb 4,5 227, 229-231, 281, 282, 343 Offb 4,7 175, 285, 286 Offb 4,8c 38, 42, 54–56, 93–97, 138, 139, 144, 145, 155, 156, 175, 177, 179, 180, 197, 272 Offb 4,11 38, 43, 45, 47–49, 53, 54, 56, 59, 60, 94–96, 99, 100, 102, 104, 106, 108, 112, 117, 124, 132, 138–142, 144, 145, 156, 159, 161, 163, 181, 182, 237, 239, 249, 274, 290, 323 Offb 5,1–14 142, 146
Offb 5,8 16, 156, 183, 185, 215, 243, 287, 344 Offb 5,9b-10 38, 48–50, 53, 56, 59–61, 102, 104, 105, 107, 110–112, 114, 116, 120, 122–124, 132, 138, 140, 146, 155, 158, 159, 161, 164, 185, 190, 218, 219, 243, 245, 254, 361 Offb 5,12 38, 45, 46, 56, 59, 60, 112, 155, 157, 161, 184, 190, 238, 246, 291 Offb 5,13 38, 45, 56, 58, 59, 61, 94, 120, 121, 155, 157, 159, 162, 164, 184–186, 191 Offb 7,1–17 142, 143, 147, 192–194, 198, 252, 263 Offb 7,3 192, 193, 197, 292 Offb 7,9 143, 157, 192, 193, 195, 197, 293 Offb 7,10b 38, 46, 56, 101, 110, 140, 147, 155, 192–194, 197, 253, 335, 361 Offb 7,12 38, 45, 46, 56, 59, 62, 94, 120, 121, 138, 157, 159, 194, 197 Offb 7,17 141, 194, 250, 251, 306, 307 Offb 9,4 252 Offb 10,6 162, 179 Offb 11,2 199, 200, 203, 205, 207, 259, 294 Offb 11,4 199, 201, 204, 260, 295 Offb 11,1–14 199, 200, 203, 207, 255, 307 Offb 11,15 38, 46, 48–50, 52–54, 59, 102, 109, 120, 121, 140, 141, 148, 156, 157, 162, 173, 200, 203, 205, 208 Offb 11,17-18 38, 42, 48, 50, 53–56, 61, 62, 94–97, 102, 103, 112, 119, 138, 140, 148, 160, 203, 205 Offb 12,7–9 142, 143, 149 Offb 12,10 38, 45, 46, 48–53, 56, 62, 94, 102, 104, 110–112, 133, 140, 141, 149, 156, 157, 160, 253 Offb 12,12 111, 124, 137, 265 Offb 13 24, 297 Offb 14,20 142, 150 Offb 15,3b 38, 43, 53–55, 63, 94, 95, 140, 150, 151, 156, 158, 164, 209, 210, 222, 269
413
414
Register
Offb 15,4 48, 49, 50, 52, 55, 56, 102, 103, 109, 111–113, 118, 119, 131, 132, 137, 141, 360 Offb 15,5–8 142, 150, 210, 211 Offb 16,5-6b 38, 43, 44, 48, 49, 51, 53, 60, 94–97, 102, 103, 106, 110, 112, 140, 141, 151, 156, 158, 263 Offb 16,7b 38, 43, 54, 55, 94, 95, 106, 110, 156, 160, 254 Offb 18,1 133 Offb 18,6 268 Offb 18,9–24 142, 143, 151 Offb 19,1b 38, 45–47, 56, 62, 94, 110, 112, 124, 140, 151, 156, 158, 160, 253 Offb 19,2 48, 49, 51, 53, 102, 103, 106, 108, 109, 112, 114, 115
Offb 19,5b 38, 61, 62, 122, 123, 156, 158 Offb 19,6b 38, 43, 48, 49, 51, 54, 55, 62, 94, 95, 102, 103, 105, 112, 140, 141, 152–154, 156, 159, 165 Offb 19,7b-8 48, 102, 103, 124, 125, 137, 364 Offb 19,11–21 142, 152, 153 Offb 20,10.14 142, 143, 152, 163 Offb 20,11-15 54 Offb 21,1 54, 143 Offb 21,1–5 142, 153 Offb 21,6 31, 38, 53, 57, 96, 97, 100, 138, 140, 153, 154, 250 Offb 22,10 249 Offb 22,13 38, 53, 54, 57, 96, 97, 138