Vertrauen [1. Aufl.] 9783839400784

Das Phänomen Vertrauen ist in der Soziologie in jüngster Zeit zu erheblicher Prominenz gelangt. Im Anschluss an einige A

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German Pages 110 [108] Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Vertrauen – ein klassisches Thema der Soziologie?
Die Gründergeneration: Émile Durkheim, Georg Simmel, Max Weber
Die Generation der Jahrhundertwende: Alfred Schütz, Talcott Parsons
Die Generation um 1920: Harold Garfinkel, Peter M. Blau, Erving Goffman
Zusammenfassende Überlegungen
Der aktuelle theoretische Diskurs über Vertrauen in der Soziologie
Niklas Luhmann: Funktionale Differenzierung und Systemvertrauen
James S. Coleman: Vertrauen und rationales Handeln
Anthony Giddens: Vertrauen und die Entwicklung der Moderne
Piotr Sztompka: Vertrauen und Vertrauenskultur
Zusammenfassende Überlegungen
Empirische Analysen zum Aufbau von Vertrauen
Mikroanalysen: Vertrauensaufbau in Interaktionsprozessen
Mesoanalysen: Vertrauen in Organisationsund Arbeitsprozessen
Makroanalysen: Vertrauen zu Institutionen und in gesellschaftlichen Transformationsprozessen
Zusammenfassende Überlegungen
Vertrauen als soziologischer Grundbegriff: Systematische Perspektiven
Fungierendes Vertrauen – reflexives Vertrauen
Intimbeziehung, Vertrauensbeziehung, Loyalitätsbeziehung: eine Typologie
Zur Institutionalisierung von Vertrauen und Misstrauen
Anmerkungen
Literatur
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Vertrauen [1. Aufl.]
 9783839400784

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Martin Endress Vertrauen

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) T00_01 schmutztitel.p 310538372360

Die Beiträge der Reihe Einsichten werden durch Materialien im Internet ergänzt, die Sie unter www.transcript-verlag.de abrufen können. Das zu den einzelnen Titeln bereitgestellte Leserforum bietet die Möglichkeit, Kommentare und Anregungen zu veröffentlichen. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

Einen Einblick in die ersten 10 Bände der Einsichten gibt die Multi-Media-Anwendung »Einsichten – Vielsichten«. Neben Textauszügen aus jedem Band enthält die Anwendung ausführliche Interviews mit den Autorinnen und Autoren. Die CD-ROM ist gegen eine Schutzgebühr von 2,50 € im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.

Die Deutsche Bibliothek • CIP-Einheitsaufnahme Endreß, Martin: Vertrauen / Martin Endreß – Bielefeld : transcript Verl., 2002 (Einsichten) ISBN 3-933127-78-5 © 2002 transcript Verlag, Bielefeld Satz: digitron GmbH, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-933127-78-5

2006-10-02 10-56-52 --- Projekt: T78.einsichten.endreß / Dokument: FAX ID 015a127763490330|(S.

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) T00_02 impressum.p 127763490354

Inhalt 5

Einleitung

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Vertrauen – ein klassisches Thema der Soziologie? Die Gründergeneration: Émile Durkheim, Georg Simmel, Max Weber Die Generation der Jahrhundertwende: Alfred Schütz, Talcott Parsons Die Generation um 1920: Harold Garfinkel, Peter M. Blau, Erving Goffman Zusammenfassende Überlegungen

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Der aktuelle theoretische Diskurs über Vertrauen in der Soziologie Niklas Luhmann: Funktionale Differenzierung und Systemvertrauen James S. Coleman: Vertrauen und rationales Handeln Anthony Giddens: Vertrauen und die Entwicklung der Moderne Piotr Sztompka: Vertrauen und Vertrauenskultur Zusammenfassende Überlegungen Empirische Analysen zum Aufbau von Vertrauen Mikroanalysen: Vertrauensaufbau in Interaktionsprozessen Mesoanalysen: Vertrauen in Organisationsund Arbeitsprozessen Makroanalysen: Vertrauen zu Institutionen und in gesellschaftlichen Transformationsprozessen Zusammenfassende Überlegungen Vertrauen als soziologischer Grundbegriff: Systematische Perspektiven Fungierendes Vertrauen – reflexives Vertrauen Intimbeziehung, Vertrauensbeziehung, Loyalitätsbeziehung: eine Typologie Zur Institutionalisierung von Vertrauen und Misstrauen

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Anmerkungen

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Literatur

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) T00_03 inhalt.p - Seite 3 311480274322

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) T00_04 vakat.p 310538372392

Einleitung Wer wüsste es nicht aus alltäglicher Erfahrung: Vertrauen braucht man. In gewisser Hinsicht scheint damit alles gesagt. Vertrauen bildet offenkundig eine grundlegende Voraussetzung alltäglichen Handelns. Geradezu ubiquitär relevant sind Vertrauen wie Misstrauen in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Ob es um Vertrauen in den Partner oder die Partnerin, um Vertrauen zu Institutionen, in die Politik und die Politiker geht, das Vertrauen zu landwirtschaftlichen Produkten in Frage steht (BSESchock, genetisch veränderte Nahrungsmittel) oder das Vertrauen in die Geldwertstabilität bröckelt (Einführung des Euro) etc.: Die Vielfältigkeit der Bezüge und Verwendungskontexte, in denen Vertrauen oder seine Grenzen und Erschütterungen thematisch werden, sind alltäglich äußerst unübersichtlich. Soziologisch gewendet zeigt sich die empirische Relevanz und Bedeutung von Vertrauen wie Misstrauen insbesondere in modernen komplexen Gesellschaften an so verschiedenen Phänomenen wie der Ausbreitung von Expertenkulturen, der Entdeckung der Bedeutung des Vertrauens seitens der Werbung (Werbefachleute sprechen vom V-Effekt), an biotechnologischen Entwicklungen (Embryonenforschung, transgene Pflanzen und Tiere), an der Betonung vertrauensbildender Maßnahmen im politischen Bereich oder auch an der zur Alltäglichkeit gewordenen Begegnung mit Fremden und Fremdem. Ob nun aufgrund dieser Entwicklungen das vermeintlich geringe Vertrauen in soziale und politische Institutionen und Regulierungsmechanismen weiter untergraben wird, ob ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber einem möglichen Missbrauch technischer Innovationen herrscht, ob technologische und soziale Risiken als zunehmend bedrohlich empfunden werden oder die Ausbreitung einer Kultur des Misstrauens diagnostiziert wird: Die Frage des Vertrauens nicht nur in die Institutionen des Rechts- und Parteienstaats sowie in industrielle und technologische Produkte bildet einen Dauerbrenner öffentlicher Debatten. Jenseits dieser unmittelbar evidenten Aktualität des Themas ›Vertrauen‹ ist jedoch ebenso auffällig, dass der Vertrauensbegriff alltäglich und insbesondere in persönlichen Zusammen-

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hängen eher selten gebraucht wird. Es scheint eine offenkundige Diskrepanz zu bestehen zwischen der wissenschaftlich immer wieder herausgestellten Bedeutung von Vertrauen wie Misstrauen für eine Fülle alltäglicher Handlungsvollzüge einerseits und der expliziten Kommunikation über Vertrauen im Alltag andererseits. Es stellt sich die Frage, was dieser Umstand signalisiert und über das Vertrauensphänomen selbst aussagt. Vergleichbares gilt auch für die wissenschaftliche Behandlung des Themas. Denn der geschilderten durchgängigen alltäglichen Erfahrung der Bedeutung von Vertrauen entspricht keineswegs immer die Aufmerksamkeit, die diesem in wissenschaftlichen Kontexten zukommt. Nach einer langen Phase der Dominanz theologischer, insbesondere aber psychologischer1 und philosophischer2 Beiträge sind erst im Zuge der jüngeren ›Karriere‹ der Vertrauensthematik multidisziplinäre Zugänge zu verzeichnen: Spätestens seit Beginn der 1990er Jahre genießt sie erhöhte Aktualität in Ökonomie und Organisationstheorie, in Pädagogik und Psychologie, in Philosophie und Politikwissenschaft sowie in der Soziologie.3 Im Rahmen der Soziologie hat sich die Forschung zum Vertrauensphänomen zugleich in sehr verschiedenen Teilbereichen erheblich intensiviert. Neben Arbeiten zur soziologischen Theorie stehen hier Beiträge zur Organisationsanalyse und Managementforschung, zur Arbeits- und Industriesoziologie, zur Transformationsforschung und Techniksoziologie. Verschiedene Umstände haben dabei in den vergangenen zehn Jahren zum Aufstieg dieser Thematik zu einem der Gravitationszentren soziologischer Forschung geführt. So ist für den Bereich der Managementforschung auf die sog. asiatische Herausforderung zu verweisen (vgl. Ouchi 1981), für die Arbeits- und Industriesoziologie fungiert die Rationalisierungsdebatte seit den 1980er Jahren als Hintergrund, die im Konzept einer »Abwärts-Spirale des Vertrauens« (Fox 1974: 102) ihren prägnanten Ausdruck fand, und für die Transformationsforschung bilden naturgemäß die Umbruchprozesse in verschiedenen mittelosteuropäischen Gesellschaften nach 1989 den entscheidenden Anstoß. Wenn nicht alles und jedes, so lässt sich offenkundig doch zumindest vieles unter dem scheinbar so vertrauten Begriff des

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›Vertrauens‹ thematisieren. Aufgrund dieses Befundes scheint Max Webers Urteil über den Begriff der ›Macht‹ auch auf den des ›Vertrauens‹ bezogen werden zu müssen: Vertrauen scheint soziologisch amorph. Und man könnte argumentieren, dass dieser Umstand sich nicht zuletzt in der Behandlung dieses Themas auf ganz unterschiedlichen Ebenen und hinsichtlich heterogenster Phänomenbereiche im Rahmen der Soziologie reflektiert: »The social science research on trust has produced a good deal of conceptual confusion regarding the meaning of trust and its place in social life« (Lewis / Weigert 1985a: 975). In dieser Unübersichtlichkeit scheint eine mögliche soziologische Konzeptualisierung des Zugangs zum Vertrauensphänomens gerade verloren gegangen zu sein. Der Vertrauensbegriff verweist zunächst auf eine für die Entstehung der Soziologie als selbständiger Wissenschaft zentrale Erfahrung. Am Beginn der Ausbildung einer eigenen soziologischen Forschungsperspektive und der Etablierung der Soziologie als akademischer Disziplin steht die Erfahrung des grundlegenden Fragwürdigwerdens, der fundamentalen Verunsicherung weitgehend eingeschliffener Lebensverhältnisse im Zuge einer beschleunigten, insbesondere technisch geprägten Veränderung nahezu aller Lebensbereiche im Rahmen fortschreitender gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse. Je ausgeprägter das Bewusstsein von Menschen für die Unwägbarkeiten, Unsicherheiten und Unkalkulierbarkeiten des Lebens aufgrund von Intensität und Tempo dieser Wandlungsprozesse wird, um so weitreichender werden sie in ihrem alltäglichen Handeln auf die Notwendigkeit verwiesen, ihrer eigenen Handlungsmächtigkeit entzogenen technischen Apparaturen, Experten und Institutionen zu vertrauen. Wenn auch nicht von einem epochalen Bruch, so ist historisch doch von graduellen Veränderungen zu sprechen, also von einer zunehmenden Erfahrung des Fremdseins vormals als stabil und wandlungsresistent erlebter, als vertraut erfahrener Lebensverhältnisse. Zu konstatieren sind Pluralisierungsprozesse, die den sozialen Raum des Vertrauten enger werden lassen. Dieser historische Wandel der Bedingungen sozialen Zusammenlebens lässt sich in Parallele setzen zum ontogenetischen Prozess des Erwachsenwerdens: Die Alternativlo-

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sigkeit der ersten Welt stiftet für das Kind sein (bedingungsloses) Vertrauen, die spezifische Geborgenheit, die dem ›Wissen‹ darüber entspringt, dass ›alles in Ordnung‹ ist, es nur die eine ›dichte Wirklichkeit‹ gibt. Und es ist diese Erfahrung der Wirklichkeit, die sich mit fortschreitender Lebenserfahrung sukzessive ›auflöst‹, die also durch die Akkumulation von Lebenserfahrung typisch verwandelt wird. Diese Überlegung führt demnach ebenso zu der Feststellung, dass Erfahrungen von Vertrauensverhältnissen und selbstverständlicher Vertrautheit gleichrangig ihre Kontrastfolie gegenübersteht: Die Erfahrung der (latenten) Zerbrechlichkeit sozialer Wirklichkeit, die zumeist in Form eines (partiellen) Vertrauensverlustes oder aber (gänzlichen) Misstrauens zum Ausdruck kommt. So sind es unterschiedliche Deutungen sozialer Situationen, die immer wieder auch dazu führen, dass alltäglich eingeschliffene Routinen unterbrochen werden, sich zu krisenhaften Situationen zuspitzen und zum Aufbrechen von Vertrauensverhältnissen führen. Aufgrund der sozial vermittelten Deutung sozialer Wirklichkeit ist von einer konstitutiven ›latenten Fragilität‹ menschlicher Sichtweisen auf die soziale Welt zu sprechen, insofern in Interaktionen die jeweils eigene Weltsicht stets notwendig ›auf dem Spiel steht‹. Resultate dieser Balanceakte zwischen fraglos Hingenommenem und fragwürdig Gewordenem können Missverständnisse, Vertrauensverluste, Misstrauen oder die Auflösung vertrauter Handlungskontexte sein. Empirische Untersuchungen belegen jedoch immer wieder das hohe Maß an Selbstverständlichkeit, mit dem Menschen ihren Alltag leben und sich in ihrer sozialen Umwelt orientieren. Dieser Umstand bildet für die Soziologie ein elementares Ausgangsdatum in dem Sinne, dass es für sie um die Frage nach den Gründen für diese fraglose Gültigkeit weiter Lebensbereiche gehen muss. Entsprechend bildet für eine mit Alfred Schütz argumentierende soziologische Analyse des Vertrauensphänomens die Annahme der Nicht-Selbstverständlichkeit von Selbstverständlichkeit die zentrale Ausgangshypothese. Forschungspraktisch impliziert diese Annahme die Aufgabe, die Mechanismen und Strukturen aufzudecken, die dazu führen, dass Menschen wesentliche Teile ihrer Lebensumwelt als fraglos ge-

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geben akzeptieren und als unbefragt gültigen Rahmen ihres Handelns anerkennen. Auf dieser Ebene grundlegender Selbstverständlichkeitsannahmen über die soziale Welt erhalten die Phänomene des Vertrauens und der Vertrautheit zentrale Bedeutung für die Soziologie und bilden für sie als grundlegende Ressourcen sozialen Handelns und sozialer Beziehungen einen Untersuchungsgegenstand sui generis. Vertrauen, in diesem Sinne verstanden als elementare Voraussetzung sozialer Prozesse, ist somit ein Kernphänomen für die Soziologie. Dabei ist in soziologischer Hinsicht nicht ein irgendwie geartetes Vertrauen ›an sich‹ thematisch relevant, sondern die entweder subjektiv explizierte Vertrautheit mit oder das thematisierte oder reflexive Vertrauen auf oder in Personen, Institutionen oder organisatorische Regelungs- und Steuerungszusammenhänge einerseits oder aber das aufgrund faktisch vollzogener Handlungen und beobachteter Verhaltensweisen objektiv, also wissenschaftlich rekonstruierbare implizite oder fungierende Vertrauen andererseits. Die gegenwärtige soziologische Aktualität der Vertrauensthematik kann somit angesichts seiner Randständigkeit in vielen klassischen Beiträgen der Disziplin als Versuch bewertet werden, einen genuin soziologischen Begriff des ›Vertrauens‹ auszuarbeiten und diesen als Grundbegriff in der Disziplin zu etablieren. Die vorliegende Arbeit beginnt mit einem Überblick über die Thematisierungen des Vertrauensphänomens bei den Klassikern der Soziologie, an den sich eine ausführlichere Darstellung der aktuellen theoretischen Diskussion zu diesem Thema in der Soziologie anschließt. Sie konzentriert sich auf die zentralen Bezugsautoren dieser Debatte und mündet in eine Reflexion über die möglichen Gründe der jüngsten ›Karriere‹ des Vertrauensthemas. Diesen primär theoretisch gehaltenen Teilen folgt die Darstellung empirischer Analysen des Aufbaus und Erhalts von Vertrauen in unterschiedlichen sozialen Konstellationen, die zugleich dem Überblick über einige wesentliche thematische Leitlinien der aktuellen Debatte dient. Der Band schließt mit einer systematischen Bestimmung des Vertrauensphänomens.

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Vertrauen – ein klassisches Thema der Soziologie? »Vertrauen ist nie ein Thema des soziologischen Mainstream gewesen. Weder die klassischen Autoren noch moderne Soziologen verwenden den Terminus in einem theoretischen Zusammenhang« – mit dieser Feststellung eröffnet Niklas Luhmann einen seiner Beiträge zum Thema (Luhmann 2001: 143). Und ganz ähnlich lautet die Einschätzung von Diego Gambetta: »This pervasiveness [of trust] seems to have generated less analysis than paralysis: in the social sciences the importance of trust is often acknowledged but seldom examinated, and scholars tend to mention it in passing, […] only to move on to deal with less intractable matters« (Gambetta 1988b: ixf.). Diese Einschätzung, es beim Vertrauen mit einem verwickelten, komplizierten und analytisch schwer zugänglichen Phänomen zu tun zu haben, dürfte einer der Gründe sein, dem seine – mit Ausnahme insbesondere von Georg Simmel – eher beiläufige Thematisierung in den klassischen Beiträgen der Soziologie geschuldet ist. Das ist insofern überraschend, als wir es mit einem durchaus modernen Thema zu tun haben. So findet das Verhältnis von Vertrauen und sozialer Ordnung zu Beginn der Neuzeit wirkungsmächtigen Ausdruck in Thomas Hobbes’ Analyse des Naturzustands als Zustand »gegenseitigen Mißtrauens« (Hobbes 1996: Kap. 13; vgl. Weil 1987). Der im Naturzustand unumgängliche »Krieg eines jeden gegen jeden« verdankt sich Hobbes zufolge drei in der menschlichen Natur liegenden »Konfliktursachen«: 1. der Konkurrenz, 2. dem Misstrauen (lat. ›defensio‹: Abwehr, engl.: ›diffidence‹: Zurückhaltung, Zaghaftigkeit) und 3. der Ruhmsucht. Fehlendes Vertrauen bzw. ausgeprägtes Misstrauen führt Hobbes zufolge zur wechselseitigen Gefährdung der Menschen aufgrund ihres Strebens nach (ad 1) Gewinnen, nach (ad 2) Sicherheit und nach (ad 3) Ansehen bzw. Ehre. Denn insofern sich die angenommene Naturzustandssituation durch das gänzliche Fehlen von Regeln auszeichnet, impliziert sie (ad 1) die Notwendigkeit ständig zu kontinuierender Informationsgewinnung über eigene Handlungschancen und fremde Handlungsressourcen, erfordert sie (ad 2) für die beständige

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Absicherung im Zuge jedweder sozialer Beziehungen Sorge zu tragen und führt sie (ad 3) zum fortwährenden Kampf um den Erhalt der eigenen sozialen Position. Somit weist das Problem des Vertrauens bereits in dieser frühen philosophischen Lesart eine unmittelbare Beziehung auf zum (ad 1) Problem der sozialen Komplexität, (ad 2) zur Frage einer interaktionsübergreifenden (typischen, konventionalisierten, rechtlichen, staatlichen) Sicherung von Rahmenbedingungen des Handelns und (ad 3) zum über die Zeit hinweg möglichen Erhalt von Vertrauenswürdigkeit, von ›sozialem Kapital‹4. Zielen diese Überlegungen des ersten vertragstheoretisch argumentierenden neuzeitlichen Philosophen auf die ebenso grundlegende wie kontinuierliche Ambivalenz von Interaktionsverhältnissen in sachlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht, so verweisen prominente Antworten auf das von Hobbes skizzierte Dilemma immer wieder auf die Bedeutung von Vertrauen für dessen Lösung. Vertrauen, so die vielfach geteilte Annahme, reduziert Komplexität (sachlich), schafft stabile Rahmenbedingungen für Handlungs- und Interaktionsprozesse (sozial) und dient als zentraler Mechanismus der Kontinuierung sozialer Ordnung und des Aufbaus sowie der Aufrechterhaltung stabiler sozialer Beziehungen (zeitlich). Damit werden bereits in der politischen Philosophie von Hobbes wesentliche Problemstellungen und Fragen hinsichtlich des Vertrauensphänomens thematisiert, die mit Beginn des 20. Jahrhunderts eine soziologische Akzentuierung erfahren. Ohne damit sogleich eine systematische These hinsichtlich möglicher Generationsspezifika der Thematisierung des Vertrauensphänomens zu verbinden, lassen sich für die in dieser Zeit erschienenen klassischen Beiträge der Soziologie gleichwohl drei Generationenkonstellationen unterscheiden: Einmal Autoren, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts geboren wurden und die Gründungsgeneration der Disziplin bilden (Émile Durkheim, Georg Simmel, Max Weber), sodann die Generation der um die Jahrhundertwende Geborenen (Alfred Schütz, Talcott Parsons) und schließlich Autoren, die Ende des zweiten, Anfang des dritten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts geboren wurden (Harold Garfinkel, Peter M. Blau, Erving Goffman). Ihre

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Beiträge werden in dieser Linie kurz vorgestellt und diskutiert (vgl. Silver 1985; Misztal 1998: 33ff., 65ff.).

Die Gründergeneration: Émile Durkheim, Georg Simmel, Max Weber Den Auftakt soziologischen Nachdenkens über das Vertrauensphänomen bildet die kritische Lektüre von Hobbes’ vertragstheoretischer Position im Werk von Émile Durkheim (1858–1917). Durkheims Verweis auf die phänomenalen Defizite von Hobbes’ Ansatz zur Klärung der faktischen Bindungswirkung von Verträgen führt ihn zur Analyse ihrer nicht vertraglichen Voraussetzungen (vgl. Durkheim 1988: I. Buch, Kap. 7). Die auf nicht-kontraktuelle Aspekte zurückgehende Bindungswirkung von Verträgen leitet Durkheim aus dem Umstand ab, dass die vertragliche Regelung sozialer Verhältnisse ihrerseits als Institution gedeutet wird und solchermaßen eine normativ gesättigte Legitimierung erfährt, die erst die elementare Voraussetzung ihrer effektiven Geltung bildet. Diese Legitimierung basiert somit auf dem »Kollektivbewußtsein« der betreffenden sozialen Gruppe und bezieht von daher ihren Verpflichtungscharakter. Durkheim gibt damit einem Argument wirkungsmächtige Gestalt, das auch Ferdinand Tönnies in seiner kritischen Analyse der »soziologischen Gründe des Naturrechts« vermerkt, wenn er darauf hinweist, dass »Kontrakte […] auf Vertrauen und Glauben, wie der Name des Kredits anzeigt«, beruhen (Tönnies 1988: 170). Im Hintergrund von Durkheims Argument steht seine Konzeption »organischer Solidarität« (Durkheim 1988: 162ff.), derzufolge ein moralischer Konsens als zentrale Quelle sozialer Integration und Solidarität auch in modernen Gesellschaften anzusehen ist. Vertrauen wird damit nicht als Grundlage moralisch gesättigter Verpflichtungsverhältnisse, sondern umgekehrt als sozialen Beziehungen immanente normative Verpflichtung verstanden. Trotz dieser wirkungsmächtigen Hinweise vertieft Durkheim diese auf das Vertrauensphänomen deutenden Überlegungen an keiner Stelle seines Werkes.5

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Von den Klassikern der Soziologie ist es Georg Simmel (1858– 1919), der sich am ausführlichsten und intensivsten mit dem Phänomen Vertrauen auseinandergesetzt hat und bleibende Einsichten formulieren konnte. Bei Simmel steht die Erörterung des Vertrauensphänomens im Kontext seiner Interpretation der modernen Gesellschaft, die ihm zufolge auf der Logik des »Kredits« basiert (Simmel 1989: 212ff., 667ff.). Seine Analyse verweist entgegen modernitätskritischen Argumentationen auf den auch im »Metallgeld« liegenden »soziologischen Sachverhalt« des »Versprechens«, also der »Verbindlichkeit«, die sich im Vergleich zum Naturalientausch lediglich von der unmittelbaren Beziehung der Tauschpartner auf »eine dritte Instanz«, d. h. die Gesamtheit eines sozialen Kreises verlagere (ebd.: 213f.).6 Für die moderne »Kreditwirtschaft« ist danach sowohl »ein Vertrauen des Publikums zu der emittierenden Regierung« als auch »zu dem Wirtschaftskreise« konstitutiv, ohne dass es »zu einem Bargeldverkehr nicht kommen« könne, da sonst entweder der Nominalwert des Geldes keine Handlungsrelevanz erlangen oder aber das durch das Geld symbolisierte »Wertquantum«, also sein realer Kaufwert angezweifelt würde (ebd.: 215). Simmel spricht von einem »doppelte[n] Glauben«, ohne den »der Geldverkehr zusammenbrechen« würde und verdichtet diesen Zusammenhang in der feinen Beobachtung, dass »das Gefühl der persönlichen Sicherheit, das der Geldbesitz gewährt, […] vielleicht die konzentrierteste und zugespitzteste Form und Äußerung des Vertrauens auf die staatlich-gesellschaftliche Organisation und Ordnung« sei (ebd.: 216; vgl. Accarino 1984: 133). Damit ist ein erster wesentlicher Aspekt der Analyse des Vertrauensphänomens bei Simmel benannt: Zentral ist für ihn die durch den Prozess der »Objektivierung der Kultur« (1989: 637) sich historisch entwickelnde Unterscheidung von persönlichem und generalisiertem, »versachlichtem« Vertrauen (ebd.: 669). So ist Simmel zufolge für das Beziehungsverhalten in modernen differenzierten Gesellschaften charakteristisch, dass sich »die Motivierung und Regulierung dieses Verhaltens […] so versachlicht, daß das Vertrauen nicht mehr der eigentlich personalen Kenntnis bedarf« (Simmel 1992: 394).7 Allerdings gilt dies auch unter modernen Konstellationen für Simmel nur für die

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sozialen Beziehungen, deren Interaktionen durch »symbolische Zeichen« (Simmel 1989: 216) wie Geld vermittelt und rein zweckorientiert sind. Sobald es um (geschäftliche) Kooperationen, professionelle Interaktionen oder ähnliche Verhältnisse geht, kann in generalisiertem Vertrauen allein keine tragfähige Basis gesehen werden, da diese Interaktionen »eine wesentliche Bedeutung für die Gesamtexistenz der Teilnehmer« besitzen (Simmel 1992: 394). Hier findet sich also erstmals eine Unterscheidung von drei sozialen Emergenzebenen für eine differenzierte Phänomenbeschreibung: So stellt Simmel neben unmittelbaren sozialen Beziehungen (Mikroebene) mit dem Typus »versachlichten Vertrauens« zunächst auf professionelle, die ›ganze Person‹ der Akteure betreffende Interaktionen (Mesoebene) und mit dem Hinweis auf ausschließlich durch symbolische Zeichen vermittelte Interaktionen auf gesellschaftliche Subsysteme ab (Makroebene).8 In diesem Zusammenhang entfaltet Simmel eine zweite wesentliche Differenzierung für den Vertrauensbegriff, die quer zu jener ersten steht. So unterscheidet er zwischen Vertrauen als allgemeinem »Glauben«, Vertrauen als »Wissensform« und Vertrauen als »Gefühl«. Vertrauen als Glauben im Sinne »abgeschwächten induktiven Wissens« (a) (Simmel 1989: 215f.) verdeutlicht Simmel folgendermaßen: »Wenn der Landwirt nicht glaubte, daß das Feld in diesem Jahr so gut wie in früheren Früchte tragen wird, so würde er nicht säen; wenn der Händler nicht glaubte, daß das Publikum seine Waren begehren wird, so würde er sie nicht anschaffen usw.« (ebd.: 216). Die Typik dieses Vertrauens kann als (allgemeiner) »Glaube« an bestimmte konstante Elemente im menschlichen Leben oder aber als Form unspezifischer Erwartungen bzw. genereller Hoffnungen umschrieben werden, wie sie später auch in Schütz’ Konstanzannahmen begegnen. Sie steht dem versachlichten, generalisierten Vertrauen am nächsten (vgl. Giddens 1990: 29). Diese Form des Glaubens ist Simmel zufolge für das bei einer Kreditvergabe in Frage stehende Phänomen jedoch »noch nicht vollständig aufklärend« (Simmel 1989: 215). Deshalb sei vom Vertrauen als abgeschwächtem induktiven Wissen das »Vertrauen auf jemanden« (b) zu unterscheiden (ebd.: 216). Dieses »Ver-

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trauen, als die Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen, ist als Hypothese ein mittlerer Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen um den Menschen« (Simmel 1992: 393), weshalb »der völlig Wissende […] nicht zu vertrauen« brauche, »der völlig Nichtwissende […] vernünftigerweise nicht einmal vertrauen« könne (ebd.).9 Hier gelingt Simmel eine sensible Exposition der eigentümlichen Mittellage des Vertrauens, das einerseits noch nicht, also weniger als Wissen und andererseits gerade mehr als Wissen ist. Als dritten Typus benennt Simmel schließlich (c) das Vertrauen »jenseits von Wissen und Nichtwissen« als »Glauben des Menschen an einen andern«, als »innere Vorbehaltlosigkeit einem Menschen gegenüber« (ebd.: 393 Anm.). Diese Vertrauensform sei »ein überhaupt nicht in die Richtung des Wissens liegender Gemütszustand«, sondern vielmehr »das Gefühl, daß zwischen unserer Idee von einem Wesen und diesem Wesen selbst von vornherein ein Zusammenhang, eine Einheitlichkeit da sei«. Es handle sich eher um einen »übertheoretischen Glauben« (Simmel 1989: 216), der »in ganz reiner […] Form […] wahrscheinlich nur innerhalb der Religion« auftrete, jedoch – zumindest teilweise – auch beim »Vertrauen auf die […] symbolischen Zeichen«, also z. B. beim Geld, relevant sei (Simmel 1992: 393 Anm.). Diese drei Phänomenschichten zusammenfügend, hält Simmel für Vertrauen als »Vor- oder Nachform des Wissens« fest, dass damit »ersichtlich eine der wichtigsten synthetischen Kräfte innerhalb der Gesellschaft« angesprochen sei (ebd.: 393). Und eher lapidar verweist er demgegenüber auf den für aktuelle Thematisierungen des Vertrauensphänomens so zentral gewordenen Risikoaspekt: »Gewiß enthält jedes Vertrauen eine Gefahr« (Simmel 1989: 668), weshalb er diesem Gesichtspunkt keinen weiteren Raum in seiner Erörterung gibt. Für eine adäquate Beleuchtung des Vertrauensphänomens ist schließlich noch der Verpflichtungscharakter des Vertrauens zentral. Vertrauen impliziert für Simmel stets zugleich das »Versprechen«, die auf Wechselseitigkeit hin angelegte Transaktion – unbeschadet potenzieller zeitlicher Verschiebungen – auch zu erfüllen (ebd.: 214).

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Zusammenfassend lässt sich insbesondere festhalten, dass Simmel im Zuge seiner Überlegungen zum Vertrauensphänomen nicht nur eine sensible Phänomentypik vorlegt, sondern mit seinen Unterscheidungen zugleich einen Hinweis auf die für die verschiedenen Emergenzebenen des Sozialen charakteristischen Vertrauenskonstellationen zu geben vermag. Dieser Lesart zufolge wäre das Vertrauen als abgeschwächtes induktives Wissen neben grundlegenden sozialen Basisannahmen primär den gesellschaftlichen Funktionssystemen, also der Makroebene zuzuordnen, das Vertrauen als mittlerer Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen dagegen eher den für moderne Sozialkonstellationen typischen Interaktionen mit Professionellen und Experten und schließlich das Vertrauen als innere Vorbehaltlosigkeit im Kern persönlichen bzw. intimen Beziehungen, auch wenn dessen Unbedingtheitscharakter in modernen Gesellschaften partiell u. a. auf generalisierte Interaktionsmedien übertragen wird.10 Im Vergleich zu den bahnbrechenden Überlegungen Simmels tritt das Vertrauensphänomen bei Max Weber (1864–1920) erneut in den Hintergrund. Lediglich in seinen Untersuchungen zur Entstehung des modernen Kapitalismus und seiner Rationalisierungsdynamik weist er auf die Bedeutung des Vertrauens gegenüber nicht persönlich bekannten Personen hin: Webers Analysen akzentuieren als Bedingung der Entwicklung moderner Kapitalgesellschaften einen Übergang von ausschließlich persönlich gebundenem zum generalisiertem Vertrauen (vgl. Weber 1920). So charakterisiert er die »Marktvergesellschaftung« als »die unpersönlichste praktische Lebensbeziehung« (Weber 1976: 382), weil sie »spezifisch sachlich, am Interesse an den Tauschgütern und nur an diesen, orientiert« ist (ebd.: 383). In diesem Handlungsrahmen »absolute[r] Versachlichung« ist die »formale Unverbrüchlichkeit des einmal Versprochenen, […] die Qualität, welche vom Tauschpartner erwartet wird und den Inhalt der Marktethik bildet« (ebd.). Weber identifiziert hier die ebenso hinter der marktförmigen Handlungsrationalität stehende Logik des »Gesetzes des Wiedersehens«: »Die Garantie der Legalität des Tauschpartners beruht letztlich auf der beiderseits

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normalerweise mit Recht gemachten Voraussetzung, daß jeder von beiden an der Fortsetzung der Tauschbeziehungen, sei es mit diesem, sei es mit anderen Tauschpartnern auch für die Zukunft ein Interesse habe, daher gegebene Zusagen halten und mindestens eklatante Verletzungen von Treu und Glauben unterlassen werde« (ebd.: 383). Von systematischer Bedeutung ist darüber hinaus vornehmlich die von Weber vorgenommene Prozessualisierung und idealtypische Wendung der von Tönnies oppositionell-substanzialistisch verstandenen Begriffe »Gemeinschaft« und »Gesellschaft« (vgl. Tönnies 1988).11 Weber zufolge sind die Sozialtypen der »Vergemeinschaftung« und »Vergesellschaftung« weder ontologisch fixierbare Zustände von sozialen Gefügen noch jeweils eindeutig einer bestimmten historischen Epoche zuzuordnen: »Die große Mehrzahl sozialer Beziehungen […] hat teils den Charakter der Vergemeinschaftung, teils den der Vergesellschaftung« (Weber 1976: 21ff.). Diese Öffnung des Begriffsverständnisses lässt sich hinsichtlich des Vertrauensphänomens insofern ausdeuten, als danach auch jede schlichte eindimensionale entwicklungsgeschichtliche These eines Übergangs von ausschließlich persönlichem zu ausschließlich versachlichtem oder Systemvertrauen phänomenal inadäquat bleibt (vgl. Misztal 1998: 57ff.).12

Die Generation der Jahrhundertwende: Alfred Schütz, Talcott Parsons In nahezu allen aktuellen Arbeiten zur Vertrauensproblematik wird das Werk von Alfred Schütz (1899–1959) ausgespart. Das lässt sich insofern verstehen, als im Rahmen seiner phänomenologisch fundierten Sozialtheorie Vertrauen vordergründig keine Rolle spielt. Vielmehr stehen hier Begriff und Phänomen der Vertrautheit im Zentrum der Analysen, ohne dass ihr Verhältnis zum Phänomen und Begriff des ›Vertrauens‹ seinerseits thematisiert würde. Andererseits bleibt – wie insbesondere die aktuelle Debatte zeigt – eine phänomenal angemessene Behandlung des Vertrauens ohne Rekurs auf Vertrautheit unvollstän-

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dig. Zudem lassen sich in Schütz’ Werk sehr wohl systematische Hinweise auf das typischerweise mit dem Vertrauensbegriff umschriebene Phänomen identifizieren, sodass die Nichtberücksichtigung von Schütz’ Beitrag zur Sache eine empfindliche Lücke der gegenwärtigen Diskussion darstellt. Für die von Schütz im Anschluss an die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls entwickelte Theorie der Lebenswelt ist die Annahme konstitutiv, dass diese Lebenswelt von Individuen in ihren sozialen Bezügen »in natürlicher Einstellung« erlebt wird und dass ihre Existenz und Typik in dieser Einstellung bis auf Widerruf als fraglos gegeben hingenommen wird (Schütz 1971a: 238ff.; 1971b: 394f.; 1971d: 153). Dabei geht das aktuelle Nicht-Befragen des vertrauten »Selbstverständlichen« mit seiner potenziellen Befragbarkeit einher. Zudem ist diese Fraglosigkeit und Vertrautheit der Lebenswelt »keineswegs homogen«: Menschen verfügen über ein komplex strukturiertes, typisch geordnetes Wissen von dieser Welt, für das ganz unterschiedliche »Vertrautheitsgrade« und (soziokulturelle, gruppenund personenbezogene) »Vertrautheitszonen« charakteristisch sind (Schütz 1971d: 155). Das Phänomen der Vertrautheit ist demnach nicht nur auf die unmittelbare Lebensumgebung zu beziehen, sondern aufgrund der typischen Struktur menschlichen Wissens zumindest potenziell übertragbar auf nicht im Nahbereich des Handelns, Wirkens und Wahrnehmens Befindliches. Zum Zweck der graduellen Abstufung des alltäglich verfügbaren Wissens unterscheidet Schütz im Anschluss an William James zwischen »Bekanntheits-« und »Vertrautheitswissen« (Schütz 1971c: 187ff.; 1971d: 157; 1972a: 55f.): Während sich das (bloße) Bekanntheitswissen (knowledge of acquaintance) auf das ›Dass‹, das know that des Wissens bezieht, also eine eher oberflächliche Kenntnis meint13, zielt der Begriff des Vertrautheitswissens (knowledge about) auf das ›Wie‹, das know how des Wissens, meint also ein vertieftes Wissen. Insofern nun Erwerb, Umfang, Struktur und Form des jeweiligen Wissens von Akteuren situationsabhängig und damit keineswegs deckungsgleich sind, bedarf es für alltägliche Kontexte und Handlungszusammenhänge eines beständigen Abgleichs der jeweils relevanten

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Wissensbestände. Dieser Abgleich wird zumeist ad hoc und selbstverständlich vollzogen, er macht aber gleichwohl grundsätzlich auf das Problem der zumindest latenten Fragilität einer jeden Interpretation der sozialen Welt aufmerksam, die aufgrund der typischen Struktur des Wissens immer nur »bis auf Widerruf« als fraglos gegeben gesetzt wird (Schütz 1971d: 153).14 Diese Fraglosigkeit der Lebenswelt beruht auf den von Husserl für die natürliche Einstellung herausgearbeiteten charakteristischen Grundannahmen bzw. Idealisierungen des »Und so weiter« (der objektiven Welt und unserer Erfahrung von ihr) und des »Ich kann immer wieder« (des subjektiven Handlungsvermögens) (Schütz 1971a: 257f.; 1971c: 93, 105; 1971d: 153). Auf der Ebene alltäglichen Handelns finden diese Idealisierungen ihren Ausdruck in der Unterstellung einer generellen Reziprozität der Perspektiven. Diese »Generalthesis der Reziprozität« (Schütz 1971b: 364f.) lässt sich als implizit vollzogene Verallgemeinerung stets schon gemachter Interaktionserfahrungen für vergleichbare andere Situationen und für die jeweiligen Deutungsmuster der in diese Situationen involvierten anderen Akteure umschreiben. In diesem Sinne kommt das Vertrauensphänomen bei Schütz zunächst als kognitiv akzentuierte Vertrautheit, also auf der Basis geteilten Wissens in den Blick. Danach ist es das Phänomen der typischen Strukturiertheit alltäglichen Wissens aufgrund des typologischen Zuschnitts menschlichen Sprechens, das die graduelle Übertragbarkeit vorderhand individueller Erfahrungen auf als ähnlich gedeutete Umstände und Handlungen anderer ermöglicht. Dabei bezieht sich die Idealisierung des »Und so weiter« auf die »Grundstrukturen der als fraglos gegeben angesetzten Lebenswelt«, die ihre historisch spezifische Ausprägung auf der Ebene konkreter sozioökonomisch strukturierter Kulturwelten erfährt (Schütz 1971d: 154ff.). Zu diesen Grundstrukturen gehören Schütz zufolge 1. die Strukturierung der Lebenswelt nach den Dimensionen der objektiven Zeitlichkeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) und ihren subjektiven Korrelaten (Erinnerung, Erfüllung, Erwartung), 2. die Strukturierung der Lebenswelt in sozialer Hinsicht nach Mitmenschen (soziale Umwelt), Nebenmenschen (soziale Mitwelt), Vorfahren (soziale Vorwelt) und Nachfahren (soziale

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Nachwelt) und 3. die handlungsrelevante Aufschichtung der Lebenswelt nach den Zonen aktueller, wiederherstellbarer und potenzieller Reichweite (Schütz 1971a: 255ff.; 1974: 198ff.). Jenseits dieser expliziten Thematisierung der Vertrautheit menschlichen Wissens von der Lebenswelt lässt sich zudem auch bei Schütz ein impliziter Bezug auf das Phänomen ›Vertrauen‹ aufzeigen. Letztlich fungieren der Begriff der »natürlichen Einstellung« und die in ihr vollzogene »Epoché« dafür als Chiffre (Schütz 1971a: 238f., 262f.). Denn mit dem einstweiligen Zurückstellen jedes Zweifels wird ein fundamentaler »Glauben an die Wirklichkeit der Welt« etabliert, der wesentlich die zuvor angeführten Idealisierungen des »Und so weiter« und des »Ich kann immer wieder« umfasst: »Wir können daher von Grundannahmen sprechen, die für die natürliche Einstellung in der Lebenswelt charakteristisch sind und selbst als fraglos gegeben angesetzt werden: Nämlich Annahmen der Konstanz der Weltstruktur, der Konstanz der Gültigkeit unserer Erfahrung von der Welt und der Konstanz unserer Vermöglichkeit, auf die Welt und in ihr zu wirken« (Schütz 1971d: 153; vgl. 1971c: 257f.; 1972a: 58f.). Die Parallelen dieser Beschreibungen zu denjenigen, für die in jüngeren Arbeiten die Begriffe »Ur-«, »Welt-« oder »Seinsvertrauen« (vgl. Giddens 1995) stehen, sind offenkundig. Schütz bringt auf diesem Wege Kernelemente des Vertrauensphänomens auf den Begriff, insofern dieses stets sowohl auf elementare Hintergrundannahmen bzw. -erwartungen wie auch auf konstitutive Erwartungen seitens der Vertrauenden verweist (vgl. Zucker 1986: 57f.). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Schütz mit dem Begriff ›Vertrautheit‹ den Umstand fokussiert, dass Menschen stets über »ein Wissen von der Typik der Objekte und Vorgänge in der Lebenswelt« implizit wie explizit verfügen (Schütz 1971d: 164f.). Die jeweilige Ausprägung dieser Typik ist bestimmt durch die Erfordernisse (d. h. die motivationsrelevanten Interessenlagen) und Erfahrungen vorhergehender biographischer Situationen mit ihren thematischen Relevanzen. Typisierungen und Symbolisierungen als die soziokulturell bedingten Ausdrucks- und Deutungsschemata jeder sozialen Gruppe beruhen auf dem zunächst als fraglos gegeben angesetzten und zu weit-

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aus größten Teilen nicht nur sozial abgeleiteten, sondern auch implizit bleibenden Wissen als elementarer Vertrauensressource. Unter Zugrundelegung von Simmels Annahme, dass Vertrauen eine notwendige Bedingung von Sozialität ist, konzentriert Talcott Parsons (1902–1979) seine Analyse auf Funktionen und Erhaltungsbedingungen von Solidarität in sozialen Systemen. Dabei ist Parsons an einer normativ-funktionalen Analyse des ›Vertrauens‹ – im Sinne normativ fundierten Vertrauens – orientiert, ohne dieses Vertrauenskonzept selbst systematisch auszuarbeiten. Von besonderem Interesse sind im vorliegenden Zusammenhang zwei Gesichtspunkte. Einmal Parsons’ Beitrag zur Analyse professioneller Interaktionen, für die er am Beispiel des Arzt-Patienten-Verhältnisses in modernen Gesellschaften zeigt, dass die Spezialisierung des Arztes, seine nicht vorrangige Gewinnorientierung sowie nicht zuletzt seine affektive Neutralität elementare Bedingungen des Aufbaus einer Vertrauensbeziehung seitens der Patienten sind (vgl. Parsons 1965). Vertrauen fungiert hier als Mechanismus der Überbrückung der »competence gap« zwischen Experten und Laien (Parsons 1978: 46): »Trust […] is the attitudinal ground […] for acceptance of solidary relationships« (ebd.: 58). In einer weiteren Hinsicht wird das Vertrauensphänomen bei Parsons insofern relevant, als er davon ausgeht, dass die Existenz generalisierter symbolischer Austausch- bzw. Interaktionsmedien (Geld, Macht, Einfluss, Verpflichtungen) in modernen Gesellschaften auf dem Vertrauen in ihre koordinatorische Leistungs- und damit soziale Steuerungsfähigkeit beruht. Damit wirkt bei Parsons Simmels Analyse des Geldes als »symbolisches Zeichen« unmittelbar nach und führt direkt in den Kern seiner Gesellschaftstheorie. Wie Simmel geht somit auch Parsons davon aus, dass die eigentliche Wirkung dieser Interaktionsmedien darauf beruht, dass sie unbefragt bleiben, also wie selbstverständlich wirken (vgl. Parsons 1967: 287f., 1980: 215): Alle Interaktionsmedien beruhen auf »Vertrauen« als der »primären Bedingung« ihrer Funktionsfähigkeit (Parsons 1980: 215).

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Die Generation um 1920: Harold Garfinkel, Peter M. Blau, Erving Goffman Aufbauend auf Schütz’ phänomenologisch fundierte Grundlegung der Soziologie kommt auch bei Harold Garfinkel (*1917) Vertrauen als selbstverständlich genommene, als fraglos gegeben betrachtete Bedingung stabiler Interaktionen in den Blick. Das spezifische Forschungsinteresse Garfinkels lässt sich gut im Anschluss an Schütz’ Unterscheidung von »Bekanntheits-« und »Vertrautheitswissen« verdeutlichen. Beschränkt Schütz sich mit seinem Hinweis auf die typische Strukturierung des Alltagswissens auf das ›Dass‹ dieses Wissens, so interessieren Garfinkel und die von ihm inaugurierte Ethnomethodologie das genaue ›Wie‹ der alltäglichen Produktion von Selbstverständlichkeit. Und mit dieser Fokussierung alltäglich wirksamer Normalisierungstechniken akzentuiert Garfinkel vornehmlich den präreflexiven, habituellen Charakter alltäglichen Handelns sowie alltäglicher Ordnungsorientierung und -generierung. Der wechselseitig vertraute Gebrauch gemeinsam geteilter Orientierungsmodi und Situationserwartungen konstituiert die Routine alltäglicher Interaktionen. Die systematische Bedeutung der Analysen Garfinkels für eine Konzeptualisierung des Vertrauensphänomens liegt damit in seiner Betonung der herausragenden Stellung des in jedwede alltägliche Sozialsituation eingelagerten und d. h. für die in diesen vollzogenen Deutungsprozesse als Ressource fungierenden tacit knowledge, also des unthematisch bleibenden Hintergrundwissens (vgl. Garfinkel 1963; 1967: 38ff.; 1980). Garfinkel verwendet den Begriff des Vertrauens dabei zur Markierung der Tatsache, dass Menschen in alltäglichen Interaktionsprozessen kontinuierlich um die Erarbeitung eines wechselseitig geteilten Verständnisses von Situationen und Ereignissen bemüht sind und dies im beständigen Rückgriff auf erworbenes Hintergrundwissen tun, um die objektiven Ambivalenzen und offenen Deutungshorizonte des von anderen Gesprochenen oder von ihnen Getanen sozusagen bedeutungsmäßig zu vervollständigen bzw. sinnhaft auszufüllen. Garfinkel begreift diesen Prozess der Generierung von Sinnhaftigkeit als die grundlegende Tätigkeit sozialer Orientierung. Zentral ist dabei

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die stets mitlaufende fraglos gegebene Überzeugung, dass ebenso die Mitmenschen in der Lage sind, mittels analoger Prozesse den gemeinsam aufgebauten und geteilten Deutungshorizont aufrechtzuerhalten (Garfinkel 1963: 217; 1967: 173). Und für diesen Sachverhalt reserviert Garfinkel im engeren Sinne den Begriff ›Vertrauen‹: »To say that one person ›trusts‹ another means that the person seeks to act in such a fashion as to produce through his action or to respect as conditions of play actual events that accord with normative orders of events depicted in the basic rules of play« (Garfinkel 1963: 193, 190; vgl. 1967: 50).15 Ein Vorläufer der aktuellen Ausdeutungen des Vertrauensphänomens im Rahmen von Theorien rationalen Handelns ist die im Anschluss an Arbeiten von George Caspar Homans bei Peter M. Blau (*1918) entfaltete tauschtheoretische Perspektive (vgl. Molm 2000). Vor dem Hintergrund des fundamentalen Verpflichtungscharakters sozialen Tausches (vgl. Blau 1967: 89) deutet Blau diesen als mittleres Phänomen zwischen rein auf Kalkül basierenden Sozialbeziehungen einerseits und Liebesbeziehungen andererseits (vgl. ebd.: 112). Dabei unterscheidet Blau den sozialen Tausch insbesondere vom kalkulierten Vorteilsaustausch, insofern er nichtspezifizierte Verpflichtungen beinhaltet, deren Erfüllung auf Vertrauen beruht (vgl. ebd.: 93, 95, 113): »Since there is no way to assure an appropriate return for a favor, social exchange requires trusting others to discharge their obligations« (ebd.: 94). Geschieht dies, erweisen sich andere also in diesem Sinne als vertrauenswürdig, dann kann es zu einer Intensivierung wechselseitigen Vertrauens, also zum Aufbau von »relations of mutual trust« kommen. In diesem Sinne beruht sozialer Tausch auf Vertrauen und ist zugleich dazu angetan, dieses zu fördern (vgl. ebd.: xiv), wobei Blau nochmals betont: »Only social exchange tends to engender feelings of personal obligation, gratitude, and trust; purely economic exchange as such does not« (ebd.: 94). Insofern kann ein Anschluss von Rational-Choice-Ansätzen an Blau keineswegs bruchlos erfolgen. Ähnlich wie bei Durkheim, Weber, Parsons und Blau liegen auch im Werk von Erving Goffman (1922–1982) keine systemati-

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sierten Überlegungen zum Vertrauensphänomen vor. Vielmehr ist es der Forschungsgegenstand selbst, die Analyse der Prozessualität und Sinnstrukturiertheit »persönlicher Interaktionen«, die Goffman als »sich natürlich abgrenzendes, analytisch einheitliches Teilgebiet der Soziologie« begreift (Goffman 1981: 9) und die auch zur Thematisierung von Aspekten des Vertrauensphänomens führt. Goffman bestimmt Vertrauen (trust) als das Sichverlassen (reliance) der eigenen Handlungen auf die Bekundungen anderer aufgrund von Annahmen über deren »moralischen Charakter«, die er als unabdingbar zur Aufrechterhaltung kooperativer sozialer Tätigkeiten begreift (ebd.: 91). Insofern jedoch die Frage nach den Gründen für eine entsprechende Annahme unweigerlich in das Dilemma von Vertrauen und Misstrauen führt, rekurriert Goffman – jenseits der alltäglich als »stillschweigende Übereinkunft« fungierenden Maxime, in sozialen Entscheidungssituationen »derjenigen der beiden Parteien Vertrauen entgegenzubringen, die auf den ersten Blick als die vertrauenswürdigere erscheint« (ebd.: 113) – als Mittel zum Aufbau sowie zur »Verankerung« und Sicherung des Vertrauens auf eine Politik der kleinen Schritte, also eine tit for tat-Strategie, die sich am jeweils vorgängigen Zug des jeweils anderen orientiert (vgl. ebd.; dazu auch Blau 1967: 88ff.; Axelrod 1988). Darüber hinaus sind es insbesondere drei weitere Konzepte Goffmans, die für eine Analyse des Vertrauensphänomens Relevanz gewinnen. Zunächst sein Konzept der civil inattention, der höflichen Nichtbeachtung, als das für die Ausbildung eines grundlegenden Sicherheitsempfindens in alltäglichen flüchtigen Begegnungen und anonymen Sozialkontakten fungierende Prinzip. Goffman zufolge »perhaps the slightest of interpersonal rituals, yet one that constantly regulates the social intercourse of persons in our society« (Goffman 1963: 84). Es reguliert alltäglich in öffentlichen Räumen die Praxis unaufdringlichen wechselseitigen Voneinander-Notiz-Nehmens ohne weitergehende Handlungsrelevanzen.16 Man kann in diesem Konzept eine interaktionsbezogene Konkretisierung von Schütz’ Grundannahmen sehen, insofern es eine Routine in nicht unmittelbar vertrauten alltäglichen oder auch gänzlich fremden Handlungsräumen in der Form ermöglicht, bei Begegnungen nicht be-

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ständig z. B. von der Sorge um das eigene Überleben eingenommen zu sein. Ein weiteres Konzept ist das der Erzeugung von Vertrauensfassaden, d. h. einer vertrauenswürdigen Identität mit dem Ziel, insbesondere, aber nicht nur, erste Sozialkontakte hinsichtlich der von einem selbst bei anderen hervorgerufenen Eindrücke zu kontrollieren. In dieser ›dramaturgischen Perspektive‹ werden dann Fragen nach der Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit von Inszenierungen und Darstellungen (performances) als Kriterien für die Güte des individuellen »Eindrucksmanagements« (impression management) relevant (Goffman 1969: 231). Dabei hebt auch Goffman hervor, dass die solchermaßen erzeugten Eindrücke von den jeweiligen Interaktionspartnern als »Behauptungen und Versprechungen bewertet« werden und sie somit »meist einen moralischen Charakter« zugesprochen bekommen (ebd.: 228). Dabei gilt in sozialen Situationen mit bekannten und fremden Personen hinsichtlich der angewandten Präsentationstechniken primär das Prinzip der Vertraulichkeit der untereinander bekannten Personen (ebd.: 217). Das dritte im vorliegenden Zusammenhang vorrangig relevante Konzept der Soziologie Goffmans bilden die sog. »zeremoniellen Regeln« (Goffman 1986: 61). Insbesondere sind es die in ihnen zum Ausdruck kommenden Komponenten der Achtung von und des Respekts gegenüber anderen Personen, für die »Zuvorkommenheits-« und »Vermeidungsrituale« zu unterscheiden sind, sowie die des allgemeinen »Benehmens«, deren Relevanz Goffman hier herausstellt (ebd.: 64ff.). Ihre Beachtung fungiert Goffman zufolge als vertrauensbildende Maßnahme allerersten Ranges, da sie in der Regel »eine typische Art von Versprechen« implizieren, den Adressaten dieser Verhaltenskomponenten »bei der nächsten Begegnung entsprechend zu behandeln« (ebd.: 68).

Zusammenfassende Überlegungen Zusammenfassend lassen sich für die Analysen zum Vertrauensphänomen in den klassischen Beiträgen der Soziologie die Typiken eines grundlagentheoretischen und eines entwicklungs-

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geschichtlichen Zugriffs unterscheiden. In grundlagentheoretischer Perspektive suchen Simmel und Schütz – mit Ergänzungen bei Garfinkel und Goffman – das Vertrauensphänomen zu bestimmen. Während sich Simmel im engeren Sinne dem Vertrauen widmet und mit seinen Typen des »Vertrauens auf jemanden« und des quasireligiösen »Glaubens« schwerpunktmäßig den präreflexiven, jenseits verfügbaren Wissens liegenden Charakter des Vertrauensphänomens herausarbeitet, widmet Schütz sich primär der Vertrautheit und akzentuiert diesen Modus in einem wissenssoziologischen Zugriff, für den gleichwohl im Sinne einer selbstverständlichen Orientierungsressource (»Grundannahmen«) dessen fungierender Charakter herausgestellt wird. In entwicklungsgeschichtlicher Perspektive wird in Bezug auf das Vertrauensphänomen bei Durkheim, Simmel und auch Weber prinzipiell der Wechsel von persönlichem zu unpersönlichem, »versachlichtem« Vertrauen als wesentlicher Faktor in der Entstehung der modernen Gesellschaft und der Entfaltung des Kapitalismus herausgestellt. Ebenfalls schon bei den Klassikern findet sich, namentlich bei Simmel, eine Phänomentypik des Vertrauens realisiert, die auf alle drei idealtypisch zu unterscheidenden Emergenzebenen des Sozialen bezogen werden kann. Während die mikrotheoretische Perspektive insbesondere in den Beiträgen von Garfinkel und Goffman kontinuiert wird, ist die Weiterentwicklung des Phänomenzugriffs auf der Mesoebene des Sozialen vornehmlich im Werk von Parsons und seiner Analyse der Professionen zu verorten. Sachlich ist allen angeführten Autoren dabei gemeinsam, dass sie durchgängig die funktionale Notwendigkeit von Vertrauen für jedwede Form von Sozialität als auch im Besonderen für die Makroebene des Sozialen betonen, und dies durchweg sowohl im Sinne fungierenden Vertrauens als auch im Hinblick auf seine normativen Implikationen. Dieser knappe Überblick über zentrale Auseinandersetzungen mit dem Vertrauensphänomen in prominenten klassischen Beiträgen der Soziologie bliebe unvollständig, mündete er vor dem Hintergrund der aktuell zu verzeichnenden ›Karriere‹ des Vertrauensthemas nicht in eine wissenssoziologische Reflexion über die Gründe der relativen Marginalität dieses Themas bei

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den Klassikern der Disziplin. Worauf verweist der Umstand, dass sich von ihnen lediglich Simmel mit dem Vertrauensphänomen intensiv auseinandergesetzt hat? Hält man sich die stilistische Brillianz und den essayistischen Charakter seiner Texte vor Augen, ließe sich fragen, ob nicht der Stil eines Schreibens und Denkens etwas mit der Zugänglichkeit und Nähe von Themen zu tun haben könnte. Auch wenn für diese Vermutung einiges spricht, so ist neben dem Umstand, dass der systematische Gehalt von Simmels Überlegungen zum Thema wesentlich in seinem phänomenologischen Zugang begründet liegen dürfte (vgl. Accarino 1984), doch insbesondere auf einen weiteren Gesichtspunkt zu verweisen. Aufgrund der alles in den Hintergrund stellenden Erfahrung der Veränderungsdynamik und des ›Tempos des modernen Lebens‹ waren für die Klassiker die Fragen nach Gründen und Richtung des Wandels der modernen Gesellschaft zentral. Diese Orientierung ließ die faktische Wirksamkeit von Vertrauenskonstellationen aufgrund der Konzentration auf Phänomene wie Säkularisierungs-, Rationalisierungsund soziale Entbettungsprozesse offenkundig gar nicht erst prominent in den Blick treten. Das entscheidende Phänomen, dessen Analyse das Hauptaugenmerk der Klassiker galt, blieb die Entwicklung von modernen Marktgesellschaften, also einer kapitalisierten Ökonomie. Hinsichtlich der eingangs angeführten Generationenkonstellation lässt sich insofern von einer Generationentypik sprechen, als für die Gründergeneration eine Konzentration auf die entwicklungsgeschichtliche Perspektivierung des Themas dominiert, während sich die Generation der um die Jahrhundertwende Geborenen eher an systematischer Theoriebildung orientiert zeigt und die um 1920 Geborenen sich vornehmlich der Analyse mikrosoziologischer Konstellationen zuwenden. Zugleich macht der vorstehende kursorische Überblick aber deutlich, dass das Vertrauensphänomen eine subkutan immer schon wirksame Kategorie soziologischer Analyse gewesen ist, auch wenn insgesamt für dessen Untersuchung in den klassischen soziologischen Beiträgen von heterogenen Thematisierungen und Akzentuierungen zu sprechen ist, die sich nicht zu einer kumulativen Theorieentwicklung verdichten. Dies ändert sich auffallend seit Mitte der 1980er Jahre.

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Der aktuelle theoretische Diskurs über Vertrauen in der Soziologie »Generally, it can be said that modern social sciences have not contributed significantly to our understanding of the concept of trust and the conditions under which trust relations thrive or struggle or survive« (Misztal 1998: 29). Dieser Registrierung von Leerstellen hinsichtlich der Thematisierung des Vertrauensphänomens in der soziologischen Literatur steht gegenwärtig geradezu umgekehrt dessen inflationäre Präsenz in den Sozialwissenschaften und insbesondere in der Soziologie gegenüber. Einsetzend mit James Colemans Studie (1982), Bernard Barbers Analyse (1983), der Untersuchung von Shmuel Eisenstadt und Louis Roninger (1984), den Beiträgen von David Lewis und Andrew Weigert (1985a, 1985b), Lynne Zuckers historischer Fallstudie (1986) und Diego Gambettas Sammelband (1988a) lässt sich bereits mit Beginn der 1990er Jahre auch in der Soziologie ein explosionsartiges Anwachsen von Publikationen zu diesem Thema aus den unterschiedlichsten theoretischen, konzeptionellen und empirischen Kontexten beobachten. Insofern ist Barbara Misztals Einschätzung, dass »trust will never be a central topic of mainstream sociology« (Misztal 1998: 3), nachhaltig zu revidieren. Den Referenzpunkt der jüngsten Konjunktur des Vertrauensthemas bildet zumeist Niklas Luhmanns Studie (1979 bzw. 1989), sodass die Beiträge der Klassiker selbst weitgehend ohne Berücksichtigung bleiben, was – wie gezeigt – insbesondere im Fall von Simmel und Schütz überraschend ist; Autoren, bei denen sich wesentliche der gegenwärtig prominent diskutierten Argumente und Aspekte des Vertrauensthemas zumindest vorformuliert finden. Nachfolgend werden vier soziologische Theorieperspektiven auf das Vertrauensphänomen vorgestellt, die sich unterschiedlichen Denktraditionen verpflichtet wissen: Niklas Luhmanns mit systemtheoretischen Mitteln unternommene Analyse, aus der Perspektive eines Rational-Choice-Ansatzes die Theorie James Colemans, aus strukturationstheoretischer Perspektive der Beitrag von Anthony Giddens und aus dem Blickwinkel einer makrosoziologischen Theorie sozialen Wandels der Ansatz von

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Piotr Sztompka. In einem ersten Zugriff lassen sich diese Beiträge folgendermaßen typologisch einander zuordnen: 1. Während Luhmann und Giddens in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive an einer Verortung des Vertrauensphänomens im Zuge der Ausarbeitung einer Theorie der modernen Gesellschaft orientiert sind, geht es Coleman und Sztompka zunächst um die systematische Entwicklung einer Grundlagentheorie. 2. Während Luhmann, Coleman und Sztompka den Risikoaspekt des Vertrauens ins Zentrum ihrer Überlegungen stellen und primär auf den Typus ›kalkulierten‹ bzw. reflexiven Vertrauens abstellen, rückt Giddens auch wesentliche Aspekte des Typus ›fungierenden Vertrauens‹ in den Vordergrund. 3. Während es Luhmann und Coleman vorrangig um die Akzentuierung funktional-spezifischer Situationen der Vertrauens geht, liegt die Stoßrichtung der Argumentationen bei Giddens und Sztompka eher auf den allgemeinen gesellschaftsintegrativen Funktionen des Vertrauens. 4. Während der Beitrag von Sztompka eine makrostrukturell-komparative Perspektive im Hinblick auf das Vertrauensphänomen angesichts politischer Rahmenbedingungen einnimmt und Giddens auf die institutionelle Abstützung des Vertrauens abstellt, spielen derartige Aspekte bei Luhmann und Coleman nahezu keine Rolle. Jenseits dieser unterschiedlichen Perspektivierungen teilen alle vier Ansätze als Ausgangspunkt die moderne Grunderfahrung, dass die Ordnung der sozialen Welt nicht mehr als naturgegeben oder gottgewollt, sondern als sozial hergestellt verstanden wird, jedwedes Handeln sich unter Bedingungen unvollständigen Wissens vollzieht und vollständige individuelle Handlungsautonomie unmöglich ist. Diese drei elementaren Aspekte modernen Handlungsverständnisses implizieren 1. die Betrachtung von Fehlentwicklungen oder Schäden als Resultate menschlichen Handelns, 2. für jedwedes auch noch so sehr an Rationalitätsmaßstäben orientierte Handeln strukturell das Eingehen von Risiken und 3. die Notwendigkeit vielfältigen Delegierens an Dritte. Und in allen drei Hinsichten ist Vertrauen (nicht nur, aber wesentlich auch auf andere Akteure) erfordert. Wirkungsmächtig für seine moderne soziologische Thematisierung wird in diesem Sinne insbesondere der bei Hobbes angelegte Zu-

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schnitt der Vertrauensthematik auf den Aspekt einer Entscheidung unter Risiko. Entsprechend hält Gambetta als aktuellen Konvergenzpunkt fest: »When we say we trust someone or that someone is trustworthy, we implicitly mean that the probability that he will perform an action that is beneficial or at least not detrimental to us is high enough for us to consider engaging in some form of cooperation with him« (Gambetta 2001: 217). Obwohl diese Situationsdeutung die Grundannahme weiter Teile der gegenwärtigen Diskussion treffend charakterisiert, wird sich nachfolgend zeigen, dass in dieser Konvergenzthese doch eine einseitige Zuspitzung der Forschungssituation zum Ausdruck kommt.

Niklas Luhmann: Funktionale Differenzierung und Systemvertrauen Im Rahmen der systemtheoretischen Konzeptualisierung des Vertrauensphänomens lassen sich bei Luhmann (1927–1998) zwei Zugänge unterscheiden: ein systematischer und ein entwicklungsgeschichtlicher. In systematischer Hinsicht führt Luhmann die angesprochene Grunderfahrung zu der Auffassung: »Vertrauen ist eine Lösung für spezifische Risikoprobleme« (Luhmann 2001: 144). Hintergrund dieser Annahme ist die angesichts der basalen doppelten Kontingenz des Sozialen von Luhmann vertretene These der komplexitätsreduzierenden Funktion des Vertrauens: »Wo es Vertrauen gibt, gibt es [objektiv] mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns, steigt die Komplexität des sozialen Systems, also die Zahl der Möglichkeiten, die es mit seiner Struktur vereinbaren kann, weil im Vertrauen eine wirksame Form der Reduktion von Komplexität [objektiv wie subjektiv] zur Verfügung steht« (Luhmann 1989: 8). Danach fungiert Vertrauen als elementarer Mechanismus der Stabilisierung von Erwartungen und damit als Bedingung der Möglichkeit individuellen Handelns. Und zwar nicht nur als Vertrauen in andere Personen, sondern zugleich als Vertrauen in symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wie Geld und Macht. Hier schließt Luhmann sich der von Simmel und

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Parsons entwickelten Argumentationslinie an, dass die Stabilisierung und die Funktionalität »sozialer Mechanismen« (Interaktionsmedien) Vertrauen in diese voraussetzt (ebd.: 17, 50ff.). Dabei werden diese Medien nicht nur als Lösungen des Problems der mangelnden Reichweite persönlichen Vertrauens, sondern zugleich als Generatoren neuer Risiken und Vertrauensprobleme betrachtet (vgl. ebd.: 52). Luhmann konzentriert und beschränkt seine Erörterung des Vertrauensphänomens damit auf zwei von Simmel bereits angeführte Aspekte: auf die soziale Funktion des Vertrauens als Mechanismus der Komplexitätsreduktions einerseits und als Mechanismus der Handlungssteuerung in Gegenwart und Zukunft andererseits. Vertrauen fungiert so generell als Mechanismus der Überbrückung von Wissens- bzw. Informationsgrenzen. Dieser kognitivistische Zuschnitt des Vertrauensphänomens wird von Luhmann durch den Aspekt des Entscheidens zwischen Handlungsalternativen ergänzt. Vertrauen wird hier bestimmt als reflexives Vertrauen (vgl. Luhmann 2001: 148). Unwägbarkeiten und Risiken menschlichen Handelns werden hierbei als durch dieses selbst verursacht begriffen. Die für Luhmanns Ansatz zentrale Unterscheidung von Risiko und Gefahr folgt der Alltagsintuition, derzufolge man Risiken eingeht, Gefahren demgegenüber jedoch ausgesetzt ist: Der Begriff der Gefahr wird für die externe Zurechnung von Entscheidungsfolgeschäden auf Umwelteinflüsse, der des Risikos für die interne Zurechnung von Entscheidungsfolgeschäden auf diese Entscheidungen selbst reserviert. Während Vertrauen im Verhältnis zu Risiko und Entscheiden zu verstehen ist und eine potenzielle Erwartungsenttäuschung intern der eigenen Entscheidung zugeschrieben wird, setzt demgegenüber Zuversicht bzw. Systemvertrauen kein Bewusstsein der Risikoumstände voraus, da hier von der Alternativenlosigkeit einer Situation ausgegangen wird und potenzielle Erwartungsenttäuschungen extern den äußeren Umständen zugeschrieben werden (vgl. ebd.: 148, 151).17 Eine weitere, für Luhmanns Ansatz in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive zentrale Unterscheidung ist die zwischen persönlichem und Systemvertrauen. Die zentrale These lautet, dass wir es im Übergang von primär stratifizierten zu wesentlich

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funktional differenzierten Gesellschaften nicht nur mit einem Wechsel des gesellschaftlich dominanten Differenzierungsprinzips, sondern zugleich mit einem Wechsel der Vertrauenstypik und der Funktion von Vertrauen zu tun haben: Vom interpersonalen Vertrauen in kleinen und relativ undifferenzierten Gesellschaften ginge die Entwicklung hin zu einem Typus des Systemvertrauens in komplexen, hochgradig differenzierten Gesellschaften. Luhmann übernimmt damit die von Simmel entwickelte Differenzierung persönlichen und versachlichten Vertrauens und gibt ihr eine eigene Deutung: Während persönliches Vertrauen zumeist auf der weitgehenden Vertrautheit mit anderen beruht, sich also auf Fälle bezieht, in denen »bewusste Selbstreflexion […] unnötig« ist (ebd.: 151) und »Vertrautheit in ihrer fraglosen Selbstverständlichkeit [erst] durch die Reflexion gebrochen« wird (Luhmann 1989: 34), ist für den Typus des Systemvertrauens eine Stellung »jenseits von persönlich geleistetem Vertrauen oder Mißtrauen« sowie »die Bewußtheit« des von Menschen produzierten Charakters der sozialen Welt, also des Entscheidungscharakters von Handlungen und von geleisteter Komplexitätsreduktion charakteristisch (ebd.: 66).18 In entwicklungsgeschichtlicher Optik führt diese Konzeptualisierung zu den Thesen, dass 1. Vertrautheit sich zunehmend auf den jeweiligen Privatbereich reduziert, also auf einen Modus in persönlichen Beziehungen, da die Menschen zunehmend weniger in einen stabilen gesellschaftlichen Rahmen eingebunden seien: »Vertrautheit überlebt als privates Milieu ohne Funktion für die Gesellschaft als ganze« (Luhmann 2001: 155); dass 2. zugleich die Grenzen zwischen dem Vertrauten und Unvertrauten aufgrund der gesellschaftlichen Dynamik konstitutiv unscharf werden (vgl. ebd.: 154f.) und dass 3. gegenüber den ausdifferenzierten funktionalen Subsystemen lediglich eine Haltung der Zuversicht, des Systemvertrauens eingenommen werde: »Es besteht weder das Bedürfnis noch gar der Anlass, die Zuversicht in das System einer Entscheidung anheimzustellen« (ebd.: 155f.). Kritisch sind gegen Luhmanns Konzeptualisierungsvorschlag insbesondere folgende Gesichtspunkte einzuwenden: Grundlagentheoretisch fehlt in diesem Ansatz aufgrund der Konzen-

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tration auf eine Theorie der (modernen) Gesellschaft eine Konstitutionsanalyse von Vertrauen. Eine entsprechende Analyse erweist sich als systematisch elementar angesichts der These der Schwächung personalen Vertrauens in der Moderne, die dessen weiterhin fundamentale Bedeutung offenkundig verkennt, oder angesichts der wie selbstverständlich vorgenommenen systematischen Verzahnung von Vertrauen und Entscheidung, die dessen Charakter als präreflexiver und pragmatisch fungierender Mechanismus ignoriert.19 Fraglich dürfte zudem sein, ob für die Vormoderne eine klare Trennung von Vertrautheit und Fremdheit charakteristisch ist, die mit der von Lokalität und räumlicher Distanz identifiziert werden kann, während es für die Moderne der Aufbau institutionalisierter Vertrauenssysteme, also versachlichter Vertrauensbeziehungen und somit ein Vertrauen zu abstrakten Systemen sein soll. Unklar scheint in diesem Zusammenhang u. a. zu bleiben, wie Vertrauen gerade in modernen Gesellschaften seine Komplexitätsreduktionsfunktion wahrnehmen kann, wenn doch gerade in diesen Gesellschaften Luhmann zufolge aufgrund forcierter funktionaler Differenzierungsprozesse Kontexte fragloser Selbstverständlichkeit kontinuierlich aufgelöst werden, sodass Vertrautheit zunehmend seinen sozialen Ort zu verlieren scheint, dessen Funktionalität gerade an seiner zumindest latenten Vorreflexivität hängt. Dieser Gesichtspunkt verweist auf die Leerstelle, die die fehlende Analyse professioneller Interaktionen in diesem Zusammenhang bei Luhmann bildet, um eine »mittlere Ebene« von Vertrauenskonstellationen berücksichtigen zu können, wie sie bereits bei Simmel und Parsons angedacht wird. Schließlich: Was soll es heißen, wenn Luhmann argumentiert, dass »Vertrauen nur in einer Situation möglich [ist], in der der mögliche Schaden größer wäre als der erstrebte Vorteil«, dass Vertrauen also »nur dann erforderlich [ist], wenn ein schlechtes Ergebnis uns unsere Handlung bedauern ließe« (ebd.: 148f.)? Soll man hier an Fälle wie den von Robert Axelrod herangezogenen denken, dass derjenige, der im Krieg in einer für den Feind sichtbaren Weise im Schützengraben umherläuft, in hohem Maße darauf vertraut, dass die faktische, aber implizit erfolgende (also nicht vereinbarte) Waffenruhe seitens der Feinde auch eingehalten wird (vgl.

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Axelrod 1988: 54f., 67ff.)? Offenkundig geht auch dieses Argument am phänomenalen Kern des Vertrauens im Sinne eines fungierenden Prinzips vorbei, insofern es Vertrauen als kalkuliertes bzw. reflexives Vertrauen deutet. Für Luhmann ist, so lässt sich zusammenfassend formulieren, Vertrauen ein Mechanismus der Sozialdimension, der Probleme auf der Sachdimension (Informationsdefizite, Risiken, Unsicherheiten) und auf der Zeitdimension (Sequenzialität, d. h. Ungleichzeitigkeit) löst. Vertrauen ›überwindet‹ dieser Vorstellung zufolge das Zeitproblem und ›überbrückt‹ die Informationsunsicherheit (vgl. Preisendörfer 1995: 264). Insgesamt ist damit Reinhard Bachmanns These zuzustimmen, dass Vertrauen ein Mechanismus ist, der »von Luhmann nirgendwo explizit als ein Steuerungsmedium sozialer Systeme diskutiert wird. Implizit […] aber genau diese Annahme gemacht« wird (Bachmann 1997: 258). Die Kategorie des ›Systemvertrauens‹ ist, so lässt sich dieser Gedanke aufnehmen, womöglich gerade für die komplexe Architektonik moderner Gesellschaften zu unspezifisch und muss auf ein Vertrauen in komplexe Institutionenordnungen hin spezifiziert werden, das insofern multidimensional ist, als es auf der Idee und dem Funktionieren des gegenseitigen Ergänzens verschiedener Institutionen(-ordnungen) und der in ihrem Rahmen möglichen Konfliktregelungen beruht.

James S. Coleman: Vertrauen und rationales Handeln Die Analyse des Vertrauensphänomens aus der Perspektive eines Rational-Choice-Ansatzes hat Coleman (1926–1995) im Rahmen seiner Grundlegung einer Sozialtheorie vorgelegt (vgl. Coleman 1990; 1991). Diese Arbeit gilt der Entwicklung einer einheitswissenschaftlichen Erklärungsheuristik für die Sozialwissenschaften in Anlehnung an die neoklassische Ökonomie. Ihr Basiskonzept bildet die Annahme rationaler Akteure in einem allgemeinen sozialen Tauschmodell, für das neben Akteuren und ihren Ressourcen (Verfügungsrechte) deren Interesse an fremden Ressourcen in Gestalt der Unterbreitung von

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Tauschangeboten (Veräußerungsrechte) relevant ist. Aufgrund dieses Modells unternimmt Coleman eine Analyse zunächst einfacher, dann komplexer (mehr als zwei Personen umfassender) Vertrauensbeziehungen. Vertrauensbeziehungen wie Vertrauenssysteme versteht er als Formen der Kontrollrechtsübertragung in riskanten oder orientierungsoffenen Situationen. Entsprechend dieser Modellierung des Vertrauens als Marktphänomen werden die Fragen der möglichen Nutzenmaximierung angesichts der riskanten Vorleistung des Vertrauensgebers sowie die potenzielle Neutralisierung dieses Risikos aufgrund dauerhafter Beziehungen, die gleichwohl zeitaufwendig und verletzungsanfällig, also labil sind, vorrangig untersuchungsrelevant. Das Hintergrundparadigma dieses Phänomenzuschnitts bildet das spieltheoretische Modell des prisoner dilemma: Hier hängen alle Entscheidungen im Spiel von der Abschätzung der Vertrauenswürdigkeit des Handlungspartners ab und das Vertrauensproblem besteht im fehlenden Wissen über das Verhalten des Handlungspartners angesichts einer Situation völliger Klarheit über die aus den jeweiligen Entscheidungsoptionen folgenden Konsequenzen für beide Akteure. Es ist diese Typik, die Coleman motiviert, von strukturellen Analogien zwischen den Situationen des Vertrauenschenkens und des Wettens zu sprechen (vgl. Coleman 1990: 99; 1991: 125). Neben dieser konstitutiven Unsicherheitssituation kommt für Colemans Analyse des Vertrauensphänomens dem Umstand der zeitlichen Verschiebung zwischen dem Zeitpunkt des Vertrauens und der aufgrund dessen erwarteten Gegenleistung zentrale Bedeutung zu. Diese strukturell nicht mögliche Gleichzeitigkeit von Leistung und Gegenleistung bildet für Coleman das spezifische Risiko des Vertrauenschenkens. Die historische Vorlage dieses Problemzuschnitts findet sich – jenseits soziologischer Hinweise bei Simmel, Mauss (1990) und Luhmann – in Hobbes’ Vertragstheorie, in der auf die Notwendigkeit des Vertrauens angesichts des Umstandes verwiesen wird, dass im Zuge eines Vertragsabschlusses zwischen zwei Parteien die vertraglich vereinbarten Leistungen lediglich zeitlich versetzt erbracht werden können. Für Hobbes liegt darin allerdings eine Problemkonstellation, deren Lösung ausschließlich unter Vor-

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aussetzung einer von den Vertragspartnern anerkannten und institutionell unabhängigen Zwangsgewalt und deren Sanktionspotenzial realistisch erscheint (vgl. dazu die verschiedenen Beiträge von Gambetta und Hardin). Zeitliche Asymmetrien stellen in sozialen Austauschbeziehungen prinzipiell ein Risiko dar. Und wenn Situationen, in denen Vertrauen eine Rolle spielt, generell als »Untergruppe der Situationen, die ein gewisses Risiko beinhalten«, verstanden werden (Coleman 1991: 115), dann stellt sich die soziale Situation von Vertrauensbeziehungen unter der Annahme zielgerichtet handelnder Akteure stets als problematische Entscheidung des Vertrauensgebers dar, dem Vertrauensnehmer Vertrauen zu schenken (vgl. ebd.: 121). Folgende Aspekte der Vertrauens lassen sich Coleman zufolge dabei unterscheiden: 1. die Vergabe von Vertrauen impliziert die Übertragung von Ressourcen, 2. im Falle der Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensnehmers verbessert der Vertrauensgeber seine Situation, sonst verschlechtert er sie, 3. die Übertragung von Ressourcen erfolgt, ohne dass der Ressourcenempfänger »eine wirkliche Verpflichtung« eingeht, 4. eine Einschätzung der berechtigten Vergabe von Vertrauen impliziert eine Zeitverzögerung bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich potenziell auszahlt (vgl. ebd.: 124f.). In jedem Fall sei die Entscheidung für oder gegen ein Vertrauen abhängig vom Stand des Wissens seitens des Vertrauensgebers über die Gewinnchancen (also die Wahrscheinlichkeit der Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensnehmers) und die möglichen Verluste (bei fehlender Vertrauenswürdigkeit) (vgl. ebd.: 129). Diese Relevanz des Wissens verweist auf die Bedeutung von Bewährungen im Zuge von Vertrauensbildungsprozessen, d. h. in besonderem Maße auf die ausgezeichnete Bedeutung des bereits von Weber und Goffman herausgestellten »Gesetzes des Wiedersehens« (ebd.: 122f., 138). Insofern ein »Ruf der Vertrauenswürdigkeit« ein soziales Kapital bildet (ebd.: 140) besteht deshalb seitens eines jeden Vertrauensgebers ein besonderes Interesse am Aufbau »soziale[r] Strukturen […], in denen dem potentiellen [Vertrauensnehmer] daran gelegen ist, vertrauenswürdig zu sein« (ebd.: 142).20 Im Anschluss an Deutsch und Luhmann lautet Colemans

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zentrale These somit: »Individuen [vergeben als rationale Akteure] auf rationale Weise Vertrauen, wenn das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit, daß der [Vertrauensnehmer] das Vertrauen rechtfertigt [Gewinnchance], zu der Wahrscheinlichkeit, daß er es nicht tut [Verlustchance], größer ist als das Verhältnis des möglichen Verlustes zum möglichen Gewinn« (ebd.: 132, 126). Gegen diese unmittelbar auf Operationalisierung zugeschnittene Konzeptualisierung dürfte wohl mit Peter Preisendörfer einzuwenden sein, dass dies »eine Heuristik [ist], mit der man (wenn überhaupt) nur sehr schwer an die Feinheiten des Vertrauensproblems herankommt« (Preisendörfer 1995: 267). Denn es geht in diesem Rahmen ausschließlich um den Typus kalkulierter bzw. reflexiver einseitiger Vertrauensvergabe, also um einen erheblich reduzierten Phänomenbereich, und es führt in die Irre, diese Konzeptualisierung schlicht auf gegenseitige, also symmetrische Vertrauensverhältnisse zu übertragen.21 Denn offenkundig verweist das herangezogene Kriterium, dass sich Vertrauen stets auf Situationen bezieht, in denen der potenzielle Schaden im Falle eines Vertrauensbruches größer ist als der potenzielle Gewinn beim Vertrauenserweis, gerade auf das Phänomen fungierenden Vertrauens, das Coleman mit seiner grundlagentheoretischen Konzeptualisierung aber überhaupt nicht in den Blick nimmt. Weitere Aufklärung kann hier die exemplarische Betrachtung eines der von Coleman zur Bekräftigung seiner Analyse herangezogenen Beispiele bringen. In diesem Beispiel ersucht ein Reeder seine Bank um das unmittelbare Gewähren eines hohen Darlehens, um ein Schiff sofort wieder zum Einsatz bringen zu können. Der konsultierte Mitarbeiter der Bank sieht sich aufgrund des Zeitdrucks vor die Alternative gestellt, entweder dieses Ansinnen abzulehnen und potenziell einen guten Kunden zu verlieren oder aber diesem zu entsprechen und das Risiko nicht vertraglich abgesicherter Rückzahlungen abzuwägen mit möglichen Zinsgewinnen im Falle erfolgender Rückzahlung (vgl. Coleman 1991: 116f.). Die Aufnahme dieses Beispiels zeigt nun deutlich, dass Coleman die noch bei Blau zentrale Unterscheidung zwischen ökonomischen Transaktionen und sozialem Austausch einebnet. Denn die in diesem Beispiel relevanten

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Verpflichtungen und Erwartungen mit den »unspecified« und »diffuse future obligations«, die Blau zufolge für den sozialen Tausch konstitutiv sind (Blau 1967: 93), gleichzusetzen, hieße einen Kategorienfehler zu begehen, da die für den Reeder resultierenden Verpflichtungen höchst spezifisch und konkret sind. Darüber hinaus verweist dieses Beispiel nicht nur auf einen Typus üblicher, also vertrauter Geschäftspraktiken, sondern zudem auf ein Bekanntschaftsverhältnis zwischen den Akteuren, also auf eine Interaktionsgeschichte. Offenkundig haben wir es hier also mit zwei sehr unterschiedlichen Typen von Vertrauen zu tun, deren Subsumierung unter einen Begriff eher dazu angetan ist, wie Blau formulierte, »to deprive the concept of its distinctive meaning« (ebd.: 89). Die im berichteten Beispiel positive Entscheidung des Bankers ist in hohem Maße von seiner Einschätzung und Erfahrung der Vertrauenswürdigkeit seines Kunden und damit von fungierendem Vertrauen getragen, das nicht mit dem Typus rational kalkulierten Vertrauens in eins gesetzt werden kann.22 Systematisch stellt sich deshalb die Frage, ob das von Coleman ins Blickfeld gerückte Phänomen mit dem Begriff ›Vertrauen‹ angemessen umschrieben ist. Die weiterführenden Fragen, die sich hier stellen, aufgrund welcher Sicherheiten Menschen wem, wann und in welchen Hinsichten Vertrauen schenken, aufgrund welcher Annahmen Menschen wem gegenüber, wann und inwiefern davon ausgehen bzw. erwarten, dass ihre ›Vorleistungen‹ in Zukunft vergolten werden, diese Fragen verweisen stets auf die elementare Bedeutung von Erfahrungen mit den entsprechenden Personen, also auf die Dimension einer Interaktionsgeschichte. Die den Alltagsintuitionen entgegenstehende Konzeptualisierung des Vertrauensphänomens bei Coleman verdeutlicht sich hinsichtlich dieser Dimension insbesondere an seiner Analyse des Vertrauensverlustes bei einem Freund im Vergleich zu dem bei einem Hochstapler (Coleman 1991: 132ff.). Denn wenn Coleman vor dem Hintergrund seiner Theorie des sozialen Kapitals argumentiert, dass sozial einander nahe stehende Personen im Falle eines Vertrauensbruches einen größeren Verlust erleiden würden als im umgekehrten Fall, da solchermaßen die im Rahmen ihrer wechselseitigen Interak-

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tionsgeschichte aufgebaute Vertrautheit und Nähe zerstört werde, so lässt sich dieses ›gewachsene‹ Sozialverhältnis einerseits nicht mehr als einseitige bzw. asymmetrische Beziehung fassen (ebd.: 42ff.). Andererseits bezieht Coleman sich damit notwendig auf einen Typus fungierenden Vertrauens, der sonst nicht im Zentrum seines Ansatzes steht und dessen Verhältnis zum Typus kalkulierten bzw. reflexiven Vertrauens an keiner Stelle bestimmt wird. Kritisch ist gegen Colemans Konzeptualisierung des Vertrauensphänomens somit insbesondere einzuwenden, dass Vertrauenssituationen nicht auf die Form eines reflexiven »Vertrauens, um zu […]« zu beschränken sind (ebd.: 121). Rational-ChoiceAnsätze müssen sich angesichts ihrer idealtypisch einseitigen Zuspitzung auf Handlungs- und Verhaltenssituationen nutzenkalkulatorischer Rationalitätskriterien nicht nur grundlagentheoretisch fragen lassen, ob in der ausschließlichen Fokussierung auf einen kognitivistisch zugeschnittenen Vertrauensbegriff nicht eine systematische Verkürzung des Phänomenbereichs vorliegt, sondern zudem, ob nicht angesichts der Komplexität moderner Gesellschaften als Rahmenbedingung individuellen Handelns gerade die strukturelle Reflexionsfähigkeit von Personen überschätzt wird. Fraglich ist also, ob die im Rahmen dieser Ansätze auf strukturelle Dauerreflexion zugeschnittene handlungstheoretische Perspektive angesichts komplexer gesellschaftlicher Rahmenbedingungen empirisch überhaupt hinreichend tragfähig ist. Zudem dürfte das im Rahmen einer solchen Konzeptualisierung zum Tragen kommende »übergeordnete strategische Handlungsmuster«, Informationen einzuholen und Informationen zukommen lassen, um Vertrauenswürdigkeit einzuschätzen (ebd.: 146), gerade umgekehrt dazu angetan sein, den Aufbau eines nicht von kalkulatorisch verkürztem Vertrauen geprägten Sozialverhältnisses zu unterbinden. Wer vertraut schon jemandem, sieht er sich entsprechenden ›Spionagetätigkeiten‹ ausgesetzt?

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Anthony Giddens: Vertrauen und die Entwicklung der Moderne Giddens’ (*1938) Beschäftigung mit dem Vertrauensphänomen steht im Kontext seiner Untersuchungen zu den sozialen und politischen Konsequenzen der Entwicklung zur fortgeschrittenen, zur ›radikalisierten‹ Moderne. Dieser Entwicklungsprozess und seine Dynamik seien durch eine fortschreitende Trennung (der in vormodernen Gesellschaften jeweils lokalen Verbindung) von Raum und Zeit und deren globale Standardisierung einerseits und durch eine daraus resultierende zunehmende »Entbettung« und reflexive Organisation sozialer Beziehungen andererseits gekennzeichnet (Giddens 1995: 16f.). Unter »Entbettung« versteht Giddens »das ›Herausheben‹ sozialer Beziehungen aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen und ihre Restrukturierung durch unbestimmte Raum-Zeit-Spannen« (ebd.: 33). Die Analyse von Vertrauen dient dabei als ›Scharnier‹, um den Zusammenhang zwischen diesen für die Moderne als konstitutiv angesehenen Entbettungsprozessen und ihrer Reflexivität zu klären: »Vertrauensbeziehungen sind grundlegend für die mit der Moderne einhergehende raumzeitliche Abstandsvergrößerung« (ebd.: 87). So führt die Analyse des Vertrauensphänomens ins Zentrum von Giddens’ Theorie der Moderne. Giddens’ zentrale These hinsichtlich der Bedeutung des Vertrauens in modernen Gesellschaften lautet ganz auf der von Simmel, Luhmann und Parsons vorgezeichneten Linie: »Das Wesen moderner Institutionen ist zutiefst mit den Mechanismen des Vertrauens in abstrakte Systeme verbunden, vor allem mit Vertrauen in Expertensysteme« (ebd.: 83). Vertrauen in symbolische Zeichen und Expertensysteme »beruht auf dem Glauben an die Richtigkeit von Grundsätzen, die man selbst nicht kennt« (ebd.: 33f.). Zwar ist Vertrauen in Personen immer auch »in gewisser Hinsicht relevant für den Glauben an Systeme, aber dieses betrifft eher ihr eigentliches Arbeiten als deren Funktionieren als solches« (ebd.: 34). Denn dieses Vertrauen als »eine Form von ›Glauben‹« (ebd.: 42f.) ist insofern ›pragmatisch‹ gesättigt, als es auf der Erfahrung des generellen Funktionierens von Expertensystemen beruht (ebd.: 29) und somit par-

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tiell wissensbasiert ist. Vertrauen beruht hier also auf Vertrautheiten. Entsprechend argumentiert Giddens wie schon Simmel, dass »dem Geld als solchem« vertraut werde (ebd.: 26). Der »Glaube« an die Professionalität der Arbeit von Experten, an deren Kompetenz, bezieht sich danach nicht so sehr auf die entsprechenden Personen, als vielmehr auf die »Triftigkeit des Expertenwissens selbst, das sie anwenden« (ebd.: 27f.).23 Und wenn die Moderne durch Entbettungsmechanismen wie »symbolische Zeichen« (Simmel) bzw. »symbolisch generalisierte Interaktions- oder Austauschmedien« (Parsons, Luhmann) und Expertensysteme gekennzeichnet ist und das Funktionieren dieser Mechanismen, also ihre gesellschaftliche Leistungsfähigkeit zugleich notwendig Vertrauen in sie voraussetzt, dann wird der Aufbau und der Erhalt dieser Form des Vertrauenkönnens in abstrakte Funktionen bzw. abstrakt bleibende Regelungen und Kompetenzen zum zentralen Problem des Funktionierens und damit der Stabilität moderner Gesellschaften (ebd.: 26). Giddens’ Thema sind somit Vertrauen beinhaltende soziale Beziehungen einerseits und Vertrauen erhaltende Systeme andererseits (ebd.: 30). Zu unterscheiden sind »Vertrauensverhältnisse, die durch Situationen der Kopräsenz aufrechterhalten und in sozialen Beziehungen / Bindungen ausgedrückt werden«, also »gesichtsabhängige Verpflichtungen«, von der »Entwicklung des Glaubens an symbolische Zeichen und Expertensysteme« bzw. »abstrakte Systeme«, also von »gesichtsunabhängigen Verpflichtungen« (ebd.: 80, 88). Dieser Unterscheidung folgend, sind auch zwei Typen von Vertrauenswürdigkeit zu differenzieren: einmal die Vertrauenswürdigkeit, die zwischen einander wohl und lang bekannten Personen besteht und die sich durch wechselseitige Glaubwürdigkeitsbeweise als verlässlich bewährt hat (vgl. ebd.: 83), sodann die Vertrauenswürdigkeit von Entbettungsmechanismen, die wesentlich durch Begegnungen mit Experten, Repräsentanten oder Delegierten von abstrakten Systemen hergestellt wird, die Giddens als deren »Zugangspunkte« versteht, und die solchermaßen als »Rückbettungsmechanismen«, also als Mechanismen der Vermittlung systemischer Kontexte (gesichtsunabhängiger Bindungen) auf der Ebene konkreter Interaktionen fungieren (ebd.: 83ff., 88).

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Aufgrund der komplexen und kontingenten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sozialen Handelns sieht Giddens die »Hauptbedingung der Vertrauenserfordernisse« somit im »Fehlen vollständiger Informationen« (ebd.: 48). Die Notwendigkeit des Vertrauens beruht auf der Unvollständigkeit des Wissens über handlungsrelevante Dinge und Zusammenhänge (ebd.: 27ff., 33, 88). Typisch für Handlungsformen und Handlungskoordinationen in modernen Gesellschaften ist deshalb der Aufbau institutioneller Rahmungen für dieses prinzipiell als risikobehaftet gedeutete Handeln. Diese Rahmungen lassen sich als Vertrauensrahmen, als institutionalisierte Vertrauensmuster (trust settings, rounding frameworks of trust) deuten (vgl. ebd.: 35), für die Regulierungsbehörden und Normierungsinstanzen (vgl. ebd.: 29), professionelle Ethiken und rechtliche Sanktionen (vgl. ebd.: 87) oder auch Versicherungen Beispiele sind. Das im Kontext solcher Vertrauensrahmungen gleichwohl einzugehende »akzeptable Risiko« fällt für Giddens unter die von Simmel eingeführte Rubrik »abgeschwächten induktiven Wissens«, für das er den Begriff »Zutrauen« (confidence) einführt. Diesem gegenüber beinhalte Vertrauen mehr bzw. sei stärker als dieses: Vertrauen sei ein sich relativ – auch bei zeitlichem und räumlichem Abstand – durchhaltender Zustand, der aus dem Glauben an die Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit einer Person folge und die Zuschreibung von ›Redlichkeit‹ und ›Integrität‹ impliziere, weshalb Vertrauen »stets in einem bestimmten Sinne blindes Vertrauen« sei im Sinne eines Sich-verlassens-Auf und Keinen-Grund-zum-Zweifeln-Habens (ebd.: 27ff.). Die »Erfahrung von Sicherheit« gründe demnach regelmäßig auf einer Ausgewogenheit »zwischen Vertrauen und akzeptablem Risiko« (ebd.: 51) und Vertrauen sei demzufolge gerade in Risikoumwelten wirksam (ebd.: 54). Giddens zusammenfassende Definition von Vertrauen lautet: »Vertrauen läßt sich bestimmen als Zutrauen zur Zuverlässigkeit einer Person oder eines Systems […], wobei dieses Zutrauen einen Glauben an die Redlichkeit oder Zuneigung einer anderen Person oder an die Richtigkeit abstrakter Prinzipien (technischen Wissens) zum Ausdruck bringt« (ebd.: 49).24 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Giddens 1. Vertrau-

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en nicht nur in der Moderne für möglich hält, sondern einen gestiegenen Bedarf an Vertrauen ausmacht, dass er dieses bzw. dessen Entstehen 2. an den Aufbau und das Bestehen interpersonaler Beziehungen bindet und dass er für die spezifische Situation in modernen Gesellschaften 3. die Existenz sog. Vertrauensintermediäre, d. h. institutionalisierter Vertrauensrahmungen bzw. -muster für entscheidend hält. Zudem finden wir bei Giddens 4. die Akzentuierung der Nähe des Vertrauens zum Glauben und damit des kognitiv vagen, nur partiell auf analytische Durchdringung der relevanten Phänomene zurückgehenden Charakters von Vertrauen im Sinne eines fungierenden Modus.

Piotr Sztompka: Vertrauen und Vertrauenskultur Sztompkas (*1944) systematische Überlegungen zum Vertrauensphänomen stehen im Kontext seiner Untersuchungen zu den Transformationsprozessen in mittelosteuropäischen Ländern, insbesondere Polen, und damit von vornherein in einem politisch-soziologischen Zusammenhang. Für Sztompka ist Vertrauen »eine kulturelle Ressource […], die für die Realisierung des Handlungspotenzials in Praxis und damit auch für das eigendynamische Potential der Gesellschaft unerläßlich ist« (Sztompka 1995: 255). Vertrauen richtet sich danach »auf die sozial erzeugten Aspekte der Zukunft« (ebd.: 255; 1999: 25). Ins Zentrum des Phänomenbereichs rückt wie schon bei Luhmann, Coleman und Giddens das Problem, dass Handeln sich notwendig unter den Bedingungen von Komplexität, Ungewissheit und Unsicherheit vollzieht. Vertrauen wird als Beitrag zur Lösung dieses Problems betrachtet (vgl. Sztompka 1995: 256; 1999: 18ff.).25 Sztompkas Ansatz ist durch eine mitunter verwirrende und einander überlagernde Anzahl begrifflicher Differenzierungen gekennzeichnet, die im vorliegenden Rahmen nicht sämtlichst wiedergegeben werden können.26 Wie Coleman bestimmt auch Sztompka den Kern des Vertrauens als eine Wette: »Trust is a bet about the future contingent actions of others« (Sztompka

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1999: 25, 46, 69; vgl. 1995: 256f.). Der Gebrauch dieser Metapher wird allerdings nirgends hinreichend erläutert oder auch nur in Beziehung gesetzt zur gleichfalls von Sztompka vertretenen Position, dass es sich bei Vertrauen nicht um eine »calculated orientation« handle (Sztompka 1999: 66). Auch scheint sie sich schon angesichts der Unterscheidung von drei verschiedenen Arten von Verpflichtungen, die Vertrauen implizieren kann, als eigentümlich inadäquat zu erweisen: einer treuen fürsorglichen Orientierung, der verantwortlichen Wahrnehmung übertragener Aufgaben und der Erwartung einer Vertrauenserwiderung (vgl. ebd.: 27f.). Jenseits solcher theorieinterner Spannungen dokumentiert Sztompka die geringe Spezifizität des Vertrauensbegriffs, also seinen, wie eingangs im Anschluss an Weber formuliert wurde, amorphen Charakter gerade durch eine Unterscheidung von sieben primären »Bezugsobjekten« des Vertrauens: Danach kann Vertrauen gesetzt werden 1. in eine bestimmte soziale Ordnung: »allgemeines Vertrauen«, 2. auf institutionelle Sphären der Gesellschaft: »institutionelles Vertrauen«, 3. in Expertenwissen und -systeme: »technologisches Vertrauen«, 4. in eine konkrete Institution oder Organisation: »Organisationsvertrauen«, 5. in Produkte: »kommerzielles Vertrauen«, 6. in Vertreter bestimmter Berufsgruppen bzw. Professionen: »Positions-Vertrauen« bzw. »Rollen-Vertrauen« und schließlich 7. in einzelne Personen: »persönliches Vertrauen« (Sztompka 1995: 257f.; 1999: 41ff.). Zentralen Raum nimmt bei Sztompka die Analyse der Funktionen des Vertrauens und seiner funktionalen Äquivalente ein. Zu diesen Funktionen zählt er insbesondere die Mobilisierung von Handlungspotenzial und den Gewinn von Handlungsspielraum und damit die Anregung zu Kooperationen, den Wegfall von Kontrollerfordernissen und entsprechende Kosteneinsparungen, die Erweiterung des »Spielraums für Nonkonformität« aufgrund einer durch wechselseitiges Sicherheitsgefühl erhöhten »Toleranz gegenüber Mehrdeutigkeit« (Frenkel-Brunswick 1996: 203), steigende Sozialkapitalbildungen sowie intensivierte Gemeinwohlorientierungen (vgl. Sztompka 1995: 259f.; 1999: 103ff.). Konsequenterweise lassen sich die Funktionen des Miss-

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trauens, das wesentlich durch Erwartungsenttäuschungen entsteht (vgl. Sztompka 1995: 260), genau umgekehrt bestimmen (vgl. Sztompka 1999: 104ff.). Darüber hinaus wendet Sztompka sich ebenso der Dysfunktionalität von Vertrauen und Misstrauen zu und sieht die des Ersteren vornehmlich im Falle blinden oder ›naiven‹ Vertrauens gegeben, die des Letzteren hingegen primär im Falle einer grundsätzlichen Alltagshermeneutik des ›Verdachts‹, also beim Typus »obsessiven Mißtrauens« (ebd.: 107ff.). Bei der Frage nach der Möglichkeit, Vertrauen bzw. Misstrauen funktional äquivalent zu kompensieren, die Reaktionen auf Vertrauensmissbrauch wie auf ein Misstrauensverhältnis einschließen, unterscheidet Sztompka sieben Optionen: 1. die »Schicksalsergebenheit« bzw. den Fatalismus, 2. »Korruption«, 3. den Aufbau sozialer Kontrollmechanismen, 4. die »Ghettoisierung« bzw. Xenophobie, 5. einen Prozess der »Paternalisierung« bzw. die Ausbildung einer politischen Führerorientierung, 6. die »Externalisierung« von Vertrauen, d. h. die idealisierende Orientierung an fremden Gesellschaften sowie 7. einen Verrechtlichungsprozess sozialer Verhältnisse (Sztompka 1995: 261f.; 1999: 115ff.). Aufgrund des politisch-soziologischen Zuschnitts seiner Überlegungen zielt Sztompkas Beitrag im Kern auf die Konfigurierung eines politisch-kulturellen Rahmens, dessen kognitive und normative Leitlinien dazu angetan erscheinen, Einstellungsprofil, Handlungsorientierungsressource und Legitimationshorizont für ein demokratisches Institutionengefüge zu bilden. Im Rahmen seines Ansatzes firmieren die entsprechenden Überlegungen unter dem Titel »Vertrauenskultur«. Damit wird der insbesondere von Adam Seligman systematisierte Diskurs über den Zusammenhang der Erneuerung der civil society und die Konstituierung von Vertrauen in modernen Gesellschaften kontinuiert (vgl. Seligman 1997). Die Konturen von Sztompkas Begriff der »Vertrauenskultur« und seine Vorschläge zu ihrem Aufbau (vgl. Sztompka 1999: 66ff., 99ff., 119ff., 139ff.) lassen sich – ungeachtet seiner eher tautologisch anmutenden Begriffsbestimmungen (vgl. ebd.: 68, 99) – zusammenfassend folgendermaßen charakterisieren: Als ein System von Normen

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und Werten bildet die Vertrauenskultur die Grundlage, auf der Akteure ihre sog. Wetten tätigen (vgl. ebd.: 99, 119). In diesem Sinne wird eine Vertrauenskultur als Resultat eines kontinuierlichen Prozesses positiver Erfahrungen verstanden, sowohl anderen vertraut haben zu können als auch selbst Adressat von Vertrauen gewesen zu sein. Voraussetzungen entsprechender Erfahrungen wiederum seien auf soziostruktureller Ebene die Kohärenz der normativen Ordnung, die Stabilität der sozialen Ordnung, die Transparenz gesellschaftlicher Institutionen, die Vertrautheit von Handlungsmilieus und ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein von Personen wie Institutionen sowie auf der Ebene individueller Charaktere eine gesellschaftlich positiv orientierte Stimmungslage (social mood ) und ein aufgrund gesamtgesellschaftlicher Wohlstandssituationen erworbener Ressourcenpool (collective capital ). Das Konzept der Vertrauenskultur erhält solchermaßen eine ausgeprägt normative Akzentuierung, deren Emphase eines Bürgerschaftsideals und konstitutiver Gemeinwohlorientierungen von der Voraussetzung eines gesättigten Wohlfahrtsniveaus getragen wird. Recht klar drückt sich in diesen Bestimmungen der transformationsanalytische Blickwinkel durch. Insgesamt zeichnet sich Sztompkas Theorie des Vertrauens nicht nur durch eine hohe Detailgenauigkeit und ein bemerkenswertes Differenzierungsniveau, sondern zudem durch ihren unmittelbaren Bezug auf einen herausragenden empirischen Fall aus. Dieser ermöglicht Sztompka eine Beobachtungstiefe und analytische Präzision, die deutlich über die bisher vorliegenden Beiträge zum Vertrauensthema hinausgeht, gelegentlich allerdings auch systematische Bezugspunkte und typologische Verdichtungen vermissen lässt. Insbesondere akzentuiert Sztompka nicht nur wie sonst keiner seiner Vorgänger, dass sich das Vertrauensphänomen auf ein Sozialverhältnis bezieht, also in seinem Kern auf das soziale Handeln anderer Personen (vgl. Sztompka 1995: 256, 258; 1999: 19f., 21, 26, 41, 46, 65; vgl. Endreß 2001), sondern er befreit sich auch von einer idealisierenden Überhöhung des Vertrauens und sucht ebenso dessen potenziell negativen Effekte in Rechnung zu stellen (vgl. Sztompka 1999: 102ff.).

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Zusammenfassende Überlegungen Die kritische Sichtung der Ansätze von Luhmann, Coleman, Giddens und Sztompka zu einer systematischen Behandlung des Vertrauensphänomens im Kontext der gegenwärtigen soziologischen Theoriediskussion lässt sich zunächst dahingehend resümieren, dass neben als grundlagentheoretisch zu verortenden Überlegungen bei allen Autoren im Wesentlichen eine primäre Konzentration auf die Ebene der Gesellschaftstheorie bzw. einer Theorie der modernen Gesellschaft festzustellen ist. Und diesbezüglich wird im Anschluss an Simmel durchgängig die funktionale Unabdingbarkeit generalisierten Vertrauens für moderne Gesellschaften betont. Dabei stehen sich auf der Ebene grundlagentheoretischer Weichenstellungen prinzipiell zwei Konzeptualisierungen gegenüber: einmal die Auffassung von Vertrauen als einem kognitiven bzw. reflexiven Phänomen, sodann – markant weniger vertreten – die Annahme, dass es sich bei diesem um einen präreflexiven bzw. fungierenden Modus handelt. Steht erstere Annahme insbesondere für Rational-Choice-Ansätze (vgl. Coleman, Dasgupta, Elster, Gambetta, Good, Güth / Kliemt, Hardin, Raub, Ziegler), so letztere für im weitesten Sinne ›hermeneutisch‹ argumentierende oder inspirierte Positionen (Giddens, Lewis / Weigert, Williamson, Zucker). Selbstverständlich ist es so, und das wird in Ansätzen des letzteren Typs keinesfalls bestritten, dass es die Aspekte unseres Erfahrungswissens von dem oder den anderen sind, die uns als Grundlage unseres Vertrauens oder Misstrauens dienen (vgl. Hartmann 2001: 25). Aber – und darauf erst kommt es ›hermeneutisch‹ argumentierenden Positionen an – der spezifische Status dieses Wissens ist ein impliziter, der das für Vertrauen und die darauf aufbauenden Handlungen konstitutive Maß an Selbstverständlichkeit und Fraglosigkeit erst begründet. Es ist diese Phänomentypik, die nachfolgend in der Unterscheidung von reflexivem und fungierendem Vertrauen ausgearbeitet wird. Durchgängig dominiert in den jüngeren Analysen ein Verständnis des Vertrauensphänomens im Horizont von sich zuspitzenden Risikolagen und im Hinblick auf die es einschlie-

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ßenden Risikoaspekte, also als ein »Problem der riskanten Vorleistung« (Luhmann 1989: 23; vgl. Coleman 1990: 91). Folgt man den Alltagsintuitionen, dann scheint zunächst einiges für die Annahme zu sprechen, dass auf dieser Grundlage aktuell »Rational-Choice-Ansätze die wohl stringenteste und damit am leichtesten anzunehmende Theorie des Vertrauens ausgearbeitet haben« (Hartmann 2001: 19). Denn entscheidungs- und spieltheoretische Konzeptualisierungen des Vertrauensphänomens haben den eindeutigen Vorteil, eine klare Problemkontur aufgrund der Alternativenabwägung ›Vertrauen bzw. Vertrauen aufrechterhalten‹ versus ›Nicht-Vertrauen bzw. Vertrauensbruch‹ vor dem Hintergrund verrechenbarer (und d. h. operationalisierbarer) Wissensbestände formulieren zu können. Gleichwohl konnten gerade anhand der von Coleman vorgelegten Beispiele eine Reihe erheblicher Einwände gegen den Monopolanspruch dieser Konzeptualisierung angeführt werden. Analytisch dominieren in nahezu allen aktuellen theoretischen Beiträgen zum Vertrauensdiskurs zudem Zugänge, die auf funktionale Eigenschaften des Vertrauens in unterschiedlichen sozialen Konstellationen abstellen (vgl. Antfang / Urban 1994: 12ff.). So bei Luhmann die kognitiv-funktionale Bestimmung des Vertrauens als Mechanismus der Komplexitätsreduktions, bei Coleman die Funktion der Ermöglichung risikobehafteter Handlungsvollzüge, bei Sztompka die zukunftseröffnende Funktion des Vertrauens oder auch bei Parsons und Misztal seine ordnungsstiftende Funktion. Zu beachten bleibt in dieser Hinsicht jedoch, dass die Funktionen des Vertrauens nicht mit dem Phänomen selbst zu verwechseln sind (vgl. Möllering 2001). Gerade an einer Ausarbeitung dieser Phänomentypik jedoch mangelt es jüngeren Arbeiten zum Thema regelmäßig. Als ebenso zentral und weitgehend geteilt erweist sich die Differenzierung in persönliches und Systemvertrauen, die zumeist durch eine entwicklungsgeschichtliche These des Übergangs von Ersterem zu Letzterem im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse erweitert wird. Bei einigen Autoren wird die angeführte Differenzierung zudem noch um die Ebene institutionell vermittelten Vertrauens wie sie z. B. in professionellen Interaktionen vorliegt, ergänzt (Simmel, Parsons, Giddens,

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Sztompka). Allerdings ist gegen eine zu scharfe Polarisierung dieser beiden Vertrauenstypen die vornehmlich von Max Weber notierte Gefahr verdinglichender Begriffsbildungen herauszustellen. Dieser hier nur an einigen wenigen Punkte festgemachte übergreifende Konsens der Soziologie hinsichtlich des Vertrauensphänomens sollte, so die hier leitende Vermutung, seinerseits misstrauisch stimmen. Denn 1. ist zu fragen, ob den dabei leitenden entwicklungsgeschichtlichen Annahmen nicht eine überzogene Neigung zum Präsentismus, also eine überzogene Gegenwartsfixierung eigen ist, ob hier nicht 2. ein Phänomenaspekt (Risiko und Kalkül) für das Ganze ausgegeben wird und ob in diesem Zugriff nicht 3. eine konsensualistische Schließung des Sozialitätsverständnisses vorliegt. Schon der Begriff der ›Vorleistung‹ selbst scheint in mancher Hinsicht an wesentlichen Phänomenaspekten vorbeizugehen. Denn nicht nur dürfte »eine genau äquivalente und / oder sofortige Erwiderung der anfänglichen Vorleistung […] dem Aufbau einer Vertrauensbeziehung ebensowenig förderlich sein wie eine überdimensionierte Gegenleistung« (Preisendörfer 1995: 268), sondern schon die Qualifizierung des ersten Schrittes einer potenziell zur Vertrauensbeziehung ›ausbaubaren‹ Interaktion als ›Leistung‹ unterlegt deren Verständnis mit einer ökonomischen Bedeutungsschicht, die die Intention dieses Schrittes zu konterkarieren droht, da sie diesen systematisch auf Bilanzierung, Effizienz und Effektivität hin zuspitzt. Leben doch die besagten ersten Schritte gerade davon, dass sie als nicht berechnend verstanden werden. Weiterhin ist zu fragen, ob Einsichten wie diejenige, dass der Risikobezug des Vertrauens daher rühre, dass Vertrauende unmöglich vollständig sicherstellen könnten, ob die andere Person tatsächlich in der gewünschten Weise handelt, überhaupt mehr als analytischen Gehalt haben. Hier scheint die Umschreibung des Begriffs seine Erklärung schlicht ersetzen zu sollen. Zudem bleibt nochmals zu betonen, dass mit dem Zuschnitt des Vertrauensphänomens auf eine entscheidungsrelevante Konstellation zwischen Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer immer schon ein reflexiver Typus expliziter Vertrauensvergabe zumindest ins Zentrum, wenn nicht gar ausschließlich

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ins Blickfeld gerückt wird, was eine systematisch inakzeptable Reduktion des Phänomenbereichs darstellt. Ein Versuch, den klassischen wie aktuellen Diskurs zum Phänomen ›Vertrauen‹ zu rekonstruieren sowie auf dieser Grundlage eine konzeptionelle Synthese vorzulegen, ist von Misztal vorgelegt worden. Für ihre durchgängig ordnungstheoretisch argumentierende Studie ist die These zentral, dass für eine adäquate Untersuchung des Vertrauensphänomens – in Abgrenzung zu Jon Elsters zwei Typen (vgl. Elster 1989: 97) – eine Unterscheidung von drei Typen sozialer Ordnung einzuführen sei, da sich ausschließlich auf diesem Wege die Möglichkeit eröffne, die unterschiedlichen Funktionen des Vertrauens freizulegen (vgl. Misztal 1998: 63f.). Danach ist zwischen einer »stable«, d. h. einer dauerhaft-stabilen, einer »cohesive«, also einer relativ geschlossenen, sich durch enge persönliche Beziehungen und Bindungen auszeichnenden und einer »collaborative order«, d. h. einer kooperativen, also durch spezifische Formen der arbeitsteiligen Zusammenarbeit gekennzeichneten Ordnung zu unterscheiden (ebd.: 10f., 64, 96ff.). Statt von Typen, so scheint es, spricht Misztal hier jedoch eher von unterschiedlichen Aspekten oder Schichten eines mehrdimensional angelegten, jedoch an keiner Stelle ausgeführten Ordnungsbegriffs. Dies verdeutlichen die folgenden Charakterisierungen. Danach bildet die stable order die Basis der Vorhersagbarkeit, Verlässlichkeit und Verständlichkeit (legibility) der sozialen Welt. Entsprechend liege hier die Funktion des Vertrauens für die Stabilisierung sozialer Wirklichkeit in einem zum ›Habitus‹ verdichteten Netz von Interaktionsregeln, Distanzierungsregeln und Regeln der Erinnerungsorganisation (ebd.: 97f., 102ff.). Die cohesive order verdanke sich demgegenüber einer Form normativer Integration. In ihr sei Vertrauen auf Vertrautheit, Freundschaften sowie gemeinsame Überzeugungen und Werte gegründet (vgl. ebd.: 157ff.). Die collaborative order (vgl. ebd.: 208ff.) schließlich begründe ein Verständnis des Vertrauens als Maßgabe des Zurechtkommens mit anderen Menschen. In diesem Sinne versteht Misztal Vertrauen als Mechanismus bzw. als Praktik (Politik), die sich auf die Bedingungen der Förderung von Solidaritätszusammenhängen, Toleranz und der Ausbil-

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dung legitimer Herrschaft richtet. Ist für den Typus der stable order ein Verständnis von Vertrauen als habitus leitend, so für die cohesive order ein solches im Sinne von passion und für die collaborative order eines von Vertrauen als policy (vgl. ebd.: 95ff.). Formierende Bedeutung für diesen Ansatz hat das Verständnis von »trust as habitus«. Jedoch ist festzuhalten, dass der ›Habitus‹ im Sinne von Bourdieu nicht als (reflexiv verfügbare) Strategie verstanden werden kann, sodass die von Misztal vorgeschlagene Parallelisierung von Habitus und Vertrauen »als einer Strategie der Versicherung der Stabilität sozialer Ordnung« inadäquat bleibt (ebd.: 98). In diesem Zusammenhang expliziert Misztal zudem ein strikt regeltheoretisches Verständnis von »Vertrauen als Habitus«, das insbesondere den Unterschied zwischen Regeln und Regelmäßigkeiten missachtet.27 Dies drückt sich nicht zuletzt in der Ambivalenz aus, unter diesem Stichwort Vertrauen sowohl als Strategie als auch als »background noise« zu fassen (ebd.). Aber auch untereinander bleibt das Verhältnis der drei Bestimmungen des Vertrauensbegriffs uneindeutig. Insgesamt gelingt es Misztal nicht, ihrem erklärten Anspruch gerecht zu werden, eine Synthese vorliegender Konzeptualisierungen des Vertrauensphänomens vorzulegen (vgl. ebd.: 95, 101). Viel eher stellt sich ihre Arbeit als additive Systematisierung dar, in der die Positionen untereinander unvermittelt bleiben und auch in der letztlich offen gehaltenen Bestimmung des Vertrauens als »social mechanism« (ebd.: 15) keine Synthese erfahren. Diese zusammenfassenden Bemerkungen können mit einer wissenssoziologischen Reflexion über die möglichen Gründe der ›Karriere‹ des Vertrauensbegriffs in den vergangenen zwei Jahrzehnten abgerundet werden. Entsprechende Überlegungen schlossen sich bereits an die Präsentation der bei den Klassikern der Soziologie vorliegenden Ansätze zur Thematisierung des Vertrauensphänomens an; dort hinsichtlich der Frage, warum dieses Thema zunächst weitgehend im Hintergrund des soziologischen Interesse blieb. Für die umgekehrte Fragestellung ließe sich analog zu Luhmanns Hinweis, dass in jedem Jahrhundert zu Beginn der 80er Jahre ein Moralisierungsschub zu beobachten sei, also eine Ethikwelle den Buchmarkt überschwem-

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me, fragen, ob dies für das Vertrauensphänomen – insbesondere in seiner normativen Akzentuierung auf das Problem der sozialen Ordnung – nicht ebenso gilt. Da dies für eine relativ junge Disziplin wie die Soziologie nicht im historischen Längsschnitt verifiziert werden kann, bliebe am ehesten der Hinweis, dass der Boom dieses Themas in den 1990er Jahren eine solche Einschätzung nahe zu legen scheint. In diese Richtung argumentiert z. B. Misztal, die die Themenkonjunktur dem Umstand eines weitgehenden Erodierens der Grundlagen sozialer Kooperation sowie von Solidarität und Konsens zuschreibt (vgl. ebd.: 3). Allerdings bleibt diese Erklärung insofern unbefriedigend, als gerade die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts von einer enormen Entwicklungsdynamik erfasst wurden, ohne dass dieser Umstand – wie gezeigt – zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Vertrauensphänomen im Rahmen der Soziologie geführt hätte. Eindimensionale Erklärungen dürften also auch in dieser Sache kaum weiterführen. Eine weitergehende Erklärung im Kontext der allgemeinen Entwicklung der Disziplin hat Sztompka unter Hinweis auf den in aktuellen theoretischen Debatten der Soziologie zu beobachtenden culturalist turn unterbreitet. Dieser generelle »turn toward ›soft variables‹« (Sztompka 1999: ix), der sich auf ›ontologischer Ebene‹ als Wechsel von holistischen Gesellschaftskonzeptionen zum »field image of the social fabric« und auf ›epistemologischer Ebene‹ als Wechsel von ›harten‹ soziostrukturellen Erklärungen zu »cultural explanations« zu erkennen gäbe (ebd.: 1f.), zeichne auch für den jüngsten Bedeutungszugewinn des Vertrauensthemas verantwortlich. Auch in diesem Hinweis jedoch ist bestenfalls eine notwendige, keineswegs jedoch eine hinreichende Bedingung für diesen zu sehen. Am ehesten scheint eine Antwort in Richtung einer Kombination von Hinweisen auf veränderte soziostrukturelle Rahmendaten (Globalisierungsprozesse), politisch-klimatische Gemengelagen (Vertrauensverlust in die Politik, Wertwandel, Transformationsprozesse), kulturelle Wandlungsprozesse (Pluralisierung, zunehmende Aufmerksamkeit auf Fremdes) und der Entfaltung einer handlungstheoretisch-hermeneutischen Theorie- und Forschungsperspektive in der Soziologie seit den 1970er Jahren zu suchen sein.

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Empirische Analysen zum Aufbau von Vertrauen Vertrauen ist ein empirisch schwer zugängliches Phänomen. Die standardisierte Einstellungsforschung kommt mit Fragen z. B. zum Vertrauen in Institutionen oder zu den Kriterien der Vertrauenswürdigkeit von Professionsangehörigen lediglich an die Dimension thematisierten, also reflexiven Vertrauens heran. Erschwerend kommt hinzu, dass die im Rahmen entsprechender Untersuchungen erhobenen Antworten und Angaben über Einstellungen keineswegs schlicht mit Verhaltensformen oder Handlungstypen gleichgesetzt werden können. Beobachtungen relevanter Situationen bilden somit unabdingbar eine ergänzende Datengrundlage für die Vertrauensforschung, sind aber ihrerseits jeweils nur relativ schwer ausdeutbar. Empirisch scheint zudem einiges dafür zu sprechen, die Genese und Typik von Vertrauen und Vertrauensbeziehungen entweder durch eine vorgängige Analyse der Entstehungsbedingungen von Misstrauen zu konturieren (Garfinkel) oder z. B. durch eine Untersuchung abzurunden, die die offenkundig bei ›vertrauensunfähigen‹ (schizophrenen) Personen beobachtbare mangelnde Ambiguitätstoleranz, ihre durchgängig ausgeprägte (kognitive wie affektive) Ambivalenz und den bei ihnen beobachtbaren Autismus, also ihre Kontaktunfähigkeit auf strukturelle Implikationen hin analysiert. Diese Hinweise lassen sich im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht vertiefen. Nachfolgend geht es vielmehr darum, einige empirische Untersuchungen zur Genese von Vertrauenskonstellationen auf unterschiedlichen Emergenzebenen des Sozialen vorzustellen.

Mikroanalysen: Vertrauensaufbau in Interaktionsprozessen Einer der Schwerpunkte des aktuellen Vertrauensdiskurses bildet die Thematisierung von Vertrauen auf der Ebene sog. ›einfacher‹ Interaktionskonstellationen, also von face-to-face-Beziehungen (vgl. Antfang / Urban 1994; Good 1988; Holmes / Rem-

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pel 1989; Ziegler 1997). Spezifische Abwandlungen dieses Zugriffs finden sich u. a. in Gestalt der Frage des Vertrauensaufbaus in Internetkommunikationen (vgl. Brinkmann / Seifert 2001) oder der Frage nach zwischenbetrieblichen Kooperationsbzw. Firmenkooperationsprozessen mit der Annahme eines strukturell analog zu behandelnden Falles zu etwa den Beziehungen zwischen Ehepartnern (vgl. Raub 1999).28 Für eine exemplarische Darstellung von Vertrauensbildungsprozessen im Rahmen von Mikrokonstellationen kann hier auf eine Studie von James Henslin zurückgegriffen werden. Henslin untersucht, in welcher Hinsicht Vertrauen für einen Taxifahrer in seiner beruflichen Praxis Bedeutung hat und stellt die Frage, was diesen dazu führt, jemanden als Fahrgast zu akzeptieren oder abzulehnen. Das zentrale Handlungs- bzw. Entscheidungsproblem besteht danach für einen Taxifahrer darin, seine typische Erwartung, seine idealtypische Vorstellung von einem ›Fahrgast‹ jeweils in hinreichende Übereinstimmung bringen zu können mit seiner ebenfalls typisch-strukturierten Wahrnehmung der angebotenen Selbstpräsentation, also dem Gesamterscheinungsbild einer sich als Fahrgast anbietenden Person: »Where an actor has offered a definition of himself and the audience is willing to interact with the actor on the basis of that definition, we are saying trust exists« (Henslin 1968: 140). Die systematische Bedeutung von Henslins Studie liegt im Anschluss an die Arbeiten von Schütz und Garfinkel im Aufweis des notwendigen Zusammenhangs von Vertrautheit und Typisierungen und zwar 1. methodisch unter dem Gesichtspunkt der Zuordnenbarkeit und 2. inhaltlich unter dem Gesichtspunkt der Milieuvertrautheit. Zunächst sind eine Reihe unspezifischer Situationsdefinitionen bzw. Rollenerwartungen des Taxifahrers hinsichtlich eines jeden Fahrgasts grundlegend, die ihn dazu führen, der angebotenen Selbstdefinition eines Menschen als Fahrgast zu trauen. Henslin verweist hier auf vier Basiskriterien, die – in sukzessiver Anerkennungsordnung – seitens eines Taxifahrers für die Akzeptanz eines Fahrgasts bemüht werden: dass dieser 1. ein akzeptables Ziel hat, er 2. die Präsentation einer Gegengabe –

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das Bezahlen des Fahrpreises – in Aussicht stellt, er 3. seine Austausch- bzw. Zahlungswilligkeit dokumentiert und er schließlich auch 4. die Risikolosigkeit der Situation dokumentiert, also sich jedweder Aggression enthält (vgl. ebd.: 140f.). Umgekehrt lassen sich fünf Basiskriterien identifizieren, die die Ablehnung eines Fahrgasts motivieren können: 1. die Äußerung inakzeptabler Wünsche oder Ziele, 2. die Nicht-Präsentation einer Gegengabe, 3. den dokumentierten Unwillen, sich von der offerierten Gegengabe zu trennen, 4. die Risikolastigkeit der offerierten Gegengabe sowie 5. die Erkennbarkeit offenkundig vorgeschobener Motive (vgl. ebd.: 141f.). Die originäre Ebene der Generierung von Vertrauen kommt jedoch erst in den Blick, wenn geklärt werden kann, aufgrund welcher Annahmen die angeführten Kriterien seitens des Taxifahrers als erfüllt oder aber nicht erfüllt betrachtet werden können. Als Ansatzpunkt der Analyse fungieren hier Goffmans Unterscheidungen von »Fassadenmanagement«, d. h. zwischen dem allgemeinen Rahmen (»setting«) und der personalen ›Fassade‹ (»personal front«), für die nochmals zwischen der Erscheinung (»appearance«) und dem faktischen Verhalten (»manner«) zu unterscheiden ist (Goffman 1969: 23ff.). Letztlich laufen die Beobachtungen und Schilderungen darauf hinaus, dass es wesentlich die akkumulierte Sozial- bzw. Milieuerfahrung eines Taxifahrers ist, d. h. seine soziale Sensibilität, die ihm ein Manövrieren in diesem Terrain ermöglicht, ihn also mit hinreichender Kompetenz hinsichtlich einer Deutung von Signalen der Vertrauenswürdigkeit ausstattet (Henslin 1968: 142). So benutzen Taxifahrer zur Entscheidungsfindung zunächst für ihr Berufsfeld unspezifische Stereotypen wie die Beurteilung der Wohngegend, die Differenz von Tag- oder Nachtfahrt, ob der Anruf von einem privaten oder öffentlichen Telefon kam, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Fahrgast handelt, sie operieren mit einem Kinder- und Alterskredit, taxieren den Gesundheitszustand, ob ein Fahrgast ange- oder betrunken ist sowie welches Fahrtziel er angibt (vgl. ebd.: 144ff.). Neben diesen soziokulturellen Stereotypen rekurrieren Taxifahrer zudem auf schwerer eindeutig zuspitzbare vertrauensstiftende bzw. -negierende Aspekte wie das Sitzverhalten eines Fahrgasts, klei-

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ne Interaktionszeichen und -signale (z. B. die Stimme), Einschätzungen über rationales oder irrationales Verhalten sowie den Umfang der ihnen jeweils aktuell zur Verfügung stehenden Situationskontrolle (vgl. ebd.: 149ff.).29 Im vorliegenden Zusammenhang ist entscheidend, dass für die unter Gesichtspunkten der Vertrauensgenerierung in dieser Sozialsituation in Rechnung gestellten Entscheidungsaspekte wesentlich kulturell- bzw. milieubedingte Selbstverständlichkeiten, also weitgehend implizit bleibende, als urteilsorientierend fungierende Elemente des Handlungswissens herangezogen werden. Im Rahmen seiner Untersuchung unterscheidet Henslin analytisch sechs vertrauensrelevante Aspekte der untersuchten Interaktionskonstellation: 1. das Anbieten einer Selbstdefinition seitens der Akteure, und zwar 2. in der Form, dass dann, wenn der jeweils andere Stimmigkeit zwischen den Elementen der Fassade des anderen Akteurs wahrnimmt, 3. er diese Definition als gültig akzeptiert, 4. er zwangslos bereit ist, in eine Interaktion mit dem Akteur einzutreten, sodass 5. diese Interaktion auf der Grundlage der akzeptierten Selbstdefinition des Akteurs stattfindet und 6. die Kontinuierung dieser Interaktion von der anhaltenden Akzeptanz dieser Selbstdefinition abhängt oder von deren Austausch gegen eine andere, für den jeweils anderen Akteur ebenso zufriedenstellende Definition (vgl. ebd.: 140). Somit finden sich bereits in Henslins empirischer Studie alle relevanten Gesichtspunkte, die gegenwärtig disziplinübergreifend als Indikatoren bzw. Signale für Vertrauenswürdigkeit diskutiert werden, wobei für jeden dieser Aspekte auf den elementaren Umstand der jeweils typischen Strukturierung von Urteilsmustern zu verweisen ist.

Mesoanalysen: Vertrauen in Organisationsund Arbeitsprozessen Ein weiterer Schwerpunkt des aktuellen Vertrauensdiskurses ist in der Analyse von innerbetieblichen (vgl. Gondek et al. 1992, Heisig 1997, Heisig / Littek 1995) und interbetrieblichen (vgl.

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Bachmann 1997) Arbeitsprozessen (vgl. dazu insgesamt Lane / Bachmann 1998) auszumachen. Auf dieser Emergenzebene des Sozialen sind zudem Analysen von Gruppenvertrauen z. B. hinsichtlich der Formierung der Mafia (vgl. Gambetta 1994) unter den Bedingungen der süditalienischen »Kultur des Mißtrauens« (vgl. Banfield 1958) ebenso zu verorten wie Studien zu Klientelstrukturen in regionalen Milieus (vgl. Eisenstadt / Roniger 1984; Velez-Ibanez 1983) oder auch Untersuchungen der für die typischen professionellen Berufe konstitutiven vertrauensvollen Sozialbeziehungen (Experte / Laie) zwischen Arzt und Patient, Therapeut und Klient, Anwalt und Klient (vgl. Parsons 1965; 1978; Barber 1983: 131ff.; Preisendörfer 1995: 265f.) sowie zwischen Pfarrer und Gemeindemitglied (vgl. Gennerich 2000).30 Generell fällt in den Untersuchungen zum Vertrauensphänomen in den genannten Sozialbereichen die Betonung der Bedeutung von Vertrauen in Kooperationsbeziehungen auf, für die die Alternative diskutiert wird, ob Vertrauen als Folge (vgl. Axelrod 1988) oder aber als Vorbedingung (vgl. Gambetta 2001: 225f.) für Kooperation zu werten sei. Hier scheint einiges für die Annahme zu sprechen, dass in beiden Fällen das in Frage stehende Phänomen in unterschiedlicher Hinsicht fokussiert wird: Einmal geht es um auf generelle Annahmen über den professionellen Handlungskontext gestützte Vermutungen über die hypothetisch zu unterstellende Orientierung an Vertrauen schaffenden Standards seitens des Kooperations- bzw. Interaktionspartners (Vertrauen als Vorbedingung), das andere Mal kommt die aufgrund positiver Kooperations- oder Interaktionserfahrungen sich einstellende material gesättigte, also auf den konkreten Partner zugeschnittene Vertrauensebene in den Blick (Vertrauen als Folge). Die Differenz lässt sich gut an der Typik professioneller Interaktionen veranschaulichen. Die allgemeine Struktur professioneller Interaktionen kann im Hinblick auf ihren Vertrauensaspekt folgendermaßen umschrieben werden: Seitens eines Klienten wird zunächst jeweils Vertrauen in die bzw. auf die Kompetenz von Professionsangehörigen gesetzt; im Zuge professioneller Interaktionen erfolgt seitens des Klienten jeweils notwendig eine (weitreichende) Preisgabe von Details persönlicher Lebensumstände, sodass die-

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ser darauf vertraut, dass Professionsangehörige das Mitgeteilte vertraulich behandeln; damit verbindet sich das Vertrauen darauf, dass Professionsangehörige die ihnen zugänglich gemachten Informationen nicht zum Nachteil des Klienten verwenden; weiterhin gilt der Professionsangehörigen gewährte Vertrauensvorschuss der Annahme, dass diese in hinreichendem Maße sowohl über Diagnose als auch über Therapie informieren; schließlich zielt das Professionsangehörigen entgegengebrachte Vertrauen darauf, dass diese ihre Sachkenntnis zur (sukzessiven) Aufhebung des Klientenstatus effektiv nutzen. Kompetenz, Vertraulichkeit, Redlichkeit, Transparenz und Effektivität – diese fünf Aspekte lassen sich hinsichtlich der für eine professionelle Interaktion strukturell relevanten Phänomentypik des Vertrauens unterscheiden. Empirisch können diese als Vorbedingungen der Kontaktaufnahme zu einem Arzt oder einem Anwalt relevanten, auf der Trennung von Funktion und Person fußenden Kriterien aufgrund konkreter Erfahrungen mit Professionsvertretern dann im Laufe der Zeit speziell an diese aufgrund erworbener persönlicher Kenntnis (teilweise exklusiv) adressiert werden, d. h. dass man gegebenenfalls nur noch zu diesem einen, jedoch zu keinem anderen Arzt geht. Dann wird die strukturelle Trennung von Person und Funktion empirisch unterlaufen. In industriesoziologischer Hinsicht stehen aktuell grundsätzliche Analysen zum Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und technologischem Wandel im Hinblick auf die Innovationsoffenheit von Ökonomien im Zentrum des Interesses.31 Vor dem Hintergrund beobachtbarer Globalisierungsprozesse insbesondere im wirtschaftlichen Bereich gewinnen dabei Analysen der Innovationsdefizite bzw. der strukturellen Innovationsschwächen der deutschen Wirtschaft an Bedeutung. So begründet Horst Kern die in Deutschland besonders prekären Folgen steigenden Globalisierungsdrucks und einer fortschreitenden Aufkündigung traditioneller innerbetrieblicher Loyalitätsbeziehungen mit institutionellen Sonderkonstellationen des Produktionsstandorts Deutschland: »Im deutschen Fall besaß der Kooperationsort ›Betrieb‹ eine außergewöhnlich hohe Aufladung, die sich in einer spezifischen Vertrauensbeziehung zwischen

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Arbeitgebern und Arbeitnehmern und einer entsprechenden Ausformung des Reziprozitätsgefüges im Betrieb äußerte« und auf der Produktivkraftentwicklung wie Wettbewerbsfähigkeit beruhten (Kern 1997: 273). Aufgrund der für die deutsche – im Unterschied zur amerikanischen und britischen – Industrie traditionell typischen Konzentration auf die Gruppe der qualifizierten Arbeitskräfte könnte Kern zufolge am Ende weiterer Deregulierungsprozesse somit »eine Innovationskrise durch innere Emigration der Kernbelegschaften« stehen (ebd.: 275).

Makroanalysen: Vertrauen zu Institutionen und in gesellschaftlichen Transformationsprozessen Im Unterschied zu persönlichen Vertrauensbeziehungen bezieht sich das Vertrauen zu Institutionen nicht direkt auf das Verhalten und Handeln von Personen, sondern auf die Leitidee einer Institution, ihre Verfahrensordnung und Leistungen sowie die sie kontrollierenden Mechanismen. Vertrauen zu bzw. in das Funktionieren von Institutionen heißt somit wesentlich auf die Geltung von Wertvorstellungen zu vertrauen und darauf, dass sich das Handeln auch unbekannter anderer Personen in allen denkbaren und nicht vorhersehbaren Situationen ebenfalls an genau diesen Wertvorstellungen orientiert und dass Organisationen in Bezug auf diese Wertvorstellungen strukturiert und kontrolliert sind: »Vertrauen zu Institutionen bezieht sich auf einen Funktionszusammenhang zwischen Leitideen, den sie konkretisierenden Normen und Verfahren, dem Grad der Ausdifferenzierung des Geltungsraumes, innerhalb dessen sie Verhalten strukturieren, und der tatsächlichen Verhaltensprägung« (Lepsius 1997b: 285f.; vgl. 1997a). Danach kann sich das Vertrauen zu Institutionen entweder primär auf deren Leitidee (Gerechtigkeit im Falle des Rechtsstaates, den Sozialismus im Falle des ›real existierenden‹ Sozialismus), auf das Leistungsprofil, also die Performanz bzw. den materiellen Output (Wirtschaftswachstum, Einkommenssteigerungen, Versorgungsdichte, Wohlfahrtsanstieg) oder auf die konkrete Institutionalisierungsform (die Institutionenordnung: Organstruktur und Ver-

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fahren) richten. Insofern sich Institutionenvertrauen »auf die im individuellen Verhalten sichtbare Verhaltensstrukturierung durch Institutionen und die durch sie verhaltenswirksam werdenden Leitideen« bezieht (Lepsius 1997b: 290), ist deren faktische Sanktionskraft entscheidend für die Stabilisierung des Institutionenvertrauens, also die Konsequenz, mit denen sie ihren Leitideen und Normen zuwiderlaufendes Handeln von Personen (inhaltlich umfassend, zeitlich angemessen und ohne Ansehen der Person) sanktionieren. Über diese Kriterien baut sich das »Vertrauenskapital« von Institutionen auf. Ungeachtet der prinzipiellen Wechselwirkung zwischen allgemeinem Institutionenvertrauen und dem Vertrauen in deren Personal bleibt jedoch deren grundsätzliche Entkoppelbarkeit festzuhalten. So weisen Seymour Lipset und William Schneider für die Jahre ab 1960 einerseits ein ausgeprägtes Vertrauen in das soziale und politische System der USA seitens seiner Bürger nach, wie sie andererseits für den gleichen Zeitraum ein deutliches Absinken des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit einzelner Institutionen und der in ihnen wirkenden Amtsinhaber verzeichnen (vgl. Lipset / Schneider 1983). Entsprechende Beobachtungen bekräftigen die These, dass Systemvertrauen und konkretes institutionelles Vertrauen weitgehend unabhängig voneinander variieren können (vgl. Kaase 1999) und sie provozieren die spannende empirische Frage, ab welchem Grad entsprechende Abweichungen personalen Vertrauens in einen generellen Verlust an Systemvertrauen umschlagen (können); die Frage also, inwiefern Vertrauenskonstellationen die Spannung zwischen Struktur und Empirie auszuhalten vermögen. Einen empirisch besonders prägnanten Fall stellen die sog. Transformationsgesellschaften dar, also diejenigen mittelosteuropäischen Gesellschaften, die im Zuge des politischen Umbruchs von 1989 den Übergang zu einem liberal-demokratischen System vollzogen.32 Einige Aspekte dieses Phänomens sollen nachfolgend am Beispiel der Situation in Polen skizziert werden (vgl. Wagner 1990; Sztompka 1995, 1999: 151ff.). Im Kern geht es hier stets um die Frage nach den kulturellen Voraussetzungen demokratischer Institutionen, d. h. um die Kontinuierung eines Themas früherer Untersuchungen zur Fra-

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ge der politischen Kultur in westlichen Gesellschaften. Zentrales Stichwort dafür ist der bereits erörterte Begriff der »Vertrauenskultur« (Sztompka 1999) oder auch der des »Vertrauensnetzwerks« (Eisenstadt 2001). Leitend ist die Annahme, dass die Institutionen demokratischer Rechtsstaaten einer informellen politischen Kultur bedürfen, auf der ihre Sanktionsfähigkeit beruht und die ihnen auch bei temporärer Ineffizienz ihre Stabilität sichert. In den Untersuchungen zur politischen Kultur (civic culture) gelten dabei primäre Sozialisationsprozesse, Bewertungen des Outputs bzw. des Leistungsprofils politischer Institutionen, Beurteilungen der sozioökonomischen Verhältnisse sowie die Einstellungen zu den politischen Parteien als wesentliche Indikatoren für die Analyse politischen Vertrauens (vgl. Gabriel 1999: 216ff.; Hetherington 1998; Lipset / Schneider 1983: 392ff.). Dabei kann bezogen auf die mittelosteuropäischen Transformationsgesellschaften in der Leitthese eines Mangels an kulturellen Ressourcen zur Etablierung einer Vertrauenskultur eine Anwendung von William F. Ogburns These des cultural lag gesehen werden (vgl. Sztompka 1993). Die konzeptionellen Konturen der von Sztompka skizzierten Theorie der Vertrauenskultur verdeutlichen sich im Rahmen seiner Analyse der Situation in Polen insbesondere an deren Kontrastfolie: Sztompkas zentrale These lautet, dass für die postkommunistischen Gesellschaften Mittelosteuropas »ein durchgängiger Vertrauensverlust« und damit die Ausbildung eines »tiefsitzenden Syndroms des Mißtrauens« zu konstatieren sei und dass dieser »Mangel an Vertrauen« das zentrale Hindernis für den Übergang dieser Gesellschaften zur Demokratie bilde (Sztompka 1995: 254, 262, 269; für den Fall Polens 1995: 262ff.; bes. 1996; 1999: 151ff.). Empirische Indikatoren dieses Umstandes sind für ihn: 1. als Verhaltensindikatoren vorrangig die anhaltende Auswanderungswelle (also die exit-Option im Sinne Albert Hirschmans), ein praktizierter Rückzug aus der öffentlichen Sphäre33, die Anzahl von Protestkundgebungen (also die voice-Option nach Hirschman), eine dominierende Gegenwarts- und Augenblicksorientierung einer »wartenden Gesellschaft« (Tarkowska 1994), eine niedrige Sparquote, die Orientierung des Konsums an ausländischen Waren, verbreitete Spiel-

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leidenschaft, die Favorisierung privater Dienstleistungsunternehmen und Privatschulen gegenüber öffentlichen Einrichtungen, eine Zunahme von Selbstverteidigungs- und Schutzmaßnahmen sowie die Konjunktur privater Sicherheitsfirmen (vgl. Sztomka 1995: 263ff.; 1999: 163ff.). 2. Hinsichtlich von Verbalindikatoren stützt Sztompka seine These auf Stellungnahmen in Meinungsumfragen zu bereits durchgeführten Systemreformen, zur sozioökonomischen Situation, zur Einschätzung von Entwicklungsperspektiven, auf die verbreiteten Meinungen über Institutionen und Politiker hinsichtlich der Einschätzung ihrer Zuverlässigkeit bzw. Vertrauenswürdigkeit sowie auf die bekundete Glaubwürdigkeit von Massenmedien (vgl. Sztompka 1995: 266ff.; 1999: 166ff.). Insofern die für diese Aspekte angeführten Daten eine weitgehend trostlose Deutung der soziopolitischen Gesamtsituation seitens der polnischen Bevölkerung dokumentieren, spricht Sztompka von einem Misstrauenssyndrom. Hinsichtlich der potenziellen Ursachen dieses verbreiteten Misstrauens verweist er insbesondere auf vier Gesichtspunkte: 1. auf die Ungewissheit, Unsicherheit und Undurchsichtigkeit der sozialen, politischen und ökonomischen Situation (Arbeitslosigkeit, Inflationsrisiko und finanzielle Instabilität, Bankenzusammenbrüche, Kriminalitätseskalation, normative Desintegration / Anomie, politische Undurchsichtigkeit), 2. auf die Ineffizienz und Schwäche ordnungspolitischer Kontrollinstanzen (Rechtsinstitutionen, Polizei, Steuerbehörden), 3. auf das Bild der neuen politischen Eliten, denen eine fehlende Gemeinwohlorientierung attestiert, deren politischer Stil als ›schmutzig‹ gedeutet, denen – im Zuge von Vetternwirtschaft – eine Selbstbedienungsmentalität vorgeworfen, denen leere politische Versprechungen und mangelnde Transparenz vorgehalten und die der Einflussnahme auf die Medien verdächtigt werden sowie 4. auf das hohe Erwartungsniveau nach der politischen Wende, das Anspruch und Wirklichkeit auf bisweilen dramatische Weise auseinanderklaffen ließ und lässt (vgl. Sztompka 1995: 268ff.; 1999: 174ff.). Angesichts dieser Zustandsbeschreibung des politischen Innenlebens der polnischen Gesellschaft optiert Sztompka für ei-

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ne Reihe potenziell vertrauenschaffender direkter und indirekter Maßnahmen zum Aufbau einer Vertrauenskultur: 1. Zu den indirekten Maßnahmen, die der Herstellung einer ›strukturellen Umwelt‹ für die Entstehung von Vertrauen dienen sollen, gehören: das Verfolgen einer politisch klaren Linie, die Berechenbarkeit des gesellschaftlichen und politischen Ordnungsrahmens durch effiziente Durchführungsorgane, der institutionalisierte Schutz von Persönlichkeitsrechten, die Herstellung von Transparenz des politischen Prozesses, um Vertrautheit mit demokratischen Institutionen und Entscheidungsverfahren aufzubauen, eine politische Dezentralisierung sowie die Professionalisierung der politischen Akteure und des Stellenbesetzungsprozesses insbesondere für exponierte Positionen im politischen Bereich. 2. an direkt auf den Aufbau von Vertrauen zielenden Maßnahmen erwähnt Sztompka das schulische Erlernen von Vertrauen, die Prägung von Vorstellungswelten34 sowie die Vermittlung der persönlichen Bedeutung von Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit (vgl. Sztompka 1995: 272ff.). Der in mancherlei Hinsicht gewöhnungsbedürftige Tenor dieses umfassenden Maßnahmenkataloges (vgl. für eine zurückhaltendere Formulierung Sztompka 1999: 179ff.) ist ohne die entscheidenden Impulse, die er einem bis in die Gegenwart hinein ebenso homogenen wie deutlich religiös geprägten und von einem äußerst lebendigen Nationalbewusstsein grundierten kulturellen Horizont verdankt, kaum zu verstehen. Und genau in dieser sich durchgängig durchdrückenden Bindung an ein sehr spezifisches Entstehungsmilieu dürfte auch eine Grenze der Überlegungen Sztompkas liegen.

Zusammenfassende Überlegungen In Anbetracht der hier anhand einer idealtypischen Differenzierung von Mikro-, Meso- und Makroebenen sozialer Emergenz vorgenommenen Darstellung empirischer Kontexte der aktuellen Vertrauensforschung ist grundsätzlich zunächst darauf hinzuweisen, dass eine zu weitgehende Zuspitzung, ja Ontologisierung dieser drei unterschiedenen sozialen Emergenzebenen

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nicht nur zu nahezu unüberwindlichen Problemen ihrer nachträglichen Verzahnung führen würde, sondern auch systematisch fehlginge. Dies lässt sich z. B. an den Fällen eines gelingenden oder misslingenden ›Vertrauensmanagements‹ in Lebenspartnerschaften illustrieren. Der eine wie andere Fall beeinflusst in der Regel die Erwerbstätigkeit der Partner, ihre Kinderzahl, die Dauer einer Ehe, die sozialen Auf- bzw. Abstiegschancen, die Erziehung und die späteren Berufsorientierungen der Kinder und zeitigt somit Effekte auf dem Arbeitsmarkt, hinsichtlich des generativen Verhaltens und der Rentenkasse, auf die Scheidungsquote, auf die soziale Ungleichheitsverteilung, auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt der Zukunft etc., Effekte also, die den (nicht) ehelichen Mikrobereich erheblich transzendieren. Die referierten Untersuchungen zeigen zwar insgesamt eine recht heterogene Behandlung des Vertrauensphänomens und es werden unter der Leitfrage nach den Bedingungen, Quellen oder Voraussetzungen von Vertrauensbeziehungen sehr verschiedenartige Aspekte angeführt. Gleichwohl lassen sich diese nach fünf Dimensionen ordnen: Unterschieden werden kann die Thematisierung von Handlungsroutinen, Handlungsverdichtungen, Handlungsprofessionalisierungen, Handlungsrahmungen und Handlungsstrategien als Gründen oder Kontexten der Vertrauensgenerierung. Konsens scheint zunächst über die elementare Bedeutung von Handlungsverdichtungen in Form von intensiven sozialen Beziehungen sowie interaktiver Dichte etwa auf Gruppenebene zu bestehen, die in der Regel verbunden ist mit dem entsprechenden Wissen über die Akteure (vgl. Preisendörfer 1995: 267; Braun 1992). In prägnanter Form begegnet diese Dimension in der Literatur unter dem Stichwort ›Gesetz des Wiedersehens‹ (vgl. Weber 1976: 383; Goffman 1986: 68; Luhmann 1989: 39; Coleman 1990: 122f., 138; Raub 1992). In ihrem Gefolge liegt potenziell die Ausbildung von intersubjektiv geteilten Handlungsroutinen, d. h. von wiederholten und wiederholbaren Handlungsformen. Dieser Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit bildet auch für entscheidungs- bzw. spieltheoretische Modellierungen eine der entscheidenden Entstehungsbedingungen von Vertrau-

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en (vgl. Axelrod 1988; Preisendörfer 1995: 266; Raub 1992: 188f.). Letztlich wird damit dem Argument, dass Vertrauen sich einer Interaktionsgeschichte verdankt, auch dort besonderes Gewicht verliehen. Weiteres Potenzial für die Generierung von Vertrauen liegt in sog. Handlungsprofessionalisierungen und -differenzierungen durch die gesellschaftlich etablierte Wissensverteilung mit einander zugeordneten Laien- und Expertenrollen (vgl. Schütz 1946; Parsons 1965; Wagner 1994: 151f. sowie die Hinweise zu Simmel und Tönnies in diesem Band). Sowohl für alltägliche Handlungsroutinen wie für professionelle Handlungskontexte gilt sodann, dass ihre vertrauensgenerierende Bedeutung wesentlich aus Handlungsrahmungen resultiert, die z. B. in Form von glaubwürdigen Festlegungen durch Garantien oder rechtliche Sicherheiten (vgl. Coleman 1990: 91ff.; Raub 1992: 189f.) wie Produkthaftungsrecht oder technischen Normungen (vgl. Wagner 1994: 153ff.) auftreten können.35 Schließlich gilt es sowohl in persönlichen als auch in professionellen Kontexten den als angemessen gedeuteten Takt der Handlungsschritte einzuhalten, also sozial akzeptierten Handlungsstrategien zu folgen, wie sie in der von Goffman skizzierten Politik der kleinen Schritte (vgl. Goffman 1981: 107ff.) oder in jüngeren Überlegungen zu tit for tat-Strategien36 oder auch in den von Henslin am Beispiel des Taxifahrers erläuterten Orientierungswerten (Henslin 1968: 140ff.) zum Ausdruck kommen. Alle genannten Aspekte stellen Orientierungsindikatoren dar für Beziehungen zu Personen oder gesellschaftlichen Einrichtungen, für eigenes Denken und Handeln im Hinblick auf oder in Abstimmung mit anderen und für den Umgang mit Dingen oder Zeichen. Sie umschreiben Momente des allgemeinen Musters alltäglicher menschlicher Weltorientierung hinsichtlich der kontinuierlich erforderlichen Transformation von Unvertrautem in Vertrautes und sie bilden empirische Voraussetzungen für die Genese von Vertrauensbeziehungen aufgrund von oder über den Aufbau von Vertrautheitskonstellationen.

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Vertrauen als soziologischer Grundbegriff: Systematische Perspektiven Es kann nicht der Anspruch dieser abschließenden Überlegungen sein, eine umfassende Theorie des Vertrauens aus soziologischer Perspektive oder einen die verschiedenen Theoriestränge synthetisierenden Ansatz vorzulegen. Vielmehr sollen nachfolgend einige Argumentationen in systematischer Absicht vorgestellt werden, die für eine Präzisierung der soziologischen Optik auf das Vertrauensphänomens unverzichtbar erscheinen. Zusammenfassend bekräftigt der bisher gewonnene Überblick erstens die Notwendigkeit, für die Thematisierung des Vertrauensphänomens verschiedene Ebenen zu unterscheiden. Dabei ist die grundlagentheoretische Perspektivierung des Themas vornehmlich durch eine entwicklungsgeschichtliche Optik sowie durch eine Theorie der modernen Gesellschaft zu ergänzen. In grundlagentheoretischer Hinsicht zielen die diesbezüglichen Beiträge insbesondere von Simmel und Schütz auf eine strukturtheoretische Analyse des Vertrauensphänomens. Auch wenn danach Vertrauen im Sinne persönlichen Vertrauens wohl nicht als transzendentale Bedingung der Möglichkeit jedweder Interaktion angesehen werden kann, so liegt auf dieser Reflexionsebene doch ein Rückbezug auf philosophisch-anthropologische Überlegungen etwa im Anschluss an Helmuth Plessner (1892–1985) nahe, die dazu angetan sind, eine Verortung des Vertrauensphänomens im Zuge einer Strukturanalyse menschlichen Weltverhältnisses vorzunehmen (vgl. Endreß 2001). Auf der Ebene der historischen Entwicklungstheorie ist im Anschluss an die Anregungen bei Simmel, Luhmann und Giddens zwar nicht von einem Prozess des Ersetzens von persönlichem durch generalisiertes, versachlichtes oder Systemvertrauen auszugehen, jedoch von einer Zunahme des Letzteren. Die Konturen dieser Entwicklung wären zu eruieren entweder in historischen Fallstudien (Zucker 1986), über eine Analyse historischer Semantiken, also des Sprachwandels als Indikator der soziokulturell imprägnierten Deutung des Sozialen (vgl. zum Risikobegriff Luhmann 2001: 146, 149) oder auch durch wissenssoziologische Reflexionen wie über die Verschiebung der

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Bedeutung von Hoffnung in den Bereich von Naturereignissen im Zuge der Einsicht in die nicht als gottgewollt, sondern aus menschlichem Handeln resultierende Gestaltung sozialer Ordnung (vgl. Sztompka 1995: 256). Schließlich ist für die Ebene einer Theorie der modernen Gesellschaft unter Aufnahme von Hinweisen vornehmlich bei Parsons und Giddens auf die wohl weiter wachsende Bedeutung sog. Vertrauensintermediäre und damit auf die Verortung des Vertrauensphänomens im Rahmen gesellschaftlicher Strukturveränderungen zu verweisen. Diese Problemdimensionierung in Grundlagen-, Entwicklungs- und Gesellschaftstheorie ist – zweitens – durch die idealtypische Unterscheidung zwischen einer Mikro-, Meso- und Makroebene der Emergenz des Sozialen zu ergänzen. Aufgrund dieser lassen sich in systematischer Absicht drei Stufen einer Bestimmung der ›Funktionalität‹ von Vertrauen unterscheiden: Neben der eines 1. funktional diffusen persönlichen Vertrauens im Rahmen dichter Sozialbeziehungen (Mikroebene), die eines 2. funktional spezifischen Vertrauens in professionellen, organisatorisch vermittelten Interaktionen, das auf die Kompetenzen einer Person setzt (Mesoebene), lässt sich die eines 3. funktional weitgehend entbundenen Vertrauens, eines institutionellen oder Systemvertrauens hinsichtlich der Erfüllung genereller Erwartungen identifizieren (Makroebene).37 Für diese Emergenzebenen sind dabei jeweils spezifische Prozesse der Vertrauensgenerierung zentral, die in Anlehnung an Zucker als »processbased«, »characteristic-based« und »institutional-based« beschrieben werden können (Zucker 1986: 53, 60ff., 100f.).38 Zucker zufolge kann ein Vertrauensaufbau 1. process-based sein, sich also durch eine interaktionsgeschichtliche Einbettung vollziehen, in deren Rahmen als beispielhafter Indikator das unmittelbar bekannte oder über Dritte mitgeteilte soziale Kapital bzw. die Reputation anderer Personen fungiert; er kann 2. characteristic-based sein, also sich über eine personale Einbettung vollziehen, in deren Rahmen als beispielhafte Indikatoren der familiäre Hintergrund oder die ethnische Zugehörigkeit wirksam werden; oder er kann 3. institutional-based verlaufen, d. h. im Zuge einer institutionellen, entweder akteurspezifischen oder über formale Mechanismen laufenden Einbettung. In diesem Fall

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fungieren als beispielhafte Indikatoren berufliche Zertifikate (Bildungspatente), gewährte Kredite, subkulturelle Mitgliedschaften oder professionelle Zugehörigkeiten. Kriterien, die Vertrauen jeweils zu einem verkaufbaren Produkt machen.39 Vor dem Hintergrund dieser analytischen Differenzierungen haben die folgenden Überlegungen zum Vertrauensphänomen in systematischer Absicht ihren Schwerpunkt auf der Ebene grundlagentheoretischer Erörterungen. Sie gliedern sich in drei Schritte: 1. im Anschluss an die Darlegung der systematisch leitenden Unterscheidung von reflexivem und fungierendem Vertrauen folgen zunächst weitere Klärungen des Vertrauensbegriffs hinsichtlich der Frage, ob es sich bei diesem Phänomen um ein Gefühl oder eine Erwartung handelt, die durch eine Typologie von vertrauensrelevanten Beziehungstypen abgerundet werden. Sodann werden 2. eine Verhältnisbestimmung zu benachbarten Phänomenen wie Hoffnung und Glaube unterbreitet, eine Abgrenzung von Zwangssituationen vorgenommen, die moralischen Implikationen des Vertrauens angeschnitten sowie Bemerkungen zum Phänomen des Misstrauens ergänzt. Die Überlegungen münden 3. in eine Erörterung des Problems der Institutionalisierung von Vertrauen und Misstrauen.

Fungierendes Vertrauen – reflexives Vertrauen Die für die nachfolgenden Argumentationen grundlegende, bereits mehrfach angeklungene These lautet, dass für eine adäquate Erörterung des Vertrauensphänomens in der Soziologie zwischen den Formen expliziten, thematisierten, reflexiven Vertrauens einerseits und impliziten, fungierenden Vertrauens andererseits unterschieden werden muss.40 Ist Ersteres zugeschnitten auf die Artikulation von Risikolagen oder Misstrauensunterstellungen, so Letzteres auf den Modus des Vertrauens als alles Verhalten und Handeln stillschweigend begleitende Interaktionsressource, d. h. als die weitgehend unthematisch bleibende Hintergrundannahme sozialen Handelns. Es muss also systematisch unterschieden werden zwischen der objektiven Risikohaftigkeit von Vertrauenssituationen einerseits und

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dem subjektiven Risikobewusstsein auf Seiten der beteiligten Akteure andererseits. Ersteres ist unumstritten, insofern missbrauchtes Vertrauen für Vertrauende regelmäßig zu negativen Konsequenzen führen dürfte. Letzteres hingegen ist ein auf spezifische soziale Situationen beschränkter Phänomentyp des Vertrauens, der nicht mit dessen Gesamttypik gleichgesetzt werden darf. Denn ein Zuschnitt des Phänomens auf den Typus reflexiven Vertrauens impliziert das ein- oder wechselseitige Kalkül von Sanktionspotenzialen, die ein- oder wechselseitige Abschätzung von Kosten-Nutzen-Relationen sowie die ein- oder wechselseitige explizite Kontrolle des Verhaltens und Handelns des- oder derjenigen anderen Akteure; und in allen drei Hinsichten widersprechen derartige Rationalitäten der Logik selbstverständlichen Vertrauens im Sinne eines fungierenden interaktiven Modus.41 Anzuzielen ist also eine strukturtheoretische Explikation des pragmatischen impliziten Modus des Vertrauens im Sinne fungierenden Vertrauens, die dessen präreflexive Wirksamkeit herausstellt. Diese verdankt sich stets konkreter Interaktionsgeschichten, die einen Kanalisierungseffekt für wechselseitige Orientierungen und Erwartungen von Akteuren implizieren.42 Dieser Typus fungierenden Vertrauens lässt sich gut an der ex ante-Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des Interaktionspartners verdeutlichen, die unter entscheidungstheoretischen Prämissen ein Schlüsselphänomen für die Vertrauensproblematik darstellt. Denn diesbezüglich weist Preisendörfer zu Recht darauf hin, dass ein im Sinne der Entscheidungstheorie rationaler Akteur zwar versuchen würde, »zur Abschätzung der Vertrauenswürdigkeit Informationen einzuholen«, dass aber genau dies »das Zustandekommen einer Vertrauensbeziehung eher behindern als fördern« dürfte (Preisendörfer 1995: 268). Im Rahmen ökonomisch orientierter Konzeptualisierungen des Vertrauensphänomens ist es jedoch einzig Oliver Williamson, der darauf hinweist, dass es sich bei der These, in ökomonischen Tauschprozessen sei der Typus kalkulierten Vertrauens relevant, um »a contradiction in terms« (Williamson 1993: 463, 485) und damit um einen Kategorienfehler handelt. Entsprechendes würde auch für mittels ökonomischer Kategorien mo-

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dellierte bzw. gedeutete Sozialsituationen gelten. So stellt Williamson klar: »The recent tendency for sociologists and economists alike to use the terms ›trust‹ and ›risk‹ interchangeably is […] ill-advised« (ebd.: 485). Die hier mit dem Begriff des ›fungierenden Vertrauens‹ im Anschluss an Überlegungen von Schütz, Garfinkel und Zucker beabsichtigte Explikation des Kernphänomens von Vertrauen lässt sich mit dem Begriff der ›pragmatischen Reflexivität‹ umschreiben. ›Pragmatische Reflexivität‹ meint eine den Vollzug des Handelns begleitende Form der Bewusstheit, ein Präsenzbewusstsein, dessen impliziter Charakter zwar handlungswirksam, aber keineswegs als explizites Reflexionsprodukt seinerseits Reflexionsgegenstand ist. Damit ist auf die Unterscheidung und das Verhältnis von explizitem und implizitem Wissen verwiesen, die entsprechend bei Schütz mit der Abgrenzung von »Wissen in der Hand« und »Wissen zur Hand« vorliegt. Der erste Begriff meint das stets mitschwingende Wissen, also die »integralen Bestandteile« jedes Wissens, insofern »kein Bewußtseinszustand vorgestellt werden kann, in dem diese Erfahrungen nicht gegenwärtig wären« (Schütz 1971c: 189ff.). Unter dem Stichwort des »Wissens in der Hand« wird somit ein Typus von Reflexivität angesprochen, der pragmatisch wirksam ist, d. h. fungiert.43 Dieser Umstand verweist auf ein prinzipiell gleichursprüngliches Konstitutionsverhältnis von Vertrauen und Vertrautheit, d. h. beide Phänomene sind als zirkulär aufeinander verweisend zu bestimmen. Denn es ist der grundlegend diakritische Charakter menschlichen Wahrnehmens, dass dieses also immer schon durch Schemata in soziokulturell spezifischer Weise strukturiert ist und sich somit notwendig stets typologisierend vollzieht, der eine Absage an jedwedes tabula-rasa-Modell völliger Fremdheit impliziert. Ungeachtet dieser Bestimmung des Kernphänomens des Vertrauens im Sinne seines fungierenden Charakters wäre es verkürzt, Vertrauen lediglich als ein Gefühl aufzufassen (vgl. Frevert 2000). Selbstverständlich hat Vertrauen auch eine ›affektive‹ oder ›intuitive‹ Basis (vgl. Lewis / Weigert 1985b; Dederichs 1997), aber das Phänomen auf diese Dimension zu reduzieren, greift systematisch zu kurz. Dies konnte bereits Simmel am Bei-

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spiel der Treue klarstellen: »Schon die reine begriffliche Struktur der Treue zeigt sie als einen soziologischen […] Affekt« (Simmel 1992: 658). D. h., analog zum Phänomen der Treue oder auch dem der Autorität haben wir es beim Vertrauen mit einem sozialen Zuschreibungsphänomen und nicht mit einer individuellen Eigenschaft zu tun. In soziologischer Perspektive ist Vertrauen als (implizite oder explizite) reziproke Orientierung von (mindestens zwei) Akteuren zu fassen, die auf einem (impliziten oder expliziten) gemeinsam geteilten Situationsverständnis beruht und in dadurch strukturierten Verhaltensweisen und Handlungen zum Ausdruck kommt, sich darin symbolisiert (vgl. Lewis / Weigert 1985b: 456). Im Rahmen einer soziologischen Thematisierung kann Vertrauen nicht auf die Einstellung oder das Gefühl einer Person zu einer anderen reduziert werden. Diese Bestimmung des Vertrauens erfordert eine weitere Reflexion hinsichtlich der Typik des mit ihm einhergehenden Erwartungscharakters. Vertrauen und Zuversicht werden zumeist als Einstellungsmodi begriffen, die Erwartungen hinsichtlich einer näheren oder weiteren Zukunft markieren (vgl. Luhmann 2001: 147). So ist man etwa zuversichtlich, eine übertragene Aufgabe bis zu dem dafür gesetzten Termin erledigen zu können oder einer bestimmten Anforderung oder Situation gewachsen zu sein, während man etwa darauf vertraut, dass der Computer beim Schreiben nicht abstürzt oder Frau und Tochter wieder gesund nach Hause kommen. Auch Gambetta argumentiert, dass »Vertrauen eine spezielle Erwartung bezüglich des wahrscheinlichen Verhaltens anderer« sei (Gambetta 2001: 210), aber offenkundig suggeriert diese Definition mehr Klarheit, als sie bei genauerer Analyse enthält. Denn der in dieser Bestimmung verwendete Erwartungsbegriff zeigt deutlich unterschiedliche Konturen, je nachdem, ob wir es mit der Erwartung zu tun haben, beim Bezahlen Rückgeld zu erhalten, oder mit der Erwartung, dass der Lebenspartner den alleinigen Urlaub nicht nutzt, um einen zu verlassen. Auch Ulrich Brinkmann und Matthias Seifert fassen »Vertrauen als plurale Erwartungshaltung« und wollen damit dessen Charakter »als multidimensionales Konstrukt« Rechnung tragen (Brinkmann / Seifert 2001: 24).

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Aber Vertrauen ist primär als Erwartungshaltung wohl nicht angemessen deutbar. Selbstverständlich bezieht sich Vertrauen auf Zukünftiges und die solchermaßen bezeichnete Haltung hinsichtlich einer näheren oder ferneren Zukunft impliziert Annahmen über den weiteren ›Gang der Dinge‹, die den Horizont des objektiv Möglichen weitgehend ausblenden: »to trust is to live as if certain rationally possible futures will not occur« (Lewis / Weigert 1985a: 969). Aber dieses ›als ob‹ umschreibt keine reflexiv gewonnene Hypothese über kommende Entwicklungen, sondern ist den implizit fungierenden Grundannahmen als Kern des Vertrauensphänomens immanent. Deshalb wird einem häufig erst durch einen erfolgten Vertrauensbruch deutlich, dass man vertraut hat. Und dies zeigt, dass sich Vertrauen hier gerade nicht mit spezifischen Erwartungen hinsichtlich spezifischer Situationen verbindet, diese also zumindest nicht reflexiv verfügbar sind (vgl. Blau 1967).

Intimbeziehung, Vertrauensbeziehung, Loyalitätsbeziehung: eine Typologie Diese systematische Positionsbestimmung hinsichtlich des Vertrauensphänomens kann durch eine Typologie ihre Abrundung erfahren, die eine Unterscheidung von drei Beziehungstypen und ihrer je unterschiedlichen Stellung zum Vertrauensphänomen nahelegt und solchermaßen das vorgestellte Argument abzustützen vermag. Danach kann zwischen Intim- bzw. Freundschafts-, Vertrauens- und Loyalitätsbeziehungen unterschieden werden: 1. Selbstverständlich beruhen Intim- oder Freundschaftsbeziehungen idealtypisch auf wechselseitigem Vertrauen der Beteiligten in- bzw. aufeinander. Aber dieses Vertrauen bildet die stets unthematische Ressource der jeweiligen Beziehungen, insofern die Thematisierung des Vertrauens bzw. der wechselseitigen Vertraubarkeit hier gerade als ein Krisenindikator zu werten wäre. Dieser Umstand eines fungierenden Vertrauens dokumentiert sich nicht zuletzt auf der Ebene der Alltagssprache, insofern die potenziellen Fragen temporale Indices tragen: ob dem Partner oder der Partnerin noch vertraut werden könne,

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oder ob er oder sie weiterhin vertrauenswürdig sei. Entsprechend sind eheliche, liebesförmige, lebenspartnerschaftliche oder freundschaftliche Verhältnisse adäquat nicht als Vertrauensbeziehungen zu bezeichnen. Denn konstitutiv für solche Beziehungen ist die das Aussprechen des Vertrauens überschreitende Zuneigung. Von diesem Beziehungstypus zu unterscheiden sind 2. Vertrauensbeziehungen. Diese konstituieren sich als wechselseitige zwar ebenso aufgrund positiver vergangener Erfahrungen – also aufgrund der Bewährtheit eines Verhältnisses, wie zwischen Unternehmen oder zwischen Arzt und Patient als Beispiel für professionelle Interaktionen – als auch generell zwischen Kooperationspartnern. Für diese Beziehungen ist aber das bewusst gesetzte Vertrauen in die Kompetenz, Arbeitsqualität und Zuverlässigkeit eines Dienstleistungsanbieters konstitutiv. Hinsichtlich dieses Beziehungstypus ist also eher von einer reflexiven Form, einem thematisierten Verhältnis ein- oder wechselseitigen Vertrauen-Könnens auszugehen, wobei Erfahrungen langer Bewährtheit dieses sehr wohl in einen fungierenden Modus überführen können und dies auch regelmäßig tun. Den beiden genannten Beziehungstypen gegenüber stehen schließlich 3. Loyalitätsbeziehungen. Konstitutiv für Beziehungen der Loyalität ist, dass sie idealtypisch gesehen auch weitgehend ohne Vertrauen bestehen können. So ist die Loyalität einer Führungsperson gegenüber unabhängig vom Vertrauen in deren Sachkompetenz oder Führungsqualitäten ebenso wie die Loyalität einer bediensteten Person ihrer Firma gegenüber zunächst unabhängig von der Solidität ihrer Geschäftspraktiken, der ethischen Vertretbarkeit ihrer Produkte oder dem Ansehen des Unternehmens ist (vgl. Hirschman 1974: 65ff.; Barbalet 1996: 79ff., 86f.). Alltagssprachlich und sachlich offenkundig ist die Nähe des Vertrauensbegriffs zu den ebenfalls zukunftsbezogenen Begriffen ›Hoffen‹ und ›Zuversichtlichsein‹. ›Zuversichtlichsein‹ drückt dabei ein höheres Maß an Gewissheit über den zukünftigen Gang der Dinge aus als ›Hoffen‹ (oder auch ›Glauben‹). Stärker wäre demgegenüber das ›Überzeugtsein‹ ebenso wie Situationen hinreichender Erwartbarkeit im Sinne eines Davon-Ausge-

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hens, Annehmens oder Unterstellens. Ein sowohl geringeres als auch ein zugleich höheres Maß an Gewissheit dürfte gegenüber der Zuversicht dagegen das Vertrauen beinhalten: ein geringeres Maß, insofern sein reflexiv verfügbarer Typus in den Blick tritt, ein höheres Maß im Hinblick auf die selbstverständliche Geltung von Hintergrundannahmen im Sinne fungierenden Vertrauens. So sollte im Unterschied zur Annahme von Stephan Wolff eher nicht von einem »Vertrauen in die Stetigkeit der ›Laufbahn‹ bei Beamten« (Wolff 1976: 66) gesprochen werden, da dieses aufgrund der Institutionalisierung des Laufbahnprinzips expliziter, reflexiv verfügbarer Bestandteil der Berufswahl und zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn nicht gar mit Sicherheit erwartbar ist. So erweist sich für jedes Vertrauen eine gewisse hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Erwarteten offenkundig als konstitutiv, sodass man – im Gegensatz zu Coleman (vgl. 1991: 123ff.) – die Teilnahme an einer Wette sinnvoll nicht mehr als Vertrauenshandlung, sondern als – zumal angesichts der faktischen Gewinnchancen – vage Hoffnung einstufen sollte. Der Begriff ›Hoffnung‹ ist hier deshalb angemessen, weil in dieser Situation keine andere Wahl bleibt, da eine gezielte handelnde Einflussnahme nicht im Bereich des Möglichen liegt. Diese reflexive Alternativenlosigkeit unterscheidet die Hoffnung vom reflexiven wie vom fungierenden Vertrauen, insofern bei Ersterem ein Akt rationaler Wahl, bei Letzterem der Vollzug gewachsenen Vertrauenkönnens konstitutiv ist; ganz im Sinne von Simmels Klarstellung, dass »der völlig Wissende […] nicht zu vertrauen« braucht, »der völlig Nichtwissende […] vernünftigerweise nicht einmal vertrauen« kann (Simmel 1992: 393). Im Gefolge dieser Abgrenzung ist eine weitere elementare Differenzierung zu berücksichtigen: die Abgrenzung des Vertrauens von Situationen struktureller Alternativenlosigkeit, also des Nicht-anders-Könnens, des verpflichtenden Zwangs, des Abhängigseins, des Müssens (vgl. Blau 1967: 91; Gambetta 2001: 213). Stehen einem Akteur selbst keine Handlungsalternativen offen, kann er nur hoffen, die entsprechende Situation einigermaßen unbeschädigt zu überstehen. Auf alltagssprachlicher Ebene sind es darüber hinaus insbe-

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sondere die dem Vertrauensbegriff als äquivalent begriffenen Umschreibungen des ›Sich-verlassens-Auf‹, des ›Auf-jemandenBauens‹ und des ›Versprechens‹, die geeignet sind, seine normativen Implikationen freizulegen. Vertrauen wird sozial als ein ›Sich-verlassen-Auf‹ ohne definitive Sicherheiten gedeutet, sodass seine Gewährung eine besondere Verpflichtung für den Vertrauensempfänger impliziert, dieses nicht zu enttäuschen. Umgekehrt hat man zugleich ›Anspruch‹ darauf, Vertrauen auch als solches entgegenzunehmen und sich z. B. nicht ständiger Kontrolle im Hinblick auf die Belange ausgesetzt zu sehen, für die einem Vertrauen geschenkt wurde. In Bezug auf diese normative Dimension von Vertrauen ist seit Simmels Bestimmung ein Konsens in der Disziplin dahingehend zu sehen, dass »in dem Vertrauen des Menschen auf den anderen […] ein ebenso hoher moralischer Wert [liegt], wie darin, daß diesem Vertrauen entsprochen wird« (Simmel 1992: 425; vgl. Parsons 1978; Goffman 1969: 228, 1981: 91; Barber 1983: 7). Allerdings ist hinsichtlich dieses disziplinären Konsenses über die normativen Implikationen des Vertrauens auch festzuhalten, dass Vertrauen und auch Vertrautheit keineswegs per definitionem Harmonie, Wohlbefinden, Geborgenheit, selbstverständlichen Konsens, unmittelbare Übereinstimmung, Kooperationsoptimierung etc. implizieren. Im Unterschied zu einer normativ aufgeladenen Überakzentuierung der Bedeutung von Vertrauen ist also daran zu erinnern, dass beide Begriffe in normativer Hinsicht strukturell neutral sind. Es ist jeweils der kritische Punkt zu beachten, an dem kooperations- und auch innovationsförderndes Vertrauen in die Apathie des Arrangements mit dem über lange Zeitspannen Eingewöhnten umschlägt, sodass man »a priori […] nicht immer feststellen [kann], ob größeres Vertrauen und [beispielsweise] mehr Kooperation tatsächlich wünschenswert sind« (Gambetta 2001: 206). So kann ein Zuviel an Vertrauen bzw. Vertrautheit mit etablierten Strukturen sich geradezu kontraproduktiv, sprich: innovationshemmend auswirken (Kern 1997: 279f.). Dieser Hinweis leitet zur Frage des Verhältnisses von Vertrauen und Misstrauen über. »Vertrauen ist eine eigenartige Überzeugung, die nicht auf Beweisen, sondern auf einem Mangel an Gegenbeweisen gründet

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– eine Eigenschaft, die es für mutwillige Zerstörung anfällig macht« (Gambetta 2001: 235). Diese Betonung der strukturellen Zerbrechlichkeit sozialer Strukturen (vgl. Fink-Heuberger 1997) verweist auf das Phänomen des Misstrauens. Misstrauen, das sich ganz grundsätzlich auf das Wissen um heterogene Relevanzen zurückführen lässt (vgl. Schütz, Garfinkel), ist als reflexive Einstellung zu begreifen. Dabei ist zwischen enttäuschtem Vertrauen bzw. partiell fehlendem Vertrauen und generellem Misstrauen zu unterscheiden. Ein Vertrauensverhältnis kann gestört sein, ohne dass dies sogleich ein prinzipielles Misstrauen nach sich ziehen muss, also der gesamte im Rahmen einer Interaktionsgeschichte aufgebaute Vertrauenskredit uno actu aufgebraucht würde. Misstrauen stellt sich regelmäßig erst dann ein, wenn sich die Vermutung verdichtet bzw. die Erwartung festsetzt, dass eine (einmalige) negative Erfahrung hinsichtlich einer bestimmten Person oder hinsichtlich eines bestimmten Situations- bzw. Interaktionstyps sich zukünftig wiederholen wird oder aber sich bereits wiederholt hat (vgl. Zucker 1986: 59). Vertrauen wie Misstrauen sind deshalb nicht nur hinsichtlich ihres komplexitätsreduzierenden Effekts funktional äquivalent (vgl. Luhmann 1989: 78), sondern ihre funktionale Äquivalenz bezieht sich auch darauf, dass beide Modi des Zugangs auf andere die systematisch auftretende und prinzipiell unüberwindliche Barriere immer schon hinter sich gelassen haben, die aufträte, wenn man von einer grundlegenden und für jeden anderen nicht zu entschlüsselnden Rätselhaftigkeit und Fremdartigkeit des jeweils anderen ausgehen müsste. Denn eine solche Annahme bzw. die aus ihr resultierende Situation würde konsequent in eine Paradoxie, in ein Sich-nicht-Ereignen von Sozialität führen. Empirisch bliebe hier zudem zu fragen, ob sinkendes ›System-‹ bzw. Institutionenvertrauen, persönliches Vertrauen, positive Zukunftsorientierung und soziales Engagement in irgendeiner signifikanten Weise miteinander korrelieren. Diese Unterstellung bildet regelmäßig das Fundament von Theorien des Sozialkapitals (vgl. Coleman, Putnam). Aber auch für die Vertrauensforschung gilt, dass die Rede von einem Vertrauensverlust in modernen Gesellschaften sorgfältig unterschieden werden muss

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von empirischen Beobachtungen steigenden Misstrauens (z. B. in die Glaubwürdigkeit und Gemeinwohlorientierung von Politikern) und Diagnosen oder Hypothesen eines fortschreitend steigenden Bedarfs an Vertrauen aufgrund zunehmend unübersichtlicher Handlungszusammenhänge (vgl. Hartmann 2001: 33).

Zur Institutionalisierung von Vertrauen und Misstrauen Diese eher zeitdiagnostisch zugeschnittene Beobachtung leitet über zu einer abschließenden Erörterung des Problems der Institutionalisierung von Vertrauen und Misstrauen. Dieses stellt sich auf allen Emergenzebenen des Sozialen: auf der Mikroebene etwa hinsichtlich des Abschlusses von Eheverträgen44 oder des Erbrechts hinsichtlich des Pflichtanteils der Kinder; auf der Mesoebene in Bezug auf Parteien und ihre Funktionäre sowie beispielsweise auch für Internettransaktionen45 und auf der Makroebene z. B. angesichts der Etablierung einer gesamtgesellschaftlichen Institutionenstruktur oder des Erhalts der Geldwertstabilität. Darüber hinaus sind institutionelle Formen der Abstützung von Vertrauen sowohl für vormoderne wie auch für moderne Gesellschaften zu identifizieren. In historischer Perspektive hält sich also die Struktur partieller institutioneller Absicherung des Vertrauens durch, lediglich ihre Typik (wie Mechanismen der Risikoabwägung bzw. -steuerung oder Orientierungsmaßstäbe zur Kalkulierbarkeit von Erwartungen) wandelt sich teilweise signifikant. Von besonderem Interesse ist im vorliegenden Zusammenhang ein spezifisches Institutionalisierungsparadox, dass Sztompka im Hinblick auf den politischen Bereich als »paradox of democracy« bezeichnet hat (Sztompka 1998: 25ff.; 1999: 141ff.). Hier konkretisiert sich der angesprochene Strukturzusammenhang vornehmlich in der Institutionalisierung des Prinzips prinzipieller Legitimationserfordernisse, in Gestalt von regelmäßigen allgemeinen Wahlen und der damit einhergehenden Festlegung zeitlich überschaubarer Legislaturperioden, in

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Form des Gewaltenteilungsprinzips mit einer unabhängigen Justiz, auf der Ebene innerparlamentarischer Kontrollmechanismen und -prozeduren sowie nicht zuletzt in der Einrichtung unabhängiger Medien.46 Dieses Paradoxon einer Institutionalisierung von Misstrauen als vertrauensbildender Maßnahme lässt sich über den engeren politischen Bereich hinaus generalisieren. Denn eine entsprechende Institutionalisierungslogik findet sich ebenso im rechtlichen Bereich z. B. in Gestalt von Revisionsverfahren und der anwaltlichen Verteidigung von Angeklagten oder im ökonomischen Bereich in Form der Einführung überregionaler Tarifvertragssysteme, von Mitbestimmungsregelungen und der Wahl von Betriebsräten. Generell lässt sich also die Leitidee dieses Institutionalisierungsparadoxes dahingehend bestimmen, dass die Institutionalisierung derartiger Misstrauensagenturen der Vertrauensstärkung in das parlamentarisch- bzw. liberal-demokratische System und seine Funktionssysteme in toto dient.47 Insgesamt wird damit deutlich, dass rechtliche, politische oder anderweitige institutionelle Mechanismen nicht nur eine Alternative zu Vertrauenskonstellationen bilden, sondern sie ebenso als Ressourcen, Voraussetzungen und unterstützende Rahmungen der Vertrauensbildung zu deuten sind. Beispiele dafür waren die von Sztompka skizzierten vertrauensfördernden institutionellen Bedingungen für den Aufbau einer Vertrauenskultur oder auch der Hinweis auf die Bedeutung rechtlicher Standardisierungen (wie DIN-Normen) für die Orientierung von Kunden. Zusammenfassend lassen sich hinsichtlich der Etablierung einer rechtsstaatlichen Ordnung die folgenden Aspekte eines komplexen Institutionalisierungsprozesses abheben: 1. die Institutionalisierung einer strukturellen Polyzentrik, d. h. einer pluralen Ressourcen- und Machtverteilung im Rahmen einer politischen Ordnung, die es hinlänglich vielen (individuellen und kollektiven) Akteuren ermöglicht, am politischen Prozess zu partizipieren; 2. die Institutionalisierung einer kontinuierlichen Vernetzung zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Machtzentren in Politik, Wirtschaft, Recht etc.; 3. die Institutionalisierung eines legitimen Raums der Artikulation und Reproduktion alternativer Öffentlichkeiten; 4. die Institutionalisierung auto-

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nomer Partizipations- und Einflusschancen alternativer Positionen am bzw. auf den politischen Prozess sowie 5. die Institutionalisierung von Mechanismen zum Einbau von Protestartikulationen und -symbolen in den ›offiziellen‹ politischen Prozess. In ihrem Zusammenhang stehen diese Prinzipien für die Institutionalisierung einer politischen Ordnung, die eine strukturelle Marginalisierung wie auch Ausgrenzung bestimmter sozialer Gruppen aus dem politischen Prozess zu verhindern geeignet erscheint (vgl. Eisenstadt 2001). Eine ergänzende Bemerkung hat dem potenziellen Entwicklungsszenario moderner Gesellschaften hinsichtlich ihrer Vertrauenstypik zu gelten. Wenn eine fortschreitend sich steigernde Komplexität retrospektiv wie prospektiv die Entwicklungsdynamiken von Gegenwartsgesellschaften angemessen auf den Begriff bringt, dann wird dieser Prozess einer graduell fortschreitenden Spezifizierung von Vertrautheitskontexten strukturell begleitet von einem expandierenden Sektor sog. »Vertrauensagenturen« bzw. »Vertrauensintermediäre« (Strasser / Voswinkel 1997: 226ff.; vgl. Giddens 1995: 43). Diese historisch zunehmende Entfaltung eines Systems institutioneller Vertrauensgeneratoren bildet den Kern des entwicklungsgeschichtlich zu differenzierenden gesellschaftlichen Umgangs mit Vertrauensproblemen und Misstrauen in modernen Gesellschaften. Institutionell über Agenturen wie Stiftung Warentest, den TÜV, Verbraucherzentralen oder Mietervereine vermitteltes Vertrauen folgt in seiner Struktur dabei dem angesprochenen Prinzip der Institutionalisierung von Misstrauen zur Vertrauensgenerierung. Abschließend lässt sich die allgemeine Stoßrichtung der vorstehend skizzierten Argumentation für die Grundlegung eines soziologischen Verständnisses des Vertrauensphänomens, das die zentrale Bedeutung des Vertrauens in seinem pragmatischfungierenden Charakter festmacht, folgendermaßen zusammenfassen: Sie richtet sich 1. gegen eine Überzeichnung des in modernen Gesellschaften sich entwickelnden Vertrauens auf abstrakte Systeme als eines historischen Strukturbruchs, 2. gegen eine risikotheoretische Zuspitzung des Verständnisses von Vertrauen vornehmlich im Rahmen von Rational-Choice-Theo-

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rien und 3. gegen die anthropologisierende Annahme eines jeder Sozialität gegenüber vorgängigen Ur-Vertrauens bzw. UrMisstrauens. Demgegenüber akzentuiert sie 4. mit Schütz in strukturtheoretischer Perspektive den Umstand, dass Vertrauen im Kern ein Phänomen der Sozialdimension bildet und damit 5. als reziproke Orientierung von Akteuren zu konzeptualisieren ist; sie verweist 6. auf den Typus fungierenden Vertrauens als das in Frage stehende Kernphänomen, 7. darauf, dass Vertrauen wie Misstrauen ihren Grund in konkreten Interaktionsgeschichten haben und schließlich 8. auf die strukturelle Unmöglichkeit, prinzipielles Vertrauen wie prinzipielles Misstrauen handlungspraktisch durchhalten zu können. Unter Aufnahme von Motiven bei Luhmann (1989: 8ff.) und Wolff (1976: 67ff.) kommt man aufgrund der Leitfrage Wem vertraue ich im Hinblick auf was und wie lange? zur Unterscheidung von sozialen, sachlichen und zeitlichen Problemaspekten des Vertrauensphänomens. In Aufnahme der vorhergehenden Argumentation lautete die Antwort auf diese Leitfrage: Vertrauen fungiert sozial als ein Mechanismus zur Unterbindung von Autismus, d. h. zur Ermöglichung komplexer Sozialität; Vertrauen fungiert sachlich als ein Mechanismus des Absehens von Mehrdeutigkeit bzw. Ambiguität, d. h. zur Ermöglichung typisch eindeutiger Interpretationen und Vertrauen fungiert zeitlich als ein Mechanismus der Ausblendung von Ambivalenz, d. h. des Stillstellens von Reflexivität. In diesem Sinne ermöglicht Vertrauen sozial den Aufbau stabiler Interaktionsordnungen als Rahmenbedingungen sozialen Handelns, sachlich die Reduktion von Komplexität und damit den Aufbau typisch strukturierter Orientierungsmodi sozialen Handelns und zeitlich das implizite Fungieren zentraler handlungsleitender Grundannahmen über die soziale Welt.

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Vgl. neben anderen Morton Deutsch (1958, 1960, 1962) und Erik Erikson (1973), der die Vertrauens-MisstrauensDifferenz als die grundlegende Dimension der psychosozialen Entwicklung des Menschen begreift. Dies u. a. im Hinblick auf die Frage, ob es eine ›natürliche‹ Neigung des Menschen zum Vertrauen oder Misstrauen gebe. Vgl. hier die Beiträge von Nicolai Hartmann (1962: Kap. 52), Otto Bollnow (1968, 1979) und Rudolf Schottlaender (1957). Um an dieser Stelle nur einige Hinweise zu geben: vgl. für die Ökonomie Albach 1980, Dasgupta 1988, Fukuyama 1995, Ripperger 1998; für die Organisationstheorie und -soziologie: Gondek et al. 1992, Heisig 1997, Heisig / Littek 1995, Lane / Bachmann 1998; für Pädagogik und Psychologie: Gennerich 2000, Koller 1992, 1997, Mielke 1991, Petermann 1996, Schweer 1997a, 1997b; für die Philosophie Baier 1986, Dunn 1993, Earle / Cvetkovich 1995, Hollis 1998, Seligman 1997; für die Politikwissenschaft Braithwaite / Levi 1998, Hardin 1991, 1992, 1996, 1998, 1999, 2000, Haungs 1990, Offe 1999, Warren 1999, und für die Soziologie Barber 1983, Coleman 1982, 1990, Giddens 1990, Luhmann 1989, Misztal 1998, Sztompka 1999. Im Falle von Luhmann bewirkte insbesondere die englischsprachige Publikation seiner frühen deutschen Studie zum Thema im Jahr 1979 einen Rezeptionsschub – zumindest im angelsächsischen Raum. Die im Anschluss an seine Verwendung insbesondere bei Pierre Bourdieu 1983, James Coleman 1988 und Robert D. Putnam 1994, 1995, 2000 intensiv geführte Diskussion bedürfte einer gesonderten Behandlung; vgl. zur weiteren Orientierung Sonja Haug 1997 und Alejandro Portes 1998. Zudem hätte sich eine weitergehende Interpretation zu fragen, ob Durkheim unter dem Stichwort der nichtvertraglichen Voraussetzungen des Vertrages letztlich weniger spezifische Aspekte des Vertrauensphänomens, son-

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dern eher elementare Reziprozitätsannahmen bzw. -unterstellungen thematisiert. Um dies an einem alltäglichen Beispiel zu verdeutlichen: Wenn man z. B. beim Einkaufen das Geld hinlegt, ohne bereits die Ware in eigenen Händen zu halten, dann sollte dies soziologisch nicht als Vertrauen gefasst werden, sondern als Reziprozitätsstruktur, für deren Realisierung gleichwohl selbstverständlich bestimmte wechselseitige Erwartungen fungieren, die sich der Vertrautheit mit entsprechenden Situationen verdanken. Im Hintergrund dieser Orientierung steht die »Entwicklung vom Substanzgeld zum Kreditgeld«, die ihrerseits einen Aspekt der »allgemeinen Entwicklung« bildet, »die auf jedem Gebiet und in jedem Sinn das Substanzielle in freischwebende Prozesse aufzulösen strebt« (Simmel 1989: 199). Hier artikuliert sich prägnant das für Simmel leitende Motiv, seine Soziologie als Prozessanalyse anzulegen und sich analytisch auf den ständig in Veränderung begriffenen Aggregatzustand des Sozialen zu konzentrieren. Ähnlich hatte Simmel schon in seiner Geldtheorie darauf hingewiesen, dass »mit der Vergrößerung des Wirtschaftskreises« folgender Prozess »Hand in Hand« gehe: »die gegenseitige Einsicht in die Verhältnisse wird unvollkommener, das Vertrauen bedingter, die Vollstreckbarkeit der Ansprüche unsicherer« (Simmel 1989: 220). In einem späten, seinen Ansatz zusammenfassenden Beitrag nimmt Tönnies diese Überlegungen Simmels auf und erläutert hinsichtlich der angeführten mittleren Ebene »versachlichten Vertrauens« (Tönnies 1931: 182), dass man hier, »was das Können betrifft, […] Grund [hat], daran zu glauben, weil es […] [die] Profession [der jeweils konsultierten Person] ist«, und, »was […] das Wollen anbetrifft, […] wir auf gewisse moralische Qualitäten und darauf [vertrauen], daß wenn [die betreffende Person] nicht ein Mindestmaß davon besäße, [sie] dies […] schon unmöglich gemacht hätte« (ebd.). Im Unterschied jedoch zu Tönnies’ Hinweis, dass dieses Vertrauen wesentlich getragen wird durch »das Vertrauen auf das regelmäßige und sichere, wenn auch sehr verschiedene Funktionieren der drei gro-

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ßen Systeme [von] […] Ordnung, Recht und Moral« (ebd.), bleibt Simmels Argumentation frei von jeder normativen Schließung. 9 Dieser Einsicht scheinen viele jüngere Bestimmungen des Vertrauens entweder zu widersprechen, für die Gambetta die generelle Annahme herausstellt, »dass Vertrauen besonders unter Bedingungen der Unwissenheit (oder Unsicherheit) relevant wird« (Gambetta 2001: 212), oder aber man muss unterstellen, dass in diesen Arbeiten ein im Unterschied zu Simmel gänzlich anderer Begriff des ›Wissens‹ leitend ist. Dabei handelte es sich dann um eine phänomenal äußerst fragwürdige Privilegierung eines szientifischen Wissensbegriffs, der für pragmatische Konstellationen des Alltags kaum angemessen scheint. 10 Ein weiterer theoretisch wie empirisch bemerkenswerter Umstand ist darin zu sehen, dass Simmel seine Erörterung des Vertrauensphänomens im Rahmen seines Kapitels »Das Geheimnis und die geheime Gesellschaft« plaziert (Simmel 1992: 383f.); vgl. dazu insbesondere seine Ausführungen zu jenem »ganz spezifischen Vertrauen«, das auf der »Fähigkeit des Schweigen-Könnens« beruht (ebd.: 424f.). Dieser Themenaspekt lenkt den Blick u. a. auf Vertrauensverhältnisse, die zum gemeinsamen Begehen von Straftaten, unmoralischen oder rechtswidrigen Handlungen eingegangen werden bzw. aus denen heraus entsprechenden Handlungen vollzogen werden, auch wenn sie nicht ursprünglich zu diesem Zweck entwickelt bzw. aufgebaut wurden; vgl. dazu Gambetta 1994 sowie Banfield 1958. 11 Den Gegenpol der von Tönnies im unmittelbaren Anschluss an Hobbes konzipierten scharfen Kritik an der modernen differenzierten ›Gesellschaft‹ bildet die Theorie der ›Gemeinschaft‹ (vgl. Tönnies 1988: 208), die ihr Paradigma im »Familienleben« findet, das »die substanzielle Basis menschlichen Zusammenlebens überhaupt« (ebd.: 185) und der »allgemeinste Ausdruck für die Realität von Gemeinschaft« sei (ebd.: 20; vgl. 7ff., 153, 170f., 212ff.). Für Tönnies sind Vertrauensverhältnisse deshalb ausschließlich auf der Grundlage der für Gemeinschaften typischen sozia-

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len und ökonomischen Bedingungen denkbar, in deren Rahmen sie sich geradezu natürlich, als selbstverständliche Nebenprodukte entwickeln: Sei »alles vertraute, heimliche, ausschließliche Zusammenleben« als »Gemeinschaft« zu verstehen, so die »Gesellschaft […] [als] bloßes Nebeneinander voneinander unabhängiger Personen« (ebd.: 3f.). Das Argument bleibt bei einseitig polemischer Zuspitzung stehen, einer Idealisierung des Typus der Gemeinschaft und einer Dämonisierung des der Gesellschaft (aktuell ähnlich: Fukuyama 1995). Die von Barbara Misztal vorgeschlagene Deutung von Webers Handlungstypologie im Hinblick auf die Phänomene des Vertrauens und der Vertrautheit scheint dagegen eher problematisch (vgl. Misztal 1998: 56f.) . So ist für den Typus traditionalen Handelns nämlich keineswegs der Umstand der Vertrautheit selbst konstitutiv, sondern der Charakter des Überliefertseins, also der durch die als relevant angesehene Geschichte ausgewiesene Legitimitätscharakter der Handlungsgründe. Das Kriterium der Vertrautheit liegt somit quer zu Webers Differenzierung, insofern diese etwa auch für den Umgang mit zweck- oder wertrationalen Orientierungsgründen des Handelns charakteristisch sein kann. Im Begriff ›Bekanntheitswissen‹ nimmt Schütz Simmels Einsicht über die allgemeine soziologische Form der ›Bekanntschaft‹ auf, derzufolge bei dieser das eigentlich Individuelle der Persönlichkeit ausgespart bleibt und »die Kenntnis des ›Daß‹, nicht des ›Was‹ der Persönlichkeit« relevant ist (Simmel 1992: 395). Und dieser Umstand bildet den grundlegenden Anstoß für die nachfolgend skizzierte Forschungsperspektive von Garfinkel. Methodisch versucht Garfinkel diese Ebene fungierenden Hintergrundwissens durch sog. »Krisenexperimente«, d. h. durch dessen gezielte experimentelle Verletzung und die Erzeugung situativen Misstrauens freizulegen (vgl. Garfinkel 1963: 200ff., 220ff.; 1967: 35ff.). Diesem methodischen Vorgehen ist die »dokumentarische Methode der Interpre-

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tation« als das Mittel zugeordnet, beobachtbare soziale Erscheinungen »as ›the document of‹, as ›pointing to‹, as ›standing on behalf of‹ a presupposed underlying pattern« deuten zu können (Garfinkel 1967: 78; vgl. Juchem 1988). Giddens nimmt dieses Prinzip der civil inattention insbesondere als »Vertrauen im Sinne eines ›Hintergrundsgeräusches‹« auf (Giddens 1995: 81f., 88). In diesem Zusammenhang kommt Luhmann zu Überlegungen hinsichtlich der Konsequenzen für moderne Gesellschaften, wie sie sich bereits bei Mannheim und Plessner finden, insofern ein Mangel an Zuversicht sozial zum Rückzug in Nischen führt, damit zur Retotalisierung kleiner Welten und zur Ausbildung fundamentalistischer Haltungen (vgl. Luhmann 2001: 157f.). Zudem verhindere ein Mangel an Vertrauen aktives Handeln und reduziere den Umfang der Möglichkeiten rationalen Handelns (vgl. ebd.: 158; dazu auch die gleichgerichtete Argumentation bei Sztompka 1995: 263). Der Begriff ›Systemvertrauen‹ wird von Luhmann später als »confidence«, also als Zuversicht gefasst. Für das Verhältnis von persönlichem und Systemvertrauen hält er fest: »Ein Mangel an Zuversicht kann […] einen Mangel an Vertrauen bedeuten«, sodass »Zuversicht […] eine der wesentlichen Bedingungen des Vertrauens« ist (Luhmann 2001: 157). Vgl. Gambettas kritische Deutung: »Zuversicht könnte im Sinne von Luhmann […] als eine Art des blinden Vertrauens definiert werden […] Mit anderen Worten: Zuversicht könnte auch einem Wunschdenken und einer Reduktion kognitiver Dissonanz entspringen; es wäre dann der Hoffnung ähnlicher als dem Vertrauen« (Gambetta 2001: 220). Zudem fällt auf, dass Luhmann die Unterscheidung von Zuversicht und Vertrauen durch eine Analyse ihres jeweiligen Bezuges auf Handlungsalternativen gewinnt (Luhmann 2001: 147ff.), er die Unterscheidung von Zuversicht und Vertrautheit hingegen als eine solche verschiedener Reflexivitätsgrade bzw. Selbstbezüglichkeitstypen entfaltet (ebd.: 151ff.). Beide Strategien werden nicht miteinander abgegolten.

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20 Diese Akzentuierung der positiven Bedeutung von sozialer Dichte bzw. Vernetzungen (Coleman 1991: 138f.), einer »fortdauernden Vertrautheit und Beständigkeit« von »festgefügten Gemeinschaften« (ebd.: 140ff.) für die Ausbildung von und die Annahme der Produktivität von Vertrauen, insofern es denen, die vertrauen »die Verwirklichung bestimmter Ziele, die ohne es nicht zu verwirklichen wären« (ebd.: 392) ermögliche, hat Horst Kern dahingehend eingeschränkt, dass »zu viel Vertrauen ins Vertraute […] eine außerordentlich unproduktive Sicht der Dinge ausdrücken, und ein Schuß mehr Mißtrauen […] produktiv sein [kann]« (Kern 1997: 280). Mit Blick auf Coleman identifiziert er geradezu eine »Romantisierung der vertrauensstiftenden Gemeinschaften« (ebd.: 281). 21 Dies verdeutlicht bereits Colemans Kernbeispiel des Eingehens einer Wette, bei der man ebenfalls über Gewinnchancen, Wetteinsatz (als dem möglichen Verlust) und Gewinnhöhe informiert ist. 22 Vergleichbare Argumentationen lassen sich hinsichtlich der beiden anderen von Coleman herangezogenen Beispiele, dem Farmerbeispiel und dem Mädchenbeispiel, entwickeln. 23 Wobei allerdings einzuräumen ist, dass die Zuschreibung einer höheren Sachkenntnis und Anwendungskompetenz des einen gegenüber einem anderen persönliche Konnotationen beinhaltet. Es handelt sich hier also um Vertrauen in Personen im Horizont des allgemeinen (übergeordneten) Vertrauens in das die jeweiligen Berufe konstituierende Spezialwissen. 24 Unklar bleibt bei Giddens gleichwohl die Verhältnisbestimmung von Zutrauen und Vertrauen. Einerseits argumentiert er, dass zum Vertrauen die Einstellung des Zutrauens gehöre (Giddens 1995: 29, 33), andererseits sei Vertrauen »ein besonderer Typus von Zutrauen« (ebd.: 47). Und an noch anderer Stelle liest man, dass Vertrauen »das Bindeglied zwischen Glauben und Zutrauen« sei (ebd.: 48f.). 25 Insgesamt verzeichnet Sztompka die folgenden sechs

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Punkte: Vertrauen 1. »bezieht sich auf menschliches Handeln«, 2. ist »auf unsichere Ereignisse gerichtet«, 3. ist »auf die kontingenten Handlungen anderer zurückzuführen«, 4. richtet sich nur auf das »Handeln anderer«, 5. impliziert das Eingehen einer »Verpflichtung« und ist mit der »Erwartung« vorteilhaften Handelns anderer für einen selbst verknüpft, 6. umfasst inhaltlich die Annahme der »Vertrauenswürdigkeit« anderer (Sztompka 1995: 256f.). Lediglich erwähnt seien die Unterscheidungen zwischen »horizontalem Vertrauen« in Freundschafts- und Bekanntenkreisen sowie freiwilligen Vereinigungen und »vertikalem Vertrauen« in Institutionen (Sztompka 1995: 263), diejenige zwischen »konzentriertem Vertrauen« mit eindeutigem, spezifischem Objektbezug und »diffusem Vertrauen« im Sinne einer nicht näher spezifizierbaren »Atmosphäre des Vertrauens oder des Misstrauens« (ebd.: 258f.) sowie diejenige zwischen einem direkten und einem indirekten Gerechtfertigtsein von Vertrauen (ebd.: 259): Vermittle sich direkte Vertrauenswürdigkeit durch »Ansehen« (soziales Kapital), so indirekte Vertrauenswürdigkeit durch (kolportierte) »Zuverlässigkeit«. Hier bringt Sztompka somit die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Erfahrung zur Anwendung. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Misztal in ihrem Kapitel »Trust as habitus« derart selbstverständlich an den Habitusbegriff Bourdieus anschließt, als ob dieser bei Bourdieu selbst eine auch nur annähernd klare Exposition erfahren hätte. Da wir es auch bei Internettransaktionen aber mit institutionell vermittelten Interaktionen zu tun haben, für die Ulrich Brinkmann und Matthias Seifert den schönen Titel »Face to Interface« gefunden haben, wären diese der hier vertretenen Auffassung zufolge eher auf der Mesoebene des Sozialen zu verorten, da sie »durch fehlende face-to-faceAbsicherungen gekennzeichnet« sind (Brinkmann / Seifert 2001: 32). Lediglich ergänzend verweist James Henslin zudem auf eine Reihe von Kriterien, die seitens des Fahrgasts für die

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Annahme der Vertrauenswürdigkeit des Taxifahrers zentral sind: die Voraussetzung der Wahl der günstigsten Route, das Absehen von Gewalthandlungen, die Unterstellung des Fahrenkönnens, die Länge der Zeitspanne zwischen Taxiruf und dessen Ankommen sowie auch die Identifizierbarkeit des Taxis aufgrund seiner Nummer (vgl. Henslin 1968: 152ff.). Insgesamt ergibt sich damit die komplexe Konstellation einer multidimensionalen Analytik auf seiten der Fahrer wie der Fahrgäste (vgl. ebd.: 155). Vgl. für das analoge Problem der Kundenorientierung aus ökonomischer Perspektive Plötner 1995 sowie generell zu der auf der Mesoebene relevanten strukturellen Abstützung von Vertrauensverhältnissen Shapiro 1987. Vgl. für das Beispiel der Internetverbreitung etwa Bornschier 2000; 2001. Vgl. für eine generelle Problemskizze Rose 1994, für eine jüngere empirische Analyse unter diesem Gesichtspunkt zum Bereich der ehemaligen DDR Gabriel 1999. Für die Bedeutung politischer Bewegungen und Clubs in der DDR, Polen und der ehemaligen Tschechoslowakei um 1989 / 90 vgl. Endreß 1998. Vgl. diesbezüglich die Rede von einer secondary society oder einer ›Parallelgesellschaft‹ bzw. parallel polis mit Blick auf die mittelosteuropäischen Transformationsgesellschaften insbesondere Polens, der Tschechoslowakei und der DDR. Für den Fall des zu über 90 Prozent katholischen Polens schlägt Sztompka hier einen »Rekurs auf die Religion« und die »dort betonte metaphysische Zuversicht« vor (Sztompka 1995: 274). Einen historischen Sonderfall stellt in dieser Hinsicht die DDR im Vergleich zu anderen mittelosteuropäischen Transformationsgesellschaften aufgrund des kontinuierlichen Zugangs der dortigen Bevölkerung zu den Westmedien vor der Vereinigung beider deutscher Staaten 1990 dar. So führt Ann-Mari Sellerberg am Beispiel des Einzelhandels z. B. die folgenden Aspekte an: rechtswirksamen Konsumentenschutz, präzise Etikettierung des Inhalts der Pro-

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dukte und das Selbstbedienungssystem mit seinen handlungsrelevanten Komponenten der eigenständigen Wahl zwischen Produkten und ihrer Sichtbarkeit (Sellerberg 1982: 42f.). Vgl. Gambetta 2001: 226ff. Dazu auch David Goods Hinweise auf die folgenden vertrauensaufbauenden Aspekte von Transaktionssituationen: langfristige Arrangements, Abwesenheit potenziell aggressiver Mittel, wechselseitig offenkundige Eindeutigkeit der Kooperationsgründe und sukzessive Erhöhung des im Zuge der Kooperation eingegangenen Risikos (vgl. Good 1988). Diese Differenzierung verdeutlicht unmittelbar die Grenze eines ausschließlich oder aber primär auf die Typik ›rational kalkulierten Vertrauens‹ zugeschnittenen Vorgehens. Denn im Unterschied etwa zu Rolf Ziegler (1997: 242) kann nicht davon gesprochen werden, dass die alltägliche Erörterung typischer Vertrauensbeziehungen sich in der Regel auf Situationen wie das ›symmetrische Gefangenendilemma‹ (also wechselseitig unkooperative Strategien) und die ›asymmetrische Situation‹ (also einseitig unkooperative Strategien) beziehen. Diese machen keineswegs den Kernbereich des Vertrauensphänomens aus! Im Übrigen lässt sich die vorgeschlagene Gliederung auch auf Luhmanns Unterscheidung von Sinndimensionen beziehen. Danach wäre das funktional diffuse Vertrauen der Sozialdimension das funktional spezifische der Sachdimension und das funktional entbundene der Zeitdimension zuzuordnen. Diese Unterscheidung von Prozessen der Vertrauensgenerierung gewinnt Zucker im Rahmen einer Untersuchung der Veränderung der institutionellen Grundlagen des ökonomischen Sektors in den Vereinigten Staaten. Wobei Zucker sich jedweder Annahme über einen möglichen evolutionären Wandel vom process-based über characteristic-based hin zum institutional-based Vertrauen enthält, sondern die ungebrochene Relevanz dieser Typen auch und gerade in modernen Gesellschaften betont (Zucker 1986: 65, 100), wenn auch historisch ein erheblicher Trend in Richtung des Typus institutional-based trust für ihren Unter-

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suchungsgegenstand identifiziert werden kann (vgl. ebd.: 82ff., 101). Mit dieser Unterscheidung wird die durch die klassischen Untersuchungen von Schütz und Garfinkel begründete und in den Arbeiten von Zucker verlängerte Unterscheidung zwischen Hintergrunderwartungen und konstitutiven Erwartungen in modifizierter Form aufgenommen; vgl. dazu die Erläuterung bei Zucker: »Constitutive expectations, because of their rule-like character, can be formally stated without major alteration in their exterior and objective quality; however background expectations cannot be explicitly stated without reducing their taken for granted character as ›something everybody knows‹. Hence, whether background expectations are highly institutionalized or not, trust resting on them will tend to be created by informal mechanisms, thereby kept implicit. The very act of making these background expectations explicit, such as by using formal mechanisms, may have the effect of de-institutionalizing them« (Zucker 1986: 103 Anm. 10). Vgl. auch Preisendörfer 1995: 268. Entsprechend hat auch Luhmann hinsichtlich des Kontrollaspekts auf die vorrangige Bedeutung »symbolischer Kontrolle« hingewiesen (vgl. Luhmann 1989: 23ff.; zum Kontrollaspekt Shapiro 1987). Hinsichtlich der von Lenin überlieferten Formel, dass Vertrauen gut, Kontrolle hingegen besser sei, ist also nicht zuletzt auf die jede Form von Kontrolle implizierenden Kontrollkosten hinzuweisen, zu denen eben nicht zuletzt der Verlust von Vertrauensverhältnissen zu zählen sein dürfte. Vgl. hinsichtlich dieses Kanalisierungseffektes u. a. die Untersuchung von Judith Treas, derzufolge der Entschluss zur Führung gemeinsamer Bankkonten bei Ehepartnern, die eine oder mehrere Scheidungen hinter sich haben, deutlicher seltener auftritt (vgl. Treas 1993). Dem hier verfolgten Argument nach wäre auch das sog. Ur-Vertrauen (vgl. Erikson 1973) als Interaktionsprodukt zu fassen. Die Leitdifferenz zwischen reflexivem und fungierendem Vertrauen lässt sich gut anhand des Hinweises von Hirschman veranschaulichen, dass der »Geschmack, über den

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man streitet, sei es mit anderen oder mit sich selbst, […] eben deswegen auf[hört], bloßer Geschmack zu sein« (Hirschmann 1993: 229). De gustibus non est disputandum. Analog könnte man formulieren, dass Vertrauen, sobald man es thematisiert, aus diesem Grunde aufhört, bloßes Vertrauen zu sein. Die leitende Argumentationsfigur zielt auf den Anreicherungseffekt von Praxis, darauf also, dass es sich bei praktischen Modi um Ressourcen handelt, die sich durch Gebrauch nicht aufbrauchen. Während im Falle praktischer Tätigkeiten jedoch der Effekt des Übens zur fortgesetzten Steigerung der Geschicklichkeit führt oder zumindest führen kann, sind im Falle des Vertrauens (oder auch anderer ›sozialer‹ Einstellungen) sog. Grenzwertigkeiten zu beachten (vgl. ebd.: 241). So formulierte bereits Simmel: »Das stärkste äußere Fixierungsmaß innerlich variabler Verhältnisse ist offenbar das rechtliche: die Eheform, die den Wandlungen des personalen Verhältnisses ganz unnachgiebig gegenübersteht« (Simmel 1992: 659). In diesem Sinne wäre die Ehe als »institutionalisiertes Vertrauensverhältnis« (Antfang / Urban 1994: 19) zu fassen. Vgl. dazu die aufschlussreichen Hinweise bei Brinkmann und Seifert auf die Institutionalisierung von »fünf vertrauenstiftende[n] Kontroll- und Regulationsformen« für Internet-Auktionäre (Brinkmann / Seifert 2001: 28ff.). Demgegenüber kann Sztompkas »second paradox of democracy«, wonach es eine enge kritische Grenze der faktischen Aktualisierung institutionalisierter Misstrauensartikulationen gebe, in dieser Allgemeinheit weniger überzeugen. Hier wäre hinsichtlich der unterschiedlichen Mechanismen demokratischer politischer Prozesse deutlich zu differenzieren. So zeigt Herbert Döring, dass aufgrund von Daten aus dem Jahr 1981 in neun westeuropäischen Staaten höhere Bildung zwar mit größerer genereller Institutionenskepsis verbunden war, jedoch mit Ausnahme der drei Institutionen Parlament, Justiz und Presse (vgl. Döring 1990: 88; vgl. auch die Ergebnisse bei Gabriel 1999). Und er verweist

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aufgrund dieser Resultate auf die Möglichkeit einer positiven Deutung niedrigen Institutionenvertrauens in westlichen Demokratien. Schließlich lässt sich in diesem Zusammenhang auch die verbreitete Annahme erwähnen, dass erst ein zweimal erfolgter Regierungswechsel Ausweis für die Stabilität demokratischer Regime ist, d. h. ein zweifacher Misstrauenserweis als Vertrauensindikator fungiert.

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