Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht: Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Arztwahlfreiheit der Versicherten [1 ed.] 9783428532179, 9783428132171

Während bislang in Abhandlungen zur gesetzlichen Krankenversicherung meist speziell Rechtspositionen von Vertrags(zahn)ä

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Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht: Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Arztwahlfreiheit der Versicherten [1 ed.]
 9783428532179, 9783428132171

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 17 HELGE SODAN

Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Arztwahlfreiheit der Versicherten

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

HELGE SODAN

Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 17 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR), Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

HELGE SODAN

Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten im Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Arztwahlfreiheit der Versicherten

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-13217-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das den größten Teil der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland pflichtweise einbeziehende System der gesetzlichen Krankenversicherung ist aus vielfältigen medizinischen, sozialen, ökonomischen und verwaltungstechnischen Gründen in eine finanzielle Schieflage geraten. In dem Bestreben, das bestehende System zu erhalten und staatlicherseits zu steuern, wird die (zahn)ärztliche Berufsausübung an Vorgaben und Genehmigungsvorbehalte geknüpft. Wichtigstes Instrumentarium zur staatlichen Regulierung ist die Einbindung von Ärzten und Zahnärzten in ein eigenständiges Vertrags(zahn)arztrecht. Das Mitwirken in diesem System begründet einerseits die unmittelbare Verpflichtung zur Beachtung der staatlichen Behandlungs- und Rationierungsvorgaben und ist andererseits für einen niedergelassenen Arzt oder Zahnarzt regelmäßig aus ökonomischen Gründen unerläßlich. Das Fundament für die staatliche Einflußnahme, die grundsätzlich keine individualvertraglichen Abweichungen erlaubt, ist das sog. Sachleistungsprinzip, welches das Behandlungsverhältnis zwischen dem Arzt bzw. Zahnarzt und seinem Patienten in ein Netz sozialrechtlicher Regelungen einbettet und dem Versicherten den Arzt bzw. Zahnarzt als Vertragspartner entzieht. Während bislang in Abhandlungen zur gesetzlichen Krankenversicherung meist speziell Rechtspositionen von Vertrags(zahn)ärzten wissenschaftlich thematisiert wurden, geht es der vorliegenden Schrift darum aufzuzeigen, wie eng Probleme des Vertrags(zahn)arztrechts mit rechtlich geschützten Interessen betroffener Patienten verknüpft sind. Die Arbeit untersucht daher das für Vertrags(zahn)ärzte und ihre Patienten bestehende Spannungsfeld von Sozial-, Verfassungs- und Europarecht. Einen Schwerpunkt bilden dabei Erörterungen der Frage, ob das bestehende sozialrechtliche Regelwerk die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Freiheit der Arztwahl hinreichend beachtet und gegebenenfalls eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Vorschriften möglich sowie geboten ist. Die kritische Analyse ausgewählter Regelungskomplexe soll den Blick dafür schärfen, daß das Gesundheitsrecht in seinem Kern nämlich gerade im Hinblick auf die gesetzliche Krankenversicherung nach wie vor „ein um sich selbst kreisendes Sonderrecht“ ist (so bereits E. Schmidt-Aßmann, Verfassungsfragen der Gesundheitsreform, in: NJW 2004, S. 1689 [1690]). Ein Sonderrecht, in dem die in anderen Rechtsbereichen angewandten Grundrechtsstandards nicht oder nur bedingt gelten sollen, ist jedoch ein Fremdkörper in einer Rechtsordnung, die zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien und damit auch zur Beachtung des Grundsatzes der Widerspruchsfreiheit verpflichtet ist.

6

Vorwort

Für sehr wertvolle und ausdauernde Unterstützung danke ich herzlich Herrn Daniel Ammann, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Institut für Gesundheitsrecht (DIGR) tätig ist. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Dr. Florian R. Simon (LL.M.) und Frau Heike Frank, Duncker & Humblot GmbH, für die Veröffentlichung der Arbeit und darüber hinaus für die intensive Förderung der sich beständig erweiternden „Schriften zum Gesundheitsrecht“. Berlin, im Juni 2009

Helge Sodan

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einleitung

15

Zweiter Teil Die sozialrechtliche Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand der Verfassung

18

A. Der Arzt- bzw. Zahnarztberuf im Gefüge des Sozialversicherungsrechts . . . . . . . . . . . 18 B. Grundrechtsschutz vertrags(zahn)ärztlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Schutzbereich der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Schutzbereich der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 C. Allgemeine verfassungsrechtliche Maßstäbe im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Eingriffscharakter des gegenwärtigen Ausgestaltungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Eingriff in die Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Eingriff in die Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3. Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des gegenwärtigen Ausgestaltungsmodells . 29 1. Formell-verfassungsrechtliche Grenzen im Krankenversicherungswesen . . . . . 29 a) Gesetzgebungskompetenzen des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 aa) Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 bb) Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 cc) Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Gesetzgebungskompetenzen der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

8

Inhaltsverzeichnis 2. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Beurteilung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Zielsetzung und Geeignetheit der Statuierung eines auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Krankenversicherungssystems . . . . . . . . . . 38 b) Erforderlichkeit des Sachleistungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 bb) Exkurs: Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als verfassungsimmanente Einschränkung der Berufsfreiheit? . . . . . . . . . . . 42 b) Beurteilung am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts am Beispiel von Höchstaltersgrenzen für Vertrags(zahn)ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Beurteilung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Eingriffsqualität vertrags(zahn)ärztlicher Höchstaltersgrenzen . . . . . . . . . . . . . 49 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Verhältnismäßigkeitsprüfung am Maßstab des behandlungsbezogenen Argumentationsstranges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 bb) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Verhältnismäßigkeitsprüfung am Maßstab des systembedingten Argumentationsstranges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Standpunkt des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Bewertung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 III. Beurteilung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 IV. Bewertung am Maßstab der Richtlinie 2000/78/EG („Antidiskriminierungsrichtlinie“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Vereinbarkeit von Höchstaltersgrenzen mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Eröffnung des Anwendungsbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Inhaltsverzeichnis

9

b) Diskriminierung, Rechtfertigung und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Vereinbarkeit von Höchstaltersgrenzen mit der „Antidiskriminierungsrichtlinie“ 65 a) Eröffnung des Anwendungsbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Diskriminierung und fehlende Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Diskriminierungsfreie Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Gemeinschaftsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Anwendbarkeit der Richtlinie im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Inhaltliche Unbedingtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Hinreichende Genauigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 V. Beurteilung am Maßstab der Art. 49 ff. EGV (Dienstleistungsfreiheit) und unter dem Gesichtspunkt der „Inländerdiskriminierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Problemaufriß: „Indirekte Inländerdiskriminierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Prüfungsmaßstab: Gemeinschaftsrecht oder Verfassungsrecht? . . . . . . . . . . . . . 74 E. Gesamtergebnis für die verfassungsrechtliche Betrachtung am Maßstab der leistungserbringerbezogenen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Dritter Teil Die sozialrechtliche Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand der Verfassung

78

A. Selbstbestimmungsrecht im Behandlungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Grundrechtlicher Schutz und Eingriffsproblematik der Pflichtmitgliedschaft . . . . 80 II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Pflichtmitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Selbstbestimmungsrecht bei der Anbahnung eines Behandlungsverhältnisses . . . . . . . 85 I. Annäherungen an den Grundrechtsgehalt der Arztwahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Sozialethische Komponente der Arztwahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Grundrechtlicher Schutz der Arztwahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Eingriffscharakter der gegenwärtigen sozialrechtlichen Ausgestaltung der Arztwahl„freiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Arztwahl nur unter Sozialrechtsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Systemimmanente Lockerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

10

Inhaltsverzeichnis 3. Eingriffsqualität des Sozialrechtsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Wahleinschränkungen . . . . . . . . . . . . . 95 1. Geeignetheit zur Verfolgung eines legitimen Zwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Erforderlichkeit der Arztwahlbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Grundsatz der individuellen Maßstabswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Operationalisierung in bezug auf sozialrechtliche Wahlfreiheiten – zugleich eine rechtsvergleichende Analyse zum österreichischen allgemeinen Sozialversicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 IV. Möglichkeiten einer geltungserhaltenden Auslegung bestehender sozialrechtlicher Arztwahlbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Wahlarztbehandlung über Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Normativ-ökonomische Einschränkungen der Kostenerstattungsoption . . . . 99 b) Verfassungskonforme Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 2 Sätze 6 und 7 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Sonderproblematik des kollektiven Systemausstiegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Die Behandlungsmöglichkeiten eines am kollektiven Systemausstieg teilnehmenden Vertrags(zahn)arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Verhältnismäßigkeitsprüfung des Wahlausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

C. Gesamtergebnis für die verfassungsrechtliche Betrachtung am Maßstab der leistungserbringerbezogenen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Vierter Teil Zusammenfassung in Leitsätzen

109

A. Zur sozialrechtlichen Stellung der Vertrags(zahn)ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Allgemeine verfassungsrechtliche Betrachtung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Verfassungsrechtliche Beurteilung einer Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 B. Zur sozialrechtlichen Stellung der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. ABl. EG Abs. a. F. AGG AN AöR Art. Ärzte-ZV ASVG Aufl. Ausschußdrs. AVWG Az. BAG BB Bd. BGBl. BGH BGHZ BKK BSG BSGE BT-Drs. Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BverwGE CDU CSU ders. DÖV DVBl. EG EGMR EGV EL EuGH EuGRZ

anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz alte Fassung Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Artikel Zulassungsverordnung für Vertragsärzte Allgemeines Sozialversicherungsgesetz Auflage Ausschußdrucksache Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Betriebskrankenkasse Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Drucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern derselbe Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Ergänzungslieferung Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift

12 EuZW EWG f., ff. FDP FS GesR GG GKV GKV-OrgWG

Abkürzungsverzeichnis

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende Freie Demokratische Partei Festschrift GesundheitsRecht (Zeitschrift) Grundgesetz Gesetzliche Krankenversicherung Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-WSG Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) Halbbd. Halbband Hrsg. Herausgeber JuS Juristische Schulung (Zeitschrift) Kammerbeschl. Kammerbeschluß KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft LG Landgericht lit. Litera LSG Landessozialgericht MBO-Ä (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte MDR Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) MedR Medizinrecht (Zeitschrift) m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht OVG Oberverwaltungsgericht para. Paragraph (im US-amerik. Recht) RDA Recht der Arbeit (Zeitschrift) RL Richtlinie Rn. Randnummer S. Seite Sec. Section (im U-amerik. Recht) SF Sozialer Fortschritt (Zeitschrift) SGB Sozialgesetzbuch Slg. Sammlung sog. sogenannt SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands st. Rspr. ständige Rechtsprechung URL Uniform Resource Locator VÄndG Vertragsarztrechtsänderungsgesetz Var. Variante vgl. vergleiche VGH BY Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes Vorb. Vorbemerkungen

Abkürzungsverzeichnis VSSR VVDStRL Zahnärzte-ZV ZESAR ZfMP ZHG ZM ZRP ZSR

Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Medizinische Psychologie Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde Zahnärztliche Mitteilungen (Zeitschrift) Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Sozialreform

13

Erster Teil

Einleitung Die Beziehung zwischen einem Arzt und seinem Patienten als das zentrale Element medizinischen Handelns ist wie kaum eine andere Rechtsbeziehung von einem ausgeprägten Vertrauensverhältnis gekennzeichnet. Schließlich erwartet ein Patient von seinem Arzt mehr als das bloße Erbringen einer Gesundheitsdienstleistung. Er begegnet dem Arzt als Hilfesuchender in einer häufig existentiellen Notlage und ist getragen von dem Vertrauen, daß der Arzt dank seiner Fachkompetenz die Krankheit zu heilen und die Beschwerden zu lindern vermag. Aufgrund seiner Erkrankung ist der Patient verletzlich, von anderen abhängig und folglich in einer schwachen Position. Nicht zuletzt aus diesem Grunde entspricht es der gesellschaftlichen Erwartung, daß sich der Arzt dem Patienten persönlich zuwendet, sich in das Erleben des Kranken einfühlt sowie Not und Bedrängnis des kranken Menschen versteht. Zum Wesen der Heilkunde gehört also eine emotionale Komponente, ohne die ein heilkundlicher Erfolg kaum denkbar ist. Die realpolitischen Vorgaben hingegen werden dem kulturellen Anspruch, wonach ein Arzt in seiner unvertretbaren Individualität die ungeteilte Verantwortung trägt und dessen Tun zugleich durch den Patienten und sein Vertrauen legitimiert ist, nicht gerecht. Hintergrund sind zum einen die sozialstrukturellen Maßnahmen, die in Form von Rechtsnormen, Verwaltungsvorschriften, Richt- und Leitlinien, die mal mehr und mal weniger verbindlich, jedoch unter haftungsrechtlichen Aspekten faktisch immer relevant, ärztliches Handeln schematisieren und determinieren. Zu Recht wird befürchtet, daß ein eingeübter schematischer Behandlungsautomatismus die eigenverantwortliche Auseinandersetzung des Arztes mit seinem Patienten im Rahmen seiner freiberuflichen Tätigkeit ersetzt. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer „Defensivmedizin“. Darüber hinaus ist fraglich, ob sich das nach Ansicht des Bundessozialgerichts für die erfolgreiche Behandlung so unerläßliche Vertrauen auch in einem von steuernden Außeneinflüssen maßgeblich gekennzeichneten Verhältnis entwickeln kann. Es gibt noch eine weitere Komponente des Vertrauensverhältnisses, die, obwohl sie in ihrer Notwendigkeit augenscheinlich unerläßlich ist, Gegenstand regulierender staatsmedizinischer Mechanismen ist. Die Rede ist von der Wahl des Arztes durch den Patienten. Nur auf den ersten Blick scheint diese Wahl durch § 76 SGB V garantiert zu sein. Liest man sich die besagte Norm jedoch genauer durch, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die offizielle Überschrift nicht das hält, was sie verspricht. Denn in Anspruch genommen werden können nur solche Ärzte und Zahnärzte sowie Psycho-

16

1. Teil: Einleitung

therapeuten (vgl. § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V), welche die Berechtigung haben, am vertrags(zahn)ärztlichen Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung teilzunehmen; die Inanspruchnahme von außerhalb des Vertrags(zahn)arztsystems stehenden Leistungserbringern kommt für den gesetzlich Versicherten nicht in Betracht, es sei denn, daß dieser bereit ist, die Kosten im Wege einer privat(zahn)ärztlichen Abrechnung selbst zu übernehmen. Dies betrifft vornehmlich diejenigen privatärztlich tätigen Freiberufler, die das Zulassungsverfahren nach § 95 Abs. 2 SGB i. V. m. den §§ 18 ff. Ärzte-ZV beispielsweise mangels Bewerbung oder bestehender Zulassungsbeschränkungen (vgl. § 103 SGB V) nie durchlaufen oder nicht erfolgreich beendet haben. Bis zur Neuregelung des § 95 Abs. 7 und 9 SGB V durch Art. 1i des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15. Dezember 20081, die mit Wirkung vom 1. Oktober 2008 in Kraft trat (vgl. Art. 7 Abs. 3 GKV-OrgWG), waren darüber hinaus jene Vertragsärzte von der Arztwahl des Versicherten ausgeschlossen, die aufgrund der Vollendung des 68. Lebensjahres von der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung automatisch, d. h. ohne administrativen Umsetzungsakt, gemäß § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. entbunden wurden. Langjährig verfestigte Vertrauensverhältnisse zwischen dem Arzt und seinem Patienten wurden so abrupt beendet. Obwohl es Ärzten und Zahnärzten nun wieder möglich ist, auch nach Erreichen des 68. Lebensjahres weiter vertrags(zahn)ärztlich tätig zu sein, hat dieser sozialrechtliche Eingriff einen massiven Vertrauensbruch zwischen Leistungserbringern und Gesetzgebern hinterlassen. Indes beanstandete das Bundesverfassungsgericht eine generalisierende Höchstaltersgrenze und die damit verbundenen Eingriffe in die berufliche Tätigkeit und die Freiheit der Arztwahl des Versicherten nicht.2 Es entschied, daß das gesetzgeberische Vorgehen als Modus zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten keinen verfassungsrechtlichen, insbesondere grundrechtlichen, Bedenken begegne. Aufgrund der höchstrichterlichen Absegnung des sozialgesetzgeberischen Wirkens bleibt eine generalisierende Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte als potentielles Mittel im „Waffenschrank“ des Gesetzgebers erhalten, der diese Grenze je nach politischer Opportunität eines Tages wiederbeleben könnte. Vor dem Hintergrund, daß etwa 90 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland in den Versicherungsschutz durch die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen sind, ist ein Arzt in der Regel darauf angewiesen, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Die eigenständige Zulassung als Vertrags(zahn)arzt wirkt sich für den niedergelassenen Freiberufler regelmäßig wie eine zur Approbation hinzutretende zweite Berufszulassung aus. Diese begegnet vor allem dann verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber Zulassungsbeschränkungen und Berufsausübungsregelungen für seine von Rationalisierung und Ökonomisierung geprägten Systemrettungsversuche instrumentalisiert. Kennzeich1

BGBl. I S. 2426. BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1998, S. 1776 (1777); wiederholt in: BVerfG (Kammerbeschl.), NZS 2008, S. 311 (312). 2

1. Teil: Einleitung

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nend für diese Philosophie ist etwa die Aussage der Bundesgesundheitsministerin Schmidt in einer Presseerklärung zum Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung3, wonach „der Arzt […] aufgefordert [ist], an der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit mitzuwirken“4. Weitergehend ist in diesem Zusammenhang etwa die Entwicklung eines auf Austauschbarkeit der persönlichen Leistungen beruhenden und sich streng an sozialrechtliche Vorgaben haltenden Modells medizinischer Versorgungszentren (vgl. § 95 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB V) zu nennen. Insgesamt werden Ärzte und Patienten in ein überreguliertes System eingegliedert, das sie zumeist nicht freiwillig gewählt haben und das die typisch paternalistischen Züge der Kollektivversorgung trägt. Inwiefern den staatlichen Bestrebungen zur Versozialrechtlisierung verfassungs- und europarechtliche Vorgaben entgegenstehen, soll Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein. Zunächst werden dabei die mit der Statuierung eines eigenständigen Vertragsarztrechts einhergehenden allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtsprobleme beleuchtet sowie Grenzen des Gesetzgebers in formeller und materieller Hinsicht aufgezeigt. Anknüpfungspunkte sind die grundrechtlich geschützten Positionen der freiberuflich tätigen Ärzteschaft; auch die bereits angesprochene Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte wird unter verfassungs- und europarechtlichen Gesichtspunkten analysiert, da diese als Regelungsoption nach wie vor virulent bleibt. Im Anschluß daran werden die durch die sozialrechtliche Überlagerung betroffenen Grundrechte des Patienten thematisiert. Insbesondere soll den Fragen nachgegangen werden, inwiefern sich eine für weite Teile der Bevölkerung zwangsweise erfolgende Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung mit verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbaren läßt und inwiefern die Arztwahlfreiheit des Patienten verfassungsrechtlich verankert werden kann. Daran anknüpfend wird die Frage aufgeworfen werden, ob das bestehende sozialrechtliche Regelwerk die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Freiheit der Arztwahl hinreichend beachtet und gegebenenfalls eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Vorschriften möglich sowie geboten ist. Den Abschluß der Untersuchung bildet eine Zusammenfassung in Form von Leitsätzen.

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BGBl. 2006 I S. 984. Siehe unter der URL http://www.forium.de/redaktion/gesetz-zur-verbesserung-der-wirtschaftlichkeit-in-der-arzneimittelversorgung/. 4

Zweiter Teil

Die sozialrechtliche Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand der Verfassung A. Der Arzt- bzw. Zahnarztberuf im Gefüge des Sozialversicherungsrechts Die wesentlichen Prinzipien des Bismarckschen Sozialsicherungssystems – Pflichtversicherung mit öffentlich-rechtlicher Organisation auf der Grundlage einer Selbstverwaltung mit staatlicher Aufsicht, gemeinsame Finanzierung durch von Arbeitern und Arbeitgebern aufgebrachte Beiträge sowie Realisierung des Leistungsanspruchs im Versicherungsfall durch öffentlich-rechtliche Normen – bestimmen auch heute noch das gesetzliche Krankenversicherungsrecht.1 Geändert hat sich allerdings der Anteil der dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem zugeordneten Personen. War zum Zeitpunkt der Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung nur ein kleiner tatsächlich schutzbedürftiger Personenkreis der Arbeiter in das Versicherungssystem einbezogen (etwa 14,4 Prozent der Bevölkerung2), sind im Laufe der Jahrzehnte immer größere Teile der Bevölkerung der Pflichtversicherung unterworfen worden. Mittlerweile ist der Anteil auf rund 90 Prozent gestiegen, obwohl dies der ursprünglichen Konzeption von der Abwendung eines Falls in die Armenfürsorge widerspricht. Um immer weitere Teile der Bevölkerung in dieses System zu integrieren, wurden beständig die Versicherungspflichtgrenzen angehoben. Geht man davon aus, daß im Gegensatz zum Zeitpunkt der Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahre 1883 Lebensstandard und Durchschnittseinkommen der Bevölkerung um ein Vielfaches gestiegen sind und mithin auch die Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Absicherung besteht3, so hat sich das System in der Zwischenzeit weit von der Absicherung vor einem Abrutschen in die Armenfürsorge aufgrund unverschuldeter Wechselfälle des Lebens entfernt und sich zu einer Art pauschaler Rundumversorgung entwickelt. Damit befindet sich die gesetzliche Kranken1 H. Sodan, Die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, in: VVDStRL 64 (2005), S. 144 (145); R. Waltermann, Sozialrecht, Rn. 46. 2 N. Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 14. 3 H. Sodan, „Gesundheitsreform“ ohne Systemwechsel wie lange noch?, in: NJW 2003, S. 2581.

A. Der Arztberuf im Gefüge des Sozialversicherungsrechts

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versicherung schon seit längerem deutlich auf dem Weg in eine „Einheits“- bzw. „Volksversicherung“, deren Ausgestaltung im Widerspruch zum Postulat der eigenverantwortlichen Fürsorge steht.4 Abgesehen von der die Eigenverantwortung des einzelnen hemmenden Ausgestaltung des Systems sind es andere Gründe, die Anlaß zu einer grundsätzlichen Kritik geben. Allen voran sind hier die zunehmenden Finanzierungsschwierigkeiten zu nennen, die sich in permanent steigenden Beitragssätzen und Rationierungsbestrebungen widerspiegeln.5 Es lassen sich mehrere Gründe anführen, die zum Teil bereits seit Jahrzehnten deutlich sichtbar waren. So heißt es in der Begründung zum Gesundheits-Reformgesetz aus dem Jahre 19886 : „Die Ursachen der steigenden Beitragssätze sind zu einem Teil in gesetzlichen Leistungsausweitungen, im medizinischen Fortschritt und einer höheren Versorgungsqualität zu sehen, zu einem großen Teil sind es aber auch Überversorgung, Überkapazitäten und Unwirtschaftlichkeit, die zu einer Verschwendung von Finanzmitteln der Solidargemeinschaft führen.“7

Weiter heißt es, daß der gesetzgeberische Handlungsbedarf für eine Strukturreform von allen im Bundestag vertretenen politischen Parteien anerkannt ist. Doch zu einem großen Wurf, der die Zukunftsfähigkeit des (gesetzlichen) Krankenversicherungssystems sichern würde, ist es trotz der sich ändernden demographischen Rahmenbedingungen nicht gekommen. Eine wahre Flut von Reformbemühungen ergoß sich in den letzten Jahrzehnten über die im Gesundheitssystem beteiligten Personen. Ein in sich geschlossenes stimmiges Regelungssystem ist hierbei nicht zu erkennen.8 Regelmäßig gehen die Reformbemühungen mit wirtschaftlichen Nachteilen für die Leistungserbringer und versorgungsrechtlichen Nachteilen für die Versicherten

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H. Sodan, Die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, in: VVDStRL 64 (2005), S. 144 (147). 5 Unter dem bekannten Stichwort der „Lohnzusatzkosten“ werden hier strukturelle Probleme für die Entwicklungsmöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Wettbewerb verortet, vgl. dazu: H. Sodan, „Gesundheitsreform“ ohne Systemwechsel wie lange noch?, in: NJW 2003, S. 2581 f. 6 BGBl. I S. 2477; durch dieses Gesetz wurde das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung neu geregelt und im Fünften Buch Sozialgesetzbuch zusammengefaßt. 7 BT-Drs. 11/2237, S. 132. 1997 machte der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen nochmals auf die unzureichende Finanzierungsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung aufmerksam, verortete diese jedoch nicht (mehr) in einem exzessiven Ausgabegebaren, sondern in einem mittlerweile wieder sinkendem Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen, was aufgrund der Lohnkoppelung der Versicherungsbeiträge den Sozialversicherungssystemen ebenfalls den finanziellen Handlungsspielraum entzieht, vgl.: Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Sondergutachten 1997, Bd. II, S. 255. 8 T.-C. Hiddemann/S. Muckel, Das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung, in: NJW 2004, S. 7 ff.; H. Sodan, Die gesetzliche Krankenversicherung nach dem GKV-Modernisierungsgesetz, in: GesR 2004, S. 305 (306).

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

einher.9 Darüber hinaus beschränken die gesetzlichen Maßnahmen zur Stabilisierung der Ausgabenentwicklung zunehmend die Selbstverwaltung der Ärzte und binden deren Aktionen an staatliche Vorgaben und Genehmigungsvorbehalte. Ein wesentliches Instrumentarium zur staatlichen Regulierung des Gesundheitswesens und zur Überprüfung der Einhaltung der Rationierungsvorgaben bei der Leistungserbringung ist die Einbindung der Ärzte in ein eigenständiges, vom genuinen ärztlichen Berufsrecht weitgehend getrenntes Vertragsarztsystem. Kennzeichnend für dieses System ist das sog. Sachleistungsprinzip. Dieses Prinzip wird als tragende Säule, als Ursache für das Entstehen von Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen angesehen.10 Es bedeutet für die Krankenkassen, daß sie die ihren Versicherten zustehenden Leistungen in Form von Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung stellen und diese Verpflichtung in der Regel unter Zuhilfenahme ihrer Vertragsärzte erfüllen. Dann besteht zwischen dem gesetzlich Krankenversicherten und dem Vertragsarzt (bzw. dem Krankenhausträger), im Gegensatz zum Kostenerstattungsmodell der privaten Krankenversicherung, kein individuelles Vertragsverhältnis. Zwar gehen ein großer Teil der Literatur11 sowie der Bundesgerichtshof12 von einem eigenständigen Vertragsverhältnis in Form eines Behandlungsvertrages aus (sog. Vertragskonzeption); doch dieses Konstrukt skizziert das Verhältnis nur ungenau. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß der Patient die durch die Krankenkasse abstrakt bereitgestellte Behandlung (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1, § 13 Abs. 1, §§ 27 ff. SGB V) durch die Wahl eines Arztes lediglich „vorkonkretisiert“.13 Aufgrund des Sachleistungsprinzips schuldet die Krankenkasse ihrem Versicherten die Behandlung; dabei bedient sie sich eines Vertrags(zahn)arztes, welcher die Behandlung erbringt (sog. Versorgungskonzeption).14 Hierfür werden zwischen den zuständigen Verbänden der Krankenkassen und den kassenärztlichen (Bundes-)VereinigunVgl. zum Überblick N. Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 15, sowie zum gegenwärtig letzten großen Reformvorhaben H. Sodan, Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, in: NJW 2007, S. 1313 ff. 10 Vgl. H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der (vertrags)zahnärztlichen Versorgung, S. 9 (15). 11 E. Deutsch/A. Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 76; R. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 76 SGB V Rn. 23; A. Laufs, Arzt und Recht im Umbruch der Zeit, in: NJW 1995, S. 1590 (1594); R. Müller-Glöge, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 611 Rn. 84; H.-L. Schreiber/S. Heuer, in: Korff/Beck/Mikat (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Stichwort: Arzt-Patient-Beziehung, S. 238 (243). 12 BGHZ 76, 259 (261); 97, 273, (276); 100, 363 (367). 13 P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 58; K. Fastabend/E. Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 27; C. Gesellensetter, Die Annäherung des freien Arztberufs an das Gewerbe, S. 90; B. Schmeilzl/M. Krüger, Künstliche Befruchtung, in: NZS 2006, S. 630; H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 127; R. Waltermann, Sozialrecht, Rn. 198. 14 Vgl. C. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 94; H. Plagemann, in: ders. (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht, § 16 Rn. 2; H.-D. Schirmer, Verfassungsrechtliche Anforderungen an das vertragsärztliche Berufsrecht, in: MedR 1996, S. 404; J.-A. Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 193. 9

A. Der Arztberuf im Gefüge des Sozialversicherungsrechts

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gen öffentlich-rechtliche Gesamtverträge geschlossen, in denen der Leistungsrahmen konkretisiert und die Vergütung festgelegt ist (§§ 82 ff., § 85 SGB V). Dadurch steht die gesamte ärztliche Dienstleistung unter einem normativen Verordnungsvorbehalt. Der Vertragsarzt ist aufgrund der Bindung an den Bundesmantelvertrag sowie der Statuten der Kassenärztlichen Vereinigung, deren Mitglied er ist, dazu gezwungen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Behandlung einzuhalten (vgl. § 92 Abs. 8 i. V. m. § 95 Abs. 3 Satz 3 sowie § 92 i. V. m. § 81 Abs. 3, § 87 Abs. 1, § 77 SGB V). Abgesehen von den Gefahren einer schematisierenden Behandlungsweise der Patienten und einer der Freiberuflichkeit eigentlich fremden Einflußnahme staatlicher Steuerung bergen die Berufsausübungsregelungen auch haftungsrechtliche Gefahren für den einzelnen Vertrags(zahn)arzt. Verläßt sich dieser beispielsweise auf die Empfehlungen und Leitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften und legt sie seiner Leistungserbringung zugrunde, kann es sein, daß sie im Widerspruch zu den vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit erarbeiteten (§ 139a Abs. 3 SGB V) und vom Gemeinsamen Bundesausschuß in rechtsverbindliche Form transferierten Bewertungen (Richtlinien im Sinne des § 92 SGB V) stehen. Folgt der Vertrags(zahn)arzt dann den Leitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften, so könnten ihm vertragsärztliche Konsequenzen drohen; folgt er umgekehrt den Richtlinien des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit, so muß er mit zivilrechtlichen Folgen des Arzthaftungsrechts rechnen.15 Mithin weisen die dem Sachleistungsprinzip immanenten staatlichen Einflußnahmen auf die ärztliche Berufsausübung eine beträchtliche Wirkungsintensität auf. Doch über die Modalitäten der Berufsausübung hinaus ist auch die Berufswahl durch ein eigenständiges am Sachleistungsprinzip angelehntes System der vertragsärztlichen Versorgung betroffen. Denn angesichts der Tatsache, daß – wie bereits dargestellt – etwa 90 Prozent der Bevölkerung in den Versicherungsschutz durch die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen sind und ein Arzt aus wirtschaftlichen Gründen darauf angewiesen sein wird, an der vertragsärztlichen Versorgung zu partizipieren, da sozialversicherten Patienten regelmäßig die Bereitschaft fehlt, die Behandlungskosten infolge einer Privatliquidation selber zu tragen, ist die Zulassung als Vertrags(zahn)arzt nach Maßgabe des § 95 SGB Veine „conditio sine qua non für eine freiberufliche Praxis überhaupt“16. Sie wirkt wie eine zur Approbation hinzutretende zweite Berufszulassung. Damit stellt sich die Frage, wie Systemausschlüsse – etwa durch planwirtschaftliche Zulassungsbeschränkungen aufgrund einer (vermeintlichen) Überversorgung eines Gebietes (vgl. § 103 SGB V) oder aus Altersgründen (nach dem Vorbild des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F.) – rechtlich zu bewerten sind. Dies hängt maßgeblich davon ab, ob sich zulassungsbezogene Fragen des gesetzlichen Krankenversicherungssystems am abwehrrechtlichen Maßstab verschie15

C. Gesellensetter, Die Annäherung des freien Arztberufs an das Gewerbe, S. 124. So bereits O. Bachof, Freiheit des Berufs, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. III, 1. Halbbd., S. 155 (188) in bezug auf die damalige Zulassung als Kassenarzt. 16

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

dener insbesondere der in Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechte messen lassen müssen oder ob nur dem außerhalb des vertrags(zahn)ärztlichen Systems tätigen Arzt bzw. Zahnarzt der Status eines Grundrechtsberechtigten zuerkannt werden kann. Sinngemäß gilt die Frage nach der Grundrechtsbetroffenheit und -berechtigung auch bei den mannigfaltigen Behandlungsund Therapievorgaben des gesetzlichen Krankenversicherungssystems.

B. Grundrechtsschutz vertrags(zahn)ärztlicher Tätigkeit Aufgrund der Einbindung in die staatliche Gesundheitsorganisation gibt es durchaus Stimmen in der Literatur, welche die besondere staatsnahe Stellung des Vertragsarztes zum Anlaß nehmen, um ihn als „Dreiviertelbeamten“17 der staatsorganisatorischen Sphäre des Art. 33 GG zuzuordnen18, was das Ausscheiden der beruflichen Tätigkeit von Vertrags(zahn)ärzten aus dem grundrechtlichen Schutzbereich insbesondere der Berufsfreiheit zur Folge haben könnte. Immerhin stehen den Vertretern der staatsnahen Berufsauffassung folgende Argumente zur Seite: So fehlt dem Vertrags(zahn)arzt beispielsweise die Vertragsautonomie. Auch die Ausgestaltung der Vergütungsregelungen unterliegt nicht den am Markt üblichen Modalitäten. Vielmehr erfolgt die Vergütung durch die Krankenkassen gegenüber den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen, die wiederum die Leistungen der einzelnen Ärzte abrechnen. So kann man zu dem Schluß kommen, daß das Umfeld, in dem der Vertragsarzt tätig wird, tatsächlich eine marktwirtschaftlichen Prinzipien weitestgehend enthobene „künstliche Veranstaltung des Staates“19 ist. Die Folgerung, daß aufgrund der Staatsnähe des vertrags(zahn)ärztlichen Dienstes und der gegenwärtigen Ausgestaltung des gesetzlichen Krankenversicherungssystems die Grundrechtsberechtigung der Vertrags(zahn)ärzte entfiele, verkennt jedoch einige grundsätzliche verfassungsrechtliche Prämissen: Beispielsweise könnte der Gesetzgeber jede Tätigkeit, an der ein öffentliches Interesse besteht, durch den Erlaß hoheitlicher Regelungen in die Nähe des öffentlichen Dienstes rücken und damit die Wahrnehmung eines grundrechtlichen Schutzbereiches von der einfachgesetzlichen (Nicht-)Ausgestaltung abhängig machen.20 Unabhängig davon prägen zudem noch immer wesentliche Elemente des freien Arztberufes die Tätigkeit des 17 H. Bogs, Das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) im Spiegel des Arztsystems, in: FS für Thieme, S. 715 (719). 18 I. Ebsen, Bedarfsorientierte Regulierungen der Zulassung von Leistungserbringern zur Gesetzlichen Krankenversicherung und das Grundrecht der Berufsfreiheit, in: ZSR 1992, S. 328 (332). 19 J. Isensee, Das Recht des Kassenarztes auf angemessene Vergütung, in: VSSR 1995, S. 321 (328). 20 F. Schnapp, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 4 Rn. 74.

B. Grundrechtsschutz vertrags(zahn)ärztlicher Tätigkeit

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Vertrags(zahn)arztes. Hervorzuheben ist in diesem Falle insbesondere neben anderen typischen Merkmalen des Freien Berufes wie der Erwartung einer altruistischen Berufseinstellung, des geforderten persönlichen Einsatzes bei der Berufsausübung (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV)21, des Verbots berufswidriger Werbung, des Erfordernisses einer qualifizierten Ausbildung sowie der Errichtung von Kammern mit den Befugnissen zur Rechtsetzung und Ausübung einer eigenen Berufsgerichtsbarkeit vor allem die wirtschaftliche Selbständigkeit des Vertrags(zahn)arztes. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im sog. Kassenarzturteil aus dem Jahre 1960 für den damaligen Kassenarzt festgestellt: „Er trägt das ganze wirtschaftliche Risiko seines Berufs selbst; die Kassenzulassung bietet ihm nur eine besondere Chance. Es hängt von ihm und der Gunst der Verhältnisse ab, ob es ihm gelingt, sich eine auskömmliche Kassenpraxis aufzubauen.“22

Nach wir vor gilt dies auch für die heutige Vertrags(zahn)ärzte. Zwar wird im Vergleich etwa zu Rechtsanwälten das wirtschaftliche Risiko dadurch gemindert, daß im Falle der Leistungserbringung und entsprechenden Abrechnung ein Anteil an der Gesamtvergütung gesichert ist und keine Beitreibungsprobleme gegenüber den in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Patienten bestehen; das unternehmerische Risiko bleibt aber dennoch erhalten, da es dem einzelnen Vertrags(zahn)arzt obliegt, die Finanzierung einer Praxisneugründung oder eine Übernahme selbst zu stemmen. Für Vertrags(zahn)ärzte ergibt sich in allen vorgenannten Punkten kein Unterschied zu den in privater Praxis tätigen Kollegen. Folgerichtig ordnet das Bundesverfassungsgericht die vertragsärztliche Tätigkeit auch nicht dem Bereich des öffentlichen Dienstes zu. Weder gibt es einen Arbeitsvertrag mit einer Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung (im Sinne des § 77 SGB V) oder einer Krankenkasse (im Sinne des § 4 SGB V), noch kann sich der Arzt von seiner haftungsrechtlichen Verantwortung gegenüber den von ihm behandelten Patienten befreien,23 so daß im Ergebnis auch die in das Sozialversicherungssystem integrierten Ärzte und Zahnärzte in den Genuß grundrechtlichen Schutzes kommen.

I. Schutzbereich der Berufsfreiheit Zunächst kommt die Eröffnung des Schutzbereichs des Grundrechts der Berufsfreiheit in Betracht. Trotz der terminologischen Differenzierung zwischen Berufs-

21 Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß nunmehr neben den auf eine persönliche Leistungserbringung ausgerichteten Freiberuflern auch für den Patienten weitestgehend anonyme medizinische Versorgungszentren zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt sind, vgl. § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V. 22 BVerfGE 11, 30 (40). 23 BVerfGE 11, 30 (39 f.); 12, 144 (147); vgl. ferner H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 99 sowie 161 ff. und 195.

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

wahl und Berufsausübung in Art. 12 Abs. 1 GG geht das Bundesverfassungsgericht von einem einheitlichen Grundrecht der Berufsfreiheit aus.24 Voraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereichs ist allein ein berufsbezogenes Verhalten der Person, die den Grundrechtsschutz für sich reklamiert. Allgemein versteht man unter Beruf jede auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende und auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit, die nicht als schlechthin gemeinschaftsschädlich bezeichnet werden muß.25 Die ärztliche Tätigkeit erfüllt eindeutig diese Anforderungen.26 Wenn die Ausübung dieses Berufs von einer Approbation abhängig ist, so steht dies nicht im Widerspruch zum Grundrechtsschutz, sondern man spricht in diesem Zusammenhang von einem gesetzlichen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, welches angesichts überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter die Tätigkeit von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht. Ist die Approbation erst einmal erlangt, so kann jede Person ihre ärztlichen Dienstleistungen auf dem freien Markt anbieten.27 Folgerichtig sind Ausschlüsse der Teilnahme am System der vertrags(zahn)ärztlichen Leistungserbringung im Rahmen des gesetzlichen Krankenversicherungssystems sowie auch verbindliche Behandlungsdirektiven (vgl. etwa § 92 Abs. 8 i. V. m. § 95 Abs. 3 Satz 3 sowie § 92 i. V. m. § 81 Abs. 3, § 87 Abs. 1, § 77 SGB V) am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.28

II. Schutzbereich der Eigentumsgarantie Gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wird das Eigentum gewährleistet. Eigentumsfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift sind alle konkreten, vermögenswerten Rechtspositionen, die dem Einzelnen als Ausschließlichkeitsrechte zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung zugeordnet sind.29 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs fällt unter die Eigentumsfreiheit auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.30 Im Gegensatz zum eigentlichen Bestand des Gewerbebetriebes sowie der dazugehörigen Geschäftsräume, der Einrichtungsgegenstände, Warenvorräte, Außenstände und der gefestigten wirt24

St. Rspr. seit BVerfGE 7, 377 (401 f.). H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 12 Rn. 8 f. 26 Vgl. dazu grundsätzlich: H. Sodan, Wertesystem einer Gesundheitsverfassung, in: Schwarz / Frank / Engel (Hrsg.), Weißbuch der Zahnmedizin, S. 7 (8 f.). 27 C. Gesellensetter, Die Annäherung des freien Arztberufs an das Gewerbe, S. 45. 28 BVerfGE 106, 275 (304); BSGE 81, 143 (144 f.); U. Becker, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Vertragsärzte, in: NZS 1999, S. 521 (526); W. Boecken, Vertragsärztliche Planung aus rechtlicher Sicht, in: NZS 1999, S. 417 (418); H. Sodan, Verfassungs- und europarechtliche Grundlagen des Medizinrechts, in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, Kapitel 1 Rn. 31. 29 Siehe dazu BVerfGE 78, 58 (71); 83, 201 (208); 112, 93 (197). 30 Siehe etwa BGHZ 23, 157 (162 f.); 45, 150 (155); 48, 65 (66); 55, 261 (263); 67, 190 (192); 81, 21 (33); 92, 34 (37); BVerwGE 62, 224 (226). 25

B. Grundrechtsschutz vertrags(zahn)ärztlicher Tätigkeit

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schaftlichen Beziehungen31 sind bloße Umsatz- und Gewinnchancen oder die Marktstellung nicht unter dieses richterrechtlich ausgeformte Rechtsinstitut zu subsumieren32. Letzteren Aspekten der gewerblichen Tätigkeit fehlt schlicht die dingliche Verfestigung. Kurz gesagt: Rechtlich geschützt sind nur solche Gegebenheiten und Vorteile, auf deren Fortbestand der Betriebsinhaber vertrauen kann. Fraglich ist jedoch, ob sich dieses besondere aus Art. 14 Abs. 1 GG und aus Richterrecht entwickelte Rechtsinstitut auch auf die (zahn)ärztliche Praxis anwenden läßt. Eine unmittelbare Anwendung scheitert an dem Umstand, daß die freiberufliche Tätigkeit von Ärzten und Zahnärzten gerade keine Ausübung eines Gewerbes darstellt (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 MBO-Ä; § 1 Abs. 4 ZHG). Es ist jedoch unstreitig, daß der verfassungsrechtliche Gewerbebegriff nicht mit dem ordnungsrechtlichen Gewerbebegriff gleichzustellen ist. Erfaßt ist jedes auf Erwerb ausgerichtete Unternehmen, so daß auch die durch Zusammenfügung sachlicher und persönlicher Mittel geschaffenen freiberuflichen Betriebe dem Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG unterfallen.33 Im Ergebnis kann sich der freiberuflich tätige Praxis(zahn)arzt auch auf die Eigentumsgarantie berufen und etwaige sozialrechtliche Schutzbereichsverkürzungen am Maßstab dieses Grundrechts auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen lassen.

III. Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die freie Entfaltung der Persönlichkeit in Form einer allgemeinen Handlungsfreiheit. Sie wird in dem Umfang garantiert, wie durch ihre Ausübung Rechte anderer nicht verletzt werden und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird. Einschränkende Vorschriften müssen aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Nach herrschender Meinung umfaßt Art. 2 Abs. 1 GG auch das Recht, sich gegen durch hoheitliche Gewalt begründete Mitgliedschaftspflichten in kooperativen Vereinigungen zur Wehr zu setzen.34 Mithin wäre die durch § 95 Abs. 3 SGB V statuierte Zwangsmitgliedschaft von Vertrags(zahn)ärzten in den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen nicht am Maßstab des Art. 9 Abs. 1 GG, sondern an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen.35 31

Dieser Aspekt ist nicht unumstritten; für eigentumsrechtlich relevante hoheitliche Einwirkungen auf nicht nur vage, sondern verfestigte Gewinnmöglichkeiten plädieren B.-O. Bryde, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 14 Rn. 21, und R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 14 Rn. 49; a. A. J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 14 Rn. 50. 32 Vgl. BVerfGE 77, 84 (118); 81, 208 (227 f.). 33 Vgl. BGH NJW 1986, S. 2499 (2500); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 Rn. 98; H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 14 Rn. 12. 34 BVerfGE 10, 354 (361 f.); 15, 235 (239); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 9 Rn. 7; H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 9 Rn. 7. 35 F. Schnapp, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 4 Rn. 89.

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

C. Allgemeine verfassungsrechtliche Maßstäbe im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung I. Eingriffscharakter des gegenwärtigen Ausgestaltungsmodells Ganz allgemein erfolgen Beeinträchtigungen des Schutzbereichs durch hoheitliche Maßnahmen entweder zielgerichtet in Form von Ge- und Verboten mit unmittelbarer Wirkung oder mittelbar durch das Setzen einer Ursache, die erst im Zusammenwirken mit einem weiteren Umstand zu einer faktischen Beeinträchtigung des Schutzgehalts führt.36 Bevor auf die besonderen Probleme der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Höchstaltersgrenzen bei Vertrags(zahn)ärzten sowie der Einschränkung der Arztwahlfreiheit für gesetzlich versicherte Patienten eingegangen werden kann, bedarf es zunächst einer Prüfung, ob das bestehende, auf dem Sachleistungsprinzip beruhende Vertrags(zahn)arztsystem im Ganzen seinerseits eine Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter darstellt. Soweit diese Frage bejaht werden kann, ist ferner zu untersuchen, ob die Beeinträchtigung einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zugänglich ist. Ist dies nicht der Fall, so stellt sich folgerichtig auch die Frage einer verfassungsrechtlichen Bewertung einzelner die Berufsfreiheit einschränkender Aspekte dieses Systems nicht. Es bedürfte eines grundsätzlichen Systemwechsels, der sowohl den sozialpolitischen Ansprüchen nach einer Grundversorgung derjenigen, die Hilfe tatsächlich bedürfen, als auch den verfassungsrechtlich garantierten Ansprüchen der Leistungserbringer auf Achtung ihres Grundrechtsschutzes gerecht wird. 1. Eingriff in die Berufsfreiheit Wie bereits dargelegt, stellt die für den einzelnen Arzt aus wirtschaftlichen Gründen regelmäßig notwendige Teilnahme am System der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung eine faktische Verengung des Freiheitsraumes dar37. Die Einführung des am Sachleistungsprinzip ausgerichteten Leistungserbringungsrechts ist mit der Frage der Zulassung zu dem System gleichzusetzen – es kommt zu einer Art „zweiten Approbation“.38 Einmal in das System integriert, stellen die vor allem durch den Versuch der finanziellen Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung motivierten Behandlungs- und Therapievorgaben einen weiteren Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit dar.39

Vgl. die Übersicht bei H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 24 Rn. 5 ff. Vgl. oben, S. 21. 38 Vgl. oben, S. 21. 39 Vgl. BSGE 73, 66 (70 ff.); C. Gesellensetter, Die Annäherung des freien Arztberufs an das Gewerbe, S. 48. 36 37

C. Allgemeine verfassungsrechtliche Maßstäbe

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2. Eingriff in die Eigentumsgarantie Vor dem Hintergrund, daß die Eigentumsgarantie nicht nur den Bestand des vorhandenen Eigentums vor Entzug, sondern auch den Schutz der Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeit intendiert, könnte durch die Errichtung eines sozialversicherungsrechtlichen Gesundheitssystems, dessen Partizipationsmöglichkeit von einer gesonderten Zulassung abhängig gemacht wird, ein Eingriff in das höchstrichterlich entwickelte und in Art. 14 Abs. 1 GG verankerte Grundrecht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegen. Fraglich ist also, ob gesetzlich geregelte Zulassungs- und Vergütungsregelungen sozialversicherungsrechtlicher Natur einen Eingriff darstellen. Eingriffe oder Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Eigentumspositionen gehen regelmäßig entweder mit Enteignungen oder Inhalts- und Schrankenbestimmungen einher. Letztere legen der bundesverfassungsgerichtlichen Ansicht zufolge „generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers fest, bestimmen also den ,Inhalt des Eigentums“.40 Wenn der wirtschaftliche Wert einer bestehenden Arzt- bzw. Zahnarztpraxis unter das verfassungsrechtliche Konstrukt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes subsumiert werden kann und der Wert überwiegend von der Teilnahme an der Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung abhängt41, so ließe sich als Ergebnis in Betracht ziehen, daß beispielsweise die Verweigerung der Zulassung (aus bedarfskalkulativen Gründen) einen Eingriff in Gestalt einer Inhalts- und Schrankenbestimmung darstellen könnte. Allerdings würde eine solche Sichtweise verkennen, daß es dem bisher frei praktizierenden Arzt bzw. Zahnarzt unbenommen ist, seiner Tätigkeit – auch bei Verweigerung der Zulassung als Vertrags(zahn)arzt – nach wie vor in dem gleichem Umfang nachzugehen, wie dies auch vor dem negativen Zulassungsbescheid der Fall ist. Letztlich erweitert die vertrags(zahn)ärztliche Zulassung nur den potentiellen Patientenkreis, verringert aber keinesfalls bisher erworbene verfestigte Rechtspositionen. Bloße Erwerbsaussichten sind aber nicht von Art. 14 Abs. 1 GG umfaßt. Entsprechende Zulassungsbeschränkungen greifen mithin nicht in den Schutzgehalt von Art. 14 Abs. 1 GG ein, sondern können allenfalls unter dem Gesichtspunkt des in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen allgemeinen Gleichheitssatzes relevant sein und verworfen werden. Diesbezüglich gilt: Sofern der Staat ein zulassungsbeschränktes Gesundheitssystem einrichtet, muß er auch für gerechte Zulassungschancen sorgen. Allein die am Sachleistungsprinzip ausgerichtete sozialversicherungsrechtliche Ausgestaltung des Gesundheitssystems begründet jedenfalls keine Verkürzung eines grundrechtlichen Schutzbereiches dinglich verfestigter unternehmerischer Freiheit.42 40

BVerfGE 58, 300 (330). M. Schüffner/L. Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, S. 70. 42 Sofern dies etwa bei besonderen Ausgestaltungsmodalitäten der Fall ist, bedarf dieser Aspekt einer Überprüfung unabhängig von der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Evaluierung des übergeordneten Systems. Namentlich gilt dies für die Festlegung der mittlerweile entfallenen Alterhöchstgrenzen für Vertrags(zahn)ärzte, die zu einem späteren Zeitpunkt einer genaueren verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen werden, vgl. unten, S. 47 ff. 41

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

3. Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit Wie bereits dargelegt, ist die Problematik des Grundrechtsschutzes gegen die durch § 95 Abs. 3 SGB Vangeordnete Zwangsmitgliedschaft des Vertrags(zahn)arztes in der für seinen Vertrags(zahn)arztsitz zuständigen Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung nicht am Maßstab des Art. 9 Abs. 1 GG, sondern an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen.43 Begründet wird dies neben der Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 1 GG auch mit dem sog. „Spiegelbildargument“: Die negative Vereinigungsfreiheit ist das Korrelat zur positiven Vereinigungsfreiheit. Da aber Art. 9 Abs. 1 GG unstreitig nicht die Befugnis zur Errichtung öffentlich-rechtlicher Verbände verleiht, kann auch nicht der Anspruch auf Fernbleiben von einer öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaft unter den Schutzgehalt von Art. 9 Abs. 1 GG subsumiert werden, so daß auf Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht zurückzugreifen ist.44 Die zwangsweise Einbindung der Vertrags(zahn)ärzte in die für den Vertrags(zahn)arztsitz zuständige Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung ist eine Folge der besonderen Ausgestaltung des am Sachleistungsprinzip orientierten deutschen Gesundheitswesens. Die gesetzlichen Krankenkassen schulden nämlich die Gesundheitsdienstleistung, die sie jedoch regelmäßig nicht selber erfüllen; vielmehr bedienen sie sich zur Erfüllung dieser Schuld der freiberuflich tätigen Vertrags(zahn)ärzte.45 Mit der Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung sind die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen betraut (§ 75 Abs. 1 SGB V). Die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung kann jedoch nur dann die Gewähr für die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung gegenüber den Krankenkassen übernehmen, wenn der Vertrags(zahn)arzt als Mitglied gezwungen ist, im erforderlichen Umfang an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung teilzunehmen.46 Dann steht es nicht mehr im Belieben des Arztes bzw. Zahnarztes, ob und in welchem Umfang er sozialversicherte Patienten versorgen will, sondern es trifft ihn die Verpflichtung, im Rahmen seiner Kassenzulassung sozialversicherte Patienten nach Maßgabe der Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu behandeln. Die Eingliederung in das System der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung hat zur Folge, daß auch keine privaten Zahlungen im Rahmen der vertrags(zahn)ärztlichen Behandlung erfolgen dürfen. Im einzelnen kann die Einbindung der Vertrags(zahn)ärzte in das System der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen ein erhebliches Druckmittel bedeuten. Sie sind so nicht nur gezwungen, alle rechtlichen Vorgaben betreffend die Therapieform einzuhalten, sondern müssen sich gegebenenfalls auch mit der gebührenrechtlichen Ausgestaltung zufrieden geben.47 Beispielsweise kommt nach Maßgabe der einschlägigen Satzungsnorm, die auf Grundlage des § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10, Abs. 5 43

Vgl. oben, S. 25. H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 9 Rn. 7. 45 Vgl. oben, S. 20. 46 R. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 95 SGB V Rn. 60. 47 Vgl. R. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 95 SGB V Rn. 71. 44

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SGB V erlassen worden ist, die Verhängung einer Disziplinarstrafe gegen einen Arzt in Betracht, der wegen Überschreitung des ihm im Honorarverteilungsmaßstab zugeteilten individuellen Praxisbudgets einer unentgeltlichen Erbringung seiner Dienstleistung dadurch entgeht, daß er die Praxis am Quartalsende schließt.48 Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß die mit der Zwangsmitgliedschaft in einer Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung einhergehenden Einschränkungen der freiberuflichen Tätigkeit unter Umständen sehr erheblich sein können. Erschwerend kommt ein demokratiestaatliches Defizit hinzu: Auf die sozialstaatlichen Vorgaben, die über die Bundesmantelverträge die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und damit die gesamte Vertrags(zahn)ärzteschaft binden, haben die Betroffenen regelmäßig kaum oder keinen Einfluß.49 Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die vom Gemeinsamen Bundesausschuß nach § 92 Abs. 1 Satz 2 SGB V beschlossenen Richtlinien über nahezu sämtliche Aspekte der (zahn)ärztlichen Tätigkeit, die gemäß § 92 Abs. 8 SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge sind. Die Ärzte- bzw. Zahnärzteschaft hat jedoch nur im Rahmen des ihnen durch § 91 Abs. 2, 4 bis 7 SGB Veingeräumten Mitbestimmungsrechts die Möglichkeit, auf die sie selber betreffenden Belange Einfluß zu nehmen.

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des gegenwärtigen Ausgestaltungsmodells Nach den sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Grundsätzen vom Vorbehalt des Gesetzes und der maßgeblich vom Bundesverfassungsgericht entwickelten sog. Wesentlichkeitstheorie bedürfen grundrechtsrelevante Eingriffe einer verfassungskonformen parlamentsgesetzlichen Ermächtigung.50 Zu untersuchen ist, ob das Sachleistungsprinzip und das systemimmanente Zulassungserfordernis für die Teilnahme an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung wie auch die damit verbundenen sozialrechtlichen Berufsausübungsregelungen den verfassungsrechtlichen Ansprüchen gerecht werden. 1. Formell-verfassungsrechtliche Grenzen im Krankenversicherungswesen Insbesondere könnten sozialrechtliche Regelungen an kompetentielle Grenzen stoßen, wenn der (Bundes-)Gesetzgeber das Schnüren eines Reformpaketes zur Ret48

Vgl. dazu BT-Drs. 15/1525, Art. 1 Nr. 59. Vgl. T. Kingreen, Legitimation und Partizipation im Gesundheitswesen Verfassungsrechtliche Kritik und Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses, in: NZS 2007, S. 113 (117); R. Schimmelpfeng-Schütte, Die Entscheidungsbefugnisse des Gemeinsamen Bundesausschusses, in: NZS 2006, S. 567 (570). 50 Vgl. statt vieler: H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Vorb. Art. 1 Rn. 55 ff. 49

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

tung der gegenwärtigen Ausgestaltung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung zum Anlaß nimmt, um faktisch die Berufsausübung betreffende Normen zu erlassen, wie dies beispielsweise im Rahmen des am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG)51 der Fall gewesen ist. Das VÄndG modifizierte einen großen Teil bisheriger arztrechtlicher Vorschriften – etwa Regelungen zur Beschäftigung angestellter Praxisärzte – und enthielt darüber hinaus weitere Regulierungsinstrumentarien zur Steuerung der ärztlichen Versorgung bei etwaigen Versorgungslücken in bevölkerungsärmeren Regionen. Allerdings sollen die mit dem VÄndG einhergehenden Auswirkungen auf das Berufsrecht der Ärzte- bzw. Zahnärzteschaft nicht Gegenstand einer ausführlichen verfassungsrechtlichen Überprüfung sein – sie stellen aber ein plastisches Beispiel für die Bestrebungen zur Versozialrechtlisierung und die Steuerungsmaßnahmen seitens des Gesetzgebers dar. Das VÄndG dient quasi als Anknüpfungspunkt für die Überlegungen zu den formellrechtlichen Vorgaben der Verfassung bei der Regulierung des Arzt- bzw. Zahnarztwesens. Sinngemäß sind diese Ausführungen auf alle staatsmedizinischen Regulierungsinstrumentarien übertragbar, welche Ärzte und Zahnärzte betreffen. Als weitere Beispiele können die von den genuin berufsrechtlichen Regelungen abweichenden sozialrechtlichen Vorgaben zur Qualitätssicherungsverpflichtung nach § 135a SGB V oder die (Wieder-)Einführung einer Altersgrenze nach dem Vorbild des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. herangezogen werden. a) Gesetzgebungskompetenzen des Bundes An dem Grundsatz der vertikalen Gewaltenteilung im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen wurde im Zuge der Föderalismusreform, die zum 1. September 2006 in Kraft getreten ist, festgehalten. Dies gilt auch für das Gesundheitswesen: Die nachstehend erläuterten, für den Bereich des Gesundheitswesens einschlägigen Kompetenznormen gehören nach wie vor zum Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, was wiederum bedeutet, daß grundsätzlich die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG die Befugnis zur Gesetzgebung behalten, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht Gebrauch gemacht hat. Erläßt der Bundesgesetzgeber aufgrund der ihm durch Art. 72 Abs. 1, Art. 74 GG eingeräumten Kompetenz eine entsprechende Regelung, so ist diese erschöpfend; es kommt zu einer Sperrwirkung für die Länder.52 aa) Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Beim Kompetenzbereich „Sozialversicherung“ handelt es sich nicht schlechthin um soziale Sicherung, sondern um einen Bereich der Absicherung vor sozialen Risiken. Damit wird schon von vornherein der Einbeziehung von neuen Sachverhalten auf

51 52

BGBl. I S. 3439. A. Haratsch, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 72 Rn. 6.

C. Allgemeine verfassungsrechtliche Maßstäbe

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der Grundlage des Kompetenztitels eine Grenze gezogen.53 Allerdings ist auch die Begrifflichkeit „Absicherung vor sozialen Risiken“ unscharf. Eine Aussage darüber, ob dem Kompetenztitel „Sozialversicherung“ die berufsrechtliche Regelung der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeiten immanent ist, kann dem Wortlaut der Verfassung nicht entnommen werden. Aufschlußreicher ist in diesem Zusammenhang die gesetzgeberische Begründung zum VÄndG. Ausweislich dieser ist für die Regelung der vertragsärztlichen Rechtsmaterie die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG einschlägig.54 Auch in der wissenschaftlichen Literatur finden sich Ansätze, die das Recht der Vertragsärzte unter den Kompetenztitel des Sozialversicherungsrechts subsumieren wollen.55 Diese Auffassung überzeugt angesichts der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Systematik des Kompetenztitels nicht. Danach sind neue Regelungselemente dann durch den Kompetenztitel „Sozialversicherung“ formell legitimiert, wenn sie „in ihren wesentlichen Strukturelementen, insbesondere in der organisatorischen Durchführung und hinsichtlich der abzudeckenden Risiken, dem Bild entsprechen, das durch die ,klassische Sozialversicherung geprägt ist“.56 Als Zuordnungskriterien nennt das Gericht etwa die gemeinsame „Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielfalt“57 und als „Träger der Sozialversicherung […] selbständige Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen Rechts, die ihre Mittel durch Beiträge der Betroffenen aufbringen“.58 Aus dieser bundesverfassungsgerichtlichen Interpretation folgt, daß die Institution „gesetzliche Krankenversicherung“ ohne weiteres unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG subsumiert werden kann; doch daß dies auch für das gesamte (zahn)ärztliche Berufsrecht gelten soll, kann daraus nicht gefolgert werden. Schließlich sind berufsrechtliche Bestimmungen nicht von vornherein untrennbar mit dem durch die „klassische Sozialversicherung“ geprägten Bild verbunden, sondern können auch unabhängig von ihm bestehen.59 Berücksichtigt man zudem, daß sich die Funktion der klassischen Sozialversicherung zuvörderst auf den solidarischen Schutz der in bestimmten Krisensituationen Hilfe Benötigenden bezog60, so ist nicht einzusehen, weshalb beispielsweise Regelungen über die Zahl der Vertrags53

T. Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 74 Rn. 171. Vgl. BT-Drs. 16/2474. 55 Siehe C. Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 74 Rn. 58; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 74 Rn. 175; F. Schnapp, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 4 Rn. 2. 56 BVerfGE 75, 108 (146); 87, 1 (34); 88, 203 (313); ähnlich schon BVerfGE 11, 105 (112); 62, 354 (366); 63, 1 (35). 57 BVerfGE 75, 108 (146); 87, 1 (34); 88, 203 (313). 58 BVerfGE 87, 1 (34). 59 H. Sodan/M. Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, S. 12. 60 Vgl. H. Sodan, „Gesundheitsreform“ ohne Systemwechsel – wie lange noch?, in: NJW 2003, S. 2581 ff.; ders., „Bürgerversicherung“ als Bürgerzwangsversicherung, in: ZRP 2004, S. 217 (218 f.); vgl. oben, S. 18. 54

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

arztsitze oder die Anstellung von Vertragsärzten als Arbeitnehmer in einer Praxis unter den Begriff der „Sozialversicherung“ fallen sollen. Solche Vorschriften haben mit der ursprünglichen Funktion einer klassischen Sozialversicherung, die einem ausgewählten, sich nicht mehr selber helfen könnenden und vom Schicksal benachteiligten Personenkreis Absicherung gewähren wollte, nichts mehr gemein. Sie sind vielmehr klassische Berufsausübungsregelungen zur Einbindung von Ärzten in ein staatsnahes System der Gesundheitsversorgung.61 Denkbar wäre es jedoch, daß die bundesgesetzliche Regulierung des (Vertrags-) Arztwesens unerläßliche Voraussetzung für die Statuierung eines Sozialversicherungswesens ist. In diesem Fall würde man zu dem Ergebnis kommen, daß trotz fehlender ausdrücklicher Ermächtigung durch die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG eine diesbezügliche Zuständigkeit anerkannt werden muß. Schließlich wäre es verfehlt, am Enumerationsprinzip der Art. 70 ff. GG festzuhalten und dem Bund die essentiell notwendige Gesetzgebungskompetenz mit Verweis auf die fehlende Ermächtigung trotz objektiv gegebenen Sachzusammenhangs und unbedingt notwendiger Regelungsbedürftigkeit zu verweigern.62 Allerdings ist eine solche ungeschriebene Erweiterung der Bundeskompetenzen zum Nachteil der Länder äußerst restriktiv zu behandeln, da bei extensiver Auslegung die Gefahr der Aushöhlung zu Lasten der Länderkompetenzen besteht.63 Keinesfalls darf eine Ermächtigung mit Verweis auf einen notwendig bestehenden Sachzusammenhang oder eine Annexkompetenz mit Zweckmäßigkeitserwägungen begründet werden.64 Zudem ist sie schlechterdings unzulässig, wenn die betreffende Regelung selbständig denkbar ist.65 Daher steht und fällt die Einbeziehungsmöglichkeit vertrags(zahn)ärztlicher Berufsregelungen in die der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz unterliegende „Sozialversicherung“ mit der Unerläßlichkeit der Regelung für das (klassische) Sozialversicherungswesen und der undenkbaren rechtlichen Selbständigkeit diesbezüglicher Normen. Es ist offensichtlich, daß beide Voraussetzungen nicht gegeben sind: Selbstverständlich ist eine eigenständige Regelung des Arzt- bzw. Zahnarztwesens, sofern sie denn erwünscht ist, unabhängig von sozialversicherungsrechtlichen Regelungskomplexen denkbar (und existiert im übrigen auch im Landes- und Kammerrecht); sie erweist sich auch nicht als notwendig, da beispielsweise eine Inkorporation bestehender berufsrechtlicher Normen mittels dynamischer oder statischer Verweisung in das bundesgesetzliche Sozialversicherungsrecht möglich gewesen wäre.66 M. Schüffner/L. Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, S. 22. Vgl. dazu H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 27 ff. und § 17 Rn. 47; H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 17 Rn. 16 ff. 63 S. Rixen, In guter Verfassung? Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) auf dem Prüfstand der Gesetzgebungskompetenzen des Grundgesetzes, in: VSSR 2007, S. 213 (230). 64 BVerfGE 3, 407 (421). 65 BVerfGE 17, 287 (293). 66 Eine solche Verweisungssystematik begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da der Landesgesetzgeber bzw. die jeweilige Ärztekammer in ihrem Kompetenzbereich nicht tangiert wird und weiterhin ohne Bruch der vertikalen Gewaltenteilung ungehindert agieren 61 62

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Die eigenständige Regulierung des ärztlichen Berufsrechts durch den Sozialgesetzgeber, wie sie Gegenstand des VÄndG ist, erfolgte dagegen ausdrücklich unter Verweis auf Zweckmäßigkeitserwägungen67, was nicht nur mit den engen bundesverfassungsgerichtlichen Voraussetzungen zur Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unvereinbar ist, sondern darüber hinaus auch einen vollständigen Bruch des föderalen Systems in Bezug auf legislative Kompetenzen bedeutet. Im Ergebnis können bundesgesetzliche Regelungen über die Ausübung des Berufes des Arztes bzw. Zahnarztes nicht Gegenstand des Kompetenztitels „Sozialversicherung“ sein. Fraglich ist daher, ob andere grundgesetzliche Kompetenztitel zur Regulierung des (Vertrags-)Arztwesens herangezogen werden können. bb) Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG erfaßt insgesamt drei Regelungsbereiche. Zum einen sind Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Grundsätzlich gehören auch prophylaktische Maßnahmen wie Impfungen, Vorsorgeuntersuchungen und Meldepflichten zum Kompetenzkatalog des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG.68 Der Anwendungsbereich dieser Norm betrifft ganz offensichtlich nicht das Arzt- bzw. Zahnarztwesen; sinngemäß gilt dasselbe auch für Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 3 GG. Diese Norm ermöglicht – anders als vor Inkrafttreten der Förderalismusreform – nicht nur die Regulierung des Verkehrs mit den genannten Stoffen, sondern nunmehr auch „das Recht dieser Gegenstände insgesamt“.69 Dazu gehören Umsatz, Vertrieb, Herstellung, Handel und Preisbildung. Das ärztliche Berufsrecht findet auch in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG keine kompetentielle Verfassungsgrundlage. Die Kompetenznorm erfaßt nur Vorschriften, die sich auf Erteilung, Zurücknahme und Verlust der Approbation sowie auf die Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs beziehen.70 Zur Zulassung gehören auch das Prüfungswesen und die Ausbildung.71 Keine Frage der Zulassung ist hingegen die Berufsausübung. Deshalb gehören weder Ärztekammerrecht72, der Berufsbezeich-

kann, vgl. BVerfG (Kammerbeschl.), MedR 2004, S. 608 (609). Anpassende Modifikationen im Bereich der Vertragsarztwesens wären dann verfassungsrechtlich noch hinnehmbar, da sich das Vertragsarztrecht in diesem Falle nur ergänzend und nicht distinguierend zum ärztlichen Berufsrecht verhält, vgl. M. Schüffner/L. Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, S. 23. 67 Vgl. BT-Drs. 16/2474, S. 16. 68 B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 74 Rn. 41. 69 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 16/813, S. 13. 70 BVerfGE 4, 74 (83); 33, 125 (154 f.). 71 BVerfGE 106, 92 (129 ff.); BVerwGE 169, 174 f.; S. Oeter, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 74 Rn. 149. 72 BVerwGE 39, 110 (112); 41, 261 (269).

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

nungsschutz73 und das Facharztwesen74 noch Gebührenfragen75 zum Regelungsbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG. Der Bund darf keine Regelungen treffen, die über die Erteilung und den Verlust der Approbation hinausgehen. Seine Zuständigkeit im Bereich der Heilberufe kann er auch nicht selbständig erweitern, indem er diese in verschiedene Professionen auffächert, so daß berufsregelnde Normen als Zulassungsvorschriften erscheinen. Solange Berufe oder Berufszweige dem heilkundlichen Bereich zuzuordnen sind und der Approbation bedürfen, bleibt es bei der klaren Trennung von Zulassungs- und Berufsausübungsrechten.76 Abweichende Regelungen wären eine unzulässige Umgehung eindeutiger legislativer Kompetenzregelungen des Grundgesetzes.77 cc) Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG beinhaltet Kompetenzzuweisungen für die wirtschaftliche Sicherung von Krankenhäusern und die Regelung der Krankenhauspflegesätze. Da sich die Vorschrift nur auf die wirtschaftliche Planung bezieht, ist lediglich die finanzielle Seite des Krankenhauswesens Kompetenzthema dieser Grundgesetznorm. Ganz offensichtlich verleiht Nr. 19a eine bundesgesetzliche Ermächtigung weder für strukturelle Eingriffe in das Krankenhauswesen noch für das Berufsrecht der in Krankenhäusern angestellten Ärzte und Zahnärzte.78 b) Gesetzgebungskompetenzen der Länder Die Analyse des für das Gesundheitswesen relevanten Kompetenzgefüges des Grundgesetzes führt zu dem Ergebnis, daß für eine bundesgesetzliche Regulierung des (zahn)ärztlichen Berufes abseits der Zulassungs- und Approbationsfragen keine Norm fruchtbar gemacht werden kann. Die Instrumentalisierung des sozialversicherungsrechtlichen Kompetenztypus zur Regelung des ärztlichen Berufsrechts verstößt gegen die verfassungssystematisch notwendige Verankerung des ärztlichen Berufsrechts in der Gesetzgebungskompetenz der Länder.79 Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, „nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes“ stehe „jedenfalls den Ländern und nicht dem Bund die ausschließliche Befugnis zu, die Berufsausübung der Ärzte nach ihrer Zulassung zu regeln“80. Gleichwohl hat es das

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BVerfGE 106, 62 (125 ff.). BVerfGE 33, 125 (155); 98, 265 (307). 75 BVerfGE 17, 287 (292); 68, 319 (327). 76 M. Schüffner/L. Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, S. 18. 77 C. Gesellensetter, Die Annäherung des freien Arztberufs an das Gewerbe, S. 81. 78 C. Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 74 Rn. 88 f. 79 BSGE 80, 256 (259); vgl. ferner S. Rixen, In guter Verfassung? Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) auf dem Prüfstand der Gesetzgebungskompetenzen des Grundgesetzes, in: VSSR 2007, S. 213 (217 ff.). 80 So BVerfGE 71, 162 (171 f.). 74

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vom Bund geschaffene Vertrags(zahn)arztrecht in kompetentieller Hinsicht bislang nicht beanstandet. Das landesrechtliche Berufsrecht betrifft den großen Bereich der Berufsausübungsregelungen, zu denen etwa die öffentliche Berufsvertretung, die Berufspflichten, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit gehören.81 So fußen die jeweiligen Landesheilberufsgesetze, auf deren Grundlage wiederum das ärztliche Berufsrecht als Satzungsrecht von den zuständigen Ärztekammern erlassen wird, auf der kompetentiellen Basis von Art. 70 Abs. 1 GG. Die Kammer- und Heilberufsgesetze der einzelnen Länder sind dem staatlichen Berufsrecht zuzuordnen. Sie bewirken eine enge Verknüpfung zwischen Fremd- und Selbstkontrolle der Ärzteschaft: Neben einer Generalpflichtenklausel legen Kammer- und Heilberufsgesetze nur in Grundzügen die einzelnen Berufspflichten fest. Im übrigen ermächtigt der formelle Gesetzgeber die Landesärztekammern dazu, die Berufspflichten etwa in den Berufs- und Weiterbildungsordnungen verbindlich als für den Arzt unmittelbar geltendes Recht zu bestimmen.82 Auch wenn damit die wesentlichen Berufsausübungsregeln von den Standesvertretungen der Ärzte erarbeitet und erlassen werden, entsteht eine Verpflichtung der Kammermitglieder aus den materiellen Normen jedoch erst dann, wenn die Vorgaben der Kammer als Satzungsrecht durch die nach Landesrecht zuständige Rechtsaufsichtsbehörde genehmigt sind. Allerdings beschränkt sich die Kontrolldichte der Aufsichtsbehörde lediglich auf eine Gesetzmäßigkeitskontrolle hinsichtlich der Wahrung der Kompetenz- und Verfahrensvorschriften; eine Zweckmäßigkeitskontrolle findet nicht statt. Mithin ist in den jeweiligen Kammergesetzen und in den aufgrund einer entsprechenden Ermächtigung von den selbstverwaltenden Körperschaften erlassenen Satzungen festzulegen, was der Arzt im einzelnen bei der Ausübung seines Berufes zu beachten und unter Vermeidung berufsgerichtlicher Sanktionen zu unterlassen hat.83 Allerdings ist dem Landesgesetzgeber aufgrund der Wesentlichkeitstheorie vorbehalten, die grundrechtsrelevanten Regelungen selber vorzunehmen.84 c) Zwischenergebnis Jeder originären bundesgesetzlichen Regelung der Berufsausübungsmodalitäten der Ärzteschaft, die keine bloße Ergänzung oder Implementierung bestehender landesrechtlicher Vorschriften bedeutet, muß allein schon aus formellen Gründen eine Verfassungswidrigkeit attestiert werden.85 Insbesondere ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 81

A. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 5 Rn. 4. C. Gesellensetter, Die Annäherung des freien Arztberufs an das Gewerbe, S. 82; A. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 5 Rn. 5. 83 A. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 5 Rn. 4. 84 Vgl. BVerfGE 33, 125 (156 ff.). 85 Im VÄndG weichen etwa die Regelungen zur vertragsärztlichen Tätigkeit außerhalb des Vertragsarztsitzes von den Bestimmungen des genuinen ärztlichen Berufsrechts ab. Denn im Unterschied dazu (vgl. § 17 Abs. 2 MBO-Ä) wird dem Vertragsarzt nunmehr ermöglicht, neben einer Tätigkeit an seinem Vertragsarztsitz an weiteren Orten tätig zu sein, ohne dabei einer 82

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

GG kein „Freibrief“, um sich über formal zum Vertragsarztrecht gehörende Vorschriften der Sache nach in das den Ländern obliegende Berufsrecht einzumischen.86 Die im VÄndG getroffenen Änderungen sind also symptomatisch für eine immer detaillierter erfolgende Zweckentfremdung von grundgesetzlichen Kompetenztiteln für die Reglementierung ärztlicher Berufsausübung. 2. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts Regulierungen, welche die vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeit betreffen, müssen sich auch an materiellrechtlichen Vorgaben der Verfassung messen lassen. Die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Vorschriften setzt voraus, daß der jeweilige Grundrechtseingriff vor dem Hintergrund sowohl des sich aus dem jeweiligen Grundrecht ergebenden Schrankenvorbehaltes als auch der weitergehenden Systematik von „Schranken-Schranken“ verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.87 a) Beurteilung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG Wie bereits dargelegt, weisen die mit dem Sachleistungsprinzip verbundenen Regelungen der Berufsausübung von Ärzten und Zahnärzten eine teilweise erhebliche Wirkungsintensität auf. Die staatlichen Instrumente des Sozialrechts, welche die Berufsausübung der Vertrags(zahn)ärzte direkt lenken, wirken unmittelbar über das Sachleistungsprinzip; erst dieses ermöglicht die staatliche Einflußnahme auf Zulassung und Ausgestaltung des Rechts der Leistungserbringer ohne den Umweg über allenfalls mittelbar wirkende Anreize. Mithin wird durch die Bindung des Vertrags(zahn)arztes an den Bundesmantelvertrag sowie die Statuten der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen88 das Tor für eine staatliche Einflußnahme der (zahn)ärztlichen Berufsausübung geöffnet. Bei dem alternativ denkbaren Kostenerstattungsprinzip, welches für die private Krankenversicherung charakteristisch ist, schuldet die Krankenversicherung dem Versicherten lediglich die Erstattung der durch die Inanspruchnahme (zahn)ärztlicher Behandlung entstandenen Kosten. Eine generelle Anwendung des Kostenerstattungsprinzips auf die gesetzliche Krankenversicherung hätte zur Folge, daß die Krankenkassen die (zahn)ärztliche Behandlung ihren Versicherten nicht mehr zur Verfügung zu stellen hätten; insoweit bestünde dann keine staatliche Aufgabe mehr. Das Sachleistungsprinzip und die damit verbundene Steuerung (zahn)ärztlicher Tätigkeit bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Aufgrund der Tendenz zur „nahezu vollständigen Vereinnahmung Höchstzahl zu unterliegen (vgl. § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV). Auch ist im Gegensatz zu § 19 Abs. 2 MBO-Ä eine Anstellung nicht mehr vom zugrundeliegenden Behandlungsauftrag abhängig. 86 H. Sodan, Gesundheitsreform 2006/2007 – Systemwechsel mit Zukunft oder Flickschusterei?, in: NJW 2006, 3617 (3618). 87 Vgl. zu den materiellen Grenzen der Einschränkbarkeit von Grundrechten H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 24 Rn. 27 ff. 88 Vgl. oben, S. 21.

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des freien Berufes durch den Sozialstaat“89 und der mit diesem Prinzip für Ärzte und Zahnärzte verbundenen erheblichen Grundrechtsbelastungen ist bei der Überprüfung ein strenger Maßstab anzulegen.90 aa) Verhältnismäßigkeitsprüfung Von herausragender Bedeutung bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Grundrechtseinschränkung ist das sog. Verhältnismäßigkeitsprinzip.91 Es verlangt, daß der vom Staat mit der Einschränkung verfolgte Zweck als solcher überhaupt verfolgt werden darf, mithin legitim ist, und das vom Staat eingesetzte Mittel geeignet ist, diesen Zweck zu erreichen. Darüber hinaus ist zu untersuchen, ob sich der Einsatz des Mittels zur Erreichung des Zwecks als erforderlich erweist.92 Grundsätzlich ist bei der Überprüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit von Eingriffen in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte93 Drei-Stufen-Lehre heranzuziehen. Danach wird zwischen Berufsausübungsregelungen und strengeren Rechtfertigungsvoraussetzungen unterliegenden Berufszulassungsvoraussetzungen unterschieden. Letztere können entweder an subjektive oder an objektive Kriterien anknüpfen und dadurch einer gestuften Rechtfertigungsanforderung unterliegen. An dieser Stelle soll noch nicht im einzelnen erläutert werden, inwiefern Fragen der Zulassung zum System der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zu kategorisieren sind; da die gegenwärtige Ausgestaltung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung durch eine vielfältige Einflußnahme auf die Berufsausübung gekennzeichnet ist, müssen für die Rechtfertigung, wie bereits aufgezeigt, ohnehin strenge Kriterien gelten. Denn „je einschneidender die Freiheit der Berufsausübung beengt wird, desto höher müssen die Anforderungen an die Dringlichkeit der öffentlichen Interessen sein, die zur Rechtfertigung solcher Beengung ins Feld geführt werden“.94 Vor diesem Hintergrund kann eine auf dem Stufenmodell basierende Zuordnung zunächst dahinstehen, zumal dieses Modell dem Grunde nach nichts anderes als eine eingriffsbezogene spezielle Operationalisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt. So bleibt es dabei, daß die Ein89 Auf diesen Umstand verwies bereits vor etwa einem Vierteljahrhundert K.-H. Friauf, Aktuelle Rechtsprobleme und Verfassungsfragen des Kassenarztrechts, in: 100 Jahre Krankenversicherung, S. 71 (74). 90 H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 311. 91 B. Schlink, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: Badura/Dreier (Hrsg.), FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band II, S. 445, spricht vom „wichtigsten Element“ der bundesverfassungsgerichtlichen Kontrolle der Staatsgewalten. 92 Vgl. zum allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz etwa H. Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 55; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 279; F. Schnapp, in: Schnapp/ Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 4 Rn. 31; H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 24 Rn. 32 ff. 93 Vgl. BVerfGE 7, 377 (405 ff.). 94 BVerfGE 11, 30 (43); vgl. ferner BVerfGE 7, 377 (403); 12, 144 (148).

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

bindung von Ärzten und Zahnärzten in das System der auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Gesundheitsfürsorge verhältnismäßig sein muß, um der Verfassung gerecht zu werden.

a) Zielsetzung und Geeignetheit der Statuierung eines auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Krankenversicherungssystems Die wesentlichen Begründungsansätze für Einführung und Beibehaltung des Sachleistungsprinzips im System der gesetzlichen Krankenversicherung haben sich dem Grunde nach nie geändert. Es geht nach wie vor zum einen darum, den Versicherten eine ausreichende Zahl von Ärzten und Zahnärzten sämtlicher Fachrichtungen zur Verfügung zu stellen95, und zum anderen darum, durch „die Unmittelbarkeit der Bedarfsbefriedigung“96 die (angebliche) „Hemmschwelle“ von Versicherten herabzusetzen, versicherungsmäßige Leistungen überhaupt in Anspruch zu nehmen97. Diese sozialpolitische Intention wird vor dem Hintergrund der ursprünglichen Konzeption der gesetzlichen Krankenversicherung verständlich, welche seinerzeit gerade den einkommensschwachen Bevölkerungskreisen zugute kommen sollte, die aufgrund ihrer finanziellen Lage regelmäßig nicht in der Lage gewesen wären, in Vorleistung zu gehen.98 An der Legitimität dieser Zielsetzungen bestehen keine Zweifel. Insbesondere aufgrund des (sehr unscharf konturierten) Sozialstaatsprinzips wird man erkennen müssen, daß eine unmittelbare staatliche Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen ohne eine erst nachträglich erfolgende Kostenerstattung zumindest für den bedürftigen Teil der Bevölkerung nicht an offensichtlichen Verfassungsmängeln leidet. Umgekehrt, dies sei an dieser Stelle schon einmal vorweggenommen, ergibt sich daraus aber kein faktischer verfassungsrechtlicher Zwang zur Institutionalisierung eines solchen Systems. Die Schaffung eines auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Systems der gesetzlichen Krankenversicherung müßte auch geeignet sein, den Versicherten eine ausreichende Zahl von Ärzten und Zahnärzten sämtlicher Fachrichtungen zur Verfügung zu stellen und die Hemmschwelle von Versicherten zu senken, im Bedarfsfall ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine hoheitliche Maßnahme (auch legislativer Art) ist dann geeignet, einen bestimmten Zweck zu verfolgen, wenn „der Zustand, den der Staat durch den Eingriff schafft, und der Zustand, in dem der verfolgte Zweck als ver95

E. Natter, Der Arztvertrag mit dem sozialversicherten Patienten, S. 66. BSGE 55, 188 (193). 97 Die Auflösung der Hemmschwelle besteht darin, den Patienten von jeglicher unmittelbarer Gegenleistung zu befreien und allein aufgrund seines Beitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung eine Berechtigung zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen im weitesten Sinne an die Hand zu geben, vgl. BSGE 42, 117 (119), unter Bezugnahme auf das Reichsversicherungsamt, AN 1914, S. 379 (380). 98 J. Schmitt, in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, § 28 Rn. 20. 96

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wirklicht zu betrachten ist, in einem durch bewährte Hypothesen über die Wirklichkeit vermittelten Zusammenhang stehen“.99 Das Mittel muß also den Zweck fördern. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich aufgrund der dem Gesetzgeber grundsätzlich zustehenden weiten Einschätzungsprärogative darauf, eine Evidenz-100 bzw. Vertretbarkeitskontrolle101 durchzuführen. Der vom Gesetzgeber angestrebte Erfolg muß bei einer ex-ante Betrachtung zumindest als möglich erscheinen, darf mithin nicht objektiv ungeeignet oder untauglich sein.102 Mithin ist bei der Beurteilung der Geeignetheit einer Maßnahme das zur Verfügung stehende Datenmaterial als Orientierung zugrunde zu legen, welches als prognostische Grundlage dienen kann. Gerade in jüngster Zeit kommen zunehmend Zweifel daran auf, ob das auf dem Sachleistungsprinzip beruhende System der gesetzlichen Krankenversicherung tatsächlich in der Lage ist, den Versicherten ein ausreichendes Schutzniveau vor den „Wechselfällen des Lebens“ insbesondere durch eine adäquate Versorgung mit fachärztlichen Dienstleistungen bereitzustellen: „Ärzte streiken, Vertragsarztsitze bleiben (sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland) vakant, junge Mediziner wandern ins Ausland ab, die Zahlen der Studienanfänger im Fach Humanmedizin sinken, Privatpatienten müssen durch die von ihnen beglichenen Rechnungen die vertragsärztliche Versorgung subventionieren, unter den Krankenkassen findet ein milliardenschwerer Umverteilungsprozess durch den Risikostrukturausgleich statt, teilweise sind Krankenkassen hoch verschuldet. Deshalb ist bereits zweifelhaft, ob die derzeitige gesetzliche Krankenversicherung genauso geeignet ist wie andere Modelle des Gesundheitsschutzes (Kopfpauschale, Pflicht zur Privatversicherung, Reduzierung des Versichertenkreises), wie auch die Einigkeit über Parteigrenzen hinweg zeigt, dass die gesetzliche Krankenversicherung reformiert werden muss.“103

Auf der anderen Seite muß jedoch konstatiert werden, daß das auf dem Sachleistungsprinzip beruhende System der gesetzlichen Krankenversicherung den Versicherten zumindest in der Vergangenheit eine adäquate Versorgung mit Fachärzten bereitstellen konnte. Im Ergebnis kann unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Datenmaterials und der dem Gesetzgeber gerade vom Bundesverfassungsgericht zugestandenen weiten Einschätzungsprärogative dem Sachleistungsprinzip nicht die Geeignetheit der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung abgesprochen werden. Auch hinsichtlich der unmittelbaren Bereitstellung der Gesundheitsdienstleistungen ist zu bemerken, daß die Statuierung eines auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Krankenversicherungssystems durchaus geeignet ist, diesen Anspruch zu er99

B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 283. Vgl. BVerfGE 37, 1 (20); 40, 196 (223); 65, 116 (126). 101 Vgl. BVerfGE 25, 1 (12 ff.); 30, 250 (263); 39, 210 (225 f.); 50, 290 (333 f.); 77, 84 (106); 98, 265 (309 f.). 102 Vgl. BVerfGE 25, 1 (12 ff.); 30, 250 (263). 103 N. Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 97 f. 100

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

füllen und die Hemmschwelle zur Inanspruchnahme der Leistungen abzubauen. Man könnte sogar von einer Übererfüllung sprechen; schließlich verführt fehlende Transparenz des Systems geradewegs zu einer „Null-Tarif-Mentalität“ und verleitet den Versicherten dazu, die maximal mögliche Zahl von Leistungen in Anspruch zu nehmen. Da die Patienten keine Kostenkenntnis haben, ja noch nicht einmal die Abrechnungspraxis der Leistungserbringer zu überprüfen vermögen, kann sich ein effizienzförderndes Kostenbewußtsein gar nicht entwickeln.104

b) Erforderlichkeit des Sachleistungsprinzips Aus der Geeignetheit einer hoheitlichen Maßnahme können, auch unter Berücksichtigung der weitreichenden legislativen Einschätzungsprärogative, nicht allein die Verhältnismäßigkeit und damit die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit hergeleitet werden. Vielmehr muß das gewählte Mittel auch erforderlich sein. Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn sich der Zweck der staatlichen Maßnahme nicht durch ein anderes, gleich wirksames Mittel erreichen läßt, welches das betroffene Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkt.105 Das „mildere Mittel“106 muß aber die gleiche Effektivität aufweisen; insofern kommt dem Gesetzgeber ein Prognosespielraum zu.107 Umgekehrt darf jedoch vor dem Hintergrund der Gebotenheit eines effektiven Grundrechtsschutzes der gesetzgeberische Spielraum nicht überdehnt werden. Stets müssen „die konkreten Aussagen zur gesetzlichen Belastungsgestaltung geprüft werden, es darf nicht von vorneherein ein Klima der Gesetzgebungsentbindung entstehen, bis hin zu virtueller Schrankenlosigkeit“.108 Allgemein wird man konzedieren müssen, daß die Nichtberücksichtigung eines (scheinbar) weniger wirksamen Mittels dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gerecht wird; zwar müssen Mittel mit eindeutig größerer Wirksamkeit bei gleicher Beeinträchtigungsintensität grundsätzlich den Vorrang genießen, doch umgekehrt gilt dies auch für Maßnahmen mit kaum geringerer Wirksamkeit und deutlich milderen Folgen.109

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Allerdings gibt es in diesem Zusammenhang auch gegenteilige Stimmen, die behaupten, daß bei Kostenkenntnis Patienten mit nur geringer Kostenverursachung dazu animiert werden könnten, zusätzliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, nur um ihren eingezahlten Krankenversicherungsbeitrag hereinzuholen, vgl. P. Herder-Dorneich, Mehr Transparenz in der GKV – ein Schlüssel zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen?, in: SF 1984, S. 164 (165). Dem ist entgegenzuhalten, daß nicht nur empirische Erkenntnisse fehlen, die belegen könnten, daß eine bessere Kostentransparenz zu einer gesteigerten Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen bei bestimmten Versichertengruppen führen würde, sondern auch, daß bestimmte Versicherungsmodelle entwickelt werden können (und zum Teil bereits existieren), die einen kostensparenden Umgang mit der Versicherung belohnen. 105 BVerfGE 30, 292 (316); 63, 88 (115); 78, 38 (50); 90, 145 (172). 106 So ausdrücklich BVerfGE 91, 207 (222). 107 B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 287. 108 W. Leisner, Umbau des Sozialstaates, BB-Beilage 6, 1996, S. 3. 109 M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 20 Rn. 153.

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Auch kann ein simplifizierender Rekurs auf das Sozialstaatsprinzip den Gesetzgeber keinesfalls von der im Grundgesetz festgelegten strikten Bindung an die Grundrechte (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) befreien. Aufgrund der hohen Unbestimmtheit und der fehlenden verfassungsrechtlichen Handlungsvorgaben ist das Sozialstaatsprinzip zudem im Grunde kein echtes Staatsstrukturprinzip, sondern von der Art und Weise der ihm zukommenden Rechtswirkungen eher als Staatszielbestimmung zu charakterisieren.110 Mithin schafft das Sozialstaatsprinzip eine Art fixsternartigen Orientierungspunkt, auf den staatliches Wirken ausgerichtet sein soll – schließlich dient staatliche Macht in erster Linie dazu, den Bürgern Sicherheit, auch sozialer Art, bereitzustellen. Sozialstaatlichkeit begründet jedoch kein staatliches Monopol für soziale Aktivitäten; „sozialstaatliche Aktivität“ stößt „auf grundrechtliche Vorbehalte zugunsten Privater“.111 Sozialstaatlichkeit darf sich nur im Rahmen von Freiheitsrechten entfalten.112 Da das Hauptaugenmerk bei der Erforderlichkeitsprüfung auf der Suche nach Alternativen zu dem Grundrechtseingriff liegt, ist bei der Überprüfung des Sachleistungsprinzips das für die private Krankenversicherung charakteristische Kostenerstattungsprinzip als Vergleichsmaßstab heranzuziehen.113 Fraglich ist also zunächst, ob nicht auch das Kostenerstattungsprinzip in der Lage wäre, die medizinische Versorgung der Versicherten zu gewährleisten, und gleichzeitig, als mildere Form, geeignet wäre, Eingriffe in die Therapiefreiheit durch Entbindung der Ärzteschaft von staatsmedizinischen Direktiven zu unterlassen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß bereits heute und in absehbarer Zeit eine ausreichende medizinische Versorgung der Sozialversicherten grundsätzlich nicht in Frage steht. Umgekehrt könnte sogar eine Befreiung des Sozialversicherungssystems von den dem Sachleistungsprinzip immanenten sozialstaatlichen Beschränkungen ärztlicher Tätigkeit die Attraktivität des Systems erhöhen, so daß sich auch Ärzte in die (wenigen) ländlichen Regionen Deutschlands „locken“ ließen, welche zur Zeit unter einem Mangel an Vertrags(zahn)ärzten leiden. Doch vor allem angesichts der erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung der Behandlung sozialversicherter Patienten für die Sicherung der Existenz einer (zahn)ärztlichen Praxis ist nicht zu erwarten, daß im Falle der Einführung eines generellen Kostenerstattungsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung Ärzte und Zahnärzte in größerer Zahl die Behandlung sozialversicherter Patienten verweigern könnten. Im Ergebnis ist also davon auszugehen, daß zur

110 P. Badura, Der Sozialstaat, in: DÖV 1989, S. 491 (493); W. G. Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 20 Rn. 27. 111 J. Isensee, Staatsaufgaben, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, § 73 Rn. 68. 112 K. A. Schachtschneider, Frei – sozial – fortschrittlich, in: Symposium zu Ehren von W. Thieme, S. 6 (11). 113 H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 312; ders., in: ders. (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der (vertrags)zahnärztlichen Versorgung, S. 9 (16).

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung das Sachleistungssystem nicht erforderlich ist. Diffiziler gestaltet sich die Fragestellung bei der Überprüfung der Erforderlichkeit in Anbetracht des Schutzes des Versicherten vor finanzieller Vorleistung. Zunächst ist festzuhalten, daß durch den Verlust der Unmittelbarkeit der Bedarfsbefriedigung bei Wegfall des Sachleistungsprinzips nicht zwangsläufig eine Hemmschwelle für finanziell weniger gut situierte Bevölkerungsgruppen aufgebaut wird. So ist es im Bereich der privaten Krankenversicherung durchaus üblich, daß die Versicherungsunternehmen ihre Erstattungen auch auf bereits unbezahlte Rechnungen von Ärzten und Zahnärzten leisten, welche von den versicherten Mitgliedern regelmäßig erst nach Eingang der Erstattungsbeträge beglichen werden. In vielen Fällen stark kostenverursachender Behandlungen (insbesondere bei längeren Krankenhausaufenthalten oder Operationen) ist eine solche Vorgehensweise praktisch wohl auch ohne Alternative. Darüber hinaus ließe sich eine entsprechende Vorschußpflicht der Krankenkasse auch gesetzlich regeln.114 Mithin ist zum Schutz einkommensschwacher Bevölkerungsschichten das Sachleistungsprinzip nicht zwingend geboten. So mag es zwar sein, daß das Verfahren des bloßen Vorzeigens der Krankenversicherungskarte und anschließender Inanspruchnahme der Gesundheitsdienstleistungen als bequem empfunden wird; der Schutz der Bequemlichkeit von Menschen ist jedoch kein Gesichtspunkt, welcher das Sachleistungsprinzip verfassungsrechtlich zu rechtfertigen vermag.115 Im Ergebnis ist auch aus diesem Gesichtspunkt die Erforderlichkeit der Einführung eines auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Systems der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gegeben. bb) Exkurs: Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als verfassungsimmanente Einschränkung der Berufsfreiheit? Ursächlich für das politische Bedürfnis, durch das Festhalten am Sachleistungsprinzip ärztliche Tätigkeit staatlichen Regulierungsmechanismen auszusetzen, dürfte die Hoffnung sein, den finanziellen Aufwand für die gesetzliche Krankenversicherung durch unmittelbare Einflußnahme auf das Gesundheitswesen steuern zu können. Zugunsten dieser Motivation lassen sich einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts heranziehen. So heißt es in einem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1984: „Die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Gemeinwohlaufgabe, welche der Gesetzgeber nicht nur verfolgen darf, sondern der er sich nicht einmal entziehen dürfte. Ihr dient die Kostendämpfung im Gesundheitswesen.“116 114 B. Schulin, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, § 6 Rn. 110. 115 H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 314. 116 BVerfGE 68, 193 (218).

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Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein funktionierendes vertragsärztliches System der gesetzlichen Krankenversicherung117 ein besonders wichtiger Allgemeinwohlbelang sei, hat sich seit nunmehr über zwanzig Jahren perpetuiert.118 Das System der gesetzlichen Krankenversicherung wird geradezu in den Rang eines Verfassungsgutes erhoben, welches dann als verfassungsimmanente Schranke durchaus geeignet wäre, seinerseits grundrechtsbeschränkend zu wirken.119 Bemerkenswert ist ferner, daß die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts einen Selbstzweck verfolgen soll: Sie dient nicht dem Gesundheitsschutz, sondern steht expressis verbis daneben.120 Dann aber handelt es sich um ein verfassungsrechtliches aliud.121 Das geeignete Mittel, um die finanzielle Stabilität zu gewährleisten, wird in der staatlichen Steuerung durch das Sachleistungsprinzip gesehen. Dazu führt das Bundessozialgericht aus: „Die das Sachleistungsprinzip bestimmenden Grundsätze für die Tätigkeit sowohl der Kassenärzte als auch der Angehörigen der nichtärztlichen Heilberufe sind Ausdruck des öffentlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit der kassenärztlichen Versorgung als einer Aufgabe von Verfassungsrang gewesen. Kassenärzte wie auch andere Leistungserbringer sind in das Sachleistungssystem einbezogen und den dafür geltenden Grundsätzen unterworfen […].“122

Diese Spruchpraxis wirft jedoch eine Reihe von Fragen auf. Zunächst einmal ist offen, wo das Bundesverfassungsgericht das verfassungsrechtliche Fundament des auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Systems der gesetzlichen Krankenversicherung verortet. Ein gängiger Argumentationstopos ist in diesem Zusammenhang die Berufung auf das in Art. 20 Abs. 1 (sowie Art. 23 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) erwähnte Sozialstaatsprinzip. Daß dieses zum einen jedoch viel zu unbestimmt ist, um inhaltlich konkrete Direktiven zur Ausgestaltung eines Systems hinsichtlich des „Wie“ zu geben123, und darüber hinaus auch nicht in der Lage ist, den Gesetzgeber zu Grundrechtsein117

BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 2001, S. 883 (884). Siehe etwa BVerfG (Kammerbeschl.), DVBl. 2003, S. 325 (327): „Das Leistungssystem der Krankenversicherung muß funktionsfähig bleiben“; sehr ähnlich BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1997, S. 2444. 119 Vgl. zur Schrankensystematik H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 24 Rn. 19 ff. 120 Vgl. etwa BVerfGE 103, 172 (184); BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1999, S. 2730 (2731); NJW 2001, S. 883 (884). 121 N. Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 35. 122 BSGE 69, 170 (176). 123 Mithin kommt es lediglich darauf an, daß es Vorsorgemaßnahmen gegen Risiken, die sich aus der asthenischen Natur des Menschen ergeben, grundsätzlich gibt. Die Technik der Vorsorge ist sekundär, vgl. H. F. Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, § 28 Rn. 46. 118

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

griffen zu ermächtigen, wurde unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 3 GG bereits dargelegt.124 Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts beschreibt die verfassungsrechtliche Reichweite des Sozialstaatsprinzips unter Hinweis auf die Verfassungssystematik wie folgt: „Die Handlungspflichten und Handlungsaufträge des sozialen Staatsziels sind indes nicht absolut und isoliert zu begreifen. Sie sind eingebettet in die weiteren Gehalte der Staatsfundamentalnorm des Art. 20 Abs. 1 GG, also in die bundesstaatliche, demokratische und rechtsstaatliche Verfassungsordnung. Der Staatszielbestimmung der Sozialstaatlichkeit kommt in diesem Geflecht kein Vorrang zu, so daß die staatliche Durchsetzung oder Förderung des sozialen Staatsziels stets die Verfahrens-, Kompetenz- und Grundrechtsbestimmungen der bundes-, demokratie- und rechtsstaatlichen Verfassungsordnung zu wahren hat.“125

Konkretere grundrechtliche Verfassungsnormen können ihrerseits auch keinen Imperativ für die gegenwärtige Ausgestaltung des Krankenversicherungswesens bereitstellen. Auch unter Zugrundelegung der objektiv-rechtlichen Schutzpflicht des Staates für die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) ergibt sich keine verfassungsrechtliche Stütze für die Überhöhung des gegenwärtigen Krankenversicherungswesens zu einem Verfassungsrang.126 Die gesetzliche Krankenversicherung in ihrer gegenwärtigen Form könnte nur dann Verfassungsrang haben, wenn der Gesetzgeber im Falle des Nichtergreifens dieses Mittels seine Schutzpflicht verletzen würde; hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung ist der Gesetzgeber aber ungebunden. Da andere ebenso wirksame Mittel zur Auswahl bereit stehen, erzwingt die Schutzpflicht der vorgenannten Verfassungsnormen nicht die Einführung der am Sachleistungsprinzip ausgerichteten gesetzlichen Krankenversicherung. Da auch die Kompetenzbestimmungen des Grundgesetzes keine direkten Handlungsaufträge beinhalten, sondern dem Gesetzgeber einen abstrakten Spielraum zur Verfügung stellen, kommt nur noch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts selber als Quell des Verfassungsrangs der auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht. Die Möglichkeit, Verfassungsrecht qua Richterspruch zu statuieren, ist jedoch vom Funktionsgefüge der Verfassung nicht vorgesehen; vielmehr ist diesem Konstrukt vom Gesichtspunkt der Gewaltenteilung aus mit äußerster Skepsis zu begegnen.127 Letztlich hat das Bundesverfassungsgericht nur die Funktion, bestimmte Handlungsformen der Staatsgewalten im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit bestehendem Verfassungsrecht zu prüfen. Dafür spricht nicht zuletzt die Ausgestaltung des Art. 79 GG. 124

Vgl. oben, S. 41. H.-J. Papier, in: von Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, § 3 Rn. 2. 126 N. Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 102. 127 E. Benda/E. Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1313; H. Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31 Rn. 156 ff.; U. Scheuner, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, in: DÖV 1984, S. 473 (477). 125

C. Allgemeine verfassungsrechtliche Maßstäbe

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Im Ergebnis wird die gesetzliche Krankenversicherung mit dem sie prägenden Sachleistungsprinzip so behandelt, als bedürfe sie keiner weiteren Begründung, weil es sich um eine Art Seinsgegebenheit handele. Daß jener Argumentationstopos im verfassungsrechtlichen Niemandsland ohne Möglichkeit einer rechtsdogmatischen Verankerung residiert, führt zu der Erkenntnis, daß die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung kein Argument sein kann, welches eine Freiheitsbeschränkung zu rechtfertigen vermag. Im übrigen ist hinzuzufügen, daß selbst bei Anerkennung des Verfassungsranges der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung das Sachleistungsprinzip und die damit verbundenen Eingriffe in die Freiheitsrechte der Leistungserbringer und Patienten rechtfertigungsbedürftig bleiben bzw. in eine praktische Konkordanz zu bringen sind. Diese sucht den „verhältnismäßige[n] Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziele ihrer Optimierung“.128 Mithin sind auch hier wieder die Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten; wird zur Beschränkung eines Grundrechts eine andere Verfassungsnorm zur Begründung herangezogen, dann muß die Beschränkung auch geeignet sein, das beabsichtigte Ziel der Stärkung der anderen Verfassungsnorm zu verfolgen. Mit anderen Worten: Eine Beschränkung eines Freiheitsrechts, die ungeeignet ist, den anderen Verfassungswert zu stärken, ist keine Optimierung von Verfassungswerten. Genau an diesem Punkt zeigt sich aber die Schwäche des Sachleistungsprinzips. Es erweist sich als empirisch ungeeignet, das Ziel der finanziellen Stärkung der gesetzlichen Krankenversicherung zu verfolgen. Vielmehr gilt umgekehrt: Das Sachleistungsprinzip gefährdet die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung und stellt eine wesentliche Ursache für deren Probleme dar. Schließlich bietet es den Versicherten weder besondere Anreize zur sparsamen Inanspruchnahme der Leistungen und fördert im übrigen Mißbrauch durch fehlende Transparenz.129 b) Beurteilung am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit steht unter dem Vorbehalt der sog. „Schrankentrias“ des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG, namentlich der „verfassungsmäßigen Ordnung“. Der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zufolge gehören Vorschriften über die Gründung öffentlich-rechtlicher Verbände mit Zwangsmitgliedschaften nur zur verfassungsmäßigen Ordnung, wenn diese Vereinigungen legitime öffentliche Aufgaben wahrnehmen.130 Als Grundsatz für die Überprüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 2 Abs. 1 GG gilt, daß die zur Rechtfertigung eines (gesetzlichen) 128

BVerfGE 81, 278 (292). Vgl. oben, S. 39 f. 130 Siehe BVerfGE 10, 89 (102 f.); 10, 354 (363); 15, 235 (241); 32, 54 (65); 38, 281 (297 ff.); 78, 320 (329); BVerfG (Kammbeschl.), NVwZ 2002, S. 335 (336). 129

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

Eingriffs in die Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit vorgetragenen Gründe in ihrer Gewichtigkeit proportional zur Eingriffsqualität stehen müssen. Je intensiver der Eingriff ist, desto sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden.131 In Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wird in der Rechtsprechung aus Art. 2 Abs. 1 GG das Recht abgeleitet, nicht durch Zwangsmitgliedschaft in „unnötigen“ Körperschaften in Anspruch genommen zu werden.132 Die zur Rechtfertigung angeführten legitimen öffentlichen Aufgaben müssen dann so beschaffen sein, daß sie nicht im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden dürfen.133 Unabhängig von der noch zu erörternden Frage, inwieweit eine Pflichtversicherung aus der Perspektive der Versicherten verfassungsrechtlich zu bewerten ist, lassen sich aus Sicht der Vertrags(zahn)ärzte gegen die Pflichtmitgliedschaft in einer Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung Einwände vorbringen. Immerhin tritt diese Zwangsmitgliedschaft neben eine schon bestehende Pflichtmitgliedschaft in einer Ärzte- bzw. Zahnärztekammer; insofern bestehen in einer (landesrechtlichen) Berufsordnung grundsätzliche Regelungen zum Umgang mit Patienten. De lege lata ist es den Ärzten gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 MBO-Ä abgesehen von Notfällen unbenommen, die Behandlung eines Patienten abzulehnen. Insofern scheint die Sicherstellung des Behandlungsauftrages durch die zusätzliche Zwangsmitgliedschaft in einer Kassenärztlichen Vereinigung erforderlich. Würde aber umgekehrt de lege ferenda eine grundsätzliche Behandlungspflicht in die landesrechtlichen Berufsordnungen aufgenommen werden und das nach dem bisher Erörterten ohnehin problematische Sachleistungsprinzip durch eine grundsätzliche Kostenerstattung substituiert werden, so entfiele die Notwendigkeit einer neben die berufsrechtliche Verkammerung tretenden Zwangsmitgliedschaft in einer Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung. Es ist davon auszugehen, daß die Pflichtmitgliedschaft in einer Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung das Tor für eine überreglementierte und damit letztlich „staatsmedizinisch“ geprägte ärztliche Berufsausübung öffnen soll.134 Eine freie Berufsausübung ohne eine scheinbar frei ausgehandelte vertragliche Bindung an die Therapieund Vergütungsvorgaben des Sozialversicherungssystems bedarf keiner Zwangsbindung in Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen; sie ist unnötig und daher vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 GG auch nicht zu rechtfertigen.

131

BVerfGE 17, 306 (314). Siehe BVerfGE 38, 281 (298); BVerwGE 59, 231 (233); 64, 115 (117); 64, 298 (301); 80, 334 (336); 109, 97 (99). 133 BVerfGE 38, 281 (299). 134 Vgl. C. Gesellensetter, Die Annäherung des freien Arztberufs an das Gewerbe, S. 93 f. 132

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts

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3. Zwischenergebnis Da sowohl das Kostenerstattungs- als auch das Sachleistungsmodell gleichermaßen geeignet sind, dem sozialstaatlich motivierten und vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 2 GG auch verfassungsrechtlich geforderten Anspruch auf Bereitstellung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems für Bedürftige zu genügen135, ist aufgrund der ungleich geringeren Eingriffsintensität eines staatsferneren Versicherungsmodells, das auf die Bevormundung in Therapiefragen und Berufszulassungsrestriktionen verzichtet, die Erforderlichkeit des gegenwärtigen Krankenversicherungsmodells nicht gegeben. Unter Berücksichtigung der aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Elemente des Übermaßverbots kommt man zu dem Zwischenergebnis, daß das bestehende, am Sachleistungsprinzip orientierte System der gesetzlichen Krankenversicherung in seiner derzeitigen Ausgestaltung nicht verfassungskonform ist.

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts am Beispiel von Höchstaltersgrenzen für Vertrags(zahn)ärzte Das am Sachleistungsprinzip ausgerichtete gesetzliche Krankenversicherungsrecht ermöglicht kraft der Zwangseingliederung in das System der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen nicht nur politische Einflußnahme und Steuerungsoptionen auf die (zahn)ärztliche Berufsausübung, sondern auch auf die personelle Entscheidung, wer in diesem System praktizieren darf und wer nicht. Wie bereits dargelegt, ist die Frage der Einführung des Systems mit der Frage der Zulassung gleichzusetzen.136 Spiegelbildlich zur Zulassung galt vom 1. Januar 1999137 bis zu einer am 1. Oktober 2008 in Kraft getretenen Neuregelung von § 95 Abs. 7 und 9 SGB V138 eine sozial135

Vgl. dazu U. di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 Rn. 94; D. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 2 Rn. 225. 136 Vgl. oben, S. 21 f. 137 Siehe zur ursprünglichen Regelung Art. 1 Nr. 51 Buchst. h des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2266). 138 Siehe Art. 1i und Art. 7 Abs. 3 GKV-OrgWG (vgl. dazu oben, S. 16). Die Sätze 3 bis 6 in § 95 Abs. 7 SGB V n. F. lauten nunmehr: „Für Vertragsärzte, die im Jahr 2008 das 68. Lebensjahr vollendet haben, findet § 95 Abs. 7 Satz 3 bis 9 in der bis zum 30. September 2008 geltenden Fassung keine Anwendung, es sei denn, der Vertragsarztsitz wird nach § 103 Abs. 4 fortgeführt. Die Zulassung endet in diesen Fällen zum 31. März 2009, es sei denn, der Vertragsarzt erklärt gegenüber dem Zulassungsausschuss die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt die Zulassung als ruhend. In den Fällen der Anstellung von Ärzten in einem zugelassenen medizinischen Versorgungszentrum gelten die Sätze 3 bis 5 entsprechend.“ Gemäß § 95 Abs. 9 Satz 4 SGB V n. F. gelten die Sätze 3 bis 5 in § 95 Abs. 7 SGB V n. F. entsprechend. Vgl. zu den Neuregelungen auch Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung, BTDrucks. 16/10609, S. 69.

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

rechtliche Höchstaltersgrenze. Danach wurde einem Vertragsarzt nach § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. am Ende des Kalendervierteljahres, in dem er das 68. Lebensjahr vollendet hat, die Zulassung ohne administratives Umsetzungserfordernis entzogen (siehe zu Ausnahmen § 95 Abs. 7 Sätze 4 und 8 SGB V a. F.); die Regelung der Höchstaltersgrenze war gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB Va. F. auf Zahnärzte entsprechend anzuwenden und galt ferner für Psychotherapeuten (vgl. § 95 Abs. 7 Satz 5 SGB V a. F.) sowie für in einem zugelassenen medizinischen Versorgungszentrum angestellte Ärzte (vgl. § 95 Abs. 7 Satz 7 SGB Va. F.). Die von der vertragsärztlichen Zulassung unabhängige Approbation blieb jedoch erhalten.139 Vor dem Hintergrund, daß etwa 90 Prozent der Bevölkerung in den Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und regelmäßig nicht bereit sind oder über die finanziellen Mittel verfügen, die Kosten für den Arzt- bzw. Zahnarztbesuch selber zu tragen, war zu bezweifeln, daß eine Praxis auch nach altersbedingtem Austritt aus dem Vertrags(zahn)arztsystem auf rein privat(zahn)ärztlicher Basis wirtschaftlich fortgeführt werden konnte.140 Da durch die Gesetzgebung die Erreichbarkeit des privaten Krankenversicherungssystems insbesondere durch beständiges Erhöhen der Versicherungspflichtgrenze nach § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 SGB V erschwert worden ist141, kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich die ökonomischen Prämissen, unter denen eine rein privatärztlich geführte Praxis steht, zukünftig signifikant ändern werden. Abgesehen von dem evidenten Eingriffscharakter einer starren Altersgrenze für die Partizipationsmöglichkeit am vertrags(zahn)ärztlichen System im Hinblick auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsfreiheit stellt eine Höchstaltersgrenze auch für einige Patientengruppen eine gravierende Belastung dar, insbesondere wenn gefestigte Vertrauensbeziehungen abrupt beendet werden. Schließlich macht es einen qualitativen Unterschied, ob die Behandlungsbeziehung durch unabänderliche approbationsrechtliche Faktoren letztlich auch zum Wohle des Patienten beendet wird oder ob durch das Instrumentarium des Sozialrechts auf Kosten von Leistungserbringern und Beitragszahlern versucht wird, das Gesundheitswesen mittels punktueller und kurzfristiger Remeduren ohne grundlegende Neuausrichtung über die nächsten Legislaturperioden zu retten. Auf die mit einer Höchstaltersgrenze einhergegangenen Belastungen für die Arztwahl des Patienten wird im nächsten Abschnitt ausführlich eingegangen. Vorerst stellt sich die Frage nach einer verfassungsrechtli139 Allerdings kann auch die ärztliche Approbation aus mit dem Alter zusammenhängenden medizinischen Gründen entzogen werden, wenn der Arzt zur Ausübung des Berufes in gesundheitlicher Hinsicht ungeeignet ist, vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO. 140 W. Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (394); H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 228. 141 Vgl. etwa zuletzt durch die Änderung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch Art. 1 Nr. 3 lit. a) des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVWSG) vom 26. März 2007, BGBl. I S. 378. Diese Regelung wurde durch ein Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 bestätigt (NJW 2009, S. 2033 [2044 f., Nr. 225 ff.]).

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chen Beurteilung am Maßstab der einschlägigen Schutznormen für die Leistungserbringer. Diese Prüfung ist insofern weiterhin sinnvoll, als die in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. geregelte Höchstaltersgrenze lange galt und der Gesetzgeber sie je nach politischer Opportunität in gleicher oder ähnlicher Form eines Tages wiederbeleben könnte. Ein Beispiel für eine Renaissance gesetzlicher Bestimmungen stellen die Zulassungsbeschränkungen wegen vermeintlicher Überversorgung dar, die vom Bundesverfassungsgericht in Entscheidungen aus den Jahren 1960 und 1961 für die damaligen Kassenärzte142 und Kassenzahnärzte143 für nichtig erklärt und dann durch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 in ähnlicher Form wiedereingeführt wurden144.

I. Beurteilung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG Wenn, wie bereits festgestellt wurde145, auch die vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeit unter den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG zu subsumieren ist, bedarf es einer grundrechtsdogmatischen Untersuchung, welche Eingriffsqualität die Statuierung einer Altershöchstgrenze aufweist. 1. Eingriffsqualität vertrags(zahn)ärztlicher Höchstaltersgrenzen Allgemein wird bei Eingriffen in die Berufsfreiheit nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Drei-Stufen-Theorie zwischen Berufsausübungsregelungen sowie subjektiven und objektiven Berufszulassungsvoraussetzungen unterschieden.146 Je nach der Eingriffsintensität werden an die verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsmöglichkeiten sich qualitativ steigernde Anforderungen gestellt. Objektive Berufszulassungsbeschränkungen betreffen das „Ob“ der Berufsausübung; sie stellen die härteste Eingriffsform dar und verlangen für die Wahl eines Berufes die Erfüllung objektiver, dem Einfluß des Berufswilligen entzogener und von seiner Qualifikation unabhängiger Kriterien. Auch subjektive Berufszulassungsbeschränkungen betreffen das „Ob“ und knüpfen die Wahl des Berufes an persönliche Eigenschaften sowie Fähigkeiten. Lediglich Berufsausübungsregelungen betreffen die Art und Weise der Berufsausübung, mithin das „Wie“; sie regeln die Modalitäten, in denen sich die berufliche Tätigkeit vollziehen kann.

142

Siehe BVerfGE 11, 30 ff. Siehe BVerfGE 12, 144 ff. 144 Siehe dazu im einzelnen H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 221 ff. 145 Vgl. oben, S. 23 f. 146 Vgl. statt vieler: H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 12 Rn. 29 ff. 143

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

Sozialrechtliche Normen, welche die unmittelbare Entziehung des Vertragsarztstatus von dem Erreichen eines Lebensalters abhängig machen (sog. „self-executing-Wirkung“147), könnten grundsätzlich als subjektive Berufszulassungsbeschränkungen angesehen werden. Es ist allerdings zu berücksichtigen, daß Zulassungsbeschränkungen generell den Zutritt zu einem bestimmten Beruf an objektive oder subjektive Voraussetzungen knüpfen. Es bietet sich daher an, zunächst zu klären, ob die vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeit einen eigenständigen Beruf darstellt. Nur dann könnte man bei einer an das Lebensalter gekoppelten vertrags(zahn)ärztlichen Praxis von einer subjektiven Berufszulassungsbeschränkung ausgehen. Handelt es sich andererseits aber bei der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit lediglich um eine besondere Modalität des Berufes des niedergelassenen Arztes oder Zahnarztes, so wäre die sozialrechtliche Höchstaltersgrenze nur als Berufsausübungsregelung zu qualifizieren, da nicht die (vertrags)ärztliche Tätigkeit als solche untersagt werden soll, sondern lediglich die Möglichkeit, die (zahn)ärztlichen Tätigkeiten mit der Krankenkasse abzurechnen. Bei Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Berufswahl und Berufsausübung ist die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Berufsbildlehre148 heranzuziehen. Danach ist die Frage, ob ein eigenständiger Beruf vorliegt, anhand der allgemeinen Verkehrsauffassung, der Beurteilung der Berufsausübenden selbst und einer möglichen gesetzlichen Fixierung des Berufsbildes zu entscheiden. Stellt man die Tätigkeiten eines niedergelassenen Arztes und die eines Vertragsarztes nebeneinander, so wird man keine wesentlichen Unterschiede feststellen können: Beide Tätigkeiten dienen der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung, wie es in der Musterberufsordnung für Ärzte in § 1 Abs. 1 Satz 1 dargelegt ist. Eine Differenzierung zwischen Vertragsarzt und Arzt findet nicht statt. Es mag zwar durchaus ärztliche Tätigkeiten geben, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung oder nach der gesetzlichen Ausgestaltung so weit von der allgemeinen ärztlichen Tätigkeit abrücken, daß ihnen der Status als eigenständiger Beruf zuerkannt werden kann – namentlich gilt dies für den Zahnarzt oder den psychologischen Psychotherapeuten und möglicherweise auch für den Amtsarzt. Im Gegensatz dazu hebt sich die Tätigkeit als Vertrags(zahn)arzt aber nicht so weit vom Kreis der übrigen frei praktizierenden Ärzte bzw. Zahnärzte ab, daß man diese Tätigkeit als besonderen Beruf bezeichnen könnte. Mithin stellt eine sozialrechtliche Höchstaltersgrenze formal auch keine subjektive Berufszulassungsregelung, sondern eine Berufsausübungsmodalität dar.149 Allerdings sind vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der Behandlung von Kassenpatienten für die Existenz einer (zahn)ärztlichen Praxis die tatsächlichen Auswirkun-

147 Vgl. BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1998, S. 1776; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluß vom 28. November 2007, Az: L 7 B 153/07 KA ER. 148 Vgl. dazu etwa BVerfGE 7, 377 (397); 9, 39 (48); 75, 246 (265 f.); 77, 84 (105 f.) sowie die Erläuterungen bei H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 12 Rn. 10 ff. 149 H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 268.

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gen und die Schwere des Eingriffs durchaus mit einer Berufswahlbeschränkung vergleichbar. In einer ähnlichen Richtung dürfte auch die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen sein. Zwar hat das Gericht bislang eine explizite Stellungnahme zur Eingriffsqualität der Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte vermissen lassen150 ; jedoch verortete das Gericht in ähnlichen Sachverhaltskonstellationen Höchstaltersgrenzen auf der Stufe der subjektiven Zulassungsvoraussetzungen151. Schließlich seien diese eine Voraussetzung für die Fortführung eines zulassungsgebundenen Berufes und somit faktisch für den Beruf selbst. Zudem umfasse die berufliche Entscheidungsfreiheit nicht nur den Zeitpunkt des Beginns, sondern auch die Beendigung der Berufstätigkeit. Im Ergebnis ist eine Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte in Anwendung der Berufsbildlehre als Berufsausübungsregelung mit allerdings faktisch berufswahlregelnder Auswirkung zu qualifizieren. Daher unterliegen die im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung anzuführenden Rechtfertigungsgründe im Vergleich zu den lediglich die Berufsausübung ohne entsprechende Folgen regelnden Normen höheren Anforderungen. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Wenn es sich bei einer Altersgrenze faktisch um eine subjektive Berufszulassungsbeschränkung handelt, so bedarf es zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes.152 Grundsätzlich lassen sich Gründe, die zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Altersgrenzen herangezogen werden, in zwei Gruppen einteilen.153 Zum einen gibt es die behandlungsbezogenen und zum anderen die systembedingten Argumentationsstränge. Auch wenn ausweislich der gesetzgeberischen Begründung die Statuierung von Höchstaltersgrenzen einer sozial- und verteilungspolitischen Motivation folgte (dazu sogleich), argumentierte das Bundesverfassungsgericht ganz anders und bezog sich ausschließlich auf den Gesundheitsschutz der Versicherten. Deshalb soll die bundesverfassungsgerichtliche Argumentation zunächst kritisch dargestellt werden.

150 Vgl. zur grundlegenden Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der vertrags(zahn)ärztlichen Höchstgrenze BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1998, S. 1776 f.; vgl. auch BVerfG (Kammerbeschl.), NZS 2008, S. 311 ff. 151 Siehe BVerfGE 11, 30 (42 ff.); 64, 72 (82); 80, 257 (263). 152 Vgl. BVerfGE 13, 97 (107); 25, 236 (247); 59, 302 (316); 69, 209 (218); 73, 301 (316 ff.); 93, 213 (235); BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1998, S. 1776 f. 153 U. Becker, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Vertragsärzte am Beispiel der zulassungsbezogenen Altersgrenzen, in: NZS 1999, S. 521 (524).

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

a) Verhältnismäßigkeitsprüfung am Maßstab des behandlungsbezogenen Argumentationsstranges aa) Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts stellte die mit der Höchstaltersgrenze verfolgte Sicherstellung der Qualität der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung einen besonders wichtigen Gemeinwohlbelang dar, der einen solch schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit rechtfertigte. So führte das Gericht folgendes aus: „Wie bei allen Altersgrenzen, die die Berufsausübung im höheren Alter einschränken, dienen die angegriffenen Regelungen auch dazu, den Gefährdungen, die von älteren, nicht mehr voll leistungsfähigen Berufstätigen ausgehen, einzudämmen. Hier geht es um Gefahren, die von nicht mehr leistungsfähigen Vertragsärzten für die Gesundheit der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten ausgehen und die im Zusammenhang mit dem System der gesetzlichen Versicherung zu beurteilen sind. Die gesetzlich Versicherten haben anders als privat versicherte Patienten aufgrund des Sachleistungsprinzips nur Anspruch auf Behandlung durch einen Vertragsarzt. Die Tätigkeit als Vertragsarzt stellt hohe Anforderungen an die volle körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß die Gefahr einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit auch heute noch mit zunehmendem Alter größer wird. […] Die angegriffenen Regelungen genügen auch den Anforderungen, die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen. Sie sind zur Sicherung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des Vertragsarztes geeignet und erforderlich. Der Gesetzgeber ist im Rahmen des ihm eingeräumten Gestaltungsspielraums nicht darauf beschränkt, jeweils im Einzelfall ab Vollendung des 68. Lebensjahres eine individuelle Prüfung der Leistungsfähigkeit zur Sicherstellung dieses Zieles vorzunehmen. Er darf auf der Grundlage von Erfahrungswerten eine generalisierende Regelung erlassen.“154

bb) Kritische Würdigung Dreh- und Angelpunkt der bundesverfassungsgerichtlichen Argumentation war, daß allgemeine Erfahrungswerte auf die geminderte Leistungsfähigkeit älterer Berufstätiger schließen lassen. Dieser altersbedingte Abfall der Leistungsfähigkeit begründe eine besondere Gefahr für die Kassenpatienten. Unabhängig von einer verfassungsrechtlichen Beurteilung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stellt sich zunächst die Frage nach der materiellen Richtigkeit dieser Argumentation. Denn dem Gesetzgeber steht zwar anerkanntermaßen bei der Würdigung von Lebenssachverhalten und der sich anschließenden legislativen Tätigkeit eine weite Einschätzungsprärogative zu155, doch „enthebt der Prognosespielraum nicht zugleich von einer Begründung, der Verzicht auf die Nachweis-

154

BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1998, S. 1776 (1777); wiederholt in: BVerfG (Kammerbeschl.), NZS 2008, S. 311 (312). 155 Vgl. oben, S. 39 f.

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barkeit bedeutet nicht zugleich auch einen Verzicht auf Nachvollziehbarkeit“156. Daher bestehen hier erhebliche Bedenken: Zum einen wurde in der bundesverfassungsgerichtlichen Bewertung die Erfahrung, die proportional zur altersbedingt absinkenden körperlichen Leistungsfähigkeit während der Berufstätigkeit angesammelt wurde, völlig außer acht gelassen. Diese kann bei bestimmten fachärztlichen Betätigungsfeldern im Gegensatz zur körperlichen Leistungsfähigkeit eine herausragende Bedeutung aufweisen. Weshalb beispielsweise ein Patient vor einem 69-jährigen Psychotherapeuten oder Allgemeinmediziner „geschützt“ werden müßte, ist nicht nachvollziehbar. Die Festsetzung einer einheitlichen Altersgrenze ließ also jede fachrichtungsspezifische Differenzierung vermissen, obwohl die jeweiligen Anforderungen, die beispielsweise an Zahnärzte, Chirurgen oder Psychiater gestellt werden, signifikante Unterschiede aufweisen.157 Die zwischenzeitlich entfallene generalisierende Altersregelung war darüber hinaus in weiteren Punkten inkonsistent. Widersprüchlich war etwa, daß ein approbierter und weitergebildeter Arzt auch nach der Vollendung des 68. Lebensjahres einen Vertragsarzt gemäß § 32 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 3 Abs. 2 Ärzte-ZV vertreten konnte, obwohl er aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters nach der bundesverfassungsgerichtlichen Argumentation eine Gefahr für Leben und Gesundheit eines Patienten darstellte. Darüber hinaus ermöglichte der Sozialgesetzgeber einem jenseits der Höchstaltersgrenze praktizierenden Arzt unter der Voraussetzung einer ärztlichen Unterversorgung in einem Zulassungsbezirk die weitere Teilnahme am System der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung (vgl. § 95 Abs. 7 Sätze 8 und 9, § 100 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Hätte das zu hohe Alter der Vertrags(zahn)ärzte bzw. der altersbedingte Leistungsabfall tatsächlich eine Gefahr für die Kassenpatienten begründet, so hätte sich der Gesetzgeber die Tür der planwirtschaftlichen Versorgung nicht offen halten dürfen. Schließlich hat er das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Versicherten (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG) zu beachten.158 Tatsächlich war jedoch weder den einschlägigen Gesetzesmaterialien noch den entsprechenden Diskussionsbeiträgen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu entnehmen, daß der Gesetzgeber eine Höchstaltersgrenze von Vertrags(zahn)ärzten im Interesse des Patientenschutzes einführen wollte. Das Bundesverfassungsgericht hält sich zwar für berechtigt, im Rahmen seiner Spruchpraxis weitere in der Gesetzesbegründung keinen Niederschlag findende Gesichtspunkte anzuführen.159 Setzt sich das Bundesverfassungsge156

U. Becker, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Vertragsärzte am Beispiel der zulassungsbezogenen Altersgrenzen, in: NZS 1999, S. 521 (525). 157 W. Boecken, Stellungnahme zur verfassungsrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit der Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte für die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 12. März 2008, Ausschußdrs. 16(14)0360(15), S. 7. 158 Das Bundesverfassungsgericht vertritt konsequenterweise die gegenteilige Auffassung, wonach die Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung gegenüber dem Schutz der Patienten Vorrang eingeräumt sei, BVerfG (Kammerbeschl.), NZS 2008, S. 311 (312). 159 Vgl. etwa BVerfGE 21, 292 (299); 33, 171 (186).

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

richt aber in einer Entscheidung nicht mit den Gesetzesmaterialien auseinander und rekurriert vollständig auf eine eigens geschaffene und darüber hinaus auch sehr zweifelhafte Begründung, so spielt es sich als Legislativorgan auf, dem eine mit der Gesetzgebung vergleichbare weite Einschätzungsprärogative nicht zusteht. Das Gericht verläßt in diesem Falle seine verfassungsrechtlich zugewiesene Position im Gefüge der Gewaltenteilung. Hinzu kommt ein weiterer Wertungswiderspruch zwischen Vertrags(zahn)ärzten und privat(zahn)ärztlich Praktizierenden. Die Tätigkeiten beider Gruppen sind in der Ausübung der Heilkunde identisch. Wenn aber Privatpatienten weiterhin einen aus dem vertrags(zahn)ärztlichen System ausgeschiedenen Arzt bzw. Zahnarzt aufsuchen können, weil dieser immer noch seine Approbation besitzt, dann stuft das Bundesverfassungsgericht Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung als schutzwürdiger ein als außerhalb dieses Systems stehende Patienten. Schließlich bleibt bei Letzteren das mit dem höheren Lebensalter einhergehende Risiko erhalten und wird vom Gesetzgeber hingenommen.160 Wäre aber die Weiterbehandlung von Patienten ab dem Erreichen des 68. Lebensjahres tatsächlich mit Gesundheitsgefahren verbunden, hätte der Gesetzgeber nicht zwischen privat und gesetzlich versicherten Patienten sowie zwischen den Tätigkeiten als Vertrags(zahn)arzt und als freier Arzt bzw. Zahnarzt differenzieren dürfen.161 Im übrigen ließ sich die bundesverfassungsgerichtliche Argumentation auch nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang bringen. Dann hätte eine starre auf das 68. Lebensjahr ausgerichtete Altersgrenze erforderlich sein müssen und kein milderes, gleich effektives Mittel in Betracht kommen dürfen. Als milderes und ebenfalls effektives Mittel zur Verringerung der von einem älteren Arzt bzw. Zahnarzt ausgehenden Gefahren könnte eine individuelle Prüfung der Leistungsfähigkeit in Betracht gezogen werden. Das Bundesverfassungsgericht führte diesen Aspekt zwar in seinem Nichtannahmebeschluß zur Überprüfung der vertragsärztlichen Höchstaltersgrenze an, beschied jedoch knapp, daß „der Gesetzgeber […] im Rahmen des ihm eingeräumten Gestaltungsspielraums nicht darauf beschränkt [ist], jeweils im Einzelfall […] eine individuelle Prüfung der Leistungsfähigkeit zur Sicherstellung dieses Zieles vorzunehmen. Er darf auf der Grundlage von Erfahrungswerten eine generalisierende Regelung erlassen“.162 Entsprechend finden sich in der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur weitere Entscheidungen, die starre Höchstaltersgrenzen ohne Berücksichtigung eines möglicherweise entgegenstehenden Leistungsfähigkeitsnachweises als verfassungskonform und zumutbar beurteilten. Allerdings unterscheiden sich die in dem bundesverfassungsgerichtlichen Beschluß angeführten Judikate signifikant von der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung dieser Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte zugrundezulegenden Sachlage.

160 161 162

Vgl. OVG Lüneburg, MedR 2007, S. 369 (370). Vgl. R. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 95 Rn. 96. BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1998, S. 1776 (1777).

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In einem Beschluß zur Vereinbarkeit einer Höchstaltersgrenze bei Prüfingenieuren für Baustatik mit dem Grundgesetz heißt es, daß „für die Betroffenen […] eine generelle Altersgrenze eher zumutbar [erscheint] als das Ansinnen, eine über die Vollendung des 70. Lebensjahres hinaus fortbestehende Leistungsfähigkeit jeweils durch Vorlage amtsärztlicher Zeugnisse nachzuweisen“163. Abgesehen davon, daß der Nachweis einer individuellen Befähigung gegenüber einem grundsätzlichen Ausschluß von der beruflichen Praxis eine geringere Belastung darstellt, ist darauf hinzuweisen, daß dem Vertragsarztsystem eine individuelle Überprüfung der Leistungsfähigkeit nicht fremd ist. Immerhin kennt das Vertragsarztrecht mit § 95d SGB Veine generelle Verpflichtung zur Fortbildung, die durch den Erwerb entsprechender Fortbildungszertifikate auch Gegenstand einer individuellen Überprüfung sein kann.164 Im Rahmen einer Entscheidung über die Höchstaltersgrenze für Hebammen verweist das Bundesverfassungsgericht darauf, daß aufgrund der staatlichen Gebundenheit des Berufes und eines für den Bürger faktisch existierenden Benutzungszwanges der Staat auch verpflichtet sei, „umfassende und wirksame Vorsorge gegen Gefahren zu treffen, die aus dem Fortfall der beruflichen Leistungsfähigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstehen können“165. Im Unterschied zum System der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung war es Hebammen nach der Gesetzeslage jedoch untersagt, ihren Beruf nach Erreichen der Altersgrenze auszuüben. Ärzte und Zahnärzte konnten jedoch trotz angeblich nachlassender Leistungsfähigkeit privat Versicherte weiter behandeln bzw. einen Vertrags(zahn)arzt nach Maßgabe des § 32 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 3 Abs. 2 Ärzte-ZV bzw. § 32 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 Zahnärzte-ZV vertreten. Eine Gefährdung der Patientengesundheit durch ältere Ärzte und Zahnärzte war also – im Unterschied zu der Regelung betreffend die Hebammen – nicht ausgeschlossen.166 Mithin konnten die vom Bundesverfassungsgericht angeführten Entscheidungen die Annahme der Zulässigkeit einer generellen Höchstaltersgrenze nicht stützen. Da die regelmäßige – etwa im Zwei-Jahres-Turnus stattfindende – Untersuchung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit nach dem bisher Gesagten ein gleich geeignetes, aber milderes Mittel zur Sicherstellung einer effektiven Gefahrenabwehr ist, kann eine „Zwangspensionierung“ von Vertrags(zahn)ärzten auch zukünftig als nicht erforderlich angesehen werden; sie wäre somit unverhältnismäßig. Im übrigen entspricht nur eine individuelle Betrachtung des Alterungsprozesses den Erkenntnissen der Gerontologie über den Abbau der Leitungsfähigkeit.167 Zudem 163

BVerfGE 64, 72 (85). W. Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (396). 165 BVerfGE 9, 338 (347). 166 So auch M. Schüffner/L. Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, S. 66 f. 167 W. Boecken, Stellungnahme zur verfassungsrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit der Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte für die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 12. März 2008, Ausschußdrs. 16(14)0360(15), S. 6. 164

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

stünden einer solchen individuellen Prüfung der Leistungsfähigkeit keine finanziellen Bedenken entgegen: Zum einen könnten die sich daraus ergebenden Kosten dem einzelnen Vertrags(zahn)arzt auferlegt werden; zum anderen hielte sich angesichts der relativ kleinen Kontrollgruppe der administrative Aufwand in engen Grenzen.168 Hält man sich darüber hinaus vor Augen, daß die (frei)berufliche Tätigkeit regelmäßig von erheblicher Bedeutung für die Persönlichkeit eines Menschen ist und zum Bewußtsein eines erfüllten Lebens beiträgt – in der Terminologie des Bundesverfassungsgerichts stellt die Tätigkeit des Arztes für diesen einen „Existenzsinn“ dar169 –, so bewirkt ein altersbedingter Verlust der vertrags(zahn)ärztlichen Zulassung einen schwerwiegenden Eingriff in das Selbstverständnis der Person. Dieser Faktor muß sich im Rahmen der Angemessenheitsprüfung niederschlagen und führt folgerichtig ebenfalls zu der Annahme, daß starre nachweisunabhängige „Zwangspensionierungsregelungen“ mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren sind.170 b) Verhältnismäßigkeitsprüfung am Maßstab des systembedingten Argumentationsstranges aa) Standpunkt des Gesetzgebers Der Gesetzgeber begründete die grundsätzliche Befristung der Zulassung als Vertrags(zahn)arzt auf die Vollendung des 68. Lebensjahres ursprünglich damit, daß die Regelung ein Teil des Konzepts zur Begrenzung des Anstiegs der Vertragsärzte war. So heißt es in der Begründung des entsprechenden Gesetzentwurfs seitens der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: „Die Entwicklung der Vertragsarztzahl stellt eine wesentliche Ursache für überhöhte Ausgabenzuwächse in der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Angesichts einer ständig steigenden Zahl von Vertragsärzten besteht die Notwendigkeit, die Anzahl der Vertragsärzte zu beschränken. Die Überversorgung kann nicht nur durch Zulassungsbeschränkungen und damit zu Lasten der jungen Ärztegeneration eingedämmt werden. Hierzu ist auch die Einführung einer obligatorischen Altersgrenze für Vertragsärzte erforderlich.“171

Bedingt durch die fortwährenden Reformbemühungen im Bereich des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung bekam der Gesetzgeber auch nach der zweifelhaften, auf den Gesundheitsschutz der gesetzlich Krankenversicherten abstellenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Gelegenheit, erneut zu der Höchstaltersgrenze Stellung zu nehmen. Soweit erkennbar, wurde der Argumentationsstrang des Bundesverfassungsgerichts nie aufgenommen. So heißt es in der Begründung zu dem von der Bundesregierung am 30. August 2006 vorgelegten Entwurf eines Ver168

W. Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (396). 169 So BVerfGE 16, 286 (297) in bezug auf die stationäre Behandlung durch Chefärzte. 170 So auch M. Schüffner/L. Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, S. 67. 171 BT-Drs. 12/3608, S. 93.

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts

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tragsarztrechtsänderungsgesetzes im Hinblick auf die darin vorgesehene Änderung von § 95 Abs. 3 Satz 8 SGB V: „§ 95 Abs. 7 Satz 3 enthält den Grundsatz, dass die Zulassung eines Vertragsarztes am Ende des Kalendervierteljahres endet, in dem er sein 68. Lebensjahr vollendet. Diese Regelung sollte ursprünglich dazu dienen, in überversorgten und deshalb für die Neuzulassung gesperrten Planungsbereichen Niederlassungschancen für jüngere Ärzte zu schaffen. Soweit aber ältere Ärzte gegen ihren Willen zur Aufgabe ihrer Praxis gezwungen werden, obwohl bei ihnen die nach der Zulassungsverordnung erforderlichen persönlichen Voraussetzungen für die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nach wie vor vorliegen, ist es angezeigt, an der strengen Altersgrenze dann nicht mehr festzuhalten, wenn dies anderenfalls zu Versorgungsproblemen führt, weil jüngere Ärzte gerade nicht als Nachfolger bereitstehen.“172

bb) Kritische Würdigung Die mit der gesetzgeberischen Intention verfolgte Sicherung der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen und die Begrenzung der vermeintlichen „Überversorgung“ durch Maßnahmen, die nicht nur zu Lasten junger Vertrags(zahn)arztanwärter gehen, waren als Teil einer übergeordneten planwirtschaftlichen Steuerung des sozialrechtlichen Krankenversicherungswesens zu sehen, dessen grundsätzliche Prämissen bereits erheblichen verfassungsrechtlichen Einwänden unterworfen sind. Entsprechend müssen Bedarfszulassungsbeschränkungen nach Maßgabe von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9, § 101, § 103 Abs. 1 bis 3 und Abs. 5, § 104 Abs. 2 SGB V i. V. m. den Zulassungsverordnungen als unvereinbar mit der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit angesehen werden.173 Streng genommen stellt sich die Frage nach einer verfassungsrechtlichen Überprüfung von spezifischen Höchstaltersgrenzen für Vertrags(zahn)ärzte, die aus systemerhaltenden Bemühungen erlassen werden, gar nicht. Unabhängig davon war aber die Aufrechterhaltung des durch die Höchstaltersgrenze fixierten Grundrechtseingriffs unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten fragwürdig, wenn der mit der Regelung verfolgte Zweck zwischenzeitlich entfiel. Es mag dahingestellt sein, ob die Einführung dieser Altersgrenze seinerzeit geeignet, erforderlich und angemessen im Hinblick auf eine finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen ist; die zwischenzeitlich ergangenen sozialrechtlichen Änderungsgesetze legen jedenfalls den Schluß nahe, daß eine die finanzielle Stabilität gefährdende „Überversorgung“ entfallen ist. Beispielsweise wurde durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz vom 22. Dezember 2006174 der die Bedarfszulassung regelnde § 102 SGB Va. F. ersatzlos gestrichen, da der „1992 befürchtete Anstieg der Überversorgung, zu deren Beendigung [die Norm] dienen sollte“, 172

BT-Drs. 16/2474, S. 22. Siehe dazu näher H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 221 ff., 227 ff. Anders hingegen BVerfG (Kammerbeschl.), DVBl. 2002, S. 400 ff. 174 BGBl. I S. 3439. 173

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

nun „auch ohne Umsetzung einer Bedarfszulassung nahezu zum Stillstand gekommen“ sei175. Mithin scheint der Gesetzgeber eine Zulassungsbeschränkung am Maßstab einer an Verhältniszahlen orientierten Bedarfszulassung nicht mehr für erforderlich zu halten. Entsprechend wurden durch das sog. GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26. März 2007176 auch die §§ 101 und 103 SGB V geändert, so daß Zulassungsbeschränkungen auf der Grundlage von § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB V und § 103 Abs. 1 bis 7 SGB V gemäß § 101 Abs. 6 und § 103 Abs. 8 SGB V nicht mehr für Vertragszahnärzte gelten. Wenn der Gesetzgeber aber betont, daß „für den Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung auf die Steuerung durch zwingende Zulassungsbeschränkungen verzichtet werden kann“ und mithin „an den Fall der Überversorgung – anders als an den Fall der Unterversorgung – keinerlei Rechtswirkungen mehr geknüpft sind“177, so hätte konsequenterweise zugleich auch die Höchstaltersgrenze des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V entfallen müssen, da es sich hierbei ebenfalls um eine Rechtswirkung handelte.178 Es stellt sich nunmehr die Frage, inwiefern sich die Änderung der Sachlage auf die Begründung der grundrechtsbeschränkenden Höchstaltersgrenze in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auswirkte. Rekurriert man vergleichshalber auf die verwaltungsprozessuale Lehre vom maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage bei der Beurteilung von Verwaltungsakten mit fortwährendem Regelungsgehalt, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Sach- und Rechtslage einer sich ständig aktualisierenden gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.179 Da im Rahmen einer verwaltungsbehördlichen Ermessensentscheidung auch die Überschreitung der Ermessensgrenzen, namentlich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, geprüft wird, muß sich folgerichtig die Erforderlichkeit der Entscheidung fortwährend aktualisieren. Nichts anderes kann im Interesse der rechtsstaatlichen Grundsätze hinsichtlich der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers gelten. Gesetze können im Geltungsbereich des Grundgesetzes nur dann Verfassungskonformität erlangen, wenn sie den grundrechtlichen Vorgaben genügen (Grundrechtsbindung der Staatsgewalt, Art. 1 Abs. 3 GG). Entfällt aber die Erforderlichkeit einer fortwährenden Norm, so ist sie nicht mehr verhältnismäßig, mithin auch nicht länger mit der Verfassung zu vereinbaren. Im Hinblick auf die durch die Statuierung von Höchstaltersgrenzen für Vertrags(zahn)ärzte ebenfalls verfolgte Wahrung der Chancengleichheit bei vermeintlicher Überversorgung konnte der einschlägigen Norm zumindest aus zahnärztlicher 175

BT-Drs. 16/2474, S. 25. BGBl. I S. 378; siehe dort Art. 1 Nr. 68 Buchst. d und Nr. 69. 177 Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum GKV-WSG, BT-Drs. 16/3100, S. 135 f. 178 W. Arnold, Die Auswirkungen des GKV-WSG-Gesetzesentwurfs, des VÄG und des AGG auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Altersgrenze im Vertrags(zahn)arztrecht, in: MedR 2007, S. 143 (144). 179 Siehe H. A. Wolff, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Großkommentar, § 113 Rn. 116. 176

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts

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Sicht attestiert werden, daß ihre Rechtswirkung der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers diametral zuwiderlief. Mit dem Wegfall der Zulassungsbeschränkungen gingen Maßnahmen zur Vorbeugung einer künftigen (möglicherweise wiederkehrenden) „Überversorgung“ einseitig zu Lasten der älteren Generation, da nur sie von den planwirtschaftlichen Bedarfsvorgaben betroffen war. Älteren Zahnärzten wurde die Zulassung entzogen, während auf der anderen Seite jüngere Zahnärzte unproblematisch als Vertragszahnärzte zugelassen werden konnten. Der ursprünglich mit der Statuierung von Höchstaltersgrenzen bezweckte Ausgleich der Belastung zwischen den Generationen wurde aufgehoben; jüngere Leistungserbringer wurden einseitig begünstigt.180 Damit war die Höchstaltersgrenze zumindest für Vertragszahnärzte nicht mehr geeignet, den mit der Gesetzgebung verfolgten Zweck der Wahrung der Generationengerechtigkeit zu verfolgen. 3. Zwischenergebnis Im Ergebnis war die Regelung des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. unverhältnismäßig und mit der Berufsfreiheit nicht zu vereinbaren. Sie war weder im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der gesetzlich Versicherten noch in bezug auf die Bekämpfung einer (nicht bestehenden) „Überversorgung“ erforderlich; zur Wahrung einer Generationengerechtigkeit war sie gar kontraproduktiv, mithin ungeeignet.

II. Bewertung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG Wie bereits dargelegt, unterfällt der eingerichtete und ausgeübte Betrieb einer ärztlichen Praxis dem Schutzgehalt von Art. 14 Abs. 1 GG.181 Die grundsätzliche Verfügungs- und Nutzungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand ist die Kernidee der Eigentumsgarantie. Eine Höchstaltersgrenze stellt gemäß der Schrankensystematik des Art. 14 GG eine Inhalts- und Schrankenbestimmung dar, weil sie den betroffenen Arzt wegen der Entziehung seiner Zulassung faktisch in seiner Verfügungs- und Nutzungsmöglichkeit einschränkt.182 Grundsätzlich wird ihm angesichts der fortlaufenden Kosten keine andere Möglichkeit als der Verkauf (unter Wert) oder die Aufgabe seiner Praxis bleiben. Der damit verbundene erhebliche Eigentumsverlust steht in keinem Verhältnis zu den mit der Höchstaltersgrenze verfolgten Zielen und ist ange-

180 W. Arnold, Die Auswirkungen des GKV-WSG-Gesetzesentwurfs, des VÄG und des AGG auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Altersgrenze im Vertrags(zahn)arztrecht, in: MedR 2007, S. 143 (144). 181 Vgl. oben, S. 24 und 27. 182 W. Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (394); H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 268.

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

sichts der fehlenden Erforderlichkeit eines derartigen Eingriffs folgerichtig nicht nur mit Art. 12 Abs. 1, sondern auch mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar.183

III. Beurteilung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG Im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG fließenden Gebot der Rechtsanwendungs- und Rechtsetzungsgleichheit184 gab die Regelung des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. ebenfalls Anlaß zu erheblicher Kritik. 1. Ungleichbehandlung Der besonderen Grundrechtssystematik des Art. 3 Abs. 1 GG zufolge setzt ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zunächst voraus, daß durch einen Akt staatlicher Gewalt zwei Personen(gruppen) unterschiedlich behandelt worden sind bzw. an zwei Situationen unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft worden sind. Anschließend ist zu überprüfen, ob die Personen(gruppen) oder die Situationen trotz ihrer Ungleichbehandlung als wesentlich gleich bezeichnet werden können. Dies ist der Fall, wenn sie aufgrund eines bestimmten Bezugspunktes (tertium comparationis) unter einen gemeinsamen Oberbegriff (genus proximum) subsumiert werden können. Privat praktizierende Ärzte bzw. Zahnärzte und Vertrags(zahn)ärzte wurden durch die Höchstaltersgrenze des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. ungleich behandelt. Während es Vertrags(zahn)ärzten aufgrund ihres Lebensalters unmöglich war, weiterhin am System der gesetzlichen Krankenversicherung zu partizipieren, konnten rein privat(zahn)ärztlich Tätige auch über das 68. Lebensjahr hinaus ohne eine Umstellung ihrer Berufspraxis ihren Beruf weiterhin ausüben. Da sowohl Vertrags(zahn)ärzte als auch freie Ärzte und Zahnärzte die Merkmale freiberuflicher Tätigkeit erfüllen185 (tertium comparationes), mithin also unter den Oberbegriff „Freiberufler“ (genus proximum) subsumiert werden können, lag eine Ungleichbehandlung vor. Gleiches galt sinngemäß auch für junge und ältere Vertragszahnärzte, wobei nach Inkrafttreten einschlägiger Regelungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes lediglich die mindestens 68 Jahre alten Zahnärzte von Maßnahmen betroffen waren, die sich gegen eine bestehende oder wiederkehrende „Überversorgung“ richteten. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem führt zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn sie willkürlich, So auch M. Schüffner/L. Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, S. 71. H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 3 Rn. 6 ff. 185 Zu den typischen Merkmalen eines Freien Berufes vgl. H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 63 ff. 183 184

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts

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d. h. ohne sachlichen Grund, erfolgt186 bzw. nach der „neuen Formel“ des Bundesverfassungsgerichts187 zwischen beiden Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen.188 Darüber hinaus muß die aus der Differenzierung erfolgende Ungleichbehandlung ihrerseits den sog. „Schranken-Schranken“ gerecht werden; mithin haben Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund in einem angemessenen Verhältnis zueinander zu stehen. Die Ungleichbehandlung muß einen legitimen Zweck verfolgen, zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich sein sowie in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung des Zwecks stehen. Eine Differenzierung zwischen rein privat praktizierenden und in das System der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogenen Ärzten bzw. Zahnärzten kann nicht mit dem Verweis auf eine altersbedingte Gefährdung der Patienten gerechtfertigt werden. Ginge es tatsächlich um den Schutz der Versicherten, so dürfte der Gesetzgeber nicht auf sozialrechtliche Instrumentarien zurückgreifen, sondern müßte die Zulassung approbationsrechtlich entziehen. Da das Bundesverfassungsgericht in einer älteren Entscheidung ausdrücklich deutlich machte, daß sowohl gesetzlich als auch privat Versicherte den gleichen Schutz genießen müssen189, begründete die vertrags(zahn)arztspezifische Regelung des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. ihrerseits eine Ungleichbehandlung der Versicherten, die vor dem Hintergrund des umfassenden Schutzes der körperlichen Integrität – einmal unterstellt, die bundesverfassungsgerichtliche Annahme einer Gefährdung der Patienten aufgrund des hohen Lebensalters der Vertrags(zahn)ärzte träfe zu – nicht hinzunehmen war. Für die nach dem Wegfall der Zulassungsbeschränkungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz entstehende Benachteiligung von älteren Vertragszahnärzten war eine sachgerechte und verhältnismäßige Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ebenfalls nicht ersichtlich. Da ausweislich der gesetzgeberischen Begründung seitens der politischen Entscheidungsträger offenbar nicht einmal daran gedacht wurde, daß die Höchstaltersgrenze in ihrer ursprünglichen Begründung als Mittel zur Bekämpfung der „Überversorgung“ konzipiert war, steht die so entstandene Ungleichbehandlung sogar ohne gesetzgeberische Rechtfertigung da. Denn wenn der Gesetzgeber ausdrücklich angibt, daß „an den Fall der Überversorgung – anders als an den Fall der Unterversorgung – keinerlei Rechtswirkungen mehr geknüpft [seien]“190, so spräche diese neue Sachlage sogar für eine völlig sachfremde und mithin willkürliche Differenzierung. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erkannte diese Problematik und stellte fest, daß „die Altersgrenze von 68 Jahren […] 186

BVerfGE 1, 14 (52). Siehe etwa BVerfGE 55, 72 (88); 107, 133 (141); 112, 50 (67). 188 B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, Rn. 444; H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 3 Rn. 14. 189 Vgl. BVerfGE 25, 236 (251 f.). 190 Begründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Entwurf des GKV-WSG, BTDrs. 16/3100, S. 135 f. 187

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

somit im zahnärztlichen Bereich nicht mehr im Zusammenhang mit der Beschränkung des Zugangs zum System der GKV als flankierende Maßnahme zur Entlastung jüngerer Ärzte gesehen werden kann“191. Das Landessozialgericht kreierte jedoch im Anschluß an diese Feststellung eine eigene Hilfsbegründung, die eine aus der Bedarfsplanung resultierende Benachteiligung rechtfertigen würde. So heißt es: „Trotz des Wegfalls der Zulassungsbeschränkung im zahnärztlichen Bereich läßt sich die Altersgrenze auch weiterhin als Mittel arbeitsmarktpolitischer Verteilungsgerechtigkeit zwischen jüngeren und älteren Ärzten rechtfertigen. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Zahnärzte mit der Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung an einem von Anderen finanzierten System partizipieren. Dieses bietet ihnen insoweit Vorteile, als es ihnen Honoraransprüche in dem für Aufrechterhaltung der Existenz notwendigen Umfang als angemessene Vergütung garantiert. Von daher scheint es gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber dieser Teilnahme am System ein zeitliches Ende setzt und damit die Chancen der jüngeren Ärzte, ihrerseits ihr Einkommen zu finden, verbessert. Dies gilt vor allem für die für eine Niederlassung als attraktiv angesehenen Gebiete, wo zudem zu erwarten sein dürfte, dass hier Ärzte über das 68. Lebensjahr hinaus an der Teilnahme interessiert sind. In diesen Bereichen würden sich die wirtschaftlichen Bedingungen der ,Newcomer bei einer hohen Versorgungsdichte verschlechtern.“192

Abgesehen von den rechtsstaatlichen Bedenken, die mit der Schaffung einer judikativischen Gesetzesbegründung verbunden sind,193 geht das Gericht von einer die Differenzierung rechtfertigenden Prämisse aus (Notwendigkeit einer Verteilungsgerechtigkeit aufgrund hoher Versorgungsdichte), die nach den sozialpolitischen Fakten höchst fragwürdig ist. Im übrigen darf auch bezweifelt werden, daß die durch die künstliche Angebotsverknappung erzielte verteilungspolitische Maßnahme in Form der Heraufsetzung der Verdienstmöglichkeiten für junge Vertragszahnärzte ein legitimes Mittel im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt. Vielmehr begründet eine solche Argumentation den Verdacht, daß die einseitige Begünstigung jüngerer Vertragszahnärzte eine diskriminierende Maßnahme ist, die sich mit weitergehenden, insbesondere europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbaren läßt.

IV. Bewertung am Maßstab der Richtlinie 2000/78/EG („Antidiskriminierungsrichtlinie“) Einschlägiger Maßstab für die Überprüfung einer altersbezogenen Diskriminierung ist die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000194 (im folgenden: RL), die vom Rat zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung 191 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluß vom 18. September 2007, Az: L 11 B 17/07 KA ER = Breithaupt 2008, S. 81 (85). 192 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluß vom 18. September 2007, Az: L 11 B 17/07 KA ER = Breithaupt 2008, S. 81 (85 f.). 193 Vgl. oben, S. 53 f. 194 ABl. EG L 303/16 vom 2. Dezember 2000.

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von elementaren Gleichbehandlungsfragen in Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen mit dem Ziel der Bekämpfung jedweder Diskriminierung erlassen wurde.195 Die Umsetzung dieser Richtlinie durch die Bundesrepublik Deutschland erfolgte durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006196. Fraglich ist daher zunächst, ob sich Höchstaltersgrenzen für Vertrags(zahn)ärzte im allgemeinen und die entfallene Regelung des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. im besonderen überhaupt mit dem AGG vereinbaren lassen. 1. Vereinbarkeit von Höchstaltersgrenzen mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz a) Eröffnung des Anwendungsbereiches Zunächst müßte sowohl der sachliche als auch der persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eröffnet sein. Der sachliche Anwendungsbereich ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG eröffnet, wenn die zu überprüfenden Benachteiligungen in einem Zusammenhang mit Bedingungen über den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Tätigkeit stehen. Unter Zugang versteht man nicht nur die erstmalige Aufnahme der Berufstätigkeit, sondern als actus contrarius auch die Möglichkeit zur Fortführung der Tätigkeit.197 § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. stellte eine Berufszugangsregelung in negativer Form dar, weil sie eine weitere Ausübung der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit verhinderte. Darüber hinaus ist durch die Statuierung einer Altersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte auch der Anwendungsbereich des AGG gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 eröffnet, da es sich hierbei unzweifelhaft um eine Entlassungsbedingung handelt. Zwar ist es dem Vertrags(zahn)arzt unbenommen, auf privater Basis außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung weiter zu praktizieren, doch durch den faktischen Entzug eines Großteils seiner Patienten wird der Vertrags(zahn)arzt seiner wirtschaftlichen Lebensgrundlage beraubt und mithin regelmäßig zur Aufgabe der Praxis veranlaßt.198 Hierbei handelt es sich zumindest faktisch um eine Entlassungsbedingung. Ferner stellt eine Höchstaltersgrenze auch eine „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingung“ im Sinne dieser Vorschrift dar. Darunter versteht man „alle mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Umstände“199, so daß insgesamt zwei Anknüpfungspunkte für die Verankerung einer sozialrechtlichen Höchstaltersgrenze in § 2 AGG gegeben sind.200

195

Vgl. insbesondere Erwägungsgründe 10 und 11 der RL 2000/78/EG. BGBl. I S. 1897. 197 BVerfGE 96, 189 (197 f.); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 33 Rn. 10. 198 Vgl. oben, S. 50 und 59. 199 M. Schlachter, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 2 AGG Rn. 7 m.w.N. 200 Dagegen ist § 2 Abs. 1 Nr. 5 AGG nicht einschlägig, da sich die Norm auf Leistungsrechte der Versicherten im Rahmen der sozialen Sicherungssysteme bezieht, vgl. S. Rixen, 196

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

Fraglich ist hingegen, ob auch der personelle Anwendungsbereich eröffnet ist. Bedenken gegen die persönliche Anwendbarkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf Freiberufler könnten sich aus der Überschrift des Abschnitts 2 („Schutz der Beschäftigten“) sowie der Zielsetzung des Gesetzes ergeben. Grundsätzlich sind daher Selbständige und Organmitglieder vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen.201 Sofern die diskriminierende Regelung aber den Zugang zur Erwerbstätigkeit oder den beruflichen Aufstieg eines Selbständigen oder eines Organmitgliedes betrifft, ordnet § 6 Abs. 3 AGG eine entsprechende Anwendung der Schutznormen an. § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. betraf sowohl den Zugang zum System der gesetzlichen Krankenversicherung als auch den beruflichen Aufstieg eines Vertrags(zahn)arztes innerhalb dieses Systems, so daß im Ergebnis der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes eröffnet sein mußte. b) Diskriminierung, Rechtfertigung und Rechtsfolgen Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person etwa aufgrund ihres Alters (vgl. § 1 AGG) eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Dies setzt voraus, daß die Vergleichsperson eine im wesentlichen gleichartige Tätigkeit wie der Anspruchsteller ausüben muß; dies ist anhand eines Gesamtvergleichs aller vertraglich geschuldeten Tätigkeiten festzustellen.202 Außer hinsichtlich des § 1 genannten Merkmals darf es zwischen der Vergleichsperson und dem Anspruchsteller keine wesentlichen Unterschiede geben.203 Da einziger Anknüpfungspunkt für den Entzug der vertrags(zahn)ärztlichen Zulassung das Alter des Arztes bzw. Zahnarztes und nicht etwa die individuelle Leistungsfähigkeit ist, handelt es sich um eine Diskriminierung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Diese Diskriminierung ist, wie dargelegt, auch nicht im Sinne des § 10 Satz 2 AGG erforderlich, da es mildere Mittel gibt, um den mit der Regelung verfolgten Zweck zu erreichen.204 Im Ergebnis handelte es sich bei der Regelung in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. um eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung aufgrund des Alters.205 Als Rechtsfolge ordnet das AGG sowohl einen Schadensersatzanspruch (§ 15), ein Beschwerderecht (§ 13) sowie ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 14) an. Eine Unwirksamkeit nationaler Gesetze, die ihrerseits einen Diskriminierungstatbestand begründen, wird durch das AGG jedoch nicht angeordnet. Rettung für den altersdiskriminierten Vertragsarzt durch den EuGH?, in: ZESAR 2007, S. 345 (347); M. Schlachter, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 2 AGG Rn. 12. 201 M. Schlachter, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 6 AGG Rn. 5. 202 BAG, NZA 2006, S. 1217 (1219). 203 M. Schlachter, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 3 AGG Rn. 3. 204 W. Arnold, Die Auswirkungen des GKV-WSG-Gesetzesentwurfs, des VÄG und des AGG auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Altersgrenze im Vertrags(zahn)arztrecht, in: MedR 2007, S. 143 (146); siehe ferner ausführlich oben, S. 54. 205 M. Schüffner/L. Schnall, Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts, S. 75.

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2. Vereinbarkeit von Höchstaltersgrenzen mit der „Antidiskriminierungsrichtlinie“ Eine Unwirksamkeit des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. hätte sich allerdings aus der deutlichen Anordnung des Art. 16 lit. a RL ergeben können. Dort heißt es, daß die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um sicherzustellen, daß dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufende Rechtsvorschriften aufgehoben werden. Dieser der Richtlinie innewohnende materiell-rechtliche Gehalt ist für die Mitgliedstaaten verbindlich (vgl. Art. 249 Abs. 3 EGV). Der deutsche Gesetzgeber hätte diese Vorgabe durch einen Umsetzungsakt in das nationale Recht innerhalb der Umsetzungsfrist implementieren müssen. Dies ist jedoch nicht erfolgt; die Frist zur Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie lief gemäß Art. 18 Abs. 1 RL am 2. Dezember 2003 ab. Hinsichtlich der Umsetzung besonderer, einer Diskriminierung wegen Alters oder Behinderung entgegentretender Normen galt jedoch gemäß Art. 18 Abs. 2 RL eine besondere Frist bis zum 2. Dezember 2006. Voraussetzung wäre aber zunächst, daß § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. tatsächlich im Widerspruch zum materiell-rechtlichen Inhalt der Richtlinie 2000/78/EG stand. Nur wenn sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet und keine Rechtfertigungstatbestände einschlägig sind, kommt eine unmittelbare Anwendung der Nichtigkeitsanordnung des Art. 16 lit. a RL in Betracht. Eine solche zusätzliche Überprüfung ist erforderlich, da allein aus der altersbedingten Diskriminierung von Vertrags(zahn)ärzten nach nationalrechtlichen Maßstäben kein europarechtliches Ergebnis hergeleitet werden kann; schließlich wäre es denkbar, daß der nationale Gesetzgeber die Richtlinienvorgaben nicht „eins zu eins“ umgesetzt, sondern das nationale Schutzniveau im Rahmen des Umsetzungsverfahrens im Vergleich zum europarechtlichen Standard angehoben hat (vgl. Erwägungsgrund Nr. 28 RL). a) Eröffnung des Anwendungsbereiches Die Überprüfung der Eröffnung des Anwendungsbereiches der Richtlinie erfolgt am Maßstab des Art. 3 RL. Nach Art. 3 Abs. 1 lit. a RL „gilt die Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf die Bedingungen […] für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position“. Vertrags(zahn)ärzte üben eine selbständige Erwerbstätigkeit im öffentlichen Bereich der Leistungserbringung der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Da der Begriff Zugang so zu verstehen ist, daß sich auch das Beibehalten der beruflichen Tätigkeit hierunter subsumieren läßt206, könnte der Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet sein, wenn keine Ausnahmetatbestände einschlägig sind. Art. 3 Abs. 3 RL normiert ausdrücklich, daß die Antidiskriminierungsrichtlinie bei Leistungen seitens der staatlichen Systeme keine Anwendung finden soll. Der Be206

Vgl. oben, S. 63.

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

griff „Leistungen seitens der staatlichen Systeme“ ist jedoch nicht mit dem Begriff „staatliches Leistungssystem“ oder gar „Sozialversicherungssystem“ gleichzusetzen. Ansonsten könnte man den gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung einschließlich der öffentlichen Stellen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. a RL aus dem Anwendungsbereich wieder herausfallen lassen, da der Verwaltungsapparat im weitesten Sinne ein staatliches (Dienst-)Leistungssystem darstellt. Darüber hinaus sind Zulassungsfragen auch nicht Bestandteile staatlicher Leistungen oder solche gleichgestellter sozialer Sicherungssysteme.207 Ein Ausschluß könnte darüber hinaus gemäß Erwägungsgrund Nr. 14 RL in Betracht kommen. Danach hat die Richtlinie gerade nicht die Zielsetzung, einzelstaatliche Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand festzulegen. Unabhängig von der Tatsache, daß Begründungserwägungen ohnehin keine Beschränkung des sachlichen Geltungsbereichs einer Richtlinie nach sich ziehen können – sie sind das Resultat der in Art. 253 EGV statuierten Begründungspflicht für Rechtsakte der Gemeinschaft208 –, ist die Erwägung des Rates eher im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Renten- bzw. Ruhestandsleistungen in Sozialleistungs- bzw. Versorgungssystemen zu lesen.209 Wollte man zudem im Hinblick auf den Erwägungsgrund Nr. 14 alters- und nicht gefahrenrechtlich begründete Diskriminierungen und Entlassungsbedingungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. a RL wieder aus dem Anwendungsbereich herausnehmen, so würde nicht nur über die „Hintertür“ die Effektivität der Antidiskriminierungsrichtlinie untergraben, sondern auch eine wesentliche Zielsetzung des Rates mißachtet werden, der in Erwägungsgrund Nr. 25 betont, daß „das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters […] ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung [darstellt]“. Im Ergebnis ist der sachliche und persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie im Hinblick auf die Problematik des altersbedingten Verlustes der vertrags(zahn)ärztlichen Zulassung eröffnet. b) Diskriminierung und fehlende Rechtfertigung Ein gesetzlich angeordneter altersbedingter Verlust der vertrags(zahn)ärztlichen Zulassung stellt eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne des Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 lit. a RL dar: „Vertragsärzte, die das 68. Lebensjahr vollenden, werden trotz im Übrigen vergleichbarer Situation mit Ärzten vor Vollendung des 68. Lebensjahres insoweit weniger günstig behan207 W. Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (394). 208 M. Schmidt/D. Senne, Das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und seine Bedeutung für das deutsche Arbeitsrecht, in: RDA 2002, S. 80 (85). 209 W. Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (394).

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delt, als ihnen kraft Gesetzes unter Anknüpfung allein an das Alter die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung entzogen wird mit der Folge eines Ausschlusses von der Behandlung von Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung.“210

aa) Diskriminierungsfreie Differenzierung Der Regelung des Art. 4 Abs. 1 RL ist zu entnehmen, daß jedenfalls dann trotz objektiv gegebener Differenzierung anhand der Regelbeispiele des Art. 2 RL keine Diskriminierung vorliegt, wenn das betreffende Differenzierungsmerkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Dieses Merkmal kann in etwa mit der besonderen unabdingbaren Voraussetzung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG verglichen werden. In diesem Zusammenhang hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, daß das Geschlecht für Beschäftigungsverhältnisse wie die eines Aufsehers in Haftanstalten, für bestimmte Tätigkeiten der Polizei bei schweren inneren Unruhen oder auch für den Dienst in speziellen Kampfeinheiten, bei denen die Soldaten jederzeit und in den verschiedensten Funktionen einsatzbereit sein sollen, eine unabdingbare Voraussetzung im Sinne dieser Vorschrift darstellen kann.211 Denkbar wäre es, daß das Diskriminierungsmerkmal Alter vor allem Altersgrenzen für solche berufsspezifischen Tätigkeiten zu rechtfertigen vermag, in denen die körperliche Belastbarkeit wesentliche Voraussetzung der Berufsausübung ist und ein gesteigertes öffentliches Interesse an der Differenzierung aus Gründen der Sicherheit bzw. der Vorsorge gegen altersbedingten Leistungsabfall besteht. Wann das Alter eine solche wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist, läßt sich jedoch nicht allgemein feststellen. Teilweise wird zur Auslegung auf andere Rechtssysteme zurückgegriffen. So heißt es beispielsweise im Civil Rights Act von 1964, dem bedeutendsten Bürgerrechtsgesetz der Vereinigten Staaten von Amerika, daß eine Diskriminierung dann zulässig ist, wenn das Alter eine „bona fide occupational qualification reasonably necessary to the normal operation of that particular business or enterprise“ darstellt (vgl. Civil Rights Act 1964, Title VII, sec. 2000 e-2, para. e 1). Allgemein werden hierunter Feuerwehrmänner, Polizisten, Fluglotsen und Busfahrer subsumiert.212 Angesichts der Vielfalt der ärztlichen Fachrichtungen und der unterschiedlichen fachspezifischen Anforderungen macht es jedoch auch unter Zugrundelegung der bona-fide-Lehre keinen Sinn, eine für alle Fachrichtungen einheitliche Altersgrenze zu statuieren. Wenn der Gesetzgeber die Höchstaltersgrenze sozialrechtlich und nicht approbationsrechtlich bestimmt, macht er deutlich, daß das Alter eben gerade keine unbedingte Voraussetzung vergleichbar mit den Anforderungen des Civil Rights Acts ist. 210 W. Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (395). 211 EuGH Slg. 1999, I-7403 Rn. 24 m. w. N. 212 H. Wiedemann/G. Thüsing, Der Schutz älterer Arbeitnehmer und die Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG, in: NZA 2002, S. 1234 (1237).

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

Hinsichtlich der Regelung des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. gilt, daß der Gesetzgeber nicht zwischen außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung stehenden Ärzten bzw. Zahnärzten und Vertrags(zahn)ärzten im Sinne des § 95 SGB V differenzieren durfte.213 Dem Gesetzgeber ging es ausschließlich um die Bekämpfung der „Überversorgung“.214 Erst das Bundesverfassungsgericht schuf in verfassungsrechtlich fragwürdiger Art und Weise das zusätzliche, aber hier nicht überzeugende Rechtfertigungskriterium der Sicherheit der Patienten. Angesichts dieser Grundsätze ist das negative Eingriffsmerkmal des Art. 4 Abs. 1 RL nicht einschlägig, so daß es bei der Feststellung einer Diskriminierung gemäß Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 lit. a RL bleibt. bb) Gemeinschaftsrechtliche Rechtfertigung Eine Diskriminierung dieser Art könnte allerdings nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL gerechtfertigt sein. Dann müßte eine am Lebensalter anknüpfende Differenzierung (bzw. Ungleichbehandlung) objektiv sowie angemessen und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sein. Bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel mit welchen Maßnahmen verfolgt werden soll, ist nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes dem nationalen Gesetzgeber ein weiter Spielraum zuzugestehen.215 Allerdings müssen die Mittel zur Erreichung dieses Zieles den rechtsstaatlichen Anforderungen, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, genügen.216 Hierbei ist dem Gewicht des Antidiskriminierungsgrundsatzes in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Dazu führt der Europäische Gerichtshof aus: „Das Verbot der Diskriminierung wegen Alters [ist] als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen. […] Es obliegt daher dem nationalen Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über das Verbot der Diskriminierung wegen Alters anhängig ist, im Rahmen seiner Zuständigkeiten den rechtlichen Schutz, der sich für den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt, zu gewährleisten und die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu garantieren, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet läßt.“217

Das Bundessozialgericht vertritt in einem Beschluß vom 6. Februar 2008 die Auffassung, daß sich die seinerzeit noch geltende Altersgrenze für die Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit der Richtlinie vereinbaren lasse, da die Differenzierung durch Art. 6 RL aufgrund gewichtiger gesundheits- und beschäftigungspolitischer Zielsetzungen gerechtfertigt sei:

213 214 215 216 217

Vgl. oben, S. 61. Vgl. oben, S. 56. EuGH Slg. 2005, I-9981 Rn. 63. EuGH Slg. 2005, I-9981 Rn. 65; Slg. 2007, I-8531 Rn. 67. EuGH Slg. 2005, I-9981 Rn. 75 ff.

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts

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„Sie dient der Sicherung vor Gefahren, die für die Versorgung der Versicherten von nicht mehr voll leistungsfähigen Ärzten ausgehen können, und der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherungen durch eine Begrenzung der Zahl der zugelassenen Ärzte bei Erhaltung von Zulassungschancen junger Ärzte.“218

Wie bereits ausführlich dargelegt wurde, verfängt diese Argumentation jedoch nicht: Weder war aus gesundheitspolitischen Gründen eine starre Altersgrenze erforderlich, noch bestand im vertragsärztlichen Bereich überhaupt die Notwendigkeit einer Überversorgung bekämpfenden Bedarfsplanung.219 Die entsprechenden sozialrechtlichen Änderungen im Zuge des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes und des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes belegen diese Tatsache hinreichend. Mithin entfallen auch beschäftigungspolitische Zielsetzungen als Rechtfertigungskriterium im Rahmen des Art. 6 RL. Zudem verkennt das auf Art. 6 RL abstellende Bundessozialgericht ein weiteres systematisches Argument bei der Auslegung der Norm: Die Rechtfertigung im Sinne dieser Vorschrift stellt einen Ausnahmetatbestand dar. Dieser wurde durch § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. als Regelfall festgelegt.220 Gemäß Art. 10 Abs. 1 RL liegt die Beweislast zur Rechtfertigung einer Diskriminierung immer bei demjenigen, der die Diskriminierung vornimmt. Hier genügt es nicht, auf eine allgemeine Lebenserfahrung zu rekurrieren, da individuell dargelegt werden muß, daß die Differenzierung wegen des Alters (oder eines anderen Kriteriums) angezeigt war.221 In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, daß der Europäische Gerichtshof starre Altersgrenzen ohne Berücksichtigung der „persönlichen Situation des Betroffenen“ als unverhältnismäßig und nicht mit der Antidiskriminierungsrichtlinie vereinbar beurteilt.222 Im Ergebnis ließ sich die starre durch § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. angeordnete Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte nicht mit der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG vereinbaren. 3. Anwendbarkeit der Richtlinie im nationalen Recht Fraglich ist nunmehr, wie sich der Umstand auswirkt, daß § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. mit der Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar war. Da Art. 16 lit. a RL explizit anordnet, daß dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufende Rechtsvorschriften aufzuheben sind, eine nationale Umsetzung aber nicht erfolgt ist und somit auch eine richtlinienkonforme Auslegung des Allgemeinen Gleichbehandlungsge-

218 BSG, Beschluß vom 6. Februar 2008, Az: B 6 KA 58/07 B; vgl. auch die Argumentation des BVerfG (Kammerbeschl.), NZS 2008, S. 311 (313). 219 Vgl. oben, S. 57 ff. und 61 ff. 220 W. Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (396). 221 Vgl. oben, S. 52 ff. 222 Siehe EuGH Slg. 2005, I-9981 Rn. 65.

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

setzes nicht in Betracht kommt223, hätte sich die Unwirksamkeit explizit aus der Richtlinie selber ergeben können. Eine unmittelbare Anwendung begegnet jedoch erheblichen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken, da Richtlinien gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV eines nationalstaatlichen Umsetzungsaktes bedürfen.224 Allerdings ist unter dem Gesichtspunkt der drohenden Konsequenzen einer folgenlos bleibenden Nichtumsetzung des Richtlinieninhalts für die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts (effete-utile Prinzip oder Prinzip der loyalen Zusammenarbeit) und des Grundsatzes von Treu und Glauben (estoppel-Prinzip) eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien sowohl durch den Europäischen Gerichtshof225 als auch im Schrifttum226 unter engen Voraussetzungen anerkannt. Neben Fristablauf und fehlender Umsetzung setzt die unmittelbare Anwendung voraus, daß die Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau formuliert sind. a) Inhaltliche Unbedingtheit Eine Richtlinie ist inhaltlich unbedingt, wenn sie vorbehaltlos und ohne Bedingung anwendbar ist und keiner weiteren Maßnahme der Organe der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft bedarf.227 Die Richtlinie postuliert vorbehalt- und bedingungslos ein eindeutiges Verbot der Altersdiskriminierung (vgl. Art. 1, 2 Abs. 1 RL). Fraglich ist allerdings, ob die Rechtfertigungsmöglichkeit nach Art. 6 Abs. 1 RL eine Bedingung in diesem Sinne darstellt. Danach ist eine Diskriminierung erlaubt, sofern sie objektiv und angemessen sowie im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.228 Es läßt sich allerdings nur schwer vertreten, in einer Rechtfertigungsmöglichkeit eine die Bedingungslosigkeit ausschließende Rechtsfigur zu sehen. Zum einen ist die Diskriminierung tatbestandsmäßig unabhängig von der Rechtfertigung – sie ist und bleibt verboten. Dafür spricht auch die Beweislastregelung des Art. 10 RL. Wenn der zum Gegenbeweis Berufene keine Schritte zur Beweisführung ergreift, kommt es ohne weitere Maßnahmen von Organen der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft 223 §§ 13 ff. AGG sehen einen abschließenden Rechtsfolgenkatalog bei ungerechtfertigten Diskriminierungen vor (vgl. oben, S. 64), der auch nicht mittels richtlinienkonformer Auslegung erweitert werden kann, vgl. W. Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (399). 224 Siehe dazu näher C. Kerwer, Finger weg von der befristeten Einstellung älterer Arbeitnehmer?, in: NZA 2002, S. 1316 (1318); M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Art. 249 Rn. 73. 225 St. Rspr. seit EuGH Slg. 1974, S. 1337 ff. 226 M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Art. 249 Rn. 74 m. w. N. 227 EuGH Slg. 1974, S. 1337 Rn. 13 f.; M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Art. 249 Rn. 80. 228 Vgl. oben, S. 68.

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts

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zur Feststellung des Verstoßes gegen die Antidiskriminierungsrichtlinie. Selbst wenn man unter Berufung auf die englische Fassung229 den Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 1 RL rechtssystematisch nicht als Rechtfertigung, sondern als tatbestandsausschließende Regelung auffassen will, greift auch in diesem Fall die Beweislastregelung des Art. 10 RL, wonach bei fehlender Berufung auf die Norm die Feststellung der Diskriminierung unweigerlich folgt. An diese Feststellung ist keine gesonderte Ermessensüberprüfung der Mitgliedstaaten gekoppelt. Nach Art. 16 lit. a RL sind diskriminierende Rechtsvorschriften (ohne weitere Prüfung) aufzuheben. Liegt also eine Diskriminierung durch den Gesetzgeber vor, so kann die durch ihn getroffene Regelung aufgrund der eindeutigen Aufforderung der Richtlinie keine weitere Gültigkeit beanspruchen. Auch in diesem Sinne ist die Richtlinie unbedingt. b) Hinreichende Genauigkeit Eine Richtlinienbestimmung ist hinreichend genau, wenn sie unzweideutig eine Verpflichtung begründet, also rechtlich in sich abgeschlossen ist und als solche von jedem Gericht angewandt werden kann.230 Das Verwenden unbestimmter Rechtsbegriffe schließt die hinreichende Genauigkeit nicht aus.231 Art. 16 lit. a RL begründet eine unzweideutige Verpflichtung des mitgliedschaftlichen Gesetzgebers, diskriminierende, also mit der eindeutigen Regelung des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 RL nicht zu vereinbarende, Rechtsnormen aufzuheben. Zweifel an der hinreichenden Genauigkeit bestehen nicht. c) Rechtsfolge Im Ergebnis ist die Richtlinie 2000/78/EG tatbestandsmäßig einschlägig, persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich sind eröffnet, und die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung sind gegeben.232 Die unmittelbare Anwendung ist grundsätzlich als Sanktion für den eine Richtlinie nicht umsetzenden Mitgliedstaat gedacht.233 Dies begründet weitergehend die Verpflichtung der Gerichte des Mitgliedstaates, die unmittelbare Wirkung der Richtlinie zu beachten und sie zugunsten

229

„Notwithstanding Art. 2 (2), Member States may provide that differences of treatments on grounds of age […] shall not constitute discrimination.“ 230 EuGH Slg. 1983, S. 2727 Rn. 16; Slg. 1989, S. 1925 Rn. 26. 231 M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Art. 249 Rn. 80. 232 So wohl auch BVerfG (Kammerbeschl.), NZS 2008, S. 311 (312 f.). 233 C. Kerwer, Finger weg von der befristeten Einstellung älterer Arbeitnehmer?, in: NZA 2002, S. 1316 (1318); M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Art. 249 Rn. 76.

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

des Bürgers und zulasten des Staates anzuwenden.234 Sofern Bestimmungen des nationalen Rechts mit einer unmittelbar anwendbaren Richtlinie im Sinne des Art. 249 Abs. 3 EGV kollidieren, sind diese unanwendbar.235 Gleichwohl besteht die Verpflichtung des Mitgliedstaates fort, die Richtlinie (vollständig) umzusetzen, woraus wiederum die Verpflichtung des Deutschen Bundestages resultierte, im Rahmen einer erneuten, sich aber am Maßstab der Grundrechte orientierenden Gesundheitsreform die Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte aufzuheben. Dies ist zwischenzeitlich durch Art. 1 Nr. 1i GKV-OrgWG erfolgt. Sollte es aber dennoch zukünftig zu einer Wiedereinführung einer solchen Altersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte kommen, so käme aufgrund des Verstoßes gegen die Antidiskriminierungsrichtlinie und die fortwährende Weigerung einer vollständigen Umsetzung dieser Richtlinie eine Rüge vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit der Berufung auf Art. 1 des Protokolls Nr. 12 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Betracht.236

V. Beurteilung am Maßstab der Art. 49 ff. EGV (Dienstleistungsfreiheit) und unter dem Gesichtspunkt der „Inländerdiskriminierung“ Durch § 13 Abs. 4 SGB V, der durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003237 in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch eingefügt worden ist, wird den gesetzlich Versicherten ein Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Krankenkasse nach Inanspruchnahme von Leistungserbringern eingeräumt, die in Staaten praktizieren, in denen die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971238 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden ist. Neben dem gesamten EU-Ausland werden somit auch die in das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum einbezogenen Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen sowie aufgrund eines besonderen Freizügigkeitsabkommens239 die Schweiz erfaßt. Die Kostenerstattungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen besteht nicht nur bei im Inland Versicherten mit Wohnort im europäischen Ausland oder Touristen und Besuchern, die vorübergehend ins eu234 M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 249 Rn. 181; M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Art. 249 Rn. 98. 235 M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 249 Rn. 181; M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Art. 249 Rn. 99. 236 Vgl. insoweit die Entscheidung „Dangeville“, EGMR, EuGRZ 2007, S. 671 ff. 237 BGBl. I S. 2190 ff. 238 ABl. EG L 149, S. 2 ff. 239 Abkommen zwischen der EG und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Freizügigkeit, BGBl. 2001 II S. 810.

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts

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ropäische Ausland reisen, sondern erstreckt sich auch auf Sachverhalte mit gezielter Inanspruchnahme europäischer Leistungserbringer. Letztlich stellt die gesetzliche Ausgestaltung eine Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dar, der in den Entscheidungen „Decker“240 und „Kohll“241 die Tore für den Einfluß europäischer Grundfreiheiten auf die nationalen Sozialversicherungssysteme geöffnet hat. Schließlich widerspräche es den Grundsätzen des freien Warenverkehrs (Art. 28 ff. EGV) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 49 ff. EGV), wenn europäischen Staatsbürgern aufgrund nationaler Vorschriften die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen im Nachbarland verweigert werden dürfte. Lediglich im Bereich der stationären Heilbehandlung ist die Kostenerstattung von der vorherigen Genehmigung der Krankenkasse abhängig (vgl. § 13 Abs. 5 SGB V), da der Europäische Gerichtshof in der Planung des Krankenhauswesens einen „ordre-publicVorbehalt“ im Sinne der Art. 55, 46 Abs. 1 EGV sah. Einen völligen Ausschluß der Kostenerstattung durch das nationale Recht akzeptiert er jedoch nicht.242 Die Kostenerstattung im ambulanten Bereich setzt dagegen voraus, daß die gewählten Leistungserbringer entweder gemäß § 13 Abs. 4 Satz 2 Var. 1 SGB V die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen, die in einer Richtlinie den Zugang und die Ausübung des Berufes betreffend fixiert worden sind, oder daß gemäß § 13 Abs. 4 Satz 2 Var. 2 SGB V die Leistungserbringer in das nationale Krankenversicherungssystem zur Versorgung der Versicherten integriert sind. In beiden Fällen dienen die Voraussetzungen primär dazu, hohe Sicherheitsstandards zu gewährleisten.243 1. Problemaufriß: „Indirekte Inländerdiskriminierung“ Durch die europäischen Grundfreiheiten, namentlich die Dienstleistungsfreiheit, könnte sich die Sachverhaltskonstellation ergeben, daß ein in Deutschland in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherter einen ausländischen Arzt aufsucht, der aufgrund des Überschreitens einer Altersgrenze (vgl. § 95 Abs. 3 Satz 7 SGB Va. F.) hierzulande nicht mehr praktizieren dürfte. Da nationales Sozialversicherungsrecht auf ausländische Ärzte nicht anwendbar ist, könnten aufgrund der Kostenerstattungsregelungen gemäß § 13 Abs. 4 SGB V ausländische Ärzte bzw. Zahnärzte auch jenseits von Höchstaltersgrenzen mittelbar am deutschen Sozialversicherungssystem partizipieren, während dies ihren deutschen Kollegen nicht möglich wäre. So kennen einige Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums keine Höchstaltersgrenzen für Ärzte und Zahnärzte, die in ihr Sozialversicherungssystem eingebunden sind

240 241 242 243

EuGH Slg. 1998, I-1831 ff. EuGH Slg. 1998, I-1931 ff. Siehe EuGH Slg. 2007, I-3185 ff. BT-Drs. 15/1525, S. 81.

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

(Beispiel Österreich, argumentum e contrario § 343 Abs. 2 ASVG244); maßgebliches Entscheidungskriterium für die Partizipation am Krankenversicherungssystem als Leistungserbringer ist dort also allein die Approbation. Solche Fallkonstellationen werden als „indirekte Inländerdiskriminierung“ bezeichnet. Diese liegt vor, wenn die von einem Hoheitsträger geschaffenen, nicht zwischen In- und Ausländern differenzierenden Normen durch Vorschriften anderer Rechtsordnungen überlagert werden und sich eine Ungleichbehandlung dadurch ergibt, daß sich die Diskriminierten (Inländer) gegenüber dem Hoheitsträger mangels grenzüberschreitenden Bezugs nicht auf günstigeres, unmittelbar anwendbares internationales Recht berufen können.245 Die Diskriminierung wird deshalb als „indirekt“ bezeichnet, weil sie dem rechtsetzenden Organ zum Zeitpunkt des Normerlasses nicht bewußt war oder sich die Diskriminierungswirkung seinerzeit noch nicht ergeben hat. 2. Prüfungsmaßstab: Gemeinschaftsrecht oder Verfassungsrecht? Bei der Beurteilung des richtigen Prüfungsmaßstabes und damit auch der gerichtlichen Zuständigkeit über Fragen der indirekten Inländerdiskriminierung ist zunächst zu untersuchen, wie solche Konstellationen überhaupt entstehen können bzw. wer die Verantwortung für solche Diskriminierungsformen trägt. Wie bereits dargestellt, entstehen zahlreiche Fälle der Inländerdiskriminierung dadurch, daß auf der Grundlage des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft eine Liberalisierung der Waren-, Dienstleistungs- und Personenfreiheit erfolgt, wobei es der nationale Gesetzgeber versäumt hat, die mit der Ausübung dieser Freiheiten in Zusammenhang stehenden heimischen Vorschriften anzugleichen. Folgerichtig liegt die Verantwortung beim nationalen Gesetzgeber, weshalb der Europäische Gerichtshof die Auffassung vertritt, daß die Grundfreiheiten auf rein interne Sachverhalte eines Mitgliedstaates grundsätzlich nicht anwendbar seien.246 Nationale Vorschriften, die im Widerspruch zu den Normen des Europäischen Gemeinschaftsrechts stehen, werden nur insoweit verdrängt, als sie auf Lebenssachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug ange-

244 Eine bundeslandgenaue Statistik über die Geschlechter- und Altersverteilung niedergelassener Ärzte findet sich unter der URL http://www. Statistik.at/web_de/static/niedergelassene _aerztinnen_und_aerzte_nach_alter_geschlecht_und_bundeslaen_022353.pdf. 245 R. Birk, in: Richardi/Wlotzke (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. I, § 19 Rn. 28; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 Rn. 74; C. Riese/P. Noll, Europarechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der Inländerdiskriminierung, NVwZ 2007, S. 516 (517). 246 St. Rspr. seit EuGH Slg. 1979, S. 1129 ff. (Leitsatz); gegenteilige Judikate, etwa EuGH Slg. 1994, I-3957 ff. und EuGH Slg. 1997, I-2343 ff. stellen nach C. Riese/P. Noll, Europarechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der Inländerdiskriminierung, NVwZ 2007, S. 516 (519) keine Änderung der grundsätzlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dar, sondern sind in den Besonderheiten des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts begründet.

D. Materielle Grenzen des Verfassungsrechts

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wendet werden können.247 Dieser fehlt jedoch bei der Inanspruchnahme eines durch nationales Recht diskriminierten Vertrags(zahn)arztes durch einen Versicherten aus dem Krankenversicherungssystem, dem auch der Vertrags(zahn)arzt angehört. Demnach ist es Sache des betreffenden Mitgliedstaates, die Diskriminierung bei Inlandssachverhalten zu bekämpfen. Zwar ließe sich gegen das Festhalten am Merkmal des „grenzüberschreitenden Sachverhalts“ das Binnenmarktziel des Art. 14 EGV einwenden, welcher nach Absatz 2 als „grenzenloser Markt“ konzipiert ist. Grenzenlose Märkte kennen keine grenzüberschreitenden Sachverhalte.248 Ferner zielt die Tätigkeit der Gemeinschaft auf die Errichtung eines unverfälschten Wettbewerbssystems ab (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV). Ein unverfälschter Wettbewerb setzt voraus, daß auch Inländer durch nationales Recht nicht benachteiligt werden. Andererseits aber würde eine Auflösung der nationalstaatlichen Rechtsordnungen in einem vollumfänglichen Binnenmarktkonzept zu einer Auflösung der Kompetenzen der nationalen Gesetzgebungsorgane führen und eine allumfassende Normenüberprüfungskompetenz des betroffenen nationalen Rechts durch den Europäischen Gerichtshof begründen, was jedoch im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft keine Stütze findet. Zudem wäre eine damit verbundene Entwertung der nationalstaatlichen Kompetenz mit der Vorgabe des Art. 6 Abs. 3 EUV, wonach die Union die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten achtet, unvereinbar, wenn die nationalstaatlichen Rechtsordnungen egalisiert würden. Nicht zuletzt aufgrund der Nähe der inländerdiskriminierenden Problematik zum nationalstaatlichen Verfassungsrecht ist es sachgerecht, zur Lösung entsprechender Fragen auf die einschlägigen nationalen Normen zu rekurrieren.249 Prüfungsmaßstab für Inländer im Vergleich zu EU-Ausländern benachteiligende Normen ist mithin sowohl Art. 12 Abs. 1 GG250 als auch – insbesondere – Art. 3 Abs. 1 GG.251 Im Rahmen 247

C. Riese/P. Noll, Europarechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der Inländerdiskriminierung, NVwZ 2007, S. 516 (518). 248 A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Art. 12 Rn. 34. 249 A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Art. 12 Rn. 35; C. Riese/P. Noll, Europarechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der Inländerdiskriminierung, NVwZ 2007, S. 516 (520). 250 Der Eingriff in den Schutzgehalt liegt hier – analog zur rein nationalstaatlichen Betrachtung – in der wettbewerbsverzerrenden Gestaltung der Altersgrenze, für die als Berufsausübungsmodalität mit faktisch berufswahlbezogener Intensität hohe Rechtfertigungserfordernisse gelten. 251 Hier ist allerdings zu beachten, daß nicht jede Ungleichbehandlung per se zu einer Verfassungswidrigkeit der inländischen Vorschrift führt. Anderenfalls bestünde die Gefahr, daß aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ein Angleichungsgebot auf europäischer Ebene folgt, was beispielsweise in Fragen der Marktzulassung von Produkten das allgemeine Schutzniveau auf den niedrigsten Stand absenken würde. Einen gangbaren Weg zeigt in diesem Zusammenhang der Österreichische Verfassungsgerichtshof auf (vgl. EuZW 2001, S. 219 ff.). Dieser nimmt eine verfassungsrechtliche Interdependenz an, die zur Folge hat, daß Rechtsetzungsakte aufgrund der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft doppelt bedingt sind; zwar ist die

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2. Teil: Die Stellung der Vertrags(zahn)ärzte auf dem Prüfstand

der Überprüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ist dann zu untersuchen, ob die Differenzierung einen legitimen Zweck verfolgt, geeignet ist, diesen Zweck zu erreichen, sowie erforderlich und angemessen ist. Da nach dem bisher Untersuchten alle Rechtfertigungsmodelle starrer Altersgrenzen für Vertrags(zahn)ärzte an den verfassungsrechtlichen Anforderungen gescheitert sind252, muß man konsequenterweise auch bei der Fragestellung der Inländerdiskriminierung zu dem Ergebnis gelangen, daß diese mit den grundrechtlichen Vorgaben unvereinbar ist.

E. Gesamtergebnis für die verfassungsrechtliche Betrachtung am Maßstab der leistungserbringerbezogenen Grundrechte Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, daß das bestehende, am Sachleistungsprinzip ausgerichtete System der öffentlichen Gesundheitsfürsorge erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Die dem Versorgungsmodell zugrundeliegende Konzeption der Entfremdung zwischen dem Arzt bzw. Zahnarzt und seinem Patienten, wonach nicht der Leistungserbringer, sondern der Sozialversicherungsträger die Gesundheitsdienstleistung schuldet und sich lediglich des Vertrags(zahn)arztes zur Erfüllung dieser Verpflichtung bedient, impliziert, daß beide – Arzt (Zahnarzt) und Patient – in ein anonymisiertes und schematisiertes System der Staatsmedizin einbezogen werden. Für den Arzt bzw. Zahnarzt sind damit erhebliche Beschränkungen der Berufsfreiheit verbunden. Dieses System ist nicht verhältnismäßig. Ebensogut könnte, auch unter Berücksichtigung des Ziels der Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips, ein auf Kostenerstattung beruhendes Modell eingeführt werden, welches allen Akteuren mehr Freiraum bei der individuellen Ausgestaltung der Behandlung überließe. Insbesondere verstoßen starre Höchstaltergrenzen für die Ausübung der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit nach dem Modell des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. gegen höherrangiges Recht. Ein damit verbundener Eingriff in die Berufsfreiheit ist nicht verhältnismäßig, da zum einen das vom Bundesverfassungsgericht bemühte Argument der Vorbeugung von Gefahren, die von älteren Ärzten im Rahmen ihrer Berufsausübung ausgehen sollen, sachlich nicht trägt und mildere Mittel denkbar nationale Hoheitsgewalt zuvörderst an nationales Verfassungsrecht gebunden, dieses hat sie jedoch im Lichte des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden. Verfassungsrecht und Gemeinschaftsrecht sind in Einklang zu bringen (vgl. Anmerkung C. Huber-Wilhelm, EuZW 2001, S. 219 [223]). Gelingt dies im Einzelfall nicht und genügt die ergangene Regelung nicht dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil sie aufgrund einer ungewöhnlich hohen Belastungsintensität unverhältnismäßig ist, dann (und nur dann) ist die inländerdiskriminierende Regelung verfassungswidrig. 252 Vgl. oben, S. 51 ff.

E. Gesamtergebnis

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sind; zum anderen ist für das gesetzgeberische Ziel der Wahrung der Verteilungsgerechtigkeit die Argumentationsbasis aufgrund geänderter Rahmenbedingungen entzogen. Überdies begründet eine Höchstaltersgrenze eine mit dem grundrechtlichen Gleichheitssatz, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und der unmittelbar anzuwendenden Antidiskriminierungsrichtlinie nicht zu vereinbarende diskriminierende staatliche Behandlung und Schlechterstellung aufgrund des Alters. Auch der mit einer Höchstaltersgrenze einhergehende Eingriff in den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Bestand des eingerichteten und ausgeübten „Gewerbebetriebes“ ist aufgrund seiner Unverhältnismäßigkeit verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.

Dritter Teil

Die sozialrechtliche Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand der Verfassung Der Patient steht im Mittelpunkt des Gesundheitswesens. Allein vor diesem Hintergrund ist es wichtig, daß sich seine Rolle nicht nur auf das Erbringen von Zahlungsleistungen reduziert, sondern daß ihm auch Rechte in der Interaktion mit Leistungserbringern eingeräumt werden. Doch nicht nur aus Sicht der Leistungserbringer, sondern umgekehrt auch aus der Perspektive der Patienten gibt das von Sparzwängen, Wirtschaftlichkeitsgeboten und Budgets dominierte System der Krankenversorgung Anlaß zu erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, daß das (gesetzliche) Krankenversicherungssystem zuvörderst der Vorsorge gegen Krankheitskosten und Einkommensausfall dient. Mithin ist die gesamte Existenz eines Krankenversicherungssystems teleologisch auf die gemeinschaftliche Hilfe des Versichertenkollektivs gegen die Wechselfälle und Unwägbarkeiten des Lebens zurückzuführen. Das Krankenversicherungssystem soll den Kranken Hilfe und den Gesunden emotionale Sicherheit in der Gestalt bieten, daß sie auf Hilfe im Bedarfsfall vertrauen können. Dies impliziert jedoch keinesfalls, daß ein System der Vorsorge so konzipiert sein muß wie derzeit in der Bundesrepublik Deutschland.1 In jedem Fall muß das Gesundheitssystem schon begriffslogisch dazu dienen, den mit der ärztlichen Heilbehandlung bezweckten Erfolg (sei er kurativer oder auch „nur“ palliativer Art) zu erreichen. Die staatliche Verpflichtung, zumindest für Hilfsbedürftige ein funktionsfähiges Gesundheitssystem bereitzustellen, ergibt sich aus der objektiven Wertentscheidung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip.2 Wie bereits dargestellt, hat der Gesetzgeber aber in der Ausgestaltung einen so weiten Spielraum, daß sich grundsätzlich weder originäre Leistungsansprüche auf medizinische Versorgung noch einzelne Systemmodalitäten im leistungstechnischen Sinne aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herleiten lassen.3 Der mit einer „Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch ist […] im Hinblick auf die den zuständigen staatlichen Stellen einzuräumende weite Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung der Schutzpflichten nur darauf gerichtet, daß die 1

H. Sodan/M. Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, S. 3. Vgl. oben, S. 44. 3 BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1998, S. 1775 (1776); D. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 2 Rn. 225; H. Sodan, Zur Verfassungsmäßigkeit der Ausgliederung von Leistungsbereichen aus der gesetzlichen Krankenversicherung, in: NZS 2003, S. 393 (394). 2

A. Selbstbestimmungsrecht im Behandlungsverhältnis

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öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts trifft, die nicht völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich sind“.4 In einem Beschluss vom 6. Dezember 2005 stellte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts jedoch klar, dass es „mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar“ ist, „einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht“5. Insofern könnten diese Grundrechte „in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten“.6 Die Funktionsfähigkeit eines Gesundheitssystems hängt aber nicht nur von der positivrechtlichen Komponente der Gewährung medizinischer Leistungsansprüche ab, sondern darüber hinaus muß ein wie auch immer geartetes Gesundheitssystem so ausgestaltet sein, daß weitere unmittelbar mit dem Patienten verbundene Freiheitsaspekte gewährleistet bleiben. Zum einen ist die Sozialstaatlichkeit nur im Rahmen der Freiheitsrechte zu verwirklichen; zum anderen darf die objektiv-rechtliche Interpretation der Grundrechte nicht abwehrrechtliche Gewährleistungen mißachten.7 Diese verkörpern sich sowohl in der Wahl der Behandlung durch Arzt und Patient gemeinsam sowie in der vorgeschalteten Auswahl des Arztes durch den Patienten.

A. Selbstbestimmungsrecht im Behandlungsverhältnis Wie dargelegt, sind die Leistungserbringer aufgrund der Einbindung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung rechtlich gezwungen, sich unter anderem auch an die (ökonomischen) Vorgaben und Behandlungsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu halten (vgl. § 92 Abs. 8 i. V. m. § 95 Abs. 3 Satz 3 sowie § 92 i. V. m. § 81 Abs. 3, § 87 Abs. 1, § 77 SGB V). Der Behandlungsspielraum des Vertrags(zahn)arztes wird durch exogene Therapievorgaben dabei zunehmend beengt. Ein Beispiel hierfür ist die mittlerweile zwar vertraglich außer Kraft gesetzte, aber normativ noch bestehende Bonus-Malus-Regelung8, die den Arzt dazu ver-

4

BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1997, S. 3085. BVerfGE 115, 25 (Leitsatz). 6 BVerfGE 115, 25 (45). 7 Vgl. oben, S. 41 und 45. 8 Die sog. Bonus-Malus-Regelung wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26. April 2006 (BGBl. I S. 984) in § 84 5

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

pflichtet, das wirtschaftlich günstigste Arzneimittel zu verordnen. Dieses stellt für den Patienten aber nicht zwangsläufig das therapeutische Optimum dar. Überschreitet der Arzt durch therapeutisch notwendige Arzneimittelverordnungen den sozialrechtlich festgelegten Schwellenwert, so droht ihm der Regreß. Mithin wird ein Vertragsarzt dazu gezwungen, sich bei der Wahl der Behandlung nicht allein an die durch Diagnose und Anamnese indizierten Vorgaben zu halten, sondern aktiv die überindividuellen schematischen Vorgaben des Sozialversicherungswesens zu beachten.

I. Grundrechtlicher Schutz und Eingriffsproblematik der Pflichtmitgliedschaft Die ärztliche Kunst zeichnet sich dadurch aus, je nach Befund, Beschwerdebild oder seelischem Befinden des Patienten die Möglichkeit zu haben, von standardisierten Behandlungsstrategien abzuweichen und die für den individuellen Patienten angezeigte und notwendige Vorgehensweise zu wählen.9 Sämtliche exogenen schematisierten Therapievorgaben verkennen, daß aufgrund der Individualität des Menschen jede Behandlung auf den Patienten abzustimmen ist.10 Zwar können Leitlinien in Empfehlungsform durchaus eine Hilfe für den Arzt bei der Behandlung sein, sofern sie den anerkannten Stand der Wissenschaft im Rahmen einer evidenzbasierten Medizin repräsentieren; doch stets muß die Möglichkeit der Abweichung gegeben sein, da nicht abstrakte Behandlungstabellen, sondern Körper und Biographie des Patienten die unmittelbare Richtschnur für Entscheidungen am Krankenbett darstellen.11 Sucht der Kranke mit seinem Leiden die Hilfe des Arztes, dann erscheint er in seiner persönlichen Bedürftigkeit und Eigenart und nicht als Exponent der Gesellschaft.12 Wenn aber die Therapieentscheidung im individuellen Fall mehr und mehr den Institutionen des Sozialversicherungssystems überlassen wird, impliziert dies eine Bevormundung des Patienten im Behandlungsverhältnis.13 Aufgrund des breiten Informationsangebots ist es dem Versicherten – gestützt durch die Informationen seines Arztes – heutzutage grundsätzlich möglich, Mündigkeit in Gesundheitsfragen zumindest im Hinblick auf die eigene spezifische Erkrankung zu erlangen. Im übrigen formuliert § 1 Satz 2 SGB V ausdrücklich eine Mitverantwortung des Versicherten für seine Gesundheit. Eine freiheits- und verantwortungsbeschränkende Bevormundung Abs. 7a SGB V aufgenommen. Siehe dazu näher H. Sodan/S. Schlüter, Die Bonus-MalusRegelung für Vertragsärzte als Verfassungsproblem, in: NZS 2007, S. 455 ff. 9 E. Nagel/J. Loss, Ärztliches Handeln im Spannungsfeld zwischen Leit- und Richtlinien, in: Schwarz/Frank/Engel (Hrsg.), Weißbuch der Zahnmedizin, S. 101 (103). 10 B. von Maydell, Der Statuswandel der freien Heilberufe in der GKV – rechtliche Rahmenbedingungen und Reformoptionen, in: NZS 1996, S. 243 (244). 11 E. Aulbert, Lehrbuch der Palliativmedizin, S. 28. 12 A. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 2 Rn. 7. 13 A. Lesinski-Schiedat, Sparzwang contra Heilauftrag aus ärztlicher Sicht, in: MedR 2007, S. 345 (346).

A. Selbstbestimmungsrecht im Behandlungsverhältnis

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im sozialstaatlichen Gewand ist verfassungsrechtlich deswegen so problematisch, weil zum einen auch dem pflichtversicherten Patienten ein Selbstbestimmungsrecht für seine ärztliche Behandlung zusteht, welches durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht i. V. m. dem Recht auf körperliche Unversehrtheit gewährleistet ist (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)14, und es zum anderen für den größten Teil der Bevölkerung aufgrund der gesetzlich geregelten Zwangsmitgliedschaft keine Alternative zu dem bestehenden freiheitsbeschränkenden System gibt. Diese Menschen sind als Pflichtmitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung in ein System gezwungen, das für individuell gewählte Behandlung aus ökonomischen Gründen zunehmend weniger Raum läßt. Die sozialgesetzliche Regelung einer Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung stellt eine am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messende Grundrechtsbelastung dar.15 Die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenversicherung setzt unter anderem voraus, daß dem Individuum genügend Wahlmodalitäten bei der Inanspruchnahme von Leistungen verbleiben. Diese These wird durch das teleologische Gesamtgefüge der obersten Verfassungswerte gestützt: Die – gerade im Vergleich zur Weimarer Reichsverfassung – erweiterte Grundrechtsverbürgung des Grundgesetzes ist auch als Reaktion auf die Erfahrungen mit der für eine totalitäre Staatsform typischen Vereinnahmung des Individuums zugunsten der Gemeinschaft zu sehen. Gestützt auf die christlichen, liberalistisch-aufklärerischen und bürgerlichen Traditionen versteht das grundgesetzliche Geflecht den Menschen als mit Vernunft und Willensfreiheit ausgestattetes einzigartiges Lebewesen, weshalb ihm eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit unabhängig von staatlichen Direktiven gewährt werden soll. Oder anders formuliert: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“16 Will die gesetzliche Krankenversicherung nicht außerhalb dieser grundgesetzlichen Kautelen stehen, muß sie auch im Rahmen der sozialstaatlichen Ausgestaltung des Leistungssystems diese Prämisse beachten: Um des freiheitlichen Ethos willen darf sich der Staat bei der aktiven Förderung des Gemeinwohls mit den Mitteln des Sozialrechts nicht gegen die grundgesetzliche Verbürgung der Selbstbestimmung wenden und die Freiheit des einzelnen mit dem Hinweis auf einen staatlicherseits bestimmten Individualwohlzweck beschneiden. Staatswissenschaftlich spricht man in diesem Zusammenhang vom „Subsidiaritätsprinzip“ auf Sozialebene oder vom „Primat freier Individualität bei der Förderung des Gemeinwohls“17. 14

BSGE 73, 66 (71); LSG Niedersachsen, NZS 1996, S. 74 (75). H. Sodan, Die Bürgerversicherung als Bürgerzwangsversicherung, in: ZRP 2004, S. 217 (218). Vgl. zum Grundrechtsschutz gegen Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Köperschaft bereits oben, S. 25. 16 R. Zippelius, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 1 I Rn. 2. 17 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 313; vgl. ferner etwa ders., Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, § 71 Rn. 114 ff.; H. Sodan, Vorrang der Privatheit als Prinzip der Wirtschaftsverfassung, in: DÖV 2000, S. 361 (368 f.). 15

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

Diese rechtsstaatliche Grundprämisse ist durch die derzeitige Ausgestaltung des staatlichen Krankenversicherungswesens in vielfacher Weise gestört. Durch die Eingliederung des konkreten Behandlungsverhältnisses zwischen dem Arzt und seinem Patienten in ein sozialversicherungsrechtliches Gesamtgefüge, welches das Basisverhältnis dergestalt ändert, daß noch nicht einmal von einer vertraglichen Beziehung gesprochen werden kann, eröffnet sich der Sozialstaat einen Raum von Behandlungsdirektiven, die von den konkreten Bedürfnissen des Patienten sowie dem individuellen Wissen und der Erfahrung des Arztes abstrahiert sind: Die Vertrags(zahn)ärzte sind in ein dichtes Geflecht von Regeln eingebunden, welches die Art und Weise der Leistungserbringung detailliert bestimmt. Die Verschreibung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln ist durch Negativlisten einem immer enger werdenden Rahmen unterworfen. Der Patient hat einen Anspruch auf eine allenfalls zweckmäßige, aber nicht individuell abgestimmte Leistung. Die Versichertengemeinschaft kommt für Bedürfnisse der Versicherten auf, wenn der Gemeinsame Bundesausschuß zuvor die Leistungspflichtigkeit in den Richtlinien bejaht hat (vgl. § 92 SGB V; § 135 SGB V für neue ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden).18 Gerade an dieser Stelle könnte aber ein auf Kostenerstattung beruhendes Krankenversicherungswesen das Tor für eine an den Bedürfnissen des Patienten orientierte Krankenbehandlung öffnen, während dies beim Sachleistungsprinzip nicht möglich ist, weil der Patient keine Verantwortung übernehmen kann und keine Wahlfreiheit hat.19 Auch hier ist wiederum der demokratiestaatliche Einwand mangelnder Partizipationsmöglichkeit an den Normsetzungsprozessen zu erheben, zumal die Interessenvertretung der Beitragszahler, also derjenigen, die das gesamte Krankenversicherungssystem finanzieren, auf ein bloßes Mitberatungsrecht reduziert ist (vgl. § 140 f Abs. 2 Satz 1, § 91 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Zusammenfassend läßt sich feststellen: Während das bürgerliche Recht gemäß seiner vertragsautonomen Grundkonzeption den Parteien ein weitreichendes Bestimmungsrecht hinsichtlich Vertragsinhalt und Vergütung einräumt, wird dieses freiheitliche Modell durch eine exogene Drittbestimmung sozialversicherungsrechtlicher Natur abgelöst. Für eine an den Bedürfnissen des Patienten orientierte Vertragsabsprache bleibt grundsätzlich kein Raum. Da es sich bei der gesetzlichen Krankenversicherung um eine auf dem Beitrittszwang beruhende Sozialversicherung handelt, ist – entsprechend der Verpflichtung der Ärzte und Zahnärzte zur Mitgliedschaft in Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen – die Zwangsmitgliedschaft aufgrund des Eingriffscharakters am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen.

18 Vgl. dazu K. Höfler, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 27 SGB V, Rn. 58 f. 19 A. Lesinski-Schiedat, Sparzwang contra Heilauftrag aus ärztlicher Sicht, in: MedR 2007, S. 345 (347).

A. Selbstbestimmungsrecht im Behandlungsverhältnis

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II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Pflichtmitgliedschaft Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehören Vorschriften über die Gründung öffentlich-rechtlicher Verbände mit Zwangsmitgliedschaft nur dann zur „verfassungsmäßigen Ordnung“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG und sind damit zulässige Einschränkungen des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, wenn diese Vereinigungen legitime öffentliche Aufgaben wahrnehmen.20 Das Bundesverfassungsgericht versteht darunter solche Aufgaben, „an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft“ bestehe, die aber so beschaffen seien, daß „sie weder im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden“ könnten, „noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben“ zählten, „die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen“ müsse.21 Zur gesetzlichen Krankenversicherung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: Der Schutz „in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine der Grundaufgaben des Staates. Ihr ist der Gesetzgeber nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat.“22

Die gesetzliche Krankenversicherung ist demnach als soziale Pflichtversicherung prinzipiell zulässig, so daß eine Zwangsmitgliedschaft in dieser Sozialversicherung zumindest nicht an der Voraussetzung der Wahrnehmung einer legitimen öffentlichen Aufgabe scheitert.23 Damit ist aber noch nichts über die Verfassungsmäßigkeit des Umfangs des in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogenen Bevölkerungsteils gesagt. Ein staatliches Krankenversicherungssystem ist für diejenigen, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände bzw. gesellschaftlichen Benachteiligungen an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind, aus sozialstaatlichen Gründen geboten.24 Umgekehrt kann man aber unter Zugrundelegung der bundesverfassungsgerichtlichen Doktrin ebenfalls erkennen, daß für einen erheblichen Teil der Bevölkerung die Voraussetzung des Fehlens einer Möglichkeit, „im Wege privater Initiative“ Vorsorge zu ergreifen, nicht erfüllt sein dürfte. Da nach dem bereits dargelegten Grundsatz der sozialstaatlichen Subsidiarität25 die Verantwortung des Gemeinwesens 20

Vgl. oben, S. 45 f. BVerfGE 38, 281 (299); vgl. ferner BVerfG (Kammerbeschl.), NVwZ 2002, S. 335 (336); NVwZ 2007, S. 808 (811). 22 BVerfGE 68, 193 (209); 115, 25 (43). Vgl. auch BVerfG, NJW 2009, 2033 (2044, Nr. 229). 23 H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 328. 24 Vgl. dazu BVerfGE 100, 271 (284). 25 Vgl. oben, S. 41. 21

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

für die Sicherung der menschlichen Existenz allenfalls sekundär ist, fehlt es insoweit an einer Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit von Zwangsmitgliedschaft. Selbst wenn man annehmen wollte, daß der Sozialstaatlichkeitsgrundsatz eine beschränkende Wirkung auch im Hinblick auf die Freiheit vor Zwangsmitgliedschaft hat, mithin einen legitimen Zweck darstellt, so müßte gemäß dem aus dem Rechtsstaatsprinzip bzw. den Grundrechten fließenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz diese Mitgliedschaft zur Erreichung des Sozialstaatsziels geeignet und erforderlich sein. Bereits an der Geeignetheit bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Das Bundesverfassungsgericht machte unlängst deutlich, daß auch im Rahmen des Sozialstaatsprinzips das Interesse der Solidargemeinschaft nicht von dem Interesse des in die Gemeinschaft Einbezogenen abstrahiert werden kann.26 Der freiheitliche Sozialstaat basiert auch auf der Grundregel, daß in Wahrnehmung der grundrechtlich verbürgten Freiheiten dem einzelnen die Inanspruchnahme von Notfalleistungen erspart wird und dieser im Regelfall die Möglichkeit hat, für sich und seine Nahestehenden zu sorgen. Um ein Abrutschen in die Fremdversorgung zu vermeiden, ist die Selbstverantwortung des Bürgers nicht aufzuheben, sondern zu entfalten.27 Wenn der Versicherte aber nicht über seine Behandlung zu entscheiden vermag (gegebenenfalls unter Inanspruchnahme unmittelbarer eigener Mittel), dann kann er weder die Verantwortung für sich übernehmen, noch wird umgekehrt die Sozialstaatlichkeit im Ganzen gestützt, die so konzipiert ist, daß nur Hilfsbedürftige sie in Anspruch nehmen. Als Quintessenz läßt sich festhalten, daß durch die Bevormundung des auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Systems die Verwirklichung von Sozialstaatlichkeit gerade nicht gefördert, sondern behindert wird.28 Zu diesem Ergebnis kam bereits vor über vierzig Jahren die Sozialenquete-Kommission des Deutschen Bundestages: Auf einer sozialethischen Ebene wird auf der Basis des Individualprinzips festgestellt, daß die dem Sachleistungsprinzip zugrundeliegenden Rahmenbedingungen zur Unmündigkeit des Patienten führen und diesem die Möglichkeit der individuellen Ausgestaltung der Arzt-Patient-Beziehung nehmen.29 Wenn das System der gesetzlichen Krankenversicherung aber so konzipiert ist, daß auch Nichthilfsbedürftige zwangsweise inkorporiert werden, dann fehlt es an der Erforderlichkeit des Systems. Als milderes und der Effektivität der medizinischen Versorgung besser dienendes Mittel kommt entweder eine private Vorsorge oder ein

26

Vgl. BVerfGE 115, 25 (49). H. Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, § 28 Rn. 27. 28 A. Lesinski-Schiedat, Sparzwang contra Heilauftrag aus ärztlicher Sicht, in: MedR 2007, S. 345 (346). 29 So bereits W. Bogs/H. Achinger/H. Meinhold/L. Neundörfer/W. Schreiber, Soziale Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bericht der Sozialenquete-Kommission 1966, S. 220 ff. 27

B. Selbstbestimmungsrecht bei der Anbahnung eines Behandlungsverhältnisses

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der Eigenverantwortlichkeit und der individuellen Bedürftigkeit Rechnung tragendes, auf Kostenerstattung beruhendes Krankenversicherungssystem in Betracht. Zuletzt ist die umfassende Versicherungspflicht im Hinblick auf die Zweck-Mittel-Relation nicht geeignet, dem Angemessenheitsanspruch des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung zu tragen. Im Rahmen dieser Angemessenheitsprüfung sind Beeinträchtigungs- sowie Nutzeffekte gegenüberzustellen und insbesondere das Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung zu berücksichtigen.30 Vor dem Hintergrund der fehlenden Berücksichtigung der individuellen gesundheitlichen Determinanten des Versicherten in einem Gesundheitssystem, das auf Rationierung und Budgetierung basiert, sind die Beeinträchtigungen für den Versicherten von besonderem Gewicht. Weil die sozialrechtliche Einflußnahme des Staates oftmals im Widerspruch zu den die Behandlungsbeziehung kennzeichnenden medizinischen und sozialen Faktoren steht31, wird man zu der Erkenntnis gelangen müssen, daß die Einbindung von fast 90 Prozent der Bevölkerung, von denen der größte Teil pflichtversichert ist, auch nicht angemessen ist. Treffend beschreibt der amerikanische Gesundheitssystemethiker H. T. Engelhardt jr. das Verhältnis von Individualität und Kollektivismus in einem staatlich-direktivistischen und auf Rationierung begründeten Gesundheitssystem wie folgt: „The achievement of an egalitarian health care system can be purchased only at the price of dramatically curtailing individual right to free association and the use of private property.“32

B. Selbstbestimmungsrecht bei der Anbahnung eines Behandlungsverhältnisses Unabhängig von der grundsätzlichen Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer so weiten Ausdehnung der Versicherungspflicht und der Orientierung dieses Systems am Sachleistungsprinzip ergeben sich auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung des vom Gesetzgeber gewählten Systems Anknüpfungspunkte für weitergehende verfassungsrechtliche Einwände. Denn wenn staatlicherseits ein System geschaffen wird, das umfassend nahezu sämtliche Teilaspekte der Gesundheitsfürsorge regelt, so entbindet dessen Institutionalisierung nicht von der weitergehenden Beachtung der grundrechtlichen Vorgaben innerhalb der Systemanwendung. Mithin unterliegt nicht nur die Schaffung des Systems, sondern auch dessen Anwendung der Grundrechtsbindung.

30

Vgl. H. Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 55; M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 20 Rn. 154 ff.; H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Vorb. Art. 1 Rn. 66. 31 Vgl. A. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, § 3 Rn. 20. 32 H. T. Engelhardt jr., The Foundation of Bioethics, S. 360.

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

I. Annäherungen an den Grundrechtsgehalt der Arztwahlfreiheit 1. Sozialethische Komponente der Arztwahlfreiheit Zum Wesen der Heilkunde gehört darüber hinaus jene bereits angesprochene33 emotionale Komponente, die das Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und seinem Patienten kennzeichnet und der Freiberuflichkeit immanent ist34. Dieses Vertrauen ist nicht nur ein Teilaspekt einer eigentlich jeder vertraglichen Bindung zugrundeliegenden Nebenabrede, sondern konstitutiver Bestandteil des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient sowie unabdingbare Voraussetzung für den Heilerfolg.35 Das Grundvertrauen des Patienten beruht zunächst darauf, daß der Arzt die behandlungsrelevanten Entscheidungen frei von sachfremden Erwägungen vornimmt und allein an den Notwendigkeiten des einzelnen Falles ausrichtet.36 Neben der im Rahmen des Behandlungsverhältnisses eingebrachten existentiellen Rechtsgüter des Patienten gibt es eine Reihe weiterer Faktoren, welche die gegenüber anderen Vertragskonstellationen so ausgeprägte asymmetrische Struktur der Beziehung zwischen dem Arzt und seinem Patienten bedingen und das Vertrauenserfordernis virulent werden lassen.37 So bestimmt der Arzt, welche Informationen er dem Patienten preisgibt (sog. Expertenmacht); darüber hinaus besitzt er eine „gesellschaftliche Definitionsmacht“ qua Rollenverteilung in der Interaktionsbeziehung, welche in bestimmten medizinischen Teildisziplinen mit psychischen oder ästhetischen Bezügen besonders heraustritt; zuletzt besitzt der Arzt eine Steuerungsmacht. Diese zeigt sich zum einen innerhalb des Behandlungsverhältnisses und erstreckt sich auf alle Einzelheiten der Interaktion, vom Beginn der Behandlung (Stichwort „Wartezeit“) über den Verlauf bis zum Ende des Kontakts, vom Recht auf Initiativen und Unterbrechungen von Patientenseite bis hin zum Gewähren oder Vorenthalten informeller Vergünstigungen (beispielsweise Zeitaufwand pro Patient). Zum anderen besitzt der Arzt auch steuernden Einfluß auf das weitere soziale Umfeld des Patienten; dies kommt etwa durch Krankschreibung oder Anordnung von Folgemaßnahmen wie beispielsweise Kuraufenthalten zum Ausdruck.

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Vgl. oben, S. 15 und 80. H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 249 f. 35 Vgl. BSGE 59, 172 (179); H. H. Dickhaut/B. Luban-Plozza, in: Eser/von Lutterotti/ Sporken (Hrsg.), Lexikon Medizin Ethik Recht, Stichwort: Arzt-Patient-Beziehung, Sp. 122; C. Katzenmeier, Mediation bei Störungen des Arzt-Patient-Verhältnisses, in: NJW 2008, S. 1116 (1117); B. von Maydell, Der Statuswandel der freien Heilberufe in der GKV – rechtliche Rahmenbedingungen und Reformoptionen, in: NZS 1996, S. 243 (244); H. Sodan/S. Schlüter, Die Bonus-Malus-Regelung für Vertragsärzte als Verfassungsproblem, in: NZS 2007, S. 455 (460). Vgl. zudem BVerfGE 32, 373 (380); 52, 131 (169 f.). 36 B. Tiemann/S. Tiemann, Kassenarztrecht im Wandel, S. 387. 37 I. Samhaber, Motivationen zum Wahlarztbesuch, S. 57; J. Siegrist, Medizinische Soziologie, S. 244. 34

B. Selbstbestimmungsrecht bei der Anbahnung eines Behandlungsverhältnisses

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Dieses Machtgefälle stellt eine Gefährdung für den wichtigsten Grundsatz säkularer Moral dar: die individuelle Freiheit und das Prinzip der Selbstbestimmung. Sind diese gefährdet, wird sich auch kein für eine erfolgreiche Behandlung unabdingbares Vertrauen entwickeln können. Deshalb ist es die Aufgabe des Arztes, den Patienten über die verschiedenen Behandlungsalternativen aufzuklären und ihm selbstverantwortliches Handeln zu ermöglichen.38 Mithin muß es das Ziel des Arztes sein, die dem Behandlungsverhältnis innewohnende Asymmetrie weitestgehend zu nivellieren, um dem die Patientenautonomie repräsentierenden informierten Einverständnis einen adäquaten materiellen Gehalt zu vermitteln.39 Ausweislich der von der Bundesärztekammer erlassenen „Empfehlungen zur Patientenaufklärung“ soll die Aufklärung dazu dienen, „den Patienten in die Lage [zu] versetzen, in Kenntnis der Notwendigkeit, des Grades der Dringlichkeit sowie der Tragweite der ärztlichen Behandlungsmaßnahme eine auch aus ärztlicher Sicht vernünftige Entscheidung zu treffen“.40 Ähnlich formulierten es im Jahre 1979 die damaligen Bundesverfassungsrichter Hirsch, Niebler und Steinberger: „Die Verwurzelung des normativen Erfordernisses der Einwilligung zu ärztlichen Heileingriffen in grundlegenden Verfassungsprinzipien und der ihr zugrundeliegende Sinn, dem vom Eingriff Betroffenen die Möglichkeit zu verbürgen, sein Selbstbestimmungsrecht über seine leiblich-seelische Integrität wahrzunehmen, bedingen einen von der Verfassung geforderten normativen Kernbereich der Einwilligung und […] der ärztlichen Aufklärungspflicht […]. Damit eine freie Entscheidung des einwilligungsfähigen Patienten möglich sei, ist typischerweise, d. h. sofern er nicht auf ihre Kenntnis wirksam verzichtet, erforderlich, daß der Patient die für seine Entscheidung bedeutsamen Umstände kennt. […] Diese Voraussetzungen der Abwägungsmöglichkeit zu vermitteln, damit eine wirksame Einwilligung erklärt werden könne, ist typischerweise der Sinn der ärztlichen Aufklärungspflicht.“41

Kommunikationstheoretisch setzt die Aufklärung des Patienten und die darauf fußende, in Eigenverantwortung getroffene Entscheidung voraus, daß die Informationsweitergabe sachgerecht ist, sich am Patienten orientiert und dieser die Entscheidung kognitiv und emotional trägt.42 Nur durch eine vertrauensvolle Hinwendung zum Arzt kann die Entscheidungsfähigkeit des Patienten gestärkt und die für eine erfolgreiche Behandlung notwendige Compliance erreicht werden.43 38 R. Carl, Ethische Fragen in der allgemein-zahnärztlichen Praxis, in: Groß (Hrsg.), Ethik in der Zahnheilkunde, S. 71 (73). 39 T. Beauchamp/J. Childress, Principles of Medical Ethics, S. 64: „As a positive obligation, this principle requires respectful treatment in disclosing information and fostering autonomous decision-making“; E. Deutsch/A. Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 243 ff. 40 Vgl. Empfehlungen zur Patientenaufklärung der Bundesärztekammer, Nr. 4, abgedruckt in: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 114 ff. 41 BVerfGE 52, 131 (175 f.) – abweichende Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger; vgl. auch BVerfG (Kammerbeschl.), NJW 1998, S. 1774 (1775). 42 G. Marckmann/M. Bormuth, Arzt-Patient-Verhältnis und informiertes Einverständnis, in: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 91 (97). 43 Vgl. dazu: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Compliance“, S. 338 (339); V. Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, S. 52.

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

Fehlt dieser Vertrauensvorschuß, etwa weil sich der Patient einem Leistungserbringer gegenüberwähnt, der mittels suggestiv-manipulativer Techniken eine Einwilligung zur Behandlung zu erreichen versucht oder im Zuge einer oftmals bemängelten „kalten Apparatemedizin“44 jegliches Fingerspitzengefühl vermissen läßt, kann sich auch ein für die erfolgreiche Behandlung unerläßliches Vertrauen nicht entwickeln. Gerade im Zuge der mit dem medizintechnologischen Fortschritt einhergehenden unabdingbaren Spezialisierung besteht ein verständliches Interesse des Patienten, einen Arzt zu finden, der ein auf sein spezifisches Leiden zugeschnittenes und deshalb Erfolg versprechendes anerkanntes Behandlungsprogramm durchführen kann und entsprechende Erfahrung aufweist.45 Die sozialpolitischen Vorgaben in Form von Rechtsnormen, Verwaltungsvorschriften, Richt- und Leitlinien, die mal mehr und mal weniger verbindlich, jedoch unter haftungsrechtlichen Aspekten faktisch immer relevant ärztliches Handeln schematisieren und determinieren46, stehen im Widerspruch zur kulturellen Erwartung, wonach es der Arzt ist, der in seiner unvertretbaren Individualität die ungeteilte Verantwortung trägt und dessen Tun zugleich durch den Patienten sowie sein Vertrauen legitimiert ist. Will sich ein Gesundheitssystem also nicht dem Vorwurf aussetzen, eine sozialpolitisch gesteuerte Medizin gegen den Willen des einzelnen Patienten zu dessen gesundheitlichem Nachteil zu institutionalisieren, dann muß es – unabhängig von der Intensität der sachlichen Versorgung etwa mit Arznei- oder Hilfsmitteln – die Möglichkeit einräumen, sich einen Arzt auszusuchen, der trotz der gesundheitssystemstrukturellen Umstände dem Kranken die uneingeschränkte Loyalität entgegenbringt und seiner beratenden Funktion nachkommt. 2. Grundrechtlicher Schutz der Arztwahlfreiheit Als Ausgangspunkt der grundrechtlichen Überlegungen bietet sich zunächst das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit an. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ließ bislang offen, „ob der Sozialversicherte aus Art. 2 Abs. 1 GG einen Anspruch auf freie Arztwahl herleiten kann“47. Hält man sich aber vor Augen, daß in der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur sogar Verhaltensweisen wie das Reiten im Walde oder Taubenfüttern im Park unter den Schutzgehalt des 44 Vgl. F. Hufen, In dubio pro dignitate, in: NJW 2001, S. 849; H. Schaefer, Medizinische Ethik, S. 115 f. 45 Vgl. LG Kiel, MedR 1999, S. 279 (281). 46 Hierzu bemerkt P. Engel, Der zahnärztliche Heilberuf noch ein freier Beruf ?, in: Schwarz/Frank/Engel (Hrsg.), Weißbuch der Zahnmedizin, S. 205 (213): „Mit den überbordenden gesetzlichen Bestimmungen und Regelungen setzt die Regierung alles daran, das Vertrauen der Gesellschaft, insbesondere aber des Kranken, der Patientinnen und Patienten in die freiberufliche Tätigkeit der Zahnärzte zu untergraben […]. Besorgniserregend wird es besonders dann, wenn die Zahnärzteschaft durch Vorschriften, die medizinfremden Interessen dienen, daran gehindert wird, die Patienten frei und sachgerecht zu behandeln.“ 47 BVerfGE 16, 286 (303 f.).

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Art. 2 Abs. 1 GG subsumiert worden sind, ist kein Grund ersichtlich, weshalb die freie Arztwahl nicht ebenfalls von der in dieser Norm gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit umfaßt sein soll.48 Immerhin verbürgt sich dieses Grundrecht für die grundsätzliche Freiheit der Wahl zwischen verschiedenen Alternativen: „[Es] enthält den prinzipiellen Vorrang des einzelnen Menschen, [die] Abfolge von Entscheidungen über zu verwirklichende Möglichkeiten [festzulegen], die ihn in seiner Lebensgeschichte als unauswechselbares, selbstbestimmtes Individuum definieren.“49 In Anbetracht der soeben dokumentierten sozialethischen Relevanz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem einzelnen Arzt und seinem Patienten ist es folgerichtig, daß das Bundesverfassungsgericht die durch eine besondere private, ja intime Nähe gekennzeichnete Beziehung unter den Schutz des aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts50 stellt. Das damit geschützte Vertrauen zählt „zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens […], weil es die Chancen der Heilung vergrößert und damit – im ganzen gesehen – der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient“.51 Da die Vertrauensentwicklung aber, wie aufgezeigt, maßgeblich von der Persönlichkeit des Arztes abhängt, drängt es sich auf, die Arztwahlfreiheit ebenfalls unter den Schutzgehalt jenes Grundrechts zu subsumieren52, welches die Sicherung der Selbstbestimmung in eigenen Angelegenheiten bezweckt53. Sowohl in der einschlägigen sozialrechtlichen Literatur54 als auch in der Begründung des Regierungsentwurfs55 zu dem die grundsätzliche Wahlfreiheit verbürgenden § 33 SGB I werden die Grundrechtsrelevanz der Wunsch- und Wahlrechte sowie ihre Nähe zur Achtung der Menschenwürde, zum allgemeinen Freiheitsrecht, ja sogar zur Bekenntnisfreiheit und zum Erziehungsrecht der Eltern betont. Wenn aber die Arztwahlfreiheit in Anbetracht dieser Überlegungen eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, dann unterliegen sozialrechtliche Einschränkungen folgerichtig auch einem gegenüber der allge-

48 Vgl. V. Neumann, Solidarische Wettbewerbsordnung statt Vertragsarztrecht, in: NZS 2002, S. 561 (562). 49 A. Podlech, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 48. 50 Siehe dazu näher H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 2 Rn. 5 ff. 51 BVerfGE 32, 373 (380). 52 Vgl. V. Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, S. 52; P. Wigge, Wahlfreiheit oder Bindung der Versicherten, in: VSSR 1996, S. 399 (414). 53 C. Degenhart, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, in: JuS 1992, S. 361 (366 ff.); U. di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 13; M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Vorb. Art. 1 Rn. 43. 54 V. Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, S. 50 m. w. N. 55 „Die Achtung vor der Menschenwürde und der Freiheit des einzelnen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Ziel, so leistungsfähig wie möglich zu arbeiten, gebieten der Sozialverwaltung, im Interesse der berechtigten und verpflichteten Bürger auf die Umstände des Einzelfalls Rücksicht zu nehmen […]“, BT-Drs. 7/868, S. 27.

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meinen Handlungsfreiheit höheren Rechtfertigungserfordernis.56 Zuletzt ist noch einmal darauf hinzuweisen, daß die Manifestation des arztwahlabhängigen Vertrauensverhältnisses eine grundrechtliche Verstärkung durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erhält, da – wie bereits aufgezeigt57 – die emotionale Vertrauenskomponente Rückkoppelungseffekte auf die Behandlung aufweist.

II. Eingriffscharakter der gegenwärtigen sozialrechtlichen Ausgestaltung der Arztwahl„freiheit“ Aufgrund der verfassungsrechtlichen Verankerung des Arztwahlrechts in den vorgenannten Grundrechtsgütern müßte ein unbefangener Betrachter des deutschen Sozialversicherungssystems davon ausgehen, daß die entsprechende einfachgesetzliche Ausgestaltung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung diesen Ansprüchen gerecht wird. § 76 SGB V trägt die amtliche Überschrift „Freie Arztwahl“. Bei sorgfältiger Lektüre dieser Norm ergibt sich jedoch, daß die Überschrift nicht das hält, was sie verspricht. Denn de lege lata wird die Arztwahl für gesetzlich versicherte Patienten erheblich eingeschränkt. 1. Arztwahl nur unter Sozialrechtsvorbehalt Bereits nach § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann ein gesetzlich Versicherter nicht etwa jeden niedergelassenen Arzt oder Zahnarzt in Anspruch nehmen, sondern – abgesehen von besonderen medizinischen Einrichtungen wie den medizinischen Versorgungszentren (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V) – nur solche, welche die Berechtigung haben, an der Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung teilzunehmen. Dies wiederum sind nur diejenigen, welche das Verfahren der „zweiten Approbation“ nach § 95 Abs. 2 SGB V i. V. m. § 18 Ärzte-ZV bzw. Zahnärzte-ZV durchlaufen haben. Das limitierte Wahlrecht erstreckt sich gemäß § 95 Abs. 10 i. V. m. § 72 Abs. 1 SGB V auch auf Psychotherapeuten. Alle Ärzte, die entweder mangels Antrags, aufgrund eines erfolglosen Zulassungsverfahrens infolge „planwirtschaftlicher Vorgaben“ (vgl. § 103 Abs. 2 SGB V zu den Wirkungen einer Überversorgung mit Vertragsärzten in einem bestimmten Gebiet) oder wegen der Sanktionswirkung des § 95b Abs. 2 SGB V nicht (mehr) Teil des sozialrechtlichen Versorgungssystems sind, stehen dem Versicherten nicht (mehr) zur Wahl. So gesehen gibt es im System

56 V. Neumann, Solidarische Wettbewerbsordnung statt Vertragsarztrecht, in: NZS 2002, S. 561 (562). Siehe näher zu den verstärkten Rechtfertigungsanforderungen für Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 2 Rn. 17 f. 57 Vgl. oben, S. 86.

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der gesetzlichen Krankenversicherung kein uneingeschränktes Recht auf freie Arztwahl.58 Darüber hinaus ist aber die „freie Arztwahl“ auch innerhalb des vertrags(zahn)ärztlichen Versorgungssystems beschränkt. So besteht gemäß § 76 Abs. 3 SGB V eine prinzipielle Quartalsbindung an den einmal gewählten Arzt, die jedoch de facto seit der Einführung der Krankenversichertenkarte entfallen ist und sogar umgekehrt die „unkoordinierte Mehrfachinanspruchnahme von Vertragsärzten begünstigt“59. Ferner ist der Versicherte gemäß § 76 Abs. 2 SGB V zu einer Inanspruchnahme des nächsterreichbaren Vertrags(zahn)arztes gehalten. Bei der Inanspruchnahme von Vertrags(zahn)ärzten in größeren Institutionen bestehen weitere Einschränkungen: Ausweislich des Wortlauts von § 76 Abs. 1 SGB V dürfte sich die Arztwahlfreiheit nur auf das Medizinische Versorgungszentrum erstrecken; einzelne Ärzte, mit Ausnahme solcher, die bereits außerhalb ihrer Anstellung am Vertrags(zahn)arztsystem der gesetzlichen Krankenversicherung beteiligt waren, unterstehen nicht der Wahlfreiheit des Versicherten.60 Ähnlich verhält es sich im Rahmen einer stationären Behandlung im Krankenhaus. Dort hat der Patient keine freie Wahl des Krankenhausarztes, sondern muß sich in der Regel der Stations- und Diensteinteilung unterwerfen.61 2. Systemimmanente Lockerungen § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB Veröffnet die Möglichkeit, auch nicht in das Versorgungssystem integrierte Ärzte und Zahnärzte unter der Voraussetzung in Anspruch zu nehmen, daß ein Notfall vorliegt. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts sind der sozialrechtliche Notfallbegriff und der medizinische Notfallbegriff nicht synonym. Danach liegt ein Notfall im sozialrechtlichen Sinne bereits dann vor, wenn eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht und ohne eine sofortige Behandlung durch einen Nichtvertragsarzt Gefahren für Leib und Leben entstünden oder heftige Schmerzen unzumutbar lange andauern würden.62 Allerdings dürfen auch bei einer Notfallbehandlung durch nicht teilnahmeberechtigte Ärzte nur solche Leistungen erbracht und abgerechnet werden, für welche die gesetzliche Krankenversicherung leistungspflichtig ist.63 Ein Notfall kann grundsätzlich auch dadurch entstehen, daß eine adäquate Behandlung einer dringend behandlungsbedürftigen Erkrankung trotz grundsätzlich bestehender Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Reichweite ist, etwa weil kein erreichbarer Vertrags(zahn)arzt diese Leistung anbietet. In solchen Fällen liegt eine Versorgungslücke vor; allerdings berechtigt auch diese 58 59 60 61 62 63

R. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 76 SGB V Rn. 3. R. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 76 SGB V Rn. 20. P. Wigge, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, § 6 Rn. 94. P. Wigge, Wahlfreiheit oder Bindung der Versicherten, in: VSSR 1996, S. 399 (411). Vgl. BSGE 34, 172 (174). R. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 76 SGB V Rn. 15.

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nicht zur Inanspruchnahme von außerhalb des Vertrags(zahn)arztsystems stehenden Ärzten bzw. Zahnärzten, sofern die Krankenkasse alle ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um die Pflicht zur Sicherstellung der Versorgung zu erfüllen64, und den Versicherten sachgerecht über die bestehende Versorgungslücke aufgeklärt hat65. Regelmäßig wird aber aufgrund des bestehenden Versorgungsnetzes und der einschlägigen Rechtsprechung davon auszugehen sein, daß eine Inanspruchnahme im Sinne von § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V durch den Versicherten nicht in Betracht kommt; ohnehin wäre diese Vorschrift unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht einschlägig, denn auch bei einer extensiven Auslegung des Notfallbegriffs ließe sich ein Vertrauenstatbestand unter keinem denkbaren Gesichtspunkt darunter subsumieren. Theoretisch könnte unter Zugrundelegung des § 76 Abs. 2 SGB V eine Erweiterung der Inanspruchnahmemöglichkeit für den Fall diskutiert werden, daß der Versicherte bereit ist, die durch das Aufsuchen eines nicht am Vertrags(zahn)arztsystem partizipierenden Arztes bzw. Zahnarztes entstehenden Mehrkosten zu tragen. Solche Mehrkosten könnten beispielsweise durch einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand seitens der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der Kostenabrechnung entstehen oder durch die Prüfung, ob sich der rein privat(zahn)ärztlich tätige Leistungserbringer auch an den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehalten hat. Allerdings kann keine der gängigen Auslegungsmethoden zur Unterstützung dieser These herangezogen werden. Zum einen ist bereits dem Wortlaut zu entnehmen, daß die Norm nicht die Inanspruchnahme außerhalb des Vertragsarztsystems stehender Leistungserbringer ermöglichen will, sondern dem Versicherten nur verdeutlichen soll, daß die Krankenkasse nicht zur Übernahme von aus der zusätzlichen Entfernung resultierenden Kosten bereit ist.66 Wollte der Gesetzgeber tatsächlich die Inanspruchnahme privat tätiger Ärzte und Zahnärzte ermöglichen, so hätte er von vornherein auf den Terminus „nächsterreichbarer“ verzichten bzw. durch das Einfügen des Wortes „oder“ verdeutlichen können, daß die Wahlmöglichkeiten des Versicherten erweitert werden sollen. Die Syntax des § 76 Abs. 2 SGB V gibt keinen Anlaß dazu, die Satzteile „nächsterreichbaren“ und „an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden“ durch eine phonetische Pause oder semantische Überdehnung auseinanderzureißen. Ferner sprechen weder die Entstehungsgeschichte noch die Systematik der Norm für eine andere Auslegung. § 76 Abs. 2 SGB V ist Bestandteil des Ersten Titels des Zweiten Abschnitts aus dem Vierten Kapitel des SGB V, das als in sich abgeschlos64

R. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 76 SGB V Rn. 16. Umkehrschluß aus BSGE 53, 144 (150). 66 Fahrkosten des Versicherten, die durch die Inanspruchnahme einer ambulanten Behandlung entstehen, sind dagegen ausweislich der Regelung des § 60 SGB V, abgesehen von den in den §§ 61 f. SGB V geregelten Härtefällen, nicht Bestandteil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung. 65

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senes System die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern (vgl. § 69 SGB V) und die Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung (vgl. § 72 SGB V) zum Gegenstand hat. Fälle der gesonderten Inanspruchnahme von nicht in das Vertrags(zahn)arztsystem integrierten Ärzten und Zahnärzten sind Gegenstand spezieller Vorschriften. Beispielsweise regelt § 95b Abs. 3 SGB V die Inanspruchnahme von Vertrags(zahn)ärzten, die im Rahmen eines aufeinander abgestimmten Verfahrens auf ihre Zulassung verzichtet haben (kollektiver Verzicht) und dennoch durch einen gesetzlich Versicherten in Anspruch genommen worden sind; Fälle des sog. Systemversagens im Notfall unterfallen dem bereits genannten § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Außerhalb dieser Sonderfälle können Leistungserbringer, die nicht im Vierten Kapitel genannt und nicht durch vertragliche Regelungen in das Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung integriert sind, nur nach Maßgabe des § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V in Anspruch genommen werden. Diese Inanspruchnahme ist allerdings von einer im Ermessen der Krankenkasse stehenden Zustimmungserteilung abhängig. Für eine Inanspruchnahme nicht am Vertrags(zahn)arztsystem zugelassener Leistungserbringer gibt § 76 Abs. 2 SGB V keinen Raum. Im Ergebnis sind die systemimmanenten Wahlarzterweiterungen an enge Voraussetzungen geknüpft, so daß es bei der zuvor dargestellten Einschränkung der Arztwahlfreiheit durch die derzeitige Ausgestaltung der sozialrechtlichen Regelungen bleibt. 3. Eingriffsqualität des Sozialrechtsvorbehalts Wenn die Arztwahlfreiheit grundsätzlich Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist und nach Maßgabe des § 76 Abs. 1 SGB V nur in das Vertrags(zahn)arztsystem integrierte Leistungserbringer in Anspruch genommen werden dürfen, dann müßte diese Norm wegen einer Verkürzung des Schutzbereichs konsequenterweise als Eingriff qualifiziert werden, der wiederum einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Allerdings wird bisweilen angeführt, daß aufgrund der primären Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte die freie Arztwahl von vornherein einem Leistungsvorbehalt unterliege und sich auf die vorhandenen Einrichtungen beschränke. Ein Recht des Bürgers auf eine pluralistisch gegliederte Fürsorge im Sinne eines Verschaffungsanspruches gebe es demnach nicht.67 Diese Auffassung kann sich zunächst auf die anerkannte Beurteilung von öffentlich-rechtlichen Leistungsrechten stützen, wonach diese Ansprüche weder genuin verfassungsrechtlich (es sei denn, sie sind ausdrücklich normiert, vgl. etwa Art. 6 Abs. 4 GG) noch im Sinne einer umfassenden Sozialgarantie hergeleitet werden können.68 Soziale Leistungsansprüche sind des67 So C. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Rn. 123. 68 Siehe dazu näher H. Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Vorb. Art. 1 Rn. 14 f., Art. 12 Rn. 6, 17.

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halb nur als Ansprüche auf Realisierungshilfe möglich.69 So führte das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1963 aus, daß der Versicherte im „Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung […] nur einen Anspruch auf ausreichende ärztliche Versorgung“ habe70. Allerdings ließ es das Gericht offen, ob es sich bei der Beschränkung der Arztwahlfreiheit um einen Eingriff handele, da dieser jedenfalls gerechtfertigt sei. Aber auch wenn man der Ansicht ist, daß eine Arztwahlfreiheit grundsätzlich nur nach Maßgabe der formalen Bestimmungen der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, muß doch berücksichtigt werden, daß der natürliche Zustand der Vertragsautonomie, die unzweifelhaft auch die Wahl des Vertragspartners beinhaltet, erst durch die Schaffung eines umfassenden Pflichtversicherungssystems substituiert wurde. Insofern hat das Sachleistungssystem einen dichothomischen Charakter: Auf der einen Seite ermöglicht es den wirklich Hilfsbedürftigen überhaupt erst, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, was auch den sozialstaatlichen und grundrechtlichen Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG entspricht. Auf der anderen Seite wurde aber für diejenigen, die grundsätzlich in der Lage zur Eigenverantwortung und privaten Lebensgestaltung sind, durch die – verfassungsrechtlich fragwürdige71 – zwangsweise Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung im Wege der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze für Arbeiter und Angestellte ein vormals frei gewährter Raum durch Statuierung eines staatsdirektivistischen Gesundheitssystems beschränkt. Insofern kann man durchaus von einem Eingriff in den abwehrrechtlichen Gehalt des die Arztwahlfreiheit verbürgenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts sprechen. Überdies besteht grundrechtsdogmatisch bei einer einfachgesetzlichen Bestimmung der Reichweite eines Grundrechtsschutzes die Notwendigkeit, die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu beachten. Ansonsten bliebe es weitestgehend der staatlichen Gewalt überlassen, die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme des Grundrechtsschutzes zu definieren. Man kann hier von einer Wechselwirkung sprechen: So wie die Arztwahlfreiheit nur in den Grenzen des Sozialrechts möglich ist, kann auch die sozialrechtliche Einschränkung der Arztwahlfreiheit lediglich unter ausreichender Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgen.72 Mithin muß die sozialrechtliche Beschränkung der Arztwahl ihrerseits verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsvoraussetzungen genügen.73

69 70 71 72 73

(72).

M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Vorb. Art. 1 Rn. 47. BVerfGE 16, 286 (304). Vgl. oben, S. 83 ff. P. Wigge, Wahlfreiheit oder Bindung der Versicherten, in: VSSR 1996, S. 399 (416). Siehe zu einer ähnlichen Argumentation am Beispiel der Therapiefreiheit BSGE 73, 66

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III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Wahleinschränkungen Um dem aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem System der Grundrechte herzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu entsprechen, muß die sozialrechtliche Beschränkung der Arztwahl ihrerseits geeignet sein, einen legitimen Zweck zu verfolgen, erforderlich und im Rahmen einer Zweck-Mittel-Relation auch angemessen sein. 1. Geeignetheit zur Verfolgung eines legitimen Zwecks Grundsätzlich dient die aus § 76 Abs. 1 SGB V resultierende Begrenzung der Arztwahl dazu, der Kostenexplosion um Gesundheitswesen entgegenzuwirken. Nur wenn die gesetzlich Versicherten dazu gezwungen werden, in das vertrags(zahn)ärztliche System integrierte Leistungserbringer zu konsultieren, kann sichergestellt werden, daß die staatsdirektivistische Einflußnahme und Steuerung des Gesundheitswesens im Sinne der planwirtschaftlichen Vorgaben funktioniert. Schließlich erfolgt bei Privat(zahn)ärzten keine Wirtschaftlichkeitsprüfung; zudem besteht bei der Inanspruchnahme nicht zugelassener Leistungserbringer mangels sozialrechtlicher Haftungsregeln die Gefahr einer „unwirtschaftlichen“ Verordnungsund Behandlungsweise, insbesondere der kostenintensiven Mengenausweitung.74 Darüber hinaus würde man den bisher an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringern einen Anreiz verschaffen, die vertrags(zahn)ärztliche Zulassung zurückzugeben, was zu einer langsamen Auszehrung des vertrags(zahn)ärztlichen Versorgungssystems führen könnte.75 Abgesehen von den bereits ausführlich dargelegten Einwänden gegen eine verfassungsrechtliche Überhöhung des Grundsatzes der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung kann man in Anbetracht der weitreichenden Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers die Ansicht vertreten, daß ein zwangsweise statuiertes Vertrags(zahn)arztsystem grundsätzlich geeignet ist, den legitimen Zweck einer finanziellen Konsolidierung dieses Sozialversicherungssystems zu verfolgen. 2. Erforderlichkeit der Arztwahlbeschränkung a) Grundsatz der individuellen Maßstabswahl Die wesentlichen Einwände gegen die Beschränkung der freien Arztwahl ergeben sich aus der Prüfung der Erforderlichkeit. Anknüpfungspunkt dafür ist der maßgeb-

74 Vgl. A. Schmidt/T. Schöne, Freie Arztwahl der freiwillig Versicherten in der GKV?, in: MDR 1994, S. 755 (756). 75 Vgl. A. Schmidt/T. Schöne, Freie Arztwahl der freiwillig Versicherten in der GKV?, in: MDR 1994, S. 755 (756) m. w. N.

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lich von Podlech entwickelte „Grundsatz der individuellen Maßstabswahl“.76 Danach dürfen rechtliche Regelungen möglichst nicht die ursprüngliche Wahl von Handlungen einschränken; Vorschriften, die der Vermeidung sozialschädlicher Auswirkungen der Wahl dienen, haben vielmehr an den Folgen der getroffenen Wahl selber anzuknüpfen. Nur so kann dem Verhältnismäßigkeitsvorbehalt der Erforderlichkeit Rechnung getragen und die ursprüngliche weite Freiheitsverbürgung weitestgehend aufrechterhalten werden. Dieser verfassungsdogmatische Ansatz einer freiheitswahrenden quasi „ebenenverschobenen“ Eingriffsmöglichkeit findet auch in einem Sondervotum zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit folgenden Worten Berücksichtigung: „Die Bestimmung über seine leiblich-seelische Integrität gehört zum ureigensten Bereich der Personalität des Menschen. In diesem Bereich ist er aus der Sicht des Grundgesetzes frei, seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu leben und zu entscheiden.“77

Danach würde ein Gesetz, das diese Prämissen nicht beachtet, „den Menschen allenfalls zum bloßen Gegenstand von Gesundheitspolitik und ihrer Vollzüge machen“.78 b) Operationalisierung in bezug auf sozialrechtliche Wahlfreiheiten – zugleich eine rechtsvergleichende Analyse zum österreichischen allgemeinen Sozialversicherungsrecht Im Ergebnis müssen Einschränkungen von Wahlfreiheiten im Sozialrecht (vgl. § 33 SGB I), sofern sie mit der Intention der Vermeidung von zusätzlichen Kosten begründet werden, angesichts der grundsätzlichen Freiheitsverbürgung sowie insbesondere in Anbetracht der Gewichtigkeit der Arztwahlfreiheit und ihrer Verankerung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht an den Folgen anknüpfen. Diese verfassungsrechtliche Prämisse ist nur dann erfüllt, wenn dem Versicherten die Wahlfreiheit erhalten bleibt. Sie kann dann aber unter einem Mehrkostenvorbehalt stehen.79 Die dem Versicherten aufzugebende Pflicht, die Mehrkosten zu tragen, die aus fehlender Wirtschaftlichkeitsprüfung und zusätzlichem Verwaltungsaufwand resultieren können, ist als gleich effektives, aber milderes Mittel zur Erreichung des Zwecks „Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung“ zu werten. Der Mehrkostenvorbehalt darf allerdings keine Größe erreichen, welche die Wahl faktisch wieder einschränkt.

76 A. Podlech, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 50. 77 BVerfGE 52, 131 (175) – abweichende Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger; eine in der Systematik ähnliche Argumentation findet sich in BVerfGE 54, 148 (156). 78 BVerfGE 52, 131 (175) – abweichende Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger. 79 Vgl. V. Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozialstaat, S. 51 f.; C. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Rn. 123.

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Einschlägige erfolgreiche Erfahrungen mit diesem Modell hat man bereits in Österreich gemacht. Hier steht es den Patienten gemäß § 131 ASVG frei, auch einen außerhalb des Vertragsarztsystems (vgl. § 338 ASVG) stehenden Wahlarzt in Anspruch zu nehmen. Die Abrechnung erfolgt abzüglich eines Pauschalbetrages von 20 Prozent über die Kostenerstattung; eine vorherige Zustimmungspflicht seitens der Krankenkassen gibt es nicht. Letztlich trägt der österreichische Gesetzgeber auf diese Weise dazu bei, den Patienten mehr Wahlfreiheit zu garantieren.80 Überdies können die Ärzte, die aufgrund der beschränkten Anzahl der Zulassungen nicht in das System eingebunden sind, ihrer beruflichen Tätigkeit weitestgehend frei nachgehen.81 Der Erfolg dieses Modells ist empirisch meßbar: In Österreich scheint nach sozialwissenschaftlichen Erhebungen kaum eine Person auffindbar zu sein, die bisher nicht wenigstens einmal von der Option, gegen eine finanzielle Eigenbeteiligung einen außerhalb des Sozialversicherungssystems stehenden Wahlarzt aufzusuchen, Gebrauch gemacht hat.82 Zudem ist ebenfalls belegt, daß die kostenintensivere Wahloption nicht ausschließlich durch finanziell gut aufgestellte Personengruppen genutzt wird. Vielmehr zeigen entsprechende Untersuchungen, daß offensichtlich unabhängig von der finanziellen Situation (und unabhängig von einer entsprechenden Zusatzversicherung) des Patienten der Wunsch nach einer Wahlarztbehandlung so groß ist, daß dieser durch eine Eigenbeteiligung nicht gemindert wird.83 Anhand dieser Untersuchung wird die Vermutung bestätigt, daß die grundsätzliche Einschränkung der Arztwahlfreiheit in Deutschland nicht erforderlich ist – und in Anbetracht des von der Wahl abhängigen und für eine erfolgreiche Behandlung so wichtigen Vertrauensverhältnisses auch nicht angemessen. Sie erweist sich damit als verfassungswidrig. Auch hinsichtlich der spezifisch durch die Statuierung einer Höchstaltersgrenze erfolgenden Beeinträchtigung der Arztwahlfreiheit und der Auflösung bestehender verfestigter Vertrauensverhältnisse wird man zu keinem anderen Ergebnis kommen. Selbst wenn man auf den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Argumentationsstrang zurückgreift84 und angesichts der vermeintlich beeinträchtigten Leistungsfähigkeit älterer Ärzte einen grundsätzlichen Systemausschluß für geeignet hält, den Gesundheitsschutzvorgaben zu genügen, so wäre dieser in Anbetracht der innerhalb des Vertragsarztsystems bestehenden Arztwahlfreiheit nach § 76 Abs. 1 SGB V nicht erforderlich. Solange Patienten zwischen älteren und jüngeren approbierten Leistungserbringern wählen können, haben sie auch die ausreichende Möglichkeit, sich selber dem Arzt anzuvertrauen, den sie für leistungsfähig halten.85 Es ist 80 81 82 83 84 85

(525).

I. Samhaber, Motivationen zum Wahlarztbesuch, S. 27. I. Samhaber, Motivationen zum Wahlarztbesuch, S. 33. I. Samhaber, Motivationen zum Wahlarztbesuch, S. 85. I. Samhaber, Motivationen zum Wahlarztbesuch, S. 83 f. Vgl. oben, S. 52. U. Becker, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Vertragsärzte, NZS 1999, S. 521

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nicht einzusehen, weshalb der Eigenverantwortung der Patienten ausgerechnet in diesem Punkt nicht vertraut wird, zumal im Hinblick auf die Wahlfreiheit des Patienten ein entgegenstehender Wert von Verfassungsrang nicht ersichtlich ist. Insbesondere verbietet sich ein Rekurs auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in objektiver Dimension, wonach es Aufgabe des Staates wäre, die Gesundheit seiner Bürger vor nicht mehr leistungsfähigen Ärzten und Zahnärzten zu schützen. Angesichts der nach der Entziehung der vertrags(zahn)ärztlichen Zulassung nach wie vor bestehenden Möglichkeit zur privat(zahn)ärztlichen Tätigkeit überzeugt diese Argumentation nicht. Mithin ist selbst im Hinblick auf den „Patientenschutz“ eine Bevormundung staatlicherseits nicht erforderlich; die Einschränkung der Wahlfreiheit des Patienten spezifisch unter dem Gesichtspunkt des § 76 Abs. 1 SGB V i. V. m. § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. war verfassungswidrig.

IV. Möglichkeiten einer geltungserhaltenden Auslegung bestehender sozialrechtlicher Arztwahlbeschränkungen Die grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dem Sozialrechtsvorbehalt der Arztwahl könnten jedoch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs. 2 Sätze 6 und 7 SGB Ventschärft werden, wenn den gesetzlich Versicherten in Beachtung der verfassungsrechtlichen (und sozialethischen) Prämissen die Möglichkeit eingeräumt wird, den Kreis der in Anspruch zu nehmenden Leistungserbringer auf außerhalb des Systems der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung Stehende zu erweitern. 1. Wahlarztbehandlung über Kostenerstattung Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V dürfen nicht in das vertrags(zahn)ärztliche System eingebundene Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, wenn die Krankenkasse aus den in Satz 7 genannten Gründen zustimmt. Die Abrechnung erfolgt dann im Wege der Kostenerstattung. Da diese aber nur anstelle der Sachoder Dienstleistung erbracht wird, dürfen lediglich Kosten für diejenigen Leistungen vergütet werden, die auch als Sachleistung erbracht werden könnten.86 Mithin erweitert § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V nicht den sachlichen Leistungskatalog, sondern den Kreis der zur Inanspruchnahme bereitstehenden Leistungserbringer. Dadurch, daß § 13 Abs. 2 Satz 11 SGB V die oben angeführten Überlegungen zum Mehrkostenvorbehalt aufgreift und im Rahmen der Kostenerstattung Abschläge für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung anordnet, ist diese Vorschrift grundsätzlich geeignet, den verfassungsrechtlichen Kautelen betreffend die freie Arztwahl Rechnung zu tragen. Ausweislich der gesetzgeberischen Begründung sollte das Prin86

K. Höfler, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 13 SGB V Rn. 24.

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zip der Eigenverantwortung gestärkt und eine Bevormundung des Bürgers bei gleichzeitig transparenterer Ausgestaltung des Gesundheitssystems eingeschränkt werden.87 a) Normativ-ökonomische Einschränkungen der Kostenerstattungsoption Neben der Zustimmungsbedürftigkeit der Inanspruchnahme von privat(zahn)ärztlichen Diensten im Rahmen der Kostenerstattung, auf die sogleich eingegangen werden soll88, sieht sich der Versicherte, der für das Modell der Kostenerstattung optieren will, einem weiteren Hindernis ausgesetzt: So schreibt das Gesetz vor, daß der Versicherte – unabhängig von seinem Status als Pflicht- oder freiwillig Versicherter89 – gegenüber der Krankenkasse erklärt, daß er sich für das Kostenerstattungsmodell entscheidet (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Diese Entscheidung ist für mindestens ein Jahr bindend (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 12 SGB V). Mithin ist es nicht möglich, anlaßbezogen für das Kostenerstattungsmodell zu optieren, sondern der Versicherte wird aufgrund normativer Vorgaben für mindestens ein Jahr in einem für ihn aufgrund des satzungsmäßig vorgeschriebenen Erstattungsabschlages ökonomisch nachteiligen Abrechnungsmodell festgehalten.90 Durch die Knebelungswirkung der Jahresbindung wird das mit der Implementierung der Kostenerstattungsoption in das Krankenversicherungsrecht eigentlich verfolgte Ziel einer Beendigung der Bevormundung und Ausrichtung des Sozialrechts auf freiheitliche und rechtsstaatliche Züge nicht erreicht. Es ist auch keine Möglichkeit erkennbar, mittels verschiedener juristischer Auslegungstechniken (etwa durch Rekurs auf eine gesetzgeberische Intention) die Jahresbindung als dispositive Vorschrift zu verstehen. Die entsprechenden politischen Stellungnahmen weisen hier in eine eindeutig gegenteilige Richtung. Dies dokumentiert beispielsweise die mit der Aufforderung, sich für eine echte Kostenerstattung mit gerechtem Selbstbehalt und Härtefallregelung einzusetzen, verbundene Anfrage des Präsidenten der Bundeszahnärztekammer Dr. Dr. Weitkamp an den damaligen Bundeskanzler Schröder. In der darauf folgenden Antwort heißt es, „man habe zwar die Option auf Kostenerstattung in das GMG implementiert, halte aber im Grundsatz am Sachleistungsprinzip fest. Die damit drastisch erhöhte Eigenbeteiligung des Patienten im Falle einer Option für das Kostenerstattungsprinzip hänge unmittelbar mit der allgemeinen gesundheitspolitischen Erkenntnis zusammen, dass Gesundheitssysteme mit Kostenerstattungs-

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BT-Drs. 15/1525, S. 80. Vgl. unten, S. 101 ff. 89 Eine bis zum Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190 ff.) bestehende Ungleichheit wurde im Zuge dieses Reformvorhabens aufgelöst, vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 80. 90 Allerdings ist das Ausmaß des Nachteils stark von der Wahl der Krankenkasse abhängig, wobei bestimmte Krankenkassen mit mittlerweile nicht unattraktiven Angeboten auf dem Markt vertreten sind. 88

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

prinzip deutlich weniger Ausgabensteuerung erlauben als Systeme mit Sachleistungsprinzip.“91 Legt man jedoch die zuvor entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe an, so ergibt sich, daß die Vorgaben des „Grundsatzes der individuellen Maßstabswahl“ mit einer solchen normativen Knebelung eher nicht erfüllt sind. Zwar weist die Schaffung einer Wahlmöglichkeit zwischen Sachleistung und Kostenerstattung durchaus in die richtige Richtung, so daß Freiheit und Eigenverantwortung mehr Raum gegeben werden kann; doch solange die Wahl mit Konsequenzen verknüpft ist, die über das zur Vermeidung sozialschädlicher Auswirkungen Erforderliche hinausgehen, muß die Regelung in § 13 Abs. 2 Satz 12 SGB V zumindest als verfassungsrechtlich zweifelhaft gelten. Zur Vermeidung der finanziellen Folgen des mit dem Kostenerstattungsprinzip einhergehenden Verlusts der staatlichen Steuerungsmöglichkeiten ist es schließlich nicht erforderlich, über die durch § 13 Abs. 2 Satz 11 SGB Vangeordneten Abschläge hinausgehende ökonomische Hürden aufzubauen, die den grundsätzlichen Wechsel des Versicherten für ein Jahr in das Kostenerstattungsprinzip zementieren. Möglicherweise geht es dem Versicherten nur darum, nach Maßgabe des § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V einmalig einen außerhalb des Vertrags(zahn)arztsystems stehenden Leistungserbringer aufzusuchen, was die jährliche Bindung an die Kostenerstattung unsinnig machen würde. Schließlich wählt ein Versicherter die Kostenerstattungsoption regelmäßig nicht um ihrer selbst willen (oder aus politischer Ideologie), sondern sie müßte ihm mehr Wahlmöglichkeiten oder sonstige Vorteile bringen. Auch kann nicht von einem Wechsel in ein echtes, von staatlichen Vorgaben befreites Kostenerstattungsprinzip die Rede sein (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V), welches die Nachteile der Jahresbindung kompensieren würde, da die Kostenerstattung nur „anstelle“ der Sachleistung erfolgt. Auf der anderen Seite ist einzuräumen, daß die Entwicklung des Sozialversicherungssystems in Ansehung der Wahlmöglichkeiten der Versicherten zwischen Sachleistung und Kostenerstattung innerhalb der letzten Jahre zur Hoffnung Anlaß gibt. Schrittweise wurden die finanziellen Belastungen, die mit der Wahl der Kostenerstattung durch die Versicherten einhergehen, gemildert. So ist die ursprünglich in § 13 Abs. 2 Satz 5 SGB V enthaltene sektorale Wahl zwischen ambulantem und stationärem Bereich im Zuge des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes von 2007 weiter aufgesplittet worden, so daß es nunmehr für den Patienten Sinn macht, zum Zwecke erweiterter Wahlmöglichkeiten beispielsweise speziell für den Bereich „Zahnmedizin“ die Kostenerstattung für ein oder mehrere Jahre zu wählen. Eine weitergehende Differenzierung auf bestimmte ambulante Leistungen ist hingegen (noch) nicht möglich.92 Darüber hinaus wurde durch die letzte umfangreiche Gesundheitsreform den Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt, Tarife anzubieten, in welchen den 91 So die Wiedergabe von C. Scherer, Kostenerstattung – eine Übersicht, in: Schäfer (Hrsg.), Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung – eine Bestandsaufnahme, S. 85 (115). 92 K. Höfler, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 13 Rn. 19.

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Versicherten gegen Zahlung der speziellen Tarifprämie das Recht auf Kostenerstattung zugestanden wird (vgl. § 53 Abs. 4 SGB V). Gleichwohl lassen sich diese Liberalisierungsbemühungen nicht mit der Epoche zwischen dem 2. GKV-Neuordnungsgesetz (2. GKV-NOG) vom 23. Juni 199793 und dem 1. Januar 199994 vergleichen, in der es den gesetzlich Krankenversicherten prinzipiell möglich war, sich von Arzt- zu Arztbesuch, Fall für Fall, Leistung für Leistung neu zu entscheiden, ob sie Sachleistung oder Kostenerstattung in Anspruch nehmen wollten.95 In jenen 18 Monaten war die Medizin wohl nahezu „klassenlos“.96

b) Verfassungskonforme Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 2 Sätze 6 und 7 SGB V Wenn es also grundsätzlich im Belieben des Patienten – wenn auch mit den durch § 13 Abs. 2 Sätze 11 und 12 SGB V angeordneten Nachteilen – steht, nach entsprechender Aufklärung durch den Leistungserbringer (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 3 SGB V) für das Kostenerstattungsmodell zu optieren, ist nunmehr zu untersuchen, ob dieses Modell aufgrund des durch § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V angeordneten Zustimmungsvorbehalts eine grundsätzliche Erweiterung der Arztwahlmöglichkeiten beinhaltet. Zunächst ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber offenbar keine vollständige Aufgabe der Beschränkung der Arztwahlfreiheit beabsichtigte. In der Begründung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen im Jahre 2003 in den Deutschen Bundestag eingebrachten Entwurfs des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung wurde als Ausnahme nur der Fall aufgeführt, daß „ein zugelassener Leistungserbringer mit entsprechender indikationsbezogener Qualifikation in angemessener Nähe nicht zur Verfügung steht“97. Fraglich ist, ob sich die Regelungen in § 13 Abs. 2 Sätze 6 und 7 SGB V so interpretieren lassen, daß sie auch dem grundrechtlich geschützten Interesse an der freien Arztwahl gerecht werden können und eine freie Inanspruchnahme von Wahlärzten ermöglichen. Der Wortlaut bietet hier genügend Freiraum. Die vom Gesetzgeber angeführten Erwägungen sind unter den Tatbestand der „medizinischen Gründe“ zu subsumieren. Neben diesen können jedoch auch soziale Gründe für eine Wahlbehandlung eines au93

BGBl. I S. 1520 ff. Siehe Art. 1 Nr. 1 2. GKV-NOG, der gemäß Art. 19 Abs. 6 2. GKVNOG am 1. Juli 1997 in Kraft trat. 94 An diesem Tag trat Art. 1 Nr. 1 des GKV-Solidaritätsstärkungsgesetzes (GKV-SolG) vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3853) in Kraft (vgl. Art. 26 Abs. 2 GKV-SolG), der eine Neufassung von § 13 Abs. 2 SGB V zum Gegenstand hatte. 95 Nach § 13 Abs. 2 Satz 5 SGB V in der Fassung des 2. GKV-NOG konnte die Satzung der Krankenkasse allerdings bestimmen, „daß die Versicherten an ihre Wahl der Kostenerstattung für einen in der Satzung festgelegten Zeitraum gebunden sind“. 96 So C. Scherer, Kostenerstattung – eine Übersicht, in: Schäfer (Hrsg.), Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung – eine Bestandsaufnahme, S. 85 (99). 97 BT-Drs. 15/1525, S. 80.

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

ßerhalb des vertrags(zahn)ärztlichen Systems stehenden Arztes oder Zahnarztes ausschlaggebend sein. Diese sozialen Gründe sind, wie der Gesetzeswortlaut zeigt, in ihrer Bedeutung den medizinischen Gründen gleichwertig (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V); medizinsoziologische Untersuchungen haben, wie bereits angeführt98, ohnehin bewiesen, daß soziale und medizinische Gründe eng miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bedingen. Das für die Behandlung so wichtige Vertrauensverhältnis läßt sich nicht eindeutig unter eine der beiden Alternativen subsumieren. Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bedeutung und der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfolgenden Schutzverstärkung99 entfalten Arztwahlfreiheit und das wahlimmanente Vertrauensverhältnis bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V eine determinierende Wirkung. Als „zentrales Element medizinischen Handelns“100 bleibt kein argumentativer Spielraum für die Außerachtlassung der Arzt-Patient-Beziehung bei der Interpretation der medizinischen und sozialen Gründe. Dafür spricht nicht zuletzt das Gebot der verfassungskonformen Normauslegung. Danach ist von mehreren möglichen Normdeutungen diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang101 steht und die dem Grundrechtsträger die größtmögliche Freiheit nach dem Grundsatz „in dubio pro libertate“ zubilligt102. Wenn aber bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V kein Weg an der Berücksichtigung der Arztwahl und des Vertrauensverhältnisses im Rahmen der Behandlungsbeziehung vorbeiführt, dann sind Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen sich die der Krankenkasse zustehende Ermessensauswahl (vgl. Wortlaut „kann“) so verdichtet, daß nur die positive Bescheidung frei von Rechtsfehlern sein kann. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer „Ermessensreduzierung auf Null“.103 In Betracht kommen insbesondere Konstellationen, in denen bestimmte Behandlungsfaktoren ein gesteigertes Vertrauensbedürfnis virulent werden lassen. Dies dürfte sowohl in medizinischen Feldern mit höchst intimen oder lebenswichtigen Bezügen als auch in Disziplinen, in denen psychologische Faktoren eine gesteigerte Rolle 98

Vgl. oben, S. 86 ff. Vgl. oben, S. 90. 100 G. Marckmann/M. Bormuth, Arzt-Patient-Verhältnis und informiertes Einverständnis, in: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 91. 101 BVerfGE 32, 373 (383 f.). Siehe zum Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung näher H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 2 Rn. 13 ff. 102 „Im Grundverhältnis zwischen staatlicher Zuständigkeit und Freiheitssphäre [gilt] die Maxime in dubio pro libertate als Ausgangsvermutung zugunsten der Menschen“, VGH BY 31, 198 (207); vgl. ferner: OVG Koblenz, NVwZ-Beil. 1995, S. 53 (54); E. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Vorb. Art. 1 Rn. 13; A. Podlech, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 48; P. Schneider, Im Zweifel für die Freiheit, in: KritV 1988, S. 294 (295 ff.). 103 Vgl. H. Sodan/J. Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 69 Rn. 9. 99

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spielen, der Fall sein.104 Dies betrifft neben Bereichen, die durch eine besondere Schamhaftigkeit gekennzeichnet sind, vor allem Behandlungen, die von einem mindestens subtilen, häufig aber auch bis ins Existentielle gesteigerten Angstgefühl begleitet werden. Als empirisch gut untersuchtes Phänomen kann in diesem Zusammenhang auf die Angst vor der zahnärztlichen Behandlung verwiesen werden. Diese wird von der Mehrzahl der Patienten als Belastung erlebt, da Manipulationen in einer empfindsamen Körperhöhle vorgenommen werden müssen, die trotz der verfeinerten Behandlungsmethoden vielfach von negativen Empfindungen wie Geräuschen, Geschmack, Schmerz oder Druck begleitet werden.105 Man weiß mittlerweile, daß etwa 15 % der Bevölkerung aus Angst resultierende Vermeidungsstrategien verfolgen und dringende Zahnbehandlungen unter Umständen so lange aufschieben, bis sie unvermeidbar und damit auch teurer werden.106 Empirische Studien beweisen aber auch, daß die Angst vor dem Zahnarzt stets dann abebbt, wenn ein von Vertrauen und gegenseitigem Respekt getragenes Umgangsverhältnis zwischen dem Zahnarzt und seinem Patienten besteht.107 Ein einmal aufgesuchter Zahnarzt wird bei Zufriedenheit in der Regel über sehr lange Zeit beibehalten, auch wenn – etwa durch Umzüge – die Distanzen zwischen Wohnort des Patienten und Praxis des Zahnarztes einen außerordentlichen Zeitaufwand für den Besuch mit sich bringen. Mithin ist es die Person des Zahnarztes, der durch bestimmte Charakterzüge und erlernte Strategien im Umgang mit „Zahnarztangst“ ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann, das für den Gesundheitszustand seiner Patienten förderlich ist. Wird dieses Vertrauensverhältnis durch exogene Faktoren, wie etwa den Entzug der vertrags(zahn)ärztlichen Zulassung, abrupt beendet, ist zu erwarten, daß der Patient in alte Verhaltensmuster in Form von Vermeidungsstrategien zurückfällt. Als zweites Beispiel kann neben der Zahnmedizin die hausärztliche Versorgung herangezogen werden. Hier zeigen Umfragen, daß 89 % der Deutschen dem einmal gewählten und wiederholt in Anspruch genommenen Hausarzt vertrauen.108 Gerade im hausärztlichen Bereich besteht aufgrund der besonderen (langjährig verfestigten) Hier zeigt eine österreichische Untersuchung unter Berücksichtigung von Gender-Aspekten, daß gerade Frauen eine höhere Tendenz aufweisen, einen Wahlarzt außerhalb des Systems der vertragsärztlichen Versorgung aufzusuchen, auch wenn ihnen dadurch aufgrund von Abzügen für fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen und höheren Verwaltungsaufwand ein Teil des Erstattungsbetrages verloren geht, vgl. I. Samhaber, Motivationen zum Wahlarztbesuch, S. 151 ff. 105 J. Margraf-Stiksrud, Die Furcht vor dem Zahnarzt, in: Groß (Hrsg.), Ethik in der Zahlheilkunde, S. 99 (105). 106 S. Tönnies/M. Mehrstedt/I. Eisentraut, Die Dental Anxiety Scale (DAS) und das Dental Fear Survey (DFS) – Zwei Messinstrumente zur Erfassung von Zahnbehandlungsängsten, in: ZfMP 2002, S. 63 ff. 107 J. Margraf-Stiksrud, Die Furcht vor dem Zahnarzt, in: Groß (Hrsg.), Ethik in der Zahlheilkunde, S. 99 (105) m. w. N. 108 Siehe die Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS EMNID im Auftrag des BKKBundesverbandes, veröffentlicht am 6. September 2007 unter der URL http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=29717. 104

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

Nähebeziehung zum Patienten und der holistischen Behandlungsweise die Möglichkeit zu individuellerer Betreuung109, die sich kostensparend auszuwirken vermag. Eine gegebenenfalls auch auf psychosomatische Erkrankungsursachen ausgerichtete Anamnese mit darauffolgendem Therapieprogramm kann jedoch nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn der Patient einen Arzt aufsucht, der sein Vertrauen genießt und dessen Diagnose akzeptiert wird und gerade nicht durch das zeitraubende Verfahren der fortwährenden Gegenkontrolle ständig in Zweifel gezogen wird.110 Ob eine Ermessensreduzierung auf Null bei der Gewährung der Kostenerstattung durch die Krankenkassen nach § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB Veinschlägig ist, kann jedoch nur im Einzelfall festgestellt werden. Immerhin läßt sich nach der bisherigen Untersuchung die Faustregel aufstellen, daß langjährig verfestigte Beziehungen zwischen dem einzelnen Arzt und seinem Patienten sowie bestimmte medizinische Teildisziplinen, deren therapeutische Methoden eng mit der Persönlichkeit des Arztes zusammenhängen, eine vor dem Hintergrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gesteigerte verfassungsrechtliche Berücksichtigung bei der Ermessensentscheidung finden müssen; mithin ist das Entschließungsermessen der Krankenkassen hinsichtlich der Erteilung der Zustimmung gemäß § 13 Abs. 2 Sätze 6 und 7 SGB V in diesen Sachverhaltskonstellationen aufgrund der Druckwirkung des höherrangigen Rechts111 im Regelfall auf Null reduziert, da die Verweigerung der Zustimmung nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit, in Einklang zu bringen wäre. Aus dem umgekehrten Blickwinkel, also aus Sicht der Berufsfreiheit der Ärzte, aber mit gleichem Ergebnis argumentierte auch die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung“ in ihrem Endbericht aus dem Jahre 1990. Dort heißt es: „Patienten, die bei ausgeschiedenen Kassenärzten verharren, wird Kostenerstattung […] geboten. Ärzten, die es verstehen, Patienten durch ihre Qualität zu überzeugen, bietet sich damit eine Chance, auch außerhalb der GKVan der medizinischen Versorgung zu partizipieren.“112

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Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 96. H.-J. Demmel, Die Überweisung psychosomatisch kranker Patienten, in: ZM 7/2007, S. 40 ff. 111 Vgl. dazu A. Wolff, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Großkommentar, § 114 Rn. 135 m. w. N. 112 BT-Drs. 11/6380, S. 76. 110

B. Selbstbestimmungsrecht bei der Anbahnung eines Behandlungsverhältnisses

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2. Sonderproblematik des kollektiven Systemausstiegs a) Die Behandlungsmöglichkeiten eines am kollektiven Systemausstieg teilnehmenden Vertrags(zahn)arztes § 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V schließt die Möglichkeit der Inanspruchnahme von privat(zahn)ärztlich tätigen Leistungserbringern im Wege der Kostenerstattung aus, wenn diese in einem mit anderen Ärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung als Vertragsarzt nach § 95b SGB V verzichtet haben. Dieser Ausschluß von der Kostenerstattung soll dazu dienen, kollektiv abgestimmte Erklärungen eines Zulassungsverzichts zu vermeiden, da diese die Funktionsfähigkeit des vertrags(zahn)ärztlichen Systems in Frage stellen und eine – zumindest kurzfristige – Unterversorgung zur Folge haben können.113 Darüber hinaus verweisen die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. in der Begründung zum entsprechenden Gesetzentwurf aus dem Jahre 1992 darauf, daß der kollektive Verzicht „rechtsmißbräuchlich“ sei, „weil ihn der verzichtende Vertragsarzt in der Erwartung“ erkläre, „die vertragsärztliche Versorgung könne auf Dauer nicht ohne ihn auskommen und er werde deshalb weiterhin von der gesetzlichen Krankenversicherung – dann allerdings zu den von ihm gewünschten Bedingungen – in Anspruch genommen werden“114. Das Bundessozialgericht vertritt die Auffassung, „eine Behandlungsberechtigung kollektiv ausgeschiedener Leistungserbringer im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung“ bestehe „von vornherein nicht“; sie ergebe sich auch nicht aus § 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V.115 Diese Vorschrift bestimmt, daß die Krankenkasse die Vergütung mit befreiender Wirkung an den Arzt oder Zahnarzt zahlt, sofern ein Versicherter einen Arzt oder Zahnarzt in Anspruch nimmt, der auf seine Zulassung nach § 95b Abs. 1 SGB V verzichtet hat. Der Sinn und Zweck dieser Norm soll mithin lediglich darin liegen, daß bei einer dennoch erfolgenden Inanspruchnahme der Versicherte davor geschützt sein soll, diesem Arzt bzw. Zahnarzt gegenüber zur Begleichung einer privat(zahn)ärztlichen Rechnung verpflichtet zu sein. Konflikte innerhalb des Krankenversicherungssystems sollen also nicht auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen werden.116 Für solche Fälle sieht § 95b Abs. 3 Satz 2 SGB V vor, dass der Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse auf das 1,0fache des Gebührensatzes der Gebührenordnung für Ärzte oder der Gebührenordnung für Zahnärzte beschränkt ist. Vor dem Hintergrund der bisher ausführlich dargelegten Zweifel an der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze, die aus der Einbindung von Ärzten und Zahnärzten in das System der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung resultieren, könnte man zu dem Schluß kommen, daß die (zusätzliche) Sanktionierung von „Systemaussteigern“ 113

BT-Drs. 12/3608, S. 95. Siehe Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheits-Strukturgesetz), BT-Drs. 12/3608, S. 95. 115 BSGE 98, 294 (301, Rn. 26). 116 R. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 95b Rn. 5. 114

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

rechtsmißbräuchlich (exceptio doli praesentis) ist. Dieser Frage soll hier aber nicht weiter nachgegangen werden. Ungleich drängender sind dagegen die verfassungsrechtlichen Einwände gegen die durch § 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V bewirkte Einbeziehung von Versicherten in die einem Systemausstieg zugrundeliegenden Interessenkonflikte von Freiberuflern, politischen Entscheidungsträgern und gesetzlichen Krankenkassen. Während man immerhin noch behaupten könnte, daß die für den Arzt oder Zahnarzt unangenehme Rechtsfolge des § 95b Abs. 3 Satz 2 SGB V durch eigenes Verhalten gesetzt worden ist, kann eine Benachteiligung des Versicherten nicht mit einem vorgelagerten Verhalten verknüpft werden. Daß dem Versicherten die einmal gewählten Vertrauensärzte fortan nicht mehr zur Auswahl stehen, begründet einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf freie Arztwahl.117 So ist insbesondere fraglich, ob der Kostenerstattungsausschluß des § 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V verhältnismäßig ist. Dies setzt wiederum voraus, daß die Arztwahlrestriktion geeignet ist, einen legitimen Zweck zu verfolgen, und sich als erforderlich sowie angemessen erweist. b) Verhältnismäßigkeitsprüfung des Wahlausschlusses Der Zweck des Kostenerstattungsausschlusses besteht darin, die Systemstabilität aufrechtzuerhalten. Da kollektive Systemausstiege in der Regel mit dem Zweck verfolgt werden dürften, von gesetzlichen und satzungsrechtlichen Bindungen losgelöste bessere Rahmenbedingungen bei einem Wiedereinstieg in das System zu erlangen, welches letztlich auf Vertrags(zahn)ärzte angewiesen ist, spielt der ebenfalls bereits ausführlich dargelegte Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung eine wichtige Rolle bei dem Kostenerstattungsausschluß des § 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V. Ungeachtet der dargelegten Zweifel an der Legitimität dieser Zwecke118 stellt sich darüber hinaus die Frage, ob der absolute Wahlausschluß erforderlich und angemessen ist. Als milderes Mittel wäre unter Berücksichtigung des oben genannten Grundsatzes der individuellen Maßstabswahl119 die Kostenerstattung im Rahmen des § 95b Abs. 3 Satz 2 SGB V verbunden mit der Übernahme weiterer entstehender Kosten durch den Versicherten selber möglich. Dies setzt lediglich voraus, daß der Arzt den Patienten über seinen Systemausstieg aufklärt. Zwar wäre dann die gesetzgeberisch bezweckte Pönalisierungswirkung eingeschränkt, da dem im Rahmen eines kollektiven Systemausstiegs behandelnden Arzt bzw. Zahnarzt quasi über die Hintertür die Möglichkeit an die Hand gegeben würde, auch außerhalb des Systems gesetzlich versicherte Patienten (dann aber mit erheblich größerer Eigenbeteiligung) zu behandeln. Die Pönalisierung verfolgt jedoch keinen Selbstzweck, wie der Gesetzgeber deutlich gemacht hat: Danach kann der Vertrags(zahn)arzt „Versicherte nur zu Bedingungen behan117 118 119

Vgl. oben, S. 88 f. Vgl. oben, S. 42 ff. Vgl. oben, S. 96.

B. Selbstbestimmungsrecht bei der Anbahnung eines Behandlungsverhältnisses

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deln, die dem Interesse der Versicherten wie auch dem Grundsatz der Beitragsstabilität nicht abträglich sind“.120 Mithin zeigt der Gesetzgeber, daß dem Interesse der Versicherten Rechnung zu tragen ist. In besonderen Konstellationen, etwa den verfestigten Vertrauensverhältnissen, besteht für diese Interessen ein gesteigerter Grundrechtsschutz. Vergleicht man die im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankerten Arztwahlfreiheiten mit dem Bestreben zur Sanktionierung kollektiv auf ihre Zulassungen verzichtender Ärzte und Zahnärzte, so muß insbesondere unter Berücksichtigung der unmittelbar geltenden (und nicht mittelbar über das System wirkenden) staatlichen Schutzpflicht für das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) dem Interesse des einzelnen Versicherten das höhere Gewicht zuerkannt werden. Selbst das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. Juni 2007 läßt erahnen, daß der pauschale Ausschluß kollektiv ausgeschiedener Vertrags(zahn)ärzte nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Zumutbarkeit eines Grundrechtseingriffs gerecht wird: „Die Versicherten dürfen diese Leistungserbringer deshalb nur unter den Voraussetzungen in Anspruch nehmen, unter denen sie sich nach den allgemeinen Regeln des KV-Rechts von Nichtvertragsärzten behandeln lassen dürfen.“121 Diese allgemeinen Regeln sind bereits Gegenstand von § 13 Abs. 2 Sätze 6 und Satz 7 SGB V, so daß es keiner gesonderten Regelung in Satz 8 bedarf. c) Zwischenergebnis Da der Rang des zu schützenden Rechtsguts (Gesundheit der Patienten in Notfallsituationen oder besonderen Vertrauensverhältnissen) und die Schwere der Beeinträchtigung nicht im Verhältnis zum Regelungszweck stehen122, ist der absolute Wahlausschluß unangemessen und somit unverhältnismäßig. Er ist bereits nicht erforderlich, da Ausnahmesituationen die Systemstabilität nicht gefährden und auch hier das mildere Mittel des Grundsatzes der individuellen Maßstabswahl anwendbar wäre. Der durch § 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V angeordnete absolute Ausschluß der Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V im Wege der Kostenerstattung ist nicht verfassungskonform – eine geltungserhaltende Auslegung kommt aufgrund des expliziten Wortlautes nicht in Betracht. Im Ergebnis müßte auch kollektiv ausgeschiedenen Vertrags(zahn)ärzten unter den gleichen Voraussetzungen wie ihren niemals in das System involvierten privat(zahn)ärztlich tätigen Kollegen die Möglichkeit gegeben werden, sich als Arzt bzw. Zahnarzt von den gesetzlich Versicherten auswählen zu lassen.

120 121 122

BT-Drs. 12/3608, S. 95. BSGE 98, 294 (301, Rn. 26). Vgl. dazu den Gewichtungsmaßstab in BVerfGE 113, 63 (80).

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3. Teil: Die Stellung der gesetzlich versicherten Patienten auf dem Prüfstand

C. Gesamtergebnis für die verfassungsrechtliche Betrachtung am Maßstab der leistungserbringerbezogenen Grundrechte Festzuhalten bleibt, daß auf der Makroebene die zwangsweise erfolgende Einbeziehung des weit überwiegenden Teils der Bevölkerung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung den ursprünglich vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Pflichtmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht genügt. Ein großer Teil der Versicherten ist zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung seiner Interessen befähigt, so daß sich zumindest für diese Gruppe die Pflichtmitgliedschaft als nicht erforderlich erweist. In Anbetracht der fehlenden Berücksichtigung individueller gesundheitlicher Umstände des einzelnen Versicherten in einem auf Kollektivismus ausgerichteten System ist die Zwangsmitgliedschaft auch nicht angemessen. Unter Berücksichtigung der grundrechtlich verankerten Wahlfreiheit des Arztes muß auf der Mikroebene des Behandlungsverhältnisses die sozialrechtliche Ausgestaltung derart interpretiert werden, daß sie den Freiheits- und Wahlrechten des Versicherten genügt. Insbesondere ist im Rahmen der Kostenerstattungswahl des Versicherten nach § 13 Abs. 2 SGB V das Zustimmungsermessen der Krankenkassen bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen zur Inanspruchnahme von außerhalb des Sozialversicherungssystems stehenden Ärzten und Zahnärzten regelmäßig auf Null reduziert; unter den Tatbestand der medizinischen und sozialen Gründe im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V sind insbesondere verfestigte Vertrauensverhältnisse und Behandlungsformen mit besonderer Persönlichkeitsbindung zum Arzt zu subsumieren. Bei der Wahl des Versicherten darf es zudem aus verfassungsrechtlichen Gründen keinen Unterschied machen, ob der außerhalb des Vertrags(zahn)arztsystems stehende Leistungserbringer ehemals in das System integriert war und dieses im Rahmen eines kollektiven Systemausstiegs nach § 95b SGB V verließ oder ob der gewählte Arzt bzw. Zahnarzt noch nie in das System integriert war. Staatliche Pönalisierungswünsche können grundrechtliche Gesundheitserhaltungsansprüche nicht außer Kraft setzen.

Vierter Teil

Zusammenfassung in Leitsätzen A. Zur sozialrechtlichen Stellung der Vertrags(zahn)ärzte Das den größten Teil der Bevölkerung pflichtweise einbeziehende System der gesetzlichen Krankenversicherung ist aus vielfältigen medizinischen, sozialen, ökonomischen und verwaltungstechnischen Gründen in eine finanzielle Schieflage geraten. In dem Bestreben, das bestehende System zu erhalten und staatlicherseits zu steuern, wird die (zahn)ärztliche Berufsausübung an Vorgaben und Genehmigungsvorbehalte geknüpft. Wichtigstes Instrumentarium zur staatlichen Regulierung ist die Einbindung von Ärzten und Zahnärzten in ein eigenständiges Vertrags(zahn)arztrecht. Das Mitwirken in diesem System begründet auf der einen Seite die unmittelbare Verpflichtung zur Beachtung der staatlichen Behandlungs- und Rationierungsvorgaben, ist aber auf der anderen Seite für einen niedergelassenen Arzt oder Zahnarzt eine ökonomische conditio sine qua non für seine Berufsausübung. Das Fundament für die staatliche Einflußnahme, die regelmäßig keine individualvertraglichen Abweichungen erlaubt, ist das Sachleistungsprinzip, welches das Behandlungsverhältnis zwischen dem Arzt bzw. Zahnarzt und seinem Patienten in ein Netz sozialrechtlicher Regelungen einbettet und dem Versicherten den Arzt bzw. Zahnarzt als Vertragspartner entzieht.

I. Allgemeine verfassungsrechtliche Betrachtung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung 1. Trotz der dem Sachleistungsprinzip zugrundeliegenden Bindung der vertrags(zahn)ärztlichen Berufsausübung an die Statuten der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und den Bundesmantelvertrag sowie der staatlichen Regulierung der Zulassung zum System der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung kann man dem Vertrags(zahn)arzt nicht mit der Begründung, daß dieser einer staatlichen Sphäre zuordnen wäre, die Grundrechtsberechtigung absprechen. Die vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeit weist typische Merkmale freiberuflicher Tätigkeit auf; insbesondere trägt der Vertrags(zahn)arzt das wirtschaftliche Risiko seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit. 2. Die vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeit unterfällt dem Schutzbereich des in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechts der Berufsfreiheit.

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4. Teil: Zusammenfassung in Leitsätzen

3. Die Einführung eines am Sachleistungsprinzip ausgerichteten Leistungserbringungsrechts, dessen Teilnahme regelmäßig eine ökonomische Bedingung für die Ausübung des Berufes eines niedergelassenen Arztes oder Zahnarztes ist, stellt unter mehreren Gesichtspunkten eine Verkürzung des durch Art. 12 Abs. 1 GG eingeräumten Freiheitsraumes dar: Zum einen ist die Einführung eines solchen Systems mit der Frage der Zulassung gleichzusetzen, so daß eine Art „zweite Approbation“ Voraussetzung für eine Partizipation am System ist; zum anderen beeinflussen die dem Sachleistungsprinzip immanenten Behandlungs- und Therapievorgaben die freie Berufsausübung im Behandlungsverhältnis zwischen dem einzelnen Arzt bzw. Zahnarzt und seinem Patienten. 4. Die für den einzelnen Arzt bzw. Zahnarzt faktisch zwingende Eingliederung in das System der auf dem Sachleistungsprinzip beruhenden Gesundheitsfürsorge ist nicht verhältnismäßig. Zwar besteht kein Anlaß, an der Legitimität eines auf unmittelbare Bedarfsbefriedigung basierenden Krankenversicherungssystems für Bedürftige zu zweifeln. Auch ist ein auf Sachleistung ausgerichtetes Gesundheitsfürsorgesystem grundsätzlich geeignet, denjenigen einkommensschwachen Bevölkerungsteilen, die aufgrund ihrer materiellen Situation zu einer finanziellen Vorleistung im Rahmen der Kostenerstattung nicht in der Lage sind, eine adäquate Versorgung mit (fach)ärztlichen Dienstleistungen bereitzustellen. Doch die Einbindung von Ärzten und Zahnärzten in ein staatliches Krankenversicherungssystem mit entsprechender Einflußnahme auf Behandlungsmodalitäten ist nicht erforderlich. Als Vergleichsmaßstab dient das für die private Krankenversicherung charakteristische Kostenerstattungsprinzip. Der Vorteil dieses Prinzips besteht in der Achtung der (zahn)ärztlichen Berufsausübungsfreiheit und dem Fehlen einer den Sachleistungsanspruch konkretisierenden staatlichen Einflußnahme auf die Behandlung bei nicht geringerer Gewährleistung der medizinischen Versorgungssicherheit. Der Vorteil der schwächeren Eingriffsintensität wird auch nicht dadurch kompensiert, daß aufgrund der Vorleistungspflicht der Versicherten eine finanzielle Hemmschwelle gegen die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen aufgebaut wird. Bereits jetzt ist es im Bereich der privaten Krankenversicherung üblich, daß die Versicherungsunternehmen ihre Erstattung auch auf noch unbezahlte Rechnungen von Ärzten und Zahnärzten leisten; zudem ließe sich eine entsprechende Vorschußpflicht der Krankenkassen bei finanziell schlecht gestellten Versicherten gesetzlich vorschreiben. 5. Der vom Bundesverfassungsgericht als Rechtsgut von Verfassungsrang überhöhte Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung kann nicht in Form einer verfassungsimmanenten Grundrechtsschranke die mit dem Sachleistungsprinzip einhergehenden Eingriffe in die Berufsfreiheit verfassungsrechtlich rechtfertigen. Schließlich findet der Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung keine grundgesetzliche Verankerung: Weder kann dieser Grundsatz mittels eines Rekurses auf das viel zu unbestimmte Sozialstaatsprinzip hergeleitet werden, noch begründen andere Vorgaben der Verfassung, wie etwa die staatliche Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder die staatliche Verbürgung für die Menschenwürde

A. Zur sozialrechtlichen Stellung der Vertrags(zahn)ärzte

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(Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), eine Verpflichtung zur Begründung eines am Sachleistungsprinzip orientierten Systems der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Ergebnis wird die gesetzliche Krankenversicherung mit dem sie prägenden Sachleistungsprinzip so behandelt, als bedürfe sie keiner weiteren Begründung, weil es sich um eine Art Seinsgegebenheit handele. Daß jener Argumentationstopos im verfassungsrechtlichen Niemandsland ohne Möglichkeit einer rechtsdogmatischen Verankerung residiert, führt zu der Erkenntnis, daß die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung kein Argument sein kann, welches eine Freiheitsbeschränkung zu rechtfertigen vermag. Entscheidend ist, daß eine Absicherung gegen die aus der asthenischen Natur des Menschen resultierenden Wechselfälle des Lebens überhaupt besteht; die inhaltliche Ausgestaltung ist grundgesetzlich nicht vorgeschrieben. 6. Darüber hinaus müssen sich bestimmte Vorgaben des Sozialrechts am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG messen lassen, der die Eigentumsfreiheit schützt. Denn die freiberuflich betriebene Arzt- bzw. Zahnarztpraxis läßt sich unter den verfassungsrechtlichen Begriff des „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes“ im Sinne eines „Betriebseigentums“ subsumieren. Speziell mit der Einführung des Vertrags(zahn)arztrechts geht jedoch keine Verkürzung eines grundrechtlich geschützten Bereichs dinglich verfestigter unternehmerischer Freiheit einher. Schließlich erweitert die vertrags(zahn)ärztliche Zulassung nur den potentiellen Patientenkreis, verringert aber nicht bisher erworbene verfestigte Rechtspositionen. Bloße Erwerbsaussichten sind jedoch nicht durch Art. 14 Abs. 1 GG erfaßt. 7. Die Zwangsmitgliedschaft der Vertrags(zahn)ärzte in Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen ist am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen, der das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt. In Ansehung dieses Grundrechts ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gewahrt, da die Pflichtmitgliedschaft der Vertrags(zahn)ärzte in den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen nicht erforderlich ist. Diese Zwangskorporationen dienen der Bindung der Vertrags(zahn)ärzte an das staatsnahe, durch Verökonomisierung und Schematherapie gekennzeichnete System der gesetzlichen Krankenversicherung und sind weder der Effektivität noch der Funktionsfähigkeit der Gesundheitsfürsorge dienlich. Behandlungssicherstellungspflichten ließen sich ebenso gut in die landesrechtlichen Berufsordnungen aufnehmen. Auch das Sachleistungsprinzip könnte durch ein auf Kostenerstattung beruhendes Gesundheitssystem substituiert werden, so daß die Notwendigkeit einer neben die berufsrechtliche Verkammerung tretenden Zwangsmitgliedschaft in einer Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung entfiele. 8. Letztlich verstoßen zahlreiche sozialrechtliche Einflußnahmen auf das Arztbzw. Zahnarztrecht auch gegen das legislative Kompetenzgefüge des Grundgesetzes. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Bundesgesetzgeber detaillierte Regelungen zur Berufsausübung erläßt. Er kann sich weder auf den legislativen Kompetenzbereich der „Sozialversicherung“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG noch auf den gefahrenabwehrrechtlichen Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG oder gar auf eine nicht normierte Annexkompetenz kraft Sachzusammenhangs berufen.

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4. Teil: Zusammenfassung in Leitsätzen

Regelmäßig greifen allgemeine Berufsregeln in den legislativen Spielraum der Länder ein, so daß entsprechende sozialrechtliche Vorgaben aus formellen Gründen verfassungswidrig sind.

II. Verfassungsrechtliche Beurteilung einer Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte 1. Die durch § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. festgelegte Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte stellte einen unmittelbaren Eingriff in die Berufsfreiheit der davon betroffenen Ärzte und Zahnärzte dar. Zwar war es diesen unbenommen, außerhalb des Vertrags(zahn)arztsystems als privat tätige Ärzte bzw. Zahnärzte zu praktizieren; jedoch muß berücksichtigt werden, daß angesichts der Tatsache, daß knapp 90 Prozent der Bevölkerung in den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen sind, eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Berufsausübung außerhalb des Vertrags(zahn)arztsystems kaum möglich gewesen ist. Angesichts der nach wie vor bestehenden gesetzgeberischen Tendenz, möglichst viele Menschen in die gesetzliche Krankenversicherung zu zwingen und einen Wechsel in die private Krankenversicherung unattraktiv zu machen oder mit besonderen Schwierigkeiten zu versehen, ist nicht zu erwarten, daß etwa im Falle der Wiedereinführung einer Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte anderweitige ökonomische Prämissen bestünden. Aufgrund dieser wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kommt die Regelung einer Höchstaltersgrenze einer Berufswahlbeschränkung gleich. Daher sind an die im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung anzuführenden Rechtfertigungsgründe höhere Anforderungen zu stellen als bei „normalen“ Berufsausübungsregelungen, die nicht auf die Berufswahl zurückwirken. 2. Das Bundesverfassungsgericht greift zur Rechtfertigung des Eingriffs – im Gegensatz zum Gesetzgeber – auf den Schutz der Gesundheit der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten zurück. Zwar stellt dieser Schutz einen legitimen Zweck dar; im übrigen aber ist ein durch eine Höchstaltersgrenze statuierter Eingriff nicht verhältnismäßig, insbesondere nicht erforderlich. Obwohl das Sozialrecht an anderen Stellen individuelle Nachweispflichten festlegt, war in der durch § 95 Abs. 3 Satz 7 a. F. normierten Höchstaltersgrenzenregelung kein Passus vorgesehen, mittels der der Vertrags(zahn)arzt anhand einer individuellen Prüfung die Vermutung altersbedingten Leistungsabfalls widerlegen konnte. Immerhin hätten durch regelmäßige Untersuchungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit bei gleichzeitiger Wahrung der Berufsfreiheit Gefahren für die Gesundheit gesetzlich Versicherter ausgeschlossen werden können. Zudem ist angesichts der Tatsache, daß sich die Tätigkeit als Vertrags(zahn)arzt hinsichtlich ihrer Anforderungen an die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit nicht von derjenigen eines privat(zahn)ärztlich Tätigen unterscheidet, nicht nachvollziehbar, weshalb Privatpatienten weiter behandelt werden durften oder ein aus Altersgründen ausgeschiedener Vertrags(zahn)arzt seinen jüngeren Kollegen vertreten durfte.

A. Zur sozialrechtlichen Stellung der Vertrags(zahn)ärzte

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3. Ursprünglich verfolgte der Gesetzgeber mit der Altersgrenze das Ziel, die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen zu wahren und bei „Überversorgung“ nicht nur zu Lasten junger Ärzte und Zahnärzte die Vertrags(zahn)arztzahl zu begrenzen, sondern auch die älteren Ärzte und Zahnärzte in die Pflicht zu nehmen. Die aktuelle Fassung der die Zulassungsbeschränkungen regelnden Normen und die einschlägigen Stellungnahmen des Gesetzgebers legen jedoch den Schluß nahe, daß sich die Sachlage derart geändert hat, daß die im Rahmen des seinerzeitigen Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung der Altersgrenze angeführten Gründe entfallen sind. Entfällt aber die Erforderlichkeit einer belastenden Eingriffsnorm, so ist sie nicht mehr verhältnismäßig. Mithin wäre nach gegenwärtiger Sachlage eine Rückkehr zum Höchstaltersgrenzenmodell für Vertrags(zahn)ärzte verfassungsrechtlich nicht (mehr) zu rechtfertigen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß mit dem Wegfall der Zulassungsbeschränkungen für Vertragszahnärzte Maßnahmen wie die Statuierung einer Höchstaltersgrenze zur Vorbeugung einer künftigen (möglicherweise wiederkehrenden) „Überversorgung“ einseitig zu Lasten der älteren Generation gingen. Vor diesem Hintergrund kann nach gegenwärtiger Rechts- und Sachlage die Wahrung der Generationengerechtigkeit bei der Verteilung der aus einer (vermeintlichen) Überversorgung entstehenden Lasten nicht als geeignetes Argument herangezogen werden, um eine Höchstaltersgrenze nach dem Vorbild des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB a. F. erneut zu statuieren. 4. Eine Höchstaltersgrenze nach dem Vorbild des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. ist ferner nicht mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. Durch den Entzug der vertrags(zahn)ärztlichen Zulassung wird der Arzt oder Zahnarzt faktisch in der Verfügungs- und Nutzungsmöglichkeit seiner eingerichteten und ausgeübten Praxis eingeschränkt, da er aufgrund des gesetzlichen Vorenthaltens des größten Anteils potentieller Patienten trotz grundsätzlich bestehender Fähigkeit zur Berufsausübung regelmäßig gehalten ist, die Praxis aufzugeben oder (unter Wert) zu verkaufen. Der damit einhergehende Eigentumsverlust steht in keinem Verhältnis zu den mit der Höchstaltersgrenze verfolgten Zielen und ist angesichts des Fehlens der Erforderlichkeit des Eingriffs verfassungswidrig. 5. Eine nach dem Vorbild des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. geregelte Höchstaltersgrenze läßt sich auch nicht mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang bringen. Durch diese sozialrechtliche Vorschrift wurden privat praktizierende Ärzte bzw. Zahnärzte und Vertrags(zahn)ärzte ungleich behandelt. Während es Vertrags(zahn)ärzten aufgrund ihres Lebensalters unmöglich war, weiterhin am System der gesetzlichen Krankenversicherung zu partizipieren, konnten außerhalb dieses Systems praktizierende Ärzte auch über das 68. Lebensjahr hinaus ohne eine Umstellung ihrer Berufspraxis ihrer Tätigkeit nachgehen. Gleiches galt sinngemäß für junge und ältere Vertragszahnärzte, wobei nach Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes aus dem Jahre 2007 lediglich letztere von Maßnahmen, die einer „Überversorgung“ entgegentreten, betroffen waren. Zwischen diesen Gruppen bestanden jedoch keine Unterschiede in der Gestalt, daß sie eine Differenzierung aufgrund des Merkmals „Alter“ rechtfertigen könnten.

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4. Teil: Zusammenfassung in Leitsätzen

6. Im übrigen stoßen Ungleichbehandlungen, welche an das Tatbestandsmerkmal „Alter“ anknüpfen, auf rechtsstaatliche Bedenken im Hinblick auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Danach ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG – vorbehaltlich einer hier nicht einschlägigen Erforderlichkeit im Sinne des § 10 Satz 2 AGG – eine Benachteiligung aufgrund eines der in § 1 AGG genannten Merkmale nicht erlaubt. Da das AGG jedoch die Unwirksamkeit diskriminierender gesetzlicher Regelungen nicht anordnet, müssen Höchstaltersgrenzen für Vertrags(zahn)ärzte nach dem Modell des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. direkt an der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG gemessen werden. Diese bestimmt in Art. 16 lit. a, daß die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um sicherzustellen, daß dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufende Rechtsvorschriften aufgehoben werden. 7. Sowohl der persönliche und als auch der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie (RL) wäre im Falle des Wiedereinführens einer Altersgrenze für vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeiten eröffnet. Da die Regelung eines altersbedingten Verlustes der vertrags(zahn)ärztlichen Zulassung zu einer unmittelbaren Diskriminierung im Sinne des Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 lit. a RL führen würde, das Alter des Vertrags(zahn)arztes keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 RL darstellen kann und für diese Diskriminierung keine Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 RL bestehen, wären sozialgesetzlich angeordnete Höchstaltersgrenzen für vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeiten nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. 8. Aus dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts sowie dem Treuund-Glauben-Prinzip haben der Europäische Gerichtshof und das Schrifttum die Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendung von Richtlinien auf nationaler Ebene entwickelt. Diese setzt neben Fristablauf und fehlender Umsetzung voraus, daß die unmittelbar anzuwendenden Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau formuliert sind. Diese Anforderungen sind hier erfüllt. Folglich sind die Gerichte des betroffenen Mitgliedstaates dazu berufen, die Richtlinie als unmittelbar zugunsten des Bürgers geltendes Recht anzuwenden. Auch vor diesem Hintergrund wäre eine Rückkehr zum Modell der Höchstaltersgrenzen für Vertrags(zahn)ärzte gemeinschaftsrechtswidrig. 9. Zusätzlich kann sich auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene noch das Problem der Inländerdiskriminierung ergeben, wenn ein gesetzlich Versicherter einen in ein Sozialversicherungssystem eines Mitgliedstaates integrierten Arzt oder Zahnarzt aufsucht und eine Kostenerstattung nach Maßgabe des § 13 Abs. 4 SGB V beansprucht, obwohl die Wahl eines vergleichbaren inländischen Leistungserbringers aufgrund einer Höchstaltersgrenze nach dem Vorbild des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. i. V. m. § 76 Abs. 1 SGB V nicht möglich gewesen wäre. Die Inländerdiskriminierung entstand seinerzeit dadurch, daß auf der Grundlage des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft eine Liberalisierung der Waren-, Dienstleistungsund Personenfreiheit erfolgt, wobei es der nationale Gesetzgeber versäumt hat, die

B. Zur sozialrechtlichen Stellung der Versicherten

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mit der Ausübung dieser Freiheiten in Zusammenhang stehenden heimischen Vorschriften anzugleichen. Der Europäische Gerichtshof vertritt jedoch die grundsätzliche Auffassung, daß die Grundfreiheiten auf rein interne Sachverhalte eines Mitgliedstaates nicht anwendbar sind, so daß die Verantwortung bei den nationalen Gesetzgebern liegt. Prüfungsmaßstäbe für Normen, welche Inländer im Vergleich zu EU-Ausländern benachteiligen, sind mithin Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Da alle Rechtfertigungsmodelle einer Höchstaltersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte an den vorgenannten verfassungsrechtlichen Vorgaben gescheitert sind, ergibt sich auch im Hinblick auf die Fragestellung der Inländerdiskriminierung, daß diese mit grundrechtlichen Anforderungen unvereinbar ist.

B. Zur sozialrechtlichen Stellung der Versicherten 1. Der Patient steht im Mittelpunkt des Gesundheitswesens. Allein vor diesem Hintergrund ist es wichtig, daß sich seine Rolle nicht nur auf das Erbringen von Zahlungsleistungen reduziert, sondern ihm auch Rechte in der Interaktion mit Leistungserbringern eingeräumt werden. Teleologisch begründet sich die gesamte Existenz des Krankenversicherungssystems in der gemeinschaftlichen Hilfe des Versichertenkollektivs gegen die Wechselfälle und Unwägbarkeiten des Lebens. Durch die Bereitstellung finanzieller Mittel soll dem Kranken die Möglichkeit gegeben werden, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Erfolg der Heilbehandlung hängt jedoch nicht nur davon ab, daß sich der Arzt bzw. Zahnarzt fernab schematisierender Behandlungsvorgaben des Staates frei für eine optimale Therapie des Patienten je nach seiner persönlichen Bedürftigkeit entscheiden kann, sondern auch davon, daß der Patient dem Arzt oder Zahnarzt das notwendige Vertrauen entgegenbringt. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses durch exogene (sozialrechtliche) Faktoren löst unweigerlich negative Rückkoppelungseffekte für die Behandlung aus. 2. Eine sich an der individuellen Persönlichkeit des Patienten orientierende Behandlungsform ist in einer durch standardisierte Therapievorgaben und ökonomische Sparzwänge gekennzeichneten Struktur des Gesundheitswesens kaum möglich. Für den Patienten gibt es jedoch regelmäßig aufgrund der sozialrechtlich begründeten Mitgliedschaftspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung keine Möglichkeit, andere – insbesondere auf Eigenverantwortung basierende – Vorsorgemodelle zu wählen. Die sozialgesetzliche Regelung einer Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung stellt eine am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messende Grundrechtsbelastung dar. 3. Die Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung für den weitaus größten Teil der Bevölkerung stößt auf erhebliche verfassungsrechtliche Einwände. Der Grundkonflikt besteht darin, daß sich der Staat bei der aktiven Förderung des Gemeinwohls mit Mitteln des Sozialrechts gegen die grundgesetzliche Verbür-

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4. Teil: Zusammenfassung in Leitsätzen

gung der Selbstbestimmung wendet sowie Freiheit und Selbstverantwortung des einzelnen mit dem Hinweis auf einen staatlicherseits bestimmten Individualwohlzweck beschneidet. Beispielsweise wird dem Patienten vom Gesetzgeber ein Anspruch auf eine allenfalls zweckmäßige, aber nicht individuell abgestimmte Leistung zugestanden. Für eine an den Bedürfnissen des Patienten orientierte Vertragsabsprache bleibt regelmäßig kein Raum. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehören Vorschriften über die Zwangsmitgliedschaft Privater in öffentlichrechtlichen Körperschaften aber nur dann zur „verfassungsmäßigen Ordnung“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG und sind damit zulässige Einschränkungen des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, wenn diese Vereinigungen legitime öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Da man darunter nur solche Aufgaben versteht, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber nicht im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können, ist die zwangsweise Eingliederung in das staatliche Pflichtversicherungssystem mit Ausnahme derjenigen Personengruppen, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände oder gesellschaftlichen Benachteiligungen an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind, nicht geboten. Nach dem Grundsatz der sozialstaatlichen Subsidiarität ist eine den weitaus größten Teil der Bevölkerung umfassende Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verfassungskonform. 4. Im übrigen bestehen auch Zweifel daran, daß – die Prämisse einer grundrechtlich möglichen Einschränkung von Freiheitsrechten durch den Grundsatz der Sozialstaatlichkeit einmal unterstellt – der Eingriff in dieser Größenordnung verhältnismäßig ist. Weder ist er geeignet, dem sozialstaatsimmanenten Grundsatz der Förderung der Eigenverantwortung zur Durchsetzung zu verhelfen, wenn statt dessen ein umfassendes verantwortungshemmendes Alimentationssystem eingeführt und beibehalten wird, noch kann die Pflichtmitgliedschaft als erforderlich bezeichnet werden, da als milderes und der Effektivität der medizinischen Versorgung besser dienendes Mittel entweder an eine private Vorsorge oder an ein Krankenversicherungssystem zu denken wäre, das der Eigenverantwortlichkeit sowie der individuellen Bedürftigkeit Rechnung trägt und auf Kostenerstattung beruht. Die derzeitige Ausgestaltung der Versicherungspflicht ist vor allem auch deswegen nicht erforderlich, weil sie sich von der ursprünglichen Konzeption einer Versicherung für wirklich Hilfsbedürftige weit entfernt hat. Vor dem Hintergrund der fehlenden Berücksichtigung der individuellen gesundheitlichen Determinanten des Versicherten in einem auf Rationierung und Budgetierung basierenden Gesundheitssystem ist darüber hinaus die im Rahmen einer Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigende Eingriffsqualität von erheblichem Gewicht. Weil die sozialrechtliche Einflußnahme des Staates oftmals im Widerspruch zu den die Behandlungsbeziehung kennzeichnenden medizinischen und sozialen Faktoren steht, wird man zu der Erkenntnis gelangen müssen, daß die Einbindung von fast 90 Prozent der Bevölkerung, von denen der größte Teil pflichtversichert ist, auch nicht angemessen ist. 5. Für eine erfolgreiche Behandlung ist ein die Arzt-Patient-Beziehung kennzeichnendes Vertrauensverhältnis unabdingbar. Es beruht darauf, daß der Arzt die behand-

B. Zur sozialrechtlichen Stellung der Versicherten

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lungsrelevanten Entscheidungen nicht an sachfremden Erwägungen ausrichtet, sondern sich allein an den Notwendigkeiten des einzelnen Behandlungsfalles orientiert und den Patienten über sein Vorgehen aufklärt. Voraussetzung für die Entstehung des Vertrauens ist jedoch, daß dem Patienten die Möglichkeit eingeräumt wird, sich denjenigen Arzt auszusuchen, von dem er sich die individuell beste Behandlung verspricht. Die Arztwahlfreiheit gehört zu dem durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet. Darüber hinaus steht die gesamte Beziehung zwischen dem Arzt und seinem Patienten einschließlich der Wahl des Behandelnden unter dem Schutz des aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürdegarantie) hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Damit ergibt sich ein gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit gesteigertes Rechtfertigungsbedürfnis für Grundrechtseingriffe. 6. Die sozialrechtliche Ausgestaltung der Arztwahlfreiheit stellt einen Eingriff dar. Der Patient kann nämlich nur diejenigen Ärzte und Zahnärzte in Anspruch nehmen, die in das sozialversicherungsrechtliche Vertrags(zahn)arztsystem integriert sind (vgl. § 76 Abs. 1 SGB V). Daran ändert auch die grundrechtsdogmatische Konstruktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Abwehrrecht nichts. Schließlich wurde der natürliche Zustand der Vertragsautonomie erst durch die Schaffung eines umfassenden Versicherungspflichtsystems substituiert. 7. Die durch § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V eröffnete Möglichkeit, im Notfall auch nicht in die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung integrierte Ärzte und Zahnärzte in Anspruch zu nehmen, wird im Regelfall daran scheitern, daß aufgrund des bestehenden Versorgungsnetzes stets ein Vertrags(zahn)arzt bereitsteht oder die gesetzliche Krankenkasse gemäß der sozialgerichtlichen Rechtsprechung alles unternommen hat, um die Versorgung sicherzustellen. Eine teleologische Extension, wonach auch bestehende Vertrauensverhältnisse zwischen einem Arzt und seinem Patienten unter den Notfallbegriff subsumiert werden könnten, so daß die Inanspruchnahme eines aus dem System der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung ausgeschiedenen Arztes oder Zahnarztes möglich wäre, scheitert an der Wortlautgrenze. Auch der Formulierung in § 76 Abs. 2 SGB V kann nicht entnommen werden, daß die Inanspruchnahme von Nicht-Vertrags(zahn)ärzten unter einem Mehrkostenvorbehalt stünde. Die Norm bezweckt lediglich, dem Versicherten zu verdeutlichen, daß die Krankenkasse nicht zur Übernahme von aus der zusätzlichen Entfernung resultierenden Kosten bereit ist; eine Erweiterung der Arztwahlmöglichkeiten oder eine Umgehung des Sozialrechtsvorbehalts der Arztwahl beinhaltet sie jedoch nicht. 8. Die einfachgesetzlichen Arztwahlbeschränkungen genügen nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen, die an einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu stellen sind. Insbesondere ist der Eingriff nicht erforderlich. Nach dem Grundsatz der individuellen Maßstabswahl dürfen rechtliche Regelungen möglichst nicht die ursprüngliche Wahl von Handlungen einschränken. Vorschriften, die der Vermeidung sozialschädlicher Auswirkungen der Wahl dienen, müssen vielmehr an den Folgen der getroffenen Wahl anknüpfen. Diese verfassungsrechtliche Prämis-

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4. Teil: Zusammenfassung in Leitsätzen

se ist aber nur dann erfüllt, wenn dem Versicherten die Wahlfreiheit erhalten bleibt und diese gegebenenfalls unter einen Mehrkostenvorbehalt (für fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung und zusätzlichen Verwaltungsaufwand) gestellt wird. Dabei darf der Mehrkostenvorbehalt aber keine Größe erreichen, welche die Wahl faktisch wieder einschränkt. 9. Durch § 13 Abs. 2 Sätze 6 und 7 SGB V ist den Versicherten über das Kostenerstattungsprinzip die Möglichkeit eingeräumt, den Kreis der von ihnen in Anspruch zu nehmenden Ärzte und Zahnärzte auch auf denjenigen Personenkreis zu erweitern, der nicht in das System der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung einbezogen ist. Die Norm greift die Überlegungen zum Mehrkostenvorbehalt auf und ist grundsätzlich geeignet, die verfassungsrechtlichen Bedenken, die in dem Sozialrechtsvorbehalt der Arztwahl fußen, auszuräumen. Zwar setzt die Kostenerstattung durch die Krankenkassen deren vorherige Zustimmung zur Inanspruchnahme von nicht im Vierten Kapitel des SGB V genannten Leistungserbringern sowie die vorherige Erklärung der Versicherten voraus, für mindestens ein Jahr (gegebenenfalls bereichsspezifisch) für das Kostenerstattungsmodell zu optieren; im Wege der verfassungskonformen Auslegung sind jedoch die Tatbestandsvoraussetzungen der medizinischen oder sozialen Gründe, die dem Wahlarztbesuch zugrunde liegen, so zu interpretieren, daß in jedem Fall verfestigte Vertrauensverhältnisse und besonders vertrauensbedürftige Behandlungskonstellationen darunter subsumiert werden können. Im Einzelfall kann sich daraus auch eine Reduzierung des Entschließungsermessens einer Krankenkasse ergeben, da die Nichtgewährung der Zustimmung unverhältnismäßig wäre. 10. Die Verhältnismäßigkeit der normativen Bindungswirkung der Erklärung über die Wahl der Kostenerstattung für ein Jahr gemäß § 13 Abs. 2 Satz 12 SGB V, die für die Versicherten regelmäßig erhebliche finanzielle Nachteile bringt, ist zweifelhaft. Zur Vermeidung der finanziellen Folgen des mit dem Kostenerstattungsprinzip einhergehenden Verlusts der staatlichen Steuerungsmöglichkeiten ist es nicht notwendig, über die durch § 13 Abs. 2 Satz 11 SGB V angeordneten Abschläge hinausgehende ökonomische Hürden aufzubauen, die den grundsätzlichen Wechsel des Versicherten für ein Jahr in das Kostenerstattungsprinzip zementieren. 11. Der prinzipielle Ausschluß der Kostenerstattungsmöglichkeit bei der Wahl von Ärzten und Zahnärzten, die im Rahmen eines kollektiven Ausstiegs aus dem System der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung ausgeschieden sind (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 8, § 95b SGB V), stellt einen weiteren Eingriff in die grundrechtlich geschützte Arztwahlfreiheit dar. Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen; insbesondere ist er nicht angemessen. Der Rang des zu schützenden Rechtsguts (Gesundheitsschutz der Patienten in Notfallsituationen oder in besonderen Vertrauensverhältnissen) steht über dem gesetzgeberisch verfolgten Pönalisierungszweck. Unabhängig davon ist der absolute Wahlausschluß auch nicht erforderlich, da nach dem Grundsatz der individuellen Maßstabswahl alle über § 95b Abs. 3 Satz 2 SGB V hinausgehenden Kosten durch die Patienten getragen werden könnten.

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