Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln (1316-1378): Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte eines mittelalterlichen Hofes 9783050056289, 9783050036403

"Weiß liefert mit seiner Untersuchung einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der Funktionsweise des wohl

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Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln (1316-1378): Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte eines mittelalterlichen Hofes
 9783050056289, 9783050036403

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Stefan Weiß

Die Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln

Stefan Weiß

Die Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln (1316-1378)

Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte eines mittelalterlichen Hofes

Akademie Verlag

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät II der Universität Augsburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 3-05-003640-0 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Ingo Ostermaier, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt in Deutschland

Inhalt Vorwort I. Einleitung II. Die Quellen 11.1. Die Buchführung der päpstlichen Finanzverwaltung Die Hauptbücher der Apostolischen Kammer von 1316-1378 Vorarbeiten Die Hauptbücher Mehrere Ausfertigungen der Hauptbücher Die Approbationszeichen Die Einfuhrung von Bilanzen Systematische und chronologische Bücher Das System Buchführung - zugleich Überlegungen zur Auswertung der Kammerakten Alltags- und Großeinkäufe Die Aufzeichnungen der Einkäufer Die Kladden der Einkäufer Hauptbuch und Kladde Ein- und Auszahlungen statt Einnahmen und Ausgaben Kammer, Einkäufer und Kollektoren Die in Avignon selbst vorgenommenen Auszahlungen Die zwei Stufen der Buchführung Weitere Arten von Rechnungsbüchern Quittungen und Quittungsregister Zusammenfassung von Kap. Π, 1

11.2. Die Stadt Avignon in der Finanzverwaltung der Provence 11.3. Die verschiedenen Währungen Kursschwankungen Die zwei Körper des Geldes. Von der Münze zum Rechengeld

6

Inhalt

II,4. Maße und Gewichte Glossar der Maße und Gewichte

III. Vorgeschichte

65 71

76

111,1. Kammer und Hofämter zu Beginn des 14. Jahrhunderts 76 Die Hofordnung Clemens' V Entlohnung in Lebensrnitteln Der Kämmerer und seine Familie Die Thesaurare Die Kammerkleriker Weiteres Personal der Kammer Die päpstlichen Küchen Brot- und Weinamt Das Almosenamt Abrechnungen der Hofämter vor der Kammer Zusammenfassung

ΙΠ,2. Die Ansiedlung in Avignon Die Kurie und ihre Residenzstadt Von Lyon nach Avignon Motive fur die Wahl Avignons Der Palast Der Papst und der Bischof von Avignon Politische Verhältnisse in Avignon Größe und Bevölkerung Avignons Bürger und Höflinge Die Grafschaft Venaissin Stadt und Bistum Erweiterung des Bistumsbesitzes und Bau von Nebenresidenzen.... Sorgues Chäteauneuf-du-Pape Noves Weitere Orte Nutzung der Nebenresidenzen Villeneuve Zusammenfassung

76 78 78 82 82 84 85 88 89 90 90

92 92 96 97 99 100 102 105 106 108 111 112 112 114 115 116 117 120 124

Inhalt

7

IV. Die Organisation der Lebensmittelversorgung 126

IV, 1. Kammer und Hofämter 126 IV,2. Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter 132 Die Küche Johannes XXII Benedikt ΧΠ Clemens VI Innozenz VI Urban V Gregor XI Brot- und Weinamt Weitere Ämter Wachsamt und Apotheker Jäger Wasser- und Holzamt Der Silberbewahrer Der Saalmeister Das Almosenamt Der Intendant Zusammenfassung von Kap. IV,2

IV,3. Wen versorgten die Hofämter? Quellenkritisches Bedeutung der Mietzuschüsse Empfanger von Tagegeldern und von Mietzuschüssen Das Personal der Hofämter Unterbringung von Küche, Wein- und Brotamt Die Ritter und Edelknappen Die vertrauten Kleriker Das Personal der Finanzverwaltung Welche Behörden hatten ihren Sitz im Palast? Wen versorgte die päpstliche Küche? Abgesonderte Haushalte im päpstlichen Palast Zusammenfassung von Kap. IV, 3

135 135 139 143 149 151 154 155 160 161 161 163 164 164 165 165 167

169 169 171 172 173 175 176 177 177 180 181 183 191

8

Inhalt

V. Die Alltagsverpflegung Jahresausgaben von Küche und Brotamt Großeinkäufe der Küche Der Einfluß der Fastenzeit auf die Kücheneinkäufe Tierische und pflanzliche Nahrungsmittel Die technische Ausrüstung Geschirr und Besteck Das tägliche Brot Sonderaufgaben von Küche und Brotamt Was aß man bei Hofe? Die Armenspeise in Avignon Zusammenfassung von Kap. V

i93 193 196 199 202 206 208 211 215 217 221 224

VI. Höfisches Leben

226

VI, 1. Der Papst und seine Gäste

226

Einleitung Gäste der Kardinäle Empfang und Bewirtung von Gästen Die Unterbringung von Gästen Einzelne Gäste des Papstes Kardinäle als Gäste des Papstes Gäste des Alltags unter Johannes XXII Der Austausch von Geschenken Zusammenfassung

226 229 230 245 250 255 256 258 263

VI,2. Die Familie des Papstes Familie und Familia Die Weihnachts- und Ostergeschenke Das gemeinsame Mahl von Papst, Kaplänen und vertrauten Famiiiaren Unterfamilien und Tischgemeinschaften Maßnahmen Benedikts XII. und Urbans V Die Tendenz zur Verrechtlichung Zusammenfassung

VI,3. Die Hoffeste Feste Johannes' XXII Organisation

265 265 268 271 274 278 279 280

28i 281 283

Inhalt

Aufwand Köche und Pastetenmacher Die Rolle der Damen Die Ehemänner Zusammenfassung Feste Benedikts XII Feste Clemens' VI Feste Innozenz' VI., Urbans V. und Gregors XI Zusammenfassung

9

284 286 287 290 292 294 296 299 300

VII. Der Trend zur Selbstversorgung

303

VII, 1. Der Beitrag des Bistums Avignon zur Versorgung der Kurie

303

Kammer und Bistumsverwaltung Zuweisung neuer Einkünfte an das Bistum Eine Fallstudie: St.-Remy Entwicklung unter Benedikt XII Clemens VI. und Innozenz VI Urban V. und Gregor XI Zusammenfassung

304 305 307 308 309 309 311

VII,2. Maßnahmen der Hofämter

312

Johannes XXII. und Benedikt XII Clemens VI Von Innozenz VI. zu Gregor XI Die päpstlichen Fischteiche

VII,3. Zusammenfassung

312 314 316 318

322

VIII. Hof und Umland. Die Einkäufe von Getreide, Wein, Fleisch, Fisch, Brennholz und Spezereien 326 VIII, 1. Politische Rahmenbedingungen VIII,2. Getreide Einleitung

326 335 335

10

Natürliche Voraussetzungen Getreidesorten Die Einkäufe Johannes' XXII. und Benedikts XII Das Almosenamt Mengen und Preise Die Einkaufsorte Einkäufe Clemens' VI Einkäufe in Burgund Ratenzahlung Der Einfluß der Pest auf die Preisentwicklung Einkäufe Innozenz' VI. und Urbans V Die Umstellung auf die Südroute Mengen und Preise Die Einkäufe Gregors XI Erneute Umstellung auf die Nordroute Exkurs 1: Die Getreidepreise im Kontext Exkurs 2: Preise und Löhne

VIII,3. Wein Einleitung Die Weineinkäufe Johannes' XXII Die Weineinkäufe Benedikts XII Die Weineinkäufe Clemens' VI Die Weineinkäufe Innozenz' VI Die Weineinkäufe Urbans V Die Weineinkäufe Gregors XI

VIII,4. Fleisch VIII,5. Fisch Die Einkäufe Johannes' XXII. und Benedikts XII Fische des Atlantiks Fische des Mittelmeers Die Einkäufe Clemens' VI Die Einkäufe Innozenz' VI Die Einkäufe Urbans V Die Einkäufe Gregors XI Walfleisch als Öllieferant

VIII,6. Brennholz und Kohle

Inhalt

336 337 337 337 339 342 344 344 345 346 348 348 351 352 352 354 354

36i 361 362 368 372 378 381 385

388 392 392 392 394 397 399 401 401 402

403

Inhalt

VIII,7. Spezereien Einkauf und Verbuchung Bedeutung Montpelliers Einzelne Sorten Entwicklung unter Benedikt XII Mengen und Preise unter Clemens VI Mengen und Preise unter Innozenz VI Konfekt

VIII, 8. Zölle und andere Hindernisse VIII,9. Großeinkäufe von Kardinälen und Kurialen

11

m 410 411 412 413 414 416 417

424 433

Gemeinsame Großeinkäufe von Papst und Kardinälen

434

VIII, 10. Zusammenfassung von Kap. VIII

436

IX. Eindrücke und Ausblicke

442

Gästelisten

449

a) Die Gäste Johannes' XXII b) Die Gäste Benedikts XII c) Die Gäste Clemens' VI d) Die Gäste Innozenz' VI

450 479 497 508

Tabellen

5i6

Vorbemerkungen zum Tabellenteil

516

I. Großeinkäufe der Apostolischen Kammer 1,1. Großeinkäufe Johannes' XXII

517 517

Tabelle 1,1.1: Großeinkäufe von Getreide Tabelle 1,1.2: Jahressummen der Getreideeinkäufe Tabelle 1,1.3: Großeinkäufe von Wein Tabelle 1,1.4: Jahresmengen des eingekauften Weins Tabelle 1,1.5: Mengen und Preise des Weins Tabelle 1,1.6: Großeinkäufe von Fischen Tabelle 1,1.7: Großeinkäufe von Brennholz

517 525 526 530 531 531 539

12

Tabelle 1,1.8: Jahresmengen an Brennholz Tabelle 1,1.9: Großeinkäufe von Gewürznelken Tabelle 1,1.10: Großeinkäufe von Ingwer Tabelle 1,1.11: Großeinkäufe von Pfeffer Tabelle 1,1.12: Großeinkäufe von Safran Tabelle 1,1.13: Großeinkäufe von Zimt Tabelle 1,1.14: Großeinkäufe von Zucker Tabelle 1,1.15: Großeinkäufe von Honig Tabelle 1,1.16: Großeinkäufe von Schweinen Tabelle 1,1.17: Großeinkäufe von Hammeln Tabelle 1,1.18: Rinderverkäufe Johannes' XXII. und Benedikts ΧΠ

1.2. Großeinkäufe Benedikts XII Tabelle 1,2.1: Großeinkäufe, sortiert nach Waren Tabelle 1,2.2: Großeinkäufe, sortiert nach Orten Tabelle 1,2.3: Menge des vom Almosenamt ausgeteilten Getreides. Tabelle 1,2.4: Menge des vom Almosenamt ausgeteilten Weins Tabelle 1,2.5: Menge des von der Kammer eingekauften Getreides.

1.3. Großeinkäufe Clemens' VI Tabelle 1,3.1: Großeinkäufe, sortiert nach Waren Tabelle 1,3 .2: Großeinkäufe, sortiert nach Einkaufsorten Tabelle 1,3.3: Jahresmengen des eingekauften Weizens Tabelle 1,3.4: Jahresmengen des eingekauften Holzes Tabelle 1,3.5: Jahresmengen der eingekauften Kohle Tabelle 1,3.6: Großeinkäufe von Zucker und Ingwer 2. Pontifikatsjahr 4. Pontifikatsjahr 5. Pontifikatsjahr 7. Pontifikatsjahr 8. Pontifikatsjahr Tabelle 1,3.7: Großeinkäufe von Konfekt 1. Pontifikatsjahr 2. Pontifikatsjahr 3. Pontifikatsjahr 7. Pontifikatsjahr

Inhalt

544 545 546 547 548 548 549 551 552 552 553

556 556 563 571 571 571

573 573 588 603 604 604 604 604 606 606 608 609 610 610 610 611 611

Inhalt

1.4. Großeinkäufe Innozenz' VI Tabelle 1,4.1: Großeinkäufe, sortiert nach Orten Tabelle 1,4.2: Großeinkäufe, sortiert nach Waren Tabelle 1,4.3: Jahresmengen des eingekauften Holzes Tabelle 1,4.4: Jahresmengen der eingekauften Kohle Tabelle 1,4.5: Jahresmengen an Schweinen Tabelle 1,4.6: Jahresmengen an Weizen Tabelle 1,4.7: Getreidepreise einschließlich der Gerste- und Roggenpreise Tabelle 1,4.8: Ingwer- und Zuckereinkäufe 2. Pontifikatsjahr 3. Pontifikatsjahr Tabelle 1,4.9: Großeinkäufe von Konfekt 2. Pontifikatsjahr 3. Pontifikatsjahr

1.5. Großeinkäufe Urbans V Tabelle 1,5.1: Großeinkäufe, sortiert nach Waren Tabelle 1,5.2: Großeinkäufe, sortiert nach Orten Tabelle 1,5.3: Konfekteinkäufe 1. Pontifikatsjahr 2. Pontifikatsjahr 3. Pontifikatsjahr 4. Pontifikatsjahr

1.6. Großeinkäufe Gregors XI Tabelle 1,6.1: Holz- und Kohleeinkäufe Tabelle 1,6.2: Konfekteinkäufe 1. Pontifikatsjahr 2. Pontifikatsjahr 3. Pontifikatsjahr 4. Pontifikatsjahr

13

613 613 623 633 633 634 634 635 635 635 636 637 637 638

639 639 642 645 646 646 647 648

649 649 650 650 650 651 651

Quellen und Literatur.

653

I. Abkürzungen und Siglen II. Archivalien

653 654

1. Avignon, Archives departementales de Vaucluse 2. Marseille, Archives departementales des Bouches-du-Rhöne

654 654

14

Inhalt

3. Rom, Archivio Segreto Vaticano 1. Teil: Hauptbücher der Apostolischen Kammer 2. Teil: Weitere Quellen

655 655 656

III. Gedruckte Quellen IV. Literatur

658 668

Personen- und Ortsregister.

704

Karten

7is

Vorwort Das vorliegende Buch ist die gekürzte und überarbeitete Fassung einer Studie, welche die Philosophische Fakultät II der Universität Augsburg im Sommersemester 2000 als Habilitationsschrift angenommen hat. Die seither erschienene Literatur ist nach Möglichkeit noch eingearbeitet worden. Es ist mir eine angenehme Pflicht, all denen zu danken, die mich während der langen und zuweilen frustrierenden Zeit der Abfassung mit Anregung, Rat und Hilfe unterstützt haben. An erster Stelle sei hier Bernhard Schimmelpfennig genannt; in langen Gesprächen, die wir vor allem beim Essen führten, nahm das Thema zuerst Gestalt an. Eine Arbeit über das spätmittelalterliche Papsttum erfordert langwierige und zeitraubende Archivstudien, die sich nicht immer leicht in den universitären Alltag integrieren lassen. Dankbar gedenke ich der zahlreichen Archivare und Bibliothekare, die mir die Einblick in ihre handschriftlichen Schätze gewährten. Gleiches gilt für die Mitarbeiter der Universitätsbibliothek Augsburg, die mir bei der Beschaffung schwerzugänglicher Literatur stets nach Kräften behilflich waren. Die Universität Augsburg unterstützte einige mehrwöchige Archivreisen, auf denen ich einen ersten Einblick in die einschlägigen Quellen gewann. Mein besonderer Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft und ihren Gutachtern, die mir durch ein dreijähriges Habilitationsstipendium die nötigen Arbeiten ermöglichten. Für die gastfreundliche Aufnahme am Deutschen Historischen Institut in Rom, die Vermittlung des Zugangs zu dem Vatikanischen Archiv und der Bibliothek bin ich Arnold Esch verpflichtet. Mehr, als ich es im einzelnen zum Ausdruck bringen kann, verdanke ich der immer anregenden Atmosphäre am Institut und den zahlreichen Gesprächen mit Franz Arlinghaus, Elke von Boeselager, Martin Bertram, Karl Borchardt, Lukas Clemens, Wilhelm Kurze, Wolfgang Müller, Andreas Rehberg, Christoph Schöner, Christiane Schuchard, Andreas Sohn, Götz-Rüdiger Tewes und Frank Theisen. Gleiches gilt für die Mitarbeiter des "Centre des Recherches sur la Papaute d'Avignon" und des Departementalarchivs in Avignon, insbesondere Anne-Marie und Michel Hayez sowie Janine Mathieu, die mir in freundlichster Weise die Benutzung ihrer Materialien gestatteten und nicht zuletzt auch den Zugang zu sonst nicht zugänglichen Räumen des Palastes ermöglichten. Nicht vergessen werden sollen die Gutachter - Arnold Esch, Rolf Kießling, Georg Kreuzer und Bernhard Schimmelpfennig die sich der mühevollen Aufgabe unterzogen haben, das ursprüngliche Manuskript kritisch durchzusehen. Weitere wertvolle Hinweise verdanke ich Ilse Freudenthaler, Gundolf Keil, Sarah Noethlichs, Werner Paravicini und Karsten Plöger. Die DFG hat die Drucklegung des Buches mit einem beträchtlichen Zuschuß unterstützt. Dem Akademie Verlag und insbesondere seinem Lektor Manfred Karras bin ich für die Aufnahme der Arbeit in das Verlagsprogramm wie auch für die Betreuung bei der Herstellung der Druckfassung verpflichtet. Bei der Herstellung der

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Vorwort

Karten unterstützte mich Toni Richtmann. Der Librairie Armand Collin danke ich für die Genehmigung des Nachdrucks. Ein letzter, aber um so tieferer Dank soll meiner Frau gelten; ohne sie hätte dieses Werk nicht geschrieben werden können. Ihre unablässige Ermutigung hat vor allem anderen den Abschluß einer Arbeit ermöglicht, die sich als wesentlich schwieriger und umfangreicher als ursprünglich gedacht erwies. Deshalb sei ihr dieses Buch gewidmet. Augsburg, im November 2001

I. Einleitung Es „gab keinen Herrscher ohne H o f - hat Peter Moraw in einem Beitrag zur Verwaltungsgeschichte des Mittelalters ausgeführt1 und auf die vielfaltigen Interdependenzen von Politik, Verwaltung und Repräsentation verwiesen, die sich im Rahmen eines Hofes manifestierten. So ist denn auch in den letzten Jahrzehnten die Beschäftigung mit Höfen und Residenzen wie auch mit der „höfischen Gesellschaft" zu einem zentralen Thema der deutschen Mediävistik geworden2. Die zu diesem Thema erschienenen Studien sind von großer Mannigfaltigkeit, indes fallt auf, daß der größte und international bedeutendste Hof des Mittelalters - der des Papstes - von dem erwachenden Interesse der Forschung kaum profitiert hat3. Das hat seine Gründe: Die neuere Hofforschung hat einen ihrer Ausgangspunkte in dem vornehmlich germanistisch geprägten Interesse am mittelalterlichen Rittertum; von dort aus ist sie zur Ergründung der „ritterlich-höfischen Kultur" fortgeschritten4. Dabei geriet die Kirche im allgemeinen und das Papsttum im besonderen entweder gar nicht oder nur als Kritiker und Gegner der höfischen Kultur in den Blick. Infolgedessen übersieht man leicht, daß das Rittertum auch und gerade ein zutiefst kirchlich geprägtes Phänomen gewesen ist, es in der eigenartigen Form des Ordensritters - einer Mischung aus Mönch und Soldat

1

Zit. nach P. MORAW, Die Verwaltung des Königtums, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. von G. A. JESERICH U. a., Stuttgart 1983, S. 31-52, h i e r S. 32.

2

3

4

Sowohl Oberblicksdarstellung als auch Forschungsbericht bietet W. PARAVICINI, Die ritterlichhöfische Kultur des Mittelalters, München 1994. Laufende Informationen zur Hofforschung bieten die „Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen". Vgl. jetzt besonders J. HIRSCHBIEGEL, Auswahlbibliographie von Neuerscheinungen zu Residenz und Hof 1995-2000 = Mitteilungen der Residenzen-Kommission, Sonderheft 5, Kiel 2000 (mit 2742 Titeln). Verwiesen sei noch auf einige neuere Aufsatzsammlungen, welche die Vielfalt der Ansätze deutlich machen, von denen aus sich das Thema behandeln läßt: Fürstliche Residenzen im spätmittelalterlichen Europa, hg. von H. PATZE und W. PARAVICINI, Sigmaringen 1991; Feste und Feiern im Mittelalter, hg. von D. ALTENBURG, Sigmaringen 1991; Alltag bei Hofe, 3. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Ansbach 28. Februar bis 1. März 1992, hg. von W. PARAVICINI, Sigmaringen 1995. Die moderne Beschäftigung mit dem Phänomen Hof geht letztlich auf Norbert Elias zurück, dessen Werken auch ich vielfache Anregungen verdanke. Vgl. DERS., Die höfische Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1983 (ND der Ausgabe Darmstadt 1969); DERS., Über den Prozeß der Zivilisation, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1981 (ND der Ausgabe Bern 1969, die erste Aufl. erschien 1939). Zur Elias-Rezeption innerhalb der Geschichtswissenschaft vgl. G. SCHERHOFF, Zivilisationsprozeß und Geschichtswissenschaft. Norbert Elias' Forschungsparadigma in historischer Sicht, in: HZ 266 (1998), S. 561-605 (mit Überblick über die ältere Literatur). Bezeichnenderweise findet man in dem zitierten Überblick von PARAVICINI, Kultur, die Stichwörter Papst oder Papsttum nicht einmal im Register erwähnt. Repräsentativ ist hier die handbuchartige Darstellung von J. BUMKE, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 2. Bde., München 1986. Den Gang der Forschung skizziert PARAVICINI, Kultur, S. 57 ff. Einen weiteren Forschungsbericht bietet auch DERS., Einleitung, in: DERS. (Hg.), Alltag bei Hofe, Sigmaringen 1995, S. 9-30.

18

Einleitung

- seine Vollendung gefunden hat. Die Bedeutung, welche in diesem Zusammenhang das Papsttum mittelbar und unmittelbar durch Kreuzzugsaufrufe, Privilegierung der Ritterorden u. s. w. gehabt hat, ist wohl hinlänglich bekannt. Daß das Papsttum, und zwar gerade das Avignoneser Papsttum, in seiner spezifisch „höfischen" Komponente eine vergleichbare Pionierrolle gespielt hat, ist schon früh von so verschiedenen Autoren wie Werner Sombart und Norbert Elias behauptet worden1; sie sind freilich den Beweis fur ihre These schuldig geblieben. Seither haben zwei Forscher speziell den päpstlichen Hof zum Thema ihrer Arbeit gemacht. Im Jahre 1962 erschien Bernard Guillemains grundlegendes Werk über das Papsttum in Avignon2. Man kann sein Buch wohl am ehesten als eine Verbindimg von Institutionen- und Personengeschichte charakterisieren3. Einen anderen Ansatz verfolgt das 1995 erschienene Buch von Agostino Paravicini Bagliani, der sich dem Papsttum des 13. Jahrhunderts widmet, also der unmittelbaren Vorgeschichte des Untersuchungszeitraums4. Sein Ziel ist es, das Alltagsleben am päpstlichen Hof zu beschreiben. Was freilich bei beiden Werken nur am Rande in den Blick kommt, ist gerade das höfische Leben5. Nicht ohne Grund. So reichhaltig auch die Quellen für die Geschichte des spätmittelalterlichen Papsttums sind, so wenig sagen sie in aller Regel über das höfische Leben aus6. Daß nun ausgerechnet die Untersuchung der Lebensmittelversorgung eines Hofes zur Erkenntnis des höfischen Lebens beitragen kann, mag nicht unmittelbar einleuchten. Man bedenke aber, daß Essen und Trinken nicht nur die elementarsten Bedürfnisse des Menschen überhaupt sind, sondern daß die gemeinsame Mahlzeit auch die wohl elementarste Form der Vergesellschaftung ist. Seit jeher hat das gemeinsame Mahl dazu gedient, Gemeinschaften zu bilden und zu fördern und Frieden, Bündnisse und Gemeinschaften zu stiften7. Wo trifft das mehr zu als in der christlichen Kirche? In ihr

2 3

4 5

6

„Vielleicht war Avignon der erste moderne „Hof, weil hier zuerst die beiden Gruppen von Personen (Adel und Potentat) dauernd sich zusammenfanden und den Ton angaben, die in den folgenden Jahrhunderten das bildeten, was man die Hofgesellschaft nannte: Edelleute ohne einen anderen Beruf als das Interesse, dem Hofe zu dienen, und schöne Frauen, 'souvent distinguees par les manieres et Γ esprit', die recht eigentlich ... dem Leben und Treiben ihr Gepräge aufdrückten." zit. nach W. SOMBART, Luxus und Kapitalismus, 2. Aufl., München und Leipzig 1922, S. 2, vgl. auch S. 77 ff., zustimmend zitiert bei ELIAS, Gesellschaft, S. 66. La cour pontificale dAvignon. Etude d'une societe (BEFAR 201), Paris 1962 (ND 1966). Seinen methodischen Ansatz erläutert Guillemain in zwei Aufsätzen: Chiffres et statistiques pour l'historie ecclesiastique du Moyen Age, in: MA 59 (1953), S. 341-365; Punti di vista sul Papato avignonese, in: Archivio Storico Italiano 111 (1953), S. 181-206. La cour des papes au XlLT siecle, Paris 1995. Um Mißverständnisse zu vermeiden, bekenne ich gern, daß ich beiden Büchern zahlreiche Anregungen verdanke, ganz abgesehen von der Fülle an Informationen, die sie ebenfalls darbieten. Dies scheint nicht nur beim päpstlichen Hof der Fall zu sein. Vgl. allgemein PARAVICINI, Kultur, S. 68; BUMKE, Kultur 1, S. 14 ff.

7

Dies betont G. ALTHOFF, Der frieden-, btindnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahles imfrüherenMittelalter, in: Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, hg. von I. BITSCH U. a., 2. Aufl., Sigmaringen 1990, S. 13-25, dort auch weitere Literatur.

Einleitung

19

versichern sich die Gläubigen ihrer Gemeinschaft immer wieder durch die rituelle Wiederholung des Liebesmahls Jesu mit seinen Jüngern - ein Grund mehr, warum sich gerade das Papsttum fur eine derartige Fragestellung eignet. Speziell das Avignoneser Papsttum bietet sich noch aus weiteren Gründen als Untersuchungsgegenstand an: Zum ersten Mal seit dem 11. Jahrhundert schuf sich das Papsttum in Avignon eine feste Residenz, bildete bürokratische Strukturen aus und entwickelte vor allem eine minutiöse Buchhaltung, die ein noch völlig unausgeschöpftes Quellenmaterial darbietet. Von Monat zu Monat, Woche zu Woche, manchmal sogar von Tag zu Tag sind die Einkäufe für Küche, Keller, Brotamt u. s. w. verzeichnet. Als Ausgangspunkt der Untersuchung habe ich den Beginn des Pontifikats Johannes' XXII. (1316-1334) gewählt1: mit ihm etablierten sich die Päpste auf Dauer in Avignon und mit ihm beginnt die ununterbrochene Reihe der Hauptbücher der apostolischen Kammer, welche die Hauptquelle für die vorliegende Arbeit bildet. Zudem war Johannes nicht nur der erste Avignoneser Papst, sein Pontifikat hatte - mit rund 18 Jahren - auch die bei weitem längste Dauer von allen Avignoneser Päpsten. Demgemäß wird in den einzelnen Kapiteln jeweils zuerst versucht, den Stand der Dinge und die Entwicklung unter Johannes XXII. zu bestimmen, dann etwaige Veränderungen unter seinen Nachfolgern. Den Endpunkt der Arbeit bildet die Rückkehr Gregors XI. (1370-1378) nach Rom. Zwar blieb Avignon auch nach Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas die Hauptstadt für eine der beiden rivalisierenden Obödienzien, indes verringerten sich mit der Spaltung der Christenheit auch die Einnahmen, verminderte sich der Zustrom der Bittsteller und Besucher und wurde vor allem die Genauigkeit der päpstlichen Buchführung immer geringer2, so daß zweifelhaft ist, ob eine Weiterführung des Themas möglich und sinnvoll wäre. Die Erforschung der kurialen Lebensmittelversorgung soll weiterhin über eine ganze Reihe von Fragen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Aufschluß gewähren: Wie entwickelten sich die Preise der verschiedenen Lebensmittel, und bestand ein Zusammenhang zwischen dem plötzlichen Bevölkerungswachstum in Avignon - einer Verzehnfachung binnen weniger Jahrzehnte - und der Preisentwicklung? Welche Auswirkungen hatten Mißernten und die Pestwellen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts? Wie wirkte sich die Nachfrage nach Luxus- und Fastenspeisen (Gewürze, Wein, Fisch) auf Handel und Verkehr aus? Wie weit und an welchen Handelswegen entlang erstreckte sich der Einzugsbereich der Kurie? Die Bedeutung des Avignoneser Hofes als Zentrum des Konsums klingt in diesen Fragen bereits an. Dabei sind Einkauf und

1

2

Nicht wenige Autoren lassen das Avignoneser Papsttum bereits mit Clemens V. (1305-1314), Johannes' Vorgänger, beginnen. Die Umsiedlung des Papsttums in den südfranzösischprovenzalischen Raum geht in der Tat auf Clemens V. zurück. In Avignon aber ist er nur kurze Zeit gewesen; er hat - wie seine Vorgänger - noch keine feste Residenz gehabt. Daß die Päpste bereits im 12. und 13. Jahrhunderts Rom immer seltener aufgesucht haben, wird in Kap. ΙΠ,2 erörtert. Vgl. J. FAVIER, „Introitus et exitus" sous Clement VE et Benoit ΧΙΠ. Problemes de diplomatique et d'interpretation, in: Bulletino dell Archivio paleografico Italiano, neue Serie 2-3 (1956-57), S. 285-294.

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Einleitung

Transport der Nahrungsmittel nur ein Aspekt; ebenfalls zu berücksichtigen sind Zubereitung und Darreichung der Speisen, wie sie sich etwa in den Quellen niedergeschlagen haben im Ankauf großer Mengen von Brennholz, von kostbarem Besteck und Geschirr sowie in der Verfeinerung der Kochkunst. Schließlich sind die Rückwirkungen der päpstlichen Ansiedlung in Avignon - also genau an der Grenze zwischen Frankreich und dem Imperium - nicht nur auf die Wirtschaft, sondern auch auf die politische Lage des Papsttums, der Stadt und der angrenzenden Regionen zu bedenken. In beiden Reichen sollten sich während des Untersuchungszeitraums schwerwiegende Veränderungen einstellen, die ihre Auswirkungen auf den päpstlichen Hof hatten1. Beziehen sich diese Fragen vornehmlich auf die Bedeutung der Kurie für ihre Umgebung, so haben sie ebenfalls Bezug zur inneren Struktur der Hofgesellschaft. Aufschlüsse sind hier zu erwarten über die Rolle des Hofes als einer Stätte „demonstrativer Vergeudung", dem eine „spezifische Funktion zur Befestigung des sozialen und politischen Status"2 der Höflinge zukam. Mehrere Bereiche sind hier zu unterscheiden: das Verhältnis des Papstes zu den Kardinälen, sich manifestierend in wechselseitigen Einladungen und Bewirtungen, oft verbunden mit dem rituellen Austausch von Geschenken (nicht selten ausgewählten Delikatessen, wie etwa Gewürzen, auserlesenen Fischsorten u. ä.); dann die Rivalität der Kardinäle um die Gunst des Papstes, die sich durch immer aufwendigere Bewirtungen zu überbieten suchten. Schließlich sind die Empfange für hochgestellte Gäste - wie Gesandte und insbesondere auswärtige Herrscher - in Betracht zu ziehen, Gelegenheiten, bei denen sich der ganze Prunk eines Hofes entfalten konnte. Der kritische Leser wird allerdings rasch bemerken, daß auf den folgenden Seiten oft nur am Rande vom päpstlichen Hof die Rede ist. Das hängt mit der Komplexität des Phänomens „Hof zusammen: wie viele historische Begriffe entzieht er sich einer eindeutigen Definition oder Festlegung3. Einige Aspekte seien vorab erörtert. Die neuere Forschung pflegt zwischen dem „Haus" oder Haushalt und dem „Hof eines Fürsten zu unterscheiden4. Dabei kommt dem Haus die Aufgabe zu, sowohl das Personal zu stellen, als auch die Räumlichkeiten darzubieten und schließlich das Geld aufzubringen, welches zum Funktionieren des Hofes nötig ist. Das Haus eines Herrschers läßt sich somit durch die Personen, die ihm angehören, und die Aufgaben, welche diese haben, beschreiben. Der Hof dagegen ist erheblich schwieriger zu fassen: ein Hof ist keine Institution, sondern eine Manifestation, nämlich der höfischen Gesellschaft und ihrer Interaktionen. In den Quellen faßbar ist der Hof eher indirekt, in erster Linie über die Aktivitäten des fürstlichen Hauses, die - wie erwähnt - das höfische Leben überhaupt erst ermöglichten. Weiterhin ist die Polyvalenz des Hofes zu berücksichtigen. Er ist - wie Paravicini es ausgedrückt hat - „...politisches Entschei-

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Vgl. vor allem Kap. Vm. Zit. nach G. FOUQUET, Das Festmahl in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters. Zu Form, Funktion und Bedeutung öffentlichen Konsums, in: AfK 74 (1992), S. 82-123, hier S. 87. „Eine unfaßliche Erscheinung" nennt ihn PARAVICINI, Kultur, S. 65. Vgl. PARAVICINI, Kultur, S. 66 ff.

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dungszentram und Machttheater, Verbrauchs- und Vergnügungszentrum, Verteilerort und Maklersitz von und für Macht, Geld, Güter und sonstige soziale Chancen,... er ist Heiratsmarkt,...zuweilen hohe Schule, stets Schnittpunkt von Geistlichem und Weltlichem"1. Die meisten der hier genannten Aspekte und noch einige andere werden im folgenden behandelt; es sind jedoch, um zu tragfahigen Ergebnissen zu gelangen, nicht selten Umwege nötig. Die Differenzierung zwischen Haus und Hof verweist weiterhin auf die Tatsache, daß ein herrschaftliches Haus zwei später getrennte Funktionen in sich vereinte: es war zugleich der Haushalt der herrscherlichen Großfamilie und das Zentralorgan der staatlichen Verwaltung. Gerade am kurialen Rechnungswesen wird das deutlich: die Ausgaben für Essen und Trinken der Höflinge werden in den gleichen Büchern nach den gleichen Regeln verzeichnet wie etwa die Ausgaben für Krieg und Diplomatie oder für das Pergament der päpstlichen Kanzlei. Auch für die Erkenntnis des Hofes ist das Rechnungswesen von Bedeutung: Bereits Elias hat darauf hingewiesen, daß zwischen dem steigenden Steueraufkommen und der Entwicklung höfischen Lebens ein enger Zusammenhang besteht: letzteres wurde mit ersterem finanziert2. Primäre Quelle für die folgenden Studien bilden die Akten der päpstlichen Finanzverwaltung, der Apostolischen Kammer. Im Verlauf meiner Recherchen hat sich allerdings herausgestellt, daß die Arbeitsweise und das Funktionieren dieser Finanzverwaltung nur unzureichend bekannt und erforscht ist. Das hat Rückwirkungen auf die Benutzung dieser Quellen. Eine Arbeit wie die vorliegende, die darauf abzielt, den Lebensmittelkonsum des päpstlichen Hofes quantitativ möglichst exakt zu ermitteln, kann nicht geschrieben werden, ohne die Arbeitsweise der Verwaltung und den Niederschlag, den diese in den Quellen gefunden hat, beständig im Auge zu behalten. Das Kapitel, in dem ich dies zu tun versucht habe, ist schließlich auf über 200 Seiten angeschwollen und drohte den Rahmen der Arbeit zu sprengen. Auf den Rat der Betreuer hin wird es separat publiziert, im folgenden findet der Leser lediglich eine Kurzfassung mit den nötigsten Literaturangaben3. Für eine eingehendere Beschäftigung mit dem Thema sei auf die Langfassung verwiesen. Auch für die Auswertung der in Massen vorliegenden Einzeldaten mußte eine geeignete Form gefunden werden. Um vergleichbare Datenreihen zu bekommen, habe ich die ermittelten Quantitäten in Tabellen erfaßt; sie bieten somit gleichsam das Fundament, auf dem ein Teil der Arbeit aufbaut. Hier sind noch einige Worte zu den methodischen Problemen nötig4. Das in den Tabellen gesammelte Datenmaterial ist direkt aus den Quellen entnommen; lediglich soweit Geldsummen betroffen sind, wurden sie - um einen einheitlichen Maßstab zu haben - zudem in Florentiner Goldgulden lungerechnet, ein Verfahren, das bereits von den zeitgenössischen päpstlichen Buchhaltern häufig angewandt worden ist. Es handelt sich bei den Tabellen insofern nicht um eine nachträglich vorgenommene Zusammenstellung zufällig erhaltener Da-

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Zit. nach PARAVICINI, Kultur, S. 66 f. Gesellschaft, S. 10 f. Vgl. Kap. Π,Ι. Vgl. dazu Kap. Π.

ELIAS,

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ten, sondern sie bieten gleichsam eine komprimierte Fassung dessen, was bereits die zeitgenössischen Buchhalter verzeichnet haben. Die Tabellen sind daher auch - im Unterschied etwa zu denen bei Guillemain - separat in den Anhang verwiesen worden, analog etwa zu den „pieces justificatives", welche die französischen Kollegen ihren Studien beizugeben pflegen. Selbstverständlich können die Tabellen keine vollständige Edition ersetzen; sie sind vielmehr ein Versuch, aus dem erhaltenen Quellenmaterial die für unsere Fragestellung relevanten Daten herauszufiltern. Aber auch mit dieser Einschränkung sind sie doch nur eine Behelfslösung, teils, weil eine Fülle von Details jeweils auf eine einzige nackte Zahl reduziert worden ist, vor allem aber, weil die päpstliche Buchhaltung zwar für mittelalterliche Verhältnisse außerordentlich genau, nach heutigen Maßstäben aber keineswegs von der Gleichförmigkeit der Datenaufiiahme und -Verwertung ist, wie man sie sich für quantifizierende Studien wünscht1. Die zahlreichen Anmerkungen zu den Tabellen sind der Versuch, diesem Manko wenigstens einigermaßen entgegenzuwirken. Dem Leser bleibt zudem der Trost, daß die Unvollkommenheit mittelalterlicher Buchführung doch auch wieder Aufschluß darüber gewährt, wie „berechenbar" die mittelalterliche Realität fur die Zeitgenossen überhaupt war. Die Interaktion der höfischen Gesellschaft fand im Rahmen eines Regelwerks statt, des Zeremoniells, das man in speziellen Zeremonienbüchern festgehalten hat2. So wertvoll diese als Quelle sind, so ist doch zu bedenken, daß es sich bei ihnen um normative Quellen handelt, man also mit einem Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis zu rechnen hat. Zur Kontrolle bieten sich - wenn auch immer nur punktuell zahlreiche weitere Quellen an, wie etwa Gesandtschaftsberichte, Tagebücher, Briefe, erzählende Quellen u. äA Es fehlt leider an einem Saint-Simon des 14. Jahrhunderts. Einige Überlegungen erforderte die Gliederung der Arbeit. Daß das „quellenkundliche" Kapitel am Anfang steht, dürfte nach den bisherigen Ausführungen einleuchten. Es wird sodann die Vorgeschichte des Avignoneser Papsttums behandelt wie auch die Ansiedlung in Avignon, allerdings nur soweit es für das Verständnis des Folgenden nötig ist. Die anschließenden Ausführungen nehmen ihren Ausgangspunkt in Avignon selbst, um allmählich immer stärker über die Palast- und Stadtgrenzen hinauszugehen. Damit soll die Sichtweise der wichtigsten Quelle, der Kammerakten, nach Möglichkeit beibehalten werden; ihre Verfasser hatten in ganz ähnlicher Weise vom Palast in Avignon aus finanzielle Aktivitäten in immer entfernteren Gegenden nachzuvollziehen

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Vgl. Kap. Π,Ι. B. SCHIMMELPFENNIG, Die Zeremonienbücher der römischen Kurie im Mittelalter (BDHIR 40), Tübingen 1973; M. DYKMANS, Le ceremoniel papal de la fin du Moyen Age ä la Renaissance, 4 Bde., Brüssel-Rom 1977-1985. In erster Linie ist zu verweisen auf die große Edition von E. BALUZE (Hg.), Vitae paparum Avenionensium, neu hg. von G. MOLLAT, 4 Bde., Paris 1914-27 (1. Aufl. in 2 Bden., Paris 1693); ergänzend dazu G. MOLLAT, Etude critique sur les "Vitae paparum Avenionensium" dEtienne Baluze, Paris 1917. Es würde zu weit führen, das gedruckte Quellenmaterial im einzelnen anzuführen; verwiesen sei auf den Überblick bei G. MOLLAT, Les papes d'Avignon, 10. Aufl., Paris 1965, S. 593 ff.

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und zu kontrollieren. Aber noch in anderer Hinsicht scheint diese Anordnung logisch. Auf einen in Avignon entstandenen Bedarf antwortete die Kurie mit entsprechenden Maßnahmen zu seiner Befriedigung. Auch an diese Abfolge von Ursache und Folge ist die Gliederung angepaßt. Da die behandelten Themen oft sehr disparater Natur sind, sei besonders auf die Zusammenfassungen verwiesen, wo gleichsam die Zwischensummen der Arbeit gezogen werden. Die Lebensmittelversorgung des päpstlichen Hofes ist bislang noch nicht untersucht worden. Auf die Bedeutung des Themas hat zuerst Bernhard Schimmelpfennig hingewiesen; in seinem Aufsatz findet sich zudem eine Zusammenstellung der im Vatikanischen Archiv erhaltenen Quellen zur Lebensmittelversorgung der Kurie1. Die Versorgung des päpstlichen Hofes mit Wein, Fisch und Gewürzen ist das Thema kurzer Aufsätze, die sich aber ausschließlich auf gedruckte Quellen stützen und ihren Gegenstand keineswegs ausschöpfen2. Über Nahrung, Lebensmittelversorgung, Essen und Trinken in Mittelalter und früher Neuzeit hat es in den letzten Jahren eine fast schon explosionsartige Zunahme der Publikationen gegeben3. Dabei ist die Interdisziplinarität der Ansätze bemerkenswert: Nicht nur Historiker, sondern auch Soziologen, Literaturwissenschaftler, Anthropologen und Angehörige noch weiterer Disziplinen haben sich zusammengefunden. Größtenteils handelt es sich um Einzelstudien, oft in Sammelbänden vereint4, indes liegen

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B. SCHIMMELPFENNIG, Die Versorgung der Kurie in Avignon mit Lebensmitteln, in: Festschrift H. Hoberg, hg. von E. GATZ, Bd. 2, Rom 1978, S. 773-787. Y. GRAVA, Notes martegales sur le ravitaillement et la consomation du poisson ä la cour d'Avignon au cours du XTV® siecle, in: Manger et boire au Moyen Age, Bd. 1, Nice 1984, S. 153170; J. RICHARD, Transports par eau et peages de Chalon ä Avignon : ä propos des foumitures de poisson ä la cour des papes, in: Actes du 112e Congres National des Societes Savantes, Lyon 1987. Section d'Histoire medievale et de Philosophie, Paris 1989, S. 37-44; Y. RENOUARD, La consommation des grands vins de Bourbonnais et de Bourgogne ä la cour pontificale d'Avignon, in: DERS., Etudes d'histoire medievale, Bd. 1, Paris 1968, S. 337-359; H. ALIQUOT, Les epices a la table des papes d'Avignon au XTV5 siecle, in: Manger et boire au Moyen Age, Bd. 1, Nice 1984, S. 131-150. Zur Ermittlung der einschlägigen Literatur hat sich die „Internationale volkskundliche Bibliographie" als nützlich erwiesen. Vgl. auch den Literaturbericht von U. DIRLMEIER und G. FOUQUET, Ernährungs- und Konsumgewohnheiten im spätmittelalterlichen Deutschland, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 44 (1993), S. 504-526 (freundlicher Hinweis von Rolf Kießling). Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: J. HEMARDINQUER (Hg.), Pour une histoire de l'alimentation (Cahiers des Annales 28), Paris 1970; A. FENTON und Τ. M. OWEN (Hg.), Food in Perspective. Proceedings of the 3. International Conference on Ethnological Food Research, Cardiff, Wales 1977, Edinburgh 1981; Manger et boire au Moyen-Age. Actes du Colloque de Nice (15.-17. octobre 1982), 2 Bde., Nice 1984; A. FENTON (Hg.), Food in Change. Eating habits from the Middle Ages to the Present Day, Edinburgh 1986; Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit. Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 10.-13. Juni 1987 an der Justus-LiebigUniversität Gießen, hg. von I. BITSCH U. a., 2. Aufl., Sigmaringen 1990 (1. Aufl. 1987); Alimentacio i societat a la Cataluny Medieval (Anuario de Estudios Medievales, Anex 20), Barcelona 1988; Alimentation et regions. Actes du colloque "Cuisines, regimes alimentaires, espaces regionaux", reunis par J. PELTRE et C. THOUVENOT, Nancy 1989; C. LAMBERT (Hg.), Du manuscrit ä la table. Essais sur la cuisine au Moyen-Age et repertoire des manuscrits medievaux contenant des recettes

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auch schon erste Überblicksdarstellungen vor1. Sogar ein „Internationaler Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens" hat sich vor einigen Jahren konstituiert; er konnte bereits zwei gewichtige Sammelbände vorlegen2. Eine Sonderstellung innerhalb dieser Forschungsrichtung nehmen die diversen Studien zur Geschichte des Weinbaus und Weinhandels ein: in Deutschland wie in Frankreich weisen sie bereits eine lange Forschungstraditon auf8. Von besonderem Wert für unser Thema ist noch die grundlegende Studie von Louis Stouff für die Lebensmittelversorgung der Provence4. Sie geht zwar auf die kurialen Verhältnisse nicht ein, bietet aber interessantes Vergleichsmaterial. Was die wirtschaftsgeschichtliche Seite der Arbeit betrifft, so liegen für einen Teilbereich, die Beziehungen des Papsttums zu den italienischen Handels- und Bankhäusern, die grundlegenden Studien von Yves Renouard vor5. Durch Henri Dubois sind die kommerziellen Beziehungen des Papsttums zu den Messen von Chalon-sur-Saone

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culinaires, Paris 1992; Verschlemmte Welt. Essen und Trinken historisch-anthropologisch, hg. von A. SCHULLER und J. KLEBER, Göttingen 1 9 9 4 ; Gli Archivi per la storia deH'alimentazione. Atti del convegno Potenza-Matera, 5. - 8. settembre 1988, 3 Bde., Rom 1995; Banquets et manieres de table au moyen äge (Senefiance 38), Aix-en-Provence 1996; La vie materielle au moyen äge, Louvain-La-Neuve 1997. B. LAURIOUX, Tafelfreuden im Mittelalter. Kulturgeschichte des Essens und Trinkens in Bildern und Dokumenten, Stuttgart-Zürich 1989; M. MONTANARI, Der Hunger und der Überfluß. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa, München 1993. A. WIERLACHER (Hg.), Kulturthema Essen. Ansichten und Problemfelder, Weinheim 1993; H.-J. TEUTEBERG (Hg.), Essen und kulturelle Identität. Europäische Perspektiven (Kulturthema Essen 2), Berlin 1997; vgl. auch H.-J. TEUTEBERG, Homo edens. Reflexionen zu einer neuen Kulturgeschichte des Essens, in: HZ 265 (1997), S. 1-28. Der Arbeitskreis publiziert ein Newsletter, die „Mitteilungen des Internationalen Arbeitskreises für Kulturforschung des Essens". Vgl. auch die Webside des Arbeitskreises unter www.gesunde-ernaehrang.org/start-wild.htm. Jüngst hat sich auch in Frankreich ein „Institut europeen d'Historie de Γ alimentation" konstituiert. Vgl. die Webside www.ville-blois.fr/rdvhistoire/accueil.htm. R. SCHÖNE, Bibliographie zur Geschichte des Weines, Mannheim 1976, 3 Supplementbde. 19781984, verzeichnet nur die deutschsprachige Literatur. Vgl. noch den Forschungsbericht von O. VOLK, Weinbau und Weinabsatz im späten Mittelalter, in: A. GERLICH (Hg.), Weinbau, Weinhandel und Weinkultur. Sechstes Alzeyer Kolloquium, Stuttgart 1993, S. 49-163. An Gesamtdarstellungen seien angeführt: R. DION, Histoire de la vigne et du vin en France des origines aux XIXe siecle, Paris 1959; M. LACHIVER, Vins, vignes et vignerons. Histoire du vignoble fran5ais, Paris 1988. Eine wichtige Aufsatzsammlung ist: Le vin des historiens. Actes du 1er symposion „Vin et histoire", Chateau de Suze-la-Rousse, Universite du Vin 1990. Nicht nur fur die deutschen Weinsorten nützlich ist R. SPRANDEL, Von Malvasia bis Kötzschenbroda. Die Weinsorten auf den spätmittelalterlichen Märkten Deutschlands, Stuttgart 1998. L. STOUFF, Ravitaillement et alimentation en Provence aux XTV® et X V siecle, Paris-La Haye 1970. Y. RENOUARD, Les relations des papes d'Avignon et des compagnies commerciales et bancaires de 1316 ä 1378 (BEFAR 151), Paris 1941; DERS., Recherches sur les compagnies commerciales et bancaires utilisees par les papes d'Avignon avant le Grand Schisme, Paris 1942.

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ebenfalls gut erforscht1. Vor allem aber hat sich die große Darstellung von Fernand Braudel als äußerst wertvoll erwiesen2. Zwar behandelt Braudel in erster Linie die frühe Neuzeit, bietet aber sowohl durch die Originalität seiner Fragestellung als auch durch die Verbindung von Theorie und Empirie eine überaus anregende Lektüre3. In mancher Hinsicht mit Braudel verwandt ist das betagte Hauptwerk von Werner Sombart. Obwohl im Detail oft veraltet, hat es doch den Vorzug, daß auf eine ganze Reihe der im folgenden angesprochen Probleme in vergleichender Perspektive eingegangen wird4. Noch weitere historische Arbeiten können mit Gewinn herangezogen werden. Grob unterteilt, handelt es sich um Studien einerseits zur Geschichte des Avignoneser Papsttums5, andererseits zur provenzalischen Landesgeschichte6. Auch zur Geschichte

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H. DUBOIS, Les foires de Chalon et le commerce dans le vallee de la Saöne a la fin du moyen äge (vers 1280 - vers 1430), Paris 1976, S. 386 ff. F . BRAUDEL, Civilisation materielle, economie et capitalisme, X V - X V Ü F siecle, 3 Bde., Paris 1979; hier zitiert nach der deutschen Übersetzung: Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, 3 Bde., München 1985-1986. Sein theoretisches Konzept entfaltet er in DERS., La dynamique du capitalisme, Paris 1985, hier zitiert nach der deutschen Übersetzung: Die Dynamik des Kapitalismus, Stuttgart 1986. Von Nutzen waren auch die einschlägigen Gesamtdarstellungen der mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte. Zwar gehen sie auf das Avignoneser Papsttum nur am Rande ein, sie bieten aber einen Rahmen, in den sich die gewonnen Ergebnisse einordnen lassen. Vgl. vor allem das Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, hg. von H. KELLENBENZ, Bd. 2 und 3, Stuttgart 1980 und 1986. W. SOMBART, Der moderne Kapitalismus, 2. Aufl., 3 Bde. in 6 Halbbden., München und Leipzig 1 9 1 6 - 1 9 2 7 . Herangezogen wird vor allem den ersten Band, der das Mittelalter behandelt. Die mittlerweile recht umfangreiche Literatur über Sombart kann hier nicht resümiert werden; verwiesen sei auf F. LENGER, Werner Sombart. Eine Biographie, München 1994 (mit reicher Bibliographie). An Gesamtdarstellungen vgl. die schon genannten Standardwerke von MOLLAT, Papes, und GUILLEMAIN, Cour. Während Mollat eher politik- und kirchengeschichtlich orientiert ist, verfolgt Guillemain einen sozialgeschichtlichen Ansatz. Insofern ergänzen sich beide Werke gut. Einen knappen Überblick bietet Y.RENOUARD, La papaute ä Avignon, 2. Aufl., Paris 1962. Vgl. noch F. X. SEPPELT, Geschichte der Päpste, Bd. 4, 2. Aufl., München 1957, S. 56 ff.; B. SCHIMMELPFENNIG, Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance, 4. Aufl., Darmstadt 1996, S. 223 ff. Zwei neuere Aufsatzsammlungen sind noch zu erwähnen: Aux origines de l'etat moderne. Le fonctionnement administratif de la papaute d'Avignon (CEFR 138), Rom 1990; La papaute d'Avignon et le Languedoc (1316-1342) (Cahiers de Fanjeaux 26), Toulouse 1991. Für die zahlreichen Einzelstudien von Anne-Marie HAYEZ verweise ich auf das Literaturverzeichnis. Die neuste Überblicksdarstellung stammt von B. GUILLEMAIN, Les papes d'Avignon (1309-1376), Paris 1998 (freundlicher Hinweis von Gisela Drossbach). Ein vorzügliches Hilfsmittel bietet die große Quellenkunde von R.-H. BAUTIER und J. SORNAY, Les sources de lliistoire economique et sociale du Moyen-Age, Tome I, Vol. 1-3 (mit durchgehender Paginierung): Provence - Comtat Venaissin - Dauphine - Etats de la maison de Savoie, Paris 19681974; sehr nützlich ist auch Έ. BARATIER U. a., Atlas historique: Provence, Comtat Venaissin, Principaute d'Orange, Compte de Nice, Principaute de Monaco, Paris 1969. Gesamtdarstellungen der

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Avignons im Mittelalter gibt es einige Literatur; dennoch glaube ich nicht zu übertreiben, wenn ich sage, daß kein Jahrhundert der Avignoneser Geschichte so schlecht erforscht ist wie das vierzehnte1. In den einschlägigen Darstellungen2 findet man zwar vieles zur Geschichte des Papsttums, die Stadtgeschichte im engeren Sinne aber wird nur am Rande erwähnt. Hier ist die Stadtgeschichte3 gleichsam in der Papstgeschichte ertrunken. Lediglich für einen Teilbereich, das städtische Gericht, liegt eine Reihe grundlegender Studien vor4, dagegen sind die Geschichte des Stadtrats und der städtischen Verwaltung sowie die Beziehungen Avignons zu den Grafen der Provence so gut wie unbearbeitet. Angemerkt sei noch, daß die vorliegende Studie keine Prosopographie sein soll; eine solche wird schon seit längerer Zeit von Anne-Marie Hayez (in Avignon) vorbereitet5. Sie hat mir ihr Material in zuvorkommenster Weise zur Verfugung gestellt, wofür ich ihr herzlich danke. Zur Entlastung des Anmerkungsapparats werden Literatur und gedruckte Quellen abgesehen von der Einleitung - nur in abgekürzter Form zitiert; für die vollständigen bibliographischen Angaben verweise ich auf das Literaturverzeichnis. Zur Schreibweise der Namen sei angemerkt, daß ich bei den Kardinälen und dem kurialen Personal in der Regel die der Quellen - also die lateinische - gewählt habe, bei Päpsten, Kaisern, Königen und Fürsten dagegen die dem deutschen Leser vertraute.

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provenzalischen Geschichte bieten E. BARATIER (Hg.), Histoire de la Provence, Toulouse 1969; V.L. BOURRILLY und R. BUSQUET, Le Moyen Age (1112-1482), in: Les Bouches-du-Rhöne. Encyclopedic departementale, hg. von Paul MASSON, Bd. 2: Antiquite et Moyen Age, Paris-Marseille 1924, S. 303-752; erschien auch selbständig mit eigener Paginierung unter dem Titel: La Provence au Moyen Age. Histoire politique - L'Eglise - Les Institutions (1112-1482), Marseille 1924 (danach zitiert). An Quellen mangelt es nicht. Die Bestände des alten Stadtarchivs reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück und bieten ein zwar heterogenes und lückenhaftes, aber gleichwohl reiches Material. Vgl. die Angaben im Quellenverzeichnis. J. GIRARD, Evocation du vieil Avignon, Paris 1958; Histoire dAvignon, Aix-en-Provence 1979. Immer noch von hohem Wert für die Stadtgeschichte sind die zahlreichen Arbeiten des unermüdlichen Pierre PANSIER; auch enthalten sie nahezu immer einen umfangreichen Quellenanhang. Soweit sie nicht im Literaturverzeichnis genannt sind, vgl. J. GIRARD, Notice biographique et bibliographique sur le Docteur Pierre Pansier (1864-1934), in: AACV 21 (1935-37), S. 5-28. Die Studie von J. GIRARD und P . PANSIER, La cour temporelle d'Avignon au XTV° et XV* siecles, Paris-Avignon 1909, fußt noch ganz auf Avignoneser Material. Wertvolle Ergänzungen aus den Vatikanischen Beständen bieten L. DUVAL-ARNOULD, Registres de la cour temporelle d'Avignon ä la Bibiliotheque Vaticane (Vat. lat. 14761-14781), MEFR 92 (1980), S. 289-324 und J. CHIFFOLEAU, La violence au quotidien. Avignon au XTV® siecle d'apres les registres de la cour temporelle, in: MEFR 92 (1980), S. 325-371. Vgl. auch J. CHIFFOLEAU, La comptabilite de l'au-dela. Les hommes, la mort et la religion dans la region d'Avignon ä la fm du Moyen-Age (vers 1320 - vers 1480), Rome 1980. Vgl. Α.-Μ. HAYEZ, Preliminaries ä une prosopographie avignonnaise au XTVe siecle. Richesse et disparite des sources, in: MEFR 100 (1988), S. 113-124.

II. Die Quellen 11,1. Die Buchführung der päpstlichen Finanzverwaltung1 Die Hauptbücher der Apostolischen Kammer von 1316-1378 Vorarbeiten Dem Historiker, der sich mit der Geschichte des Avignoneser Papsttums beschäftigt, stehen im Vatikanischen Archiv zwei große Aktenserien zur Verfugung: die Register und die Kammerakten2. Betrachtet man den Stand ihrer Erschließung, so fallt eine eigentümliche Diskrepanz auf: Beide Serien sind bzw. waren Gegenstand eines großen Editionsprojekts3, jedoch, während man die Register längst nach allen Regeln der diplomatischen Kunst analysiert hat4, fehlen vergleichbare Studien für die Kammerakten nahezu völlig. Die Erklärung für dieses Manko dürfte vornehmlich in wissenschaftsgeschichtlichen Gründen zu suchen sein. Nachdem sich Leo XIII. im Jahre 1880 entschlossen hatte, das Vatikanische Archiv den Historikern zu öffnen, waren es unter den spätmittelalterlichen Beständen zunächst die Register, welche das Hauptaugenmerk der Forschung auf sich zogen - verständlich in einer Zeit, die gerade einen Aufschwung der Diplomatik erlebte und wo das Interesse der Forschung vornehmlich der politischen Geschichte galt. Das Interesse an den Kammerakten speiste sich aus weniger seriösen Quellen. Das Avignoneser Papsttum hat sich nie eines sonderlich guten Rufes erfreut: spätestens seit kein Geringerer als Francesco Petrarca - immerhin ein Augenzeuge - ein düsteres Bild vom Avignoneser Wohlleben entworfen hatte5, wurde das Klischee vom luxuriösen, verschwenderischen und unzüchtigen Hofleben durch die Jahrhunderte tradiert. Luxus erfordert Geld, und so korrespondiert dem Bild vom verschwenderischen ein ebensolches vom habgierigen Papst, der in seinen Truhen märchenhafte Schätze birgt. Auch dies ist durchaus ein schon zeitgenössisches Urteil; besonders einflußreich war der Florentiner Chronist Matteo Villani, der den Schatz Johannes' XXII. auf 25 Millionen

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Erwin Gatz danke ich für die Gelegenheit, daß ich eine erste Fassung dieses Kapitels am 27. Februar 1998 in Rom am Historischen Institut der Görres-Gesellschaft vortragen konnte. Vgl. allgemein FINK, Archiv (Ergänzungen und Nachträge zu Fink bietet HOBERG, Archiv, S. 146 ff.; DERS., Publikationen, S. 122 ff); BOYLE, Survey, S. 160 ff Statt weiterer Literatur sei verwiesen auf die große Bibliografia dell'Archivio Vaticano, 1962 ff Von ihr liegen nunmehr sechs Bände vor. Zur Publikation der Register vgl. zuletzt GALLAND, Publication, S. 625 ff. Vgl. BOCK, Einfuhrung; DERS., Sekretregister, S. 3 0 ff. Weitere Literatur verzeichnet FRENZ, Papsturkunden, S. 90 ff. Vgl. PIUR, Petrarcas "Buch ohne Namen". Über Petrarcas Verhältnis zu den Avignoneser Päpsten vgl. zusammenfassend VONES, Urban V . , S. 5 ff. (mit reicher Literatur); jüngst auch REHBERG, Kirche, S. 71 ff. und passim. Allgemein zur Kritik am Avignoneser Papsttum vgl. WALEY, Opinions, S. 175 ff; MARTIN, Papsttum, S. 445 ff.

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Die Quellen

Goldgulden taxierte. Da war das Erstaunen groß, als Franz Ehrle, gestützt auf die Kammerakten, nachweisen konnte, daß es tatsächlich kaum eine Million gewesen war1. Immerhin hat dies dazu gefuhrt, daß diese Akten zum Gegenstand eines Großprojekts geworden sind: die Görresgesellschaft initiierte eine Edition, die „Vatikanischen Quellen zur Geschichte der päpstlichen Hof- und Finanzverwaltung"2, welche zusammen mit den begleitenden Studien der Editoren - bis heute grundlegend ist. Durchmustert man die reiche Literatur über das Avignoneser Papsttum, so drängt sich der Eindruck auf, daß die Kammerakten, trotz des Vorliegens dieser Edition, erstaunlich wenig benutzt werden. Ein Grund dafür liegt meines Erachtens darin, daß die Technik der päpstlichen Buchführung nur ungenügend bekannt und analysiert ist3. Gerade dies aber - die Buchungstechnik - ist essentiell für den Umgang mit diesen Quellen. Daher wird in diesem Kapitel versucht, einen skizzenhaften Überblick der Buchungstechnik der Apostolischen Kammer zu geben. Auch soll vor einigen Fallgruben gewarnt werden, aus denen ich selbst nur mit Mühe wieder herausgefunden habe. Problematisch an der erwähnten Ausgabe der „Vatikanischen Quellen", ist zunächst die Auswahl der edierten Texte. Während der Historiker des Mittelalters im allgemeinen über Quellenmangel klagt, ist in diesem Falle gerade die Masse des Materials das eigentliche Problem. Der Fondo Camerale des Vatikanischen Archivs weist schon aus dem 14. Jahrhundert so viele und so verschiedenartige Quellen auf, das eine Auswahl zwingend geboten war. Man konzentrierte sich daher auf die Hauptbücher der camera apostolica, d. h. auf jene Bände, in welche die Einnahmen und Ausgaben der Kammer in Avignon, der zentralen päpstlichen Finanzverwaltung, eingetragen worden sind. Nicht berücksichtigt hat man dagegen die teilweise ebenfalls erhaltenen Hauptbücher der einzelnen Provinzen des Kirchenstaats, ganz zu schweigen von den sonstigen Beständen4. Dies hat eine gewisse Berechtigung, da in diese Kammerhauptbücher5- soweit bekannt - letztlich alle Einnahmen und Ausgaben der Kammer einge-

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Millionen", S. 1 5 8 ff. Typisch für diese Problematik sind auch die Aufsätze von Argent, S. 5 ff. und MOLLAT, Jean Χ Χ Π ( 1 3 1 6 - 1 3 3 4 ) fut-il un avare? Bisher 8 Bde., Paderborn 1910 ff. Die Literatur ist nicht sehr umfangreich. Vgl. vor allem die Einleitungen welche Göller seiner Edition der Einnahmen Johannes' ΧΧΠ. und Benedikts ΧΠ. vorangestellt hat: GÖLLER, VQ 1, S. 7* ff; DERS., VQ 4, S. 2*. Leider sind diese quellenkritischen Einleitungen in den folgenden Bänden der „Vatikanischen Quellen" nicht fortgesetzt worden. Vgl. noch GÖLLER, Geschichte, S. 281 ff. Eine gute Skizze bietet RENOUARD, Relations, S. 31 ff; zusammenfassend PIOLA CASELLI, EVOluzione, S. 411 ff. Neben den Einleitungen der „Vatikanischen Quellen" vgl. das (nicht immer zuverlässige) Inventar von DE LOYE, Archives. Weiterhin sind heranzuziehen BAUTIER/SORNAY, Sources 1, S. 81 ff; SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 773 ff. Das beste Hilfsmittel bietet das von Pietro Guidi erstellte „Inventario dell' Archivio Camerale", das unter der Nummer 1036 im Inventarraum des Vatikanischen Archivs zu finden ist. Sie sind größtenteils in der Serie „Introitus et Exitus" im „Fondo Camerale" des Vatikanischen Archivs erhalten. Einige Bände hat es auch in andere Serien verschlagen. Vgl. die oben genannte Literatur. EHRLE, „ 2 5

MÜNTZ,

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tragen worden sind, man hat sich aber den Blick darauf verstellt, daß diese Hauptbücher nur Teil eines ganzen Systems von ineinandergreifenden Rechnungsbüchern sind. Daß man diesen Systemcharakter nicht erkannt hat, ist wohl der Grund dafür, daß die Arbeitsweise der Kammer bestenfalls in Umrissen bekannt ist. Dabei ist unbestritten, daß am päpstlichen Hofe in Avignon nicht die Kanzlei, sondern die Kammer die zentrale Behörde der Kurie, der Kämmerer und nicht der Vizekanzler1 der einflußreichste Ratgeber des Papstes war, man es also hier mit der eigentlichen Zentralstelle der Kurie zu tun hat. Die Hauptbücher Es werden daher zunächst die Hauptbücher vorgestellt und dann wird - von ihnen ausgehend - das System der päpstlichen Buchführung beschrieben. Die ältesten päpstlichen Hauptbücher - d. h. Kodizes, welche die Einnahmen und Ausgaben der Apostolischen Kammer verzeichnen - sind aus dem Pontifikat Bonifaz' VIII. erhalten (1294-1303)2, einige weitere haben wir aus dem Clemens' V. (1305-1314)3. Während diese älteren Bände aber nur bnichstückhaft für wenige Jahre erhalten sind, setzt dann mit dem Jahre 1316 und dem Pontifikat Johannes' XXII. eine fast ununterbrochene Serie solcher Hauptbücher ein, die sich bis zum großen Schisma und noch weit darüber hinaus erstreckt. Gleichzeitig mit dem Einsetzen dieser Serie ließ sich Johannes XXII. auf Dauer in Avignon nieder, womit der Sitz des Papsttums für diesen und die nächsten fünf Pontifikate die Rhönestadt sein sollte. Zum ersten Mal seit rund 200 Jahren schuf sich das Papsttum damit eine feste Residenz; sie sollte sich unter Johannes' Nachfolgern dann im Bau des großen Avignoneser Papstpalastes manifestieren4. Daß dieser Übergang vom Reisepapsttum zur festen Residenz der Ausbildung wie auch der Überlieferung einer geordneten Buchführung förderlich war, bedarf keiner weiteren Begründung; diese Buchführung ist zugleich Quelle für, wie auch Niederschlag der Tatsache, daß „die avignonesische Epoche die Zeit der effektivsten fiskalischen Erfassung - man kann auch sagen: Ausnutzung - der Gesamtkirche durch das Papsttum war" In der Praxis bedeutete das, einen Raum fiskalisch zu erfassen, der von Norwegen bis Sizilien und von Polen bis Portugal reichte, also ein Territorium zu besteuern, das an Ausdehnung jeden europäischen Staat bei weitem übertraf (und übertrifft).

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Es sei daran erinnert, daß das Kanzleramt seit Honorius ΙΠ. nicht mehr besetzt wurde. Leiter der Kanzlei war seither der Vizekanzler. Über die Gründe dafür gibt es eine alte, wenig erhellende Kontroverse zwischen BRESSLAU, Handbuch 1, S. 258 Anm. 8, und BAUMGARTEN, Kanzleibeamte, S. 40. Vgl. auch TANGL, Kanzleiordnungen, S. XI ff. Ediert von SCHMIDT, Libri. Ediert in Regestum Clementis papae V, Appendices 1, S. 1-180; ein dort übersehenes Rechnungsbuch ist ediert von GUILLEMAIN, Recettes. Vgl. Kap. ΠΙ,2. Zit. nach SCHIMMELPFENNIG, Papsttum, S. 229.

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Die Quellen

Vergleicht man nun die erhaltenen Hauptbücher Bonifaz' VIII. und Clemens' V. mit denen Johannes' XXII. und seiner Nachfolger, fallen erhebliche Unterschiede ins Auge. Gemeinsam ist ihnen die Aufteilung in zwei Teile: die Einnahmen und die Ausgaben; sie unterscheiden sich jedoch dadurch, daß die älteren Bücher (also die vor Johannes XXII.) innerhalb der beiden Teile rein chronologisch geordnet sind, während die jüngeren Bücher noch einmal nach Titeln unterteilt sind. Bei den Einnahmen sind dies die diversen Einnahmearten, also etwa die Servitien, der Census, die Kollektorien etc.; bei den Ausgaben gibt es eine ähnliche Unterteilung: Zunächst findet man die Ausgaben der Hofamter, also von Küche, Brotamt, Weinamt etc. (coquina, panataria, buticularia), dann noch verschiedene andere Ausgabearten, ζ. B. die Gehälter der Kurialen, die Ausgaben des Almosenamtes und anderes mehr. Innerhalb der einzelnen Titel sind die Einträge dann chronologisch geordnet. Ein solcher Eintrag besteht jeweils aus folgenden Angaben: dem Datum, der Angabe des beteiligten Kammerbeamten, der Nennung der Geld einzahlenden oder empfangenden Person, dem Grund, warum oder wofür des Geld gezahlt worden ist, und schließlich der ein- oder ausgezahlten Geldsumme. Dabei kann die Länge eines solchen Eintrages sehr stark variieren. In der Regel enthält eine Seite etwa drei bis vier Einträge. Ein solches Hauptbuch umfaßt normalerweise ein Pontifikatsjahr, es hat ein Format von durchgängig 30 cm Höhe und 20 cm Breite. Noch ein weiterer Unterschied zwischen den älteren und den neueren Hauptbüchern ist hervorzuheben: Bei den älteren fehlt, was von Johannes XXII. an charakteristisch ist: die Gesamtrechnung am Schluß der einzelnen Teile. Vom Beginn seines Pontifikats an findet man am Ende eines jeden Titels die Summe der Einnahmen oder der Ausgaben, sowie am Ende des Ein- wie des Ausgabenteils noch einmal eine Gesamtaddition. Auf diese Weise konnte der Buchhalter mit zwei Blicken sehen, wieviel Geld die Kammer im betreffenden Pontifikatsjahr eingenommen und ausgegeben hatte. Man ersieht daraus, daß diese Hauptbücher aus zwei Gründen angelegt worden sind: Zunächst dienten sie zur Kontrolle der einzelnen Transaktionen; man konnte mit ihrer Hilfe feststellen, wer wann warum wieviel in die Kammer eingezahlt oder von ihr erhalten hatte. Dann, seit Johannes XXII., kam ein weiterer Zweck hinzu: sie boten nunmehr auch eine Übersicht über die Gesamtein- und auszahlungen der Kammer für die einzelnen Pontifikatsjahre, und zwar sowohl insgesamt als auch für die einzelnen Titel. Der sich anbietende Schritt, die kleinere Endsumme von der größeren zu subtrahieren und so den Überschuß oder das Defizit des jeweiligen Jahres zu ermitteln, sollte erst unter Benedikt XII., Johannes' Nachfolger, getan werden. Was der moderne Benutzer vermißt, ist die Angabe, wieviel Geld zu Beginn des jeweiligen Jahres in der Kammer verfugbar war. Man erfahrt zwar alle Veränderungen des Kassenstands, aber nie den Ausgangsstand. Allein auf Grund der Hauptbücher kann man daher nie sagen, wieviel Geld tatsächlich in der Kammer vorhanden war. Der Grund dafür liegt zunächst in der spezifischen Organisation der Finanzverwaltung: die Kammer selbst war lediglich Einzahlungs- und Auszahlungsstelle; aufbewahrt hat man das Geld im Schatz (thesaurus), der von der Kammer (camera) personell und räumlich getrennt war. Man darf es sich wohl etwa wie eine Bankfiliale vorstellen, wo die Masse des Geldes im Tresor liegt und in den Schalterräumen lediglich eine geringe

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Geldmenge für die laufenden Geschäfte vorhanden ist. Zudem ist zu bedenken, daß diese Information - so interessant sie heute wäre - , für die Benutzer der Hauptbücher, die Kammerkleriker, überflüssig war: sie brauchten nur einen Blick in die Geldschränke zu werfen1. Informationen über den Kassenstand der Kurie findet man aber an anderer Stelle. Jeweils zu Beginn eines Pontifikats - zuweilen auch bei anderen Gelegenheiten - ließ der neue Papst ein Inventar des im Schatz erhaltenen Geldes wie auch der Wertgegenstände aufnehmen2. Kombiniert man die Hauptbücher mit den Inventaren, so läßt sich die finanzielle Situation der Kurie immerhin annähernd bestimmen. Mehrere Ausfertigungen der Hauptbücher Während die älteren Hauptbücher Unikate sind, ändert sich dies ebenfalls unter Johannes XXII.: von nun an liegen die Hauptbücher in der Regel in mehreren Ausfertigungen vor; unter Johannes XXII. sind es zumeist drei. Hier drängen sich mehrere Fragen auf. Wurden die Bücher voneinander unabhängig geführt? Wenn nicht, was ist Original und was Kopie? Sind diese Hauptbücher laufend geführt oder nachträglich angelegt worden? Was waren die Vorlagen? Eine Schlüsselstellung bei der Beantwortung dieser Frage nehmen die sogenannten approbata-Vermerke ein. Normalerweise weisen zwei der drei Ausfertigungen an verschiedenen Stellen das Kürzel ap, apr oder apb, bzw. das Wort approbata auf. Unter Johannes XXII. sind diese Vermerke in jedem der beiden Bände jeweils von einer anderen Hand; diese beiden Hände kehren dann Jahr für Jahr wieder. Auf diese Weise lassen sich zwei Serien von approbierten Hauptbüchern unterscheiden, die jeweils von einer anderen Person mit diesem Vermerk versehen worden sind. Diese approbierten Hauptbücher - so die These Emil Göllers3 - seien die Originale und zugleich die amtlichen, offiziellen Bände gewesen, die jeweils vom Kämmerer und vom Schatzmeister benutzt worden seien. Dagegen habe es sich bei den nichtapprobierten Bänden um Abschriften gehandelt, welche die Kammerkleriker benutzt hätten. Göller hat sogar die Hypothese geäußert, es sei möglicherweise der Kämmerer selbst gewesen, der eine der beiden Reihen approbiert habe. Zugleich deutete Göller die Vermerke als Kriterium, mit dem sich die Originalbände von Kopien unterscheiden ließen: die nichtapprobierten seien „unzweifelhaft als Abschriften zu betrachten". Für eine genauere Erörterung dieser Problematik muß zunächst die schon gestellte Frage beantwortet sein, ob die Hauptbücher laufend gefuhrt worden sind. Wäre dem so, dann müßte man annehmen, in den Hauptbüchern den unmittelbaren Niederschlag der Tätigkeit des zuständigen Kammerbeamten vor sich zu haben, wo dieser die von ihm getätigten Ein- und Auszahlungen fortlaufend festgehalten hat. Indes, ich muß diese Frage verneinen. Hätte er das jeweilige Buch laufend geführt, dann müßte man -

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Über die Aufbewahrungsorte des Schatzes vgl. die Langfassung. Das älteste erhaltene Inventar stammt von Bonifaz VUL (ed. MOLINIER, Inventaire). Die folgenden Inventare der Avignoneser Epoche sind ed. bei HOBERG, Inventare. V g l . GÖLLER, V Q 1, S. 7 * ff.

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Die Quellen

nicht unbedingt Händewechsel - , wohl aber häufige Tinten- und Federwechsel sowie Schwankungen im Duktus erwarten, insbesondere beim Übergang von den Einträgen eines Tages zu denen des nächsten. Davon kann aber keine Rede sein. Die einzelnen Bände sind durchweg sauber und fortlaufend geschrieben, auch bei den Übergängen von einem Tag auf den anderen. Sie sind also nachträglich aufgrund von Vorlagen erstellt worden. Sieht man sich die einzelnen Ausfertigungen eines Jahres etwas näher an, so stellt man fest, daß eine der Ausfertigungen von zwei Händen stammt, es waren also zwei Schreiber an diesem Band beteiligt. Dabei hat die eine Hand - ich nenne sie die Haupthand - , den Haupttext geschrieben, also die einzelnen Einträge auf der linken Seitenhälfte und den ein- oder ausgezahlten Betrag auf der rechten Seitenhälfte. Die zweite Hand - ich nenne sie die Korrekturhand - , hat daraufhin jeweils unten auf der Seite die summa paginae, die Seitensumme eingetragen, dann am Ende der einzelnen Titel die Titelsumme und am Ende des Einnahmen- wie des Ausgabenteils die jeweilige Jahressumme (manchmal stammen diese Jahressummen noch von einer dritten Hand). Von dieser Korrekturhand stammen auch Korrekturen, die an den Seitenrändern oder zwischen einzelnen Einträgen nachgetragen worden sind. Daraus folgt, daß dieses Hauptbuch in zwei Arbeitsgängen entstanden ist: Zunächst hat ein Schreiber (die Haupthand) die einzelnen Einträge fortlaufend niedergeschrieben, dann hat ein zweiter Schreiber (die Korrekturhand), den Band kontrolliert, Korrekturen nachgetragen und die Summen hinzugefügt. Da die Hauptbücher Reinschriften sind, stellt sich die Frage nach den Vorlagen des jeweiligen Schreibers. Man kann sie indirekt bestimmen, da in den Hauptbüchern selbst gelegentlich auf sie Bezug genommen wird. So findet man zuweilen Bemerkungen wie prout in sequenti sedula continetur, oder - als Überschrift: sequitur tenor cedule. Cedulae (Zettel, Blätter) waren also die Vorlage für die Hauptbücher. Dies läßt uns einen Blick in die Arbeitsweise der Kammer tun. Offenbar wurden die einzelnen Transaktionen jeweils auf einem Blatt festgehalten, diese Blätter nach Titeln und innerhalb der Titel nach dem Datum geordnet und aufbewahrt (in Mappen, Karteikästen?) und bildeten sodann die Vorlage für die Hauptbücher. Die Zettel selbst sind verloren; man hat sie wohl nach Abschluß der Hauptbücher weggeworfen. Einige immerhin sind aber doch erhalten geblieben, und zwar dadurch, daß der Buchhalter sie zwischen den Blättern des Hauptbuchs liegen gelassen und vergessen hat; sie sind dann vom Buchbinder miteingebunden worden. Das geschilderte Verhältnis von Haupt- und Korrekturhand gilt immer nur für eine der drei Ausfertigungen, die von so einem Hauptbuch normalerweise erhalten sind. Die beiden anderen stammen in der Regel von einer einzigen Hand und lassen sich als Abschriften des zweihändigen Exemplars erweisen. Dabei ist besonders auffallig, daß man sich bei den Kopien geradezu ängstlich bemüht hat, den Seitenumbruch der Vorlage einzuhalten. Der Grund dafür ist der: Hätte sich der Umbruch geändert, hätten also mehr oder weniger Einträge auf einer Seite gestanden, so hätte sich zugleich auch die Seitensumme geändert. Diese wäre entsprechend größer oder kleiner geworden und das versuchte der Schreiber unbedingt zu vermeiden. Das ging so weit, daß er, wenn es doch einmal passierte, bei dem Eintrag, nach welchem in der Vorlage die Seitensumme gestanden hatte, die Summe am Rand nachgetragen hat. Er hat sie dort

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aber nicht mit summa paginae, sondern mit summa usque hic (Summe bis hier) überschrieben. Man mag diese Sorge um die Seitensumme übertrieben nennen, da doch das Endresultat, also die Titel- und Jahressummen, bei korrekter Abschrift gleichwohl hätte identisch sein müssen. Indes würde dies die mathematischen Schwierigkeiten solcher Berechnungen weit unterschätzen. Man bedenke, daß in den Hauptbüchern und - soweit ich sie gesehen habe - auch in den sonstigen Kammerakten ausschließlich lateinische, keine arabischen Ziffern gebraucht worden sind, was selbst nach heutigem Verständnis simple Additionen und Subtraktionen erheblich erschwerte. Hinzu kam das mittelalterliche Münzwesen, das bekanntlich nicht auf dem Dezimalsystem aufbaute, sondern jeweils zwölf Denare zu einem Solidus und zwanzig Solidi zu einem Pfund rechnete. Weiter erschwert wurde die Rechnungsführung durch das Nebeneinander verschiedener Währungen sowie von Gold- und Silbermünzen. Vor allem die Titelund Jahressummen bestehen oft aus einigen Dutzend verschiedener Währungen. All diese Schwierigkeiten hat die Kammer in bewundernswerter Weise zu bewältigen verstanden. Bei jedem Eintrag haben die Buchhalter sowohl die Münzen verzeichnet, die bei der jeweiligen Transaktion vor Ort realiter ein- oder ausgegeben worden sind, als auch die Münzen, welche die Kammer eingenommen oder ausgezahlt hat, und schließlich auch den Wechselkurs1. Man orientierte sich zumeist am Florenus Florentiae, dem Florentiner Goldgulden, der wegen seiner weiten Verbreitung und seines konstanten Edelmetallgehalts im 14. Jahrhundert oft als Leitwährung diente2. Stichproben haben ergeben, daß auch diese nicht eben einfachen Rechenoperationen in der Regel durchaus korrekt bewältigt worden sind. Es wird noch deutlicher werden, daß viele Eigentümlichkeiten der Hauptbücher in den Rechenschwierigkeiten ihre Ursache haben, zunächst soll lediglich Verständnis für den armen Abschreiber geweckt werden, der Grund hatte, alles zu vermeiden, was ein solch kunstvolles System aufeinanderaufbauender Berechnungen (Seitensummen, Titelsummen und Jahresendsummen) hätte durcheinanderbringen können. Vielleicht ist deutlich geworden, warum das zweihändige Hauptbuch in zwei Schritten erstellt worden ist. Nach dem Kopieren der Einzelzettel durch die Haupthand ging das Manuskript zunächst einmal zu einem Rechenkünstler, der in einem zweiten Arbeitsgang Seitensummen, Titelsummen und endlich Jahressummen ermittelte, die dann erst durch die Korrekturhand auf freigelassene Stellen jeweils am Ende der Seiten, Titel und Jahre ins Hauptbuch nachgetragen wurden. Wie die Berechnungen praktisch durchgeführt wurden, welche Hilfsmittel man benutzte (hier darf man wohl an Rechenbrett und/oder Abakus denken), erfahren wir aus den Hauptbüchern nicht, sondern lediglich Ausgangspunkt und Resultat.

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Auf diesen Angaben beruhen die wertvollen Kurstafeln von SCHAFER, VQ 2, S. 895 ff. Auf Schäfer beruhen wieder, soweit Avignon betroffen ist, die Tafeln bei SPUFFORD, Handbook. Vgl. Kap. Π,3.

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Die Quellen

Die Approbationszeichen Es sei jetzt auf die Frage nach der Bedeutung der Approbationszeichen zurückgekommen. Durchmustert man approbierte Hauptbücher, so fallt zunächst auf, daß die Anzahl solcher Kürzel sehr verschieden ist: manche Bände haben es auf jeder (beschriebenen) Seite, andere wiederum nur an wenigen Stellen. Indes, eine Gemeinsamkeit weisen alle diese Zeichen auf: sie stehen immer unmittelbar neben einer Summe. Sie stehen nahezu immer neben den Jahressummen, meistens neben den Titelsummen und oft neben den Seitensummen. Der Sinn dieser Zeichen wird daraus deutlich. Es sind Kürzel von rechenkundigen Beamten, welche die jeweiligen Additionen nachgerechnet haben. Mit anderen Worten: Die Approbationszeichen sind der Niederschlag eines internen Kontrollvorgangs, mit dem man Rechenfehler und Betrügereien der Buchhalter verhindern wollte. Auch Göllers zutreffende Beobachtung, daß unter Johannes XXII. die Approbationszeichen von zwei verschiedenen Händen herrühren, erhält hier einen Sinn: Es gab offenbar zwei Kontrolleure, die unabhängig voneinander jeweils eine andere Ausfertigung des Hauptbuches nachrechneten und sich so auch gegenseitig kontrollierten. Die schwankende Anzahl der Approbationszeichen erklärt sich, wenn man annimmt, daß die Kontrolleure manchmal alles überprüft, manchmal nur Stichproben nachgerechnet haben. Diese These, daß sich die Approbationskürzel auf die Richtigkeit der Summen beziehen, wird indirekt dadurch bestätigt, daß die nichtapprobierten Hauptbücher, also die Bücher ohne diese Kürzel, auch keine Titel- und Jahressummen enthalten. Ob nun - wie Göller meinte - der Kämmerer einer der beiden Kontrolleure war, ist möglich, aber nicht beweisbar. Mir scheint es eher unwahrscheinlich, denn bei der herausragenden Rolle des Kämmerers als wichtigstem Ratgeber des Papstes, in dessen Hand alle Fäden zusammenliefen, scheint es fraglich, ob er sich mit einer derart subalternen Tätigkeit abgegeben hat, selbst wenn man von der Arbeitslast absieht, die es bedeutet hätte, wenn er, zusätzlich zu seinen sonstigen Aufgaben, noch jedes Hauptbuch hätte nachrechnen wollen. Die Hauptbücher haben sich somit als Resultat eines mehrgängigen Arbeitsprozesses erwiesen, bei dem schreib- und rechenkundige Beamte zusammenwirkten. Den approbierten Exemplaren kommt dabei in der Tat eine Schlüsselstellung zu, nicht weil es sich um „Originale" handelt, sondern weil sie einer nachträglichen Kontrolle und Korrektur durch Beamte der Kammer unterzogen worden sind. Freilich ist diese elaborierte Form des Hauptbuchs erst nach und nach erreicht worden. Unter Johannes XXII. etwa gab es für bestimmte Einnahmearten noch eigene Hauptbücher1, noch wichtiger ist, daß man unter Johannes und unter seinem Nachfolger Benedikt die Ausgaben des Almosenamtes auf besondere Weise direkt in die Hauptbücher übertragen hat. Das Almosenamt2 hatte sich um die Armenpflege zu kümmern; es betrieb ein Hospital, wo Arme und Kranke versorgt wurden, und es verteilte insbesondere Getreide, Wein und andere Lebensrnittel in großen Mengen an

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V g l . GÖLLER, V Q 1, S . 1 1 * ff.

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Vgl. dazu Kap. IV,2.

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die Armen. Hier hat die Kammer zunächst nach dem schon beschriebenen System mit dem Elemosinar abgerechnet, dann aber dessen vorgelegte Abrechnungen zusätzlich direkt in die Hauptbücher abgeschrieben. In diesem Falle konnte man also nur auf Grund des Hauptbuchs, auch ohne die eingereichten Abrechnungen heranzuziehen, die Ausgaben des Elemosinars kontrollieren. Der Grund für diese ungewöhnliche Behandlung des Almosenamts ist wohl in seiner räumlichen Trennung vom Hofe zu suchen, hier wollte man besonders genau kontrollieren. Die Einführung von Bilanzen Gegen Ende des Pontifikats Johannes' XXII. bemerkt man einen Versuch über den Hauptbüchern gleichsam noch eine höhere Stufe der Buchhaltung einzurichten. Gemeint ist eine Handschrift des Fondo Camerale1, ein einzelner Pergamentfaszikel von 22 Folios, in dem der Kämmerer Gasbertus de Valle und der Thesaurar Guido Radulphi die Einnahmen- und Ausgaben der Kammer während ihrer Amtszeit zusammengestellt haben. Er umfaßt den Zeitraum vom 12. Aug. 1316 bis zum 16. April 1334, also fast den gesamten Pontifikat Johannes' XXII. Unmittelbarer Anlaß war offenbar, daß Johannes, der sein Ende nahen fühlte, sein Testament machen wollte2 und dazu eine Gesamtübersicht über die Finanzen wünschte. Diese Gesamtübersicht hat man folgendermaßen gewonnen. Zunächst haben die Beamten aus den Hauptbüchern die Jahresendsummen der Einnahmen Jahr für Jahr nacheinander in diese Handschrift kopiert und dann diese - insgesamt 18 - Jahressummen zu einer Gesamtsumme addiert. Auf diese Weise erhielten sie die Gesamteinnahmen aller 18 Pontifikatsjahre. Analog dazu haben sie in den zweiten Teil der Handschrift aus den Hauptbüchern die Jahresendsummen der Ausgaben kopiert; diese haben die Beamten dann ebenfalls addiert und so die Gesamtsumme der Ausgaben ermittelt. Im nächsten Schritt haben sie die Gesamtsumme der Ausgaben von der Gesamtsumme der Einnahmen subtrahiert und so den erzielten Überschuß aus den 18 Jahren ermittelt. Zum ersten Mal hat damit die Kammer die Einnahmen und Ausgaben gegeneinander aufgerechnet und so eine Art Bilanz erstellt. Das Bilanzieren, also das Aufrechnen von Einnahmen und Ausgaben, ist die eigentliche Neuerung unter Benedikt XII., dem Nachfolger Johannes' XXII. Schon zu Beginn seines Pontifikats hat er sich vom Kämmerer seines Vorgängers, Gasbertus de Valle, über den Barbestand der Kammer Rechnung legen und das vorhandene Geld seinem neuen Thesaurar Johannes de Coiordano übergeben lassen. Es erfolgte dann noch eine zweite, erweiterte Rechnungslegung, wo nicht nur das Bargeld, sondern auch der Schatz mit seinen Kostbarkeiten übergeben worden ist. Beide Male ist der Kämmerer nach seiner Rechnungslegung entlastet und ihm diese Entlastung in Form einer Papsturkunde zuteil geworden. Unter Benedikt sollte das die Regel werden. Normalerweise einmal im Jahr - jeweils kurz nach Abschluß eines Pontifikats- und damit Rechnungsjahres - mußte der Thesaurar mit den Kammerklerikern vor Papst

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Coli. 381. Johannes' Testament ist ediert bei ALBE, Volontes.

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Die Quellen

und Kämmerer erscheinen, über Einnahmen und Ausgaben berichten und eine Bilanz zu erstellen. Das hatte einige Konsequenzen. Zunächst einmal findet man von Benedikt an am Ende der Hauptbücher hinter der Jahresendsumme der Ausgaben eine Jahresbilanz, die man durch Subtraktion der kleineren von der größeren Jahresendsumme erzielte. Der Benutzer konnte nunmehr auf einen Blick sehen, ob das entsprechende Jahr einen Überschuß oder ein Defizit gebracht hatte. (Unter Benedikt war es immer ein Überschuß). Dies war die Folge der genannten Bilanzierungspflicht. Das Hauptbuch mit Titel- und Jahresendsummen sowie mit Endbilanz war die Grundlage für den Bericht des Thesaurars vor Papst und Kämmerer, und diese Teile des Hauptbuches waren es, die dann in die Entlastungsurkunde eingeflossen sind. Die erste derartige Urkunde datiert vom 23. August 1336 und entlastet den Thesaurar Johannes de Coiordano für das erste Pontifikatsjahr Benedikts XII. (von 1334 Dez. 21 - 1336 Jan. 7)1. Weitere derartige Urkunden finden sich dann Jahr für Jahr. Der Zusammenhang der Entlastungsurkunde mit den Hauptbüchern dieser Jahre ist in mancher Hinsicht ähnlich wie bei der geschilderten Rechnungslegung des Gasbertus de Valle. Sie unterscheiden sich lediglich dadurch, daß man bei der Entlastungsurkunde mehr Informationen aus dem Hauptbuch übernommen hat, als dies bei der ersten Rechnungslegung der Fall gewesen war. In der Urkunde werden zunächst alle Titelsummen des Einnahmeteils nacheinander aufgeführt (also nicht nur die Jahresendsummen), dann die Jahresendsumme der Einnahmen, dann werden in gleicher Weise die Titelsummen der Ausgaben und sodann ihre Jahresendsumme angeführt, um schließlich durch Subtraktion der Ausgaben von den Einnahmen die Endbilanz zu ziehen. Am Ende der Urkunde wird dann die Entlastung ausgesprochen. Aus späteren Pontifikaten ist oft noch das Zwischenglied zwischen Hauptbuch und Entlastungsurkunde erhalten: ein Pergament- oder Papierrotulus, welcher die später in der Urkunde genannten Summen bereits enthält. Dieser Rotulus war es, welcher dann vom Thesaurar Papst und Kämmerer vorgelegt wurde und die Vorlage für die Entlastungsurkunde bildete. Dieser neue Abrechnungsmodus ist auch für die interne Arbeitsaufteilung innerhalb der Kammer von Interesse. Mit dem Pontifikatswechsel von Johannes auf Benedikt kommt eine sich schon früher anbahnende Entwicklung zum Ende, binnen derer der Kämmerer sich von der eigentlichen Finanzverwaltung immer mehr emanzipierte und schließlich nur noch eine Art Endkontrolle ausübte. Er war damit - wie Bernard Guillemain es formuliert hat - vom Finanzminister des Papstes zu seinem Premierminister geworden2. Die Leitung der Finanzverwaltung ist dagegen auf die Thesaurare übergegangen. Gleichwohl steht die Kammer als Institution nach wie vor unter der Leitung des Kämmerers, auch sie hat sich von einer Finanzbehörde zur politischen Zentrale der Avignoneser Päpste entwickelt; in ihr ist die Finanzverwaltung nur noch eine Unterabteilung. Vom quellenkundlichen Standpunkt ergibt sich aus dem Gesagten, daß Informationen über die päpstliche Finanzverwaltung nicht nur in den Kammerakten, sondern

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Ed. VIDAL, Lettres closes η. 829. So schon MOLLAT, Papes, S. 471: „Le camerier est UN veritable ministre de Finances." Ähnlich GUILLEMAIN, Cour, S. 278, dort der Vergleich mit dem „premier ministre".

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auch in den Papsturkunden und damit in den päpstlichen Registern zu finden sind. Vor allem gegen Ende des Avignoneser Papsttums, wo die Hauptbücher für einzelne Pontifikatsjahre fehlen, bieten die Rotuli und die Quittungsurkunden doch einen gewissen Ersatz fur das Verlorene. Mit der Einfuhrung der Bilanzierung und des jährlichen Rechenschaftsberichts des Thesaurars mag es zusammenhängen, daß ein anderes Mittel der Kontrolle eingeschränkt worden ist. Hatte man unter Johannes XXII. zwei Kontrolleure gehabt, die jeweils eine andere Ausfertigung des Hauptbuchs approbierten, kann man unter Benedikt nur noch einen feststellen. Auch weiterhin sind aber die Hauptbücher in mehreren (zwei bis drei) Exemplaren ausgefertigt worden. Systematische und chronologische Bücher Die bislang geschilderte Art und Weise der Buchführung hatte den Nachteil, daß man ihr den jeweils aktuellen Stand der Finanzen nicht entnehmen konnte. Die Hauptbücher und Bilanzen wurden nachträglich erstellt und die diversen Kladden boten jeweils nur einen Teilbereich. Unter Benedikt läßt erstmals nachweisen, daß es auch eine laufend geführte Buchführung gab, Handschriften, in welche - lediglich nach Ein- und Ausgaben getrennt - die Transaktionen der Kammer fortlaufend eingetragen worden sind. Der fragliche Faszikel1 gehört zum fünften Pontifikatsjahr (1339) Benedikts XII. Er hat das typische, schmale und hohe Kladdenformat von etwa 30 cm Höhe und 13 cm Breite. Dort findet man chronologisch fortlaufend die Ausgaben verzeichnet. Das Heft für die Einnahmen, das es wohl ebenfalls gegeben hat, ist verloren. Verglichen mit den sorgfaltigen und sauber geschriebenen Hauptbüchern erweist sich diese Kladde als ausgesprochene Arbeitshandschrift, geschrieben von einer flüchtigen Hand mit vielen Feder- und Tintenwechseln. Die meisten Einträge sind nachträglich durchgestrichen; man darf annehmen, daß dies das Resultat eines nachträglichen Kontrollvorgangs ist, sei es des Abgleichens mit anderen Büchern, sei es nach dem Vergleich mit dem systematischen Hauptbuch. Dies beweist zugleich, daß diese Kladde nicht isoliert zu sehen ist, sondern daß auch sie Teil in dem Gesamtsystem der päpstlichen Buchführung war. Wie bereits erwähnt, war die Überlieferungschance für die Kladden erheblich schlechter als für die Hauptbücher. Dies dürfte auch der Grund sein, warum sich die an sich viel näher liegende - chronologische Buchführung erst wieder unter Benedikt und auch da nur in einer einzigen Handschrift nachweisen läßt. Höchstwahrscheinlich hat es sie auch schon unter Johannes XXII. gegeben; die Kladden sind aber aus den bereits genannten Gründen sehr viel weniger sorgfaltig aufbewahrt worden. Unter Clemens VI. ist das System der päpstlichen Buchführung noch einmal erweitert worden. Die laufende, rein chronologische Verbuchung der Einnahmen und Ausgaben wird unter ihm gleichsam offiziell. Dies geschah auf folgende Weise: Zunächst einmal wird das Format der herkömmlichen systematischen Hauptbücher allmählich größer: von durchweg 30 cm Höhe und 20 cm Breite wächst es allmählich

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Coli. 383 f. 95-158.

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Die Quellen

auf ca. 40 cm Höhe und 30 Breite. Ihnen zur Seite treten nun rein chronologisch geführte Hauptbücher, die in dem alten Hauptbuchformat von 30 mal 20 cm gehalten sind. Bei ihnen kann man sehr deutlich sehen, daß sie tatsächlich chronologisch geführt worden sind: sie weisen zahlreiche Tinten- und Federwechsel sowie Korrekturen auf. Sie sind den systematischen Hauptbüchern gleichsam vorgeschaltet worden, man erkennt das daran, daß in diesen chronologischen Büchern bei jedem Eintrag als Marginalglosse angegeben ist, zu welchem Titel der Eintrag gehört. Es ist aber nicht so, daß man seither die systematischen Bücher durch Kopieren der Einträge aus den chronologischen gewonnen hätte. Das ist deshalb unmöglich, weil die Einträge in den chronologischen Büchern viel kürzer sind. Sie verhalten sich zu den Einträgen der systematischen Bücher etwa wie Regesten zu Volltexten. Von den systematischen Hauptbüchern, die in der Terminologie der Kammer libri ordinariiseit Clemens VI auch libri magni hießen, wurden die chronologischen Bücher als manualia unterschieden2. Mit der Beförderung der chronologischen Aufzeichnungen zum Hauptbuchstatus hängt wohl noch eine andere Entwicklung zusammen, nämlich die monatliche Bilanzierung. Anstatt einmal im Jahr, hat die Kammer nun monatlich die Summen der Einund Ausgaben berechnet und die Bilanz gezogen, wieder in der vertrauten Form von Rotuli, die sie Papst und Kämmerer vorgelegt hat und welche dann zu einer Quittungsurkunde verarbeitet worden sind. Entscheidend für die weitere Entwicklung der Hauptbücher war, daß man die Zahlen für diese Monatsbilanzen jetzt aus den chronologischen Hauptbüchern entnahm, ja entnehmen mußte, da die systematischen Bücher ja erst nachträglich erstellt worden sind. Man bemerkt daher in der Folgezeit, vor allem unter Urban V. und Gregor XI., den letzten unbestrittenen Avignoneser Päpsten, einen Rückgang der systematischen Hauptbücher: es wird immer nur noch ein Exemplar ausgefertigt, die Reihe wird lückenhaft, und auch die Arbeit liebloser. Der Grund für all dies ist wohl in den zunehmenden Finanzschwierigkeiten zu suchen, die

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Est autem sciendum, quod dicti domini camerarius et quondam thesaurarius ordinaverunt seu fecerunt pro annis singulis libros singulos, quos ordinaries vocant, in quorum quolibet continentur particulariter et distincte recepta et expensa per eos sub certis titulis in dictis libris contentis. Zit. nach dem Rechenschaftsbericht des päpstlichen Kämmerers Gasbertus de Valle und des Thesaurars Guido Radulphi von 1334 Apr. 16, ed. GÖLLER, VQ 1, S. 5. Ähnlich heißt es im Hauptbuch des 18. Pontifikatsjahres (IE 131 f. 3v) neben einem durchgestrichenen Eintrag: vacat pro eo scriptum est in libro ordinario XVII, also im Band des Voijahres. In den Hauptbüchen selbst ist die Terminologie nicht einheitlich: So heißt es etwa in IE 14 f. Ir: Incipit cartularium receptorum et expensarum, und in IE 16 f. Ir: Hie est liber receptorum et expensarum camerepapalis. Vor allem letztere Bezeichnung kehrt (mit geringen Variationen) in den folgenden Bänden regelmäßig wieder, lediglich mit dem Unterschied, daß der Einnahmenteil mit liber receptorum, der Ausgabenteil mit liber expensarum überschrieben ist. Erstmals finde ich diese Bezeichnung in IE 214 f. 35v, dem chronologischen Buch aus Clemens' VI. zweitem Pontifikatsjahr. Dort sind zwei Einträge nachgetragen und mit folgender Randbemerkung versehen: ...iste due assignationes continentur in manualibusprimi anni. Spätere Bände sind dann als manualia überschrieben. Ζ. B. IE 297 f. Ir von 1361 (9. Pontifikatsjahr Innozenz' VI.): Hoc est manuale receptorum et expensarum camere apostolice.

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in Avignon immer mehr Überhand nahmen. Die Kriege zur Rückeroberung des Kirchenstaats verschlangen immer größere Summen1, so daß die Kammer, trotz aller Versuche, die Einnahmen zu erhöhen, immer mehr ins Defizit geriet, immer weniger Geld da war, die Übersichten damit auch dringender wurden, um rascher über die eingehenden Summen disponieren zu können. Das Bild, das die Apostolische Kammer am Vorabend des Großen Abendländischen Schismas bietet, ist zwiespältig. Ihre Beamten sind durchaus noch zu Innovationen in der Lage: gegen Ende des Pontifikats Gregors XI., des letzten unbestrittenen Avignoneser Papstes, wird der Übergang von der Münze zum Rechengeld vollzogen2. Andererseits aber vermitteln die Quellen doch einen eher bedenklichen Eindruck. Die Hauptbücher - um noch einmal auf sie zurückzukommen - bieten ein Bild des Jammers: In dem Maße wie die finanziellen Schwierigkeiten der Kurie immer größer wurden, sind sie immer lückenhafter und schlampiger gefuhrt worden. Festzuhalten bleibt, daß sich das Papsttum in einer tiefen finanziellen Krise befand, die unter den Rahmenbedingungen, unter welchen das Schisma ausbrach, zu berücksichtigen ist. Das System Buchführung. Zugleich methodische Überlegungen zur Auswertung der Kammerakten Nachdem die Hauptbücher bislang isoliert betrachtet und - um die Terminologie der Diplomatik aufzugreifen - vor allem ihre „äußeren Merkmale" beschrieben worden sind, soll jetzt ihr Zusammenhang mit anderen Kammerakten erörtert werden. Wie bereits ausgeführt, dienten die Hauptbücher in der Kammer selbst als Mittel der Kontrolle; mit ihrer Hilfe ließ sich feststellen, wer wann warum wieviel Geld eingezahlt oder erhalten hatte. Dies ist aber nicht unsere Fragestellung. Es liegt also der häufige Fall vor, daß der Historiker den Quellen Fragen stellt, fur deren Beantwortung sie ursprünglich nicht gedacht waren. Daß dies gleichwohl möglich ist, wird hoffentlich auch die vorliegende Studie beweisen, indes bedürfen die Quellen dazu der Aufbereitung und Kritik. Für eine Arbeit, die vor allem an den Quantitäten interessiert ist, ist zunächst eine möglichst gleichförmige Art der Datenaufiiahme wünschenswert. Zwar kommen die Hauptbücher diesem Wunsch schon relativ weit entgegen, vom Idealzustand aber sind sie noch weit entfernt. Sie machten aber im Laufe des Untersuchungszeitraums eine allmähliche Wandlung durch, durch die sie - jedenfalls partiell - unserem Bedürfiiis noch weiter entgegenkommen. Alltags- und Großeinkäufe Da ist zunächst die Tendenz zu immer größerer Ausführlichkeit. Nicht nur die Zahl der Einträge wird größer, sondern auch ihre Ausführlichkeit, jedenfalls bei den Ausgaben für Lebensrnittel3. Der Grund dafür ist folgender: Der einfachste Weg, den

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Vgl. WEIß, Kredite, S. 176 ff. Vgl. Kap. Π,3. Analoges gilt allerdings auch für andere Ausgaben.

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Die Quellen

Bedarf an Nahrungsmitteln zu decken, war der, sie bei den lokalen Händlern zu kaufen, sich also über den Markt von Avignon zu versorgen. Dies ist auch geschehen, indes hat man parallel dazu durch speziell damit beauftragte Einkäufer große Mengen vor allem von Getreide, Fisch, Brennholz und Wein in der näheren und weiteren Umgebung einkaufen lassen. Die dafür notwendigen Gelder mußten die Einkäufer vorstrecken1 und erhielten ihre Auslagen zurück, nachdem sie mit der Kammer abgerechnet hatten. Die Einkäufer waren daher aus eigenem Interesse bestrebt, möglichst jede auch die kleinste - Ausgabe festzuhalten, um sie dann bei der Kammer geltend machen zu können. Diejenigen Einträge, welche derartige Großeinkäufe betreffen, schwollen daher vom Umfang her immer mehr an, und sie enthalten damit auch immer zahlreichere Details sowie immer genauere Angaben über Mengen, Preise und Qualitäten der eingekauften Waren. Aber nicht nur über die Waren allein bieten sie Informationen. Diese Lebensmittel mußten schließlich nicht nur eingekauft, sondern auch nach Avignon transportiert werden, und über die Kosten, welche dafür anfielen, wie etwa das Mieten von Wagen und Zugtieren, Löhne für die Transporteure, die Spesen der Einkäufer selbst und noch vieles mehr, wurde mit der Kammer abgerechnet2. Während des Pontifikats Clemens' VI., in dem diese Entwicklung ihren Höhepunkt erreichen sollte, finden sich schließlich Einträge, die mehrere Folioseiten umfassen. Über die genannten Informationen hinaus sind sie zudem das Resultat sehr komplexer Berechnungen: es mußten Einzel- und Stückpreise multipliziert, zahlreiche Einzelausgaben addiert, die Kurse verschiedener Münzen und Währungen berechnet werden, und so war die Summe, die schließlich am Ende eines solchen Großeintrages steht, nicht nur Ausgangspunkt für weitere Additionen, die schließlich Titel- und Jahressummen ergaben, sondern schon selbst Endresultat eines mindestens ebenso komplizierten Rechenvorgangs. Die Aufzeichnungen der Einkäufer Wie kam nun so ein Großeintrag zustande? Die Einkäufer waren gehalten, selbst Buch über ihre Einkäufe zu fuhren, und mußten dies auch, um ihre Auslagen belegen zu können. Zwar ist - soweit ich sehe nur mit einer einzigen Ausnahme3 - kein derartiges Buch eines auswärtigen Einkäufers erhalten geblieben4, wohl aber sind solche

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Dies ist jedenfalls der Eindruck, den die Hauptbücher erwecken. Tatsächlich haben die Einkäufer in der Regel Vorschüsse erhalten (vgl. dazu die Langfassung). Aber auch dann blieb es in ihrem Interesse, möglichst alle Kosten geltend zu machen. Bei SCHÄFER, V Q 2 , 3 und 6 , sind diese Einträge leider meist stark gekürzt. Coli. 451 f. 185r-216v, Kladde des päpstlichen Weineinkäufers Fortanerius de Podiodoano von 1368 (Beschreibung bei SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 783 f.). Die Kladde stammt allerdings aus der Zeit, als Urban V. bereits nach Rom zurückgekehrt war, dies mag die Anomalie erklären. Dies mag daran liegen, daß die auswärtigen Einkäufer ihre Abrechnungen statt in Kladden auf Einzelblättern führten. In der Hofordnung von 1409 (ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 424, Kap. 111,27-28) wird ausdrücklich vorgesehen, daß die diversen Ämter täglich (!) cedulae mit ihren Ausgaben beim magister hospitii einzureichen hatten, welcher diese Zettel kontrollierte, signierte und

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Aufzeichnungen von anderen Einkäufern erhalten, welche die Lebensmittel in Avignon selbst erwarben. Diese erhaltenen Handschriften sind Papierkladden von schmalem hohen Format, meist in ein Pergamentblatt eingeschlagen; sie kamen zustande, indem man eine (manchmal auch mehrere) dicke Lage(n) von Blättern einmal der Länge nach knickte und durch den Falz die Fäden für die Heftung zu einem dicken Heft zog. Sie haben zumeist die gleiche Höhe wie die gleichzeitigen Hauptbücher, indes nur die halbe Breite. Sie entsprechen damit dem Typus des chronologischen Hauptbuchs, wie es vor Johannes XXII. an der Kurie üblich war. Die Einkäufer hatten diese Hefte - ich nenne sie im folgenden „Kladden" - bei der Kammer vorzulegen. Dort überprüften Kammerkleriker die Kladden; diese bildeten dann die Grundlage für den Eintrag ins Hauptbuch. Diese Einträge sind aber offenbar nicht derart erstellt worden, daß man die Kladde einfach ins Hauptbuch abgeschrieben hätte; man bemerkt vielmehr zahlreiche Hinweise darauf, daß die Angaben der Kladde in vielfacher Hinsicht zusammengefaßt und redigiert worden sind. Während die Kladde laufend geführt worden ist und so den fortlaufenden Niederschlag der einzelnen Transaktionen des Einkäufers bietet, tendiert der Großeintrag im Hauptbuch dazu, gleichartige Handlungen zusammenzufassen, also beispielsweise Einkäufe verschiedener Quantitäten Getreide bei verschiedenen Verkäufern an verschiedenen Daten zusammenzuziehen, die Einzel- und Gesamtpreise anzugeben und die Zwischensumme zu ziehen. Die Einkäufe werden wiederum von andersartigen Ausgaben, wie beispielsweise Transportkosten, unterschieden, die für sich wieder analog behandelt werden. Auf diese Weise ist eine Vielzahl von Einzeltransaktionen bereits von den päpstlichen Buchhaltern so vorstrukturiert worden, daß die Einsummen in unsere Tabellen übernommen oder doch zumindest leicht errechnet werden konnten. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß so ein Großeintrag gleichsam ein Hauptbuch im Hauptbuch darstellt, bei dem freilich die Angaben der Vorlage zusammengefaßt und an die Bedürfnisse des Hauptbuchs angepaßt worden sind. Die Kladden der Einkäufer 1 Das Ineinandergreifen beider Buchtypen läßt sich anhand der erhaltenen Kladden der Lebensmitteleinkäufer gut studieren. Während die Buchhalter in den Hauptbüchern die Einkäufe für die Küche in drei Gruppen einteilen - Allerlei2, Fleisch und Fisch und lediglich die wöchentlichen Gesamtausgaben für diese drei Gruppen eingetragen

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in wöchentlichen oder monatlichen Abständen an die Kammerkleriker zur Verbuchung weiterleitete. Es sei angemerkt, daß die Kladden der am wenigsten einheitliche Buchtypus der päpstlichen Buchhaltung sind. In Einzelfallen kommen durchaus Abweichungen von dem hier Gesagten vor, insbesondere bei denjenigen Kladden, die keinen Zusammenhang mit der Lebensmittelversorgung haben. GASNAULT, Notes, S. 369 mit Anm. 2, ist der Ansicht, die Kammer sei mit ihren Kladden von dem Vorbild der provenzalischen Notare beeinflußt, welche die Konzepte ihrer Urkunden in gleichartigen Kladden niedergeschrieben hätten. Vgl. dazu GIRY, Manuel, S. 830 f. und REDLICH, Privaturkunden, S. 225 f. Darin sind die Einkäufe für Gemüse, Geflügel, Kleintiere und Küchenbedarf eingeflossen.

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Die Quellen

haben, finden man in den Kladden die täglichen Einkäufe verzeichnet und zwar meist unterschieden nach Ware, Menge, Einzel- und Gesamtpreis. Man bemerkt allerdings, daß die Lebensmitteleinkäufer ihre Kladden bereits so angelegt haben, daß die Buchhalter die für das Hauptbuch nötigen Informationen leicht exzerpieren konnten. Bei den täglichen Eintragungen in den Kladden sind die verzeichneten Einkäufe bereits nach den drei Kategorien - Allerlei, Fleisch, Fisch - vorsortiert. Diese drei Gruppen sind durch Absätze voneinander abgesetzt, häufig auch durch Klammern am Rand zusammengefaßt. In der Kladde eines Einkäufers Johannes' XXII. sind nach den Einkäufen einer Woche die Ausgaben der drei Gruppen bereits voraddiert1; sie mußten dann nur noch ins Hauptbuch übertragen werden. Dies war aber nicht die Regel. Generell werden die Ausgaben für die einzelnen Posten in den Kladden nacheinander aufgeführt, Additionen der Ausgaben eines Tages oder gar einer Woche findet man nur ausnahmsweise. Vereinzelt bemerkt man, daß der Einkäufer die Addition, welche die Kammer bei den alle Paar Wochen stattfindenden Abrechnungen vorgenommen hatte, seinerseits wieder in seine Kladde kopiert hat2. Da die Abrechnungen in den Hauptbüchern wochenweise eingetragen worden sind, haben sich die Schreiber der Kladden darauf insofern vorbereitet, daß sie normalerweise die Einträge für eine Woche auf zwei Seiten - der Rückseite und der darauffolgenden Vorderseite - unterbrachten, so daß der Buchhalter, wenn er die Kladde aufschlug, jeweils die Einträge einer Woche vor sich sah. Vergleicht man die Einträge in den Kladden mit denen in den Hauptbüchern, gewahrt man, daß die Buchhalter die Angaben aus den Kladden keineswegs unkritisch übernommen haben. Als Beispiel mag IE 125, die Kladde eines Kücheneinkäufers Johannes' XXII., dienen. Deren Schreiber hatte nicht nur die einzelnen Einkäufe in die Kladde eingetragen, sondern auch - jeweils am Ende einer Woche - die Summen für Allerlei, Fleisch und Fisch sowie eine Wochengesamtsumme, genauso wie die Buchhalter es benötigten. Vergleicht man die Wochensummen in dem entsprechenden Hauptbuch3 mit denen in der Kladde, zeigt sich, daß sie geringfügig voneinander abweichen: die Summen im Hauptbuch sind geringfügig niedriger, als in der Kladde. Rechnet man nach, zeigt sich, daß der Einkäufer sich nicht selten geringfügig zu seinen Gunsten verrechnet hatte, Fehler die von der päpstlichen Buchhaltung korrigiert worden sind4.

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In IE 106 von 1330/31 passim. Ζ. Β. IE 179 f. 16v. IE 108 f. 27r-40v von 1330/31 und IE 565 f. 39r-49r von 1331/32. Ein Beispiel, wie so ein Kontrollvorgang ablaufen konnte, bietet die von ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 88 f. edierte Kladde des Johannes de Lupera, der das Amt eines magister operis pape, also eines päpstlichen Baumeisters bekleidete. Dieser hatte im Jahre 1344 für die von ihm angeordneten Arbeiten der Kammer 2633 lib. in Rechnung gestellt, aber... quia dicte expense videbantur excessive, fuit concorditer ordinatum quod dicta opera per magistros juratos examinarentur: Die vereidigten Prüfer rechneten dann die angesetzten Beträge nach und kamen auf eine niedrigere Summe, indes erhielt Johannes, nachdem er sich beim Papst beschwert hatte, gleichwohl den vollen Betrag.

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Im Laufe der Zeit haben sich auch die Kladden weiterentwickelt. Beispielsweise findet man in der Kladde des Fortanerius de Podiodoano1, eines Weineinkäufers Urbans V., bereits Seitensummen und Zwischensummen gezogen, die Ausgaben sind außerdem untergliedert nach den Kosten für die Einkäufe, denen für die Spesen des Einkäufers und denen für den Transport. Hauptbuch und Kladde Die geschilderte Vorgehensweise bietet zunächst ein weiteres Indiz für die Richtigkeit der These, die Einträge der Hauptbücher seien nicht direkt aus den Kladden eingetragen, sondern von vorab redigierten Vorlagen abgeschrieben worden2. Darüber hinaus läßt diese Beobachtung ein quellenkritisches Problem deutlich werden: Richtet man sein Augenmerk auf den einzelnen Einkauf, so schiebt sich zwischen Quelle und Ereignis (also zwischen Hauptbuch und Einkauf) ein Zwischenglied, nämlich die Kladde, die freilich in der Regel verloren ist; das Hauptbuch ist demnach sekundär. Andererseits bietet das Hauptbuch wiederum ein Mehr an Informationen, insofern gerade die Zusammenstellung und Systematisierung der Einzeleinträge eine Gesamtübersicht bietet, welche die Einzelkladden nicht bieten können. Dies würde auch dann gelten, wenn die Kladden vollständig erhalten wären, da der genannte Redaktionsprozeß, den die Kladden beim Eintrag in das Hauptbuch durchmachten, die Informationen in einer Weise systematisch geordnet hat, die unserem Erkenntnisinteresse entgegenkommt. Diese Redaktion war nämlich von einer analogen Intention bestimmt: sie zielte ab auf Quantifizierung und Vergleichbarkeit. Zugleich wird durch die Gesamtübersicht, welche durch die Hauptbücher geliefert wird, deutlich, wie sich der Kammer - und damit dem Papsttum selbst - die finanzielle Lage dargestellt hat. Generell erweisen sich die Hauptbücher somit für unsere Fragestellung als die bessere Quelle, wenn auch die Kladden gelegentlich willkommene Ergänzungen darbieten. Mit dem erörterten Zusammenhang von Hauptbuch und Kladde fallt auch Licht auf das Gesamtsystem der päpstlichen Buchführung. Die Hauptbücher erweisen sich gleichsam als Spitze eines Eisbergs, dessen nicht sichtbarer Teil aus einer Fülle von Kladden, Heften, Einzelblättern u. ä. bestanden hat und der rem quantitativ ein Mehrfaches an Masse ausgemacht haben dürfte. Betrachtet man freilich das Überlieferte, ist das Verhältnis eher umgekehrt: während die Hauptbücher in fast ununterbrochener Reihe erhalten sind, sind Kladden nur in wenigen - noch dazu oftmals fragmentarischen - Exemplaren erhalten und dies zudem nur zufallig, zumeist weil sie mit anderem Material zusammen eingebunden worden sind. Diese Überlieferungslage ist kein Zufall. Da die Hauptbücher sowohl den Extrakt der Kladden wie auch die Gesamtübersicht über die finanzielle Entwicklung enthalten, war es nur logisch, daß sie

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Coli. 451 f. 185r-216v Speziell fiir den Übertrag der Abrechnungen der Kollektoren in die Hauptbücher hat dies bereits GASNAULT, Notes, S. 390 ff., dargelegt.

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Die Quellen

eingebunden und aufbewahrt wurden1, während man die Kladden, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten, wegwerfen konnte. Die Überlieferungschance ist also für Hauptbücher erheblich höher als für die Kladden2. Daraus folgt zugleich, daß die Hauptbücher, obwohl sie als Quelle für die einzelnen Einkäufe gegenüber den Kladden sekundär sind, wegen der schlechten Überlieferung der Kladden an deren Stelle treten. Solange man diese Unterlagen benötigte, hat man sie immerhin sehr sorgfaltig aufbewahrt. Von Innozenz' VI. etwa kann man nachweisen, daß er diese Kladden und auch die anderen Kammerakten teils in seinem Studium, also seinem Arbeitszimmer, teils in seinem Schlafzimmer aufbewahrt hat. Vielleicht hat er sie ja zum Einschlafen noch einmal nachgerechnet. Die erörterte Abrechnungsweise für Einkäufe, die fern von der Kammer in Avignon getätigt worden sind, hat eine Parallele auf der Einnahmenseite. Den Abrechungen der auswärtigen Einkäufer entsprechen die Kladden der Kollektoren3, jener päpstlichen Beauftragten, welche die Abgaben für den Papst überall in Europa einzusammeln hatten4. Wie bei den Einkäuferkladden handelt es sich um einzelne Faszikel oder Hefte, die aber - im Unterschied zu den Unterlagen der Einkäufer - in der Regel aufbewahrt worden und erhalten geblieben sind5. Den Zusammenhang zwischen den Kladden der Kollektoren und den Hauptbüchern erörtert eine Studie Gasnaults6; sie sei kurz resümiert: Die Kollektoren hatten ihre Kladden und sonstigen Unterlagen - in der Regel alle zwei Jahre - bei der Kammer einzureichen; dort wurden sie von einem Kammerkleriker nachgeprüft7. Der Kammerkleriker erstellte aufgrund der Unterlagen erne Kurzabrechnung (compotus brevis oder compotus abreviatus) - ebenfalls im Kladdenformat. Diese Kurzabrechnung diente dann dem Kammerkleriker als Grundlage für seinen Bericht vor dem Thesaurar und den anderen Kammerklerikern. Wurde er gebilligt, fertigte der Kammerkleriker den Kassenabschluß (conclusio compoti) an. Bruchstücke von Registern solcher Kas-

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Es sei daran erinnert, daß die Bände der Introitus et Exitus-Serie, also der Serie, in der die Hauptbücher aufbewahrt worden sind, als einzige von den Aktenserien des Fondo Camerale einen zeitgenössischen Einband aufweisen. Die anderen Serien sind künstliche Schöpfungen späterer Archivare. Vgl. dazu allgemein ESCH, Überlieferungschance, S. 529 ff. Sie bilden - wenn auch vermischt mit anderen Materialien - die Serie „Collectoriae" im Vatikanischen Archiv. Über die Kollektoren und ihre Abrechnungen vgl. KIRSCH, Kollektorien, S. LIX; dort auf S. 3 ff. auch Edition und Beschreibung mehrerer Rechnungsbücher von Kollektoren. Über die Kollektoren vgl. jetzt vor allem SCHUCHARD, Kollektoren, passim. Eine Fallstudie bietet DENZEL, Zahlungsverkehr.

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Dazu hat auch beigetragen, daß in den Hauptbüchern nicht selten ausdrücklich auf die Bücher der Kollektoren verwiesen wird, man findet dort beständig die stereotype Formel: ...prout in libro suarum racionum (also im Rechnungsbuch des Kollektors) particulariter continetur. Vgl. GASNAULT, Notes, S. 367 ff.; vgl. jetzt auch SCHUCHARD, Kollektoren, S. 112 ff., die mitunter zu abweichenden Ergebnissen kommt. Allerdings liegt der Schwerpunkt ihrer Arbeit auf dem 15. Jahrhundert. Wahrscheinlich sind sie dabei auch von dem Kammerkleriker mit dem Approbationszeichen versehen worden, das viele dieser Bücher aufweisen.

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senabschlüsse von Kollektoren - nicht aber diese Abschlüsse selbst - hat Gasnault in den Kammerakten aufgefunden, ergänzend sei noch hinzugefügt, daß diese Kassenabschlüsse auch die Grundlage fur den Eintrag ins Hauptbuch waren. Im Original dürften sie in Form einzelner Zettel vorgelegen haben, welche dann der Schreiber ins Hauptbuch abschrieb. Die Abrechnungen der Kollektoren sind somit auf analoge Weise wie die der Einkäufer zustande gekommen. Dies ist auch insofern von Bedeutung, als sich für spätere Pontifikate zeigen läßt, daß die Einkäufer eng mit den Kollektoren zusammenarbeiteten. Ein- und Auszahlungen statt Einnahmen und Ausgaben Vielleicht ist schon deutlich geworden, daß es irreführend ist, bei den Transaktionen, welche die Kammer vornahm, von Einnahmen und Ausgaben zu sprechen. In den beschriebenen Fällen hat die Kammer das Geld nicht dem Lieferanten, sondern einem päpstlichen Beauftragten - dem Einkäufer - ausgezahlt, der den Lieferanten bereits bezahlt hatte. Es ist also korrekter von Ein- und Auszahlungen zu sprechen. Noch gravierender aber ist ein anderer Fall, der hier nur am Rand erwähnt werden kann: die Beziehungen der Kammer zu den Finanzverwaltungen der einzelnen Provinzen des Kirchenstaats. Diese hatten gleichfalls Hauptbücher zu fuhren, in denen die nach Titeln geordneten Einnahmen und Ausgaben in analoger Weise wie in den Kammerhauptbüchern aufgeführt worden sind. Die Thesaurare der Rektoren des Kirchenstaats hatten ihre Hauptbücher bei der Kammer einzureichen1, woraufhin dann entweder der erwirtschaftete Überschuß in die Kammer eingezahlt wurde (er erscheint in den Kammerhauptbüchern dann unter den Einnahmen) oder das Defizit von der Kammer ausgeglichen werden mußte (die Transaktion erscheint dann unter den Ausgaben). Letzteres war regelmäßig bei den italienischen Kriegen zuerst Johannes' XXII. und dann Innozenz' VI., Urbans V. und Gregors XI. der Fall. In die Kasse des zuständigen Provinzthesaurars flössen einerseits die päpstlichen Einnahmen aus den Kirchenstaatsprovinzen (sie schlugen in den Kammerhauptbüchern also gar nicht, bzw. nur versteckt zu Buche, indem sie nämlich das auszugleichende Defizit verkleinerten). Da diese Einnahmen aber nur einen Bruchteil der Kriegskosten deckten, wurden andererseits erhebliche Geldmengen - oft über die Hälfte der Kammereinnahmen - nach Italien transferiert2. Die eingereichten Hauptbücher der Provinzthesaurare, die auf ähnliche Weise wie die der Kammer zustande gekommen sein dürften, bildeten wieder die Grundlage für die Einträge in den Kammerhauptbüchern. Wir haben in diesen Fällen also folgende Kette vom Ereignis zur Quelle: 1. Einkauf oder Ausgabe eines Beauftragten des Provinzthesaurars, 2. Eintrag in der Kladde des Beauftragen, 3. Eintrag ins Hauptbuch des Provinzthesaurars, 4. Eintrag ins Hauptbuch der Kammer. Bei

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Vgl. etwa MOLLAT, Lettes n. 20585 von 1324 Febr. 14, wo dem Johannes de Amelio, einst Thesaurar des Dukats von Spoleto, befohlen wird, über die Zeit seines Thesaurariats Rechnung zu legen. Vgl. dazu RENOUARD, Relations, passim.

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Die Quellen

jedem Übertrag wurde die Niederschrift erneut redigiert und an das Schema des übergeordneten Buches angepaßt. Kammer, Einkäufer und Kollektoren Eine ganz ähnliche Vorgehensweise findet man von Clemens VI. an auch bei verschiedenen auswärtigen Lebensmitteleinkäufen der Kurie. Vor allem bei den Fischund Weineinkäufen in Burgund ist der eingekaufte Wein meist nur teilweise vom päpstlichen Einkäufer bezahlt worden; die Bezahlung der Restsumme übernahm vielmehr der päpstliche Kollektor für Südfrankreich1. Er verwandte dazu Gelder, die er im päpstlichen Auftrag gesammelt hatte. Die Summen, die er seinerseits an die Kammer abführte, verminderten sich natürlich um die Gelder, die er für den päpstlichen Bedarf ausgegeben hatte. Im Unterschied aber zu den Transaktionen der Provinzverwaltungen sind die Zahlungen der Kollektoren für päpstliche Einkäufe auch in den Kammerhauptbüchern aktenkundig geworden, und zwar in der Regel gleich zweimal, sowohl unter den Einzahlungen als auch unter den Auszahlungen. Unter den Einzahlungen erscheint zunächst die gesamte von ihm eingezogene Geldsumme, dazu wird vermerkt, daß einen Teil davon für den päpstlichen Bedarf ausgegeben hat. Im Ausgabenteil wird bei den Abrechnungen des Einkäufers angemerkt, daß und um wieviel der Kollektor zur Bezahlung des Gesamtpreises beigetragen hat2. Die in Avignon vorgenommenen Auszahlungen Wie sah es nun aber mit den in Avignon selbst vorgenommenen Auszahlungen aus? Hier sind mehrere Varianten zu unterscheiden: Zunächst gab es auch hier für die einzelnen Hofamter Einkäufer, welche das nötige Geld vorschossen, die benötigten Waren erwarben und dann mit der Kammer abrechneten. Diese Einkäufe wurden aber in den Hauptbüchern auf andere Weise verbucht. Während man die auswärts vorgenommenen Einkäufe offenbar als etwas Besonderes verstand, das eingehende Aufzeichnung verdiente, war man bei den Avignoneser Einkäufen anderer Ansicht. Sie wurden als so normal betrachtet, daß eingehende Aufzeichnung nicht lohnte, mit der für uns unerwünschten Folge, daß über Art und Menge der eingekauften Lebensmittel kaum etwas gesagt wird, sondern lediglich die Preise genannt werden. Dafür bieten diese Einträge aber andere Vorzüge. Bereits in den ersten Jahren Johannes' XXII. begann man, das Bedürfnis nach regelmäßiger Abrechnung zu empfinden und gerade diese alltäglichen Einkäufe Woche für Woche gleichmäßig zu verbuchen. Auf diese Weise sind Zahlenreihen entstanden, die erlauben, über Jahre und Jahrzehnte hinweg gerade diese wöchentlich wiederkehrenden Ausgaben reduziert auf Datum und ausge-

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Es handelt sich meist um den Kollektor von Lyon und Vienne und dessen Unterkollektoren. Vgl. allgemein SCHUCHARD, Kollektoren, S. 66 ff. Es sei hier nur ein Beispiel angeführt. Der Weinkauf in Beaune im ersten Pontifikatsjahr Innozenz' VI. ist gebucht bei SCHÄFER, VQ 3, S. 532 (Ausgaben) und bei HOBERG, VQ 7, S. 22 (Einnahmen).

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zahlte Geldsumme zu erfassen1. Kommen sie auf diese Weise einerseits den Bedürfnissen des Wirtschaftshistorikers in fast idealer Weise entgegen, so mangelt ihnen andererseits gerade das Wichtigste, nämlich Angaben, welche und wieviele Lebensrnittel für die ausgegebenen Geldmengen erworben worden sind. Partiell immerhin läßt sich diese Schwierigkeit überwinden, da auch in diesem Falle einige Kladden erhalten geblieben sind2, freilich auch hier wieder nur bruchstückhaft für einige Jahre und Einkäufer. Vom Pontifikat Urbans V. an hat die Kammer diese Aufzeichnungen leider erheblich eingeschränkt. Eine weitere Art der Auszahlung ist noch zu nennen, die vor allem in der Spätphase des Untersuchungszeitraums an Bedeutung gewinnt: Zuweilen haben Lieferanten keine Barzahlung, sondern Anweisungen erhalten, sich für gelieferte Waren Gelder von der Kammer auszahlen zu lassen. In solchen Fällen hat der Einkäufer ihnen eine cedula mit der Angabe der gelieferten Ware und des zu zahlenden Preises ausgestellt, welche die Lieferanten bei der Kammer vorlegen mußten, um die angegebene Summe ausgezahlt zu bekommen. Diese Anweisungen selbst sind nicht erhalten, indes wird bei den entsprechenden Einträgen in den Hauptbücher auf sie Bezug genommen3. Dies sind die einzigen Fälle, wo die Kammer im eigentlich Sinne Geld „ausgegeben" hat, sonst ist sie lediglich mittelbar betroffen, hat sie Gelder an Personen ausgezahlt, die selbst der Kurie angehörten und die dann erst als Einkäufer oder sonstige Beauftragte das Geld für Waren und Dienstleistungen ausgaben. Welche Konsequenzen haben nun die geschilderten Eigenarten der Quellen auf unsere Fragestellung? Zunächst die, daß die außergewöhnlichen Einkäufe besser belegt sind, als die alltäglichen. Es wird noch genauer gezeigt werden, daß es sich bei diesen außergewöhnlichen Einkäufen um länger haltbare oder konservierte Lebensmittel handelte, die man auswärts einkaufte, während die Alltagseinkäufe frische Lebensrnittel betrafen, die man in Avignon selbst erstand4. Wir sind somit über die ent-

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Bereits Schäfer hat das gesehen und begonnen, diese Einträge in Form von Tabellen zu erfassen, wenn auch nur in seinem ersten Ausgabenband (VQ 2). Aber auch dort ist er keineswegs konsequent. So werden die regelmäßigen Ausgaben der Küche bis zum achten Pontifikatsjahr (1323/24) in Tabellenform erfaßt, fur die darauffolgenden Jahre hat er es unterlassen, mit der famosen Begründung (zit. nach SCHÄFER, V Q 2, S. 9 0 ) , sie bewegten sich „ungefähr in denselben Grenzen wie im vorhergehenden Jahre". Über diese vgl. vor allem SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 782 ff.; daneben SCHÄFER, VQ 2, S. 4 7 A n m . 1, S. 1 3 3 A n m . 1, S. 1 6 5 A n m . 3 , S. 2 7 5 u n d S. 5 4 8 A n m . 1, SCHÄFER, V Q 3, S. X V I ;

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BAUTEER/SORNAY, Sources, S. 91 ff. Speziell den Kladden der päpstlichen Bauverwaltung widmet sich PIOLACASELLI, Costruzione, S. 6. Von den genannten Autoren weiche ich in der Terminologie insofern ab, als bei mir die von ihnen „Manualien" genannten Bücher, als „Kladden" bezeichnet werden. Der Terminus „ M a n u a l " bleibt den bereits beschriebenen, chronologischen Hauptbüchern vorbehalten. Mir sind keine derartigen im Original erhaltenen Anweisungen bekannt. Es mag aber sein, daß in der Riesenmasse der Instrumenta Miscellanea im Vatikanischen Archiv noch einige erhalten sind. Über diesen Bestand vgl. neben FINK, Einführung, S. 148 f. und BOYLE, Survey, S. 57, vor allem Burns, Sources, passim. Vgl. Kap. V.

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Die Quellen

femten Einkäufe der Kurie weit besser als über die in Avignon selbst vorgenommenen informiert. Dieses Manko wird für die Avignoneser Einkäufe in nur sehr begrenztem Maße durch die erhaltenen Kladden ausgeglichen; teils weil sie nur bruchstückhaft für einzelne Jahre erhalten sind, teils weil auch sie bei weitem nicht so detailliert gehalten sind, wie das für die Verbuchung der außergewöhnlichen Einkäufe in den Hauptbüchern gilt. Die zwei Stufen der Buchführung Die Buchführung der päpstlichen Kammer hat sich nach dem Gesagten als ein zweistufiges System erwiesen, in dem jede Transaktion normalerweise zweimal - in der Kladde und im Hauptbuch - aktenkundig wurde1. Dieses System war keineswegs ein Monopol der Kammer. Sowohl aus dem Rechnungswesen der Grafschaft Provence2, dem der italienischen Kommunen als auch aus dem kaufmännischen Rechnungswesen lassen sich ganz ähnliche Vorgehensweisen namhaft machen. Die hier als Kladden bezeichneten Aufzeichnungen entsprechen dem, was im kaufmännischen Rechnungswesen das „Journal" und im behördlichen Rechnungswesen liber memoriae genannt wird3: die chronologisch fortlaufenden und sonst völlig ungeordneten Aufzeichnungen eines Buchhalters bzw. Geschäftsmannes. Diese wurden redigiert und in Reinschrift in andere Bücher übertragen, wodurch eben die Hauptbücher entstanden sind. Die Forschungen Beckers über die Rechnungsbücher der Kommune Chiavenna ergeben hier frappante Übereinstimmungen: selbst die Unterscheidung beider Buchtypen durch unterschiedliche Formate findet dort seine Entsprechung4. Weitere Arten von Rechnungsbüchern Freilich ist das päpstliche System noch um einiges komplizierter, war ja auch der zu erfassende Raum um einiges größer. Neben der gleichsam vertikalen Aufeinanderfolge von Kladde und Hauptbuch sind in diesem System noch weitere Bücher angelegt worden. Auf Seite der Einnahmen sind zunächst die Obligationsregister5 zu nennen. In

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Dies gilt mit der Einschränkung, daß unter Johannes noch Teile der Einnahmen in separaten Hauptbüchern gebucht worden sind und daß seine Nachfolger manche Transaktionen nicht über die Kammer abgewickelt haben. Vgl. dazu Kap. Π,3. BECKER, Beiträge, S. 122 f. hat sie in Chiavenna und Novara nachgewiesen. Für den Hinweis danke ich Franz Arlinghaus. Es sei nur am Rande vermerkt, daß auch im theoretischen Schrifttum über Buchführung, welches im 15. Jahrhundert in Italien einsetzt, das systematische Übertragen von Buchungen aus einem Buchtyp in den anderen eine Schlüsselrolle spielt. Vgl. ARLINGHAUS, Notiz, S. 137 ff.

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Vgl. BECKER, Beiträge, S. 121.

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Ober diese vgl. GÖLLER, VQ 1, S. 13* ff. Sie bilden - zusammen mit anderen Akten - , die Serie „Obligationes" im Fondo Camerale des Vatikanischen Archiv. Vgl. über sie die oben genannten Hilfsmittel. Sie sind in Kurzfassung ediert bei GÖLLER, VQ 1, S. 652 ff (für Johannes ΧΧΠ.) und VIDAL, Lettres communes, Bd. 2, Anhang (für Benedikt XU.).

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sie wurden Abschriften der Obligationsurkunden eingetragen, von Urkunden also, in denen sich ein Geistlicher innerhalb einer bestimmten Frist zur Zahlung einer bestimmten Summe als Servitium1 verpflichtete. Hier wurden also keine Zahlungen, sondern Zahlungsversprechen gebucht; die Zahlung erfolgte (wenn sie erfolgte) sechs Monate später oder nach einer noch längeren Frist. War die Zahlung erfolgt, erhielt der jeweilige Kleriker eine Quittungsurkunde ausgestellt. Diese wiederum hat man in eigenen Quittungsregistern festgehalten, wo auch Quittungen über andere Einzahlungen in die Kammer eingetragen worden sind2. Erst dann, nach Abschluß der gesamten Transaktion, erfolgte der Eintrag über die geleistete Servitienzahlung ins Hauptbuch. An die Stelle der Kladden bei den Ausgaben traten bei den Einnahmen also einerseits die Kladden der Kollektoren (für Einnahmen, die außerhalb Avignons gemacht worden sind), andererseits die Quittungsregister fur die in Avignon selbst getätigten Einnahmen. Die oben begründete These, daß die Hauptbücher den Kladden gegenüber sekundär sind, gilt also in gleicher Weise für das Verhältnis der Hauptbücher zu den Kollektorenbänden und den Quittungsregistern3. Quittungen und Quittungsregister Derartige Quittungsregister sind aber nicht nur für die Einnahmen, sondern auch für die Ausgaben geführt worden. Sie sind freilich nur ausnahmsweise erhalten4. Einzelne solche Quittungen sind auch im Original erhalten geblieben5. Auch enthält des Fomularbuch der päpstlichen Notare in Avignon ein eigenes Kapitel mit Formularen für Quittungen6. Um den Geschäftsgang zu verdeutlichen, seien einige Quittungen etwas näher besprochen und mit den Einträgen in den Hauptbüchern verglichen. Sie stammen beide aus dem Pontifikat Johannes' XXII., beide sind in Form von Notari-

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Zum servitium vgl. GÖLLER, VQ 1, S. 20* ff. bes. S. 41 *. DERS., Liber Taxarum, passim. Über diese vgl. GÖLLER, V Q 1, S. 1 6 * ff. Bei der Edition der Einnahmeteile in den „Vatikanischen Quellen" ist man so verfahren, daß man die Hauptbücher zugrunde gelegt und die Quittungsregister in den Anmerkungen zitiert hat. Lediglich bei den Einnahmen Innozenz' VI. (ed. HOBERG, VQ 7 und VQ 8) sind Hauptbücher und Quittungsregister separat ediert. Für Johannes' Pontifikat sind drei erhalten: 1. Reg. Aven. 84 f. 485-523; es umfaßt den Zeitraum von 1321 Sept. - 1322 Mai (6. Pontifikatsjahr). 2. Coli. 379 f. 198-315 (Liber tertius) (SCHÄFER, VQ 2, S. 442 mit Anm. 1 und passim, zitiert es irrtümlich als Mise. Cameral. 379): es umfaßt zeitlich Johannes' achtes und neuntes Pontifikatsjahr. 3. Reg. Aven. 73 f. 413-522, es geht von 1331 Nov. 7 (f. 413r) bis 1334 Nov. 2 (f. 522v), also vom 16. (1331/32) bis zum letzten Pontifikatsjahr (1333/34). Der Faszikel bricht unvermittelt ab und scheint unvollständig. Für die Pontifikate von Johannes' Nachfolgern habe ich keine Quittungsregister für die Ausgaben gefunden. Neben den im folgenden genannten vgl. die bei DUHAMEL, Origines, S. 233 ff., edierten Stücke. Die dort verzeichneten Transaktionen finden sich auch in den Hauptbüchern (danach ed. bei SCHÄFER, VQ 2, S. 621 f. n. 1-8, S. 624 von 1319 Juni 5 und S. 627). Weitere derartige Notariatsinstrumente sind als Regest verzeichnet bei MOLLAT, Lettes n. 12248 von 1319 Sept. 27, n. 14332 von 1320 Sept. 14. Ed. BARRACLOUGH, Notaries, S. 200 ff. (Tractatus de quitationibus).

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Die Quellen

atsinstrumenten ausgestellt worden1; der ausstellende Notar, Guillermus Guisberti2, bezeichnet sich selbst als ...imperiali auctoritate publicus notarius, nichts deutet daraufhin, daß er der Kurie angehört hätte3. Man bediente sich also einer unabhängigen Instanz, deren Urkunden, da per manum publicam ausgestellt4, auch die Kurie als rechtsgültig und verbindlich anerkannte. Die Urkunden blieben im Besitz der Kammer - auf diese Weise sind sie überliefert worden -; man darf annehmen, daß der Notar jeweils eine Kopie in sein eigenes Imbreviaturbuch eingetragen hat5. Bei der ersten Quittung geht es um die Bezahlung einer Pergamentrechnung; der Händler quittiert der Kammer den fraglichen Betrag. Vergleicht man Original und Hauptbucheintrag6; erweist sich der Hauptbucheintrag als erheblich kürzer, er verhält sich zur Urkunde etwa wie ein Regest zum Volltext. Während im Hauptbuch in knappster Weise lediglich das Datum, der Empfanger der Zahlung, die gelieferte Ware und der ausgezahlte Betrag verzeichnet ist7, erfahrt man aus der Urkunde eine Vielzahl von Details. Neben

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Es ist hier nicht der Ort, auf die Bedeutung der Notariatsinstrumente für das Funktionieren der päpstlichen Finanzverwaltung einzugehen. Solche Instrumente sind - obwohl nur in geringer Zahl erhalten - in sehr großen Mengen ausgestellt worden. Fast jede Transaktion, jeder Kaufvertrag ist zunächst in Form eines solchen Instruments festgehalten worden und diente der Kammer als Unterlage und Beleg bis zum Abschluß des Vorgangs. Die naheliegende Frage, warum die Kurie sich hier nicht ihres eigenen - wohlausgebildeten - Urkundenwesens bedient hat, ist vielleicht dahingehend zu beantworten, daß Papsturkunden, mögen sie auch das Resultat vorangegangener Verhandlungen zwischen Aussteller und Empfanger sein, immer als einseitiger Gnadenakt ausgefertigt werden. Dies widerspricht aber dem Wesen eines kommerziellen Vertrages, der ein freiwilliges Abkommen zweier im Prinzip gleichstehender Partner - des Käufers und des Verkäufers - ist. Hier wäre reiches Material für eine diplomatisch-rechtsgeschichtliche Studie. Über die Notare der Avignoneser Päpste vgl. BAUMGARTEN, Von der apostolischen Kanzlei, S. 9 ff. und BARRACLOUGH, Notaries, passim; GUILLEMAIN, Cour, S. 5 6 1 ff. Das von Barraclough edierte Formularbuch der päpstlichen Notare enthält Formulare für nahezu alle hier angesprochenen Transaktionen. Auch erfährt man, daß er Kleriker aus der Diözese Cahors war. Im Jahre 1322 war er beteiligt an einer Transaktion des Franciscus Baralhi, eines mit der Kurie zusammenwirkenden campsor (Geldwechsler, Bankier) (vgl. GÖLLER, VQ 1, S. 583). Ab 1334 ist eine Person dieses Namens als sigilliferus curiae auditoris camere belegt (GÖLLER, VQ 1, S. 375 und passim). Eine Person gleichen Namens ist auch im Januar 1324 in den Kammerakten belegt; sie hatte Matten für die Kammer eingekauft (SCHÄFER, VQ 2, S. 578).

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Dies war aber wohl nur in dieser Frühzeit des Avignoneser Papsttums möglich. GUILLEMAIN, Cour, S. 565 f. weist darauf hin, daß im Laufe der Zeit in Avignon diejenigen öffentlichen Notare, die mit kaiserlicher Autorität urkundeten, immer mehr von denen verdrängt wurden, welche mit päpstlicher Autorität ihre Urkunden ausstellten.

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Vgl. BRESSLAU, Handbuch 1, S. 656 ff.

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Eine Liste der erhaltenen Notariatsakten der Avignoneser Notare findet sich bei BAUTIER/SORNAY, Sources, S. 1289 ff. Der genannte ist nicht darunter. Ed. BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 291 n. 2 von 1320 Juni 13. Der Hauptbucheintrag vom gleichen Datum bei SCHÄFER, VQ 2, S. 322. In Schäfers Edition sind die formelhaften Elemente weggelassen. Indes bieten sie auch nicht mehr Informationen.

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Die Buchführung der päpstlichen Finanzverwaltung

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dem genannten Notar und dem Empfanger werden der Kämmerer Gasbertus de Valle und der Thesaurar Ademar Amelli als anwesend erwähnt. Sie bestätigen dem Notar zunächst, die eingekaufte Ware - 12 Pergamente aus Rindsleder - erhalten zu haben, und daß der ausgehandelte Preis 40 fl.1 betragen hat. Der Händler wiederum erklärt, den Betrag erhalten zu haben und verzichtet für die Zukunft auf alle darauf bezüglichen Forderungen gegenüber den Genannten. Die Transaktion fand in Anwesenheit von zwei Zeugen statt, der eine ein päpstlicher Skriptor, der andere - ein gewisser Guillermus Rollandus - ist sonst nicht bekannt. Offenbar ist der eine von Seiten der Kurie, der andere von Seiten des Händlers mitgebracht worden. Im zweiten Fall geht es um die Bezahlung einer Bleirechnung für das päpstliche Siegelamt2. Wieder ist der Hauptbucheintrag von regestenartiger Kürze; der in der Urkunde erkennbare Ablauf entspricht weitgehend dem vorigen. Einige Abweichungen seien erwähnt: Diesmal ist es ein Einkäufer - die Bullatoren hatten ihn zum Bleieinkaufen geschickt -, der dem schon genannten Kämmerer und dem Thesaurar den Empfang des ausgelegten Geldes quittiert. Während der Einkäufer den Händler in kleinen Tournosen bezahlt hatte, erhält er seinerseits den Betrag in großen Tournosen ausgezahlt. Ort der Handlung war das eine Mal das Zimmer des Kämmerers im päpstlichen Palast, das andere Mal die domus thesaurarie.

Zusammenfassung von Kap. II, 1. Nachdem wir die Buchführung der Kammer als zweistufiges System kennengelernt haben3, erweist sich nun die untere Stufe als weitaus vielfaltiger, als angenommen. Dabei zeigt sich auf der Seite der Einnahmen wie der Ausgaben eine weitgehende Symmetrie: den Quittungsregistem bei den Ausgaben entsprechen die Bücher der Kollektoren bei den Einnahmen: beide betrafen - weitgehend oder ganz - Transaktionen, die außerhalb Avignons, also fern von der Kammer, getätigt worden sind. Die in Avignon getätigten Transaktionen sind dagegen bei den Einnahmen zunächst in den Quittungsregistem aufgezeichnet, bei den Ausgaben dagegen in den Kladden festgehalten worden. Des weiteren konnte gezeigt werden, daß kein Buch der ersten Stufe alle Transaktionen enthält, auch wenn man Einnahmen und Ausgaben jeweils getrennt betrachtet. Erst das Hauptbuch bietet ein Gesamtbild aller Transaktionen; hier liefen alle Kammeraufzeichnungen zusammen.

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...quadraginta florenos auri de Florentia borti et iusti ponderis. Zit. nach BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 291 n. 2 von 1320 Juni 13. Die Notariatsurkunde ed. BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 292 n. 3 von 1320 Okt. 19, den Hauptbucheintrag ed. SCHÄFER, VQ 2, S. 324 mit gleichem Datum. Es sei daran erinnert, daß sich zuweilen drei Stufen nachweisen lassen, wenn nämlich die Hauptbücher der Provinzialverwaltungen für die Hauptbücher der Kammer exzerpiert worden sind.

11,2. Die Stadt Avignon in der Finanzverwaltung der Provence1 Es wird an anderer Stelle ausfuhrlicher dargelegt werden, daß sich während der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums - bis 1348 - die Stadt Avignon keineswegs im päpstlichen Besitz befunden hat. Stadtherr war vielmehr der Graf der Provence, der zugleich - seit Karl I. - König von Neapel war2. Daher war Avignon in die gräfliche Verwaltung eingebunden, insbesondere hatte die Stadt Abgaben an die gräfliche Finanzverwaltung, die Rechenkammer der Provence, abzuführen. Diese war im Jahre 1288 von Karl II. gegründet worden und befand sich im nahegelegenen Aix3. Sie weist manche Parallelen zur Apostolischen Kammer auf. Die Rechenkammer war eine Unterabteilung der Rechenkammer in Neapel, der zentralen Finanzverwaltung des Königreichs Neapel4. Hier bestand ein analoges Verhältnis wie zwischen den Thesauraren der Kirchenstaatsprovinzen und der Kammer in Avignon, d. h. die Rechenkammer in Aix war der in Neapel untergeordnet und hatte regelmäßig Abrechnungen und Überschüsse nach Neapel abzuführen. Verwaltungstechnisch war die Provence somit ein Ableger des Königreichs Neapel5. Anfangs hatte die Kammer in Aix ihr Personal aus Neapel bezogen, etwa von 1300 an hat sie es dann aus dem Land selbst rekrutieren können6. Neben der zeitlichen und räumlichen Nähe bestand in der Person Johannes' XXII. auch ein personeller Zusammenhang mit der päpstlichen Verwaltung: vor seinem Pontifikat war er zeitweilig Kanzler König Roberts von Neapel gewesen und insofern mit den neapoletanischen Verwaltungspraktiken vertraut. Allerdings möchte ich den Einfluß der Rechenkammer in Aix nicht überbewerten: das Personal seiner Finanzverwaltung hat Johannes nicht aus der Provence, sondern aus seiner Heimat, dem Quercy, bezogen, auch konnte die Apostolische Kammer selbst auf eine lange Tradition und eine ausgebildete Verwaltungspraxis zurücksehen. Die Ähnlichkeiten in der Entwicklung dürften eher darauf zurückgehen, daß ähnliche Herausforderungen ähnliche Lösungen hervorgerufen haben. Eine Zweigstelle oder Unterabteilung der Rechenkammer in Aix befand sich in Avignon selbst: dort hatte ein königlicher Clavarius seinen Sitz; seine Aufgabe war

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Leider sind die Beziehungen Avignons zur Rechenkammer in Aix und auch zu der vorgesetzten Behörde in Neapel nur wenig erforscht. Das Folgende kann daher nicht mehr als eine Skizze sein. Vgl. Kap. m,2. Die erhaltenen Akten befinden sich heute in der Serie Β des Departementalarchivs in Marseille. Vgl. BLANCARD, Inventaire-sommaire 1-2. An Literatur vgl. Busquet, Etudes; BR Υ, Vigueries; BONNAUD, Transmission; DERS., Comptes; fur das Ende des 13. Jahrhunderts jetzt vor allem KIESEWETTER, Anfänge, S. 452 ff. Listen der Amtsträger bietet CORTEZ, OfFiciers; Ergänzungen dazu bei BUSQUET, Etudes, S. 46 ff. Über die Kammer in Neapel vgl. DURRIEU, Archives 1-2, passim. Damit geht sie letztlich auf die Staufer, insbesondere auf Friedrich Π. zurück. Über dessen Finanzverwaltung vgl. KAMP, Kämmerer. Vgl. dazu KIESEWETTER, Anfange, S. 50 f. So BUSQUET, Etudes, S. 43 f.

Avignon in der Finanzverwaltung der Provence

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es, die Finanzen der Stadt zu kontrollieren und die dem König zustehenden Einnahmen nach Aix abzuführen1. Dies blieb bis so bis zum Verkauf der Stadt durch die Königin Johanna an Papst Clemens VI. Ernannt wurde der Clavarius jeweils vom König, sein unmittelbarer Vorgesetzter war der königliche Vikar in Avignon. Die Amtszeit eines Clavarius betrug zwei Jahre; ernannt wurden immer ortsfremde Personen. Nach Ablauf seiner Amtszeit hatte er sich 10 bis 20 Tage an seinem Dienstort aufzuhalten2, um seinen Nachfolger einzuarbeiten und sich gegen etwaige Anklagen zu verantworten. Einmal im Jahr, jeweils Anfang November, hatten alle Clavare den Hof in Aix aufzusuchen, um dort Rechnung zu legen3. Ihre Aufgabe war nicht auf das rein Finanzielle beschränkt: sie hatten für ihren Amtsbezirk auch ein Verzeichnis der gräflichen Rechte, Besitzungen und Einkünfte zu erstellen und auf dem laufenden zu halten. Dieses war nach Ablauf ihrer Amtszeit dem Nachfolger zu übergeben4. Aufgrund der eingereichten Abrechnungen erstellte dann die Rechenkammer in Aix ein Hauptbuch für die gesamte Provence; es enthielt die gesamten Ein- und Ausgaben für jeweils ein Jahr. Soweit ich sehe, sind aus dem hier interessierenden Zeitraum zwei solche Bücher erhalten: dasjenige für das Rechnungsjahr 1323/245 und das für 1340/416. Ebenfalls erhalten, wenn auch immer nur bruchstückhaft für einzelne Jahre, sind Abrechnungen der einzelnen Clavarien, darunter auch der von Avignon7. Die erhaltenen Bücher weisen manche Parallelen zu denen der Apostolischen Kammer auf8. Auch in denen der Rechenkammer lassen sich Haupt- und Nebenhände wie auch Kontrollvermerke unterscheiden. Allerdings ist der Gesamtaufbau ein ande-

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Er hatte seinen Sitz im königlichen Palast. Ein Inventar seiner Dienststelle und eine Beschreibung des Palastes aus dem Jahre 1347 bietet Marseille, Arch, dep., Β 1737 (auszugsweise bei GIRAED/PANSIER, Cour, S. 71 n. 11).

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Bereits 1312 hatte der Stadtrat angeordnet, daß kein Vikar vor Ablauf seiner Amtszeit die Stadt verlassen dürfte (Avignon, Arch, dep., AC Boite Pintat 7 von 1312 Juli 24). Die Zehn-Tage-Regel hat dann Urban V. übernommen (vgl. seine Urkunde in Avignon, Arch, dep., AC Boite Pintat 7 von 1366 Apr. 20). Vgl. dazu BONNAUD, Processus, S. 242 ff. Ich folge hier den von König Robert erlassenen Statuten (ed. GIRAUD, Essai 2, S.70 ff.; vgl. auch BONNAUD, Transmission, S. 221 f.). Diese greifen vielfach auf ältere Statuten Karls Π. zurück. Deren alte Edition durch GIRAUD, Essai 2, S. 39 ff. ist jetzt ersetzt durch KIESEWETTER, Anfänge, S. 579 Nr. 2. Für Avignon ist ein solches Inventar aus dem Jahre 1347 erhalten (Marseille, Arch, dep., Β 1738).

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Dieses ist ein stattlicher Folioband von 199 Blättern und umfaßt den Zeitraum von 1323 Nov. 1 bis 1324 Okt. 31 (Marseille, Arch, dep., Β. 1519, eingehend analysiert bei BLANCARD, Inventairesommaire 2, S. 8 ff). Die Avignon betreffenden Abrechnungen (überschrieben: Ciavaria civitatis Avin.) finden sich auf f. 104r-106r (Einnahmen) und f. 106v-110v (Ausgaben). Aller Wahrscheinlichkeit nach sind diese Hauptbücher dann bei der Rechenkammer in Neapel eingereicht worden. Marseille, Arch, dep., Β 1520 von 1340 Nov. 1 bis 1341 Okt. 31. Die Abrechnungen für Avignon finden sich auf f. 272r-274r (Einnahmen) und f. 274v-278r (Ausgaben). Marseille, Arch, dep., Β 1731-1735; vgl. auch BAUTIER/SORNAY, Sources, S. 22. Einige Auszüge sind ediert bei GIRARD/PANSIER, Cour, S. 57 ff. Das Folgende nach Marseille, Arch, dep., Β 1519 und 1520.

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Die Quellen

rer. Die Unterteilung in den päpstlichen Hauptbüchern nach Ein- und Auszahlungen wird in denen der Rechenkammer nicht vorgenommen, vielmehr hat man die Abrechnungen der einzelnen Clavarien (und sonstigen Unterabteilungen) nacheinander verzeichnet - sie bilden jeweils eigene Kapitel. Innerhalb dieser Kapitel sind dann erst die Einnahmen und dann die Ausgaben nach Titeln geordnet aufgeführt und am Ende des Kapitels ist eine Bilanz gezogen. Dieses - von den Büchern der Kammer abweichende - System ist wohl dadurch zustande gekommen, daß die Hauptbücher der Rechenkammer ihrerseits eine andere Stellung im Gesamtsystem Buchführung einnahmen. Sie waren nur eine Vorstufe für die Buchhaltung der Rechenkammer in Neapel. Nicht nur durch die Abrechnungen wird die Stellung Avignons in der provenzalischen Verwaltung sichtbar. Ein gute Quelle bieten auch die großen Untersuchungen („Enquetes")1; solche haben sowohl Karl I.2 als auch Karl II. und schließlich Robert I.4 durch die Rechenkammer anstellen lassen. Im Rahmen dieser Enquetes sind systematisch alle Rechte, Besitzungen und Einkünfte der Grafen der Provence aufgenommen worden. Die dabei gewonnenen Unterlagen bildeten wieder die Grundlage für die Arbeit der Rechenkammer. Für das Avignoneser Papsttum kommt vor allem die letzte - von Robert I. initiierte - in Betracht, da sie die Verhältnisse in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums beschreibt. Stellt man die Einnahmen und Ausgaben der Stadt, wie sie in den Büchern der Rechenkammer verbucht sind, einander gegenüber, zeigt sich, daß die Ausgaben die Einnahmen übertrafen. Im Rechnungsjahr 1324/23 betrugen die Ausgaben der Stadt 1681 lib. 18 sol. 8 den.5, die Einnahmen nur 1435 lib. 3 sol. 8 den. ; im Jahre 1328/29 lauten die entsprechenden Zahlen 1240 lib. 10 sol. an Ausgaben, gegen 1175 lib. an Einnahmen7; im Jahre 1340/41 schließlich betrugen die Einnahmen 1211 lib. 18 sol. 10 den. und 31 manganerii Getreide8, die Ausgaben dagegen 1233 lib. 9 sol. 8 den. 1 ob.9. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als sei der Avignoneser Haushalt defizitär gewesen, jedoch täuscht dieser Eindruck. Die vom Clavarius getätigten Ausgaben betreffen nämlich keineswegs städtische Angelegenheiten; größtenteils han-

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Solche Untersuchungen sind auch aus dem Königreich Neapel bekannt; sie gehen dort bis in die Stauferzeit zurück. Vgl. dazu STHAMER, Bruchstücke, S. 5 5 3 . Im 1 3 . Jahrhundert findet man sie auch bei Alfons von Poitiers. Hier sind offenbar staufisch-angiovinische und südfranzösische Traditionen zusammengeflossen. Vgl. auch KIESEWETTER, Anfänge, S. 4 5 9 mit Anm. 7. Ed. BARATIER, Enquetes; über Avignon S. 389 ff. Aus den Jahren 1296-99; erhalten in Marseille, Arch, dep., Β . 1019-1038; vgl. BAUTIER/SORNAY, Sources 1, S. 36. Die Avignon betreffenden Teile in Β 1020 f. 45r-68r. Marseille, Arch, dep., Β 1040-1065; vgl. BAUTIER/SORNAY, Sources 1, S. 36. Speziell die Stadt Avignon wird behandelt in Β 1044 f. lr-33v von 1333 Okt. 3-20. Nach BLANCARD, Inventaire-sommaire, S . 4 8 Anm. ist die Währung „le reforciat de Provence", also der Coronatus. Vgl. SCHÄFER, VQ 2 , S. 8 6 * . Marseille, Arch. dep., Β 1519 f. 106r und f. 11 Or. Marseille, Arch. dep. Β 1733 f. Die Einnahmen aus dem Mühlbann wurden noch in Getreide, nicht in Geld gezahlt. Auch in der Enquete hat man sie noch so berechnet (Marseille, Arch, dep., Β 1044 f. 21r). Marseille, Arch. dep. Β 1520 f. 274r und f. 278r.

Avignon in der Finanzverwaltung der Provence

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delt es sich vielmehr um Sold- oder Gehaltszahlungen für die gräflichen Amtsträger und andere Personen, die in den Diensten des Grafen standen1. Diese sind offenbar nicht direkt aus der Rechenkammer in Aix bezahlt worden, sondern erhielten eine bestimmte Summe aus den Einnahmen in Avignon angewiesen. Sehr deutlich wird dies in dem Hauptbuch von 1340/41. Dort sind die Ausgaben der Stadt Avignon in drei Untertitel gegliedert. Der erste betrifft die Kosten, welche für die Verwaltung der Clavarie anfielen, d. h. Ausgaben für die Bezahlung von Unterbeamten, Einkäufe von Papier und Pergament, Spesen für Kuriere und Gerichtskosten. Insgesamt betrugen diese Kosten 164 lib. 10 sol. 11,5 den. Es folgen - unter der Überschrift gagia officialium - die Gehälter für die gräflichen Amtsträger: an der Spitze steht der Vikar mit einem Jahresgehalt von 232 lib. 10 sol., gefolgt von den Richtern, dem Untervikar und weiteren Beamten; insgesamt werden fur diese Zahlungen 842 lib. 13 sol. und 6 den. aufgewandt. Am Schluß folgt der Titel de assignatis in camera regia, also die Gelder, welche an die Rechenkammer abgeführt worden sind; sie betragen 226 lib. 9 sol. 2 den.2. Die einzelnen Einnahmetitel waren größtenteils verpachtet; die Clavare rechneten also mit den Pachtinhabern ab3. Unter den verpachteten Einnahmen bestand der einträglichste Posten in den Hafengebühren: im Jahre 1323/24 betrugen die Einnahmen daraus 150 lib. Insgesamt noch höher waren die Einnahmen aus den verschiedenen Verbrauchssteuern, welche beim Verkauf diverser Waren erhoben wurden: Die höchsten Einnahmen bezog der Clavarius aus den Verkäufen von Getreide (74 lib.), gefolgt von denen für Salz (45 lib.) und Wein (28 lib.). Erheblich waren auch die Einnahmen (110 lib. 10 sol.) aus jenem an anderer Stelle behandelten Amt4, welches die Waren auswärtiger Händler in Avignoneser Maße und Gewichte umrechnete und umfüllte. Auch die Bann- (71 lib. 13 sol. 4 den.) und Siegelgebühren (17 lib. 8 sol.) waren nicht unbedeutend. Unter den nichtverpachteten Einnahmen waren die Geldstrafen der bei weitem einträglichste Posten (739 lib. 13 sol. 7 sol. 1 ob.). Direkte Steuern gab es nicht; die Einkünfte bestanden aus den Gebühren, die für die Ausübung der gräflichen Herrschaftsrechte anfielen5; in moderner Terminologie könnte man die diversen Abgaben zumeist als Verbrauchssteuern benennen. Gerade diese dürften durch die Anwesenheit der Kurie in Avignon in der Höhe getrieben worden sein. Anscheinend sind keineswegs alle Einnahmen, die der König von Neapel aus Avignon bezog, in die Hauptbücher eingetragen worden - auch dies eine Parallele zu den päpstlichen Hauptbüchern - : eine sehr wichtige Einnahmequelle wird dort näm-

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pro gagiis suis heißt es regelmäßig. Dem Leser, der sich die Mühe macht, nachzurechnen, wird auffallen, daß sich die Kammer irgendwo eines geringfügigen Rechenfehlers schuldig gemacht hat. Das Folgende nach Marseille, Arch. dep., Β 1519 f. 104r-106r. Vgl. Kap Π,4. Sie finden sich in der Enquete Roberts I. eingehend beschrieben (Marseille, Arch, dep., Β 1044 f. 27r-32v, überschrieben: Informatio super iuribus regiis civitatis Avin.). Vgl. auch BARATIER, Enquetes (Introduction), S. 35 ff.

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Die Quellen

lieh nicht erwähnt. Ich meine die Mieteinnahmen aus dem ausgedehnten städtischen Grundbesitz des Königs. In der Enquete ist dieser sehr ausfuhrlich verzeichnet1, jeweils mit Angabe des Mieters, der Lage der jeweiligen Immobilie und schließlich dem vereinbarten Mietzins2. Am höchsten war die Miete für die drei Mühlen, die ebenfalls im Besitz des Königs waren3. Die aus Mieteinnahmen erzielten Einkünfte finde ich in den Hauptbüchern nicht erwähnt, man muß annehmen, daß sie irgendwo gesondert abgerechnet worden sind. Leider erfahrt man nicht, welche Höhe die von der Stadt selbst erhobenen Abgaben erreichten, selbst über die Art der Abgaben ist nur wenig bekannt. Die wichtigste Einnahmequelle war offenbar die an den Stadttoren erhobene Maut auf eingeführte Waren; auch hier ist also indirekt der Konsum bzw. der Verkehr besteuert worden. Die beiden erhaltenen Tarife, der ältere von ca. 1310, der neuere von 13974, zeigen sehr deutlich den Aufschwung, welchen der Avignoneser Handel in Folge der Anwesenheit der Kurie genommen hatte. Während der ältere Tarif - er stammt noch aus der Zeit vor der Ansiedlung der Kurie - sich auf die Besteuerung von Nahrungsmitteln, Vieh und einer geringen Anzahl von Konsumgütern beschränkt, bietet der neuere eine Vielzahl der verschiedenartigsten Konsum- und Luxusgüter, die nach Qualität und vor allem nach Herkunftsorten unterschieden werden - so gibt es etwa eigene Tarife für Waren aus Mailand oder Florenz.

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Marseille, Arch, dep., Β 1044 f. 2r-20v. Diese Zusammenstellung weist in der Anlage große Ähnlichkeit mit dem „terrier" des Bischofs Anglicus Grimoardi auf (ed. HAYEZ, Terrier). Marseille, Arch, dep., Β 20v: De molendinisporte Aurose etportalisMatharoni. Ed. PANSIER, Gabelles, S. 38 f. und S. 40 ff.

11,3. Die verschiedenen Währungen Kursschwankungen 1 Der große Einzugsbereich der Apostolischen Kammer brachte es mit sich, daß Münzen ganz Europas nach Avignon flössen, deren Wertrelation zueinander von den Kammerbeamten zu ermitteln war. Diese Relation wurde durch das Schrot und Korn der einzelnen Münzen bestimmt, also ihr Gesamtgewicht und ihren Feingehalt an Edelmetall. Da die Inhaber der Münzstätten, die Monarchen und Landesherren, ihre finanziellen Probleme gern durch Münzverschlechterungen, also einen geringeren Edelmetallgehalt der Münzen, zu lösen suchten, war die Wertrelation der Münzen zueinander Schwankungen unterworfen; diese waren allerdings, verglichen mit heutigen Währungsturbulenzen, vergleichsweise langsamer Natur. Als fester Punkt, von dem aus sich die einzelnen Währungen gleichsam eichen lassen, bietet sich der florenus Florentiae, der Florentiner Goldgulden an, eine Münze, die während des gesamten Untersuchungszeitraums (und noch weit darüber hinaus) in gleichem Gewicht und Feingehalt ausgebracht worden ist2. Sie war auch die Münze, welche von der Kammer am häufigsten benutzt worden ist. So werden in den Hauptbüchern die Summen der einzelnen Auszahlungen nicht nur in der vom Einkäufer vor Ort gezahlten Silbermünze genannt, sondern meist folgt die gleiche Summe noch einmal in Floren, manchmal auch in einer anderen Währung; dies ist der Betrag, den der Einkäufer zur Erstattung seiner Auslagen zurückerhalten hat. Auch die Kammer selbst hat ihre Einkünfte größtenteils von in Avignon ansässigen Geldwechslern (campsores) in Floren umwechseln lassen3 - soweit dies nicht bereits durch die Kollektoren geschehen war4 - ; daß sie es nicht mit allen Einnahmen so gemacht hat, er1

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Das Geld im allgemeinen wie auch im Mittelalter im besonderen ist Gegenstand einer immensen Literatur, von der ich nur einen Bruchteil kenne (merkwürdigerweise fehlt das Stichwort im Lexikon des Mittelalters). Mit Gewinn herangezogen habe ich Bloch, Esquisse, S. 48 ff.; Miskimin, Money; SPUFFORD, Money; Braudel, Sozialgeschichte 1, S. 475 ff., bes. S. 507 ff; immer noch sehr anregend ist Sombart, Kapitalismus 1,1, S. 398 ff. Dabei ist noch zu bedenken, daß Münzen auch einer natürlichen Abnutzung durch langen Gebrauch unterlagen. In den Hauptbüchern wird nicht selten zwischen dem florenus boni ponderis und dem florenus parvi ponderis unterschieden, letzterer ist eine so stark abgegriffene Münze, daß sie nicht mehr als vollwertig gerechnet wurde. So geschah er etwa dem Hamburger Prokurator in Avignon, daß er mindergewichtige Münzen zurückgeschickt bekam und durch vollgewichtige ersetzen mußte (vgl. SCHRÄDER, Rechnungsbücher, S. 24* f.). Ähnlich wie die in Avignon tätigen Händler waren auch die Geldwechsler gehalten, nur solche Gewichte zu benutzen, die der päpstliche Justizmarschall mit einem signum curie versehen hatte. Daß solche Vorschriften ebenso ernst wie heutige Geschwindigkeitsbegrenzungen genommen worden sind, beweist eine am 5. Nov. 1328 erfolgte Überprüfung durch drei päpstliche Notare. Von 43 überprüften Wechslern hatten 36 falsche Gewichte benutzt. Vgl. MOLLAT, Changeurs, S. 272, mit Edition des Untersuchungsberichts auf S. 273 ff. MOLLAT, Proces, S. 216 f. weist daraufhin, daß die päpstlichen Kollektoren hier eine schwer zu entdeckende Möglichkeit hatten, ihren Auftraggeber zu betrügen, indem sie nämlich bei der Kammer und bei den Steuerzahlern verschiedene Wechselkurse berechneten.

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Die Quellen

klärt sich daraus, daß man an der Kurie Wert darauf legte, kleinere Mengen auch anderer Währungen vorrätig zu haben, unter anderem auch deshalb, um die auswärtigen Einkäufer mit der am Einkaufsort nötigen Währung versehen zu können. Der Floren war auch das Vorbild für die von den Päpsten selbst geprägte Goldmünze, den Kammergulden (florenus de camera)·, die kurialen Münzmeister haben ihn im gleichen Gewicht und Feingehalt wie den Floren ausgebracht1. Der Kammergulden ist aber nur in relativ geringen Mengen geprägt worden, lediglich als Rechenmünze sollte er Bedeutung erlangen. Erst unter Urban V. tritt hier eine Veränderung ein, indem an die Stelle des Florentiner Goldguldens als vorherrschender Währung derflorenusfortis Auraycensis (auch florenus de grayleto oder florenus de cornu genannt) tritt, eine Prägung aus Orange2. Der Wert des florenus fortis, wie er meist abgekürzt genannt wird, lag geringfügig unter dem des Florentiner Guldens3. Außerdem ist anscheinend das Gewicht des Kammerguldens geringfügig erhöht worden, so daß er etwas wertvoller als der Florentiner war. Beispielsweise wird im dritten Pontifikatsjahr Urbans V. in den Hauptbüchern der Wert eines Kammerguldens mit 26, der eines Florentiner Guldens mit 25 und der eines florenus fortis mit 24 Avignoneser Solidi angegeben4. Auch weiterhin aber sind der Florentiner, der Kammergulden und in geringerem Maße auch andere Münzen neben dem Florenus fortis von der Kammer benutzt worden. Man hat es hier zeitweise mit drei fast (aber nur fast) gleichwertigen Guldentypen zu tun. Aber schon von Urbans drittem Pontifikatsjahr an (1364/65) wurde der florenus fortis dann nahezu völlig vom Kammergulden abgelöst5. Auch werden von Urbans dritten Pontifikatsjahr an Kammergulden und Florentiner wieder als gleichwertig gerechnet. Unter Gregor XI. dagegen hatte der Kammergulden dann wieder einen etwas höheren Wert als der Florentiner; die Kammer rechnete 28 sol. für einen Kammergulden, 27,5 für einen Florentiner Gulden, und 24 sol. für den florenus communis (der frühere florenus fortis).

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Über die Münzprägungen der Päpste in Avignon vgl. FAVIER, Finances, S. 198 ff., BOMPAIRE, Monnaie, S. 139 ff. (dort die ältere Literatur); Abbildungen bei BALUZE/MOLLAT, 1, S. 585 ff. Zu den in Avignon gängigen Münzsorten vgl. noch Sicard, Importance, S. 62 ff.

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V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 9 * f.; SPUFFORD, H a n d b o o k , S. 1 8 4 ff.

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In den Tabellen sind die in florenus fortis angegebenen Summen jeweils in den Florentiner umgerechnet. So SCHÄFER, VQ 2, S. 58* f. mit Bezug auf die offizielle Tabula valoris monetarum (ed. KIRSCH, Rückkehr, S. 271 ff. zu 1365-1370). Schäfer und Kirsch gehen allerdings nur von den schriftlichen Quellen aus. Ob der Kammergulden tatsächlich ein höheres Gewicht als der Floren hatte, muß ich offen lassen. Manches deutet darauf hin, daß dem nicht so war. Beispielsweise findet man in IE 318 f. 76r von 1365 Nov. 30 für einen Spezereieneinkauf in Avignon den Kurs des Kammergulden mit 26 sol. angegeben, aber schon einen Monat darauf (IE 316 f. 76v-77r von 1365 Dez. 7) für einen Getreidetransport aus Tarquina (also aus Italien) einen Kurs von nur 25 sol. (auf einen ähnlichen Fall weist SCHÄFER, VQ 6, S. 187 Anm. 1 hin). Es fehlt leider an einer Arbeit zum päpstlichen Münzwesen, welche geldgeschichtliche und numismatische Fragestellungen vereinen würde. Vgl. noch SPUFFORD, Handbook, passim. Dazu siehe unten.

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Die verschiedenen Währungen

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Bei ihren Einkäufen zahlten die Einkäufer kleinere Beträge jeweils in der lokalen Silbermünze, meist in Münzen, die in Form von Denaren geschlagen waren. Verbreitet waren auch Oboli, die einen halben Denar wert waren. Die Solidi und Libre waren dagegen lediglich Rechnungsmünzen. Das gilt sowohl für die Ausgaben innerhalb Avignons wie für die außerhalb. Größere Einkäufe bezahlte man in schwergewichtigen Silbermünzen, den grossi, hier ist vor allem der große (bzw. dicke) Tournose {turonensis grossus)1 zu nennen, eine französische Prägung, welche - als Silbermünze - während des Untersuchungszeitraums eine ähnliche Stabilität an Gewicht und Feingehalt aufweist wie der Floren als Goldmünze. Da das Verhältnis des großen Tournosen zum Floren während des gesamten Untersuchungszeitraum nur ganz geringen Schwankungen unterlag, kann man ausschließen, daß Kursschwankungen anderer Silbermünzen gegenüber dem Floren etwa auf generelle Veränderungen des Goldgegenüber dem Silberpreis zurückzuführen sind. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums war in Avignon selbst der Viennenser (moneta Viennensis) die gängige Silbermünze2, er wurde auch moneta parva genannt. Ursprünglich aus Vienne stammend und dort seit spätkarolingischer Zeit von den Erzbischöfen geprägt, wurde er im 14. Jahrhundert vor allem in savoyischen Münzstätten geschlagen. Daß er in Avignon und großen Teilen der Provence die vorherrschende Währung war, ist immerhin erstaunlich, da Karl I. als Graf der Provence in seinen eigenen Münzstätten den kleinen, wie den großen Tournosen {turonensis parvus bzw. grossus), also die normale französische Landeswährung, nachprägte. Nachdem er und seine Nachfolger zu Königen von Sizilien-Neapel aufgestiegen waren, gingen sie zu eigenen Prägungen über3, und zwar auch in Avignon selbst, wo sie eine Münze betreiben ließen4. Im Verlaufe des Pontifikats Johannes' XXII. nahm der Wert des Viennensers beständig ab5. Während sein Kurs zum Floren 1316 noch 16-17,5 sol. betragen hatte, war er 1328 schon auf 26 sol. gesunken. Rapide abwärts ging es in den beiden folgenden Jahren. 1329 erreichte der Viennenser einen Tiefstand von 33 sol. Dies blieb nicht ohne Auswirkungen. Im 14. Pontifikatsjahr, ab dem 13. Juli 13306, stellten die

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V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 2 2 * ff.; SPUFFORD, H a n d b o o k , S . 1 8 4 ff.

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Zum Viennenser SCHÄFER, VQ 2, S . 128* f.; SPUFFORD, Handbook, S . 128 ff.; vgl. auch BARATIER, Atlas, Karte 105: Les ateliers monetaires. Einen Eindruck von der Münzpolitik der Anjou-Könige vermittelt ein Schreiben des Erzbischofs von Arles (ed. ALBANES, GCN 7, S. 321 n. 1071 von 1322 Sept. 17), wo dieser sich bei König Robert darüber beschwert, daß Robert seinem Vikar in Avignon verboten habe, anderes Geld als sein eigenes (also Roberts), das des Papstes und das des französischen Königs anzunehmen. Vgl. ROLLAND, Monnaies, S. 36 f. Demnach hat Karl I. in Avignon eine Münzstätte errichten lassen, wo kleine und große Tournosen geprägt wurden. Von 1298 bis 1330 wurde die Münze nach St.-Remy verlegt, war dann von 1330 bis 1339 wieder in Avignon, kehrte dann wieder nach St Remy zurück, wurde 1343 wieder nach Avignon verlegt und blieb dort bis zum Verkauf der Stadt an den Papst. Vgl. zum folgenden die Kurstafeln bei SCHÄFER, VQ 2, S. 895 ff. und SPUFFORD, Handbook, passim IE 98 f. 44v.

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Die Quellen

Einkäufer ihre Zahlungen auf den kleinen Toumosen1 oder den gleichwertigen Coronatus um, jener die französische Landesmünze, dieser eine Prägung der Grafen der Provence. Freilich dürften die Einkäufer diese Umstellung nicht ganz freiwillig vorgenommen haben. Es hat sich wohl so verhalten, daß die örtlichen Händler den Viennenser nicht mehr akzeptierten, statt dessen hochwertigere Währungen verlangten. Die neue Währung war wesentlich hochwertiger als der Viennenser: der Kurs zum Floren lag bei 13-14 sol. Aber auch dies sollte nicht von langer Dauer sein: schon gegen Ende des 16. Pontifikatsjahrs erfolgte die nächste Umstellung. Ab dem 31. Juli 1332 wurde in einer neuen Währung abgerechnet, der moneta parva Avenionensis2. Es handelte sich um eine päpstliche Prägung, die in der päpstlichen Münzstätte in Sorgues geschlagen wurde3. Ihr Kurs lag erheblich unter dem Coronatus. Anfangs galten 26-27 sol. einen Floren. Damit aber entsprach er recht genau dem ursprünglichen Wert des Viennensers, der offenbar als Vorbild gedient hatte. Dann aber - ab dem 15. Juni 1334 (18. Pontifikatsjahr) - stellten die Einkäufer noch einmal auf den Coronatus um4. Er blieb bis zum Ende des 5. Pontifikatsjahres Benedikts XII. (1339/40) vorherrschend. Dann aber stellten die Einkäufer abermals auf die moneta Avenionensis um5. Der Grund für die Umstellung ist offenbar in einem rapiden Kursverfall des Coronatus während des Jahres 1339 zu suchen. Zu Beginn des Jahres waren 16 Solidi auf einen Floren gerechnet worden; im weiteren Verlauf des Jahres fiel der Kurs des Coronatus erst auf 17 Solidi, dann auf 18 Solidi 6 Denare, auf 19 Solidi, auf 20 Solidi; am Jahresende schließlich betrug der Kurs 20 Solidi 6 Denare6. Im Jahr darauf setzte sich der Kursverfall weiter fort, gegen Ende des Pontifikatsjahres lag er schließlich bei 27,5 sol. für einen Floren7. Die moneta Avenionensis sollte bis zum Ende des Untersuchungszeitraums vorherrschend fur Einkäufe in Avignon sein8. Bis 1344 hatte sie sich auf ein stabiles

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V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 2 1 * f.; SPUFFORD, H a n d b o o k , S. 1 7 2 ff.

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IE 565 f. 49r. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 73* f.; SPUFFORD, Handbook, S. 122 ff. Sie wird auch moneta currens genannt. Über die päpstliche Münze vgl. zuletzt BOMPAIRE, Monnaie, S. 139 ff., dort die ältere Literatur. Die Päpste hatten hier die Münzstätte der Grafen von Toulouse übernommen. Nach dem Kauf Avignons durch Clemens VI. wurde die Münzstätte nach Avignon verlegt. IE 143 f. 27v. Die Umstellung erfolgte mit dem Wechsel von IE 178 (5. Pontifikatsjahr) auf IE 185 (6. Pontifikatsjahr). Ich folge hier der Kladde des päpstlichen Lebensmitteleinkäufers, IE 179 f. 6r von 1339 Jan. 29, 16v von März 19, f. 41 ν von Juli 2, f. 44v von Juli 16, f. 60v von Sept. 24, f. 83v von Dez. 17. Ich folge hier den Hauptbucheinträgen der Küche (IE 185 f. 49r-57v). Vgl. auch SCHÄFER, VQ 3, S. 124 Anm. 1 und S. 125 Anm. 1. Möglicherweise hat es neben der päpstlichen noch eine eigene bischöfliche Münzstätte gegeben. Darauf weist ein Diplom Kaiser Karls IV. für den Bischof Anglicus Grimoardi hin (Böhmer-Huber n. 7158 ed. ALBANES, GCN 7, S. 395 n. 1415 von 1365 Mai 27), wo diesem gestattet wird - nicht in Avignon - wohl aber in Barbentane, Noves und anderen Orten des Bistums Münzen zu schlagen. Sonderliche Bedeutung hat diese Münze - wenn es sie denn gegeben hat - aber nicht gewon-

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Die verschiedenen Währungen

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Verhältnis zum Floren von 24 sol. eingependelt. Dies blieb bis 1360 so; dann setzte ein sehr langsamer Prozeß der Entwertung ein: bis 1375 sank der Kurs auf 27,5 sol. Was die Einkäufe außerhalb Avignons betrifft, waren die Verhältnisse von Ort zu Ort verschieden, hier seien nur einige Punkte allgemeiner Bedeutung erörtert. Sehr verbreitet als Zahlungsmittel war der kleine Tournose, nicht nur in Frankreich, sondern auch bei Einkäufen östlich der Rhone, also in der Provence, wenn auch nicht in Avignon selber. Bei Einkäufen etwa in Marseille und Martigues hat man ihn oft benutzt. Anders aber als bei seinem dicken Kollegen schwankt der Kurs des kleinen Tournosen erheblich; vor allem die Jahre um 1328-30, um 1339-41 und 1348-1355 waren ausgesprochene Schwächeperioden. Dieser Kursverfall gerade der Silbermünze, also des für alltägliche Einkäufe gebrauchten Zahlungsmittels, ist noch von weitergehender Bedeutung. Betrachtet man die Lebensmittelausgaben, so fallt auf, daß die Einkäufer ihre Auslagen nur selten in derselben Währung zurückerhielten, in der sie selbst die Waren bezahlt hatten. Jedesmal also mußte ein Kammerkleriker die mühsame Arbeit auf sich nehmen, den falligen Betrag von einer Währung in eine andere umzurechnen1. Ersetzt erhielten die Einkäufer ihre Auslagen in den verschiedensten Währungen: entweder in Goldmünzen, dann zumeist dem Floren, aber auch in Silbermünzen, dann meist dem großen Tournosen. Während also der Einkäufer selbst offenbar bestrebt war, seine Einkäufe in tendenziell schlechter werdenden Silbermünzen zu bezahlen, erhielt er selbst gute vollgewichtige Münzen zurück. Dies dürfte nicht der geringste Vorzug gewesen sein, den eine Anstellung als Einkäufer des päpstlichen Hofes für den Amtsinhaber gehabt hat. Eine Auswirkung der Münzverschlechterung war, daß von derselben Münzsorte Prägungen verschiedenen Feingehalts und damit verschiedenen Wertes nebeneinander kursierten. Es ist zuweilen nicht ganz einfach zu erkennen, ob bei einem Einkauf vollgewichtige oder minderwertige Stücke einer Währung benutzt worden sind. In der Regel hat man die minderwertigen Sorten nicht mehr mit dem eigentlichen Terminus benannt, sie vielmehr als moneta debilis u. ä. bezeichnet. Bei diesen minderwertigen Sorten waren die Kursschwankungen erheblich stärker als bei den vollgewichtigen, beispielsweise schwankte der Kurs der moneta debilis Fremde - das sind minderwertige kleine Tournosen - in einem einzigen Jahr zwischen 35 und 53 sol. pro Floren2. In solchen Fällen sind Schäfers Kurstafeln zu grobmaschig; man muß dann auf die bei den einzelnen Einträgen selbst angegebenen Kurse zurückgreifen. Schäfer selbst hat diese Angaben teilweise in seine Edition aufgenommen, andere habe ich aus den Hauptbüchern selbst exzerpiert. Es muß aber betont werden, daß die Umrechnungen in Floren infolge der genannten Eigenheiten des Münzwesen mit einem gewissen Un-

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nen. Über die Privilegien Karls IV. für Anglicus Grimoardi vgl. jetzt auch VONES, Urban V., S. 332. Typisch sind hier Formeln wie ... solvi eidem Guill'o 23 lib. 16 sol. vien. in 24 jl. 8 sol. 6 den. vien. Der erstgenannte Betrag ist die Summe für die besagter Wilhelm eingekauft hat, der zweite nennt das Geld, welches er von dem Kammer zurückerhielt. So bei SCHÄFER VQ 3, S. 238 f. (zweites Pontifikatsjahr Clemens' VI., 1343/44).

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Die Quellen

Sicherheitsfaktor behaftet sind, indes geht es bei dieser Arbeit weniger um absolute als vielmehr um relative Genauigkeit. Die zwei Körper des Geldes. Von der Münze zum Rechengeld In der Buchhaltung der Kammer hat der Floren - wie bereits dargelegt - gleichsam die Rolle einer Leitwährung gespielt. Hier tritt gegen Ende des Untersuchungszeitraum eine wichtige Veränderung ein; man kann sie als den Übergang vom realen zum abstrakten Geld benennen. Die Anfange dieses Prozesses waren unscheinbar. Beim Umrechnen von einer Währung in die andere pflegten die Buchhalter nicht nur die jeweilige Geldsumme erst in der einen, dann in der anderen Währung zu nennen, sondern auch den Kurs, das Wertverhältnis der einen Währung zur anderen, anzugeben. Wenn also beispielsweise ein Einkäufer χ kleine Tournosen ausgelegt und ihm die Kammer diesen Betrag in y Floren ersetzt hatte, pflegte der zuständige Buchhalter zusätzlich anzugeben, daß ein Floren gleich ζ kleinen Tournosen gerechnet worden war. Allmählich bürgerte es sich ein, das Verhältnis beider Währungen nicht mehr direkt, sondern in Bezug auf eine dritte anzugeben; diese dritte war durchgängig die moneta Avenionensis, nicht mehr eine fremde, sondern ein päpstliche Münze. Der Buchhalter hat seither - um bei unserem Beispiel zu bleiben - angegeben, daß ein Floren gleich χ und ein kleiner Tournose gleich y Avignonenser Denaren oder Solidi gerechnet worden war. Man kann den Übergang nicht genau datieren, da es sich dabei um einen allmählichen Prozeß gehandelt hat; er beginnt etwa gegen Ende des Pontifikats Innozenz' VI. Der Maßstab, den die kurialen Buchhalter also bei ihren Kursberechnungen anlegten, war nun nicht mehr der Floren, sondern eine eigene Prägung. Dies war aber noch nicht das Ende. Bekanntlich hat die Kurie nicht nur eine Silbermünze, sondern - schon seit 1322 - auch eine Goldmünze, den Kammergulden, prägen lassen. Allmählich sind die Buchhalter dazu übergegangen, die Endsummen der einzelnen Transaktionen, d. h. die ein- oder ausgezahlten Beträge, die im Hauptbuch auf der rechten Blattseite stehen und die dann als Summand in die Endsumme der einzelnen Titel- und Jahressummen eingeflossen sind, nicht mehr in den real ein- oder ausgezahlten Münzen einzutragen, also nicht mehr χ Floren oder y kleine Tournosen, sondern den Gegenwert dieser Münzen in Kammergulden. Es ist nicht bekannt, in welchen Mengen die Kurie den Kammergulden hat prägen lassen; die Quantitäten können aber nicht groß gewesen sein, denn woher hätte die Kurie das nötige Gold nehmen sollen1? Der Kammergulden existierte also gleichsam in zweifacher Gestalt: einmal als real existierende Münze, zum anderen als reine Recheneinheit. Damit war der Übergang von der realen zur fiktiven Buchung vollzogen. Am Ende eines Einzeleintrages trug der Buchhalter nun nicht mehr die real ein- oder ausgezahlte Münzsorte ein, sondern ihren Gegenwert in Kammergulden. Beträge, die kleiner als ein Floren waren, hat man in Avignonesern

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Bezeichnend ist der Eintrag bei SCHÄFER, VQ 6, S. 271 von 1369 Aug. 14, wo alte Münzen aus dem Schatz zusammengesucht werden, um damit neue Kammergulden prägen zu lassen. Eine ähnliche Aktion beschreibt HOBERG, Inventare, S. Χ Χ Ι Π .

Die verschiedenen Währungen

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berechnet; auch diese Münze war dann lediglich Rechnungsmünze1. Dieser Eintrag, der nach Floren und Avignonesern rechnete, war es, der dann in die Endsummen einfloß. Am Ende eines Monats, eines Jahres oder eines Titels trug der Buchhalter nun nicht mehr eine lange Reihe von χ Gulden, y Dukaten, ζ Franken u. s. w. ins Hauptbuch ein, sondern lediglich eine Gesamtsumme in Kammergulden. Ganz konsequent ist dieses System erst nach und nach durchgeführt worden. Eine Zeitlang hat die Kammer größere Beträge in Floren oder (französischen) Franken, also Beträge in besonders gängigen Münzsorten, auch weiterhin noch in der bisherigen Art gebucht. Wieder läßt sich der Übergang nicht genau datieren, da er fließend erfolgte: er begann im dritten Pontifikatsjahr Urbans V. (1364/65) und war bis zum Beginn des fünften Pontifikatsjahr Gregors XI. (1375) vollendet. Die ersten Hauptbücher, in denen dieses System völlig durchgeführt ist, sind IE 343, das systematische Buch aus Gregors fünftem Pontifikatsjahr, und IE 342, das chronologische aus dem gleichen Jahr. Man kann diesen Übergang an den erhaltenen Hauptbüchern2 und Quittungsurkunden recht gut verfolgen, bei denen Innozenz' VI. findet man noch eine lange Aufzählung verschiedener Münzsorten, bei Gregor XI. dagegen zu Anfang nur noch drei oder vier und später nur noch Kammergulden3. Aber, während die frühere Aufzählung der jeweiligen Menge, die von den einzelnen Münzsorten vorhanden war, immer noch real eingenommene oder ausgegebene Münzen festgehalten hatte, war die jetzige Summe in Kammergulden eine reine Rechengröße, gleichsam abstraktes Geld. Geld hatte sich somit aus einer bestimmten Menge real vorhandener Münzen in eine reine Wertangabe verwandelt. Dem Leser dieses Kapitels wird die Anspielung auf Kantorowicz' großes Werk nicht entgangen sein4; die Analogie scheint mir evident. So wie die zeitgenössischen Theologen zwischen den zwei Körpern Christi unterschieden - zwischen corpus naturale und corpus mysticum5 konnte nun auch der päpstliche Buchhalter zwischen realer Münze und Rechengeld unterscheiden6. Bemerkenswerterweise fand dieser Wandel in der päpstli-

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Ein typischer Eintrag der neuen Art lautet etwa: soluti fuerunt ...10 flor. comm., valent computando ut supra - 8 flor. cam. 16 sol. (mon. Avin) oder 400franci valentes 428fl. cam. 16 sol. (mon. Aviti). Schäfers Edition läßt einen hier leider völlig im Stich, weil er bei den Einzeleinträgen entweder nur den real bezahlten Betrag angibt oder die Umrechnung in Kammergulden, aber nicht beide zusammen. Besser geeignet sind die von KIRSCH, Rückkehr, edierten Auszüge. Bei Urban V. (S. 4 ff.) findet man bereits Einzeleinträge, deren Summen in Kammergulden angegeben werden, aber noch vermischt mit anderen. Dagegen haben bei Gregor XI. (S. 170 ff.) die Einzeleinträge durchgängig Summen in Kammergulden. Daß die Kammer der Avignonesischen Obödienz nach Ausbruch des Schismas diese Berechnungsmethode beibehalten hat, zeigt FAVER, Introitus, S. 292 ff. KANTOROWICZ, Die zwei Körper des Königs. Vgl. KANTOROWICZ, Körper, vor allem S. 206 ff. Ich will diese Analogie nicht weiter ausführen, erwähnt sei lediglich, daß Kantorowicz (S. 213 f.) den Theologen Bonifaz' VIII. eine entscheidende Rolle bei dem Prozeß zuweist, in dem diese Terminologie aus dem herkömmlich liturgischen Bereich herausgelöst und in den politischen ein-

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Die Quellen

chen Buchhaltung zu einer Zeit statt, in der reales Geld in den päpstlichen Truhen immer seltener und der Pontifex immer abhängiger von auswärtigen Kreditgebern wurde. Fragt man nach dem Urheber dieser Veränderung, wird man zunächst an den Kämmerer oder den Thesaurar denken. Einige Wahrscheinlichkeit spricht für den Kämmerer, also fur Petrus de Gros. Er hat der Buchhaltung erheblich größere Aufmerksamkeit als seine Vorgänger gewidmet. Vor allem aber deutet eine Beobachtung Faviers in diese Richtung1, daß nämlich bei den Quittungen der Kammer, welche nach Ausbruch des Schismas sowohl vom Kämmerer als auch vom Thesaurar ausgestellt worden sind, nur die des Kämmerers die Doppelberechnung in realen Münzen einerseits und Kammergulden andererseits aufweisen. Zum Zwecke des Vergleichs wäre es interessant zu wissen, ob und ab wann in der Buchführung vergleichbarer Institutionen - man denke etwa an die großen Florentiner Handels- und Bankhäuser oder die staatlichen Verwaltungen - der gleiche oder ein ähnlicher Schritt getan worden ist. Soweit sich das aufgrund der durchgesehenen Literatur sagen läßt, scheint die Kurie hier führend gewesen zu sein.

gefügt worden ist. Es ist vielleicht kein Zufall, daß Bonifaz auch der erste Papst ist, unter dem sich eine geordnete Buchführung nachweisen läßt. 1

FAVIER, Finances, S. 80.

11,4. Maße und Gewichte Will man sich ein zutreffendes Bild von den eingekauften Quantitäten machen, so ist ein Umrechnen der mittelalterlichen in die modernen Maßeinheiten nötig. Hierzu sind zwei Schritte erforderlich: Zunächst muß das relative Verhältnis der alten Maßeinheiten zueinander bestimmt, dann ihr Umrechnungskurs in die entsprechenden modernen Einheiten ermittelt werden. In den Hauptbüchern hat man normalerweise die Avignoneser Maßeinheiten zugrunde gelegt; wo dies nicht der Fall ist, wird im allgemeinen zunächst das Maß des Einkaufsortes angegeben, sodann der Umrechnungskurs in Avignoneser Maße. Dies erleichtert unsere Aufgabe insofern, als wir uns weitgehend auf die Maße von Avignon beschränken können. Zur Ermittlung des relativen Verhältnisses der Avignoneser Maße gibt es mehrere Wege, sie seien kurz resümiert1: Zunächst findet man in den schriftlichen Quellen - in diesem Falle in den Hauptbüchern - zuweilen Angaben über das relative Verhältnis der Maßeinheiten zueinander. Bereits Schäfer hatte begonnen, diese Belege zusammenzustellen2, und hat sie in sein Glossar eingearbeitet3. Ich habe sie übernommen und durch weitere Belege sowie die seither erschienene Literatur4 korrigiert und ergänzt und schließlich in das unten folgende Glossar der Maße und Gewichte aufgenommen. Auf dieses sei generell verwiesen, die folgenden Ausführungen sollen lediglich die Quellengrundlage verdeutlichen und einige Unklarheiten klären. Aus vielen provenzalischen Städten sind die Eichmaße erhalten - normalerweise waren sie öffentlich in den Rathäusern ausgestellt. Diese Maße hat Machabey in einem grundlegenden Werk ausgewertet5 und die Einheiten in tabellarischer Form zusammengestellt. Leider sind diese Eichmaße gerade fur Avignon nicht erhalten. Immerhin gewinnt man so ein Bild über die Maße der Avignon benachbarten Städte6. Mit der Einführung des metrischen Systems in Frankreich, die endgültig im Jahre 1840 erfolgte, wurde es nötig, die alten, vorrevolutionären Maße in die neuen umzurechnen; zu diesem Zweck sind seinerzeit in vielen Departements offizielle oder halboffizielle Umrechnungstabellen publiziert worden. Sie geben so nicht nur die relativen Verhältnisse der Maßeinheiten am Ende des Ancien Regime zueinander, sondern ermöglichen zugleich ihre Umrechnung in moderne Maße. Für das Departement Vaucluse hat - nach mehreren unbefriedigenden Versuchen - im Jahre 1842 B. Niel 1

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Zu den methodischen Problemen und Unsicherheitsfaktoren vgl. DIRLMEER, Untersuchungen, S. 27 ff. Schäfer beabsichtigte, diese in einer separaten Publikation in Tabellenform zu veröffentlichen (vgl. SCHÄFER, VQ 6, S. XTV), wozu es leider nicht mehr gekommen ist. Einiges Material, allerdings für Italien, ist eingearbeitet in SCHÄFER, Deutsche Ritter, Bd. 3, S. 74 ff.

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SCHÄFER, V Q 6 , S. 8 4 3 ff.

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An Spezialstudien seien genannt BLANCARD, Marcs (über das Gewicht der Mark von Avignon, vgl. dazu aber SCHÄFER, VQ 2, S. 41* ff.) und COLOMBE, Recherches 15 (über die Längenmaße von Avignon). MACHABEY, Metrologie, passim. Für diese vgl. auch STOUFF, Ravitaillement, S. 334 ff., der auf Avignon aber ebenfalls nicht eingeht.

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Die Quellen

die definitiven Tafeln publiziert; sie sind 1907 von Leopold Duhamel, dem verdienten Leiter des Departementalarchivs, neu herausgegeben und um eigene Forschungen ergänzt worden1. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Maße des 18. Jahrhunderts noch denen des 14. entsprochen haben. Nach einem Vergleich der Tafeln mit dem genannten Quellenmaterial läßt sie sich dahingehend beantworten, daß sowohl die Termini der einzelnen Maße2 als auch ihr relatives Verhältnis zueinander weitgehend übereinstimmen. Eine letzte Quelle sei noch erwähnt: der Stadtrat von Avignon selbst hat in seinen Statuten Bestimmungen über die in der Stadt gültigen Maße und Gewichte erlassen. Die Statuten stammen in der erhaltenen Form aus dem Jahre 12463, waren aber noch im 14. Jahrhundert gültig. Ihnen zufolge unterlagen die im Handel verwandten Maße und Gewichte der städtischen Kontrolle. Es gab öffentliche ponderatores, von denen Käufer und Verkäufer ihre Waren nach den städtischen Einheiten nachmessen lassen und auswärtige Händler die Mengen ihrer Waren von den heimischen in die Avignoneser Einheiten umrechnen und umwiegen lassen konnten4. Auch die päpstlichen Einkäufer haben nötigenfalls die von ihnen eingekauften Waren in Avignoneser Maße umrechnen lassen . Die Eichmaße waren öffentlich ausgestellt und wurden mehrmals im Jahr nachkontrolliert6. Händler waren gehalten, ein mit dem signum communis versehenes Gefäß zum Abmessen zu gebrauchen7. Auch der Stadtherr ließ Maße und

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Tables. Sie werden freilich in den Quellen in lateinischer Sprache bzw. in einem oberflächlich latinisierten Okzitanisch gegeben, in den Tafeln von NIEL/DUHAMEL dagegen auffranzösisch.Die Übereinstimmungen sind aber offensichtlich. Eine weitgehende Kontinuität der Maßeinheiten vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert nimmt für den oberdeutschen Raum DIRLMEIER, Untersuchungen, S. 577, an. Vgl. Kap. ΙΠ,2. D E M A U L D E , Coutumes, S. 152, § 53 und S. 178, § 94. In einer Urkunde König Roberts von 1319 Nov. 30 (ed. D E MAULDE, Coutumes, S. 312 n. 32) wird der städtische Clavarius angewiesen, neben dem königlichen Palast ein Haus mit öffentlicher Waage einzurichten. Erhalten ist noch ein Inventar dieses Hauses aus dem Jahre 1347 (ed. GIRARD/PANSIER, Cour temporelle S. 71 n. 11), wo die Normalgewichte beschrieben sind. Die Benutzung dieser Waage war gebührenpflichtig und die daraus erzielten Einnahmen sind an den gräflichen Clavarius abgeführt worden (Marseille, Arch, dep., Β 1731 f. 3v von 1328 Juni-Okt). Aus späterer Zeit ist noch die Verpachtungsurkunde fur ein Jahr an den Avignoneser Kaufmann Jean Teisseire (ed. GIRARD/PANSIER, Cour, S. 75 n. 12,3 von 1363 Jan. 7) erhalten. Ober Jean Teisseire - „l'Avignonnais de l'epoque pontificale le mieux connu" - vgl. HAYEZ, Patrimoine, S. 427 ff. (mit der älteren Literatur). Die Kosten dafür sind in den Hauptbüchern aktenkundig geworden. Vgl. ζ. B . SCHÄFER, VQ 3, S . 28 von 1335 Nov. D E M A U L D E , Coutumes, S. 177, §92. D E MAULDE, Coutumes, S. 1 7 6 , § 9 0 . Auch die Neufassung der Statuten von 1 4 4 1 enthält eine analoge Vorschrift (ed. GIRARD/PANSIER, Statuts, S. 1 8 6 , § 8 2 - 8 5 ) . NIEL/DUHAMEL,

Maße und Gewichte

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Gewichte überwachen; so hatte der königliche Clavarius in seinen Amtsräumen ebenfalls Eichmaße zur Verfügung1. Die in den Hauptbüchern am meisten verwandte Maßeinheit ist der Saum (lateinisch sauma oder sagma, französisch „saumee" oder „salmee", deutsch auch „Sümer" oder „Ohm")2, eine in ganz Europa verbreitete Einheit3. Ihre Umrechnung in moderne Einheiten wird dadurch erschwert, daß der Saum in eigenartiger Weise zwischen Hohlmaß und Gewicht oszilliert. Das ist leicht zu erklären. Ursprünglich hatte Saum die Last bezeichnet, die ein „Saum"-tier tragen konnte, und diese Last konnte ebenso als Gewicht wie als Volumen aufgefaßt werden4. Die Kammer hat sowohl Getreide als auch Wein nach Saum gemessen: da sich beide durch ihr spezifisches Gewicht unterscheiden, bezeichnet der Terminus Saum unterschiedliche Quantitäten und müssen beide getrennt behandelt werden. Zum Messen von Getreide war die übliche Maßeinheit in Avignon ein Hohlmaß, der Sester (sextarius), er wird auch Scheffel (emina) genannt5. Bei ihren Großeinkäufen hat die Kammer nach Säumen gerechnet, und zwar fast immer nach dem sogenannten „großen" oder „Avignoneser" Saum (sauma grossum oder sauma Avin). Auf diesen gingen zehn Scheffel, im Unterschied zum kleinen Saum (sauma parvum), welcher nur acht Scheffel enthielt. Ahnlich wird in den kommunalen Statuten differenziert6. Bei den Getreideeinkäufen, die in den Hauptbüchern der Kammer gebucht sind, hat man regelmäßig den großen Saum zu zehn Scheffeln zugrunde gelegt . Wird nach dem kleinen Saum gerechnet, was gelegentlich vorkommt, hat man das besonders vermerkt. Eine generelle Ausnahme von diesem System sind die Abrechnungen über den Haferverbrauch des Marstalls: während die Kammer bei den Einkäufen nach dem großen Saum gerechnet hat, ist der wöchentliche Haferverbrauch nach kleinem Saum gemessen, also nicht zu zehn, sondern zu acht Scheffeln8. 1

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Dies ergibt sich aus der königlichen Enquete von 1333 Okt. 19 (Marseille, Arch, dep., Β 1044 f. 33r-33v). Über den Saum vgl. generell ZIEGLER, Normen, S. 262 ff. Das gilt natürlich nur fur den Terminus als solchen. Daß die damit bezeichnete Quantität je nach Ort und Zeit sehr verschieden sein konnte, versteht sich von selbst. In Südfrankreich war der Saum auch ein verbreitetes Flächenmaß. Vgl. ZUPKO, Weights, S. 160 f. DE MAULDE, Coutumes, S. 176, § 90. Eigentlich meint emina das Gefäß, in dem ein sextarius gemessen wird. Es handelt sich also um ein Hohlmaß. DE MAULDE, Coutumes, S. 152, § 53. Dort werden Säume zu 6, 8 und 10 Scheffeln unterschieden. Ζ. B. IE 98 f. 143r (14. Pontifikatsjahr Johannes' ΧΧΠ.). Dort - bei den Wein- und Getreideeinkäufen des Almosenamtes - wird ausdrücklich vermerkt, daß das Getreide nach großen Säumen gemessen wird. Bei den Haferabrechnungen auf f. 61r wird dagegen nach dem kleinen Saum gerechnet. Bei SCHÄFER, Lebensmittelpreise, S. 229* fmdet man die Ansicht, in den Hauptbüchern sei generell beim Einkauf von Getreide nach dem großen Saum, beim Verteilen hingegen nach dem kleinen gerechnet worden. Ich kann dies aber nur bei Haferverteilungen des Marstalls belegen. In den Hauptbüchern findet man im Anschluß an den Titel Expense pro Marestalla einen weiteren mit den Expense pro avena. Aufgeführt werden nicht etwa die Geldausgaben fur Hafer, sondern

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Die Quellen

Die Getreideeinkäufe sind in den Kammerakten durchgehend nach der Anzahl der eingekauften großen Säume und Scheffel gemessen worden. Da man hier also den Saum nach einem Hohlmaß geeicht hat, kann man ihn zunächst in moderne Hohlmaße umrechnen. In Übereinstimmung mit den Tafeln bei Niel/Duhamel wird im folgenden ein Scheffel mit 25 Litern Getreide angesetzt, ein großer Saum dementsprechend mit 250 Litern, ein kleiner mit 200 Litern1. Problematisch ist dagegen die Umrechnung in die entsprechenden Gewichte. Das Verhältnis von Hohlmaß zu Gewicht ist beim Getreide keineswegs eine feste Größe. In guten Erntejahre, wenn das Getreide voll ausreifen kann, haben die Körner ein höheres spezifisches Gewicht und sind auch ergiebiger als in schlechten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rechnete man, daß ein Hohlmaß Weizen, das in guten Erntejahren bis zu 260 kg wiegt und dann ca. 200 kg Mehl und 40-50 kg Kleie ergibt, in schlechten Jahren nur 160 kg wiegt und 60-80 kg Mehl und 80-100 kg Kleie ergibt2. Generell schwankte das Gewicht eines Hektoliters Weizen zwischen 62 und 88 kg, das der gleichen Menge Roggen zwischen 65 und 80 kg. Wilhelm Abel hat zur Umrechnung von Hohlmaß auf Gewicht den Berliner Scheffel von 1800 zugrunde gelegt, wo das Verhältnis beider auf Grund von Erhebungen bekannt ist3. Die von ihm errechneten Reduktionsfaktoren für einen Liter Getreide in Kilogramm betragen für Weizen 0,7733 kg, für Roggen 0,7278 kg, für Gerste 0,5913 kg, für Hafer 0,4367 kg. Daß diese Zahlen wohl eher noch zu hoch liegen, zeigt eine Verfügung des preußischen Landwirtschaftsministeriums von 18924, wo das Mindestgewicht eines Liters Weizen auf 755 Gramm, das eines Liters Roggen auf 712 Gramm und das eines Liters Hafer auf 450 Gramm festgesetzt wird. In beiden Fällen aber handelt es sich um willkürlich festgesetzte Durchschnittswerte. Um Vergleichbarkeit zu erleichtern, habe ich mich den genannten Abelschen Reduktionsfaktoren angeschlossen. Für die erörterten Preis-Mengen Relationen ist aber zu bedenken, daß neben den offensichtlichen Preisschwankungen - daß also für einen Saum Getreide ein höherer oder niedrigerer Preis zu zahlen war - auch versteckte vorliegen können, insofern nämlich in Jahren mit schlechten Ernten nicht nur die Preise fur Getreide stiegen, sondern auch sein Gewicht und seine Ergiebigkeit abnahmen, das gleiche Volumen Getreide also weniger Gewicht und weniger Nährwert hatte. An Gewichten kannte man in Avignon den Zentner (iquintalia), den halben Zentner, das quartaironum (d. h. das Viertel einer Zentners), das medium quartaironum (das halbe Viertel eines Zentners, also ein Achtel Zentner), das Pfund (libra) und das halbe

1 2 3 4

die Hafermengen, welche wöchentlich von den Pferden und anderen Tieren verbraucht worden waren. Die Menge ist für jede Woche nach Lasten und Scheffeln angegeben und regelmäßig erwähnt: computatis octo eminispro qualibet saumata. So ζ. B. in IE 100 f. 62r (13. Pontifikatsjahr Johannes' ΧΧΠ.), IE 98 f. 61r (14. Pontifikatsjahr Johannes' ΧΧΠ.), IE 124 f. 57r (17. Pontifikatsjahr Johannes' ΧΧΠ). Siehe unten das Glossar. Ich folge hier Meyers Großem Konversationslexikon 7, 1909, S. 757 ff. Vgl. ABEL, Agrarkrisen, S. 293 f.; ihm folgt DIRLMEIER, Untersuchungen, S. 337 und passim. Zitiert in: Meyers Großes Konversationslexikon 7, 1909, S. 762.

Maße und Gewichte

69

Pfund1. Auf einen Zentner gingen hundert Pfund (manchmal auch 105). Das Pfund wurde wiederum in zwölf Unzen unterteilt. Im folgenden wird eine Unze mit 33 Gramm, ein Pfund mit 400 Gramm und ein Zentner mit 40 kg gerechnet. Sofern nichts anderes vermerkt ist, sind damit jeweils die mittelalterlichen Avignoneser Maße gemeint. Zu den Merkwürdigkeiten des mittelalterlichen Messens gehört, daß das Verhältnis der Maßeinheiten zueinander keineswegs völlig feststand. Bei den Einkäufen der Kammer hat man - wie erwähnt - den Saum zu 10 Scheffeln gerechnet. Zuweilen findet man aber 10 Ά Scheffel auf einen Saum gerechnet2. Ähnlich ist es mit dem Zentner, welcher zuweilen zu 100, zuweilen auch zu 105 Pfund gerechnet wurde3. Diese Schwankungen werden in den folgenden Ausführungen nicht berücksichtigt. Sie mögen sich daraus erklären, daß beim Umrechnen und vor allem beim Umwiegen von großen in kleine Mengen (und dem dabei nötig werdenden Umfüllen von großen in kleine Gefäße) immer ein gewisser Schwund einkalkuliert werden mußte. Eine besondere Schwierigkeit, die Quantitäten des eingekauften Weins nachzurechnen, besteht darin, daß hier zwei verschiedene Maßstäbe eine Rolle spielten. Man hat den Wein einerseits nach der Menge der eingekauften Trauben - Maßeinheit ist dann der Saum - , andererseits nach der Anzahl der mit Wein gefüllten Fässer (botae) gerechnet. Bei den Einkäufen von Säumen ist zudem oft nicht sicher zu entscheiden, ob es sich um noch unverarbeitete Weintrauben (sauma racemorum) oder um bereits gekelterten Wein (sauma vindemie) handelte - der gekelterte Wein nahm natürlich weniger Raum als die Trauben ein. Generell scheint ein Volumenverlust von einem Viertel bis zu einem Drittel beim Keltern der Trauben üblich gewesen zu sein4. Rechnet man nach der Anzahl der abgefüllten Fässer, ist damit zu rechnen, daß die Fässer von ungleicher Größe und damit auch von ungleichem Fassungsvermögen waren. Unter Johannes XXII. sind nicht einmal Durchschnittswerte zu ermitteln, unter Benedikt XII. taucht dann die Unterscheidung zwischen dem großen und dem mittleren Faß (bota grossa und bota de mena) auf5. Dabei war das große Faß die vorherrschende Einheit, das mittlere Faß, welches zwei Drittel des großen faßte6, die Ausnahme. In

1

Nach einer Urkunde König Roberts von Neapel von 1306 März 11, die den Statuten hinzugefügt worden ist (ed. DE MAULDE, Coutumes, S. 306 n. 30). Sie ist von besonderem Wert, da aus ihr eindeutig der relative Wert des quartairus (oder cartaironus), als eines viertel Zentners hervorgeht: ...tiomina vero ipsorum ponderum sunt hec, videlicet quintale, medium, quartaironum, medium quartaironum, libra, media libra, marca, bilhonum et alia minora seu inferiora pondera.

2

Ζ. B . SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 4 5 .

3

Dieses Phänomen war nicht auf Avignon beschränkt. Vgl. ZIEGLER, Nonnen, S. 262 und passim. Dies ergibt sich aus Stichproben, wo die Menge sowohl der Trauben als auch des Weins in den Büchern angegeben ist. Vgl. ζ. B. SCHÄFER, VQ 3, S. 617 von 1356 Okt. 31. Bei der Berechnung der Weinsteuer hat der Stadtrat von Avignon drei Säume Weintrauben gleich zwei Säume Wein gerechnet. Vgl. HAYEZ, Gabelles, S. 175 mit Anm. 28. SCHÄFER, VQ 3, S. 28 von 1335 Okt. 31. Diese Unterscheidung scheint italienischen Ursprungs zu sein. Vgl. RENOUARD, Recherches complementaires, S. 274.

4

5

6

So schon SCHÄFER, VQ 6, S. XIV.

70

Die Quellen

die mittleren Fässer wurden in der Regel die besseren Weine abgefüllt. Vom Pontifikat Clemens' VI. an lassen sich Durchschnittszahlen ermitteln: Um ein großes Faß zu füllen, benötigte man durchschnittlich 9 Säume Weintrauben oder 6,5 Säume Wein1; für ein mittleres Faß lauten die entsprechenden Werte 6 Säume Weintrauben oder 4,3 Säume Wein. Beginnend mit Clemens VI. und konsquent zu Ende geführt von Innozenz VI. ist dann die Zählung sowohl nach großen Fässern als auch nach Säumen bei jedem Großeinkauf. Von Innozenz' drittem Pontifikatsjahr an werden daher in den Tabellen die eingekauften Mengen nicht mehr nach Säumen, sondern nach großen Fässern erfaßt. Da das relative Verhältnis zwischen beiden annähernd feststeht, ist ein Umrechnen zwischen beiden Einheiten leicht möglich. Problematisch hingegen ist die Umrechnimg in moderne Einheiten. Daraus, daß die Einheit Saum sowohl für Getreide als auch für Wein benutzt wird, folgt nicht, daß beide Male die gleiche Quantität gemeint wäre. Da Wein ein höheres spezifisches Gewicht als Getreide hat, konnte ein Saumtier weniger Wein als Getreide transportieren, ist ein Saum Wein also ein geringeres Volumen als ein Saum Getreide. Die erwähnten Umrechnungstabellen von Niel und Duhamel helfen nicht weiter, da in den auf unseren Untersuchungszeitraum folgenden Jahrhunderten der Gebrauch des Saums als Flüssigkeitsmaß in Avignon außer Gebrauch gekommen ist - eine Entwicklung, die sich mit der erwähnten Umstellung von der Rechnung nach Saum auf die Rechnung nach Faß unter Innozenz VI. bereits andeutet. Eine Hilfe bietet hier, daß die Kammer unter Clemens VI. und Innozenz VI. die Weintrauben in einzelnen Fällen nicht nach Säumen, sondern nach Zentnern gemessen hat. Dabei haben die päpstlichen Buchhalter regelmäßig drei Zentner Weintrauben einem Saum Weintrauben gleichgesetzt, woraus sich ein Gewicht von 120 kg pro Saum Weintrauben ergibt. Der Saum ist hier also nicht nach einem Hohlmaß, sondern nach einem Gewicht geeicht worden. Da beim Keltern der Trauben mit dem genannten Gewichts- und Volumenverlust zu rechnen ist, setzte ich Volumen und Gewicht eines Saums Wein mit 85 Litern, bzw. 85 Kilogramm an2. Rechnet man das große Faß zu 6,5 Säumen, ergibt dies einen Faßinhalt von 552,5 Litern. Für das mittlere Faß erhält man einen Wert von 368,3 Litern. Selbstverständlich sind dies nur Annäherungswerte, daß sie aber eine realistische Größenordnung wiedergeben, bestätigen die Tafeln von Niel und Duhamel. Dort wird ein „tonneau", das größte in Avignon übliche Flüssigkeitsmaß überhaupt, zu 588 Litern gerechnet3. Daß dies keineswegs ein außergewöhnlich großes Volumen für mittelalterliche Fässer ist, hat Renouard für Bordeaux gezeigt. Die dortigen Weine sind überwiegend in Fässern mit 800-900 Litern Fassungsvermögen von Frankreich nach England transportiert worden4. Hier ist allerdings zu bedenken,

1 2 3

4

Sehr deutlich etwa bei SCHÄFER, VQ 3, S. 367 von 1347/48. Ein Liter Wein wird gleich einem Kilogramm Wein gerechnet. Für Frankreich insgesamt hat RENOUARD, Recherches complementaires, S. 275, ein Volumen von 700 - 750 Litern fur den „tonneau" berechnet. Er geht jedoch in erster Linie vom atlantischen Weinhandel aus, wo der Weintransport nach Übersee erfolgte, und man infolgedessen größere Fässer benutzen konnte. Vgl. RENOUARD, Capacite, S. 257 ff.; DERS., Recherches complementaires, S. 267 ff.

Maße und Gewichte

71

daß es sich dabei nicht um Transporte über Land oder auf Binnengewässern, sondern um Transporte über See handelte. Burgunderwein, den die Kurie beginnend mit Clemens VI. zunehmend eingekauft hat, ist zumeist in der in Beaune und Saint-Pourfain üblichen Maßeinheit, dem Tonellus (tonellus, französisch „tonneau"), gemessen worden. Hier ist sehr früh eine Standardgröße nachweisbar: ein Tonellus enthielt 64 Sester (sextaria) Wein. Rechnet man den Saum zu 10 Scheffeln, ergibt das ein Fassungsvermögen von 6,4 Säumen Flüssigkeit pro Tonellus, d. h. annähernd das gleiche Fassungsvermögen wie beim großen Avignoneser Faß. Zuweilen hat man auch Fässer kleineren Formats benutzt, die caudae; zwei von ihnen gingen auf einen Tonellus. Auch wenn man berücksichtigt, daß die burgundischen Maße den avignonesischen schwerlich genau entsprochen haben werden, so ist doch offensichtlich, daß kein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Faßgrößen bestand. Dies wird indirekt auch dadurch deutlich, daß in den Hauptbüchern - etwa vom Pontifikat Innonzenz' VI. an - beide Termini, also bota grossa und tonellus, synonym gebraucht werden. Ahnlich wie beim Wein sind auch zum Messen von Brennholz zweierlei Maßeinheiten benutzt worden. Man findet abermals den Saum, daneben den Zentner (quintahum). Wie beim Wein hat man also auch beim Holz den Saum nach einem Gewicht geeicht. Damit weicht der mittelalterliche Gebrauch hier besonders stark vom neuzeitlichen ab, wo Holz in aller Regel nach Festmetern gemessen wird1. Immerhin steht das Verhältnis beider Einheiten zueinander in diesem Falle fest: auf einen Saum gingen abermals drei Zentner, also umgerechnet 120 Kilogramm. Glossar der Maße und Gewichte Es ist der Zweck dieses Glossars, das Vokabular der päpstlichen Hauptbücher, soweit Maße und Gewichte betroffen sind, zusammenzustellen. Den Grundstock bildet das Glossar von SCHÄFER, VQ 6, S. 843 ff. Diesem habe ich die betreffenden Termini und Übersetzungen entnommen und sie im Verlaufe der Arbeit ständig ergänzt. Zur sprachlichen Situation in Avignon sei angemerkt, daß Avignon und die Provence zum okzitanischen Sprachraum gehörten. Die Hauptbücher selbst sind sämlich in mittelalterlichem Latein abgefaßt; der Einfluß der Umgebung macht sich aber insofern bemerkbar, als viele Termini offenbar in latinisiertem Okzitanisch gehalten sind2. Zur Deutung und Übersetzung der einzelnen Wörter habe ich neben dem erwähnten Glossar von Schäfer noch eine Anzahl spezieller Wörterbücher und Glossare herangezogen. Unter diesen verdient die umfassende Studie von Pierre Pansier zur Sprachgeschichte Avignons besonders hervorgehoben zu werden; ihr dritter Band bietet zudem ein Spezialwörterbuch des Avignoneser Dialekts im Mittelalter. Ich stelle hier die im folgenden zitierten Werke mit den gebrauchten Siglen zusammen, für die vollständigen bibliographischen Angaben verweise ich auf das Literaturverzeichnis: Bc = 1

Das war auch im Avignon des Ancien Regime der Fall gewesen. Vgl. NIEL/DUHAMEL, Tables, S.

xvmf. 2

Oder in okzitanisiertem Latein; die Entscheidung darüber überlasse ich den Philologen.

Die Quellen

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BAUTIER, Contribution; Ε = Enquetes de Charles, ed. BARATffiR, S. 541-558: Index des noms de matieres; GC = GUAL CAMARENA, Vocabulario del comercio medieval; Μ = MACHABEY, Metrologie; ND = NIEL/DUHAMEL; Ρ = PANSIER, Histoire de la langue, Bd. 3: Lexique proven^al-franfais; S = SCHÄFER, Ausgaben Bd. 3: Glossar,

S. 843-877; VQ 2, 3 und 6 = SCHÄFER, VQ 2, 3 und 6 mit Seitenangabe; St = STOUFF,

Ravitaillement, S. 465-477: Glossaire.

banasta oder banasto = S: Korb für Kohlen; aus VQ 3, S. 108 mit Anm. 1 ergibt sich, daß 10 Körbe Kohle auf 1 Saum gingen, dagegen VQ 3, S. 351: ...quarum saumatarum quelibet continet 7 banastones...; St: Korb und Maßeinheit um Mengen von Fischen und Weintrauben zu messen banasta liuradoyra

= St: Korb, der

eine best. Menge Fisch enthält, ist in Verträgen zwischen Fischern und Fischhändlern überliefert banasta piscearia

= St: Korb zum

Transport von Fischen barrale oder barile oder barilli, katalanisch barall (GC), okzit. barral oder barrau (P) = S: Weinfaß von ca. 50 Litern, enthält 50 pitalphi,; St: Maßeinheit für Wein; P: Maßeinheit für Flüssigkeiten, „valant actuellement de 45 ä 57 litres. En 1480, le barral contenait 55 pichiers" (P); barralia zucari Babilonie, nach S: Zuckerfasser; ND: 1 „barrale" = 56 „picheria" = 49 Liter, also rund 50 Liter barricium - S: Stückfaß, daher franz. „barrique" bichetus = S: Fruchtmaß in Burgund, 1 bichetus = 8 boisselli = 11 emin. Avin. (VQ 3, S. 708); 10 bicheti = 8 saum. gross. (VQ 3, S. 235), also 0,8 bich. = 1 saum:, VQ 3, S. 327:

...computatis 8 boichellis pro bicheto et 13 boichellis pro sauma (gross.)...; VQ 3, S. 328: 10 boich = 1 saum. gross.). Als Durch-

schnittswert werden 0,9 bicheti = 1 saum Avin. gerechnet. boichellus oder boissellus = S: bur-

gundisches Fruchtmaß, 1 boichellus = 1/8 bichetus; VQ 3, S. 327: computatis 8 boichellis pro bicheto et 13 boichellis pro sauma. (gross.)

bota = okzit. „bota" oder „boute" (P), katalanisch „bot" oder „bota" (GC); S: großes Weinfaß, enthält 9 barralia (VQ 2, 286), ...una bota sex saumatarum vini... (IE 16 f 22 r), ...65 botis ligneis vacuis vinariis ... sunt dicte bote capacitatis 345

saumatarum... (VQ 2, S. 147). Eine bota hätte also durchschnittlich 5,30 Säume bota grossa et de mena = S: große

und kleinere Stückfasser; IE 150 f. 59 ν (1336): 309,5 saum. = 74 bote de mena (4,18 Säume pro Faß); 201 saum. = 31 bot. gross. (6,48 Säume pro Faß); VQ 2, S. 159: 8 botis ... capientibus 51 saum. (6,37 Säume pro Faß); VQ 2, S. 163: 202 saum. in 46 botis (= 4,4 Säume); 133 saum. in 20 botis (= 6,65 Säume); VQ 3, S. 141: 227,5 saum. ... in 35 botis grossis, also 6,5 Säume pro Faß; VQ 3, S. 122: 10 botis magnis de 6 et 7 saum. vini;

Maße und Gewichte

73

IE 261 f. 99r von 1350 Juni 4:

anguillarum (VQ 2, S. 58) = Gefä-

computatur 3 bote de mena pro 2 botas grossas

ße mit Aalen; ...cartairono de zucara... (VQ 2, S. 58); ...cum 1 quartayrono quintallis de lardo salso...

caballia vini = S: Weinfuhre, großes Weinfaß zu je 2 Säumen (VQ 6, S. 227) cabassia oder cabassius oder cabaci-

us = S: Korb für Fische cadrantes (mutonis) = S: Viertel

canna = S: Rute, Längenmaß 2,23 m, nach Hoberg, Inventare S. XXVII, 1,975 m, unterteilt in 8 palmi, 1 palmus = 0,247 m, so auch M, S. 106 f.; nach Ρ okzit. „cana" oder „canna": 1. 1,98 m (1321); oder 2. Hohlmaß von 10 Litern (1356); ND: Längenmaß = 1,982 m zerfällt in 8 „pan", auch Hohlmaß von 9,192 1; wird im folgenden als 2 Meter gerechnet carga oder carchia = Bc und S: Last (alte Gewichtseinheit = 3 quintal.), nach S rechnete man in Marseille 5 „charges" Getreide zu 8 Hektolitern, vgl. auch VQ 2, S. 442, 1323 Okt. 31; auch Maßeinheit für Fischeinkäufe in Bordeaux: man rechnete 2000 Heringe oder 200 Stockfische pro carga, vgl. VQ 3, S. 544 und 585 carta = Quarta, Viertel

(VQ 2, S. 92), also wohl ein Viertel von einem Zentner (quintale), also 25 Pfund; „cartairola" (okzit.) = P: Korb, 5 „cartairolas de figas que pesan 3 quintals 24 liuras" cauda = S: Weinmaß, Faß von 32 sextaria oder 5 Eimern; VQ 3, S. 466: ...attende quod in quolibet tonello sunt 2 caude et in qualibet cauda 2 modia et in quolibet modio sunt 16 sextaria vini ad mensuram Beinen. coflnus, coffer, coffri, cofforus oder

cofer = S: Koffer, wird auch zum Transport von Fischen benutzt (VQ 2, S. 95) dolium = S: Weinfaß; IE 202 f. 68v: 100 dolia..., qui continebant in summa 1021 saum. vini, also rund

10 Säume = 1 dolium-, VQ 3, S. 293: pro 26 do Iiis grossis et 14 botis vini..., quorum qoodlibet dolium continet 62 sextaria et bota 32 sextaria... emina (kl. hemina) = Getreidemaß,

auch sextarius; Nebenform: emina, eymina (IE 179 f. lv), okzit. „emina, esmina, eimina" (P); ND: = 2,4916 Dekaliter, also rund 25 Liter

cartario oder carterium = S: Viertel; „cartairon" oder „quartairon" (okzit.); das Viertel von einem Pfund (P), das Viertel allg. (P)

fagotum oder fagotus = S: Bündel (z. B. von Brennholz); okzit. „fagot"

carterium = S: Kubikmaß für Brennholz

folheta = S: Flasche = 'Λ picherium = 1/96 barrile

cartaironus

garba = S: Bündel von 144 Stück

oder

quartaironus

=

Maß- oder Gewichtseinheit, vielleicht auch Gefäß; ...cartoironibus

(P)

74

Die Quellen

libra = Pfund, nach ND: 389,2 Gramm; nach Μ 407,92 Gramm, also rund 400 Gramm. Nach Schäfer ist eine Gewichtsmark in Avignon = 234 Gramm. Da die Mark 8 Unzen, das Pfund dagegen 12 hat, wäre ein Pfund nur mit rund 350 Gramm anzusetzen, indes scheint es sich dabei speziell um Edelmetallgewichte zu handeln. Generell wird das Pfund zu 400 g gerechnet.

palmus = S: Längenmaß, Teil einer canna, Handbreit

manganerius, manganeria = St: Bäkker(in), nach E: Maßeinheit

petium = S: Hohlmaß in Rom von 1/34 Saum

manganesium oder manganerium = S: Getreide und Gemüsemaß, 2 + 2/3 manganeria = 1 saum. Auin.; okzit. „manguanier" = P: Maßeinheit, entspricht angeblich einer emina, „per la censa de la vinha que son 4 eminas e miega d'annona (also 4,5 em.), a for de 26 sols la manguanier, 3 libras 18 sols"; es wären also 4,5 em. gleich 3 mang.

pitalphis oder pitalphus (IE 179 f. 16v), franz. „pichet" aus spätlat. becarius (Amphore), okzit. „pechiera" oder „pichiera" (P) = Krug, Maßeinheit für Wein, nach ND: 1 pitalphis = 0,875 1

mina = S: Vi Scheffel modius oder modium - S: Scheffel (Getreidemaß); VQ 3, S. 466: ...attende quod in quolibet tonello sunt 2 caude et in qualibet cauda 2 modia et in quolibet modio sunt 16 sextaria vini ad mensuram Beinen.... (= Beaune); 1 Modius ist etwas mehr als 10 Säume (vgl. VQ 3, S. 78 und 79); IE 272 f. lllv-112r von 1354 Apr. 24: ...pro 13 modiis vini... pro implendo 13 botas grossas...; auch Getreidemaß in Italien, wurde benutzt bei den Lieferungen aus Tarquina, VQ 6, S. 113: ...89,66 modios ... valent ad mensuram Ianue (Genua) 344,3 eminas Ianuen. et ad mensuram Auin. 161

saum gross. 4 em...:, ähnlich IE 318 f. 120r von 1365 Dez. 12: ...119 mod. ad mensuram Cornet. = 214,5 saum. gross, ad mensuram Auin...., also 1 Modius = 1,8 große Säume olla = S und Bc: Topf, Bc auch okzitanische Maßeinheit: „oulle, ola, oula, oule, oulon" (P)

quadrans antis = „quart, cart" (Ρ)

Viertel;

okzit.

quintale oder quintalium = N: südfranzösische Maßeinheit, Zentner; S: = 100 lib.; okzit. „quintal" (P); P: 100 Pfund 1411, 50 Pfund 1579; ND: 1 qu = 40,780 kg, also rund 40 kg; 1 qu= 105 lib. (die 5 Pfund offenbar zum Ausgleich von Schwundmenge); ...quelibet sauma (gross.) continebat 3 quintalia ligna... (vgl. auch VQ 2, S. 103 und 117; VQ 3, S. 36) rasum = S: Getreidemaß rubeus = S: röm. Getreidemaß (ca. 286 Liter) salmata (AD Marseille, Β 1152 f. XXVIr) = Nebenform von sauma sarcina = Last, Bündel (auch: Getreidemaß), S: = carga

Maße und Gewichte

sauma (aus spätlat. sagma) = S: Saumtierlast; I saum. gross. = saum. Avin. = 10 emine (VQ 2, S. 643, auch IE 563 f. 58r; auch VQ 2, S. 659) oder 10, 25 emine (VQ 2, 645); 1 saum. par. = 8 emine (VQ 2, S. 643); Nach ND war in Avignon 1 Saum = 19,9328 Dekaliter = 8 emine, im 18. Jahrhundert hat sich also der kleine Saum durchgesetzt; demnach entspricht ein kleiner Saum rund 200 Litern, ein großer Saum ist gleich 250 Litern; quelibet sauma (grossum) continebat 3 quintalia (VQ 2, S. 103). Auf einen Saum gingen 10 banastones (VQ 3, S. 108 mit Anm. 1); okzit. „saumada, soumade" = P: Maßeinheit für Getreide und Wein sextarius oder sextarium = S: Sester, Getreidemaß; okzit. „sester, sestier, cestier" (P); entspricht der emina, siehe dort; VQ 3, S. 466: attende quod in quolibet tonello sunt 2 caude et in qualibet cauda 2 modia et in quolibet modio sunt 16 sextaria vini ad mensuram Beinen. tonella = Weinmaß, nach ND: 12 barrilae tonellus = S: Weinfaß von Beaune, hat 64 sextarii; VQ 3, S. 270 und 331: ...96 sextarii vini, quorum 64 faciunt 1 tonellum...; VQ 3, S. 466: ...attende quod in quolibet tonello sunt 2 caude et in qualibet cauda 2 modia et in quolibet modio sunt 16 sextaria vini ad mensuram Beinen. ...

III. Vorgeschichte III.l. Kammer und Hofämter zu Beginn des 14. Jahrhunderts Die Hofordnung Clemens' V. Da die Avignoneser Verhältnisse in vieler Hinsicht eine Weiterentwicklung älterer Zustände sind, muß zunächst auf die Vorgeschichte des Avignoneser Papsttums eingegangen werden. Dazu bietet sich eine einzigartige Quelle an, die den Vorzug hat, daß sie die beiden im folgenden getrennten Stränge vereint bietet: sowohl für die Finanzverwaltung wie auch für die Lebensmittelversorgung des Hofes ist sie gleichermaßen einschlägig1. Gemeint ist ein Text, der sich als Liste der diversen kurialen Ämter präsentiert; in ihm wird für jedes Amt kurz beschrieben, welche Entlohnung nicht in Geld, sondern in Naturalien - der jeweilige Amtsinhaber zu erhalten und welche Pflichten er dafür zu erfüllen hatte. In der erhaltenen Fassung stammt er aus dem Jahre 1306, also der Frühzeit Clemens' V.2, indes hat Schimmelpfennig überzeugend dargelegt, daß wir hier das Endprodukt einer längeren Entwicklung vor uns haben, und die Urfassung des Textes wohl noch vor dem Pontifikat Bonifaz' VIII. anzusetzen ist . Der Text steht am Beginn eines Prozesses, der unter Clemens V. einsetzte und unter Johannes XXII. als bereits abgeschlossen erscheint4: gemeint ist der Übergang von der Natural- zur Geldentlohnung5. Noch unter Bonifaz.VIII. hatten die Kurialen

Zum folgenden vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 37 ff., von dessen Deutung ich mehrfach abweiche. Zuerst ed. bei HALLER, Aufzeichnungen, S. 8 ff. als "Liste A", Hallers Vorlage war verstümmelt; einen vollständigen Text auf breiterer Handschriftenbasis bietet FRUTAZ, Famiglia, S. 284 ff, nach dem im folgenden zitiert wird. Haller hatte den Text zu 1305-1307 datiert, diesen Ansatz hat FRUTAZ, Famiglia, S. 279 ff, zu 1306 präzisieren können. Nach der ansprechenden Vermutung von GUILLEMAIN, Cour, S. 37, sollte der Text zur Information des neugewählten und mit den kurialen Gepflogenheiten nicht vertrauten Clemens' V. dienen. PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 79, setzt die Entstehung des Textes ohne nähere Begründung zu ca. 1300 an. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 45 ff. Schimmelpfennigs Ausführungen sind Frutaz nicht bekannt geworden. Daher vermißt man eine Erörterung, welche Beziehungen zwischen den vom ihm gefundenen Handschriften und dem von Schimmelpfennig edierten Avignoneser Zeremonienbuch (ed. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 208 ff.) bestehen, in das Teile der Liste übernommen worden sind. Daß der Text auch später noch tradiert worden ist, beweist ein Hauptbuch der Kammer, das gegen Ende des Pontifikats Innozenz' VI. angelegt worden ist (IE 296 aus den Jahren 1361-63). Am Ende des Bandes hat der neuemannte Thesaurar Gaucelmus de Deucio das Kapitel, welches das Amt des Thesaurars betrifft, aus der Liste abschreiben lassen. Vgl. IE 296 f. 153v, der dortige Text entspricht dem bei FRUTAZ, Famiglia, S. 291 § 8. Vgl. DEHIO, Übergang, S. 5 6 ff; SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 7 7 5 f. Im internationalen Vergleich ist dies außerordentlich früh. Wie Holger KRUSE, Hofordnungen, S. 154 f. zeigen konn-

Kammer und Hofamter

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kein Geld erhalten, vielmehr waren ihre Bedürfnisse in Form von Lebensmitteln, Kleidern, Reitpferden und Pferdefiitter1 etc. direkt befriedigt worden, was in der genannten Liste festgehalten ist. Unter Bonifaz und noch stärker unter Clemens begann dann der Übergang . Zunächst wurden die Lebensmitteldeputate während der päpstlichen Reisen durch Tagegelder ersetzt. Gerade diese Entwicklung beschleunigte sich während des Pontifikats Clemens' V.; er hielt sich nur selten längere Zeit an einem Ort auf3. Während seiner Reisen, in deren Verlauf die Kurie nicht selten in kleinen Orten ihre Unterkunft suchen mußte, war die Aufrechterhaltung eines einzigen päpstlichen "Großhaushalts" nicht möglich, mußte sich die Kurie in einer Vielzahl verstreuter Ortschaften einquartieren und mußten die Kurialen für sich selber sorgen. Gegen Ende von Clemens' Pontifikats, als er die Wintermonate durchgängig in Avignon verbrachte, hat man die Versorgung mit Naturalien nicht wieder aufgenommen, hat die Kammer weiterhin Tagegelder ausgezahlt. Johannes hat dies beibehalten: die Tagegelder - sie wurden anfangs wöchentlich, später normalerweise alle acht Wochen ausgezahlt - sind die Gehälter5, die nunmehr ihren Niederschlag in den Rechnungsbüchern fanden .

te, hat noch im 15. Jahrhundert der burgundische Hof versucht, die bereits eingeführte Geldentj lohnung für die Offizialen wieder durch Naturallieferungen zu ersetzen. Vor der Ansiedlung des Hofes in Avignon war dieser Punkt von großer Wichtigkeit, da der Papst im 12. und 13. Jahrhundert seinen Aufenthaltsort häufig wechselte. Siehe unten. Vgl. GUILLEMAIN, Personnel, S. 164 ff.; PARAVICINIBAGLIANI, Cour, S. 109 ff. Vgl. sein Itinerar in Regestum Clementis, Indexband, S. 1 ff.; dazu GAIGNARD, Gouvernement, S. 169 ff. 4 Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 544 ff. In der Hauptbüchern der Kammer werden diese Gehaltszahlungen unter dem Titel Expensa pro vadiis ordinariis familiarum pape verbucht. Der Tagegeldcharakter der Zahlungen kommt etwa darin zum Ausdruck, daß für Fasttage - also Tage an denen kein Fleisch verzehrt werden durfte - weniger als für Fleischtage gezahlt wurde (vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 545). 5 Bekanntlich war dieses Gehalt in den meisten Fällen nur ein Teil - und zwar der kleinere Teil der Gesamteinkünfte eines Kurialen. Höhere Einkünfte bezog er aus seinen Pfründen, von denen er in dem Maße, wie er in der Verwaltungshierarchie aufrückte, meist mehrere erlangen konnte (vgl. dazu zuletzt REHBERG, Kirche, S. 3 ff. mit weiterer Literatur). Insofern sagen die Gehaltslisten der Hauptbücher über die realen Einkünfte der Kurialen wenig aus, sie verdeutlichen aber das Ansehen, welches das jeweilige Amt im Vergleich zu anderen genoß. Neben ihrem Gehalt erhielten in Avignon diejenigen Kurialen, die nicht im Palast wohnten, einen Mietzuschuß. Vgl. BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 7 5 ff Diese Zuschüsse stehen in den Hauptbüchern unter dem Titel: Pensiones hospitiorum familiarum pape. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 603 ff. Man kann den Übergang in den erhaltenen Hauptbüchern Bonifaz' VIII. (ed. SCHMIDT, Libri) und Clemens' V. (ed. Regestum Clementis papae V, Appendices 1, S. 1-180 und GUILLEMAIN, Recettes) gut verfolgen. Bei Bonifaz herrscht noch Naturalentlohnung vor, bei Clemens findet man eine Mischung aus Natural- und Geldentlohnung, während unter Johannes jene bis auf kleine Reste verschwunden ist.

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Vorgeschichte

Texte wie die genannte Liste pflegt die deutsche Forschung - wenn sie an weltlichen Höfen erhalten sind - als "Hofordnungen" zu bezeichnen ; da die Liste den frühesten Ordnungen dieser Art zur Seite zu stellen ist2, benenne ich sie mit dem gleichen Terminus. Es sei gleich erwähnt, daß aus der Spätzeit des Avignoneser Papsttums, aus dem Jahre 1409 (also schon nach dem Ausbruch des Schismas) eine weitere päpstliche Hofordnung erhalten ist3. Da sie, ähnlich wie die erstgenannte, ein Niederschlag älterer Verhältnisse ist, wird sie für das Ende des Untersuchungszeitraums noch herangezogen werden. Entlohnung in Lebensmitteln4 Die Hofordnung Clemens' V. ist zunächst durch ihre Beschreibung der Lebensmitteldeputate von Interesse. Jeder Inhaber eines der angeführten Ämter hatte Anspruch auf eine gewisse Zahl von vidandae5, was man am ehesten mit "Tagesrationen" wiedergeben kann . Die Zahl der Rationen war um so größer, je höher der jeweilige Amtsinhaber in der kurialen Hierarchie angesiedelt war. Die naheliegende Frage, wie denn eine einzige Person gleich zwölf Rationen (so viele erhielt der Kämmerer ) verspeisen konnte, beantwortet sich damit, daß die hohen Kurialen ihrerseits wieder über Dienstboten und sonstiges Personal verfügten, das auf diese Weise verpflegt wurde. Aber nicht nur die Zahl der Rationen, auch ihre Zusammensetzung variiert. Je höher der Rang, desto größer war der Fleischanteil und um so geringer der Brotanteil. Der Kämmerer und seine Familie8 Was erfahrt man nun aus dieser Hofordnung über die Kammer und ihr Personal1? An der Spitze der Hofordnung steht der Kämmerer, und zwar nicht nur als Vorsteher der

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Zusammenfassend K . - H . AHRENS, in: LdM 5 ( 1 9 9 0 ) Sp. 7 4 - 7 6 , dort die einschlägige Literatur. Auch beziehe ich mich auf die Referate des Symposions "Höfe und Hofordnungen ( 1 2 0 0 - 1 6 0 0 ) " am 5.-8. Oktober 1 9 9 6 in Sigmaringen (jetzt zugänglich in dem von KRUSE und PARAVICINI herausgegebenen Sammelband "Höfe und Hofordnungen 1 2 0 0 - 1 6 0 0 " ) , wo diese Benennung nicht ohne Kritik blieb. Vgl. den Bericht von Kraack, Höfe, S. 17 ff.; einen Forschungsbericht gibt PARAVICINI, Europäische Hofordnungen, S. 13 ff. Eine noch frühere Liste, die allerdings sehr viel weniger informativ ist, hat sich von Nicolaus ΠΙ. erhalten (ed. BAETHGEN, Quellen, S. 195 η. 1 von 1278 Mai). Ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 420-445. Dazu eingehend PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 107 ff. Hinzu kamen weitere Deputate etwa an Brennholz, Kerzen, Kleidung u. ä. Ich gehe darauf aber nur am Rande ein. Auch die Lesart viandea kommt vor. Der Terminus wird oft mit einem ihn näher bestimmenden Zusatz gebraucht, ζ. Β. FRUTAZ, Famiglia, S. 289:.. XII vidandos camium cum Pictanciis... (zwölf Rationen Fleisch mit Zukost), oder ..JCII viandos panis... (zwölf Rationen Brot). FRUTAZ, Famiglia, S. 284.

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Über den Begriff "Familie" statt "Familia" vgl. Kap. VI,2.

Kammer und Hofämter

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Kammer, sondern des gesamten päpstlichen Hofstaats2 . Die zahlreichen Lieferungen, welche er erhielt, sollen hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden3; es versteht sich, daß er als höchster Amtsträger auch gut versorgt wurde. Einige Details seien immerhin herausgegriffen: So wird er ausdrücklich als Vorgesetzter eigener Kleriker, Kapläne und Famiiiaren genannt, die an seinem Tische aßen4. Aus der angegebenen Zahl von Rationen kann man folgern, daß es bis zu zwölf Personen waren5. Diese Rationen werden ausdrücklich als vidandae cum pictanciis carnium bezeichnet, also als solche mit Fleischanteil6. Dagegen erhielt er nur vier Rationen Brot (zu insgesamt 36 Broten a 16 Unzen), zum Ausgleich für den hohen Fleischanteil wurde ein geringerer Brotanteil als ausreichend angesehen7. Hinzu kamen zwölf Rationen Wein. Über diese hinaus empfing er für sich und die Kammerkleriker noch weiteren Wein, der als vinum melioramenti bezeichnet wird8. Offenbar handelt es sich dabei um erne bessere

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Für das 13. Jahrhundert vgl. RUSCH, Behörden, S. 20 ff., und PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 79 ff. Bei RUSCH, Behörden, S. 138 ff. findet man eine Liste der Kämmerer bis zu Bonifaz VM. Für das 14. Jahrhundert vgl. die Liste bei SCHÄFER, VQ 2, S. 5 f. Zum Amt des Kämmerers in Avignon vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 278 ff; DENZEL, Zahlungsverkehr, S. 37 f.; einige gute Beobachtungen auch bei KÖNIG, Kammer, S. 74 ff. Ipse vero camerarius habet curam de omnibus officiis curie et quod omnes officiates fideliter et diligenter impleant officio sua, et frequenter debet monere eos quod in officiis sibi commissis laudabiliter se gerant. Zit nach FRUTAZ, Famiglia, S. 286. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 284 ff.

Item recipit a panateria, ultra vidandas predictas, tobaleas pro mensa et manibus (also Tisch- und Handtücher) tarn pro mensa sua et clericorum quam capellanorum et famiHarum suorum. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 284. Daß der Kämmerer bereits im 13. Jahrhundert über eine eigene Familie verfügt hatte, zeigt RUSCH, Behörden, S. 28. Sie scheint ursprünglich noch größer gewesen zu sein, als sie es dann in Avignon sein sollte. So verfügte sie im 13. Jahrhundert noch über einen eigenen Kellermeister und einen eigenen Panatar. Vgl. RUSCH, Behörden, S. 35; PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 165 f.

Dabei scheint der Kämmerer selbst nicht Inbegriffen zu sein. Er erhielt noch weitere besonders ausgezeichnete Lebensmittel. Ein Beispiel weiter unten. ...recipit duodecim vidandas cum pictanciis carnium, que sunt in universo XVIII pecie carnium; pictancia pro media pecia computata. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 284. Item recipit quatuor vidandas panis, qui sunt in universo XXXVI panes, quorum quilibet debet esse ponderis XVI unciarum coctus; tribus panibus pro vidanda computatur (sie, die Rechnung stimmt nicht, indes steht es so im Text). Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 284. Item recipit ultra hoc a buticulariis vinum melioramenti pro se et clericis camere et consuevit reeipere pro ipso vino XX sol. in die quando non recipit ipsum vinum melioramenti. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 284. Die Hauptbücher Bonifaz' VIH. bestätigen diese Information. Dort findet man bei den Abrechnungen des Weinamtes den teureren Wein für Papst, Kämmerer und Kammerkleriker extra verbucht. Vgl. Ζ. B. SCHMIDT, Libri, S. 35 Η 144 von 1299 Jan. 30, wo nach den Aufzeichnungen über die monatlichen Weineinkäufe folgender Eintrag folgt: Item in officio scilicet domini nostri, domini camerarii et clericorum camere, vino et zucharo et speciebus pro clareto domini nostri... Ähnlich SCHMIDT, Libri, S. 39 n. 170 von 1299 Febr. 6, S. 45 n. 213 von 1299 Febr. 13 und öfter. Ähnlich unterschied man unter Clemens V. bei Weineinkäufen zwischen gewöhnlichen Einkäufen und Einkäufen von vinum tinelli, also Wein für den Festsaal, wo die

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Vorgeschichte

als die normale Sorte, wieder ein Zeichen, daß bei der Entlohnung in Naturalien nicht nur nach der Quantität, sondern auch der Qualität differenziert wurde. Man sieht daran zugleich, daß die Kammerkleriker höher als die Familiaren des Kämmerers rangierten. Ihr relativ hoher Rang wird noch mehrfach deutlich: So erhielt der Kämmerer wöchentlich zwei Käse, jedoch nicht für sich allein, vielmehr sollte er sie mit den Kammerklerikern teilen1. Diese tranken also den gleichen Wein und verzehrten den gleichen Käse wie ihr Vorgesetzter. Auch auf einer höheren Ebene zeigt sich der gleiche subtile Mechanismus: Der Kämmerer erhielt das gleiche, besonders gute Brot wie der Papst selbst, und er speiste am gleichen Tisch wie der Papst3. Die herausragende Stellung des Kämmerers wird noch aus weiteren Vorrechten deutlich: Abgesehen von den schon genannten Rationen erhielt er an den Fleischtagen zwischen Ostern und Maria Himmelfahrt (15. August) ein gebratenes Zicklein zum Mittag- und vier Keulen von kastrierten Böcken zum Abendessen. An den Fleischtagen zwischen Himmelfahrt und dem Beginn des Karnevals4 wurde ihm mittags eine Schweinelende und abends vier kleine Lenden übersandt. An Fischtagen bekam er aus der großen Küche zehn Rationen Fisch - diese waren für die Kammerkleriker bestimmt - und für sich selbst eine Ration Fisch aus der kleinen Küche5. Der Kämmerer verfügte somit über einen eigenen Stab von Mitarbeitern, die ausdrücklich als seine Familiaren6 (und nicht als die des Papstes) bezeichnet werden; dies

Gastmähler stattfanden: Item in buticularia scilicet in consuetis et vino empto pro tinello, zit. nach Recettes, S. 56 n. 799 von 1309 Febr. 14. Vgl. auch GUILLEMAIN, Recettes, S. 22 n. 165 und passim. Item recipit quolibet die mercurii unam caseatam et quolibet die sabbati unam aliam caseatam, quasparticipat cum clericis camere. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 285. Item recipit a dictis panetariis quolibet die duos panes de somolela vel de pane quem comedit papa. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 285. Auch in den Hauptbüchern Bonifaz' VIII. findet man bei den Abrechnungen des Brotamtes Aufzeichnungen über besonderes, für den Papst selbst bestimmtes Brot. So heißt es etwa in der Abrechnung von 1299 Okt. 30 nach den üblichen Ausgaben des Brotamtes: Item in officio scilicet pane domini, ovis, caseo, fructibus, lignis..., zit. nach SCHMIDT, Libri, S. 171 n. 1245. Unter Clemens V. wird dann speziellespanis domini et tinelli erwähnt, also Brot, das für den Papst selbst und für Festmähler bestimmt war. Vgl. ζ. B. GUILLEMAIN, Recettes S. 52 n. 737, ähnlich S. 27 n. 268 und öfter. Dies erfahrt man aus dem Abschnitt über die Panatare, die Vorsteher des Brotamtes, über die es heißt: Item debent habere tobalias, cortinas, cultellos, salem, fructus, caseum, flabella tarn pro mensa domini et camerarii quam pro mensa capellanorum, quando comedunt in aula ..., zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 297. Dies widerspricht der aus den Zeremonienbüchern bekannten Sitzordnung, wo der Papst mit den Kardinälen und etwaigen hochgestellten Gästen zusammensitzt (vgl. etwa SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 268 Kap. LX). Der Widerspruch ist wohl so aufzulösen, daß in der Hofordnung ein Essen im Rahmen der päpstlichen Familie gemeint ist, in den Zeremonienbüchem dagegen eher auf repräsentative Gastmähler abgehoben wird. Zur Sitzordnung vgl. auch Kap. VI, 1. Carnis privium = 7. Sonntag vor Ostern. FRUTAZ, Famiglia, S. 284 f. Über den Unterschied zwischen den beiden Küchen siehe unten. Siehe oben. Über die Familiaren vgl. Kap. VI,2. GUILLEMAIN,

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Kammer und Hofamter

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wiederholt sich bei einigen anderen, offenbar besonders arbeitsintensiven Ämtern, etwa den Elemosinaren und dem Justizmarschall2 Daß der Kämmerer seiner Christenpflicht der Barmherzigkeit genüge, war in seiner Zuteilung bereits vorgesehen: er erhielt täglich noch weitere drei Stück Fleisch und vier Rationen Brot, welche für die Armen an das Almosenamt geschickt wurden3. Was die finanzielle Seite des Amtes betrifft, so hatte der Kämmerer die Aufgabe, sich die Abrechnungen, welche die diversen Buchhalter particulariter et distincte angefertigt hatten, anzuhören; offenbar sollte gerade er befähigt werden, die Gesamtlage der päpstlichen Finanzen zu überblicken, um seiner Aufgabe als Ratgeber des Papstes in finanziellen Dingen nachkommen zu können4. Ihm zur Seite stand ein Kleriker, der beauftragt war , die regestra et alias scripturas camere mit sich zu führen; man darf unter diesen wohl die Hauptbücher und sonstigen Kammerakten verstehen6. Man bemerkt in der Hofordnimg ein gewisses Schwanken. Auf der einen Seite wird die Verantwortung des Kämmerers gerade für die Finanzen betont, andererseits hervorgehoben, daß er allen kurialen Ämtern übergeordnet ist7. Dieses Dilemma sollte sich in Avignon derart lösen, daß der Kämmerer immer mehr in die Rolle eines Premierministers des Papstes hineinwuchs und über die Finanzen lediglich die Oberaufsicht behielt. Die Finanzverwaltung im engeren Sinne ging hingegen immer mehr an die Thesaurare über.

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Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 301. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 296 f. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 284.

Debet audire rationum expensarum, quas ipsifaciunt particulariter et distincte, et reprehendere et punire eos de superfluis expensis sifierent, condempnare eciam et punire omnes familiares delinquentes et generaliter omnia, que spectant ad receptas et expensas; debet scire et ordinäre, que fide liter fiant, et generaliter omnia negocia Camere portare, dirigere et tractare et dominum consulere super omnibus dubiis emergentibus, eum reddere conscium de expensis, providere de statu curie, et quod curiales in hospiciis et victualibus non graventur. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 286. Es sei noch erwähnt, daß er auch fur das Silber(-geschirr) des Tisches der Kapläne verantwortlich war (vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 287).

Consuevit insuper camerarius habere unum clericum, qui tenebat regestra et alias scripturas camere,... Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 286. Daß mit regestra Hauptbücher der Kammer und nicht etwa die päpstlichen (Urkunden)-Register gemeint sind, ergibt sich aus BAUMGARTEN, Untersuchungen, S. ΧΧΠΠ fT., wo er zeigt, daß auch die Bücher der Kardinalskammer mit diesem Terminus benannt worden sind. Der Verfasser der Hofordnung gesteht selbst: Officium camerarii est adeo amplum et latissimum quod bene describi non potest,... Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 286.

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Vorgeschichte

Die Thesaurare Das Amt des Thesaurars hat in der Hofordnung noch kaum Bezug zum Finanzwesen . Zwar wird unter den Aufgaben der Thesaurare - im 13. und auch noch im 14. Jahrhundert gab es deren zwei - auch die Aufsicht über den Schatz genannt3, ansonsten aber werden sie im wesentlichen als zuständig für die päpstlichen Paramente beschrieben; sie haben sich um diese zu kümmern, sie fur den päpstlichen Gebrauch vorzubereiten und dem Papst beim Gottesdienst zu assistieren4. Immerhin wird bereits das Scharnier sichtbar, über das die Thesaurare in die Finanzverwaltung hineinwachsen sollten: die Paramente wurden im Schatz aufbewahrt, aber eben nicht nur sie, sondern ebenso Geld und Wertsachen . Erstaunlicherweise wird in der Hofordnung ausgerechnet für die Thesaurare nicht angegeben, welche Lebensmittel sie erhielten.

Die Kammerkleriker Die eigentlichen Mitarbeiter des Kämmerers bei der Finanzverwaltung sind dagegen die Kammerkleriker ; sie folgen unmittelbar nach dem Kämmerer an zweiter Stelle. Leider sind die Angaben darüber sehr vage, ob und wie die diversen Arbeiten unter ihnen und mit dem Kämmerer aufgeteilt und abgegrenzt waren. Ihre Anzahl betrug vier bzw. fünf Personen7, in Avignon sollte es in der Regel nur noch drei geben. Zu ihren Aufgaben gehörte es, die nötigen Berechnungen vorzunehmen und die Bücher zu führen8. Wirft man einen Seitenblick auf die Finanzverwaltung anderer Höfe, so hat der päpstliche die Besonderheit, daß ein eigenes Amt für das Rechnungswesen fehlt; die nötigen Arbeiten sind offenbar von den Kammerklerikern verrichtet worden. Am

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Über die Thesaurare vgl. auch GUILLEMAIN, Cour, S. 280 ff.; für das 13. Jahrhundert vgl. RUSCH, Behörden, S. 35 f.; PARAVICINIBAGLIANI, Cour, S. 82 ff. 2 Eine Liste der Thesaurare bei SCHÄFER, VQ 2, S. 6 f. Ipsi vero thesaurarii habent custodire thesaurum, providere de paramentis pro domino et ordinäre paramenia, quando dominus celebrat,... Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 291. Die Hauptbücher bestätigen dies. Vgl. ζ. B. SCHMIDT, Libri, S. 55 n. 296 und S. 72 n. 434. Hierüber unterrichten die erhaltenen Inventare des päpstlichen Schatzes. Die ältesten stammen aus dem Pontifikat Bonifaz' VIII. (ed. von MOLINIER, Inventaire); die folgenden Inventare der Avignoneser Epoche sind ediert bei Hoberg, Inventare. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 2 8 3 ff.; BAIX, Notes, passim. Für das 1 3 . Jahrhundert vgl. auch RUSCH, Behörden, S. 28 ff. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 288.

Assistunt in computis, receptis et expensis, et expensas et receptas scribunt. Litteras camere, prout eis mandaturper camerarium, faciunt. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 288. Man sieht hier, daß die Kammerkleriker auch zum päpstlichen Urkundenwesen in Beziehung standen, insofern sie die litterae camere zu schreiben hatten. Bekanntlich ist in Avignon die eigentlich politische Korrespondenz der Päpste über die Kammer abgewickelt worden, während die Kanzlei nur noch Expeditionsbehörde war, ein Beleg für die zentrale Stellung, welche die Kammer hatte. Vgl. dazu bahnbrechend GÖLLER, Mitteilungen und Untersuchungen, passim, zusammenfassend GUILLEMAIN, Cour, S. 294 ff.; zuletzt GASNAULT, Elaboration.

Kammer und Hofamter

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Hofe Friedrichs II., dem der Anjou, dem mallorquinischen und am aragonesischen Hof gab es dagegen das Amt des magister rationalis, des Rechenmeisters , der speziell für diese schwierige Kunst angestellt war. Es bleibt vorerst das erstaunliche Faktum zu konstatieren, daß man an der Kurie über eine ganze Gruppe von Personen verfügte, welche nicht nur lateinisch lesen und schreiben sondern sogar rechnen konnte. Leider wissen wir fast nichts über ihre Biographie , aber selbst das wenige macht deutlich, daß es sich um hochqualifizierte Spezialisten handelte. Die Kammerkleriker führten nicht nur den Magistertitel, sondern waren zumindest größtenteils auch päpstliche Notare, ein Titel, der nur nach einer speziellen Prüfung durch den Vizekanzler vergeben wurde . Was wir leider nicht erfahren, ist, wo sie rechnen gelernt hatten. Ihre Entlohnung entsprach ihrer Qualifikation durchaus: sie erhielten zwei volle Rationen; man erwartete offenbar, daß sie jeweils noch einen Untergebenen zu verpflegen hatten . Vergleicht man die ihnen zugebilligte Verpflegung mit der anderer Amtsträger, erweist sich, daß Kammerkleriker zwar nicht zu den Spitzenposten der Kurie zählten, dies waren Kämmerer, Vizekanzler5 und Justizmarschall6, aber in der Ebene daninter waren sie etwa gleichgestellt den Bullatoren7, den Oberköchen8, den Panataren , den Kellermeistern1 , also den Vorstehern von Hofamtern.

Zu Friedrich Π. vgl. STHAMER, Amtsbuch, S . 1 4 0 ff.; zu den Anjou die Hofordnungen bei DURRIEU, Archives 1, S. 8 6 ff; zu Mallorca vgl. KERSCHER, Strukturierung, S. 8 0 ; zu Aragon vgl. KLÜPFEL, Verwaltungsgeschichte, S. 3 1 ff. und jetzt grundlegend de MONTAGUT I ESTRAGUES, Mestre Rational (für den Hinweis danke ich Gisela Droßbach und Bernhard Schimmelpfennig). Leider ist de Montagut Sthamers Edition entgangen, er setzt daher die Entstehung dieses Amtes (S. 61 f.) etwas zu spät an. Die aus den gedruckten Quellen bekannten Daten sind zusammengestellt bei BAIX, Notes; der aber die wichtige Arbeit von SCHRÖDER, Protokollbücher, übersehen hat. Dort auf S. 137 ff. Biographien mehrerer Kammerkleriker aus den Pontifikaten Benedikts ΧΠ. und Clemens' VI. Vgl. auch GUILLEMAIN, Cour, S. 283 ff. Das Problem ist, daß sie erst mit ihrem Eintritt in die Kurie aktenkundig geworden sind, über ihr Vorleben und ihre Ausbildung daher kaum etwas bekannt ist. Ober dieses Amt vgl. BAUMGARTEN, Von der apostolischen Kanzlei, S. 30 ff. Quilibet dictorum clericorum recipit duas vidandas cum pictanciis et partem enseniorum ut supra continetur, unam prebendam et alia oportuna pro equo; bibit in mensa camerarii de vino melioramenti. HabetXIIII.c'm candelas de cera a camerario in septimana, et quando dominus est in itinere habet unum roncinum et unum somarium et qualibet septimana XXI candelas de cera bonas et hospicium a camera. Zit nach FRUTAZ, Famiglia, S. 288. 5

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FRUTAZ, Famiglia, S. 289 FRUTAZ, Famiglia, S. 296. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S.

289. 293 f. 297. 298 f.

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Vorgeschichte

Weiteres Personal der Kammer Im 13. Jahrhundert hatten die Kammernotare eine etwa gleich angesehene Stellung wie die Kammerkleriker innegehabt1. Sie werden auch in der Hofordnung erwähnt, haben allerdings kein eigenes Kapitel, sondern werden bei den Kammerklerikern mitbehandelt . Hier scheinen beide Ämter verschmolzen zu sein, tatsächlich haben auch in Avignon viele Kammerkleriker den Notarstitel gefuhrt. Aus den Kammernotaren sind auch die Schreiber der Kammer hervorgegangen; sie führten den Titel scriptores pape. Ihre Aufgabe war es, diejenigen Papsturkunden zu konzipieren, die per cameram expediert und die in der Regel nicht in den allgemeinen, sondern in den Sekretregistern registriert wurden . Einige dieser Schreiber waren als secretarii dem Papst selbst zugeordnet, hatten die von ihm persönlich diktierten Briefe und sonstigen Texte zu redigieren . Beide Gruppen nahmen damit eine weit angesehenere Stellung als die normalen Kanzleischreiber ein. Aus der Avignoneser Zeit sind noch eigene Notare bekannt, die speziell den Kammerklerikern zugewiesen und untergeben waren5; möglicherweise hatte man sie zur Zeit Clemens' V. noch aus den reichlichen Rationen der Kammerkleriker oder des Kämmerers mitversorgt. Weiterhin verfugte die Kammer über diverse advocati camere\ sie berieten den Kämmerer in juristischen Angelegenheiten. Schließlich gab es mercatores camere, ein Titel, hinter dem sich vor allem Geldwechsler und Bankiers verbargen: sie hatten die eingehenden Gelder umzuwechseln - zumeist in Florentiner Goldgulden - und vor allem Überweisungen in entfernte Regionen zu besorgen .

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Vgl. RUSCH, Behörden, S. 31 ff. DENZEL, Zahlungsverkehr, S. 38 f. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 288. Dazu bahnbrechend GÖLLER, Mitteilungen und Untersuchungen, passim; zuletzt GASNAULT, Elaboration. So auch GUILLEMAIN, Cour, S. 296. VONES, Urban V . , S. 340, will die päpstlichen Sekretäre ohne weiteres der Kanzlei zuordnen. Aus den von ihm angeführten Studien von OPITZ, Sekretäre, S. 189 fF. und DERS., Sekretärsexpedition, S. 158 ff., geht aber eindeutig hervor, daß die päpstlichen Sekretäre - mochten sie auch ihre Karriere in der Kanzlei begonnen haben - als Sekretäre der Kammer zugeordnet und dem Kämmerer unterstellt waren. Dies wird auch durch ihre Eidformel bestätigt (TANGL, Kanzleiordnungen, S. 47 f.), und vor allem dadurch, daß die von den Sekretären verfaßten Briefe in einer eigenen Registerserie - den Sekretregisteni - aufgezeichnet worden sind, welche die Formel littere que per cameram ejus transiverunt im Titel führen. Zwar will GASNAULT, Elaboration, S. 220 ff. (in Übereinstimmung mit TANGL, Register, S. 839 ff.), diese Formel dahingehend deuten, mit per cameram sei nicht die Apostolische Kammer gemeint, sondern das "Zimmer" des Papstes im engeren Sinne, wo die Sekretäre dessen Briefe zu Pergament gebracht hätten. Er stimmt jedoch mit seinen Widersachern immerhin dahingehend überein, daß von einer Unterstellung der Sekretäre unter die Kanzlei keine Rede sein könne. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 288. In Avignon war dies aber nicht mehr der Fall. FRUTAZ, Famiglia, S. 305. FRUTAZ, Famiglia, S. 305. Ihre Tätigkeit wird nicht näher beschrieben. Über sie ist grundlegend RENOUARD, Relations; DERS., Recherches.

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Die päpstlichen Küchen Bislang ist offengeblieben, ob die Lebensmittel, welche die diversen Kurialen erhielten, in zubereitetem oder rohem Zustand verteilt worden sind. Diese Frage ist von einiger Bedeutung. In dem einen Falle hätten wir uns die kuriale coquina in erster Linie als eine Großküche vorzustellen, vergleichbar etwa der Kantine eines Großbetriebes (oder auch einer Universitätsmensa), im anderen Falle wäre sie vor allem ein Einkaufs- und Verteilungsamt; man müßte sie sich als großes Lebensmittelmagazin oder - wenn der Papst auf Reisen war - als langen Troß vorstellen. Befragen wir die Hofordnung selbst. Man erfahrt zunächst, daß es zwei Küchen gab: die große (coquina magna) und die kleine (coquina parva), die von denselben beiden Oberköchen geleitet wurden . Liest man die Beschreibung ihrer Aufgaben, erweist sich, daß sie Lebensmittel einkaufen2, dem Papst servieren und vorkosten, die Verteilung der Lebensmittel überwachen und schließlich über ihre Ausgaben abrechnen sollten. Das Kochen hingegen wird unter ihren Arbeiten nicht genannt. Dies oblag zunächst den Köchen und Unterköchen der kleinen Küche, welche nach den Anweisungen der Oberköche das Essen für den Papst selbst zuzubereiten und zu kosten hatten . Dabei

Nach RUSCH, Behörden, S. 113, ist die Aufteilung in zwei Küchen kurz vor 1278 zu datieren (ihm folgt PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 102). Die Unterteilung in zwei Küchen unter einheitlicher Leitung ist auch in den Hauptbüchern Bonifaz' VIII. belegt. Bei den monatlichen Abrechnungen findet man jeweils zuerst die Abrechnung der Oberköche (supracoci), und zwar offenbar für die große Küche, dann folgt unter der Rubrik mandatum eine besondere Abrechnung in vino et coquina pro familiaribus, familia parva, tunicis et denariis pro mandate ordinario et aliis consuetis... (zit. nach SCHMIDT, Libri S. 46 n. 216 von 1299 Febr. 13). Diese zweite Abrechnung ist offenbar die fur die Ausgaben der kleinen Küche. Die Deutung von BAETHGEN, Quellen, S. 145, diese Ausgaben seien in erster Linie für wohltätige Zwecke bestimmt gewesen, ist irrig. Die Ausgaben für Almosen und ähnliches folgen vielmehr regelmäßig im nächstem Abschnitt der Rubrik mandatum. Zur Buchungstechnik in den Hauptbüchern Bonifaz' VUL allgemein vgl. SCHMIDT, Libri S. X L m ff.; BAETHGEN, Quellen, S. 116 ff.

Ipsi vero debent emere cames grossas et pisces pro coquina domini et pro omnibus familiaribus. Posterius consuevit emere pullos, perdices, faxianos, capriolos, apros et omnes venationes, carnes salitas, ova, caseum, species, lardum, oleum et alia necessaria ad coquinas. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 294. Ich übersetze brodarius mit "Unterkoch", dies scheint mir die aus der folgenden Beschreibung am ehesten herzuleitende Bezeichnung zu sein. GUILLEMAIN, Cour, S. 42, hat "marmiton", also Küchenjunge; SCHÄFER, VQ 3, S. 847 (Glossar) hat "Suppenkoch", was etymologisch korrekt ist (von italienisch "brodo" = Suppe). Jedoch ist fraglich, ob damals bereits eine Differenzierung innerhalb der Köche nach bestimmten Spezialkenntnissen bestanden hat. Dagegen spricht vor allem die Organisation der Küche unter Benedikt ΧΠ. (vgl. Kap. IV,2), einem Papst, der nur noch brodarii, aber keine coqui mehr beschäftigt hat. Gleichwohl hat er sich keineswegs ausschließlich von Suppe ernährt. Daß diese Unterscheidung ein hierarchisches Verhältnis innerhalb der Küche ausdrückt, beweist die Hofordnung: Subsunt (brodarii) cochis, et servicia coquine faciunt, sicut imponitur eis; participant cum cochis iura coquinarum. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 295. Ipsi vero habent parare domino iuxta mandatum supracochi et facere assazum de omnibus, que pro domino paraverunt. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 295.

Vorgeschichte

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war der Dienst in der kleinen Küche der vornehmere: die Köche der kleinen erhalten eine höhere Entlohnung als die der großen1. Hier sind noch einige weitere Spezialisten zu erwähnen2: es gab bei Hofe einen Wasserträger3 - Beleg für die Wichtigkeit, die man reinem Wasser beimaß -, einen pisconarius, zuständig für die Fische4, und schließlich den speciarius5. Dieser Terminus ist schwer zu übersetzen, da species eine Fülle von Nahrungs- und Genußmitteln umfaßten, von denen Gewürze nur einen Teil ausmachten . Für wen (und ob überhaupt) die Köche und Unterköche der großen Küche zu kochen hatten, wird leider nicht gesagt; dieses Kapitel enthält zwar die übliche Aufzählung der Naturalien, aber keine Tätigkeitsbeschreibung. Einen Hinweis immerhin bietet die Hofordnung doch: Sowohl bei den Köchen der coquina magna wie auch bei den Oberköchen bestand ein Teil der Entlohnung in einem Anteil an den Häuten und dem Fleisch des Viehs, welches für die Kurie angeschafft worden war7. Hier erweist sich die Differenz zwischen roher und gekochter Nahrung als unzureichend; offenbar hat die Kurie ihren Bedarf an Fleisch nicht in Form von bereits zerlegten Tieren gedeckt, sie hat vielmehr ganze Tiere eingekauft, welche geschlachtet und in portionsgerechte Teile zerlegt werden mußten. Die große Küche mußte also darauf eingerichtet sein, daß in ihr auch die Arbeiten von Metzgern ausgeführt werden konnten. Dem entspricht, daß auch Viehhändler und Metzger im Dienste der Kurie standen ; auch sie wurden u. a. mit einem Anteil am geschlachteten Vieh entlohnt. Auffallig ist, was für eine geringe Bedeutung in der Hofordnung dem Kochen beigelegt wird. Ein einziges Mal - bei der Beschreibung der kleinen Küche - wird es erwähnt9, und der gewählte Terminus - parare - ist so unscharf, daß er in gleicher Weise für die Tätigkeit der Metzger verwandt wird10.

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Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 295.

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Vgl. auch RUSCH, Behörden, S. 117 ff. Item vero debet portare aquam pro coquinis parva et magna et habet propter hoc mulos necessaries cum bastis et coriis a marestalla et bariles a camera. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 296; etwas andere Fassung des Textes bei SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 209. Ipse vero debet vigilare et invenire bonospiscespro domino. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 296. Ipse vero debet ministrare species, confectiones et candelas pro curia. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 296. Am ehesten wäre der von Schäfer gebrauchte Terminus "Kolonialwaren" angemessen, wenn es die heute noch gäbe. Ich nenne sie im folgenden "Spezereien". Vgl. dazu Kap. VHI,7. Quilibet cochorum et brodariorum coquine magne recipit unam vidandam et habet partem coriorum et stincorum et capitum animalium presentatorum domino ... Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 295. Ipsi (mercatores animalium et macellarii) debent facere custodiri animalia, interfici et parari ea et parata mitti ad coquinam suis expensis, propter quod habent capita castratorum et boum et coratas eorum et porcorum et medietatem sepi et alia interiora animalium predictorum preter lumbellos. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 296.

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FRUTAZ, Famiglia, S. 295.

Siehe oben.

Kammer und Hofamter

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Es bleibt die Frage, wer alles von den beiden Küchen bekocht worden ist. Für den Papst selbst war - wie erwähnt - die kleine Küche zuständig, man darf vermuten, daß seine engeren Tischgenossen ebenfalls von ihr versorgt worden sind. Bei großen Festmählern ist auch die große Küche herangezogen worden; man kann dies daraus folgern, daß die Kapläne, wenn sie in aula speisten, von ihr versorgt wurden1. Dies ist der einzige Hinweis darauf, daß das Kochen überhaupt zu den Aufgaben der großen Küche gehörte. Ob nun aber die große Küche alle anderen Kurialen mit gekochtem Essen versorgt hat, ist sehr zweifelhaft. Der Kämmerer selbst ist ein Beispiel, er hatte eine eigene Küche, die von der päpstlichen mit Brennholz und Nahrungsmitteln versehen wurde . Im 13. Jahrhundert hatte die Kammer sogar eigene Kellermeister und Panatare gehabt . Auch die erwähnte Vorschrift, daß der Kämmerer die Fische für die Fasttage jeweils am Tag vorher erhielt, paßt in diesen Zusammenhang: sie wurden also erst Tags darauf in seiner eigenen Küche gekocht4. Die Kammerkleriker speisten am Tische des Kämmerers , dürften also von dessen Küche bekocht worden sein. In solchen Fällen wird man annehmen müssen, daß die jeweiligen Kurialen ihre Deputate zwar portioniert, aber ungekocht erhielten und diese dann in die jeweils für sie zuständige Küche einbrachten. Analoge Verhältnisse haben wohl bei jenen Ämtern geherrscht, deren Inhaber eigene Familien bzw. Famiiiaren hatten. Vermuten kann man dies im Falle des Vizekanzlers und des Justizmarschalls; sehr deutlich ist es im Falle des Almosenamtes, das seinen Bedarf an Lebensmitteln und Wein zumindest teilweise 6 7 durch eigene Einkäufer deckte , die Beschaffung also selbständig organisierte . Es ist mit seinen serviertes und den zu versorgenden Armen in der Regel auch räumlich getrennt von der Kurie untergebracht worden. Ausgenommen waren allerdings jene

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Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 290. Bei solchen Festmählern hatte der Subdiakon der Kapläne dem Papste vorzulesen, FRUTAZ, Famiglia, S. 290. Item recipit a coquinis ligna necessaria pro coquina sua, ova, caseum, oleum, lardum, sal, acetum, cepas, alea, carnes salitas, caules et interdum capones pro mensa ad plus bis in edomada. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 285. Eine separate Küche des Kämmerers wird auch in den Hauptbüchern Bonifaz' VIII erwähnt (vgl. SCHMIDT, Libri S. 47 n. 229 und passim), wo sie zudem ausdrücklich von der (päpstlichen) coquina magna und coquina parva unterschieden wird. Ahnlich SCHMIDT, Libri S. 49 n. 247

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Vgl. RUSCH, Behörden, S. 34 f.

Siehe oben. Siehe oben. So heißt es etwa zur Brotversorgung: Ipsi vero elemosinarii debent parare et pararifacere panem et habere granum pro ipso pane et furnarios pro ipso pane faciendo, ita quod cotidie fiat de ipso pane elemosina generalis in campo. Zit nach FRUTAZ, Famiglia, S. 301. Mit nahezu der gleichen Formulierung wird auch die Aufgabe des päpstlichen Brotamts beschrieben. Vgl. FRUTAZ, Famiglia, S. 297. (Elemosinarii) debent habere panem vinum et coquinam pro centum pauperibus, qui cotidie comedunt in elemosina... Zit. nach FRUTAZ, S. 301. Daß die Offizialen des Almosenamtes ihre Verpflegung selbständig organisierten, wird durch das an anderer Stelle erörterte Rechnungsbuch des Almosenamtes aus dem Jahre 1 2 8 5 / 8 6 bestätigt (ed. PROU, Compte, Teil 1 und 2 , vgl. dazu CORTONESI, Spese, S. 193 ff.). Vgl. Kap. V m , 2 .

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Vorgeschichte

Armen, die im Palast direkt versorgt wurden, für diese wurden die Lebensrnittel aus den Hofamtern geliefert1. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, wer in welcher Weise von den päpstlichen Küchen versorgt worden ist, fallt somit sehr differenziert aus. Nur ein Teil aller Wahrscheinlichkeit nach der kleinere Teil - des päpstlichen Hofes ist von ihnen mit gekochtem Essen versorgt worden, die meisten Kurialen erhielten lediglich Lebensmitteldeputate, die sie in die für sie zuständige Küche einbrachten. Hier wird noch ein weiterer Aspekt eine Rolle gespielt haben: Bei ihren Reisen mußte sich die Kurie auch an die jeweils vorgefundenen Wohnverhältnisse anpassen, d. h. es konnte jeweils nur ein Teil der Kurialen in unmittelbarer Nähe des Papstes und der Küchen untergebracht werden. Man findet diesem Umstand in der Hofordnung durchaus Rechnung getragen; dort ist festgehalten, welche Amtsträger auf Kosten der Kammer untergebracht werden sollten, sofern sie nicht gratis - in diesem Falle wohl im Quartier des Papstes - wohnen konnten2. Mustert man die in der Hofordnung genannten Nahrungsmittel, so ist vor allem die Konzentration auf Fleisch und Fisch, also tierische Nahrung, auffallig; vom Brot abgesehen werden nicht einmal pflanzliche Nahrungsmittel genannt . Auch dieser Befund wird in Avignon noch mehrfach bestätigt werden. Wein- und Brotamt 4 Neben Küche und Almosenamt gab es zwei weitere Hofamter, die mit Lebensmitteleinkäufen zu tun hatten: das Brotamt (panateria) und das Weinamt {buticularia). Wie bei den erstgenannten Ämtern sind es auch hier wieder jeweils zwei Panatare (panaterii) bzw. Kellermeister (buticularii), welche diese Ämter innehatten. Ähnlich wie bei den Küchen ist auch beim Brotamt auffällig, daß unklar bleibt, ob die benötigte Ware - Brot - im fertigen oder im Rohzustand eingekauft werden soll. Die Panatare sollen nämlich sowohl Brot und Getreide kaufen, als auch für die nötigen Bäkker sorgen5 - im letzteren Falle hätten sie also zuvor Mehl eingekauft. Im Lichte des oben Gesagten klärt sich diese Schwierigkeit leicht: Man mußte eben nehmen, was

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Consueverunt XXV pauperes comedere in palatio, pro quibus consueverunt dari Villi vidande camium; tarnen dominus Benedictus bone memorie papa XI. voluit, quod L pauperes comederent in palatio et sic duplieavit vidandas. Item pro ipsis pauperibus dabantur XIII vidande piscium et XIII ovorum. Item habent de panetaria XII vidandas et duos panes et III vidandas ovorum, quando dantur ova pro predictis pauperibus. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 301. FRUTAZ, Famiglia, S. 311. Sehr informativ zu dieser Frage ist auch die unten noch genauer erörterte Bittschrift des Stadtrats von Viterbo. Jedenfalls bei der Beschreibung der beiden Küchen (siehe oben). In der Auflistung der Lebensmitteldeputate für den Kämmerer (FRUTAZ, Famiglia, S. 285) werden immerhin Zwiebeln, Knoblauch und Kohl erwähnt. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 394 f.; für das 13. Jahrhundert auch RUSCH, Behörden, S. 118 ff. und PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 1 0 3 f. Ipsi vero debent emere et ministrare panem pro domino et tota familia, et granum undefiat dictus panis, debent invenire furnariospro dictopane faciendo,... Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 297.

Kammer und Hofämter

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vor Ort gerade greifbar war, und in der Lage sein, es zu verarbeiten, d. h. Getreide zu mahlen und Brot zu backen. Vom Brote abgesehen, hatte die panateria noch anderes vorrätig zu haben: die Quelle nennt Obst und Salz, Brennholz und Kohle, sowie diverses Besteck und sonstiges Tafelzubehör1. Den Kellermeistern oblag der Weineinkauf für das gesamte Gefolge, daneben hatten sie die nötigen Gefäße zu besorgen2. Das Almosenamt Ein päpstliches Almosenamt hatte es bereits lange vor Avignon gegeben3. Die Fürsorge für Arme und Kranke zählte herkömmlicherweise zu den wichtigsten Pflichten eines Bischofs; speziell in Rom trat der Papst zudem die Nachfolge des Kaisers an, der traditionellerweise für die Versorgung der Hauptstadt mit Getreide zu sorgen hatte. Diese Bindung an Rom lockerte sich allerdings mit der zunehmenden Abwesenheit der Päpste. Zwar hatte das Almosenamt in Rom einen festen Sitz innegehabt4, es war aber an die Person des Papstes gebunden, begleitete diesen also auf seinen Reisen. In der Hofordnung sind die Pflichten der Elemosinare näher beschrieben: Sie haben täglich Lebensmittel für 50 Arme bereitzustellen und zu verteilen, an den großen Festtagen des Kirchenjahres erhöht sich diese Anzahl noch um ein mehrfaches. Daneben sollten sie noch Kleidungsstücke und Geld verteilen5. Zur Versorgung der Kranken arbeiteten die Elemosinare mit diversen Hospitalsorden zusammen; in der Hofordnung werden je ein Hospital des Antoniter- und des Heilig-Geist-Ordens erwähnt6. Bereits im 13. Jahrhundert hatte ein Hospital des Antoniterordens gleichsam als mobiles Hospital den Papst auf seinen Reisen begleitet7. Auch in Avignon gab es eine Niederlassimg der Antoniter; sie sollte dann neben päpstlichen Geld- und Sachspenden auch die Speisereste der päpstlichen Tafel erhalten8.

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Item debent habere tobalias, cortinas, cultellos, salem, fructus, caseum, flabella ... Debent emere et ministrare omnia ligna et carbones pro camera domini et camerarii et in aula, quando comeditur in palacio, et pro capellanis a festo Omnio Sanctorum usque ad camiprivium, si comedunt in aula. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 297 f. Ipsi vero buticularii consueverunt emere et emi facere vinum cuiusvis generis pro domino et pro tota familia et omnia vasa vitrea et lignea ad usum vini spectancia, que necessaria sunt pro curia dominipape et camerarii... Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 299. Vgl. RUSCH, Behörden, S. 63 ff.

Er wird lokalisiert bei LEBLEVEC, Origines, S. 147 Anm. 4 und 148 Anmn. 6. FRUTAZ, Famiglia, S. 301.

FRUTAZ, Famiglia, S. 302 f. Dem Heilig-Geist Spital scheint zeitweise noch ein weiteres Hospital des Ordens von Altopascio zur Seite getreten zu sein. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 47. In Avignon spielte es aber keine Rolle. RUSCH, Behörden, S. 72 ff; GUILLEMAIN, Cour, S. 47; LE BLEVEC, Origines, S. 249 ff. Allgemein

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zum Antoniterorden vgl. MISCHLEWSKI, Grundzüge. Weitere Literatur bei VONES, Urban V., S. 402 ff. Vgl. Kap. VI.

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Vorgeschichte

Abrechnungen der Hofämter vor der Kammer Nachdem nun die praktische Tätigkeit der Hofamter erörtert worden ist, sei noch einmal auf ihre Beziehungen zur Kammer zurückgekommen. Jedem der genannten Ämter war jeweils ein Schreiber zugewiesen, der ausdrücklich unter den päpstlichen Famiiiaren mit aufgeführt wird1. Er hatte über die Ausgaben der Amtsinhaber Buch zu führen und begleitete einen von ihnen zur wöchentlichen Abrechnimg vor dem Kämmerer . Was aufgrund der erhaltenen Originalquellen oben bereits als Abrechnungsmodus rekonstruiert worden ist, findet sich hier in Umrissen bestätigt: Die Schreiber führten zunächst eigene Aufzeichnungen, legten diese der Kammer vor; dort bildeten dann diese Aufzeichnungen die Grundlage für den Eintrag ins Hauptbuch. Aber nicht allein über die Ausgaben bei den Lebensmitteleinkäufen hatten diese Schreiber Buch zu führen, auch über die ausgegebenen Rationen und ihre Empfanger machten sie Aufzeichnungen . Solche sind meines Wissens nicht im Original erhalten, es finden sich aber in den Hauptbüchern selbst Abrechnungen, die auf sie zurückgehen4. Zusammenfassung Als die primäre Aufgabe der päpstlichen Küchen in der voravignonesischen Zeit hat sich der Einkauf und die Verteilung von Nahrungsmitteln herausgestellt, wogegen das Kochen eine geringere Rolle spielte. Dies gilt besonders für die große Küche, lediglich bei Festmählern ist belegbar, daß auch das Kochen zu ihren Aufgaben gehörte. In erster Linie hatte die große Küche die nötigen Lebensrnittel fur die päpstlichen Famiiiaren und Offizialen zu beschaffen, zu portionieren und zu verteilen; mit gekochtem Essen hat sie nur einen Teil der Kurialen versorgt. Dagegen hatte die kleine Küche täglich das Essen für den Papst und seine Tischgenossen zuzubereiten. Der Vorrang der Beschaffung vor der Zubereitung, der hier zutage tritt, ist verständlich, wenn man sich die Umstände vergegenwärtigt, unter denen die päpstlichen Köche ihre Arbeit zu verrichten hatten. Solange der Papst seine Residenz häufig wechselte , mußte sich sein Gefolge beständig an neue Gegebenheiten anpassen, änderten sich Menge, Qua1

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Solche Schreiber gab es für die große Küche, das Brotamt, das Weinamt und den Marstall. Scribit expensas panetarie et vadit cum uno de panateriis ad reddendum rationem de istis expenses, heißt es über den Schreiber des Brotamtes (zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 298). So heißt es über den Schreiber der großen Küche: er solle ... presens esse, quando distribuuntur carries etpisces et alia pro familia. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 294. Noch detailierter sind die Ausführungen über den Schreiber des Weinamts, die allerdings diesmal in einer anderen Handschrift dieser Hofordnung erhalten sind: Et stant in buticularia qualibet die, donec vinum familie sit tantum datum, scribere, inquam, qualibet die omnes illos, qui recipiunt vinum α curia et qui non recipiunt,... Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 299 Anm. 107; eine noch etwas ausfuhrlichere Fassung des Textes bei SCHIMMELPFENMG, Zeremonienbücher, S. 208 f. Vgl. Kap. vm. Siehe unten.

Kammer und Hofämter

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lität und Preis der angebotenen Lebensmittel. Ebenso dürften auch Größe und Ausstattung der Kücheneinrichtungen gewechselt haben, die man in den diversen Unterkünften vorfand. Daß unter diesen Umständen die Beschaffimg von Lebensrnitteln Vorrang hatte, der kulinarische Aspekt nicht selten zu kurz gekommen sein mag, scheint einleuchtend. Mit dem dauernden Aufenthalt in Avignon sollte sich das ändern, zumal im Zuge der dort beginnenden Um- und Neubauten des päpstlichen Palastes auch große Küchen errichtet worden sind1. Die naheliegende Frage, wo und wie diejenigen Kurialen, deren Essen nicht von den päpstlichen Küchen gekocht wurde, ihr Essen zubereitet bekamen, läßt sich nur annähernd beantworten. Einige Hinweise deuten daraufhin, daß die hohen Funktionäre des Hofes wie Kämmerer, Vizekanzler, Justizmarschall und Elemosinar ihrerseits über eigene Küchen verfugten, in welche die ihnen unterstehenden Kurialen ihre Lebensmitteldeputate einbrachten und dann gekocht zurückerhielten. Schließlich konnte anhand der Hofordnung gezeigt werden, daß diese eine Kontrolle derjenigen Ämter, die fur die Lebensmittelversorgung zuständig waren, durch dasjenige Amt - die Kammer - vorsah, welches die päpstliche Finanzverwaltung zu besorgen hatte und dessen Inhaber zugleich der engste Vertraute und Berater des Papstes war. Der enge Zusammenhang, der im Mittelalter zwischen Hausherrschaft und politischer Herrschaft bestand, kann wohl kaum deutlicher werden.

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Vgl. Kap. IV,2.

111,2. Die Ansiedlung in Avignon Die Kurie und ihre Residenzstadt Es ist unbestritten, daß der Ansiedlung des Papsttums in Avignon ein langer Prozeß der Loslösung von Rom vorausgegangen ist. Schon im 12. und noch mehr im 13. Jahrhundert hielten sich die Päpste immer länger und immer öfter außerhalb der ewigen Stadt auf. Während die ältere Forschung das vor allem auf politische Ursachen zurückführte - die Unruhen und Aufstände in Rom hat Paravicini Bagliani ergänzend auf gesundheitliche Rücksichten verwiesen: der Hof wollte dem ungesunden Klima in Rom entgehen, den Sommer in angenehmer Umgebung verbringen2. Schließlich sollte man ein weiteres Motiv für die häufigen Ortswechsel nicht übersehen: die Aufrechterhaltung der päpstlichen Herrschaft über den Kirchenstaat. Betrachtet man die Itinerare der Päpste des späten 12. und des 13. Jahrhunderts3, so finden ihre Reisen nahezu ausschließlich innerhalb der Grenzen dieses entstehenden Staatswesens statt; die wenigen Ausnahmen lassen sich leicht aus politischen Rücksichten - den Konflikten mit den staufischen Kaisern - erklären. Die Päpste näherten sich hier immer stärker einem Muster an, das weltliche Herrscher des Mittelalters seit jeher befolgten. Damit soll nicht behauptet werden, der Stellvertreter Petri sei hier in die Bahnen frühmittelalterlicher Reiseherrschaft eingeschwenkt, eher läßt sich eine Art Kompromiß zwischen der Reiseherrschaft und der Herrschaft von festen Residenzen aus erkennen. Abgesehen von kurzen Aufenthalten an den verschiedensten Orten des Kirchenstaates hat Paravicini Bagliani eine Gruppe von fünf Städten - Viterbo, Anagni, Orvieto, Perugia und Rieti - isolieren können4, in denen sich die Päpste des 13. Jahrhunderts insgesamt fast 40 Jahre aufgehalten haben5. Neben die Hauptresidenz Rom traten somit fünf weitere Residenzstädte, die - wenn auch unregelmäßig und von den einzelnen Päpsten in sehr ungleichem Maße - immer wieder für längere Zeit aufgesucht worden sind.

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So schon Mollat, Papes, S. 11, und GUILLEMAIN, Cour, S. 69 ff. Eine detaillierte Aufschlüsselung der päpstlichen Aufenthalte außerhalb Roms bietet jetzt PARAVICINI BAGLIANI, Mobilitä, vor allem S. 158 ff. Zur Organisation der päpstlichen Reisen vgl. BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 47 ff.; PARAVICINI BAGLIANI, Leib, S. 169 f. (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig) und vor allem DERS., Mobilitä, S. 168 ff. Man könnte sogar die These vertreten, daß der Papst, selbst wenn er sich im Vatikan aufhielt, außerhalb der Stadt residierte: bekanntlich lag der Vatikan außerhalb der Stadtmauern. Lediglich die zweite römische Residenz, der Lateran, lag innerhalb der Mauern. Zum Verhältnis von Vatikan und Lateran als Papstresidenzen vgl. PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 9 ff.

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Vgl. PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 31 ff. Die Itinerare der Päpste von 1 1 8 1 - 1 3 0 4 sind zusammengestellt bei PARAVICINI BAGLIANI, Mobilitä, S. 225 ff. Hinter ihnen tritt die Bedeutung Montefiascones zurück. Diese Residenz sollte erst unter Urban V. an Bedeutung gewinnen. Vgl. Kap. VIII,3. Über Montefiascone vgl. noch KERSCHER, Privatraum, S. 92 ff. (mit weiterer Literatur). PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 5 9 ; ausfuhrlicher DERS., Mobilitä, S . 1 6 2 ff.

Die Ansiedlung in Avignon

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Ungeachtet aller Verschiedenheit lassen sich einige gemeinsame Züge dieser fünf Städte feststellen, die sie als besonders geeignet für einen längeren Aufenthalt des Papstes erscheinen lassen: Zu allen fünf Städten hatten - nicht alle, aber doch jeweils einzelne Päpste - eine besonders enge Beziehung, sei es, daß es sich um ihre Geburtsstadt handelte, sei es, daß sie selbst oder ihre Familien dort über erheblichen Besitz verfügten, sei es, daß sie Klima und Umgebimg für besonders gesund hielten. Alle fünf waren Bischofsstädte, d. h. sie verfügten über eine Kathedrale, also eine große Kirche, die für die päpstlichen Gottesdienste geeignet war. Weiterhin hatten alle fünf einen Palast - entweder den des Bischofs oder den von Verwandten des Papstes - , in dem der Papst mit einem großen Teil seines Gefolges untergebracht werden konnte. Im Falle Viterbos ist bekannt, daß der Palast auf Kosten der Kommune weiter ausgebaut worden ist . Schließlich handelte es sich offensichtlich um Städte, die so groß und so verkehrsgünstig gelegen waren, daß sie von ihrer Infrastruktur her geeignet waren, eine große Menge Menschen unterzubringen, zu ernähren und auch sonst zu versorgen. Sie verfügten über Märkte, Händler, Wirte, Geldwechsler, Verkehrsverbindungen und was sonst noch für die Versorgung des päpstlichen Hofes nötig war. Indes soll diese Problematik nicht nur aus der Sicht des Papstes, sondern auch aus dem Blickwinkel der jeweiligen Stadt, welche der Papst zu seinem Aufenthaltsort wählte, erörtert werden. Was für Auswirkungen hatte es auf eine Kommune, wenn sich der päpstliche Hof in ihr niederließ? Zunächst einmal, daß eine große Zahl zahlungskräftiger Konsumenten in ihr weilte, deren Bedürfhisse zu befriedigen, den örtlichen Händlern, Handwerkern, Gastwirten etc. reichen Gewinn versprach; dann aber auch, daß die städtische Infrastruktur auf einen Schlag eine erheblich größere Menschenmenge als vorher zu versorgen hatte. Es handelte sich dabei nicht nur um Papst, Kardinäle und Gefolge, vielmehr wirkte die Kurie wie ein Magnet, der Bittsteller und Prozessierende aus ganz Europa anzog. Speziell im Hinblick auf die Lebensmittelversorgung war mit erheblichen Preissteigerungen zu rechnen, ähnliches galt für die Mieten und überhaupt für die Waren und Gegenstände des täglichen Bedarfs. Auch die juristischen Probleme sind zu bedenken. Weder der Papst noch sein Gefolge waren bereit, zu den städtischen Abgaben beizutragen, sich den städtischen Zollschranken zu unterwerfen oder sich gar der städtischen Gerichtsbarkeit zu unterstellen. Indes konnten bei längerem Aufenthalt Rechtsstreitigkeiten zwischen einzelnen Kurialen und Bürgern nicht ausbleiben. Solange die Kurie in einer Stadt weilte, beherbergte diese also eine große Personengruppe, die der städtischen Kontrolle und Besteuerung entzogen war. Daß der Aufenthalt des Hofes den Stadtvätern gleichwohl als ein äußerst erstrebenswertes Ziel galt, haben Baumgarten und Dykmans am Beispiel Viterbos gezeigt . Aus den Jahren 1266 und 1278 sind beide Male die Bittschriften erhalten, welche die

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Über die Residenzen vgl. zusammenfassen PARAVICINI BAGLIANT, Cour, S. 35 ff. und DERS. in Dictionnaire, S. 1453 ff. Speziell über den Palast in Viterbo vgl. jetzt auch RADKE, Viterbo (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig). BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 47 ff; DYKMANS, Transferts, S. 102 ff. Über die Beziehungen Viterbos zur Kurie und über den dortigen Papstpalast vgl. RADKE, Viterbo, S. 13 ff. LEVILLAIN,

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Vorgeschichte

Stadt der Kurie vorlegte, um zu erreichen, daß der Papst seinen Sitz in Viterbo nehmen möge . Beide Male bietet der Stadtrat der Kurie große Vorteile bei der Unterbringung des Hofes an. So sollen der Papst und seine engere Familie wie auch die Kardinäle und deren Diener und Famiiiaren freies Quartier erhalten. Der Palast (hospitium), der für den Papst selbst vorgesehen ist, soll instandgehalten und bei Bedarf ausgebaut werden. Weiterhin wird zugesichert, daß der Papst mit seiner engeren Familie zusammen in dem Palast untergebracht werden könne. Folgende päpstliche Famiiiaren sollten mit ihm zusammen im gleichen Gebäude wohnen: der Kämmerer, die Kammerkleriker und -beamten, der Vizekanzler, die Auditoren, die Korrektoren, die Poenitentiare, die Bullatoren, die Elemosinare, der Seneschall, die Panatare, die Kellermeister, die Waffenknechte, die Stallknechte, der Justizmarschall, die Vorsteher des Marstalls, der Leibarzt und die Hofkaufleute2. Die Kapläne und sonstigen Famiiiaren, die Anrecht auf freie Unterbringung durch die päpstliche Kammer hatten, sollten auf Kosten der Stadt in gemieteten Quartieren untergebracht werden. Dem Rest der Kurialen hat man Wohnungen zugesichert, deren Miete einen bestimmten Höchstsatz nicht übersteigen sollte. Die hier vorgesehene Regelung stimmt weitgehend mit den Vorschriften der Hofordnung Clemens' V. überein3, lediglich mit dem Unterschied, daß die Kosten, welche normalerweise die Kammer für die Unterbringung der Famiiiaren zu tragen hatte, nun von der Stadt aufzubringen gewesen wären. Einen Eindruck von den Schwierigkeiten, die man erwartete, bietet das Angebot, für die zu mietenden Quartiere Höchstpreise festzusetzen; im Streitfalle solle ein aus zwei vertrauenswürdigen Männern gebildeter Ausschuß entscheiden, von denen einer vom päpstlichen Kämmerer, der andere von der Stadt bestimmt werden soll. Nahezu die gleiche Form der Konfliktlösung hat man später auch in Avignon eingeführt . Im Falle, daß sich beide Seiten nicht einigen konnten, wird angeboten, daß der päpstliche Kämmerer einen Schiedsrichter ernennen soll. In ganz ähnlicher Weise sollen die Preise für Lebensmittel im voraus festgesetzt werden; abermals soll im Streitfalle ein Schiedsrichter entscheiden. Ebenso werden feste Wechselkurse für die diversen Münzsorten angeboten. Im Hinblick auf die Jurisdiktion wird vorgesehen, der Inquisition in der Stadt freie Hand zu lassen und sie zu unterstützen. Die Gerichtsbarkeit über die Kurialen und das Gefolge der Kurie soll beim päpstlichen Justizmarschall 1

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Der ältere Text ist ed. bei DYKMANS, Transferts, S. 113 ff. von 1266 März 5; der jüngere liegt in zwei Versionen vor (zu ihrer Überlieferung vgl. DYKMANS, Fin, S. 20 mit Anm. 6 und DERS., Transferts, S. 98 Anm. 36 und 37; PARAVICINI BAGLIANI, Mobilitä, S. 198 f.). Die eine ist ediert bei Marini, Archiatri 2, S. 6 ff. von 1278 Mai 1, die andere bei Theiner, Codex 1, S. 205 n. 359 von 1278 Mai 20. Beide sind jetzt neu ediert bei PARAVICINI BAGLIANI, Mobilitä, S. 271 ff. Vgl. auch BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 51 ff.; DYKMANS, Transferts, S. 102 ff. Erstaunlicherweise werden in dem Text von 1278 zwar die Kellermeister und Panatare, nicht aber die Köche erwähnt (in dem von 1266 werden sie genannt). Indes erfahrt man aus den Gehaltslisten der avignonesischen Zeit, daß die Köche mit den päpstlichen Waffenknechten oder Edelknappen in der gleichen Gehaltsgruppe eingestuft waren. Wahrscheinlich sind sie auch schon 1278 unter diese miteinbezogen worden. Ed. FRUTAZ, Famiglia, S. 311.

Siehe unten.

Die Ansiedlung in Avignon

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verbleiben, dem die Unterstützung der städtischen Behörden zugesichert wird. Auch verpflichtet sich die Stadt, weder einen curialis noch einen Fremden während des Aufenthaltes der Kurie in der Stadt als Bürger aufzunehmen. Daß gleichwohl Unstimmigkeiten zwischen Hof und Stadt nicht ungewöhnlich waren, verdeutlichen die von Paravicini Bagliani publizierten Ratsprotokolle des Stadtrates von Perugia . Da fuhren beispielsweise die päpstlichen Vertreter Klage, daß die Preise für Getreide, Brennholz und Pferdefutter - trotz der städtischen Zusagen - zu hoch seien. Die Kardinäle beklagen sich, ihre Quartiere und die ihrer Famiiiaren seien in schlechtem Zustand. Viele Kuriale könnten überhaupt keine Unterkunft finden; sie verlangen, der Stadtrat möge fur Abhilfe sorgen. Daß dieser es immerhin an gutem Willen nicht fehlen ließ, zeigen die Protokolle deutlich: immer wieder werden der Podestä oder die sonst zuständigen Amtsinhaber beauftragt, für Abhilfe zu sorgen. Generell verdeutlichen diese Quellen die Art und Weise, in der die Kurie und die jeweilige Stadt ihr Verhältnis zu regeln suchten: Beide schlossen einen Vertrag, in dem sie die angesprochenen Probleme entweder im voraus klärten oder - wo das nicht möglich war - die Einrichtung von Institutionen vorsahen, welchen diese Aufgabe übertragen wurde. Auch ist offensichtlich, daß die städtischen Eliten die Vorteile, welche die Anwesenheit der Kurie mit sich brachte, für weit größer als die Nachteile hielten. Daß sich auch nach der Übersiedlung in den südfranzösisch-provenzalischen Raum grundsätzlich die gleichen Probleme stellten, zeigt eine Ordinatio de victualibus deferendis Pictavis a villis circumadjacentibus, curia Romana ibidem existente aus dem Jahre 1307, erlassen anläßlich des Aufenthaltes der Kurie in Poitiers und des Zusam' 2 mentreffens Clemens' V. mit Philipp dem Schönen . Die 62 Paragraphen dieser Ordonnanz sollen hier nicht im einzelnen behandelt werden, ich greife lediglich einige bezeichnende Bestimmungen heraus. Da wird bekanntgegeben, daß in Poitiers - während des Aufenthalts des Papstes - jeden Tag faire et marchi0 sein soll und zwar auf den größten Plätzen der Stadt. Alle Händler in einem Umkreis von vier Meilen um die Stadt werden angewiesen, dort ihre Waren anzubieten, und es wird untersagt, ihnen etwas abzukaufen, bevor sie den Marktplatz erreicht haben. Nicht nur für Grundnahrungsmittel wie Brot, Wein, Salz und Öl werden Höchstpreise festgelegt, nahezu alle denkbaren Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände werden aufgeführt und ihr Preisrahmen abgesteckt. Als Maße und Gewichte werden diejenigen von Poitiers festgesetzt, sogar das Verhältnis der diversen Maßeinheiten zueinander wird einmal erwähnt3. Auch werden Mindestlöhne für die Metzger, Bäcker4 und andere Berufe festgelegt. Das Ganze zu überwachen haben mehrere "prodommes" und "prisors" (Polizisten und Aufseher).

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PARAVICINI BAGLIANI, Mobilitä, vor allem S. 197 ff., dazu den Quellenanhang S. 254 ff. Ed. LEVILLAIN, Texte inedit, S. 81 ff. Er datiert noch genauer zu 1307 Apr. 15-Mai 1. Das Stück geht auf den Nachlaß Guillaumes de Nogaret zurück. LEVILLAIN, Texte inedit, S. 83 n. 18 und 22. Gemeint sind offensichtlich nicht ansässige, sondern wandernde Handwerker (Gesellen?), sogenannte "Störer".

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Die Tendenz der Ordonnanz ist wohl deutlich geworden. Sie zielte auf ein möglichst reichhaltiges Angebot an Lebensrnitteln und sonstigen Waren ab, indem sie eine möglichst große Zahl von Verkäufern möglichst oft an dem Ort versammelte, wo sich die potentiellen Käufer aufhielten. Für einen relativ kurzen Aufenthalt des Papstes, wie den in Poitiers, reichte dies aus; als der Papst seinen Sitz auf Dauer in Avignon nahm, wurden andere Maßnahmen notwendig. Im Verhältnis von Hof und Stadt ist schließlich noch ein weiterer Faktor zu berücksichtigen: die Relation zwischen Größe und Einwohnerzahl der Stadt einerseits und dem personellen Gewicht der Kurie andererseits. Je kleiner und geringer bevölkert eine Stadt war, desto mehr war das Eigengewicht der Stadt als einer Kommune tangiert, als einer Gemeinschaft von Bürgern mit eigenen Institutionen, eigener Politik und einer mehr oder weniger großen Selbständigkeit. Je größer der Bevölkerungsanteil der "Höflinge" und je geringer deijenige der Bürger war, desto mehr mußte die Stadt in Abhängigkeit von der Kurie geraten. Hier bestand der vielleicht größte Unterschied zwischen Rom und Avignon2. Während der wesentliche Inhalt der römischen Stadtgeschichte des 13. Jahrhunderts aus einer Fülle von Konflikten mit dem Papsttum besteht , sind solche aus dem 14. Jahrhundert zwischen Avignon und den Päpsten nicht bekannt. Die Stadtgeschichte Avignons verschwindet gleichsam für ein Jahrhundert hinter der Papstgeschichte. Von Lyon nach Avignon Den Entschluß, seinen Aufenthalt in Avignon zu nehmen, hat Johannes XXII. früh gefaßt. Unmittelbar nach seiner Wahl sandte er zwei Quartiermacher4, die taxatores domorum, voraus; sie erstellten zusammen mit Vertretern des Königs von Neapel und Grafen der Provence - also des Stadtherrn von Avignon - sowie des Stadtrates von Avignon eine Liste der Häuser und Wohnungen5, welche fur den Bedarf des Papstes und der Kardinäle zu beschlagnahmen waren. Schon am 16. August 1316, also neun Tage nach Johannes' Wahl in Lyon (7. Aug. 1316) wurde sie publiziert. Dies war die übliche Vorgehensweise, wenn der Papst in einer Stadt Quartier nahm. Die Eigentümer der Quartiere erhielten als Entschädigung eine entsprechende Miete; zur Rege1

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Siehe unten. Uber das wirtschaftliche Gewicht der Kurie im Rom des 15. Jahrhunderts hat ESCH in mehreren Aufsätzen gehandelt. Vgl. DERS., Jahr, S. 869 ff.; Registers, S. 72 ff.; Importe, S. 360 ff. Vgl. zuletzt THUMSER, Rom, S. 231 ff. (mit reicher Literatur). Dazu grundlegend BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 47 ff. ... assignatio hospiciorum facta et ordinata fuit in civitate Avin. per venerabiles viros dominos Hugonem de Mirabelle, canonicum Ebredunensem, et Ludowycum de Petragrona, jurisperitum, assignatores sedis apostolice auctoritate; et per dominos Jacobum Bermundi, militem, et Bertrandum de Mairosio, burgensem, auctoritate curie regie et consilii dicte civitatis deputatos. Ed. PANSIER, Palais 2, S. 12 n. 4, hier S. 13; ein Auszug auch bei DYKMANS, Palais, S. 398 η. A; zur Überlieferung der Liste vgl. HAYEZ, Livrees, 1. Teil, S. 96 Anm. 18. Gemeint ist hier die Kurie des Königs von Neapel und nicht etwa - wie Baumgarten meint (wie vorige Anm.) - die des Königs von Frankreich. Vgl. auch GUILLEMAIN, Logements, S. 181 ff.

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lung von Mietstreitigkeiten wurde ein Ausschuß gebildet, der in Streitfallen über die Höhe der Miete zu entscheiden und überhaupt die mit den Vermietungen zusammenhängenden Fragen zu klären hatte. Wieder bestand er aus je einem Vertreter der Kurie, des Stadtherrn und des Stadtrats1. Vom 1. Oktober 1316 an ist der Papst in Avignon nachweisbar2; er nahm seinen Sitz im Bischofspalast, den er wohl schon während seines Pontifikats als Bischof von Avignon (1310-1313) zeitweise bewohnt hatte3. Die Kardinäle und der Großteil der Kurialen wurden - teilweise unter sehr beengten Bedingungen4 - in der Stadt selbst untergebracht . Bei dieser Gelegenheit erfolgte auch die übliche Verteilung von Betten und Bettzeug an die diversen Beamtenkategorien6. Motive für die Wahl Avignons Warum wählte Johannes XXII. gerade Avignon zum Aufenthaltsort? Man kann eine ganze Reihe von Gründen nennen : Da war die günstige Verkehrslage in der Nähe der

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Vgl. die von den Kardinälen Nicolaus Alberti (Kardinalbischof von Ostia 1303-1321), Nicolaus de Freauville (Kardmalpriester von S. Eustachio 1305-1323) und Neapoleon Orsini (Kardinaldiakon von S. Adriano 1288-1342), sowie dem Rostagnus de Mories, miles, Ferrarius Penssoli, jurisperitus, et Paulus de Sado, cives Avin. erlassene Ordonnanz über die Vermietung von Wohnungen bei PANSIER, Palais 2, S. 8 n. 3. Dort heißt es: In primis namque ordinatum extitit et statutum, quod tres certe persone eligantur, quorum una curiam d. η. summi pontificis, et due per curiam et consilium Avin. statuantur, qui secundum qualitatem et conditionem personarum sequencium curiam, hospicia et loca debita assignent eisdem. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 2, S. 604 mit Anm. 2. Beispiele von Mietstreitigkeiten bei GIRARD, Avignon, S. 94 ff. Johannes' Itinerar ergibt sich aus MOLLAT, Lettres communes und COULON, Lettres secretes. Johannes war von 1310 März 18 bis 1313 Febr. 19 Bischof von Avignon gewesen (vgl. die Urkunden Clemens' V. ed. Reg. Clementis n. 5391 und 9041). Ober seine Amtszeit als Bischof von Avignon vgl. WEAKLAND, John ΧΧΠ, S. 168 ff. Die meiste Zeit hatte er sich als Berater Clemens' V. an der Kurie aufgehalten. Zu einem früheren Aufenthalt in Avignon siehe unten. Eine anschauliche Schilderung gibt GUILLEMAIN, Logements, S. 182 ff. Einen Eindruck von der drangvollen Enge vermittelt der Bericht des aragonesischen Gesandten bei FINKE, Acta 1, S. 2 2 4 n. 1 4 7 von ( 1 3 1 6 ) Okt. 17. Welche Schwierigkeiten auswärtige Besucher der Kurie hatten, ein passendes Quartier zu finden, davon bieten die Rechnungsbücher des hamburgischen Gesandten in Avignon einen Eindruck (ed. Schräder, Rechnungsbücher, darin die Einleitung, S. 65* ff. mit Zusammenstellung der Quellenstellen). Ed. der Liste der Empfänger bei SCHÄFER, VQ 2, S. 604 ff. Vgl. vor allem RENOUARD, Papaute, S. 9 ff. Bereits dem Papst Clemens V. hatten die Kardinäle Nicolaus Alberti und Guillelmus de Longis geraten, seinen Sitz in Avignon zu nehmen. Ihre Argumentation verdient festgehalten zu werden: "Iis lui disent ceci: Avignon est terre d'Empire, ce qui plaira aux Allemands; eile n'est pas fran5aise, ce qui ne deplaira pas aux Anglais; eile est gouvemee par un prince capetien d'Anjou, ce qui rassurera le roi Philippe; de plus eile est dans une position centrale, entre la France, l'Espagne et l'Italie; voisine du Comtat, terre d'Eglise, ou on pourra se refugier en cas d'alerte; c'est une cite de ravitaillement facile ä cause du Rhone, de Constitution liberale, hospitaliere ä l'etranger, et dont le maitre habite au loin." Zit. nach MARCHAL, Etablissement, S. 37 f.

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Einmündung der Durance in die Rhone - diese eine wichtige Wasserstraße was eine leichte Versorgung auch mit Massengütern gewährleistete. Zudem kreuzten sich mehrere Landstraßen in der Stadt, war doch die berühmte Brücke von Avignon der einzige stabile Übergang über die Rhone bis hinauf nach Pont-St.-Esprit. Die Brücke war damit die südlichste Rhonebrücke überhaupt und der Handel und Verkehr zwischen Frankreich und der Provence weitgehend auf sie angewiesen2. Politisch unterstand Avignon dem Grafen der Provence, der als König von Neapel gleichzeitig Lehnsmann des Papstes war. Hier bestanden auch persönliche Beziehungen: Vor seinem Pontifikat hatte Jacques Duese sowohl in den Diensten Karls II. als auch in denen seines Sohnes und Nachfolgers, Roberts I., gestanden, zuletzt als Kanzler3. Die Provence und auch die Grafschaft Venaissin gehörten zum alten Königreich Burgund, dem Arelat, womit der deutsche König bzw. der römische Kaiser Oberherr über diese Gebiete war4. Er war freilich seit Barbarossas Zeiten nicht mehr in der Region erschienen und sein Anspruch somit eher theoretischer Art. Immerhin war auch er zum Schutze der Kirche verpflichtet, und somit hätte Johannes gleich auf zwei Beschützer hoffen können5, im Falle daß der französische König den Anschlag von Anagni hätte wiederholen wollen. Johannes gewann so eine Unabhängigkeit, wie sie seine Vorgänger seit Bonifaz VIII. nicht mehr besessen hatten6. Weiterhin mag auch eine gefühlsmäßige Bindung des Papstes an sein altes Bistum eine Rolle gespielt haben. Daß Avignon neuer Sitz des Papsttums werden sollte, hatte sich bereits unter Clemens V.7 angebahnt. Ungeachtet seiner zahlreichen Reisen war Avignon die Stadt, in der er sich - vor allem gegen Ende seines Pontifikats8 - am häufigsten und längsten

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Vgl. BARATIER, Atlas, Karte 86; SCLAFERT, Routes, S. 183 ff.; GUILLEMAIN, Cour, Karte 1; Avignon, S. 15 ff.; PIOLA CASELLI, Costruzione, S . 13 f.; sowie die Karten in Anhang. Über die Bedeutung der Brücke von Avignon für den Verkehr vgl. MAUGARD, Avignon, S. 26 f. Vgl. VALOIS, Jaques Duese, S. 398 ff. Vgl. zuletzt KECK, Provence, mit weiterer Literatur. Daß sich Johannes mit Ludwig dem Bayern verfeinden würde, war zu Beginn seines Pontifikats noch nicht absehbar. Auf die in der älteren Forschung beliebte These, die Avigoneser Päpste seien Marionetten des französischen Hofes gewesen, kann ich hier nicht näher eingehen; sie entbehrt, zumindest was Johannes ΧΧΠ. betrifft, jeder Grundlage. Geradezu grotesk ist etwa das Urteil bei HALLER, Papsttum 5, S. 306: "Johannes ΧΧΠ. war vor allem Franzose", und das über einen Papst, der nicht einmal Französisch konnte (vgl. MOLLAT, Jean ΧΧΠ et le parier, S. 89 ff.; VALOIS, Jaques Duese, S. 394 mit Anm. 8). Johannes' Muttersprache war Okzitanisch; so konnte er sich mit dem aragonesischen Gesandten in lingua vulgari unterhalten (vgl. BAUMGARTEN, Untersuchungen, S. 146 n. 223 von 1325 Juni 21; ähnlich auch FINKE, Acta 3, n. 164). Sehr viel angemessener hatte HALLER in seinem früheren Werk - Papsttum und Kirchenreform, S. 89 ff. - charakterisiert. Über Clemens V. vgl. die neue Biographie von MENACHE, Clement V, die aber auf die hier interessierenden Fragen kaum eingeht. Zu Beginn seines Pontifikats scheint er geplant zu haben, sich in seinem Geburtsort Villandraut (in der Nähe von Bordeaux) niederzulassen; jedenfalls hat er dort einen Palast bauen lassen. Vgl. dazu CADIS, Chateau, S. 311 f. Er hat sich jedoch immer nur für kurze Zeit dort aufgehalten. MAUGARD,

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aufgehalten hat 1 . Fragt man nach Alternativen, so wäre wohl am ehesten Carpentras in Frage gekommen - wie Avignon Sitz eines Bischofs und zudem innerhalb des Venaissin gelegen. Jedoch lag Carpentras verkehrstechnisch recht ungünstig, ohne Anschluß an die Rhone oder einen anderen schiffbaren Fluß. Zudem hatte sich Clemens V. hier in Streitigkeiten mit dem lokalen Adel verwickelt 3 , die einen längeren Aufenthalt des Papstes nicht ratsam scheinen ließen.

D e r Palast Der alte Bischofspalast, den Johannes bezog, hatte nur geringe Ähnlichkeit mit dem eindrucksvollen Gebäudekomplex, den man heute noch in Avignon besichtigen kann. Dieser ist erst das Resultat der Bautätigkeit Benedikts XII. und Clemens' VI., seiner unmittelbaren Nachfolger 4 , die den alten Palast durch große und kostspielige Um- und Neubauten erweitern ließen . Infolgedessen ist leider gerade über den alten Palast nur wenig bekannt . Immerhin wissen wir, daß er 1316 aus einem Ensemble von fünf

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Vgl. sein Itinerar in Regestum Clementis, Indexband, S. 1 ff. Längere Aufenthalte in Avignon waren demnach von 1309 März 9 - Sept. 2; von 1309 Nov. 29 -1310 Juni 27, 1310 Nov. 24-1311 Mai 30 und 1313 Nov. 28-1313 Mai 7. Hinzu kam noch eine Anzahl kürzerer Besuche. Die Aufstellung von MENACHE, Clement V, S. 23, Clemens habe sich insgesamt nur 160 Tage in Avignon aufgehalten (gegenüber 133 in Chäteauneuf und 92 in Monteux), für die sie keine Belege gibt, ist grob fehlerhaft. Vgl. RENOUARD, Papaute, S. 16 f. Vgl. DUBLED, Carpentras, S. 40 f.

In ganz ähnlicher Weise ist auch im 13. Jahrhundert der Papstpalast in Viterbo durch Umbauten des dortigen Bischofspalastes entstanden. Dort waren allerdings nicht die Päpste die Bauherren gewesen. Vgl. dazu RADKE, Viterbo, S. 26, auf S. 63 ff. auch ein Vergleich des Palastes in Viterbo mit dem in Avignon. Über den Palast in Avignon gibt es eine reiche Literatur. Bahnbrechend war EHRLE, Historia, der als erster systematisch die Hauptbücher zur Rekonstruktion der Baugeschichte herangezogen hat. Vgl. sodann COLOMBE, Recherches, und DERS., Nouvelles recherches; LABANDE, Palais, 1 und 2; GIRARD, Evocation, S. 95 ff.; PIOLA CASELLI, Costruzione; SCHIMMELPFENNIG, Funktion; DERS., Fonction; KERSCHER, Privatraum (freundlicher Hinweis von Michel Hayez); VINGTAIN, Avignon (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig). Nur noch teilweise berücksichtigen konnte ich das jüngst erschienene Buch von KERSCHER, Architektur (dort auf S. 37 ff. ein Forschungsbericht über den Palast). Ich muß mich damit begnügen, mitunter auf seine abweichenden Ergebnisse hinzuweisen. Mit der Publikation der Quellen begann DUHAMEL, Origines, S. 228 ff. (aus der Avignoneser Überlieferung); Auszüge aus den Hauptbüchern hat EHRLE, Historia, S. 587 ff., publiziert; was bei ihm ediert ist, hat SCHÄFER, VQ 2, 3 und 6 meist weggelassen. Während sich Ehrle und Schäfer vor allem auf die Hauptbücher konzentriert haben, bietet ANDRE-MICHEL, Palais 1 (dort auf S. IX ff. auch eine Zusammenstellung der älteren Literatur) und 2, vor allem Auszüge aus den Kladden der päpstlichen Baumeister. Die drei zuletzt genannten Publikationen bieten somit die vatikanische Überlieferung. Vgl. LABANDE, Palais 1, S. 37 ff.; SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 26 ff.; VINGTAIN, S. 62 ff; abweichend jetzt KERSCHER, Architektur, S. 61 ff.

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Gebäuden bestand : dem Haus des Bischofs selbst, der Praepositur, der Sakristei, dem Dekanat und dem Almosenamt2. Dabei bildete das Bischofshaus anscheinend ein unregelmäßiges Rechteck, das sich um einen Innenhof herum gruppierte. Es war offenbar auch zur Verteidigung eingerichtet3. In der Nordostecke befanden sich die Präpositur, die Sakristei und das Dekanat; das alte Almosenamt lag gegenüber dem Westflügel der domus episcopi4 Mit dem Einzug des Papstes wurden alle fünf beschlagnahmt und die Räumlichkeiten ihrer neuen Verwendung zugeführt. Im zweiten Jahr seines Pontifikats ließ Johannes dem Palast noch die benachbarte St.-StephansKirche, eine der sieben Pfarrkirchen Avignons, angliedern5, sie wurde zur päpstlichen Kapelle umgebaut .

Der Papst und der Bischof von Avignon Es traf sich günstig, daß Avignon gerade keinen Bischof hatte, also kein anderer den Palast beanspruchen konnte . Johannes' Nachfolger in diesem Amt, Jacobus de Via, war zwar bereits gewählt, aber noch nicht geweiht. Er war ein naher Verwandter und

In der Liste der beschlagnahmten Wohnungen (ed. PANSIER, Palais 2, S. 12 f.) wird er folgendermaßen beschrieben: Primo domino pape: Domus episcopalis Avinionensis et domus predicatorum cum hospiciis circumvicinis. In librata superiori domus episcopalis assignata sunt hospicia infrascripta: primo dicta domus episcopalis cum domibus prepositure, sacriste, decanie et elemosine. Item domus prioris sancti Stephani. Item domus Poncii Barrelerii. Item domus Stephani Martini. Diese Gebäude zu lokalisieren, versucht COLOMBE, Nouvelles recherches 12, S. 8 f. Aufschlußreich ist eine Stelle in der Tauschurkunde Benedikts ΧΠ., wo er den Bischofspalast endgültig für das Papsttum in Besitz nimmt: Quod quidem palatium ... confrontatur ex una parte cum ecclesia cathedrali Avin. et claustro ejusdem, capella Sancti Johannis et cimiterio de Cortina vocato in medio existentibus. - ex alia parte, cum domibus sacriste et decani dicte ecclesie, carreria publica in medio existente. - ex alia parte cum domibus prepositure Avin. de Trulhatio nominatis ... (edd. DUHAMEL, Origines, S. 246 n. 18, hier S. 252 f.; PANSIER, Palais 3, S. 85 η. 1; zit. COLOMBE, Nou-

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velles Recherches 12, S. 9 Anm. 22). Das Haus des Almosenamts und die Präpositur hat Johannes selbst dem Palast hinzugefugt. Vgl. seine Urkunde von 1316 Dez. 13 edd. DUHAMEL, Origines, S. 229 n. 2; COULON, Lettres secretes η. 1 0 2 ; MOLLAT, Lettres communes η. 5 0 7 5 ; ALBANES, GCN 7 , S. 2 9 6 n. 9 0 6 . Über die spätantiken Traditionen, die in dieser Gebäudeanordnung wirksam waren, vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 62 ff. Schon Clemens V. hatte sich während seines Aufenthalts in Avignon, als er einen Überfall befürchtete, in den Bischofspalast geflüchtet. Vgl. GIRARD, Evocation, S. 95 f. Vgl. COLOMBE, Nouvelles recherches 12, S. 10 f. Seine dort vertretenen These, Kämmerer und Thesaurar hätten ihre Räume innerhalb des alten Almosenamtes gehabt, scheint mir überzeugend. Einzuwenden habe ich nur, daß auch dieses Gebäude durchaus zum Palast zu rechnen ist. Palatium meint eben nicht notwendigerweise ein einziges Gebäude, sondern eher eine ganze Gruppe von Häusern. Vgl. seine Urkunde von 1317 Dez. 13 (ed. DUHAMEL, Origines, S. 232 n. 4). Die Pfarrei erhielt dann eine neue Kirche. Zu ihrer Lage vgl. HAYEZ, Terrier, Karte 4. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 26 ff.; zuletzt VINGTAIN, Avignon, S. 74 ff. Clemens V. hatte bei seinen Aufenthalten in Avignon nicht im Bischofspalast, sondern im Konvent der Dominikaner Quartier genommen. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 76.

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enger Vertrauter des neuen Papstes1 und ist von diesem auch umgehend zum Kardinal promoviert worden ; Bischof von Avignon aber ist er nie geworden3, und als er bereits kurze Zeit darauf verstarb4, ernannte Johannes keinen Nachfolger, behielt das Bistum vielmehr selbst in der Hand. Er ließ es durch Generalvikare verwalten5, und zwar durch seinen Kämmerer, Gasbertus de Valle , sowie einen gewissen Arnaldus de Capdecano, der nach seinem kurz darauf folgenden Tod durch Geraldus de Campinulo, Kleriker aus Cahors, ersetzt wurde7. Der merkwürdige Zustand, daß der Papst zugleich sein eigener Gast und Gastgeber war, änderte sich erst unter Benedikt XII. 1336 gab er der Stadt einen neuen Bischof; er ernannte seinen Thesaurar, Johannes de Coiordano8, also einen seiner engsten Vertrauten. Als im gleichen Jahr der Kardinal Arnaldus de Via starb, kaufte Benedikt dessen prächtiges Palais9, und tauschte es gegen den alten Bischofspalast ein10. Erst mit diesem Tausch ging der Bischofspalast offiziell in den Besitz der römischen Kirche über, dafür sollte dem Bischof das ehemalige Kardinalspalais zur Verfügung stehen11. Der Oberhirte von Avignon konnte sich seiner neuen Residenz jedoch nicht ungestört erfreuen: Nach dem Tode des Johannes de Coiordano nahm sie der Kardinal Elias Talayrandus in Besitz. Er behauptete, Arnaldus de Via habe sie ihm testamentarisch vermacht. Erst 1364 konnte Anglicus Grimoardi, Bischof von Avignon

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Vgl. ALBE, Annales 7, S. 127 ff. Albe nennt ihn geradezu den Lieblingsneffen des Papstes. Am 17. Dez. 1316. Er ist lediglich zum administrator des Bistums ernannt worden (MOLLAT, Lettres communes η. 5079; COULON, Lettres secretes η. 107; ALBANES, GCN 7, S. 297 n. 911 von 1316 Dez. 20, vgl. auch COULON, Lettres secretes η. 108 vom gleichen Datum). Am 13. Juni 1317. Vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 61 f.

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Über ihn vgl. ALBE, Annales 9, S. 222 ff.; MOLLAT, DHGE 19 (1981) S. 1341-1343. Geralds Ernennungsurkunde zum Generalvikar des Papstes in Avignon von 1318 Juli 5 ed. DUHAMEL, Origines, S. 231 n. 3; vgl. auch COULON, Lettres secretes η. 1594 von 1323 Febr. 3 = ALBANES, GCN 7, S. 321 n. 1074. Eine Zusammenstellung der päpstlichen Generalvikare findet sich bei GIRARD, DHGE 5 (1931) S. 1121 ff. Nach EUBEL, Hierarchia 1, S. 126 amtierte er seit 1336 Mai 10. Die Provisionsurkunde Benedikts ΧΠ. stammt von 1336 Apr. 26 (ed. VIDAL, Lettres communes η. 2519 = ALBANES, GCN 7, S. 332 η. 1155). Auch Johannes hat Robert von Neapel den Treueid geleistet (ALBANES, GCN 7, S. 336 n. 1172 von 1336 Dez. 14). SCHÄFER, VQ 3, S. 53 von 1336 Febr. 22. Vgl. auch das Konsistorialprotokoll von 1334 Jan. 30 (Reg. SCHRÖDER, Protokollbücher, S. 209 n. 36). Der Kaufpreis betrug 7000 fl.; vgl. auch VINGTAIN, Avignon, S. 90 f.

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Urkunde Benedikts ΧΠ. von 1336 Juni 5 edd. DUHAMEL, Origines, S. 243 n. 17; PANSIER, Palais 3, S. 85 η. 1; VIDAL, Lettres communes η. 3974; dazu das Konsistorialprotokoll bei SCHRÖDER, Protokollbücher, S. 211 n. 39 von 1336 Juni 17. Bestätigung von 1341 Febr. 1 bei DUHAMEL, Origines, S. 246 n. 18; VIDAL, Lettres communes η. 9136. Über die weitere Entwicklung des Verhältnisses zwischen Papst und Bischof vgl. Kap. VH.

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und Bruder Urbans V., den "Petit Palais", wie man ihn später nannte, wieder in Besitz nehmen . Politische Verhältnisse in Avignon Wie viele Städte der Provence hatte Avignon2 im 12. Jahrhundert eine Periode der Unabhängigkeit unter der Herrschaft selbstgewählter Konsuln durchlebt3, war aber 1228 - im Verlaufe der Albigenserkriege - von Ludwig VIII. erobert worden. Mehreren Aufständen in der Folgezeit waren wechselnde Erfolge beschieden, immerhin konnte sich die Kommune in dieser Zeit eigene Statuten geben, die - wenn auch vielfach modifiziert und ergänzt - noch im 14. Jahrhundert Geltung haben sollten4. 1251 mußte sich die Stadt jedoch der vereinten Autorität zweier Brüder Ludwigs des Heiligen unterwerfen, Karls von Anjou und Alfons' von Poitiers5. Daraufhin ließ Alfons

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Vgl. die Urkunde Urbans V. von 1364 Jan. 2 2 edd. PANSIER, Palais 3, S. 86 n. 2 ; LECACHEUX n. 763 und ALBANES, GCN 7, S. 376 n. 1373. Zum "petit palais", der heute ein Museum beherbergt, vgl. PANSIER, Palais 3; VALLERY-RADOT, Petit palais, S. 59 ff.; HAYEZ, Livrees, Teil 1, S. 99 ff. Gesamtdarstellungen zur Stadtgeschichte geben GIRARD, Evocation und die Histoire d'Avignon. Speziell zum 13. Jahrhundert vgl. LABANDE, Avignon. Vgl. allgemein BOURRILLY/BUSQUET, S. 393 ff; BARATIER, Enquetes, S. 74 ff. Ed. DE MAULDE, Coutumes, S. 115 ff, vgl. DERS. S. 1 ff. Über die Statuten von Avignon ist grundlegend LABANDE, Avignon, S. 157 f f , mit zahlreichen Korrekturen zu de Mauldes Edition (vgl. auch schon GIRY, Rezension, S. 186 ff). Labandes Ergebnisse seien kurz resümiert: Demnach stammen die Statuten in der überlieferten Form aus dem Jahre 1246, ihnen lag eine ältere, 1243 oder 1244 erstellte Version zugrunde, die man überarbeitet hat (die Neuerungen sind erkennbar durch Formeln wie: addentes insuper oder addentes huic statute). Diese Version - also die alte Fassung von 1243/44 - geht bis § 132 (S. 198), was folgt, sind Zusätze der überarbeiteten Fassung. Diese gehen bis § 158 (S. 208). Es folgen weitere Nachträge späterer Zeit; sie gehen bis 1345; zuletzt folgt eine Urkunde Clemens' VI. von 1343 Nov. 18 (ed. DE MAULDE S. 323 n. 47, dort falschlich Clemens V. und dem Jahre 1307 zugewiesen). Das zeigt, daß die Statuten weiterhin in Gebrauch waren, wenn auch die Bestimmungen über die städtischen Freiheiten nur noch eingeschränkte Geltung hatten. Grundlage der neuen Stadtverfassung war die Konvention von 1251 zwischen dem Grafen von Toulouse und der Stadt Avignon (ed. DE MAULDE, Coutumes, S. 263 n. 16), sie ist den Statuten angehängt worden. Noch im Jahre 1357 hat Innozenz VI. ein Exemplar der Statuten illuminieren und einbinden lassen (SCHÄFER, VQ 6, S. 689 von 1357 Nov. 20) und 1358 hat er seinen Generalvikar in Avignon angewiesen, die Statuten der Stadt zu beschwören (ALBANES, GCN 7, S. 358 n. 1325 von 1358 Apr. 12, zur Überlieferung dieses Stückes vgl. WILLIMAN, Calendar, S. 36 Anm. 36). Auch Urbans V. Generalvikar hat die Statuten beschworen (Reg.: WBLLIMAN, Calendar, S. 183 n. 291 zu 1365). Schließlich ist noch eine (bewilligte) Supplik des Stadtrates von Avignon an Gregor XI. erhalten (ed. DUHAMEL, Supplique, S. 39 ff), wo dieser gebeten wird, die Rechte und Freiheiten der Stadt zu beschwören. Erst 1441 traten neue Statuten in Kraft, welche der päpstliche Legat, der Kardinal de Foix, hatte ausarbeiten lassen (ed. GIRARD/PANSIER, Statuts, S. 145 ff). Der am 7. Mai geschlossene (ed. DE LABORDE, Layettes 3, S. 126 n. 3957) und am 10. Mai 1251 noch einmal bestätigte Vertrag ist von den Nachfolgern Karls I. regelmäßig bestätigt worden. Die Urkunden sind im Bestand des alten Stadtarchivs erhalten: Karl I. und Alfons von Poitiers von

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durch eine "Enquete" feststellen, über welche Besitzungen, Lehen und Rechte im Venaissin und in der Stadt Avignon er nunmehr verfugte . Der Besitz von Avignon war seither aufgeteilt zwischen dem Grafen der Provence und dem von Toulouse. Nach dem Tode des kinderlosen Alfons von Poitiers fiel dessen Anteil an den König von Frankreich. 1290 aber übertrug Philipp der Schöne seinen Anteil an Karl II. von Anjou, womit also der Graf der Provence, der seit Karl I. auch König von Neapel und Sizilien war, die Herrschaft über Avignon allein innehatte. Karl II. betätigte seine stadtherrliche Fürsorge, indem er das Studium generale, welches in Avignon seit 1255 nachweisbar ist, förmlich zur Universität erhob . Bonifaz VIII. bestätigte sie im Jahre 1303 . Wenn die Universität auch keine große Bedeutung gewann, so ist sie doch insofern von Interesse, als sie der Anlaß für den ersten Kontakt Johannes' XXII. mit Avignon gewesen ist: Im Jahre 1298 hatte Karl II. den renommierten Juristen Jacques Duese beauftragt, in Vertretung seines Kanzlers Studenten der Avignoneser Universität zu prüfen . Die unmittelbare Herrschaft über die Stadt wurde seit 1251 von einem gräflichen Vikar ausgeübt, der anfangs von beiden Grafen, seit 1290 von dem der Provence allein ernannt wurde. Dieser Vikar ernannte die Mitglieder des Stadtrates, die beiden Richter des städtischen Gerichts6 und ebenso den Clavarius, welcher die städtischen Abgaben an den Grafen in Empfang zu nehmen hatte. Der Vikar residierte unmittelbar gegenüber der Südseite des Bischofs- bzw. Papstpalastes im ehemaligen Rathaus der Kommune7. Dieses Gebäude war zugleich königliche Residenz, wenn der Graf der

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1251 Mai 10; Karl Π. von 1291 Jan. 29; Robert I. von 1310 Jan. 10; Johanna I. von 1345 Apr. 15 (Avignon, Arch, dep., AC boite Pintat 3). Ed. DE LABORDE, Layettes 3, S. 206 η. 4096 zu 1253-54 vor Apr. 12. Vgl. die Urkunden Karls Π. bei FOURNIER, Statuts 2 , n. 1 2 4 1 - 1 2 4 3 . Seine Gründungsurkunde datiert von 1 3 0 3 Juli 1 (POTTHAST n. 2 5 2 6 9 ed. ALBANES, GCN 7 , S. 2 6 6 n. 784, Orig. in Avignon, Arch, dep., AC, boite Pintat 5). Vgl. zuletzt VERGER, Jean ΧΧΠ, S. 199 ff. Vgl. das Schreiben Karls Π. von 1298 Apr. 3 (ed. DE MAULDE, Coutumes, S. 302 n. 28): Mandamus ... quod in civitate ipsa (Avignon), tarn scilicet in decretis quam in legibus studentes et legentes hujusmodi per cancellarium nostrum, dum praesens in Provincia fuerit, et, in ejus absentia, per discretos viros magistrum Jacobum Dueza, professorem utriusque juris, clericum, consiliarium et familiarem, et per Avinionensem praepositum, fideles nostros dilectos, qui ambo et eorum quilibet ipsius cancellarii, in ejusdem partibus Provinciae absentis, vicem gerant, licencientur et etiam doctorentur. VALOIS, Jacques Duese, S. 395 Anm. 5 bestreitet - mit Recht, wie mir scheint , daß aus der zitierten Urkunde hervorgehe, Johannes habe als Professor in Avignon gelehrt. Man muß indes nicht so weit gehen, einen Aufenthalt in Avignon völlig auszuschließen; die erwähnten Prüfungen dürften aller Wahrscheinlichkeit nach in Avignon stattgefunden haben. Vgl. LABANDE, Avignon, S. 197 ff.; über die Institution des Vikariats vgl. BARATIER, Enquetes, S. 116 ff. Neben diesen existierte noch ein geistliches Gericht, dessen Richter der Bischof ernannte. Vgl. CHIFFOLEAU, Justices, S. 44. Vgl. GIRARD, Evocation, S. 29.

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Provence und König von Neapel die Provence besuchte; vor allem Robert von Neapel hat seinen Sitz dann mehrfach in Avignon genommen. Die geschilderten Verhältnisse blieben auch nach der Ankunft des Papsttums bestehen, bis dann 1348 Clemens VI. der Königin Johanna für 80000 Floren die Stadt abkaufte1. Dies war der vereinbarte und von Johanna auch quittierte Kaufpreis2 Diese Transaktion ist nicht auf dem üblichen Weg über die Kammer abgewickelt worden , offenbar weil die Summe zu groß war, als daß sie aus den laufenden Einnahmen hätte finanziert werden können. Vielmehr hat Clemens den Kämmerer angewiesen, das nötige Geld aus dem Schatz direkt zu entnehmen4, was der Kämmerer - nach Ausweis seines Hauptbuchs - auch getan hat5. In den Kauf eingeschlossen waren alle Besitztümer der Stadt im Umland und im Venaissin. Der Kauf fand am 9. Juni 1348 statt6; am 21. Juni bestätigte die Königin ihn noch einmal7. Am 1. November folgte ein Schreiben Karls IV., worin er auf seine Rechte über Avignon verzichtet8. Die Stadt ist nicht mit der Grafschaft Venaissin vereint worden, behielt vielmehr eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit . Erst als Urban V. Avignon verließ, hat er die Stadt dem Rektor des Venaissin, Philippe de Cabassole, unterstellt10. Diesem Beispiel folgte Gregor XI., als auch er nach Rom aufbrach: beide Ämter vereinte nun Johannes de Blauzac in seiner Hand11. Auch weiterhin bildete Avignon einen Teil des Kirchenstaates, was sich endgültig erst im 18. Jahrhundert ändern sollte. Am 12. Juni 1790 vertrieb die Bevölkerung den päpstlichen Vizelegaten und verlangte die Vereinigung mit Frankreich.

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Vgl. LEONARD, Histoire 2 , S. 5 2 ff., bes. S. 1 2 5 ff. Eine Petition der Stadt an die Königin, mit der Bitte, sie nicht zu verkaufen, ist ed. in Avignon au moyen äge, S. 59 ff. von 1348 Febr. 13. Die Urkunde ist ed. bei FALQUE, Etude, S. 121 n. 8. Zu ihrer Überlieferung und den älteren Drukken vgl. LEONARD, Histoire 2, S. 126 Anm. 2. Sie ist in dem diesjährigen Hauptbuch der Kammer, IE 210, ed. SCHÄFER, V Q 3, S. 385 ff. (Ausgaben des siebten Pontifikatsjahres) nicht verzeichnet. DEPREZ, Lettres closes η. 3930 von 1348 Aug. 9. Der Eintrag ist nach IE 245 ed. bei LEONARD, Histoire 2, S. 452 n. 49 zu 1348 (Juni 10-0kt. 15). Dort ist noch eine weitere Zahlung für die Königin gebucht: 18000 fl. für Schmuck, den sie dem Papst für diese Summe verkauft hat (ed. LEONARD, Historie 2, S. 447 n. 43 von 1348 Mai 9). So das Datum der Urkunde bei FALQUE, Etude, S. 121 n. 8. Vgl. LEONARD, Histoire 2, S. 127 mit Anm. 1. BÖHMER-HUBER n. 774 = n. 6542. Zur Überlieferung dieses Stückes vgl. LEONARD, Historie 2, S. 127 Anm. 2. Dies hat Karl IV. nicht gehindert, später Rechtsakte in der Stadt vorzunehmen. Vgl. BÖHMER-HUBER n. 4174 sowie BÖHMER-HUBER n. 7156-7159 von 1356 Mai 27 ed. ALBANES, GCN 7, S. 391 ff.; außerdem das große Privileg von 1365 Juni 7 (BÖHMER-HUBER - , ed. ALBANES, GCN 7, S. 398 n. 1418) und das Exekutionsmandat vom gleichen Tag (BÖHMER-HUBER n. 7162 ed. ALBANES, GCN 7, S. 402 n. 1419). Vgl. LABANDE, Palais 1, S. 26. Vgl. GIRARD, Etats ( 1 9 0 6 ) , S. 4 2 ; ROLLO-KOSTER, People, S. 1 3 f. (dort auch über Philippes Nachfolger); über Philippe vgl. jetzt vor allem VONES, Urban V . , S . 2 4 6 ff. Demnach hat er 1 3 6 2 Nov. 17 das Rektorat über die Grafschaft Venaissin und 1367 Apr. 13 über Avignon erhalten. Vgl. ROLLO-KOSTER, People, S. 14.

Die Ansiedlung in Avignon

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Größe und Bevölkerung Avignons Das Avignon1 des Jahres 1316, in das Johannes XXII. seinen Einzug hielt, war eine befestigte Stadt mittlerer Größe2; ihre Einwohnerzahl dürfte - nach notgedrungen ungenauen Schätzungen - etwa 5000 bis 6000 Menschen betragen haben3. Der rund 3000 Meter lange Mauerring4 umschloß eine Fläche von etwa 42 bis 45 Hektar5. Am südlichen Hang der höchsten Erhebung der Stadt, dem "rocher de doms", erhob sich die Kathedrale, Notre-Dame-des-Doms6, direkt daneben an der Südseite lag der Bischofspalast. Man hatte so einen weiten Blick ins Umland und konnte auch das andere Rhoneufer übersehen, wo dem Palast - am Ende der berühmten Brücke von Avignon die noch heute sichtbare "Tour Philippe le Bei" gegenüberstand. Den Berechnungen Guillemains zufolge darf man die zahlenmäßige Stärke des päpstlichen Hofes mit etwa 500 Personen ansetzen, hinzu kommen 20-25 Kardinäle, mit einem Gefolge von jeweils 30 bis 50 Famiiiaren. Daraus ergibt sich ein unmittelbarer Bevölkerungszuwachs fur Avignon von etwa 1300 bis 1500 Personen7. Dies war aber nur der Anfang einer rasanten Entwicklung, durch welche Avignon im 14. Jahrhundert zu einer europäischen Metropole werden sollte. Um die Jahrhundertmitte, vor dem Ausbruch der Pest im Jahre 1348, wird die Zahl der Dauereinwohner auf 28000 bis 35000 ge-

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Es sei angemerkt, daß sich die Avignoneser Geschichte im 14. Jahrhundert wie eine Fallstudie zu der von SOMBART, Kapitalismus 1,1, S. 124 ff., bes. S. 142 ff., entwickelten Theorie der Stadtentstehung und -entwicklung liest (worauf bereits PIOLA CASELLI, Costruzione, S. 15, hingewiesen hat). Vereinfacht besagt sie, daß entscheidend für die Entwicklung einer Stadt die Ansiedlung einer möglichst großen Zahl von zahlungskräftigen Konsumenten ist, im Mittelalter also von Fürsten, Adligen und hohen Klerikern. Daß dies insbesondere für Residenzstädte zutrifft, ist offensichtlich. Eine modifizierte Fassung dieser Theorie wird auch in dem einschlägigen französischen Handbuch, der Histoire de la France urbaine 2, S. 259 ff., vertreten. 2 Die alte Ummauerung, welche Ludwig VHI. hatte niederreißen lassen, war wiederhergestellt worden. Sie ist eingezeichnet bei BARATER, Atlas, Karte 104 (auch im Anhang) und GUILLEMAIN, Cour, Karte 2. LABANDE, Avignon, S. 206 ist der Ansicht, diese Mauer sei nach Unterwerfung der Stadt durch Karl von Anjou und Alfons von Poitiers abgerissen oder zumindest durch Breschen unbrauchbar gemacht worden. Er gibt aber selbst zu, keine positiven Belege zu haben. Dagegen belegt PANSIER, Dictionnaire, S. 134 f., das Weiterbestehen der alten Mauer mit Belegen aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts aber, vor allem als mit dem Anwachsen der Bevölkerung auch der Raum vor den Mauem besiedelt wurde, ist sie allmählich in Verfall geraten. Vgl. noch HAYEZ, Avignon, S. 257. Vgl. GUILLEMAIN, in: Historie d'Avignon, S. 175; PIOLA CASELLI, Costruzione, S. 15. Zum Ver-

gleich: die Bevölkerung der Provence insgesamt (unter Ausschluß von Avignon) wird von BARATIER, Demographie, S. 67, mit insgesamt 80000 Feuerstellen oder 350000 bis 400000 Ein-

wohnern berechnet. Sein Verlauf wird rekonstruiert bei PANSER, Dictionnaire, S. 134 ff. (Stichwort: Menia antiqua). GIRARD, Evocation, S. 28. 6

Vgl. HAYEZ, Cathedrale, S. 185 ff. GUILLEMAIN, in Histoire d'Avignon, S. 178. Zur zahlenmäßigen Stärke des Hofes vgl. auch die Berechnungen bei BAETHGEN, Quellen, S. 131 ff.

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Vorgeschichte

schätzt1, hinzu kamen die zeitweiligen Besucher, die Studenten und die Armen; sie ließen die Bevölkerungszahl zeitweise auf etwa 50000 Personen hochschnellen2. Vor allem zu Beginn der einzelnen Pontifikate, wenn sich die zahlreichen Petenten in forma pauperum einfanden, dürfte das der Fall gewesen sein3. Insbesondere unter Clemens VI. und Urban V., die sich in dieser Hinsicht außergewöhnlich großzügig zeigten, scheint der Zustrom an Petenten außerordentlich hoch gewesen zu sein - bei Clemens VI. spricht ein Chronist gar von 100000 armen Klerikern, die sich eingefunden hätten . Selbst die Pest verursachte nur einen zeitweiligen Rückgang; bereits wenige Jahre später war die alte Bevölkerungsdichte wieder erreicht. Selbstverständlich reichte das ummauerte Territorium nicht aus; die Stadt vergrößerte sich; die vor den Mauern liegenden Dörfer wurden in die Besiedlung einbezogen5. Als im Jahre 1355 Söldnerbanden Avignon bedrohten und Innozenz VI. in aller Eile eine neue Ummauerung errichten ließ , hatte diese einen Umfang von 4330 Metern und umschloß ein Areal von 151 Hektar und 71 Ar7, für mittelalterliche Verhältnisse eine erhebliche Größe8. Bürger und Höflinge Die Ansiedlung der Kurie hatte zur Folge, daß sich die Avignoneser Bevölkerung hinfort in zwei Hauptgruppen teilte: die curtesiani (Höflinge) und die cives (Bürger) . Bei den Höflingen handelte es sich nicht etwa um die Angehörigen des päpstlichen Hofes im engeren Sinne, sondern vielmehr um die zahlreichen Kaufleute, Handwerker, Bankiers u. s. w., die sich im Gefolge des päpstlichen Hofes in Avignon niederließen10. Als Auswärtige besaßen sie nicht das Avignoneser Bürgerrecht; sie waren

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Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 213. Zum Vergleich: Im Jahre 1801 lebten innerhalb des Mauerrings 17175, im Jahre 1921 29000 Einwohner. Die Zahlen nach GIRARD, Avignon, S. 88. Über diese vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 524 ff. Petrus von Herenthals, Quinta vita dementis VI, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 298. Die Zahl dürfte übertrieben sein, immerhin aber befand sich Petrus zu dieser Zeit selbst in Avignon. Vgl. dazu HAYEZ, Bourgs, S. 77 ff. Diese ist heute noch zu sehen und nicht mit der alten Ummauerung (siehe oben) zu verwechseln. Der Verlauf des neuen Mauerrings ist eingezeichnet bei BARATIER, Atlas, Karte 104 (auch im Anhang), GUILLEMAIN, Cour, Karte 2; HAYEZ, Terrier, Karte 3. Vgl. auch HAYEZ, Travaux, S. 193 ff. Nach den Berechnungen von AMMAN, Stadt, S. 504, hat man in einer mittelalterlichen Stadt auf einen Hektar bebauten Geländes mit selten weniger als 100 und selten mehr als 200 Bewohnern zu rechnen. Legt man diese Zahlen für Avignon zugrunde, erhält man 15000 bis 30000 Einwohner, was den oben genannten Zahlen immerhin nahekommt. Zum Vergleich: Der Mauerring der größten Stadt Europas - Paris - umschloß 317 Hektar (SOMBART, Kapitalismus 1,1, S. 215). Zur Einwohnerzahl der europäischen Großstädte des 14.-16. Jahrhunderts vgl. auch KELLENBENZ, Wirtschaft, S. 122 ff. Zu dieser Unterscheidung vgl. vor allem ROLLO-KOSTER, People, S. 1 6 ff.; auch DIES., Women, S . 3 6 ff. Sie werden auch curiam Romanam sequentes genannt.

Die Ansiedlung in Avignon

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vielmehr dadurch definiert, daß sie von dem päpstlichen Justizmarschall ihre Einstufung als curtesiani erlangt hatten. Die Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen war juristisch von Bedeutung: während die Höflinge der Gerichtsbarkeit des päpstlichen Justizmarschalls unterstanden1, war für die Avignoneser Bürger das städtische Gericht zuständig . Daneben gab es noch das bischöfliche Gericht, das die Gerichtsbarkeit über den städtischen Klerus innehatte. Schließlich gab es noch die Famiiiaren und Offizialen des päpstlichen Hofes; sie zählten nicht zu den Höflingen, unterstanden vielmehr der Gerichtsbarkeit der Apostolischen Kammer, ausgeübt durch den auditor camere . Diese Aufteilung blieb während des gesamten Untersuchungszeitraums bestehen, also auch nachdem Avignon von Clemens VI. gekauft worden war, und sodann auch das städtische Gericht von der Kurie kontrolliert wurde. Das Zahlenverhältnis von Bürgern und Höflingen wird vor allem in dem Liber divisionis sichtbar4, einem Verzeichnis, in welches sich die Einwohner von Avignon im Jahre 1371 eintragen lassen und ihren Status als Bürger oder Höflinge angeben mußten. Insgesamt haben sich 3830 Personen, meist Männer, vereinzelt auch Frauen, in das Verzeichnis einschreiben lassen; von diesen ließen sich 1471 als Bürger verzeichnen, 2359 dagegen als Höflinge. Die tatsächliche Bevölkerungszahl, die durch die Einträge repräsentiert wird, lag aber weit höher, da ausschließlich Haushaltungsvorstände eingetragen worden sind. Guillemain hat die Anzahl der Höflinge mit 15000 bis 20000 berechnen. Dabei ist noch zu beachten, daß die Offizialen und Famiiiaren des päpstlichen Hofes nicht unter den Höflingen des Liber divisionis verzeichnet sind; sie unterstanden - wie erwähnt - dem Kämmerer und nicht dem Justizmarschall5. Weiterhin konnte Guillemain für die Periode von 1358-1360 insgesamt 1062 Haushaltungsvorstände mit Bürgerrecht feststellen. Nimmt man die Angaben des Liber divisionis hinzu, so ergibt sich, daß die Zahl der Bürgerschaft etwa 4000 bis 5000 Personen umfaßt hat6. Sie war also erheblich kleiner als die der Höflinge. Bedenkt man weiterhin, daß weder unter den Höflingen noch unter den Bürgern die zahlreichen städtischen Kleriker enthalten sind, ebensowenig die Studenten, die Juden, die Besucher und die städtischen Armen, so wird man die oben genannten Bevölkerungs-

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Vgl. MOLLAT, Conflits, S. 11 ff.; GUILLEMAIN, Cour, S. 4 3 4 ff.; ROLLO-KOSTER, People, S. 26 f.

Bereits im 13. Jahrhundert hatte diese Regelung bestanden. Vgl. RUSCH, Behörden, S. 59. Weiterhin war es auch für die Avignoneser Juden und die Armen ohne Bürgerrecht zuständig. Über das städtische Gericht vgl. GIRARD/PANSIER, Cour temporelle; DUVAL-ARNOULD, Registres, S. 289 ff; CHIFFOLEAU, Violence, S. 325 ff; DERS., Justices.

Bereits im 13. Jahrhundert hatte diese Regelung bestanden. Vgl. RUSCH, Behörden, S. 56. Für Avignon vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 291 f. Es handelt sich um den Liber divisionis cortesianorum et civium romane curie et civitatis Avinionensis... (ed. ROLLO-KOSTER, People, S. 187 ff). Auf dieses Verzeichnis hingewiesen hat zuerst DENIFLE, Liber, S. 356 ff. Die in der älteren Forschung zwischen 1371 und 1378 schwankende Datierung (vgl. vor allem GUILLEMAIN, Cour, S. 653 ff; dagegen TREXLER, Census, S. 82 ff.) ist von ROLLO-KOSTER, People, S. 78 ff. überzeugend auf 1371 nach Aug. 6 eingeengt worden. Ich stütze mich auf einen Vergleich der im Liber divisionis verzeichneten Personen mit denen, die in der Edition der Hauptbücher Gregors XI. (ed. SCHÄFER, VQ 6) verzeichnet sind. GUILLEMAIN, Cour, S. 632 ff.

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Vorgeschichte

zahlen als realistisch ansehen. Zugleich beweist das Zahlenverhältnis von Bürgern und Höflingen die alles überragende Bedeutung des Papsttums fur Avignon; die Avignoneser Bürgerschaft war nur noch eine Minderheit in ihrer eigenen Stadt. Zwar hatte auch in Rom die Anwesenheit der Kurie erhebliche .Auswirkungen auf das wirtschaftliche Leben der Stadt, indes war das "Eigengewicht" Roms doch erheblich höher als das Avignons gewesen1. Die Grafschaft Venaissin Wenn auch mit Johannes XXII. Avignon zur päpstlichen Dauerresidenz wurde, so soll dabei jedoch nicht übersehen werden, daß Avignon zwar die Haupt-, nicht aber die einzige Residenz der Avignoneser Päpste war2. Zu den Vorzügen Avignons, die dazu beigetragen haben mögen, daß Johannes seinen Sitz in diesem Ort nahm, gehörte, daß das Gebiet der Stadt unmittelbar an die Grafschaft Venaissin angrenzte, ein Territorium, in dem der Papst Landesherr war3. 1229, im Frieden von Paris, hatte Graf Raimund VII. von Toulouse dem Kardinallegaten Romanus als dem Vertreter des heiligen Petrus alles Land abgetreten, das er östlich der Rhone im Reich besaß. Damit rückte der Papst in die Rechte des Grafen ein. Lange Zeit war dieser Anspruch eher theoretischer Art; Raymund VII. regierte weiterhin im Venaissin, über seine Tochter erbte es Alfons von Poitiers, dem wir schon als Mitbesitzer Avignons begegnet sind. Er verwaltete das Venaissin durch einen Seneschall, der in seiner Hand alle administrativen Vollmachten vereinte4. Auf ihn geht auch die Einteilung des Venaissin in neun Baillagen3 zurück; sie sollte von den Päpsten zunächst mit geringen Modifikationen beibehalten werden. Erst nach dem Tode des kinderlosen Alfons wurden die päpstlichen Ansprüche akut. Am 27. Januar 1274 übergab in Sorgues der Seneschall von Beaucaire - er hatte im Auftrage des französischen Königs vertretungsweise die Verwaltung übernommen - dem päpstlichen Bevollmächtigten Bernhard von Languissel, Elekt von Arles, in einer öffentlichen Zeremonie das Land Venaissin und die Burg von Sorgues. Er entband die Prälaten, Kastellane, Amtsträger und Baillis ihrer Treueide und Huldigungen und befahl ihnen, von jetzt an dem Papst und der römischen Kirche zu gehorchen. Daraufhin schworen die Anwesenden der Kirche, Papst Gregor X. und seinen rechtmäßigen Nachfolgern die Treue, gelobten den Besitz des heiligen Petrus zu verteidigen und das Land in die Hände keines anderen übergehen zu lassen.

Vgl. dazu die oben angeführten Arbeiten von ESCH. Während die Geschichte des Avignoneser Palastes gut erforscht ist, haben die anderen Residenzen kaum Beachtung gefunden. Künftig ist über sie eine Arbeit von Bernhard Schimmelpfennig zu erwarten. 3 ' ' Vgl. vor allem GIRARD, Etats, und FAURE, Etude. 4 Erhalten sind zahlreiche Briefe Alfons' mit Instruktionen für den Seneschall; sie vermitteln ein gutes Bild seiner Verwaltungspraxis (ed. MOLINIER, Correspondence 1, η. 548-594 und 2, η. 17191835). Bonnieux, Oppede, Cavaillon, L'Isle, Pernes, Sorgues, Malaucene, Vaison und Seguret, Mornas und Lapalud. 1

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Mit diesem öffentlichen Rechtsakt, der in den folgenden Wochen auch in den anderen Hauptorten der Grafschaft wiederholt werden sollte1, begann die Herrschaft des Papstes im Venaissin, das nun einen Teil des Patrimonium Petri bildete. Wie die anderen Provinzen des Kirchenstaates erhielt es einen Rektor; er trat an die Stelle des Seneschalls. Der Rektor vereinte in seiner Hand die administrativen und jurisdiktioneilen Kompetenzen, ihm zur Seite trat ein Thesaurar, der über die Einnahmen und Ausgaben Buch zu fuhren und mit der Kammer in Avignon abzurechnen hatte2. Ihnen unterstanden die Baillagen. 1303 fand eine Neueinteilung der Baiilagen statt3; man hat sie zudem in Vikariate umbenannt . Dem Thesaurar waren diverse Clavare unterstellt, welche die Einnahmen und Ausgaben vor Ort zu verwalten hatte. Der erste Rektor des Venaissin wurde Guillaume de Villaret, Prior von SaintGilles, ein Ritter des Johanniterordens . Eine seiner ersten Maßnahmen bestand darin, die Burgen und befestigten Plätze des Landes - sie waren weitgehend mit den Baillagen identisch - mit Rittern des Johanniterordens besetzen zu lassen6. Mit dem Einzug des Papsttums in die Provence wurde es möglich, die päpstliche Herrschaft zu intensivieren. Bereits Clemens V. hat sich von dem Adel der Grafschaft huldigen lassen . Auf seinen Reisen hat er - wenn auch immer nur auf der Durchreise - auch die meisten größeren Orte im Venaissin besucht; in der Burg Monteux - nahe bei Carpentras - hat er gar einige Monate residiert8 und den Besitzern, den Brüdern Barrai und Agout des Baux, ihre Rechte an der Burg abkaufen lassen9. Im Gesamtzu-

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In der Folgezeit ist der Treueid regelmäßig jedem neuen päpstlichen Rektor geleistet worden. Vgl. GKARD, fitats, in: M A V 7 (1907) S. 2 f.

Eine Liste der Thesaurare gibt FAURE, Etude, S. 181 ff.; vgl. auch GÖLLER, VQ 1, S. 65* ff. Pernes, L'Isle, Sorgues, Les Pilles, Cavaillon, Mormoiron, Malaucene, Momas, Bonnieux. Verglichen mit der alten Einteilung ist Mormoiron neu hinzugekommen; Les Pilles scheinen vorerst Vaison und Seguret ersetzt zu haben, ebenso scheint Oppede an die Stelle von Bonnieux getreten zu sein. Bis 1317 kamen noch Cairanne und Valreas hinzu, während Les Pilles ihren Vikar verloren. Vgl. FAURE, Etude, S. 70.

Momas, Cairanne, Pernes, Mormoiron, Cavaillon, Malaucene, Bonnieux, Valreas, Sorgues, L'Isle. Über Befugnisse lind Aufgaben der Rektoren vgl. FAURE, Etude, S. 50 ff. Eine Liste der Rektoren gibt DERS., Etude, S. 175 ff. Vgl. FAURE, Etude, S. 29 f. Über die Bedeutung der Johanniter für die Sicherung des Venaissin vgl. auch DUBLED, Histoire, S. 53. Die Johanniter waren auch während des Untersuchungszeitraums in Avignon (wo sie eine Niederlassung hatten) und am päpstlichen Hof präsent; sie erhielten mehrfach Gelder zur Ausrüstung von Galeeren (vgl. SCHÄFER, VQ 2, 3, und 6 passim, jeweils im Register). Vor allem im Rahmen der diversen päpstlichen Versuche, einen Kreuzzug in Gang zu setzten, hat man sie als Sachverständige herangezogen. Vgl. HOUSLEY, Papacy, passim. Verzeichnis der Lehensträger in Coli. 494, f. 4r-21v; vgl. auch FAURE, Etude, S. 34. Vgl. sein Itinerar in Regestum Clementis, Indexband, S. 1 ff. Der bedeutenden Adelsfamilie Les Baux hat er die Quellen von Aps abgekauft, über die er Carpentras mit Trinkwasser versorgen lassen wollte. Streitigkeiten über diese Transaktion, die nach seinem Tod ausbrachen, verhinderten jedoch noch lange Zeit die Ausführung dieses Vorhabens. Vgl. DUBLED, Histoire, S. 55. 9

Vgl. FAURE, Etude, S. 36.

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Vorgeschichte

sammenhang seiner Biographie aber kommt seinen Beziehungen zur Provence, zum Venaissin und auch zum Arelat insgesamt - mit der einzigen Ausnahme von Avignon kein hoher Stellenwert zu . Lediglich nach seinem Tod gewann Carpentras noch einmal für kurze Zeit an Bedeutung: Da Clemens nur eine Tagesreise von der Stadt entfernt verstorben war und sich möglicherweise die Audientia noch dort befand, hat sich das Konklave zunächst in Carpentras versammelt2. Es war keineswegs ein homogenes Gebiet, das der Papst im Venaissin besaß. Seine Herrschaft bestand vielmehr in typisch mittelalterlicher Weise aus einer bunten Sammlung von Rechten und Territorien, die sich vielfach mit denen anderer Herrscher überschnitten. Während im Süden die Durance, im Westen die Rhone und im Osten schließlich das Gebirge eine natürliche Grenze boten, war die Grenzziehung im Norden recht unsicher. Mehrere große Lehen lagen außerhalb der Grafschaftsgrenzen, wie etwa Montelimar, während andererseits die Enklave St.-Marcellin innerhalb der Grafschaft zur Dauphine gehörte und das Fürstentum Orange - Sitz der mächtigen Adelsfamilie Les Baux - sich völliger Unabhängigkeit erfreute. Mit der Ansiedlung des Papstes in Avignon begannen auch die päpstlichen Bemühungen, den Besitz im Venaissin durch Landkäufe vor allem im Norden abzusichern und zu arrondieren3. Weitere Ländereien sind dem Papst vom Dauphin von Vienne zugestanden worden, vor allem aber hat er sich den beschlagnahmten und von den Johannitern verwalteten Templerbesitz im Venaissin schenken lassen4. Die hier kurz resümierten Käufe sind nur teilweise über die Apostolische Kammer abgewickelt worden, teilweise hat sie auch der Rekor des Venaissin zusammen mit seinem Thesaurar durchgeführt. In diesem Falle hat man sie in den Kammerakten nicht verzeichnet. Diese Landerwerbungen des Papstes ergänzten seine an anderer Stelle erörterten Käufe von Grundbesitz für die Avignoneser Kirche5. Schon 1317 erwarb Johannes von dem Dauphin von Vienne den Ort Valreas im Norden des Venaissin6. 1320 lies er dem Bischof von Carpentras die Jurisdiktion über dessen Bischofsstadt abkaufen7; kurz darauf verlegte der Rektor seinen Sitz von Pernes8 nach Carpentras, wo die Verwaltung des Venaissin bis zur Revolution verbleiben sollte. 1342 verkaufte der Graf Johann von Armagnac dem Papst für 14000 fl. seine

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Dies ergibt sich sowohl aus seinem Itinerar (wie vorletzte Anm.) als auch aus der Auswertung seiner Register. Vgl. dazu GAIGNARD, Gouvernement, S. 198 ff. und 204. Das betont RENOUARD, Papaute, S. 16. Vgl. dazu auch VINGTAIN, Avignon, S. 4 8 ff., die sich auf noch ungedruckte Arbeiten von Valerie Theiss und B. Elie Nicolas stützt. Vgl. die Schenkungsurkunde der Johanniter von 1 3 1 7 Juni 2 1 (Reg. MOLLAT, Lettres communes η. 5 5 0 8 , ed. FAURE, Etude, S. 2 0 4 n. 4 , vgl. DERS., S. 3 6 f.). Über den Grundbesitz der Templer in der Provence vgl. BARATIER, Enquetes, S. 175 f. Siehe unten. Vgl. FAURE, Etude, S. 37; DUBLED, Histoire, S. 55. Vgl. FAURE, Etude, S. 175; DUBLED, Histoire, S. 55. In der dortigen Johanniterkomturei sind noch Fresken zu sehen, welche den Sieg Karls von Anjou über Konradin darstellen (freundliche Mitteilung von Bernhard Schimmelpfennig).

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Rechte an der Burg Monteux (bei Carpentras)1 - wie erinnerlich hatte bereits Clemens V. mit dem Erwerb dieser Burg begonnen2. 1344 erstand Clemens VI. vom Dauphin Humbert II. für 12000 fl. die Burg von Visan3. Lange umstritten war Montauban; hier konnten die Päpste nur einen Teil des gewünschten Territoriums erwerben4. Ähnlich war es in Montelimar, wo sie nur ein Viertel des Besitztums kaufen konnten5. Die Macht des päpstlichen Rektors im Venaissin war keineswegs absolut; er mußte vielmehr auf die Stände des Landes Rücksicht nehmen6. Die rechtliche Grundlage für ihre Beziehungen bildeten die "Statuten", d. h. Sammlungen von Ordonnanzen, welche das Gewohnheitsrecht deuteten oder modifizierten. Zwar sind diese Statuten vom päpstlichen Rektor im Namen des Papstes erlassen worden, jedoch erst nach Beratung mit den Ständen. Erstmals publiziert hat man solche Statuten 1275, also unmittelbar nach dem Herrschaftswechsel im Venaissin; es folgten neue Redaktionen in den Jahren 1311 und 1337'. Weiterhin war die Erhebung außerordentlicher Abgaben nur mit Zustimmung der Stände möglich und schließlich waren sie berechtigt, die Abrechnungen des päpstlichen Thesaurars zu kontrollieren . Stadt und Bistum Indem Johannes das Bistum Avignon selbst übernahm - lediglich anfanglich hatte er das Amt von seinem Neffen Jacobus de Via verwalten lassen -, konnte er dann für den Unterhalt des Hofes sowohl auf die Ressourcen des Bistums wie auch auf die der Grafschaft zurückgreifen9. Die Grenzen des Bistums10 überschnitten sich teilweise mit denen der Grafschaft, sie griffen aber auch auf das Westufer der Rhone und damit auf französisches Territorium aus, wie sie andererseits auch im Süden Teile der Provence umfaßten. Größeren Eigenbesitz hatte das Bistum nördlich Avignons auf der Ostseite der Rhone bei Bedarrides, Lhers und Chateauneuf-du-Pape, auf der Westseite bei Lirac, St.-Laurent-des-Arbres und St. Genies; etwas südlich davon - immer noch auf der Westseite der Rhone - bei Saze, außerdem noch südlich der Durance bei 11 Barbentane und schließlich südöstlich davon bei Noves .

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SCHÄFER, VQ 3, S. 194 von 1342 Sept. 1.

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Vgl. FAURE, Etude, S. 38. Vgl. FAURE, Etude, S. 39 ff. SCHÄFER, V Q 3, S. 137, vgl. auch FAURE, Etude, S. 45 ff. Vgl. GIRARD, Etats; DUBLED, Histoire, S. 67 ff.

Siehe oben. 4 5

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Über die Statuten vgl. GIRARD, Etats, in MAV 7 (1907) S. 44 f.; DUBLED, Histoire, S. 63. Sie sind nur teilweise in veralteten Ausgaben ediert. Vgl. GIRARD, Etats, in MAV 7 (1907) S. 12 ff. und S. 42 f. Über die Bedeutung des Bistumsbesitzes für die Versorgung der Kurie vgl. Kap. VE. Vgl. BARATIER, Atlas, Karte 62 und 63 (auch im Anhang); CHIFFOLEAU, Justices, S. 39, Karte 1. Über den Bischofsbesitz vgl. BARATIER, Enquetes, S. 172. Bedarrides, Chäteauneuf-du-Pape und Noves werden bereits in der Urkunde Barbarossas (ed. APPELT, Urkunden n. 195 von 1157 Nov. 23) flir den Bischof von Avignon als Besitz des Bistums erwähnt. Zum Besitz des Bistums vgl. noch die Urkunden Karls I. von Anjou von 1273 Juni 22 (ed. ALBANES, GCN 7, S. 237 n. 711) und

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Vorgeschichte

Erweiterung des Bistumsbesitzes und Bau von Nebenresidenzen Vom Beginn seines Pontifikats an war Johannes XXII. bestrebt, den Landbesitz des Bistums durch Ankäufe weiterer Ländereien zu arrondieren1. Ich führe die Orte2 in der Reihenfolge, in der sie in den Hauptbüchern erscheinen, kurz auf3: Sorgues 4 Zuerst nachweisbar ist Pons Sorgie (Sorgues), 10 Kilometer nördlich von Avignon nahe der Einmündung der Ouveze in die Rhone gelegen. Mit der Kutsche war der Ort von Avignon aus binnen einer Stunde zu erreichen5, darüber hinaus konnte man auch auf den Wasserweg - die Rhone aufwärts - dorthin gelangen. Schon im zweiten Jahr seines Pontifikats ließ Johannes hier mehr als neun Häuser erwerben6 und erweiterte in den Folgejahren durch weitere Käufe seinen Besitz noch mehr, ausdrücklich in der Absicht pro ampliando papale palatium dicti castri Pontis Sorgie1. Diese Ankäufe geschahen nomine domini nostri, während die parallel getätigten Käufe von Häusern

2

1274 Apr. 25 (ed. ALBANÄS, G C N 7, S. 240 n. 718). Für einen Teil der genannten Besitztümer schuldete der Bischof von Avignon dem Grafen der Provence das iuramentum fidelitatis (vgl. die Urkunde Bischofs Bertrands von 1309 Dez. 3 ed. ALBANES, GCN 7, S. 271 n. 802). Auch Jacques Duese hatte als Bischof von Avignon diesen Schwur geleistet (ALBANES, GCN 7, S. 286 n. 855 von 1310/11 März 9). Weitere Informationen zum bischöflichen Grundbesitz bietet ein Verzeichnis der dem Bischof geleisteten homagia (Avignon, Arch, dep., G 8). Die im folgenden aufgeführten Orte werden dort sämtlich erwähnt. Die Ausgaben Johannes' und seiner Nachfolger sind zusammengestellt bei PIOLA CASELLI, Costruzione, S. 55 ff. Während der Papstpalast in Avignon gut erforscht ist (siehe oben), kann gleiches für die anderen Residenzen in der Provence nicht behauptet werden. Was ich an Literatur ermitteln konnte, wird bei den einzelnen Orten angeführt. Vgl. auch FAURE, Etude, S. 33 ff. Ober den Palast in Sorgues vgl. MÜNTZ, Palais pontifical, S. 17 ff.; FAUCON, Arts, S. 81 ff. (dazu planche 3, mit einer Zeichnung des Palastes aus dem 18. Jahrhundert, diese auch bei LABANDE, Palais 1, S. 18); VINGTAIN, Avignon, S. 50 ff. Weitere Abbildungen sind reproduziert bei KERSCHER, Architektur, S. 89 f. Vor Ort selbst ist nichts mehr zu sehen, der Palast ist 1789 verkauft und abgerissen worden (so MÜNTZ, S. 24). Über Sorgues vgl. noch Bailly, Dictionnaire, S. 411 f. So MÜNTZ, Palais pontifical, S. 21, der aus eigener Erfahrung spricht.

6

SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 2 0 f.

7

Zit. nach SCHÄFER, VQ 2, S. 623, Eintrag vom 15. Sept. 1318, die weiteren Einkäufe ebenda S. 623 ff. Auf die Rechte, welche die mensa episcopalis von Avignon in Sorgues hatte, hat sie zugunsten des Papstes verzichtet. Vgl. COULON, Lettres secretes η. 431 = ALBANES, GCN 7, S. 321 n. 1072 von 1322 Nov. 11; COULON, Lettres secretes η. 1897 = ALBANES, GCN S. 323 n. 1090 von

1324 Jan. 1).

Die Ansiedlung in Avignon

113

und Grundstücken in Avignon selbst nomine episcopi Auin. geschahen1. Gleichfalls im zweiten Pontifikatsjahr beauftragte Johannes einen seiner Edelknappen (scutifer), Petrus de Gauriaco , mit der Leitung der nötigen Umbauten. Zudem ließ er dort eine Münzstätte bauen - bereits unter Alfons von Poitiers hatte es in Sorgues eine gegeben4. Auch ließ sich Johannes 1322 von Cluny die Kirche von Sorgues schenken und die Grenzen zwischen den Territorien von Sorgues und von Bedarrides abstecken, wo das Bistum Avignon erheblichen Grundbesitz hatte5. In der Folgezeit wurden dann die für eine Papstresidenz nötigen Bauten errichtet: man findet eine Audientia6 (also eine Halle, wo das päpstliche Gericht tagte), ein Konsistorium7, einen Festsaal, darin oder daran angrenzend eine Kapelle8, außerdem Studium et camera domini nostri9 und natürlich auch eine Küche . Auch Befestigungsanlagen fehlten nicht11. Johannes ist hier also demonstrativ in die alten Herrschaftsformen der Grafen von Toulouse eingetreten, genau an dem Ort, an dem seinerzeit die päpstliche Herrschaft im Venaissin begonnen hatte. Dies legt den Gedanken nahe, daß Johannes Sorgues als Residenz für seinen Statthalter vorgesehen hat, der - nach der Rückkehr des Papstes nach Rom von dort aus das Venaissin hätte verwalten sollen . Dies ist auch insofern einleuchtend, als Sorgues - anders als Avignon - innerhalb des Venaissin lag, der Statthalter sich also auf päpstlichem Territorium befunden hätte.

I

5

6

7 8

9

10

II

12

Es sei daran erinnert, daß Johannes vom zweiten Jahr seines Pontifikats an auch das Bistum Avignon innehatte. Die Ausgaben für Um- und Anbauten am Palast in Avignon wurden immer pro palatio episc. Auin. verbucht. Er wurde später durch den presbyter Petrus de Aula ersetzt. SCHÄFER, VQ 2, S. 280, von 1317 Nov. 26: pro edificatione domorum, ubi debet cudi moneta. Vgl. ROLLAND, Monnaies, S. 54 und passim. Vgl. FAURE, Etude, S. 38. Vielleicht im Zusammenhang damit steht die Entschädigung, welche Urban V. an Cluny entrichtete, und zwar für ein cluniazensisches Priorat namens Belvedere, das seine Vorgänger in Sorgues hatten abreißen lassen. Vgl. die Urkunde bei ALBANES, GCN 7, S. 367 n. 1348. SCHÄFER, VQ 2, S. 628 von 1322 Apr. 16 (Ankauf von Grund pro faciendo ibi domum pro audientia mandate pape)\ S. 291 von 1322 Juni 21; S. 292 von 1323 Febr. 28; S. 631 von 1323 Juni 24 (besonders wichtig); S. 308 von 1332 Febr. 13. MÜNTZ, Palais, S. 26 von 1321 Dez. 23; SCHÄFER, VQ 2, S. 294 von 1324/25. MÜNTZ, Palais, S. 31 von 1321 Dez. 23; SCHÄFER, VQ 2, S. 294 von 1324/25, S. 295 und 298. MÜNTZ, Palais, S. 29 von 1321 Aug. 23 und S. 30 von 1321 Aug. 26.

SCHÄFER, VQ 2, S. 292 von 1323 Juli 14 und S. 294 von 1323 Okt. 22-1324 Dez. Anscheinend waren es sogar mehrere Küchen. Die genannten Stellen sind im Plural gehalten. MÜNTZ, Palais, S. 33, wo mehrfach Türme erwähnt werden, einer ausdrücklich zur Sicherung des Palasttores. Zudem werden camerae militum erwähnt, offenbar Räume für die päpstlichen Ritter (über diese vgl. Kap. VI,3). Auch in den Abbildungen des 18. Jahrhunderts bei FAUCON, Arts, planche 3, und LABANDE, Palais 1, S. 18 wird der burgenartige Charakter dieser Residenz deutlich. Die Bauausgaben Johannes' ΧΧΠ sind tabellarisch zusammengestellt bei PIOLA CASELLI, Costruzione, S. 195. Demnach hat Johannes insgesamt für Bauten in Avignon 48413 fl., für Bauten in Sorgues 42986 fl., für alle anderen Orte zusammen 32777 fl. ausgegeben. Dabei sind die Ausgaben für Landkäufe aber nicht berücksichtigt. Vom dritten bis zum achten Pontifikatsjahr übertreffen die Ausgaben für Sorgues die für Avignon erheblich.

114

Vorgeschichte

Benedikt XII. hat Sorgues renovieren und erweitern lassen: man findet Ausgaben für den Bau einer Wasserleitung1; die alten Küchen wurden abgerissen, eine neue gebaut und mit einem neuen Ofen versehen2. Daraus, daß die neue Küche auch eine Treppe erhielt und mit einem steinernen Pfeiler abgestützt werden mußte, folgere ich, daß sie nicht (mehr) im Erdgeschoß lag3. Dies würde mit dem Neubau in Avignon übereinstimmen4. Bei dieser Gelegenheit werden auch erstmals Räumlichkeiten für Brot- und Weinamt erwähnt . Im Palast von Sorgues hat Benedikt nach dem Tode seines Vorgängers eine Reihe von Theologen tagen lassen, welche dessen Ansicht der visio beatifica diskutierten6. Ihrem Gutachten hat sich der neue Pontifex dann angeschlossen. Unter Innozenz VI. ist die Küche in Sorgues renoviert worden. Bei dieser Gelegenheit erfahrt man, daß die Teilung der Küche in eine päpstliche Mundküche und in eine große Küche - im Palast von Avignon ist dies seit Clemens VI. belegt - auch in Sorgues stattgefunden hat7. Schließlich hat Gregor XI. den Palast noch einmal instand setzen lassen . Chäteauneuf-du-Pape Der zweite Ort war Castrum Novum Calcemerii (Chäteauneuf-du-Pape)9, nördlich von Sorgues an der Straße nach Orange gelegen. Die Entfernung nach Avignon beträgt 17 Kilometer. Auch hier hat Johannes früh angefangen, Grundbesitz zu erwerben: schon vom August 1318, also gleichfalls vom zweiten Pontifikatsjahr, datiert der Eintrag für einen Großeinkauf von Häusern, Land und sogar von vier Weinbergen . Ein Teil der dortigen Burg gehörte bereits dem Bistum Avignon ; die Käufe geschahen zur Abrundung und Erweiterung des dortigen Bistumsbesitzes . Auch hier be-

Palais, S . 3 4 von 1 3 3 6 Mai 2 0 = SCHÄFER, V Q 3 , S. 5 2 . Palais, S. 3 5 von 1 3 3 6 Nov. 5. 3 SCHÄFER, VQ 3, S. 66 von 1337 Sept. 16 = MÜNTZ, Palais, S. 35, dort irrtümlich zu 1338 Sept. 16. * Vgl. Kap. IV,2. MÜNTZ, Palais, S. 35 von 1336 Nov. 5. 6 Heinrich von Dießenhofen, Secunda vita Benedicti Χ Π , ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 2 1 3 . I

MÜNTZ,

MÜNTZ,

7

SCHÄFER, V Q 3, S. 6 7 8 f. v o n 1 3 5 7 M a i 3 1 .

8

VQ 6, S. 414 von 1372 Mai 26 (Arbeiten an den Küche); S. 489 f. von 1373 Jan. 10-Mai 14 und S. 620 von 1375 März 5. Vgl. PIOLACASELLI, Costruzione, S. 30; Bailly, Dictionnaire, S. 152 ff.

9

SCHÄFER,

10

SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 2 2 f.

II

Die ersten Baumaßnahmen datieren noch vor dem Ankauf. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 278 von 1317 Jan. 24. Pro clausura podii dicti castri et pro quibusdam domibus in ipso Castro emptis nomine episcopn et episcopi Auin., qui pro tempore fuerit, zit. nach SCHÄFER, VQ 2, S. 622 von 1318 Aug. 5. Die Käufe haben anscheinend noch zu Lebzeiten des Elekten von Avignon, Jacobus' de Via, stattgefunden. Nach dessen Tod im Jahre 1317 übernahm dann Johannes selbst das Bistum. Ein zweiter Ankauf geschah zugunsten der mensa episcopalis Auin. (SCHÄFER, VQ 2, S. 625 von 1320 Apr. 25). Bereits 1316 hatte Johannes die örtliche Pfarrkirche mit der mensa epsicopalis von Avignon

19

Die Ansiedlung in Avignon

115

gann man sogleich mit den notwendigen Aus- und Umbauten wie auch mit dem Bau einer neuen Mauer . Die Arbeiten wurden pro operibus et ediflciis domus episcopalis deklariert; erst von 1319 an hat man sie pro papa verbucht. Sie waren weit weniger kostspielig als die in Sorgues, und anders als in Sorgues findet man auch keine Nachrichten über Räumlichkeiten, die zu Verwaltungszwecken gedient hätten. Vor Ort erkennbar ist noch ein großer Saal, der zu Festlichkeiten gedient haben mag4. Obwohl Chäteauneuf-du-Pape nicht direkt an der Rhone liegt, so war es doch über diese zu erreichen: das Bistum hat dort einen Hafen anlegen lassen, der speziell zum Verladen von Salz diente5. Noves Südöstlich von Avignon am Ufer der Durance lag der dritte Ort, Castrum Novarum (Noves) . Der erste, noch sehr bescheidene Ankauf eines einzigen hospitium datiert aus dem zweiten Pontifikatsjahr. Der Kauf wurde pro episcopio Auin. getätigt7. Auch hier hat es bereits Besitz des Bistums gegeben: der Großeinkauf aus dem Jahre 1322 betraf keineswegs die ganze Burg, sondern diente lediglich pro augmento et melioramento dicti castriΛ Zudem sind bereits vom ersten Pontifikatsjahr an Ausgaben für Bauarbeiten in domibus ejjiscopalibus belegt9. Insgesamt waren die folgenden Umbauten weniger bedeutend . Mit den Arbeiten in Noves stehen die im nahegelegenen Bonus passus (Bonpas) im Zusammenhang11. Dort hatte noch im 12. Jahrhundert eine Brücke über die Durance existiert; teilweise im Besitz des Bistums, teils in dem vereint (MOLLAT, Lettres communes, η. 2242 = ALBANES, GCN 7, S. 296 n. 907 von 1316 Dez. ,

Π)· Bezeichnenderweise hat sich das Original einer Abrechnung über die Kosten für die neue Ummauerung im bischöflichen - und nicht im vatikanischen - Archiv erhalten (Avignon, Arch, dep., G 5, piece 22 von 1318 Sept. 29, dort auch piece 24, die Quittungsurkunde des päpstlichen Thesaurars Gasbertus vom gleichen Tag). Berechnet hat man ...pro 1762 cannis quadratis et tribus quartis et pro 161 cannis quadratis de crinellis de muro... insgesamt 3713 lib. und 12 sol. in verschiedenen Währungen.

2

SCHÄFER, V Q 2 , S. 2 7 8 FF.

3

SCHÄFER, V Q 2 , S. 2 8 7 v o n 1 3 1 9 A u g . 2 1 .

6

Freundliche Mitteilung von Bernhard Schimmelpfennig. Portum salis in flumine et riparia Rodani prope Castrum novum Avinionen. Ecclesie, et in ipsius territorio ... so beschrieben in dem Diplom Karls IV. für Bischof Anglicus Grimoardi von Avignon (BÖHMER-HUBER n. 7 1 5 6 ed. ALBANES, GCN 7 , S. 3 9 1 n. 1 4 1 2 ) . Über den Salzhandel auf der Rhöne vgl. auch ALLIX, Trafic, S. 394 ff. VILLAIN-GANDOSSI, Salins, S. 328 ff. Vgl. SIGROS, Eglise de Noves, S. 442 ff.

7

SCHÄFER, V Q 2, S. 624 von 1318 Febr. 3.

8

SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 2 9

9

SCHÄFER, V Q 2 , S . 2 7 8 .

von

1322

Juni

21.

10

SCHÄFER, V Q 2 , S. 2 7 8 FF.

11

Zum folgenden vgl. vor allem ANDRE-MICHEL, Constructions, S. 369 ff; MAUGARD, Avignon, S. 26 f.; zuletzt GIRARD/LE BLEVEC, S. 11 ff; zur frühen Geschichte dieses Ortes auch VALLERY-RADOT, L'eglise Notre-Dame de Bonpas, S. 477 ff.

116

Vorgeschichte

der Templer. 1316 war dort immerhin noch eine Fähre vorhanden, betrieben von einer religiösen Bruderschaft, die dort auch ein Hospiz und eine Kirche unterhielt. Durch die erwähnte Schenkung der Johanniter gelangte Johannes in den Besitz dieser Einrichtung. Schon 1320 schenkte er, lediglich mit Ausnahme des Hafens, diesen Besitz den Kartäusern, mit der Auflage, dort ein Kloster zu gründen1. Dieses hat er in den folgenden Jahren mit erheblichen Summen unterstützt2. Das Kloster ist, wohl zur Sicherung des Übergangs, befestigt worden. Weitere Orte Ebenfalls zur Abrundung von Besitz der Avignoneser Kirche erwarb der Papst Grundbesitz im Castrum Biturrite (Bedarrides) , nördlich von Sorgues an der Ouveze4, das ebenfalls renoviert und ausgebaut wurde5. Dort besaß das Bistum offenbar Weinberge: aus späteren Jahren ist bekannt, daß von Bedarrides aus bischöflicher Wein an das päpstliche Almosenamt geliefert worden ist6. Südlich von Avignon an der Durance liegt Barbentane; dort ließ Johannes das Haus des Bischofs renovieren7, die Burg erweitern und ein Mühle bauen8. Es handelte sich um eine Wassermühle, dem Müller wurde die Auflage gemacht, das Wasser der Durance zu nutzen. Schließlich ist die Burg S. Laurentius de Arboribus (St.-Laurent-des-Arbres) zu erwähnen, als einziger der genannten Orte westlich der Rhone und damit innerhalb Frankreichs gelegen. Wieder handelte es sich um Besitz der Avignoneser Kirche, der

1

Regest der Schenkungsurkunde bei MOLLAT, Lettres communes η. 1 2 6 7 9 ; ed. ANDRE-MICHEL, Constructions, S. 388 η. 5 von 1320 Dez. 1. 2 Auszugsweise ed. bei ANDRE-MICHEL, Constructions, S. 390 n. 6, dort ausführlicher als bei SCHÄFER, VQ 2, S . 309 und passim. Bedanides liegt nördlich von Avignon bei Roquemaure. In diesem Zusammenhang von Interesse ist Johannes' Urkunde von 1322 Aug. 23 (COULON, Lettres secretes η. 1496/97 = ALBANES, G C N 7, S. 320 n. 1068), wo er Delegierte ernennt zur Abgrenzung der Territorien von Sorgues - im Besitz der römischen Kirche - und von Bedarrides - im Besitz der Kirche von Avignon. 5 SCHÄFER, V Q 2 , S. 2 7 7 ff. Der erste Eintrag stammt von 1 3 1 7 Jan. 13. 6 Coli. 450 f. 29r-30r (Fragmente von Abrechnungen eines päpstlichen Kammerbeamten von 135052, vgl. SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 783). 1350 werden 70 Säume Wein de vinis episcopates geliefert, weitere 126 Säume werden dort eingekauft. 1352 werden 70 Säume geliefert und 300 Säume eingekauft. 7 SCHÄFER, VQ 2, S. 313 von 1334 Jan. 13. Über spätere Baumaßnahmen Urbans V. vgl. ANDREMICHEL, Tour, S. 361 ff. sowie die Abrechnungen bei ALBANES, GCN 7 , S. 385 n. 1389 von 1364 Nov. 10-1365 Apr. 10. Über die bischöflichen Rechte an diesem Ort vgl. noch BARATIER, Enquetes, S. 68 f. 8

9

ALBANÄS, G C N 7 , S. 8 1 7 n. 4 5 4 1 v o n 1 3 1 8 A p r . 1 5 ; SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 2 4 v o n 1 3 1 7 O k t . 2 u n d

S. 284 von 1318 Sept. 12. Zur älteren Geschichte und zur Architektur der Burg vgl. VALLERY-RADOT, Saint-Laurent-desArbres, S. 244 ff., der aber auf die Beziehungen zu den Avignoneser Päpsten nicht eingeht.

Die Ansiedlung in Avignon

117

aber - offenbar als Lehen1 - ausgegeben worden war, und den Johannes zurückkaufte . Hier wird das Motiv für seine Landkäufe besonders deutlich. Er handelte weniger als Papst denn als Bischof von Avignon, der den gefährdeten Besitz seiner alten Kirche sichern und diese - wenn er schließlich nach Rom aufbrechen sollte -, wohlhaben3

·

der als früher zurücklassen wollte . Mit Ausnahme von Sorgues waren die genannten Orte bereits teilweise im Besitz der Avignoneser Kirche gewesen, den er erweitern und erneuern ließ. Seinem Nachfolger als Bischof von Avignon hätten sie zweifellos eine solidere Basis geboten, als er selbst sie seinerzeit während seines Pontifikats als Avignoneser Bischof gehabt hatte. Um die Besitzansprüche abzusichern, hat er zudem die Pfarrkirchen der genannten Orte mit der mensa episcopalis von Avignon vereint4. Nutzung der Nebenresidenzen Genutzt hat Johannes XXII. diese Baulichkeiten, um dort Gäste zu beherbergen5 und Feste zu feiern . So ließ er schon 1320 sowohl Karl, Graf von der Marche und Bruder des französischen Königs, wie auch Johannes, Herzog von Durazzo und Bruder des sizilischen Königs, in Sorgues unterbringen7. Im folgenden Jahr weilte dort König Robert von Sizilien mit Gattin und Bruder. Die dortigen Bauten scheinen immerhin sehenswert gewesen zu sein: von beiden Besuchern wird berichtet, sie seien ad videndum edißcia palatii papalis gekommen8. Im Jahre 1324 hat sich noch der Infant Peter von Aragon dort aufgehalten9. Auch in Noves wurden Gäste einquartiert, darunter

Es sind zahlreiche Urkunden erhalten, wo die bischöflichen Lehnsträger dem Bischof den Treueid leisten. Regesten bei ALBANES, GCN 7, S. 805 ff. SCHÄFER, VQ 2, S. 630 von 1323 März 1. Bereits 1317 hatte er die Pfarrkirche dieses Ortes in die mensa episcopalis von Avignon eingegliedert (MOLLAT, Lettres communes η. 5241 = ALBANES, G C N 7 , S. 3 0 1 n. 9 3 9 v o n 1 3 1 7 M a i 9 ) . V g l . a u c h SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 2 6 .

In diesen Rahmen fügen sich auch seine Ankäufe von Renten pro mensa episcopali

Auin.

(SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 2 5 u n d p a s s i m ) e i n .

Die Belege für die genannten wie auch für andere Orte, soweit sie in der Diözese Avignon liegen: St-Laurent-des-Arbres (COULON, Lettres secretes η. 228 = MOLLAT, Lettres communes η. 5241 = ALBANES, GCN 7, S. 301 n. 939 von 1317 Mai 9); Orgon (COULON, Lettres secretes η. 119 = MOLLAT η. 5 0 9 8 = ALBANES, G C N 7 , S. 2 9 8 n. 9 1 5 v o n 1 3 1 7 J a n . 2 8 ) , S t . - R e m y (COULON, L e t t r e s

secretes η. 411/12 = ALBANES, GCN 7, S. 303 n. 955 von 1317 Okt. 16; COULON, Lettres secretes η. 4 1 3 = MOLLAT η. 8 1 2 5 = ALBANES, G C N 7 , S. 3 0 4 n. 9 5 6 v o n 1 3 1 7 O k t . 17; MOLLAT n. 7 7 6 7 = ALBANES, G C N 7 , S. 3 1 0 n. 9 8 1 v o n 1 3 1 8 M i

1 4 ) , C h ä t e a u n e u f - d u - P a p e (ALBANES, G C N 7 , S.

3 0 4 n. 9 6 3 v o n 1 3 1 7 D e z . 1 3 ; COULON, L e t t r e s s e c r e t e s η. 8 5 6 = MOLLAT η. 1 0 1 6 4 = ALBANES, G C N 7 , S. 3 1 3 n. 1 0 0 3 v o n 1 3 1 9 A p r . 2 2 ) ; N o v e s (COULON, L e t t r e s s e c r e t e s η. 1 7 2 7 = MOLLAT η.

6 7

17544 = ALBANES, GCN 7, S. 322 n. 1079 von 1323 Juni 1). Dies ist mitunter auch bei seinen Nachfolgern belegt. Vgl. etwa SCHÄFER, VQ 3, S. 641 von 1357 Febr. 28. Vgl. auch Kap. VI, 1. SCHÄKER, V Q 2 , S. 4 0 5 f. v o n 1 3 2 0 A p r . 18.

8

SCHÄFER, V Q 2 , S. 4 2 6 v o n 1 3 2 1 O k t . 3 0 - 3 1 .

9

SCHÄFER, V Q 2, S. 9 2 f. V g l . a u c h FINKE, A c t a 2 , S. 8 0 0 .

118

Vorgeschichte

kein Geringerer als König Philipp VI.1; weiterhin wird Bianca, die Tochter des Herzogs von Tarent, erwähnt. Dabei ist nicht immer klar, ob die dort untergebrachten Gäste während ihres gesamten Aufenthaltes in Sorgues blieben, ober ob sie, was zumindest bei Monarchen der Regelfall gewesen zu sein scheint, dort lediglich Station machten, bevor sie feierlich in Avignon einzogen und in unmittelbarer Nahe des Papstes in dessen Palast wohnten. Über das Alltagsleben in Sorgues informiert eine erhaltene Kladde3 der beiden päpstlichen Verwalter von Sorgues, Petrus de Aula und Bernardus de Podio Doano, welche die dortigen Bauarbeiten zu überwachen hatten4. Sie waren dort mit zwei Bediensteten stationiert und hatten daneben auch für die eintreffenden Gäste zu sorgen. Solche sind in dem behandelten Zeitraum reichlich anwesend gewesen: vor allem der päpstliche Thesaurar Ademarus Amelii ist häufig erschienen, sowohl um sich über den Stand der Bauarbeiten zu informieren, als auch um mit dem Adel des Venaissin zusammenzutreffen und zu speisen . Daneben finden sich Neffe und Bruder des Papstes, Arnaldus und Petrus de Ozia , die mit ihrem Gefolge zu verköstigen waren ; dann der Kardinalnepot zusammen mit Arnaldus de Trianno, dem Justizmarschall und Rektor des Venaissin8. Bedarrides und Sorgues waren Schauplatz der größten Festlichkeiten überhaupt, die unter Johannes XXII. abgehalten worden sind: der Hochzeiten seiner Verwandten9. Mitunter hat er in den Nebenresidenzen auch seine Verwandten und Nepoten .· .10 einquartiert . Ob dies - die Unterbringung von Gästen und das Veranstalten von Festen - die primäre Intention des Papstes war, ist aber zweifelhaft. Bei all den genannten Orten handelt es sich um befestigte Plätze, und es waren auch und^erade die Türme und Mauern, welche Johannes wiederherstellen oder neubauen lies . Sie dienten somit der 13 Sicherung der päpstlichen wie auch der bischöflichen Güter , möglicherweise waren sie auch als Fluchtburgen fur den Papst gedacht, für den Fall, daß er seine Sicherheit 1 2 3

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 131 von 1330 (Juni 29-Juli 6). IE 84 f. 39v von 1328 Juli 15-Aug. 19. IE 55 von 1322 Aug. 22-1324 Jan. 20.

4

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 2 7 5 .

5

Ζ. B. IE 55 f. 53v von 1323 Juni 14. Über sie vgl. Kap. VI,3. IE 55 f. 52r von 1322 Nov. 17 (Arnaldus) und f. 55v von 1323 Okt. 4 (Petrus). IE 55 f. 53v von 1323 Juni 2. Vgl dazu Kap. VI,3. Siehe unten. Zu diesem Zweck haben auch Johannes' Nachfolger die Nebenresidenzen genutzt. Vgl. etwa

7 8 9

11

SCHÄFER, V Q 6, S. 60 von 1364 März 16. 12

13

Für Chäteauneuf-du-Pape vgl. die Abbildung des 18. Jahrhunderts bei LABANDE, Palais 1, S. 17. Der festungsartige Charakter wird dort deutlich. Ausgaben für die Befestigung und Bewaffnung von Chäteauneuf und Noves auch noch bei SCHÄFER, VQ 2, S. 335 ff. Bereits im im 13. Jahrhundert hatten die Päpste im Kirchenstaat eine analoge Politik verfolgt. Vgl. WALEY, Papal State, S. 256.

Die Ansiedlung in Avignon

119

in Avignon bedroht geglaubt hätte. Dies war - soweit bekannt - nur ein einziges Mal der Fall: als im Jahre 1330 Graf Wilhelm von Holland, der Schwiegervater Ludwigs des Bayern, zu einem Besuch anreiste, ließ Johannes, der offenbar einen Überfall befürchtete, zu seinem Schutz eine Truppe aufbieten, unter der sich auch 100 Florentiner zu Pferd und 300 zu Fuß befanden1. Als unter Johannes Nachfolgern das Venaissin und Avignon von marodierenden Söldnern bedroht wurden, zahlte sich diese Vorsorge aus, die meisten der genannten Orte sind mit Besatzungen belegt worden und dienten so zum Schutze Avignons und des Papstes2. Nach all dem ist bemerkenswert, daß Johannes diese Orte, für deren Ausbau er doch erhebliche Gelder aufgewandt hatte, selbst nie betreten hat; nach seinem Einzug in Avignon hat er die Stadt nie mehr verlassen4. Den Grund dafür hat man in jenem Eid gesucht, den er nach seiner Wahl geleistet hatte: er wolle nie wieder ein Pferd oder einen Esel besteigen, außer zur Reise nach Rom5. Wenn auch diese Nachricht etwas legendarisch klingt, so wird sie doch durch die päpstlichen Register bestätigt: ich finde kein Stück, das außerhalb Avignons ausgestellt wäre6. Erst seine Nachfolger haben Avignon mitunter verlassen. Bei diesen Gelegenheiten begleitete das Personal der Hofamter den Papst und verrichtete die nötigen Arbeiten in den Nebenresidenzen7. Auch die nötigen Lebensrnittel sind teils in den jeweiligen Orten eingekauft, teils dorthin transportiert worden8. Die Rückkehr des Papstes nach Avignon pflegte man mit einem großen Festmahl zu feiern . 1

DAVIDSOHN, Geschichte von Florenz, Bd. 4,2, S. 276.

2

Vgl. die Ausgaben bei SCHÄFER, VQ 3, S. 681 ff., 726 ff., 747 ff. und 821 ff., bes. S. 727 von 1358

Febr. 28, speziell für Sorgues S. 749 von 1360 Jan. 28. Zu den päpstlichen Verteidungsmaßnahmen vgl. noch ANDRE-MICHEL, Defenseurs, S. 321 ff; auf S. 323 eine Liste der päpstliche Festungen, darunter auch die genannten Orte. Lediglich in Chäteauneuf-du-Pape hat er auf der Reise von Lyon nach Avignon Station gemacht; er ist dort von 1316 Sept. 20 bis Sept. 28 nachweisbar (vgl. MOLLAT, Lettres communes, Bd. 1). Dies war aber vor Beginn der Umbauten. 4 So VALOIS, Jacques Duese, S. 484; WEAKLAND, John ΧΧΠ, S. 173. 5 So Heinrich von Dießenhofen, ed. BÖHMER, Fontes 4, S. 20 f.; etwas anders auch die Chronica monasterii de Melsa, ed. Bond, Bd. 2, S. 318 f. 6 , Vgl. MOLLAT, Lettres communes. In einem seiner frühen Aufsätze hat MOLLAT, Election, S. 166, bestritten, daß Johannes Avignon nie verlassen habe, und zwar gerade mit dem Hinweis auf Johannes' Ausgaben für die Nebenresidenzen. Indirekt aber bestätigen letztlich auch die Hauptbücher, daß Johannes diese Residenzen nie betreten hat. Sowohl für die Einlagerung von Lebensrnitteln in den diversen Residenzen wie auch für die Reisen dorthin sind Kosten entstanden, welche in den Hauptbüchern von Johannes' Nachfolgern aktenkundig geworden sind. Unter Johannes ΧΧΠ. findet man solche Ausgaben jedoch nicht. 7 Die Kosten für die Umzüge der Hofamter von einem Palast zum anderen sind in den Hauptbüchern aktenkundig geworden, ζ. B. IE 263 von 1351 Nov. 6 (aus dem Titel coquina): pro reportando Avin. provisioties, que restabant, et omnia utensilia coquine ... - 4 lib. 10 sol. 8 Ζ. Β. IE 150 f. 47v von 1336 Juli 6-13 (2. Pontifikatsjahr Benedikts ΧΠ.): item pro 283 pullis, 84 galinis, 86 ancoribus emptis per clavarium Ponte Sorgie pro provisione Ponte Sorgie et Avin.... 9 ...quando papa transivit de Villanova Auinionem fuit magnum convivium, ut moris est... zit. nach SCHÄFER, V Q 3 , S. 6 9 5 v o n 1 3 5 8 A u g .

120

Vorgeschichte

Benedikt XII. hat in seinem ersten und zweiten Pontifikatsjahr den Sommer in Sorgues verbracht. Vielleicht wollte er hier dem Lärm und den sonstigen Unannehmlichkeiten entgehen, welche der große Umbau des Palastes in Avignon mit sich brachte. Die folgenden fünf Jahre blieb er dann aber ganz in Avignon1. Auch weiterhin hat er den Palast in Sorgues dazu benutzt, um hochgestellte Gäste dort einzuquartieren2, eine Gewohnheit, die auch seine Nachfolger beibehalten sollten3. Zudem ließ Benedikt dort ein Gehege einrichten, in dem Hirsche gehalten wurden4. Villeneuve Eine neue Residenz hat sich Clemens VI. geschaffen und zwar in Villeneuve-lesAvignon , gegenüber von Avignon am anderen Rhöneufer gelegen und über die Brükke leicht erreichbar. Um den Verkehr zu erleichtern, hat sich der Papst an den Kosten für die Instandhaltung der Brücke beteiligt6. In Villeneuve hatten bereits mehrere Kardinäle Häuser erbaut7, darunter auch Neapoleon Orsini. Nach dessen Tod hat Clemens es den Erben abgekauft8. Er ließ es renovieren und daneben ein weiteres Haus errichten, das mit dem alten durch einen Verbindungsgang verbunden wurde9. Vom ersten Jahr seines Pontifikats an sind Ausgaben für diese Bauten belegt10. Als

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Ich gebe seine Aufenthalte in Sorgues nach VIDAL-MOLLAT, Lettres closes. Im ersten Jahr war er von 1335 Juli 7 (n. 401) bis Sept. 26 (n. 589) dort, im zweiten von 1336 Juli 4 (n. 970) bis Sept. 20 (n. 1092). Vgl. etwa SCHÄFER, VQ 3, S. 114 von 1340 Apr. 16.

Selbst Kaiser Karl TV. hat bei seinem Besuch in Avignon in Sorgues Station gemacht. IE 311 f. 11 lr von 1365 Mai 31: Item venit d. imperator die ascensionis (22. Mai) domini in Ponte Sorgie; item in crastino ascensionis (23. Mai) d. venit d. imperator in palatio. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 6, S. 98 von 1365 Mai 29 und S. 116 von 1365 Mai 31. Auch Ludwig von Anjou, Bruder des französischen Königs Karl V., war hier zu Gast. Vgl. IE 311 f. 100r-v von 1364 Dez. 31, das gleiche gilt von seiner Gemahlin (IE 318 f. 81r von 1366 Jan. 31). Vgl. weiterhin SCHÄFER, VQ 6, S. 13 von 1363 Juni 10 (König von Zypern in Sorgues), S. 60 von 1364 März 16 (König von Dacien in Sorgues), S. 149 von 1366 Juni 10; S. 575 von 1375 Sept. 19 (Königin von Portugal). Zur Rolle von Sorgues als Gastquartier unter Urban V. vgl. HAYEZ, Cour, S. 17. Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 144. Statt pro servis pape, ist pro cervis pape zu lesen. Vgl. vor allem ALIQUOT, Palais, S. 102 ff., daneben LABANDE, Palais 1, S. 26; WILLEMSEN, Kardinal, S. 152. Der Palast in Villeneuve ist nicht erhalten. Es existiert lediglich noch ein Teil der Umfassungsmauer, die sich an der heutigen Rue de la Monnaie entlang erstreckt. Tertia vita Clementis VI, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 287. Den Beginn dieser Entwicklung setzt die Quarta vita Benedicti ΧΠ, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 224, bereits im Pontifikat Benedikts XU. an. Nach ALIQUOT, Palais, S. 100, ließ Clemens das Haus durch seinen Bruder Hugo kaufen, der gleichsam als Strohmann diente (die Kaufurkunde von 1344 Okt. 20 ist ediert in: Avignon au Moyen-Age, S. 65 ff.). Im Winter 1342/43 hatten bereits die Neubauten begonnen.

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SCHÄFER, VQ 3, S. 248 von 1344 Febr. 27.

10

Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 219 von 1342 Aug. 22 und passim. Zu den Quellen über die Bauten in Villeneuve vgl. auch SCHÄFER, VQ 3, S. XVI.

Die Ansiedlung in Avignon

121

erstes erfahrt man, daß er dort ein Kapelle mit farbigen Fenstern errichten ließ1. Aber auch für die Hofamter sind die nötigen Räumlichkeiten in diesem Gebäudekomplex eingerichtet worden. Für den Marstall wurden Pferdeställe gebaut2; es gab einen großen Festsaal mit Bleidach , neben dem die buticularia ihren Sitz erhielt5. Diese erhielt einen Abfluß, der bis zu der genannten (Capelle reichte6. In dem alten Haus des Neapoleon Orsini gab es bereits eine Küche, die nun ebenfalls Anschluß an diese Wasserleitung erhielt . Von dort führte sie weiter bis zur Rhone8. Als Lagerraum für Weizen wird mehrfach das hospitium domini Eduen. erwähnt9; offenbar ein Haus, das dem Kardinal Petrus Bertrandi gehörte. Auch Wein hat man mehrfach in dessen Keller gelagert10. Im Palast von Villeneuve gab es also Räume für Festlichkeiten, was man hingegen vermißt, sind Räume wie Audientia und Konsistorium, die speziell den herrscherlichen Aufgaben des Papstes gewidmet gewesen wären. Ebenso fehlen Räume für Verwaltungszwecke; Räume für Kämmerer und Thesaurar werden nicht erwähnt. Die Bauten in Villeneuve sind von Clemens offenbar von vornherein als Sommerresidenz geplant worden, also als Ort, wo er - fern von den Geschäften - seinen Urlaub verbringen wollte. Clemens nahm damit eine ältere Tradition wieder auf: bereits in der voravignonesischen Zeit pflegten die Päpste die Sommermonate fern von dem malariagefahrdeten Rom in gesünderen Gegenden zu verbringen11. Klimatische Gründe können bei dem Wechsel zwischen Avignon und Villeneuve schwerlich eine Rolle gespielt haben; immerhin mag der Kontrast zwischen der großstädtischen Atmosphäre Avignons und der ländlich-beschaulichen Villeneuves eine Rolle bei den päpstlichen Ortswechseln gespielt haben. Dem Beispiel des Papstes folgend, haben dann auch viele Kardinäle - zusätzlich zu ihren Häusern in Avignon - weitere "Livrees" in Villeneuve erbauen lassen12, wo sie dann in der Umgebung des Papstes ebenfalls den Sommer verbringen konnten.

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SCHÄFER, VQ 3, S. 220 von 1342 Dez. 22, vgl. auch S. 222 von 1343 Apr. 5 und 8. Sie erhielt auch eine Glocke, SCHÄFER, VQ 3, S. 251 von 1344 Febr. 19. Sie lag offenbar neben dem Festsaal, von dem sie später durch eine Mauer abgetrennt wurde. Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 341 von 1346 Mai 23. Dies stimmt mit der Anordnung in Avignon und Sorgues überein. SCHÄFER, V Q 3 , S. 2 4 9 v o n 1 3 4 4 A p r . 3 u n d A p r . 2 6 .

Dieser wurde mit einem Ofen versehen. Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 250 von 1343 Juni 16. 4

SCHÄFER, V Q 3, S. 251 von 1343 Juni 17.

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V g l . SCHÄFER, V Q 3 , S. 2 4 9 v o n 1 3 4 4 A p r . 2 6 .

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SCHÄFER, V Q 3 , S. 2 4 9 v o n 1 3 4 4 A p r . 2 6 .

... pro 1 grifone de cuproposito 251 von 1343 Aug. 18.

in coquina hospitii d. Neapolionis... Zit. nach SCHÄFER, VQ 3, S.

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Vgl. ALIQUOT, Palais, S. 104.

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Ζ. B. IE 220 f. lOlr von 1343 Nov. 17. Ζ. B. IE 220 f. 104r von 1344 Jan. 10: pro 16 botis positis in cava domini Eduen. Vgl. PARAVICINI BAGLIANI, Leib, S . 167 ff.

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Vgl. ALIQUOT, Livrees, S. 397 ff.

122

Vorgeschichte

Während Clemens in seinem ersten Pontifikatsjahr nur einen Tag in Villeneuve verbracht hat, hat er sich vom zweiten Jahr an fast jeden Sommer und gelegentlich auch zu anderen Jahreszeiten dort aufgehalten2. Clemens' Aufenthalte speziell in Villeneuve sind auch insofern bedeutsam, als hier erstmals wieder seit Clemens V. der Papst auf französischem Territorium residierte . Ahnlich wie der Palast in Sorgues ist auch der in Villeneuve zur Unterbringung von Gästen benutzt worden4. Anhand der publizierten Urkunden lassen sich Aufenthalte Clemens' VI. in anderen Residenzen nicht nachweisen; er hat sich aber offenbar - wenn auch nur kurzzeitig gelegentlich auch in Sorgues aufgehalten5. Direkte Zeugnisse sind spärlich, aber es ist doch auffällig, daß in den Hauptbüchern nicht selten Lieferungen von Lebensmitteln, Wein und Brennholz nach Sorgues belegt sind6. War der Papst von Avignon abwesend, ist der Palast von eigens bestimmten Offizialen verwaltet worden: namhaft machen läßt sich der Abt von St.-Thibery7 und der Beichtvater des Papstes, der spätere Bischof Petrus von Grasse8. Mitunter hat Clemens auch einzelne Kardinäle in deren Häusern besucht9. Beim Ausbruch der Pest schließlich hat er sich nach Stella (Etoilesur-Rhone), zwölf Kilometer südlich von Valence zurückgezogen .

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DEPREZ, Lettres closes η. 162 von 1342 Aug. 23. Seine Aufenthalte in Villeneuve nach DEPREZ, Lettres closes. 2. Pontifikatsjahr: 1343 Juni 30 (n. 251) bis Juli 7 (n. 263); Juli 16 (n. 279) bis Okt. 1 (n. 437); 1344 Febr. 15 (n. 669) bis März 18 (n. 731); 3. Jahr: 1344 Juli 20 (n. 982) bis Sept. 26 (n. 1135); 1345 Febr. 18 (n. 1491) bis März 16 (n. 1567); Apr. 29 ( n. 1666) bis Juli 13 (n. 1825); 4. Jahr: 1345 Sept. 15 (n. 1968) bis Sept. 30 (n. 2002); 5. Jahr: 1346 Juni 3 (n. 2549) bis Juli 11 (n. 2640). Im sechsten Jahr war er nur einen Tag in Villeneuve, am 1. November 1347 (n. 3571), im siebten ganz in Avignon. Achtes Jahr: 1349 Sept. 18 (n. 4255) bis Sept. 20 (n. 4269); 1350 Mai 1 (n. 4484) bis Mai 22 (n. 4514); neuntes Jahr: 1350 Sept. 26 (n. 4762) bis Okt. 11 (n. 4769); 1351 März 16 (n. 4926) bis Apr. 7 (n. 4945); M a i 8 (n. 4 9 5 7 ) b i s M a i 2 9 (n. 4 9 8 2 ) ; 10. Jahr: 1351 Sept. 12 (n. 5 0 5 7 ) b i s O k t . 2 5 (n. 5 0 9 5 ) ; 1352 M ä r z 2 1 (n. 5 2 5 2 ) b i s M ä r z 31 (n. 5 2 6 0 ) ; M a i 1 (n. 5 2 8 7 ) b i s M a i 2 5 (n. 5311).

3

In den Rechnungsbüchern wird das durchaus reflektiert. So heißt es in einer Abrechnung: pro hedificiis hospitii pape de Villa Nova et pro aliis edificiis factis in regno Francie..., zit. nach SCHÄFER, V Q 3, S. 2 1 9 v o n 1342 A u g . 22.

4

So wohnte 1362 König Johann Π. bei seinem Besuch bei Urban V. in Villeneuve (Tertia Vita Urbani V, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 395).

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SCHÄFER, VQ 3, S. 225 von 1341 Mai 1; S. 230 von 1343 Sept. 16: ... quando papa ivit apud Pontem Sorgie-, und SCHÄFER, VQ 3, S. 354 von 1346 Juli 24. Ζ. B. IE 220 f. 72r von 1343 nach Juni 8-15. Ζ. B. IE 220 f. 74v von 1343 nach Aug.4-11: ...expense facte per dominos abbatem sancti Thybery etfratrem Petrum confessorem d. n. p. pro custodia palacii Avin.\ ähnlich IE 220 f. 76v. Gemeint ist Petrus de Besseto (Besse), päpstlicher Beichtiger seit 1343 (vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 371 f.). Beide Herren verfugten über eigene Räume im Palast unmittelbar neben denen des Papstes. Vgl. ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 84 von 1343 Aug.

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IE 216 f. 81r-v für den Zeitraum von 1344 Juli 20-Sept. 19 zusammen mit dem Abt von St.Thibery; noch einmal IE 216 f. 85r fur den Zeitraum von Sept. 22-30. Vgl. etwa IE 220 f. 158r von 1343 Mai 31: wo Seeleute dafür entlohnt werden, daß sie den Papst von Villeneuve nach Casam sanam zum Kardinal Elias Talayrandus, genannt der Kardinal von Pe-

Die Ansiedlung in Avignon

123

Auch Innozenz VI. pflegte den Sommer in dem Palast in Villeneuve zu verbringen2. Nahe bei dem dortigen Papstpalast hat er in seinem alten Kardinalspalais eine Kartause gegründet, in die er sich auch selbst zeitweise zurückzog und in der er sein Grabmahl hat errichten lassen3. Über sie ist nur wenig bekannt4. In Sorgues hat Innozenz sich nur selten und kurz aufgehalten5. Urban V. hat sich bis zu seiner Reise nach Rom meist in Avignon aufgehalten. Lediglich kurze Aufenthalte in Sorgues und Villeneuve , sowie eine Reise nach Carpentras und eine nach Marseille sind belegt8. Anders als seine Vorgänger hat er einmal auch einige Zeit im bischöflichen Palast bei seinem Bruder gewohnt9. Gregor XI. hat dann abwechselnd in Avignon, Sorgues10 und Villeneuve residiert11. Im Jahre 1374 ist zunächst eine Reise nach Etoile (bei Valence) belegt1, dann auch

rigord, transportiert haben. Sogar ein Bett mit vier Matratzen hat der Papst bei dieser Gelegenheit mit auf die Reise genommen. So Ludovicus de Beringen (ed. WELKENHUYSEN, S. 49). Seine Aufenthalte in Villeneuve nach der - leider unvollendeten - Edition von GASNAULT/LAURENT, Lettres closes. 1. Pontifikatsjahr: 1353 Apr. 24 (n. 243) bis Sept. 29 (n. 570); 2. Jahr: 1354 Apr. 29 (n. 911) bis Sept. 24 (n. 1131); 3. Jahr: 1355 Apr. 8 (n. 1446) bis Mai 5 (n. 1490); Aug. 1 (n. 1680) bis Okt. 1 (n. 1748); 4. Jahr: 1356 März 12 (n. 1978) bis Apr. 15 (n. 2 0 9 3 ) ; M a i 2 9 (n. 2 1 5 4 ) b i s Sept. 13 (n. 2 3 6 4 ) . 3 4

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SCHÄFER, VQ 3, S. 802 von 1361 Dez. 17 und passim. Vgl. DEPREZ, Funerailles, S. 235 ff.; GUILLEMAIN, Cour, S. 507; VINGTAIN, Avignon, S. 397.

Vgl. etwa SCHÄFER, VQ 3, S. 641 von 1357 Mai 22; S. 690 von 1357 Mäiz 22; IE 282 von 1357 Mai 31 zu Mai 2: d. n. p. ivit apud Pontem Sorgie, zu Mai 8: d. Papa ivit apud Castrum Novum, zu Mai 9: qua d. n. reversus est de Ponte Sorgie apud Villam Novam. Von 1366 Mai 7 bis Mai 17 nach LECACHEUX, Lettres closes η. 2242 und 2249. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 6, S. 148 von 1366 Mai 29. Vgl. auch HAYEZ, Cour, S. 15 und S. 21. SCHÄFER, VQ 6, S. 62 von 1364 Juli 15 und S. 64 von 1364 Nov. 5.

Über die Reise nach Marseille vgl. ALBANES, Entree. Um in Marseille nicht auf dem Trockenen zu sitzen, hat Urban fünf Fässer einfachen Wein und zwei weitere mit Burgunder gefüllte Fässer nach Marseille transportieren lassen (IE 311 f. 70r-v von 1365 Sept-Nov. 5). Auch 537,25 Pfund Konfekt begleiteten ihn (IE 311 f. 124r von 1365 Okt. 1-Nov. 5). Über sein Gefolge vgl. SCHÄFER, VQ 6, S. 141 und 145 ff. Eine große Abrechnung über die Reisekosten von insgesamt 2543 fl. 16 sol. 10 den. (darunter 2000 fl. für das Kloster St. Victor, wo Urban Abt gewesen war) in IE 318 f. 96ν von 1366 Aug. 31. HAYEZ, Cour, S. 21. Für Sorgues hat Gregor ein neues Bett einkaufen lassen. Es kostete 10 fl. (Coli. 465 f. 123r von 1372 Juni 12). Die Aufenthalten in Sorgues und Villeneuve nach MOLLAT, Lettres secretes. 1. Pontifikatsjahr: 1371 Mai 11 (n. 151) bis Mai 21 (n. 163) in Sorgues; Juni 10 (n. 196) bis Sept. 27 (n. 310) in Villeneuve. Am ersten Okt. (n. 325-328) ist er noch einmal dort belegt. 2. Jahr: 1372 Mai 10 (n. 722) bis Juni 7 (n. 784) in Sorgues; Juli 11 (n. 871) bis Okt. 13 (n. 1098) in Villeneuve; 3. Jahr: 1373 Mai 25 (n. 1819) bis Juni 24 (n. 1938) in Sorgues; Juli 19 (n. 2007) bis Sept. 17 (n. 2182) in Villeneuve; 4. Jahr.: 1374 März 13 (n. 2529) bis März 25 (n. 2555) und Sept. 21 (n. 2874) bis Sept. 30 (n. 2894) in Villeneuve. 5. Jahr: 1375 Mai 15 (n. 3322) bis Sept. 2 (n. 3452) in Villeneu-

124

Vorgeschichte

eine größere Rundreise , die den Papst von Avignon über Villeneuve, Salon, Orgon, Noves und Sorgues wieder nach Avignon führte. Hier spielte ein erneutes Auftreten der Pest in Avignon eine Rolle3. Vielleicht war es auch die Generalprobe für die Rückkehr nach Rom, welche er 1376 antrat. Zusammenfassung Was Johannes XXII. noch als ein vorübergehendes Provisorium betrachtet haben dürfte - die Ansiedlung in Avignon -, sollte sich bereits während seines Pontifikats und noch mehr unter seinen Nachfolgern zum Dauerzustand verfestigen. Nachdem das Papsttum im 13. Jahrhundert den Übergang von der Stadt- zur Landesherrschaft vollzogen und die entsprechenden Herrschaftsformen ausgebildet hatte, bestand der Kontinuitätsbruch des Avignoneser Papsttums weniger in der Abwesenheit von Rom als vielmehr in der Abwesenheit vom eigenen Territorium. Die Päpste waren von ihrem eigenen Land nun durch eine Distanz von mehreren hundert Kilometern getrennt. Gleichwohl lassen sich auch Kontinuitäten feststellen. Zwar unterstand Avignon - bis 1348 - politisch den Königen von Neapel bzw. den römischen Kaisern, die Stadt war aber der Grafschaft Venaissin benachbart, einer entfernten Exklave des Kirchenstaates. Von Clemens V. an haben die Avignoneser Päpste kontinuierlich versucht, ihre Herrschaft in diesem Gebiet zu festigen und auszuweiten. Hier kam ihnen zu statten, daß sie - in ihrer Eigenschaft als Oberhaupt der Kirche - an die Stelle des Bischofs von Avignon treten konnten. Indem sie die gräflichen Rechte und bischöflichen Besitzungen in ihrer Hand vereinten, konnten sie - wenn auch in begrenztem Maße - an die landesherrliche Tradition des Papsttums anknüpfen. Daß sie diese auch zur Versorgung der Kurie nutzbar gemacht haben, wird noch gezeigt werden4. Avignon, die neue Residenzstadt, hat in ökonomischer Hinsicht von der Anwesenheit der Kurie zweifellos profitiert, aber das hatte seinen Preis. Das zahlenmäßige Gewicht der Kurie erwies sich als so groß, daß die Avignoneser Bürgerschaft nur noch eine Minderheit der städtischen Bevölkerung ausmachte; als politische Potenz ist sie während der Anwesenheit der Päpste nicht in Erscheinung getreten. Nicht nur in Avignon, der Hauptresidenz, sondern auch in einigen anderen Orten der näheren Umgebung hat die Kurie für ihre Bedürfnisse entsprechende Bauten errichten lassen. Wenn man unter "Residenz" den Wohnsitz eines Fürsten versteht, so können von diesen Orten - abgesehen von Avignon selbst - lediglich Sorgues und Villeneuve als Residenz angesprochen werden, Sorgues zudem erst seit Benedikt XII., Villeneuve erst seit Clemens VI. Gleichwohl waren auch die anderen Orte - wenn

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ve; Sept. 5 (n. 3454) bis Sept. 9 (n. 3466) in Sorgues; Sept. 10 (n. 3467) bis Sept. 13 (n. 3469) in Villeneuve; Sept. 13 (n. 3471) bis 26 (n. 3484) in Sorgues. Schäker, VQ 6, 506 von 1374 März 29, S. 547 von 1374 März 29 und IE 339 f. 67v von 1374 März 29. Vom 12. Apr. bis 17. September. So Prima vita Gregorii X I , ed. B a l u z e / M o l l a t Vgl. Kap. ΥΠ.

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f.

Die Ansiedlung in Avignon

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auch keineswegs alle in gleichem Maße - in vielfacher Weise in das höfische Leben eingebunden. Sie waren als Gastquartiere, Orte von Festlichkeiten und Fluchtburgen Teil einer Infrastruktur, welche die Kurie für ihre Bedürfiiisse in der Umgebung von Avignon im Laufe der Zeit entwickelt hat.

IV. Die Organisation der Lebensmittelversorgung1 IV, 1. Kammer und Hofämter Die geschilderten Beziehungen der Ämter zur Kammer2 blieben im wesentlichen auch während des Untersuchungszeitraums bestehen; einige Änderungen sind gleichwohl zu verzeichnen. Gleich in den ersten beiden Pontifikatsjahren Johannes' XXII. bemerkt man einen Versuch, das Rechnungswesen der gesamten Lebensmittelversorgung zu zentralisieren3. Einem gewissen Guillelmus Caze4 sollten die Gelder für alle betreffenden Hofamter von der Kammer überwiesen werden5, und mit ihm hätten die Einkäufer dieser Ämter dann abzurechnen gehabt6. Völlig durchgeführt hat man diesen Plan aber nur für die Küche7; bei den anderen Hofamtern sind die Gelder an die

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Im folgenden ziehe ich als Quelle oft eine von Fran?ois de Conzie (über ihn, von 1 3 8 3 - 1 4 3 1 Kämmerer erst der avignonesischen, dann der pisanischen Obödienz und schließlich Kämmerer Martins V. und Eugens IV., vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 1 2 0 ff.; FAVIER, Finances, S. 42 ff.) verfaßte Hofordnung heran (ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 420 ff.). Obwohl erst nach Ausbruch des Schismas entstanden - er schrieb sie zur Information des neugewählten Alexander V. und beendete sie am 4. Juli 1409 - reflektiert sie in vieler Hinsicht ältere Verhältnisse; es ist seit langem Gemeingut der Forschung, daß die Avignoneser Obödienz die kuriale Tradition weit besser als die römische wahren konnte. Kap.m,l. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 3 5 9 . SCHAFER, VQ 2, S. 47, und ihm folgend GUILLEMAIN, Cour, S. 359, legen ihm den Titel administrator hospitii pape bei, für den ich aber keine Belege gefunden habe, wenn man nicht die in der folgenden Anm. zitierte Passage als solchen gelten lassen will. Dieser Guillelmus Caze, der in den Gehaltslisten nicht genannt wird (ed. SCHÄFER, VQ 2, S. 548 ff.), ist eine rätselhafte Gestalt. Er könnte mit einem Kammerkleriker Clemens' V. identisch sein, über den BAIX, Notes, S. 26 und 29, die Belege zusammengestellt hat. Baix gibt als Namensform „Galhardus de Lacasa (de Casa, de Caza)" und nennt einige weitere Belege, die ihn in den ersten Jahren Johannes' ΧΧΠ. nachweisen, wo er in der Kammer aber nicht mehr tätig war. Immerhin geht aus den folgenden Belegen hervor, daß Guillelmus-Galhardus mit Abrechnungen zu tun hatte. Er wird 1316 noch einmal als Nutznießer bei einer Verteilung von Betten an päpstliche Famiiiaren erwähnt (SCHÄFER, VQ 2, S. 605 Nr. 41; über Bettenverteilungen an der Kurie vgl. BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 52). GUILLEMAIN, Cour, S. 359 Anm. 3, will nicht ausschließen, daß er mit dem Empfanger einer von 1320 datierenden Provision identisch ist, der zu diesem Zeitpunkt allerdings erst 24 Jahre alt gewesen sei. Bei ALBE, Cour, S. 8, findet man die Angabe, Guillelmus habe vorher in den Diensten des Jacobus de Via, des Elekten von Avignon, gestanden. ...tradidi d. Guill'o Caze pro administratione expensarum coquine, panatarie, buticularie, marestralle et aliorum hospitii domini ...faciende 500 fl., zit. nach SCHÄFER, VQ 2, S. 49. So sollte am 27. Aug. 1316 der Einkäufer des Weinamts dem Guillelmus Caze Rechnung legen (SCHÄFER, VQ 2, S. 49), ebenso am 31. Aug. 1316 ein anderer Einkäufer (SCHÄFER, VQ 2, S. 276). V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 4 9 f.

Kammer und Hofämter

127

Amtsinhaber direkt ausgezahlt worden1, wenn auch Guillelmus Caze als Person, dem sie Rechnimg abzulegen hatten, genannt wird. Unter Johannes blieb diese Einrichtung Episode, vom dritten Pontifikatsjahr an rechnete auch die Küche wieder selbst mit der Kammer ab - indes sollte dieser Versuch in etwas anderer Form noch einmal aufgegriffen werden. Mit diesem Reformversuch scheint es zusammenzuhängen, daß die Hauptbucheinträge fur Lebensmitteleinkäufe im ersten und in geringerem Maße auch im zweiten Pontifikatsjahr Johannes' XXII. sehr dürftig sind. Zudem entsprechen die Einträge keineswegs dem, was man nach dem oben Ausgeführten2 von ihnen erwarten müßte: man findet keine Spur von wöchentlicher Abrechnung, vielmehr ist die Chronologie der Einträge völlig unregelmäßig, ihr zeitlicher Abstand reicht von mehreren Tagen bis zu mehreren Monaten. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man annimmt, daß die Wochenabrechnungen in dieser Frühzeit eben nicht vor der Kammer, sondern vor Guillelmus Caze stattfanden, der dann seinerseits wieder der Kammer Rechenschaft ablegte. Die erhaltenen Kammerakten bestätigen diese Hypothese, es ist eine Handschrift erhalten, die tatsächlich - wenn auch nur fragmentarisch - die Wochenabrechnungen und andere Abrechnungen dieser Jahre enthält. Diese Abrechnungen sind bereits so wie die später in die Hauptbücher selbst aufgenommenen Wochenabrechnungen angeordnet: es werden jeweils separat die Kosten für Allerlei, Fleisch und Fisch angeführt sowie die Summe aller drei Posten3. Leider ist in Folge dieses mißlungenen Reformversuchs die Quellenlage für die ersten beiden Pontifikatsjahre erheblich schlechter als für die folgenden. Man kann gut beobachten, wie in den Hauptbüchern allmählich zur wöchentlichen Abrechnung übergegangen wird. Sind die Einträge für die Küche im ersten Pontifikatsjahr noch sehr summarisch und unregelmäßig4, findet man im zweiten bereits die wöchentliche Abrechnung, wenn sie auch noch nicht konsequent durchgeführt ist5.

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Vgl. für das Brotamt SCHÄFER, VQ 2, S. 124, für das Weinamt S. 134. Beim Weinamt wird zwar beim ersten Eintrag angemerkt, der Kellermeister solle Guillelmus Caze Rechnung legen, im folgenden wird er jedoch nicht mehr erwähnt. Vgl. Kap. Π,Ι. Es handelt sich um Coli. 448, einen Sammelband (vgl. DE LOYE, Archives, S. 170), der auf f. 1-25 Fragmente diverser Abrechnungen für Küche, Brotamt u. s. w. enthält. Auf f. 23r steht beispielweise die Wochenabrechnung der Küche für den 1 . - 8 . Juli 1317: ...se expendisse in coquina pro potagio, gallinis, caprellis, collumbis, pro portatura lignorum...: 20 lib. 19 sol. 4 den. parv. mon. Item in carnibus: 11 lib. 4 sol. Item in piscibus: 17 lib. Summa expensarum totius predicte septimane 49 lib. 3 sol. 4 den. parv. mon. valent 54 fl. 11 sol. 4 den. parv. mon. Auch die Gestaltung der Einträge entspricht denen in den Hauptbüchern der späteren Jahre: Auf der linken Hälfte der Seite stehen untereinander erst die drei Einzeleinträge, dann der vierte, der sie zusammenfaßt; auf der rechten Hälfte stehen jeweils die zitierten Summen. Ähnlich fragmentarische Aufzeichnungen enthält IE 14 (vgl. GÖLLER, V Q 1, S. 19 Anm. 1 und DE LOYE, Archives, S. 6 f.), eine nachträglich eingebundene Loseblattsammlung mit diversen Abrechnungen aus den Jahren 1316-1320.

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E d . SCHÄFER, V Q 2 , S. 4 9 .

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E d . SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 0 f.

128

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Dies ist im dritten Jahr der Fall1; im vierten ist dann endgültig die Form gefunden, die bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes eingehalten werden sollte: Wie in der genannten Handschrift2 werden die Ausgaben Woche für Woche (jeweils von Samstag bis Freitag3) verzeichnet, und zwar unterteilt in drei Untergruppen: Die erste - im folgenden als „Allerlei" bezeichnet - umfaßt Geflügel, Kleintiere und Speck bzw. Schinken (pro pullis, gallinis, perdicibus, columbis, cuniculis, caponibus, lardo), dazu kommen die Zutaten für die Suppe, welche mit pro potagio umschrieben werden, sowie Öl, Eier, Käse und Salz. Er betrifft also fast ganz fleischliche Nahrung. Ebenfalls unter diesem Posten verbucht werden die Ausgaben für den Transport von Brennholz4 (pro portatura lignorum) und für die Wäsche der Tischtücher (pro lotura pannorum). Die zweite Untergruppe enthält die Ausgaben für das Fleisch von großen Tieren, nämlich von Schweinen, Hammeln, Kälbern und Ochsen (pro porcis, mutonibus, vitulinis et bovibus), die dritte schließlich die Ausgaben für Fische (pro piscibus). In einer vierten Untergruppe wird dann die Summe aus den dreien gezogen, so daß man Woche für Woche sowohl die Ausgaben für Allerlei, Fleisch und Fisch als auch die Gesamtkosten verfolgen kann5. Dies ist nicht so zu verstehen, daß die Eintragungen in die Hauptbücher Woche für Woche erfolgt seien, vielmehr kamen die Wochenabrechnungen derart zustande, daß die Einkäufer in mehrwöchigen bis mehrmonatigen Abständen mit der Kammer abrechneten und bei dieser Gelegenheit ihre Auslagen ersetzt bekamen6. Bei dieser Gelegenheit sind ihre Aufzeichnungen, welche sie in Form von Kladden oder Zetteln eingereicht hatten, von der Kammer kontrolliert worden und bildeten die Grundlage für die Einträge in die Hauptbücher. Eine ähnliche Entwicklung zu wöchentlicher Abrechnung findet man auch bei den anderen Hofamtern. Zunächst beim Weinamt7, wo die Ausgaben für Obst (d. h. für Äpfel, Birnen, Pflaumen, Feigen, Weintrauben oder Rosinen, Nüsse, Mandeln, Zitronen, Orangen und Granatäpfel8) Woche für Woche verzeichnet worden sind, dann auch beim Brotamt, wo man die Kosten für Brot (zuweilen vereint mit denen für Salz, Mehl, Kuchen und Gebäck)9 in gleicher Weise aufgeführt hat. Daß die Einträge

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Ed. SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 0 ff. Er gibt die Wochenausgaben hier bereits in tabellarischer Form, lediglich der erste Eintrag (vom 18. Sept. 1317) ist vollständig wiedergegeben. Coli. 448 f. 1-25, siehe oben. Dies ist erkennbar aus den Tabellen bei SCHÄFER, VQ 2, S. 55 ff. Auch die von mir durchgesehenen Hauptbücher bestätigen diesen Befund. Daß der Freitag - auch für andere Hofämter - der übliche Abrechnungstag war, ist auch aus dem Avignoneser Zeremonienbuch ersichtlich (ed. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 208 f.). Dieses wurde ad viridarium gelagert und mußte von dort in die Küche transportiert werden. Bei SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 5 ff. und passim ist dies in tabellarischer Form wiedergegeben, wenn auch leider nicht vollständig. Vgl. beispielsweise SCHÄFER, VQ 2, S. 79 f. Anm. 1 ff. V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 3 4 ff.

Mit geringen Variationen werden die Einträge folgendermaßen eingeleitet: Pro expensis factis in pomis, piris, pruttis, ficubus, racemis, nucibus, amigdalis, limonibus, arangiis, millegranatis. Zuweilen heißt es auch einfach pro fructibus. Pro sale, farina, nebulis, collerdis.

Kammer und Hofamter

129

nachträglich und in größeren Abständen erfolgt sind, ist hier noch deutlicher. Anders als bei den Abrechnungen der Küche hat man die Wochenausgaben nicht derart verzeichnet, daß jeweils von einem bestimmten Wochentag bis zum gleichen Tag in der nächsten Woche gerechnet wurde, vielmehr wird am Anfang des Eintrags ein längerer Zeitraum von einer bestimmten Anzahl von Wochen angegeben, und werden dann die Kosten für die erste, zweite, dritte etc. Woche eingetragen Stark eingeschränkt werden die Wochenabrechnungen mit dem Beginn des Pontifikats Urbans V. (1362). Die Dreiteilung der Küchenausgaben hat man aufgegeben, vielmehr nur noch die wöchentlichen Gesamtausgaben verbucht. Am Ende eines Monats hat man in einem weiteren Eintrag die außerordentlichen Ausgaben des Amtes für diesen Monat, d. h. die Ausgaben für Spezereien, Küchengeräte, Öl und die Pflege des Fischteichs verbucht. Ahnlich hat man es beim Brot- und Weinamt gehalten. Auch diese Ausgaben sind wöchentlich nur in den systematischen Büchern zu finden, bei den chronologischen, die seit Urban V. allmählich die systematischen zu ersetzten beginnen, findet man lediglich Monatsabrechnungen. Die geschilderte Systematik der Wochenabrechnungen wird gestört durch die bereits erwähnten Großeinkäufe von Lebensmitteln außerhalb Avignons. Sie wurden in den Hauptbüchern unter den jeweiligen Hofamtern abgerechnet, sind aber häufig nicht von den Amtsvorstehern, sondern von jeweils anderen Einkäufern getätigt worden. Vor allem aber sind zahlreiche Einkäufe gar nicht von den Ämtern, sondern vom Kämmerer direkt angeordnet und in diesem Falle unter dem Titel Außerordentliche Ausgaben gebucht worden2. Dies gilt insbesondere für die Einkäufe von Spezereien (species), worunter keineswegs nur Gewürze zu verstehen sind. Der Terminus ist vielmehr ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Genußmitteln, die sich dadurch auszeichnen, daß sie aus Übersee eingeführt werden mußten. Die Großeinkäufe waren buchungstechnisch insofern problematisch, als sie sich in das Schema der Wochenabrechnungen nur schwer einfügen ließen. Bei den Küchenabrechnungen behalf man sich einerseits derart, daß man nach Allerlei, Fleisch und Fisch in einem weiteren Eintrag den Großeinkauf verzeichnete, und dessen Summe zusammen mit den drei anderen in die Gesamtwochensumme einfließen ließ3. Andererseits sind zuweilen auch Ausgaben ganz außerhalb der Wochenabrechnungen gebucht worden. Sie flössen dann nicht in die Wochensumme ein, sondern lediglich in die Seiten- und Titelsummen4. 1 2

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Dies ergab die Durchsicht der Hauptbücher. Unter Johannes ΧΧΠ. hieß dieser Titel Expensa pro cera et quibusdam extraordinariis. Die Ausgaben für Wachs machen allerdings nur einen Bruchteil der Einträge aus, dafür enthält der Titel hochinteressante Angaben über das päpstliche Botenwesen, den Krieg in Italien, Kosten für Geschenke und Gesandtschaften und anderes mehr. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 381 ff. Bis zum achten Pontifikatsjahr sind diese Ausgaben tabellarisch zusammengestellt bei SCHÄFER, VQ 2, S. 55 ff. Für die folgende Zeit stütze ich mich auf die Durchsicht der Hauptbücher. In SCHÄFER, VQ 2, lassen sich beide Arten von Einträgen dadurch unterscheiden, daß bei den Großeinkäufen, die in die Wochenrechung eingeflossen sind, im Datum jeweils ein Zeitraum, und zwar von einer Woche, angegeben ist, also beispielsweise auf S. 75 der Eintrag von Dez. 25-31. Dagegen sind Einträge, die außerhalb der Wochenrechnung verbucht sind, mit einem Zeitpunkt

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Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Beim Brotamt war dies unproblematisch, da hier kaum Großeinkäufe vorkamen1. Am größten war diese Schwierigkeit beim Weinamt, da die Weineinkäufe nicht kontinuierlich Woche für Woche erfolgten, man vielmehr einmal im Jahr - zur Zeit der Lese - durch Großeinkäufe in verschiedenen Weinorten den gesamten Jahresbedarf deckte. Man behalf sich, indem man beide Arten von Einkäufen jeweils getrennt abrechnete und erst am Jahresabschluß alle Kosten addierte2. Die Unterscheidimg zwischen den wöchentlichen Normaleinkäufen und den unregelmäßigen Großeinkäufen hat auch Konsequenzen für die Datierung. Bei den Wochenausgaben sind - wenn auch im Nachhinein - die Ausgaben den einzelnen Wochen zugeordnet worden, man kann ihnen also entnehmen, in welcher Woche wieviel Geld für die jeweils angeführten Nahrungsmittel ausgegeben worden ist. Anders ist es bei den auswärtigen Großeinkäufen. Das im Hauptbuch angegebene Datum bezeichnet nicht den Tag des Einkaufs, sondern den Tag, an dem der Einkäufer mit der Kammer abrechnete. Der Tag des Einkaufs konnte dabei bereits Wochen und Monate zurückliegen, zumal bei Einkäufen, die in einiger Entfernung vorgenommen worden waren. Außerdem sind die Einkäufe auch nicht immer sofort bezahlt worden; besonders am Ende der einzelnen Haushaltsjahre gewahrt man, daß die angesammelten Rechnungen noch beglichen werden sollten. Gelegentlich, aber keineswegs immer, wird im Hauptbucheintrag auf diese Diskrepanzen hingewiesen. In solchen Fällen ist also der aus der Urkundenlehre vertraute Abstand von Handlung und Beurkundung in Rechnung zu stellen. Generell kann man sagen, daß die Kurie unter Johannes XXII. ihren Bedarf an frischen Lebensmitteln - das waren (frisches) Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse und Brot durch die Einkäufe in Avignon selbst deckte3, Lebensmittel dagegen, die entweder längere Zeit haltbar oder konserviert waren - da wären getrockneter oder gesalzener Fisch, geräuchertes oder gesalzenes Fleisch, Schlachttiere, Getreide, Spezereien und Wein - durch auswärtige Großeinkäufe zu decken suchte. Unter Benedikt ändert sich dieses System insofern, als er die auswärtigen Einkäufe stark eingeschränkt hat, also auch die zuletzt genannten Lebensmittel weitgehend in Avignon selbst kaufen ließ. Lediglich bei den Wein- und Fischeinkäufen blieb das vorherige System bestehen. Auch weiterhin versuchte die Kurie aber, diese Lebensmittel durch Großeinkäufe zu erwerben, und zwar möglichst zu der Jahreszeit, wo ihr Einkauf am günstigsten, d. h. der Preis am niedrigsten war. In der buchungstechnischen Systematik war man unter Benedikt allerdings sehr viel weniger konsequent. Mal hat man die Großeinkäufe weiterhin separat gebucht, sie in anderen Fällen aber wieder in die Wochenabrech-

datiert, nämlich dem Tag an dem der Einkauf von der Kammer abgerechnet worden ist, also auf S. 75 beispielsweise der Eintrag vom 4. Februar. 1

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 2 4 ff.

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Die Trennung der Ausgaben für Obst von denen für Wein findet sich erstmals im 4. Pontifikatsjahr (1319/20). Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 138 f. Ich behandle hier nur die durch Einkäufe erworbenen Lebensmittel. Nicht berücksichtigt sind die Lebensmittel, welche die Kurie aus ihren eigenen bzw. den bischöflichen Gütern bezog. Vgl. dazu Kap. Vn,l.

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Kammer und Hofamter

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nungen integriert, ohne daß ich ein bestimmtes System feststellen könnte. Auch sind die Einträge unter Benedikt generell sehr viel summarischer, mit der Folge, daß die Datenbasis für seinen Pontifikat sehr viel weniger dicht ist. Wieder mehr in Bahnen Johannes' XXII. zurückgelenkt hat Clemens VI., unter dem nicht nur die Ausgaben, sondern auch die Ausführlichkeit der Hauptbucheinträge rapide ansteigen. Hinsichtlich der Einkäufe für die Küche läßt sich eine sehr konsequente Verbuchung im Vierwochenrhythmus feststellen. Alle vier Wochen hat ein compotus (Abrechnung) stattgefunden, dabei sind die Kücheneinkäufe für Allerlei, Fleisch und Fisch in der herkömmlichen Weise aufgeführt, gefolgt von den außerordentlichen Ausgaben der vier Wochen. Dieses System hat Innozenz übernommen, es allerdings von vierwöchentlicher auf monatliche Abrechnung umgestellt. Statt dreizehn oder gar vierzehn Mal pro Jahr, ist dann also nur noch zwölfmal abgerechnet worden. Wie oben bereits ausgeführt, treten unter Urban V. und Gregor XI. die chronologischen an die Stelle der systematischen Hauptbücher, die chronologischen Bücher sind indes sehr viel summarischer als die früheren chronologischen Bände. Es sind daher nur die monatlich aufgewendeten Gesamtsummen der einzelnen Ämter verzeichnet. Die Hoffnung, mit Hilfe der Kammerakten den gesamten Lebensmittelkonsum der Kurie ermitteln zu können, schwindet bei näherer Beschäftigung mit ihnen. Das hat seinen Grund zunächst in den beschriebenen Eigenarten der Buchungstechnik1. Vor allem über diejenigen Einkäufe, welche die Kurie in Avignon selbst hat vornehmen lassen, sind wir erheblich schlechter informiert, als über die, welche sie auswärts getätigt hat. Weiterhin ist nur ein Teil der verbrauchten Lebensmittel durch Kauf erworben und somit in den Büchern verzeichnet worden. Vor allem beim Fleisch und beim Wem ist ein beträchtlicher Teil der benötigten Mengen dem Papst als Geschenk überbracht worden; beim Getreide und abermals beim Wein stammt ein weiterer Teil des Verbrauchten aus den bischöflichen Gütern2. Wie groß der Anteil beider an der Gesamtmenge der verbrauchten Lebensmittel gewesen ist, läßt sich nur in Einzelfallen zeigen, allgemein kann man nur sagen, daß er keineswegs imbedeutend war. Der Anteil deijenigen Lebensrnittel, die von den Bischofsgütern stammten, ist während des Untersuchungszeitraums tendenziell eher gewachsen, da - wie noch gezeigt werden wird - die Kurie im Verlaufe des Untersuchungszeitraums dazu tendierte, in immer stärkerem Maße auf die Bischofsgüter zurückzugreifen3.

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Siehe oben und Kap. Π, 1. Diese Problematik ist bei mittelalterlichen Haushaltsrechnungen offenbar weit verbreitet. Aus englischem Material wird sie aufgezeigt von DYER, Accounts, S. 109 ff. Vgl. Kap. Vn,l.

IV,2. Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter Wie schon unter Clemens V. und seinen Vorgängern hatten auch in Avignon zunächst drei Hofamter1 mit der Beschaffung der nötigen Lebensmittel zu tun2: die Küche (coquinä), das Brotamt (panataria) und das Weinamt (buticulariaf. Ebenfalls wie früher war ihre Aufgabe eine doppelte: sie hatten die Nahrungsmittel sowohl einzukaufen als auch dafür zu sorgen, daß sie verarbeitet und serviert wurden4. Auch hatten die Ämter alles, was zur Zubereitung und zum Verzehr nötig war, anzuschaffen; so kaufte etwa die Küche große Mengen an Brennholz sowie Geschirr und Küchengeräte, das Brotamt wiederum Tafel- und Geschirrtücher, das Weinamt schließlich Gläser, Becher und Fässer. Keineswegs war die Küche für alle Nahrungsmittel außer Brot und Wein zuständig: frisches Obst wurde zunächst durch das Weinamt beschafft, bis unter Clemens VI. diese Aufgabe an das Brotamt überging. Dieses hatte wiederum neben Weißbrot auch Kuchen, Gebäck (nebuli), Salz und Käse anzuschaffen5. Neben dem Einkauf hatten die Ämter weiterhin für die Verteilung zu sorgen und schließlich

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Im 13. und 14. Jahrhundert war die Organisation und die Versorgung eines Hofes (eigentlich eines herrschaftlichen Hauses, der Unterschied ist in diesem Zusammenhang aber ohne Belang) bereits Gegenstand theoretischer Reflexion; diese hat sich in diversen Ökonomiken niedergeschlagen. Zu nennen sind hier die Werke des Vinzenz von Beauvais (+1264), des Aegidius Romanus (+1316) und des Konrad von Megenberg (1309-1374). Konrads Werk wird mehrfach zum Vergleich herangezogen, teils, weil seine Lebenszeit dem Avignoneser Papsttum zeitlich fast genau parallel läuft und er selbst sich mehrfach in Avignon aufgehalten hat, teils, weil er als einziger in einer kritischen Edition vorliegt (ed. KRÜGER 1-3, über Konrad vgl. jetzt DROSSBACH, Yconomica, dort die ältere Literatur). Dabei ist es nicht meine Absicht, eine mehr oder weniger große Vertrautheit Konrads mit den kurialen Verhältnissen nachzuweisen; ich betrachte seine Schilderung eher als ein zeitgenössisches Model, gleichsam als den Idealtypus eines Hofes. Konrad bietet somit einen Maßstab dafür, was an der Kurie als normal und was als ungewöhnlich zu gelten hat. Zum folgenden vgl. vor allem SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 7 7 3 ff., sowie GUILLEMAIN, Cour, S. 357 ff.; SCHÄFER, VQ 2, S. 47 f. und passim. Es sei nur am Rande vermerkt, daß analoge Strukturen auch heute noch an modernen „Höfen" üblich sind. Wie ich den Memoiren von Joel Normand, dem langjähren „chef de cuisine" des Elysee-Palastes entnehme, ist beispielsweise auch heute noch die Küche für alle Lebensmittel außer Wein, Käse und Brot zuständig, deren Beschaffung anderen Ämtern obliegt. Vgl. NORMAND, Republique, S. 251 ff. und passim. Die Analogie kann hier nicht weiter ausgeführt werden, der Leser sei auf das Buch selbst verwiesen. Die marescallia (Marstall), die für die Versorgung der Pferde und damit auch für den Einkauf des nötigen Pferdefutters zuständig war, bleibt hier unberücksichtigt. Der im folgenden geschilderte Aufbau hat einige Ähnlichkeit mit Verhältnissen am Hofe der Anjous. Vgl. VENTURINI, Fragment, S. 77 ff; DURRIEU, Archives 1, S. 130 ff. Auch in der späteren Zeit gibt es deutliche Parallelen. Für den Haushalt der Königin Johanna vgl. LÄONARD, Comptes, S. 232 ff. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 7 7 7 f. In der Hofordnung von 1 4 0 9 ist dann festgelegt, daß die Panatare für die Versorgung mit Obst zuständig waren (DYKMANS, Ceremonial 3, S. 427, Cap. V,52).

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

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hatten bei Banketten jeweils ein Panatar und ein Kellermeister anwesend zu sein und die Arbeit ihrer Untergebenen zu überwachen1. Bei dem im folgenden erörterten Personal der Hofämter handelt es sich lediglich um die Spitzenpositionen. Die höheren Amtsinhaber verfugten aber ihrerseits über eigene Famiiiaren und Diener. Außerdem hat es noch eine unbekannte Anzahl von Hilfskräften gegeben2, die in den Rechnungsbüchern kaum aktenkundig geworden sind3. Die jeweiligen Amtsinhaber haben mit den ihnen zugewiesenen Tagegeldern nicht selten noch weitere Kräfte angestellt, welche für die Hilfsarbeiten herangezogen worden sind. Auch kann man schon unter Johannes XXII. und Benedikt XII. etwa beim Weinamt beobachten, daß einzelne Edelknappen (scutiferi) oder Waffenknechte (serviertes armorum), also päpstliche Famiiiaren ohne genau definierten Aufgabenbereich4, mit der Organisation und Durchführung der nötigen Großeinkäufe beauftragt worden sind. Unter Benedikt XII. begannen dann die großen Umbauten am Palast; die Löhne für die dafür angestellten Arbeiter sind nicht unter den Gehältern, sondern unter den Bauausgaben verrechnet worden5. Wieder eine neue Entwicklung bahnte sich unter Clemens VI. an. Unter ihm sind die Aufwendungen der Kurie für Lebensrnittel und für den Hof überhaupt um ein Mehrfaches angestiegen. Entsprechend wurde auch der Arbeitsanfall für das Personal größer. Diese Entwicklung hat die Kurie nur zum kleineren Teil durch die Einstellung neuen Personals aufgefangen; der Personalstand des Hofes ist vielmehr während des gesamten Untersuchungszeitraums nur in begrenztem Maße verändert worden. Die Gehaltszahlungen, die in den Hauptbüchern unter dem Titel pro vadiis ordinariis verbucht sind, schwanken während der sechs behandelten Pontifikate nur wenig. Sie bewegen sich jährlich zwischen rund 29000

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Darauf wird in der Hofordnung großer Wert gelegt (DYKMANS, Ceremonial 3, S. 427 ff., Cap. V und VI). In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen Konrads von Megenberg 1,3 cap. 17, ed. KRÜGER 1, S. 159 f., von Interesse, der an Höfen zwei Arten von nützlichen Dienern (servi utiles) unterscheidet: solche, die selbst wieder andere Diener unter sich haben und sie anleiten, und solche, für die das nicht zutrifft. Vgl. auch DROSSBACH, Iconomica, S. 83 f. In den Quellen erkennbar sind für den Hof in Avignon fast nur die Diener der ersten Kategorie. Die These von GUILLEMAIN, Cour, S. 393, die unter Clemens V. noch belegbaren Hilfskräfte seien unter dessen Nachfolgern abgebaut worden, ist nicht richtig. Sie verschwinden aus den Hauptbüchern als Empfanger von Lebensmittelrationen, benötigt hat man sie weiterhin. Dies gilt auch für die Metzger und Fischer, daß diese weiterhin im Palast benötigt wurden, zeige ich im folgenden. GUILLEMAIN, Cour, S. 422 ff. hat ein eigenes Kapitel mit „La confusion des fonctions" überschrieben, wo er zeigt, daß sich die Funktion bei Hofe und die Einstufung in den Gehaltslisten oft nicht decken. Der springende Punkt scheint mir der zu sein, daß man zwischen dem Dienstrang (das ist die Einstufung in den Gehaltslisten) und der Dienststellung (das ist das Amt, das die Person bei Hofe ausfüllte) unterscheiden muß. Beides konnte übereinstimmen, so etwa wenn ein Waffenknecht (serviens armorum) sowohl in den Gehaltslisten als auch anderswo mit diesem Terminus benannt wird. Es mußte aber keineswegs übereinstimmen, so etwa wenn der Koch in den Gehaltslisten als serviens armorum (er war natürlich kein Waffenknecht, erhielt aber das Gehalt eines solchen), anderswo aber als coquus bezeichnet wird. Vgl. dazu PIOLA CASELLI, Costruzione, S. 1 4 5 ff.

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Die Organisation der Lebensmittelversorgung

und 35000 fl.1. Von Clemens VI. an mußten also sehr viel mehr Lebensmittel und sonstige Einkäufe von etwa gleichviel Personen verarbeitet werden. Die zuständigen Ämter behalfen sich, indem sie in Zeiten besonders großen Arbeitsanfalls - vor allem bei größeren Festen - eine Anzahl von Hilfskräften einstellten, die tageweise bezahlt und nach Abschluß der Arbeiten wieder entlassen worden sind2. Die Kosten für diese Hilfskräfte sind nicht unter den Gehältern, also nicht unter dem Titel pro vadiis ordinariis verbucht, sondern unter den Ausgaben desjenigen Amts, welches jeweils die Hilfskräfte angestellt hatte. Beginnend mit dem Pontifikat Benedikts XII. und voll entwickelt seit dem Amtsantritt Clemens' VI. (1342) ist also mit einer grundlegend veränderten Personalstruktur zu rechnen: einer relativ kleinen Gruppe von festangestellten Offizialen stand eine je nach Bedarf mehr oder weniger große Gruppe von Tagelöhnern gegenüber. Genauere Zahlen lassen sich - dank der prosopographischen Arbeiten von Anne-Marie Hayez - für den Pontifikat Urbans V. nennen. Sie kann insgesamt 300 Amtsträger namhaft machen, rechnet aber mit einer doppelten bis vierfachen Anzahl nicht namentlich bekannter Hilfskräfte3. Es ist schon verschiedentlich angeklungen, daß nicht nur der Papst, sondern auch die Kardinäle, - wenn auch in kleinerem Maßstab - eigene „Unterhöfe" unterhielten, die in ähnlicher Weise wie der päpstliche organisiert waren4. Mitunter hat sich die Kurie dies zunutze gemacht, indem sie in Zeiten besonders großen Arbeitsanfalls, d. h. bei großen Festen, auf das Personal der Kardinäle zurückgegriffen hat. Besonders deutlich wird dies bei den Krönungsfeiern. Anläßlich der Krönimg Clemens' VI. und Innozenz' VI. hat man offenbar alle Köche der Kardinäle sowie anderer anwesender Würdenträger zum Bereiten des Festmahls herangezogen5. Aber auch bei anderen

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Von Johannes ΧΧΠ. bis Innozenz VI. sind die jährlichen Zahlungen tabellarisch zusammengestellt bei SCHÄFER, VQ 2, S. 32* (Johannes ΧΧΠ. im Jahresdurchschnitt 29645 fl.); VQ 3, S. 9 (Benedikt ΧΠ. im Jahresdurchschnitt 32598 fl.); S. 179 (Clemens VI. 32050 fl.); S. 516 (Innozenz VI. im Jahresdurchschnitt 35310 fl.). Unter Urban V. ergeben sich vom zweiten bis vierten Pontifikatsjahr im Jahresdurchschnitt 28915 fl. (errechnet aus den Monatssummen bei SCHÄFER, VQ 6, S. 73 f; S. 91, S. 143); unter Gregor XI. ergibt sich aus dem vierten Jahr eine Summe von 27830 fl. (errechnet aus SCHÄFER, VQ 6, S. 497). Nach dem Vorbild von HOBERG, VQ 7, S. 15* f., habe ich hier eine vereinfachte Art der Umrechnung gewählt, indem ich alle Goldmünzen als Florentiner Goldgulden rechne. Jeweils eine lib. mon. Avin. ist als ein fl. gerechnet. Der Vergleich wird dadurch erschwert, daß die Mietbeihilfen der Kammer für die Kurialen von Urban V. offenbar abgeschafft worden sind; solche werden jedenfalls nicht mehr verbucht. Ζ. B. IE 210 von 1349 Apr. 28: Pro valetis qui invenerunt ad coquinam in dicto festo pasche - 6 sol.; pro 2 coquis extraneis in dicto festo - 12 sol.·, IE 263 von 1351 Dez. 7: Pro salario 5 coquorum, qui iuverunt in coquina die mercurii 9 et die iovis 10 nov. in prandio et in cena - 60 sol.; 3 famulis coquine, qui iuverunt Ulis diebus duobus -18 sol. Vgl. HAYEZ, Fonctionnaires... d'Urbain V, S. 231 f. Sehr deutlich wird dies bei MOLLAT, Contribution, passim. Mollats Hauptquelle, die von Francis de Conzie verfaßte Ordnung der Kardinalshaushalte, ist mittlerweile neu ed. bei DYKMANS, Ceremonial 3, S. 446 ff. SCHÄFER, VQ 3, S. 184 (für Clemens VI.); GUIDI, Coronazione, S. 571 ff. (für Innozenz VI.). Vgl. dazu auch SCHIMMELPFENNIG, Papal Coronations, S. 179 ff.

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

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Gelegenheiten läßt sich ähnliches beobachten. So waren etwa die Kellermeister der Kardinäle daran beteiligt, Wein für den Empfang Kaiser Karls IV. zu beschaffen1. Der Einkäufer des Kardinals Aegidius Aycelini (1361-78) bereitete den Empfang des Grafen von Bourges in Sorgues vor2. Auch hochgestellte Gäste haben mitunter ihr eigenes Küchenpersonal an die Kurie ausgeliehen: So hat während des Pontifikats Johannes' ΧΧΠ. Graf Philipp von Poitiers dem Papst seinen Koch zur Verfügung gestellt, ebenso handelte der Herzog von Burgund3. Die Küche4 Johannes XXII. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des in den Quellen gebrauchten Terminus' coquina, daß er in gleicher Weise das Amt, also die in der Küche arbeitenden Personen und ihre Aufgaben, wie auch die Räumlichkeiten, in denen das Küchenpersonal seiner Arbeit nachging, benennt. Der Avignoneser Palast hat den Vorzug, daß er der älteste Papstpalast ist, in dem die Küchenräume wenigstens einigermaßen erhalten sind, auch enthalten die Baurechnungen wertvolles Material über ihren allmählichen Ausbau. Sie erlauben damit, den allmählichen Übergang von einer Improvisation zu einer immer stärkeren Anpassung der Baulichkeiten an die Bedürfhisse des Hofes zu beobachten. Verglichen mit der voravignonesischen Zeit, finden sich unter Johannes XXII. bei der Küche Änderungen, die sich auf die päpstliche Dauerresidenz in Avignon zurückfuhren lassen. Zunächst einmal ist die Aufteilung in zwei unterschiedliche Küchen weggefallen; es gab nur noch eine coquina5. Der Grund liegt nahe: da die Masse der Kurialen sich nunmehr selbst verpflegte, war die frühere coquina magna überflüssig geworden, die verbleibende Küche konnte sich auf die Versorgung des Papstes, seiner Gäste und wohl auch der Palastbewohner beschränken6. Anscheinend gab es in dem alten Bischofspalast auch nur eine einzige Küche. Diese war dringend renovierungsbedürftig: bereits in den ersten Jahren Johannes' XXII. erfahrt man vom Bau einer coquina nova. Sie ist mit Herden und einer Tür mit steinerner Umrahmung ausgestattet worden7. Noch im gleichen Jahr hat man einen Handwerker dafür entlohnt, daß er einen hölzernen Pfahl (als Dachstütze?) in dieser 1

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IE 311 f. 69r von 1365 Mai 31: Pro quibusdam aliis buticulariis d. cardinalium, pro iuvando fuerunt in dicto officio buticularie conductis - 26 sol.. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 6, S. 116 f. von 1365 Mai 31. Ε 311 f. 113r von 1365 Juni 17. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 6, S. 100.

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ALBE, Cour, S. 11.

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Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 392 ff. Zu den Räumlichkeiten vgl. COLOMBE, Cuisine; LABANDE, Palais 1, S. 44 und S. 108 ff. sowie die Pläne bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44 ff. (auch im Anhang). GUILLEMAIN, Cour, S. 393, nimmt eine durchgehende Existenz von zwei Küchen an, indes habe ich dafiir keinerlei Anzeichen gefunden. Vgl. Kap. IV,2.

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ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 7 von 1317 Apr. 3 und 17; vgl. auch VINGTAIN, Avignon, S. 78 f.

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Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Küche aulgestellt hat1. Auch wurde sie durch eine Mauer von den Nachbarräumen abgetrennt. Vor der Küche hat man eine Brücke errichtet, die anscheinend zum Konsistorium führte3. Die Küche befand sich wahrscheinlich in der Nordostecke des Palastes4. Sie grenzte rechts an den Ostflügel, wo sich der große Saal {tinellum magnum) befand, in dem die großen Festmähler stattfanden5. Die Speisen brauchten also nur hinübergetragen werden. Anscheinend befand sich die Küche (wie auch der große Saal) zusammen mit den Räumen des Wein- und Brotamtes im Erdgeschoß. Auch gab es mehrere Weinkeller, einen unter dem großen Festsaal, einen anderen will Labande sogar im Keller des Turms lokalisieren, wo der Papst sein Schlafzimmer hatte6. Nördlich und hinter der Küche lagen die Latrinen. Weiteres erfahrt man aus vereinzelten Abrechnungen über Umbauten und Reparaturen am alten Bischofspalast. So erhielt die Küche 1318 einen Abfluß7, wurden im Jahre 1323 Kosten für die Reparatur der Küche verbucht und der Platz vor der Küche befestigt8. Im Jahre 1328 hat man den Ofen der Küche neu mit Steinen und Gips ausgekleidet9; sie erhielt außerdem einen neuen Holzfußboden10. Dieser bewährte sich nicht: 1332 hat man den Fußboden mit Steinplatten ausgelegt11. Zudem hat die Küche eine steinerne Bewässerungsanlage erhalten1 , die anscheinend in einen cum cemento ausgekleideten Wasserbehälter mündete13. Im Jahre 1333 werden Arbeiten im dressatorium coquine erwähnt, also im Anrichtezimmer14. Während früher zwei Oberköche die Leitung der päpstlichen Küchen innehatten und für den Einkauf der Lebensmittel zuständig waren, hat sich hier eine charakteri-

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Palais 1, S. 9 von 1 3 1 7 Nov. 6 . Der fragliche Handwerker wird ausdrücklich als iudeus bezeichnet. Es ist hier nicht der Ort, auf die Beteiligung zahlreicher jüdischer Handwerker und Bauarbeiter an den Palastbauten einzugehen; vielfältige Belege finden sich bei ANDREMICHEL, Palais 1 und 2 , passim. ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 9 von 1317 Nov. 6. ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 2 4 von 1 3 1 9 Aug. 2 0 und S. 2 5 von 1 3 1 9 Nov. 4 . Vgl. auch die übernächste Anm. Vgl. jetzt auch KERSCHER, Architektur, S. 9 2 . Ich folge hier LABANDE, Palais 1, S . 4 4 ff.; in dem Plan 1 bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 4 4 (auch im Anhang). Aufschlußreich ist folgender, bereits aus dem Pontifikat Benedikts ΧΠ. stammender Eintrag: ...Petro Salviati, qui debet destruere omnia hospicia, que erant inter coquinam veterem et concistorium, et alia hospicia, que sunt extra, usque ad tinellum parvum, ubi consuevit comedere dominus papa... zit. nach ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 57 von 1338 Sept. 16. Möglicherweise bezieht er sich auf ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 91 von 1344 Juni 19. ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 17 von 1318 Sept. 3. SCHÄFER, VQ 2, S . 292 von 1323 Mäiz 28 und Mai 11. ANDRE-MICHEL,

9

SCHÄFER, V Q 2 , S . 3 0 2 v o n 1 3 2 8 Jan. 2 5 .

10

VQ 2, S . 302 von 1328 März 25. Hier ist ausdrücklich von domus coquine et tina aque ac camera coquine die Rede. Offenbar nahm die Küche einen ganzen Trakt im Palast ein. SCHÄFER, VQ 2, S. 309 von 1332 Sept. 10. SCHÄFER, VQ 2, S. 303 von 1329 Juli 12.

11 12

SCHÄFER,

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 3 1 0 v o n 1 3 3 3 M a i 16.

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 3 1 0 v o n 1 3 3 3 M a i 16.

Aufgaben, Personal und Standort der Hofaxnter

137

stische Veränderung ergeben: die Küche leitete nunmehr der Einkäufer (emptor coquine) allein; er war insbesondere für die Anschaffung zuständig. Dim untergeordnet waren zwei Köche (coqui), welche die Zubereitung der Speisen zu besorgen hatten. Diese wurden unterstützt von mehreren - meist vier - Unterköchen (brodahif. Auch weiterhin hatte also der Einkauf den Vorrang vor der Zubereitung. Auch in Avignon war dem Einkäufer wie schon früher ein Schreiber (scriptor oder notarius) beigeordnet, der die Kladde über die Einkäufe zu fuhren hatte2. Diese Kladde bildete dann die Grundlage für die Abrechnungen mit der Kammer3. Der unter Johannes XXII. noch bestehende Vorrang des Einkaufs manifestierte sich auch darin, daß die Küchenschreiber (und nicht etwa die Köche) dem Einkäufer nicht selten im Amte nachfolgten. Zudem beweist selbst das Wenige, was von ihren Vorleben und Karrieren bekannt ist, daß sie nichts vom Kochen, eher schon etwas vom Rechnen verstanden haben. Sowohl der Einkäufer wie auch der Schreiber waren Kleriker; in den Gehaltsabrechnungen waren sie unter den „vertrauten Klerikern" (clerici intrinseci) eingestuft4. Sie erhielten beide wöchentlich 1,034 fl. oder täglich 0,147 fl.5 Der erste in Avignon nachweisbare Einkäufer der Küche war Guillelmus Caze, der eine gewisse Sonderstellung einnimmt und deshalb separat behandelt wird6. Nur provisorisch im Amt war Hugo de Fonte (von 1318 Jan. 10-Mai 5)7. Sein Nachfolger, Guillelmus Martini (1318 Mai 5 - 1326 Juni 26 +), war zuvor Küchennotar des Guillelmus Caze gewesen und hatte vertretungsweise bereits von 1317 Okt. bis 1318 Jan. das Einkäuferamt inne gehabt8. Ähnlich war auch Guillelmus Martinis Nachfol-

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6

Ich stütze mich hier auf einen Vergleich zwischen der Hofordnung Clemens' V. (ed. FRUTAZ, Famiglia, S. 277 ff.) und den Gehaltslisten Clemens' V. (bei GUILLEMAIN, Recettes, S. 18 ff.) und den Gehaltslisten Johannes' ΧΧΠ. (bei SCHÄFER, VQ 2, S. 544 ff ). Bei Konrad von Megenberg 1,3 cap. 19, ed. KRÜGER 1, S. 162, ist es der Küchenmeister (magister coquine), der an der Spitze der Küche steht. Auch seine Aufgabe besteht nicht etwa in der Zubereitung, sondern in der Anschaffung der nötigen Lebensmittel. Zu diesem Zweck ist ihm ein Schreiber zugewiesen, der darüber Buch fuhrt. Vgl. auch DROSSBACH, Yconomica, S. 85. Siehe Kap. Π,Ι. Über diese vgl. Kap. IV,4. Errechnet aus dem Vierwochengehalt bei SCHÄFER, VQ 2, S. 563 von 1317 Okt. 22. Es sei hier angemerkt, daß das Gehalt der Offizialen in großen Tournosen festgesetzt war, es aber zumeist in Floren ausgezahlt wurde. Da der Kurs beider Münzsorten zueinander - wenn auch nur geringfügig - schwankte, treten auch bei gleichbleibendem Gehalt leichte Schwankungen auf. Neben den Gehaltslisten in den Hauptbüchern hat es am päpstlichen Hof noch eine Art Normalgehaltstafel gegeben, die in der überlieferten Form aus dem Pontifikat Clemens' VI. stammt (ed. Haller, Aufzeichnungen, S. 31 ff. Liste B). Vgl. dazu Kap. Vffl,2. Kap. IX,1.

7

Vgl. ALBE, Cour, S. 8 f.

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Vgl. über ihn SCHÄFER, VQ 2, S. 47 und passim; ALBE, Cour, S. 9. Ihm wird auch der Titel administrator expensarum coquine beigelegt. Er war canonicus et cantor eccl. s. Stephani Montis Albani.

138

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

ger, Dominicus Rogerii1, (von 1326 - 1328 Febr. 19) vorher Küchenschreiber gewesen. Nur kurz im Amt war dessen Nachfolger, Bernardus Hugonis (+ 1328 Juli 29)2, der anscheinend zuvor schon Einkäufe für das Weinamt getätigt hatte3. Dessen Familiar, der presbiter Johannes de Molendino führte die Geschäfte vorläufig weiter4, ab dem 5. August 1328 hatte dann Guido Radulphi das Einkäuferamt inne; er wurde 1330 zum Kammerherrn (cambrerius), 1333 sogar zum päpstlichen Thesaurar befördert5. Ihm folgte als Einkäufer seit dem 2. Febr. 1330 Raimundus Fabri, der bis 1334 im Amte war . Das Amt verwaltete vom April 1334 an der Küchenschreiber Gaucelmus de Gales7, vom 16. Juni des gleichen Jahres bis zum Tode Johannes' XXII. hatte Stephanus Sudre das Einkäuferamt inne8. Alle Genannten waren Kleriker, auffallig ist, wie häufig sie in der Diözese Cahors bepfiründet waren. Da Johannes selbst aus dieser Stadt stammte, darf man annehmen, daß er hier bewußt Landsleute mit diesen Ämtern betraut hat. An Köchen9 Johannes' XXII lassen sich zwei namhaft machen: Hugo hieß der ei10 ne , Garnerius der andere, beide waren Laien. Ihr Gehalt war gleich hoch und betrug sieben große Tournosen für Fleisch- und sechs für Fasttage (also etwa einen halben

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Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 48 und passim; ALBE, Cour, S. 9. Er war rector ecclesie de Vegena (Vedena) dioc. Lemovic. (Limoges). Er scheint identisch zu sein mit dem administrator Iohannis XXII tempore cardinalatus (vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 392). Nach ALBE, Cour, S. 9, hatte er früher in den Diensten des Petrus de Via gestanden. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 48 und passim. Er erscheint als Edelknappe (scutifer), also als Laie in den Gehaltslisten (vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 551 n. 20). Er ist anscheinend später Kleriker geworden und war dann rector ecclesie Lopiaco, Caturc. dioc. (Cahors). Nach ALBE, Cour, S. 9, ist eine Person dieses Namens bereits 1308 in den Diensten von Jacques Duese gestanden.

3

SCHÄFER, V Q 2 , S. 134.

4

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 4 8 u n d 104.

5

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 48 und passim; ALBE, Cour, S. 9 f. Er war bereits rector ecclesie Sarlaten. (Sarlat, Suffragan von Bordeaux), seit 1328 auch rector ecclesie de Canhaco, dioc. Caturc. (Cagnac en Bas Quercy, Diöz. Cahors), später auch Erzpresbyter in Agde. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 48 und passim; ALBE, Cour, S. 10. Im ersten Pontifikatsjahr taucht er noch als scutifer, also als Laie in den Gehaltslisten auf (SCHÄFER, VQ 2, S. 199 und 551), ist aber später offenbar Kleriker geworden und taucht dann unter den presbiteris et clericis intrinsecis auf (vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 597). Er war dann rector ecclesie de Callaco, Catur. dioc. (Caillac bei Cahors). Nach Albe hatte er vorher zum Haushalt des Petrus de Ozia gehört. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 48 und passim. Er war rector ecclesie de Paysaco, Lemov. dioc. (Limoges). Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 48 und passim; ALBE, Cour, S. 10. Er ist der frühere Clavarius von S. Remy. Er war canonicus Rivensis (Rieux). Nach Albe gab es eine Familie gleichen Namens in Cahors. Die biographischen Angaben über die Köche verdanke ich teilweise Anne-Marie Hayez, die mir ihr Material für eine umfassende Prosopographie des Avignoneser Papsttums (vgl. dies., Preliminaires) freundlichst zur Verfügung gestellt hat. Ihre Hinweise zitiere ich im folgenden als „Prosop. Hayez". Hugo de Bulconeda, nachweisbar von 1316 Okt. 23 (SCHÄFER, VQ 2, S. 554) bis 1334 Aug. 6 (SCHÄFER, VQ 2, S. 610) (Prosop. Hayez).

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Aufgaben, Personal und Standort der Hofamter

139

Floren pro Tag)1. Sie waren in der Gehaltsklasse der Edelknappen eingestuft2, erhielten die entsprechende Livree3 und auch den gleichen Mietzuschuß. Von Hugo kennen wir daher seine Unterkunft in Avignon, er war bei einem gewissen Petrus Banosius einquartiert, dem er monatlich 7,5 sol. tur. par. Miete für ein Zimmer, Küche und Keller sowie Latrine und Garten zahlte4. Nur einmal - bei der Ankunft des Papstes in Avignon - ist noch ein dritter Koch, Raynaudinus, belegt5; da er danach nicht mehr auftaucht, kann man vermuten, daß er durch einen der beiden anderen ersetzt worden ist. Unterköche, ebenfalls Laien, gab es vier: Johannes Borie, Petrus Barriera, Johannes Talhafer und Gabino Gallici; sie erhielten 2 große Tournosen (= 0,15-0,16 fl.) pro Tag6; über sie ist sonst nichts bekannt. Benedikt XII. Die geschilderte Organisation sollte unter Benedikt XII. einige Modifikationen erfahren; zudem wechselte er das Personal aus. Das Amt des Einkäufers ging an Guillelmus Bedocii über, ausnahmsweise kein Kleriker7; er sollte es während Benedikts gesamtem Pontifikat innehaben8. Er erhielt lediglich das Tagegeld eines Waffenknechts (0,272 fl. täglich oder 1,904 fl. wöchentlich)9; er war also geringer als die Edelknappen eingestuft, aus denen sich noch unter Johannes XXII. die Köche - seine Untergebenen - rekrutiert hatten. Als Schreiber oder Notar des Einkäufers ist unter Benedikt ein gewisser Petrus Textoris belegt, er erhielt nur noch das Gehalt eines Unterkochs10. Während also unter Johannes Einkäufer und Schreiber gehaltsmäßig gleichgestellt gewesen waren, ist nun der Einkäufer erheblich besser besoldet.

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2

Errechnet nach SCHÄFER, VQ 2, S. 554 aus dem Dreiwochengehalt von 10 fl. 8 tur. gross. Die Köche erhielten somit ein erheblich höheres Gehalt als der Einkäufer, obwohl dieser doch ihr Vorgesetzter war. Über die Gründe dafür vgl. Kap. IV,2. Deren Gehalt war gleich hoch. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 551. Wie die Edelknappen waren auch die Köche bewaffnet. Vgl. die Liste der von der Kammer an die Hofamter ausgeliehenen Gegenstände (ed. HOBERG, Inventare, S. 48).

3

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 9 8 f.

4

... in hospitio Petri Bantosii, in quo tenuit 1 cameram, coquinam et cellarium, latrinam et (hjortum . Zit. nach SCHÄFER, VQ 2, S. 607 f. Anm. 4.

5

SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 0 5 .

6

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S . 5 5 4 .

7

So SCHÄFER, V Q 2 , S. 4 8 und GUILLEMAIN, Cour, S. 4 0 3 . Er gehörte zu den servientes armorum, also den päpstlichen Waffenknechten (über diese vgl. SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 5 2 Anm. 2 und GUILLEMAIN, Cour, S. 4 1 9 ff.)

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9 10

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 48. Demnach war er wahrscheinlich ein Bruder des Magisters Franciscus Bedocii, der als Kammerkleriker der Kardinalskammer belegt ist. Über ihn vgl. BAUMGARTEN, Untersuchungen, S. 338. Errechnet nach der Gehaltszahlung von 1336 Jan. 13 (ed. SCHÄFER, VQ 3, S. 42 f.). SCHÄFER, VQ 3, S. 26 von 1335 Febr. 11.

140

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Köche hat Benedikt gar keine mehr beschäftigt1, offenbar eine Sparmaßnahme des Zisterzienserpapstes. Dafür erscheint unter ihm das Amt des Küchenaufsehers {custos coquine) neu in den Hauptbüchern. Möglicherweise war dieses Amt der Vorläufer des unter Clemens VI. auftretenden magister coquine, anders als dieser aber hatte er unter Benedikt nicht die Arbeit von Köchen, sondern lediglich von Unterköchen zu leiten. Anscheinend war er auch in der gleichen Gehaltsklasse wie die Unterköche eingestuft, in späteren Gehaltszahlungen taucht der custos coquine nämlich nicht mehr auf, dafür werden fünf statt der anfangs vier Unterköche besoldet. Das Amt des Küchenaufsehers hatte Petrus Amelii inne, über ihn ist sonst nichts bekannt2. Der Eindruck, Benedikt habe in der Küche Personal abgebaut, wird durch einen Eintrag bestätigt, in dem einem gewissen Garinus Sanctus, den die Küche nicht mehr benötigte, sein restliches Gehalt ausgezahlt wird3. Wie unter Johannes sind unter Benedikt vier Unterköche (brodarii) belegt; von ihnen sind nur die Namen bekannt: Petrus de Baldraco, Petrus de Bela, Salvaticus und Jacobus de Sauarduno4. Die Unterköche erhielten ein Gehalt von 1,031 fl. pro Woche, bzw. 0,147 fl. pro Tag5 - es ist also etwa gleichgeblieben. Verglichen mit dem Pontifikat Johannes' XXII. hat die Küche unter Benedikt sichtlich an Bedeutung verloren, ihr Personal ist in den Spitzenpositionen abgebaut worden, die verbliebenen Kräfte sind in den unteren Lohngruppen der Hierarchie eingestuft - immerhin erstaunlich bei einem Papst, dessen korpulente Gestalt und dessen Vorliebe für reichliches Essen und Trinken den Tadel der Chronisten herausforderte6. In eigenartigem Kontrast mit diesem Bedeutungsverlust steht, daß Benedikt es war, der mit dem Ausbau der Küche zu ihrem heute noch erhaltenen Stand begonnen hat. Im Rahmen der großen Umbauten7, die während seines Pontifikats begannen, ist die Küche aber zunächst nur indirekt betroffen gewesen. Die Arbeiten am Palast begannen 1335 in der Südostecke, wo zunächst der sogenannte „Papstturm" (turris pape) errichtet wurde, jener Turm also, in dem dann Benedikt selbst wohnen sollte . 1337 entstand - im Norden und Nordwesten an den Turm anschließend - ein weiterer Trakt. Im Zuge dieser Arbeiten werden erstmals auch Bauarbeiten an einer Küche erwähnt. Es handelt sich bei ihnen noch nicht um Arbeiten an der alten Küche Johannes' XXII., eher scheint es sich um eine Art Ausweichküche gehandelt zu haben. Sie sollte wohl während der bevorstehenden Umbauten des Ostflügels die alte Küche ersetzen, die 1

2

Während in den Gehaltslisten die Kosten für Unterköche, Küchenschreiber und custos coquine verbucht sind (SCHÄFER, VQ 3, S. 26), sind Köche dort (und auch anderswo) nicht belegt. Einziger Beleg: SCHÄFER, VQ 3, S. 26 von 1335 Febr. 11. Vielleicht ist er verwandt mit dem gleichnamigen socius des päpstlichen Beichtvaters unter Urban V. (SCHÄFER, VQ 6, S. 283 von 1370 Nov. 5).

3

SCHÄFER, VQ 3, S. 28 von 1334 Juni 16.

4

SCHÄFER, VQ 3, S. 26,1. Gehaltsauszahlung von 1335 Febr. 11. Errechnet aus SCHÄFER, VQ 3, S. 43 (1. Pontifikatsjahr) und S. 119 (6. Pontifikatsjahr). Die Belege bei JACOB, Studien, S. 30 Anm. 1. Ich gehe auf diese Umbauten nur so weit ein, wie für meine Fragestellung erforderlich. Allgemein

5 6 7

vgl. SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 30 ff.; VINGTAIN, Avignon, S. 87 ff. 8

Über diesen Turm vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 101 ff.

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

141

dann zeitweilig nicht mehr benutzbar sein würde. Diese Ausweichküche befand sich zwischen Papstturm und Audientia1, also dort, wo seit Clemens VI. die sogenannte „kleine Küche" oder „Mundküche" nachweisbar ist2. Der Neubau des Ostflügels erfolgte in den Jahren 1337-393. Bereits während dieser Arbeiten begannen auch die Bauarbeiten an der sich im Norden an den Ostflügel anschließenden neuen Küche4; sie werden erstmals am 6. Febr. 1338 erwähnt5. Die neue Küche entstand wohl annähernd an der gleichen Stelle, an der sich bereits unter Johannes ΧΧΠ. die Küche befunden hatte. Auch Benedikts Küche hat einen bleiernen Wasserabfluß erhalten6; selbstverständlich wurde auch ein großer Herd eingebaut7. 1

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Sie wird erstmals erwähnt am 6. Juli 1337 (EHRLE, Historia, S. 604). Ihre Lage wird dann folgendermaßen beschrieben: ...pro operibus domus et coquine iuxta turrem prope audientiam... (zit. nach EHRLE, Historia, S. 604 von 1337 Aug. 7). Sie lag demnach zwischen dem (Papst-)turm und der von Johannes ΧΧΠ. erbauten Audientia (vgl. den Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44, auch im Anhang). Dort lokalisiert sie auch COLOMBE, Recherches 20, S. 483. Daß es bereits unter Benedikt neben der großen Küche eine Mundküche im Palast gegeben hatte (so etwa LABANDE, Palais 1, S. 55 f., leider ohne Quellenbeleg), ist sehr unwahrscheinlich, und zwar vor allem deshalb, weil in den Quellen erst seit Clemens VI. terminologisch zwischen zwei verschiedenen Küchen - der großen und der kleinen Küche - unterschieden wird. Auch wird während Benedikts Pontifikat die Ausweichküche nach Abschluß der Arbeiten an der großen Küche nicht mehr erwähnt. Zudem ist oben gezeigt worden, daß Benedikt sowohl personell als auch von den Ausgaben her für die Küche einen geringeren Aufwand als sein Vorgänger betrieben hat. Hauptstütze für die entgegengesetzte Ansicht scheint eine Anmerkung Ehrles (Historia, S. 617 Anm. 186; übernommen von COLOMBE, Recherches 16, S. 367) zu sein, wo dieser einen Hauptbuchauszug über Reparaturarbeiten an der Küche (...in coquina combusta palatii iuxta turrim maznam... von 1340 Aug. 3) dahingehend deutet, unter der dort genannten Küche sei die Mundküche zu verstehen (... non ad coquinam magnamprope turrim latrinarum sitam, sed adparvam sive secretam prope turrim ss. Angelorum... ). Das Problem besteht offenbar darin, wie der Terminus „großer Turm" zu deuten ist. Ehrle identifiziert ihn als die turns ss. Angelorum, also den sogenannten Papsttuim, neben dem unter Benedikt ΧΠ. die Ausweichküche und unter Clemens VI. die Mundküche eingerichtet war. Indes ist diese Identifikation keineswegs zwingend. Ehrle selbst hat mehrfach gezeigt (Ζ. B. Historia, S. 637 Anm. 259, S. 639 Anm. 268), daß unter turris magna auch die sogenannte turris Trulhassio verstanden werden kann (so auch VINGTAIN, Avignon, S. 78), bei der die große Küche ihren Sitz hatte. So findet sich beispielsweise ein nahezu gleichzeitiger Beleg, nach dem die turris magna neben den Latrinen lag (...pro solo latrinarum palatii α parte magne turns..., zit. nach EHRLE, Historia, S. 613 von 1340 Jan. 4), und diese befanden sich neben der turris Trulhassio. Vgl. die Abrechnungen bei SCHÄFER, VQ 3, S. 82 f. und passim. In den älteren päpstlichen Residenzen sind gerade die Küchen und die Vorratsräume in aller Regel nicht erhalten. Vgl. RADKE, Viterbo, S. 97 f. Jedoch sind vor kurzem in Orvieto in dem dortigen Papstpalast Reste der Küche ausgegraben worden (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig). ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 50 von 1338 Febr. 6. Die Fertigstellung ist anscheinend einige Zeit vor der der neuen Küche erfolgt; die Nordseite des Ostflügels ist heute noch als (ursprüngliche) Außenseite erkennbar (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig). ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 52 von 1338 März 31. EHRLE, Historia, S. 612 von 1339 Nov. 10.

142

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Über eine neugebaute Treppe konnte man von der Küche zum Brunnen im Garten vor dem Palast gelangen1. Von der angrenzenden domus Trolhassi ist die Küche durch eine Mauer abgetrennt worden2. Insgesamt drei aneinander angrenzende Türme sind nach und nach in der Nordostecke des Palastes errichtet worden; in ihnen konzentrierten sich die Versorgungseinrichtungen und Vorratsräume. Es waren dies der Latrinenturm3, der Küchenturm und die turris (anfangs auch: domus) Trolhassi4 Je weiter die Arbeiten fortschritten, desto mehr erweckten die massiven und immer höher steigenden Mauern den Eindruck von Türmen, an die Stelle von domus coquine tritt immer mehr der Terminus turris coquine5. Ahnlich war es bei dem angrenzenden Latrinenturm und der turris Trulhassio6. Nicht nur die Küche lag dort, auch die anderen Hofamter hatten dort einige ihrer Lagerräume7. Dabei sind die Mauern des Küchenturms genauso hoch wie die der beiden anderen Türme gezogen worden, obwohl sich oberhalb der Küche keine Räume mehr befanden. Die Mauern des Küchenturms bildeten vielmehr eine Art von großem Kamin oder Schornstein, über den die Küchendämpfe abziehen konnten. Einen Rückschlag erlitten die Bauarbeiten im Jahre 1339. Bei der Bereitung des Festmahles fur einen Besuch der Könige Peter von Aragon und Jakob von Mallorca brach in der Küche ein Brand aus. Er erforderte umfangreiche Löschmaßnahmen und richtete erhebliche Schäden an. Gleichwohl gelang es den Köchen, die päpstlichen Gäste zufriedenzustellen8. Nach Abschluß der Umbauten bestand speziell für die Küche die Änderung zum vorherigen Zustand offenbar darin, daß sie sich nun über zwei Stockwerke erstreckte. Im Erdgeschoß wurde ein Teil der Vorräte aufbewahrt9, im Stockwerk darüber war die eigentliche Küche, wo die Köche ihrer Arbeit nachgingen. Um ein Stockwerk erhöht wurde auch das tinellum magnum - also der große Speisesaal. Er befand sich

Palais 1, S. 5 2 von 1338 Apr. 3 0 . Palais 1, S. 62 von 1339 Nov. 22 = SCHÄFER, V Q 3, S. 105. EHRLE, Historia, S. 615 von 1340 Febr. 20:... pro muro medio, qui est inter coquinam dominipape et domum trulhassii,...

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ANDRE-MICHEL,

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ANDRE-MICHEL,

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SCHÄFER, V Q 3, S . 8 2 f.

4

Vgl. auch den Plan bei LABANDE, Palais 1, S. 108. VQ 3, S . 248 von 1343 Dez. 23; auch ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 81 von 1342 Dez. 9: pro cohopertura magne turris, ubi modo fit coquina.... Ζ . B . SCHÄFER, VQ 3, S. 249 von 1344 Mai 18. Zuweilen werden beide Türme auch gleichgesetzt. Vgl. etwa ANDRE-MICHEL, Palais 1, S . 82 f. (= EHRLE, Historia, S . 628) von 1342 Dez.-1343 Jan.: ...pro copertura turris Trolhacii in qua fuitfacta coquina.... Diese wurden bewacht. Vgl. etwa IE 286 f. 91v von 1358 Sept., wo ein Einkäufer eine Ladung Erbsen ...assignavit in palatio in domo in qua custoduntprovisiones coquine. Prima vita Benedicti Χ Π , ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 2 0 1 ; dazu die Anmerkungen und Parallelstel-

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SCHÄFER,

l e n b e i BALUZE/MOLLAT 2 , S. 3 0 8 . 9

Der untere Teil der Küche wurde dann auch coquina bassa genannt 1, S. 94 von 1344 Sept. 16).

(Ζ.

B.

ANDRE-MICHEL,

Palais

Aufgaben, Personal und Standort der Hofamter

143

somit weiterhin auf gleicher Ebene und im gleichen Flügel wie die Küche1. Zwischen Küche und Festsaal befand sich noch eine weiterer Raum, das Anrichtezimmer (dressatorium)2, wo das Essen auf bestimmten Tischen, die man ebenfalls mit dem Terminus dressatorium bezeichnete, bereitgestellt worden ist3. Unterhalb des Anrichtezimmers, im Erdgeschoß, waren Vorratsräume des Wein- und Brotamtes untergebracht4, die benachbarten Räume und die Keller dieses Flügels, insbesondere die der turris Trolhassio, dienten ebenfalls als Vorratsräume5. Insgesamt bildeten diese Räume einen zusammenhängenden Trakt des Palastes, der auf die Bewirtung und Versorgung von Palastbewohnern und Gästen zugeschnitten war. Dieser Zusammenhang erklärt wohl auch, warum gerade Benedikt - trotz des erwähnten Bedeutungsverlusts der Küche - für ihren Ausbau verantwortlich ist. Ohne eine leistungsfähige Küche wäre dieser Trakt sinnlos gewesen. Daß er gleichwohl luxuriöseren Bedürfnissen nicht genügte, sollte sich unter seinem Nachfolger zeigen. Clemens VI. Hat somit die Küche unter Benedikt gleichsam den Tiefpunkt ihrer Entwicklung erreicht, so bietet der Pontifikat Clemens' VI. das andere Extrem. Nicht nur stiegen unter ihm die Küchenausgaben um ein Vielfaches an, er hat auch die unter Benedikt errichteten Bauten zur Versorgung des Palastes noch erheblich erweitern lassen. Eine seiner ersten Maßnahmen betraf das Fundament einer neuen Küche; es handelte sich dabei um den Anbau eines neuen Küchenturms an den alten, unter Benedikt erbauten Küchenturm. Wie dieser mündete auch der neue Turm in einen großen Kamin ein. Während der Bauarbeiten ist die Küche zeitweise in der benachbarten domus Trulhassi untergebracht worden6. Nach Abschluß der Arbeiten bestand die Küche aus zwei Räumen in zwei nebeneinanderstehenden Türmen, die durch eine Trennmauer voneinander geschieden waren. Beide Küchen waren aber durch Türen mit dem Anrichtezimmer verbunden. Durch den Bau des neuen Turms ist die Grundfläche der Küche nahezu verdoppelt worden7; auf diese Weise waren die Köche in der Lage, den

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Ζ. B. ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 84 von 1342 Juli: Expense facte ... in tinello majori, juxta camineam magne coquine in dressatorio tinelli predicti. Vgl. auch den Grundriß bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44 (auch im Anhang). Vgl. etwa ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 91 von 1344 Mai 27. Vgl. COLOMBE, Nouvelles Recherches 2, S. 28 ff. Vgl. COLOMBE, Nouvelles Recherches 2, S. 35. Zu ihnen gehörte die Kammer, in welcher gesalzenes Fleisch an eisernen Haken aufgehängt war, SCHÄFER, VQ 3, S. 399 von 1349 Mäiz 5-14. Auch die Rosinenkammer (camera racemorum vgl. IE 210 f. 85v von 1348 Sept. 12) hat wohl dort ihren Platz gehabt. Vgl. auch COLOMBE, Nouvelles Recherches 2, S. 17 ff.

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Vgl. COLOMBE, Cuisines, S. 336.

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SCHÄFER, VQ 3, S. 218 (= EHRLE, Historia, S. 626) von 1342 Juli 17: Durando Guilhe ... et sociis suis, quifecerunt fundamentum coquine nove, que fuit pro alia coquina pape amplianda,... Vgl. auch SCHÄFER, VQ 3, S. 219 f. von 1342 Nov. 3 und S. 220 von 1343 Apr. 9. Zum Ausbau der Kü-

144

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

unter Clemens erheblich gestiegenen Anforderungen an Menge und Qualität der Speisen zu genügen. Die neue Küche wurde mit Fenstern1 und Herden2 versehen, auch hat sie ein besonders großes Fenster erhalten3. Wegen des erhöhten Niveaus, auf dem sich die Küche nun befand, hat man einen Flaschenzug installiert, um Brennholz und möglicherweise auch andere Güter leichter in die Küche transportieren zu können4. Auch ist sie mit hölzernen Regalen zur Aufbewahrung des Käses ausgestattet worden5. Schließlich erfahrt man, daß sie eine Tür mit eisernen Bändern und Türangeln erhielt6. Wie bereits die Küche Benedikts ΧΠ. erhielt auch die neue Küche einen Abfluß, über den das verschmutzte Wasser abgeleitet werden konnte; dieser wurde nunmehr aber weitaus aufwendiger gestaltet, und zwar in Form eines unterirdischen Kanals7. Er führte vom Keller des Küchenturms über den Keller des Latrinenturms und dann zwischen Latrinenturm und turris Trolhassi in die Sorgue - den Bach, welcher vor der Stadtmauer verlief - , die ihrerseits in die Rhone mündete8. In den letzten Jahren seines Pontifikats ließ Clemens zudem eine Wasserleitung erbauen, durch welche Wasser von dem Brunnen im Innenhof des Palastes zur Küche und den benachbarten Hofamtern geleitet wurde9. Neben dieser großen Küche läßt sich unter Clemens eine weitere Küche nachweisen. Von der großen Küche (coquina communis oder coquina magna) wird nun die kleine oder Mundküche (coquina secreta parva oder coquina boche pape)10 terminologisch abgegrenzt. Clemens hat damit eine ältere Tradition aufgegriffen, wie sie in der voravignonesischen Zeit bereits bestanden hatte11. Allerdings sind die Aufgaben der beiden Küchen nur teilweise mit den früheren identisch. Während die kleine Küche weiterhin für den Papst und seine engeren Tischgenossen zu kochen hat, bestand die Aufgabe der großen Küche nicht mehr darin, Lebensmittel unter die Famiiiaren zu

che Benedikts ΧΠ. durch Clemens VI. vgl. COLOMBE, Cuisines, S. 334 f. mit einem Grundriß zwischen S. 336 und 337. 1

ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 81 von 1342 Dez. 18.

2

ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 84 von 1343 Juli. EHRLE, Historia, S. 635 von 1346 Apr. 3. IE 220 f. 83v von 1344 Jan. 24: ...polhiciorium lignis trahendi - 66 sol. 2 den.

3 4 5

ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 82 von 1342 Dez. 12.

6

SCHÄFER, VQ 3, S. 250 von 1343 Juni 17.

7

V g l . SCHÄFER, V Q 3, S. 2 4 8 v o n 1 3 4 3 D e z . 2 3 u n d 1 3 4 4 Jan. 31 ( = EHRLE, Historia, S. 6 2 7 ) .

8

Der Verlauf des Kanals wird rekonstruiert bei COLOMBE, Recherches 13, S. 309 ff. Die populäre Überlieferung, über diesen Abfluß sei Benedikt ΧΙΠ. (Petrus de Luna) aus dem Palast entkommen, widerlegt COLOMBE, Nouvelles Recherches 17, S. 1 ff.

9

SCHÄFER, VQ 3, S. 502 ff.; vgl. COLOMBE, Nouvelles Recherches 8, S. 3 ff.

10

Erstmals belegt bei SCHÄFER, VQ 3, S. 250 von 1343 Juni 16 und 17, auch S. 249 von 1344 Mai 18. Zur coquina boche pape vgl. SCHÄFER, VQ 6, S. 350 von 1371 Jan. 6 und S. 351 von 1371 Jan. 6.

11

Vgl. Kap. DU.

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

145

verteilen, sie war vielmehr vor allem für Festmähler und für die Versorgung der päpstlichen Gäste zuständig1, daneben wohl auch für einen Teil der Palastbewohner. Für die päpstliche Mundküche hat Clemens anscheinend die bereits unter Benedikt errichtete Ausweichküche wieder in Betrieb genommen und ausbauen lassen. Sie befand sich in einem Anbau an den von Benedikt errichteten Papstturm2 und war über eine Treppe zu erreichen3. Sie lag somit unmittelbar neben den päpstlichen Privaträumen und auch neben dem kleinen Speisesaal (tinellum parvumy, wo der Papst allein oder in kleiner Gesellschaft die Alltagsmahlzeiten einnahm und wo er besonders vertraute Gäste empfing5. Von der Mundküche terminologisch abgesetzt hat man die bereits vorhandene Küche als coquina magna oder coquina tinelli6; diese Bezeichnung erklärt sich aus der Lage der großen Küche neben dem tinellum magnum, dem großen Fest- und Speisesaal. Beide Küchen wurden mit neuen Herden ausgestattet; für den Herd der großen Küche war eine Länge von zwei Metern (5 palme) vorgesehen, was allerdings nicht ganz erreicht worden ist7. Während sich die Unterteilung in eine große und eine kleine Küche früher lediglich auf das Personal und den Aufgabenbereich bezogen, sie sich somit lediglich auf die Institution Küche bezogen hatte, hat sie sich diesmal auch in zwei verschiedenen Räumlichkeiten manifestiert. Die Zuordnung der großen Küche auf den großen Festsaal und der kleinen Küche auf den kleinen Festsaal bestätigt die aufgestellte These über die Arbeitsaufteilung zwischen den beiden Küchen: während die große Küche für die Festmähler zuständig war, hatte die kleine für den Papst, seine nähere Umgebung und besonders ausgesuchte Gäste zu kochen. Ob freilich die einzelnen Köche nunmehr jeweils einer der beiden Küchen fest zugeteilt waren, muß offenbleiben.

1

Vgl. die Schilderung der beiden Küchen in der Hofordnung des Francis de Conzie, Cap. ΧΧΠ, ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 441. Speziell zur großen Küche: Item est alia coquina, que dicitur communis, in qua debent poni coqui experti et laboriosi pro bene parando cibaria apponenda comedentibus in palatio apostolico. Frequenter namque invitantur domini cardinales, magni prelati, ambaxiatores regum et principum, et alii magne auctoritatis viri, quibus pro decentia status domini nostri debet serviri de bonis cibariis et bene parotis; quod fieri non potest si coqui bene experti et laboriosi non fuerint.

2

Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 34.

3

ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 85 von 1343 Okt. 31: ...pro uno fusterio, quifuitpro lanternis ponendis in magna coquina et in gradario quo ascenditur ad coquinam secretam domini pape. Vgl. auch die Grundrisse bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 46 f. (auch im Anhang). Ähnlich wie der Raum für die kleine Küche ist auch das tinellum parvum bereits unter Benedikt ΧΠ. erbaut worden. Der erste Beleg dafür, daß man ihn auch als Speisesaal genutzt hat, stammt noch aus seinem Pontifikat (EHRLE, Historia, S. 606 von 1338 Okt. 1). Regelmäßig ist er dann von Clemens VI. benutzt worden. Zahlreiche Belege dafür finden sich bei EHRLE, Historia, S. 621 ff. Über das tinellum parvum vgl. jetzt auch VINGTAIN, Avignon, S. 139 ff. Sowohl die kleine Küche als auch das tinellum parvum sind nicht erhalten; sie sind während des 19. Jahrhunderts, als der Palast als Kaserne genutzt wurde, abgerissen worden. Vgl. dazu Kap. VI, 1.

4

5 6

SCHÄFER, V Q 3, S . 2 4 9 v o n 1 3 4 4 M a i 18.

7

SCHÄFER, V Q 3 , S. 2 4 9 v o n 1 3 4 4 M a i 18.

146

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Noch in weiterer Hinsicht ist diese Entwicklung bedeutsam. Es wird an anderer Stelle gezeigt werden, daß Johannes ΧΧΠ. das „höfische Leben" aus dem Avignoneser Palast in die Nebenresidenzen verlagert hat1. Er konnte sich mit einer einzigen relativ bescheidenen - Küche begnügen, da er repräsentative Empfange und Gastmähler - wenn überhaupt - außerhalb Avignons oder jedenfalls außerhalb des Palastes stattfinden ließ. Unter Clemens VI. wurde das anders. Er hat das höfische Leben in den Palast in Avignon selbst integriert, wozu ihm der neugebaute Palast einen geeigneten Rahmen bot. Mit dem Ausbau der Küche ging eine stärkere Differenzierung gerade in den Spitzenpositionen einher. Bezeichnenderweise war es wieder im Pontifikat des prachtliebenden Clemens' VI., daß das Amt des Küchenmeisters (magister coquiney neu erscheint. Dieser trat dem Einkäufer zunächst gleichrangig und mit gleichem Gehalt zur Seite und scheint ihn auf Dauer sogar überflügelt zu haben3. Bis zum Ende des Untersuchungszeitraums sollte sich folgende Arbeitsteilung zwischen beiden einspielen4: Während der Einkäufer außerhalb des Palastes für den Nachschub an Rohmaterial zu sorgen hatte, leitete der Küchenmeister den inneren Küchenbetrieb. Insbesondere hatte er das dem Papst selbst vorgesetzte Essen zu beaufsichtigen, die Köche zu überwachen, dafür zu sorgen, daß kein Unbefugter die Küchenräume betrat und daß nichts gestohlen wurde. Er war es auch, dem der Papst jeweils am Tage zuvor mitteilte, wer zum Essen eingeladen war5. Vor allem aber hatte er den Einkäufer anzuweisen, welche Lebensrnittel dieser in welchen Quantitäten und welchen Preisen einkaufen sollte. Damit war der frühere Vorrang des Einkaufs vor der Zubereitung in sein Gegenteil verkehrt worden. Der Küchenmeister taucht gleich in der ersten Gehaltsabrechnung auf, welche die Kammer unter Clemens VI. vornahm; der Papst hat dieses Amt also unmittelbar nach seiner Erhebung eingeführt6. Erster Amtsinhaber war Nicolaus de Monte Claro. Er war als Edelknappe (domicellus) eingestuft - er war also ein Laie - und erhielt das entsprechende Gehalt, d. h. 3,39 fl. wöchentlich, bzw. 0,48 fl. täglich. Er hat dieses Amt während Clemens' gesamtem Pontifikat innegehabt. Obwohl Laie, hatte er ein Zimmer im Palast inne7.

1 2

3

4

5

Vgl. Kap. VI,3. Der Terminus findet sich erstmals in einer Sonderabrechnung vom Januar 1324 (ed. SCHÄFER, VQ 2, S. 85), wo Johannes ΧΧΠ. dem Petrus de Ozia, einem engen Vertrauten, die Hochzeit ausrichtete und zu diesem Zweck eine ganze Reihe Köche außer der Reihe einstellen ließ. Diese Aufteilung der Leitung der Küche auf zwei Amtsträger scheint eine Avignoneser Spezialität zu sein. Bei Konrad von Megenberg 1,3 cap. 19, ed. KRÜGER 1, S. 162 ff., sind die Aufgaben beider Ämter einem einzigen magister coquine zugewiesen. Vgl. die Beschreibung beider Ämter in der Hofordnung des Francis de Conzie, ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 433 ff. (cap. XI und ΧΠ). Dies galt lediglich für den Fall, daß der magister hospitii abwesend war. Zu diesem Amt vgl. Kap. IV,2.

6

SCHÄFER, V Q 3 , S . 2 0 2 v o n 1 3 4 2 A u g . 3.

7

ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 84 von 1343 Juli u. ö.

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

147

Das gleiche Gehalt und den gleichen Rang wie der Küchenmeister hatte der Einkäufer; hier ist Bernardus Gaucelmi - ebenfalls ein Laie - als erster Amtsinhaber belegt1. Auch er war während Clemens' gesamtem Pontifikat mit diesem Amt betraut. Gleiches gilt für seinen Schreiber; dieser, B. de Maloboichone, erhielt wie früher zwei große Tournosen pro Tag 2 . Auch Köche sind in einer Zahl wie nie zuvor belegbar. Gleich bei der ersten Gehaltszahlung sind es vier, drei von ihnen - Johannes Hote, Johannes Costel und Symon de Ruello - sind als Edelknappen (domicelli), einer - ein gewisser Bernardus 3 - ist gehaltsmäßig geringer eingestuft, nämlich als Waffenknecht (serviens armorum), er wird als coquus alter bezeichnet4. Unter Clemens hat es somit - abgesehen von der Unterscheidung von Köchen und Unterköchen - noch eine weitere Differenzierung unter den Köchen selbst gegeben. Die einen werden in den Gehaltslisten einfach als coqui, einmal auch als coqui principales5, die anderen, welche ein niedrigeres Gehalt empfingen, als coqui alteri bezeichnet. Bis zum dritten Pontifikatsjahr gab es drei Köche der ersten, und einen der zweiten Kategorie, vom vierten Jahr an zwei von jeder Sorte6. Im achten Pontifikatsjahr schließlich gibt es einen coquus (principalis) und drei coqui alteri1. Vermutlich war der eine fur die Mundküche - und damit für den Papst selbst -, die anderen für die große Küche zuständig, wofür es aber an einem sicheren Beleg fehlt8. Das Gehalt der coqui principales betrug wöchentlich 3,389 fl. bzw. täglich 0,484 fl., das der coqui alteri wöchentlich 2,073 fl, oder täglich 0,296 fl.9. Die coqui principales sind somit dem Einkäufer und dem Küchenmeister gehaltsmäßig gleichgestellt worden, was ebenfalls zeigt, daß der frühere Vorrang des Einkaufs vor der Zubereitung unter Clemens nicht mehr besteht. Von den vier Köchen, die mit Clemens ihren Dienst antraten, wird der erste, Johannes Hote, noch mehrfach namentlich genannt. Da er gleich bei der ersten Nennung als coquus antiquus bezeichnet wird, unter Benedikt aber nicht belegt ist, vermute ich, daß er Clemens, den früheren Kardinal Petrus Rogerii, bereits vor dessen Erhebung bekocht hat. Er ist dann während des gesamten Pontifikats belegt. Clemens' Nachfolger, Innozenz VI., hat ihn übernommen; zuletzt ist er in dessen vierten Pontifikatsjahr

1

SCHÄFER, VQ 3, S. 202 von 1342 Aug. 3. Er hatte ein Zimmer im Palast (Prosop. Hayez nach IE 210 f. 144 von 1349).

2

SCHÄFER, V Q 3, S. 2 0 2 v o n 1 3 4 2 A u g . 3.

3

Bei der ersten Nennung nur als , 3 " bezeichnet, der Name „Bernardus" ist dann ausgeschrieben in SCHÄFER, V Q 3, S. 2 6 5 .

4

SCHÄFER, V Q 3, S. 2 0 2 v o n 1 3 4 2 A u g . 3.

5

SCHÄFER, VQ 3, S. 265 von 1344 Juni 5. Erstmals SCHÄFER, VQ 3, S. 289 von 1345 Juli 2.

6 7

SCHÄFER, VQ 3, S. 420 von 1349 Juni 27.

8

GIJILLEMAIN, Cour, S. 393 hält fur unzweifelhaft, daß die Köche fur die Mundküche, die Unterköche fur die große Küche zuständig gewesen wären; einen Beleg gibt er aber nicht. Dies widerspräche auch der Hofordnung Clemens' V. (ed. FRUTAZ, Famiglia, S. 295), wo ausdrücklich in beiden Küchen Köche und Unterköche vorgesehen werden. Errechnet nach der Gehaltsabrechnung bei SCHÄFER, VQ 3, S. 234 von 1343 Juli 9.

9

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

148

nachweisbar1. Ein zweiter Koch, Bernardus, ist bis zu Clemens' viertem Pontifikatsjahr noch einige Male belegt2. Von den meisten Köchen wissen wir in der Regel nicht, wann sie aus dem kurialen Dienst ausschieden, da sie in den Gehaltslisten in der Regel nur bei der jeweils ersten Gehaltsauszahlung namentlich genannt werden. Im Laufe der Zeit kamen einige andere Köche hinzu: Nur ein Mal, am 11. März 1344, ist Mayetus Postelli als päpstlicher Koch belegt3. Vielleicht ist er identisch oder doch zumindest verwandt mit Johannes Postelli, der erstmals in Clemens' siebtem Pontifikatsjahr (1348) erwähnt wird4. In den Gehaltsabrechnungen ist er als Waffenknecht (serviens armorum) eingestuft; auch er gehörte zu den coqui alteri. Auch ihn hat Innozenz VI. übernommen; zuletzt ist er in dessen neuntem Pontifikatsjahr belegt5. Wieder nur einmal bezeugt ist Ph. Machiti6, ein coquus alter. Wohl infolge der Pest mußte Clemens in seinem achten Jahr (1349) gleich drei neue Köche einstellen: Johannes de Caritate, Petrus Lebreti und Paniferus7, alle drei coqui alteri. Mit dem Pontifikatsbeginn Innozenz' VI. ist Johannes de Caritate verabschiedet worden; man erfahrt bei dieser Gelegenheit, daß er einen Mietzuschuß erhielt, also außerhalb des Palastes wohnte8. Petrus Lebreti ist zuletzt in Clemens' 10. (und vorletzten) Pontifikatsjahr belegt9, dürfte also von Innozenz nicht übernommen worden sein. Ähnlich ist es mit Paniferus, er wird zuletzt in Clemens' letzter Gehaltszahlung genannt10. Außer Köchen hat Clemens auch weiterhin Unterköche beschäftigt; leider werden ihre Namen auch in den Gehaltslisten nicht genannt; man kann lediglich sagen, daß jeweils drei an der Kurie beschäftigt waren. Ihr Gehalt ist mit 2 d. tur. gross, gleichgeblieben11. Clemens hat also die Rolle der Küche personell erheblich aufgewertet. Die Spitzenpositionen sind wieder besetzt und auch vermehrt worden. Damit stimmt überein, daß er auch die Räumlichkeiten der Küche vom ersten Jahr an hat ausbauen und erweitern lassen; das Bild wird gleichfalls bestätigt durch einen Blick auf die Ausgaben dieses Amtes. Schäfers Berechnungen zufolge hat die Kammer unter Clemens 10,11 % ihrer - noch dazu stark angestiegenen - Ausgaben für die Küche aufgewandt; unter Benedikt waren es nur 2,55 % gewesen12.

1

SCHÄFER, V Q 3 , S. 6 1 5 v o n 1 3 5 6 M a i 2 1 .

2

SCHÄFER,

3

SCHÄFER,

4

SCHÄFER, V Q 3 , S . 3 9 0 v o n 1 3 4 8 M a i 3 1 .

5

SCHÄFER, V Q 3 , S . 7 9 3 v o n 1 3 6 1 D e z . 2 9 .

6

SCHÄFER,

7

SCHÄFER,

VQ 3, VQ 3,

S. S.

289 von 1345 Juli 2. 239 von 1344 Mäiz 11.

VQ 3, S . 289 von 1345 Juli 2. VQ 3, S . 420 von 1349 Juni 27.

8

SCHÄFER, V Q 3 , S. 5 3 6 .

9

SCHÄFER,

10

SCHÄFER, V Q 3 , S. 4 8 5 v o n 1 3 5 2 N o v . 1 0 .

11

SCHÄFER, V Q 3 , S. 2 0 2 v o n 1 3 4 2 A u g . 3.

12

SCHÄFER, VQ 3, S. 172. Unter Johannes ΧΧΠ. hatten die Küchenausgaben nur 2 % der Gesamtausgaben betragen, indes gibt dieser Vergleich ein falsches Bild, da unter Johannes die Ausgaben für den Krieg in Italien alles in den Schatten stellten und daher die Vergleichszahlen verzerren.

VQ 3,

S.

461 von 1351 Juni 25.

Aufgaben, Personal und Standort der Hofamter

149

Innozenz VI. Im Unterschied zu seinen Vorgängern hat Innozenz VI. das Küchenpersonal nicht komplett ausgetauscht, vielmehr einzelne Beamte seines Vorgängers im Dienst behalten. Dies gilt zunächst für den Küchenmeister: Nicolaus de Monte Claro blieb im Amt1; er ist sogar befördert worden, und zwar zum Intendanten (magister hospicii)2, ein Amt, von dem noch zu reden sein wird3. Sein Nachfolger als Küchenmeister wurde Golferius de Lionro4. Wie Nicolaus de Monte Claro ist auch er zur Würde des Intendanten aufgestiegen5. Nur einmal erwähnt wird Mauritius de Vassinhaco als Küchenmeister6. Am 27. Juni 1362 wurde er durch seinen Verwandten, Bartholomeus de Vassinhaco, ersetzt7. Wie seine Vorgänger hatte er vorher den Rang eines serviens armorum innegehabt, davor war er emptor hospicii neptuum pape%, also wohl Ein-

käufer des Kardinalnepoten Audoynus Alberti gewesen9. Die Gehälter des Küchenpersonals betrugen zu Beginn von Innozenz' Pontifikat für den Intendanten 9,333 fl. pro Woche oder 1,333 fl. pro Tag, für den Küchenmeister 4,532 fl. wöchentlich oder 0,647 fl. täglich, für die Köche 3,410 fl. wöchentlich oder 0,487 fl. täglich, fur die Unterköche 1,0365 fl. wöchentlich oder 0,148 fl. täglich10. Auch bei den Einkäufern zeigt sich Kontinuität. Bernardus Gaucelmi blieb im Amt; er ist im sechsten Pontifikatsjahr (1358) zuletzt belegt11. Sein Nachfolger wurde Philippus de Ageduno12; er war schon vorher als Stellvertreter des Bernardus Gaucelmi tätig gewesen13.

1

2

3 4

Über ihn siehe oben. Unter Innozenz ist er in der ersten Gehaltszahlung mit dem alten Titel und Gehalt verzeichnet (SCHÄFER, VQ 3, S. 528 von 1353 März 1-2). Als Küchenmeister ist er zuletzt erwähnt 1355 Jan. 3 (SCHÄFER, VQ 3, S. 578); als Intendant wird er erstmals 1355 Aug. 24 genannt (SCHÄFER, VQ 3, S. 525). Vgl. Kap. IV,2. In diesem Amt wird er erstmals 1356 Mai 21 erwähnt (SCHÄFER, VQ 3, S. 615), zuletzt 1357 Dez. 1 (SCHÄFER, V Q 3 , S. 6 5 3 ) .

5 6

7

Erstmals belegt in diesem Amt 1360 Mai (SCHÄFER, VQ 3, S. 781). SCHÄFER, VQ 3, S. 755 von 1360. Es ist als hostiariuspape, domicellus et usserius pape seit 1354 belegbar (Prosop. Hayez). Auch hatte er ein Zimmer im Palast (Prosop. Hayez nach IE 259 f. 11 lrv). SCHÄFER, V Q 3, S. 8 1 7 . Er erhält einmal auch Gelder ...pro certis secretis serviciis, die er dem Papst geleistet hatte (SCHÄFER, VQ 3, S. 811 von 1362 Mai 18).

8

SCHÄFER, V Q 3, S. 595 von 1355 März 27.

9

Ober ihn vgl. Kap. IV,2. Errechnet aus der ersten Gehaltsabrechnung Innozenz' VI. von 1353 März 1 (SCHÄFER, VQ 3, S. 528).

10

11

SCHÄFER, V Q 3 , S. 6 9 2 .

12

Erstmals belegt SCHÄFER, VQ 3, S. 755 von 1360; dann mehrfach 1362 (Prosop. Hayez nach Reg. Aven. f. 114r, 118v, 123v, 128v, 131v, 136r, 141r, 146v).

13

SCHÄFER, V Q 3 , S. 4 5 9 v o n 1 3 5 1 N o v . 5.

150

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Obwohl des Amt des Küchenschreibers durchgehend besetzt war, ist nur einer namentlich bekannt: Geraldus de Castanea1, er wird vorher auch als clericus coquine pape bezeichnet. Die von Clemens eingeführte Unterscheidung in zwei Arten von Köchen, coqui principales und coqui alteri, hat Innozenz übernommen, jedoch insofern abgeändert, als beide nun ein gleichhohes Gehalt bezogen2, und zwar das höhere, welches vorher allein die coqui principales erhalten hatten. Dieser Unterschied verliert damit generell an Bedeutung. Daß er zwei Köche seines Vorgängers, Johannes Hote und Johannes Postelli, übernommen hat, also abermals auf Kontinuität bedacht war, habe ich oben gezeigt. Anders als unter Clemens hat man Johannes Postelli jetzt den coqui zugerechnet, einmal wird er sogar coquus maior genannt3. An neuen Köchen, beide coqui alteri, ist vom ersten bis achten Pontifikatsjahr Guillelmus Champion im Dienst4 und vom ersten bis vierten Gerardus de Miramont5. Nur einmal ist ein gewisser Gerardus Benpinhe (coquus alter) belegt6. Von 1358-1360 ist dann Golferius de Lionro, ein ehemaliger cubicularius, als Küchenmeister belegt7. Das Amt des Unterkochs bestand ebenfalls unter Innozenz weiter; wie die Köche differenziert nach brodarii und brodarii alteri. Im ersten Pontifikatsjahr waren es vier: I. Alay, P. Alamannus, Evonus Dionisius und Iaquetus Verguetus8, von denen die letzten drei zu den brodarii alteri gehörten. Nur Iaquetus Verguetus wird öfter erwähnt, zuletzt im dritten Pontifikatsjahr9. Er ist wohl identisch mit dem Unterkoch Iurnetus Iaquetus (1356-1357)10. Zwei weitere Unterköche sind unter Innozenz noch nachweisbar: Johannes Malferius (1355-1357)11 und ein gewisser Naudinus (1360)12. Als er starb, standen folgende vier Unterköche in seinem Dienst: Adunetus de Georgiis13, Petrus de Conata, Guillelmus Chanssort und Johannes du Boys14. Generell läßt sich unter Innozenz eine Tendenz zur Angleichung der Gehälter innerhalb der Spitzenpositionen der Küche feststellen. Gegen Ende seines Pontifikats

1

2

Erstmals belegt 1354 (Prosop. Hayez nach IE 272 f. 175), zuletzt SCHÄFER, VQ 3, S. 798 von 1361 Juni 30. SCHÄFER, VQ 3, S. 528 von 1354 Mäiz 1-2 (erste Gehaltsabrechnung unter Innozenz VI.).

3

SCHÄFER, V Q 3, S . 5 7 8 v o n 1 3 5 5 Jan. 1.

4

Belegt von 1354 März 1-2 (SCHÄFER, VQ 3, S. 528) bis 1360 (SCHÄFER, V Q 3, S. 756). Belegt von 1354 Mäiz 1-2 (SCHÄFER, VQ 3, S. 528) bis 1356 Mai 21 (SCHÄFER, VQ 3, S. 615).

5 6

SCHÄFER, V Q 3, S . 7 5 6 v o n 1 3 6 0 .

7

Prosop. Hayez nach IE 269 f. 80v-81r von 1358 und IE 259 f. 98v von 1360. Sein Quartier bei SCHÄFER, VQ 3, S. 684 (Prosop. Hayez).

8

SCHÄFER, V Q 3, S. 528 von 1354 März 1-2.

9

SCHÄFER, V Q 3, S . 5 9 6 v o n 1 3 5 5 D e z . 2 9 .

10

Erster Beleg: SCHÄFER, VQ 3, S. 615 von 1356 Mai 21; letzter SCHÄFER, VQ 3, S. 686 von 1357 Dez. 29. Erster Beleg: SCHÄFER, VQ 3, S. 578 von 1355 Jan. 3; letzter SCHÄFER, VQ 3, S. 686 von 1357 Dez. 29. Einziger Beleg: SCHÄFER, V Q 3, S. 7 5 6 von 1 3 6 0 . Ober ihn vgl. auch SCHÄFER, VQ 6, S. 24 von 1363 Juni 16. SCHÄFER, VQ 6, S. 21: ...olim brodariis d. Innocentii...

11

12 13 14

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

151

erhielten Küchenmeister und Einkäufer nur noch das Gehalt der Köche, nämlich wöchentlich 3,387 fl. oder täglich 0,483 fl. Lediglich die Unterköche blieben mit einem Wochenlohn von 1,033 fl. oder einem Tagegeld von 0,147 fl. niedriger eingestuft1. Unter Innozenz VI. richtete ein Großbrand beträchtliche Zerstörungen in der turris Trulhassio an; offenbar waren die dort aufbewahrten Brennholz- und Kohlevorräte in Brand geraten. Auch die benachbarte Küche war betroffen und mußte repariert werden2. Sonst sind von Innozenz VI. keine die Küche oder die Hofamter betreffenden Baumaßnahmen bekannt, immerhin hat er aber sowohl die große Küche wie auch die Mundküche mit Schlössern ausstatten lassen, diese Räume konnten also seither abgeschlossen werden3. Urban V. Wieder neue Entwicklungen lassen sich unter Urban V. feststellen. Neben die beiden Spitzenämter der Küche, das des Küchenmeisters und des Einkäufers, trat noch ein drittes: das des Speiseaufsehers (custos cibariorum). Dieses Amt scheint aus dem des früheren Küchenschreibers herausgewachsen zu sein; der Speiseaufseher trat allmählich selbständig neben den Einkäufer. Seine Aufgabe war es4, die Tätigkeit des Einkäufers zu überwachen und wie dieser über die Einkäufe Buch zu fuhren. Das ging so weit, daß seine Unterlagen ausdrücklich zu dem Zweck der Kammer vorgelegt werden sollten, um mit denen des Einkäufers verglichen zu werden5. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums hatte er sich außerdem speziell um die Brennholzeinkäufe zu kümmern. Schließlich oblag ihm die Buchführung über das Schlachtvieh, das der Papst als Geschenk erhielt. Diesen Aufgabenbereich sollte er allerdings erst nach und nach erlangen, unter Urban hatte er dieses Amt lediglich zusammen mit einem anderen inne: erst dem des Küchenschreibers, dann dem des Kellermeisters. Festzuhalten bleibt, daß von Urban V. an drei Spitzenämter der Küche zu unterscheiden sind. Als erster bekleidete Guillelmus oder Nicolaus Foresii6 das neugeschaffene Amt des Speiseaufsehers7. Er wird allerdings nur einmal in dieser Funktion genannt, zu-

1

2 3 4

5

Zu ersehen aus SCHÄFER, VQ 3, S. 755 f. Gehaltszahlungen des achten Pontifikatsjahres (1360). Dagegen die Zahlungen des ersten Jahres bei SCHÄFER, VQ 3, S. 527 ff. Die geringen Abweichungen zu den oben genannten Zahlen erklären sich aus den Kursschwankungen des Florens zum Tournosen. EHRLE, Historia, S. 647 von 1354 Nov. 6; vgl. auch COLOMBE, Recherches 23, S. 550. SCHÄFER, VQ 3, S. 563 f. von 1354 Febr. 11. Vgl. die Beschreibung in der Hofordnung des Francis de Conzie, ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 435 (cap. ΧΙΠ). (Custos cibariorum) debet etiam esse contrarelator expensoris (i. e. „emptoris coquine"), et talem operant dare quod gentes camere veraciter informare possit an ipse expensor bene etßdeliter, circa ea que emit vel tradit, se habeat, vel non. Zit. nach DYKMANS, Ceremonial 3, S. 435 (cap. ΧΙΠ, 106).

6 7

Über ihn vgl. VONES, Urban V., S. 358 Anm. 253. Erstmals nachweisbar in diesem Amt ist Guillelmus Foresii im 1367, SCHÄFER, VQ 6, S. 32 von 1367 Apr. 20: Dort heißt es: ...scriptor coquine sive custos cibariorum. ..

152

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

gleich erhielt er das Amt des Kellermeisters1. Anscheinend hat Urban hier eine stärkere Zentralisierung in der Leitung von Küche und Keller angestrebt; diese Maßnahme blieb aber Episode. Die Köche führten bei ihm den Titel coqui majores oder magistri coquine maioris\

sie waren also für die große Küche zuständig. Im Verlaufe seines Pontifikats bemerkt man eine Tendenz, das Amt des Küchenmeisters mit dem des Oberkochs zu verschmelzen - die jeweiligen Personen werden mal mit dem einen, mal mit dem anderen Titel belegt. Das hat zur Folge, daß mehrmals gleichzeitig mehrere Inhaber dieses Amtes auftreten, ohne daß dies aber eine Personalvermehrung bedeutet hätte. Zeitweise haben gleichzeitig bis zu vier solcher Oberköche oder Küchenmeister nebeneinander amtiert. Wie ihre Kompetenzen verteilt waren, ob und wer für die Mundküche zuständig war, bleibt weiterhin offen, ebenso wie die Absicht, die Urban mit dieser Neuerung verfolgte. Sie wirkt wie ein Versuch, den Aufwand, den seine Vorgänger in Bezug auf die Küche getrieben hatten, einzuschränken; wenn es so war, so ist ihm weniger Erfolg beschieden gewesen, als ihn seinerzeit Benedikt XII. gehabt hatte. Das Gehalt eines Küchenmeisters, bzw. Oberkochs betrug 3,396 fl. wöchentlich oder 0,485 fl. täglich, das eines Unterkochs täglich 8 sol. mon. Avin. ( - 0,363 fl.)2. Als Küchenmeister oder Oberkoch Urbans V. ist zunächst Johannes Foucardi zu nennen; er tat zunächst in Avignon Dienst, begleitete Urban nach Rom3 und kochte auch weiterhin unter Gregor XI. Gleichzeitig mit ihm amtierte Johannes de Oyena; auch er war während des gesamten Pontifikat Urbans im Dienst4. Ursprünglich war er als magister aule eingestellt worden5, ein Amt, von dem noch zu reden sein wird6. Von seinem Vorgänger übernommen hat Urban den Johannes Postelli7, dieser hat somit drei Päpste bekocht. Auch den Bartholomeus de Vassinhaco8 hat er übernommen, dieser sollte noch in die Dienste Gregors XI. treten. Auf den ersten Blick überrascht, daß ein Kammerkleriker zum Oberkoch befördert wird - das geschah Gerardus Monielli -, die angeführte Quellenstelle zeigt aber, daß seine Aufgabe weniger im

1 2 3

4

Vgl. Kap. IV,2. Errechnet nach SCHÄFER, VQ 6, S. 21 von 1362 Dez. 24. Erstmals belegt 1362 Dez. 22 (Prosop. Hayez nach Reg. Aven. 198 f. 417); zuletzt 1366 Dez. 31 (SCHÄFER, VQ 6, S. 182); auf den Reise zuletzt 1367 Juli 13 (KIRSCH, Rückkehr, S. 41 n. 69). Erstmals belegt 1362 Nov. 19 (HAYEZ, Fonctionnaires ... d'Urbain V, S. 238 Anm. 70 nach Reg. Aven. 198 f. 414v), zuletzt 1370 Okt. 14 (SCHÄFER, VQ 6, S. 280 f.). Er scheint in Avignon geblieben zu sein, unter Urbans Begleitern wird er nicht erwähnt.

5

SCHAFER, V Q 6, S. 2 6 von 1362 Nov. 18.

6

Vgl. IV,2.3. Erstmals belegt 1362 Dez. 31 (SCHÄFER, VQ 6, S. 20); zuletzt 1366 Dez. 31 (SCHÄFER, VQ 6, S. 182, Prosop. Hayez). Unter Gregor XI. ist dann ein gleichnamiger serviens armorum belegt (SCHÄFER, VQ 6, S. 602 von 1375 Aug. 31), Identität liegt aber schwerlich vor. Unter Urban erstmals belegt 1362 Nov. 15 (SCHÄFER, VQ 6, S. 25); zuletzt 1367 Mai 24 (SCHÄFER, VQ 6, S. 185 und KIRSCH, Rückkehr, S. 75 n. 9). Es war als Edelknappe eingestuft (Prosop. Hayez).

7

8

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

153

Kochen als im Verwalten bestehen sollte; man hat ihn gleichzeitig zum Intendanten ernannt1. Während des ganzen Pontifikat Urbans war Raimundus Andree Einkäufer der Lebensmittel2; auch während der Reise nach Rom hatte er dieses Amt inne. Einmal ist er in dieser Funktion auch unter Gregor XI. belegt3. Nur einmal ist Guillelmus de Castronovo4 als Küchenschreiber erwähnt; vielleicht ist er identisch oder verwandt mit Reynardus de Castronovo, der in den ersten Jahren Urbans V. durchgängig dieses Amt bekleidete5. Unterköche Urbans V. gab es mehrere. Er begann seinen Pontifikat - wie üblich mit vieren6: Bernardus de Recolis7, Andreas Recoli8, Johannes Petrus9 und Johannes de Carminhi10. 1365 ist Johannes Tyays neu belegt11. Auf der Romreise ist noch Bernardus de Frezenchis als päpstlicher Unterkoch belegt12. Unter Urban V. findet man wieder Belege, die auf Reparaturen an den Küchenräumen deuten13. Auch wird in Urbans achtem Pontifikatsjahr, also als er bereits nach Rom zurückgekehrt war, eine neue Küche im Avignoneser Palast erwähnt, welche neben der dort ebenfalls erstmals erwähnten Mühle lag14. Man darf den angeführten Beleg wohl so verstehen, daß diese Küche speziell fur den Thesaurar bestimmt war, um ihn und seine Mitarbeiter - d. h. vor allem die Kammerkleriker - während der Abwesenheit des Papstes zu versorgen. Diese Mühle befand sich ursprünglich in der 1

SCHÄFER, VQ 6, S. 34 von 1368 Mai 17: Gerardus Monielli, clericus camere Apost., fuit factus supercoquus sive magister hospitii pape. Zum Amt des Intendanten vgl. Kap. IV,2. Über Geraldus

2

Belegt von 1362 Nov. 18 (IE 304 f. 70r-v von 1362 Nov. 30): Raymundus Andree emptor Cibariorum coquine α die 19 mensis Novembris, qua incepitfacere ipsum officium..., bis 1370 Okt. 15

vgl. VONES, Urban V., S. 320 f.

(SCHÄFER, V Q 6 , S. 2 8 1 ) . 3

SCHÄFER, V Q 6 , S . 3 6 4 v o n 1 3 7 1 Jan. 8.

4

SCHÄFER, V Q 6 , S. 2 2 v o n 1 3 6 2 D e z . 2 4 .

5

Belegt von 1362 Nov. 15 (SCHÄFER, VQ 6, S. 25, auch HAYEZ, Fonctionnaires ... d'Urbain V, S. 238 Anm. 72 nach Reg. Aven. 198 f. 413v) bis 1365 Nov. 27 (SCHÄFER, VQ 6, S. 145). Zur Problematik der wechselnden Schreibweise vieler Namen und Ausdrücke in den Kammerakten vgl. die zutreffenden Bemerkungen bei SCHÄFER, VQ 6, S. ΧΠ ff.

6

SCHÄFER, V Q 6 , S . 2 7 v o n 1 3 6 2 D e z . 2 2 .

7

Belegt bis 1364 Mai (SCHÄFER, VQ 6, S. 73); wohl identisch mit Bernardus Bocolas (als brodarius belegt 1365 Nov. 27 bei SCHÄFER, VQ 6, S. 145); übernommen von Gregor XI. (SCHÄFER, VQ 6, S. 368 von 1371 Febr. 1).

8

Belegt bis 1365 Nov. 2 7 (SCHÄFER, VQ 6, S. 145).

9

Nicht mehr belegt. Belegt bis 1365 Nov. 27 (SCHÄFER, VQ 6, S. 145), und noch einmal unter Gregor XI. (SCHÄFER, VQ 6, S. 407 von 1372 März 19).

10

11

SCHÄFER, V Q 6 , S. 145 v o n 1 3 6 5 N o v . 2 7 .

12

KIRSCH, Rückkehr, S. 29 n. 30 von 1367 Juni 22.

13

ANDRE-MICHEL, P a l a i s 2 , S. 2 0 v o n 1 3 6 3 N o v . 3 0

14

SCHÄFER, VQ 6, S. 294 von 1370 Sept.: ... feci claudere 3 portas de muro: ... (unam), que est in pede vitis (Treppenturm), que venit ad molendium, et tertiam, que venit de molendino ad coquinam novam, quam tenet nunc d. thesaurarius.

154

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

turns magna1, sie sollte dann aber unter Gregor XI., als der Palast also wieder von einem Papst bewohnt wurde, in den untersten Stock der turris Trolhatio verlegt werden2. Gregor XI. Läßt sich unter Urban V. eine Aufweichung der Hierarchie beobachten, hat Gregor XI. wieder für klare Verhältnisse gesorgt. Es gab nur noch einen Küchenmeister, dem mehrere Köche unterstanden. Auch beim Einkäuferamt hat er die Doppelbesetzung abgeschafft; es gab also nur noch einen Einkäufer. Die Gehälter betrugen für Küchenmeister und Köche 3,399 fl. wöchentlich oder 0,485 fl. täglich, für den custos cibariorum (bzw. den Küchenschreiber) und die Unterköche 1,036 fl. wöchentlich oder 0,148 fl. täglich. Den amtierenden Küchenmeister seines Vorgängers, Bartholomeus de Vassinhaco3, hat Gregor übernommen. An Köchen taucht zunächst Johannes Foucardi, ehemaliger Koch Urbans V., wieder auf, allerdings erst nach einer mehrjährigen Unterbrechung4. Neu eingestellt hat Gregor in seinem ersten Pontifikatsjahr den Johannes de Bononia5, den Symonetus Stuc6 (beide mit dem Gehalt eines Edelknappen) und den Salomon (mit dem Gehalt eines Waffenknechts7). Später findet man den Johannes Chantacoc8. Einen weiteren ehemaligen Koch Urbans V., Johannes Postelli, hat man nur noch als Waffenknecht eingestuft9. Aus seiner Zeit als Kardinal hat Gregor den Johannes Rauaresii mitge-

1

2

3

4

Dieser Turm wird von ANDRE-MICHEL als „Tour de la Gache" identifiziert; das wäre in der Südwestecke des unter Clemens errichteten Westflügels (vgl. den Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 45 n. 4, auch im Anhang). Hier macht sich abermals die unsichere Identifikation von turris magna bemerkbar. ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 36 von 1371 Jan. 31: ...pro XXV dietis manoperariorum per ipsum conductorum ad mutandum duo molendina, que erant in turri magna, in qua fiunt excubie tarn de die quam de nocte, videlicet ad majorem turrim de Trolhassio inferiori stagio ipsius turris... Unter Gregor erstmals belegt 1371 Jan. 3 (SCHÄFER, VQ 6, S. 367); zuletzt 1376 Okt. 2 (KIRSCH, Rückkehr, S. 189 n. 145 und S. 190 n. 157) Unter Gregor erstmals belegt 1374 Dez. 9 (SCHÄFER, VQ 6, S. 600); zuletzt 1376 Aug. 31 (SCHÄFER, V Q 6, S. 6 5 6 ) .

5

Einziger Beleg: SCHÄFER, VQ 6, S. 368 von 1371 Febr. 1.

6

B e l e g t v o n 1371 Febr. 1 (SCHÄFER, V Q 6 , S. 3 6 8 ) b i s 1 3 7 6 A u g . 31 (SCHÄFER, V Q 6 , S. 6 5 6 ) .

7

Einziger Beleg: SCHÄFER, VQ 6, S. 368 von 1371 Febr. 1.

8

B e l e g t v o n 1 3 7 4 D e z . 9 (SCHÄFER, V Q 6, S. 6 0 3 ) b i s 1 3 6 6 A u g . 31 (SCHÄFER, V Q 6 , S. 6 5 6 ) .

9

SCHÄFER, V Q 6, S. 6 0 2 von 1375 A u g . 31 u n d S. 6 5 4 v o n 1 3 7 6 M a i 31.

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

155

bracht1; dieser war offenbar zu alt, tun weiterhin im Dienst zu bleiben; der dankbare Papst hat ihm aber als Pension das Gehalt eines Waffenknechts zugebilligt2. Als Einkäufer amtierte zuerst Matheus Clareti3; sein Nachfolger wurde Geraldus Chassarelli4. Ob er den Papst nach Rom begleitet hat, ist nicht klar. Man sieht lediglich, daß er mit der Beschaffung des Proviants fur die Reise beauftragt war5. Die Tendenz, das Amt des Küchenschreibers in dem des Speiseaufsehers aufgehen zu lassen, setzt sich unter Gregor fort: Guillelmus Galhardi, Inhaber dieses Amtes, wird mal mit dem einen, mal mit dem anderen Titel benannt6. Er hat Gregor nach Rom begleitet7. Mit drei Unterköchen8 begann Gregor XI. seinen Pontifikat. Von seinem Vorgänger übernahm er Bernardus de Recolis9. Neu eingestellt hat er Perrotus de Carpentorato10 und Petrus de Causonilhis11. Im Laufe der Zeit kamen Petrus Fern, Petrus de Casmilhas, Johannes Tantecot und Colinus Trays hinzu12. Generell hat man den Eindruck, daß unter Urban V. und Gregor XI. die Unterköche und - wenn auch in geringerem Maße - die Köche nicht mehr durchgängig, sondern nur noch zeitweise und mit starker Fluktuation angestellt worden sind. Anders läßt sich kaum erklären, daß sie während dieser Zeit entweder nur einmal oder nur mit großen Lücken belegbar sind. Die Kontinuität in der Amtsführung ist eher durch die Einkäufer gesichert worden: sie sind durchgehend belegt. Brot- und Weinamt13 Wie in voravignonesischer Zeit teilten sich durchgängig zwei Panatare die Leitung des Brotamtes14. Beim Weinamt ist die Zahl der Kellermeister (buticularii) unter Johannes XXII. höher als früher; sie schwankt zwischen zwei und fünf, ohne daß genau absehbar wäre, wie die Verantwortung im Detail verteilt war. Einer der Kellermeister

1

Mag. Johanni Ranares, coquo antiquo pape, dum erat cardinalis..., zit. nach SCHÄFER, VQ 6, S. 366.

2

Belegt von 1371 März 6 (SCHÄFER, VQ 6, S. 366) bis 1376 M i 10 (SCHÄFER, VQ 6, S. 658). IE

346 f. 80v von 1376 Apr. 9: Magistro Rauaresio antiquo coquo d. p., cur idem d. papa concessit pro sua provisione Stipendium unius servientis armorum. 3

B e l e g t v o n 1 3 7 1 Jan. 3 1 (SCHÄFER, V Q 6 , S. 3 6 4 ) b i s 1 3 7 5 M a i 2 9 (SCHÄFER, V Q 6 , S . 6 0 6 ) .

4

Belegt von 1375 Aug. (SCHÄFER, VQ 6, S. 603) bis 1376 Juli 30 (SCHÄFER, VQ 6, S. 659). KIRSCH, Rückkehr, S. 194 η. 180 von 1376 Aug. 22.

5

6

Belegt von

7

KIRSCH, Rückkehr, S. 210 n. 86 von 1376 Dez. 6 SCHÄFER, VQ 6, S. 368 von 1371 Febr. 1.

8

9 10 11

1371

Febr.

1 (SCHÄFER, V Q 6 , S. 3 6 8 )

bis

1376

Aug.

3 1 (SCHÄFER, V Q 6 , S. 6 5 6 ) .

SCHÄFER, VQ 6, S. 368 von 1371 März 24 (einziger Beleg). von 1 3 7 1 Febr. 1 (einziger Beleg). SCHÄFER, V Q 6 , S. 3 6 8 von 1 3 7 1 Febr. 1 (einziger Beleg). SCHÄFER, V Q 6 , S . 3 6 8

12

SCHÄFER, V Q 6 , S. 6 0 0 f. v o n 1 3 7 4 D e z . 9.

13

V g l . GUILLEMAIN, C o u r , S. 3 9 4 f.

14

Vgl. SCHÄFER, V Q 2, S. 123 f. In der Hofordnung von 1409 (ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 427,

cap. V,48) sind ebenfalls zwei Panatare vorgesehen.

156

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

wird oft als frucherius oder emptor fructuum bezeichnet; ihm oblag der Einkauf von frischem Obst1. Häufig gewahrt man, daß ein oder mehrere Kellermeister auf Reisen waren, um die für den Wein nötigen Trauben gleich vor Ort einzukaufen und ihre Verarbeitung zu überwachen2, während einer die laufenden Geschäfte in Avignon besorgte3. Unter Johannes' Nachfolgern schwankt die Zahl der Kellermeister ebenfalls; unter Gregor XI., dem letzten unbestrittenen Papst in Avignon, hat sie sich wieder auf zwei eingependelt. Anders als bei dem Kücheneinkäufer hat die Kammer eigene Schreiber weder für die Panatare noch für die Kellermeister besoldet. Die Amtsinhaber mußten anscheinend selbst mit der Kammer abrechnen4. Es ist allerdings durchaus möglich, daß es gleichwohl solche Schreiber gegeben hat, nur wurden sie dann eben nicht von der Kammer, sondern von den Panataren und Kellermeistern selbst bezahlt. Daß diese Hypothese zutrifft, darauf deutet eine Stelle in dem Avignoneser Zeremonienbuch hin, wo ein solcher Schreiber des Weinamtes als selbstverständlich vorausgesetzt wird5. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums, unter Gregor XI., wird einmal auch in den Kammerhauptbüchern ein Schreiber entlohnt, der die computa buticularie geschrieben hatte6. Dies scheint aber ein einmaliger Fall gewesen zu sein: er wird nur das eine Mal erwähnt. Der Grund für diesen Unterschied in der Personalausstattung mag in einem etwaigen größeren Arbeitsanfall in der Küche zu suchen sein, vielleicht aber auch darin, daß man wegen des klerikalen Charakters der Panatare und Kellermeister einen Schreiber für nicht unbedingt nötig hielt. Daß man bei Laien die nötigen Kenntnisse selbst zu Beginn des 15. Jahrhundert noch nicht vorausgesetzt hat, beweist die Hofordnung von 1409: dort wird dem Intendanten - ein Amt, das noch zu behandeln ist lediglich deswegen ein Schreiber zugewiesen7. Mitunter findet man noch subalternes Personal erwähnt, die servitores buticularie, indes ist unklar, ob diese dauernd angestellt waren oder nur bei besonders hohem Personalbedarf als Tagelöhner angeworben worden sind. Für beide Ämter gilt, daß ihre Inhaber in erster Linie mit Verwaltungs- und Verteilungsaufgaben beschäftigt waren; sie hatten den Einkauf, die Lagerung und - die Kellermeister - auch die Herstellung der Lebensmittel zu veranlassen und zu überwachen, nicht aber sie etwa selbst herzustellen oder zuzubereiten. Dies besorgten im 1

2

3

4 5

Daß die Kellermeister auch für das Obst zuständig waren, erklärt ALBE, Cour, S. 3 1 , damit, daß auch das Obst im Keller gelagert worden sei. In der Hofordnung von 1409 ist dies ausdrücklich vorgesehen: In qua provisione fienda alter ipsorum (buticulariorum) debetpersonaliter interesse..., zit. nach DYKMANS, Ceremonial 3, S. 428 (cap. VI,59). Konrad von Megenberg 1,3 cap. 21 (ed. KRÜGER 1, S. 165 ff. vgl. auch DROSSBACH, Yconomica, S. 86 f.) kennt die Unterscheidung zwischen Mundschenk (pincema) und Kellermeister (vinitor oder subpincerna). Dabei war der Mundschenk für den Dienst an der fürstlichen Tafel zuständig, der ihm unterstehende Kellermeister dagegen für Beschaffung und Lagerung des Weins. Dies gegen GUILLEMAIN, Cour, S. 398, der sie sogar in seiner Tabelle auflistet. Ed. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 208 f.

6

SCHÄFER, V Q 6 , S . 4 9 2 v o n 1 3 7 3 O k t . 15.

7

Vgl. Kap. IV,2.

Aufgaben, Personal und Standort der Hofamter

157

Falle des Brotamtes die örtlichen Bäcker1, teilweise auch die Fachkräfte des Almosenamtes - davon wird noch zu reden sein - ; im Falle des Weinamtes vor Ort angeworbene Tagelöhner. Da also amtsspezifische Kenntnisse kaum nötig waren, erstaunt es nicht, daß mitunter Wechsel von Personal zwischen beiden Ämtern belegt sind. Was die Amtsinhaber für ihre Tätigkeit brauchten, waren Latein- und Rechenkenntnisse und praktische Erfahrung in der kurialen Verwaltung. Sie waren durchweg Kleriker, jedenfalls von Benedikt XII. an, unter Johannes hatte es noch einzelne Laien in diesen Ämtern gegeben. An Panataren Johannes' XXII. finden wir zunächst Guillelmus von Martinhaco2 (1316-1317 Juni) und Hugo de Engolisma3 (1316-1328 Apr.). An Guillelmus' Stelle trat Itherius de Guerra4, ihn löste im August 1323 Galhardus de Anteiaco ab, der vorher bereits einer der Kellermeister gewesen war5. Hugo wurde abgelöst durch Raimundus de Felenono, auch er ein früherer Kellermeister6, ihn ersetzte 1334 Stephanus Renerii7. An Kellermeistern sind 1316 zunächst Benedictus de Portu8 (1316-1330 Jan. δ9) und Pontius de Rocilione10 (1316-1323 als frucherius) belegt. Ihn ersetzte zunächst Guillelmus de Puteo11 (1324-1329), dann Raimundus de Anteiaco12 und schließlich Jacobus Gomberti13. Im Oktober 1320 kamen zu den beiden amtierenden drei weitere Kellermeister hinzu: Galhardus de Anteiaco14 (bis 1323), wohl ein Verwandter des Raimundus de Anteiaco, dann Raimundus de Carayguis15 (bis 1325), der bis zum

1

Unter Innozenz VI. ist ein Backofen in den Palast eingebaut worden (SCHÄFER, VQ 3, S. 594 von 1355 Nov. 27: Pro factura 1 furni magni... in palacio ad coquendum partem,...), man findet aber keine Hinweise darauf, daß die Kurie nun etwa eigenes Brot gebacken hätte.

2

Vgl. SCHÄFER, V Q 2, S. 123 und passim.

3

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 123 und passim und ALBE, Annales 9, S. 240. Er war canonicus Xanton. (Saintes). Er ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen päpstlichen Nuntius am englischen Hofe. Vgl. auch HAYEZ, Fonctionnaires languedociens, S. 105 mit Anm. 80. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 123 und passim; HAYEZ, Fonctionnaires languedociens, S. 105 mit Anm. 79. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 123 und passim. Er war canonicus s. Marcelli Parisien. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 123 und passim. Er war rector eccl. de Lopiaco, Caturc. dioc. (Cahors) und seit 1330 sacrista Carpentorat. (Carpentras).

4

5 6

7

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 123 und passim.

8

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim. Seine Wohnung in Avignon ist beschrieben in VQ 2, S. 14 n. 20. Letzter Beleg SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 5 6 f.

9 10

SCHÄFER,

Vgl. SCHÄFER, V Q 2, S. 133 und passim.

11

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim. Er wird auch als miles etfamiliaris pape bezeichnet.

12

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim.

13 14

15

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim. Er ist vorher als Scutifer des Kardinals Jacobus de Via belegt (SCHÄFER, VQ 2, S. 605 n. 29).

158

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

päpstlichen Kammerherrn aufsteigen sollte, und Guillelmus Coste1. Für den im Juni 1322 ausgeschiedenen Guillelmus Coste trat im September 1323 Petrus de Monteacuto2 ein, der bis 1330 im Amt war. Neu hinzu kamen Raymundus de Felenono3 (1326-1328), der ebenfalls noch Panatar werden sollte, Guillelmus Barasci4 (1328), Petrus Belihominis5 (1332-34), der 1334 von Gasbertus de Solhaco ersetzt wurde, und schließlich Berrotus de Orto6 (1332). Bereits bei der Küche konnte gezeigt werden, daß unter Benedikt XII. das Personal dieses Amtes erheblich reduziert worden ist. Brot- und Weinamt bieten ein ähnliches Bild: hier hat man vom zweiten Pontifikatsjahr an beide Ämter unter der gleichen Leitung vereint. Petrus Natalis und Raymundus de Coiordano, beide von Benedikt zunächst nur als Panatare neu eingestellt, verwalteten sodann Brot- und Weinamt zusammen7. In den Gehaltsabrechnungen hat man sie unter den vertrauten Klerikern (clerici intrinsecif eingestuft. Raymundus war wohl ein Verwandter des Johannes de Coiordano, des päpstlichen Thesaurars und Bischofs von Avignon. Von den Kellermeistern des ersten Jahres9, ebenfalls innere Kleriker, verschwindet Raimundus de Brolio aus den Quellen, und nur Petrus Isarni bleibt als dritter Kellermeister im Dienst. Er war vor allem für die Weineinkäufe zuständig, während Petrus Natalis und Raymundus für frisches Obst sorgten. Im dritten Jahr kam als weiterer Kellermeister Raimundus de Ruppe, auch er clericus intrinsecus, hinzu10. Clemens VI. hat beide Ämter wieder getrennt. Neue Panatare wurden Guillelmus Bellifilii11 und Bernardus Garnerii12; zu Kellermeistern ernannte er Geraldus de Turno13 und Petrus Gasqueti14. Im sechsten Pontifikatsjahr (1347/48) kommt noch Raimundus Textoris als dritter Kellermeister hinzu15; im neunten wird als vierter Guillelmus La Sudria erwähnt16. Bei der Trennung der beiden Ämter blieb die Zuständigkeit für die Beschaffung von Obst beim Brotamt.

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2 3 4

5

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7 8 9

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim. Nach seinem Ausscheiden wurde er clavarius von Chäteauneuf-du-Pape. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim. Er war Kanonikus von Lissabon. Vgl. SCHÄFER, V Q 2, S. 133 und passim. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim.

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim. Er war archipresbyter de Arberto und seit 1333 rector ecclesie s. Pauli de Claromonte, Lodov. dioc. (Lodeve). Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133 und passim. Seine Wohnung in Avignon ist beschrieben in SCHÄFER, VQ2, S. 613 n. 7. SCHÄFER, VQ 2, S. 123 und 133; ders., VQ 3, passim. Über diese vgl. Kap. IV,2. SCHÄFER, V Q 3 , S. 15 f.

10

SCHÄFER, V Q 3 , S. 5 5 .

11

Er war Kleriker aus Sens (SCHÄFER, VQ 3, S. 193). Er war rector ecclesie s. Michaelis de LauresMirapiscen. dioc. (SCHÄFER, VQ 3, S. 193). Er war presbyter also Kleriker. Er war serviens armorum (SCHÄFER, VQ 3, S. 192), also Laie.

12 13 14 15

V g l . SCHÄFER, V Q 3, S. 3 5 4 .

16

SCHÄFER, V Q 3, S. 4 3 5 .

Aufgaben, Personal und Standort der Hofamter

159

Abermals neues Personal hat Innozenz VI. eingestellt: Einem seiner ehemaligen Kapläne, Bernardus Barralha1, hat er das Amt des Panatars anvertraut; Bernardus war anfangs der einzige Inhaber dieses Amtes. Da für ihn aber schon kurz darauf die Begräbniskosten gezahlt werden2, kann er nicht lange im Amt gewesen sein. An seine Stelle trat Guido de Riperia3. Im zweiten Pontifikatsjahr ist noch ein zweiter Panatar nachweisbar, Johannes de Hublangiis4. Im neunten Pontifikatsjahr (1361) werden beide durch neue Panatare ersetzt: Johannes de Burgo und Petrus de Arfolio5. Als Kellermeister ist vom ersten Jahr an (1353) Guillermus de Cruce belegt6 er war es auch, der während des gesamten Pontifikats mit der Kammer abrechnete . Als sein Mitarbeiter {familiaris buticularie) wird Petrus de Cruce8 genannt, Kellermeister war er aber nicht. Nur einmal, 1361, ist ein weiterer Kellermeister namentlich faßbar, Johannes Gitberti9. Er blieb bis zum Ende von Innozenz' Pontifikat im Dienst10; unter Urban war er dann Schreiber der Poenitentierie. Tatsächlich ist die Zahl der Kellermeister mitunter höher gewesen, was man aus den Gehaltslisten ersehen kann. Dort sind von Anfang an zwei Kellermeister verzeichnet, deren Namen allerdings nicht genannt werden l . Im vierten Pontifikatsjahr werden sogar drei Kellermeister besoldet12. Urban V. ernannte den Guillelmus Iuliani13, der wohl mit dem kurz darauf belegten Guillelmus Duranelli14 identisch ist, und Crescentius Pilosii15 zu neuen Panataren. Dieser stieg noch bis zum Leiter des Wachsamtes auf. Zu Kellermeistern bestimmte Urban den Guillelmus de Texonerii16 und den Bartholomeus Maderni. Zum Nachfol1

2

3

SCHÄFER, VQ 3, S. 530 von 1353 Juli 7. Vgl. auch S. 599 von 1355 Aug. 22: Bernardus Baralhi, olim capellanuspape, dum erat cardinalis, nunc veropanetarius suus... SCHÄFER, VQ 3, S. 545 von 1353 Okt. 2. Bei dieser Gelegenheit wird er als scriptor, familiaris und panatarius pape bezeichnet. SCHÄFER, V Q 3, S. 5 6 7 .

4

SCHÄFER, V Q 3, S. 545.

5

SCHÄFER, V Q 3, S. 7 8 8 .

6

Erster Beleg 1353 Apr. 6 (SCHÄFER, VQ 3, S. 529). Erst Urban V. hat ihn entlassen. Nach IE 304 f. 80r von 1362 Nov. 30 amtierte Guillelmus bis 1362 Nov. 18.

7

8

SCHÄFER, V Q 3, S. 567.

9

SCHÄFER, V Q 3, S. 7 9 7 v o n 1361 D e z . 29. Vgl. auch S. 7 8 8 .

10

SCHÄFER, VQ 6, S. 75 von 1364 Febr. 23: Johanne Sitberti, scriptore penitentiarie pape, olim fei. record, d. Innocentii buticulario...

11

SCHÄFER, V Q 3, S. 5 2 8 v o n 1 3 5 3 März 1-2.

12

SCHÄFER, V Q 3, S. 6 1 5 von 1 3 5 6 M a i 2 1 .

13

Einziger Beleg: 1362 Nov. 15 (SCHÄFER, VQ 6, S. 25). Erstmals belegt 1362 Dez. 24 (SCHÄFER, VQ 6, S. 21); er begleitete Urban nach Rom und Montefiascone (Prosop. Hayez nach IE 325 f. 76-83). Erstmals belegt 1362 Nov. 15 (SCHÄFER, VQ 6, S. 25); zuletzt 1370 Okt. 12 (SCHÄFER, VQ 6, S. 290). In Coli. 464 von 1371 Jan. 31 wird er als olim panatarius bezeichnet. SCHÄFER, VQ 6, S. 364 von 1371 Jan. 22: Crescendo Pilosi, olim panetario et custodi cere pape Belegt von 1362 Nov. 15 (vgl. HAYEZ, Fonctionnaires ... d'Urbain V, S. 238 Anm. 69) bis vor

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15

16

1371 Jan. 31 (SCHÄFER, V Q 6 , S. 365).

160

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

ger des Bartholomeus1 ernannte der Papst 1367 den Nicolaus Foresii, er blieb bis zum Pontifikatsende im Dienst2. Er scheint zugleich das Amt des Speiseaufsehers innegehabt zu haben3. Nur kurze Zeit diente Petrus Vayssa als Kellermeister4, einmal ist auch ein gewisser Petrus Loza genannt5. Wieder neues Personal hat Gregor XI. eingestellt. Neue Panatare wurden Alardus de Souriaco6 und Stephanus Pomelli7. Dieser ist fünften Pontifikatsjahr zum custos cere (Wachsmeister) befördert worden8. Nachfolger des Stephanus Pomelli im Panatarsamt wurde Petrus Chaunellus9 An neuen Kellermeistern findet man Geraldus Guischardi10 und Johannes Lasborderias11. Weitere Ämter Neben den drei erörterten Hofamter gab es noch andere Ämter und Amtsinhaber, die ebenfalls mit der Lebensmittelversorgung zu tun hatten. Weitere sind im Laufe der Zeit hinzugekommen. Sie haben allerdings in der päpstlichen Buchführung keinen so offensichtlichen Niederschlag gefunden, da man für ihre Ausgaben keine neuen Ausgabetitel in den Hauptbüchern eingerichtet, diese Ausgaben vielmehr unter dem großen Sammeltitel pro cera et quedam extraordinaria verbucht hat.

1

2

3

Belegt von 1362 Nov. 15 (vgl. HAYEZ, Fonctionnaires ... d'Urbain V, S. 238 Anm. 69) bis 1367 März 24 (SCHÄFER, VQ 6, S. 187). In einem Eintrag von 1367 Apr. 25 (IE 320 f. 102v) wird er olim buticularius genannt. Belegt von 1367 Dez. 31 (SCHÄFER, VQ 6, S. 229) bis vor 1371 Jan. 31 (SCHÄFER, VQ 6, S. 365). Er ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen custos cibariorum. Vgl. Kap. IV,2.

4

Belegt von 1367 Mai 6 (KIRSCH, Rückkehr, S. 14 n. 10) bis 1367 Dez. 20 (KIRSCH, Rückkehr, S.

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VQ 6, S. 365 von 1371 Mäiz 3: Petro Loza converse ord. Cisterc., olim buticulario pape, dum erat cardinalis,... Belegt von 1371 Jan. 3 (HAYEZ, Urbain V, nach Reg. Aven. 173 f. 55v) bis 1376 Aug. 31 (SCHÄFER, VQ 6, S. 656). Er war der frühere Vorsteher von Gregors Kapelle (als dieser noch Kardinal war). Vgl. HAYEZ, Urbain V, S. 157 Belegt von 1 3 7 1 Jan. 3 (HAYEZ, Urbain V, nach Reg. Aven. 1 7 3 f. 55v) bis 1 3 7 4 Apr. 8 (SCHÄFER, VQ6, S. 5 5 1 ) . Belegt von 1375 Febr. 28 (SCHÄFER, VQ 6, S. 608) bis 1376 Okt. 2 (KIRSCH, Rückkehr, S. 190 n. 156). Belegt von 1374 Okt. 6 (SCHÄFER, VQ 6, S. 516) bis 1376 Aug. 31 (SCHÄFER, VQ 6, S. 656). Belegt von 1371 Jan. 3 (HAYEZ, Urbain V, S. 157 nach Reg. Aven. 173 f. 55v) bis 1376 Okt. 2

102 n. 24)

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7

8

9 10

SCHÄFER,

(SCHÄFER, V Q 6 , S. 6 6 7 ) . 11

Belegt von 1371 Jan. 3 (HAYEZ, Urbain V, S. 157 nach Reg. Aven. 173 f. 55v) bis 1376 Okt. 2 (SCHÄFER, VQ 6, S. 667 und KIRSCH, Rückkehr, S. 191 n. 167).

Aufgaben, Personal und Standort der Hofamter

161

Wachsamt und Apotheker Das Wachsamt (officium cere)1, auf welches der eben genannte Titel zurückgeht, hatte ursprünglich keinen Bezug zur Lebensmittelversorgung, war vielmehr fur die Beschaffung des nötigen Wachses für Kerzen, Laternen etc. zuständig. Gegen Ende des Pontifikats Clemens' VI. aber kann man beobachten, daß auch die Ausgaben für Käse unter diesem Titel verbucht und die entsprechenden Gelder dem Inhaber dieses Amtes angewiesen worden sind2. Er wird seither zuweilen auch magister cere et caseorum genannt3. Diese Zuständigkeit hat dann Francois de Conzie in seiner Hofordnung festgeschrieben4. Von 1363 an war das Wachsamt auch für die Anschaffung von Butter zuständig5. Die Einkäufe für Spezereien sind unter Johannes teilweise über die Küche, teilweise über das Wachsamt abgerechnet worden. War dies der Fall, hatte der päpstliche Apotheker (ypothecarius) den Einkauf entweder selbst getätigt oder ihn tätigen lassen7. Während die Küche die Spezereien zum Würzen benötigte, hat der Apotheker aus ihnen Süßspeisen zubereitet. Diese Aufteilung blieb während des gesamten Untersuchungszeitraums bestehen; was sich änderte, waren einerseits die eingekauften Quantitäten, andererseits ging der Apotheker immer mehr dazu über, die Süßspeisen bereits in fertiger Form einzukaufen. Jäger Unter den Fleischsorten, die an adligen wie an geistlichen Höfen verzehrt wurden, nimmt Wildbret eine besonders angesehene Stellung ein, war doch seine Beschaffung mit der Jagd und so mit einem der wichtigsten Vergnügen adliger Gesellschaften ver-

1

Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 399.

2

Erster Beleg IE 263 f. 155r von 1351 Juli 3, wo ein Geraldus, der als serviens des custos cere bezeichnet wird, für 400 Zentner Käse abrechnet. Unter Innozenz VI. ist dies vom ersten Pontifikatsjahr an belegt. Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 531 von 1353 Dez. 29: Facto compute cum d. Iohanne Servientis, subcollectore in Aluemia, de 20 quint, caseorum emptis per eum de pecuniis et mandate camere ac assigantis mag. Guillo Ademari, custodi cere pape, pro usu hospitii pape.. . Vgl. auch SCHÄFER, VQ 3, S. 708 von 1358 Sept. 30 und passim. Unter Innozenz' Nachfolgern ist dies beibehalten worden. Vgl. etwa SCHÄFER, VQ 6, S. 39 von 1363 Juni 3 und Sept. 30 und passim. Ζ. Β. SCHÄFER, VQ 6, S. 608 f. (Stephanus Pomellus). Ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 431 (cap. Vm,77). Erstmals nachweisbar bei SCHÄFER, VQ 6, S. 29 von 1363 Jan. 31. Die Bezeichnung „Apotheker" für Ypothecarius scheint mir am angemessensten. SCHÄFER übersetzt „Gewürzkrämer", was insofern berechtigt ist, als die Anschaffung von Gewürzen in der Tat seine Aufgabe war. Er hatte aber auch die nötigen Medikamente für den Papst einzukaufen und zuzubereiten. Eine Zusammenstellung der päpstlichen Apotheker bietet GAGNIERE, Apothicaires, S. 147 ff. Über die Einkäufe von Spezereien vgl. Kap. VIII,7. Die Zuständigkeit der Apotheker für die Spezereien ist auch bei Konrad von Megenberg 1,2 cap. 16 (ed. KRÜGER 1, S. 93) belegt.

3 4 5 6

7

162

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

bunden1. Clemens VI. hat dem mit der Anstellung eines Leibjägers Rechnung getragen, einen solchen kann man erstmals 1350 nachweisen2. Vor allem unter Innozenz VI. sind dann große Jagden unter der Leitung päpstlicher Beauftragter belegt3, anscheinend aber hat er keinen Jäger dauernd angestellt, vielmehr - je nach Bedarf solche auf Zeit eingestellt4. Es sind sogar Briefwechsel zwischen dem Küchenmeister und diversen Jägern belegt, welche offenbar auf dessen Anforderung hin tätig wurden5. Das Interesse zumindest eines Papstes, Clemens' VI., an der Jagd wird noch auf einem anderen Feld deutlich: In der von ihm neugebauten „Tour de la Garderobe" hat er ein Zimmer von Matteo Giovannetti6 mit Szenen aus Jagd und Fischfang ausmalen lassen7. Am eindrucksvollsten war offenbar die dort dargestellte Hirschjagd, weshalb der Raum dann unter Gregor XI. camera cervi genannt werden sollte. Weiterhin werden die Kaninchenjagd (mit Hilfe von Frettchen), die Jagd mit Falken und die Jagd auf Vögel mit Hilfe von Lockpfeifen dargestellt. Auch findet man einen Fischteich: ein mit Steinen ausgekleidetes Becken, in dem sich verschiedene Fische tummeln. Am Rand sind mehrere mit Angelgerätschaften ausgerüstete Männer zu sehen; sie locken die Fische an oder tragen bereits gefangene weg. Die profanen Motive dieser Gemälde stehen in starkem Kontrast zu den eher traditionell religiösen Motiven, mit denen die offiziellen Räume des Palastes geschmückt waren8. Die camera cervi lag neben dem päpstlichen Schlafzimmer im Papstturm und war mit ihm durch eine Tür verbunden. Auch die Fresken des Schlafzimmers sind erhalten; bereits Benedikt XII. hatte es ausmalen lassen. Wieder sind die gewählten Motive nicht eigentlich religöser Art: in diesem Falle sieht man Laubbäume, in denen Vögel und Eichhörnchen sitzen9. In diesen Räumen scheint sich Clemens am liebsten aufgehalten zu haben; die camera cervi nutzte er vor allem als Studier- und Erholungs-

1

2

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An weltlichen Höfen gab es in der Regel eigene Jäger, die einem Jägermeister (archivenator) unterstanden, so bei Konrad von Megenberg 1,3 cap. 24 (ed. KRÜGER 1, S. 171 ff., vgl. auch DROSSBACH, Yconomica, S. 90). Soweit ist die Kurie offenbar nur unter Clemens VI. gegangen. IE 261 f. 177r von 1350 Nov. 8: Raymundo de Valle, venatori domini nostri pape, pro ... filatis emendis... Ζ. B. SCHÄFER, VQ 3, S. 561 von 1354 Okt. 1; S. 585 f. von 1355 Aug. 31. Unter Innozenz rechnet jeweils ein usserius (eigentlich Türhüter) über die Ausgaben ab. Er ist es dann, welcher Jäger und Jagdgehilfen anstellt, und die Jagden durchführen läßt.

4

Vgl. etwa SCHÄFER, V Q 3, S. 732 von 1358 Nov. 30.

5

Ζ. B. IE 293 f. 147v von 1360 Juli 13: Mauricio de Vassinhaco, magistro coquine d. n. p. pro certis nuntiis missis per eum ... ad venatores et pro carnibus venandis...

6

Vgl. COLOMBE, Filiation, S. 5 ff; VINGTAIN, Avignon, S. 2 8 4 ff. Vgl. LABANDE, Palais 2, S. 22 ff (mit Abbildungen); SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 38; ME-

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8

9

RINDOL, Camera domini, S. 93 ff (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig); zuletzt VINGTAIN, Avignon, S. 196 ff. (mit Abbildungen). Über diese vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 254 ff. (mit Abbildungen). Erhalten und rekonstruierbar ist allerdings nur ein kleiner Teil der Fresken. Über diesen Raum vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 107 ff. (mit Abbildungen).

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

163

zimmer1. Auch besonders angesehene und vertraute Gäste hat er hier empfangen, insofern sind die Gemälde nicht unwichtig fur den Eindruck, den er auf seine Gäste machte und machen wollte. Unter Gregor XI. sollte die camera cervi gar als päpstliches Schlafzimmer dienen. Wasser- und Holzamt Für die Versorgung mit dem nötigen Wasser zum Kochen, Ab- und Händewaschen gab es das Wasseramt (officium aquej1. In voravignonesischer Zeit bereits belegt3, ist es unter Johannes XXII. nicht nachweisbar, unter Benedikt XII. findet man den Wasserträger (portator aque)4, aus dem unter Clemens VI. der Wassermeister imagister aque oder aquarius)5 wird. Dies könnte mit dem Neubau der Küche zusammenhängen, welcher unter Benedikt begann und unter Clemens beendet wurde: wahrscheinlich war von der alten Küche aus das Wasser leichter erreichbar gewesen. Bei Banketten hatte der Wassermeister im Festsaal anwesend zu sein, und besonders fur die nötigen Handwaschbecken zu sorgen6. Unter Clemens VI. und seinen Nachfolgern hat er auch das Meerwasser beschafft, in dem der Papst auf den Rat seiner Ärzte hin die Füße badete7 - man schrieb dem eine heilsame Wirkung zu. Unter Innozenz VI. hat der Wassermeister sogar spezielle Fässer zum Transport von Meerwasser eingekauft8. Schon im 13. Jahrhundert hatten die Päpste gerne Heilquellen und Orte aufgesucht, deren Wasser als besonders rein und gesund galt9; die Vorliebe fur Meerwasser scheint aber ein neues Phänomen zu sein.

1

„La, le chef de l'Eglise pouvait se delasser des soucis du pouvoir; sa pensee s'y reportait vers le printemps de sa vie, vers les plaisirs des grands seigneurs, ses contemporains, qui lui etaient maintenant interdits, vers les joies du plein air, la chasse, les courses dans les forets, incompatibles avec sa dignite" (zit. nach LABANDE, Palais 2, S. 22).

2

Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 398 f.

3

Vgl. Kap. ΠΙ,1. Erster Beleg SCHÄFER, VQ 3, S. 27 von 1335 Febr. 11. Erster Beleg SCHÄFER, V Q 3 , S. 3 6 3 von 1 3 4 7 Dez. 7. Der Übergang ist hier sehr deutlich, der Amtsinhaber, Helias de Nexovia, war vorher portator aque gewesen. GUILLEMAIN, Cour, S. 398, setzt den magister aque erst unter Gregor XI. an. Vgl. die Beschreibung bei DYKMANS, Ceremonial 3, S. 429 f (cap. VE). Man rechnete hier mit drei Hilfskräften, vorausgesetzt, Wasser war im Palast vorhanden. Im Falle das es aus größerer Entfernung beschafft werden mußte, ist der Einsatz von Lasttieren und zusätzlichem Personal vorgesehen. Unter Benedikt ΧΠ. hatte die Kammer einen Stall angemietet, in dem die Lasttiere des Wasserträgers untergebracht waren (SCHÄFER, VQ 3, S. 69 von 1337 März 3).

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SCHÄFER, V Q 3 , S. 2 5 8 v o n 1 3 4 3 N o v . 19.

8

IE 293 f. 144r von 1360 Apr. 30: Pro 12 barralibus, in quibus fuit posita aqua marina pro d. n. p. -108 sol. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 3, S. 732 von 1358 Aug. 31. Außerdem findet man immer wieder Hinweise, daß Boten zur Beschaffung von Meerwasser entsandt worden sind. Vgl. ζ. B. SCHÄFER, V Q 3, S. 8 1 0 v o n 1 3 6 2 A p r . 2 9 .

9

Vgl.

PARAVICINI BAGLIANI,

Körper,

S. 1 7 6

ff.

164

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Von ähnlicher Bedeutung wie der Wasserträger war der Holzträger (escobator domorum)·, er hatte das nötige Brenn- und Heizmaterial herbeizuschaffen1. Erstmals ist er unter Clemens VI. belegt2. Seine Aufgabe war es, Holzkohle und kleingehacktes Brennholz von den Lagerräumen in und bei der „Tour de Trouillas"3 sowohl zur Küche als auch zu den Öfen und Kohlenbecken zu schaffen. Zuweilen mußte er das eingekaufte Holz auch von entlegeneren Lagerstätten erst zum Palast schaffen lassen4. Bei größeren Festlichkeiten stellten sowohl Wasser- als auch Holzamt zusätzlich Tagelöhner für ihre Arbeiten an und rechneten für diese Ausgaben mit der Kammer ab Der Silberbewahrer Das Amt des Silberbewahrers (custos vaxelle) hat Clemens VI. gleich zu Beginn seines Pontifikats eingeführt6; dem Inhaber oblag die Sorge für und die Aufsicht über das kostbare - oft aus Silber und Gold hergestellte - Tafelgeschirr. Auch die nötigen Tücher zum Abwaschen und Abtrocknen hatte er zu beschaffen7. Daß so mancher Gast des Papstes es mit den zehn Geboten nicht allzu genau nahm, belegt die Vorschrift, daß nach dem Essen die Palasttore erst dann geöffiiet werden durften, wenn der Silberbewahrer dem Intendanten bestätigt hatte, daß alles Geschirr zurückgebracht worden war8. Der Saalmeister Vom Amt des Küchenmeisters9 sollte sich im Laufe der Zeit das des Saalmeisters (magister aule)10 abspalten. Zuerst unter Urban V. wird dem Johannes de Oyena, der als Küchenmeister in den Diensten dieses Papstes stand11, der neue Titel beigelegt1.

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8 9

Ζ. B. IE 220 f. 80v von 1343 Dez. 18: ...pro Johanni dicto Bruni escobatori domorum pro lignis portandispro usu totiorum hopiciorum.... Die Abrechnungen für Brennholz werden seither immer mehr und zuletzt ausschließlich unter den Abrechnungen des Holztägers im Titel pro cera et extraordinaria verbucht, nicht mehr - wie früher - unter pro coquina. ... turris trulhatii, ubi reponuntur ligna combustibiliapro usu palatii apostolici ... (EHRLE, Historia, S. 637 von 1346 Aug. 7). Ζ. B. IE 220 f. 82r von 1343 Dez. 22: ...Johanni Bruni...pro lignis portandis de domo, quam inhabitatHelias de Noxonio, usque adpalatiumpro usu aule et aliarum camerarum.... Ζ. B. IE 220 f. 87v von 1344 Apr. 22: ...pro salario illorum, qui portaverunt ligna de lignariis exterioribus usque ad palatium apostolicum. Erster Beleg SCHÄFER, VQ 3, S. 203 von 1342 Aug. 3. Ζ. B. IE 263 f. 157r von 1351 Aug. 3: Raymundi Textori, custodi vaccelle, pro 21 cordis tele gross, ad opus abluendum vaxellam argenteam...l8 lib. 18 sol. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 432 f. (cap. X,90). Vgl. dazu Kap. IV,2.

10

Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 394.

11

Vgl. Kap. IV,2.

Aufgaben, Personal und Standort der Hofämter

165

Dies sollte allerdings bis zum Ende des Untersuchungszeitraums die einzige Nennung bleiben. Immerhin verdeutlicht sie so einen weiteren Aufgabenbereich des Küchenmeisters. So wie Panatar und Kellermeister hatte er bei Banketten im Speisesaal anwesend zu sein, die Ordnung aufrecht zu erhalten und darauf zu achten, daß alle gut und angemessen versorgt wurden. Insbesondere war er - in Absprache mit dem Intendanten - für die korrekte Sitzordnung verantwortlich2. Möglicherweise hat die Kurie mit der Einrichtung dieses Amtes an die Tradition des Seneschalls angeknüpft. Im 12. und 13. Jahrhundert hatte es dieses Amt an der Kurie gegeben; zuletzt belegt ist es 1278. Der Inhaber dieses Amtes hatte ähnliche Aufgaben wie die hier beschriebenen gehabt3. Das Almosenamt Schließlich kommt noch ein weiteres Amt ins Spiel: die elemosina bzw. pinhota, das Almosenamt4. Insbesondere das Getreide für das Brot, das man bei Hofe verzehrt hat, ist aus den Getreidevorräten der Elemosina genommen worden. Die Panatare beauftragten dann örtliche Bäcker, das Getreide zu Brot zu verarbeiten. Darüber hinaus kaufte das Almosenamt große Mengen Getreide und Wein zur täglichen Verteilung an die Armen und zur Versorgung des Avignoneser Armenhauses5. Da auch hier analoge Abrechnungen stattfanden und in die Hauptbücher eingetragen wurden, bieten diese Ausgaben auch ergänzendes Material zur Versorgung des Hofes selbst. Der Intendant Bei der Erörterung des päpstlichen Rechnungswesens habe ich dargelegt, daß in dem Maße, wie der Kämmerer zum wichtigsten Berater des Papstes wurde, er seine eigentlich finanzpolitischen Kompetenzen immer mehr an die Thesaurare abgab6. Eine ganz ähnliche Entwicklung kann man bei der Verwaltung des päpstlichen Palastes feststellen. In voravignonesischer Zeit und zunächst auch in Avignon war der Kämmerer unmittelbarer Vorgesetzter der Hofamter und verantwortlich für die Ordnung im Palast gewesen. Im Pontifikat Clemens' VI. begann sich dies allmählich zu ändern. Unter ihm erscheint - wohl nach französischem Vorbild - das Amt des Intendanten (magister hospitii)7 neu in den Quellen; er beginnt allmählich den Kämmerer in der 1

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3 4

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SCHÄFER, V Q 6 , S. 2 6 von 1 3 6 2 Nov. 18: ...fuit receptus ad exercitium officii magistri aule palatii Apostolici... ... debet invitatosponere ad mensam secundum gradum et statum eorundem, habito consilio magistri hospitii, si personarum invitatarum qualitas hoc exigat. Zit. nach DYKMANS, Ceremonial, S. 436, cap. XIV, 113. Vgl. RUSCH, Behörden, S. 1 0 8 ff.; PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 72 f. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 409 ff.; auch PANSIER, Aumone, S. 43 ff., der vor allem die topographischen Fragen behandelt. Für das 13. Jahrhundert vgl. auch RUSCH, Behörden, S. 63 ff. V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 3 8 f f .

6

Vgl. Kap. Π,Ι.

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Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 359 f.

166

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Aufsicht über die Hofämter zu ersetzen. Ähnlich wie bei der Finanzverwaltung läßt sich auch hier beobachten, daß der Kämmerer seine Befugnisse keineswegs völlig aus der Hand gab, sich vielmehr die Oberaufsicht über den Intendanten vorbehielt1. Auch oblag dem Kämmerer noch unter Urban V. die Disziplinargewalt über die Höflinge2. Der entscheidende Schritt, daß nämlich die Inhaber der Hofamter ihre Abrechnungen erst dem Intendanten und dann erst der Kammer vorlegten3, ist wohl erst in nachschismatischer Zeit getan worden. Erster Intendant am päpstlichen Hof wurde Guillelmus de S. Amantio, kein Geistlicher, sondern ein Ritter {miles)·, er hatte also den höchsten laikalen Rang inne, den es an der Kurie überhaupt gab4. Er erhielt ein Tagegeld von 12 tur. gross. (= 1 fl.) und war damit gehaltsmäßig über den (ihm untergebenen) Küchenmeistern, Einkäufern, Panataren und Kellermeistern angesiedelt. Lediglich der Justizmarschall erhielt ein noch höheres Gehalt6. Guillelmus blieb während Clemens' gesamtem Pontifikat im Dienst7 Wie Guillemain dargelegt hat, wurde unter Clemens' Nachfolgern das Amt des Intendanten die Spitzenposition, welche für Leiter der Hofamter erreichbar war; sie krönte somit eine erfolgreiche Karriere im Dienste des Palastes. Für alle folgenden Intendanten der Avignoneser Epoche lassen sich solche Laufbahnen nachweisen . Daß der Intendant ursprünglich ein Adliger und Laie war, mag der Grund dafür sein, daß man von ihm keine Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen erwartete, und das, obwohl er die Abrechnungen der Hofamter überprüfen sollte. Für diesen Zweck war vorgesehen, daß ihm ein Kleriker mit den nötigen Kenntnissen zur Seite gestellt wurde9.

1

2 3

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Eine Beschreibung des Intendantenamtes findet sich in der Hofordnung von 1409 (ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 424 ff., cap. ΙΠ). Vergleicht man sie mit der gleichzeitig verfaßten Ordnung fiir die Kardinalshaushalte, erweist sich, daß dort noch dem Kämmerer die Aufsicht über das ganze Haus oblag (DYKMANS, Ceremonial 3, S. 446 ff., cap. Π,4-29). Offenbar ist die Entwicklung im päpstlichen Palast der in den Kardinalresidenzen vorausgeeilt. Vgl. die Konstitution Urbans V. von 1365 Mai 16. Ed. MOLLAT, Reglement, S. 167 ff. Dies sieht die Hofordnung ausdrücklich vor (DYKMANS, Ceremonial 3, S. 424, cap. 111,27 und 28); in der Buchführung der Vorschismazeit finde ich aber keine Anzeichen dafür. Ober die päpstlichen Ritter vgl. Kap. VI,3.

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SCHÄFER, V Q 3 , S. 2 0 2 v o n 1 3 4 2 A u g . 3.

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Vgl. Kap. Vm,2. Zuletzt belegt 1353 März 1-2 (SCHÄFER, VQ 3, S. 528). Er verfügte auch über ein eigenes Zimmer im Palast. Vgl. ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 82 von 1342 Dez. 23: ...expense facte pro camera domini G. de Sancto Amancio. Es befand sich in der „Tour de la Campagne" (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig), also in der Nordwestecke des Palastes (vgl. den Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44 n. 2, auch im Anhang).

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GUILLEMAIN, C o u r , S. 3 6 0 m i t A n m . 9.

9

Item quia magistri hospitii ut plurimum non fuerunt periti literarum, conveniens est quod ipse magister hospitii habeat unum clericum qui sciat legere, intelligere et cognoscere cedulas, de quibus supra mentio fit. Zit. nach DYKMANS, Ceremonial 3, S. 4 2 4 f. (cap. 111,29).

Aufgaben, Personal und Standort der Hofamter

167

Zusammenfassung von Kap. IV,2. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums ist mit jedem Pontifikatswechsel das gesamte Küchenpersonal ausgewechselt worden. Das ist nicht erstaunlich: der Dienst in der Küche wie auch in den anderen mit Lebensmitteln befaßten Hofämtern war ein Vertrauensposten - schon wegen der Gefahr von Giftanschlägen den ein Papst mit zuverlässigen und ihm ergebenen Personen besetzten wollte. Erst unter Innozenz VI. beobachtet man, daß er einzelne Amtsträger der Küche, insbesondere Köche und Küchenmeister, von seinem Vorgänger übernommen hat, ein Beispiel, das seine Nachfolger nachgeahmt haben. Offenbar zeichneten sich die Köche seit dem Pontifikat Clemens' VI. durch so hochentwickelte Fähigkeiten aus, daß sie nicht ohne weiteres zu ersetzen waren. Selbst unter den beiden letzten Avignoneser Päpsten, wo - wie angedeutet - nicht alle Köche immer durchgehend angestellt gewesen sind, ist man immer wieder auf einzelne, offenbar besonders fähige Köche zurückgekommen. Überhaupt ist auffällig, daß die Spitzenpositionen der Küche von Benedikt XII. an durchgängig mit Laien besetzt worden sind. Das gilt nicht nur für Küchenmeister und Köche, sondern auch für den Einkäufer; auch er ist von Benedikt an durchweg Laie. Lediglich das Amt des Küchenschreibers scheint durchgängig mit einem Kleriker besetzt gewesen zu sein. Hier unterscheidet sich die Küche von Brot- und Weinamt wie auch von den sonstigen Ämtern, wo ganz im Gegenteil eine zunehmende Klerikalisierung der Spitzenpositionen feststellbar ist. Der Grund fur diese Erscheinimg ist wohl darin zu suchen, daß der Dienst in der Küche spezifische Fachkenntnisse erforderte, welche ihn von der eher administrativen Arbeit unterschied, die von den anderen Hofämtern zu leisten war. Spitzenköche waren offenbar unter Laien eher als unter Klerikern zu finden. Was die Gehälter des Personals der Küche und der anderen untersuchten Hofamter betrifft, so läßt sich auf den ersten Blick eine erstaunliche Stabilität feststellen. Real ist in allen Gehaltsgruppen von Anfang bis Ende annähernd das gleiche Tagegeld gezahlt worden1. Dazu beigetragen hat sicher, daß die Gehaltstarife bereits unter Johannes XXII. im großen Tournosen festgelegt worden waren, eine Münze, die während des ganzen Untersuchungszeitraums einen konstanten Edelmetallgehalt aufwies und daher nur geringfügig gegenüber dem Floren schwankte. Trotz dieser Konstanz weisen die realiter gezahlten Gehälter nicht unerhebliche Unterschiede auf, je nachdem innerhalb welcher Gehaltsgruppe die jeweiligen Kräfte eingestuft und welche Arbeit sie dafür zu verrichten hatten. Besonders Benedikt XII. hat nicht nur das Personal der Küche, sondern auch die Entlohnung der verbleibenden Kräfte erheblich reduziert2. Für die ersten Jahre des Avignoneser Papsttums hat sich für die Hofämter eine weitgehende Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung aufzeigen lassen. Diese scheint eher notgedrungen - infolge der Enge des alten Palastes - eingetreten zu sein. Im Lau-

1 2

So auch schon SCHÄFER, VQ 2, S. 546 f. Nach einigen Stichproben bin ich überzeugt, daß auch in anderen Sparten der kurialen Bürokratie ähnliches feststellbar ist.

168

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

fe der Zeit ist dann offenbar eine weitgehende Aufspaltung zwischen den klerikalen und laikalen Angehörigen der päpstlichen Familie eingetreten: die klerikalen wohnten normalerweise innerhalb, die laikalen außerhalb des Palastes. Generell scheinen die mit der Lebensmittelversorgung befaßten Hofamter ihre Aufgabe zufriedenstellend erfüllt zu haben. Eine besondere Bedeutung innerhalb der kurialen Hierarchie haben sie indes nicht gewonnen. Weder haben die Amtsinhaber jedenfalls soweit sich das erkennen läßt - einen besonderen Einfluß auf die päpstlichen Entscheidungen ausgeübt, noch war ihr Amt Ausgangspunkt für außerordentliche Karrieren. Damit steht die Kurie in erheblichem Kontrast zu weltlichen Höfen. Insbesondere im Reich waren die Inhaber der vier „Erzämter" bekanntlich die vier angesehensten Reichsfürsten, die freilich ihre Ämter als Truchseß, Marschall, Mundschenk und Kämmerer nur bei besonders feierlichen Gelegenheiten ausübten1. Verglichen mit diesen eher archaischen Verhältnissen wirkt die Kurie recht modern. Einzig im Amt des Kämmerers scheint eine Parallele zu bestehen, indes konnte der kuriale camerarius seine bedeutende Stellung lediglich deshalb gewinnen, weil er sich bereits von der herkömmlichen Aufgabe eines Kämmerers - Aufseher des herrscherlichen Schlafgemachs zu sein - emanzipiert hatte.

1

Die reiche Literatur braucht hier nicht resümiert werden. Vgl. generell mit weiterer Literatur.

PARAVICINI,

Kultur, S. 67,

IV,3. Wen versorgten die Hofämter? Quellenkritisches Es bleibt die Frage zu erörtern, welcher Personenkreis in Avignon überhaupt von den Hofamtern - insbesondere von der Küche - versorgt worden ist1. Eine direkte Antwort auf diese Frage findet man weder in den Rechnungsbüchern noch in anderen Quellen, wir müssen daher versuchen, auf einem Umweg zu einer Antwort zu gelangen. Die Annahme Guillemains, die kleine Küche habe den Tisch des Papstes, die große die übrigen Palastbewohner versorgt2, scheint plausibel, bewiesen ist sie nicht. Der von ihm hergestellte Zusammenhang zwischen Unterbringung im Palast und Verpflegung durch die Küche führt immerhin zu der Frage, wer überhaupt von den Angehörigen der Kurie im Palast selbst untergebracht war3. Ihre Beantwortung ist auch darüber hinaus von eigenem Interesse; sie läßt uns Aufschlüsse über die innere Struktur der päpstlichen Familie erwarten. Zum Ausgangspunkt unserer Untersuchung diene die Beobachtung, daß bereits in der voravignonesischen Zeit Versorgung über die Hofamter keineswegs automatisch bedeutet hatte, daß der Betreffende sein Essen gekocht erhielt. Vielmehr hatte die Mehrzahl der Versorgungsberechtigten die Lebensmittel in rohem Zustand empfangen und dann selbst fur die Zubereitung sorgen müssen4. Daß der Kreis der von den Hofamtern Versorgten erheblich geschrumpft ist, kann man daran erkennen, daß der Anteil der vier Hofamter an den Gesamtausgaben der Kammer stark gesunken ist. Hatte dieser Anteil zu Beginn des 14. Jahrhunderts unter Bonifaz VIII. noch 60-65 % der Ausgaben ausgemacht5, ist er unter Johannes XXII. auf durchschnittlich unter 3 % gefallen6. Waren zu Beginn des Jahrhunderts noch diejenigen Personen, die gekochtes Essen erhielten, von denen unterschieden, die lediglich Lebensmitteldeputate empfingen, so können in Avignon die Deputatempfanger gleich wieder ausgeschlossen werden, da bereits Tagegelder an die Stelle der alten Naturalleistungen getreten sind. Sie bieten aber eine Hilfe, indirekt die Empfanger von zubereitetem Essen zu ermitteln. Da die Tagegelder die früheren Lebensmittellieferungen ersetzt haben, liegt die Folgerung nahe, daß diejenigen Angehörigen der Kurie, die kein Gehalt empfingen, weiterhin von der Kurie verpflegt worden sind. Auch ist aller Wahrscheinlichkeit nach derjenige Personenkreis, der von den Ämtern verpflegt worden ist, zumindest teilweise mit dem identisch, der entweder im päpstlichen Palast selbst wohnte oder dort zumindest seinen Arbeitsplatz hatte. Damit bieten sich die Gehaltslisten der Hauptbücher, in

1

Ich gehe hier nur auf die Personen ein, die täglich verpflegt worden sind; die vom Papst geladenen Gäste werden an anderer Stelle behandelt.

2

GUILLEMAIN, Cour, S. 393.

3

Vgl. dazu SCHIMMELPFENNIG, Funktion, S. 319 f. Vgl. Kap.m.1.

4 5

Vgl. BAETHGEN, Quellen, S. 128.

6

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 2 1 * ff. u n d SCHIMMELPFENNIG, V e r s o r g u n g , S. 7 7 6 f.

170

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

denen die Ausgaben der Kammer für die Tagegelder ihren Niederschlag gefunden haben, als Quelle an1. Vergleicht man zunächst die Angaben über das Personal der Kurie in der Hofordnung Clemens' V. mit den Gehaltslisten Johannes' XXII., gewahrt man, daß nur ein Teil der früher verpflegten Kurialen ein Gehalt erhalten hat2. Der naheliegende Schluß, alle anderen seien weiterhin direkt verpflegt worden, ist jedoch nicht zulässig, und zwar aus mehreren Gründen. Zunächst haben keineswegs alle Personen, die im Sold der Kurie standen, ihr Geld direkt von der Kammer erhalten. Vielmehr sind in den niederen Rängen die Beamten von ihren Vorgesetzten entlohnt worden, deren Gehalt dafür entsprechend höher angesetzt war3. Des weiteren konnte mit der dauernden Festsetzung des Hofes in Avignon eine Reihe von Ämtern wegfallen, die speziell für die Reisen der Päpste nötig gewesen waren; zu denken ist hier an die carratarii und die sellarif. Auf der anderen Seite kamen neue Ämter hinzu, die aus dem Doppelcharakter von Johannes' Stellung erwuchsen: er behielt das Bistum Avignon, und die nötigen Verwaltungskräfte erscheinen damit ebenfalls in den Kammerakten5. Außerdem hat sich die Terminologie in einigen Fällen geändert, so findet man an Stelle eines lector in theologia einen magister in theologia. Vor allem aber ist die Intention beider Quellen eine andere. In der Hofordnung geht es um die Beschreibung der Ämter und der Pflichten der Amtsinhaber, in den Gehaltslisten dagegen um das Anrecht auf eine bestimmte Besoldungshöhe. Beides deckt sich nur teilweise, da verschiedene Ämter gleich entlohnt werden konnten6. Es muß daher für die einzelnen Ämter erst ermittelt werden, welches Gehalt ihre Inhaber kassiert haben. Zudem ist zu berücksichtigen, ob es sich um Kleriker oder Laien handelte7. Daß - wie noch gezeigt werden wird - die Edelknappen und die clerici intrinseci Tagegelder erhielten, obwohl sie notwendigerweise ihre Aufgaben im Palast zu verrichten hatten, läßt zunächst an der Eingangsthese zweifeln, die Tagegelder hätten lediglich die Naturalleistungen ersetzen sollen. Hier ist aber zu bedenken, daß dieses Geld - ähnlich wie die früheren Naturalien - weniger zum Unterhalt des Empfängers 1

2

Die Kurialen empfingen diese Tagegelder nur solange, wie sie sich tatsächlich an der Kurie aufhielten. Wenn sie in päpstlichem Auftrage abwesend waren, trat eine gesondert berechnete und vereinbarte Entlohnung an ihre Stelle. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 545. Ich stütze mich hier auf einen Vergleich des Personals, das in der Hofordnung Clemens' V. (ed. FRUTAZ, Famiglia, S. 277 ff.) verzeichnet ist, mit dem Personal, das in den Gehaltslisten Clemens' V. (ed. GUILLEMAIN, Recettes, S. 18 ff.), und dem Personal, das in den Gehaltslisten Johannes' ΧΧΠ. (ed. SCHÄFER, VQ 2, S. 544 ff.) verzeichnet ist. Vgl. auch die Tabelle bei GUILLEMAIN, Cour, S. 496.

3

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 4 5 .

4

Soweit Reisen auch in der Folgezeit nötig waren, sind Fuhrleute und ähnliche Spezialisten lediglich auf Zeit für die Dauer der Reise angestellt worden. Die entsprechenden Ausgaben sind in den Hauptbüchern verbucht. Siehe unten. So erklären sich die zahlreichen Abweichungen in der Hofordnung und in den Gehaltslisten der Hauptbücher. Über die Bedeutung dieser Distinktion vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 486 ff.

5 6

7

Wen versorgten die Hofamter?

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selbst als vielmehr für dessen Personal bestimmt war. Gerade bei Klerikern, die nicht auf die Dienste einer Ehefrau zurückgreifen konnten, war die Anstellung von Dienstboten eine Notwendigkeit. Zudem verloren diese Gehälter im Verlaufe des Untersuchungszeitraums allmählich ihren ursprünglichen Zweck, nämlich Ersatz für die frühere Naturalverpflegung zu sein. Während anfangs die Zahlungen für Fasttage niedriger als für Fleischtage waren, ist von dieser Differenz bei den gleich zu erörternden neuen Gehaltsempfängern keine Rede mehr, sie erhalten für jeden Tag den gleichen Satz1. Bereits im zweiten Pontifikatsjahr Johannes' XXII. ist die Zahl der Gehaltsempfänger nicht unerheblich angestiegen, und in den Hauptbüchern wird seitdem eine Dreiteilung vorgenommen: Es gibt nunmehr die Zahlungen pro stipendiaries et familiaribus domini nostri, die größtenteils identisch sind mit den Gehaltsempfängern des ersten Jahres, dann folgt die Solutio facta presbiteris et clericis hospitii domini no-

stri (bzw. clericis intrinsecis), die hier neu auf der Lohnliste erscheinen. Die Panatare und Kellermeister gehörten - soweit sie Kleriker waren - zu dieser Gruppe. Die dritte Gruppe wird aus den Verwaltungskräften des Bistums Avignon gebildet2. Vor dem Einzug des Papstes in den Bischofspalast dürften sie ihren Amts- und möglicherweise auch Wohnsitz ebendort gehabt haben, wurden dann aber durch die Kurialen verdrängt3. Bedeutung der Mietzuschüsse In Anbetracht der Enge des alten Bischofspalastes lassen sich als weitere Quelle die Angaben der Hauptbücher über Mietzuschüsse heranziehen: die Kammer hatte eine Reihe von Häusern teils mieten, teils ankaufen müssen, um die Ämter und ihr Personal unterbringen zu können4. Zudem erhielten diejenigen Kurialen, die weder im Palast noch in den gemieteten Häusern untergebracht werden konnten, Zuschüsse, um die Miete für ein entsprechendes Privatquartier zahlen zu können5. Auch hier liegt der Rückschluß nahe, daß diejenigen, die keinen Mietzuschuß erhielten, im Palast wohnten. Die Zahlungen der Kammer sowohl für die Miete von Häusern in Avignon als auch für Mietzuschüsse an diverse Kuriale betrugen unter Johannes XXII. im Jahresdurchschnitt 575 fl.6. Unter seinem Nachfolger Benedikt sank diese Summe auf 418 fl.7; die 1 2

3 4 5

Vgl. die Gehaltslisten bei SCHÄFER, VQ 2, S. 562 ff. Vgl. die Listen bei SCHÄFER, VQ 2, S. 562 ff. Sie bilden eine Untergruppe unter der Überschrift Pro ojjicialibus episcopatus. Im einzelnen handelt es ich um den iudex episcopatus, den viguerius episcopatus, den clavarius Avin. und den notarius curie episcopatus. Sie zogen dann in ein von der Kurie gemietetes Haus. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 609 n. 16. SCHÄFER, VQ 2, S. 621 f. und passim. In den Hauptbüchern stehen diese unter dem Titel Pensiones hospitiorum familiarium pape. Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 603 ff; BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 4 7 ff.

6

SCHÄFER, V Q 2 , S. 3 3 * .

7

Errechnet aus SCHÄFER, VQ 3, S. 12. Es sei angemerkt, daß die Kammer über Mietzahlungen in zweijährigem Rhythmus abzurechnen pflegte. Infolgedessen folgen auf Jahre mit hohen Mietzah-

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Die Organisation der Lebensmittelversorgung

Ausgaben erreichten ihren Höhepunkt unter Clemens VI. mit 593 fl.1, um unter Innozenz auf den bis dahin niedrigsten Stand von 393 fl.2 abzusinken. Unter Urban V. und Gregor XI. ist der entsprechende Titel, pensiones hospitiorum, völlig entfallen. Der Grund dafür lag nicht darin, daß nun etwa alle Kurialen im Palast gewohnt hätten, vielmehr hat Urban V. - als Sparmaßnahme - die Mietzuschüsse völlig gestrichen3. Empfänger von Tagegeldern und von Mietzuschüssen Vergleicht man für den Pontifikat Johannes' XXII. die Empfänger von Tagegeldern mit den Empfängern von Mietzuschüssen, so ergibt sich, daß beide teilweise identisch sind . Daß die Empfanger von Mietzuschüssen sich selbst verpflegen mußten, beweisen indirekt auch die angemieteten Wohnungen: normalerweise weisen sie eine Küche auf5. Vom Küchenpersonal waren unter Johannes XXII. einer der Köche, Hugo6, und alle Unterköche außerhalb des Palastes einquartiert7; von der gesamten Küche wohnte offenbar nur ihr Oberhaupt, der Einkäufer (emptor coquine), im Palast. Auch die Panatare und Kellermeister waren keineswegs alle im Palast untergebracht8, sie arbeiteten dort zwar, wohnten aber teilweise außerhalb9. Die relativ geringe Bedeutung des Marstalls - des vierten Hofamts - zeigt sich darin, daß die Marschälle außerhalb des Palastes wohnten; durch die feste Residenz des Papstes hatte ihr Amt sichtlich an Bedeutung verloren10. Auch für den Marstall hatte die Kurie Gebäude für die Lagerung von Stroh und Pferdefutter gemietet11.

1 2 3

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5 6

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8 9

10

lungen solche mit niedrigen. Zur Errechnung der Durchschnittswerte wird jeweils eine gleiche Anzahl von Jahren mit hohen und mit niedrigen Zahlungen zugrunde gelegt. Errechnet aus SCHÄFER, VQ 3, S. 180. Errechnet aus SCHÄFER, VQ 3, S. 518. Der entsprechende Titel verschwindet aus den Hauptbüchern, ohne das die Kurialen eine Gehaltserhöhung erhalten hätten. Vgl. IE 53 f. 1-18v (Verzeichnis der in Avignon gemieteten Wohnungen) und f. 19r-25v (Verzeichnis der gemieteten Häuser), beide stark gekürzt ed. bei SCHÄFER, VQ 2, S. 606 ff. und ergänzend dazu GÖLLER, Pönitentiarie 1,2, S. 172 ff. n. 6 (Zahlungen der Kammer filr Quartiere der Pönitentiare nach IE 53 f. lr-2v). Vgl. beispielsweise SCHÄFER, VQ 2, S. 608 ff. IE 53 f. 7r. Als Koch zählte er zu den Edelknappen (scutiferi) und erhielten somit einen Mietzuschuß von monatlich 7,5 sol. tur. par. Die Edelknappen waren aber nur teilweise außerhalb des Palastes einquartiert: lediglich für 28 von ihnen wurde Mietzuschuß gezahlt (SCHÄFER, VQ 2, S. 607), ihre Anzahl belief sich aber auf insgesamt 68 (SCHÄFER, VQ 2, S. 551 f.). Die Unterköche (brodarii) erhielten einen monatlichen Mietzuschuß von 3 sol. tur. par. (SCHÄFER, VQ 2, S. 608). Das Quartier eines Unterkochs nach in IE 53 (6. Pontifikatsjahr) f. 17v:... in hospitio Giuilli de Figheria ... in quo tenuit unam cameram, coquinam et stabulumpro uno equo. Sie wurden ebenfalls unter die Edelknappen gerechnet. Das gemietete hospitium eines Panatars, Hugos de Engolisma, ist beschrieben bei SCHÄFER, VQ 2, S. 609. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 2, S. 616. Zudem lagen auch die Stallungen außerhalb des Palastes in eigens angemieteten Häusern. Vgl. SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 0 8 f.

11

IE 53 f. 19v (drei Häuser pro paleis).

Wen versorgten die Hofamter?

173

Unter Benedikt erhielten ausschließlich die Edelknappen, Waffenknechte, Kuriere und Unterköche1 - alles Laien - einen Mietzuschuß2. Verglichen mit seinem Vorgänger Johannes hat Benedikt offenbar eine Veränderung vorgenommen, indem er die laikalen Angehörigen der Kurie generell außerhalb, die Kleriker dagegen innerhalb des Palastes einquartierte. Der Zisterzienserpapst war - wie auch an anderer Stelle gezeigt wird3 - in besonderem Maße dem Ideal der vita communis verpflichtet. Clemens VI. 4 und seine Nachfolger haben diese Trennung beibehalten5; lediglich die magistri hostiarii erscheinen bei Clemens neu als Empfänger von Wohngeld. Wenig geändert hat sich unter Innozenz VI.: als Besonderheit sei vermerkt, daß er für seine Nepoten ein eigenes Gebäude hat mieten lassen6. Unter Urban V. sind dann - wie erwähnt - die Mietzuschüsse abgeschafft worden. Nach den Forschungen Hayez lassen sich aber abgesehen von dem Personal der Kammer - die Kubikulare (Kammerdiener), der Beichtvater, der Barbier, der Geheimelemosinar, ein Sekretär, der Kücheneinkäufer, der Kommandant der päpstlichen Artillerie und eine nicht genau bestimmbare Zahl von Edelknappen im Palast nachweisen7. Bei diesen scheint sich aber nur ein Teil beständig im Palast aufgehalten zu haben, ansonsten waren sie offenbar weiterhin außerhalb einquartiert. Hinzu dürfte noch eine Anzahl von Dienern und Famiiiaren gekommen sein, die in den Diensten der genannten Amtsinhaber gestanden haben. Unter Gregor XI. sind keine Veränderungen feststellbar. Das Personal der Hofämter Dieser grobe Befund läßt sich noch verfeinern. Betrachtet man zunächst diejenigen Personen, die selbst mit der Versorgung des Palastes betraut waren, ergibt sich, daß unter Johannes XXII. der Kücheneinkäufer durchweg Kleriker und in der Gruppe der vertrauten Kleriker (presbyteri et clerici intrinseci) eingestuft war. Unter Johannes' Nachfolgern war der Einkäufer dann durchgehend Laie und als Edelknappe eingestuft8. Ebenfalls Kleriker und dem Einkäufer gehaltsmäßig gleichgestellt war der Küchenschreiber (notarius coquine)·, er war in der gleichen Gruppe eingestuft9. Er ist das einzige Mitglied der Küche, das auch unter Johannes' Nachfolgern Kleriker bleiben sollte. Die Köche waren durchgehend Laien und als Edelknappen (scutiferi bzw. domicelliw) eingestuft11. Somit ist das Küchenpersonal - beginnend mit Benedikt XII. - generell außerhalb des Palastes untergebracht worden. Auch weiterhin aber brachte 1

Es sei daran erinnert, daß Benedikt lediglich brodarii (Unterköche) beschäftigt hat.

2

Vgl. SCHÄFER, V Q 3, S. 67 von 1337 März 3.

3

Vgl. Kap. VI,2.

4

V g l . SCHÄFER, V Q 3, S. 2 2 9 .

5

V g l . SCHÄFER, V Q 3, S. 5 3 6 ff.

6

SCHÄFER, VQ 3, S. 596 von 1355 Sept. 25.

7

Ich folge hier HAYEZ, Fonctionnaires ... d'Urbain V, S. 244. Vgl. Kap. IV,2.

8 9

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 6 3 .

10

Beide Termini werden synonym gebraucht. Vgl. aber SCHÄFER, VQ 6, S. VM Anm. 2.

11

SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 9 1 .

174

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

es ihre Tätigkeit mit sich, daß sie - auch wenn sie nicht im Palast wohnten -, doch ihre Arbeit in ihm verrichteten, sie dort also wohl zumindest teilweise verpflegt worden sind. Bei den Panataren gab es keine einheitliche Regelung, aber auch sie wurden als Laien unter die Edelknappen, als Kleriker unter die inneren Kleriker eingestuft. Man bemerkt allerdings, daß einige Panatare während ihrer Amtszeit in den geistlichen Stand eintraten1. Auch beim Weinamt findet man sowohl Laien wie auch Kleriker2, vielleicht mit dem Unterschied, daß der frucherius durchweg ein Laie war3. Unter Johannes' Nachfolgern sollte sich das ändern: die Panatare und Kellermeister waren seither durchweg Kleriker, gemäß der erwähnten Einteilung Benedikts XII. werden sie im Palast gewohnt haben. Das Tagegeld der Edelknappen betrug für Fleischtage 7 den. tur. gross. (0,55 fl.) und für Fasttage 6 den. tur. gross. (0,47 fl.)4. Dagegen war die Bezahlung der inneren Kleriker nicht einheitlich geregelt: am höchsten rangierten die Thesaurare; für vier Wochen kassierten sie 8 lib. tur. par. (= 11,034 fl.), d. h. täglich umgerechnet 0,394 fl.5, der Kücheneinkäufer wie auch der Küchennotar bekamen 4 fl. 2 sol. tur. par. für den gleichen Zeitraum, also täglich umgerechnet 0,147 fl. pro Tag. Daß die Kleriker weniger als die Laien bekamen, hängt damit zusammen, daß die Kleriker meist noch zusätzliche Einkünfte aus Pfründen bezogen. Auch mag man berücksichtigt haben, daß Kleriker normalerweise nicht für Frau und Kinder zu sorgen hatten. Generell sollten die Tagegelder während des gesamten Untersuchungszeitraums auf annähernd gleicher Höhe bleiben, lediglich die Münzsorte, in der sie ausgezahlt wurden, hat sich mitunter geändert6. Eine weitere Einnahmequelle, von der sowohl die Kleriker als auch die Laien bei Hofe profitierten, ist noch zu erwähnen: Beide erhielten einen Anteil an den kleinen Servitien. Nach dem üblichen Aufteilungsmodus ging die Hälfte der kleinen Servitien an das Kardinalkollegium, die andere Hälfte an die Kurie. Diese Hälfte war an die Offizialen und Famiiiaren der Kurie zu verteilen7. Davon stand die Hälfte des dritten Viertels den Angehörigen der päpstlichen familia parva zu, unter denen auch die Kö-

1

2

3 4

Dies gilt für Itherius de Guerra und für Hugo de Engolisma. Dieser hat es bis zum Bischof von Carpentras gebracht. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S . 124. Benedictus de Portu und Pontius de Rocilione waren Laien und unter den Edelknappen eingestuft (vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 199), ebenso Guillelmus de Puteo, Raimundus de Anteiaco und Jacobus Gomberti und Berrotus de Orto. Galhardus de Anteiaco, Raimundus de Carayguis, Guillelmus Coste, Petrus de Monteacuto, Raymund de Felenono, Guillelmus Barasci, Petras Belihominis und Gasbertus de Solhaco dagegen Kleriker. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 133. So schon SCHÄFER, VQ 2, S. 134. SCHÄFER, VQ 2, S. 551. Ich gehe hier vom Pontifikat Johannes' ΧΧΠ. aus.

5

SCHÄFER, V Q 2 , S . 5 6 3 .

6

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 546 ff.; ders., Lebensmittelpreise, S . 227 ff. Über die kleinen Servitien und ihre Aufteilung vgl. GÖLLER, VQ 1, S. 47* ff Die wichtigste Quelle ist der Modus dividendi quinque minuta servitia camere et collegii (edd. Haller, Aufzeichnungen, S. 284 ff.; FRUTAZ, Famiglia, S. 320 ff.). Er stammt freilich in der erhaltenen Fassung aus dem Pontifikat Clemens' V.; er läßt sich daher nicht ohne weiteres für die Folgezeit heranziehen.

7

Wen versorgten die Hofämter?

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che und Unterköche genannt werden. Leider wird nicht erwähnt, von welchem der vier Viertel die clerici intrinseci ihren Anteil erhielten. Da die Anzahl der Empfangsberechtigten für jedes der vier Viertel und auch ihr Anteil an diesem Viertel sehr unterschiedlich war, könnte ihr Anteil erheblich über dem der Köche gelegen haben. Unterbringung von Küche, Wein- und Brotamt Fragt man statt nach der Unterbringimg der Amtsinhaber nach der Unterbringung der Ämter selbst, ergibt sich der vielleicht etwas überraschende Befund, daß unter Johannes XXII. auch Küche und Weinamt teilweise außerhalb des Palastes untergebracht waren, bzw. untergebracht werden mußten. So hatte die Kurie gegen eine Miete von jährlich fünf fl. ein ganzes Haus, in dem Fleisch und Fisch gelagert wurden1, für die Bedürfiiisse der Küche gemietet. Ahnliches gilt für das Weinamt: es hatte für 15 sol. vien. monatlich ein Haus als Lagerraum gemietet, das als Zwischenlager für leere Weinfässer aus dem päpstlichen Keller diente2. Auch ein päpstlicher Weinkeller ist nachweisbar; er immerhin befand sich innerhalb des Palastes3. Gleich mehrere Häuser waren für das Almosenamt gemietet, neben Lagerräumen für Getreide beherbergten sie auch die Amtsräume selbst4. Während die Lebensmittel also teilweise außerhalb des Palastes gelagert werden mußten, befanden sich die Räumlichkeiten der Küche, also des Ortes, wo die Speisen zubereitet wurden, doch im Palast selbst5. Der beengte Zustand im alten Palast änderte sich erst unter Johannes' Nachfolgern, als mit dem Umbau auch neue Räumlichkeiten für Küche, Brot- und Weinamt geschaffen wurden6. Unter Johannes mußten dagegen - neben den genannten Gebäuden für die Ämter selbst - auch noch eigene Unterkünfte für die Amtsinhaber angemietet werden. Auch unter Johannes' Nachfolgern sind weiterhin Lagerräume für Lebensmittel von der Kammer angemietet worden, insbesondere Schuppen zur Einlagerung der Getreidevorräte des Almosenamtes7 und auch Ställe für die Tiere8. Eine allmähliche Entlastung trat dadurch ein, daß die Kurie im Laufe der Zeit zahlreiche Immobilien in Avignon kaufte, für deren Benutzung dann natürlich keine Miete mehr zu bezahlen war. Das Wein- und das Brotamt konnten seit Benedikt XII. im Nordostflügel des Palastes - unweit der Küche - einige Räume als Vorrats- und Lagerräume nutzen9. Dar1

Hospitium deputatum pro carnibus et piscibus coquine recipiendis, zit. nach SCHÄFER, VQ 2, S. 619.

2

SCHÄKER, V Q 2 , S. 6 1 9 .

3

Er taucht als cellarius domitii nostri oft in den Abrechnungen des Weinamtes auf. Vgl. SCHÄFER, VQ, 2, S. 134 ff. SCHÄFER, VQ 2, S. 619 und außerdem IE 53 f. 20r-v (drei Häuser in denen curia tenuit blada). Vgl. auch Kap. IV,2. Vgl. dazu SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 30 ff. Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 69 (Lagerhäuser für Getreide); S. 68 (Lagerhaus des Weinamtes für leere Fässer); sowie S. 538. Vgl. Kap. IV,2. Vgl. Kap. IV,2.

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über hinaus erhielten beide Ämter - ebenfalls unter Benedikt - weitere Räumlichkeiten in dem 1337-39 erbauten Südflügel, wo dann auch die Amtsinhaber ihr Quartier gehabt haben dürften. Im Keller dieses Flügels befand sich auch ein Weinkeller1, im Stockwerk über den Ämtern hat man päpstliche Vertraute oder hochgestellte Gäste untergebracht2. Dieses Raumkonzept dürfte kein Zufall sein: offenbar legte der Papst Wert auf gute und schnelle Versorgung der Bewohner dieses Flügels. Die Ritter und Edelknappen Schäfer hat die Edelknappen (scutiferi oder domicelli) als eine Art „Nobelgarde" fur den Papst angesehen3 und die Angehörigen dieser Gruppe als Adlige, deren Dienst darin bestanden hätte, den Papst bei Ausritten zu begleiten. In der Regel ist dies wohl korrekt, indes hat man in den Gehaltslisten mitunter auch Personen als Edelknappen eingestuft, die nicht adlig waren und auch andere Aufgaben hatten, die aber das gleiche Gehalt wie die Edelknappen bezogen. So hat man etwa - wie erwähnt - die päpstlichen Köche unter die Edelknappen eingereiht4. In den Gehaltslisten bezeichnet der Terminus scutiferi eher eine Gruppe von Laien, deren Angehörige die verschiedensten Funktionen im päpstlichen Dienst ausüben konnten5 und die lediglich eine einheitliche Livree6 und ein einheitliches Gehalt gemeinsam hatten. Von Clemens VI. an scheint zumindest ein Teil der Edelknappen in dem Papstturm, und zwar in dem früheren Zimmer des Kämmerers7, einquartiert worden zu sein8. Sie wohnten damit in unmittelbarer Nähe des Papstes. Über den Edelknappen rangierten die Ritter (milites9), ja einzelne Edelknappen werden geradezu einzelnen dieser Ritter als Gefolge zugeordnet10. Insbesondere unter Johannes XXII. spielten die Ritter eine wichtige Rolle bei Hofe11. Sie waren in der Tat Adlige, welche als Laien im Dienste des Papstes standen. Man hat sie offenbar für exekutive Aufgaben eingesetzt, für die sich Kleriker nicht eigneten12. Die Ritter, welche in den Soldlisten erwähnt werden, waren ihrerseits wieder Vorgesetzte einer grö-

1

Vgl. COLOMBE, Recherches 16, S. 379 ff.

2

Vgl. Kap. VI, 1. So etwa SCHÄFER, VQ 2, S. 551 Anm. 2; ähnlich GUILLEMAIN, Cour, S. 421 ff. Vgl. Kap. IV,2. Man findet sie auch als Einkäufer ftlr die Hofämter.

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 9 8 f f .

7

Siehe unten.

8

Vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 106.

9

Aufgelistet bei SCHÄFER, VQ 2, S. 198; zu ihnen vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 421, der ihre Bedeutung unterschätzt. Insbesondere ist ihm entgangen, daß diese Ritter jeweils Vorsteher einer größeren Gruppe von Rittern waren. Vgl. dazu Kap. VI,3. Über das päpstliche Rittertum vgl. BÖNINGER, Ritterwürde, S. 124 ff.

10

SCHÄFER, V Q 2 , S . 1 9 8 FF.

11

Vgl. Kap. VI,3. Es waren dies das Amt des Justizmarschalls und das der magistri hostiarii, der Kommandanten der Torwachen. Vgl. über sie GUILLEMAIN, Cour, S. 418 f.

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ßeren Zahl (bis zu einem Dutzend) weiterer Ritter. Man hat sie - ebenso wie andere, noch zu besprechende Personen - in eigens gemieteten Häusern untergebracht, wo sie teils mit ihren Familien, teils in größeren Wohngemeinschaften zusammenlebten1. Die vertrauten Kleriker Die vertrauten Kleriker {clerici intrinseci) tauchen in den Hauptbüchern erstmalig im zweiten Pontifikatsjahr Johannes' ΧΧΠ. als Gehaltsempfänger auf, haben also zunächst anscheinend noch keines erhalten. Ihr Gehalt wird anfangs unter der Überschrift pro presbiteris et clericis servientibus in hospitio domini2 bezeichnet, es handelt sich also um Kleriker, die ausdrücklich zum Haushalt des Papstes gezählt werden. Zunächst bestand diese Gruppe aus den beiden Thesauraren, den Kammerherren (cambrerii), zwei Leibärzten (phisici), dem Bauverwalter (operarius), dem Kücheneinkäufer und dem Küchennotar, insgesamt 14 Personen. Von dieser war einer der Leibärzte, Gaufridus Isnardi, auch als Einkäufer vor allem von Spezereien, Medizin, aber auch von Kleidungsstücken und Möbeln für den Papst tätig3. Zu ihnen sollten später noch weitere Amtsträger, darunter die Kellermeister und Panatare hinzukommen4, allerdings erst, nachdem man sie nicht mehr aus den Laien, sondern den Klerikern rekrutierte. Das Personal der Finanzverwaltung Nach dem Gesagten wird nicht überraschen, daß der Kämmerer nicht auf der Lohnliste stand, also kein Gehalt bezog. Als engster Vertrauensmann des Papstes mußte er sich in unmittelbarer Nähe seines Herrn aufhalten. Wo er einquartiert war, darüber liegen unter Johannes XXII. widersprüchliche Nachrichten vor: Colombe lokalisiert sein Zimmer im Gebäude des alten Almosenamtes5; nach anderen Belegen lag es in der ehemaligen Sakristei6. Möglicherweise verfugte er ja über zwei Räume oder ist

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IE 53 f. 21r-24v, auszugsweise ed. bei SCHÄFER, VQ 2, S. 610 f. Beispielsweise ergibt sich etwa aus der Zahlung von 1323 Mai 23 für Bertrandus de Cardalhaco, daß ihm neun weitere Ritter unterstanden, welche in seinem Haus wohnten. Bei den Einträgen in SCHÄFER, VQ 2, S. 611, hat der Editor die Namen der Ritter weggelassen. SCHÄFER, VQ 2, S. 563. Der Terminus clerici intrinseci taucht nach SCHÄFER, VQ 2, S. 563 Anm. 5 erstmals in der fünften Gehaltszahlung des dritten Pontifikatsjahres vom 16. Dez. 1318 auf. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 381 ff. Über Gaufridus vgl. auch SCHIMMELPFENNIG, Organisation, S. 89 f.

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Vgl. die Zusammenstellung bei SCHÄFER, V Q 2, S. 884 f.

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Pro facturis trium fenestrarum de fusta intelatarum ad cameram domini camerarii in ospicio elemosine... heißt es zu 1320 März 2 (COLOMBE, Nouvelles recherches ΧΠ, S. 7 Anm. 12 nach ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 28). Das alte Almosenamt lokalisiert Colombe gegenüber dem Westfltlgel des Bischofshauses. Vgl. seinen Grundriß zwischen S. 10 und 11. Erstmals belegt in dem Notariatsinstrument von 1319 Mai 13 (ed. DUHAMEL, Origines, S. 239 n. 13): in domo veteris sacristiae episcopalis, ähnlich in dem Instrument von 1319 Mai 30 (ed. DUHAMEL, Origines, S. 240 n. 14); vgl. auch ALBE, Annales 9, S. 224 nach Reg. Aven. 85 f. 465: Hospitium sacristiae, ubi tenebat tinellum suum.

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von 1319 auf 1320 einmal umgezogen. Später - unter Benedikt XII. - bezog er ein Zimmer im Papstturm (turns pape), genau unterhalb des Schlafzimmers des Papstes. Beide Räume waren durch eine Treppe verbunden1. Gerade am Kämmereramt ist deutlich sichtbar, daß die heute übliche und bei den Hofamtern bereits aufgezeigte Unterscheidung von Privat- und Diensträumen in Avignon keineswegs beabsichtigt war. So läßt sich mehrfach belegen, daß der Kämmerer seine Dienstgeschäfte, genauer: finanzielle Transaktionen, in Anwesenheit von öffentlichen Notaren in seinem Wohnzimmer abgewickelt hat2. Auch die Thesaurare erhielten keine Wohngelder und ursprünglich auch keine Tagegelder3; da der Schatz im Palast aufbewahrt wurde, mußten auch sie dort wohnen. Wo genau sie ihre Räume hatten, läßt sich nicht sagen, immerhin erfahrt man, daß ihr Zimmer mit einem Ofen ausgestattet worden ist4. Die Kammerkleriker5 - ihre Zahl schwankt unter Johannes zwischen zwei und drei erhielten Tagegelder, immerhin die vierthöchsten überhaupt6; sie rangierten knapp nach den Marschällen (magistri marescalle), also den Inhabern eines Hofamtes . Offenbar wohnten die Kammerkleriker im Palast, jedenfalls lassen sie sich nicht als Empfanger von Mietzuschüssen nachweisen. Die Spitzen der Finanzverwaltung - also Kämmerer, Thesaurar und Kammerkleriker - wohnten und arbeiteten demnach im Palast, gleiches dürfte für ihre Untergebenen gegolten haben. In dem Gebäudekomplex, der in den Quellen etwas undifferenziert als palatium episc. Auin. bezeichnet wird, hatte die Finanzverwaltung unter

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Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 32. Vgl. etwa die Datierung in dem Notariatsinstrument von 1320 Juni 13 (ed. BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 291 n. 2): Acta fuerunt hec Avinione in palacio papali, videlicet in camera habitacionis dicti domini camerarii....', ähnlich in dem Instrument bei DUHAMEL, Origines, S. 241 n. 15, das folgendermaßen datiert: Acta sunt haec Avinioni, infra Papale Palatium in camera habitationis dicti domini vicarii (i. e. Gasbertus de Valle, Kämmerer und Vikar des Papstes als Bischof von Avignon). Einige weitere Belege: ALBANES, GCN 7, S. 307 n. 965 von 1317 Dez. 30 in domo seu palatio papali in camera thesaurarie (also wieder das Zimmer des Gasbertus de Valle, damals noch nicht Kämmerer, sondern erst Thesaurar). Auch in späterer Zeit sind finanzielle Transaktionen nicht selten in den Räumen von Kämmerer oder Thesaurar abgewickelt worden. Vgl. etwa das Notariatsinstrument bei ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 97 f. von 1345 März 22. Zahlungen fur die Thesaurare sind erstmals im zweiten Pontifikatsjahr belegt (SCHÄFER, VQ 2, S. 563). ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 9 von 1317 Okt. 16. KERSCHER, Architektur, S. 62 mit Anm. 95, ist der Ansicht, unter Benedikt XU. sei für die Thesaurare ein eigenes Haus gekauft worden. Der angeführte Beleg aber (SCHÄFER, VQ 3, S. 52 f. von 1336 Jan. 25) redet nur von einem Ankauf durch die Thesaurare, und zwar ...pro palatio Apost. Auin. ampliando... Offenbar sollte das Haus also abgerissen werden, um Raum für den Ausbau des Palastes zu schaffen. Über diese vgl. BAIX, Notes, der aber die wichtigen Ausführungen von SCHRÖDER, Protokollbücher, S. 137 ff., über die Kammerkleriker Benedikts ΧΠ. und Clemens' VI. übersehen hat. SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 5 0 . Sie erhielten für Fleischtage 9, für Fasttage 7 tur. gross. (= 0 , 6 9 und 0 , 5 3 fl.). Geht hervor aus den Gehaltslisten bei SCHÄFER, VQ 2, S. 548 ff.

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Johannes XXII. einen eigenen Trakt inne (domus thesaurarief, der neben dem consistorium, also dem Gebäudeteil, wo die Konsistorien stattfanden2, lag und von diesem durch einen Garten getrennt war 3 . Daneben hatte der Thesaurar noch ein eigenes Zimmer (camera thesaurarie); wir wissen davon, weil man dort eine Latrine einbauen ließ4. Unter Johannes ist dieser Raum im ehemaligen Almosenamt nachweisbar5. Unter Clemens VI. - nach Beendigung der großen Umbauten - haben dann Kämmerer und Thesaurar 6 in den Jahren 1349-50 jeweils ein eigenes Appartement im neugebauten Westflügel des Palastes bezogen7. Zumindest der Kämmerer verfugte dort auch über eine eigene Küche8; auch ein eigener Weinkeller ist belegt9. Vingtain vermutet, sein Wohn- und sein Arbeitszimmer seien dort durch eine Trennwand geschieden gewesen, betont aber ebenfalls, daß die Trennung von Wohn- und Arbeitsbereich keineswegs streng durchgeführt war10. Es ist bereits angeklungen, daß der Kämmerer auch über eigene Famiiiaren verfügte, ebenso dürften hier auch Kammerkleriker und sonstigen Kammerbeamten ihren Wohn- und Arbeitsbereich gehabt haben. Obwohl der Kämmerer seit Clemens VI. über eine eigene Wohnung verfügte, hat er in der Regel außerdem noch über ein Zimmer in unmittelbarer Nähe des Papstes verfügt. Zumindest unter Urban V. ist das belegt11. Auch der Thesaurar hat in seinem neuen Appartement eine eigene Küche gehabt12; nach einer Vermutung von Lentsch befand sie sich im nordwestlichen Eckturm des neuen Flügels1.

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Erstmals belegt in einem Notariatsinstrumenten von 1318 Juli 10 (ed. DUHAMEL, Origines, S. 238 n. 5), ebenso in zwei weiteren Instrumenten von 1318 Juli 25 (ed. DUHAMEL, Origines, S. 238 n. 11 und S. 239 n. 12). Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 26 ff. Auf S. 44 auch ein Plan des alten Palastes vor den Umbauten Benedikts ΧΠ. und Clemens' VI. Das Thesaurariatsgebäude ist dort eingezeichnet.

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SCHÄFER, V Q 2, S. 292 von 1323 Juli 14.

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pro factura latrinam camere thesaurarie, SCHÄFER, VQ 2, S. 292 von 1323 Juni 24. pro fusta trium fenestrarum camere gipi thesaurarie in ospicio elemosine zu 1320 Juli 13 (COLOMBE, Nouvelles recherches 12, S. 7 Anm. 13 nach ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 30). COLOMBE, Nouvelles recherches 12, S. 8 weist mit Recht daraufhin, daß keineswegs sicher ist, ob es sich dabei um Amts- oder Wohnräume gehandelt habe. Seit 1342 gab es nur noch einen einzigen Thesaurar. Über die Lage ihrer Räume vgl. ANDRE-MICHEL 2, S. 16 von 1360 Jan. 22. Demnach lagen ihre Zimmer supra carreriam de Champellis. Diese Straße ist lokalisiert bei PANSIER, Dictionnaire, S. 56 f. Generell vgl. LENTSCH, Localisation, S. 300 ff.; VINGTAIN, Avignon, S. 232 ff. Vgl. COLOMBE, Nouvelles recherches 25, S. 40 f. und S. 44. COLOMBE, Nouvelles recherches 25, S. 43.

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Vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 2 3 8 f.

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Siehe unten. Dies hat bereits COLOMBE, Nouvelles recherches 25, S. 40 ff., vermutet. Der Beleg, den er anfuhrt, stammt aber aus dem Jahre 1369, aus einer Zeit also, als Urban V. bereits nach Rom zurückgekehrt war. Während dieser Zeit sind offenbar manche Räume anders als ursprünglich vorgesehen genutzt worden. Indes konnte LENTSCH, Localisation, S. 301 Anm. 28, die Küche des Thesaurars bereits im Jahre 1361 nachweisen.

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Welche Behörden hatten ihren Sitz im Palast? 2 Manifestiert sich somit die herausgehobene Stellung der Kammer auch und gerade durch ihre räumliche Nähe zum Papst, verrät sich die geringere Bedeutung anderer Behörden durch ihre Herrscherferne. So ist die vergleichsweise geringe Bedeutung der Kanzlei daran ersichtlich, daß der Vizekanzler und die Bullatoren auf der Lohnliste stehen, sie ihre Verpflegung also nicht aus der Palastküche empfingen. Aus späteren Quellen ist zudem bekannt, daß sie nicht im Palast wohnten3. Das Extrem zeigen die zahlreichen Kanzleischreiber. Weder wohnten sie im Palast, noch erhielten sie Tagegelder und Mietzuschuß, ihre ganze Entlohnung bestand aus den für ihre Arbeit anfallenden Gebühren. In den Hauptbüchern aktenkundig wurden sie lediglich dadurch, daß sie jeweils am Krönungstage des Papstes ein Huhn erhielten4. Ebenfalls hinter der Kammer zurück stand die Poenitentiarie5. Sie hatte die Besonderheit, daß ihre Leitung einem Kardinal zustand, dem „Groß-" oder „Kardinalpoenitentiar"6. Daher hatte die Poenitentiarie ihre Zentrale im Palais des jeweiligen Kardinals. Ihm oblag es auch, für die Unterbringung des Personals zu sorgen, das sich teilweise aus seinen Famiiiaren rekrutierte7. Wieder ein anderes Bild bieten die päpstlichen Gerichtshöfe, die Audientien8. Es war eine der ersten Maßnahmen Johannes' XXII. an den Palast eine neue Halle - eben eine Audientia - anbauen zu lassen9. Auch im Rahmen der Umbauten sind unter Clemens VI. gleich zwei neue Räume - der eine für die audientia causarum, der andere für die audientia litterarum contradictarum - errichtet worden10. Das Personal der

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LENTSCH, Localisation, S. 3 0 1 . Dagegen hält VINGTAIN, Avignon, S. 2 4 1 , den Turm lediglich FILR einen Wachturm. Heute noch sichtbar ist ein großer Kamin an der Nordseite des Flügels; ob er zum Kochen oder nur zum Heizen genutzt wurde, muß offenbleiben. Mit dem Terminus „Behörde" werden diejenigen Ämter benannt, die - im Unterschied zu den Hofamtern - nicht zur Versorgung des päpstlichen Haushalts beitrugen, sondern welche die eher herrscherlichen, karitativen und kirchenpolitischen Aufgaben des Papstes zu bearbeiten hatten. Über die Bullatoren vgl. BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 78 ff. und passim. Ihr Haus in Avignon ist beschrieben in SCHÄFER, VQ 2, S. 608. Zur Kanzlei vgl. SCHWARZ, Organisation, S. 162 ff. Über die Kanzleischreiber vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 5 6 3 mit Anm. 2; GUILLEMAIN, Cour, S. 322 ff.; SCHWARZ, Organisation, passim. Vgl. GÖLLER, Pönitentiarie 1-2, passim; GUILLEMAIN, Cour, S. 332 ff.; zusammenfassend TAMBURINI, Penitenzieria. Eine Liste bei TAMBURINI, Penitenzieria, S. 254. Über die Unterbringung der Poenitentiarie vgl. TAMBURINI, Penitenzieria, S. 2 6 3 f. Vgl. MOLLAT, Contribution, S. 8 7 7 ff.; GUILLEMAIN, Cour, S . 3 4 5 ff; HERDE, Audientia 1, passim. Vgl. auch die diversen päpstlichen Konstitutionen, welche die Kompetenzen der Gerichtshöfe regelten, bei TANGL, Kanzleiordnungen, S. 8 3 ff, 1 1 8 ff. und 1 2 8 ff. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 2 6 ff.; VINGTAIN, Avignon, S. 7 9 f. Vgl. LENTSCH, Localisation, S. 302 ff.; VINGTAIN, Avignon, S. 198 ff. und S. 377 ff. In dem Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 45 n. 4 (auch im Anhang).

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päpstlichen Gerichtshöfe bestand aus hochqualifizierten Juristen1 (um solche handelte es sich - mit Ausnahme Benedikts XII. - auch bei den Avignoneser Päpsten selbst); diese „Auditoren"2 tauchen in der Hofordnung und in den Rechnungsbüchern freilich nur versteckt auf, da sie zugleich päpstliche Kapläne waren und als solche in den Büchern gefuhrt werden3. Als capellani commensales scheinen sie zu Beginn des Untersuchungszeitraums im Palast selbst gewohnt zu haben; im Laufe des Untersuchungszeitraums aber wuchsen sie als ein eigenes Kollegium aus dem Kreis der Kapläne heraus. Innozenz VI. hat dann offenbar versucht, sie in einem eigenen Haus einzuquartieren4. Die Auditoren verfügten für die nötigen Schreibarbeiten wieder über eine größere Anzahl von Notaren5; über deren Unterbringung ist jedoch nichts bekannt. Von Anfang an außerhalb des Palastes untergebracht war das Almosenamt, und zwar nicht nur das Personal, sondern auch die beiden Elemosinare6. Hier hat Clemens VI. eine charakteristische Veränderung eingeführt. Neben dem alten Almosenamt hat er eine elemosina secreta unter einem eigenen Geheimelemosinar eingerichtet, der im Palast seinen Sitz hatte, und dessen Ausgaben getrennt von denen des Almosenamtes abgerechnet worden sind. Die Aufteilung ihrer Kompetenzen ist nicht ohne Interesse. Während das alte Almosenamt weiter für die alltäglichen Lebensmittel-, Sach- und Geldspenden für die Armen zuständig war, also seinen eher „behördlichen" Charakter beibehielt, hatte der Geheimelemosinar die eher persönliche Großzügigkeit und Mildtätigkeit des Papstes wahrzunehmen, etwa das Ausstreuen von Geld bei päpstlichen Ausritten, Assistenz bei zeremoniellen Aufgaben und ähnliches mehr7. Demnach war es allein die Kammer, die von den großen kurialen Behörden während des gesamten Untersuchungszeitraums in den Palast integriert blieb8. Ebenso blieb die außerordentliche Stellung des Kämmerers in seiner Doppelfunktion als Vorsteher sowohl des päpstlichen Haushalts und der Hofämter als auch des wichtigsten kurialen Amtes erhalten.

Wen versorgte die päpstliche Küche? Die eingangs gestellte Frage, wer von der Küche verpflegt worden ist, kann nach dem Gesagten nur annähernd beantwortet werden. Den Kreis der so Begünstigten muß man sich zu Beginn der Avignoneser Epoche als recht klein vorstellen, was weniger daran liegt, daß erne besondere Exklusivität aufrecht erhalten werden sollte, als viel-

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Vgl. auch VERGER, Etude, S. 64 ff. Ihre Anzahl berechnet GUILLEMAIN, Cour, S. 336, mit 11-13 Personen. So bereits SCHIMMELPFENNIG, Funktion, S. 320.

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So GUILLEMAIN, Cour, S. 347 f.

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Ihre Anzahl berechnet GUILLEMAIN, Cour, S. 336, mit 55-65 Personen. Über ihr Quartier vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 609 von 1323 Juli 13.

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Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Organisation, S. 95 f.

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Dies betont auch SCHIMMELPFENMG, Funktion, S. 320.

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Die Organisation der Lebensmittelversorgung

mehr daran, daß die im Avignoneser Palast vorgefundenen Einrichtungen eben nicht für die Versorgung einer so großen Menschenmenge, wie sie die Kurie mit sich brachte, vorgesehen waren. Erst die Neubauten von Johannes' Nachfolgern sollten hier Abhilfe schaffen. Abgesehen vom Papst selbst, konnten für den Pontifikat Johannes' XXII. die Spitzen der Finanzverwaltung, die Leiter von Küche, Brot- und Weinamt, die inneren Kleriker1 und ein Teil der Edelknappen namhaft gemacht werden. Hinzu dürften die Kleriker kommen, die dem Papst bei seinen liturgischen Aufgaben beistanden, also die Kleriker der Kapelle2, die bezeichnenderweise den Titel capellani commensales führten3. Nur wenig wissen wir über die persönlichen Diener des Papstes, die Kubikulare4. Während sie unter Johannes noch Kammerdiener im engeren Sinne waren, stieg ihr Einfluß - in erster Linie wegen ihrer außerordentlichen Papstnähe - während des Untersuchungszeitraums erheblich an5. Ihre Anzahl betrug unter Johannes fünf bis sieben Personen, unter seinen Nachfolgern sollte sie sich nicht wesentlich ändern6. Schließlich sind noch die päpstlichen WafFenknechte (servientes armorum) zu erwähnen. Johannes hatte anfangs 25 im Dienst7; ihre Zahl stieg im Laufe des Pontifikats allmählich auf 32 an8. Sie waren in drei Räumen untergebracht, die nachts durch Öllampen beleuchtet waren9. Addiert man dies alles, gelangt man für den Pontifikat Johannes' XXII. auf rund 100 Menschen10, die berechtigt waren, ihr Essen regelmäßig von der Küche zu empfangen. Weiterhin dürfte es eine Anzahl Personen gegeben haben, die nicht ihres Amtes, aber des Vertrauens wegen, das sie beim Papst genossen, Unterkunft und Verpflegung im Palast erhielten Selbst die Versorgung dieser 100 Personen aber wäre mit dem sehr begrenzten Personal der Küche - ganze sechs Köche - kaum zu bewältigen gewesen12. Hier ist zu bedenken, daß sich keineswegs all diese 100 Personen ständig an der Kurie aufhielten: die Hauptbücher enthalten zahlreiche Hinweise, daß

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Also die zweite der im vorigen Absatz genannten Gruppen. Ihre domus, die wohl zum Palast gehörte, ist beschrieben bei SCHÄFER, VQ 2, Zur weiteren Entwicklung des Kaplanskollegiums vgl. Kap. VI,2. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 373 ff. Siehe unten. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 374.

S.

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 5 2 m i t A n m . 2 .

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 0 1 .

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Über die servientes armorum vgl. BAUMGARTEN, Miscellanea Cameralia I, S. 171 ff. Über die Abgrenzung der Rechte und Pflichten der Waffenknechte, Pförtner und Kuriere vgl. die Konstitution Urbans V. von 1365 Mai 16, ed. MOLLAT, Reglement, S. 167 ff. Ein Papst, ein Kämmerer, 3 Kammerkleriker, 14 clerici intrinseci, 40 scutiferi, 25 servientes armorum, 17 capellani commensales, 6 cubicularii ergeben insgesamt 107 Personen. Siehe unten. Zum Vergleich: Während der ersten Präsidentschaft Chirac hatte die Küche des Elysee täglich 180 Mahlzeiten (zwei pro Person) zuzubereiten, und zwar mit einer Personalausstattung von 10 Köchen, denen eine größere Zahl von Hilfskräften zur Seite stand. Vgl. NORMAND, Republique, S. 257 und 259.

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Wen versorgten die Hofamter?

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viele dieser Amtsträger nicht selten im Auftrage des Papstes unterwegs waren1. Aber selbst wenn sie in Avignon waren und sich im Palast aufhielten, ist noch keineswegs sicher, daß sie dort tatsächlich von der päpstlichen Küche verpflegt worden sind, da wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird - Verpflegung im Palast nicht notwendigerweise bedeutet, daß diese Verpflegung von den päpstlichen Küchen verabreicht worden ist. Unter Johannes' Nachfolgern, insbesondere seit Clemens VI., dürfte die genannte Zahl angestiegen sein, ohne daß sich dieser Anstieg genauer quantifizieren läßt. Dazu beigetragen hat vor allem der Ausbau des Palastes, womit mehr Wohnraum verfügbar wurde. Erkennbar ist dieser Zuwachs auch an dem mit Clemens VI. beginnenden Anstieg der Ausgaben für Lebensmittel2 und dem bereits unter Benedikt ΧΠ. einsetzenden Ausbau der Palastküche. Allerdings sollte man diese Trend nicht überbewerten. Ihm entgegen stand die Tendenz, die Personalstärke des Hofes nicht weiter anwachsen zu lassen3 - die Zahl der Köche ist nur geringfügig vermehrt worden -, und vor allem die bereits eingebürgerte Gewohnheit der Kurialen, sich selbständig zu Tischgemeinschaften zusammenzuschließen4. Abgesonderte Haushalte im päpstlichen Palast 5 Bereits für die voravignonesische Zeit hatte gezeigt werden können, daß einzelne Offiziale der Kurie - insbesondere der Kämmerer - eine so große Bedeutung gewonnen hatten, daß sie über eigene Famiiiaren verfügten; oft ist gar nicht sicher, ob ein bestimmter Familiar zur Familie des Papstes oder des Kämmerers gehört hat. In Avignon haben wir dann den merkwürdigen Fall, daß der Kämmerer und der Thesaurar zwar im päpstlichen Palast wohnten, dort aber mit ihrer Famiiiaren jeweils ein eigenes Appartement mit eigener Küche innehatten, sie also in der Regel ihr Essen gerade nicht von der päpstlichen, vielmehr von ihrer eigenen Küche erhalten haben. Ähnliches hat noch für weitere Personen gegolten, die ebenfalls separate Haushalte im Palast innehatten. Dabei handelt es sich um Personen, die das besondere Vertrauen des Papstes genossen; er legte so großen Wert auf ihren Rat, daß er sie - jedenfalls zeitweise - im gleichen Gebäude wie er selbst wohnen ließ. Es waren zumeist hohe geistliche Würdenträger, die aber ihre Ämter in erster Linie infolge des päpstlichen Vertrauens oder infolge ihrer Verwandtschaft mit dem Papst erlangt hatten. Unter Johannes XXII. hatte der „Kardinalnepot" (cardinalis nepos domini nostri) diese Stellung inne; er bewohnte einen eigenen Flügel im Palast, die ehemalige prepositu-

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V g l . SCHAFER, V Q 2 , S. 3 3 * .

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Vgl. Kap. V. Vgl. Kap. V. Vgl. Kap. VI,2. Vgl. das Kapitel bei GUILLEMAIN, Cour, S. 149 ff., über „Les families pontificates", der auf den hier behandelten Aspekt aber nicht eingeht. Ich beabsichtige nicht, alle (nachweisbaren) Bewohner des Palastes aufzuzählen, sondern lediglich diejenigen, welche - soweit erkennbar - einen selbständigen Haushalt innehatten. Die Abgrenzung ist allerdings nicht ohne Wilkür möglich.

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ra\ Die erste Person, welcher dieser Titel beigelegt wird, war Johannes' Neffe Jacobus de Via, den der Papst gleich bei seiner ersten Kardinalspromotion zum Kardinal erhoben hatte. Sein Nachfolger als Kardinalnepot war Arnaldus de Via2, der Bruder des verstorbenen Jacobus, auch er einer von mehreren Verwandten des Papstes, die er zu Kardinälen promoviert hat. Von ihnen aber verfugten lediglich Jacobus und Arnaldus über ein Quartier im Palast selbst3. Bei Arnaldus de Via ist die Sachlage noch dadurch verkompliziert, daß er darüber hinaus auch ein eigenes Palais - eine sogenannte librata4 - innehatte, es handelte sich um den später so genannten „Petit Palais", der dann unter Benedikt XII. zum Bischofspalast werden sollte5. Weilte Arnaldus im päpstlichen Palast, so hat er dort einen eigenen Haushalt geführt. Sein Essen ist nicht von der päpstlichen Küche zubereitet worden, vielmehr hatte er seine eigene, die innerhalb des Palastes, aber getrennt von der päpstlichen eingerichtet war6. Lebensmittel, Brennholz und Wein sind ihm vom päpstlichen Lebensmitteleinkäufer zugeteilt worden, man findet in den Abrechnungen immer wieder Hinweise, daß bestimmte Deputate dem Arnaldus de Via zugewiesen worden sind7. Dies bestätigt zunächst den schon aus den Hofordnimg gewonnenen Eindruck, daß die hohen Amtsträger am Papsthofe über eigene Famiiiaren und auch eigene Küchen verfugen konnten. Indes bedarf diese Aussage noch der Modifikation. Betrachtet man das in den Hauptbüchern erwähnte Personal des Arnaldus, so zeigt sich, daß es sich um Bedienstete des Papstes handelte, die von der Kammer besoldet und für den Dienst beim Kardinalnepoten lediglich abgestellt waren8. Man könnte sie als eine Art Unterfamilie oder Unterhaushalt bezeichnen, eine Erscheinimg, die - wie erwähnt - auch für den Kämmerer und den Thesaurar belegt ist und die man an weltlichen Höfen in ähnlicher Form für die Entourage der Königin oder des Kronprinzen findet. Hier wird ein generelles Phänomen der höfischen Gesellschaft von Avignon sichtbar, das noch genauer erörtert

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Über die Lage vgl. den Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44. An Quellenbelegen über die Unterkunft des Kardinalnepoten vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 294 von 1324 Mai 25 und S. 312 von 1333 Dez. 24; ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 20 von 1319 Juli 1 und Juli 8; S. 30 von 1320 Aug. 3: in ospitio in quo stat dominus cardinalis inpalacio..:, u. ö. Die Identifikation nach GUILLEMAIN, Cour, S. 501. SCHÄFER, VQ 2, S. 294 Anm. 1 hatte noch offengelassen, ob es sich um Gauzelmus Johannes de Ozia, den Vizekanzler, oder Arnaldus de Via handelte. Über Arnaldus de Via vgl. vor allem ALBE, Annales 7, S. 129 ff. sowie Kap. VI,3. Auch in dem Palast in Sorgues gab es eine eigene camera domini cardinalis nepotis domini nostri, zit. nach MÜNTZ, Palais, S. 32 von 1322 Febr. 28. Vgl. auch S. 33 von 1322 Apr. 4. Über den Begriff vgl. HAYEZ, Livrees, Teil 1, S. 93 ff. Vgl. HAYEZ, Livrees Teil 1, S. 99 ff. Dies geht hervor aus dem Eintrag vom 25. Jan. 1328: pro lapidibus ... in fornellis coquinarum domini nostri et domini cardinalis. (SCHÄFER, V Q 2 , S . 3 0 2 ) . 1 3 3 3 hat die Kardinalsküche dann einen Fußboden aus Steinplatten erhalten (SCHÄFER, VQ 2, S. 312). Ζ. B . SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 7 v o n 1 3 1 9 A u g . 2 4 .

So verfügte Arnaldus de Via über eigene Kapläne, Edelknappen und einen Leibarzt. Vgl. das Register bei SCHÄFER, VQ 2, S. 881.

Wen versorgten die Hofämter?

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werden wird1. Neben diesen Kardinälen hat Johannes noch einigen Verwandten, bei denen es sich allerdings nicht um Kleriker, sondern um Laien handelte, Räume im Palast zur Verfugung gestellt. Sie werden in einem anderen Zusammenhang genauer behandelt2. Unter Benedikt XII. nahm der Kardinal Guillelmus Curti eine analoge Position ein. Dieser - der geistliche Neffe Benedikts und wie dieser Zisterzienser (daher der Beiname „der weiße Kardinal")3 - ist 1338 in der ersten und einzigen Kardinalspromotion des Papstes ernannt worden; er bewohnte dann einen eigenen Turm im Palast, den man nach ihm benannt hat4. Nach dem Tode Benedikts hat er seine Unterkunft im Palast verloren, Schimmelpfennig und Hayez haben ihn außerhalb des Palastes in einem Kardinalspalais nachgewiesen5. Mehrere nahe Verwandte hat Benedikts Nachfolger, Clemens VI., in den Palast einquartiert. Am wichtigsten war sein Bruder, Hugo Rogerii, den er gleich zu Beginn seines Pontifikats zum Kardinal promoviert hat6. Daneben hatte Hugo auch ein Palais in der Stadt selbst inne7. Eine ähnliche Stellung scheint Nicolaus Rogerii, der Erzbischof von Rouen und Onkel des Papstes, innegehabt zu haben, man erfahrt jedenfalls, daß er über eigene Räume im Palast verfugte . In diesen beiden Fällen wäre es wohl übertrieben, von eigenen Haushalten zu sprechen, anscheinend hatten beide lediglich ein Zimmer zu ihrer Verfugung. Anders war es bei Guillelmus Rogerii, dem Herrn von Chambon, einem weiteren Bruder Clemens' VI.9. Nicht nur hatte er ein Zimmer sowohl im Palast von Avignon10 als auch in dem von Villeneuve11, sondern der Papst hatte ihm sogar eine jährliche Rente von 1000 fl. ausgesetzt12 und bezahlte außerdem den Sold für drei Edelknappen13. Es ist charakteristisch fur diesen Papst, daß er als einziger einem Laien eine solche Position einräumte. Innozenz VI. hat ebenfalls Kardinälen und Verwandten Räume im Palast überlassen14. Zuerst nachweisbar ist Audoynus Alberti, ein Neffe des neuen Papstes. Gleich

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Vgl. Kap. VI,2. Vgl. Kap. VI,3. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zisterzienserideal, S. 4 0 f. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 37; VINGTAIN, Avignon, S. 160.

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Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zisterzienserideal, S. 40 f.; HAYEZ, Livrees, Teil 1, S. 120 ff.

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ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 82 von 1342 Dez.

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Vgl. HAYEZ, Livrees, Teil 3, S. 65. ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 92 von 1344 Okt. 20: ...pro reparanda clausura aule seu camere, in qua habitat d. archiepiscopus Rothomagensis in dictopalacio....

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GUILLEMAIN, Cour, S. 169 f. ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 82 von 1342 Dez. 9 und S. 95 von 1344 Okt. 21. SCHÄFER, V Q 3, S. 254 von 1344 März 17.

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SCHÄFER, VQ 3, S. 230 und S. 262 von 1344 Mai 20. Vgl. auch das Schreiben Clemens' VI. an Herzog Odo IV. von Burgund, wo er sich fur Rente bedankt, welche der Herzog seinem Bruder zahlt (Reg. bei PETIT, Histoire 9, S. 496 n. 9811 von 1347 Apr. 18). Später setzte sich der Papst für die Weiterzahlung der Rente ein (Reg. bei PETIT, Histoire 9, S. 497 n. 9821 von 1349 Mai 2).

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SCHÄFER, V Q 3, S. 234 von 1343 Juli 9. ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 5 von 1353 Apr. 2 7 und S. 6 von 1353 Mai 20.

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bei seiner ersten Kardinalskreation hat Innozenz ihn - als einzigen - promoviert1. Auch Personal dieses Kardinals lebte im Palast2. Wie bereits Arnaldus de Via hatte aber Audoynus auch ein eigenes Palais in Avignon zur Verfügung3. Weiterhin wird ein Zimmer des Erzbischofs von Embrun erwähnt4. Dabei könnte es sich um den Kardinal Bertrandus de Deucio, den ehemaligen Erzbischof von Embrun, handeln, der an der Kurie allgemein als der Kardinal von Embrun bekannt war5. Es hätte dann der Italienspezialist und ehemalige Legat Clemens' VI. in unmittelbarer Nähe des Papstes gewohnt, und zwar desjenigen Papstes, der mit der Entsendung des Kardinals Albornoz in den Kirchenstaat wieder eine aktive Italienpolitik aufnehmen und letztlich die Voraussetzungen für Urbans und Gregors Reise nach Rom schaffen sollte. Auch Bertrandus bewohnte daneben ein eigenes Palais in Avignon6. Mehrfach belegt ist Petrus de Monturcuo7, ein Verwandter Innozenz', den er einige Jahre später zum Kardinal (1356) und dann noch zum Vizekanzler (1361) machen sollte8. Eine ähnliche Karriere machte Stephanus Alberti, Elekt von Carcassonne und gleichfalls Verwandter des Papstes9. Er wurde 1361 Kardinal10. Weiterhin zu erwähnen ist noch Bischof Petrus de Agrifolio11. Sein Fall ist insofern einzigartig, als er der einzige päpstliche Mitbewohner ist, der in zwei Pontifikaten belegbar ist - Urban V. hat ihn ebenfalls im Palast untergebracht. Ein eigenes Arbeitszimmer (Studium) hatte außerdem der Bischof Arnaldus Alberti im Palast12; ihn hat Innozenz gegen Ende seines Pontifikats zum Kämmerer ernannt (1361 März 16)13. Auch unter Urban V. gab es bevorzugte Mitbewohner. Der ehemalige Abt von Saint-Victor in Marseille, der eine Reform von Kurie und Kirche beabsichtigte14, hatte offenbar das Bedürfnis, seine engsten Mitarbeiter um sich zu versammeln15; daher hat er sie zunächst im Palast einquartiert. Vor allem zwei Personen waren es, die dem Papst in dieser Beziehung besonders nahestanden. Bezeichnenderweise waren

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Über ihn vgl. VONES, Urban V., S. 175 ff.

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ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 10 von 1354 Dez. 24.

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Vgl. HAYEZ, Livrees, Teil 1, S. 116 ff. ... camera in qua archiepiscopus Ebredunensis consuevit morari in palacio Av...., zit. nach MICHEL, Palais 2, S. 5 von 1353 März 11. Über ihn vgl. MOLLAT, Bertrand, S. 393 ff. Vgl. HAYEZ, Livrees, Teil 2, S. 45.

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ANDRE-

7

ANDRE-MICHEL, P a l a i s 2 , S. 5 v o n 1 3 5 3 A p r . 2 7 ; SCHÄFER, V Q 3 , S . 6 0 0 v o n 1 3 5 5 D e z . 2 9 .

8

Über ihn vgl. zuletzt VONES, Urban V., S. 176 f. Sein Zimmer im Palast ist belegt in SCHÄFER, VQ 3, S. 600 von 1355 Dez. 29. Über ihn vgl. zuletzt VONES, Urban V„ S. 176. Über sein Zimmer vgl. ANDRE-MICHEL, Palais 2 , S. 7 von 1 3 5 3 Dez. 2 0 ; SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 0 0 von 1 3 5 5 Dez. 2 9 ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 11 von 1355 Mai 31. Über Arnaldus vgl. zuletzt VONES, Urban V., S. 337 ff. (mit weiterer Literatur). Über ihn vgl. zuletzt VONES, Urban V., S. 177 (mit der älteren Literatur). Vgl. dazu jetzt grundlegend VONES, Urban V., passim. Über die vertrauten Mitarbeiter Urbans V. vgl. HAYEZ, Entourage, S. 31 ff; VONES, Urban V., S. 311 ff, die auf die Frage ihrer Unterbringung jedoch nicht eingehen.

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Wen versorgten die Hofämter?

187

es keine Kardinäle - Urbans Verhältnis zum Kollegium war eher gespannt1 sondern zwei Bischöfe. Am wichtigsten war hier Anglicus Grimoardi, der jüngere Bruder Urbans, dessen zentrale Bedeutung für die päpstliche Reformpolitik vor allem Vones herausgearbeitet hat2. Der neue Papst hat ihn kurz nach seiner eigenen Erhebung zum Bischof von Avignon ernannt3, ihn später auch zum Kardinal promoviert. Sein Appartement im Palast umfaßte drei Zimmer und auch eine Kapelle4. In diesem Falle kann man sein Quartier genau lokalisieren: Als 1365 Kaiser Karl IV. Avignon besuchte, ist das Zimmer des Anglicus für diesen Besuch renoviert5 und für die Unterbringung des Kaisers vorbereitet worden6. Der Bischof bewohnte also das Quartier, das für besonders hochstehende Gäste vorgesehen war; es ist - seit dort die Könige von Aragon und möglicherweise die von Frankreich gewohnt hatten - als camera regis bzw. - seit Karls IV. Aufenthalt - als camera imperatoris bekannt7. Diese camera befand sich im Südflügel des Palastes Benedikts XII. über den Quartieren von Kellermeister und Panatar8. Der zweite Bewohner, den Urban in seine unmittelbare Nähe zog9, war der schon erwähnte Bischof Petrus de Agrifolio von Uzes, in dessen Diensten der Papst einst selbst gestanden hatte. Im Jahre 1368 sollte Petrus - nach Anglicus' Erhebung zum Kardinal - dessen Nachfolger als Bischof von Avignon werden10. Zwischen Urbans Familie und der des Petrus bestanden enge Beziehungen, auch scheint sie Anteil an Urbans Wahl zum Papst gehabt zu haben . Im Palast lebte Petrus unter dem bescheidenen Titel eines Kammerdieners (Kubikulars)12; die Kubikulare haben jedoch während des Untersuchungszeitraums allmählich eine sehr einflußreiche Position erlangt, was mit ihrer außerordentlichen Herrschernähe zusammenhängt13. Sie pflegten näm-

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Vgl. VONES, Urban V., S. 209 ff.

2

VONES, Urban V., S. 325 ff. und passim. Vgl. Kap. ΠΙ,2.

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EHRLE, Historia, S. 656 von 1364.

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Die camera regis war in mehrere Räume unterteilt (siehe unten). Insofern ist es kein Widerspruch, wenn mal von mehreren, mal nur von einem Raum des Anglicus die Rede ist.

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SCHÄFER, V Q 6, S. 122 von 1365 Juni 25.

Über diesen Raum vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 157 ff. Seine Lage ergibt sich aus dem Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44, Nr. 2 (auch im Anhang). Daß Anglicus tatsächlich in der camera regis untergebracht war, wird auch durch einen weiteren Hauptbucheintrag bestätigt: ...pro aptando saralham prime porte camere domini Avinionensis in palatio versusparvum tinellum (EHRLE, Histoira, S. 655 von 1364 Febr. 29). Die camera regis lag in der Tat im rechten Winkel neben dem kleinen Speisesaal.

9

SCHÄFER, V Q 6 , S. 4 9 v o n 1 3 6 3 A u g . 3 1 ; EHRLE, H i s t o r i a , S. 6 5 6 v o n 1 3 6 4 .

10

Vgl. VONES, Urban V., S. 243 f. und Kap. VII,1. Über Petrus vgl. VONES, Urban V., S. 103 und S. 242 ff., wo auch die engen Beziehungen des Papstes zu Petrus' Familie herausgearbeitet werden. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 6, S. 125 von 1365 Jan. 4, wo er zusammen mit seinem Kollegen Bemardus genannt wird.

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13

Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 373 ff. SCHIMMELPFENNIG, Funktion, S. 320 mit Anm. 15. Angemerkt

sei, daß sie im Palast über einen eigenen Speisesaal verfugten: ...ubi comederunt cubicularii diciti

188

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

lieh mit dem Papst das Schlafgemach zu teilen. Von Urban V. etwa ist überliefert, daß er oft schlaflos nachts in seinem Bett lag - züchtig hinter einem Vorhang verborgen - lind mit den Kubikularen seine Sorgen besprach1. Ein weiterer Vertrauter Urbans ist noch zu nennen, der allerdings nicht ganz so aufwendig untergebracht war: Urbans Kubikular Bernardus de S. Stephano2. Immerhin verfügte er über ein eigenes Zimmer und eine eigene Küche3. Er vereinte in sich die Funktionen eines Kammerdieners, Sekretärs, Notars und capellanus commensalis - Urban wünschte ihn zudem beständig in seiner Umgebung zu haben. Von Gregor XI. sollte er dann nach dem Tode seines ehemaligen Kollegen Petrus (1371) gleichfalls zum Bischof von Uzes erhoben werden, in seine Dienste hat ihn Gregor jedoch nicht übernommen. Der nahe Kontakt, den Urban auf diese Weise mit Petrus und Anglicus pflegen konnte, reichte ihm nicht aus, eigens für sie hat er einen eigenen Trakt an den Papstpalast anbauen lassen. Da dies in der Forschung bislang nicht hinlänglich erkannt worden ist, muß etwas näher darauf eingegangen werden. Unstrittig ist, daß unter Urban V. in den Jahren 1363-65 an der Ostseite des Palastes fast unmittelbar neben dem Papstturm ein größerer Anbau errichtet worden ist4 - die sogenannte Roma5. Sein Zweck ist allerdings unklar, was auch daran liegt, daß er nicht erhalten ist - man hat ihn 1837 abgerissen6. Anscheinend hat es sich um ein zweistöckiges Gebäude mit einer von Pfeilern getragenen Halle im Erdgeschoß gehandelt7. Daß es sich bei diesem Anbau um die Quartiere für die beiden Bischöfe gehandelt hat, ist offenbar deshalb nicht erkannt worden, weil man die Bauausgaben in Urbans Hauptbüchern die pro hospicio oder pro palatio domini episcopi Avinionensis verbucht sind, als Ausgaben für Arbeiten am Bischofspalais - also dem als „Petit Palais" bekannten Bauwerk eini-

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domini nostri... (EHRLE, Historia, S. 655 von 1364). Ihre Unterkunft lag nahe der päpstlichen Paramentenkammer (SCHIMMELPFENNIG, Funktion, S. 320 Anm. 15 nach SCHÄFER, VQ 6, S. 348 von 1370 Dez. 19). Liber de vita, cap. 53, ed. Albanes/Chevalier, S. 392. Über ihn vgl. HAYEZ, Entourage, S. 36; VONES, Urban V., S. 121 ff. und passim. SCHÄFER, VQ 6, S. 294 von 1370 Nov.: ...ante fenestram camere d. B. ... pro coquina et dressatorio predicti d. Bernardi. Ein Zimmer des Bernardus im Palast ist bereits 1364 belegt (EHRLE, Historia, S. 656). Es wird dann noch einmal in dem Inventar des Palastes von 1369 erwähnt (ed. HOBERG, Inventare, S. 435).

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Die ersten Ausgaben sind im November 1363 verbucht (ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 20); die ersten Ausgaben für Wohnräume vom 31. Mai 1364 (ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 21). Vgl. zuletzt VINGTAIN, Avignon, S. 408 ff., in dem Plan 4 bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 45 (auch im Anhang). Die Prima vita Urbani V (ed. BALUZE/MOLLAT 1, S . 3 7 6 ) beschreibt den Neubau folgendermaßen: Dictus etiam Urbanus papa, quasi a principio sui pontificates, in plerisque locis continue edifieavit. Et primo, in palatio Avinionensi, quod in magna parte ampliavit, in illa videlicet que hodie vulgariter Roma appellatur; in qua facte camere habitationes, deambulatoria etviridarium mirepulcritudinis et amenitatis,... Vgl. COLOMBE, Recherches 5, S. 101 ff. Im 18. Jahrhundert hatte dieser Trakt eine Bildergalerie beherbergt. Vgl. COLOMBE, Recherches 12, S. 293 f. So VINGTAIN, Avignon, S. 4 0 8 ff.

Wen versorgten die Hofämter?

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ge hundert Meter nördlich des Papstpalastes1 - interpretiert hat2. Dagegen wird hier die These vertreten, daß - wenn überhaupt - nur die Ausgaben pro palatio... auf das Bischofspalais zu beziehen sind, die Ausgaben pro hospitio... dagegen auf den Anbau am Papstpalast3. Daß es sich tatsächlich so verhält, erkennt man zunächst daran, daß die Bauausgaben fur das bischöfliche hospicium immer wieder im Zusammenhang mit einem ebenfalls neuangelegten Garten und einem ebensolchen Brunnen genannt werden4. Mehrfach wird der Neubau auch ausdrücklich als edificium viridarii5 oder ediflcium quod nunc fit in viridario6 bezeichnet7. Es ist bekannt, daß Urban in der Tat - zusammen mit dem genannten Anbau - an der Ostseite des Papstpalastes einen neuen Garten und auch einen Brunnen hat anlegen lassen8. Man mag einwenden, daß solche ja möglicherweise auch am Bischofspalais hätten angelegt werden können. Indes gibt es noch einen weiteren Hinweis. Das bischöfliche hospitium im Garten ist nämlich durch eine Brücke mit dem Papstpalast verbunden worden9. Die Anlage einer solchen ist zwischen dem Palast und einem Anbau an der Ostseite leicht möglich, während eine Brücke zum doch recht entfernten Bischofspalais kaum vorstellbar ist. Auch gibt es weder in den Quellen eine Nachricht über eine solche Brücke zum Bischofspalais, noch haben sich irgendwelche Reste erhalten. Weiterhin wäre einer solchen Brücke die nördlich an den Palast anschließende Kirche - Notre-Dame-desDoms - im Wege gestanden. Schließlich lag dem Wortlaut der Quelle zufolge zwischen dem hospitium des Anglicus und dem Papstpalast noch das hospitium des Bischofs Petrus; von einem solchen, das dann zwischen Papstpalast und „Petit Palais" hätte liegen müssen, ist ebenfalls nichts bekannt oder erhalten. Damit soll nicht behauptet werden, Anglicus hätte ausschließlich im Papstpalast - sei es in dem Anbau, sei es in dem erwähnten Zimmer - gewohnt. Vielmehr stand ihm - wie bereits gezeigt

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5 6

Über dieses vgl. Kap. m,2. So etwa ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 22 Anm. 2. Ein typisches Beispiel: ...Rigaldo Rogeti, familiari d. A. ep. Auiti., pro operibus viridariorum inceptorum et continuandorum prope hospitium dicti ep...., zit. nach SCHÄFER VQ 6, S. 130 von 1365 Apr. 24; ähnlich S. 132 von 1365 Okt. 29. Ausgaben für entsprechende Bauarbeiten sind erstmals Ende 1363 belegt (ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 19 f. von 1363 Aug. 31. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 6, S. 133 von 1364 Ende). EHRLE, Historia, S. 656 von 1365. ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 23 von 1365 Jan. 1.

7

Daß das im Garten errichtete Gebäude für den Bischof bestimmt war, hat schon SCHÄFER, VQ 6, S. 1 3 3 , bemerkt. Jedoch ist sein Hinweis - mit Ausnahme von PIOLA CASELLI, Costruzione, S. 8 8 ignoriert worden.

8

Vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 4 1 4 f.

9

...pro facientibus foramina pro ponte facto, per quem intrabit dominus noster papa ad hospitium domini Uticensis (zit. nach EHRLE, Historia, S. 656, auch bei ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 23 von 1365 Jan. 1). Diese Ausgabe ist ausdrücklich unter den Kosten pro hospicio domini episcopi Avinionensis verbucht. Ähnlich heißt es bei SCHÄFER, VQ 6, S. 131 von 1365 Aug. 31: ...de operibus factis fieri in isto mense in palacio Auin. et viridario palacii inclusis 190 fl. solutis de mandate pape pro operibus factis in hospicio, in quo inhabitat d. Petrus ep. Uticen., per quod papa vadit ad hospitium d. A. ep. Auin

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Die Organisation der Lebensmittelversorgung

worden ist1 - außerdem der bischöfliche Palast, der „Petit Palais", zur Verfügung. Ähnlich wie die bereits behandelten Kardinäle konnte er - je nach Bedarf - zwischen seinen diversen Quartieren hin und her wechseln. Zweck der genannten Brücke zwischen Papstpalast und Anbau war es, einen leichten Zugang vom Palast zu dem neuangebauten Trakt zu ermöglichen und damit den Kontakt des Papstes mit seinen beiden wichtigsten Ratgebern zu erleichtern2. Die Wohnungen des Petrus und des Anglicus lagen dort nebeneinander; wollte der Papst seinen Bruder besuchen, durchquerte er zunächst den Trakt, in dem Bischof Petrus wohnte, um dann in den des Anglicus zu gelangen. In dem Neubau werden sowohl ein Zimmer als auch eine Kapelle des Petrus erwähnt3. Mit dem Bau des neuen Traktes war es nicht getan, er ist auch - unter recht erheblichen Kosten - im Auftrage des Papstes mit Fresken geschmückt worden4. Leider wissen wir nicht, was sie darstellten. Anscheinend hat Urban sogar zeitweise selbst in diesem neuen Trakt gewohnt5. Kein anderer Avignoneser Papst hat einen derartigen Aufwand getrieben, um seine persönlichen Vertrauten in unmittelbarer Nähe zu wissen. Man darf wohl annehmen, daß in diesem Anbau auch einige Mitarbeiter des Anglicus untergebracht war, deren bedeutende Rolle in den päpstlichen Reformversuchen Vones herausgearbeitet hat6. Festzuhalten bleibt, daß weder Anglicus noch Petrus ein offizielles kuriales Amt bekleidet haben; hier mag sich die Distanz ausdrücken, welche Urban zur kurialen Bürokratie gehalten hat7. Allerdings mit einer bezeichnenden Ausnahme: Ahnlich wie bei Benedikt XII. hat der Kämmerer - Arnaldus Alberti, - sein Zimmer unmittelbar neben dem Studium (Arbeitszimmer) des Papstes gehabt8, und das obwohl seit den Umbauten Clemens' VI. ein eigenes Appartement für ihn vorhanden war9. Insofern scheint die These von Vones, in der Person des Kämmerers habe sich der konservative Einfluß des Kardinalkollegiums manifestiert, doch eher unwahrscheinlich10. Keine solchen Mitbewohner konnten für Gregors XI. Pontifikat festgestellt werden, was aber auf die schlechtere Quellenlage zurückzuführen sein mag. Da er keine Neubauten am Palast mehr vorgenommen hat, sind kaum Bauausgaben verbucht. Jedoch wird unter Urban V. und dann auch unter Gregor XI. noch eine andere Entwicklung bemerkbar. Zu den wichtigsten Vertrauensmännern des Papstes wie des Kämmerers

1 2

3

Vgl. Kap. m,2. Noch im 18. Jahrhundert war der Anbau tatsächlich über eine Art Brücke mit dem Palast verbunden gewesen. Vgl. den Plan bei COLOMBE, Recherches 12, nach S. 303. An der Ostmauer des Studium Benedikts ΧΠ. ist noch der Durchbruch zu erkennen (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig). ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 20 von 1363 Aug. 31 und Sept. 31.

4

ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 25 ff.

5

SCHÄKER, V Q 6 , S. 1 3 7 v o n 1 3 6 4 D e z . 1 4 u n d S. 1 3 8 v o n 1 3 6 5 Jan. 3 1 .

6

VONES, Urban V., S. 329 ff. und passim.

7

Vgl. VONES, Urban V., S. 311 ff. EHRLE, Historia, S. 656 von 1364.

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Es wird an der gleichen Stelle - aber gesondert - erwähnt; es umfaßte demnach fünf Zimmer.

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VONES, Urban V., S. 338.

Wen versorgten die Hofamter?

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gehörten die päpstlichen Sekretäre1. Sie wohnten in ihrer Eigenschaft als päpstliche Kapläne im Palast, was bereits an Bernardus de S. Stephano deutlich geworden ist. Erstmals unter Urban V. und dann auch unter Gregor XI. hat ein solcher Sekretär, Francesco Bruni2, außerhalb des Palastes gewohnt. Gleichwohl haben die Päpste ihn nach wie vor als Mitglied ihres eigenen Haushalts betrachtet, ihm Getreide, Wein und andere Lebensmittel über die Hofamter liefern lassen3. Die Neuerung liegt offenbar darin, daß die Sekretäre - beginnend mit Urban V. - nicht mehr ausschließlich Kleriker, sondern - wie Francesco Bruni - Laien waren und als solche außerhalb des Palastes wohnten. Speziell von Francesco Bruni ist auch bekannt, daß er eine eigene Familie hatte4. Überblickt man die aufgelisteten Personen, so fallt auf, daß fast jeder Papst mindestens einen Kardinal zu seinem Mitbewohner wählte oder umgekehrt einen Mitbewohner zum Kardinal promovierte5. Dabei verfügten diese Kardinäle spätestens seit Clemens VI. neben ihren Räumen im Palast jeweils noch über ein eigenes Palais in Avignon, wo nicht nur sie selbst, sondern vor allem auch ihre Famiiiaren untergebracht waren. Leider wissen wir nichts darüber, wann, wie oft und bei welchen Gelegenheiten diese Kardinäle nun im Papstpalast und wann in ihrem eigenen Palais übernachtet haben. Immerhin legt der beschriebene Befund die Vermutung nahe, daß diesen Kardinälen als besondere Aufgabe die Vermittlung zwischen Papst und Kardinalkollegium oblag. Zusammenfassung von Kap. IV,3. Der päpstliche Haushalt hat sich als ein sehr differenziertes Sozialgebilde erwiesen. Neben der Küche und dem Tisch des Papstes gab es dort einige Unterhaushalte mit eigener Küche und eigenen Tischgemeinschaften. Diese „Unterhaushalte" werden uns noch als ein strukturelles Moment der höfischen Gesellschaft in Avginon begegnen. Nachgewiesen worden sind sie hier vorerst für den Kämmerer, dann auch für den Thesaurar; weiterhin gab es in aller Regel mindestens einen Kardinal (zuweilen auch noch weitere päpstliche Vertraute), der zwar wie seine Kollegen über ein eigenes Palais verfugte, darüber hinaus - kraft des besonderen päpstlichen Vertrauens - auch Räume innerhalb des päpstlichen Palastes innehatte. Generell sind diejenigen Angehörigen der Kurie, welche den großen kurialen Behörden (Kanzlei, Audientia, Almosenamt und Poenitentiarie) vorstanden und angehörten, nicht im Palast einquartiert worden, ihnen hat man vielmehr eigene Unter-

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4 5

Über diese vgl. vor allem Opitz, Sekretäre, und ders., Sekretärsexpedition. Über ihn vgl. zuletzt VONES, Urban V., S. 342 ff. SCHÄFER, VQ 6, S. 225 von 1367 Dez. 31, S. 227 von 1368 März 31, S. 253 von 1368 Juli, S. 408 von 1372 Aug. 13, S. 481 von 1373 Dez. 23 u. ö. Nachgewiesen bei Opitz, Sekretärsexpedition, S. 169 f. KERSCHER, Architektur, S. 92 f. und 102, scheint der Ansicht zu sein, alle Kardinäle hätten Räume im päpstlichen Palast zu ihrer Verfügung gehabt. Davon kann aber keine Rede sein. Die von ihm angeführten Belege nennen jeweils nur Räumlichkeiten eines einzelnen Kardinals.

192

Die Organisation der Lebensmittelversorgung

künfte zugewiesen. Hier zeichnet sich eine Unterscheidung zwischen Haus und Hof des Papstes einerseits und der „Institution" Kurie andererseits an. Damit ist in Avignon eine erhebliche Veränderung im Vergleich zum vorangegangenen Zustand eingetreten; im 13. Jahrhundert war noch vorgesehen gewesen, daß zumindest die Vorsteher der genannten Ämter im päpstlichen Palast selbst ihre Unterkunft haben sollten1. Mag diese Neuerung in der Anfangsphase des Avignoneser Papsttums schlicht mit dem Platzmangel in dem alten Bischofspalast zu erklären sein, so kann dieses Argument seit den großen Umbauten Benedikts und Clemens' nicht mehr gelten. Der freiwerdende Raum wurde von den Vertrauten des Papstes im engeren Sinne eingenommen, also von Personen, die nicht aufgrund ihres Amtes, sondern aufgrund des päpstlichen Vertrauens im Palast wohnten, die aber auch - eben aufgrund des päpstlichen Vertrauens - mitunter wieder ein Amt erlangten. Die päpstlichen officiales et familiares - Wörter, die zu Beginn der Avignoneser Epoche fast Synonyme gewesen waren, begannen sich allmählich zu zwei Gruppen zu differenzieren, ohne das diese Trennung bereits gänzlich vollzogen worden wäre. Denn auch gegenläufige Tendenzen sind bemerkbar: Auch weiterhin gab es Personen, die sowohl zum Haus als auch zu einzelnen Behörden gehörten. Vor allem die Institution des Kapellanats spielte hier eine Rolle: viele Vorsteher oder Angehörige von Ämtern waren zugleich als päpstliche Kapläne Mitglieder des päpstlichen Haushalts. Hier ist eine der Ursachen der von Guillemain beobachteten „confusion des fonctions" zu suchen2, wo dieselbe Person in den Quellen mal als Auditor, mal als Kaplan, mal noch anders bezeichnet wird. Auch die apostolische Kammer bildete ein Gegengewicht. Ihre Amtsräume und auch die Wohnungen ihres Personals blieben im Palast; man kann die Kammer geradezu als die Klammer zwischen dem Haus und den Behörden des Papstes bezeichnen.

1

2

Dies ergibt sich aus den in Kap. m,2. zitierten Bittschriften Viterbos an die Kurie. Auch die dort zitierte Hofordnung Clemens' V. deutet daraufhin (ed. FRUTAZ, Famiglia, S. 311). GUILLEMAIN, Cour, S. 422.

V. Die Alltagsverpflegung Jahresausgaben von Küche und Brotamt1 Unter Johannes XXII. betrugen die Ausgaben der Küche im Durchschnitt jährlich 4635 fl., die des Brotamtes 385 fl. Betrachtet man die einzelnen Jahre, so haben die Ausgaben bis etwa zur Mitte von Johannes' Pontifikat steigende Tendenz, um danach allmählich zurückzugehen. Bereits Schäfer hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Küchenausgaben im zwölften Pontifikatsjahr (1327/28) am niedrigsten sind, wo die Ausgaben für den Krieg in Italien am höchsten sind. Vielleicht sind sie bewußt eingeschränkt worden2. Unter Benedikt XII. betragen die entsprechenden Durchschnittszahlen 2510 fl. für die Küche und 211 fl. für das Brotamt3. In beiden Fällen ist das ein Rückgang von 46 %, also um fast die Hälfte. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß diese Ausgaben zu Beginn von Benedikts Amtszeit am höchsten waren, dann aber kontinuierlich gesunken sind. Dieser Befund bestätigt den bereits gewonnenen Eindruck, daß Benedikt erheblich sparsamer als sein Vorgänger gewirtschaftet hat. Darüber hinaus wird noch gezeigt werden, daß gerade Benedikt den Aufwand für eigentlich „höfische" Belange im Vergleich zu seinem Vorgänger stark beschnitten hat4. Ganz im Gegensatz dazu hat Clemens VI. die Ausgaben um ein Vielfaches erhöht. Für die Küche betragen sie im Jahresdurchschnitt 16208 fl., sie sind damit mehr als sechs mal so hoch wie unter Benedikt und rund vier mal so hoch wie unter Johannes. Sie machen während Clemens' Pontifikat 10,11 % der Gesamtausgaben der Kammer aus5. Die durchschnittlichen Ausgaben des Brotamtes betragen unter Clemens 1162 fl., sie sind damit mehr als fünf mal so hoch wie unter Benedikt6. Innozenz VI. hat versucht, den bei Hofe betriebenen Aufwand wieder einzuschränken: die jährlichen Durchschnittsausgaben der Küche betragen 9605 fl.7, die des Brotamtes 1331 fl.8. Der Rückgang der Küchenausgaben - verglichen mit Clemens VI. - ist deutlich, allerdings wird der unter Johannes oder gar unter Benedikt gehaltene Stand keineswegs wieder erreicht. Daß die Ausgaben des Brotamtes dagegen anwachsen, hat seinen Grund darin, daß unter Innozenz und seinen Nachfolgern mitunter auch Großeinkäufe von Getreide unter den Ausgaben dieses Amtes abgerechnet worden sind. Noch sparsamer als Innozenz war Urban V.: unter ihm haben die Küchenausgaben durchschnittlich 5646 fl. pro Jahr9 betragen, die Brotamtsausgaben 1073 fl. Sie haben da1 2

Die Ausgaben des Weinamtes werden in Kap. VIII,3 behandelt. Die Zahlen nach SCHÄFER, VQ2, S. 21* f.

3

SCHÄFER, V Q 3, S. 4.

4

Vgl. Kap. VI.

5

SCHÄFER, V Q 3, S. 172.

6

SCHÄFER, V Q 3, S. 173.

7

SCHÄFER, V Q 3, S. 5 1 1 .

8

Errechnet aus SCHÄFER, VQ 3, S. 512. Errechnet aus den Monatsabrechnungen des 2., 3. und 4. Pontifikatsjahres bei SCHÄFER, VQ 6, S. 58 f., 90 f. und 142 f. Die Romreise lasse ich unberücksichtigt.

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Die Alltagsverpflegung

mit den nach Clemens VI. niedrigsten Stand erreicht und nähern sich wieder dem unter Johannes XXII. Es war dem letzten unbestrittenen Papst in Avignon vorbehalten, die Ausgaben für Lebensmittel in nie geahnte Höhen zu treiben: während der Amtszeit Gregors XI. hat die Küche im Jahresdurchschnitt 16914 fl., das Brotamt allerdings nur noch 960 fl. ausgegeben1. Auch innerhalb der einzelnen Jahre schwankten die Ausgaben der Küche erheblich. Beispielsweise erreichen sie im neunten Pontifikatsjahr Johannes' XXII. (1324/25) ihren niedrigsten Stand in der Woche vom 21. bis 28. September 1324 und auch in den Wochen davor und danach sind sie nur geringfügig höher. Den höchsten Stand dagegen erreichen sie in der Woche vom 29. März bis 5. April 13252. Dies war die Woche vor dem Osterfest (7. April), wo offensichtlich ein Teil der dann benötigten Lebensmittel bereits eingekauft worden ist. Korreliert man die Ausgabenschwankungen mit dem kirchlichen Festkalender, zeigt sich, daß die Ausgabenhöhepunkte in der Regel mit hohen Feiertagen zusammenfallen. Dabei stechen Weihnachts-, Oster- und Pfingstfest regelmäßig hervor, aber auch an anderen Tagen läßt sich ähnliches feststellen. In Johannes' neuntem Pontifikatsjahr etwa fallen Ausgabenhöhepunkte auf die Woche vom 31. August bis 9. September (Krönungsfeier am 5. September), vom 26. Oktober bis zweiten November (1. November = Allerheiligen), 4. bis 11. Januar (6. Januar = Epiphanias), 10. bis 17. Mai (16. Mai = Christi Himmelfahrt). Diese Gruppierung der Ausgabenspitzen um die hohen kirchlichen Feiertage bleibt auch bei den folgenden Jahren und Pontifikaten bestehen. Der Papst pflegte an diesen Tagen entweder mit seinen Kardinälen oder mit Mitgliedern seiner Familie ein Festmahl zu halten3. Neben diesen regelmäßigen Ausgabengipfeln gibt es unregelmäßige, dann nämlich, wenn der Papst hohe Gäste empfing, die mit entsprechendem Aufwand zu bewirten waren4. Deutlich wird, daß der Wechsel von Alltag und Festtag zu einem großen Teil durch den kirchlichen Festkalender bestimmt war. Tatsächlich ist das Leben am päpstlichen Hof in noch weitaus stärkerem Maße durch die kirchlichen Feste bestimmt worden, als es aus den Lebensmittelabrechnungen erkennbar ist. Der gesamte Jahresablauf war durch liturgische Vorschriften für die verschiedenen Kirchenfeste geprägt, von denen Ostern, Pfingsten und Weihnachten die bekanntesten, aber bei weitem nicht die einzigen sind. Allein 51 durch den Papst selbst an Feiertagen zu zelebrierende Messen sieht das dem Kardinal Jacques Stefaneschi zugeschriebene Zeremonienbuch vor5, also im Durchschnitt rund eine pro

1

2

3 4 5

Errechnet aus den Monatsabrechnungen des 2., 3. und 4. Pontifikatsjahres bei SCHÄFER, VQ 6, S. 376 f., 420 ff. und 495. Die des fünften Jahres aus IE 343 f. 52r-66r (Küche) und f. 67r-68v (Brotamt). Die Romreise bleibt unberücksichtigt. Errechnet nach IE 58 f. 138r-142v. Hier wie auch bei den folgenden Beispielen sind die außergewöhnlichen Ausgaben von der Wochensumme subtrahiert worden. Vgl. dazu Kap. VI. Vgl. Kap. VI. Ed. DYKMANS, Ceremonial 2, S. 405 ff. Seine Entstehung datiert er S. 131 zwischen 1300 und 1340. Vgl. aber SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 91 ff.

Die Alltagsverpflegung

195

Woche. Auch die späteren Sammlungen haben das übernommen1, wenn sie auch in den Details abweichen. In den Wochenabrechnungen sind aber nur die am aufwendigsten gefeierten Feste erkennbar. Die Kladden der Einkäufer bestätigen diesen Befund. Korreliert man die täglichen Lebensmittelausgaben mit der Liste der Kirchenfeste, zeigt sich, daß in der Regel die Ausgaben entweder des Festtages selbst oder die des vorangegangenen Tages höher als die der nachfolgenden Tage sind2. Die Lebensmittel sind also häufig am Tage vorher eingekauft und dann am Festtag selbst zubereitet worden. Völlige Übereinstimmung in der Korrelation zwischen Festtagen und Ausgabenspitzen besteht allerdings nicht. Einerseits können sich mehrere Anlässe für besonders hohe Ausgaben gegenseitig in die Höhe treiben, wenn etwa ein Festessen für auswärtige Gäste mit einem hohen Feiertag zusammenfiel. Andrerseits können Ausgabenhöhepunkte auch völlig unabhängig von solchen Gründen entstehen, dann nämlich, wenn der Einkäufer eine größere Menge oder einen größeren Vorrat an Lebensmitteln fur die folgenden Tage und Wochen einkaufte. Generell findet man bei den Avignoneser Päpsten innerhalb der einzelnen Jahre regelmäßig einen Zeitraum relativ niedriger Ausgaben, der sich - mit leichten Schwankungen im einzelnen - vom Hochsommer bis zum frühen Herbst, d. h. vom August bis etwa Mitte Oktober, erstreckt, nicht selten aber noch bis in den November und Dezember hineinreicht. Erklärungen gibt es mehrere: Da ist der sommerliche Urlaub der Kurie, eine Zeit, in der die Geschäfte weitgehend ruhten und somit weniger Personal nötig war. Dann ist der späte Sommer oder der frühe Herbst die Erntezeit, damit zugleich die Zeit, in der die Lebensmittel im Jahresrhythmus am billigsten sind. Weiterhin ist im Herbst und Winter mit einem verstärkten Rückgriff auf die eingelagerten und konservierten Lebensrnittel zu rechnen; sie wurden in Großeinkäufen beschafft und flössen daher nicht in die Wochenabrechungen ein. Schließlich ist der Dezember der Monat, in dem die großen Hausschlachtungen im Palast stattfanden3; sie machten somit einen der Teil der Fleischeinkäufe überflüssig. Johannes' Nachfolger pflegten während der Sommerferien auch die Residenz zu wechseln, sich also nach Sorgues oder dann vor allem nach Villeneuve zu begeben4. Besondere Auswirkungen auf den Lebensmittelverbrauch scheint der Wechsel zunächst nicht gehabt zu haben. Unter Benedikt, der lediglich in seinem ersten und zweiten Pontifikatsjahr Avignon verlassen hat, um den Sommer in Sorgues zu verbringen, waren die Ausgaben während des ersten Jahres geringer als während des gleichen Zeitraums davor und danach. In den 13 Wochen (1335 Juli 1 - Sept. 30), die er während des ersten Jahres in Sorgues verbrachte, hat die Küche 235 lib. coron.

1

SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 148 ff.; DYKMANS, Ceremonial 3, S. 182 ff.

2

Ich stütze mich auf einen Vergleich der Kladden Johannes' ΧΧΠ. (IE 106 und IE 125) und Benedikts ΧΠ. (IE 179 und 187) mit der zitierten Festliste. Siehe unten. Die Daten für die Aufenthalte in den Sommerresidenzen sind in Kap. IH,2. zusammengestellt. Da hier nur ganze Wochen berücksichtigt sind, können geringfügige Abweichungen von den dortigen Daten auftreten.

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ausgegeben, in den 13 Wochen davor 347 lib. coron. und in den 13 Wochen danach 268 lib.1. Weniger eindeutig ist der Befund des zweiten Jahres. In den 11 Wochen (1336 Juli 6 - Sept. 21) seines Aufenthaltes hat die Küche 207 lib. coron. ausgegeben, in den 11 Wochen davor 181 lib. und in denen danach 2342. Überhaupt sind die Ausgabenschwankungen der Küche unter Benedikt relativ gering. Der sowieso recht einfache Lebensstil des Papstes ist offenbar in Sorgues beibehalten worden; da er dort mit geringerem Gefolge auskam, scheinen die Ausgaben tendenziell geringfügig abgesunken zu sein. Ein anderes Bild bietet hier der Pontifikat Clemens' VI., der den Sommer in Villeneuve zu verbringen pflegte. Generell pflegen seine sowieso sehr hohen Küchenausgaben in Villeneuve niedriger als in dem vorangegangenen Zeitraum und höher als in dem nachfolgenden Zeitraum zu sein3. Die höheren Ausgaben des dem Urlaub vorangehenden Zeitraums kommen jedoch vor allem dadurch zu Stande, daß in dieser Zeit auch die meisten Gäste empfangen wurden, während in dem auf den Urlaub folgenden Zeitraum der Besucheransturm bereits nachgelassen hatte. Man wird somit annehmen dürfen, daß Clemens sich auch während seines Urlaubs mit entsprechenden Festlichkeiten und Gastmählern zu unterhalten pflegte. Bei Innozenz VI. läßt sich kaum ein Unterschied zwischen den Ausgaben in Villeneuve und Avignon feststellen4, trotz seines erheblich höheren Ausgabenstandes scheint er wieder mehr in die Bahnen Benedikts XII. eingelenkt zu haben. Großeinkäufe der Küche Daß die Höhe der wöchentlichen Ausgaben für die päpstliche Küche stark schwankt, erklärt sich zunächst daraus, daß - wie schon erwähnt - mitunter auch die Großeinkäufe in Wochenabrechnungen mit eingeflossen sind, diese dann also überdurchschnittlich hoch lagen. Man erkennt bei den Großeinkäufen eine gewisse Regelmäßigkeit. Jeweils vor Ostern und vor Weihnachten erfolgte ein Großeinkauf von Schlachttieren und Spezereien, die der Papst als Geschenke verteilte5. Vor Weihnachten hat die Küche außerdem noch eine größere Anzahl weiterer Schweine eingekauft, um sie zu Pökelfleisch, Wurst und Schinken zu verarbeiten0, lediglich zu Beginn des Unter-

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Errechnet nach IE 146 f. 49v-60v. Errechnet nach IE 150 f. 42r-52v. Errechnet nach IE 203 f. 43r-57r; IE 220 f. 71r-89r; IE 216 f. 74v-92r; IE 242 f. 63r-78r; nach IE 247 f. 47r-59v und IE 251 f. 59r-62v; IE 250 f. 60r-78r, IE 210 f. 65r-81r; IE 260 f. 70r-84r; IE 261 f. 70r-88r; IE 263 f. 60r-75r, IE 265 f. 34r-42v. Ich beziehe mich lediglich auf das zweite Jahr Innozenz' VI. (1354, nach IE 272 f. 86r-100r), das letzte Jahr vor der Umstellung der Buchungstechnik. Innozenz war in diesem Jahr sehr lange - 21 Wochen lang - in Villeneuve. Vergleicht man jeweils die ersten fünf und die letzten fünf Wochen seines Aufenthaltes mit den vorangegangenen bzw. folgenden fünf Wochen, erhält man fast identische Zahlen. Vgl. dazu Kap. VI,1. und Tabelle 1,1.9-13 und 1,1.16. Ζ. B . SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 5 ; S. 7 0 .

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suchungszeitraums hat man diese Produkte statt dessen in fertigem Zustand erworben1. Zu Beginn der großen Fastenzeit vor Ostern hat die Küche größere Mengen Fisch eingekauft. Kein besonderes Muster läßt sich in den Großeinkäufen von Brennholz beobachten2. Dieses hat die Küche in gewaltigen Quantitäten in einer Reihe von unregelmäßig über das ganze Jahr verteilten Einkäufen angeschafft. Vereinzelt hat sie zugleich auch (Holz-)Kohle gekauft3. Im Verlaufe von Johannes' Pontifikat nimmt die Anzahl der Holzeinkäufe tendenziell ab, wogegen die Menge des Holzes pro Einkauf ansteigt. In der Regel wurde das Holz in Schiffen auf der Rhone herantransportiert4, in portu Rhodanu, einem der Avignoneser Häfen ausgeladen, um sodann in einen Garten des Palastes transportiert zu werden5. Der Stapelplatz für Brennholz lag dort neben der domus de Trohacio oder Trolhassio (in der Nordostecke des Palastes, am Fuße des „rocher des Doms"), die ebenfalls zur Aufbewahrung von Brennholz diente6. Dort lagerte es, wurde kleingehackt7, und bei Bedarf in die Palasträume getragen8. Das Holz diente nicht nur als Brennmaterial zum Kochen, sondern vor allem auch zur Heizung9. Der große Bedarf an Heizmaterial erklärt sich aus der exponierten Lage des päpstlichen Palastes am Hang der höchsten Erhebung Avignons sowie dem kalten Mistral, der das Rhönetal hinunterfegt10. Man bedenke zudem, daß die Fenster des Palastes11 unter Johannes noch nicht verglast waren12, sondern im Sommer entweder

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Z . B . SCHÄFER, V Q 2 , S. 8 1 .

Vgl. dazu Kap. IV,2. Ζ. B. SCHÄFER, VQ 2, S. 59. Ausgaben für Holzkohle sind auch in den Wochenabrechnungen für Allerlei enthalten. Vgl. beispielsweise SCHÄFER, VQ 2, S. 75. Beispielsweise am 22. Febr. 1320 eine Schiffsladung Holzkohle aus Genf (SCHÄFER, VQ 2, S. 59). Pro portatura a Rodano usque ad viridarium, in quo tenentur ligna, heißt es stereotyp in den Hauptbüchern. Diese Transporte waren nicht im Kaufpreis Inbegriffen, sondern wurde durch extra besoldete Tagelöhner besorgt. Den Weg vom Hafen zum Palast rekonstruiert COLOMBE, Recherches 23, S. 545 ff. SCHÄFER, V Q 2 , S . 2 9 5 : Pro ... edifico muri loci de Trolhatio, infra quem debent ligna pape poni et custodiri. Pro ...fractione lignorum pro coquina (SCHÄFER, VQ 2, S. 58). Vgl. auch COLOMBE, Recherches 23, S. 547 f. In den Wochenrechnungen der Küche enthält der Posten fur Allerlei immer auch die Ausgaben pro portatura lignorum, gemeint ist der Transport vom Garten in die Küche. Ein Ofen für die aula magna ist erwähnt bei SCHÄFER, VQ 2, S. 292. Vgl. die Schilderung bei BAUMGARTEN, Papstveste, S. 281, dessen Erstaunen über die großen Ausgaben für Brennholz und Pelzwerk sich legte, als er während des Winters bei scharfem Mistral im Papstpalast arbeitete. Speziell den Fenstern des Palastes widmet sich COLOMBE, Nouvelles Recherches 1, S. 5 ff. Er zeigt, daß beim Neubau des Palastes zwei Typen von Fenstern eingebaut worden sind: große verschließbare zur Beleuchtung, und kleine zur Belüftung. Dieser These, welche zuerst BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 267, für das gesamte Avignoneser Papsttum vertreten hat, hat SCHÄFER, VQ 6, S. VIII Anm. 2, mit dem Hinweis widersprochen, es ließen sich in den Hauptbüchern Belege für Glasfenster finden. Die angeführten Belege stammen jedoch erst aus den Pontifikaten Benedikts ΧΠ. und seiner Nachfolger. Man wird also

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offenstanden, oder - um die Sonne abzuhalten - mit Tüchern aus gewachster Leinwand abgedeckt worden sind. Im Winter hat man die Fenster mit hölzernen Läden verschlossen. Abgesehen vom Kochen hatte die Küche auch für die Heizung des Palastes zu sorgen. Neben fest eingebauten Öfen bediente man sich tragbarer Kohlenbecken oder Glutpfannen, die je nach Bedarf in den einzelnen Räumen aufgestellt werden konnten1. Schließlich mußte die Küche auch für die Reinigung der Tischtücher und des sonstigen Leinenzeugs sorgen: die Ausgaben für Seife wie auch für die Tücher selbst flössen wöchentlich in die Ausgaben für Allerlei mit ein2. Auch Einkäufe von speziellen Tüchern zum Abtrocknen sind belegt3. Die Wäsche hat man in großen Kesseln gewaschen4, und zwar nicht durch das Personal der Küche selbst, vielmehr hat man auswärtige Kräfte damit beauftragt, deren Entlohnung ebenfalls in die Küchenausgaben einfloß5. Ein Teil des Spezereienbedarfs6 wurde unter Johannes XXII. und Benedikt XII. durch ein bis zwei jährliche Großeinkäufe in Montpellier gedeckt7; diese geschahen allerdings nicht nur im Auftrage der Küche, sondern vor allem des päpstlichen Leibarztes oder Apothekers. Es waren päpstliche Edelknappen, die man mit dieser Aufgabe betraut hat. Ebenfalls aus Montpellier stammte die jährliche Lieferung Thunfisch, die ausdrücklich pro domino nostro bestimmt war. Johannes' Nachfolger haben die Spezereien dann durchgängig in Avignon selbst gekauft. Unter Clemens VI. nehmen diese Einkäufe gewaltig zu: statt im jährlichen hat die Kammer sie nun im vierwöchentlichen, in den späteren Pontifikaten im monatlichen Rhythmus vornehmen lassen. Ein Versuch, die monatlichen oder vierwöchentlichen Spezereieneinkäufe mit den Bewirtungen von Gästen an der Kurie zu korrelieren, hat sich als wenig aussagekräftig erwiesen. Zwar schwanken die jeweils eingekauften Mengen an Spezereien im Jahresverlauf recht erheblich, und es ist gut möglich, daß besonders große Einkäufe auf den erhöhten Verbrauch bei derartigen Bewirtungen zurückzufuhren sind. Indes haben sich die erfaßten Zeiträume von einem Monat oder vier Wochen als zu grobmaschig erwiesen, als daß eine einigermaßen sichere Zuordnung von Ausgabenspitzen auf bestimmte Bewirtungen oder Feste möglich wäre. Man kann lediglich beobachten, daß meist (aber keineswegs immer) die Abrechungen nach dem Oster- und nach dem Weihnachtsfest überdurchschnittlich große Mengen an Spezereien verzeichnen.

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annehmen dürfen, daß unter Johannes noch Wachstücher vor den Fenstern waren, die unter seinen Nachfolgern allmählich durch Glasfenster ersetzt worden sind. Ζ. B. SCHÄFER, VQ 2, S. 78: Pro quadam braseria de novo facta pro camera domini nostri. Ζ. B. SCHÄFER, VQ 2, S. 75: Pro cepore pro lavandaria. S. 55: pro mapis et telis tressoris pro dressatorio et davantalibus coquine. Ζ. B. SCHÄFER, VQ 2, S. 58: Ad desicandum vasa coquine, 3 tovalliis et 3 tessoriispro coquina. SCHÄFER, VQ 2, S. 60: ...fecitfieri 2 lebataspro lavandaria domini. Sie stehen regelmäßig als Pro lotura pannorum unter Allerlei in den Wochenrechnungen. Vgl. Kap. VIE,7. Vgl. Tabelle 1,1.9-14. Aus den Kladden der Einkäufer ergibt sich, daß die Küche ihren Bedarf durch Einkäufe in Avignon selbst gedeckt hat.

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Der Einfluß der Fastenzeit auf die Kücheneinkäufe Bei den Einkäufen der Küche ist daran zu erinnern, daß wir nur über die außerordentlichen Einkäufe genauere Informationen haben, bei den alltäglichen dagegen nur über die wöchentlich gebuchten Ausgaben für Allerlei, Fleisch und Fiscn . Bei näherer Betrachtung verraten auch sie einiges für unsere Fragestellung. Auffallig ist zunächst, daß die Ausgaben fur Fleisch in den Wochen vor dem Osterfest plötzlich abbrechen; die große Fastenzeit vor Ostern, die Quadragesima, wurde also eingehalten2. Da in dieser Zeit auch die Ausgaben für Geflügel und Kleintiere entfielen, gehen die Ausgaben für Allerlei in der gleichen Zeit erheblich zurück, und zwar um 70-80 %. Dies verrät, wie gering der Anteil der Küchenausgaben für nichttierische Nahrungsmittel war, zumal wenn man bedenkt, daß solche während der Fastenzeit in höherem Maße als sonst einkauft worden sein dürften. Die Ausgaben für Fisch dagegen steigen in der Fastenzeit rapide an, auf das drei- bis vierfache der normalen Ausgaben. Insgesamt gehen die Ausgaben der Küche in der Fastenzeit keineswegs zurück, sie steigen vielmehr nicht unerheblich an. Beispielsweise hat die Küche im neunten Pontifikatsjahr Johannes' XXII. (1324/25) in den sechs Wochen vor der Fastenzeit 521 lib. vien. ausgegeben, in den sechs Wochen der Fastenzeit 725 lib. vien., in den sechs Wochen danach, in die immerhin das Osterfest fiel, 650 lib. vien. Rechnet man die Ausgaben der Fastenzeit als 100 %, betragen die entsprechenden Ausgaben der Vorfastenzeit rund 72 %, die der Nachfastenzeit rund 90 % . Bei Benedikt XII., wo als Beispiel das dritte Pontifikatsjahr (1337) herangezogen sei, sind die entsprechenden Zahlen noch extremer. Sie lauten 332 lib. cor. für die Fastenzeit (= 100 %), 128 lib. cor. (= 38,5 %) für die Vorfastenzeit und 156 lib. cor. (= 47 %) für die Nachfastenzeit4. Unter Benedikts Nachfolger Clemens VI. hat die Küche in seinem dritten Jahr (1344/45) während der Fastenzeit 1591 lib. mon. Avin. (= 100 %), vor der Fastenzeit 1091 lib. mon. Avin. (= 68,57 %) und nach der Fastenzeit 1114 lib. mon. Avin (= 70 %) ausgegeben5. Der Grund für diese eigenartige Entwicklung der Küchenausgaben ist nicht etwa darin zu suchen, daß man an der Kurie während der Fastenzeit außergewöhnlich viel gegessen hätte, sondern darin, daß Fisch in der Regel einen geringeren Nährwert als 1

Vgl. die Tabellen bei SCHÄFER, VQ 2, S. 55 ff.

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Dies war auch in voravignonesischer Zeit etwa unter Bonifaz VUL so gewesen. Vgl. SCHMIDT, Libri, S. 56 ff. und S. 265 ff. (die Wochenabrechnungen der Küche in den Wochen vor Ostern). Errechnet nach IE 58 f. 138r-142r. Bei der Berechnung sind die außerordentlichen Ausgaben der Küche nicht miteinberechnet worden. Ebenso wurden bei der Addition kleinere Beträge als 1 lib. nicht berücksichtigt. Hier wie auch bei den folgenden Beispielen sind die Größenordnungen in den anderen Pontifikatsjahren zwar nicht gleich, aber doch ähnlich. Die Auswahl der hier beispielhaft herangezogenen Jahre erfolgte unter dem Gesichtspunkt, daß in den drei sechswöchigen Zyklen möglichst wenig Gäste nachweisbar sind. Errechnet IE 162 f. 44r-52v. Errechnet IE 216 f. 74v-92r.

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Fleisch hat, man also eine größere Menge zu sich nehmen muß, um auf die gleiche Kalorienzahl zu kommen. Auch waren die Preise insbesondere für Süßwasserfisch keineswegs niedriger als für Fleisch1. Bezeichnenderweise ist gerade am Hofe Benedikts außerhalb der Fastenzeit relativ wenig Fisch konsumiert worden - so erklären sich die extremen Abweichungen der Ausgaben vor und nach der Fastenzeit von denen während der Fastenzeit. Diese These wird dadurch bestätigt, daß Benedikt entweder gar nicht oder in weitaus geringerem Maße als sein Vorgänger Fisch direkt am Atlantik oder am Mittelmeer hat kaufen lassen2. Dies mag an den persönlichen Geschmackspräferenzen des Papstes gelegen haben, vielleicht aber auch daran, daß der sparsame Papst die dort früher gekauften Sorten gerade wegen des relativ hohen Preises gemieden hat. Während bei Johannes und Benedikt die Ausgaben vor der Fastenzeit niedriger als nach der Fastenzeit liegen, was sich - wie erwähnt - daraus erklärt, daß die Kosten für das aufwendig gefeierte Osterfest darin eingeflossen sind, sind bei Clemens VI. die Ausgaben vor und nach der Fastenzeit annähernd gleich hoch. Dies ist ein Indiz für die an anderer Stelle noch genauer begründete These, daß die Differenz zwischen Alltag und Festtag während Clemens' Pontifikat zu verschwimmen beginnt, und zwar in Richtung auf den Festtag. Während also bei allen drei Päpsten die Gesamtausgaben während der Fastenzeit höher sind, als vor- und nachher, zeigt sich bei Innozenz VI. das umgekehrte Phänomen. So hat er etwa im zweiten Pontifikatsjahr (1354) während der Fastenzeit 1306 lib. mon. Avin. ausgegeben, vorher 1393 lib. mon. Avin. und danach 1703 lib. mon. Avin.3. Hier macht sich offenbar bemerkbar, daß die Kurie beginnend mit Innozenz VI. ihren Fleischbedarf zunehmend aus eigenen Viehherden zu decken begann4, die Ausgaben für frisches Fleisch also relativ zurückgehen. Wie bei Clemens' Vorgängern sind bei Innozenz die Küchenausgaben nach der Fastenzeit wieder erheblich höher als davor. Der unter Clemens ausgeuferte Luxus ist hier wieder erheblich eingeschränkt worden5. Während die Fastenzeit vor Ostern also eingehalten worden ist, ist dies in der zweiten großen Fastenzeit, dem Adventsfasten (quadragesima sancti Martini), anders gewesen: in den Wochen vor Weihnachten hat die Küche auch weiterhin Fleisch eingekauft. Das war bereits unter Bonifaz VIII. 6 und Clemens V. so gewesen7; Johannes 1 2 3

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Vgl. Kap. vm,5. Vgl. Kap. Vm,5. Errechnet nach IE 272 f. 86r-100r. Zwar kann hier der Vergleich nur bedingt aussagkräftig sein, da der Abrechnungsmodus unter Innozenz etwas anders als früher ist, die Größenordnung immerhin dürfte übereinstimmen. Vgl. Kap. Vm,4. Wegen der Umstellung der kurialen Buchführung von wöchentlicher auf monatliche Abrechung lassen sich für Urban V. und Gregor XI. entsprechende Zahlen leider nicht ermitteln. Vgl. SCHMIDT, Libri, S. S. 195 ff. und S. 261 ff. (Wochenabrechnungen der Küche vor Weihnachten). Vgl. GUILLEMAIN, Recettes, S. 22 ff. (Ausgaben vor Weihnachten) und S. 61 ff. (Ausgaben vor Ostern). In der Hofordnung Clemens' V. waren noch beide Fastenzeiten vorgeschrieben gewesen.

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XXII. folgte hier also lediglich einer älteren Tradition. Man gewahrt allerdings in dieser Zeit einen leichten Rückgang der Ausgaben für Fleisch. Benedikt XII. hat hier eine Reform versucht, die aber nur teilweise erfolgreich war. Lediglich im dritten (1337) und fünften Pontifikatsjahr (1339) hören die Fleischeinkäufe vor Weihnachten ganz auf1, in den anderen Jahren haben solche stattgefunden, wenn auch in erheblich geringerem Maße als sonst. Von dem prachtliebenden Clemens VI. waren diesbezügliche Anstrengungen nicht zu erwarten. Erst Innozenz VI. hat von seinem dritten Pontifikatsjahr (1355) an begonnen, das Adventsfasten bei Hofe wiedereinzuführen2; es ist allerdings nie so vollständig wie das Osterfasten durchgeführt worden. Urban V., dessen offiziöser Biograf seine Beachtung des Adventsfasten besonders rühmt3, hat nach seiner Rückkehr nach Rom auch versucht, dieses Fasten dem römischen Klerus nahezubringen, ob mit Erfolg, bleibt ungewiß4. Unter Gregor XI. sind dann alle Hemmungen gefallen: den ganzen Dezember hindurch sind reichliche Fleischeinkäufe verbucht. Auch außerhalb der großen mehrwöchigen Fastenzeiten hat man den kirchlichen Speisevorschriften dadurch Rechnung getragen, daß an mehreren Tagen der Woche kein Fleisch gegessen wurde. Anstatt der üblichen zwei Tage - Freitag und Samstag hatte die Hofordnung Clemens' V. sogar drei Tage - den Montag, den Mittwoch und den Freitag6 - vorgesehen, an denen an Stelle des Fleisches Fisch oder Eier ausgegeben werden sollten . Indes ist diese Vorschrift - wenn sie denn je gegolten haben sollte - bereits unter Bonifaz VIII. und Clemens V. nicht eingehalten worden. Beide Päpste

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Es scheint sich hier aber um die nicht aktualisierte Übernahme älterer Vorschriften zu handeln. Dies autem in quibus dantur pisces ordinarie, scilicet ter in edomada, ut dictum est, sunt hii videlicet a dominica de Adventu usque ad festum Nativitatis Domini et a dominica de Quinquagesima usque ad festum Resurrectionis dominice. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia S. 285. Neben den Hauptbüchern bestätigen die Kladden des Kücheneinkäufers diesen Befund: vgl. etwa IE 179 f. 79v von 1339 Nov. 28 (letzter Fleischeinkauf vor Weihnachten). Im folgenden Jahr wird dagegen weiterhin Rind- und Hammelfleisch eingekauft; auch Rebhühner und anderes Geflügel findet man mehrfach (ζ. B. IE 179 f. 180 ff von 1340 Dez.). Man erkennt dies daran, daß die Ausgaben für Fleisch in den Wochen vor Weihnachten vom dritten Pontifikatsjahr an erst erheblich zurückgehen, und schließlich fast völlig aufhören. Auch ist in diesem Jahr erstmals ein Großeinkauf von Fischen belegt, die ausdrücklich für die Adventszeit vorgesehen waren (SCHÄFER, VQ 3, S. 585 von 1355 Dez. 29). Liber de vita, cap. 5 7 , ed. ALBANES/CHEVALIER, S. 3 9 4 . Vgl. die Prima vita Urbani V, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 380, und die Schreiben des päpstlichen Kämmerers an den Klerus von Rom (WILLIMAN, Calendar η. 503 von 1368 Nov. 24, wiederholt in n. 573 zu 1369 Febr. 7), worin diesem verboten wird, während der Adventszeit Fleisch zu essen. Vgl. auch VONES, Urban V., S. 456. Vgl. etwa Coli. 466 f. 183ν (Einkäufe von 1374 Dezember). Das Fasten an den genannten drei Tagen ist völlig unkanonisch. Lediglich bei den Franziskanern war es üblich (freundlicher Hinweis von Georg Kreuzer). ...recipit a coquina singulis diebus quando dantur pisces ordinarie ter in edomada ... scilicet die Dominico ... die mortis ... et die iovis. Zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 285. Die Quelle ist natürlich so zu verstehen, daß die Fische jeweils am Sonntag, Dienstag und Donnerstag ausgegeben wurden, um am darauffolgenden Tag gekocht und verzehrt zu werden.

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befolgten aber - wie auch ihre Nachfolger - das herkömliche Freitags- und Samstagsfasten. Wie man aus den Kladden der Einkäufer erfahrt, wurde auch außerhalb der Quadragesima an diesen Tagen kein Fleisch verzehrt1. Lediglich von Urban V. wird berichtet, er habe an drei Tagen der Woche gefastet, nämlich am Mittwoch, Freitag und Samstag2. Jedoch ist fraglich, ob diese Vorschrift für den gesamten Hof galt. Der für die große Fastenzeit gewonnene Eindruck, daß das Fasten keineswegs zu einem Rückgang der Lebensmittelausgaben führte, bestätigt sich auch für das Freitags· und Samstagsfasten. Die Ausgaben für Lebensmittel sind an diesen Tagen im Durchschnitt höher als an den anderen Wochentagen3. Tierische und pflanzliche Nahrungsmittel Vergleicht man die Ausgaben eines Jahres für die Küche mit denen des Brotamtes, so zeigt sich ein erheblicher Unterschied: So stehen etwa im ersten Pontifikatsjahr Johannes' XXII. 5359 fl. Küchenausgaben 193 fl. Ausgaben des Brotamtes gegenüber. Wenn auch in den folgenden Jahren diese Summen etwas schwanken4, so bleibt das Verhältnis der Ausgaben beider Ämter zueinander während des Untersuchungszeitraums im Großen und Ganzen gleich. Der bereits aus der Hofordnung gewonnene Eindruck, daß der Anteil von Gemüse und Cerealien an den Mahlzeiten sehr gering war5, findet in den Hauptbüchern seine Bestätigung. Die Lebensmitteleinkäufe betreffen fast ausschließlich tierische Nahrungsmittel, ergänzt lediglich durch die geringfügigen Obst- und Broteinkäufe des Wein- und des Brotamtes. Wir haben es damit mit einem Konsumverhalten zu tun, wie es für die Oberschicht jener Zeit typisch war6. Fleisch, Fisch und Weißbrot waren für sie die üblichen Hauptnahrungsmittel7. Sieht man sich die täglich eingekauften Nahrungsmittel näher an , ergibt sich folgendes Bild1: Für Freitage, Samstage und sonstige Fasttage wird kein Fleisch einge-

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So bereits SCHÄFER, VQ 2, S. 63 Anm. 3. Bekanntlich ist Freitag der Tag der Kreuzigung Christi, Samstag der Tag der Grabesruhe des Erlösers. Liber de vita, cap. 5 7 , ed. ALBANES/CHEVALIER, S. 3 9 4 . Dies ist besonders deutlich, wenn man die Ausgaben der Freitage und Samstage mit denen der anderen Wochentage vergleicht. Ich folge hier den Kladden der Kücheneinkäufer Johannes' ΧΧΠ. (IE 106 und Coli. 449, ff. 4-22, Auszüge sind ed. bei SCHÄFER, VQ 2, S. 62 ff.) und Benedikts ΧΠ. (IE 179 und IE 187, Auszüge sind ed. bei SCHÄFER, VQ 3, S. 92, 96-99, 102 f., 124-26 und 142144). Fragmente einer solchen Kladde hat es auf ungeklärte Weise nach Bayeux verschlagen; sie sind ed. bei PROU, Fragments, S. 239 ff. Die Jahresausgaben der Hofämter unter Johannes' ΧΧΠ. sind tabellarisch zusammengestellt bei SCHÄFER, VQ 2, S. 21* ff. Nach Schäfers Berechnungen betrug der Anteil der Küche an den Gesamtausgaben des Pontifikats Johannes' ΧΧΠ. durchschnittlich 2 %, der des Brotamtes nur 0,16 %. Vgl. Kap. m,i. Dieser Eindruck wird durch die Rechnungsbücher der Hamburger Prokuratoren bestätigt. Vgl. bei SCHRÄDER, Rechnungsbücher, S. 73* ff. Vgl. MONTANARI, Hunger, S. 88 ff.

Ich stütze mich abermals auf die Kladden der Kücheneinkäufer (siehe oben).

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kauft, statt dessen Fisch, der meist nicht näher differenziert wird (pro piscibus), daneben Eier, Gemüse und auch Kichererbsen (pro cisseribus). Kichererbsen waren offenbar eine beliebte Fastenspeise: an Fleischtagen werden sie kaum je erwähnt. Anteilsmäßig machen an Fasttagen die Ausgaben für Fisch über 90%, die für alles andere weniger als 10 % aus. Außer für Fische berechnet der Einkäufer mitunter noch extra Ausgaben pro victualibus piscarii - handelt es sich vielleicht um Futter für die Fischteiche2? Eine weitere, nicht seltene Unterscheidung ist die von Fischen im allgemeinen und Süßwasserfischen (pro piscibus aque dulcis), diese werden extra angeführt. Daneben werden die Fische nach dem jeweiligen Händler unterschieden. Ebenfalls unter den Fischen abgerechnet sind die Einkäufe für Muscheln (pro mosculis). Zwar werden die eingekauften Fischsorten nur ausnahmsweise genannt; zusammen ergeben diese Nennungen doch ein Bild von der Vielzahl an Fischen die auf den päpstlichen Tisch kamen3. Da gab es Äschen (umbre), Alsen (alause), Barben (barbelli), Barsche (lupi), Goldbrassen (daurate), Heringe (alleces), Knurrhähne (rogeti), Lampreten (lamprede), Meeraale (gronhardi), Meerbarben (mugiles), Mollusken (polpri), Stachelrochen (passarde), Schmerle (lochi) und Seezungen (soleef. Hechte und Karpfen bezog der Papst aus eigenen Fischteichen5. Unter den Fischen sind auch Ausgaben für Krebse (lagusta und locusti) verbucht. Generell hat Benedikt XII. weniger Lebensmittel als sein Vorgänger eingekauft; die Kladden bestätigen hier abermals den Eindruck, den man aus den Hauptbüchern gewinnt. Während Benedikt an den Fleischtagen normalerweise einen halben Hammel, eine nicht genau benannte Menge Rindfleisch, sowie Geflügel einkaufen ließ, betrug der normale Tageseinkauf unter Johannes anderthalb Hammel, ein halbes Kalb, außerdem Rind- und/oder Schweinefleisch und Geflügel6. Anstelle des Kalbes wird oft auch ein ganzes Schwein erstanden. Bei Einkäufen von Rindfleisch im Winter wird nicht selten angemerkt, daß es gesalzen ist (pro carnibus bovinis in sale positis). An manchen Tagen hat der Einkäufer auch - immer nur eine einzige - Rinderzunge (lingua bovis) erstanden. Weiterhin findet man diverse Arten von Geflügel und Kleintieren: Hühner, Kapaune, Rebhühner, Tauben, Regenpfeiffer, Enten, Bekassinen, Fasane, Kaninchen und Zicklein. Sie werden täglich in wechselnder Zusammensetzung gekauft: unter Johannes oft ein Dutzend Hühner und ein Dutzend oder mehr Tiere der anderen Sorten, unter Benedikt nur in einer Anzahl von zwei bis fünf Stück pro Sorte. Schweinefleisch wird unter Benedikt nur selten erwähnt; hier ist anscheinend der gesamte Bedarf über die Großankäufe gedeckt worden. Dabei ist zu bedenken, daß das Schwein ein ausgesprochenes Saisontier ist, normalerweise wird es das Jahr über gemästet, um am Jahresende, gegen Weihnachten, geschlachtet zu werden. Insofern mögen die täglichen Einkäufe von

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Das Folgende nach IE 179 passim (5. und 6. Pontifikatsjahr Benedikts ΧΠ.). Über die päpstlichen Fischteiche vgl. Kap. VII,3. IE 179 von 1339 und 1340 und IE 187 von 1341 passim. Nicht identifizieren konnte ich die cabede. Sicher ist nur, daß es sich um eine Fischart handelt. Vgl. Kap. Vn,3. Dies nach den erhaltenen Kladden Johannes' ΧΧΠ.: Coli. 448 f. 91-141 und IE 106.

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ganzen Schweinen, wie sie unter Johannes üblich gewesen waren, Benedikt als unziemlicher Luxus erschienen sein. Gerne gegessen hat man Fleisch und Fisch in Form von Pasteten; sie sind sowohl fertig gekauft, als auch von der Küche zubereitet worden. Zu ihrer Füllung wird spezielles Rindfleisch erwähnt (pro carnibus bovinis pro pastello). Man hat Pasteten aber auch - mit Fisch gefüllt - an Fasttagen gegessen1. Einige Male hat der Einkäufer gekochten Most (mustus bullitus) eingekauft2; er diente offenbar als Fond zum Schmoren und Dünsten von Fisch und Fleisch3. Die Küche kaufte gelegentlich Hirse für die am Hof gehaltenen Hühner. Weiterhin erstand sie Mehl aus Reis (pro 2 lib. farine de riso luce). Der Bedarf an Öl ist unter Johannes und Benedikt größtenteils über die Einkäufe von Walfleisch gedeckt worden4, erwähnt wird aber Lampenöl; solches benötigte man für die nächtliche Beleuchtung und Bewachung des äußeren Palasttores5. Das zweite (innere) Tor ist dagegen mit Kerzen beleuchtet worden. Den deutschen Leser wird erstaunen, daß selbst an Sonn- und Feiertagen Einkäufe verbucht sind: eine geregelte Sonntagsruhe gab es zumindest für Lebensmittelhändler nicht. Die Schwankungsbreite der täglichen Küchenausgaben ist groß: selbst wenn man die Tage unberücksichtigt läßt, an denen Feste gefeiert wurden, reicht sie etwa unter Benedikt von 4 bis 100 Solidi pro Tag, unter Johannes ist die Breite noch größer. Dies sind aber Extremzahlen. Sie kamen dadurch zustande, daß die Einkäufer nicht nur den Tagesbedarf deckten, sondern gelegentlich auch größere Mengen - sei es an Lebensmitteln, sei es an Küchenzubehör - beschafften. Auch waren mitunter Kosten für die Wäsche von Tischtüchern und für die Reparatur von Küchengerät zu begleichen. Umgekehrt findet man nach Tagen mit relativ hohen Ausgaben oft solche mit relativ niedrigen; offensichtlich hat es da die Reste vom Vortag gegeben. Sehr wenig Geld, normalerweise einen Solidus pro Tag - bei einer Schwankungsbreite der normalen Tagesausgaben von 25-80 Solidi - , hat Benedikts Einkäufer für Gemüse und Kräuter aufgewandt6: diese Einkäufe stehen in den Kladden jeweils an erster Stelle; sie lauten stereotyp: pro caulibus et herbis ac porris7 (für Kohl, Kü1

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Pro 1 pastillo lamprede, IE 179 f. 9r von 1339 Febr. 11; ...pro 1 pastillo salmonis, IE 179 f. 16v von 1339 März 19. Ζ. B. IE 179 f. 5v von 1339 Jan. 29. IE 187 f. 2ν von 1341 Jan. 14: pro 1 barrilo de musto cocto pro provisione domus α die prima mensis septembris usque ad diem 14. Jan. Vgl. Kap. Vm,5.6. Pro oleo prime porte heißt es stereotyp. Die zweite (innere) Tür dagegen hat man mit Kerzen beleuchtet. So unter Benedikt ΧΠ.; unter Johannes ΧΧΠ. weichen die Zahlen nur geringfügig ab. Dabei wird der Verzehr von Gemüse beispielsweise in der Diätik des Amaldus de Villanova - immerhin zeitweise päpstlicher Leibarzt - durchaus empfohlen. Vgl. Arnaldus, Regimen sanitatis, cap. 9, ed. GARCIA-BALLESTER/MCVAUGH, S. 440 f. Anscheinend hat man sich im Mittelalter ebensosehr oder vielmehr ebensowenig wie heute an derartige Lehren gehalten. In den verschiedensten Variationen.

Die Alltagsverpflegung

205

chenkraut und Lauch). Unter Johannes XXII. sind sie etwas ergiebiger1, erwähnt werden: Spinat (espinargia), Petersilie (petrocillum), Fenchel (feniculum), Erbsen (pisi), Zwiebeln (cepi), Gurkenkraut (borage), Rüben (rape) und Salbei (salvia). Diese Gemüsesorten werden immer als Zutaten für die Suppe (pro potagio) gekauft. Wichtiger als Gemüse war Obst, welches vom Wein- oder vom Brotamt beschafft worden ist2. Hierzu mag beigetragen haben, daß schon die zeitgenössische Medizin einzelnen Obstsorten eine gesundheitsfördernde Wirkung zuschrieb3. Ein Indiz fur seine größere Bedeutung ist bereits, daß es innerhalb des Wein- oder Brotamtes einen eigenen, für den Einkauf verantwortlichen Amtsträger, den frucherius4, gab, wie auch, daß in den Hauptbüchern die Ausgaben für Obst zeitweilig extra im Wochenrhytmus verbucht worden sind. Leider wird so gut wie nie angegeben, welche Obstsorten man einkaufte. Der entsprechende Posten in den Rechnungsbüchem lautet in der Regel stereotyp pro fructibus. Weit stärker als bei den Küchenausgaben waren die Ausgaben für Obst vom Ablauf der Jahreszeiten bestimmt. Der Ausgabenhöhepunkt liegt in aller Regel in der Zeit von Mitte August bis Mitte Oktober, also im späten Sommer und frühen Herbst, wenn die verschiedenen Obstsorten ihre Reifezeit haben. Einen Teil des in der Erntezeit gekauften Obstes hat man im Keller eingelagert, um in der kalten Jahreszeit darauf zurückgreifen zu können. Nach der Erntezeit folgt ein allmählicher Rückgang der Ausgaben, bis sie schließlich in dem Zeitraum von Mitte Februar bis Mitte Juni ihren Tiefpunkt erreichen. Immerhin sind auch in dieser Zeit weiterhin geringe Ausgaben für Obst verbucht, hat man die Einkäufe nicht völlig eingestellt. In der Weihnachtwoche pflegt es sogar einen Ausgabenhöhepunkt zu geben. Verglichen mit den gleichzeitigen Ausgaben der Küche sind die Ausgaben für Obst freilich eher unbedeutend. In Johannes' neuntem Pontifikatsjahr etwa liegt der Ausgabenhöhepunkt für Obst mit 6 lib. 14 sol. 10 den. vien. in der Woche vom 24. - 31. Aug. 1324, in der gleichen Woche hat die Küche 92 lib. vien. ausgegeben. Der niedrigste Stand in diesem Jahr vom 1 . - 8 . Februar 1325 beträgt für Obst 1 lib. 7. sol. vien., demgegenüber machten die Küchenausgaben 82 lib. 3 sol. 7 den. aus5. Aus Benedikts Pontifikat sind keine separaten Abrechnungen für Obst erhalten, solche findet man erst wieder bei Clemens VI. Diese unterscheiden sich von Johannes' nicht nur durch ihre größere Höhe, sondern vor allem dadurch, daß die Schwankungsbreite der Ausgaben erheblich geringer ist. Zwar liegt auch hier der Höhepunkt der Ausgaben in der Obstsaison, der Rückgang der Ausgaben ist danach erheblich geringer als unter Johannes. Offenbar wollte Clemens auch im Winter und Frühjahr

1 2 3

4 5

Das Folgende nach IE 106. Vgl. Kap. IV,2.2. Vgl. etwa Guigo, Inventarium IV,2,7 (ed. als Nachtisch empfohlen werden. Vgl. Kap. IV,2.2. IE 58 f. 138r-142r und f. 153r-155r.

MCVAUGH/OGDEN

1,

S.

243 f.), wo Birnen und Feigen

206

Die Alltagsverpflegung

frisches Obst auf dem Tisch haben, und ließ dies ohne Rücksicht auf die hohen Kosten anschaffen1. In den folgenden Pontifikaten sind die Obstausgaben nicht mehr separat verbucht worden, auf einen weiteren Vergleich muß daher verzichtet werden. Die technische Ausrüstung Um ein köstliches Mahl auf den Tisch zu bringen, benötigt ein Koch nicht nur Rohmaterial, sondern auch eine entsprechende technische Ausrüstung, d. h. Küchengeräte aller Art2. In Avignon bestand der Grundstock seiner Ausrüstung zunächst aus Kupfergefaßen von teilweise erheblichem Gewicht. Da gab es schwere Kupferkessel, welche man an Dreifußen in das Feuer stellte; ihr Gewicht wird mitunter mit über 100 Pfund angegeben3. Andere Kupfergefaße dienten als Weinkühler4 oder als Wasserbecken5; weiterhin gab es Becken zum Händewaschen nach den Mahlzeiten6. Sogar eine kupferne Wärmflasche für die kalten Füße Benedikts XII. ist belegt7. Um frisches Wasser vom Brunnen in die Küche zu transportieren, waren weitere Gefäße nötig8. Kupfer ist ein empfindliches Material, das sorgfaltiger Pflege bedarf, und so finden sich häufig Ausgaben für die Reparatur des Kupfergeschirrs. Insbesondere bediente man sich dazu der Technik der Verzinnung: d. h. die Oberfläche der Gefäße wurde mit einem Zinnüberzug versehen, der gelegentlich erneuert werden mußte9. Für diese

1 2

Die durchgesehenen Hauptbücher werden hier nicht im einzelnen angeführt. Allgemein vgl. RUMM-KREUTER, Heizquellen; SEIFERT/SAMETSCHEK, Kochkunst;

TAUBER,

Herd;

DERS., Küche. 3

4

5

6 7

8

9

SCHÄFER, VQ 2, S . 55 von 1319 Juli 13:1 cacaboponderis 29 librarum de cupro et quodam tripode. VQ 3, S. 36 von 1336 Dez. 9-16: Pro refectura 2 cacaborum antiquorum, que ponderabant 139 lib. ... et dicti cacabi ponderaverunt, dum fuerunt refecti, 173 lib. ... et pro 1 cacabo novo ponderis 121 Ά lib.. SCHÄFER, VQ 2, S . 55 von 1319 Juli 27: Pro 4 semalibus de cupro emptis ad refrigerandum vinum pro mensa domini nostri, que erant ponderis 94 lib. de cupro (also 23,5 Libre im Durchschnitt). Ober diese Weinkühler vgl. auch Gagniere, Rafraichissoirs, S. 560. SCHÄFER, VQ 2, S . 71 von 1322 Febr. 12: Pro 2 canis et 2 embutis de cupro pro aqua necessariis ponderis 10 lib. SCHÄFER, VQ 3, S. 54 von 1336 Juli 19 SCHÄFER, V Q 2 , S . 6 0 .

VQ 3, S . 87 von 1339 Nov. 28-Dez. 5: Pro 1 scalfatore de cupro pro calefacienda aqua pro pedibus pape. SCHÄFER, VQ 2, S. 71 von 1322 Febr. 12:... adportandum aquam pro coquina ... 6paria barralium. Es handelt sich hier offenbar um jeweils zwei Eimer, die mit einem Tragjoch getragen wurden. Ζ . B . SCHÄFER, VQ 2 , S . 6 0 : Pro stagnatura 2 cacaborum et 8 ponsonetorum. Derartige Einträge finden sich nahezu jedes Jahr. Auch neues Kupfergeschirr ist derart behandelt worden. Vgl. SCHÄFER, VQ 2 , S . 7 2 von 1 3 2 2 Mai 2 3 . Zur Technik der Verzinnung von Kupfergefäßen vgl. K. RUTHENBERG, Oberflächenveredelung, in: LINDGREN, S . 1 4 5 f. (freudlicher Hinweis von Lukas Clemens) und F. GÖTTMANN, Kupferschmied und Kupferhammerschmied, in: REITH, Lexikon, S. 1 3 9 ff. SCHÄFER,

Die Alltagsverpflegung

207

Arbeiten zog man örtliche Handwerker heran1. Alte, unbrauchbar gewordene Kupfergefaße hat man an die Kupferschmiede zurückgegeben, um das Metall zu neuem Geschirr verarbeiten zu lassen2. Alles in allem wirkt die Ausstattung der Küche unter Johannes und Benedikt noch recht primitiv; sie steht der Gulaschkanone näher als der Haute Cuisine. Nur selten findet man Hinweise auf raffiniertere Technik: so wird einmal ein Waffeleisen erwähnt3; dann ist noch ein Gerät namens trapa belegt4, welches zur Herstellung von Pasteten diente. Vermutlich handelt es sich um eine Kuchenform. Die unten noch genauer besprochenen Kochbücher des 14. Jahrhunderts bestätigen diesen Befund: Die dort beschriebenen Zubereitungstechniken bestehen im wesentlichen aus Braten dies entweder auf Eisenrosten oder auf dem Bratspieß - oder aus Kochen - dies in großen Kesseln5. Am elaboriertesten ist die Weiterverarbeitung zu Pasteten und zu Galreiden6. Bemerkenswert ist noch der Ankauf einer Salzmühle unter Benedikt XII.7 sowie eines steinernen Beckens, um Öl darin aufzubewahren8. Auch Getreidemühlen sind im Palast belegt, allerdings handelt es sich dabei offenbar um kleinere Handmühlen9. Auffalligerweise hat Clemens VI. neue Küchengeräte nicht mehr nur in Avignon, sondern auch auswärts einkaufen lassen. Hier war Dijon bevorzugter Einkaufsort10. An neuartigen Geräten findet man besondere Kuchenformen, Bratroste und -spieße sowie (Waffel?-)Eisen fur lombardische Kuchen11. Auch mächtige Eisenkessel hat

1

Ζ. B . SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 0 4 u n d 1 0 8 .

2

Ζ. B . SCHÄFER, V Q 3, S . 3 5 .

3

SCHÄFER, VQ 2, S. 102 von 1327 Sept. 19-25: Pro ... quibusdem instrumentis ferreis ad faciendum gaufres. SCHÄFER, VQ 3, S. 87 von 1339 Nov. 28-Dez. 5: Pro 1 trapa pro faciendo pastillas pro coquina ponderis 16 lib.

4

5

Vgl. RUMM-KREUTER, Heizquellen, S. 231 ff.

6

Dazu siehe unten.

7

8 9

10

11

SCHÄFER, V Q 3 , S. 1 2 9 v o n 1 3 4 0 Jan. 2 9 .

IE 146 f 50r von 1335 März 11-28: Pro 2 iarris lapideis pro reponendo oleum. Ζ. B. ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 23 von 1319 Aug. 11: ...unum molendinum de fustapro molendo bladum inpalacio - 7 lib. 7 sol.; ähnlich S. 30 von 1320 Juli 13: Pro uno molendino quodfeceram fieri de fusta ad opud (sie) palacii episcopatus, ...ad opud (sie) molendi bladum - 5 lib. 2 sol. Auch in den Kladden der Lebensmitteleinkäufer werden Mühlen erwähnt: ...pro molendino coquine - 2 fi. 5 sol. (IE 179 f. 97v von 1340 Febr. 1). In dem Inventar des Palastes von 1369 (ed. HOBERG, Inventare, S. 452) wird die Mühle in der turris Trulhassio lokalisiert. Ober mittelalterliche Handmühlen vgl. MAURIZIO, Geschichte, S. 293 ff. Ζ . B . SCHÄFER, V Q 3, S. 2 5 1 (Einkauf von Kupfertellern oder -platten in Dijon). ...pro 4 cestis sive vasispro tortis lombardis ... ponderis 24 lib. - 6 lib. 18 sol., zit. nach IE 220 von 1343 nach Juni 8-15; SCHÄFER, VQ 3, S. 223 von 1342 Aug.: Pro .. 3 craticulis ... 4 verrutis ferri..., ähnlich SCHÄFER, VQ 6, S. 313 von 1345 Juli 2 ; IE 261 f. 76v von 1350 Okt. 14 (SCHÄFER, VQ 3, S. 443 fälschlich zu 1350 Okt. 4): 1 ferrum ad decoquendum tortas lombardas. Vgl. auch das Inventar des Palastes von 1369 (ed. HOBERG, Inventare, S. 449).

208

Die Alltagsverpflegung

man gekauft1. Neben dem früher allein gebrauchten Kupfergeschirr wurden auch Bronzegeräte benutzt. Sogar eine Senfmühle hat die Küche angeschafft2. Innozenz VI. ließ einen Mörser zum Mahlen von Salz erwerben3. Geschirr und Besteck Nur selten findet man in den Hauptbüchern Nachrichten über Eßbesteck; vereinzelt werden immerhin Einkäufe von Messern mit versilberten Griffen erwähnt4. Löffel aus Holz - werden erstmals unter Urban V. erwähnt5. Gabeln - aus Silber - finde ich nur unter Johannes XXII. erwähnt; er hat sie bei einem Avignoneser Goldschmied anfertigen lassen6. Hier mag eine Rolle spielen, daß die Gabel als Eßinstrument in kirchlichen Kreisen verpönt war7. Sie war auch generell in der Provence des 14. Jahrhunderts noch kaum bekannt8. In späteren Pontifikaten findet man Messerpaare speziell für den Tisch des Papstes erwähnt9, offenbar gebrauchte man zwei verschiedene Messer zum Essen. Zuletzt, unter Gregor XI., hat die Kammer drei bis vier solche Paare pro Jahr angeschafft. Auch die Küche selbst benötigte selbstverständlich diverse Messer, diese hat man mitunter nachgeschliffen10. Insgesamt bestätigt dies den Befund der Forschung über die Verbreitung von Eßbesteck im mittelalterlichen Europa11. Das wichtigste Instrument beim Essen war das Messer, das man normalerweise

1

SCHÄFER, VQ 3, S. 347 von 1347 Apr. 16: ...emisse in Burgundia pro coquina pape 13 ollas de metallo, queponderant 3 quintalia 3 lib...

2

SCHÄFER, V Q 3, S. 2 4 4 v o n 1 3 4 4 M a i 9.

3

SCHÄFER, VQ 3, S. 600 von 1355 Dez. 29. Die Versorgung mit Salz war in Avignon problemlos; nicht weit entfernt lagen die großen Salinen von Peccais (südöstlich von Aigues-Mortes). Über diese und den Salzhandel in Südfrankreich und der Provence vgl. VHXÄIN-GANDOSSI, Salines, S. 328 ff. und DIES., Comptes, passim; sowie BARATIER, Atlas, Karte 87 und 89.

4

SCHÄKER, VQ 3, S. 109 von 1339 Febr. 17 und S. 166 von 1342 Apr. 22.

5

SCHÄFER, V Q 6, S. 1 3 8 v o n 1 3 6 5 M a i 31

6

...pro ... 2 fucinulis seu forquetis de argento per eum (Peregrinum aurifaberem de Amnione) factis ... pro usu ipsius (pape)..., SCHÄFER, V Q 2 , S. 4 0 8 von 1 3 2 1 Juni 4 . Ober die Gabel vgl. SPODE, Hand, S. 20 ff. Demnach ist die Gabel als Eßinstrument in Byzanz aufgekommen. Im Westen ist sie erstmals in Venedig belegt. Dort hat sie im 11. Jahrhundert der Doge zum Essen benutzt, worüber sich Petrus Damiani heftig entrüstete. Auch Hildegard von Bingen sah im Gebrauch der Gabel eine Verhöhnung Gottes. Nach RUMM-KREUTER, Heizquellen, S. 235, hat die römische Kirche gar „den Bann über die Gabel verhängt". Das würde ihre Nichtbenutzung an der Kurie erklären. Es sei angemerkt, daß dieser Befund auch durch die Rechnungsbücher des Hamburgischen Prokurators in Avignon bestätigt wird. Dieser hat für seinen Tisch zwar silberne Messer und Löffel, aber keine Gabeln anfertigen lassen (SCHRÄDER, Rechnungsbücher, S. 71*, mit Zusammenstellung der Belege).

7

8

Vgl. STOUFF, Ravitaillement, S. 271.

9

SCHÄFER, VQ 3, S. 637 von 1356 Aug. 17: Pro 1 pari cultellorum pro mensa pape; ähnlich S. 824 von 1362 Mai 23 und Aug. 13; VQ 6, S. 87 von 1364 Jan. 23 u. ö.

10

Ζ . B . SCHÄFER, V Q 3, S. 6 8 9 v o n 1 3 5 7 A u g .

11

Ich folge hier RUMM-KREUTER, Heizquellen, 1, S. 2 6 0 ff.

S. 2 3 2

f. mit weiterer Literatur; sowie

BUMKE,

Kultur

Die Alltagsverpflegung

209

selbst mitbrachte; es handelte sich also in der Regel nicht um ein spezielles Eßmesser, sondern um ein Vielzweckgerät, das zwar auch, aber keineswegs nur zum Essen benutzt wurde. Man benötigte es in erster Linie zum Zerlegen des Fleisches. Viele Speisen hat man auf einer Unterlage aus Fladenbrot serviert, mit dessen Hilfe man das Essen zum Munde fuhren konnte1. Die erwähnten Messerpaare zeigen immerhin, daß wenigstens das Oberhaupt der Christenheit schon weiter fortgeschritten war. Löffel und Gabel setzten sich dagegen nur langsam durch, zunächst offenbar unter der Oberschicht. Generell scheint sich das Eßbesteck allmählich durch einen Prozeß der Verkleinerung von Küchengeräten entwickelt zu haben: aus der großen Schöpfkelle wurde der Löffel; aus der großen zweizinkigen Gabel, mit welcher die Köche Fleischbrocken aus den Kesseln hoben, wurde die uns vertraute kleine Gabel. Ein Bild von der Ausstattung einer festlichen Tafel bietet das Krönungsmahl Clemens' VI.2. An Trinkgefäßen hat man einerseits 375 irdene Krüge (brogue) und 5000 Humpen (pithalphi de terra) gekauft, aber auch schon 2000 gläserne Flaschen (amphorae de vitro) und 5000 Trinkgläser (vitre ad bibendum). Der Anteil an irdenen und gläsernen Gefäßen ist also fast gleich. Auch bei späteren Festen werden immer wieder sowohl gläserne als auch irdene Gefäße angeschafft3. Ansonsten aber ist das Geschirr recht grob; es werden große Mengen von hölzernen und irdenen Schüsseln, Schneidebrettem, Krügen u. s. w. erwähnt, nicht aber Messer, Löffel und Gabel. Messer zum Essen sind wohl von den Gästen selbst mitgebracht worden. Das Geschirr bestand also zum größten Teil aus billigem Material: Holz, gebranntem Ton u. ä. Die Masse der Kurialen hat während des gesamten Untersuchungszeitraums von solchem Geschirr gegessen, immer wieder ist der Ankauf großer Quantitäten verzeichnet4. Unter Clemens VI. bahnte sich aber eine Entwicklung zu größerem Luxus an. Erstmals findet man in den Hauptbüchern größere Einträge über den Einkauf von Geschirr. Selbst unter Clemens aber hat man für den Empfang hochgestellter Gäste noch hölzerne Schüsseln und Tröge angeschafft5. Auch unter Innozenz VI. war das nicht anders6. Wahrscheinlich waren diese fur das Gefolge bestimmt. Als Besonderheit findet man mit farbigem Stoff ausgekleidete Körbe zum Transport von Eiern, Brot und Obst erwähnt7. Bei den Trinkgefaßen scheint endgültig das Glas an die Stelle von hölzernen und irdenen Gefäßen getreten zu sein8.

1

Vgl. dazu MAURIZIO, Geschichte, S. 344.

2

SCHÄFER, V Q 3 , S. 1 8 4 FF.

3

Ζ. B. SCHÄFER, VQ 6, S. 117 von 1369 Juni 30.

4

Z.B.

5

6

SCHÄFER, V Q 6 , S. 2 2 4 v o n 1 3 6 8 M a i 3 1 .

SCHÄFER, VQ 3, S. 215 von 1343 Febr. 11 (Empfang des französischen Kronprinzen und späteren Königs Johann Π.); ähnlich VQ 3, S. 447 von 1351 Febr. 13 (Empfang des französischen Königs Johann Π.): ...expensis in vacella lignea.... SCHÄFER, VQ 3, S. 729 von 1358 Febr. 28; VQ 3, S. 732 von 1358 Sept. 30: Pro 3 duodenispitalphorum de terra tarn magnorum quamparvorum...

7

SCHÄFER, V Q 3 , S . 2 7 4 v o n 1 3 4 4 M a i 2 9 .

8

Ζ. B. SCHÄFER, VQ 3, S. 2 8 0 von 1344 Juni 17 und Dez. 10.

210

Die Alltagsverpflegung

Daneben hat es aber auch kostbares Geschirr aus Edelmetall gegeben, für dessen Pflege Clemens das Amt des Silberbewahrers geschaffen hatte1. In den Hauptbüchern taucht es nur gelegentlich auf, so findet man etwa Reparaturkosten für Silbergeschirr verzeichnet2, auch goldenes Geschirr wird erwähnt3. Dieses Geschirr, das offenbar fur den Papst selbst und seine engste Umgebung bestimmt war, ist vom Silberbewahrer auch nach Villeneuve und zurück transportiert worden, wenn der Papst dorthin reiste4. Urban V. trank seinen Wein aus einem goldenen Kelch; weiteres Silber- und Goldgeschirr, das er von seinem Vorgänger übernommen hatte, benutzte er für seine Tafel . Aufbewahrt hat man dieses Geschirr im Thesaurus6, also in der unter Benedikt XII. errichteten „Tour du pape"7. Zwar erfahrt man nicht von Neuanschaffungen solchen Geschirrs, wohl aber werden regelmäßig Ausgaben für Tücher zum Reinigen und Abtrocknen verzeichnet8. Auch die schmutzigen Tücher mußten wieder gewaschen werden: hierfür gab es unter Clemens VI. die „Tuchwäscherin" ( l o t r i x pannorum), soweit ich sehe die einzige Frau, die so etwas wie ein offizielles Amt am päpstlichen Hof bekleidet hat9. Zum Waschen der Tücher verwandte man große Kupferkessel, in denen das Waschwasser erhitzt wurde10. Bessere Auskunft über das kostbare Tafelgeschirr bieten die Inventare des päpstlichen Schatzes. Bereits Johannes XXII. hat von seinem Vorgänger einen Grundstock übernommen. Da findet man silberne Kerzenleuchter, goldene und silberne Schüsseln (scutellae), Becken (bacilia), Teller (plactelli), Messer ( i n c i s o r i a ) und Löffel (co11 clearia) erwähnt . Besonders Clemens VI. hat den Bestand an edlem Tischgerät weiter ausgebaut, seinem Nachfolger vererbte er zwar wenig Geld, aber schönes Geschirr12. Nicht nur für die Küche gab es zahlreiche Geräte aus Edelmetall - darunter beispielsweise 24 goldene und 368 silberne Schüsseln - , auch für das Weinamt standen kostbare Gefäße bereit13. Da gab es goldene Weinkrüge (pitalphi), goldene

1 2

Vgl. Kap. IV,3.2. Ζ. B. SCHÄFER, VQ 3, S. 304 von 1346 Sept. 16 und S. 313 von 1346 Febr. 17. Unter Innozenz: SCHÄFER, VQ 3, S. 729 von 1358 Mai 31. Unter Gregor XI.: SCHÄFER, V Q 6, S. 416 von 1372 Mai

14. 3

SCHÄFER, V Q 3 , S . 4 4 7 v o n 1 3 5 0 D e z . 16.

4

Ζ. B . SCHÄFER, V Q 3 , S . 5 0 5 v o n 1 3 5 2 Okt. 13.

5

SCHÄFER, V Q 3, S. 8 8 v o n 1 3 6 4 A u g . 16.

6

SCHÄFER, VQ 6, S. 137 von 1364 Nov. 20: ...portaverunt de fundo turris grosse palacii certam vaccellam auri et argenti ad cameram thesauri dicti turris...

7

Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 32 f.

8

Ζ. B . SCHÄFER, V Q 3 , S. 2 4 4 v o n 1 3 4 3 Okt. 13.

9

Sie war zugleich Ehefrau des päpstlichen Wasserträgers. Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 363 Anm. 3. Ζ. B. SCHÄFER, VQ 3, S. 689 von 1357 Aug.: Pro ... 1 concha cupreis ad calefaciendum aquam propanttis lineispape abluendisponderant 103 lib.

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11 12

13

HOBERG, Inventare, S. 20 f. HOBERG, Inventare, S. 149 f.

In dem Inventar werden sie ausdrücklich den Kellermeistern pro eorum officio exercendo angewiesen (HOBERG, Inventare, S. 150). Bei vielen der in den Inventaren erwähnten Edelmetallgefäße

Die Alltagsverpflegung

211

Handwaschbecken (platelli ad lavandum), silberne Tassen (tacee) und anderes mehr. Von Interesse ist dabei, daß über das Geschirr, welches der Silberbewahrer, das Wein-, das Brotamt und die anderen Ämter für ihre Arbeit benötigten, im Schatz Buch gefuhrt worden ist, diese Entnahmen aus dem Schatz also einer ständigen Kontrolle unterlagen. Geschirr, welches zu besonderen Festen und Empfangen ausgegeben worden war, mußte nach deren Ende zurückgegeben werden1. Daß es um die Haltbarkeit dieser Gegenstände nicht sehr gut bestellt war, beweist ein Unterkapitel über zerbrochenes Geschirr (vaxella ruptä). Es bleibt festzuhalten, daß sich die soziale Differenzierung bei Hofe auch in dem Eßgeschirr ausdrückte. Während Papst, Kardinäle und hochgestellte Gäste von Silber und Gold speisten, mußten sich die unteren Chargen mit weniger vornehmem Material begnügen. Speziell bei den Trinkgefaßen mag es sogar eine Differenzierung nach goldenen, silbernen, gläsernen und irdenen Gefäßen gegeben haben. Erstaunlicherweise findet man keine Ausgaben für den Ankauf solcher Gegenstände. Teilweise sind sie als Geschenke an den Hof gekommen2, vor allem aber sind sie aus den Nachlässen von am Hofe verstorbenen Klerikern in den päpstlichen Schatz gelangt3. Auch der Papst selbst hat seinerseits mitunter kostbares Geschirr an seine Gäste verschenkt4. Der erste Papst, bei dem Ausgaben für den Ankauf goldenen und silbernen Geschirrs erwähnt werden, ist Gregor XI., der letzte unbestrittene Avignoneser Papst5. Auch hier zeigt sich, daß der Luxus in Avignon unter diesem Pontifex seinen Höhepunkt erreicht hat. Das tägliche Brot Unter den Hofamtern hatte das Brotamt zunächst die geringste Bedeutung, was - wie bereits dargelegt - soweit ging, daß es unter Benedikt mit dem Weinamt zu verschmelzen drohte. Die Mengen des eingekauften Brotes und damit auch des umgesetzten Geldes waren so gering, daß ein eigenes Amt kaum lohnend erschienen sein mag. Das Brotamt hat das Brot nicht selbst hergestellt6, sondern in Form von Weißbrot, Gebäck u s w. bei den örtlichen Bäckern gekauft. Unter Benedikt aber bahnte sich eine Veränderung an. Mitunter finden sich Hinweise darauf, daß das Brotamt

1

ist nicht klar, ob sie als Eßgeschiir oder als liturgische Geräte dienten. Ich beschränke mich auf solche, deren Nutzung als Eßgeschirr wenigstens wahrscheinlich ist. Ein solches Verzeichnis der vom Schatz ausgegebenen und zurückerhaltenen Gegenstände bietet HOBERG, Inventare, S. 293 ff.

2

Das solche Gegenstände Geschenke waren, wird zuweilen ausdrücklich erwähnt. Vgl. ζ. B. HOBERO, Inventare, S. 153.

3 4

Sehr deutlich bei HOBERG, Inventare, S. 189 ff. (Nachlaß des Abtes Itherius von Cluny). So beschenkte etwa Urban V. König Johann Π. (SCHÄFER, VQ 6, S. 50 von 1362 Dez. 29), Gregor XI. die Königin von Navarra, die Gräfin von Foix und die Gattin seines Bruders, des Marquis de Canilhac (SCHÄFER, VQ 6, S. 488 von 1373 Okt. 5).

5

SCHÄFER, V Q 6, S. 4 1 6 v o n 1 3 7 2 M a i 2 0 ; S. 6 1 7 v o n 1 3 7 5 M a i 31.

6

Kleinere (Hand-?)Mühlen waren auch im Palast selbst vorhanden, indes reichten diese offenbar nicht aus, um größere Mengen zu verarbeiten.

212

Die Alltagsverpflegung

nicht mehr allein Brot eingekauft hat, sondern die nötigen Getreidemengen aus den Vorräten des Almosenamtes entnehmen und diese dann von örtlichen Bäckern weiterverarbeiten ließ1. Es hat damit ein Verfahren übernommen, das für das Almosenamt ebenfalls unter Benedikt belegbar ist: auch die Elemosinare haben das Getreide an Avignoneser Bäcker weitergegeben, die daraus Brot herstellten2. Unter Clemens VI. wird das Bild klarer. Man findet nun in den Abrechnungen des Brotamts in vierwöchentlichen Abständen Aufzeichnungen über die Mengen des ausgegebenen Brotes. In diesen Aufzeichnungen wird aber nicht etwa über das früher allein eingekaufte Weißbrot {panis albus) abgerechnet, sondern ausschließlich über braunes Brot3. Dabei wird jeweils die Anzahl der ausgegebenen Brote angegeben und auch wieviel Getreide - gemessen in großen Säumen - zur Herstellung der jeweiligen Brotmenge nötig gewesen war. Ahnlich wie bei der Küche, die unter Clemens eine Aufteilung in zwei Küchen - die Mundküche und die große Küche - erfuhr, hat es anscheinend auch beim Brotamt eine analoge Aufteilung gegeben: man differenzierte in Empfanger von weißem und von braunem Brot. Während aber die Panatare das Weißbrot weiterhin in traditioneller Weise bei den Avignoneser Bäckern einkaufen ließen, findet man für das braune Brot den gleichen Modus, der für das Brot des Almosenamtes galt. Die Panatare haben aus dem vom Almosenamt eingekauften Getreide die nötigen Mengen örtlichen Bäckern übergeben lassen; diese lieferten dann das fertige Brot an das Brotamt. Infolge dieses Abrechnungsmodus' sind die Ausgaben des Brotamtes durch das braune Brot nicht gesteigert worden - das Brotamt hat es nicht eingekauft, sondern lediglich verteilt - ; die Ausgaben fur das Getreide sind vielmehr bei den Abrechnungen des Almosenamtes zu Buche geschlagen. Die Brotmengen, um die es ging, waren nicht unerheblich und nahmen im Verlauf von Clemens' Pontifikat beständig zu. Vom dritten Pontifikatsjahr (1344/45) an, in dem diese Abrechnungen erstmals vorgenommen worden sind, steigen sie kontinuierlich von 157700 Broten aus 262,1 großen Säumen (= 655,25 Hektoliter = 50670,5 kg) Getreide auf 313400 Brote aus 544,9 großen Säumen (= 1362,25 Hektoliter = 105342,8 kg) im zehnten Jahr (1351/52)4. Hier hat nicht einmal die Pest einen Einschnitt verur-

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1

3 4

Typisch sind Formeln wie: Pro mensura 600 saum. de blado, que traditfurnerios... (IE 210 f. 204ν von 1348 Okt. 18-25. Ζ. B. IE 178 f. 139r von 1339 März 20-27: ...item pro mensuratione 1060 saum. bladi tradita forneriis - 4 sol. pro centenario = 42 sol. 6 den. Erst panis grossus, später panis brunus genannt. Ich stelle die Zahlen hier zusammen: 4. Pontifikatsjahr (1345/46) nach IE 242 f. 81r-87v: 170050 Brote = 283 Säume = 707,5 Hektoliter = 54710,9 kg; 5. Jahr (1346/47) nach IE 247 f. 62r-67v: 193400 Brote = 322,3 Säume = 805,75 Hektoliter = 62308,6 kg; 6. Jahr (1347/48) nach IE 250 f. 80r-87r: 207400 Brote = 353,83 Säume = 884,6 Hektoliter = 68406,1 kg; 7. Jahr (1348/49) nach IE 210 f. 83r-90r: 216700 Brote = 380,25 Säume = 951 Hektoliter = 73540,8 kg; 8. Jahr (1349/50) nach IE 260 f. 87r-92v: 207050 = 403 Säume = 1007,5 Hektoliter = 77909,9 kg; 9. Jahr (1350/51) nach IE 261 f. 90r-96r: 249450 Brote = 466,15 Säume = 1165,4 Hektoliter = 90120,4 kg; 10. Jahr (1351/52) nach IE 263 f. 78r-84r: 313400 Brote = 544,9 Säume = 1362,25 Hektoliter = 105342,8 kg; 11. Jahr (unvollendet, 1352) nach IE 265 f. 45r-49v: 248400 Brote = 436,5 Säume = 1091 Hektoliter = 84367,0 kg.

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sacht; auch in den Pestjahren ist die ausgegebene Brotmenge weiter angestiegen. Unter Clemens VI. rechnete man anfangs, daß ein großer Saum (= 250 Liter = 193 kg) Getreide 600 Brote ergab1. In seinem siebten Pontifikatsjahr (1348/49) hat man aus einem Saum nur noch 510 Brote gebacken, die Brote wurden also größer. Im Verlaufe des achten Jahres (1349/50) stieg die Anzahl der ausgebackenen Brote wieder auf 540, im neunten (1350/51) auf 550 und im zehnten (1351/52) wieder auf 600 an. Hier gewahrt man eine Folge der Pest: an anderer Stelle wird dargelegt, daß infolge der Pest der Getreideverbrauch in Avignon so stark zurückgegangen ist, daß große Mengen Korn in den päpstlichen Speichern zu verderben drohten Unter diesen Umständen war sparsames Wirtschaften offensichtlich sinnlos; man konnte das Brot größer ausbacken. Rechnet man die Jahresmengen des ausgegebenen Brotes auf den durchschnittlichen Tagesverbrauch um, erhält man 432 Brote oder 0,736 große Säume (= 1,84 Hektoliter = 142,3 kg) in Clemens' dritten (1344/45) und 859 Brote oder 1,5 Säume (= 3,75 Hektoliter = 290 kg) pro Tag in zehnten Pontifikatsjahr (13512/52)3. Auch unter Innozenz VI. findet man diese Abrechnungen. Die Anzahl schwankt zwischen 159850 Broten oder 290,2 Säumen (= 725,5 Hektoliter = 56102,9 kg) im vierten (1356) und 311700 Broten oder 519,8 Säumen (= 1299,5 Hektoliter = 100490,3 kg) im zweiten Jahr (1354). Rechnet man auf den Tagesverbrauch um, so erhält man im vierten Jahr 438 Brote oder 0,8 Säume (= 2 Hektoliter = 154,7 kg), im zweiten 854 Brote oder 1,4 Säume (= 3,5 Hektoliter = 270,7 kg). Eine gewisse Modifikationen ist unter Innozenz noch zu beobachten: Das ausgeteilte Brot wird zunächst in panis libratus (abgewogenes Brot) und panis brunus (braunes Brot) differenziert: aus einem großen Saum werden jeweils 550 abgewogene und 50 braune Brote gebakken. Es bleibt unklar, wodurch sich beide Sorten unterschieden haben. Vom Beginn des vierten Pontifikatsjahres aber hat die Kammer diese Unterscheidung aufgegeben; sie verzeichnet jetzt nur noch die Anzahl der abgewogenen Brote - dieses Brot ist offenbar identisch mit dem früheren panis grossus - und rechnet 550 Brote auf einen großen Saum. Auch Innozenz' Nachfolger haben diese Art der Brotausteilung beibehalten, indes hat man die Mengen des ausgeteilten Brotes nicht mehr mit der nötigen Genauigkeit verbucht. Sie ist unter Urban V. noch belegbar4; dort allerdings hat man 1

SCHÄFER, V Q 3, S. 236 f. von 1343/44.

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Vgl. Kap. Vm,2.2. Ich stelle die Zahlen zusammen: 2. Pontifikatsjahr (1354) nach IE 272 f. 102r-109r: 311700 Brote = 519,8 Säume = 1299,5 Hektoliter = 100490,3 kg; 3. Jahr (1355) nach IE 277 f. 89r-97v: 287150 Brote = 479,1 Säume = 1197,75 Hektoliter = 92622,0 kg; 4. Jahr (1356) nach IE 278 f. 94r-100v: 159850 Brote = 290,2 Säume = 725,5 Hektoliter = 56102,9 kg; 5. Jahr (1352) nach IE 282 f. 85r9Or: 195878 Brote = 356,3 Säume = 890,75 Hektoliter = 68881,7 kg; 6. Jahr (1358) nach IE 286 f. 95r-l 1 lr: 209000 Brote = 379,9 Säume = 949,75 Hektoliter = 73444,2 kg; 7. Jahr (1359) nach IE 288 f. 31r-32r: 206850 Brote = 379,5 Säume = 948,75 Hektoliter = 73366,8 kg; 8. Jahr (1360) nach IE 293 f. 88r-94r: 229300 Brote = 420,6 Säume = 1054 Hektoliter = 81505,8 kg. SCHÄFER, VQ 6, S. 38 (erstes Pontifikatsjahr - 1362-63); IE 316 f. 74v-168r (4. Pontifikatsjahr 1365/66) und IE 320 f. 47v-107r (5. Jahr - 1366/67). Aus zwei Pontifikatsjahren lassen sich auch die Jahressummen des Verbrauchs errechnen: im zweiten Jahr 1363/64 waren es 222,3 Säume =

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dann 733 1/3 Brote auf den großen Saum gerechnet. Es sind also kleinere Brote gebacken worden, auch darin zeigt sich Urbans Tendenz zu größerer Sparsamkeit. Man erfahrt hier auch, daß das Gewicht eines solchen Brotes sechs Unzen (unciae) betrug1. Rechnet man die Unze zu 33 Gramm2, wäre ein Brot mit 198 Gramm anzusetzen. Es hat sich also um recht kleine Brote gehandelt. Bei Urbans Vorgängern, die noch 550 oder 600 Brote auf einen Saum rechneten, war das Gewicht des einzelnen Brotes natürlich entsprechend höher. Hochgerechnet ergibt sich, daß ein großer Saum Weizen (= 250 Liter = 193 kg) rund 145 Kilogramm Brot ergeben hat, d. h. das Brotgewicht machte rund 75 % oder drei Viertel des Getreidegewichts aus. Das mag auf den ersten Blick recht wenig scheinen: im 19. Jahrhundert rechnete man, daß der Mehlanteil von Weizen - je nach Qualität - zwischen 66 und 77 % liegt, dann aber zum Backen von einem Kilogramm Brot nur rund 0,6 bis 0,87 Kilogramm Mehl erforderlich sind3. Legt man diese Zahlen zugrunde, hätte ein großer Saum (193 kg) Weizen rund 187 kg Brot ergeben müssen, d. h. das Brotgewicht wäre nahezu gleich dem Getreidegewicht gewesen. Indes dürfte die Qualität des mittelalterlichen Getreides geringer gewesen sein, auch haben möglicherweise die Müller einen Anteil für das Mahlen des Korns erhalten. Schließlich ist mit einer erheblichen Schwundmenge infolge der unvollkommenen Mahltechnik zu rechnen4. Nach den Berechnungen von Stouff erreichte in der spätmittelalterlichen Provence Weißbrot („pain blanc") etwa 67 bis 75,5 % seines Getreidegewichts, Mischbrot („pain mejan")5 etwa 77 bis 81 % und Vollkornbrot („pain complet") schließlich 81 bis 89 %6. Diese Zahlen, welche StoufF so niedrig schienen, daß er sie nur mit Vorbehalt akzeptiert hat, werden durch Dirlmeiers Forschungen im wesentlichen bestätigt7; die von ihm errechneten GetreideBrot Relationen sind eher noch schlechter8 als die bei StoufF. Insofern erscheint der oben für Avignon genannte Wert von 75 % als keineswegs außergewöhnlich; er ist durchaus normal. Neben dem Weißbrot, welches das Brotamt weiterhin bei den päpstlichen Bäckern einkaufte, und dem eben erörterten braunen Brot, gab es im päpstlichen Avignon aber noch eine dritte Brotqualität, die nämlich, welche vom Almosenamt ausgeteilt worden

558,25 Hektoliter = 43169,5 kg (errechnet aus SCHÄFER, VQ 6, S. 78) im dritten 186900 Brote

oder 256,2 Säume = 640,5 Hektoliter = 49529,9 kg (1 Saum = 733,3 Brote zu je 6 Unzen). 1

SCHÄFER, VQ 6, S. 38 von 1363 März.

2

Die Unze wird als 1/12 Pfund (libra) gerechnet. Dieses wird hier mit 400 Gramm angesetzt. Vgl. Kap. Π,4. Die Zahlen übernehme ich aus Meyers Großem Konversationslexikon 7 (1909) S. 757 ff. Bei der Berechnung gehe ich von den Mittelwerten aus, also 71,5 % Mehlanteil und 0,735 kg Mehl für ein kg Brot.

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Vgl. MAURIZIO, Geschichte, S. 402.

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Dieses dürfte wohl am ehesten dem panis brunus entsprechen.

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STOUFF, Ravitaillement, S. 288 ff. DIRLMEIER, Untersuchungen, S. 354 f.

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Die Werte für Weißbrot betragen bei DIRLMEIER, Untersuchungen, S. 355, 32-50 %, und für halbweißes Mischbrot 55 - 71 %. Lediglich bei den groben Brotsorten, welche vor allem in Kriegsund Hungerzeiten gebacken wurden, könnten annähernd 100 % erreicht worden sein.

Die Alltagsverpflegung

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ist. Beim braunen Brot des Brotamtes hat man - wie schon erwähnt - gerechnet, daß ein Saum Getreide 733,3 Brote zu je sechs Unzen ergibt. Es hat demnach ein Saum Getreide 4400 Unzen Brot ergeben. Im Gegensatz dazu rechnete man bei den gleichzeitigen Brotverteilungen des Almosenamtes einen großen Saum zu 572 Broten zu je 9 Unzen1. Hier sind also 5148 Unzen auf einen Saum gegangen, ein Unterschied von rund 15 %. In moderne Werte umgerechnet haben somit beim Almosenamt 193 kg Weizen (1 Saum) 169,9 kg (5148 Unzen) Brot ergeben, der Gewichtsverlust des Brotes zum Getreide beträgt also nur 12 % gegenüber 25 % beim Brotamt. Offensichtlich ist das im Palast verteilte braune Brot immer noch feiner als das Brot des Almosenamtes ausgemahlen worden. Auch auf den päpstlichen Hof trifft somit die Erkenntnis von Bruno Laurioux zu: „Die Hierarchie der Menschen erkennt man an der Farbe ihres Brotes..."2. Unter den Personen, die vom Brotamt verpflegt worden sind, lassen sich demzufolge Empfanger von Weißbrot und solche von braunem Brot unterscheiden. Welcher Personenkreis war es, der mit diesem Brot verpflegt worden ist? Zunächst wird man an die Palastbewohner denken. Indes ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Weißbrot, mit dem diese traditionellerweise verpflegt worden sind, in den hier ausgewerteten Abrechnungen für das ausgeteilte braune Brot gerade nicht enthalten ist. Empfanger des braunen Brotes war demnach eine andere - eine neue - Personengruppe. Zwei Gruppen kommen in Betracht. Unter Benedikt begann bekanntlich der großangelegte Umbau des päpstlichen Palastes; fur diese Arbeiten hat die Kammer zahlreiche Bauarbeiter und Handwerker beschäftigt. Diese erhielten neben ihrer Entlohnung auch einen Imbiß, eben die genannten Brote. Ich folgere das daraus, daß in den Abrechnungen des Weinamtes immer wieder Kosten nicht nur für die Entlohnung, sondern auch für die Verpflegung der Tagelöhner, die den Wein herstellten, abgerechnet worden sind - es war offenbar üblich und auch sinnvoll, diesen während eines Arbeitstages etwas zu essen vorzusetzen3. Solche Verpflegungskosten findet man aber in den Abrechnungen für die Entlohnung der Bauarbeiter nicht. Unter Clemens, der den Palastbau fortsetzte, kam noch eine weitere Gruppe hinzu: ich meine die zahlreich angestellten Tagelöhner, die in Zeiten außerordentlichen Arbeitsanfalls von der Kammer eingestellt worden sind4. Sonderaufgaben von Küche und Brotamt Wenn auch das Brotamt mit den Einkäufen von Getreide wenig zu tun hat, so tritt unter Clemens VI. eine andere Aufgabe hinzu, der Einkauf von Rosinen5. Sie sind oft auswärts, teils an den Orten, wo die Kurie ihren Wein erwarb, teils an denen, wo das

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Z . B . SCHÄFER, V Q 6, S. 157.

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Zit. nach LAURIOUX, Tafelfreuden, S. 17; vgl. auch DERS., Table, S. 88 ff. Daß dies in der Provence allgemein üblich war, zeigt STOUFF, Ravitaillement, S. 83. Vgl. Kap. IV,2.1. Ζ. B. IE 220 f. 94v von 1343 Okt. 21: ...Ouillelmo Bellifilio panatario pro 98 banast. racemorum ... proprovisione hospitii...; IE 242 f. 84r von 1345 nach Okt. 9-16.

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Bistum Weinberge hatte, gekauft worden1, Auch für das Waschen der Tisch- und Handtücher2 und die Anschaffung neuer solcher Tücher war es zuständig. Neugekaufte Tücher sind im Auftrage des Brotamtes mit einem speziellen Abzeichen versehen worden3. Eine weitere Spezialität, deren Beschaffung dem Brotamt oblag, war das Eselsbrot (panis asinus), das mit Spezereien und Eiern zubereitet wurde4. Nicht unter den Ausgaben des Brotamtes hat die Kammer unter Gregor XI. die Ausgaben für besonders feines Mehl verbucht, aus dem das Brot für den Papst selbst zubereitet wurde. Die entsprechenden Einkäufe nahm vielmehr einer der päpstlichen Kuriere vor; dieser rechnete die Kosten im Titel pro cera et extraordinariis ab5. Ahnlich hat auch die Küche eine weitere Aufgabe erhalten, nämlich die Herstellung von Wermutwein (veructum), hergestellt aus Weintrauben, Senfmehl und anderen Zutaten6. Die häufig zugleich getätigten Einkäufe von Trauben, welche die Küche zu gekochtem Most weiterverarbeitete, dürften dem gleichen Zweck gedient haben. Weitere Weintrauben hat die Küche zur Herstellung von agresta, dem provenzalischen „veijus", angekauft8, unter Johannes XXII. war er noch in bereits zubereiteten Zustand eingekauft worden. Er diente zur Zubereitung von Soßen9 und Suppen10. Auch vinum coctum (gefeuerter Wein oder Glühwein) wird erwähnt11. Unter Urban V. ist die Herstellung solcher Getränke auch durch das Weinamt belegt, diesem oblag nun die Herstellung von Clairet (clareytum). Dabei handelte es sich um Gewürzwein, für den das Weinamt extra Ingwer und Zucker einkaufte12. 1

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Z.B. JE 247 f. 65r von 1346 Okt. 16: Pro 24 saum. racemorum (zu je 20 sol.) - 24 lib.; pro portu racemorum de vineis de Barbantana per aquam usque adpalatium apost.... 117 sol. 9 den.\ ähnlich IE 210 f. 85v von 1348 Sept. 12 (stark gekürzt SCHÄFER, VQ 3, S. 394 f.); und IE 220 f. 94v. Unter Clemens VI. hat das Brotamt alle vier Wochen für durchschnittlich 900 Stück Wäsche 7 Solidi für je hundert Stück Wäsche abgerechnet, ζ. B. IE 242 f. 84v von 1345 Nov. 13. Ζ. B. IE 242 f. 84v von 1345 Nov. 13: Item pro consignando 306petias mapparum longeriarum et manutergiorum novorum - 31 sol. 11 den. Ζ. B. IE 250 f. 83v von 1347 Dez. 8: Pro pane asino confecto cum speciebus et ovis pro domino nostra - 4 lib. 3 sol. Ζ. Β. Coll. 465 f. 186v von 1372 Nov. 8: ...pro faciendopanempersonalem d. pape... Ζ. B. SCHÄFER, VQ 3, S. 330 f. von 1346 Aug. 28: ...pro faciendo veructum. Ζ. B. IE 248 f. 66r von 1346 Okt. 19: Pro 19 saum. racemorum (zu je 13 sol.) - 12 lib. 7 sol.; pro banastonibus faciendis - 2 sol. 6 den.; pro musto calcando - 7 sol.; pro portu mustus ad palatium - 3 sol.; pro salario magistri, qui bulivit dictum mustum -10 sol. ... Ζ. Β. IE 250 f. 64r von 1347 Aug. 21: Pro 63 saum. agreste (zu je 9 sol.) - 28 lib. 7 sol.; pro salario magistri, qui fecit agresta cum torcula sua - 4 lib. 14 sol. 6 den...:, ähnlich IE 263 f. 63v von 1351 Aug. 17 u. ö. Über Verjus und seine Verwendung in der mittelalterlichen Küche vgl. BRUNET/REDON, Vin, S. 109 ff. In IE 106 wird er ausdrücklich unter den Zutaten der Suppe (potagium) erwähnt. IE 210 f. 71v von 1348 Okt. 18: Pro 24 saum. vindemarum pro faciendo vinum coctum - 11 lib. 8 sol. Ζ. Β. IE 318 von 1365 Dez. 31: ...dixerunt se expendisse de Clareya pro d. n. ... 15 pithal., in quibus fuerunt 7,5 lib. zucare...; pro 5 lib. et 3 quart, gingiberis et 9 panibus zucare ponderis 14 lib., de quibus speciebus dixerunt se fecisse de clareya pro domino nostro 24 pith.

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Was aß man bei Hofe? Die Natur unserer Quellen bringt es mit sich, daß man zwar viele Informationen erhält, welche Lebensmittel der Hof einkaufte, man also sieht, welche Rohmaterialien die Köche erhielten; was sie daraus machten, das erfahrt man nicht. Immerhin gibt es - nicht speziell für den päpstlichen Hof, wohl aber für die spätmittelalterliche Oberschicht im allgemeinen - durchaus Informationen darüber, was diese zu essen pflegte. Hauptquelle sind verschiedene Kochbücher, die - nach einer langen, gegen Ende der Antike beginnenden Pause - erstmals wieder aus dem 14. Jahrhundert erhalten sind1. Leider gibt es kein zeitgenössisches Kochbuch, das direkt dem päpstlichen Hof entstammt. Ein solches ist erst aus dem 15. Jahrhundert erhalten, und zwar von Johannes Bockenheym, dem Koch Martins V. (1417-1431)2. Immerhin dürfte man auch am päpstlichen Hofe im Großen und Ganzen so, wie in den Kochbüchern3 beschrieben, gekocht haben, zumal die erhaltenen Bücher zahlreiche Übereinstimmungen aufweisen, sie somit einen in der Oberschicht allgemein verbreiteten Standard der Kochkunst

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Allgemein vgl. VAN WINTER in LdM 5 (1991) S. 1245 f.; DIES., Kochkultur, S. 328 ff.; LAMBERT, Manuscrit, dort im Anhang (S. 315 ff.) auch ein Verzeichnis der erhaltenen Handschriften von mittelalterlichen Kochbüchern. Eine Quellenkunde gibt LAURIOUX, Livres. Zuerst ed. von LAURIOUX, Registre, S. 709 ff. (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig). Ich zitiere nach der neuen Edition von G. BONARDI. Vgl. auch DIES., Mensa, S. 44 ff. Die in Frage kommenden seinen kurz aufgeführt - ich beschränke mich dabei auf die in Frankreich entstandenen Bücher, wie auch auf ihre Vorläufer, die auf den Hof der Anjou zurückgehen. Dort gegen 1300 - sind zwei lateinische Kochbücher verfaßt: der Tractatus de modo preparandi et condiendi omnia cibaria (ed. MULON, Traites, S. 380 ff.) und der Liber de coquina (ed. MULON, Traites, S. 396 ff). Ebenfalls gegen 1300, wieder am Hofe der Anjou, entstand die kleine Sammlung „Enseignements qui enseignent a apareilier toutes manieres de viandes" (ed. DOUET D'ARCQ, Traite, S. 209 ff, vgl. dazu MULON, Recettes, S. 236 ff). Teilweise von dieser abhängig ist der „Viandier" (was mit „der Koch" zu übersetzen ist), ein ebenfalls um 1300 entstandenes Werk, das lange dem berühmten Koch Guillaume Tirel, genannt Taillevent, zugeschrieben worden ist (so noch in der Edition von J. PICHON und G . VICAIRE). Widerlegt hat dies AEBISCHER, Manuscrit, S. 73 ff. Die neue Edition von T. Scully war mit nicht zugänglich. Am umfangreichsten ist der „Menagier de Paris" (was etwa mit der „Hausvater von Paris" zu übersetzen ist), ein gegen Ende des 14. Jahrhunderts entstandenes Handbuch zur Führung eines großbürgerlichen Haushalts. Die einzige vollständige Edition ist immer noch die von Jerome PICHON von 1847; die hier interessierenden Teile sind größtenteils auch in der neuen Auswahledition von E. BRERETON und J. FERRIER enthalten. An Literatur vgl. ZIMMERMANN, Kochkunst, S. 104 ff. und DIES., Hausbuch, S. 33 ff. Auf die geistesgeschichtliche Einordnung dieses Textes in die mittelalterlichen Ökonomiken kann ich hier nicht eingehen, dafür sei neben den genannten Arbeiten von Zimmermann auf RICHARZ, Oikos, S. 74 ff. verwiesen. Der „Menagier" enthält neben allgemeinen Hinweisen für die Beschaffung von Lebensmitteln, fur ihre Konservierung, Zubereitung und Kombination zu Speisefolgen auch rund 380 Rezepte. Diese gehen teilweise auf den „Viandier" zurück, sind aber zahlreicher und aufwendiger; sie verdeutlichen so den Fortschritt der Kochkunst im Verlaufe des 14. Jahrhunderts.

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repräsentieren dürften. Ich ziehe sie nicht systematisch heran, lediglich zur Kontrolle der aus den kurialen Quellen gewonnenen Eindrücke. Als spezifisch kuriale Quellen bieten sich hier zwei Konstitutionen - eine Johannes' XXII. und eine Innozenz' VI. - an, mit denen diese Päpste versucht haben, den Luxus in den Haushalten ihrer Kardinäle einzuschränken. Schon zwei Wochen nach seiner Ankunft in Avignon hat Johannes die seine erlassen1; offenbar wollte er den Aufwand, der sich unter seinem Vorgänger Clemens V. eingebürgert hatte, auf ein angemessenes Maß zurückfuhren. Seine Konstitution enthält sehr detaillierte Vorschriften über den Aufwand bei Tisch: sie zeigt, wie sich Johannes die Normalverpflegung der Kardinäle dachte. Er selbst dürfte ähnlich gegessen haben, und auch seinen Tischgenossen wird man gleiches vorgesetzt haben. Grundgedanke des Textes ist, daß die Hauptmahlzeit (prandium)2 aus nicht mehr als zwei Hauptgängen bestehen soll3. Dabei sind Suppe, Soße4 und Leckereien ausdrücklich nicht gerechnet, ebenso wird freigestellt, was an kleinen Vögeln, Salzfleisch, gesalzenen Fischen5, Eiern, Käse, Kuchen, Lasagne, Gemüse und Obst, Gewürzen und Konfekt vor, nach, während und zwischen den Hauptgängen gereicht wird6. Als Hauptgänge durften entweder zwei Fleisch- oder zwei Fischgänge oder jeweils ein Fleisch und ein Fischgang serviert werden. Eine Ausnahme wird bei bestimmten Wild- und Geflügelsorten gemacht; wurden diese serviert, waren auch drei Gänge erlaubt. Man befürchtete, diese Sorten nicht in ausreichender Menge erhalten zu können, die Ausnahme wird nämlich ausdrücklich für den Fall widerrufen, daß es sich bei dem servierten Wild um Kaninchen, Hasen oder Rebhühner handle, diese seien in hiis Provinciae partibus reichlich vorhanden. Insgesamt entsteht so das Bild eines mehrgängigen Menüs, bestehend etwa aus Vorsuppe, Fischgang, Fleischgang und Nachtisch. Dabei ist zu bedenken, daß der Zweck dieser Konstitution gerade der war, dem Übermaß zu steuern - es dürfte also in manchen Kardinalshaushalten erheblich üppiger zugegangen sein. Auch geht es hier um die

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Ed. ZACOUR, Regulation, S. 447 ff. von 1316 Okt. 2. Dies scheint mir die sinnvollste Übersetzung. In der entsprechenden Konstitution Innozenz' VI. (ZACOUR, Regulation, S. 453 ff.) wird dann zwischen prandium (Mittagessen) und cena (Abendessen) unterschieden. Nach LAURIOUX, Tafelfreuden, S. 119, waren im Mittelalter zwei Mahlzeiten pro Tag üblich oder galten zumindest als erstrebenswert. Auf eine ähnliche Konstitution König Philipps ΙΠ. von Frankreich aus dem Jahre 1279 weist BUMKE, Kultur 1, S. 242, hin. Dort wird festgelegt, daß kein Adliger oder Prälat mehr als drei Gänge auftischen dürfe; dabei sollen Obst und Käse nicht zu den drei Gängen gerechnet werden. ZACOUR, Regulation, S. 435, übersetzt salsamenta mit Soße (sauces), wohl zu Recht; in der klassischen Bedeutung - gesalzener Fisch - wäre der Begriff eine Tautologie, da ausdrücklich salsi pisces erwähnt werden. Daraus folgt zugleich, daß in den HauptgängenfrischerFisch und frisches Fleisch gereicht wurde. Parve autem avicule, salse carnes, salsi pisces, sapores, salsamenta, potagia, ova et caseus, lagana sive lasangie (!), et hiis similia, in quibus nec carnes nec pisces nisi fortassis ad condimentum addantur, herbe etiam fructus et poma electuaria species sive confecta nec intermissum faciunt nec nomine ferculi merebuntur, et idcirco ultra predicta due fercula poterunt ministrari. Zit. nach ZACOUR, Regulation, S. 4 4 9 . Über mittelalterliche Lasagne vgl. VOLLENWEIDER, Einfluß, S. 4 4 0 ff., mit Belegen aus dem 13. und 14. Jahrhundert.

Die Alltagsveipflegung

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Alltagsverpflegung, bei großen Gastmählern muß man mit weit größerem Aufwand rechnen. Um jedes Hintertürchen zu verschließen, legt Johannes sehr eingehend - ja pedantisch - fest, was unter einem Hauptgang (ferculum) zu verstehen sei1: Ein solcher habe aus höchstens zwei Sorten gekochten oder drei Sorten gebratenen oder gelierten Fleisches zu bestehen. Auf jeden Fall aber habe man in einem Gang entweder nur gebratenes oder nur gekochtes oder nur geliertes Fleisch zu servieren, keinesfalls alle zusammen. Analoges gilt für den Fisch. Im einzelnen braucht dies nicht weiter ausgeführt werden; festzuhalten bleibt, daß auch hier wieder Fleisch und Fisch im Zentrum der Ernährung stehen, ihnen die ganze Sorgfalt der Zubereitung wie auch die ganze Aufmerksamkeit des erbosten Papstes gilt, während alle anderen Nahrungsmittel lediglich als Beilage angesehen werden2. Johannes' Konstitution bestätigt somit, was bereits anläßlich der Darstellung der Lebensmitteleinkäufe ausgeführt worden ist. Auch stimmt sie mit dem Bild überein, das die Kochbücher vermitteln. In den „Enseignements" beispielsweise wird zuerst und am ausfuhrlichsten die Zubereitung von Fleisch behandelt, unterteilt in die Zubereitung des Fleisches von großen Tieren, d. h. von Schweinen, Kälbern, Hammel und Rindern. Es folgen die diversen Arten von zahmen und wildem Geflügel, dann erst werden - relativ knapp - die Süß- und die Salzwasserfische behandelt. Gemüse wird nicht genannt. Lediglich als Zutaten bei der Fleischzubereitung werden mitunter Kräuter erwähnt. Stark betont wird dagegen, welches Gewürz jeweils zur Fleischsorte und Zubereitungsart paßt. Elaborierter ist der „Viandier". Abermals ist die Konzentration auf die Zubereitung von Fleisch und Fisch auffällig, hier aber findet man auch zahlreiche Rezepte für Suppen („potaiges" oder „brouets")3, und bei diesen wird - neben zahlreichen anderen Zutaten, unter denen Fleisch und Gewürze am wichtigsten sind - auch Gemüse erwähnt. Dieser Eintopf entspricht offenbar dem potagium, das an der päpstlichen Tafel als erster Gang gereicht wurde. Im „Menagier" ist die Fixierung auf Fleisch und Fisch nicht mehr ganz so extrem, immerhin als Beilagen liest man mitunter auch von Gemüse. Auch werden regelrechte Gemüsesuppen beschrieben4. Als Zwischengericht und Desserts werden auch verschiedene Käsesorten und Süßspeisen genannt5. Bemer-

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Ceterum unius ferculi nomine, ne ipsius significatione vocabuli hesitetur forsitam...,

zit. nach

ZACOUR, Regulation, S. 449. 2

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Die Etymologie des Wortes „viande" ist hier von Interesse. Während es heute nur noch mit „Fleisch" im engeren Sinne zu übersetzen ist, hatte es im Mittelalter noch die Bedeutung von „Nahrungsmittel" allgemein. Darunter ist nicht nur Suppe im heutigen Sinn zu verstehen, unter den einschlägigen Rezepten im „Viandier" finden sich Gerichte, die man heute wohl am ehesten als „ErntopP bezeichnen würde. Vgl. dazu auch RUF, Suppe, S. 165 ff. Menagier, ed. PICHON 2 , S. 1 3 4 ff. Menagier, ed. PICHON 2 , S. 2 1 0 ff. Über die Bedeutung der Zwischengerichte („entremets") an mittelalterlichen Tafeln vgl. LAURIOUX, Table, S. 94 ff.

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kenswert sind noch die zahlreichen Pastetenrezepte, die es mit den verschiedensten Fleisch- und Fischfiillungen gab1. Aus der genannten Konstitution Johannes' XXII. haben wir erfahren, daß der Papst - und damit wohl auch sein Koch - bereits drei verschiedene Zubereitungsarten von Fleisch und Fisch zu unterscheiden wußte. Nähere Aufmerksamkeit verdient die dritte Art, also carries in galatina positas. Soweit dieses Gericht aus Fleisch hergestellt wird, scheint es sich um eine Art Sülze zu handeln. War es dagegen aus Fisch hergestellt, dann hat es ein Gericht ergeben, das im Mittelhochdeutschen als „Galrey" oder „Galreide" bekannt ist. Auch dabei handelt es sich um eine Art Sülze; man hat sie aus verschiedenen Fischsorten und viel Gewürz zubereitet und als außerordentliche Delikatesse geschätzt2. Die von Johannes vorgesehene Speisefolge für die Alltagsgerichte der Kardinäle entspricht durchaus dem, was im „Menagier de Paris" als üblicher Aufwand für ein Festessen beschrieben wird3. So sind beispielweise in dem ersten der dort gegebenen Menüpläne in der Tat zwei Hauptgänge aus jeweils zwei Hauptgerichten vorgesehen: Im ersten Gang sollen zwei Fischragouts gereicht werden, im zweiten gekochte Meeres· und gekochte Süßwasserfische. Hinzu kommen Vorspeisen (Wein, warme Pasteten, Bratäpfel, gebackene Feigen), Entremets, also Zwischengerichte (verschiedene Fischsorten, bestreut mit Reis und gerösteten Mandeln und Übergossen mit verschiedenen Soßen) und der Nachtisch (Kompott aus Früchten, kleine Pasteten, gekochte Cremes, Feigen, Datteln, Weintrauben und Nüsse). Zum Abschied sollen noch Wein und Konfekt gereicht werden. Auch unter Einhaltung der beschriebenen Restriktionen hätte ein Kardinal täglich ein solch opulentes Mahl auf den Tisch bringen können. Während Johannes noch versuchte, den Aufwand für Essen und Trinken in Grenzen zu halten, so sind unter Clemens VI. alle Hemmungen gefallen. Eine fast schon klassische Quelle über den Aufwand bei Tisch bietet der anonyme Bericht, den aller Wahrscheinlichkeit nach ein Florentiner Kaufmann über ein Gastmahl geliefert hat, das im Jahre 1343 der Kardinal Anibaldus de Ceccano4 in seinem Sommerhaus für Clemens VI. ausgerichtet hat5. Dort gab es neun Gänge zu je drei Gerichten, Speisen von einer solchen Mannigfaltigkeit, daß unser Berichterstatter gesteht: „ich würde eher meine Feder abnutzen, als so viele Sachen beschreiben können. Es gab alles, was gut, teuer, vorzüglich und exzellent war"6. Außer dem Essen selbst ließ der Kardinal als besonderen Höhepunkt etwas auftragen, was man vielleicht als Schau- oder 1

2

Ich zeige an anderer Stelle, daß die Trennung zwischen Köchen und Pastetenbäckern im Avignon des 14. Jahrhunderts bereits vollzogen ist (Kap. VI,3). Über die Bedeutung von Pasteten im mittelalterlichen Speisezettel vgl. LAURIOUX, Tafelfreuden, S. 115 f. Vgl. dazu FOUQUET, Konsumverhalten, S. 1 0 4 . Seine Belege stammen aus dem 1 5 . Jahrhundert. Verschiedene Rezepte über die Zubereitung von „galentine" auch in den Enseignements (ed. DOUET-D'ARCQ, S. 2 2 1 f . ) .

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4 5 6

Im Menagier (ed. PICHON 2, S. 9 1 ff.) werden 24 Menüpläne gegeben, von „...disners et soupers de grans seigneurs et autres". Über ihn vgl. DYKMANS, Cardinal, S. 145 ff. Ed. D E LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 331 f. D E LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 341. Die Übersetzung stammt von mir.

Die Alltagsverpflegung

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Schmuckgerichte bezeichnen könnte. Nach dem dritten Gang wurde nämlich - gleichsam als unterhaltende Einlage - etwas besonderes aufgetragen: „eine riesige Burg aus Wildbret, dem man die Haut abgezogen hatte: ein enormer Hirsch, der noch zu leben schien, obwohl er gekocht war, ein Wildschwein, Ziegen, Hasen, Kaninchen; sie schienen lebendig, obgleich sie gekocht waren"1. Bei diesem Gastmahl haben wir es natürlich nicht mit einer alltäglichen Mahlzeit zu tun, sondern mit einem außergewöhnlichen Festmahl. Innozenz' versuchte wieder in die Bahnen Johannes' XXII. einzulenken, seine Vorschriften sind ähnlich, aber weniger detailliert. Bemerkenswerterweise setzt er die Restriktionen für den Fall außer Kraft, daß ein König oder ein Bruder des Königs bei einem Kardinal zu Gast ist. Die Gastmähler des Papstes für die ihn besuchenden Fürsten hatten also ihr Gegenstück in analogen Gastmählern der Kardinäle. Die päpstlichen Versuche, den Tafelluxus der Kardinäle einzuschränken, erreichten kurz vor dem Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas ihren Höhepunkt: Urban VI. verlangte allen Ernstes von den Kardinälen, sich beim Mittag- und Abendessen mit einem einzigen Gang zu begnügen2! Die Armenspeise in Avignon Einen scharfen Kontrast zur päpstlichen Verpflegung bietet ein Seitenblick auf die Abrechnungen des Almosenamtes3. Unter Johannes XXII. zerfiel es in zwei Ressorts: die Panhota, das Brothaus, wo Getreide und Wein an die Armen ausgeteilt wurde4, und die Elemosina, das Armenhaus5, wo Arme und Kranke - in der Regel 25 - Auf-

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2

Derartige Schaugerichte werden auch im „Menagier de Paris" erwähnt, bezeichnenderweise fügt der Autor aber hinzu: „Aber das alles ist mit viel zu viel Aufwand verbunden und gehört nicht zu den Aufgaben des Kochs eines Bürgers oder eines einfachen Ritters - aus diesem Grunde übergehe ich es", (zit. und übersetzt von ZIMMERMANN, Kochkunst, S. 113). Der Vorbehalt und latente Gegensatz des großbürgerlichen Verfassers gegen hochadlige Kreise kommt hier zum Vorschein. Sehr deutlich wird auch, daß das Maß an Tafelluxus ständisch bedingt war und daß der „Menagier" noch keineswegs das Höchstmaß an Aufwand beschreibt, das an einer Tafel des 14. Jahrhunderts vorkommen konnte. Vgl. die Aussage des kastilischen Gesandten Alvarus Martini von 1381 (ed. SEIDLMAYER, Anfänge, S. 272 ff., hier S. 274) und die Aussage des Bischofs Menendus von Cordoba von 1381 (ed. SEIDLMAYER, Anfänge S. 275 ff., hier S. 279).

3

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 3 8 ff.; LE BLEVEC, O r i g i n e s , S . 1 4 7 ff.

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Vgl. die Tabellen bei SCHÄFER, VQ 2, S. 659 ff. Wie diese Lebensmittelverteilungen abliefen, dafür gibt es einen Text - nicht des vierzehnten, sondern des neunten Jahrhunderts. Nach der Vita Hadriana des Liber pontificalis (ed. DUCHESNE 1, S. 5 0 2 , vgl. dazu BONARDI, Manger, S. 3 9 f.) erhielten die Armen an einem Tor des Laterans ihre Verpflegung. Die ausgeteilten Lebensmittel bestanden im wesentlichen aus Brot und Wein, außerdem wird noch Zukost (jmlmetitum) genannt, die anscheinend hauptsächlich aus Schweinefleisch bestand. Während der ersten vier Monate von Johannes' Amtszeit war es gegen eine Monatsmiete von 1 lib. vien. in einem von der Kurie gemieteten Haus untergebracht, und zwar prope portale Bochier (SCHÄFER, VQ 2, S. 609 n. 15), d. h. im Süden Avignons. Danach bezog es ein neuerbautes Ge-

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Die Alltagsverpflegung

nähme und Pflege fanden. Das Hauptnahrungsmittel für die Armenspeisungen war Getreide; die hier in Großeinkäufen angeschafften und ausgegebenen Quantitäten übertreffen alle anderen Ausgaben bei weitem. Dabei ist mit dem Quellenterminus annona Weizen gemeint, das normale Brotgetreide des Mittelmeerraums1; kleinere Mengen Gerste (ordeum) und Roggen (siligo) hat man extra ausgewiesen. Hinzu kamen geringe Mengen an Bohnen (fabe) und Erbsen (pisi). Bei den Armenspeisungen sind zwei Spielarten zu unterscheiden: Es gab zunächst die Lebensmittelverteilungen der Panhota, des Brothauses; hier wurden Getreide und Wein ausgegeben. Das Getreide ist unter Johannes anscheinend im Rohzustand, also nicht in Form von Brot oder auch nur von Mehl verteilt worden. Hier ist zu bedenken, daß der heute übliche Einkauf von fertigem Brot im Mittelalter eher die Ausnahme darstellte. Viele Haushalte kauften das Getreide im Rohzustand und ließen es dann mahlen. Oft wurde das Brot dann selbst gebacken, andere gaben ihr Mehl zu einem fornerius2 (d. h. zu dem Betreiber eines Backofens), um es dort backen zu lassen3. Schließlich ist Getreide keineswegs nur in Form von Brot verzehrt worden; gerade in der Unterschicht war lange Zeit der Genuß von Brei und Fladen verbreiteter als der von Brot4. Erst unter Benedikt XII. ist dann ein neues Verfahren zu beobachten; es sollte von seinen Nachfolgern beibehalten werden5. Das Almosenamt hat alle paar Monate eine Anzahl von Säumen Getreide an Avignoneser Bäckern übergeben; diese hatten es zu mahlen, zu Brot weiterzuverarbeiten und das Brot dann wieder an das Almosenamt zu liefern. Dieses Brot ist seither vom Almosenamt verteilt worden. Die Mengen des ausgegebenen Getreides übertreffen die des Weines um ein Vielfaches6. Soweit das Getreide zu Brot ausgebacken ist, wird es - im Gegensatz zu dem weißen und braunen Brot (panis albus oder brunus) des Brotamts - als panis grossus, also Schwarz- oder Vollkornbrot bezeichnet. In beiden Fällen ist das Brot aus Weizen hergestellt worden, das Schwarzbrot ist aber gröber - d. h. mit einem relativ hohen Kleieanteil - ausgemahlen worden7. Auch scheint man dem Weizen einen Teil - normalerweise ein Drittel - Gerste oder Roggen beigemischt zu haben. Aus späteren Pontifikaten ist bei den Getreideeinkäufen des Almosenamtes von vornherein das Ver-

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7

bäude, das PANSIER, Aumöne, S. 4 2 ff. (mit Kartenskizze S. 4 3 ) neben dem jüdischen Friedhof lokalisiert. Es war in Europa allgemein üblich, die in einer Region vorherrschende Getreidesorte schlichtweg mit„Kom" zu bezeichnen. Vgl. MAURIZIO, Geschichte, S. 360 ff Er ist nicht mit den richtigen Bäckern, den pistores, zu verwechseln. Vgl. STOUFF, Ravitaillement, S. 27 ff. Vgl. MAURIZIO, Geschichte, S. 257 ff. und S. 320 ff. Erstmals belegt bei SCHÄFER, V Q 3 , S. 1 2 2 vom sechsten Pontifikatsjahr ( 1 3 4 0 ) . So wurden im 4. Pontifikatsjahr Johannes' ΧΧΠ. (1319/20) 6947 Säume Getreide und 475 Säume Wein ausgegeben (SCHÄFER, VQ 2, S. 660). In den folgenden Jahren ist das Verhältnis ähnlich. Allerdings ist zu beachten, daß ein Saum Wein ein geringeres Volumen als ein Saum Getreide hat. Auch Weizen ergibt, wenn er im Ganzen ausgemahlen wird, d. h. ohne die Kleie vom Mehl zu sondern, ein dunkles Mehl. Vgl. MAURIZIO, Geschichte, S. 401.

Die Alltagsverpflegung

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hältnis von zwei Dritteln Weizen und einem Drittel Gerste oder Roggen beachtet worden1. Die Diät der Avignoneser Unterschicht war somit das umgekehrte und noch gesteigerte Extrem zu derjenigen des Papstes und seiner Umgebung. Hauptnahrungsmittel war Getreide, ergänzt durch geringe Mengen von Wein und Hülsenfhichten. Die Folge dürften Eiweiß- und Vitaminmangel gewesen sein. In welcher Form das Getreide vor Benedikt XII. verzehrt worden ist, ob als Brei, Fladen oder Brot, muß offenbleiben2. Ein etwas anderes Bild bietet die Verpflegung der Insassen des Armenhauses. Sie erhielten zubereitete Nahrung. Das nötige Getreide erhielt das Armenhaus aus der Panhota3; hinzu kamen die Ausgaben für Suppenzutaten, für verschiedene Fleischund Fischsorten, für Öl und Käse. Kranke bekamen auch Hühner und anderes Geflügel zu essen4. Leider lassen sich die Mengen nicht näher bestimmen, gleichwohl vermitteln die Quellen den Eindruck eines relativ reichhaltigen und abwechslungsreichen Lebensmittelangebots. Insofern darf man vielleicht annehmen, daß die Begrenzung der Armenspeisungen auf wenige Grundnahrungsmittel seine Ursache weniger in dem Mangel an anderen Lebensmitteln hatte, als vielmehr in den Schwierigkeiten, diese für eine große Menschenmenge zuzubereiten, zu kochen und zu verteilen. Das Almosenamt hat seine Lebensmitteleinkäufe ähnlich wie die Hofamter organisiert: man findet wieder auswärtige Großeinkäufe - hier von Getreide - und daneben die wöchentlich abgerechneten Ausgaben für andere Lebensmittel, die man offenbar in Avignon gekauft hat. Auch der Vorrang des Einkaufs vor der Zubereitung findet hier seine Parallele. Unter Johannes XXII. ist der Wein zum kleineren Teil vom Weinamt angeschafft und an das Almosenamt weitergegeben worden5, größtenteils hat ihn das Almosenamt direkt eingekauft, entweder auswärts in Großeinkäufen6 oder aber bei lokalen Händlern7. Unter Johannes' Nachfolgern hören die Weineinkäufe des

1

Ζ . B . SCHÄFER, V Q 6 , S. 1 5 6 v o n 1 3 6 6 Jan. 2 0 .

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Daß bei der Verteilung der Lebensmittel während des Pontifikats Johannes' ΧΧΠ. Mißstände eingerissen waren, beweisen Reformversuche Benedikts ΧΠ. Er sah sich gleich in seinem ersten Konsistorium genötigt anzuordnen, daß die vom Almosenamt ausgegebenen Lebensmittel nicht den Kurialen, sondern den wirklich Armen zugute kommen sollten. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zisterzienserideal, S. 23. Der administrator elemosine, Geraldus Latremoliera (über ihn vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 639), erhielt regelmäßig, normalerweise drei Mal im Jahr, Summen von einigen 100 fl. ausgezahlt, die u. a. dazu dienten den Transport von Getreide und Wein ad orrea et penora zu bezahlen (ζ. B.

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 7 9 1 ) . 4

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Vgl. die immer wiederkehrenden Abrechnungen Pro potagio, carnibus, piscibus, oleo, caseis und avibus oder pullis pro infirmis bei SCHÄFER, VQ 2, S. 660 ff. Es handelte sich dabei oft um den alten Wein, also Wein vom vorigen Jahr, der zu verderben drohte. Die Kosten für den Transport vom Keller zum Armenhaus sind in den Abrechnungen des Armenhauses mitunter aktenkundig geworden (SCHÄFER, VQ 2, S. 660 FF.). Vgl. Tabelle 1,1.5. Sie sind in den Wochenabrechnungen mit Inbegriffen (Ζ. B . SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 6 0 ff).

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Die Alltagsverpflegung

Almosenamtes allmählich auf; der von dem Amt weiterhin verteilte Wein stammte dann ausschließlich aus den Weingütern des Bistums Avignon1. Zusammenfassung Sollten die vorangegangenen Ausführungen den Eindruck erweckt haben, am Papsthofe habe ein außergewöhnlicher Luxus geherrscht, so wäre das zu undifferenziert. Die Quellen vermitteln eher den Eindruck, daß unter Johannes XXII. und Benedikt XII. zwar der an einem Hofe übliche Aufwand fur Verpflegung und Versorgung getrieben wurde, mehr aber auch nicht. Selbst für Sparsamkeit, ja Geiz, Eigenschaften, die Johannes schon von den Zeitgenossen zugeschrieben worden sind2, findet man Anzeichen. Durchmustert man die für die Küche eingekauften Meeresfische3, so sind es überwiegend billige Sorten, wie Hering und Stockfisch, das äußerste an Luxus ist der für den Papst angeschaffte Thunfisch. Teurere Fischsorten, wie Störe und Delphine, wurden ausschließlich als Geschenk für besonders angesehene Gäste angeschafft. Lediglich unter Benedikt sind dann einige Ankäufe des besonders teuren Lachses belegt4. Beim Wein begnügten sich Johannes und Benedikt mit den lokalen Sorten5, die sie in der näheren Umgebung einkaufen ließen. In einigen Fällen sind diese Weinlieferungen derart aufgeteilt worden, daß ein Teil dem Almosenamt, ein anderer dem päpstlichen Keller zugewiesen worden ist6, mit anderen Worten: man trank mitunter bei Hofe denselben Wein wie im Armenhaus. Einiges Geld für Weineinkäufe ersparten sich die Päpste dadurch, daß sie sich erhebliche Quantitäten von ihren Gästen schenken ließen . Gerade für die teureren Sorten, wie griechischen Wein oder Burgunder, trifft das zu. Der erste Beleg für den später so beliebten Wein aus Beaune im päpstlichen Weinkeller stammt aus dem Jahre 1319; er war ein Geschenk des Kardinalnepoten Arnaldus de Via8. Griechischer Wein taucht erstmals 1320 auf, diesmal

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Vgl. Kap. Vn,l. und VE,3. Vgl. etwa den Bericht des aragonesischen Gesandten bei FINKE, Acta 1, S. 220 n. 144. Eine Blütenlese zeitgenössischer Chronisten bei HALLER, Papsttum und Kirchenreform, S. 114 f. Johannes war übrigens nicht nur selbst sparsam, er hat auch anderen diese Tugend angelegentlich empfohlen. Vgl. etwa seinen Brief an Eduard Π. von England (zit. bei HALLER, Papsttum und Kirchenreform, S. 93 Anm. 5). Bezeichnend auch seine Ermahnung an Philipp V. von Frankreich, er solle sich nicht scheuen, seine Rechnungen selbst zu prüfen: ...nec te pudeat de receptis et expensis rationem certis audire temporibus... (COULON n. 513). Im gleichen Schreiben ermahnt er ihn: ...ut in cibis vestibus et aliis sumptibus faciendis ac retinenda familia decens moderamen apponas ..., sciturus quod nos et fratres nostri non aliter facimus. Tabelle 1,1.6; 1,2.1. Vgl. Kap. Vm,5. Vgl. Kap. Vm,3.

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 143 und 152.

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Beispielsweise waren von den 134 Fässern Wein, die 1331/32 in den päpstlichen Weinkeller eingelagert wurden, ...35 presentati domino pape per certas personas ecclesiasticas... (SCHÄFER, V Q 2 , S. 160).

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 139 f.

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225

ein Geschenk König Roberts von Neapel1. Ähnlich ist es beim Fleisch. Rinder haben sich Johannes und Benedikt in solchen Mengen schenken lassen, daß sie die überflüssigen Tiere zu Dutzenden auf dem Avignoneser Markt verkaufen lassen konnten2. Das populäre Bild des Avignoneser Hofes als einer Stätte des Überflusses und der Verschwendung findet somit unter Johannes und unter Benedikt in den Quellen keinen Halt. Radikal ändern sollte sich dies unter Clemens VI. Er hat die Ausgaben im allgemeinen wie auch für den Hof im besonderen in einer bis dahin unerhörten Weise gesteigert. Sein Pontifikat ist es wohl gewesen, der den Gesamteindruck der Avignoneser Päpste bei der Nachwelt bestimmt hat. Dagegen haben Innozenz VI. und in noch stärkerem Maße Urban V. die Ausgaben für die Hofhaltung wieder eingeschränkt, ohne freilich den alten Stand unter Johannes und Benedikt wieder erreichen zu können. Alle Dämme gebrochen sind dann unter Gregor XI.: Nie ist bei Hofe so wacker geschlemmt und gezecht worden wie vor der Rückkehr des Papstes nach Rom. Dieser Befund ist nicht unwichtig, wenn man den Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas in seinem Licht betrachtet. Zieht man in Betracht, daß der neugewählte Urban VI. allen Ernstes beabsichtigte, die Einkünfte der Kardinäle zu beschränken und am Hofe altapostolische Einfachheit einzuführen3, so wird man es verständlich finden, daß die Kardinäle rasch von seiner Unfähigkeit überzeugt waren und einen anderen Pontifex wählten4.

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I E 564 f. 40r zu 1320 Juli 25; SCHÄFER, V Q 2. S . 140 zu 1320 Juli. Unter vinum grecum ist offenbar Wein aus Süditalien zu verstehen. Vgl. dazu den Brief des Petrus Amelii von 1363 Nov. 2 (ed.

BRESC, Corresondance, S. 118 n. 53). 2 3

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Vgl. Tabelle 1,1.18. Quellenbelege sich zusammengestellt bei Valois, France 1, S. 67 und SEIDLMAYER, Anfänge, S. 10. Die Namen, welche sich die beiden Prätendenten zulegten, haben wahrscheinlich programmatischen Charakter gehabt. Während Urban VI. offenbar beabsichtigte, dem sparsamen Urban V. nachzueifern, hatte sich Clemens VII. den großzügigen Clemens VI. zum Vorbild erwählt.

VI. Höfisches Leben VI,1. Der Papst und seine Gäste Einleitung In den Hauptbucheinträgen für die Küche wie auch für das Brot- und Weinamt finden sich mitunter neben den einzelnen Wochenabrechnungen Randbemerkungen, die darüber informieren, wer in der jeweiligen Woche mit dem Papst zusammen gespeist hat. Zweck dieser Randbemerkungen war es, zu erklären, warum die Ausgaben in der jeweiligen Woche außergewöhnlich hoch waren. Zusammengestellt bieten sie somit eine Art Gästeliste, eine Liste der Personen, die für würdig befunden worden sind, vom Papst zum Essen eingeladen zu werden1. Leider sind diese Randbemerkungen keineswegs vollständig. Man erkennt dies daran, daß manche Gäste in allen drei Titeln erwähnt werden, andere nur in zweien oder einem. Auch enthält eine der erhaltenen Kladden des Kücheneinkäufers sehr viel mehr Gästevermerke als das entsprechende Hauptbuch2; in die Hauptbücher hat man offenbar nur die besonders aufwendigen und damit besonders kostspieligen Bewirtungen eingetragen. Aber auch das Maß des Aufwands bietet wieder ein Kriterium dafür, für wie wichtig der Papst den jeweiligen Besucher hielt. Es lassen sich drei Gruppen von Gästen unterscheiden, die ich hier nach ihrer Nähe bzw. Ferne zum Papst unterscheide. Da sind zunächst seine Kapläne und sonstigen Vertrauten, die Angehörigen seines eigenen Hauses. Die zweite Gruppe besteht aus den Kardinälen. Bekanntlich haben diese nie zum Haushalt des Papstes gehört und bewohnten auch in Avignon eigene Häuser3. Jedoch brachte es die Natur ihres Amtes mit sich, daß sie häufig mit dem Papst zusammentrafen. Traditionellerweise berieten sie ihn in politischen und kirchlichen Fragen. Der Ort für solche Beratungen war das Konsistorium, das in unregelmäßigen Abständen sie reichten von wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten - im Palast abgehalten wurde4. Hier kam der Papst, begleitet von seinem Kämmerer und einem protokollführenden Kammerkleriker, mit den Kardinälen5 - mitunter auch weiteren Teilnehmern 1 2 3 4

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Die Einträge sind im Anhang zusammengestellt. Siehe unten. Auf den Ausnahmefall des Kardinalnepoten wurde bereits hingewiesen. SCHRÖDER, Protokollbücher, S. 173. Nachweisbar ist dies allerdings erst für die Pontifikate Benedikts ΧΠ. und Clemens' VI. Grundlegend zum Konsistorium der Avignoneser Päpste ist SCHRÖDER, Protokollbücher, bes. S. 1 6 5 ff. GUILLEMAIN, Cour, passim, ist merkwürdig dürftig und MOLLAT, Papes, S. 4 8 3 ff., behandelt nur die juristische Seite. Eine leidliche Materialsammlung zu den einzelnen Konsistorien der Avignoneser Päpste bietet HOFMANN, Kardinalat, S. 5 0 ff. und passim. Über die Konsistorien des 13. Jahrhunderts vgl. PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 2 2 0 ff. Zum Zeremoniell der Konsistorien vgl. die Texte bei SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, passim, und DYKMANS, Ceremonial 3 , S . 308 ff. Eine Liste von Tagen, an denen der Papst kein Konsistorium hielt, findet sich in dem söge-

Der Papst und seine Gäste

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zusammen, deren Ansichten - gerade im Pontifikat Johannes' XXII. - oft von der des obersten Pontifex abwichen1; hier wurden die Grundlinien der päpstlichen Politik diskutiert und festgelegt. Unter Johannes in der Regel noch als öffentliche Konsistorien abgehalten2, hatten sie damit den Nachteil, daß sie keinen Raum für vertrauliche Gespräche boten. In aller Regel bevorzugten es die Gesandten daher, ihr Anliegen dem Papst in einer Audienz ohne die Kardinäle vortragen zu können3. Benedikt hat dann mitunter Konsistorien in seinem eigenen Zimmer abgehalten4, wo die Zahl der Teilnehmer naturgemäß begrenzt war. Hier deutet sich die später übliche Unterscheidung von öffentlichen und vertraulichen Konsistorien bereits an. Weitere Gelegenheit zu vertraulicher Beratung mögen die gemeinsamen Mahlzeiten geboten haben. Leider erfahren wir aus den Hauptbüchern nur selten die Namen der jeweils eingeladenen Kardinäle, meist wird nur ihre Anzahl angegeben. Dabei ist bedeutsam, daß nur ausnahmsweise alle Kardinäle eingeladen worden sind; in der Regel nahm nur ein Teil von ihnen an diesen Mahlzeiten teil. Man darf annehmen, daß der Kreis um so kleiner war, je vertraulicher die Gespräche waren. Dies stimmt überein mit dem, was aus der Zeit nach Ausbruch des Schismas von den Konsistorien überliefert ist: auch zu diesen wurde oft nur ein Teil der Kardinäle herangezogen5. Diese (vertraulichen) Konsistorialsitzungen waren nun bereits die Regel; wurde ein Konsistorium öffentlich gehalten, wird dies eigens hervorgehoben6. Weiterhin waren die Kardinäle in vielfacher Hinsicht in das Zeremoniell des Palastes und die Liturgie der päpstlichen Gottesdienste eingebunden. Es ist kein Zufall, daß gerade an hohen Feiertagen gemeinsame Mahlzeiten von Papst und Kardinälen erwähnt sind; diese Mahlzeiten fanden dann jeweils im Anschluß an einen Festgottes-

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nannten Zeremoniell des Kardinals Jacques Stefaneschi, cap. 101, ed. DYKMANS, Ceremonial 2, S. 412 ff.; vgl. auch SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 72 f. Es handelt sich vor allem um solche Tage, an denen die hohen Kirchenfeste stattfanden. Vgl. die Berichte der aragonesischen Gesandten, ed. FINKE, Acta, 1, S. 393 n. 262; S. 474 n. 316; Acta 2, S. 580 n. 378; S. 824 n. 512; Acta 3, S. 345 n. 164. Sie bieten ein lebendiges Bild der oft sehr kontrovers verlaufenden Diskussionen im Konsistorium, und bestätigen durchaus Johannes' Aussage: en lo nostre conseyl son tals, qui volen e gosan dir tot ςο quels par. (FINKE, Acta 2, S. 583 f. n. 378). Daß bereits unter Johannes getrennte Räumlichkeiten für öffentliche und vertrauliche Konsistorien vorgesehen waren, zeigt KERSCHER, Architektur, S. 93. Vgl. etwa FINKE, Acta 1 n. 144 von (1316 Aug.). ...in camera domini pape, in qua solebat tenere dominus noster consistorium... (EHRLE, Historia, S. 610 von 1339 Aug. 22). Vgl. etwa Jean Le Fevre, Journal, ed. MORANVILLE, S. 15 ff. Demnach nahm Jean Le Fevre am 4. Februar 1382 an einem Konsistorium mit mehreren Kardinälen, am 5. Februar an einem mit drei Kardinälen teil. Danach behielt der Papst einige - aber keineswegs alle - Teilnehmer zum gemeinsamen Essen zurück. Ζ. B. Jean Le Fevre, Journal, ed. MORANVILLE, S. 23.

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Höfisches Leben

dienst statt. Vorschriften über diese wie auch über die Anzahl der teilnehmenden Kardinäle und sonstigen Kleriker enthalten die Zeremonienbücher1. Die dritte Gruppe schließlich besteht aus den auswärtigen Gästen. Da waren die Monarchen und Fürsten, die den Papst zu politischen Verhandlungen aufsuchten2, und weiterhin deren Verwandte oder Gesandte (beides fiel nicht selten zusammen), die der gleiche Grund nach Avignon führte. Dabei sind nicht etwa alle Gesandten vom Papst zu Tisch gebeten worden3, eine solche Einladung war vielmehr eine besondere Ehre fur den betreffenden Diplomaten und indirekt auch für seinen Auftraggeber. Daher versäumten es die so geehrten Botschafter nicht, über eine solche Auszeichnung umgehend ihrem Herrn zu berichten4. Diese Bewirtungen bieten somit auch einen Gradmesser dafür, wie der Papst das politische Gewicht des jeweiligen Gesandten bzw. seines Auftraggebers einschätzte. Auch dies ist von den Gästen durchaus reflektiert worden. So berichtet etwa der Infant Peter von Aragon seinem Vater, er habe die Ehre gehabt, von Johannes XXII. zum Essen geladen zu werden. Voll Stolz fugt er hinzu, er habe erfahren, daß der Papst weder den König von Frankreich noch König Robert von Sizilien noch eine andere Person zusammen mit seiner ganzen familia eingeladen habe5. Über das Maß an Wertschätzung, das der Papst seinen Gästen entgegenbrachte, bieten die Hauptbücher noch weitere Informationen: dann nämlich, wenn der Einkäufer - auf Anordnung des Papstes hin - einen besonders teuren Fisch einzukaufen hatte, der solchen Gästen als besonderer Leckerbissen vorgesetzt wurde. Delphine (dalphi-

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Die in Frage kommenden Texte sind gesammelt in den Editionen von SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, und DYKMANS, Ceremonial 2 und 3. Auf die Beziehungen und Abhängigkeitsverhältnisse der Texte untereinander kann hier nicht eingegangen werden; es sei dafür auf die Einleitungen der Editoren verwiesen. Wie bereits dargelegt (vgl. Kap. IV, 1.), sind einige der dort vereinten Quellen, insbesondere die von Francois de Conzie verfaßte Hofordnung, erst nach Ausbruch des Schismas entstanden. Gleichwohl ziehe ich sie zur Deutung der verschismatischen Verhältnisse heran, da derartige Texte zur Fixierung seit langem üblicher Gewohnheiten dienten. Für das Früh- und Hochmittelalter vgl. Voss, Herrschertreffen, passim. Die Gesandten oder Botschafter ('ambaxiatores) sind nicht mit den Prokuratoren (procuratores) zu verwechseln. Während die Botschafter in diplomatisch-politischen Missionen nach Avignon kamen, hatten die Prokuratoren juristisch-kirchenpolitische Aufgaben. Während die Abgrenzung der Aufgabenbereiche nicht ohne Willkür möglich ist, fallt die Abgrenzung der Personen leicht. Die Botschafter - hohe Adlige oder Kirchenfürsten - rangierten gesellschaftlich weit höher als die Prokuratoren; diese hatten Glück, wenn sie den Papst überhaupt zu Gesicht bekamen, und sind ganz bestimmt nicht zum Essen eingeladen worden. Aufschlußreich ist hier die Kostenrechnung eines Prokurators des französischen Königs aus dem Jahre 1340, in der er die Reisekosten für eine Mission an die Kurie aufführt; ihr Herausgeber konstatiert mit Verwunderung, daß ihn niemand zum Essen eingeladen hat (ed. DE MAULDE, D6penses, S. 248, freundlicher Hinweis von Karsten Plöger). Über die Prokuratoren in Avignon vgl. zusammenfassend BARBICHE, Procureurs, S. 81 ff. mit weiterer Literatur, eine Arbeit über die Botschafter am Hof in Avignon kenne ich nicht. Vgl. etwa den Brief des englischen Botschafters an König Eduard ΙΠ. von 1344 Sept. 13 (ed. KERVYN, O e v r e s 18, S. 202).

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E d . FINKE, A c t a 2 , S. 8 0 0 n. 501 von 1324 N o v . 1.

Der Papst und seine Gäste

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ni) und Störe (sturioni) wurden zu solchen Gelegenheiten angeschafft1. Speziell diese Fische galten - wie auch Lachse und Forellen - als „königliche Fische" und waren daher besonders prestigeträchtige Geschenke. Vergleicht man die Gästevermerke der Hauptbücher mit der erwähnten Einkäuferkladde, gewahrt man, daß vor allem die Bewirtungen der auswärtigen Gäste und der Kardinäle in den Hauptbüchern vermerkt sind, also die Gäste der oben genannten zweiten und dritten Gruppe. Dagegen werden die engeren Mitbewohner und Vertrauten des Papstes, also die Gäste der ersten Gruppe - wenn überhaupt - lediglich in der Kladde verzeichnet3. Über diese Gäste erfahrt man demnach aus den Hauptbüchern nichts. Gäste der Kardinäle Die auswärtigen Gäste - also die Gäste der „dritten Gruppe" - waren aber nicht nur Gäste des Papstes, in aller Regel waren sie auch Gäste der Kardinäle - also der zweiten Gruppe. Nicht nur eine Aufwartung beim Papst selbst, sondern auch Besuche bei den einzelnen Kardinälen gehörten für Fürsten und Monarchen selbstverständlich zum Programm eines Avignonbesuchs. Das war nicht nur ein Gebot der Höflichkeit, sondern lag durchaus im eigenen Interesse der Besucher. Sie machten so die Bekanntschaft dieser einflußreichen Kirchenfürsten, konnten bei ihnen ihre Anliegen zur Sprache bringen und für sie eintreten. Umgekehrt ermöglichten diese Besuche den Kardinälen, einen Eindruck von den Besuchern zu gewinnen und sich eine Meinung über deren Wünsche zu bilden. Nicht selten bestanden auch vorher schon persönliche oder briefliche Kontakte oder wurden solche in Avignon für die Folgezeit hergestellt. So konnte etwa der Prinz Karl von Böhmen und künftige Kaiser Karl IV. seine vom französischen Hof datierende Bekanntschaft mit dem künftigen Papst Clemens VI. in Avignon auffrischen, als er dort im Hause des Kardinals Petrus Rogerii zu Gast war4. Überhaupt scheint zumindest das Gefolge hochstehender Gäste des Papstes nicht selten in den Kardinalpalästen untergebracht worden zu sein5. Wie sich solche Besuche beim Papst und bei den Kardinälen ergänzen konnten, zeigen die Aufzeichnungen des Wilhelm von Auxonne. Als er im Jahre 1336 mit seinem Herrn, dem Grafen Ludwig von Flandern, Avignon besuchte6, machten sie sich unmittelbar nach ihrem Empfang bei Benedikt XII. daran, die einzelnen Kardinäle zu besuchen. In dem kurzem Zeitraum zwischen dem Empfang und der am folgenden Tag stattfindenden Papstaudienz hatten sie bereits vier Kardinäle aufgesucht7. Auch im Verlaufe der folgenden Papstaudienz erhielten sie den Rat, die Zeit bis zum ab-

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Die Belege finden sich im Anhang.

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Vgl. DOUET-D'ARCQ, Traite, S. 221.

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Siehe unten. So Karl IV. selbst in seiner Autobiographie (Vita Caroli, S. 84 und S. 172 ff.). Siehe unten. Siehe auch unten.

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THOMAS, Source, S. 34.

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Höfisches Leben

schließenden Entscheid ihres Anliegens durch Benedikt für Besuche bei den Kardinälen zu nutzen1, ein Rat, dem Graf und Kanzler gewissenhaft nachgekommen sind. Dies blieb freilich nicht ohne Folgen für den Geldbeutel. Insgesamt 240 fl. verteilten sie an das Personal der Kardinalshaushalte2. Die Investition erwies sich immerhin als durchaus lohnend; sie konnten mit einem positiven Entscheid nach Hause zurückkehren. Sichtbar wird hier eine Art Netzwerk zwischen dem päpstlichen Palast und den Kardinalslivrees. Diese waren ihrer Architektur nach Paläste im kleinen, die ebenfalls über Festsäle, große Küchen und das nötige Personal verfügten, wie es für die Bewirtung hochstehender Besucher nötig war. Auch von päpstlicher Seite waren diese Besuche bei den Kardinälen - wie wir sehen konnten - durchaus erwünscht. Innozenz VI. ging sogar soweit, die Beschränkungen, welche er den Kardinälen beim Tafelluxus auferlegte, für den Fall aufzuheben, daß sie Gäste empfingen3. Daß solche Einladungen nicht selten waren, beweisen die noch mehrfach anzuführenden Rechnungsbücher des Herzogs Odo IV. von Burgund. Mehrfach sind Geschenke für das Personal von Kardinalshaushalten belegt; dieses beschenkte er, als er dort zum Essen eingeladen war4. Empfang und Bewirtung von Gästen Hatte der Papst eine bestimmte Person durch eine Einladung geehrt, informierte er am Tage zuvor den Kämmerer (später den Intendanten) oder - wenn dieser abwesend war - den Küchenmeister, damit der wiederum die Köche und sonstigen Hofamter unterrichten und mit den nötigen Vorbereitungen beauftragen konnte . Für den Fall, daß der Papst etwa spontan einen Anwesenden zum Essen dabehalten wollte, war vorgesehen, daß der Intendant über einen angemessen ausgestatteten Raum verfügte, wo dann der Intendant mit dem Betreffenden speisen konnte6. Festmähler bei Hofe liefen selbstverständlich nicht formlos ab, ihr Ablauf war vielmehr durch zeremonielle und liturgische Vorschriften geregelt7. Schauplatz der

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THOMAS, Source, S. 36. Bereits Johannes ΧΧΠ. hatte dies seinerseits den aragonesischen Gesandten empfohlen (FINKE, Acta 1 n. 147 von 1316 Okt. 17). THOMAS, Source, S. 3 8 . Siehe unten. PETIT, Histoire 7, S. 370 ff. (freundlicher Hinweis von Karsten Plöger). DYKMANS, Ceremonial 3, S. 424 (cap. 111,25). DYKMANS, Ceremonial 3 , S. 4 2 5 (cap. 111,31): ...ipse magister hospitii debet habere in palatio cameram honestam et talem quod si et quando dominus noster alicui militi, vel alteri volenti persone, cui in sua collatione loqui voluerit, dicat: „Remaneas in prandio, et prande cum magistro hospitii", ut in ipsa camera eundem decenter recipere valeat. Da es sich bei den in diesem Kapitel vielfach herangezogenen Zeremonienbüchem um normative Texte handelt, ist damit zu rechnen, daß Theorie und Wirklichkeit mitunter auseinanderklaffen. Zur Kontrolle bieten sich mehrere Quellen an. Da ist zunächst die Schilderung eines Besuchs des Grafen von Flandern, Ludwigs von Nevers, am Hofe Benedikts ΧΠ. aus dem Jahre 1336 (ed. THOMAS, Source, S. 32 ff). Sie stammt von Wilhelm von Auxonne, Ludwigs Kanzler, der ihn be-

Der Papst und seine Gäste

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Handlung war in solchen Fällen das tinellum magnum, also der große Speise- und Festsaal im Ostflügel des Palastes. Zwar ist das Amt des Saalmeisters (magister aule), des Zuständigen für die Ordnung im Saal, erst seit 1362 belegt1, gleichwohl dürfte es - wenn auch unter anderem Namen - bereits vorher einen Familiaren mit gleichem Aufgabenbereich gegeben haben. Seine wichtigste Aufgabe war es2, in Absprache mit dem Hofmeister die Sitzordnung festzulegen. Darüber hinaus hatte er beim Läuten der Essensglocke dafür zu sorgen, daß der Speisesaal gefegt und die Tische aufgestellt wurden, und überhaupt hatte er auf Ordnung und angemessenes Benehmen beim Essen zu achten3. Am päpstlichen Hof gab es zwei Hauptmahlzeiten: das Mittagessen (prandium) und das Abendessen (cena). Das Signal für beide Mahlzeiten wurde durch das Läuten einer Glocke gegeben, dann schlossen die Pförtner die Palasttore für die Dauer der Mahlzeit. Nach dem Abendessen blieben die Tore für die Nacht geschlossen; die Pförtner legten die Schlüssel dem Kämmerer, in dessen Abwesenheit dem Intendanten vor4.

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gleitete, bei dem Besuch anwesend war und auch als Dolmetscher zwischen Benedikt und Ludwig füngierte. Weiterhin wird mehrfach das Tagebuch von Jean Le Fevre herangezogen (ed. MoRANVILLE, für den Hinweis danke ich Werner Paravicini), erst Kanzler Ludwigs I. von Anjou, dann - nach dessen Tod (1384) - seiner Witwe, der Königin Maria von Blois, der sich von 1382-1385 mehrfach im Auftrage seines Herrn in Avignon aufhielt. Der Empfang und das anschließende Festessen Urbans V. für Kaiser Karl IV. ist jüngst von HACK, Empfangszeremoniell, S. 549 ff., behandelt worden. Er hat die erzählenden Quellen eingehend verwertet; man erstaunt aber, daß er - trotz der Fragestellung seines Buches - die zeremoniellen Quellen nicht herangezogen hat. Eine weitere Quelle bietet der Bericht eines anonymen Florentiners (Er ist mehrfach ediert, zuerst bei MILANESI, Convitti, dann bei CASANOVA, Visita, und Bosco, Diner. Diese drei Herausgeber haben ihn noch Clemens V. zugeschrieben. Ich zitiere nach der letzten Edition von DE LOYE und DE BONNECORSE, Reception, S. 331 ff.), der Zeuge eines Aufenthalts Clemens' VI. bei zweien seiner Kardinäle war. Während Monat und Tag des Ereignisses - der 30. April und der erste Mai - in der Quelle genannt werden, wird das Jahr nicht erwähnt. Die Herausgeber haben die Datierung des Berichts auf 1343 oder 1348 eingrenzen können. Eine große Wahrscheinlichkeit spricht für 1343. Aus dem Bericht (S. 336) geht hervor, daß der Papst von seiner Residenz in Sorgues aus zu den Kardinälen reiste und nach dem zweiten Empfang direkt nach Avignon zurückkehrte. Aus dem Jahr 1343 ist belegt, daß Clemens sich an den genannten Tagen in der Tat in Sorgues aufgehalten hat. Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 225 von 1343 Mai 1 (Abrechnung des Silberbewahrers über den Transport von Geschirr von Avignon nach Sorgues und zurück); vgl. auch SCHÄFER, VQ 3, S. 229 von 1343 Juni 12. Aus dem Jahre 1348 findet man dagegen keinen Hinweis auf einen Aufenthalt in Sorgues. Vgl. Kap. IV,2.3. Das Folgende nach DYKMANS, Ceremonial 3, S. 435 f. (cap. XIV). Item debet bene advertere quod in tinello non sint murmurationes, clamores seu vociferationes, sed quod omnes honeste et cum omni pace et quiete comedant. Zit. nach DYKMANS, Ceremonial 3, S. 436 (cap. XIV,118). DYKMANS, Ceremonial 3, S. 424 (cap. ΙΠ, 26).

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Speisten die Kardinäle beim Papst1, geleiteten die zwei dienstältesten Kardinaldiakone den Papst zu Tisch; dort reichte ihm ein Kardinalbischof das Handwaschbecken und die beiden Diakone wuschen ihm die Hände. Die anwesenden Kardinäle wuschen sich die Hände gegenseitig2. Vor und nach der Mahlzeit segnete der Papst den Tisch3. Für den Papst wie für die Kardinäle waren auch die anzulegenden Paramente vorgeschrieben. Der Papst saß allein an einem erhöhten, mit Gold- und Silbergeschirr besetzten Tisch4. Dieser war an der südlichen Schmalseite des Festsaals aufgestellt, der Papst saß mit dem Rücken zu dieser Wand, und überblickte so den ganzen Saal5. Rechts und links von ihm standen weitere Tische6. An der so entstandenen rechten Reihe saßen die Kardinalbischöfe und Patriarchen, gefolgt von den Kardinalpresbytern, an der linken die Kardinaldiakone7. In einer späteren Sammlung, die allerdings erst aus der Zeit Benedikts ΧΠΙ. (1394-1423 +) stammt, wird noch besonders des Kämmerers gedacht: War er beim Gastmahl anwesend, so saß er zusammen mit Erzbischöfen, Prälaten und Kammerherren an einem weiteren Tisch, also nicht in unmittelbarer Nähe des Papstes, immerhin aber unmittelbar nach den Kardinälen8. Mitunter fanden derartige Bankette anscheinend auf mehrere Räume verteilt statt: in der Beschreibung der Tätigkeit des Saalmeisters wird ausdrücklich zwischen denen, die mit dem Papst, und denen, die in tinello communi speisten, unterschieden9. Dies stimmt mit dem überein, was wir über die Raumaufteilung des Palastes wissen: Spätestens seit Clemens VI. gab es zwei Speisesäle im Palast: das tinellum magnum und 1

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Das Folgende nach SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 2 6 7 ff. (cap. L V M ) ( = DYKMANS, Ceremonial 3 , S. 2 1 1 ff. cap. 1 3 7 ff); vgl. auch SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 1 5 2 (cap. Π, 13.). Strenggenommen handelt es sich bei dem angezogenen Text speziell um das gemeinsame Mahl von Papst und Kardinälen am Gründonnerstag. Indes sind die Vorschriften derart abgefaßt, daß sie offenbar allgemeine Gültigkeit beanspruchten. In dem Bericht des Florentiners wurde bei dem Gastmahl des Kardinals Anibaldus de Ceccano dem Papst beim Händewaschen von vieren seiner Ritter assistiert (DE LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 338). Auch dies wird durch den erwähnten Bericht bestätigt (DE LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S . 338). Außerdem enthält auch das Pontifikale des Guillelmus Durandus, das am Avignoneser Hofe Gültigkeit hatte, einen eigenen Ordo ad benedicendum mensam (ed. ANDRIEU, Pontifical 3, S . 593 ff, lib. 3, cap. 5). In dem Bericht des Florentiners wird noch besonders des geschmückten Sessels gedacht (DE LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 338). Ich gehe hier von dem unter Benedikt ΧΠ. erreichten Stand der Baulichkeiten des Palastes aus. Vgl. die Pläne bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44 (auch im Anhang). Diese Position des Papstes - allein an der Spitze der Tafel - bestätigt der Bericht des Florentiners (DE LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 338). In einer Sammlung aus der Zeit Benedikts ΧΙΠ. sitzen nur die Kardinalbischöfe und Patriarchen rechts, die Kardinalpresbyter und -diakone links, so SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 3 3 6 f. (cap. CXXXVII n. 2 und 3 ) ; ähnlich DYKMANS, Ceremonial 3 , S. 3 5 4 (cap. 5 7 ) ; vgl. auch S. 3 1 2 f. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 337 (cap. CXXXVII η. 11); ähnlich DYKMANS, Ceremonial 3, S. 354 (cap. 57). DYKMANS, Ceremonial 3 , S. 4 3 6 (cap. X I V , 1 1 7 ) .

Der Papst und seine Gäste

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das tinellum parvum. Damit ergab sich die Möglichkeit, die vornehmeren Gäste in kleinerem Kreis mit dem Papst zusammen speisen zu lassen, ihr Gefolge dagegen im großen Speisesaal zu bewirten1. War die Mahlzeit beendet, zog sich der Papst nach abermaligem Segenswunsch begleitet von zwei Kardinaldiakonen in seine Räume zurück, während die übrigen Kardinäle in ihre Häuser zurückkehrten. Beim Abräumen der Tische leerten die Edelknappen die Essensreste in eigens aufgestellte Gefäße. Diese erhielt der Prior des örtlichen Antoniter-Hospitals, um sie an die Insassen zu verteilen2. Noch komplizierter war der Ablauf, wenn der Papst auswärtige Gäste empfing3. Kaisern, Königen, deren Söhnen und auch zurückkehrenden Kardinälen4 gingen die Kardinäle (nicht etwa der Papst) entgegen und empfingen die Ankommenden bereits vor der Stadt, tauschten den Friedenskuß und geleiteten sie feierlich zum Palast. Dort durften sie dem Papst den Fuß küssen und tauschten mit ihm ebenfalls den Friedenskuß. Der gegenseitige Friedenskuß war die übliche Form der Begrüßung unter Monarchen5. Daß hier bereits die Kardinäle - also Personen, die dem Papst untergeordnet waren - mit den Monarchen den Kuß tauschen, ist somit als Demonstration der Höherrangigkeit des Papstes aufzufassen. Daß der Papst selbst sich zum Kuß herabläßt, ist wiederum als besondere Ehrung des Gastes zu interpretieren. In der Praxis waren diese zeremoniellen Vorschriften noch differenzierterer Ausgestaltung fähig. Als etwa im Frühjahr 1365 Kaiser Karl IV. Papst Urban V. in Avignon besuchte6, wurde der Kaiser bereits in Orange von einer päpstlichen Gesandtschaft unter Leitung von Urbans Bruder Anglicus Grimoardi, dem Bischof von Avignon, empfangen. Sie überbrachte Grüße des Papstes sowie - als Geschenk - 41,5 Pfund Konfekt7. Am folgenden Himmelfahrtstag (22. Mai) hörte der Kaiser beim Bischof zunächst die Messe; erst gegen Abend begab sich die gesamte Reisegesellschaft nach Sorgues, um in dem dortigen Palast den feierlichen Einzug in Avignon vorzubereiten. Der Palast in Sorgues war entsprechend ausgeschmückt8, mit Personal,

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Vgl. die Pläne bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 46 (auch im Anhang). DYKMANS, Ceremonial 3, S. 440 (cap. XX). Dort - in der Hofordnung von 1409 - heißt es prior Sanctii Antonii. Ein solches Hospital ist in Avignon in der Tat belegt. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 528 und PANSIER, Höpitaux, S. 6 ff. Daß die Reste von der päpstlichen Tafel an die Annen verteilt worden sind, bezeugt schon das Kuriengedicht des Magisters Heinrich aus dem 13. Jahrhundert (ed. GRAUERT/VONHECKEL, S. 95, Vers 764).

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Das Folgende nach SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 2 0 6 ff. (cap. X X V M ) . In der Regel handelte es sich um von Legationen zurückkehrende Kardinallegaten oder auch um neukreierte Kardinäle; vgl. auch DYKMANS, Ceremonial 3, S. 324 f. (n. 307 und 308). Über den Friedenskuß vgl. Voss, Herrschertreffen, S. 138 ff. In diesem Abschnitt folge ich weitgehend HACK, Empfangszeremoniell, S. 549 ff., der noch erheblich detaillierter ist (vgl. aber auch DELACHENAL, Histoire 3, S. 207 ff.). Ich ergänze ihn mit weiteren Informationen aus zeremoniellen Quellen und Rechnungsbüchern. Auch füge ich einige von ihm nicht erwähnte Einzelheiten hinzu.

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SCHÄFER, V Q 6 , S. 1 2 8 v o n 1 3 6 5 M a i 3 1 .

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SCHÄFER, V Q 6, S. 98 von 1365 Mai 31 und passim.

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Höfisches Leben

Wein1 und Proviant versehen worden; ein reichliches Mahl erwartete die kaiserliche Reisegesellschaft2, nicht zu vergessen weitere 150 Pfund Konfekt3. Bereits auf dem Weg nach Sorgues war Karl von einer zweiten Gesandtschaft, diesmal gefuhrt von zwei Kardinälen, dem päpstlichen Kämmerer und Ludwig von Anjou, sowohl Neffe des Kaisers als auch Bruder des französischen Königs, begrüßt worden. In Sorgues selbst erwartete und begrüßte den Kaiser das gesamte Kardinalkollegium; es kehrte am Abend wieder nach Avignon zurück4. Eine dritte Gesandtschaft, deren ranghöchste Mitglieder zwei Kardinalbischöfe und zwei Kardinaldiakone waren, begrüßte ihn am folgenden Morgen, überbrachte ihm einen prächtigen Schimmel, der mit einem kostbaren Sattel versehen war5, als päpstliches Geschenk und geleitete ihn dann nach Avignon. Auf dem Wege nach Avignon schloß sich das gesamte übrige Kollegium dem Zug an6. Noch vor den Stadtmauern kam ihm der gesamte Klerus der Stadt, angeführt vom Ortsbischof Anglicus Grimoardi, entgegen. Dieser sprach ein Gebet und erteilte dem Kaiser seinen Segen. In einer am Wege liegenden türche ließ sich dann Karl mit dem kaiserlichen Ornat bekleiden. Dann erst ritt er in feierlicher Prozession mit vorangetragenen Reichsinsignien in die Stadt ein und zum päpstlichen Palast hinauf. Als er den Palast erreicht hatte, kam ihm aus der Palastkapelle7 der Papst mit den vorausgeeilten Kardinälen entgegen; sie sangen bei der Ankunft des Kaisers das Tedeum8. Dort stieg der Kaiser ab, die Treppe hinauf, kniete vor Urban nieder und leistete Fuß-, Hand- und endlich Mundkuß . Der Papst erteilte ihm den Segen, beide 1

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Der päpstliche Kellermeister hatte hier die Hilfe seiner Kollegen in Anspruch genommen, die in den Diensten einzelner Kardinäle standen (SCHÄFER, VQ 6, S. 116 von 1365 Mai 31). Sie speiste dort am 22. Mai (SCHÄFER, VQ 6, S. 98 von 1365 Mai 29). SCHÄFER, V Q 6 , S . 1 2 8 v o n 1 3 6 5 M a i 3 1 .

Dies ist HACK, Empfangszeremoniell, S. 5 5 2 , entgangen. Bei Johannes Neplachonis, Chronicon, ed. EMLER, S. 483, heißt es aber ausdrücklich: ...in Pontissorgio omnes alii cardinales tocius collegii ad ipsum venientes maiestatem ipsius humiliter et cum magna honoris reverencia susceperunt, et ideo sero abinde ad Auinionem redierunt. SCHÄFER, VQ 6, S. 98 von 1365 Mai 21 und S. 101 von 1365 Aug. 16. Auch König Johann Π. und sein Bruder Ludwig von Anjou haben anläßlich ihres Besuches im Jahre 1350 mit kostbaren Sätteln versehene Pferde geschenkt bekommen (SCHÄFER, VQ 3, S. 437 von 1351 Febr. 5). Auch dies berichtet Johannes Neplachonis, Chronicon, ed. EMLER, S . 4 8 3 . HACK, Empfangszeremoniell, S. 5 5 8 , Anm. 4 9 , identifiziert sie mit Recht als die von Clemens VI. errichtete capella nova im neugebauten Südflügel des Palastes. In dem Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 4 5 Nr. 4 unter d (auch im Anhang). Ich weiche hier in der Reihenfolge von HACK, Empfangszeremoniell, S . 5 5 8 , ab. Bei Johannes Neplachonis, Chronicon, ed. EMLER, S. 4 8 3 , heißt es ausdrücklich: Et postquam (imperator) gradus (palacii) iam dictos ascendisset, dominus papa una cum omnibus cardinalibus pontificalibus induti de capella nova palacii processionaliter exeuntes usque ad gradus predictos sibi obviarunt alta voce decantantes Te deum laudamus. Wie Hack folge ich hier Johannes Neplachonis. Angemerkt sei aber, daß nach dem Bericht des Johannis de Reading, Chronica, ed. TAIT, S . 1 6 5 , Karl nur von den Kardinälen vor dem Palast empfangen worden und von diesen dann in den Palast zum Papst geleitet worden ist. So Johannis de Reading, Chronicon, ed. TAIT, S. 1 6 5 ; ihm folgt Hack, Empfangszeremoniell, S. 5 5 8 . Johannes Neplachonis, Chronicon, ed. EMLER, S. 4 8 3 , erwähnt lediglich den Friedenskuß.

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begaben sich dann in die Palastkapelle1, wohl um dort eine Messe zu hören. Danach legten sie den kaiserlichen bzw. päpstlichen Schmuck ab und zogen für das folgende Festmahl geeignete Kleider an2. Gäste minderen Ranges als Kaiser und Könige - also Fürsten und Botschafter wurden nicht von den Kardinälen eingeholt, sondern vom Kämmerer des Papstes zusammen mit den Kämmerern der Kardinäle3. Die Wichtigkeit des Kämmerers, des „Premierministers" des Papstes, ist bereits erörtert; hier wird deutlich, daß diese Struktur in den Haushalten der Kardinäle in gleicher Weise reproduziert worden ist. In der Praxis ist diese Vorschrift allerdings keineswegs immer eingehalten worden. Als etwa im Jahre 1336 der Graf von Flandern, Ludwig von Nevers, mit seinem Kanzler am Himmelfahrtstage des Jahres 1336, also am 9. Mai4, feierlich in Avignon einzog, kamen ihnen nicht nur eine große Anzahl päpstlicher Famiiiaren, sondern auch sieben oder acht Kardinäle entgegen5. Ahnlich ist Herzog Heinrich von Lancaster, der 1354 als englischer Gesandter nach Avignon kam, von mehreren Kardinälen, Bischöfen und einer großen Menschenmenge vor der Stadt erwartet und feierlich über die Brücke nach Avignon zum Palast geleitet worden6. Schließlich hat man Herzog Ludwig von Anjou, der am 16. Februar 1382 in Avignon einzog, mit zwölf Kardinälen eingeholt7. Als dagegen sein Kanzler, Jean Le Fevre, am 1. Februar 1382 in Avignon eintraf, empfing ihn lediglich der Marschall des Papstes und geleitete ihn

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Es handelte sich um die bereits erwähnte capella nova oder magna. Laut den Rechnungsbüchem ist sie für den Empfang Karls IV. eigens gesäubert und hergerichtet worden (SCHÄFER, VQ 6, S. 98 f. von 1365 Mai 31). HACK, Empfangszeremoniell, S. 558 und 560 f. ist der Ansicht, man habe die Kapelle lediglich zum Umkleiden aufgesucht, diese habe „bezeichnenderweise nur als Umkleideraum gedient". Bei Johannes Neplachonis, Chronicon, ed. EMLER, S. 483, wird jedoch keineswegs ausdrücklich gesagt, daß das Umkleiden in der Kapelle stattgefunden habe. Da zwischen der Kapelle und dem großen Speisesaal die päpstlichen Gemächer und auch die Paramentenkammer lagen, dürfte das Umkleiden aller Wahrscheinlichkeit nach dort stattgefunden haben. HACK, Empfangszeremoniell, S. 560, sieht einen Unterschied zwischen früheren Kaiserbesuchen, wo der ersten Begegnung mit dem Papst ein feierlicher Gottesdienst, und dem Treffen in Avignon, wo ein Festmahl folgte. Ein solcher dürfte so selbstverständlich gewesen sein, daß eine besondere Erwähnung überflüssig war. Im Avignoneser Zeremoniell war das an die Einholung anschließende Festmahl ausdrücklich vorgesehen. Vgl. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 329 (n. 331).

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DYKMANS, C e r e m o n i a l 3, S. 3 3 3 f. (n. 3 4 6 - 3 4 7 ) .

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THOMAS, Source, S. 36 Anm. 1, datiert ihn zu Apr. 16. ...et venerunt sibi (Ludovico) obviam, quasi omnes de Familia, Septem vel octo cardinalium,... zit. nach THOMAS, Source, S. 33. Galfridus Le Baker, Chronicon, ed. THOMPSON, S. 124, erwähnt ausdrücklich multi cardinales. Allerdings ist bei Henricus Knighton, Chronicon, ed. MARTIN, S. 126, nur von Bischöfen, Vornehmen, und Bürgern die Rede. Einige weitere Dokumente zu dieser Gesandtschaft bei BOCK, Documents, S. 94 ff. und CHAPLAIS, Practice 1,1, S. 297 n. 156 (freundlicher Hinweis von Karsten Plöger). Jean Le Fevre, Journal, ed. MORANVILLE, S. 21. Er beanspruchte freilich die neapolitanische Königswürde.

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zum Papst; dieser empfing ihn zusammen mit „le mareschal, le chamberlen et l'evesque de Grinoble et son chamberier"1. Die erwähnten Abweichungen vom Zeremoniell sind nicht einfach als Außerachtlassung des Zeremoniells zu deuten. Vielmehr ist zu bedenken, daß seine bewußte Durchbrechung oder Außerachtlassung wieder eine besondere Ehre oder auch ein besonderer Affront sein konnte, je nachdem, inwieweit das übliche und erwartete Maß an Ehre in der Praxis über- oder unterschritten worden ist. Bei dem Besuch des Grafen von Flandern etwa ist noch mehrfach zu beobachten, daß er größere Ehren erhielt, als es das Zeremoniell vorsah. Gerade dadurch aber wurde die Wertschätzung deutlich, welche er an der Kurie genoß2. Bei Besuchen eher privater Art scheint man auf das feierliche Einholen des Gastes verzichtet zu haben. Als etwa der Kardinal Anibaldus de Ceccano Papst Clemens VI. in seinem Landhaus empfing, ging er dem Papst nicht etwa entgegen, erwartete ihn vielmehr an der Spitze von zwanzig Kaplänen am Haupttor seines Hauses. Ein Chaos brach aus, als der angekündigte Gast statt dessen die Gartentür benutzte3. Auf das feierliche Einholen des Gastes folgte das anschließende Mahl im päpstlichen Palast. Dort saßen Kaiser und Könige zur Rechten des Papstes, erhielten aber einen Sitz ohne Kissen und Fußschemel, dürften also etwas niedriger als der Papst gesessen haben. Kaiser- und Königssöhne saßen unter den Kardinälen. War ein solcher anwesend, saß er auf der rechten Seite, waren es zwei, saß einer rechts und einer links u. s. w.4. Die Speisen wurden in kostbarem Geschirr auf Anrichtetischen bereitgestellt. Dieses Zeremoniell ist offensichtlich von dem des päpstlichen Krönungsbanketts beeinflußt, das schon in einem Pontifikale des 13. Jahrhunderts in analoger Weise geschildert wird5. In einer anderen Version wird dem Kaiser ein Tisch zur Linken des Papstes eingeräumt, der aber auf gleicher Linie wie des Papstes steht, während der französische König einen Tisch zur Rechten erhält, der aber im rechten Winkel zu dem Papstes steht6. Vergleicht man diese Vorschriften mit dem Gastmahl Urbans V. für Karl IV., so fallen einige geringfügige Abweichungen auf. Dort saß der Kaiser nicht zur Linken, sondern zur Rechten des Papstes, und zwar auf gleicher Höhe und in derselben Richtung; beide Herrscher saßen demnach nebeneinander. Beide hatten einen eigenen Tisch; die Tische waren aber nur geringfügig voneinander getrennt7. Beide Tische waren als einzige mit roten Tischtüchern ausgestattet8. Die Kardinäle und sonstigen

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Jean Le Fevre, Journal, ed. MORANVILLE, S. 15. Über die politischen Hintergründe vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 136. DELOYE/DEBONNECORSE, Reception, S . 3 3 6 ff. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S . 2 0 7 (cap. X X V I I I , 1 0 ) . Ed. ANDRIEU, Pontifical 2 (Ordo Χ Ι Π Β ) , S . 3 7 9 f. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 329 (cap. 333 f.). Dies entspricht exakt der Vorschrift des Zeremoniells (DYKMANS, Ceremonial 3, SCHÄFER, V Q 6 , S. 9 8 f. v o n 1 3 6 5 M a i 3 1 .

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329, cap. 333).

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Würdenträger saßen an niedrigeren Tischen1. Ob nun tatsächlich der Papst höher als der Kaiser saß, wird nicht erwähnt, indes ist der gesamte Bericht von der Tendenz durchzogen, die Gleichrangigkeit von Papst und Kaiser zu betonen. Eine gewisse Differenz zwischen dem päpstlichen Zeremoniell, das die Überordnung des Papstes demonstrieren will, und dem prokaiserlichen Chronisten wird deutlich2. Über das Essen erfahrt man aus den zeremoniellen Quellen nur wenig: es wurde in mehreren Gängen (fercule) aufgetragen; nach den Hauptgängen servierte man Obst, und nach dem zweiten Händewaschen, das wie das erste verlief, hat man noch Spezereien und Wein aufgetragen3. Auch große Mengen von Konfekt sind dabei gereicht worden4. Dies stimmt mit dem überein, was bereits aufgrund der mittelalterlichen Kochbücher als die übliche Speisefolge an großen Tafeln ermittelt werden konnte5. Die Anzahl der Gänge und Gerichte war offenbar auf die Bedeutung des Gastes abgestimmt. Bei dem Gastmahl des Anibaldus de Ceccano für Clemens VI. gab es neun Gänge zu je drei Gerichten. Leider erfahrt man nicht, was gegessen wurde; unser Berichterstatter klagt, er würde eher seine Feder abnützen, als eine solche Mannigfaltigkeit beschreiben können. Er tröstet uns mit der Versicherung, daß alles chara, bona, migliore e ottima war6. Der Faimeß halber sei angemerkt, daß dieses Gastmahl für den prachtliebenden Clemens VI. ausgerichtet worden ist; bei seinen Vorgängern und Nachfolgern wäre es wohl etwas frugaler zugegangen. Nicht ergiebiger ist Johannes Neplachonis für den Besuch Karls IV. in Avignon. Man erfahrt lediglich, das Essen sei sumptuosus et honorificus gewesen7. Zieht man ergänzend das bereits erwähnte Kochbuch heran, welches der Koch Martins V. verfaßt hat - es stammt allerdings erst aus dem 15. Jahrhundert -, zeigt sich, daß die bei Hof gereichten Gerichte an die Nationalität und an den gesellschaftlichen Rang des Bewirteten angepaßt waren. Fast alle der dort gesammelten Rezepte sind mit einem Zusatz versehen, der darüber informiert, für welchen Personenkreis - jeweils unterschieden nach der Nationalität8 oder dem Rang9 - sich das jeweilige Gericht eignete. Vielleicht ist man auch in

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Mensa autem pape parum ab imperatoris mensa distans et in eadem linea et in simili altitudine fuit collocata; cardinales autem et nepos ipsius predictus in inferioribus tabulis consedebant. Zit. nach Johannes Neplachonis, Chronicon, ed. EMLER, S. 4 8 3 ; vgl. auch HACK, Empfangszeremoniell, S. 559. Diese Tendenz bemerkt man bei Johannes Neplachonis mehrfach. Auch dies wird durch den Florentiner bestätigt (DELOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 344). Beispielsweise hat die Kammer für die Bewirtung Kaiser Karls IV. in Avignon 450 Pfund Konfekt eingekauft. Vgl. SCHÄFER, VQ 6, S. 128 von 1365 Mai 31. Über Konfekt vgl. noch Kap. Vffl,7. Vgl. Kap. V. D E LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 340. Johannes Neplachonis, Chronicon, ed. EMLER, S. 483. Et erit bonum pro Italicis. Et erit bonum pro Romanis, ... Almanis, ... Frisonibus et Slavis, ...Anglicis, ...Gallicis, ... Saxonibus. ...Renensibus, ...Thuringis et Hassis et Suevibus (Johannes Bockenheym, ed. BONARDI, passim). Et erit bonum pro principibus et magnatis, ... pro nobilibus villanis, ... pro divitibus, ... pro nobilibus, ...pro religiosis et monealibus, ... pro cortisanis et mulieribus eorundem (!), ... pro civibus, ... pro sacivariis in campis, ...pro capitaneis in campis, ...pro ruffianis et leccatricibus, ... pro me-

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Avignon schon so verfahren. Anläßlich eines päpstlichen Gastmahls für Kaiser Karl IV. berichtet ein Chronist, man habe pro modo patriae gegessen, was man wohl mit „nach heimischer Art und Weise" übersetzen darf1. Groß war die Angst, vergiftet zu werden2. Schon die Hofordnung Clemens' V. hatte daher vorgesehen, daß Köche, Panatare und Kellermeister bei Festmählern persönlich anwesend sein und die Produkte ihrer und ihrer Untergebenen Tätigkeit vorkosten mußten3. Man sieht hier, daß der Dienst in einem der mit Nahrungsmitteln befaßten Hofämter ein ausgesprochener Vertrauensposten war4. Neben dem Vorkosten gab es noch eine andere Methode, mit der man sich vor Giftanschlägen zu schützen suchte. Bevor die Küche ein Gericht auf den Tisch brachte, wurde es einer Probe mit sogenannten Schlangenzungen oder Schlangenhömern unterzogen5. Dabei handelte es sich um auf einem Fuß verankerte Äste, an deren Zweigen mit Ketten kostbare Steine aufgehängt waren. Diesen schrieb man die Gabe zu, sich zu verfärben, wenn sie mit Gift in Berührung kamen. Solche Schlangenzungen sind in den Inventuren des päpstlichen Schatzes und den Abrechnungen der Einkäufer mehrfach belegt6; von Johannes XXII. sind sogar Briefe erhalten, mit denen er sich für als Geschenk übersandte Schlangenzungen bedankt7. Einige Schwierigkeiten bereiteten die Gattinnen von Fürsten und Monarchen, die ihren Mann nach Avignon begleiteten. Schon die Frage, ob sie überhaupt von den Kardinälen eingeholt werden sollten, wird von den Texten widersprüchlich beantwortet8. Auf keinen Fall aber wurden sie zu den Gastmählem zugelassen1; diese blieben

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retricibus (!!!), ... pro regibus, ... pro religiosis, pro canonicis et vicariis ecclesiasticis, ...pro villanis, ... pro rusticis, ... pro infirmis, ... pro debilibus, ... pro lulhardis etperegrinis, ... pro divitibus rusticis, ...proprelatis (Johannes Bockenheym, ed. BONARDI, passim). Qui (imperator), ... omnes cardinales ac alios pro modo patriae convivavit. Zit nach Johannis de Reading, Chronicon, ed. TAIT, S . 1 6 6 ; vgl. auch HACK, Empfangszeremoniell, S . 5 5 9 . Daß diese nicht unbegründet war, zeigen LABANDE, Complot, S. 1 2 9 ff.; ALBE, Hugues Geraud und KERN, Proces. Consueverutit stare coram domino et facere asazum vini ... heißt es über die buticularii (zit. nach FRUTAZ, Famiglia, S. 299), ähnlich auch bei den anderen Hofamtern. Das Vorkosten durch die Vorsteher der Hofamter war auch an anderen Höfen üblich. Für den mallorquinischen Hof des 14. Jahrhunderts vgl. KERSCHER, Strukturierung, S. 8 5 . Wie erinnerlich waren die Vorsteher der Hofamter unter den clerici intrinseci eingestuft. Vgl. Kap. IV,2. Vgl. dazu POGATSCHER, Schlangenhömer, S. 1 6 2 ff.; LENTSCH, Proba, S. 1 5 5 ff. PARAVICINI BAGLIANI, Leib, S. 2 1 7 , weist ihre Benutzung bereits bei Bonifaz Vm. nach. Ein Beispiel: Item urta proba argenti cum pede deaurato ac lapidibus Unguis serpentum... (zit. nach HOBERG, Inventare, S . 2 5 7 ) . Weitere Belege sind zusammengestellt bei LENTSCH, Proba, S. 155 ff. COULON n. 132 und 133 (im Volltext ediert bei GUERARD, Documents 1, S. 6 η. 3 und S. 8 n. 4 beide von 1317 März 8). Ein weiteres Dankschreiben an König Philipp V. ed. COULON, Present, S. 611 ff. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 2 0 6 (Η. 1), dazu die Lesarten im Variantenapparat; abweichend DYKMANS, Ceremonial 3 , S . 3 2 4 (n. 3 0 5 ) .

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eine rein männliche Angelegenheit2. Lediglich unter Clemens VI. ist einige Male eine Frau, noch dazu ohne ihren Ehemann (!), vom Papst zu Tisch gebeten worden3. Spätere Vorschriften sind ebenfalls mit Widersprüchen behaftet. In einer nach Ausbruch des Schismas verfaßten Sammlung heißt es anfangs, die Damen würden nun zugelassen; sie sollten bei den Kardinalbischöfen sitzen und müßten lediglich auf den Friedenskuß (auf den Mund) verzichten, indes wird gleich darauf betont, daß sie keinesfalls in Gegenwart des Papstes, vielmehr abgesondert essen müßten4. Vermutlich hat man bei solchen Gelegenheiten einzelne Kardinäle zur Gesellschaft der Damen abgestellt. Auch sind die Damen nicht im Palast in Avignon untergebracht worden, hierzu bediente man_ sich vielmehr der Nebenresidenzen, insbesondere des Palastes in Sorj gues . Zuweilen hat der Papst den dort wohnenden Damen kleine Geschenke an Spezereien oder Konfekt übersandt6. Schon in der Frühzeit des Avignoneser Papsttums - also noch vor der Fertigstellung der Nebenresidenzen - hatte Johannes dafür Sorge getragen, daß Besucherinnen mochten sie auch noch so vornehm sein - einige Distanz zur Kurie wahrten. Als 1318 dementia, die Witwe des französischen Königs Ludwigs X. in der Absicht nach Avignon kam, dort die Ankunft ihres Onkels, Königs Roberts von Neapel, zu erwarten, hat sie der Papst zwar höflich empfangen; auf seinen Rat hin hat sie dann aber ihren Sitz in Aix im dortigen Konvent der Dominikanerinnen genommen und dort ihren Onkel erwartet7. Der einzige Ort im Palast, an dem - jedenfalls nach den Vorschriften des Zeremoniells - auch Frauen zugelassen waren, war das Konsistorium. Dort durften Kaiserinnen und Königinnen sogar zur Rechten des Papstes sitzen8. Bezieht man dies auf die Architektur des Avignoneser Palastes, folgt daraus, daß die Damen das Erdgeschoß, wo der große Saal für das Konsistorium lag, bei solchen Gelegenheiten betreten durften, 7

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Item notandum est, quod nunquam aliqua mulier comedit in presentia pape, etiamsi esset regina. ... Nec fuit auditum, quod aliquo tempore fueritfactum contrarium..., zit. nach SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 270. Strenggenommen bezieht sich dieser Text lediglich auf das gemeinsame Mahl von Papst und Kardinälen am Gründonnerstag. Indes geht der Autor immer wieder über diese Begrenzung hinaus, erörtert er die Bewirtung und Sitzordnung auch laikaler Gäste. Man wird die zitierten Vorschriften somit als allgemeingültig für feierliche Gastmähler an der Kurie interpretieren dürfen. Unter Johannes ΧΧΠ. werden gelegentlich die Gattinnen einzelner Herrscher, die in Avignon zu Gast waren, als Empfanger kleiner Geschenke genannt (vgl. den Anhang), daß der Papst sie zum Essen eingeladen hätte, davon liest man nichts. Vgl. den Anhang zu 1346 Apr. 9-16 und öfter. DYKMANS, Ceremonial 3 , S. 3 2 8 (n. 3 2 6 - 3 2 8 ) und S. 3 3 1 (n. 3 4 0 ) .

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Ζ . B . SCHÄFER, V Q 6 , S. 1 4 8 v o n 1 3 6 6 Jan. 3 0 .

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Ζ. B. IE 318 f. 81r von 1366 Jan. 31: 95,25 Pfund Konfekt für die Gattin des Grafen Ludwig von Anjou. Für die Königin Violante von Mallorca, die während ihres Aufenthalts an der Kurie verstarb, hat der Papst sogar die Begräbniskosten bezahlt. IE 318 f. 95v-96r von 1366 Aug. 31. Prima vita Joannis XXH, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 123, vgl. auch BALUZE/MOLLAT 2, S. 189. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 207 f. (cap. ΧΧνίΠ,ΙΟ).

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das Stockwerk darüber hingegen, wo der große Speisesaal und auch die päpstlichen Privatgemächer lagen, blieb ihnen verschlossen1. Wie ein solcher Empfang vornehmer Damen am päpstlichen Hofe ablaufen konnte, wird aus dem Tagebuch des Jean Le Fevre deutlich. Als 1385 die Königin Maria von Provence-Anjou nach Avignon kam, ließ sie der Papst durch den Bischof von Autun in Saint-Andre auf der anderen Seite der Rhone empfangen. Sie wohnte dann in Villeneuve und verkehrte lediglich durch Mittelsmänner mit dem Papst. Erst als ihr Sohn dann eintraf, begleitete sie diesen zu einer Sitzung des Konsistoriums, wo sie erstmals den Papst selbst zu Gesicht bekam. Sie saß dort freilich nicht neben dem Papst, sondern lediglich „entre le II premiers cardinaux et moi"2 (Jean le Fevre). Beim anschließenden Essen blieb ihr Sohn als Geist im päpstlichen Palast, während sie dazu in ihr Quartier zurückkehrte. Einige Tage später wurde sie vom Papst einer persönlichen Unterredung gewürdigt, immer aber in Anwesenheit des Jean Le Fevre und päpstlicher Kammerherren3. Fazit: Auch der strengste Moralist kann hier nichts Anstößiges finden. Bei weniger bedeutenden Gästen, Adligen und sonstigen Vornehmen, entfiel die feierliche Einholung durch die Kardinäle4, immerhin durften solche Gäste - wie auch die Kaiser und Könige - den Papst bei Tisch bedienen: der erste Gang wurde dem Papst von ihnen serviert5. Die ausdrückliche Begrenzung des Dienstes auf den ersten Gang verdeutlicht den sinnbildlichen Charakter dieses Aktes6. Abermals ist der Kontrast zwischen Theorie und Praxis bemerkenswert: Als 1365 Kaiser Karl IV. tatsächlich in Avignon weilte, hat er keineswegs den Papst selbst bedient. Immerhin haben die höchsten sonst anwesenden Reichsfursten tatsächlich die Bedienimg übernommen, aber nicht nur die des Papstes allein, sondern von Papst und Kaiser gemeinsam7. Zweck der resümierten Vorschriften war es, die am päpstlichen Hof geltende Rangfolge augenfällig zu machen. An der Spitze stand natürlich der Papst, ihm folgten gleichrangig Kardinäle und Monarchen, diesen wieder die Kämmerer und hochgestellten Laien. Abgesehen von den zeremoniellen Vorschriften kommt die Überordnung des Papstes über Kaiser und Könige am elementarsten darin zum Ausdruck, daß diese es sind, die den Papst aufsuchen, und nicht umgekehrt. Daß der Papst auf Rei1 2 3 4

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Vgl. die Pläne bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44 f. (auch im Anhang). Jean le Fevre, ed. MORANVILLE, S. 1 1 0 . Jean Le Fevre, Journal, ed. MORANVILLE, S . 1 0 0 FF. Es war den Kardinälen ausdrücklich verboten, den Friedenskuß mit geringeren Personen als Kaisem, Königen und Kollegen zu wechseln, außer wenn sie solche als Gäste in ihren eigenen Häusern empfingen. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 206 (cap. XXVDI,3). Coram papa servient maiores laid et nobiliores, qui presentes erunt, ... in mensa pape primum ferculum ponit coram papa aliquis de principalioribus nobilioribus, etiamsi esset rex. Zit. nach SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 2 6 8 (cap. LXI,1 und 2).

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Als etwa die Herzöge Johann von der Normandie (der spätere König Johann Π.) und Odo IV. von Burgund am Krönungsmahl Clemens' VI. teilnahmen, haben sie in der Tat dem Papst den ersten Gang serviert. Vgl. PETIT, Histoire 7, S. 272. Johannes Neplachonis, Chronicon, ed. EMLER, S. 4 8 3 ; dazu eingehend HACK, Empfangszeremoniell, S . 5 5 9 .

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sen gegangen wäre, um einen Kaiser oder König zu besuchen, kommt während des gesamten Untersuchungszeitraums nicht vor1. Ob freilich die Empfange von Monarchen immer so, wie im Zeremoniell festgelegt, abgelaufen sind und ob sie den Papst tatsächlich so, wie geschildert, bedient haben, ist weniger sicher, als die Texte glauben machen wollen. Abgesehen von den bereits angeführten Widersprüchen ist immerhin auffallig, daß sich der Verfasser der einschlägigen Sammlung bemüßigt fühlt zu betonen, daß es tatsächlich einige Male so, wie er es beschreibt, geschehen ist2. Auch weichen die wenigen erzählenden Quellen, welche päpstliche Gastmähler beschreiben, nicht unerheblich von den Zeremonienbüchern ab. Generell ist zu bedenken, daß die zeremoniellen Vorschriften für besonders feierliche Gelegenheiten, hier vor allem für Ankunft und Empfang von Herrschern gedacht waren. In solchen Fällen aber mußte ein Ausgleich zwischen den zeremoniellen Vorschriften und Vorstellungen der Kurie und denen des herannahenden Herrschers gefunden werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind bereits im Vorfeld eines solchen Treffens die zeremoniellen Abläufe zwischen den Vertretern beider Seiten ausgehandelt worden. Neben den großen Festmählern hat es auch intimere Arbeitsessen ohne oder zumindest mit reduziertem Zeremoniell gegeben3. Sie werden zwar erst in späteren Sammlungen erwähnt4, da aber solche Texte seit längerem bestehende Gewohnheiten fixieren, kann man davon ausgehen, daß es die dort geschilderten Abläufe auch vorher gegeben hat5. Hier wird dann ausdrücklich zwischen öffentlichen und privaten Gastmählern unterschieden. Für das private Gastmahl wird festgelegt, daß der Papst und sein jeweiliger Gast nicht an getrennten Tischen sitzen sollen, um ihnen eine Unterhaltung zu ermöglichen. Zog der Papst einerseits Kardinäle, andererseits weitere Fürsten aus dem königlichen Gefolge heran, sollen beide Gruppen gemischt sitzen, wieder mit der Begründung, ihnen solle ein Gespräch ermöglicht werden. Während die großen Gastmähler - wie erwähnt - im großen Speisesaal stattfanden, sind die privaten im tinellum parvum abgehalten worden. Dieser Raum lag näher an den päpstlichen Privaträumen, seine Lage versinnbildlichte damit auch das höhere 1

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Am nächsten kommt einer solchen Reise der Besuch Urbans V. in Villeneuve im Jahre 1362, als er den Körper seines Vorgängers dorthin - also nach Frankreich - überführen ließ und bei dieser Gelegenheit mit König Johann Π. von Frankreich zusammentraf. Vgl. dazu THOMAS, Sejour, S. 400 ff. Noch vor dem Untersuchungszeitraum liegt das Zusammentreffen Clemens V. mit Philipp dem Schönen in Poitiers (1307), wohin auch Eduard I. eingeladen worden war. Et sie faciebat dominus Karolus primus rex Cicilie et descendentes ab eo reges, maxime quia imperator Constantinopolitanus,..., zit. nach SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 268 (cap. LXI,3). Gemeinsame Mahlzeiten, denen vertrauliche Besprechungen folgten, erwähnt Jean Le Fevre mehrfach (ed. MORANVILLE, Ζ. B . S. 2 0 ) . Es wird allerdings nicht deutlich, ob man während des Essens oder erst hinterher beriet. Dem sogenannten „Ceremonial supplementaire". DYKMANS, Ceremonial 3, S. 72 läßt offen, ob es in die Zeit Urbans V. oder Clemens VH. aufgezeichnet worden ist, betont aber, es stehe in „...la tradition de la papaute avignonnaise, identique avant ou apres le schisme". Das Folgende nach DYKMANS, Ceremonial 3, S. 329 ff.

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Maß an Vertrauen und Vertraulichkeit, die der Papst den dort bewirteten Gästen entgegenbrachte. Seit Clemens VI. war zudem für die Versorgung dieses Speisesaals nicht die große, sondern die kleine Küche zuständig, diejenige also, welche auch für den Papst persönlich zu kochen hatte1. Daß beim Essen auch politische Affaren besprochen werden konnten, beweist ein Brief des päpstlichen Sekretärs Francesco Bruni über eine Unterredung mit Papst Gregor XI.; diese fand statt ...cum juissemus pransi cum Sanctitate prefata2. Indes soll nicht behauptet werden, diese privaten Mähler hätten ausschließlich politischen Zwecken gedient. Hier werden vielmehr auch die persönlichen Vorlieben und Interessen der Päpste ein Rolle gespielt haben. Daß durchaus Unterschiede hinsichtlich des Personenkreises sichtbar sind, aus denen die einzelnen Avignoneser Päpste ihre Tischgenossen wählten, wird noch genauer gezeigt werden. Hier sei vorausgeschickt, daß die Päpste schon im 13. Jahrhundert auch Gelehrte und Philosophen an ihre Tafel gezogen hatten. Ein zeitgenössischer Poet berichtet über solche Gastmähler Urbans IV. (1261-1264), wo - nach einem reichhaltigem Mahl, bei dem sich der Papst freilich mit wenigen und einfachen Speisen begnügte - der Pontifex sich mit seinen Tischgenossen auf einen Söller zurückzieht, um dort mit ihnen gelehrte Diskussionen zu fuhren3. Vergleichbares mag auch in Avignon vorgekommen sein. Bei gutem Wetter hätten sich besonders die flachen Dächer des Avignoneser Palastes angeboten. Auch der unter Clemens VI. errichtete Westflügel mit seinem „Grand Promenoir" eignete sich dazu4. Schließlich muß man in Betracht ziehen, daß die Zeremonienbücher lediglich einen Rahmen bieten, der für die Ausgestaltung im einzelnen durchaus Raum ließ. Aus dem mehrfach erwähnten Bericht des Florentiners erfahrt man etwa, daß zwischen den einzelnen Gängen zur Unterhaltung der Gäste Musikanten und ein mehrstimmiger Chor auftraten, Schaukämpfe stattfanden und ein Springbrunnen hereingetragen wurde, der fünf verschiedene Weinsorten ausspie5. Weiterhin gab es die schon erwähnten „Schaugerichte": zwischen dem dritten und vierten Gang ließ der Kardinal eine Burg aus nicht abgehäutetem Wildbret auftragen und unser Florentiner kann gar nicht genug rühmen, wie lebensecht die Tiere - obwohl gekocht - aussahen6. Als besonderes Gaudium ließ der Kardinal gar einige Personen von der Brücke, die über einen nahegelegenen Bach führte, ins Wasser springen7. Mag dies auch ein extremer Fall sein, so

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Vgl. Kap. IV,2.1 und IV,2.4. Brief vom 22. Dez. (1372), ed. MOLLAT, Relations, S. 361 n. 6. GRAUERT/VON HECKEL, Magister Heinrich, S . 9 5 ff. Vers 7 6 0 ff. Freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig. Uber den „Grand Promenoir" vgl. zuletzt VINGTAIN, Avignon, S. 241. D E LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 3 4 2 . Als eine der Sorten wird Rheinwein {vino renese) genannt, der einzige Beleg für Rheinwein in Avignon, den ich kenne. D E LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 3 4 0 ff. Über Schaugerichte allgemein vgl. VAN WINTER, Kochkultur, S. 340. D E LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 346: ... messet Anibaldo chorse verso l'uscio de la chamera e trovo uno schudiere al quale egli gli disse: ,, va' e chorri e fa' che alchuni passino su per

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haben doch auch Clemens' Nachfolger - dann jedenfalls, wenn sie hochgestellte Laien empfingen - offenbar den Auftritt von Unterhaltungskünstlern gestattet; es sind mehrfach Geldgeschenke des Papstes für die joculatores seiner Gäste belegt1. So groß auch die Ehre sein mochte, als Gast des Papstes bewirtet zu werden; eine reine Freude war es nicht. Als zu Beginn des 14. Jahrhunderts Erzbischof Balduin von Trier einen Besuch an der Kurie plante, ließ er sich von einem Kenner der Verhältnisse hinsichtlich des angemessenen Verhaltens an der päpstlichen Tafel unterrichten. Dieser riet dem Erzbischof, sich von drei oder vier Edelknappen, nicht aber von Klerikern begleiten zu lassen. Diese Edelknappen sollten zwei oder drei Tischtücher sowie zehn bis zwanzig anderere Tücher mitbringen, um sie - wohl dem Personal - als Geschenk zu überlassen. Auch sollten sie Salz, Messer, ein Gefäß mit Wasser, einen silbernen Becher mit Fuß und zwei oder drei Becher ohne einen solchen mitbringen. Während des Mahls bestand ihre Aufgabe darin, auf das Silber aufzupassen; der Ratgeber warnt ausdrücklich davor, die päpstlichen Edelknappen würden sonst das kostbare Geschirr stehlen2. Sowohl den tatsächlichen Ablauf eines solchen Festmahls als auch die Art und Weise, wie ein solches die Atmosphäre politischer Unterhandlungen beeinflussen konnte, schildert eine private Aufzeichnung des Kanzlers Wilhelm von Auxonne3, der 1336 seinen Herrn, den Grafen Ludwig von Flandern, bei einem Besuch in Avignon begleitete und als Dolmetscher zwischen Graf und Papst fungierte4. Noch am Tage seiner Ankunft wurde Graf Ludwig von Papst Benedikt XII. empfangen. Dieser erste Empfang diente beiden Seiten lediglich zum Austausch höflicher Ansprachen. Die Besucher wurden dann für den nächsten Tag zur Audienz gebeten, wo sie ihre Anliegen vorbringen sollten. Die Audienz fiel nicht zur Zufriedenheit von Graf und Kanzler aus, dies bemerkend schickte der Papst alle Anwesenden hinaus, mit Ausnahme von Ludwig und Wilhelm einerseits und seinem vertrauten Ratgeber, dem Bischof Bernhard von Rodez, andererseits. Auch die nun folgende vertrauliche Unterredung, die vor allem zwischen Bernhard und Wilhelm geführt wurde, befriedigte den Berichterstatter, den Kanzler Wilhelm, nicht. Schon wollte er widersprechen, als er sich besann und eine günstigere Gelegenheit für seine Einwände abzuwarten beschloß. Seine Verstimmung blieb jedoch nicht unbemerkt: Als er und Graf Ludwig die Audienz verlassen wollten und schon beim Herausgehen waren, hielt sie Bischof Bernhard auf, und lud sie im Namen des Papstes für den kommenden Sonntag (den 12. Mai) zum Mittagessen (prandium) ein. Noch am gleichen Tag bestellte der Bischof den Kanzler zu

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lo ponte de la Sorgho si che vi chagiano entro. " Chosifu fatto a la vista del papa onde egli prese solazzo e diletto. Vgl. SCHÄFER, VQ 6, S. 9 von 1362 Nov. 14 oder 24, S. 10 von 1362 Dez. 13, S. 99 von 1365 Juni 7, S. 357 von 1371 Jan. 7 und S. 358 von 1371 Jan. 22. Briefeines Ungenannten an Balduin von Trier (ed. STENGEL, Nova Alamanniae 1, S. 41 n. 83 zu 1310-1311 Frühjahr) (freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig).

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Ed. THOMAS, Source, S. 32 ff.

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...excusando me quod linga (sic) materna loquebar, quia pro domino (=Ludwig) sic fieri oportebat, qui non erat literatus,..., zit nach THOMAS, Source, S. 34.

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einer vertraulichen Unterredung, in deren Verlauf er dem Kanzler mitteilte, daß bei dem bevorstehenden Essen mit einem günstigen Bescheid des Papstes zu rechnen sei. Kanzler und Bischof besprachen dann noch genauer den Inhalt des am Sonntag zu erwartenden Bescheids. Die Zwischenzeit sollten sie, so der Rat des Bischofs, für Besuche bei den Kardinälen nutzen. Am Sonntag, zur Mittagszeit erschienen dann Graf und Kanzler, begleitet von drei Rittern und acht Edelknappen abermals im Palast. Bevor sie aber zum Essen in den Festsaal gefuhrt wurden, geleitete man die beiden zunächst in ein abgesondertes Zimmer - vielleicht in dem kurz vor der Fertigstellung stehenden Papstturm wo sie der Papst erwartete und - zur großen Freude des Berichterstatters - den erbetenen günstigen Bescheid erteilte. Erst danach geleitete der Papst den Grafen eigenhändig zur Tafel1. Dort saß der Papst an einem separaten und erhöhten Tisch; die Tische der Gäste waren niedriger. Gleichwohl standen sie nahe genug nebeneinander, daß ein fröhliches Tischgespräch in Gang kam2. Dies wurde durch die Sitzordnung gefördert, nach der Ludwig neben dem Papst zu sitzen kam, gefolgt von dem Bischof Bernhard und dem Kanzler. Es saß also jeweils ein Angehöriger der päpstlichen und der gräflichen Seite nebeneinander, die späteren Vorschriften des Zeremoniells sind in diesem Punkt also bereits vorweggenommen worden. Nach dem Essen geleitete der Papst abermals den Grafen in ein abgesondertes Zimmer; ihnen folgten der Kanzler und der Bischof. Nachdem alle vier auf bereitstehenden Sesseln Platz genommen hatten, folgte eine ernsthaftere Unterredung, die wieder in erster Linie zwischen dem Kanzler und dem Bischof gefuhrt wurde. Sie endete positiv: eigenhändig setzte Benedikt sein flat unter die bereitliegende Supplik3. Danach ließ er Wein kommen und Ludwig von Flandern erhielt die Erlaubnis, mit dem Papst den Friedenskuß zu tauschen. Voll Stolz fügt der Berichterstatter hinzu, daß der Papst, als er ihm den Fuß habe küssen wollen, ihn aufgehoben habe, um auch mit ihm den Kuß zu tauschen. Generell ist zu bemerken, daß der Berichterstatter bei seinen Gesprächen mit dem Papst eingehend dessen Mimik studiert, um sein eigenes Verhalten danach abzumessen. Auch das Maß an Vertraulichkeit, das seinem Herrn und ihm eingeräumt wird, wie auch das Maß an Ehre, das ihnen durch das gute Essen, das vertrauliche Gespräch, den guten Wein, die Sitzordnung etc. zuteil wird, hat er sehr genau registriert. Bemerkenswerterweise wurden die Verhandlungen nicht etwa zwischen den beiden Herrschern selbst, sondern zwischen ihren vertrauten Räten geführt, die Herrscher

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Et post, ivit (Benedikt) ad mensam ducendo dominum (Ludwig) per manum proprium..., zit. nach THOMAS, Source, S. 37. Es muß sich hier noch um den alten Speisesaal Johannes' ΧΧΠ. gehandelt haben. Der Neubau Benedikts ΧΠ. wurde erst später begonnen. ...et sedit (Benedikt) solus in alta mensa papali, et in alia bassa dominus (Ludwig), ut rex ante comederat, et post eum, episcopus predictus, et post, ego (Wilhelm); et in alia mensa, alii tres milites domini, et non plures in aula; et parvum fecit legere ante eum, sed sepe garrulavit cum domino, cum armigeriis domini; et magna cibaria dedit, et in excessiva quantitate, et meliora vina. Zit. nach THOMAS, Source, S. 37. THOMAS, Source, S. 38.

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selbst begnügten sich mit höflichen Ansprachen. Es scheint dies eine generelle Eigentümlichkeit diplomatischer Unterhandlungen zu sein, an denen Monarchen und Fürsten teilnehmen; sie wird auch von Experten wie Philippe de Commynes und Otto von Bismarck ausdrücklich befürwortet1. Auf diese Weise sollte ein Herrscher gleichsam vor sich selbst geschützt werden, nämlich daran gehindert werden, unbedachterweise Konzessionen zu machen oder Dinge zu sagen, die politisch unnötig oder anstößig waren. Die Unterbringung von Gästen Die bereits geschilderte Eigenart des päpstlichen Palastes, daß in ihm gleichsam Unterhaushalte existierten2, manifestierte sich in ähnlicher Form, wenn der Papst hochstehende Gäste im Palast beherbergte. Johannes XXII. hatte seine Gäste - soweit über deren Unterkunft überhaupt etws bekannt ist - generell in den Nebenresidenzen, insbesondere in Sorgues, untergebracht3. Von dort aus kamen sie nach Avignon, um mit dem Papst zu speisen; am Abend dürften sie nach Sorgues zurückgekehrt sein. Andere Gäste haben sich ein Privatquartier in Avignon selbst gemietet. So handelte etwa der Graf Ludwig von Flandern, als er im Jahre 1336 die Kurie besuchte und auch von Papst Benedikt XII. empfangen und zum Essen eingeladen wurde4. Erst Benedikt XII. hat im Zuge der Neubauten auch Räume für Gäste vorgesehen. Neben Zimmern für weniger bedeutende Gäste5 hat er vor allem ein Appartement im Südflügel des Palastes einrichten lassen, das zur Unterbringung vornehmer Gäste dienen konnte. Es handelt sich um die bereits erwähnte camera regis oder imperatoris. Der heute 40 χ 12 Meter große Saal war in ein Schlafzimmer, eine Paramentenkammer und eine Garderobe unterteilt6. Der Südflügel ist in den Jahren 1337-1339 gleichzeitig mit dem im rechten Winkel anschließenden Ostflügel errichtet worden, also dem Flügel, wo sich Küche und Festsaal befanden7. Das deutet darauf hin, daß beide Bauten aufeinander bezogen waren. Der oder die Bewohner des Appartements konnten sich vor und nach dem Essen leicht in die für ihn vorbereiteten Räume begeben und sich dort umziehen; ebenso konnte der Papst sie zu Besprechungen in seine eigenen Räume geleiten, die sich ebenfalls in der Nähe des Festsaals befanden8.

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Commynes, Memoiren, Π,8, ed. ERNST, S. 69 ff.; Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, 11,11, ed. GALL, S. 3 3 8 f.

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Vgl. Kap. IV,2.4. Vgl. Kap. m,2. Vgl. THOMAS, Registre, S. 34, wo der Graf - nach dem Empfang beim Papst - in sein eigenes hospitium zurückkehrt. Über den Empfang Ludwigs bei Benedikt siehe auch unten. Vgl. KERSCHER, Architektur, S. 140 mit Anm. 520. Vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 156.

Vgl. den Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44, Plan 2 (auch im Anhang); zur Baugeschichte zuletzt VINGTAIN, Avignon, S. 156 ff. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44, Plan 2 (auch im Anhang).

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Ob Benedikt sein Gästequartier überhaupt genutzt hat, ist jedoch keineswegs sicher1 . Nicht nur starb er bereits wenige Jahre nach seiner Vollendung, sondern es ist überhaupt fraglich, ob er es tatsächlich als Unterkunft für Gäste vorgesehen hatte. Eher wird man vermuten, daß diese Räume als Unterkunft für besonders vertraute Famiiiaren des Papstes - vielleicht für seine Kapläne - gedient haben. Erst unter seinem Nachfolger Clemens hat im Dezember 1350 möglicherweise ein königlicher Gast - König Johann II. von Frankreich2 - dort gewohnt. Aber auch das ist keineswegs sicher. Man findet zwar Belege darüber, daß er im Palast empfangen und bewirtet worden ist4; auch eine camera ist für ihn vorbereitet worden5. Zieht man aber den gleich noch zu erörternden Besuch Kaiser Karls IV. zum Vergleich heran, besteht durchaus die Möglichkeit, daß er diese Räume zum Umkleiden, nicht aber zum Übernachten genutzt hat. Belege für eine Übernachtung im Palast finden sich - im Unterschied zu dem späteren Besuch Peters IV. von Aragon - nicht. Bei König Johanns zweitem Besuch im Dezember 1362, der weit besser dokumentiert ist, werden abermals Ausgaben für ein Festmahl, für Geschenke und Ausschmückung des großen Speisesaales verzeichnet6, nichts aber darüber, daß Johann II. tatsächlich im Palast übernachtet hätte. Dafür berichten die erzählenden Quellen, der König habe mit seinem Hof in Villeneuve residiert, mehrmals den Papst im Avignon besucht, aber auch, daß er abends wieder nach Villeneuve zurückkehrt sei7. Möglicherweise haben hier protokollarische Rücksichten eine Rolle gespielt. Für einen Besuch in Avignon mußte der französische König die Grenze seines Reiches überschrei-

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Eine Zusammenstellung von Monarchen, die seiner nach Ansicht im Palast gewohnt haben, gibt COLOMBE, Recherches 16, S. 365 ff. Ich weiche von ihm insofern ab, als ich hier nur solche Gäste behandle, die tatsächlich im Palast gewohnt haben, nicht aber solche, die dort nur bewirtet worden sind. Es sei angemerkt, daß er bereits 1342 und 1347, also noch vor seinem Regierungsantritt, in Avignon gewesen ist. Vgl. die Belege im Anhang. Auch bei diesen Gelegenheiten ist er im Palast bewirtet worden, indes findet man nichts darüber, daß er dort auch gewohnt hätte. Es gibt aber einen Beleg (EHRLE, Historia, S. 631), daß Johann auf dem Platz vor dem Palast seinerseits eine Küche - wohl zur Bewirtung der Bevölkerung - hat errichten lassen. So zuletzt VINGTAIN, Avignon, S. 157, aufgrund von COLOMBE, Recherches 16, S. 366. SCHÄFER, VQ 3, S. 437 von 1351 Jan. 11 und Febr. 5; S. 440 von 1351 Febr. 16 und S. 454 von 1350 Dez. 17. EHRLE, Historia, S. 642 von 1351 Febr. 5, vgl. auch COLOMBE, Recherches 16, S. 373.

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SCHÄFER, V Q 6, S. 4 0 von 1362 Dez. 31; S. 4 8 f. von 1362 Nov. 30; S. 50 von 1362 Dez. 20.

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So die Quarta vita Urbani V, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 399; weitere Quellen sind zusammengestellt bei THOMAS, Sejour, S. 400 f.; zustimmend auch COLOMBE, Recherches 16, S. 366. Daß der französische König während seines Zusammentreffens mit Urban in aller Regel in Villeneuve wohnte, haben bereits DELACHENAL, Histoire 2, S. 313 f. und 322 ff. und THOMAS, Sejour, S. 402 ff. gezeigt. Dies wird auch durch einen Rechnungsbucheintrag bestätigt, gemäß dem die Kurie eine Anzahl Betten für den Besuch des Königs angemietet hat (SCHÄFER, VQ 3, S. 437 von 1351 Jan. 11). Auch Kosten für den Transport der Betten werden erwähnt. Sollte der Besuch des Königs analog zu dem des Kaisers abgelaufen sein (siehe unten), dürften diese Betten in den Palast in Villeneuve geschafft worden sind, um dort für die päpstlichen Gäste aufgestellt zu werden.

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ten. Dies mag er für einen kurzen Besuch in Kauf genommen haben, zum Übernachten kehrte er über die Brücke wieder in sein eigenes Reich zurück. Daß tatsächlich ein König in diesen Räumen übernachtet hätte, ist mit Sicherheit erst unter Innozenz VI. belegt, als König Peter IV. von Aragon im Dezember 1355 in Avignon weilte1. Dagegen besaß König Jakob II. von Mallorca ein eigenes Palais in Avignon2. Gleiches gilt für die Königin Johanna von Neapel, die Stadtherrin3. Der vornehmste Besuch ist dann im Jahre 1365 unter Papst Urban V. zu verzeichnen, als Kaiser Karl IV. den Papst besuchte4. Für den Kaiser und sein Gefolge sind mehrere Quartiere vorbereitet worden. Da ist zunächst ein Raum im Palast selbst; er wird als camera domini Auin. in palacio bezeichnet5. Darunter ist - wie bereits gezeigt6 - die erwähnte camera regis bzw. - nämlich seit dem Aufenthalt Karls IV. - die camera imperatoris im Südflügel des Palastes zu verstehen. Dort hatte im Pontifikat Urbans V. sein Bruder Anglicus Grimoardi sein Quartier. Das zweite Quartier wird in hospitio d. Auin. lokalisiert7. Man hat darunter den Palast des Bischofs von Avignon, den sogenannten „Petit Palais", verstanden, indes ist gezeigt worden, daß es sich dabei um den von Urban initiierten Anbau an den Papstpalast handelt8. Die reichhaltige Ausschmückung sowohl der camera imperatoris als auch des hospitium episcopi legt nahe, daß diese Räume speziell für den Kaiser und sein engstes Gefolge gedacht waren9, ohne daß sich genau sagen ließe, wer nun wann dort übernachtet hätte. Aus den Rechnungsbüchern ist ersichtlich, daß beide Quartiere mit einem Bett für den Kaiser ausgestattet worden sind10. Die einzige erzählende Quelle, die etwas über die Unterbringung des Kaisers aussagt, ist die Chronik des Johannes Neplachonis11. Ihr zufolge hat der Papst den Kaiser nach Festmahl und Konsistorium ... per plateas

...ad

habitacionem Auinionensis episcopi begleitet. Mit habitatio

Auinionensis episcopi kann dreierlei gemeint sein: das Zimmer des Anglicus im Palast selbst, also die camera imperatoris, dann der Anbau an der Ostseite des Palastes und schließlich der „Petit Palais", also das bischöfliche Palais nördlich des Papstpalastes12. Daß der Kaiser im Palast seiner Reichsbischöfe Quartier nahm, war ja seit jeher üblich. Mit plateae werden in den Avignoneser Quellen sowohl die Innenhöfe

1

SCHÄFER,

VQ 3, S. 576 von 1355 Dez. 29 (Geschenke); 586 von 1355 Dez. 29 (camera regis)·, S.

627 von 1356 März 30 (camera regis)·, S. 633 von 1356 Jan. 31 (Silbergeschirr); S. 636 f. von 1356 Febr. 28 (Holz). Vgl. auch COLOMBE, Recherches, 16, S. 267. 2

Vgl. COLOMBE, Recherches 16, S. 368.

3

Siehe unten

4

Vgl. DELACHENAL, Histoire 3, S. 206 ff.; HACK, Empfangszeremoniell, S. 549 ff. SCHÄFER, VQ 6, S. 122 f. von 1365 Juni 25.

5

6

Vgl. Kap. IV,2.4.

7

SCHÄFER, VQ 6, S. 123 von 1365 Juni 25.

8

Vgl. Kap. IV,2.4. Neben den bereits genannten Belegen vgl. noch SCHÄFER, VQ 6, S. 98 f. von 1365 Mai 31. SCHÄFER, V Q 6 , S. 9 9 von 1 3 6 5 Mai 3 1 und S. 1 2 3 von 1 3 6 5 Juni 2 5 . Johannes Neplachonis, Chronicon, ed. EMLER, S. 4 8 3 f.; vgl. auch HACK, Empfangszeremoniell, 561. So zuletzt HACK, Empfangszeremoniell, S. 560.

9 10

11

12

S.

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Höfisches Leben

des Palastes als auch die Plätze um den Palast herum bezeichnet1. Dies könnte als Indiz dafür genommen werden, daß der Kaiser gerade nicht in der camera imperatoris übernachtet hätte, da es nicht nötig ist, einen Hof zu durchqueren, um vom Konsistorium im Ostflügel zu der camera im Südflügel zu gelangen2. Indes wissen wir nichts darüber, auf welchem Wege Karl in sein Quartier gelangte, müssen die Frage daher offen lassen. Generell ist damit zu rechnen, daß der Kaiser keineswegs während seines gesamten Aufenthalts in demselben Quartier wohnte, er vielmehr zwischen den drei genannten wechselte. Ein großer Teil des kaiserlichen Gefolges ist in dem Palast in Sorgues untergebracht worden - auf die Bedeutung dieses Palastes als Gastquartier ist schon hingewiesen worden3. Über achtzig Betten hat die Kurie mieten und dort bereitstellen lassen4 (zusätzlich zu denen, die sowieso schon dort waren); ebenso sind große Mengen von Lebensmitteln und Pferdefutter dorthin geschafft worden5. Immerhin bestand das kaiserliche Gefolge aus mehreren hundert Personen6, welche auf die verschiedenen Unterkünfte zu verteilen waren. Sichtbar wird eine Hierarchie der Quartiere: Je näher ein Gast beim Papst selbst wohnte, eine desto größere Ehre sollte ihm erwiesen werden. Umgekehrt konnte ein in Avignon eintreffender Besucher das Maß der ihm von der Kurie beigelegten Wichtigkeit daran ermessen, ob und was für eine Unterkunft ihm angewiesen wurde. Bemerkenswerterweise sind anläßlich des kaiserlichen Besuchs gleich mehrere Räume als Paramentenkammer vorbereitet worden, und zwar im Papstpalast selbst, in dem Anbau und in dem Palast in Sorgues7. Hier wird deutlich, welche Bedeutung dem jeweils angemessenen „Kostüm" und den jeweils zur Schau getragenen Herrschaftszeichen im kaiserlichen wie im päpstlichen Zeremoniell zukam. Wie wir gesehen haben, ist dasjenige Quartier im Palast, welches nach Ansicht der Forschung speziell zur Unterbringung von Gästen vorgesehen war, offenbar nur ausnahmsweise für diesen Zweck genutzt worden. Zumindest während des Pontifikats Urbans V. war es normalerweise das Quartier seines engsten Vertrauten und Mitarbeiters. Dies legt die Hypothese nahe, daß auch in anderen Pontifikaten die sogenannte camera regis in erster Linie als Unterkunft für päpstliche Vertraute gedient hat, daß hier also der Standort einer der erörterten Unterhaushalte zu suchen ist. Geht man nach den Empfangen für Monarchen gleichsam eine Ebene tiefer zu den Empfangen von Botschaftern, läßt sich zeigen, daß die im Palast vorhandenen Quar1 2 3 4

Abgesehen davon mußte ein auswärtiger Chronist diesem Sprachgebrauch nicht unbedingt folgen. Vgl. den Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Funticon, S. 44 Nr. 2 unter fund r. Vgl. Kap. ΙΠ,2. SCHÄFER, V Q 6 , S. 9 8 v o n 1 3 6 5 M a i 2 9 u n d M a i 3 1 .

5

SCHÄFER, VQ 6, S. 98 von 1365 Mai 2 9 und S. 119 von 1365 Juni 30.

6

Nach Johannis de Reading, Chronica, ed. TAIT, S. 166, waren es 500 Personen. Sein großes Gefolge betont auch die Prima vita Urbani V, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 3 5 5 , vgl. auch BALUZE/MOLLAT 2, S. 5 0 1 ff. ...pro 2 cameris paramentorum ... factis fieri in palacio Auin. et 5 aliis cameris in hospitio ep. Auirt. et in Pontesorgie pro adventu d. imperatoris..., zit. nach SCHÄFER, VQ 6, S. 122 von 1365 Juni 25; vgl. auch SCHÄFER, VQ 6, S. 98 f. von 1365 Mai 31.

7

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tiere in der Regel von päpstlichen Vertrauten bewohnt worden sind, sie diese aber mitunter zu Gunsten päpstlicher Gäste räumen mußten. Als im November 1354 französische und englische Gesandte in Avignon zusammenkamen1, um unter Vermittlung Innozenz' VI. über den Frieden zwischen beiden Reichen zu verhandeln, sind die Oberhäupter beider Delegationen im Palast einquartiert worden. Das war auf englischer Seite der Herzog Heinrich von Lancaster2, auf französischer der Herzog Peter von Bourbon. Man hat sie im Appartement des Kardinals Audoynus Alberti einquartiert, der bereits als Mitbewohner des Palastes unter Innozenz VI. namhaft gemacht worden ist3. Vorher sind diese Räume unter recht erheblichen Kosten mit Teppichen und Möbeln ausgestattet worden4. Man mag gehofft haben, daß die Unterbringung in einem gemeinsamen Quartier dem Erfolg der Verhandlungen förderlich sein werde, was sich freilich als Trugschluß erwies. Für den König von Navarra, Karl II., der ebenfalls an den Verhandlungen beteiligt war, mußte Arnaldus Alberti, Bischof von Carcassonne und künftiger Kämmerer der Kurie, sein Zimmer räumen. Auch dieses ist auf Kosten der Kammer besonders für den König ausgestattet worden5. Das heißt nicht, daß nun etwa das gesamte Personal beider Gesandtschaften im Palast einquartiert worden wäre. Die englische Gesandtschaft etwa hat aus mehreren hundert Personen bestanden6, für die französische dürfte gleiches gegolten haben. Offenbar verfügte Herzog Heinrich zusätzlich über ein größeres Quartier in Avignon, wo seine Gastfreiheit, seine allen offene Tafel und die von ihm veranstalteten Festlichkeiten die Bewunderung der Kurialen erregten. Schon vor seiner Ankunft hatte er dort vorsorglich hundert Fässer Wein im Keller bereitstellen lassen7. Man gewahrt hier ein schönes Beispiel für Prestigekonsum. Offenbar wollte der englische Gesandte seinen französischen Kollegen durch die Pracht seines Auftretens

1

Vgl. MOLLAT, Innocent VI, S. 739 f.

2

Er war bereits 1344 in Avignon gewesen. Siehe oben. Vgl. Kap. IV,2.4. Die Belege bei MOLLAT, Innocent VI, S. 740; vgl. auch den Anhang.

3 4 5

SCHÄFER, V Q 3 , S. 5 4 9 v o n 1 3 5 4 D e z . 2 9 .

6

In dem päpstlichen Geleitbrief für ihn ist schon von 150 Rittern die Rede (Brief Innozenz VI. von 1 3 5 4 Juli 1 6 , zit. bei MOLLAT, Innocent VI., S. 7 3 9 ; Regest bei GASNAULT/LAURENT n. 1 0 2 6 ) ; der Chronist Henricus Knighton berichtet, die Gesandtschaft habe 200 Pferde gezahlt (Henricus Knighton, Chronicon, ed. MARTIN, S. 1 2 7 f.). Das bezieht sich aber (ich folge hier Informationen von Karsten Plöger) nur auf den Herzog von Lancaster allein; die gesamte Gesandtschaft bestand aus mehreren hochrangigen Diplomaten, von denen jeder über ein entsprechendes Gefolge verfugte und die auch zu verschiedenen Zeiten nacheinander in Avignon eintrafen. Es handelte sich um Richard de la Bere, John Woderove (Beichtvater Eduards ΙΠ.), John Welwick (clerk of the privy seal), Michael Northburgh (Bischof von London), Guy de Brian, William Bateman (Bischof von Norwich) und Richard Fitzalan, Graf von Arundel. Hillaritas dapium et poculentorum omnibus uenire uolentibus et reflci cupientibus semper parata erat quamdiu ibi moram traxit. Et talem prouidenciam ibidem fecerat, quod tota curia mirabatur. Providentia uini ante aduentum suum, in cellaria sua, erat .C. doliorum. Zit. nach Henricus Knighton, Chronicon, ed. MARTIN, S. 128.

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Höfisches Leben

und das Maß des von ihm betriebenen Aufwands beeindrucken und übertrumpfen1. Dabei ist zu beachten, daß der Herzog dies auf eigene Kosten oder vielleicht auch auf Kosten des englischen Königs getan hat2, nicht aber auf Kosten der Kurie. Diese hat lediglich die Kosten getragen, welche innerhalb des Palastes anfielen. Diese Unterscheidung scheint man generell getroffen zu haben. Die Verpflegung der Gäste innerhalb des Palastes wurde von den Hofamtern übernommen. Dagegen haben die Gäste in den Nebenresidenzen zwar Lebensrnittel von den Hofamtern erhalten, für ihre Zubereitung dagegen selbst sorgen müssen. In aller Regel dürfte dies nicht weiter schwierig gewesen sein, da sich im Gefolge hochstehender Gäste auch Köche befanden. Das beweisen auch die Rechnungsbücher Herzog Odos IV. von Burgund, der 1344 zusammen mit Herzog Johann von der Normandie und anderen Fürsten als französischer Gesandter in Avignon weilte3. In seinem Gefolge, das etwa 140 Personen zählte4, befanden sich auch zehn Köche, 4 Panatare, zwei Kellermeister und noch andere Inhaber von Hofamtern5, stand also fachkundiges Personal zur Verarbeitung der von der Kurie gelieferten Lebensmittel bereit. Die Masse seines Gefolges fand Unterkunft im Palais des Kardinalpresbyters Petrus Bertrandi6, genannt der Kardinal von Autun. Odo selbst hat man damit geehrt, daß er wenigstens einmal im Palast des Papstes übernachten durfte. Bei dieser Gelegenheit wurde sein Bett abends vom Kardinalspalais zum Palast und morgens wieder zurückgetragen7. Sein Kollege Johann dagegen, der französische Kronprinz, zog es vor, sein Quartier in Frankreich zu nehmen; er wohnte - wie auch später als König8 in Villeneuve9. Vornehme Gesandte haben also nicht notwendigerweise durchgehend im Palast gewohnt; ähnlich wie die oben erörterten Kardinäle scheinen sie zwischen ihrem Quartier im Palast und einer anderen Unterkunft gewechselt zu haben. Einzelne Gäste des Papstes Überblickt man, wen der Papst durch eine Einladung zum Essen geehrt hat, so steht unter Johannes XXII.10 der König Robert von Neapel, der als Graf der Provence zugleich Stadtherr von Avignon war, bei weitem an der Spitze. Ihre Bekanntschaft 1 2

3

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5 6 7

8 9

10

Ähnliche Beispiele vonfranzösischerSeite bei PETIT, Histoire 7, S. 324 und passim. Eine Abrechnung über seine Reisekosten, die er nach seiner Rückkehr hat vorlegen lassen, ist ed. bei BOCK, Documents, S. 9 6 η. 5 Vgl. PETIT, Historie 7, S. 314 ff. Edition der Rechnungsbücher auf S. 354419 (freundlicher Hinweis von Karsten Plöger). Es ist hier nur von dem Gefolge Odos IV. die Rede. Johann von der Normandie, der französische Kronprinz, dürfte ein noch größeres Gefolge gehabt haben. Vgl. PETIT, Histoire 7, S. 317 f. PETIT, Histoire 7, S. 321 f. PETIT, Histoire 7, S. 371. Siehe oben. PETIT, Histoire 7, S. 321 f. Sofern nicht anderes vermerkt ist, findet man die Belege im Anhang.

Der Papst und seine Gäste

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reichte weit länger zurück: Jacques Dueze war einst Kanzler König Roberts gewesen und hatte das gleiche Amt schon bei dessen Vater Karl II. innegehabt1. Zwar scheint Robert an Johannes' Wahl zum Papst keinen Anteil gehabt zu haben, indes dürfte er ihr nicht widerstrebt haben2. Will man ihr Verhältnis richtig würdigen, ist zu bedenken, daß Robert ja nicht nur als Besucher nach Avignon kam, daß er vielmehr als Stadtherr der Gastgeber und daß er zugleich auch der Beschützer und Lehnsmann des Papstes war3. Ja mehr noch, wenn Robert in der Provence weilte, hat er sich nicht selten in Avignon in seinem eigenen Palast aufgehalten. Dieser lag gegenüber der Südseite des Papstpalastes4, es handelte sich um das ehemalige Rathaus der Kommune5, in dem sich, wenn der König abwesend war, weiterhin der Stadtrat versammelte6. War der König in Avignon anwesend, was von 1319 bis 1324 häufig vorkam7, residierten Papst und König also unmittelbar nebeneinander. Wollte der König den Papst besuchen, mußte er lediglich die Straße überqueren8. Dieses zeitweilige Nebeneinander eines weltlichen und eines geistlichen Hofes wird schwerlich ohne Auswirkungen auf das Leben in Avignon gewesen sein. Zunächst einmal hat selbstverständlich auch der König ein angemessenes Gefolge mitgebracht, welches den Wohnungsmangel in Avignon noch vergrößerte9. Vor allem aber dürfte er

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4 5

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9

Vgl. Kap. ΙΠ,2. Aufschlußreich fur das enge politische Zusammenwirken zwischen Johannes und Robert ist auch BOCK, Geheimschrift, S. 280 ff. Vgl. vor allem MOLLAT, Election, S. 159 f.; daneben GUILLEMAIN, Cour, S. 122 mit Anm. 131. Über Robert vgl. die umfangreiche Biographie von CAGGESE, Roberto 1-2, der leider auf die hier interessierenden Fragen kaum eingeht. Über den königlichen Hof vgl. Bd. 1, S. 637 ff.; über Roberts Aufenthalt in der Provence Bd. 2, S. 29 ff. Es fehlt an einem Itinerar des Königs, ebensowenig sind seine Urkunden erschlossen (das Itinerar Karls Π., Roberts Vorgänger, ist jetzt erstellt von KIESEWETTER, Itinerar). Für einen Teilbereich vgl. PERRAT, Actes, S. 119 ff. Man findet zahlreiche Urkunden Roberts, die in Avignon datiert sind, in den Archivinventaren verzeichnet, welche die Fonds der diversen provenzalischen Städte aufarbeiten, z. B. RAIMBAULT, Inventaire sommaire, S. 1 f. Bei HAYEZ, Terrier, Karte 4, unter Nr. 3 zu finden. Ein Inventar des alten „palais royal" aus dem Jahre 1347 ist ed. bei GIRARD/PANSIER, S. 71. Zu dieser Zeit diente der Palast allerdings schon seit langem nicht mehr als königliche Residenz, vielmehr als Gefängnis und Sitz diverser Behörden. Er war durch den neuen, von der Königin Johanna erbauten Palast ersetzt worden, der nach dem Verkauf der Stadt an den Papst in den Besitz der Kurie überging. Vgl. dazu PANSIER, Palais. Deutlich wird, daß es sich bei dem alten Palast um ein relativ kleines Gebäude gehandelt hat: man kann dem Inventar entnehmen, daß er aus Erdgeschoß und erstem Stock mit jeweils vier Zimmern bestand. In Roberts Urkunde von 1306 Mäiz 11 (Avignon, Arch, dep., AC, Boite Pintat 7) heißt es: in palatio regio, in quo consilium civitatis ipsius solitum est teneri. Ahnlich auch in Roberts Urkunde von 1326 Okt. 22 (Avignon, Arch, dep., AC, Boite Pintat 9). Robert verließ die Provence im April 1324. Daß möglicherweise Robert seinerseits den Papst in Avignon zum Essen eingeladen und empfangen hat, will ich nicht ausschließen, einen Beleg aber kenne ich nicht. Vgl. die Urkunde Roberts von 1323 Nov., in der er seinen Clavarius in Avignon anweist, die Miete für die Häuser zu bezahlen, die seine Famiiiaren bewohnt hatten (Avignon, Arch, dep., AC Boite Pintat 18 η. 580). Vgl. auch GIRARD, Avignon, S. 91.

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auch ein entsprechendes höfisches Leben entfaltet haben, mit Festen, Turnieren u. s. w. Schließlich bestanden engste politische Beziehungen zwischen Johannes und Robert, insbesondere als gemeinsame Gegner Ludwigs des Bayern hatten sie übereinstimmende Interessen1. Beide Parteien waren auch als kriegführende Mächte in Italien in die dortigen Verwicklungen involviert. Gerade in diesem Bereich aber fehlte es auch nicht an speziellen und teilweise auch gegensätzlichen Interessen beider, und daß das Verhältnis beider zueinander keineswegs immer ungetrübt war, wird aus den erzählenden Quellen deutlich2. Nicht nur König Robert, sondern auch seine Verwandten sind vom Papst bewirtet und mit besonderen Delikatessen beschenkt worden. Man findet Roberts Bruder, den Grafen Johann von Gravina, den Fürsten Philipp von Tarent und Herzog Johannes von Durazzo. Nach den Neapolitanern an zweiter Stelle stehen die Botschafter des französischen Königs, sie werden ebenfalls bewirtet und mit ausgesuchten Fischen beschenkt. Einmal, im Jahre 1330, war sogar König Philipp VI. selbst zu Gast in Avignon. Auch die Verwandten des Königs werden von Johannes bewirtet: man findet den Grafen Karl von Marche, den späteren König Karl IV., dann Philipp von Valois, den späteren Philipp VI., und auch Philipps Bruder Karl von Alen^on. Später hat Johannes im Konflikt Karls von Alen?on mit seinem königlichen Bruder auch vermittelnd eingegriffen. Oft zu Gast war weiterhin der Dauphin Guigo VII. - die Dauphine grenzte unmittelbar an das Venaissin, womit die Dauphins zu den nächsten Nachbarn der Päpste zählten. Auch bildete der Hauptversorgungsweg Avignons - die Rhone - die Grenze zwischen der Dauphine und Frankreich. Weiterhin findet man die Vertreter des gesamten katholischen Europa: England, Aragon, Mallorca, Italien und schließlich auch Deutschland sind vertreten. Auch die regierenden Monarchen und ihre Verwandten finden den Weg nach Avignon: dort waren der König Sancho von Mallorca (1316), der Graf Johann, Bruder König Eduards II. (1320), dann Johann von Eltham, diesmal der Bruder des englischen Königs Eduards III. (1329)3, der Herzog Odo IV. von Burgund (1322), Graf Amadeus V. von Savoyen (1323) und der Infant Peter von Aragon (1328). Wegen des Konfliktes mit Ludwig dem Bayern sind Bewirtungen von dessen Gesandten nicht zu erwarten, wohl aber bestand Verbindung mit dessen Rivalen: Es werden Botschafter König Johanns von Böhmen verzeichnet; im Jahre 1332 ist auch er selbst zu Gast in Avignon. Weiterhin findet man den Grafen Wilhelm von Jülich (1329 und 1331), den Grafen Wilhelm III. von Hennegau, Flandern und Holland (1327), einmal auch Gesandte Leopolds (?) von Österreich (1324). Auch entferntere

1 2

Eine neue Überblicksdarstellung gibt PAULER, Könige, S. 122 ff. So heißt es etwa in der Prima vita Joannis XXII (ed. BALUZE-MOLLAT 1, S. 1 2 5 f.): Dictus autem rex (Robertus), cum papa moram faciens, ita cum suis negotiis occupabat, que nichil aut parum expediebatur in curia, ymmo etiam negotia pape personalia totaliter infecta remanebant, vgl. auch BALUZE-MOLLAT 1, S. 1 3 1 .

3

Er hielt sich 1329/30 im Auftrage Eduards in Aquitanien auf und reiste bei dieser Gelegenheit offenbar auch nach Avignon.

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Gegenden sind vertreten: den Gesandten des armenischen Königs ersetzt Johannes im Jahre 1332 die Reisespesen. Bei den Gastmählern für auswärtige Gäste wird meist angemerkt, daß auch eine Anzahl Kardinäle daran teilgenommen hat. Oft hat Johannes auch - in wechselnden Kombinationen - die neapolitanischen, die französischen und die anderen Gesandten, je nachdem, welche gerade in Avignon anwesend waren, gemeinsam eingeladen. Beides bestätigt den bereits aus den Hofordnungen gewonnen Eindruck. Das Überwiegen der neapolitanischen und französischen Fürsten und Gesandten bei Hofe läßt darauf schließen, daß sie die wichtigsten Potenzen fur die Politik Johannes XXII. waren. Dies erklärt sich leicht: Robert von Neapel war Johannes' wichtigster Verbündeter bei seinen Bestrebungen, Rom und den Kirchenstaat zurückzuerobern; beide vereinte zudem ihre Gegnerschaft zu Ludwig dem Bayern, aus Frankreich wiederum kam nicht nur bei weitem der größte Teil der päpstlichen Einnahmen, sondern hier hoffte Johannes, den französischen König zu einem neuen großen Kreuzzug bewegen zu können, der das Heilige Land wieder unter christliche Herrschaft bringen sollte1. Auch unter Benedikt XII. verrät seine Gästeliste2 einiges über seine politischen Präferenzen, die allerdings völlig andere als die seines Vorgängers waren. Der friedlichste aller Avignoneser Päpste - als einziger unter ihnen hat er keinen Krieg gefuhrt - konzentrierte sich vielmehr auf die Reform des Klerus und des Mönchtums3. Die besondere Aufmerksamkeit des Papstes galt seinem eigenen Orden - den Zisterziensern -, und so finden sich unter seinen Gästen immer wieder Zisterzienseräbte, unter ihnen besonders oft die von Fontfroide und Boulbonne, den Klöstern also, in denen Benedikt selbst einst als Mönch und Abt gewirkt hatte. Mit ihnen mag er sich über die von ihm angestrebte Ordensreform beraten haben. Auch den Bischof seines alten Bistums - Mirepoix - hat er geladen. Überhaupt hat er nicht selten auch auswärtige Bischöfe und andere Kleriker zu Gast gehabt, während bei seinem Vorgänger die auswärtigen Gäste fast ausschließlich Laien gewesen waren. Auch unter Benedikt aber bestanden die politischen Beziehungen seines Vorgängers weiter, die Fürsten und Botschafter des katholischen Europas sind weiterhin zu Gast. Neu hinzugekommen sind Kontakte mit Byzanz (1339), sogar Gesandte eines tartarischen Königs oder Kaisers Usbek werden empfangen (1338 und 1340). Obwohl sich Benedikt XII. und Ludwig der Bayer bemühten, zu einer Einigung zu kommen, gelang es auch ihnen nicht, ihre Differenzen beizulegen. Dafür hat Benedikt - wie schon sein Vorgänger die Kontakte zum böhmischen Hof gepflegt, so daß im Jahre 1339 der Kronprinz und künftige Kaiser Karl IV. bei ihm zu Gast war4.

1 2

Vgl. allgemein HOUSLEY, Papacy, passim. Sofern nicht anderes vermerkt ist, findet man die Belege für diesen Abschnitt im Anhang.

3

Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zisterzienserideal, S. 11 ff.

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Karl IV. selbst erwähnt diesen Aufenthalt in Avignon in seiner Autobiographie (Vita Caroli, S. 172 ff.). Er wohnte dort übrigens im Hauser der Kardinals Petrus Rogerii, des späteren Clemens' VI.

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Hat Benedikt somit vor allem die geistliche Seite seines Amtes betont, liegt der Schwerpunkt unter seinem Nachfolger Clemens wieder auf der politischen1; Einladungen für Reformäbte sind innerhalb seiner Amtszeit nicht belegt. Während seines Pontifikats übertreffen die Kontakte zum französischen Hof alle anderen bei weitem. Nicht nur die Gesandten Philipps VI. konnten einer auszeichnenden Einladung sicher sein, auch der König selbst wie auch der Kronprinz und spätere König Johann II. sind mehrfach in Avignon gewesen, wo ihre Anwesenheit Anlaß zu großen Festen war2. Im päpstlichen Palast von Villeneuve fand auch der Verkauf der Dauphine durch Humbert II. an den Sohn des französischen Königs statt3. Aber auch Kontakte zu England fehlen nicht, war es doch Clemens' Bestreben, einen dauerhaften Frieden zwischen Frankreich und England zu stiften. Hier mag eine Rolle gespielt haben, daß Clemens bereits vor seinem Pontifikat Kontakte sowohl zu Philipp VI. als auch Eduard III. geknüpft hatte4. Dagegen treten die Kontakte mit dem neapolitanischen Hof zurück; hier wirkte sich aus, daß die Nachfolgerin Roberts von Neapel, die seit 1344 regierende Königin Johanna, infolge innenpolitischer Probleme nicht mehr die starke Stütze für den Papst sein konnte, wie es ihr Vorgänger gewesen war. Für die Verbindung zum Reich sind die fortbestehenden Kontakte zum böhmischen Hof von Bedeutung: sowohl König Johann (1343/44 und 1346) als auch der spätere Kaiser Karl IV. (1346) waren bei Clemens zu Gast. Kein besonderer Schwerpunkt ist bei Innozenz VI. erkennbar5. Auch er hat die Beziehungen zu Frankreich weiter gepflegt, sie dominieren aber nicht mehr so wie unter Clemens. Neu unter den päpstlichen Gästen erscheinen die provinciates (1357) und die cives et cortesani Avin. (1358), offenbar die städtischen und regionalen Honoratioren und Adligen. Ebenfalls ein häufiger Gast war Graf Aymar von Poitiers, der päpstliche Rektor des Venaissin. Hier kommt offenbar zum Tragen, daß Innozenz genötigt war, Maßnahmen zum Schutze Avignons und des Venaissin zu treffen, und dazu auf die Unterstützung seiner Untertanen angewiesen war. Unter den fürstlichen Gästen sticht der König von Aragon hervor, der einige Monate in Avignon weilte (1355/56). Bei den Pontifikaten Urbans V.6 und Gregors XI. fehlen leider die Randbemerkungen in den Hauptbüchern, nur aus vereinzelten Nachrichten erfahrt man noch von Gästen des Papstes. Erwähnenswert ist noch der Besuch Kaiser Karls IV. im Jahre 1365 in Avignon7, sein insgesamt dritter Aufenthalt. Es dürfte kaum einen anderen deutschen König oder Kaiser gegeben haben, der gleich drei Päpste - Benedikt XII., Clemens VI. und Urban V. - persönlich gekannt hat. Von seinen vorangegangenen

1 2

3

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Sofern nicht anderes vermerkt ist, finden sich die Belege fur diesen Abschnitt im Anhang. Johann Π. war schon bei Clemens' Krönung anwesend. Vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 184. Siehe auch oben. Vgl. DELACHENAL, Histoire 1, S. 29 f. Vgl. MOLLAT, Papes, S. 90.

Sofern nicht anderes vermerkt ist, finden sich die Belege für diesen Abschnitt im Anhang. Vgl. dazu grundlegend HAYEZ, Cour, S. 15 ff. Vgl. dazu die Abrechnungen bei SCHÄFER, VQ 6, S. 98 und passim.

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Besuchen unterschied sich dieser insofern, als Karl nun erstmals in seiner Eigenschaft als römischer Kaiser in Avignon weilte1. Es war zugleich - seit Friedrich Barbarossa der erste Besuch des Königs im Arelat. Bekanntlich gipfelte er in Karls Krönung in Arles. Dabei haben weder Urban noch Gregor die Verbindimg mit Frankreich vernachlässigt: so ist Urban V. - unmittelbar nach seiner Krönimg - von Johann II. aufgesucht worden2. Dieser befand sich in Begleitung des zypriotischen Königs Peter I., der bei dieser Gelegenheit ebenfalls den Heiligen Vater aufsuchte und von ihm das Kreuz nahm. In Bezug auf die Beziehungen zu Frankreich ist aber eine allmähliche Veränderung bemerkbar: der französische Einfluß an der Kurie wird weniger durch den König oder seine Botschafter, sondern mehr von Ludwig von Anjou, dem königlichen „lieutenant" der Languedoc, ausgeübt. Schon unter Urban3, mehr noch unter Gregor ist er häufig an der Kurie anwesend, wird er oft bewirtet und reichlich mit Aufmerksamkeiten und Geschenken bedacht4. Bezeichnenderweise war er auch beim Empfang Kaiser Karls IV. durch Urban V. anwesend, ja gehörte sogar zu dem Ehrengeleit, durch welches Urban den Kaiser feierlich einholen ließ5. Kardinäle als Gäste des Papstes6 Regelmäßige Anlässe, die Kardinäle zu empfangen, waren Christi Himmelfahrt und der Beginn des Advents. Auch anläßlich der Rückkehr einzelner Mitglieder des Kollegiums, die in diplomatischer oder anderer Mission unterwegs gewesen waren, bat der Papst alle oder doch eine Anzahl Kardinäle zu Tisch. Ahnlich bot auch die Kreation neuer Kardinäle oder die Beförderung vom Kardinaldiakon oder -priester zum Kardinalbischof Gelegenheit für ein gemeinsames Essen des Papstes mit den alten und neuen Mitgliedern des Kollegiums. Dies gilt auch für die Weihe von Bischöfen, die der Papst selbst vorgenommen hatte; im Anschluß daran speisten die neuen Bischöfe zusammen mit Papst und Kardinälen. Eine Besonderheit des Pontifikats Benedikts XII. ist seine Gewohnheit, zu Festgottesdiensten jeweils zwei Kardinäle heranzuziehen, die er bei solchen Gelegenheiten nach der Messe mit Kuchen zu beschenken pflegte7. 1

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Vgl. dazu HAYEZ, Cour, S. 16; VONES, Urban V., S. 332 und passim; sehr detailliert HACK, Empfangszeremoniell, S. 549 ff. Vgl. Prima vita Urbani V, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 352 und dazu die Parallelstellen bei BALUZE/MOLLAT 2, S. 498 ff. Vgl. außerdem DELACHENAL, Histoire 2, S. 313 f.; HAYEZ, Cour, S. 15 f. Er ist im Dezember 1364 und im Juli 1366 in Avignon, seine Gattin ist im Januar 1366 anwesend. Vgl. HAYEZ, Cour, S. 16.

4

Vgl. etwa SCHÄFER, VQ 6, S. 93 von 1365 Jan. 10, S. 95 von 1365 Febr. 8, S. 138 von 1365 Jan. 31; S. 357 von 1371 Jan. 7, S. 358 von 1371 Jan. 22; S. 386 von 1372 Jan. 14 und passim.

5

Vgl. HACK, Empfangszeremoniell, S. 552.

6

Die Belege für diesen Abschnitt findet man im Anhang. Vgl. den Anhang. Vorgesehen war dies bereits in der Hofordnung Clemens' V. (ed. FRUTAZ, Famiglia, S. 294). Tatsächlich nachweisbar ist es aber erst unter Benedikt.

7

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Aber auch ohne besonderen Anlaß hat der Papst immer wieder Kardinäle zum Essen eingeladen. Anscheinend erfolgten solche Einladungen oft im Zusammenhang mit Konsistorialsitzungen; vielleicht waren die dort zu treffenden Entscheidungen leichter bei einem guten Essen zu diskutieren. Bemerkenswerterweise hat der Papst bei solchen außerordentlichen Einladungen keineswegs alle Kardinäle eingeladen, fast immer wird in den Randbemerkungen der Hauptbücher eine Teilnehmerzahl angegeben, die weit unter der Gesamtstärke des Kollegiums lag. Da Gleiches auch für die Konsistorialsitzungen selbst galt1, darf man annehmen, daß der Papst durch die von ihm getroffene Auswahl der Teilnehmer die Diskussion und die Entscheidungen des Konsistoriums bereits von vornherein zu beeinflussen suchte. Aus der Perspektive eines einzelnen Kardinals war umgekehrt eine Einladung zum Konsistorium und/oder zum Essen ein Gradmesser dafür, welchen Einfluß er auf den Papst hatte und welches Vertrauen dieser in ihn setzte. Daß auch umgekehrt der Papst zuweilen in den Häusern einzelner Kardinäle als Gast weilte, kann nur in zwei Fällen während des Pontifikats Clemens' VI. gezeigt werden2. Dies scheint aber in erster Linie an den Zufallen der Quellenüberlieferung zu liegen; es mag durchaus sein, daß solche Besuche tatsächlich weit häufiger vorgekommen sind. Welche Bedeutung die gemeinsamen Mahlzeiten von Papst und Kardinälen für das Funktionieren der Kurie hatten, sollte beim Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas deutlich werden. Zu den Beschwerden, welche die Kardinäle gegen Urban VI. vorbrachten (und die somit zu den Ursachen des Schismas gehören), zählt auch sein Verhalten bei Tisch. Die Kardinäle beklagten sich, er habe sie lächerlich gemacht, indem er ihnen nicht standesgemäßes und rohes Essen vorsetzen ließ3, und sie gar aufgefordert habe, die neue Diät auch in ihren eigenen Häusern einzuführen. Auch habe er bei den Mahlzeiten einzelne Gäste bloßgestellt, indem er ihnen Zettel mit merkwürdigen Fragen und Anspielungen auf ihre verborgenen Fehler zustecken ließ, und er habe sie auch mündlich in Verlegenheit gebracht4. Man begreift, daß das Verhältnis zwischen Papst und Kollegium auf diese Weise schnell vergiftet worden ist. Gäste des Alltags unter Johannes XXII. Während aufwendige Bewirtungen - insbesondere die hochgestellter auswärtiger Gäste - durch die Randbemerkungen in den Hauptbüchern aktenkundig geworden sind, gilt dies leider nicht für die Tischgenossen, die normalerweise mit dem Papst zusammen speisten. Für ein Dreivierteljahr immerhin läßt sich diese Lücke schließen, und

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Dies geht aus den Konsistorialprotokollen hervor. Vgl. SCHRÖDER, Protokollbücher, passim. Siehe unten. (Urbanus) invitavit dominos cardinales ad prandium, et uni mittebat unam coxam de pulla, alteri unam scutellam de brodio, alii herbas crudas, ac si domini cardinales essent bufones vel ioculatores. Aussage des Kardinals Nicolaus Misquinus von 1380 (ed. SEIDLMAYER, Anfänge, S. 250 ff. hier S. 253). Aussage des päpstlichen Beichtigers Gundisalvus von 1379 (ed. SEIDLMAYER, Anfange, S. 295 ff., hier S. 297 f.).

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zwar durch die Kladde eines päpstlichen Lebensmitteleinkäufers1. Dieser hat - jeweils im Anschluß an die täglichen Ausgaben - vermerken lassen, wer an dem jeweiligen Tag mit dem Papst zusammen gespeist hatte2. Hier zeigt sich, daß der Papst normalerweise täglich Gäste zu Tisch gebeten hat, in der Regel zwei Personen, in einzelnen Fällen stieg ihre Zahl auf bis zu acht Gäste. Allerdings gibt es zwischendurch Perioden von einigen Tagen oder gar Wochen, wo kein einziger Tischgenosse vermerkt ist. Eine nähere Untersuchung der Gästeeinträge in der Kladde zeigt, daß in der Regel die Lebensmittelausgaben an den Tagen, an denen Gäste zu bewirten waren, signifikant höher waren, als an denen, wo dies nicht der Fall war. Dabei habe ich nur die „Alltagsbewirtungen" berücksichtigt, also nicht die Ausgaben anläßlich der hohen Feiertage oder anläßlich der Bewirtung auswärtiger Gäste. Begrenzt man die Untersuchung auf die Alltagsbewirtungen, so sind die Kosten an Tagen ohne Gäste um rund 13% niedriger als an solchen mit Gästen. Die in den Hauptbüchern zumeist vermerkten auswärtigen Gäste3 treten in der Kladde hinter eine kleine Gruppe von offenbar in Avignon ansässigen Personen zurück. Bei ihnen handelt es sich entweder um Kardinäle oder um hohe Kleriker, die sich trotz ihres Amtes beständig an der Kurie aufhielten. Aufgrund der Kladde läßt sich somit ein kleiner Kreis von häufigen Tischgenossen ausmachen; man darf annehmen, daß es sich bei diesen um die besonderen Vertrauten des Papstes gehandelt hat. Ich zähle sie in der Reihenfolge der Häufigkeit ihrer Nennung kurz auf: Bei weitem am häufigsten findet man Petrus de Lapeiraweda, Bischof von Mirepoix: er war mit Johannes verwandt und ist vom Papst schon kurz nach Pontifikatsbeginn zum Bischof ernannt worden. Möglicherweise hatte er bei Hofe sogar das Amt des magister theologie inne4; er wäre damit gleichsam der Hoftheologe des Papstes gewesen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß bei diesen gemeinsamen Essen das Thema der visio beatiflca diskutiert worden ist; man weiß, daß Petrus in seiner Diözese sogar eine Synode über dieses Thema abgehalten hat5. Johannes' theologische Interessen werden auch dadurch bezeugt, daß er einmal zusammen mit dem Kardinal Guillelmus Petri dieser war Dominikaner - , sowie mit dem Meister des Franziskanerordens und cum 4 magistris in theologia zusammen speiste. Ein anderes Mal hatte er zwei Brüder des Augustinerordens und abermals Magister der Theologie zu Tisch.

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IE 106 von 1330/31, vgl. die Beschreibung bei SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 782. Normalerweise stimmen die Gästevermerke in den Kladden mit denen in den Hauptbüchern tlberein. Lediglich in diesem Fall sind in der Kladde erheblich mehr Gäste verzeichnet. Aber auch in dieser Kladde hören die außerordentlichen Gästevermerke mit dem 10. November 1330 auf. Comederunt in palatio lautet durchweg die einleitende Formel. Ζ. B. IE 106 f. 1 ν von 1330 März 2: ambaxiatores regis Anglie. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 113. Der Inhaber dieses Amtes unterrichtete auch Theologie an der Kurie; die Miete für seine scola wurde von der Kammer bezahlt. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 617 ff. Vgl. FOURNIE, Receptacles, S. 279 ff. mit Edition S. 297 ff.

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Am zweithäufigsten genannt wird der Kardinal Johannes de Convenis, den Johannes XXII. erst zum Kardinalpriester, dann zum Kardinalbischof promoviert hat1. Gleiches gilt für den Kardinal und Vizekanzler Gaucelmus Iohannis, der noch dazu ein Neffe des Papstes war. Ebensooft genannt wird der Kardinal Bertrandus de Monte Faventio, auch er von Johannes kreiert. Für Johannes' Verhältnis zum Kardinalskollegium ist bezeichnend, daß die einzigen Kardinäle, mit denen er näheren Umgang pflegte, diejenigen waren, die er selbst ernannt hatte. Mehrfach erwähnt wird noch Guillelmus de Cardaillac2, Bischof von Saint-Papoul, dies ein Bistum, das Johannes durch die Aufteilung des großen Bistums Toulouse erst geschaffen hatte3. Da der Bischof zugleich ein Bruder des Bischofs von Cahors, Johannes' Heimatstadt, war, braucht man nach den Gründen für seine Wertschätzung nicht lange suchen. Man findet dann Armandus de Narces, den Erzbischof von Aix, einen renommierten Juristen und erfahrenen Diplomaten, den Johannes mehrfach mit heiklen Missionen betraut hat4. Einige Male ist Bertrandus de Deucio, Erzbischof von Embrun, bei Johannes zu Gast gewesen; er sollte von Johannes' Nachfolger zum Kardinal promoviert werden. Es folgen Bernardus Bruni, Bischof von Le Puy, und Arnaldus de Trianno, der päpstliche Justizmarschall. Unter den Gästen des Papstes ist er der am häufigsten genannte Laie. Bezeichnenderweise hat Johannes auch den Seneschall der Provence, also den Vertreter Roberts von Neapel, mehrfach zu Tisch gebeten. Nach dieser Aufzählung erstaunt, daß weder der Kämmerer noch der Thesaurar unter den Gästen genannt werden. Auch die päpstlichen Kapläne werden lediglich aus Anlaß der großen Kirchenfeste erwähnt. Lag das nun daran, daß sie nicht mit dem Papst zusammen aßen, oder eher daran, daß es so selbstverständlich war, daß es der Einkäufer in seiner Kladde gar nicht erst erwähnenswert fand? Auffallend ist immerhin, daß die in der Kladde genannten Gäste zwar alle zur Kurie, nicht aber zum Hause des Papstes gehörten. Möglicherweise gab es also außer den genannten Tischgenossen einen noch engeren Zirkel von Mitbewohnern, die am Tisch des Papstes speisten. Der Austausch von Geschenken Schon mehrfach sind die vielfachen Geschenke von Lebensmitteln5 erwähnt worden, sowohl die, welche der Papst seinen Gästen machte, als auch die, welche er von ihnen erhielt. Sie bedürfen genauerer Erörterung. Ähnlich wie bei den Gästen des Papstes lassen sich auch hier wieder drei Ebenen unterscheiden: die Geschenke, welche der

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Die Daten von Kardinals- und Bischofsernennungen weise ich nicht im Einzelnen nach, verweise vielmehr aufEuBEL, Hierarchie 1. Vgl. R. AUBERT, in: DHGE 22 (1988) S. 873 f. Vgl. GAZZANIGA, Creation, S. 143 ff.; DERS., Notes, S. 166 ff. Vgl. G. MOLLAT, in: DHGE 4 (1930) S. 275 f. Daß solche Lebensmittelgeschenke in Avignon allgemein üblich waren, beweisen die Rechnungsbücher der Hamburger Prokuratoren, in denen häufig Ausgaben für solche Geschenke verzeichnet sind (vgl. SCHRÄDER, Rechnungsbücher, S. 85* ff., mit Zusammenstellung der Belege).

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Papst den Angehörigen seines eigenen Hauses, die, welche er den Kardinälen, und schließlich die, welche er auswärtigen Gästen machte. Geschenke erhalten hat der Papst lediglich von den beiden letzten Gruppen, also den Kardinälen und auswärtigen Gästen1. Das Schenken wie auch das Beschenktwerden als Mittel soziale Beziehungen zu erhalten und zu stärken, aber auch als Mittel die Hierarchien in solchen Beziehungen deutlich zu machen, ist zunächst von soziologischer und anthropologischer Seite thematisiert worden2. Die Forschung hat hier eine Art von Ritual beschrieben, das speziell in dem gegenseitigen Austausch von Gaben zum Ausdruck kam. Dieser rituelle Gabentausch ist vor allem an Königs- und Fürstenhöfen untersucht worden. Zwei Grundformen hat man dabei unterschieden: auf der einen Seite den reziproken Austausch - bei diesem wird das Geschenk mit einem annähernd gleichwertigen erwidert , auf der anderen Seite den asymmetrischen Gabentausch, bei dem der eine Partner weniger als der andere gibt oder erhält. Affektive Verbundenheit zwischen Schenker und Beschenktem soll in beiden Formen hergestellt und demonstriert werden; sie unterscheiden sich aber dadurch, daß bei der ersten Form generell Statusgleichheit beider Partner angezeigt wird, bei der zweiten dagegen Statusdifferenz, d. h. deijenige, der das größere Geschenk macht, hat den höheren Status. Meines Erachtens ist dieses Modell noch um eine dritte Variante zu erweitern, um solche Fälle nämlich, wo die Geschenke ausschließlich von einer Seite kommen. Damit wird eine völlige gesellschaftliche Inferiorität des Beschenkten angezeigt, während sie dem Schenker ermöglicht, seine „Largesse" augenfällig zu demonstrieren. Aber man sollte sich davor hüten, dieses Modell schematisch anzuwenden: gerade am päpstlichen Hof ist damit zu rechnen, daß die gesellschaftliche Rangordnung mitunter bewußt außer Acht gelassen wird; auf diese Weise vermag der Papst demonstrativ die Tugend der humilitas zu üben3. Man denke an die rituellen Fußwaschungen, die der Papst regelmäßig am Gründonnerstag bei Avignoneser Armen vornahm . Versucht man nun, dieses Modell auf den päpstlichen Hof anzuwenden, gerät man in Schwierigkeiten, da die dem Papst gemachten Geschenke, also die, welche er von den Kardinälen und vor allem von den auswärtigen Gästen erhielt, normalerweise seine eigenen an Wert erheblich übertrafen. Zudem war nicht nur der Papst zu be1

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Die dem Papst gemachten Geschenke sind weit seltener aktenkundig geworden, nämlich lediglich dann, wenn sie der Kammer irgendwelche Folgekosten verursacht haben, also beispielsweise die Kosten für die Einlagerung geschenkten Weines im päpstlichen Weinkeller. Vgl. ELIAS, Gesellschaft, S. 102 ff; MAUSS, Gabe, passim. Eine Reihe neuerer Studien versucht, derartige Betrachtungsweisen auch fur die mittelalterlichen Höfe nutzbar zu machen: vgl. ALTHOFF, Spielregeln; HIRSCHBEGEL, Gabentausch; SCHELLER, Schenken; EHM, Hof. Für das Früh-

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und Hochmittelalter vgl. Voss, Herischertreffen, S. 151 ff. Bezeichnend ist hier der Liber de vita ... Urbani V, cap. 7 3 , ed. ALBANES/CHEVALER, S. 3 9 9 . Der Verfasser rühmt an seinem Helden, daß dieser sogar kleine Lebensmittelgeschenke von Armen angenommen und mit reichlichen Almosen erwidert habe. Das ist an weltlichen Höfen kopiert worden. Für den mallorquinischen Hof des 14. Jahrhunderts kann KERSCHER, Strukturierung, S. 85 f., Handwaschungen des Königs an den am Tisch verpflegten Armen aufzeigen.

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schenken. Die Kardinäle und hohen Würdenträger bis hinunter zu den einfachen Schreibern oder Türhütern erwarteten ebenfalls ein angemessenes Geschenk, und wer an der Kurie etwas erreichen oder erlangen wollte, tat gut daran, diese Erwartungen nicht zu enttäuschen1. Als etwa Erzbischof Balduin von Trier plante, die Kurie aufzusuchen, empfahl ihm ein Kenner der Verhältnisse dringend, er möge bei Papst und Kardinälen vorsprechen und sie alle beschenken. Vor allem, wenn er den Papst besuche, sei es ratsam, kostbare Gefäße aus Gold zu überreichen2. Der Übergang vom „Geschenk" zur „Bestechung" war hier offenbar fließend. Immerhin sind derartige Geschenke von den Kurialen als rechtmäßiger Teil ihres Einkommens verstanden worden. Das ging so weit, daß die Kanzleiordnungen Vorschriften über die korrekte Aufteilung von Geschenken enthalten, welche die einzelnen kurialen Behörden erhalten hatten . Dagegen sind Geschenke, die der Papst seinerseits gemacht hat, nur selten von größerem finanziellem Wert, wenn solche auch nicht gänzlich fehlen4. Gleichwohl wird man schwerlich behaupten können, der Papst habe statusmäßig unter seinen Gästen und unter den Kardinälen rangiert. Der scheinbare Widerspruch löst sich, wenn man bedenkt, daß der Schenker auf eine Gegengabe hoffte, die er mit einem noch so wertvollen Geschenk nicht aufwiegen konnte: nämlich auf das Wohlwollen des heiligen Petrus. Anders formuliert: Materielle Gaben von hohem Wert beantwortete der Papst mit immateriellen Gaben von unschätzbarem Wert. Als Gradmesser für Statusunterschiede taugen die am Hofe ausgetauschten Gaben somit nicht, oder höchstens insoweit, als Größe und Wert der dargebrachten Gaben etwas über die Dringlichkeit des Anliegens aussagen. Dagegen verraten die kleinen Geschenke, also solche von geringem Geldeswert, eher etwas über die affektive Verbundenheit zwischen Gast und Gastgeber und über das Maß an Wohlwollen, welches der Papst einem bestimmten Gast entgegenbringen wollte. Wie sich ein solches rituelles Schenken am päpstlichen Hofe abspielte, davon vermittelt der schon mehrfach zitierte Bericht des anonymen Florentiners einen Eindruck. Er hat an gleich zwei Empfängen für Papst Clemens VI. teilgenommen: dem des Kardinals Anibaldus de Ceccano in seinem Sommerhaus in Gentilly und dem des Kardinal Petrus Gometii in dessen Sommerhaus in Montfavet5. In beiden Fällen ist zu be1

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Zahlreiche Beispiele finden sich bei PARAVICINI BAGLLANI, Cour, S. 1 1 9 ff. Sehr aufschlußreich ist auch die Korrespondenz der Hamburger Prokuratoren in Avignon (ed. SALOMON/REETZ, Rat 1, passim), die mehrfach zu Hause Geld anfordern, um die geforderten Geschenke bezahlen zu können. Brief eines Ungenannten an Balduin von Trier (ed. STENGEL, Nova Alamanniae 1, S. 41 n. 83 zu 1310-1311 Frühjahr). Vgl. TANGL, Kanzleiordnungen, S. 5 9 . Vor allem die Überreichung der goldenen Rose kommt hier in Betracht (vgl. dazu CORNIDES, Rose, passim; speziell fur Urban V . auch VONES, Urban V . , S. 454). Außerdem ist auch hier die mit Unterschieden zwischen den einzelnen Päpsten zu rechnen. Vor allem Gregor XI. hat gelegentlich sehr wertvolle Geschenke gemacht (bei SCHÄFER, VQ 6, jeweils unter der Rubrik „lb. Geschenke des Papstes"). Ed. DE LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 351 ff.

Der Papst und seine Gäste

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rücksichtigen, daß nicht der Papst, sondern der Kardinal Gastgeber und Hausherr war. Beim Empfang und anschließenden gemeinsamen Essen im Hause des Kardinals Anibaldus beschenkten beide - sowohl Papst als auch Kardinal - die Ritter und Knappen, die beim Essen bedienten. Die Geschenke bestanden aus Geld und wertvollen Gürteln1. Hier ist selbstverständlich von einem Gabentausch nicht die Rede, beide übten vielmehr die herkömmliche Fürstentugend der „Largesse"2. Den Papst selbst wie auch die als Gäste anwesenden Kardinäle und Adligen beschenkte der Hausherr: Clemens VI. erhielt einen Schimmel (un destriere biancho belisimo e nobilisimof, kostbare Ringe und einen Deckelhumpen (uno nappo choperchiato), die anderen bekamen jeweils einen kostbaren Ring. Daß der Papst diese Geschenke erwidert hätte, davon hört man nichts. Beim folgenden Empfang des Kardinals Petrus Gometii bemerkt unser Berichterstatter mißfallig, daß weder Kardinäle noch Adlige noch sonst jemand Geschenke erhielten, lediglich der Papst bekam abermals ein Pferd, dessen Wert unser geschäftstüchtiger Gewährsmann auf 1000 fl. schätzt4. In beiden Fällen ist es einseitig der Gastgeber, der den Papst beschenkt, von einem Austausch von Geschenken kann also keine Rede sein. Auch anläßlich offizieller Empfange von Herrschern und Gesandten ist es seit Alters her diplomatischer Brauch, Geschenke auszutauschen5. Daß dies auch am päpstlichen Hofe geschah, ist somit nicht erstaunlich. Auf die Kostbarkeiten, welche der Papst oft erhielt, gehe ich hier aus den genannten Gründen nicht ein, vielmehr auf die von ihrem Geldeswert her relativ geringfügigen Lebensmittelschenkungen. Störe und Delphine waren es, die der Papst besonders ausgezeichneten Gästen vorsetzen ließ. Beides waren relativ teure Fische; daß sie hier als besondere Leckerbissen serviert wurden, beweist, daß der Fisch im Mittelalter keineswegs nur eine gering geschätzte Fastenspeise war, vielmehr bestimmte Sorten durchaus als Delikatesse galten6. Auch mag eine Rolle gespielt haben, daß der Fisch seit der Antike als christliches Symbol galt. Später findet man auch Geschenke von Wein7. Rinder, welche Johannes häufig als Geschenk erhielt, hat er selbst nur einmal verschenkt8.

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D E LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 338 ff. Hier ist eine Beobachtung von SCHRÄDER, Rechnungsbücher, S. 87*, von Interesse: Der hamburgische Prokurator in Avignon hat zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten Gleichstehende mit Wein, Geflügel und Wild beschenkt, Personen in untergeordneter Stellung dagegen mit Geld. Offenbar sind Geldgeschenke unter gesellschaftlich Gleichstehenden verpönt. Daß Schimmel ein beliebtes Geschenk unter Königen waren und unter die Herrschaftszeichen zu rechnen sind, zeigt Voss, Herrschertreffen, S. 162 f. Anlog dazu sah auch das päpstliche Zeremoniell vor, daß der Papst für seine Aus- und Umritte ausschließlich Schimmel benutzte. Vgl. dazu PARAVICINI BAGLIAM, Cour, S. 2 2 6 f. (mit weiterer Literatur). D E LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 350. Vgl. allgemein Voss, Herrschertreffen, S. 151 ff. Daß dies sogar unter verfeindeten Herrschern vorkam, zeigt HIESTAND, Zeit, S. 58 ff. So schon GRAVA, Notes, S. 160.

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SCHÄFER, V Q 6 , S. 4 4 3 v o n 1 3 7 3 M a i 2 4 .

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Vgl. den Anhang, dort zu 1323 März 25-Apr. 1.

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Aber auch bei den Schenkungen von Lebensmitteln ist der Papst weniger als Spender, denn als Empfanger von Geschenken in Erscheinung getreten. So erhielt er große Mengen Wein geschenkt; insbesondere unter Johannes XXII. und Benedikt XII. sind die besseren Sorten fast ausschließlich auf diese Weise in den päpstlichen Keller gelangt1. Rinder bekam Johannes in solchen Mengen verehrt, daß sie von der Küche weiter verkauft werden mußten2. Solche Geschenke sind nur zufallig aktenkundig geworden, dann nämlich, wenn sie für die Kammer Folgekosten verursachten. Auch hier waren es bestimmte Lebensmittel, die zu überreichen als besondere Aufmerksamkeit galt. In päpstlichen Briefen an verschiedene Fürsten, wo der Papst sich für erhaltene Delikatessen bedankt, findet man Wildbret, Käse, verschiedene Fischsorten, darunter auch Hering erwähnt3. König Philipp V. hatte sogar seinen Koch mitgeschickt, der die Speisen auf besondere Art zu bereiten wußte4. An anderer Stelle erfahrt man, daß König Philipp VI. dem Papst Clemens VI. Wildbret5 und König Johann II. dem Papst Urban V. ausgewählten Fisch6, daß der Dauphin der Auvergne dem Papst Clemens VI. Ochsenzungen, tibiae porcinae (Schweinshaxen?) und Käse überbringen ließ7; der Herzog der Normandie schließlich übersandte Wildbret8, Herzog Odo von Burgund Wildschweine9 und sein Sohn schickte Wein10. Geht man also gleichsam ein Stufe unter die kostbaren Geschenke auf die Ebene der relativ unscheinbaren Schenkungen von Delikatessen, so läßt sich aus ihnen in der Tat eine Art von gesellschaftlichem Ritual erkennen, durch welches affektive Verbundenheit zwischen Gast und Gastgeber hergestellt werden konnte. Etwas überspitzt kann man sagen, daß die teuren Geschenke eher dem heiligen Petrus, die Heringe, Ochsenzungen, Schweinshaxen u. s. w. eher der Person des Papstes galten. Auf der anderen Seite konnte der Papst durch Gesten wie Einladungen zum Essen, Überreichen eines besonderen Fisches und ähnliche Akte einzelne Personen aus der großen

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Vgl. Kap. VIII,3. Vgl. Tabelle 1,1.18. In solchen Fällen sind die Verkäufe unter den Einnahmen der Kammer verbucht worden, da die Erlöse in sie eingezahlt wurden. Vgl. folgende Anm. sowie das Schreiben Innozenz' VI. an Herzog Rudolf von Österreich (ed. LENZENWEGER, Acta 2 , S. 5 2 7 n. 4 6 3 von 1 3 6 1 März 2 6 , für den Hinweis danke ich Christoph Schöner), wo er dem Herzog für die Übersendung von usones (Hausen, eine Störart), einer in Avignon unbekannten Fischart dankt. Überbracht wurden die Fische per dilectum filium nobilem virum Lucoldum de Fache Basiliensem ac tuum militem, also eine Standesperson. COULON n. 966 von (1317-19) Nov. 26: ...recepimus venationes pulcras, pingues caseos et allecia sapida, que dilectus filius Stephanus cocus familiaris noster et tuus, nuper nobis in habundantia tuo nomine presentavit, ähnlich auch COULON n. 979 und 980 zu (1316-18 vor Dez. 25); vgl. auch COULON n . 1 1 7 3 .

Lettres closes η. 499 von 1343 Nov. 2. VQ 6, S . 11 von 1363 Mäiz 20.

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DEPREZ/GLENISSON/MOLLAT,

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SCHÄFER,

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SCHÄFER, V Q 3 , S . 2 5 8 v o n 1 3 4 3 M a i 3 0 .

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VQ 3, S. 424 von 1350 März 29. Histoire 7, S. 322 f. DEPREZ/GLENISSON/MOLLAT, Lettres closes η. 518 von 1343 Nov. 12.

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SCHÄFER,

Vgl.

PETIT,

Der Papst und seine Gäste

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Menge von Gästen und Besuchern herausheben und ihnen zu einem besonderen Prestige verhelfen1. Man kann somit die Theorie des rituellen Gabentauschs in der Tat zur Deutung des beschriebenen Mechanismus' heranziehen - wenn auch nur mit den benannten Modifikationen. Dies gilt allerdings nur mit der Einschränkung, daß eine rangmäßige Gleichheit, die so demonstriert worden wäre, selbstverständlich nicht vorlag, lediglich eine Gleichheit der gesellschaftlichen Ebene und des gesellschaftlichen Verkehrs. Zusammenfassung Von den zahlreichen Besuchern Avignons, die an der Kurie einen Prozeß führten oder eine Pfründe zu erlangen wünschten, hat nur ein verschwindend geringer Teil die Ehre eines persönlichen Kontaktes mit dem Papst genossen. Die Masse der Besucher mußte vielmehr ihr Anliegen einem untergeordneten Bürokraten vortragen; sie bekam den Papst bestenfalls von Ferne zu sehen2. Die wenigen Bevorzugten, also Monarchen, Fürsten und Botschafter, erfuhren ihrerseit eine individuelle Behandlung seitens der Kurie, die im Einzelfall von einer Vielzahl von Faktoren abhängig sein konnte. Zu nennen wären etwa persönlicher Rang, Rang des Auftraggebers, Wichtigkeit des Anliegens für die Kurie, eventuelle persönliche Bekanntschaft mit Papst und Kardinälen und anderes mehr. Weiterhin stand dem obersten Pontifex ein Arsenal an Gunstbezeugungen zur Verfügung, mit denen er seiner besonderen Wertschätzung für einen bestimmten Gast in differenzierter Weise Ausdruck verleihen konnte. Umgekehrt sind solche Gesten sowohl von den Betroffenen selbst als auch von der Hofgesellschaft durchaus registriert worden; gerade die erzählenden Quellen berichten oft mehr über die großen Ehren, die ein bestimmter Gast an der Kurie erfahren hat, als über sein Anliegen oder die Absichten, die er dort verfolgte. Kontrastiert man die Vorschriften des kurialen Zeremoniells für Empfang und Bewirtung von Gästen mit entsprechenden erzählenden Quellen, zeigt sich, daß die Vorschriften sehr flexibel und an den jeweiligen Einzelfall angepaßt angewandt worden sind. Sie gaben lediglich einen Rahmen, der individuell auszugestalten war. Im Verhältnis des Papstes zu den Kardinälen ist eine eigentümliche Verschränkung von Ferne und Nähe zu beobachten. Einerseits lebten die Kardinäle in ihren eigenen Palästen3, gleichsam Höfen im kleinen, andererseits waren sie über das Konsistorium und das gemeinsame Mahl im Palast selbst präsent. Einzelne Kardinäle hatten darüber hinaus auch Räume im Papstpalast selbst inne. Die zentrale Bedeutung, welche auch in diesem Zusammenhang dem gemeinsamen Mahl und der Tischgemeinschaft

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Dieser Mechanismus wird beschrieben bei ELIAS, Gesellschaft, S. 182 f. Aufschlußreich sind hier die Briefe der Hamburger Prokuratoren in Avignon (ed. SALOMON/REETZ, Rat 1, passim). Die höchste Instanz, bis zu der sie vordringen, ist ein Kardinal. Über die Kardinalspaläste in Avignon ist grundlegend HAYEZ, Livrees; das ältere Werk von PANSIER, Palais 1-3, bleibt wertvoll durch die zahlreichen darin edierten Quellen. Eine Ergänzung zu Pansier bietet DYKMANS, Palais, S. 389 ff. Über die Kardinalspaläste in Villeneuve vgl. ALIQUOT, Livrees, S. 397 ff.

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von Papst und Kardinälen für das Funktionieren der Kurie zukam, sollte sich am Ende des Untersuchungszeitraum erweisen: als sich die Tischgemeinschaft auflöste, brach das große Abendländische Schisma aus.

VI,2. Die Familie des Papstes1 Familie und Familia Man hat sich daran gewöhnt, die familia mittelalterlicher Herrscher primär als einen Zweckverband von Personen zu begreifen, der nach bestimmten - auch juristisch normierten - Regeln lebte und die Intentionen des Herrschers zur Geltung zu bringen hatte. Ohne die Berechtigung dieser Sichtweise bestreiten zu wollen, sei doch betont, daß die familia eben gerade dadurch charakterisiert ist, daß sie sich auf diese Regelhaftigkeit nicht reduzieren läßt, daß sie zugleich auch die Familie im strengen Sinne für Dutzende und Hunderte von Personen war, deren emotionale und affektive Bedürfnisse ebenso wie ihre leiblichen zu stillen waren. Es ist bezeichnend für die Unsicherheit der Forschung, daß sie den Quellenbegrifffamilia mal mit „Familia" - dann nämlich wenn es sich um die eines Geistlichen oder Herrschers handelt - und mal mit „Familie" - dann nämlich, wenn es sich um die eines („normalen") Laien handelt - zu übersetzen pflegt2. Die Quellen aber kennen diese Unterscheidimg nicht; sie haben nur den einen Begriff familia3 Der Grund für diese Unsicherheit der Terminologie liegt offenbar darin, daß eine mittelalterliche Familie zwei (oder gar drei) Faktoren vereinte, welche heute in der Regel getrennt sind: sie war sowohl eine Gefühlsgemeinschaft als auch ein Herrschaftsverband und oft auch eine wirtschaftliche Einheit. Der Begriff Familie steht hier in engem Zusammenhang mit dem Begriff „Haus" oder „Haushalt" (domus), der in ganz ähnlicher Weise sowohl die räumliche Unterbringung einer Familie als auch (oft ergänzend mit dem Terminus „Hausvater" = pater familias) die gleichermaßen herrschaftliche wie affektive Komponente innerhalb einer Familie benennt4. Es wird daher in diesem Kapitel versucht, den Begriff „Familie" einmal ernst zu nehmen: gefragt wird nach der Art und Weise, wie der emotionale Zusammenhang dieser Menschenmenge hergestellt worden ist. Der Papst als Familienvater mag heute eine anstößige Vorstellung sein, im Mittelalter war sie selbstverständlich.

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Zu diesem Kapitel vgl. vor allem GUILLEMAIN, Cour, S. 357 ff., welcher der „maison du pape" ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Auf die hier behandelte Problematik geht er jedoch nicht ein. Für kritische Lektüre dieses Kapitels danke ich Andreas Rehberg. So beispielsweise im Lexikon des Mittelalters, wo „Familia" (einschließlich eines Unterartikels über die „päpstliche Familia" in Bd. 4 , 1 9 8 9 , Sp. 2 5 4 - 2 5 6 ) als eigener Artikel von „Familie" unterschieden wird. In LEVILLAIN, Dictionnaire historique de la Papaute, lautet das entsprechende Stichwort immerhin schon „famille pontificale". In den letzten Jahren ist viel Literatur zur Geschichte der mittelalterlichen Familie erschienen (vgl. die Literaturberichte von BORGOLTE, Sozialgeschichte, S. 385 ff. und NELSON, Family, S. 153 ff.). In ihr wird aber die Familie von Klerikern nahezu völlig ignoriert. Deshalb verwende auch ich nur den einen Begriff „Familie" Vgl. allgemein MEYER, Handeln, S. 292, der zeigen kann, daß familia als Bezeichnung sowohl für die klerikalen als auch die laikalen Angehörigen einer klösterlichen Gemeinschaft seit der Karolingerzeit belegt ist.

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Thematisiert man nun die päpstliche Familie, so stellt sich die Frage, wer ihr angehörte. Ihre Beantwortung ist problematisch, da die Begriffe familia und familiares in den Quellen oft, aber immer als selbstverständlich gebraucht werden. Einfacher steht es mit den Familien der Kardinäle, die zahlreiche Parallelen zur päpstlichen aufweisen und erstaunlicherweise auch besser erforscht sind. Mitglied einer Kardinalsfamilie wurde man durch ein entsprechendes Ernennungsschreiben des jeweiligen Kardinals, das im Verlaufe des 14. Jahrhunderts zum festen Formular gerinnen sollte1. Auch gab es päpstliche Konstitutionen, welche die Kardinalshaushalte zu regeln versuchten2. Mit Recht hat Jugie daraufhingewiesen, daß es derartige Ernennungsschreiben auch für die päpstlichen Famiiiaren gab3, solche finden sich vereinzelt in den päpstlichen Registern. Die Regel aber ist das nicht gewesen. Beispielsweise sind in den Registern Urbans V. ganze drei solche Schreiben enthalten4. Jugie will die päpstlichen Familiaren außerdem dadurch definieren5, daß sie ihren Unterhalt durch den Papst empfingen, womit er offenbar auf die mehrfach erwähnte Hofordnung Clemens' V. abhebt6. Dies ist problematisch, da - wie erwähnt - viele ihren Unterhalt nur indirekt durch die Hofamter erhielten (nämlich durch ihre Vorgesetzten, die mehrere Rationen erhielten) und da sich die Verhältnisse dann in Avignon entscheidend verändern sollten. Die Hofordnung selbst - das muß betont werden - ist keineswegs ein Verzeichnis der Familiaren, sondern eines der Familiaren und Amtsträger (familiares et officiales), was zwar in der Regel, aber keineswegs immer zusammenfiel7. Festzuhalten bleibt, daß man zum päpstlichen Familiar ausdrücklich ernannt werden mußte8; insbesondere zu Beginn eines neuen Pontifikats erfolgten solche Neuernennungen. Aus dem Pontifikat Urbans V. ist noch ein Verzeichnis erhalten, in das der Kämmerer sowohl die neuaufgenommenen Amtsträger als auch die

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Vgl. JUGIE, Familiae, S. 42 ff.; jetzt auch REHBERG, Kirche, S. 161 ff., bes. 163 f. Ein von Jugie übersehenes Ernennungsschreiben ist ediert bei STENGEL, Nova Alamanniae 1, S . 300 n. 473 von 1337 Sept. 9. Ober die Familien der Kardinäle des 13. Jahrhunderts vgl. die kurze Skizze bei PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 141; sie ist breit ausgemahlt in DERS., Cardinali, passim. Vgl. ZACOUR, Regulation, S. 434 ff. In LEVILLAIN, Dictionnaire, S. 6 6 7 f., LAURENT/GASNAULT/HAYEZ, Lettres communes η. 11851 von 1364 Okt. 1; n. 24634 von 1369 Juni 2, n. 26765 von 1370 Aug. 18. Auch für die päpstlichen Familiaren scheint mir die Ansicht GIRARDS, Avignon, S. 92, sehr erwägenswert, die von den Kardinälen ausgestellten litterae familiaritatis seien deshalb eingeführt worden, damit ihre Familiaren den assignatores domorum beweisen konnten, daß sie Anspruch auf Unterbringung hatten. In LEVILLAIN, Dictionnaire, S. 6 6 7 f. Ed. FRUTAZ, Famiglia, S. 277 ff., vgl. Kap. m,l. Ein Beispiel: Auf S. 311 heißt es: supradicti omnes officiales et familiares debent habere hospitia a camera. Über die Familiaren mittelalterlicher Herrscher vgl. auch den Forschungsbericht bei SCHADEK, Familiaren, S. 1 ff. Seinen Forschungen zufolge waren auch am aragonesischen Hof „Familienkreis und Hofgefolge ... nicht unbedingt identisch" (zit. nach SCHADEK, Familiaren, S. 2).

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Bereits BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 278, hat das betont.

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Famiiiaren hatte eintragen lassen1. Auch daraus freilich lassen sich Kriterien zur Unterscheidung von Familiar und Amtsträger nicht gewinnen. Immerhin scheint doch soviel sicher, daß der Kreis der Familiaren größer als der der Amtsträger war, d. h. man konnte auch ohne ein bestimmtes Amt bei Hofe zur Familie des Papstes gehören. Besonders deutlich wird dies in der Institution des Ehrenkapellanats2: dies war ein Ehrentitel, den der Papst einzelnen Klerikern verlieh; er war nicht mit einem Gehalt verbunden, er machte aber den betreffenden Kleriker zugleich zum Mitglied der päpstlichen Familie. Ich habe die affektive Komponente des Familienlebens angesprochen. Gerade bei geistlichen Höfen dürfte dieser Aspekt eine vergleichsweise große Rolle gespielt haben, zum einen, da Klerikern der Zölibat vorgeschrieben, ihnen also die Gründung einer „normalen" Familie versagt war, zum anderen, da im Zusammenleben Jesu mit seinen Jüngern ein Modell bereitstand, dem sich zumindest idealiter nachleben ließ. Adaptiert hat die Kirche dieses Modell mit der vita communis, nach welcher sich seit der Spätantike erst mönchische und dann auch andere geistliche Gemeinschaften zu organisieren pflegten. Die zentrale Bedeutung, welche das Ideal der vita communis gerade im Zusammenhang mit der Lehre vom Haus (im Sinne der antiken Ökonomie) für geistliche Gemeinschaften gehabt hat, ist jüngst für das Früh- und Hochmittelalter von Ulrich Meyer aufgezeigt worden3. Hier konnte die päpstliche Familie nicht nur ideell, sondern auch ganz praktisch anknüpfen, war doch die vita communis in zahlreichen geistlichen Gemeinschaften selbstverständliche Realität, stand somit ein reicher Schatz an Erfahrungen, an „sozialem Wissen", zur Verfugung. Auch von den päpstlichen Familiaren - jedenfalls soweit es sich um Kleriker handelte - dürfte ein großer Teil, schon bevor er in die Dienste des Papstes getreten war, einer solchen Gemeinschaft angehört haben4. Gleiches gilt nicht zuletzt für die Päpste selbst, die ja ihrerseits auf lange klerikale Karrieren zurückblicken konnten5. Daß man an der Kurie ganz selbstverständlich an diese Tradition anknüpfte, zeigen die Zeremonienbücher. Die ausführlichsten Vorschriften für den korrekten Ablauf einer Mahlzeit, die in den Zeremonienbüchern des 14. Jahrhunderts überhaupt zu finden sind, betreffen den Gründonnerstag, also den Tag, an dem die Kirche der Einsetzung des Abendmahls gedenkt. Dort ist eine gemeinsame Mahlzeit von Papst und Kardinälen vorgesehen6. Wenige Tage später, am Ostersonntag, pflegte der Papst mit seinen Kaplänen zu speisen7. Die Parallele zum gemeinsamen Mahl Jesu mit seinen Jüngern ist deutlich. 1 2

Ed. SCHÄFER, V Q 6 , S. 2 4 ff.; vgl. auch DERS., Ehrenkapläne, S. 9 7 ff. Über dieses vgl. SCHÄFER, Ehrenkapläne, S. 9 7 ff.; GUILLEMAIN, Chapelains, Sources, S. 65 ff.

S. 2 1 7

ff.;

BURNS,

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Vgl. MEYER, Handeln, S. 242 ff.

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Daß dies in ähnlicher Form auch für die Familiaren der Kardinäle galt, zeigt JUGIE, Familiae, S. 5 1 ff. Eine Ausnahme ist Gregor XI., da er bereits mit achtzehn Jahren Kardinal geworden ist, er die üblichen Stufen auf der Kamereieiter also übersprungen hat. Ed. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 267 ff. (cap. LVm-LXm). Auch andere Prälaten und Adlige durften teilnehmen, saßen aber post mensas cardinalium. Siehe unten.

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Generell wird man freilich mit einem Unterschied zwischen Theorie und Praxis zu rechnen haben. Man bedenke, daß der frühere patriarchalische Zustand der päpstlichen Familie, wo jedes Mitglied seinen Unterhalt von den Hofämtern empfangen hatte, in Avignon bereits aufgelöst war 1 und auch von einem gemeinsamen Haushalt keine Rede sein konnte. Vielmehr hat sich in Avignon - wie bereits gezeigt2 - der schon früher bestehende Zustand verfestigt, daß ein großer Teil der Kurialen außerhalb des päpstlichen Haushalts lebte3. Damit lassen sich zwei Klassen von Famiiiaren unterscheiden: die Famiiiaren, welche unmittelbar mit dem Papst zusammenlebten, also zu seinem Haushalt gehörten, und die, bei denen das nicht der Fall war 4 . Diese Trennung ist teilweise - aber nicht völlig - mit der zwischen den laikalen und klerikalen Angehörigen der päpstlichen Familie identisch5. Das Familienleben des päpstlichen Haushalts hat sich in zweierlei Hinsicht in den Quellen niedergeschlagen: durch das gemeinsame Mahl 6 und das Verteilen von Geschenken. Dies berührt sich mit dem, was im vorigen Kapitel ausgeführt worden ist, hier aber auf den inneren Haushalt des Papstes selbst bezogen wird. Auch hier ist wieder zu beachten, daß sich die päpstlichen Gaben in das Modell des rituellen Gabentauschs nicht ohne weiteres einordnen lassen. Immerhin gibt es Berührungspunkte. Auch in den hier erörterten Fällen sollten die Geschenke affektive Verbundenheit zwischen Schenker und Beschenktem herstellen oder stärken. Es handelt sich aber um extrem asymmetrische Beziehungen, das Schenken innerhalb des päpstlichen Haushalts blieb ein völlig einseitiger Akt.

Weihnachts- und Ostergeschenke Anlaß für derartige Geschenke waren das Weihnachts- und das Osterfest7. Alljährlich findet man in den Hauptbüchern anläßlich beider Feste Ausgaben für eine größere Zahl von Fleischtieren und Gewürzen, die der Papst als Geschenk verteilte. Dabei waren die Lebensmittelgeschenke nur Teil einer größeren Gabenausteilung, die unter dem Terminus presbyterium bekannt ist8. Seit jeher pflegte der Papst zu diesen Festen

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Vgl. Kap. m,l. Vgl. Kap. IV,2.4. Ähnliches galt für die Kardinalshaushalte. Vgl. REHBERG, Kirche, S. 168. Die Ansicht, welche Johannes ΧΧΠ. von seinem Amt als Familienvater hatte, ergibt sich aus der Arenga einer Konstitution von 1331 Nov. 14 ed. TANGL, Kanzleiordnungen, S. 91 n. 12: Paterfamilias per viam mandatorum domini incedens et diligens familiam domus sue illi honeste vivendi recteque agendi normam tribuit et modum imponit, quibus regatur et dirigatur salubriter et modeste, in eos qui a recto deviant virgam correctionis exercens,... Vgl. Kap. IV,2.4. Ober das gemeinsame Mahl als konstitutives Element mittelalterlicher Sozialbeziehungen vgl. allgemein ALTHOFF, Charakter, S. 13 ff., der aber auf das Avignoneser Papsttum nicht eingeht. Diese Geschenke müssen von denen unterschieden werden, welche der Papst anläßlich seinen Krönungsfestes den Kanzleischreibern machte. Diese erhielten regelmäßig ein Huhn geschenkt. Eine Liste der Empfanger von Presbyterien steht im Liber Censuum (ed. Fabre/Duchesne 2, S. 291 f.). Vgl. auch die Texte bei DYKMANS, Ceremonial 2, S . 323 und 372 f., und SCHIMMELPFENNIG,

Die Familie des Papstes

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eine größere Anzahl von Personen mit Geld zu beschenken, und zwar die Kardinäle, die höheren Kurialen und auch gerade anwesende Bischöfe. Die niederen Ränge der Kurie erhielten immerhin eine zusätzliche Lebensmittelration. Diese Sitte ist auch in Avignon beibehalten worden, es scheint indes, daß die päpstlichen Lebensmittelgeschenke einem exklusiveren Personenkreis vorbehalten waren. Auch das Austeilen von solchen Gaben geht auf eine lange Tradition zurück. So wird schon in den Ordines des achten Jahrhunderts festgelegt, daß die hohen Kleriker der Kurie am Abend des Osterfestes im Refektoriinn gemeinsam drei verschiedene Sorten Wein trinken sollen1. Für die auf Ostern folgende Woche wird an der gleichen Stelle vorgesehen, daß die Priester und Akolyten nach dem Trinken nach Hause gehen und dort von den erhaltenen Lebensmittelgeschenken (dem presbyterium) essen und trinken. Es wird nicht ausdrücklich erwähnt, aber durch den Zusammenhang nahegelegt, daß die Beschenkten dies ihrerseits in Gesellschaft der ihnen unterstehenden Geistlichen tun sollten. Man braucht kaum etwas zu ändern, um diese Verhältnisse am päpstlichen Hof des 14. Jahrhunderts wiederzufinden. In Avignon blieb der Personenkreis, den die Päpste mit ihren Lebensmittelgeschenken bedachten, durchgehend gleich: Zunächst einmal erhielt zu Weihnachten jeder Kardinal, der Kämmerer, der Vizekanzler2 und der magister marestalle3 jeweils ein Schwein. Warum ausgerechnet ein Schwein als Geschenk? Als Nutznießer dieser Gabe war weniger der jeweilige Kardinal als Individuum intendiert; das Schwein sollte vielmehr den Festtagsbraten für dessen Famiiiaren abgeben. Analoges gilt für Kämmerer, Vizekanzler und Marschall4; auch sie sollten das Schwein nicht selbst verspeisen, es war für die ihnen unterstehenden päpstlichen Famiiiaren gedacht. Den drei genannten Amtsträgern wie auch den Kardinälen waren vielmehr die Hasen zugedacht, von denen sie jeweils zwei erhielten und die ebenfalls regelmäßig für diese Gelegenheit eingekauft worden sind5. Bereits aufgrund der Hofordnimg ist gezeigt worden, daß die soziale Distinktion innerhalb des päpstlichen Hauses auch über den Fleisch- bzw. Brotanteil an der Nahrung erfolgt ist. Hier wird nun eine weitere Differenzierung an Hand der Fleischsorte sichtbar. Das weniger angesehene Schweine-

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Zeremonienbtlcher, S. 266 (cap. LVI n. 4-5). Über das Presbyterium im 13. Jahrhundert vgl. PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 111 f. ANDRIEU, Ordines 3 (ordo XXVÜ), S. 366. Es sei daran erinnert, daß das Kanzleramt seit Honorius DI nicht mehr besetzt wurde. Der Vorsteher des Marstalls (vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 164 ff.), nicht mit dem Justizmarschall zu verwechseln. In dem Eintrag vom 1323 Dez. 23-30 heißt es ausdrücklich: pro 24 porcis ..., quibus fuerunt dati ... cardinalibus , vicecancellario et camerario cuilibet unus pro eorum ofliciis et servientibus armorum ... (SCHÄFER, VQ 2, S. 81). Später heißt es meist nur noch: pro (...) mutonibus, quorum tribus fuerunt dati tribus officiis, videlicet cancellarii, camere et marestalle, zit. nach SCHÄFER, VQ 2, S. 110 von 1330 Apr. 7-13.

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Vgl. beispielsweise SCHÄFER, V Q 2, S. 4 9 ff.

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Vgl. Kap.m,l.

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Höfisches Leben

fleisch war den unteren Rängen zugedacht, während die Spitzen der Hierarchie Hasenbraten vorgesetzt bekamen1. Johannes' XXII. ist sogar soweit gegangen, seine weiblichen Verwandten - soweit sie in Avignon oder in der näheren Umgebung lebten - mit derartigen Geschenken zu bedenken2. Bis zu sechs von ihnen erhielten zu Weihnachten jeweils einen Hammel und ein Ochsenviertel3. Da die Damen diese schwerlich allein verzehren konnten, muß man auch hier ein Gefolge annehmen, durchaus vergleichbar etwa dem eines Kardinals. An anderer Stelle zeige ich, daß die Damen in der Tat - als Gattinnen päpstlicher Ritter - größeren Haushalten vorstanden4. Daher waren auch sie es, nicht etwa ihre Ehemänner, die das Geschenk erhielten. Die Ostergeschenke weichen geringfügig von denen des Weihnachtsfestes ab: Anstelle eines Schweines erhielten Kardinäle, Kämmerer, Vizekanzler und Marschall einen Hammel für ihre Untergebenen und für sich selbst einen Rehbock oder ein Zicklein; unter Johannes XXII. erhielten die Damen die gleiche Gabe. Man gewahrt also abermals die schon beschriebene soziale Distinktion über verschiedene Fleischsorten5. Als dritte und letzte Gruppe erhielten die capellani commensales ein Geschenk6, und zwar Spezereien. Normalerweise waren es acht Pfund Ingwer, acht Pfund Pfeffer und zwei Pfund Gewürznelken7, die unter sie verteilt wurden. Die Kapläne erhielten diese Geschenke zu Weihnachten und zu Ostern. Vereinzelt ist ausdrücklich angemerkt, daß sie dieses Geschenk in camera domini nostri - also im Zimmer des Pap1

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Eine solche Differenzierung war selbstverständlich nicht auf den päpstlichen Hof beschränkt, sondern ein Kennzeichen des höfischen Lebens überhaupt. Vgl. dazu LAURIOUX, Tafelfreuden, S. 29, der darauf aufmerksam macht, daß auch die zeitgenössische Ernährungslehre Geflügel und Kleintiere generell für vornehmer als Schweinefleisch hielt. Siehe unten. Einmal haben sie auch - außerhalb der gewöhnlichen Geschenke - jeweils ein Faß griechischen Weins erhalten (SCHÄFER, VQ 2, S. 151 von 1325 nach Nov. 10). Aus dem Beleg ergibt sich auch, daß die Damen nicht etwa im päpstlichen Palast selbst wohnten: ... pro conducendis de palatio 7 botis ...ad hospitia ipsarum dominarum... Siehe unten. In diesem Zusammenhang ist eine Konstitution des Dauphins Humbert Π. von Vienne von Interesse, der die Speisenfolge der verschiedenen Personen, die seinen Hofstaat bildeten, festlegt. Dort werden beispielsweise als Sonntagsessen „... dem Dauphin und der Dauphine je zwei Pasteten serviert, die jeweils mit einem großen Huhn oder zwei Hähnchen gefüllt waren, (dagegen) bekamen die Barone und hohen Ritter nur jeweils eine dieser Pasteten und die niederen Ritter mußten sich zu zweit eine Pastete teilen" (zit. nach LAURIOUX, Tafelfreuden, S. 29; vgl. auch DERS., Table, S. 88 ff.). Eine ähnliche Differenzierung hat KERSCHER, Strukturierung, S. 86, für den mallorquinischen Hof aufgezeigt. Es besteht kein Grund zu der Annahme, an der Kurie sei es grundsätzlich anders zugegangen. Im 13. Jahrhundert waren noch der auditor contradictarum und ein Korrektor zu Weihnachten vom Papst mit Spezereien beschenkt worden. Vgl. TANGL, Kanzleiordnungen, S. 64 n. 6 c. 8: ... consueverunt bibere et comedere speciales cum domino pape; quibus etiam dominus papa consuevit dare speciales grossas aromaticas propriis manibus habundanter. Vgl. die Tabellen 1,1.9-11.

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stes selbst - erhielten1. Unter Johannes XXII. waren sie die engere Familie, mit welcher der Papst selbst Weihnachten und Ostern feierte. Daß die Geschenke Jahr für Jahr verteilt wurden und der begünstigte Personenkreis feststand, belegt, daß es sich nicht um eine spontane Geste des Papstes handelte. Sie läßt sich andererseits aber auch nicht auf eine simple „Formsache" reduzieren. Gerade der im Vergleich zu anderen Geschenken2 vergleichsweise geringe Wert der Gabe erhöhte ihre affektive Bedeutung. Die Tendenz ging dabei zu immer größerer Verfeinerung. Den genannten Tieren traten im Laufe der Zeit bereits zubereitete Genußmittel wie Wein und Konfekt zur Seite. Das gemeinsame Mahl von Papst, Kaplänen und vertrauten Famiiiaren Bereits in der voravignonesischen Zeit hatte der Papst regelmäßig mit seinen Kaplänen zusammen gespeist3. Johannes trat hier also in eine alte Tradition ein, indem er mit den capellani commensales regelmäßig zu Weihnachten, Ostern, Allerheiligen (1. November) und zu Pfingsten speiste, und zwar im Anschluß an den Festgottesdienst. Daß ein fester Nexus zwischen Festtagsgottesdienst und Festessen bestand, beweist ein Eintrag aus dem Jahre 1322: das Festessen zu Allerheiligen entfiel, da der Papst aus nicht genannten Gründen - an diesem Tag keinen Gottesdienst abhielt4. Zu Ostern und Weihnachten erhielten die capellani commensales - sowohl unter Johannes XXII. als auch unter seinen Nachfolgern - nach dem Essen die erwähnten Spezereien geschenkt. Auch unter Benedikt und seinen Nachfolgern findet man das gemeinsame Mahl mit den Kaplänen anläßlich der hohen Feiertage. Allerdings ist der Kreis der Herangezogenen nicht so eng gefaßt wie unter Johannes; außer den Kaplänen werden mitunter extra die Auditoren erwähnt5. Einige Male scheint Benedikt sogar alle Famiiiaren eingeladen zu haben6, allerdings sind die Einträge in dieser Beziehung nicht eindeutig. Auch hat sich der Kreis der Kapläne insofern erweitert, als neben die große Kapelle (icapella magna), in der die capellani commensales Dienst taten, mit Benedikt XII.

beginnend eine Privatkapelle (capella secreta) trat7, die ein eigenes - von den capellani commensales zu unterscheidendes - Kollegium von zwölf Kaplänen erhielt. Es handelte sich um die capellani Capelle, später auch capellani intrinseci genannt. Bei der Gründimg dieses neuen Kollegiums hatte Benedikt ausdrücklich vorgesehen, daß 1

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Ζ. B. SCHÄFER, VQ 2, S. 91. Weitere Belege auch aus den folgenden Pontifikaten sind zusammengestellt bei ALIQUOT, Epices, S. 132 ff. Zu denken ist hier etwa an die Wahlgeschenke des Papstes an die Kardinäle. Vgl. zu diesen BAUMGARTEN, Untersuchtingen, S. CLII ff., und DERS., Miscellanea Cameralia Π . 1 , S. 3 6 ff. Vgl. Rusch, Behörden, S. 78 f. Vgl. den Anhang. Einige der Auditoren waren capellani commensales. Dies scheint aber nicht für alle gegolten zu haben. Vgl. GUUXEMAIN, Cour, S. 347 f. Siehe unten. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Organisation, S. 88 ff. Ober die päpstlichen Kapläne des 12. und 13. Jahrhunderts vgl. PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 6 7 ff.

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sie ihr Essen von der päpstlichen Tafel erhalten und mit ihm zusammen speisen sollten1. Wenn diese Absicht in die Tat umgesetzt worden ist, wofür es freilich an Belegen fehlt, wären die capellani Capelle als die täglichen Tischgenossen, die commensales dagegen lediglich zu den herkömmlichen Festtagen herangezogen worden. Beide Kapellen und somit auch beide Kaplanskollegien waren noch unter Benedikt im Palast lokalisiert2; dagegen sollte sich in den folgenden Pontifikaten die enge Bindung der Kapläne an den Papst wieder lockern3. Unter Benedikts Nachfolgern haben außerdem die Kapläne der Privatkapelle allmählich die capellani commensales auch aus der großen Kapelle verdrängt4. Indes sind die capellani commensales keineswegs verschwunden; auch weiterhin sind sie häufig vom Papst bewirtet und regelmäßig beschenkt worden. Es hat den Anschein, daß der capellanus commensalis allmählich eher zu einem Ehrentitel für besondere Vertraute des Papstes geworden ist. Generell kann man damit die Kapläne als die engste Umgebung des Papstes namhaft machen5. Sie wohnten in demselben Gebäude wie der Papst, sie zelebrierten mit ihm die Messen und sie speisten regelmäßig mit ihm. Zu bedenken ist allerdings, daß die Einladungen speziell der capellani commensales nur deshalb aktenkundig geworden sind, weil sie etwas besonderes, nichts alltägliches waren. Erfahrt man somit aus den Gästelisten, wer die außerordentlichen Tischgenossen des Papstes waren, so leider nicht, ob und wer normalerweise und regelmäßig mit ihm speiste. Von Johannes konnte gezeigt werden, daß er in der Regel zwei engere Vertraute zu Tisch bat, unter Benedikt und seinen Nachfolgern waren es wahrscheinlich zumeist die Kapläne der Privatkapelle. Nicht selten hat der Papst offenbar auch alleine gegessen6. Dabei ist natürlich von den Dienern abzusehen, welche die Speisen auftrugen und wieder abräumten.

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Chronica S. Petri Erfordensis, Continuatio I (ed. HOLDER-EGGER), S. 366: (Benedictes) vult, quod capellani ... dormiant in uno dormitorio ac etiam comedant coram eo... , vgl. dazu SCHIMMELPFENNIG, Organisation, S. 92. Vgl. auch Quinta vita Benedicti ΧΠ, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 230, und Septima vita, ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 233. Möglicherweise ist der unter Benedikt ΧΠ. ausgebaute Südflügel des Palastes, der später zur Unterbringung von Gästen diente (vgl. Kap. IV,2.4.), ursprünglich als das dormitorium für die Kapläne der capella secreta gedacht gewesen. Mitunter sind auch Bauarbeiten an ihren Zimmern verbucht. Vgl. etwa EHRLE, Historia, S. 603 von 1335 Juni 2 und S. 607 von 1338 Okt. 31. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Organisation, S. 100 und passim. Freundlicher Hinweis von Bernhard Schimmelpfennig. Daß dies bereits für die voravignonensische Zeit gilt, zeigt RUSCH, Behörden, S. 77 ff. Vgl. auch ELZE, Kapelle, S. 145 ff.; PARAVICINIBAGLIANI, Cour, S. 67 ff.

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Daß der Papst nicht selten allein speiste, belegt das Tagebuch des Fran?ois de Conzii (ed. DYKMANS, Ceremonial 3, S. 356 ff.; vgl. Kap. IV,2). So beschreibt er etwa (S. 364) den Empfang einer kastilischen Gesandtschaft aus dem Jahre 1406, die auch zum Essen gebeten wird. Bei diesem Essen speist die Gesandtschaft zusammen mit einigen Kardinälen, der Papst aber allein in camera sua. Lediglich vor und nach dem Essen treffen die Gesandten mit dem Papst zusammen und können ihre Anliegen vorbringen.

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Über den normalen Tagesablauf der Avignoneser Päpste sind wir nur in einem Fall, dem Urbans V., etwas genauer unterrichtet1. An Tagen, an denen er die Messe las, pflegte er zunächst zu beichten und blieb, nachdem er die Absolution empfangen hatte, noch für einige Zeit kniend und Psalmen rezitierend an dem Ort, wo er gebeichtet hatte. Vormittags hielt er Audienzen oder erledigte die laufenden Geschäfte. Das Mittagessen, bei dem er sich mit wenig schmackhaften Speisen begnügte, verzehrte er allein, befragte aber währenddessen die auftragenden Diener über die Armen und Kranken der Kurie, denen er oft sein eigenes Essen und auch Medikamente schickte. Nach dem Essen ruhte er eine halbe Stunde, um sodann entweder abermals seine Geschäfte zu erledigen und Suppliken abzuzeichnen oder um Studien zu treiben. Danach, zur Vesperzeit, las er Totenmessen oder die Tagesgebete. Darauf folgten wieder Audienzen, diesmal insbesondere für Kardinäle oder magnates et potentes. Abends machte er einen Spaziergang durch den Palast und dessen Gärten, diesmal in Begleitung einiger Familiaren, zu denen sich auch einzelnen Kardinäle, Prälaten oder ehrenwerte Laien gesellen konnten. Das Abendessen scheint er abermals allein eingenommen zu haben; er pflegte dabei zu lesen oder sich vorlesen zu lassen. Wenn dann aber seine Familiaren, die getrennt von ihm in tinello aßen, ihre Mahlzeit beendet hatten, ging er zu ihnen und unterhielt sich mit ihnen, entweder über das, was er gerade studierte, oder über die Taten der Heiligen oder über das Elend der Welt oder über ein anderes Thema, das ihnen fructuosus war. Er pflegte dann noch den Gottesdienst des kommenden Tages mit seinem Beichtvater und seinen Kubikularen zu besprechen und sich dann ins Bett zu begeben. Leider wird nicht deutlich, aus welchem Personenkreis er seinen näheren Umgang wählte. Die Quelle begnügt sich meist mit den eher vagen Bezeichnungen wie familiäres oder praelati. Immerhin scheint es sich nicht ausschließlich um seine Kapläne gehandelt zu haben. Auch wüßte man gerne, welche der Kardinäle ihn beim Spaziergang zu begleiten pflegten. Als hervorhebenswert schien dem Verfasser der Vita, daß Urban sich auch mit seinen Dienern zu unterhalten pflegte. Aß der Papst mit seinen Kaplänen zusammen, war das Zeremoniell sehr viel einfacher2, als wenn er mit den Kardinälen oder auswärtigen Gästen speiste. Nach der mit den Kaplänen abgehaltenen Messe hatte der diensttuende Subdiakon der Kapläne den Papst zum Palast zu begleiten und die Paramente abzunehmen3. Dann geleitete er den Papst zu Tisch, wo dieser, nachdem er die Tafel gesegnet hatte, Platz nahm und der Subdiakon ihm während des Essens vorlas4. Sehr wahrscheinlich aßen Papst und

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Das Folgende nach Liber de vita, cap. 3 3 - 3 7 , ed. ALBANES/CHEVALIER, S. 388 f. Es handelt sich um eine Vita Urbans, die Clemens VE. 1390 für den Kanonisationsprozeß hat verfassen lassen. Trotz einer gewissen Tendenz ist sie insgesamt zuverlässig, jedenfalls so weit man sie aus anderen Quellen kontrollieren kann. Das Folgende nach SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S. 239 (cap. XL.24-26). Die räumliche Trennung von Kirche und Palast deutet darauf hin, daß der Text bereits in voravignonesischer Zeit entstanden ist. Er ist aber in den Sammlungen weiter tradiert worden, war also offenbar noch in Avignon gültig. Dies wird bereits in der Hofordnung Clemens' V. vorgesehen. Vgl. oben Kap. ΠΙ,Ι.

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Kapläne an getrennten Tischen1, immerhin könnten diese so nahe aneinander gestanden haben, daß ein Gespräch möglich blieb2. Nach dem Essen erhoben sich die Anwesenden auf ein Zeichen des Papstes hin und sprachen ein Dankgebet. Dann durfte auch der Subdiakon etwas essen. Die Bedienung beim Essen - also das Auftragen und Servieren der Mahlzeiten war Aufgabe besonders vertrauenswürdiger Edelknappen, acht bis zehn an der Zahl. Bei großen Gastmählern zog man weitere heran, die dann besonders vom Kämmerer bzw. Intendanten überwacht werden sollten3. Unterfamilien und Tischgemeinschaften Im Verhältnis der Päpste zu ihren Kaplänen und ihren besonders vertrauten Familiären reproduziert sich auf höchster Ebene ein Netz sozialer Beziehungen, das sich in ähnlicher Form auch bei den Kardinälen, dem Kämmerer, dem Marschall und dem Vizekanzler erkennen läßt. Als Nutznießer der geschenkten Schweine und Schafe habe ich die Familie des jeweiligen Kardinals erwähnt. Dies verweist auf die Tatsache, daß nicht nur der Papst, sondern - wenn auch in kleinerem Maßstab - die Kardinäle über eigene Familien verfugten4. Ähnlich wie der Papst allmählich seinen eigenen Palast bauen lies, haben auch die Kardinäle im Verlaufe des Untersuchungszeitraums in Avignon und Villeneuve eigene Palais gebaut oder erworben, die sich zu Residenzen im Kleinen entwickeln sollten5. Hier sei daraufhingewiesen, daß Papst und Kardinäle nicht als Einzelpersonen, sondern als Vorsteher großer Häuser und Personenverbände agierten6. Anders verhält es sich mit dem Kämmerer. Obwohl er selbst zum päpstlichen Haushalt gehörte, erhielt er die gleichen Tiere wie die Kardinäle geschenkt. In einer etwas anderen Situation befanden sich Marschall und Vizekanzler. Zwar lebten sie nicht im Palast, standen aber beide einem größeren Personenverband von Angehörigen

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In der Hofordnung Clemens' V. ist der Tisch des Papstes eindeutig von dem der Kapläne unterschieden. Vgl. oben Kap. ΙΠ,Ι. Auch wenn der Papst mit den Kardinälen aß, waren getrennte Tische vorgesehen. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zeremonienbücher, S . 152 (cap. 111,13). Der naheliegende Einwand, daß dadurch die Lesung des Subdiakons gestört worden wäre, erledigt sich damit, daß es dem Papst freistand, die Lesung abzukürzen. Daß dies beim Empfang auswärtiger Gäste vorkam, wurde bereits gezeigt. DYKMANS, Ceremonial 3 , S. 4 2 7 (cap. I V , 4 5 ) . Über die Kardinäle in Avignon vgl. MOLLAT, Contribution, S. 2 2 ff.; JUGIE, Cardinaux, S. 1 5 7 ff.; GunxEMAiN, Cour, S. 1 8 1 ff. über ihr Gefolge S. 2 5 1 ff. Über die Kammer des Kardinalskollegiums vgl. KIRSCH, Finanzverwaltung; BAUMGARTEN, Untersuchungen. Eine Reihe neuerer Studien widmet sich speziell den Familien der Kardinäle. Vgl. JUGIE, Familiae; HAYEZ, Familie; VERGER, Entourage; REY-COURTEL, Clienteles; DIES., Entourage; ZACOUR, Regulation; HARVEY, Household; zuletzt REHBERG, Kirche, S. 161 ff. Über die Kardinalspaläste in Avignon vgl. Kap. VI, 1. Dabei konnte es zu Überschneidungen kommen: Aus einer Konstitution Johannes' ΧΧΠ. erfahrt man, daß manche Auditoren zugleich Familiare von Kardinälen waren (TANGL, Kanzleiordnungen, S. 83 n. 11 cap. 5).

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der Kurie vor. Besonders bemerkenswert ist die Lage des Vizekanzlers. Da er zugleich immer auch Kardinal war1, stand er sowohl seiner eigenen Famile als auch einer päpstlichen Behörde vor. Konsequenterweise ist er jeweils doppelt beschenkt worden: sowohl in seiner Eigenschaft als Kardinal als auch als Vizekanzler2. Hier fallt Licht auf die innere Struktur des päpstlichen Hauses: Kämmerer, Vizekanzler und Marschall standen jeweils einem größeren Personenverband päpstlicher Famiiiaren vor, mit dem sie das Weihnachts- und Osterfest feierten. Man wird diese Verbände - analog zu dem, was bereits über die Familie des Kardinalnepoten, des Kämmerers und des Thesaurars ausgeführt ist3 - als eine Art Unterfamilie dieser drei Amtsträger bezeichnen dürfen. Intern organisierte sich also die päpstliche Familie somit in einer Anzahl kleinerer Gemeinschaften, die sich teils um den Papst selbst, teils um höhere Funktionäre des Hofes herum gruppierten. Deutlich erkennbar ist dies bei der Kanzlei: Man erfahrt aus den kurialen Kanzleiordnungen, daß sich die Notare der Kanzlei bereits im 13. Jahrhundert zu einer solchen Gemeinschaft zusammengeschlossen hatten. Sie unterhielten gemeinsam einen Koch, einen Unterkoch und hatten sogar eine transportable Küche und noch sonstigen Gemeinbesitz, zu dessen Ankauf und Unterhalt alle beizutragen hatten. Auch erhielten sie im 13. Jahrhundert noch Lieferungen von den kurialen Hofamtem4. Ahnlich ist von den Siegelbeamten (bulla5 tores) bekannt, daß sie einen Koch und zwei Diener unterhielten . Von den Auditoren hat Guillemain gezeigt, daß sie sich zu einem eigenen Kollegium zusammenschlossen, welches sich zum gemeinsamen Gottesdienst zusammenfand6. In den Statuten der Pönitentierie ist ausdrücklich festgelegt, daß zu Weihnachten und zu Ostern alle Schreiber dieser Behörde mit ihrem Vorgesetzten, dem Großpönitentiar, speisen sollten. Aus diesem Anlaß hatte jeder Schreiber einen Kammergulden beizusteuern, die Summe, welche so zustande kam, diente dazu, Spezereien einzukaufen, welche die Schreiber dem Großpönitentiar dann als Geschenk überreichten7.

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Vgl. GUILLEMAIN, Cour, S. 309 ff.

Man kann das daran erkennen, daß die Anzahl der beschenkten Kardinäle mit der Anzahl der an der Kurie überhaupt anwesenden Kardinäle übereinstimmt. Vgl. IV,2.4. Vgl. TANGL, Kanzleiordnungen, S. 61 ff. n. 5 und S. 68 f. n. 8. Vgl. auch RUSCH, Behörden, S. 10 f. Daß sie bereits im 13. Jahrhundert als eigene familia galten, zeigt PARAVICINI BAGLLANI, Mobility, S. 187. Item vicecancellarius et notarii debent habere communiter ... unum somarium ...ad portandum coquinam et alia utensilia ad opus mense cancellarie. Zit. nach TANGL, Kanzleiordnungen, S. 62 (cap. ΠΙ,9). Vgl. auch die Hofordnung Clemens' V. (ed. FRUTAZ, Famiglia, S. 289). Vgl. BAUMGARTEN, Kanzlei und Kammer, S. 86 ff. GUILLEMAIN, Cour, S. 347. Ed. bei SCHWARZ, Organisation (besser als bei GÖLLER, Pönitentiarie 1,2, S. 59-70), S. 218 ff. zu

(1350-1376), hier S. 234 § 23: Quando scriptores debent comedere cum maiori penitentiario et quid debent dare. Der Text läßt sich noch genauer datieren. Zwei Punkte sind es die dafür in Betracht kommen. Zunächst der Paragraph über die Rechnungslegung (S. 229 § 5). Dort wird festgelegt, daß die Schreiber einmal im Monat, und zwar immer am letzten Tag des zuende gehenden Monats, abrechnen sollten. Dies entspricht exakt dem Modus zu dem die Kammer im dritten Pontifikatsjahr Innozenz' VI. (1355) überging, und der an die Stelle des alten Brauchs trat, im Vier-

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Höfisches Leben

In der Kanzlei ging dieser Prozeß der Gruppenbildung so weit, daß nicht einmal sicher ist, ob ihre Angehörigen zur familia des Papstes oder der des Vizekanzlers gehörten. So findet man schon aus dem 13. Jahrhundert im Uber cancellarie eine eigene Eidformel für die Famiiiaren des Vizekanzlers1. Ahnlich wurden im 13. Jahrhundert die Abbreviatoren als Famiiiare der Kanzleinotare angesehen2, wurden aber gleichwohl vor dem Vizekanzler vereidigt3. Schließlich erhielten unter Clemens VI. alle Kanzleimitgliedem eine Urkunde, in der ihnen bestätigt wurde, daß auch sie an den Privilegien, Ehren, Immunitäten und Gunstbezeugungen Anteil hätten, welche seinen servitores et familiares zukamen4. Es bedeutete also keineswegs einen Widerspruch zur Familie des Papstes und zugleich zur Familie des päpstlichen Kämmerers oder gar eines päpstlichen Notars zu gehören5. Eine naheliegende Analogie bietet das mittelalterliche Lehnswesen, wo man in ähnlicher Weise Vasallen und Aftervassallen eines Lehnsherrn unterscheiden kann. Charakteristisch fur die geschilderten Fälle ist, daß diese Gruppen sich als Tischgemeinschaften organisierten, daß das gemeinsame Mahl den Mittelpunkt ihrer gemeinschaftlichen Aktivitäten bildete. Zu den festtäglichen Höhepunkten gehörte es, wenn sich der jeweilige Amtsvorsteher herabließ, mit den Mitgliedern seiner Unterfamilie gemeinsam zu speisen. Die heute übliche Trennung von Beruf und Privatleben war hier offensichtlich nicht vollzogen, ganz im Gegenteil tendierten die diversen Be-

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wocheniythmus abzurechnen. Sodann wird in der zitierten Stelle (§ 23) ausdrücklich ein Kammergulden (florenus de camera) verlangt; dieser wurde zwar bereits seit der Mitte des 14. Jahrhunderts geprägt, stand jedoch im Schatten des Florentiner Guldens, der in der Kammer als Leitwährung diente. Erst 1363 (also unter Urban V.), als der Feingehalt des Kammerguldens geringfügig erhöht wurde und er somit höheren Wert als der Florentiner erlangte (vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 58* f.), stellte die Kammer ihre Berechnungen auf den Kammergulden um. Damit läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit das Jahr 1363 als Terminus post quem für die Entstehung des Textes festlegen. Ed. TANGL, Kanzleiordnungen, S. 34 n. 2. ...breviatores et alii de familia notariorum, zit. nach TANGL, Kanzleiordnungen S. 55 n. 3 c. 14. Der von BRESSLAU, Handbuch 1, S. 274 gebrauchte Vergleich, der sie „sozusagen Privatbeamte der Notare" nennt, scheint mir nicht ganz treffend. Die Eidfoimel bei TANGL, Kanzleiordnungen, S. 43 n. 9. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, von oder vor wem sie vereidigt wurden, da der Eid aber in der offiziellen Kanzleiordnung überliefert ist, dürfte dies am wahrscheinlichsten sein. Ed. TANGL, Kanzleiordnungen, S. 124 n. 17 von 1347 Juli 8. Es wird ausdrücklich vermerkt, daß die Urkunde in jeweils einer Ausfertigung für alle - namentlich genannten - Notare, Korrektoren, Schreiber und Abbreviatoren ausgestellt worden ist. Daß die Zugehörigkeit zu einer solchen Familie - sei es die des Papstes oder eines Kardinals - als äußerst erstrebenswert galt, beweist die unten erörterte Konstitution Innozenz' VI., in der er den Kardinälen untersagt, litterae familiaritatis an andere Personen auszustellen, als ihren familiares domestici et commensales (zit. nach ZACOUR, Regulation, S. 454).

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Vgl. auch REHBERG, Kirche, S. 197.

Die Familie des Papstes

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amtengruppen dahin, beides möglichst in gemeinsamer Lebensführung zu vereinen1. Die Parallele zu mönchischen und sonstigen geistlichen Gemeinschaften ist evident2. Wie Johannes XXII. sich das Familienleben seiner Kardinäle vorstellte, kann man einer von ihm schon zu Beginn seines Pontifkats erlassenen Konstitution Dat vivendi normam entnehmen3. Wegen der erwähnten Übereinstimmung zwischen päpstlicher und kardinalizischer Familie gibt sie darüber hinaus auch Aufschluß darüber, wie er sich seinen eigenen Haushalt vorstellte. Ihr Thema ist die Einschränkung des von den Kardinälen betriebenen Aufwands, und zwar im Hinblick auf die Zahl ihres Gefolges und auf ihren Luxus bei Tisch. In dieser Konstitution werden die Famiiiaren der Kardinäle, deren Anzahl auf 20 beschränkt wird, dadurch definiert, daß sie sowohl im Hause des Kardinals leben als auch mit ihm zusammen speisen, also eine Tischgemeinschaft bilden4. Da die Kardinalshaushalte kleiner als der päpstliche waren, war es möglich oder wurde jedenfalls von Johannes angestrebt, daß alle Mitglieder eines solchen Haushalts eine Tischgemeinschaft bildeten. Ahnlich wie in der päpstlichen Familie gibt es auch hier Kleriker und Laien (clerici et domicelli) und sind die Famiiiaren in eine eigene Livree gekleidet5. Eine Konstitution gleicher Tendenz hat später auch Innozenz VI., der Nachfolger des prachtliebenden Clemens' VI., erlassen6. Wie Zacour mit Recht dargelegt hat, zeigt sie sehr deutlich den gesteigerten Luxus in den Kardinalshaushalten, der sich vor allem unter Clemens VI. ausgebreitet hatte7. Es wird hier nur insoweit auf sie eingegangen, als es für unsere Fragestellung von Interesse ist. Die innere Differenzierung der Kardinalfamilien hat erhebliche Fortschritte gemacht: Es werden fünf Gruppen unterschieden, welche nur noch gemeinsam haben, daß sie ihre Kleidung vom Kardinal empfangen8. Die erste besteht aus seinen commensales capellanes et clerici; sie erhalten eine cappa und ihre Zahl wird auf zwölf beschränkt. Die zweite besteht aus höchstens 25 Edelknappen (scutiferi) - in die der Koch, der Barbier, der Marschall

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Daß diese Lebensweise manchen Kanzlisten nicht recht befriedigte, läßt sich der oben bereits zitierten Konstitutionen Pater familias entnehmen, in welcher den Schreibern und Abbreviatoren der Kanzlei ausdrücklich verboten wird, öffentlich eine concubina zu halten (TANGL, Kanzleiordnungen, S. 91 n. 12 c. 117). Hier ist allerdings zu berücksichtigen, daß Schreiber und Abbreviatoren oft nur die niederen Weihen hatten, also nicht zum Zölibat verpflichtet waren. Ähnliches hat JUGIE, Familiae, S. 51 ff. für die Kardinalsfamilien hervorgehoben. Ed. bei ZACOUR, Regulation, S. 447 ff. (Appendix I). Vgl. auch den Bericht des aragonesischen Gesandten bei FINKE, Acta 1, S. 224 n. 147 von (1316) Okt 17, in dem offensichtlich auf diese Konstitution Bezug genommen wird. ...ordinamus quod ... nott ultra vigittti ad plus familiares suos, eosdem ipsorum cardinalium domesticos, qui commensales vulgariter appelantur, secum in domo habeant commorantes, zit. nach ZACOUR, Regulation, S. 448. Vgl. MOLLAT, Contribution, S. 30 ff; JUGIE, Familiae, S. 42 ff. Ed. ZACOUR, Regulation, S. 453 ff. Appendix ΠΙ von 1357 Jan. 10. Vgl. ZACOUR, Regulation, S. 442 ff. Die Wirksamkeit dieser Konstitution bestreitet er dort mit guten Gründen. Für die Tuniken der Edelknappen wird ausdrücklich eine Mindestlänge festgelegt; sie hätten drei Finger breit über die Knie zu reichen.

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Höfisches Leben

sowie alii familiares commensales ausdrücklich Inbegriffen sind. Diese engeren Angehörigen der Familie (also 37 Personen insgesamt) - differenziert nach Klerikern und Laien - definieren sich also weiterhin durch ihre Eigenschaft als Tischgenossen des Kardinals. Die dritte Gruppe bilden die Prokuratoren, welche die Besitztümer des Kardinals verwalten, also notgedrungen nicht in seinem Haus wohnen konnten. Die vierte schließlich sind päpstliche (!) Kleriker, die nicht zur Familie des Kardinals gehören, aber in seiner librata untergebracht sind1. Die Eigenschaft, Tischgenossen des Kardinals zu sein, wird ihnen ausdrücklich abgesprochen. Die fünfte Gruppe schließlich besteht aus den Klerikern und Famiiiaren der vierten Gruppe. Diese waren offenbar reich genug, um ihrerseits eigene (Unter-)Familien zu bilden. Die Anzahl dieser Unterfamiliaren wird auf vier Kapläne und fünf Edelknappen begrenzt2. Wie man sieht, ist die am Papsthof herrschende Tendenz, Unterfamilien zu bilden, auch hier zu beobachten. Maßnahmen Benedikts XII. und Urbans V. Ein erster Versuch, diese Hierarchisierung zu durchbrechen, läßt sich unter Benedikt XII. feststellen. In den Randbemerkungen seiner Hauptbücher wird mitunter vermerkt, daß zuweilen (alle?) päpstliche Famiiiaren ihr Essen von der päpstlichen Küche erhalten hatten; einige Male ist ausdrücklich erwähnt, daß sie Fleisch erhielten. Daraus wird aber auch deutlich, daß es sich bei dieser Maßnahme um etwas Außergewöhnliches, nichts Alltägliches handelte3. Einen anderen Weg erprobte Urban V. Er hat ausgewählten Famiiiaren eine Pitanz gestiftet, d. h. diese Famiiiaren wurden aus der päpstlichen Küche beköstigt. Die Nutznießer dieser Maßnahme wurden aus den diversen Ämtern ausgewählt. Beim ersten Mal4 etwa waren es drei Angehörige des Brotamtes, drei des Weinamtes, zwei Türhüter der ersten und drei der zweiten (eisernen) Tür, zwei aus dem Wachsamt, fünf vom Wasseramt, drei vom Silberbewahrer (vom custos vacelle abzustellen), zwei von der Artillerie5 und schließlich der namentlich genannte Dyonisius Fabri, insgesamt also 24 Personen. Sie wurden vom Fest Johannes' des Täufers (24. Juni) bis zum 24. Dezember, also insgesamt 184 Tage lang, auf diese Weise verpflegt.

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Possint tarnen notarii nostri (!) ac prelati et clerici alii in ipsorum cardinalium libratis morantes, licet eorundem cardinalium commensales non existant, pro se ipsis, ac pro quatuor capellanis et quinque scutiferis tantum singulorum ipsorum, ac pro aliis familiaribus suis commensalibus in eisdem libratis commorantibus cum eisdem, vestes de huiusmodi capellanorum et scutiferorum vel aliorum vestium pannis secundum statum et decentiam ipsorum recipere et habere. Zit nach ZACOUR, Regulation, S. 453.

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Wie vorige Anm. Vgl. den Anhang. IE 307 f. 90r von 1363 Dez. 31. Die Kosten für diese Aktion betrugen 169,9 fl., die der päpstliche Panatar erhielt. Offenbar oblag ihm die Ausführung. Über das päpstliche Geschützwesen vgl. SCHÄFER, VQ 3, S. 750 Anm. 1.

Die Familie des Papstes

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Diese Pitanz hat Urban dann regelmäßig alle halbe Jahre erneuert1. Deutlich ist die Tendenz, die Grenzen der einzelnen Ressorts zu überwinden. Man erfahrt leider nicht, ob die Nutznießer während des gesamten Zeitraums dieselben blieben. Ähnliche Versuche lassen sich auf anderer Ebene konstatieren. So hat Urban gelegentlich Geschenke mit Mitgliedern seiner Familie derart ausgetauscht, daß er ein erhaltenes Geschenk mit einem gleichartigen erwidert hat2, damit den Beschenkten auf die gleiche gesellschaftliche Ebene hebend. Insgesamt wird man all diese Maßnahmen als Versuche zu sehen haben, der Auflösimg der päpstlichen Familie in eine Anzahl von Unterfamilien entgegenzuwirken. Es waren bezeichnenderweise die beiden Mönchspäpste Benedikt und Urban, welche sich dabei hervortaten. Sonderlich erfolgreich scheinen sie nicht gewesen zu sein, ihre jeweiligen Nachfolger sind ihrem Beispiel jedenfalls nicht gefolgt. Die Tendenz zur Verrechtlichung Verständlicherweise tendierten die päpstlichen Famiiiaren dazu, den Vorzug, daß der Papst sie des persönlichen Umgangs würdigte, auch zum eigenen Vorteil zu nutzen. Daß sie erhebliche Vorteile bei der Versorgung mit Pfründen genossen, ist hinlänglich bekannt3, weitgehend unbeachtet geblieben ist, daß die Vorrechte der Famiiiaren auch in den päpstlichen Kanzleiregeln ihren Niederschlag gefunden haben4. Erstmals dort werden sie als eine separate, durch bestimmte Vorrechte von anderen unterschiedene Personengruppe benannt5. Zwar ist in den Kanzleiregeln diese Entwicklung erst nach Ausbruch des Schismas zum Tragen gekommen, indes ist hier wieder zu bedenken, daß die Aufnahme einer Formel in die Kanzleiregeln bedeutet, daß sie schon längere Zeit so oft gebraucht worden ist, daß sie zum festen Formularbestandteil geronnen ist. Im Laufe der Zeit erhielten die familiares pape - so der Terminus technicus - eine Fülle von Vorrechten verliehen, diese Privilegierung verlief parallel zu deijenigen der familiares cardinalium. Auch die von mir als Unterfamiiiaren bezeichneten Personen

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IE 307 f. lOlv von 1364 Juni 30. Diesmal betrugen die Kosten 166,6 fl. Welche Ämter wieviele Personen beisteuerten erfahrt man diesmal nicht. Die nächste Erneuerung bei SCHÄFER, V Q 6, S. 110 von 1364 Dez. 30, die nächste IE 311 f. 114r-v von 1365 Juni 27; dann wieder IE 318 f. 78v79r von 1365 Dez. 31 (ed. SCHÄFER, V Q 6, S. 154); IE 318 f. 91 Ν von 1366 Juni 26; IE 320 f. 54r von 1366 Dez. 24. Ζ. B. IE 318 f. 57v von 1365 Mai 31: Der päpstliche Edelknappe Bertrandus Amaldi schenkt dem Papst zwei Fässer Wein und erhält zwei Fässer zurück. Zu diesem Thema gibt es reichlich Literatur. Vgl. CAILLET, Papaute (für Johannes ΧΧΠ.), GUILLEMAIN, Politique (für Benedikt XU.), SCHMIDT, Benefizialpolitik (für Clemens VI., Innozenz VI. und Urban V.); HAYEZ, Reserves (für Urban V. und Gregor XL). Soweit ich sehe, hat lediglich HALLER, Papsttum und Kirchenreform, S. 140 mit Anm. 3, darauf hingewiesen. Bemerkenswert ist die Definition Bonifatius' IX. (OTTENTHAL, Regulae, S. 56 f., cap. 6 b):... quod beneficio ... gaudere non debeant nisi veri familiares sibi servientes et actu commensales et qui ratione officiorum suorum reputantur commensales... Von ihnen werden unterschieden: ....familiares non commensales, qui ratione officiorum suorum familiares sunt.

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sind den Kanzleiregeln bekannt; sie heißen dort familiar es familiarium. Auch sie erscheinen dort als Personengruppe mit eigenen Vorrechten, die allerdings weniger weit gehen als die für die beiden anderen Gruppen1. Zusammenfassung Unübersehbar hat das herkömmliche Modell geistlichen Zusammenlebens, die vita communis, auch den Avignoneser Päpsten als Ideal vorgeschwebt. Realisieren ließ es sich freilich nicht. Es war nicht einmal so sehr die zahlenmäßige Größe der Kurie, die dem entgegenstand, vielmehr machte sich hier die Zersetzung familiärer Sozialbeziehungen bemerkbar, die wieder eine Folge des Vordringens der Geldwirtschaft war. Entlohnung mit Geld statt mit Lebensmitteln einerseits, sowohl dienstrechtliche Privilegierung als auch Disziplinierung andererseits traten an die Stelle des herkömmlichen geistlichen Familienlebens, wo die Familienmitglieder idealerweise Unterhalt, Belohnung und Strafe von einem strengen, aber gerechten geistlichen Vater empfingen. Anders formuliert: Affektive Beziehungen wurden tendenziell durch rationale ersetzt. So sehr dies aus heutiger Perspektive als Fortschritt erscheinen mag, so offensichtlich sind auch die zeitgenössischen Bestrebungen, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Die Kurialen haben diese Lebensweise keineswegs aufgegeben, sie vielmehr allmählich an die Bedürfiiisse des Hofes angepaßt. Dies geschah durch eine stärkere Differenzierung innerhalb der päpstlichen Familie. Sie gliederte sich in eine Anzahl kleinerer Unterfamilien, denen jeweils ein höherer Amtsinhaber vorstand. Als innerster Kern konnte der Papst mit seinen Kaplänen ausgemacht werden, jener Kreis von Personen, mit denen er seit Benedikt XII. seine privaten Gottesdienste feierte und seine alltäglichen Mahlzeiten einzunehmen pflegte. Ergänzt wurde dieser Personenkreis mitunter durch weitere Personen, die das päpstliche Vertrauen in besonderem Maße genossen.

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Die Belege bei Ottenthal, Regulae, dort im Sachregister unter den Stichwörtern familiares pape, familiares cardinalium und familiares familiarium. Alle drei Gruppen tauchen erstmals unter Clemens VEL in den Kanzleiregeln auf.

VI,3. Die Hoffeste Feste Johannes' XXII. Als Höhepunkte höfischen Lebens gelten die Hoffeste, Gelegenheiten, bei denen sich der ganze Prunk eines Hofes entfalten konnte. Dies gilt allerdings primär für weltliche Höfe1, ob, wo und ab wann es an geistlichen ebenso war, bleibt zu klären. Große Erwartungen wird man in Johannes ΧΧΠ. - einen Papst, über dessen Sparsamkeit und enthaltsame Lebensführung durchaus Einigkeit besteht2 - in dieser Beziehung nicht setzen, und in der Tat bieten die Hauptbücher keine Anhaltspunkte für Feiern, die den großen Festen weltlicher Höfe zur Seite zu stellen wären. Zwei Ausnahmen gibt es allerdings: Die erste und wichtigste sind die vom Papst ausgerichteten Hochzeiten seiner Verwandten, der männlichen wie der weiblichen. Hier kommen die bereits erwähnten domine de genere pape ins Spiel, sie sind die Hauptbetroffenen bei den vom Papst vermittelten Eheschließungen. Es lassen sich hier mehrere große kostspielige Feste nachweisen; der sparsame Papst hat keine Kosten gescheut, um seine Verwandten an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Mitunter hat der Papst auch Anteil an Eheschließungen seiner Ritter genommen, indem er ihnen Geschenke übersandte3. Die zweite der erwähnten Ausnahmen, sind die Empfange, welche der Papst anläßlich des Besuchs einiger auswärtiger Fürsten veranstaltet hat. Wie ungewöhnlich diese Feste in den Augen der kurialen Verwaltung waren, mag man daran ermessen, daß sie die Kosten für diese Feste nicht in das übliche Schema der Hauptbücher zu integrieren wußte, sie vielmehr - besonders ausführlich - in Anhängen an die üblichen Titel verbucht hat4. Infolgedessen sind wir über Johannes' Feste außergewöhnlich gut informiert. Ich stelle zunächst die Hochzeiten, dann die anderen Feste in Regestenform zusammen: 1. 1317 vor Sept. 18/Bedarrides: Hochzeit von Amaldus de Ozia5 (nepos domini nostri) und Margarita de Insula (Quellen: Schäfer, VQ 2, S. 387 von 1317 Sept. 18 undS. 391 von 1317 Okt. 18).

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Einen Forschungsbericht bietet die Einleitung von W. PARAVICINI in dem Sammelband Alltag bei Hofe, S. 9 ff. Vgl. die Belegstellen bei GUILLEMAIN, Cour, S. 130 ff. So am 5. Sept. 1325: Geschenke für nobili domine Bernarde, uxori nobilis viri d. Guillelmi de Medullione, ... accessit ad dictum maritum suum (SCHÄFER, VQ 2, S. 477). Er ist seit 1326 Jan. 4 als päpstlicher Ritter (miles) nachweisbar (SCHÄFER, VQ 2, S. 582). Nr. 1 und 5, die beiden bescheidensten Hochzeiten, sind in den Hauptbüchern unter dem Titel extraordinaria gebucht worden, die Nm. 2A als Anhänge zu den Küchenausgaben. Für die Namensform „Eusa" tritt BALUZE/MOLLAT 2, S. 297 ein. In den Quellen selbst steht zumeist Ozia (so auch SCHÄFER, VQ 2, passim) seltener Dueza. So auch ALBE, Annales 7, S. 95 Anm. 2.

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2. 1323 April/Bedarrides1: Hochzeit von Raimund Iohannis2 (vir nobilis et domicellus pape) und Bernarda (mulier nobilis), Tochter des Petrus de Via (dominus nobilis, miles et nepos domini nostri) und seiner Frau Bernarda3 (Quellen: Schäfer, VQ 2, S. 76-78 und S. 430). 3. 1323 Dez. 22/Avignon und Bedarrides: Hochzeit von Petrus de Ozia (nobilis et magnißcus vir, vicecomes Caramanni), Bruder Johannes' XXII., und Brianda (domina nobilis), Schwester des Guillelmus Artaud (vir nobilis) (Quellen: Schäfer, VQ 2, S. 82 und S. 84-864 4. 1324 Nov. 22//« hospitio rev. Patris ac d. A(rnaldi) d. g. s. Eustachii diac. Card., nepotis domini nostri: Hochzeit von Johanna de Trianno, Tochter des Arnaldus de Trianno, des päpstlichen Justizmarschalls (vir nobilis), und Guiscardus de Pictavia (domicellus nobilis) (Quellen: Schäfer, VQ 2, S. 93-94, 464, 758). 5. 1329 Febr. 18-19/(Villeneuve5): Hochzeit von Constantia de Narbona (domina nobilis) und Arnaldus de Trianno. Von Constantia heißt es, daß sie de partibus suis venerat, pro contrahendo matrimonio cum magniftco viro Arnaldo de Trianno, marescallo Rom. curie, pape nepote (Quellen: Schäfer, VQ 2, S. 503). weitere Hoffeste: 6. 1320 Apr. 18/Sorgues: Besuch von Karl, Graf von Marche, Bruder König Philipps VI. von Frankreich, von Fürst Philipp von Tarent und von Johannes, Herzog von Durazzo und Bruder König Roberts von Neapel (Quellen: Schäfer, VQ 2, S. 405 f.). 7. 1321 Okt. 30 und 31/Sorgues: Besuch von König Robert von Neapel, von dessen Bruder Johannes, Herzog von Durazzo, und von Königin Maria von Neapel (Quellen: Schäfer, VQ 2, S. 426). 8. 1324 Jan. 16/Chäteauneuf-du-Pape und Sorgues: nobilis d. comitissa de Valesio et filia sua et d. Karoli de Francia, uxor d. ducis Calabrie1, venerunt de Francia et 1

In Castro Biturrite.

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Über ihn vgl. ALBE, Annales 7, S. 146 f. Er gehörte zu einer angesehenen Familie aus Cahors, Johannes' Heimatstadt, war Herr von Saint-Projet und von Roque-de-Loze. Unter Benedikt ΧΠ. sollte er den Hof verlassen, kehrte aber unter Clemens VI. zurück. Über sie vgl. ALBE, Annales 7, S. 119. Da die Hochzeit während des Advents stattfand, war ein Dispens nötig. Ein solcher wurde ausgestellt fur den Kardinal Gaucelmus Johannis, der die Trauung vornahm. Zitiert bei ALBE, Annales 7, S. 102 Anm. 2 nach dem Inhaltsverzeichnis von Reg. Aven. 21. Die Urkunde selbst ist demnach verloren. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 187 von 1329 Febr. 17-24, wo anläßlich Konstanzes Ankunft Heu nach Villeneuve geschafft wird. Von 1322-28 als Karl IV. selbst König von Frankreich.

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declinaverunt apud Castrum Novum et Castrum Pontis Sorgie ... ibifuerunt d. rex et d. regina Sicilie ... (Quellen, Schäfer VQ 2, S. 86 und 453). 9. 1324 Nov. 8/Sorgues: Besuch des Infanten Peter von Aragon (Quellen, Schäfer VQ 2, S. 92 f.; Finke, Acta 2, S. 800 f.). 10. 1326 Apr. 13: Ritterschlag des Franciscus Scotus de Placentia (Piacenza) durch Petrus de Ozia2 (Quellen, Schäfer, VQ 2, S. 97 f.). Organisation Für die Organisation der Feste lassen sich keine festen Regeln erkennen. Zuständig waren im Falle von Nr. 1 Guasbertus Rigaldus3, der Clavarius von Bedarrides, und der päpstliche Edelknappe Bertrandus Arnaldi, der den Titel eines Fourriers (forrerius) führte und unter Johannes für die Kleidereinkäufe und Verteilung der Wohnungen zu sorgen hatte4. Es teilten sich also der lokale päpstliche Beauftragte und ein Abgesandter aus Avignon die Verantwortung. Bei Nr. 2-4 scheinen Kämmerer und Thesaurar selbst die Gesamtleitung übernommen zu haben, die Hofamter waren involviert, soweit sie für Einkäufe und Lieferungen, die in ihre Ressorts fielen, nötig waren. Verbucht hat man die Kosten unter den Küchenausgaben, da dieses Amt am meisten betroffen war. Gut verfolgen läßt sich die Organisation von Nr. 8. Der Kämmerer hat die Aufgaben einerseits an verschiedene Funktionäre des Hofes, andererseits an die lokalen Amtsträger aufgeteilt So findet man den Clavarius von Bedarrides als Holzeinkäufer und Organisator der Brennholztransporte von Bedarrides nach Sorgues. Der Elemosinar beschaffte das nötige Brot; der Hofapotheker Iaquetus Melioris mußte Wachs und Honig besorgen, Guillelmus Martini, der Kücheneinkäufer hatte Obst zu beschaffen und für den Transport nach Chäteauneuf und Sorgues zu sorgen5. Schon fünf Tage vor Eintreffen der Gäste reisten Ademarus Amelii, einer der päpstlichen Thesaurare, und die vornehmsten Laien, Petrus de Ozia, Petrus de Via

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SCHÄFER, VQ 2, S. 86 Anm. 4: „Maria, Tochter des Herzogs Karl von Valois, heiratete um 1324 den Herzog Karl von Calabrien, Sohn König Roberts von Neapel-Sizilien." Vgl. dazu BÖNINGER, Ritterwürde, S. 128 f. Demnach ist die von SCHÄFER edierte Liste der päpstlichen Geschenke „eine der komplettesten ihrer Art". Böninger setzt wie selbstverständlich voraus, dieser Ritterschlag habe in Italien stattgefunden. Dies ist aber höchst unwahrscheinlich. Überliefert ist die Quelle als Eintrag in den Kammerhauptbüchern von Avignon, und nichts deutet darauf hin, daß man den aufgewandten Betrag nach Italien überwiesen hätte. Auch ist Francesco Scotti, wie Böninger selbst bemerkt hat, im Juni 1326 auch als Empfanger von Papsturkunden in Avignon nachweisbar.

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Über ihn vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 276.

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Über ihn vgl. SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 9 6 und 6 0 4 . Der Transport ging α domo (in Avignon) usque ad navigium et a navigio usque ad Castrum Novum et a C. N. usque adPontem Sorgie..., zit. nach SCHÄFER, VQ 2, S. 89.

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und Bernardus de Insula, nach Chateauneuf, um die dortigen Arbeiten zu überwachen und das Empfangskomitee zu bilden. Die Arbeiten konnten durch das Personal der Kurie allein nicht bewältigt werden; man hat daher eine größere Zahl von Tagelöhnern eingestellt: allein 90 Tagessätze1 hat die Kammer für das Reinigen der Räume in Sorgues und die nötigen Transporte von Holz, Wein, Wasser etc. bezahlt. Aber auch Fachkräfte wie carratarii (Wagenführer, Spediteure) und saumerii (Esel-, Lasttiertreiber) waren anzuwerben. Verantwortlich für die Bewirtung war in Nr. 6 und Nr. 7 der Kücheneinkäufer Guillelmus Martini, in Nr. 9 der schon genannte Fourier Bertrandus Arnaldi. Aufwand Der Aufwand, der für die Hochzeitsfeste getrieben wurde, war beträchtlich. Bei Nr. 1 wurden nicht nur so große Mengen an Schlachttieren, Fischen, Käse etc. eingekauft, daß drei Köche2 und mehrere Metzger nötig waren, um sie zu verarbeiten, sondern man hat auch über 90 Pfund Spezereien eingekauft, die teils als Zutaten zum Kochen, teils zur Zubereitung von Konfekt dienten. Als besondere Delikatesse hatte man exotische Vögel aus Übersee angeschafft, die mit eigens gekauften Mandeln gefüttert werden mußten. Um das Essen zuzubereiten, kaufte man zwei Kessel und einen großen neunzehnpfündigen Metalltopf, einen Bratrost, zwei Pfannen, zwei Dreifüße und noch anderes Küchengerät mehr, das der Mutter der Braut verblieb. Auch an Hochzeitsgeschenken wurde nicht gespart; erwähnt seien zwei goldene mit Perlen und kostbaren Steinen besetzte Kronen, die wohl von den Brautleuten getragen werden sollten3. Insgesamt beliefen sich die Kosten für Speisen, Bewirtung und Getränke auf 395 fl.4; für die Hochzeitsgeschenke waren 562 fl. zu bezahlen5. Noch aufwendiger war Nr. 2: die vergleichbaren Kosten beliefen sich diesmal auf 935 fl. Allein 17 Köche mußten diesmal angestellt werden6. Die Einkäufe im einzelnen sollen hier nicht aufgezählt werden, ich greife nur einige charakteristische Details heraus. Bei den Fleischeinkäufen stehen acht Ochsen, acht Kälbern und 59 Rehbökken nur zwei Schweine gegenüber: auch hier macht sich die bereits bemerkte soziale Differenzierung anhand der Fleischsorten bemerkbar. Bei Feiern des Adels wurde Rindfleisch und Wildbret serviert, die Schweine dürfte man dem Personal vorgesetzt haben. In Nr. 6 werden bei den Fleischeinkäufern - als besondere Delikatesse porcelli de lacte (Spanferkel) erwähnt.

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Zu je 2 sol. vien. (= 0,09 £1.). Zu Vergleich: ein Brot wurde bei der gleichen Gelegenheit mit 2 den. vien. in Rechnung gestellt. Sie erhielten 40 sol. vien. Die eine kostete 150 fl., die andere 78 fl. (SCHÄFER, VQ 2, S. 391). Hinzu kamen 562 fl. für Hochzeitsgeschenke. SCHÄFER, VQ 2, S. 387 (Ausgaben für Lebensmittel) und S. 391 (Ausgaben für Geschenke). Die Kosten wurde beide Male unter extraordinaria gebucht. Dabei sind die Geschenke für die Brautmutter (SCHÄFER, VQ 2, S. 390 und 391) nicht mitgerechnet. Für einen Tagelohn von 10 sol. vien.

Die Hoffeste

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Was die Ausstattung der Tafel mit Geschirr betrifft, so benötigte man für Nr. 2 allein 250 Salzstreuer, außerdem Schüsseln, Teller, Becher, gläserne und irdene Gefäße, Körbe, Holzzuber, Krüge, Kufen und Löffel. Man erfahrt leider nur ausnahmsweise, aus welchem Material das Geschirr bestand. Überraschenderweise hat man die genannten Geräte nicht etwa gekauft, sondern vielmehr gemietet: offensichtlich gab es vor Ort Verleiher, welche die nötigen Mengen vorrätig hatten. Für insgesamt 7700 Einzelstücke hat die Kammer 20 üb. 13 sol. 6 den. vien. (= 19,7 fl.) bezahlt. Genauso ist sie auch bei Nr. 3, Nr. 6 und bei Nr. 8 vorgegangen. Bei Nr. 3 erfahrt man, daß dem Verleiher das abhanden gekommene Geschirr ersetzt werden mußte; so mancher Gast hat sich ein Andenken mitgenommen. Kostbares Geschirr aus Silber und Gold wird unter den Einkäufen nicht erwähnt; hier hat der Papst wohl auf die Bestände seines Schatzes zurückgegriffen. Wieder erne Steigerung der Kosten brachte Nr. 3: diesmal waren 1600 fl. nötig1, während sich die Kosten für Nr. 4 auf nur auf 891 fl. belaufen2. Die Raumprobleme, welche eine solche Festlichkeit bereitete, ersieht man daraus, daß bei der dritten Hochzeit das Gefolge der Braut in Bedarrides untergebracht werden mußte, die Hochzeit selbst aber in Avignon stattfand. Die Köche werden diesmal namentlich genannt3, und als Meisterköche (magistri coqui) von den Küchenjungen (vailetis) unterschieden. Ahnliches läßt sich bei Nr. 8 beobachten: hier stehen den drei Meisterköchen acht Unterköche (brodarii) gegenüber. Unter den Köchen von Nr. 3 war ein gewisser Symon, der als Koch des Kardinals Petrus Rogerii bezeichnet wird, man kann daraus folgern, daß für derartige Gelegenheiten Personal aus den Kardinalshaushalten beim Papst aushalf. Die Feier von Nr. 3 fand im hospitium cardinalis statt, damit dürfte der sogenannte „kleine Palast" gemeint sein, also das Haus des Kardinalnepoten Amaldus de Via, das später von der Kurie angekauft worden ist, um als Bischofspalast zu dienen4. In ihm sollte dann auch die vierte Hochzeit stattfinden5. Die Räumlichkeiten reichten bei weitem nicht aus; es mußten größere Mengen Holz und 7000 Ziegel gekauft werden, um coquine et dressatoria sowohl außer- wie innerhalb dieses Hauses zu errichten6. Auch Nr. 5 fand im Haus des Kardinalnepoten statt, indes in einem insgesamt erheblich kleineren Rahmen: die Kosten beliefen sich auf nur 284 fl.7 1

2

Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 86 mit Anm. 3. Diesmal sind allerdings die Hochzeitsgeschenke, darunter eine goldene Krone im Werte von 170 fl., bereits Inbegriffen (SCHÄFER, VQ 2, S. 86). Nur die Bewirtungskosten (SCHÄFER, VQ 2, S. 93 f.); hinzu kommen Hochzeitsgeschenke (SCHÄFER, V Q 2 , S. 4 6 4 u n d 7 5 8 ) .

3

4 5 6 7

Philippe de Meldis ...et Symone, coquo domini Rothomagensis, Iohanne Borgundi, Iohanne Gaudini et Guill'o Britoni (SCHÄFER, VQ 2, S. 85). Vgl. Kap. ΙΠ,2. SCHÄFER, VQ 2, S. 93: in hospitio rev. patris ac d. A(maldi) ... nepotis domini nostri... SCHÄFER, VQ 2, S. 85 (Nr. 3) ähnlich S. 93 f. (Nr. 4). Es sei angemerkt, daß immer nur von den Kosten die Rede ist, welche die jeweilige Hochzeit dem Papst bereitete und die somit in den Hauptbüchern aktenkundig geworden sind. Inwieweit weitere Gelder evt. von anderen Beteiligten aufgebracht worden sind, muß offenbleiben.

286

Höfisches Leben

Anlaß von Nr. 8 war die Hochzeit von Maria von Valois mit Karl von Kalabrien, eine Eheverbindung, welche die traditionell guten Beziehungen zwischen dem französischen und neapoletanischen Königshaus weiter verbessern sollte, eine Verbindung, an der Johannes XXII. reges Interesse nahm. Die zu ihren Eltern in die Provence zurückkehrende Maria sollte daher mit allem Prunk gefeiert werden. Die Kosten erreichen daher eine ähnliche Höhe wie bei den Hochzeitsfeiem, nämlich 915 fl. Die Gesamtkosten von Nr. 6 beliefen sich auf 195 fl., von Nr. 7 auf 211 fl., von Nr. 9 auf 202 fl.; sie fielen also finanziell weniger ins Gewicht als die Hochzeitsfeste. Vom Aufwand her ähnlich kostspielig (603 fl.) wie die Hochzeiten war auch Nr. 10, die Feier des Ritterschlages eines italienischen Adligen, ein völlig aus dem Rahmen fallendes Ereignis. Dabei verdient hervorgehoben zu werden, daß es nicht etwa der Papst oder auch nur ein Kleriker war, der den Franciscus Scottus decoravit insigniis militaribus, es war vielmehr der schon mehrfach genannte Vizegraf Petrus de Ozia, den Johannes einst selbst zum Ritter hatte erheben lassen1. Wie stark die genannten Summen ins Gewicht fielen kann man daran ermessen, daß die durchschnittlichen Jahresausgaben für die Küche unter Johannes 4635 fl. betragen haben.

Köche und Pastetenmacher Mehrfach wird in den Abrechnungen von Nr. 2 unterschieden nach Einkäufen tarn pro coquina tarn pro entremes. Ahnlich hat man in Nr. 3 festgehalten, daß die Köche für cibaria prefer entremets zuständig waren. Unter entremes, sie werden auch intermissi2genaxmt, sind kleinere Gerichte zu verstehen, die zwischen den Hauptgängen serviert wurden. Diese Zwischengerichte bestanden aus 3250 pastille et tartre - darunter sind kleine Pasteten3 und kleine Kuchen zu verstehen -, außerdem wurden 8 große Torten hergestellt. Aus der Zeit Clemens VI. erfahrt man, daß als Zutaten zu den Kuchen Käse, Eier, Äpfel und Birnen nötig waren4. An Zutaten für die entremes werden Eier, Speck, Schweinebauch, Kapaune, Gewürze und Mehl genannt, in Nr. 3 auch Fasane, Pfauen, Kaninchen, Krammetsvögel, Turteltauben, Tauben, Orangen, sowie campanellae et quadam vulpe5. Dazu kommen an Spezereien: Rosinen, Piniennüsse, Kräuter und Zucker6. Bei den Zwischengerichten handelte es sich also nur 1

Über päpstliche Rittererhebungen vgl. BÖNINGER, Ritterwürde, S. 118 ff., speziell über die der Avignoneser Päpste S. 126 ff. Demnach sind solche erstmals unter Bonifaz VIII. nachweisbar, der möglicherweise auch Besitzer einer Handschrift war, welche einen eigenen Ordo für Rittererhebungen enthält. Vgl. ELZE, Königskrönung, S. 333, Edition des Ordos, S. 342. Weit ausfuhrlicher ist der Ordo De benedictione novi milites im Pontifikale des Guillelmus Durandus (ed. ANDRIEU, Pontifical 3, S. 447 ff.), das am Hof in Avignon in Gebrauch war.

2

S o b e i N r . 8 (SCHÄFER, V Q 2 , S . 8 8 m i t A n m . 1).

3

Pastilla ist Diminutiv von pasta, also wörtlich mit „Pastetchen" zu übersetzen.

4

SCHÄFER, VQ 3, S. 187 f. von 1342 Juni 19.

5

Evt. Fuchsfleisch? Auch unter den Lebensmitteleinkäufen für das Krönungsmahl Innozenz' VI. sind Ausgaben pro 4 vulpibus (ed. GUIDI, Coronazione, S. 580) verzeichnet. Racemis, pinulis, festucis, zucara et rebus aliis positis in dicto entremes (SCHÄFER, VQ 2, S. 85).

6

Die Hoffeste

287

teilweise um Kuchen und Süßspeisen, man hat sich darunter vor allem Pasteten mit verschiedenen Füllungen vorzustellen. Aus späterer Zeit, vom Krönungsmahl Innozenz' VI. sind eine ganze Reihe verschiedener Pastetensorten verzeichnet: Da gab es welche, die mit dem Fleisch von Kapaunen, von Hühnern, von Tauben und von Kälbern gefüllt waren. Außerdem gab es solche mit einer Füllung aus Käse und aus einer Milchspeise. Damit ist die Liste der Zutaten bei weitem nicht erschöpft. Auch eine Vielzahl von Spezereien ist für die Pasteten verwandt worden. Genannt werden Ingwer, Pfeffer, Zimt, Mastix, Kubeben, Safran, Muskatnuß, Gewürznelke, Paradiesäpfel, Zucker, Honig, Feigen, Rosinen, Datteln, Zitronen, Dill und Kampfer1. Die Zubereitung der Zwischengerichte oblag zwei speziellen Fachkräften2, Parizoto und Nicholao de Tornayo; sie werden nicht als Köche, sondern als pasticerir" bezeichnet. Nicholao de Tornayo tritt auch in Nr. 3 wieder auf, abermals als Hersteller von Pasteten und Torten. Besonders hervorgehoben werden seine flores de pasta et farina, vielleicht Pasteten, die er in Form von Blumen gebacken hat. Abermals trift man ihn in Nr. 8, wieder zusammen mit Parizotus, diesmal als Hersteller von 1325 Pasteten und Törtchen; nebenbei erfahrt man, daß die schon erwähnten entremets mit Blumen geschmückt serviert worden sind4. In Nr. 6 werden dann erstmals placente (kleine Kuchen) erwähnt. Auch bei dem erwähnten Krönungsmahl Innozenz' VI. sind die Pastetenmachen separat von den Köchen entlohnt worden. In der Differenzierung von Köchen und Pastetenmachern zeigt sich ein erster Schritt zur beginnenden Spezialisierung auf dem Gebiete des Kochkunst. Die Rolle der Damen5 Überblickt man die Personen, für die der Papst die Hochzeiten ausrichtete, erhält man eine zahlenmäßig kleine Personengruppe - sowohl Männer als auch Frauen - , die etwas näher ins Auge gefaßt werden muß. Bei den Damen, deren Hochzeit Johannes ausrichtete, handelt es sich größtenteils um dieselben, welche er zu Weihnachten und zu Ostern zu beschenken pflegte, und zwar immerhin mit den gleichen Geschenken wie die Kardinäle. Anfangs werden die Damen in den Hauptbüchern einfach als dominabus (sie) bezeichnet6, dann als sorori et neptibus d. nostrf oder als dominabus

videlicet sororibus ...et neptibus8, um dann schließlich, ab dem zehnten Pontifikatsjahr (1325/26), gelegentlich auch mit Namen genannt zu werden9. 1 2 3

4

Pro ΙΓ (pastillis) aurellis et lactatis de pasta.... Zit. nach GUIDI, Coronazione, S. 580. Einmal wird das salarium magistrorum dati (hier ist dicti zu lesen) entremes erwähnt. SCHÄFER übersetzt „Pastetenbäcker, Konditor". Dies folgere ich daraus, daß sie auch pro 1000 floribus pro entremets abgerechnet haben (SCHÄFER, V Q 2 , S. 8 7 ) .

5

Eine Kurzfassung dieses Kapitels findet man in WEIß, Rolle, S. 401 ff.

6

SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 4 v o n 1 3 1 8 D e z . 2 9 .

7

SCHÄFER, V Q 2 , S . 5 8 v o n 1 3 2 0 D e z . 2 8 .

8

SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 7 v o n 1 3 2 1 A p r . 2 4 .

9

SCHÄFER, V Q 2, S. 95 f. Ich folge den Identifikationen bei SCHÄFER, V Q 2, S. 96 Anm. 1-6. Vgl.

auch die genealogische Tafel der Familie Duese bei

BALUZE/MOLLAT 2 ,

Appendice

Π

und

288

Höfisches Leben

Die erste ist Brianda Artaud1, seit dem 22. Dez. 1323 Gattin des Petrus de Ozia (siehe oben Nr. 3)2, des zweiten Bruders Johannes' XXII. Für Petrus war es die dritte Ehe. Sie wird meist als vicecomitissa bezeichnet: ihr Mann, Petrus de Ozia3, hatte die Vizegrafschaft Caraman4 im Jahre 1321 auf Anordnung des Papstes aus Mitteln der Kammer erworben5. Ihr Bruder, Guillelmus Artaud, ist als miles des Papstes nachweisbar6. Es folgt Margarita de Insula7, seit 1317 Gattin des Arnaldus de Ozia8 (siehe oben Nr. 1), der wiederum der Sohn des genannten Petrus de Ozia war, womit Arnaldus ein Neffe Johannes' XXII. ist. Vater von Margarita war Jordanus, dominus de Insula9, er kam 1323 in Paris ums Leben10. Sein Bruder, der Onkel Margaritas, erhielt Geschenke des Papstes11 und ist als dessen Edelknappe belegt12. Ihre Mutter hieß ebenfalls Margarita, sie erhielt mehrfach Geschenke des Papstes übersandt13.

Cour, Note 3 3 4 (zwischen S. 1 5 6 und 157). Zum folgenden vgl. auch GUILLEMAIN, Cour, S. 157 f. und WEAKLAND, John ΧΧΠ, S. 174 ff. Über Brianda vgl. ALBE, Annales 7, S. 101 f. Ab 1326 Witwe des Petrus de Ozia. Petrus starb am 26. Nov. 1326 (SCHÄFER, VQ 2, S. 747 f.). Die Kosten für das sehr aufwendige Begräbnis trug die Kammer. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 479. Ober ihn vgl. BALUZE/MOLLAT 2, S. 297 und vor allem ALBE, Annales 7, S. 95 ff. Am Morgen von Johannes' Krönung war er vom französischen König zum Ritter geschlagen worden. Albe zitiert Briefe Johannes' an den König, wo er seinen Bruder entschuldigt, daß dieser seinen Pflichten als Vasall nicht nachkommen könne. In der Diözese Toulouse, Dep. Haute-Garonne. Vgl. BALUZE/MOLLAT 2, S. 420. Demnach hat Philipp IV. bei dieser Gelegenheit Caraman als besonderer Gnadenerweis von der Baronie zur Grafschaft erhoben. SCHÄFER, VQ 2, S. 817, über weitere Landkäufe in der Gascogne vgl. ALBE, Annales 7, S. 97. GUILLEMAIN,

1 2

3

4

5 6

SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 7 8 v o n 1 3 2 4 A p r . 2 8 .

7

Vgl. COULON n. 2 3 0 3 von 1 3 2 4 Dez. 13 (Indulgenz in articulo mortis für Margarete) Über ihn vgl. ALBE, Annales 7 , S. 1 0 2 ff.; BALUZE/MOLLAT 2 , S. 2 9 7 . .Dort werden Briefe des Infanten Peter von Aragon an Arnold de Ozia erwähnt. Der Plan einer Heiratsverbindung der Tochter des Arnald mit einem Sohn des aragonesischen Infanten ergibt sich aus FINKE, Acta 1, S. 213. Im Januar 1324 wurde Arnaldus vom Papst zusammen mit seinem Vater nach Toulouse gesandt, wo er mit dem französischen und dem böhmischen König zusammentraf und vom französischen zum Ritter geschlagen wurde (SCHÄFER, VQ 2, S. 818). SCHÄFER, V Q 2 , S. 2 0 4 Anm. 1. MOLLAT identifiziert diesen Ort im Register der Lettres communes als L'Isle-Jourdain, Gers). Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 87 Anm. 4. Details gibt der Bericht des aragonesischen Gesandten, ed. FINKE, Acta 1, S. 489 n. 326. Vgl. auch COULON n. 1588 von 1323 Jan. 10, n. 1596 von 1323 Febr. 4 und η 1641-1648 alle von 1323 März 23. In COULON n. 1641 nennt Johannes ihn: miles, familiaris noster. SCHÄFER, VQ 2,233 von 1330 Febr. 1 und S. 816 f. von 1320 Sept. 15. SCHÄFER, V Q 2 , S. 5 7 6 von 1 3 2 3 Juli 2 3 , vgl. auch COULON n. 5 4 3 4 von 1 3 3 4 März 1 6 , wo er ihn ermähnt, seinen Sohn besser zu behandeln.

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9

10

11 12

13

SCHÄFER, V Q 2 , S. 3 9 0 m i t A n m . 4 ; vgl. a u c h SCHÄFER, V Q 2 , S. 3 9 1 v o n 1 3 1 7 O k t . 18 u n d D e z .

29.

Die Hoffeste

289

Die dritte ist Hugua de Trianno1, sie war die jüngere Schwester Johannes' XXII. Ihr Mann, Guillelmus de Trianno, Bürger von Cahors2, war anscheinend zu Beginn von Johannes' Pontifikat bereits verstorben. Von ihrem Bruder erhielt sie mehrere Urkunden, darunter das Recht, den Beichtvater zu wählen3 und einen Tragaltar zu benutzen4. Sie war die Mutter von Amaldus de Trianno; sie überlebte ihren Bruder, noch 1334 wird sie in den Hauptbüchern genannt5. Als vierte ist Constantia de Narbona (Narbonne) zu nennen, sie hat im Februar 1329 Amaldus de Trianno, den Justizmarschall der Kurie, geheiratet (siehe oben Nr. 5). Dessen Mutter wiederum war die schon genannte Hugua de Trianno, womit auch Amaldus ein Neffe des Papstes ist. Eine Tochter des Amaldus de Trianno aus einer früheren Ehe, Johanna, hatte schon 1324 Guiscardus de Pictavia geheiratet (Nr. 4). Diese beiden lebten dann in Baysium6; dorthin sandte Johannes 1330 seinen Leibarzt, Bemardus de Camiaco, als Johanna erkrankt war7. Die fünfte ist die domina de Via, deren Vorname in den Hauptbüchern nicht genannt wird, man erfahrt aus den Registern, daß sie Bemarda hieß. Sie war die Gattin des Petrus de Via, eines Neffen Johannes XXII., Sohn von Petrus de Via und Maria de Ozia, diese eine jüngere Schwester Johannes' XXII.8. Diese Bernarda de Via hatte eine Tochter, ebenfalls mit Namen Bernarda; diese heiratete 1323 den Raimund Johannis, einen Edelknappen des Papstes (siehe oben Nr. 2). Er war der Sohn des Guilhalmonis, Ritter von Caturcinum9 (einer Vorstadt von Cahors). Als sechste schließlich muß Bernarda erwähnt werden, diesmal eine Nichte Johanns XXII., Tochter des Guillelmus de Trianno und der Hugua de Ozia (der Schwester Johannes XXII.). Sie war vermählt mit Hugo de Cardalhaco10, Abkömmling einer der angesehensten Familien des Quercy11. Auch er war Lehnsmann des französischen Königs.

1

Vgl. ALBE, Annales 7, S. 107.

2

Nach BALUZE/MOLLAT, Appendice Π, war er zudem „coseigneur de Crayssac pres Luzech"; dazu vgl. auch ALBE, Annales 7, S. 108; ansonsten vgl. noch WEAKLAND, John ΧΧΠ, S. 162.

3

Vgl. ALBE, Annales 7, S. 107.

4

MOLLAT, Lettres communes η. 14561 von 1321 Okt. 15.

5

SCHÄFER, V Q 2 , S . 121.

6

Nach SCHÄFER,

7

SCHÄFER, V Q 2 , S . 5 2 7 v o n 1 3 3 0 A u g . 9.

V Q 2,

Register: Ortschaft bei Avignon.

8

Vgl. WEAKLAND, John ΧΧΠ, S. 176.

9

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S. 2 1 7 ANM. 1.

10

Ober ihn vgl. ALBE, Annales 7, S. 289 ff. Er wird einmal als dominus de Berengis (Brengues) bezeichnet (SCHÄFER, VQ 2, S. 819, vgl. ALBE, Annales 7, S. 291). Vgl. auch Johannes Urkunde von 1320 Jan. 13 (Reg. Vat 70 n. 478 zit. bei ALBE, Annales 7, S. 291 Anm. 3). Ein Verwandter von ihm, Bertrand de Cardalhaco, ein Ritter (über ihn vgl. ALBE, Annales 7, S. 303 ff.), hatte das Amt eines magister hostiarium militium inne (SCHÄFER, VQ 2, S. 550 mit Anm. 5). Ein anderer, ebenfalls mit Namen Bertrand, wurde von Johannes zum Bischof von Cahors erhoben (vgl. ALBE, Annales 7, S. 293 ff.). Vgl. ALBE, Annales 7, S. 287 ff. Sein Vater Marquesius war Herr von Foissac in der Rouergue und von Montpezat im Quercy.

11

290

Höfisches Leben

Zwei der genannten Damen, Hugua de Trianno und Bernarda de Cardalhaco waren Verwandte Johannes' XXII., die vier anderen Damen Ehefrauen von Verwandten des Papstes; diese bekleideten wieder wichtige Vertrauensstellungen bei Hofe. Die Übereinstimmung mit den vom Papst ausgerichteten Hochzeiten ist evident; der Papst war sichtlich bestrebt, seine Verwandten mit passenden Ehepartnern versorgen. Die Ehemänner Als marescallus iustitiae1 war Arnaldus de Trianno2 der höchststehende Laie am päpstlichen Hofe, er hatte zudem den Rang eines miles domini pape3, also eines zum Ritter geschlagenen Adligen4; seit 1321 ist er auch als Rektor der Grafschaft Venaissin nachweisbar5, ein Amt, welches er dann während Johannes' gesamten Pontifikat innehaben sollte6. König Philipp VI. verlieh ihm Renten des großen Lehens von Aunis und übertrug ihm die Herrschaft von Castelnau de Montmirail7. Für seine Besitztümer in Bari war er zugleich auch Lehnsmann König Roberts von Neapel8. Nach dem Tod seiner ersten Frau übernahm die Kammer die Begräbniskosten10 und ebenso die Ausgaben für seine zweite Eheschließung11. Die Hochzeit seiner Tochter aus erster Ehe, Johanna12, hat der Papst finanziert (Nr. 4). Petrus de Ozia, der Bruder Johannes', ist mit Hilfe seines Bruders erst zum Ritter13, dann bis zum Vizegrafen aufgestiegen; die Miete für sein Haus in Avignon wur-

1

2

3

Er hatte dieses Amt vom Beginn von Johannes' Pontifikat an inne (vgl. SCHÄFER, V Q 2 , S . 5 5 0 mit Anm. 4 , ALBE, Annales 7 , S . 1 0 8 f.). Er ist nicht mit den marescalli, den Beamten des päpstlichen Marstalls zu verwechseln. Über den Justizmarschall vgl. Kap. ΠΙ,2. Über ihn vgl. vor allem ALBE, Annales, 7, S. 107 ff.; auch SCHÄFER, VQ 2, S. 198 Anm. 6, sowie GUILLEMAIN, Cour, S . 4 3 4 ff. SCHÄFER, VQ 2, S . 198. Er war vorher Ritter König Roberts von Neapel gewesen. Auch hier dürfte der Einfluß seines Onkels eine Rolle gespielt haben (vgl. ALBE, Annales 7, S. 109).

4

V g l . SCHÄFER, V Q 2 , S . 1 9 7 A n m . 3.

5

SCHÄFER, V Q 2 , S . 6 2 6 f. von 1 3 2 1 Juli 2 9 . Ernennungsschreiben bei COULON n. 1 2 9 . Er hat ein nicht ganz einwandfreies Andenken hinterlassen. Vgl. SCHIMMELPFENNIG, Zisteizienserideal, S. 24 f. Vgl. ALBE, Annales 7, S . 109. Er wird seither dominus Castri Novi de Monte Mirabili genannt

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(SCHÄFER, V Q 2 , S . 8 1 9 v o n 1 3 2 7 M a i 2 9 ) . 8

9

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13

Annales 7 , S . 1 1 0 . Marie de Amerusio, Tochter des Buonamiro von Bari. Er hatte sie geheiratet, als er noch in Diensten Roberts von Neapel stand. Vgl. ALBE, Annales 7, S. 110. 1328 Sept. 1, der Eintrag fehlt bei SCHÄFER, V Q 2, zit. bei ALBE, Annales 7 , S. 110 Anm. 5 nach Reg. Aven. 33 f. 503. Siehe oben. Am 10. Apr. 1331 huldigte er zusammen mit Petrus de Via und Arnaldus de Trianno den Prinzessinnen Johanna und Maria, Enkelinnen König Roberts, für seine Lehen in der Provence (ALBANES, GCN 7, S. 956 n. 5945). Vgl. auch ALBE, Annales 7, S. 111 f. Vgl. SCHÄFER, VQ 2, S. 197 von 1316 Dez. 11, auch BÖNINGER, Ritterwürde, S . 127 mit Anm. 4 1 . ALBE,

Die Hoffeste

291

de von der Kammer gezahlt1, Anzeichen genug für ein besonderes Vertrauensverhältnis. Petrus und nach ihm sein Sohn Arnaldus haben außerdem ein Zimmer im Palast selbst zu ihrer eigenen Verfügung gehabt2. Zudem erhielt Petrus ein hohes Jahresgehalt3. Wie sein Vater hatte auch Arnaldus de Ozia eine sehr einflußreiche Stellung bei Hofe; er war sogar bei Audienzen anwesend, welche Johannes den Gesandten auswärtiger Herrscher gewährte4. Der Papst selbst bemühte sich beim französischen König um Arnalds Ritterschlag5. Sein Sohn, er hieß ebenfalls Arnaldus, wurde für die geistliche Laufbahn bestimmt und von seinem Onkel Johannes mit reichen Pfründen versehen6. Neben seinem Zimmer im Palast hatte er auch ein Haus in Avignon7, wo seine Familie untergebracht war. Auf Petrus de Via8 beziehen sich zahlreiche Einträge in den Kammerakten, charakteristisch für seine Stellung ist, daß mitunter er es war, der entscheidenden Einfluß auf die Möglichkeiten des Zugangs zum Papst hatte9. Ohne ein offizielles Amt in der Finanzverwaltung zu bekleiden, hat er zahlreiche Transaktionen für die Kammer durchgeführt. Insbesondere vertrauliche Zahlungen gingen durch seine Hände; es wurden ihm mehrfach Gelder übergeben ex certis causis, quas exprimere non debebant10. Speziell für die Küche organisierte er die jährlichen Fischeinkäufe in La Rochelle11. Anders als andere hohe Funktionäre der Kurie erhielt er keine Mietzuschüsse, wahrscheinlich weil er seinen Hauptwohnsitz in einer der päpstlichen Nebenresidenzen hatte. Auch bezog er ein hohes Jahresgehalt12. Von Anfang an hat er ein Zimmer

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3 4

SCHÄFER, VQ 2, S. 610. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 2, S. 453, wo man erfährt, daß Petrus und Arnaldus eigene administratores hospitii hatten. Die camera domini vicecomitis (ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 35 von 1323 Dez. 18 und SCHÄFER VQ 2, S. 304 von 1329 Nov. 12). Bereits 1317 werden Bauarbeiten vor der camera domini Petri Deusa erwähnt (ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 8 von 1317 Okt. 8). 525 fl. 4 sol. 2 den. ob. vien. (SCHÄFER, VQ 2, S. 572 von 1320/21). Vgl. FINKE, Acta 2, S. 806 n. 503 und S. 813 n. 506.

5

COULON

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ALBE, Annales 7, S. 106.

7

Vgl. HAYEZ, Livrees, Teil 1, S. 106. Das Haus lag nahe der „porte Aiguiere", also in der Nähe der Brücke.

n. 1371 von 1322 Febr. 8.

8

Vgl. ALBE, Annales 7, S. 113 ff.

9

Vgl. FINKE, Acta 1, S. 380 n. 258, Bericht des aragonesischen Gesandten von (1326) Sept. 29: Post hec procuravi oportune et importune tarn cum dominis Neapoleone predicto et Sabinensi cardinalibus nec non et dominis P. de Via et Amaldo de Osia domini pape nepotibus habere ingressum ad huiusmodi litteras presentandas eidem domino pape; cui per ministerium dicti domini Arnaldi, qui michi ingressum prebuit, huiusmodi litteras presentavi. Ahnlich FINKE, Acta 2, n. 500 von (1323) Apr. 16: Et vocavit (Johannes) dominum Petrum de Via, qui erat in capite camere, dicens sibi: Quando iste ambaxiator voluerit ad nos intrare, introducatis eum ad nos!" SCHÄFER, VQ 2, S. 405 von 1320 Febr. 18 und öfter, vgl. auch ALBE, Annales 7, S. 118 f. Siehe Kap. Vm,5. Es betrug 525 fl. 4 sol. 2 den. ob. vien. (SCHÄFER, VQ 2, S. 572 von 1320/21).

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292

Höfisches Leben

im Palast gehabt1; anscheinend lag es direkt neben dem des Papstes2. Wie Arnaldus de Trianno war auch Petrus Lehnsmann des französischen Königs und erhielt von diesem eine Pension3. Auch an anderen Höfen schätzte man den Einfluß dieser Laien bei Johannes XXII. hoch ein. So gab etwa König Jakob II. von Aragon in den Jahren 1324-25 seinem Beauftragten Empfehlungsschreiben an mehrere Kardinäle, aber auch an Petrus de Via, Arnaldus de Ozia und Arnaldus de Trianno mit4. Obwohl die genannten Männer über eigene Räume im Palast verfugten und sie sich - schon um ihre amtlichen Pflichten zu erfüllen - häufig dort aufhalten mußten, waren diese camere doch keineswegs ihr Hauptwohnsitz. Der Grund liegt nahe: Ihre Ehefrauen konnten sich dort nicht aufhalten, ohne Anstoß zu erregen; die zeitgenössischen Hofordnungen verbieten den Aufenthalt von Frauen an der Kurie ausdrücklich. Man hat sie vielmehr in den päpstlichen Nebenresidenzen einquartiert5. Zwei der Damen, Brianda de Ozia und Margarita de Insula, bezogen 1325 hospitia separata6. Brianda ist wahrscheinlich in das Haus gezogen, welches ihr Mann in Avignon gemietet hatte7. Gleichwohl hat Johannes ihnen weiterhin zu Weihnachten und Ostern die gewohnten Lebensmittelgeschenke übersandt. Zusammenfassung Zusammengenommen zeigen die genannten Details, daß es am päpstlichen Hofe unter Johannes XXII. neben der klerikalen auch eine weltliche Oberschicht gab. Überhaupt übte die Kurie in dieser Zeit nicht nur auf Kleriker, sondern auch auf Laien, genauer: den ritterlichen Adel, beträchtliche Anziehungskraft aus. Zu dieser Zeit war das Papsttum kriegführende Macht: der Kirchenstaat sollte unterworfen werden, und so herrschte in Avignon ein großer Bedarf an Soldrittern. Im Dienste des Papstes waren ebensogut Geld, Anstellung und Ehren zu erlangen wie in dem eines weltlichen Für-

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Palais 1, S. 8 f. von 1317 Okt. 16 und S. 27 von 1320 Jan. 20. Palais 1, S. 38 von 1330 Juli 31:... pro 7 fusteriis, quifecerunt... unam portam subtuspontem camerarum novarum domini nostri pape in qua fit gardarauba domini Petri de Via juxta suam cameram... ALBE, Annales 7 , S. 1 1 5 f. sowie die Urkunde bei BALUZE/MOLLAT 3 , S. 3 2 8 n. 6 3 . Es ist bezeichnend für seinen Reichtum, daß er seiner dritten Tochter für ihre Ehe mit Johannes, Dauphin der Auvergne und Graf von Clermont, 8 0 0 0 fl. Mitgift bezahlt hat. Vgl. ALBE, Annales 7 , S. 1 2 0 . FINKE, Acta 2, S. 805. Nachweisbar ist dies fur Barbentane: Vidal, Lettres communes η. 8373 zu 1317-18 aus einem Fragment von Abrechnungen der mertsa episcopalis von Avignon: ...pro dominabus de Triano, de Ozia, et de Via cum earum comitiva in Castro Berbentanae, quando venerunt de Caturco (Cahors)... Ähnlich ist Bedairides als Wohnsitz von Margarita de Insula belegt (SCHÄFER, VQ 2, S . 51 von 1318 März 24). Daß die Damen nicht etwa im päpstlichen Palast selbst wohnten, ergibt sich auch aus einem Eintrag in den Hauptbüchern: ... pro conducendis de palatio 7 botis ... ad hospitia ipsarum dominarum. (SCHÄFER, VQ 2, S . 151 von 1325 nach Nov. 10). ANDRE-MICHEL,

ANDRE-MICHEL,

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 9 5 .

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 6 1 0 .

Die Hoffeste

293

sten1. Dies mußte Auswirkungen auf das Leben bei Hofe haben. Man gewinnt den Eindruck, daß Johannes durch einige laikale Verwandte in Sorgues, Chateauneuf-duPape und Bedarrides gleichsam Nebenhöfe betreiben ließ, wo man - ohne Rücksicht auf die klerikale Atmosphäre des Avignoneser Palastes - ein ritterlich-laikales Ambiente schaffen konnte. In diesem Zusammenhang ist an den miles-Ίϊΐύ dieser Verwandten zu erinnern; sie konnten somit den Söldnern auch als Standesgenossen gegenübertreten. Hier werden auch die Damen eine Rolle gespielt haben. Als Ehefrauen der päpstlichen Ritter kam ihnen die Rolle der Hausfrau zu; sie standen einem großen Haushalt vor, der wohl etwa dem eines Kardinals entsprochen haben dürfte. Bemerkenswerterweise ist Johannes selbst an den genannten Orten nie gewesen2. Es waren gleichsam päpstliche Höfe ohne Papst. Auch an den oben behandelten Festen hat er nicht persönlich teilgenommen; diese haben ja zumeist nicht in Avignon, sondern in den Nebenresidenzen stattgefunden. Selbst bei in Avignon abgehaltenen Festen war der Schauplatz der Festlichkeiten nicht der päpstliche Palast, bediente man sich vielmehr anderer Räumlichkeiten. Warum diese rigorose Trennung? Es ist allgemein anerkannt, daß sich an den europäischen Höfen etwa seit dem 12. Jahrhundert eine spezifisch ritterlich-höfische Kulter herausgebildet hatte3, deren Normen und Verhaltensweisen nicht selten im Gegensatz zu den kirchlichen Moralvorstellungen standen. Es hat ja auch an klerikaler Kritik am höfischen Leben nicht gefehlt4. Damit war das Problem aber nicht gelöst. Viele Bischöfe waren - insbesondere in Deutschland - selbst Vorsteher von Höfen; der des Papstes war der bedeutendste, aber nicht der einzige. Der Rollenkonfiikt ist offensichtlich: Auf der einen Seite standen die herkömmlichen kirchlichen Moralvorstellungen - darunter die Forderung nach asketischem Leben -, auf der anderen Seite stand die neue höfisch-adlige Kultur mit ihrer Forderung nach verfeinerter Lebensführung, die in dem Ideal der „courtoisie" oder „Hövescheit" gipfelte. Dieser Widerspruch kam vor allem in der unterschiedlichen Rolle der Frau bei Hofe zum Ausdruck. Wie sollte an einem (weltlichen) Hof „vreude" aufkommen ohne schöne Damen, denen Dichter ihre Minnelieder darbringen, zu deren Ehren Ritter ihre Lanzen brechen konnten? Ein solcher „Hof' hätte den Namen eines solchen nicht verdient. Andererseits erwartete man von Klerikern ja nicht nur, daß sie keusch und im Zölibat lebten, sondern auch, daß sie den Umgang mit Frauen überhaupt vermieden, mit ihnen nur soviel verkehrten, wie es zur Erfüllung der seelsorgerischen Pflichten nötig war5. Am päpstlichen Hof war für Frauen kein Raum;

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Für den deutschen Adel hat dies SCHÄFER, Ritter 1-4, bereits gezeigt. Ein vergleichbares Werk für den südfranzösisch-provenzalischen Adel wäre noch zu schreiben. Vgl. Kap. m,2. Einen Überblick und Forschungsbericht bietet PARAVICINI, Kultur. Ein Überblick bei BUMKE, Kultur 2, S. 583 ff. Bezeichnend ist hier der Liber de vita ... Urbani V , cap. 4 5 , ed. ALBANES/CHEVALIER, S. 3 9 0 und passim, der von der Tendenz durchzogen ist, den Abscheu seines Helden vor einem persönlichen Zusammentreffen mit Frauen zu betonen.

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Höfisches Leben

selbst der Empfang weiblicher Gäste war nur unter Einhaltung diverser Kautelen möglich1. Das hier zutage tretende Problem hat Johannes XXII. in bemerkenswert rigoroser Weise gelöst. Man gewahrt während seines Pontifikats eine radikale Trennung zwischen der weltlichen und geistlichen Seite des Papsttums. Die weltliche Seite hat Johannes delegiert; er ließ sie durch seinen Bruder Petrus und seinen Neffen Arnaldus repräsentieren; sie waren als Laien nicht an die klerikalen Einschränkungen gebunden. Er selbst hingegen konnte sich - unter peinlich genauer Einhaltung aller Restriktionen - seinen geistlichen und politischen Aufgaben widmen. Diese Trennung erklärt auch, warum der Papst so bestrebt war, seine Verwandten in kurialen Spitzenpositionen unterzubringen - ein Phänomen, das unter dem Schlagwort Nepotismus von jeher mit dem mittelalterlichen Papsttum assoziiert wird. In den eben behandelten Fällen ist aber zu beachten, daß es sich gerade nicht um klerikale2, sondern um laikale Karrieren gehandelt hat. Dabei mag eine Rolle gespielt haben, daß Johannes und seine Familie bürgerlicher - nicht adliger - Abkunft waren, es ihnen somit möglich war, gesellschaftlich aufzusteigen. Dazu paßt, daß Johannes versuchte, möglichst viele seiner Verwandten durch gezielte Heiraten mit dem südfranzösischen Adel zu verbinden. Dabei bevorzugte er Familien aus seiner alten Heimat, dem Quercy3. Er handelte hier weniger als Oberhaupt der Kirche, sondern gleichermaßen als Landesherr, der seine Herrschaft durch Ehebündnisse abzusichern trachtet, und Familienvater, der für den Aufstieg seiner Angehörigen durch günstige Heiraten sorgt. Feste Benedikts XII. Benedikts XII. Haltung zu den angeschnittenen Problemen stand im Gegensatz zu der seines Vorgängers. Hatte Johannes bei aller Sparsamkeit und bei aller Strenge der Lebensführung doch nicht darauf verzichtet, in der Umgebung Avignons ein höfisches Leben zu entfalten, hat Benedikt dies völlig aufgegeben. Eine Auslagerung der Repräsentation auf die Nebenresidenzen wie unter Johannes findet man bei ihm nicht. Freilich waren die Anforderungen an seine Hofhaltung geringer; wieder im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat er den Krieg in Italien aufgegeben; infolgedessen brauchte er sich weder um die Besoldung noch um das Amüsement ritterlicher Söldner zu kümmern. Während man unter Johannes XXII. einen erheblichen Gegensatz zwischen aufwendiger Repräsentation nach außen und sparsamer Lebensweise nach innen wahrnehmen kann, ist dieser Kontrast unter Benedikt insofern geringer, als die Aufwendungen für Repräsentation sehr viel bescheidener als unter seinem Vorgänger waren. In einem Punkt immerhin ist er über Johannes hinausgegangen, nämlich im Ausbau des alten Bischofspalastes. Weniger unter Benedikt selbst als unter seinen

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Siehe oben. Daß Johannes auch hier sehr aktiv war, wird damit nicht bestritten. Dazu sehr detailliert Albe, Annales; zusammenfassend Guillemain, Cour, S. 149 ff.; jetzt auch Hayez, Fonctionnaires, S. 97 ff.

Die Hoffeste

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Nachfolgern konnte nun der Avignorieser Palast für die Hofhaltung im engeren Sinne eingesetzt werden; eine Auslagerung in die Nebenresidenzen wurde damit überflüssig. Große Hoffeste wie unter Johannes findet man somit unter Benedikt nicht. Immerhin hat auch er in Avignon nicht selten hochgestellte Gäste empfangen, für deren Bewirtung erheblicher Aufwand getrieben wurde. Hinzu kamen die großen Kirchenfeste, die ebenfalls aufwendig begangen wurden. Wie groß der Unterschied zwischen Alltag und Festtag war, verdeutlicht wieder einmal die Kladde des päpstlichen Einkäufers aus dem Jahre 13391. Während die täglichen Ausgaben normalerweise zwischen 20 und 80 Solidi schwanken, hat der Einkäufer an Festtagen ein Vielfaches ausgegeben. Im Jahre 1339 betrugen die Lebensmittelausgaben für Ostern (28. März) 920 Solidi2, die für Pfingsten (16. Mai) 518 Solidi3, die für Weihnachten (25. Dezember) 516 Solidi4. An diesen Tagen feierte der Papst zusammen mit den capellani commensales. Diese Ausgaben werden aber noch in den Schatten gestellt durch die Ausgaben für auswärtige Gäste. Das größte Fest des Jahres fand am 14. November statt, als Benedikt die Könige Peter IV. von Aragon und Jakob III. von Mallorca bewirtete; an diesem Tag verbuchte der Lebensmitteleinkäufer 2334 Solidi5. Normalerweise schwankten die Ausgaben im November des Jahres 1339 zwischen 30 und 40 Solidi; man hat also an diesem Tag das 67fache des normalen Satzes ausgegeben. Was also normalerweise in zwei Monaten verzehrt wurde, hat man bei dieser Feier an einem Tag verbraucht. Andere Feiern waren bescheidener, übertrafen aber immer noch den Normalsatz bei weitem. Für das Gastmahl am 5. Mai 1339 für den Dauphin Humbert von Vienne und einen deutschen Herzog gab der Einkäufer 957 Solidi aus6. Zur Feier des Eintreffens des neuernannten Kardinals Bemardus de Albia an der Kurie speisten am 3. August alle Kardinäle beim Papst, wofür 732 Solidi fallig waren7. Sehr viel bescheidener ging es am 28. Oktober bei einem Essen des Papstes mit den Äbten von Eine und La Chaise Dieu zu: dazu gab man nur 84 Solidi aus8. Die wöchentlichen Abrechnungen über die Küchenausgaben in den Hauptbüchern bestätigen das hier entworfene Bild. Es besteht ein analoger Kontrast zwischen den Wochen, in denen die Festtage lagen oder Bewirtungen auswärtiger Gäste stattfanden, und den Wochen, wo das nicht der Fall war. Eingekauft hat man für die großen Feste die gleichen Waren wie für die Alltagsverpflegung, lediglich die Mengen waren größer. Anläßlich des erwähnten Festes für

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IE 179, auszugsweise ed. bei SCHÄFER, VQ 3, S. 92, 96 ff. und passim, Beschreibung der Handschrift bei SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 782. IE 179 f. 18v. Gemeint ist jeweils der Coronatus, dessen Kurs zum Floren in diesem Jahr von 16 Solidi auf 20 Solidi und 6 Denare abfällt. IE 179 f. 30r-v. IE 179 f. 86r. IE 179 f. 74v-75r. IE 179 f. 27r-v. IE 179 f. 48v-49r. IE 179 f. 69v.

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Höfisches Leben

die Könige von Aragon und Mallorca1 hat der Einkäufer zunächst seine Gemüseeinkäufe verdoppelt: statt einen Solidus hat er zwei Solidi aufgewandt. Es folgen 80 fette Kapaune und 150 Hühner, 115 Rebhühner, 100 Kaninchen, 134 Pfund Schinken, 81 Pfund fetter Käse, 150 Eier um nur eine Auswahl zu nennen. An großen Tieren verzeichnet man 16 Hammel, zwei Ochsen und zwei Ochsenviertel. Ungewöhnlich sind die Einkäufe von Spezereien; den Bedarf an diesen hat man normalerweise durch Großeinkäufe gedeckt; offenbar aber reichte der Vorrat nicht aus. Sowohl bei Johannes als auch bei Benedikt stehen die Aufwendungen für die alltägliche Versorgung des Hofes in scharfem Kontrast zu denen an Festen und Empfangen. Während also die alltägliche Lebensführung eher einfach war, hat man für die großen Feste - Johannes noch mehr als Benedikt - erheblichen Aufwand getrieben Feste Clemens' VI. „Unsere Vorgänger haben es nicht verstanden, Papst zu sein." soll Clemens VI. nach seiner Wahl gesagt haben2. Hatte der sittenstrenge Benedikt die Repräsentationsausgaben tunlichst eingeschränkt, kann man bei Clemens VI. das entgegengesetzte Extrem wahrnehmen. Mit vollen Händen hat er das Geld ausgegeben; das festungsartige Gebäude, das ihm sein Vorgänger hinterlassen hatte, ließ er zu einem repräsentativen Palast ausbauen. Was die erörterte Problematik des höfischen Lebens am päpstlichen Hofe betrifft, so repräsentiert Clemens nach Johannes und Benedikt eine dritte Variante. Weder hat er es ausgelagert noch es vermieden; er hat es vielmehr in seiner jeweiligen Residenz - sei es in dem Avignoneser Palast, sei es in dem von Villeneuve selbst konzentriert. Der Unterschied zwischen den Krönungsfeiern Clemens' VI. und Innozenz VI. ist bezeichnend. Clemens fand zunächst noch den Palast seines Vorgängers vor, der auf große Feierlichkeiten offenbar nicht eingerichtet war. Er feierte seine Krönung daher im Dominikanerkonvent in Avignon3. Dagegen konnte sein Nachfolger Innozenz nun auf die Neubauten von Clemens zurückgreifen: er hat seine Krönung als erster Papst im Papstpalast gefeiert. Insofern mag seine Feier eher noch für den Verstorbenen als für ihn selbst charakteristisch sein. Der Palast erwies sich trotz seiner Größe als immer noch viel zu klein, um die gesamte Menschenmenge aufzunehmen; es wurden nicht unerhebliche Baumaßnahmen nötig, um den Palast an die Bedürfnisse dieses Festes anzupassen4. Zahlreiche Holztreppen wurden errichtet, um die Küchen vom Palasthof aus leicht erreichen zu können, mehrere Wände wurden durchbrochen,

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IE 179 f. 74v-75r. Petrus von Herenthals, Quinta vita Clementis VI. (ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 298). SCHÄFER, VQ 3, S. 184. Dabei muß es sich um ein Gebäude von beträchtlichen Ausmaßen gehandelt haben; immerhin hatte es seinerzeit Clemens' V. als Palast gedient. Vgl. Kap. ΙΠ,2. Vgl. GUIDI, Coronazione, S. 583 ff. Über die baulichen Veränderungen am Palast aus Anlaß der Krönung vgl. VINGTAIN, Avignon, S. 398 ff.

Die Hoffeste

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dafür andere Durchgänge vermauert, weitere Küchen wurden in dem Hof und den Palastgärten improvisiert1. Hier sollte offenbar die Volksmenge bewirtet werden. Wenn auch die Nachrichten über Clemens' Umgang mit Frauen mit Vorsicht zu genießen sind2, so ist doch unbestreitbar, daß er in allen anderen Seiten des höfischen Lebens hinter keinem weltlichen Fürst zurückstand. Schon seine Krönungsfeierlichkeiten3, an denen der Kronprinz und künftige König Johann II. von Frankreich, die Herzöge Jakob von Bourbon und Philipp von Burgund sowie der Dauphin Humbert II. von Vienne teilnahmen4, übertrafen an Aufwand alles bisher dagewesene. Allein die Kosten für diese Feier waren mit insgesamt 14132 fl. höher, als die Ausgaben Johannes' XXII. für alle oben aufgelisteten Hoffeste zusammen. Allerdings ist hier zu beachten, daß sich an die Krönungsfeier in den folgenden Tagen noch eine ganze Reihe von Feiern und Banketten anschloß, die zu Ehren des Kronprinzen Johann stattfanden. Insgesamt zogen sich die Feiern über mehr als zwei Wochen hin5. Nicht nur vom Aufwand her, sondern auch von der zeitlichen Ausdehnung der Feierlichkeit hat somit Clemens seine Vorgänger übertroffen. Allein 24 Köche und 41 Unterköche sind speziell für diese Feier angestellt worden. Bei den meisten Köchen und einem Teil der Unterköche wird ausdrücklich vermerkt, von welchem Kardinal sie für diese Feier abgestellt worden waren. 14 Metzger waren nötig, um die in großen Mengen eingekauften Tiere zu schlachten und zu zerlegen. An Arbeit mangelte es ihnen nicht: 118 fette Ochsen, 1023 Hammel, 101 Kälber, 914 Rehböcke, aber bezeichnenderweise nur 60 Schweine hat die Küche angeschafft. Auch an Geflügel fehlte es nicht: 1500 Kapaune, 3043 Hühner, 7428 Hähne und 1446 Gänse standen zum Verzehr bereit. Um dies alles und noch vieles andere mehr herunterzuspülen, hatte der Kellermeister fürsorglich 829 Säume (= 70500 Liter)

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Sogar der Durchgang zwischen großem und kleinem Speisesaal wurde mit einer Art Mauer aus Gips geschlossen, mit der bezeichnenden Begründung: ...ne gentespossent venire ad dominum nostrum Papam in die coronationis supra mensam ipsius domini nostri Pape et dominorum Cardinalium... Zit. nach GUIDI, Coronazione, S. 586. Man vergleiche die amüsante Schilderung in der Chronica monasterii de Melsa (ed. BOND 3, S. 89 f.); ähnlich auch Matthias von Neuenburg, Chronik, cap. 69 (ed. HOFMEISTER, S. 188). Weitere Quellenbelege sind zusammengestellt bei PIUR, Buch, S. 376 f. und bei MOLLAT, DHGE 12 (1953) S. 1139 f. Wie ernst man derartigen Klatsch und Tratsch, der sich auf einzelne erzählende Quellen beschränkt, nehmen soll, ist die Frage. Aufgrund der Hauptbücher kann man lediglich feststellen, daß Clemens mitunter zusammen mit Damen gespeist hat, was allerdings ein schwerer Verstoß gegen die Etikette war. Zu Clemens' (angeblicher?) Beziehung zur Gräfin Alienore von Turenne, Gattin seines Neffen, des Vizegrafen Guillaume Π. de Beaufort, vgl. MOLLAT, Clement VI, S. 375 ff. Nachweisbar sind in der Tat eine Reihe von Lieferungen der päpstlichen Lebensmitteleinkäufer an das Haus des Vizegrafen (Belege bei MOLLAT, Clement VI, S. 383 f.; vgl. auch den Anhang). Bewiesen wird dadurch freilich nichts. Die Ausgaben sind ed. bei SCHÄFER, VQ 3, S. 184 ff., vgl. auch SCHIMMELPFENNIG, Coronations, S. 190 ff.; ALIQUOT, Epices, S. 136 f.

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Tertia vita Clementis VI., ed. BALUZE/MOLLAT 1, S. 276. Die Krönung fand am 19. Mai 1342 statt. Die anschließenden Feierlichkeiten zogen sich bis zum 4 . Juni hin. Die Ausgaben finden sich bei SCHÄFER, V Q 3 , S. 1 8 4 FF).

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Wein eingekauft. Da die Krönungsfeier nicht zur Zeit der Weinlese stattfand, ist der Wein diesmal - im Gegensatz zur sonst üblichen Vorgehensweise1 - im fertigen Zustand, abgefüllt in Fässer, eingekauft worden. 32 Fässer, deren relativ kleines Volumen auf besonders guten Wein schließen läßt, hat Clemens seinem ehemaligen Kollegen, dem Kardinal Petrus Gometii de Barroso, abgekauft. Auch an Süßspeisen fehlte es nicht: 50000 kleine Kuchen (tartre) sind aus 46856 frischen Käsen, 38980 Eiern, 36100 Äpfeln und 400 Birnen hergestellt worden. Trotz der riesigen Mengen an Lebensmitteln bietet Clemens' Krönungsfeier im Grunde kein anderes Bild als die geschilderten Feiern Johannes' XXII. Abermals gewinnt man den Eindruck, daß die Kurie in erster Linie durch die gewaltigen Quantitäten zu beeindrucken suchte. Dieser Eindruck mag freilich von der Art unserer Quellen herrühren. Daß es daneben auch eine Verfeinerung hinsichtlich der Qualität des Rohmaterials und der Kochkunst gegeben hat, wird immerhin von einigen Indizien nahegelegt. So werden etwa verschiedene Sorten von Soße (salsa) genannt, die man gleich in ganzen Fässern eingekauft hat. Da gab es salsa camelina2, salsa viridi3, salsa alliace4; weiterhin hat man den schon mehrfach erwähnten Veijus (agresta) eingekauft, wie auch erhebliche Mengen sowohl von normalem als auch von süßem Senf (sinapi dulce). Dieser war ausdrücklich für den Tisch des Papstes bestimmt. Paradoxerweise ist für die folgende Zeit von Clemens' Pontifikat die Quellenlage eher schlechter als bei seinen Vorgängern. Während bei diesen die Hoffeste noch etwas Besonderes gewesen waren, sind sie unter Clemens so alltäglich geworden, daß man sie bedenkenlos in die üblichen Wochenabrechnungen integriert hat. Diese immerhin sind eindeutig: Während einerseits die absolute Höhe der Küchenausgaben während seines Pontifikats erheblich ansteigt5, ist der Kontrast zwischen Fest und Alltag erheblich geringer als unter seinen Vorgängern. In seinem zweiten Pontifikatsjahr (1343/44) beispielsweise haben die Küchenausgaben mit rund 500 lib. mon. Avin.6 ihren höchsten Stand in der Osterwoche erreicht. In der Woche mit den geringsten Ausgaben (vom 19. bis 26. Oktober) hat man 68 lib. verausgabt7. In der Festwoche ist also kaum mehr als das siebenfache der Alltagswoche ausgegeben worden; der Gegensatz zwischen Fest und Alltag beginnt sich dahingehend abzugleichen, daß der Alltag immer mehr zum Festtag wird.

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Vgl. Kap. vm,3. Entspricht offenbar der altfranzösischen „cameline". Im Viandier (ed. Pichon/VICAIRE, S. 32 ist sie unter den „Saulces non Boullues" aufgezählt. Dort findet man auch ein Rezept für ihre Zubereitung. Ein ausführlicheres enthält der Menagier, ed. PICHON 2, S. 230. Entspricht offenbar der altfranzösischen „Saulze verte". Ein Rezept findet man im Viandier (ed. PICHON/VICAIRE, S. 33), ein ausführlicheres im Menagier (ed. PICHON 2, S. 231). Nicht zu ermitteln; evt. Knoblauchsoße? Vgl. Kap. V. Der Kurs zum Floren schwankt in diesem Jahr zwischen 24 und 25 sol. mon. Av. Nach IE 220 f. 71r-89r. Mit geringen Variationen zeigen die anderen Pontifikatsjahre das gleiche Bild.

Die Hoffeste

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Feste Innozenz' VI., Urbans V. und Gregors XI. Die Konzentration der Hoffeste auf die jeweilige Residenz des Herrschers war eine Tradition, welche Clemens' Nachfolger fortsetzen sollten. Sie unterschieden sich lediglich durch das Maß an Aufwand und die Menge an Geld, welche sie für diese Aktivitäten aufwandten. Genauere Berechnungen sind hier nicht mehr möglich, da die Gästevermerke, beginnend mit Innozenz VI., nicht mehr genau genug datiert sind, als daß sie sich mit den Wochenausgaben korrelieren lassen. Gegen Ende des Pontifikats Innozenz' VI. enden dann auch die wöchentlichen Abrechnungen in den Hauptbüchern. Auch weiterhin erfahrt man, daß Gäste bei Hofe empfangen worden sind, ohne daß sich aber der Aufwand vergleichend quantifizieren ließe. Als Einzelfall nicht ohne Interesse ist die Krönungsfeier Innozenz' VI.1. Die Gesamtkosten beliefen sich auf rund 8700 fl., blieben also erheblich hinter denen von Clemens zurück. Allerdings fehlen bei Innozenz auch die anschließenden Bankette für den französischen Kronprinzen. Durchaus vergleichbar sind dagegen die eingekauften Lebensmittelmengen: 25 Ochsen, 26 Kälber, 150 Hammel, 100 Rehböcke, 325 Lämmer, 8 Eber, 100 Schafe und 16 Schweine und vieles andere mehr. Bemerkenswerterweise hat man eigens noch fünf Zentner und 25 Pfund (Schweine-)Blut hinzugekauft; der Bedarf an Blutwurst war offenbar nicht gering. Die Zahl der Köche übersteigt mit 38 (jeder mit einem Gehilfen) sogar die bei Clemens VI. Abermals hatten die Kardinäle und außerdem auch einige Bischöfe und andere Würdenträger ihre Köche zur Arbeit am Krönungsmahl gleichsam ausgeliehen. Versucht man aus den wöchentlichen Küchenausgaben Innozenz' VI. auf das Verhältnis von Alltags- und Festtagen rückzuschließen, ergibt sich folgender Befünd: Die durchschnittlichen Jahresausgaben der Küche sind während seines Pontifikats erheblich zurückgegangen2. In seinem zweiten Pontifikatsjahr betrugen die niedrigsten Wochenausgaben 155 lib. mon. Avin., die höchsten 344 lib. mon. Avin. also nur etwas mehr als das Doppelte. Der Gegensatz zwischen Alltags- und Festtagen hat sich also noch weiter ausgeglichen; man darf daraus den Schluß ziehen, daß Ausgaben für die Repräsentation nach Außen relativ erheblich stärker als die für die Versorgung der Kurialen nach Innen reduziert worden sind. Was das Maß an Aufwand für Konsum und höfisches Leben betrifft, ist bereits mehrfach gezeigt worden, daß die Ausgaben dafür unter Urban V. einen neuen Tiefpunkt erreicht haben. Aber auch er hat, wenn es zu repräsentativen Zwecken nötig war, die aufzuwendenden Kosten nicht gescheut. Für den Empfang Kaiser Karls IV. sind abermals beeindruckende Mengen an Lebensrnitteln eingekauft worden, sie bleiben aber doch erheblich hinter den vergleichbaren Quantitäten Clemens' VI. zurück. An großen Tieren kaufte man 25 Ochsen, 25 Kälber, 216 Hammel, 149 Rehe dazu große Mengen an Fisch und Geflügel3. Für den Kontrast zwischen Alltag und Festtag unter Urban ist bezeichnend, daß die Menge des im Palast verbrauchten Weins im

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Ed. GUIDI, Coronazione, S. 579 ff.

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Vgl. Kap. V.

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SCHÄFER, V Q 6 , S. 1 1 8 v o n 1 3 6 5 Apr.

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Mai 1365 - also jenem Monat, als er Karl IV. bewirtete - mit 34 Fässern (darunter fünf mit dem guten Burgunder) fast doppelt so hoch liegt wie im vorangegangenen und darauffolgenden Monat1. Gleiches gilt auch für den Brotverbrauch im Palast2. Ein ähnliches Bild geben die Ausgaben der Küche. Von 1181 fl. im Mai 1365 sinken sie auf 368 fl. und 296 Franken im Juni3. Nach dem, was oben über die Gäste Johannes XXII. ausgeführt wurde, wäre zu erwarten, daß sich mit dem Wiederaufleben des italienischen Krieges und dem Einfall von Söldnern in die Provence selbst am päpstlichen Hof abermals ein ritterlichhöfisches Ambiente entwickelt hätte. Dies war aber nicht der Fall, zumindest finde ich in den Hauptbüchern dafür keine Anzeichen. Der Grund liegt wohl darin, daß die Söldner nicht mehr - wie noch unter Johannes XXII. - in Avignon angeworben und bezahlt wurden, dies vielmehr in Italien geschah, wo die Hauptleute mit dem päpstlichen Legaten die Verträge aushandelten und von dessen Thesaurar ihren Sold empfingen4. Zusammenfassung Der größte Unterschied zwischen dem Hof in Avignon und weltlichen Höfen ist offenbar der, daß Avignon ein Hof ohne Frauen war. Ganz im Gegensatz zu dem verbreiteten Vorurteil, das den Avignoneser Päpsten auf diesem Gebiet gar eine Pionierrolle zuweist5, zeigt sich die historische Realität als weit weniger spektakulär. Selbst wenn - was von Clemens VI. immer wieder behauptet wird - einzelne Päpste Mätressen gehabt haben sollten, so haben sie diese jedenfalls nicht öffentlich an ihrem Hof auftreten lassen; es kann somit keine Rede davon sein, daß sie einen bestimmenden Einfluß auf das höfische Leben ausgeübt hätten. Jedoch auch die Kurie mußte auf die Anforderungen der neuen ritterlich-höfischen Kultur in irgendeiner Weise reagieren, jedenfalls dann, wenn sie Angehörige dieser Gesellschaftsschicht in Avignon empfing. Als besonders innovativ hat sich Johannes XXII. erwiesen, der eine räumliche und persönliche Trennung zwischen der kirchlich-politischen und höfisch-representativen Seite des päpstlichen Amtes angestrebt hat. In diesem Punkt hat er freilich nicht Schule gemacht, haben seine Nachfolger diese Trennung wieder aufgegeben. Generell zeigte sich, daß auch der Ausschluß von Frauen vom päpstlichen Hof keineswegs alle Probleme löste. Zumindest für die Gattinnen hochgestellter Gäste mußte eine angemessene Form des Empfangs und der Bewirtung gefunden werden. Unter Einhaltung geeigneter Vorsichtsmaßnahmen sind dann zuweilen die Päpste mit diversen hochstehenden Damen auch persönlich zusammengetroffen. Hinsichtlich der Hoffeste gewinnt man den Eindruck, daß die Kurie bei großen Feiern vor allem in quantitativer Hinsicht zu beeindrucken suchte - sowohl durch die

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Vgl. die Tabelle bei SCHÄFER, VQ 6, S . 117. Vgl. die Tabelle bei SCHÄFER, VQ 6, S. 1 1 5 . Vgl. die Tabelle bei SCHÄFER, VQ 6, S. 90. 1 fl. war gleich 0,88 Franken. Daraufhingewiesen hat SCHÄFER, Ritter 1, S . 44 f. Vgl. die Einleitung.

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schiere Menge der Speisen, aber auch durch ihre Seltenheit und den damit verbundenen hohen Preis. Immerhin legte man auch schon Wert auf eine möglichst kunstvolle Zubereitung des Essens, die mit einer beginnenden Spezialisierung der Köche einherging. Weiterhin zeigt sich, daß bereits wenige Jahre nach der Ansiedlung des Papstes in Avignon eine Infrastruktur entstanden war, welche derartige Feiern überhaupt erst ermöglichte. Es gab Köche und Pastetenmacher, die in keinem festen Dienstverhältnis zum Hofe standen, also ihren Lebensunterhalt normalerweise bei anderen Dienstherren (vielleicht bei anderen Festen) verdienten, ebenso Verleiher, welche die nötigen Gerätschaften bereitstellten. Der Papst dürfte schwerlich ihr einziger Kunde gewesen sein, hier wird man an die Kardinäle, vor allem aber an hochstehende Besucher zu denken haben, die in Avignon einen entsprechenden Prestigekonsum entfalteten. Auch hat ja in den ersten Jahren Johannes' XXII. zeitweise auch König Robert von Neapel in Avignon residiert, bestanden demnach päpstlicher und königlicher Hof nebeneinander in derselben Stadt. In der Höhe der Ausgaben für Luxus und Hofhaltung haben zwischen den einzelnen Avignoneser Päpsten große Unterschiede bestanden; es konnte aber gezeigt werden, daß zumindest Johannes XXII., Benedikt XII. und Urban V. - im Ganzen wohl auch Innozenz VI. - einen eher einfachen Lebensstil pflegten1. Zu dem schlechten Ruf des Avignoneser Papsttums mag beigetragen haben, daß auch bei den sparsamen Päpsten gerade die großen Festlichkeiten bekannt geworden sind, zumal diese in der Anfangsphase des Avignoneser Papsttums außerhalb des Palastes stattfanden. Dagegen entging der eher frugale Alltag der Aufmerksamkeit der auswärtigen Beobachter. Hier ist das Avignoneser Papsttum Opfer eines Rollenkonflikts geworden. Wenn es galt, Könige und Fürsten zu empfangen, konnte der Papst sie schließlich nicht mit Wasser und Brot bewirten; er mußte einen vergleichbaren Aufwand treiben, wie er an Fürstenhöfen eben üblich war. Das galt nicht nur für den Empfang von hochstehenden Gästen. Auch den Armen gegenüber hatte ein Fürst bestimmte Erwartungen zu erfüllen. Es reichte nicht, daß der Papst sie mit Geld- und Getreidespenden unterstützte; sie wollten auch Anteil an den Festen nehmen. Bei den geschilderten Festlichkeiten waren die enormen Quantitäten an Nahrungsmitteln nicht in erster Linie für die relativ kleine Zahl der hochrangigen Gäste bestimmt, vielmehr für die Bewirtung der herbeiströmenden Volksmenge. Dabei sind zahlreiche Personen verpflegt worden, die normalerweise in keiner Beziehung zum Hof standen. Idealerweise wurden alle Menschen bewirtet, die kamen und/oder anwesend waren. Diese Bankette waren damit sowohl eine bewußte Durchbrechung der üblichen ständischen Abgrenzung als auch zugleich ihre Inszenierung. Durchbrochen wurde die Abgrenzung, indem die übliche Abschließung des Papstes in seinem Palast für die Dauer des Festes aufgehoben wurde, inszeniert wurde sie zugleich, insofern der Platz an der Tafel und die Qualität des Geschirrs und der Speisen selbstverständlich nach dem Rang des Bewirteten abgestimmt waren. Hier sei noch einmal auf den schon mehrfach erwähnten Bericht des anonymen Florentiners verwiesen. Bei dem Gastmahl, das der Kardinal Petrus Gometii für Papst Clemens VI. veranstaltete, sind insgesamt 300 Personen bewirtet worden. Das Essen

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Vgl. Kap. V.

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für diese 300 wurde von drei Küchen zubereitet, der für den Papst, der für die Kardinäle und der für die übrigen Gäste. Ausdrücklich wird angemerkt, daß jeder Kardinal seine eigenen Köche dabei hatte. Vielleicht muß man den Terminus chuscina del papa auch so deuten, daß er ebenfalls von seinen eigenen Köchen bekocht worden ist. Hinzu kamen aber noch zwei weitere Küchen: sie bereiteten Essen für das zahlreiche Personal und die anwesende Menschenmenge1. Es ist also neben den 300 Gästen im engeren Sinne noch eine unbekannte Zahl weiterer Personen bewirtet worden; sie verliehen dem Fest durch ihre Anwesenheit zusätzlichen Glanz2. Immerhin einen Zeitgenossen gab es, der nicht ganz ohne Verständnis für solche Rollenzwänge war. So streng auch die Kritik ist, welche Francesco Petrarca am Luxus der Avignoneser Päpste geübt hat3, so ratlos war er, als ihn im Jahre 1352 der Kardinal Elias Talayrandus bat, ihm doch einmal darzulegen, welche Lebensführung er für einen Geistlichen in seiner Stellung für richtig halte. In seinem Schreiben erwidert Petrarca: „Wenn du auch nach außen nicht so sein kannst, wie du möchtest (Hervorhebung von S. W.), sei wenigsten innerlich so, wie du sein sollst! ... Sitz immer in prächtigem Palast, aber deinen Geist laß in der Einöde schweifen! Inmitten deines Reichtums gedenke der Armut, bei der Tafel des Fastens! Laß auf dem Tisch das Gold, an deinen Fingern die Ringe funkeln, aber heller leuchte die Verachtung aller dieser Dinge in deinem Geist!..."4. Ein gewisses Bewußtsein dafür, daß bei der luxuriösen Lebensführung der Avignoneser Prälaten soziale Zwänge wirksam waren5, denen sich auch ein Kardinal nicht ohne weiteres entziehen konnte, scheint mir offensichtlich.

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D E LOYE/DE BONNECORSE, Reception, S. 3 5 0 f. Wie oben gezeigt worden ist, haben auch auswärtige Besucher der Kurie mitunter eine ähnlichen Aufwand getrieben. Vor allem in seinen Epistulae sine nomine (ed. PIUR, Buch), Einen Überblick zu Petrarcas Kritik an den Avignoneser Zuständen gibt PIUR, Buch, S. 49 ff. Petrarca, Epistulae de rebus familiaribus 14,1, hier zit. nach der Übersetzung bei PIUR, Buch, S. 62. Die stoischen Traditionen in dieser Argumentation sind so offensichtlich, daß sie keines detaillierteren Nachweises bedürfen. Über Petrarcas Verhältnis zur Kurie vgl. zusammenfassend VONES, Urban V . , S. 5 ff. mit weiterer Literatur. Daß dies schon im 13. Jahrhundert der Fall war, zeigt PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 155.

VII. Der Trend zur Selbstversorgung VII, 1. Der Beitrag des Bistums Avignon1 zur Versorgung der Kurie Vergegenwärtigt man sich die nötige Arbeit, die geleistet werden muß, um ein fertiges Essen auf den Tisch zu bringen, so ist der Hauptunterschied der mittelalterlichen zur modernen Küche wohl der, daß der Weg vom eingekauften Rohmaterial zum fertigen Gericht erheblich länger als heute war. Während gegenwärtig die eingekauften Lebensrnittel in vielfacher Hinsicht bereits zur weiteren Verarbeitung vorbereitet sind, war in der mittelalterlichen Küche ein weit größerer Aufwand nötig. Der schon aus der Hofordnung gewonnene Eindruck, bei den Einkäufen von Fleisch etwa seien die Tiere nicht selten lebend gekauft und erst von der Küche geschlachtet und zerlegt worden2, wird durch die Abrechnungen der Hauptbücher bestätigt. Zwar hat die Küche Rindfleisch anfangs in Form von geviertelten (also bereits geschlachteten) Ochsen gekauft, Schweine und Hammel dagegen hat sie weiterhin im ganzen erworben und sie durch örtliche Metzger schlachten und zerlegen lassen. Eine Entlohnung in Geld haben diese nicht von Anfang an erhalten; sie wurden vielmehr mit einem Anteil an dem geschlachteten Tier entschädigt. Ähnlich ist man wohl mit den Ochsen verfahren, die der Papst in großen Mengen als Geschenk erhielt. Pökelfleisch und Schinken hat die Küche anfangs noch fertig eingekauft3; sie ist dann aber immer mehr dazu übergegangen, diese Produkte am Hof selbst herstellen zu lassen4. Die an anderer Stelle aufgezeigte Tendenz der päpstlichen Einkäufer, unter Umgehung des Zwischenhandels bis zum Hersteller selbst vorzudringen5, läßt sich durch eine andere Tendenz ergänzen: nämlich den Versuch, auch die Herstellung soweit als möglich selbst in die Hand zu nehmen. Man kann hier zahlreiche Maßnahmen aufzeigen. Vor allem hat die Kurie versucht, die Ressourcen des Bistums Avignon sowohl auszuweiten als auch für die Versorgung des Hofes nutzbar zu machen. Ergänzend dazu versuchten die Hofamter - vor allem die päpstliche Küche - , sich in Avignon selbst und in der näheren Umgebung Einrichtungen zu schaffen, die eine wenigstens teilweise Selbstversorgung des Hofes ermöglichten. Es war der Übergang vom Reisepapsttum zur festen Residenz, der dies

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Neben den einschlägigen Darstellungen zur Stadtgeschichte: GIRARD, Evocation, und Historie d'Avignon, vgl. den Artikel von J. GIRARD, in DHGE 5 (1931) S. 1121-1153. Vgl. Kap. ΠΙ,Ι. und IV,2.

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Beispielsweise SCHÄFER, VQ 2, S. 91.

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Ein typischer Eintrag etwa bei SCHAFER, VQ 3, S. 123 von 1340 Dez. 2: Pro 8 porcis emptis pro provisione hospitii... pro 6 eminis salispro salandis dictisporcis... Vgl. Kap. vm.

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Der Trend zur Selbstversorgung

möglich machte. Solche Bestrebungen zur Selbstversorgung hatten erst dann einen Sinn, als die Kurie über Jahre und Jahrzehnte hinweg an einem Ort verblieb1. Kammer und Bistumsverwaltung Wie bereits dargelegt, hat Johannes XXII. Gelder der Kammer zur Arrondierung und Erweiterung des Landbesitzes der Avignoneser Kirche verwandt2. Hier hat eine Rolle gespielt, daß er den bischöflichen Landbesitz in hohem Maße für die Versorgung des päpstlichen Hofes herangezogen hat, diese Landkäufe also indirekt wieder der Kurie zugute kamen. Leider sind unsere Informationen nur sehr bruchstückhaft, da die Buchführung des bischöflichen clavarius (Verwalter) über die Einnahmen und Ausgaben des Bistums verloren ist3. Im Pontifikat Johannes' XXII. gilt gleiches fur die Buchführung der Kammer über die Abgaben, welche das Bistum an die Kurie zu entrichten hatte; lediglich die Zahlungen aus Johannes' zweitem Pontifikatsjahr sind erhalten . Vom dritten Pontifikatsjahr an hat man diese Abgaben in einem eigenen Hauptbuch verzeichnet. Dieses ist verloren5, erhalten sind lediglich einige Quittungen des Kämmerers (in den Quittungsregistern) für die Jahre 1326-13306. Immerhin ist aus dem Rechenschaftsbericht des päpstlichen Kämmerers aus dem Jahre 13347 die Summe dieser Gelder ersichtlich; sie betrug - für rund 18 Pontifikatsjahre - überschlägig an die 30000 fl.8 (also im Jahresdurchschnitt 1666 fl.). Anscheinend nicht im Detail verbucht hat man die ebenfalls geleisteten Naturallieferungen; daß es sie gegeben hat, beweist der genannte Rechenschaftsbericht. Ihm zufolge hat das Bistum außer den genannten Geldzahlungen - Getreide, Wein, Hafer und andere Naturalien im Werte von 25000 fl. (also im Jahresdurchschnitt 1388 fl.) teils an das päpstliche Almosenamt, teils an den Marstall, teils an den Palast geliefert9. Zusammengenommen hat also das Bistum Avignon im Durchschnitt jährlich rund 3000 fl. zum Unterhalt der Kurie beigetragen. Um die Höhe dieser Summe an der finanziellen Leistungs-

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Die Wechsel zwischen den einzelnen Residenzen können hier außer Betracht bleiben, da sie alle in der näheren Umgebung Avignons liegen. Vgl. Kap. ffl,2. Einige Fragmente sind ed. bei VIDAL, Lettres communes 2, S. 308-309 n. 8373 und 8374 von 1317-19 (Reg. bei ALBAN£S, GCN 7, S. 307 n. 966 und 967); weitere - aus der Amtszeit von Sicard du Fraise - von 1363 Sept. 1-1364 Juni 24 (über ihn HAYEZ, Oeuvre, und DIES., Tenier, S. XVH f.; jetzt auch VONES, Urban V., S. 329 ff.) sind erhalten im Departementalarchiv in Avignon. Vgl. ALBANES, G C N 7, S. 371 n. 1359.

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Ed. bei GÖLLER, V Q 1, S. 592.

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Vgl. GÖLLER, V Q 1, S. 120*.

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Ed. GÖLLER, V Q 1, S. 6 2 9 f.

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Ed. GÖLLER, V Q 1, S. 4 ff.

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Die genaue - nach Münzsorten aufgeschlüsselte - Summe bei GÖLLER, VQ 1, S. 15. Preter premissa dicti clavarii episcopatus dicuntur assignasse tarn hospicio elemosine quam marescalle et hospitio domini pape in blado, vino et avena ac aliis rebus usque ad valorem circa 25000 flor. auri preter vina et blada ac alia que dicti clavarii adhuc habent penes se, zit. nach

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dem Rechenschaftsbericht von 1334 Apr. 16 (ed. GÖLLER, VQ 1, S. 15).

Der Beitrag des Bistums Avigon zur Versorgung der Kurie

305

fahigkeit des Bistums messen zu können, bietet sich ein Blick auf die Servitientaxe an: sie betrug für Avignon 1600 fl.1; sie zu zahlen, hatte sich der künftige Papst Johannes einst selbst verpflichten müssen, als er Bischof von Avignon wurde . Wenn man davon ausgeht, daß das Servitium commune3 ein Drittel der bischöflichen Jahreseinkünfte betrug, ergäbe das eine Jahreseinkommen von 4800 fl. Hier ist aber zu bedenken, daß dem Bischof diese Summe nicht zur freien Verfügung stand, er vielmehr daraus sich selbst und seine Kirche unterhalten mußte. Zum Teil sind diese Kosten entfallen, da Johannes - wie erinnerlich - sich das Bistum selbst vorbehalten hat und die Verwaltungskräfte des Bistums von der Kammer besolden ließ, zum Teil sind sie aber auch bestehen geblieben. Offensichtlich ist also der größte Teil der Bistumseinkünfte zugunsten der Kurie abgeschöpft worden. Daß ein eher kleines und nicht besonders reiches Bistum derart hohe Beträge aufbringen konnte, hat seinen Grund darin, daß Johannes XXII., kaum daß er den Stuhl Petri bestiegen hatte, damit begonnen hat, dem Bistum höhere Einnahmen zu verschaffen. Abgesehen von den bereits erwähnten Landkäufen hat er dem Bistum Einkünfte aus den in der Nähe liegenden Kirchen und Klöstern zugewiesen. Dabei handelte es sich teils um die in der Diözese Avignon selbst liegenden geistlichen Körperschaften, teils auch um benachbarte Diözesen, Zuweisung neuer Einkünfte an das Bistum Vor allem die mensa episcopalis und das Kapitel des Bistums profitierten davon4. Einige Beispiele seien herausgegriffen: So vereinte Johannes ΧΧΠ. die Pfarrkirchen von Orgon (Diöz. Avignon)5, von St.-Laurent-des-Arbres (Diöz. Avignon), die Kir-

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Regestum Clementis, Appendix 1, S. 228 n. 124 von 1310 Juni 9; Reg. bei ALBANES, GCN 7, S. 285 n. 848. Hinzu kamen 160 fl. für die kleinen Servitien. Dies ist die erste bekannte Servitienobligation für Avignon. Johannes' Nachfolger, Jacobus de Via, hat sich zur Zahlung des gleichen Betrages (1600 fl.) verpflichtet (Reg. Clem. Appendix 1, S. 249 n. 241 von 1313 Apr. 24). Daß Johannes selbst sich für die Zahlung der Servitien verschulden mußte, beweist eine Urkunde, in der Jacques Duese bei Avignoneser Juden für einen Kredit von 100 fl. einen Teil der dem Bistum zustehenden Getreideabgaben aus Bedarrides verpfändet hat (ed. ALBANES, GCN 7, S. 285 n. 853 von 1310 Dez. 23). Über die Servitien vgl. zusammenfassend GÖLLER, V Q 1, S. 2 0 * ff.; ausführlicher DERS., Liber Taxarum, passim; die Servitientaxen des 14. Jahrhunderts sind gesammelt bei HOBERG, Taxae, über Avignon vgl. S. 17. Schon im 10. Jahrhundert hatten sich die Kanoniker der Bischofskirche, Notre-Dame-des-Doms, von der mensa episcopalis abgespalten, waren Kapitel- und Bischofsbesitz getrennt worden. Die Kanoniker bewohnten seither ein eigenes Gebäude im Südosten des Bischofspalastes. Vgl. LABANDE, Palais 1, S. 3 6 und GIRARD, DHGE 5 ( 1 9 3 1 ) S. 1 1 4 3 . MOLLAT, Lettres communes η. 5098 = ALBANES, GCN 7, S. 298 n. 915 von 1317 Jan. 28. Diese wie auch die folgenden Urkunden sind nicht nur über die päpstlichen Register, sondern auch über ein bischöfliches Kopialbuch überliefert (Avignon, Arch. dep. G 7, f. 7 ff ). MOLLAT, Lettres communes η. 5241 = ALBANES, GCN 7, S. 301 n. 939 von 1317 Mai 9.

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Der Trend zur Selbstversorgung

che St.-Martin und das Priorat St.-Pierre in St.-Remy1, die Kirche von Chateauneufdu-Pape (Diöz. Avignon) mit der mensa episcopalis von Avignon. Genauso verfuhr er mit den Zehnten der Kirchen von St.-Pierre de Mausolee, von St.-Trophime und von St.-Michel de la Tour (Diöz. Avignon und Arles)3. Das Kapitel des Bistums erhielt die Abtei von Lure (Diöz. Sisteron)4 und den Zehnt in Getreide, Wein und anderen Naturalien der Kirche von St.-Paul de Mausolee und von St.-Michel de la Tour auf dem Gebiet von St.-Remy . Der Papst ernannte Vikare oder Verwalter (clavarii) in diesen Orten, welche dafür zu sorgen hatten, daß die Abgaben an die empfangsberechtigten Stellen im Bistum abgeführt wurden6. Diese, also mensa episcopalis und Kapitel, führten dann wieder sowohl Geld an die Kammer als auch Naturalien an Almosenamt und Palast ab. Einen Einblick geben die erwähnten Quittungsregister, wo etwa der Petrus de Sala... clavarius mense ep. Auinion. über die Gelder, die er selbst aus ... censibus, redditibus, proventibus, blado, vino,... erhalten und an die Kammer abgeführt hat, eine Quittung erhält7. Über Naturalleistungen informiert bruchstückhaft eine fragmentarische Aufzeichnimg in den avignonesischen Registern, wonach die mensa episcopalis dem Almosenamt 144 Säume und acht Scheffel Getreide geliefert hat8. Ein anderes Mal quittiert ein Kammerkleriker den Empfang von 161 Säumen Gerste, welche aus den Bistumsgütern an das Almosenamt geliefert worden sind . Auch aus späterer Zeit finden sich vereinzelt Belege, daß die bischöflichen Güter zur Versorgung der Kurie herangezogen worden sind . Vor allem bei den Weinlieferungen von den bischöflichen Weinbergen nach Avignon sind oft die Transportkosten 1

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MOLLAT, Lettres communes η. 8125 und 8126 = COULON, Lettres secretes η. 411-12 = ALBANES, GCN 7, S. 303 f. n. 955 und 956 von 1317 Okt. 16 und 17; MOLLAT, Lettes communes η. 7767 = ALBANES, GCN 7, S. 310 n. 981 von 1318 Juli 14 sowie MOLLAT, Lettres communes η. 10245 von 1318 Sept. 8. Eine erste Zahlung von St.-Remy, welche vom bischöflichen Clavarius an die päpstliche Kammer abgeführt worden ist, bei GÖLLER, VQ 1, S. 592. Einige Fragmente von Abrechnungen der Verwalter dieser Güter bietet VIDAL, Lettres communes η. 8374 und 8375 zu (1317-1319). MOLLAT, Lettes communes η. 8128 = COULON, Lettres secretes η. 415 = ALBANES, GCN 7, S. 304 n. 9 5 8 von 1317 Okt. 17. MOLLAT, Lettes communes η. 8128 = COULON, Lettres secretes η. 415 = ALBANES, GCN 7, S. 304 n. 9 5 8 von 1317 Okt. 17.

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MOLLAT, Lettes communes η. 6104 = ALBANES, GCN 7, S. 305 n. 964 von 1317 Dez. 20.

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Reg. bei ALBANES, GCN 7, S. 906 n. 5345 von 1317 Okt. 17 aus der Avignoneser Überlieferung.

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Vgl. Ζ. Β. MOLLAT, Lettres communes Η. 8243 = COULON, Lettres secretes Η. 663 = ALBANÄS, GCN

7, S. 311 n. 984 von 1318 Juli 28; MOLLAT, Lettres communes Η. 10119 = COULON, Lettres secretes Η. 796 = ALBANES, GCN 7, S. 313 n. 1000 von 1319 Febr. 22. 7

GÖLLER, V Q 1, S. 6 2 9 von 1326 Aug. 14.

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VIDAL, Lettres communes η. 8373 zu 1317-18 aus Reg. Aven. 54: Traditae fuerunt administrators eleemosynae pro eleemosyna „pinhotae" pauperum facienda, CXLIV saumatae grossae et VIII eminae annonae,... \ vgl. auch VIDAL, Lettres communes η. 8374. Reg. bei WILLIMAN, Letters S. 210 n. 25 von 1359 Sept. 4. Ζ. B. IE 286 f. 202r von 1358 Dez. 29 (Jahresendrechnung des Almosenamtes): ...sine predictis 100 saum. annone, 38 saum. 7 em. ordei, 10 saum. mixture et 16 saum. 9 em. siligignis a d. Astorgo de Combis clavario sancti Remigii... habitis et receptis ut in rubrica recepte episcopatus superius continetur. Fast gleichlautend auch auf f. 74r, der Endabrechnung der Bistumseinnahmen.

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Der Beitrag des Bistums Avigon zur Versorgung der Kurie

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zu Lasten der Kammer gegangen und dann auch in den Hauptbüchern aktenkundig geworden . Schließlich sind noch einige Belege erhalten, daß die päpstlichen Generalvikare auf dem Bischofsbesitz Mühlen anlegen ließen: die von Barbentane ist bereits erwähnt, eine weitere haben sie in St.-Remy bauen lassen2. Die Belastungen, welche das Bistum in Folge der päpstlichen Anwesenheit zu tragen hatte, sind auf diese Weise immerhin teilweise auf einen größeren Trägerkreis verteilt worden. Ich habe oben darauf hingewiesen, daß sich die Kirchen, welche der Papst dem Bistum zuwies, teilweise an Orten befanden, wo das Bistum größeren Landbesitz hatte und wo der Papst diese durch Neuankäufe arrondieren und die alten castra wiederherstellen ließ. All dies wird man als Teil einer Gesamtstrategie zu sehen haben, welche darauf abzielte, dem Bistum möglichst großen Grundbesitz und möglichst große Einkünfte zu sichern, die indirekt wiederum zum Unterhalt des päpstlichen Hofes beitrugen. Möglicherweise dem gleichen Zweck, die Einkünfte des Bistums zu erhöhen, dienten die zahlreichen Benefizien in den Bistümern Vieh, Gerona, Clermont, Tuy, Albi, Metz, Eine und Pamplona, welche Johannes dem Jacobus de Via, dem Elekten von Avignon, zuwies . Die bisherigen Inhaber resignierten zugunsten des Elekten4 und wurden durch andere Benefizien entschädigt. Eine Fallstudie: St.-Remy Den besten Einblick aber bieten die Abrechnungen des päpstlichen Vikars in St.Remy, Bernard de Puy, dessen Kladde über die Einnahmen und Ausgaben der Kirchen Saint-Martin und Saint-Pierre erhalten geblieben ist5; beide Kirchen waren - wie erwähnt - von Johannes XXII. der mensa episcopalis von Avignon zugewiesen. Sowohl die Gelder und Naturalien, welche diese Kirchen aus ihren Gütern erhielten, wie auch die, welche sie ihrerseits an die Kurie abführten, sind verzeichnet. So werden am 20. Mai 1318 pro domino papa 28 Säume Wein nach Avignon transportiert ; ein anderes Mal Fische aus dem Fischteich7. Vor allem aber Getreide und in geringerem Maße auch Bohnen haben die Kirchen an das päpstliche Almosenamt geliefert. Immer wieder werden Getreidetransporte nach Noves erwähnt, dem Sammelpunkt, von dem aus das Getreide weiter nach Avignon transportiert worden ist8. Dort hatte man ein 1 2

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Vgl. Kap. vm,3. ALBANES, GCN 7, S. 817 n. 4541 von 1318 Apr. 15. Ober die Mühlen innerhalb Avignons, die teilweise im Besitz des Bistums waren, vgl. HAYEZ, Avignon, S. 258. MOLLAT, Lettes communes η. η. 1504-1506, 1521, 1528, 1530-1533 (zit. bei ALBANES, GCN 7, S. 294 n. 900) von 1316 Okt. 16. Belege für weitere Benefizien bei ALBANES, GCN 7, S. 296 ff. Ober die Prozedur des Resignierens vgl. MOLLAT, Collation, S. 23 ff. Ed. CHAILLAN, Saint-Remy, S. 21 ff. Die Kladde geht von 1318 Mai-Dez. CHAILLAN, Saint-Remy, S. 42. CHAILLAN, Saint-Remy, S. 57.

Mitunter wird dies ausdrücklich erwähnt: ...pro blado predicto portato de Sancto Remigio et de Novi (ad) Avinione..., zit. nach CHAILLAN, Saint-Remy, S. 51. Auch hat die Kammer in Noves

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Der Trend zur Selbstversorgung

Haus zur Lagerung des Getreides gemietet1. Leider wird nur ausnahmsweise die Menge des Gelieferten angegeben . Aber auch auf andere Weise trug St.-Remy zum Unterhalt der Kurie bei. So hat Arnaldus de Via, ein einflußreicher Höfling3, dort im Winter seine Pferde - insgesamt neun Stuten - untergestellt und durchfüttern lassen4; auch der päpstliche Kellermeister, der sich auf Einkaufsreise befand, quartierte sich dort ein5. Auch in späteren Jahren ist St.-Remy fur die Versorgung des Hofes wichtig geblieben. Aus fragmentarischen Abrechungen eines päpstlichen Kammerbeamten erfahrt man6, daß St.-Remy in den Jahren 1350 bis 1352 drei Mal größere Lieferungen Wein - er wird ausdrücklich mit der Formel de vinis episcopatus umschrieben - an das päpstliche Almosenamt geliefert hat. Insgesamt beläuft sich die gelieferte Menge auf 548 Säume Wein, im Jahresdurchschnitt also auf 183 Säume. Entwicklung unter Benedikt XII. Unter Benedikt XII. und seinen Nachfolgern hat man die Abgaben des Bistums in den Kammerhauptbüchem gebucht, wo sie - vermischt mit anderen Einnahmen - unter dem Titel de diversis zu finden sind7. Aber auch hier gilt wieder, daß lediglich die Geldzahlungen verbucht sind, nicht die Naturalleistungen. Freilich änderte sich unter Benedikt die Situation insofern, als er dem Bistum in der Person seines Thesaurars, des Johannes de Coiordano, wieder einen Bischof gab. Bei den während seiner Amtszeit in den Kammerhauptbüchern verbuchten Einnahmen handelt es sich um Beträge, die vorher - noch unter Johannes XXII. - fallig geworden waren, aber erst nachträglich bezahlt und verbucht worden sind8. Die seither falligen Gelder dürfte also wieder der Bischof, nicht mehr die Kammer kassiert haben. Leider erfahrt man nicht, wie es mit den Naturalleistungen gehalten wurde.

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selbst Getreide teils eingekauft, teils von den Bistumsgütern bezogen. Vgl. VIDAL, Lettres communes η. 8379 von 1331. Item pro domo Astrugi de Portas, iudei de Novis, in qua erat maior pars ordei et omnes fabbe et pizza, que per dictum tempus steterunt. Zit. nach CHAILLAN, Saint-Remy, S. 51. Einmal heißt es: ...fuit traditum helemosinario Pinhote videlicet 184 saum. 2 sext. annone, 40 siliginis et 1 sext. et ordei 25 (sie), zit. nach CHAILLAN, Saint-Remy, S. 52. Vgl. Kap. VI,3. CHAILLAN, Saint-Remy, S. 15. CHAILLAN, Saint-Remy, S. 80. Coli. 450 f. 29r-30r von 1350-52, Beschreibung der Handschrift bei SCHIMMELPFENNIG, Versorgung, S. 783.

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E d . GÖLLER, V Q 4 , S . 9 7 ff.

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Bei den Einträgen in den Hauptbüchern steht durchgängig die Formel: ...dum episcopatus Aveniort. admanus camere apostolice tenebatur..., zit. nach GÖLLER, VQ 4, S. 111 von 1336 Sept. 16.

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Clemens VI. und Innozenz VI. Unter Clemens VI. verlor Johannes sein Amt als Thesaurar, blieb aber weiter Bischof von Avignon. Erst 1349, nach dem Ankauf der Stadt Avignon durch die Kurie1, als Clemens neue Einnahmen benötigte, hat der Papst wieder in die Bahnen Johannes' XXII. eingelenkt: er transferierte Johannes de Coiordano auf den Stuhl von Mirepoix und ernannte seinen Kämmerer und seinen Thesaurar zu Generalvikaren2. Die Einnahmen des Bistums flössen nun wieder in die Kämmen diese hat sie unter einem eigenen Einnahmetitel, Episcopatus Auinionen., verbucht ; er steht in den Hauptbüchern jeweils im Anschluß an die Einnahmen der Kollektoren. Sie betrugen durchschnittlich rund 2900 fl. pro Jahr, sind also im Vergleich zu Johannes XXII. angestiegen. Auch hier sind die Naturalleistungen nicht berücksichtigt. Der Eindruck, daß die Avignoneser Kirche - trotz der genannten Belastungen - von der Anwesenheit des Papstes durchaus profitiert hat, wird durch die Servitientaxe bestätigt: mit der Amtszeit des Johannes de Coiordano steigt sie von 1600 auf 1850 fl. und bleibt während des gesamten 14. Jahrhunderts auf diesem Stand4. Innozenz VI. folgte dem Beispiel seines Vorgängers und ließ das Bistum durch Vikare verwalten5; weiterhin kassierte die Kammer die Einnahmen des Bistums6. Urban V. und Gregor XI. Erst Urban V. ernannte 1362 wieder einen Bischof von Avignon , nämlich seinen Bruder Anglicus Grimoardi8. Er hat sich um die Erfassung und Sicherung des Bistumsbesitzes sehr verdient gemacht: vor allem er ließ seinen clavarius (Verwalter

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Es wäre zu erwarten, daß nach dem Kauf der Stadt die städtischen Abgaben, welche bisher an den König von Neapel gezahlt worden sind, nun an den Papst entrichtet worden wären. Erstaunlicherweise findet man in den Hauptbüchern keine derartigen Zahlungen, lediglich Abgaben der Avignoneser Judengemeinde sind von da an verzeichnet. Vgl. ζ. B. MÖHLER, VQ 5, S. 433 von 1350 Febr. 1 und S. 443 von 1350 Dez. 10.

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V g l . ALBANSS, G C N 7 , S. 3 5 5 n. 1 3 1 2 v o n 1 3 4 9 Jan. 8 u n d n. 1 3 1 3 v o n 1 3 4 9 Jan. 2 3 .

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Ed. MÖHLER, VQ 5, S. 615 ff. Möhler hat allerdings die Zahlungen des Jahres 1349 übersehen.

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HOBERG, Taxae, S. 17. Vgl. ALBANES, GCN 7, S. 356 n. 1315 zu 1352-1362.

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Ed. HOBERG, VQ 7, passim. Vgl. auch das Schreiben des päpstlichen Kämmerers an den clavarius des Bistums, wo er diesen beauftragt, die rückständigen Einkünfte des Bistums zugunsten der Kammer einzuziehen (Reg. bei WILLIMAN, Calendar η. 129 von 1363 Mäiz 8). Der bisherige päpstliche Vikar wurde dem Bischof untergeordnet (SCHÄFER, VQ 6, S. 23 von 1363 Juli 24). Urbans Ernennungsurkunde von 1362 Dez. 12 ed. ALBANES, GCN 7, S. 361 n. 1335; die Konsekrationsurkunde von 1363 Jan. 8 ed. ebenda. S. 366 n. 1347. Ober Anglicus Grimoardi vgl. ALBANES, GCN 7, S. 359 und jetzt vor allem VONES, Urban V., S. 90 ff. Über sein Quartier im Papstpalast vgl. Kap. IV,2.

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oder Schatzmeister), Sicard du Fraise, mehrere „terriers" (Kataster) anlegen, welche den städtischen Grundbesitz des Bistums erfassen1. Während seiner Amtszeit sind weiter Naturalien der Bistumsgüter an die Kammer geliefert worden, aber nicht mehr umsonst, vielmehr mußte sie nun dafür bezahlen. 1363 etwa hat Geraldus de Calma, der Verwalter des Armenhauses, von den bischöflichen Gütern in Noves, Orgon und St.-Remy 253,5 große Säume Getreide erhalten, die Kammer aber mußte dafür dem Clavarius des Bistums umgerechnet 542 fl. entrichten . Im gleichen Jahr kaufte der Verwalter 392,5 Säume Wein; wieder trat der clavarius des Bistums Avignon als Verkäufer auf. Es handelte sich um Lieferungen aus Orgon, St.-Remy und Chäteauneuf3. Teilweise allerdings sind die Weinlieferungen weiterhin umsonst, d. h. nur gegen die Erstattung der Transportkosten, von den bischöflichen Beamten an die Kammer bzw. das Almosenamt geliefert worden4. Bis zu einem gewissen Grade ist also auch dann, als das Bistum wieder einen eigenen Bischof hatte, es zwar nicht direkt zum Unterhalt der Kurie, wohl aber zum Unterhalt der Armen herangezogen worden. Aus der Amtszeit des Anglicus Grimoardi ist auch das Hauptbuch des Sicard de Fraise, der Niederschlag der bischöflichen Finanzverwaltung, erhalten5. Es bietet in vieler Hinsicht eine Bestätigung und Ergänzung der im folgenden erörterten päpstlichen Hauptbücher. Gerade für die hier besonders interessierenden Naturaleinkünfte des Bistums ist es freilich nur zum Teil ergiebig, da es solche nur dann erwähnt, wenn sie verkauft und die daraus erzielten Einkünfte ins Hauptbuch eingetragen worden sind. Solche, die das Bistum selbst verbrauchte oder umsonst weitergab, sind nicht aktenkundig geworden. Immerhin erfahrt man, daß das Bistum zahlreiche Naturalabgaben erhielt. Wein bezog es zunächst aus seinen eigenen Gütern . Eines davon wird ausdrücklich in Villeneuve lokalisiert7. Zudem besteuerte das Bistum den Verkauf von Weintrauben, eine Steuer, die teils in Geld, teils aber auch in Trauben gezahlt wurde8. Auch die Weintrauben hat man nur dann verzeichnet, wenn sie im Auftrage des Bischofs weiterverkauft worden sind. Ähnlich hat das Bistum Getreide sowohl

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Das bedeutendste ist ed. von HAYEZ, Terrier. Über Sicard vgl. HAYEZ, Oeuvre, S. 1 7 3 ff.; VONES, Urban V., S. 330 ff. Anglicus hat später als päpstlicher Vikar in der Romagna auch eine Descriptio Romandiole anlegen lassen, die ähnlichen Zwecken diente (ed. MASCANZONI, Descriptio, weitere Literatur bei VONES, Urban V . , S. 92 Anm. 151). IE 307 f. 129r-v von 1363 Dez. 15 (Kurzfassung bei SCHÄFER, VQ 6, S. 78). IE 307 f. 129v-130r von 1363 Dez. 31. Der Preis betrug 587 fl. So in IE 307 f. 137r-v von 1364 Sept. 30; ähnlich IE 318 von 1365 Nov. 29 und IE 318 f. 124r von 1366 Aug. 18. Avignon, Arch. dep. G 9 (von 1363-1366). Auf f. 212r-v findet sich eine Abschrift der Entlastungsurkunde, die Anglicus dem Sicard de Fraise ausgestellt hat und die dieser in das Hauptbuch hat kopieren lassen. Ein eigener Ausgabetitel betrifft die Expense facte pro putando et colendo vineas domini mei episcopi (f. 19r). Es folgen Expense facte pro faciendo agrestam (f. 21r). Verbucht werden größtenteils Tagelöhner für Arbeiter in den Weinbergen. F. 44r. F. 44v: Recepta pecunie vinorum decime racemorum venditorum.

Der Beitrag des Bistums Avigon zur Versorgung der Kurie

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von seinen eigenen Zinsbauern erhalten als auch ein Viertel des Getreidezehnten von allen Pfarreien des Bistums1. Aber auch Anglicus Grimoardi blieb nicht lange Bischof von Avignon. Schon wenige Jahre später, 1366, promovierte ihn Urban zum Kardinal2, entzog ihm aber das Bistum, dessen Verwaltung er wieder Generalvikaren übertrug3. 1368, nachdem er selbst nach Rom umgesiedelt war, unternahm er einen neuen Anlauf und ernannte Petrus de Agrifolio, Bruder des Kardinals Guillelmus de Agrifolio, zum neuen Bischof4. Er sollte bis zu seinen Tode 1371 im Amt bleiben. Der gerade geweihte Gregor XI. ernannte einen jüngeren Bruder der beiden, Fayditus de Agrifolio, zum Bischof5; er amtierte von 1371-13836. Zusammenfassung Diese - sehr lückenhafte - Bischofsreihe verdeutlicht, für wie wichtig die Päpste die Kontrolle des Bistums Avignon hielten. Soweit sie das Bistum nicht durch Vikare bei diesen handelte es sich durchgängig um die Spitzen der päpstlichen Finanzverwaltung - verwalten ließen, stammten die Bischöfe aus dem Kreise ihrer engsten Verwandten und Vertrauten. Insbesondere vor dem Kauf der Stadt durch Clemens VI. hatten die Päpste dadurch, daß sie das Bistum kontrollierten, auch eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit, auf die Stadtherrschaft einzuwirken. Auch konnten sie dem Stadtherm, dem König von Neapel, nicht nur als Gast, sondern auch als Inhaber einer selbständigen Rechtsposition gegenübertreten. Die erheblichen Naturalleistungen, welche das Bistum direkt an die zuständigen Hofamter geliefert hat, lassen sich leider nur sehr ungenau bestimmen, immerhin ist deutlich, daß diese keineswegs unbeträchtlich waren7.

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F. 47v. Am 18. September 1366. Vgl. ALBANES, GCN 7, S. 413 n. 1437. Vgl. Urbans Urkunde von 1366 Sept. 18 bei ALBANES, GCN 7, S. 414 n. 1439. Die Ernennungsurkunde bei ALBANES, GCN 7, S. 433 n. 1497 von 1368 Okt. 11. Über Petrus de Agrifolio und sein Quartier im päpstlichen Palast vgl. Kap. IV,2. Gregors Provisionsurkunde von 1371 Juli 18 ed. ALBANES, GCN 7, S. 442 n. 1522. Über Fayditus vgl. ALBAHES, GCN 7, S. 439 ff. Vgl. dazu auch Kap. ΠΙ,2.

VII,2. Maßnahmen der Hofämter Johannes XXII. und Benedikt ΧΠ. Bereits vor der Ansiedlung in Avignon hatte die Kurie mit dem Marstall über eine Institution verfugt, die für die Versorgung der päpstlichen Pferde zuständig war. Zusammen mit der Küche weitete der Marstall seine Tätigkeit dahingehend aus, daß der Hof in Avignon bis zu einem gewissen Grade nicht mehr auf regelmäßige Fleischeinkäufe angewiesen war. So hat die Küche eine domus angemietet, wo sie Hühner, Kapaune und sogar junge Hirsche hielt1. Die Kosten für ihr Futter flössen regelmäßig in die Wochenrechnungen mit ein2. Es gab auch einen Stall für die zahlreichen dem Papst geschenkten Ochsen3. Sie lagen beide nahe bei der domus Trolhatio4, welche den nordöstlichen Eckpunkt des Palastes bildete5. Hier wuchs der Marstall immer mehr in die Rolle einer Versorgungseinrichtung für die zahlreichen für den Palastbedarf gehaltenen Schlachttiere hinein. Der vom Marstall beschaffte Hafer diente nicht nur zur Fütterung von Pferden und Lasttieren, ebenso versorgte er die Hühner, Kapaune, Schweine, Hammel, Rehe und Hirsche pro domino nostro6. Sogar ein Kamel läßt sich nachweisen7. Für die Wartung des Kamels und des Wildes wurde das Amt des custos cameli et venationum eingerichtet8. Für diese Tiere gab es neben dem Stall9 noch eine Art Freigehege10; wie die genannten Ställe lag es bei der domus Trol-

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 7 8 .

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Ζ. B . SCHÄFER, V Q 2 , S. 9 0 : . .

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 7 6 u n d 7 8 .

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SCHÄFER, VQ 2, S. 300 von 1327 Febr. 1: ...pro edificiis domorum stabuli novi et gallinarie de Trulahatio. An dieser Stelle wurde später unter Benedikt ΧΠ. die turns Trulhatio errichte. Vgl. den Plan bei SCHIMMELPFENNIG, Fonction, S. 44 (auch im Anhang). Speziell diesem Turm widmet sich COLOMBE, Recherches 4, S. 53 ff., der ihn als das (spätere) Gefängnis Colas de Rienzo identifiziert. SCHÄFER, VQ 2, S. 183. So heißt es etwa in einer Haferabrechnung des 11. Pontifikatsjahres: ...se expendisse de avena pro equis, saumeriis, camelo et cervis, capris, mutonibus, apris, panonibus et caponibus domini nostri..., zit. nach IE 82 f. 56r. Allerdings findet man auch in den Kladden des Kücheneinkäufers Abrechnungen über derartige Einkäufe (ζ. B. IE 179 f. 129v von 1340 Juni 9); die Kompetenzen waren offenbar nicht eindeutig verteilt. Es war ein Geschenk König Roberts von Neapel (SCHÄFER, VQ 2, S. 477 von 1326 Apr. 10). Er taucht erstmals 1326 Dez. 6 als Gehaltsempfänger auf (SCHÄFER, VQ 2, S. 584). Erstmals belegt ist er 1326 Aug. 23 (SCHÄFER, VQ 2, S. 359). Die Amtsbezeichnung ändert sich in custos cervorum et aliorum animalium etviridarii (SCHÄFER, VQ 2, S. 588 von 1328 Okt. 8). ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 37 von 1330 März 19: ...pro redressando domum in qua habitabant animalia bruta, que ceciditpropter pluvias. Es wird zumeist als viridarium domini bezeichnet und war mit einer Mauer umgeben (SCHÄFER, VQ 2, S. 295). Es ist unsicher, inwieweit es von dem gleichfalls mit viridarium bezeichneten Platz abgegrenzt war, auf dem das Brennholz gelagert wurde.

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fenopro cervis, brenniopro caponibus et gallinis.

Maßnahmen der Hofamter

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hatio, später der turris Trolhatio1, wo sich überhaupt die Versorgungseinrichtungen konzentrierten. Das Halten von Wild und exotischen Tieren diente neben der Versorgung des Papstes auch zu repräsentativen Zwecken. Es gab sogar jeweils einen Stall für Löwen und Bären2; es scheint aber, daß diese Planstellen unter Johannes noch nicht besetzt worden sind3. Erst unter Benedikt XII. ist ein Löwe nachweisbar. Wie das schon erwähnte Kamel war er ein Geschenk König Roberts von Neapel4. Es bleibt festzuhalten, daß die vom Küchenpersonal zu verrichtende Arbeit keineswegs auf das Einkaufen und Kochen beschränkt war, vielmehr mußten die eingekauften Rohmaterialien erst soweit vorbereitet werden, daß sie gekocht werden konnten. Dies gilt insbesondere für die vom Hof selbst gehaltenen Tiere, die versorgt, geschlachtet und zerlegt werden mußten. In die geschilderten Bestrebungen zur Selbstversorgung hat man auch die anderen Residenzen miteinbezogen. Bereits Johannes XXII. hat einen Garten5 bei dem Palast in Sorgues anlegen und diesen mit Bäumen bepflanzen lassen6. Man darf vermuten, daß es sich um Obstbäume gehandelt hat7. Aus dem Pontifikat Benedikts XII. erfahrt man, daß in diesem Garten Gemüse, Kohl und Spinat angebaut worden ist8. Auch hat Benedikt einen Teil der in Avignon gehaltenen Hirsche nach Sorgues verlegen lassen9. Unter seinen Küchenausgaben hat man regelmäßig Ausgaben für das Futter verzeichnet, welches das am Hof gehaltene Geflügel erhielt10. 1

In diesem Turm wurde unter anderem das Brennholz sowie - in der camera carbonis - die Kohle gelagert. Daß sich die Pferdeställe des päpstlichen Marstalls in der Nähe befanden, zeigt CoLOMBE, Recherches 23, S. 552. Zur Etymologie der Ortsbezeichnung vgl. COLOMBE, Recherches 23, S. 547 f.

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SCHÄFER, V Q 2 , S . 2 9 5 .

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Ein Gehege mit exotischen Tieren beim päpstlichen Hof ist bereits im 13. Jahrhundert belegt. Bonifaz VIII. hat sogar seinen Leoparden in einem transportablen Käfig mit auf Reisen genommen. Vgl. PARAVICINI BAGLIANI, Cour, S. 26 f. SCHÄFER, V Q , 3 , S. 2 3 und S . 2 9 von 1 3 3 5 Juni 1; dazu ANDRE-MICHEL, Palais 1, S . 4 5 von 1 3 3 5 Juni 2. Zur mittelalterlichen Gartenkultur allgemein vgl. JANSSEN, Gartenkultur, S. 224 fT. mit weiterer Literatur. IE 55 f. 52ν von 1323 Febr. 18 und passim. Schon während des Pontifikats Nicolaus' ΙΠ. (1277-1280) hatte es beim Vatikan einen päpstlichen Garten gegeben, in dem Wein angebaut und Obstbäume kultiviert wurden. Vgl. PARAVICINI

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BAGLIANI, Cour, S. 2 4 ff. 8

V g l . ζ . B . SCHÄFER, V Q 3 , S. 5 5 v o n 1 3 3 6 Jan. 2 7 .

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IE 162 f. 51r-v von 1337 Nov. 22-29: Ein Schiffstransport von ...46 cervis domini nostri pape de Avinione scilicet de hospicio Trohassii usque adpalacium Ponte Sorgie... Die Ausgaben fllr das Futter sind in den Kladden der Kücheneinkäufer mit verbucht, ζ. B. IE 179 f. 121v von 1340 Mai 12: Item pro erba cervorum Pontissorgie... Vgl. ζ. B. SCHÄFER, VQ 3, S. 46 von 1336 Jan. 20; S. 122 von 1340 Juni 9. Von der Menge des am Hofe gehaltenen Geflügels kann man sich eine Vorstellung machen, wenn man sieht, daß für einen zehnwöchigen Zeitraum 33 Scheffel Kleie und 13 Scheffel Hirse für die Versorgung des Geflügels gekauft worden ist. So IE 185 f. 52ν von 1340 Juni 3-10 für den Zeitraum von März 25 bis Juni 3. Allerdings schwanken die Futtermengen von Einkauf zu Einkauf sehr stark.

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Der Trend zur Selbstversorgung

Clemens VI. Unter Clemens VI., jenem Papst, in dessen Pontifikat sich die Küchenausgaben vervielfacht haben, ist der Trend zur Selbstversorgung gleichwohl noch verstärkt worden. Beim Avignoneser Palast ist nun gleichfalls ein Gemüsegarten belegt, in dem man Petersilie, Spinat, Gurkenkraut und Kohl anbaute1. Später sind auch Majoran und Salbei belegt2. Auch für Düngung und für die Anlage eines Bewässerungskanals sind Kosten entstanden3. Dieser neue Garten scheint sich am Fuß der turns Trulhassio befunden zu haben. Der Papst hat hier sogar eine Anlage zur künstlichen Bewässerung des Gartens anlegen lassen4, diese war eine Erweiterung der Anlage, über welche Wasser vom Brunnen des Innenhofes zur Küche geleitet wurde5. Mehrfach findet man auch einen Garten erwähnt, der beim päpstlichen Fischteich lokalisiert wird6. Auch weiterhin hat der Papst Rinder in großer Anzahl geschenkt bekommen7; diese sind in Ställen beim Palast gehalten worden8. Im Unterschied zu früher sind sie freilich vom Hof sämtlich verzehrt worden; es gab keine überschüssigen Tiere mehr, welche man hätte verkaufen können. Das bereits von seinen Vorgängern angelegte Wildgehege hat Clemens ausbauen lassen9. Nicht nur ein Löwe, sondern auch eine Löwin10 und deren Jimgen sind dort

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SCHÄFER, V Q 3, S. 2 2 5 v o n 1 3 4 2 O k t . 12 u n d 2 2 . V g l . a u c h SCHÄFER, V Q 3, S. 4 3 4 v o n 1 3 4 9 O k t .

5 und 1350 Apr. 14. Über die älteren Gartenanlagen in den päpstlichen Residenzen in Italien vgl. RADKE, Viterbo, S. 106 ff. Leider ist über sie nur wenig bekannt. 2

SCHÄFER, VQ 3, S. 638 von 1356 Febr. 24.

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SCHÄFER, V Q 3, S. 4 5 5 v o n 1 3 5 0 D e z . 11.

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Vgl. COLOMBE, Nouvelles Recherches 8, S. 14 ff. Siehe unten. Ζ. B. IE 250 f. 62v von 1347 Juli 24: Pro loquerio 12 hominum, qui properaverunt ortum, qui est iuxtapiscarium (4 sol. pro Tag); ähnlich SCHÄFER, VQ 3, S. 383 von 1347 Nov. 14. Z.B. JE 210 f. 76v von 1349 Jan. 7: ...de bovibus presentatis et datis tarn in expensis ordianariis quam in bonis datis consanguineis et servientibus d. n. p. et etiam in sale positis 11 bovibus cum dimido... Zum Teil hat Clemens die ihm geschenkten Ochsen also weiterverschenkt; an der gleichen Stelle auch: ...de 100 mutonibus presentatis per abbatem de Casa Dei...; ähnlich IE 261 f. 81v-82r von 1351 Jan. 11: Pro 24 quint, feni, quam comederunt 4 boves presentates per archiepiscopum Ebredunen. et 8 boves presentates per abbatem s. Theofredi - 9 lib. 12 sol. Vgl. etwa SCHÄFER, VQ 3, S. 237 von 1344 März 29; S. 257 von 1343 Mai 24. Auch die Kosten ftr das Futter hat man regelmäßig verzeichnet, ζ. B. IE 216 f. 76r 1344 nach Juni 6-13: Propastura bovum - 9 lib. 9 sol.;pro 12 vasis avenepro dictis bovibus - 42 sol.; pro salario ... 2 hominum, qui custodierunt dictos boves et pro loquerio stabuli ubi stabant - 4 lib. 16 sol. 6 den. Daß Löwen und andere exotische Tiere ein beliebtes Geschenk unter Herrschern waren, zeigt Voss, Herrschertreffen, S. 160 f. Pro leonissa heißt es durchgängig in den Hauptbüchern. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 3, S. 226 von 1343 Apr. 21 und S. 257 von 1343 Juli 12 (Ankaufeines eisernen Käfigs). Die Löwin erhielt täglich ein Hammelviertel (vgl. ζ. B. SCHÄFER, VQ 3, S. 271 von 1344 Juni 4). Es ist hier nicht der Ort, die vielfältigen Beziehungen zwischen der Kurie und der Avignoneser Judengemeinde zu

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Maßnahmen der Hofämter

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gehalten worden1. Das weitere Schicksal der päpstlichen Löwen sei kurz beschrieben. Innozenz VI. hat die Löwen und auch die sonstigen wilden Tiere, die nur aus Prestigegründen gehalten wurden, abgeschafft2. Urban V. dagegen hat wieder einen Löwen gehalten, diesmal war er ein Geschenk des Bischofs von Mallorca3. In Italien - während seiner Romreise - haben ihm die Genuesen außerdem einen Leoparden geschenkt4. Wo er geblieben ist, weiß ich nicht zu sagen. Gregor XI., der Neffe Clemens' VI., hat sich - wie einst sein Onkel - wieder für eine Löwin entschieden5. Zuständig für das Tier war der Kastellan des Palastes (castellanus palacii pape), er hatte in Abwesenheit des Papstes den Palast zu beaufsichtigen6. Gregor hat das Tier nicht mit nach Rom genommen; es verblieb in Avignon7. Neben dem Löwen ist unter Clemens VI. auch ein Bär belegt. Man erstaunt, daß er mit Brot gefüttert wurde8. Weiterhin hat man in dem erwähnten Wildgehege auch Biber gehalten9. Zu lokalisieren ist das Gehege im Norden Avignons an der alten Stadtmauer in der Nähe des portus Rhodanus10. In Sorgues gab es ein weiteres Gehege für Hirsche", wo später auch noch weitere exotische Tiere - darunter Pfauen gehalten worden sind12. Bei dem neugebauten Palast in Villeneuve hat Clemens auch

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schildern. Aber es sei doch angemerkt, daß sie selbst an der Versorgung des päpstlichen Löwen nicht unbeteiligt war. In der Fastenzeit nämlich, wenn nicht nur der Verzehr, sondern auch das Schlachten von Tieren und das Verkaufen von Fleisch untersagt war (so die Statuten von Avignon, ed. DE MAULDE, S. 173 n. 84), hat die Kammer die nötigen Fleischmengen bei jüdischen Viehhändlern eingekauft, die von dem Verbot nicht betroffen waren. Vgl. etwa IE 247 f. 124v von 1346 Juni 19: Pro 3 quarteriis mutonis emptis ... pro dicta leotiissa in Juderia tribusprimis diebus quadragesime... Die Belege ließen sich vermehren. Eine Überblicksdarstellung zur Geschichte der Juden in Avignon bietet MOULINAS, Juifs (freundlicher Hinweis von Janine Mathieu); speziell für den Untersuchungszeitraum vgl. auch GUILLEMAIN, Cour, S. 642 ff. Löwenjunge werden erstmals 1348 Okt. 10 (IE 210 f. 155v) erwähnt. Es werden dann auch Halsbänder und ein fahrbarer Käfig für die Löwen angeschafft (IE 210 f. 157r von 1348 Okt. 23). Ich folgere dies daraus, daß kein Futter mehr für sie gekauft worden ist. Andererseits erfährt man aus dem Jahre 1354, daß der Hamburgische Prokurator in Avignon ad videndum leonem Eintritt zahlte (SCHRÄDER, Rechnungsbücher, S. 91*). Ob es sich dabei um den päpstlichen Löwen gehandelt hat, ist allerdings nicht ganz sicher.

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SCHÄFER, V Q 6, S. 6 1 v o n 1 3 6 4 M a i 2 9 .

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IE 325 f. 71r von 1367 Nov. 13.

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SCHÄFER, V Q 6, S. 5 6 2 v o n 1 3 7 5 J a n . 4 .

6

SCHÄFER, V Q 6 , S. 6 0 4

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SCHAFER, VQ 6, S. 680 von 1376 Febr. 29.

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Die Abrechnungen pro pane ursi tauchen in der Regel alle sechs Wochen in den Büchern auf. Vgl. etwa SCHÄFER, VQ 3, S. 257 von 1343 Juni 8-15; man findet aber auch einfach pro expensis ursi, ζ. B. IE 220 f. 73r von 1343 Juni 22-29. Ζ. B. IE 220 f. 77r von 1343 nach Okt. 6-13; IE 220 f. 81v von 1343 nach Dez. 7-14.

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von

1375

Febr.

9

und

S. 6 2 3

von

1375

Juni

30.

10

SCHÄFER, V Q 3 S. 2 5 5 v o n 1 3 4 3 D e z . 18.

11

SCHÄFER, V Q

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SCHÄFER, VQ 6, S. 411 von 1372 Aug. 14 und S. 493 von 1373 Apr. 28. Das Wildgehege in Sor-

3,

S.

257 von 1343 Mai 10-Juni 14; I E 220 f. 73r von 1343 nach Juni 22-29 u. ö.

gues ist auch unter Gregor XI. noch belegt (Coli. 465 f. 240r von 1372 Aug. 14). Zuständig für den

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Der Trend zur Selbstversorgung

Ställe für Pfauen und Kaninchen errichten lassen1. Die Aufsicht über diese Tiere oblag dem custos hospitii domini nostri in Villanova; einen Thomas de Doparia kann ich als ersten Inhaber dieses Amtes nachweisen2. Urban V. hat sich sogar provenzalische Kaninchen nach Rom nachschicken lassen; sie haben ihn dann auch erst nach Montefiascone3 und später wieder nach Avignon zurück begleitet4. Auch hat er - wie vor ihm die meisten Avignoneser Päpste5 - wieder einen Papagei im Palast gehalten6. Von Innozenz VI. zu Gregor XI. Die Tendenz zur Selbstversorgung ist von Clemens' Nachfolgern konsequent weiterverfolgt worden. Dabei spielte sicher ein Rolle, daß das Papsttum, beginnend mit Innozenz VI., zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten geriet; schon um Geld zu sparen, empfahl es sich, bei der Versorgung des Palastes möglichst die eigenen Versorgungsquellen heranzuziehen. Den Gemüsegarten hat Innozenz VI. erweitern lassen, und zwar durch das Anpflanzen von Apfel- und Pflaumenbäumen7. Urban V. hat dann in Avignon noch einen weiteren - den neuen - Garten anlegen lassen8. Die Versorgung mit Wein versuchte Innozenz dadurch sicherzustellen, daß er weitere Priorate mit eigenem Weinbau für den Bedarf der Kurie in Anspruch nahm9. Holz hat er in eigenen Wäldern schlagen lassen10. Schließlich hat er auf den bischöflichen Besitztümern sogar eigene Schafherden weiden lassen11. In die Küchenabrechnungen der Hauptbücher hat er dann auch die jeweils aus den eigenen Versorgungsquellen

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Einkauf des Futters war dort der castellanus palatii. Vgl. auch SCHÄFER, VQ 6, S . 494 von 1373 Dez. 14. SCHÄFER, VQ 3, S. 225 von 1343 März 12; IE 260 f. 173r von 1350 Jan. 19: Nicolai de Mala, custodi hospicii d.n.p..... ultra Rhodanum de expensis per ipsum factis pro cuniculis. IE 250 f. 154v von 1347 Sept. 19: dort dessen Abrechnung über ...expensis factis per eum pro cuniculis d. n. p. IE 331 f. 102ν von 1370 Apr. 30. SCHÄFER, VQ 6, S. 262 f. von 1369 Juli 10 und S . 281 von 1370 Okt. 21. Vgl. DIENER, Camera Papagalli, S. 4 3 ff., bes. S. 6 2 f. Im 15. Jahrhundert sollte es im päpstlichen Palast dann eine eigene camera Papagalli geben. In Avignon aber ist eine solche nicht belegt. Immerhin hat Benedikt ΧΠ. sein Schlafzimmer im Papstturm mit Fresken ausmalen lassen, welche die verschiedensten Waldvögel und Eichhörnchen darstellen, insofern mag es ein Vorläufer des Papageienzimmers gewesen sein. Vgl. zuletzt VINGTAIN, Avignon, S. 1 0 7 ff. (dort auch Abbildungen), die mit Recht nur von Vögeln im allgemeinen spricht. Immerhin zeigen die Wandbilder auch leere Vogelkäfige. Hat vielleicht Benedikt die Papageien seines Vorgängers fliegen lassen? IE 307 f. 97v von 1364 Apr. 30: Pro 2 lib. granorum pro papagallo - 2 sol. Angemerkt sei, daß schon vorher mitunter Ausgaben pro avibus verzeichnet sind, dabei scheint es sich aber um das Hof gehaltene Geflügel gehandelt zu haben. IE 272 f. 89v-90r von 1354 Apr. 6: Pro salario magistri, qui 2 diebus insertavit arbores pomos et prunos...

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SCHÄFER, V Q 6 , S. 181 m i t A n m . 2 v o n 1 3 6 6 N o v . 3 0 u n d S . 2 0 3 v o n 1 3 6 6 D e z . 2 3 .

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Vgl. Kap. VHI,3. Vgl. Kap. Vm,6. Vgl. Kap. Vm,4.

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Maßnahmen der Hofamter

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verbrauchten Lebensmittel aufnehmen lassen'. Dabei handelt es sich vornehmlich um die Fische aus den eigenen Fischteichen sowie um Hasen, Kaninchen und Geflügel aus der eigenen Zucht. Auch der Verbrauch von Großtieren aus den Geschenken und Großeinkäufen wird mitunter verzeichnet - also der Verbrauch an Hammeln, Kälbern und Rindervierteln. Unter Innozenz ist schließlich erstmals belegbar, daß Getreide aus Italien, aus den dortigen Provinzen des Kirchenstaats, nach Avignon eingeführt worden ist2. Diese Maßnahmen hat er in seinen letzten Jahren forciert, als auch die Provence von der schweren Krise betroffen wurde, die Frankreich infolge der Pest und des beginnenden Hundertjährigen Krieges befallen hatte3. Sie sind von Urban notgedrungen weitergeführt worden. Selbst für seine Reise nach Rom hat Urban V. Maßnahmen getroffen, um auch dort teilweise auf die eigenen Ressourcen zurückgreifen zu können. Schon vor Antritt seiner Reise hatte er angeordnet, in dem Garten beim Vatikanischen Palast Weinreben und Obstbäume anzupflanzen4. In dem dort angelegten Weinberg pflegte er Spaziergänge zu machen und sich mit den Arbeitern zu unterhalten5. Da er den italienischen Sorten nicht traute, hat er sogar Obstbäume von Avignon nach Rom transportieren lassen, um sie in seinem dortigen Garten einpflanzen zu lassen6. Aus dem gleichen Grund hat er Weinstöcke aus Lunel und Nimes nach Rom transportieren lassen7. Bevor Gregor XI. dann seinerseits nach Rom aufbrechen sollte, hat er die Maßnahmen seiner Vorgänger durchaus beibehalten und weiterbetrieben8. Darüber hinaus aber läßt sich zeigen, daß er den päpstlichen Grundbesitz in Avignon durch Zukäufe erweitert hat. Nur zufallig - durch ein erhaltenes Kodizill zu seinem Testament9 erfahrt man, daß er Landgüter im Venaissin hat erwerben lassen. Die Ausgaben dafür sind nicht über die Kammer abgewickelt, sondern aus seinen privaten Mitteln getätigt worden. Nachweisbar ist der Kauf von zwei Landgütern, Sabran und Menamenes. Beide lagen in der Nähe von Avignon, Sabran an der Straße von Avignon nach Apt, Menamenes bei l'Isle-sur-Sorgue (östlich von Avignon, nördlich von Cavaillon). Über die Ausmaße von Menamenes hat Hayez Klarheit geschaffen10, das Gut bestand aus einem großen Garten (13 Ar und 20 Quadratmeter), aus 171 Ar Wiese, 212 Ar mit Mandel- und Nußbäumen, 43 Hektar und neun Ar Ackerland und schließlich sechs Hektar und 25 Ar Weinberge. Auch die dort erzeugten Überschüsse dürften dem Hof zugute gekommen sein. 1

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IE 277 f. 77r-86r (1354/55); IE 278 f. 82r-92r (1355/56); IE 282 f. 72r-82v (1356/57); IE 286 f. 84r-93v (1357/58); IE 293 f. 78r-86v (1359/60). Vgl. Kap. VIE,2. Vgl. dazu Kap. VDI,1. Vgl. KIRSCH, Rückkehr, S. X, mit Quellenbelegen S. 164. Liber de vita, cap. 55, ed. ALBANES/CHEVALIER, S. 393.

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KIRSCH, Rückkehr, S. 103 n. 31 von 1368 Mai 19.

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SCHÄFER, VQ 6, S. 257 von 1369 Febr. 12 und S. 261 von 1369 Febr. 13, auch S. 262 von 1369 Apr. 7.

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Ζ. B . SCHÄFER, V Q 6 , S . 6 2 3 v o n 1 3 7 5 A p r . 2 8 .

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Ed. HAYEZ, Codicille, S. 2 2 8 ff. von 1376 Okt. 1, vgl. DERS., S. 2 2 3 ff. Vgl. HAYEZ, Codicille, S. 225.

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Der Trend zur Selbstversorgung

Fiskalismus und Zentralisierung sind Schlagwörter, die zur Beschreibung des Avignoneser Papsttums gerne verwandt werden, sie verweisen auf die Steuern und Abgaben, welche die Kirche in einem vorher nicht gekannten Ausmaß nach Avignon abzuführen hatte. Auch hier aber hat es noch Fälle gegeben, wo solche Abgaben nicht in Geld, sondern in Naturalien geleistet worden sind. Die Korrespondenz von Urbans V. Kämmerer bietet mehrere Fälle1, sie sind darüber hinaus interessant, weil sie sich in den Rechnungsbüchern gerade nicht finden. Wenn man annimmt, daß solche Fälle nicht über die Kammer abgerechnet worden oder jedenfalls nicht in die Hauptbücher aufgenommen worden sind, weil man sie eben nicht in Geld abgewickelt hat, so muß man mit einer erheblichen Dunkelziffer rechnen. Gerade bei den Avignon benachbarten Bistümern mögen solche Zahlungen in Naturalien nicht selten vorgekommen sein. Die päpstlichen Fischteiche2 In den Trend zur Selbstversorgung lassen sich auch die von der Kammer gemieteten Fischteiche einordnen3. Ein solcher Teich ist zunächst an der Sorgue nachweisbar, einem Bach, der im Süden Avignons an der alten Stadtmauer entlangfloß - also den Graben vor der Mauer füllte - und dann in die Rhone mündete. Der Teich lag dort vor der alten Stadtmauer - in burgo d. Poncii Augerii4, extra portale Brianssoni3, also in einem der Marktflecken, die später in die größere Ummauerung Urbans V. integriert werden sollten. Die Nutzung des Mauergrabens als Fischteisch war offenbar sehr verbreitet; sie drohte allerdings auch die Verteidigungsfähigkeit des Grabens zu beeinträchtigen. So ist aus dem Pontifikat Gregors XI. noch eine Urkunde erhalten, wo er den Bewohnern Avignons verbietet, an der Stadtmauer Fischteiche anzulegen6. Hier wird auch deutlich, daß solche Teiche keineswegs eine päpstliche Spezialität, sondern generell sehr verbreitet waren. Der Teich Johannes' XXII. gehörte einem Fischer namens Stephanus Johannis, welcher eine Jahresmiete von 25 Floren erhielt7. In dem Teich hat man Hechte und

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WILLIMAN, Calendar η. 63 von 1362 Apr. 6 (Obligation des Bischofs von Apt für 114 Säume Getreide); n. 584 von 1369 Febr. 15 (Ostia zahlt Census in Brennholz); n. 452 von 1367 Dez. 29 und n. 540 von 1369 Jan. 4 (Fiuggi zahlt den Census in Schweinfleisch, Brot und Kuchen). Einen ähnlichen Fall verzeichnet noch BAUMGARTEN, Untersuchungen, S. XCVH Anm. 1: dort wird eine Servitienobligation in Geld eingegangen, aber in gesalzenem Fleisch bezahlt. Zum folgenden vgl. GIRARD, Vivier, S. 41 ff. Ein Fischteich und eigene Fischer gehören bei Konrad von Megenberg 1,3 cap. 26 (ed. KRÜGER 1, S. 174 ff., vgl. auch DROSSBACH Yconomica, S. 92) selbstverständlich zu einem fürstlichen Hof.

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SCHÄFER, V Q 2, S. 619 von 1334 Dez. 1-1337 Jan. 8.

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Zit. bei GIRARD, Vivier, S. 42. Dieses Tor lag im Südwesten der Stadt. Vgl. GUILLEMAIN, Cour, Karte 2 und den Plan im Anhang; PANSIER, Dictionnaire, S. 188 f. Urkunde Gregors XI. von 1375 Aug. 23 (Avignon, Arch. Dep, AC, Boxte Pintat 22 n. 667). SCHÄFER, V Q 2, S. 310 von 1332 Nov. 27: Pro cavanda piscarium, quod pro domino nostro tenetur α Stephane Iohannes de Auin... ; vgl. dazu auch SCHÄFER, V Q 2, S. 312; V Q 3, S. 68 von 1337 März 3. Im Jahre 1338 hat man dann die Miete an den Erben des Stephanus Johannis ausgezahlt (IE 170 f. 38r von 1338 Febr. 14-21) Im Jahre 1340 ging die Miete an Bemardus Johannis

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Maßnahmen der Hofämter

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Karpfen gehalten1. Unter Benedikt XII. hat die Kammer in der Nähe dieses Teiches zeitweise noch einen zweiten gemietet, an dem eine Mühle lag; das Wasser des Teichs trieb zugleich das Mühlrad an. Man benötigte den zweiten Teich, wenn man im ersten - um ihn zu reinigen - das Wasser abließ und die Fische während dieser Zeit im zweiten aufbewahrte2. Girard nimmt eine Verlegung des päpstlichen Fischteiches an, gestützt auf einen Beleg aus dem Jahre 1344, gemäß dem ein päpstlicher Fischteich prope Beatam Mariam de Miraculis gelegen habe3. Diese Kirche indes lag ebenfalls im Südwesten Avignons4 nicht weit von dem erstgenannten Standort entfernt. Es dürfte wohl in beiden Fällen der gleiche Teich gemeint sein. Nicht lange danach hat es aber tatsächlich einen Ortswechsel gegeben, hat die Kurie - aus welchen Gründen auch immer - einen anderen Fischteich erworben5. Girard hat den Standort aus einer Reihe von Belegen annähernd bestimmen können: demnach lag er außerhalb der neuen Stadtmauer, vor der Porte des Miracles und nicht weit entfernt von der Rhone6. Dem Grundbuch des Bistums Avignon kann man noch einen weiteren Hinweis entnehmen: der Teich lag nahe der turns episcopf. Er ist demnach südwestlich Avignons zu lokalisieren, zwischen dem Port des Mauvoisins und der besagten „Tour l'eveque"8. Diese Teiche bestanden aus mehreren Becken9, anders wäre es nicht möglich gewesen, zugleich Hechte und Karpfen zu halten. Sie wurden durch Gräben mit Frisch-

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(IE 178 f. 49r von 1340 Jan. 1-8). Am 30 März 1342 ist Johannes Rostagnus, ein päpstlicher Waffenknecht (serviens armorum), als Testamentsvollstrecker des Stephanus Johannis belegt (SCHÄFER, VQ 3, S. 156). Seither ging die Miete an Raymundus Johannis, offenbar den Sohn und endgültige Erbe des Stephanus (SCHÄFER, VQ 3, S. 194, S. 229). 1343 sind dann Johannes Rostagnus und Petrus Johannis als Empfanger der Miete belegt (IE 220 f. 77r von 1343 nach Okt. 613). Seit 1344 ist der Besitz dieses Teiches an einen gewissen Guillelmus de Mediolano übergegangen, der nun die Miete kassiert (SCHÄFER, VQ 3, S. 260; auch IE 242 f. 172r von 1346 März 4). Zuletzt belegt ist er 1346 Okt. 23 (SCHÄFER, VQ 3, S. 320). SCHÄFER, VQ 2, S. 312, vgl. auch SCHÄFER, VQ 2, S. 122. Daß man beide Sorten im selben Bekken gehalten hat, ist kaum möglich. Erster Beleg bei SCHÄFER, VQ 3, S. 47 von 1336 Okt. 19-26. Genauer wird das Verfahren beschrieben bei IE 162 f. 49r von 1337 Aug. 30-Sept. 6: Pro portatura luciorum et scarparum de piscario iuxta predicatores usque ad aquam molendini iuxta fontem pape et reportatura ad dictum piscarium...; ähnlich IE 170 f. 43v von 1338 Sept. 5-12. Einen anderen Ausweichteich hat die Kammer im sechsten Pontifikatsjahr gemietet: IE 185 f. 55r von 1340 Sept. 9-16: Pro logerio piscarii B(emar)di Vedelli in quo fuerunt lucii d. n. p. per 3 septimanas - 30 sol. GIRARD, Vivier, S. 4 2 , nach ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 9 4 von 1 3 4 4 Sept. 2 8 . Vgl. GUILLEMAIN, Cour, Karte 2 und den Plan im Anhang. Da keine Mietzahlungen mehr belegt sind, muß man wohl annehmen, daß der neue Fischteich im Besitz der Kurie war. GIRARD, Vivier, S. 4 3 . Auch bei SCHÄFER, VQ 6 , S. 2 9 5 von 1 3 7 0 Dez. 19 werden päpstliche Fischteiche extra portale de Miraculis lokalisiert. HAYEZ, Temer, S. 329 Anm. 1: in territorio Turris Episcopi juxta et prope ipsam turrem sive piscarium pape... Vgl. HAYEZ, Terrier, Kartei. Dies geht hervor aus SCHÄFER, VQ 6, S. 295 von 1370 Dez. 19.

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Der Trend zur Selbstversorgung

wasser aus der Sorgue bzw. der Rhone versorgt; sie mußten gelegentlich gereinigt werden1. Als Futter für die Fische hat man kleinere Fische eingekauft - mit ihnen wurden die Hechte gefuttert - , für die Fütterung der Karpfen dagegen hat man Gerste verwandt2. Ein solcher Fischteich ist auch in Sorgues, der zweiten Papstresidenz, angelegt worden3. Er muß weit größer als der in Avignon gewesen sein, da man in ihm sehr viel mehr Fische gehalten hat4. Beide Fischteiche wurden im Laufe der Zeit mit Steinen ausgekleidet5. Unter Johannes Nachfolgern stieg die Bedeutung dieser Teiche noch an, sie wurden zum Endpunkt eines aufwendigen Versorgungssystem, durch welches ein beständiger Nachschub an frischem Fisch für die päpstliche Tafel aufrechterhalten wurde. Mit Bottichen ausgerüstete Schiffe transportierten lebende Fische nach Avignon6, wo diese in den Fischteichen ausgesetzt wurden, aus denen sie dann - je nach Bedarf - von den Köchen entnommen und zubereitet werden konnten. Erste Anzeichen für eine solche Entwicklung sind bereits unter Benedikt XII. zu konstatieren. So sind mehrfach Einkäufe von einigen hundert Hechten verbucht, die man in Bottichen teils zum Fischteich in Avignon, teils zu dem in Sorgues schaffte, um sie dort auszusetzen7. Auch sandte Benedikt Avignoneser Fischer in die Gegend um Lyon und Mäcon, um dort Hechte für die Fischteiche einzukaufen8. In seinem sechsten Pontifikatsjahr (1340) ist dann erstmals ein solcher Großtransport lebender Fische belegt9: In Mäcon hatten Johannes Rostagnus und Bernardus Amelii 404 Hechte für 110 lib. 10 sol. cor. gekauft und diese mit zwei Flußschiffen nach Avignon transportiert. Die Schiffe hat man in Avignon für 68 sol. wieder verkauft, wodurch sich die Gesamtkosten des Einkaufs auf 126 lib. 1 sol. 10 den. cor. reduzierten. Die Aufsicht über für die Fischteiche oblag offenbar der Küche: in den Kladden von Benedikts Einkäufern finden sich immer wieder Marginalglossen, in denen vermerkt wird, daß eine Anzahl von Fischen im Teich gestorben sei10.

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Belege bei GERARD, Vivier, S. 44. Belege bei GIRARD, Vivier, S. 4 4 .

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SCHÄFER, V Q 2 , S. 1 2 2 .

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Dies ergibt sich aus IE 278 f. 83r von 1356 Febr. 29, einer Abrechnung über einen Fischtransport zu beiden Teichen. Dabei sind in den von Sorgues 900 Hechte, in den von Avignon nur 125 eingesetzt worden.

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SCHÄFER, V Q 2 , S . 3 1 0 u n d 3 1 3 .

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Siehe Kap. Vffl,5. IE 150 f. 45v von 1336 Juni 1-8 (auch SCHÄFER, VQ 3, S. 47 stärkt gekürzt). IE 170 f. 41v von 1338 Juni 6-13: Bernardus Carrerie, frater Petri Carrerie, peyssoneri de Avin. fuisset missus de mense Octob. prox. pret. cum uno famulo suo ad partes Lugdunensis Matisconensis una cum Bertrando Amelio cursor dorn, pape portando lucios de Ulis partibus ad piscarium Avin. domini nostripape.... IE 188 f. 50r von 1340 März 6 (stark gekürzt bei SCHÄFER, VQ 3, S . 123). Ζ. B. IE 189 f. 50 r von 1341 Juli 11.

Maßnahmen der Hofamter

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Unter Clemens VI. ist ein kleineres Fischbassin neben dem neugebauten Turm Trulhassio nachweisbar1; hier hat die Küche die Fische für den laufenden Bedarf aufbewahrt. Der gleiche Papst hat unter die Fresken, mit denen er sein Studierzimmer (Studium) ausmalen ließ, auch die Darstellung eines Fischteiches sowie dort beschäftigter Fischer aufgenommen2. Wie groß ein solcher Fischteich sein konnte, läßt sich daraus entnehmen, daß ebenfalls im Pontifikat Clemens' VI. - einer der päpstlichen Teiche mit einer 168 Meter (85 cannae) langen Mauer umgeben worden ist3. Die Fischteiche sind von Clemens' Nachfolgern weiter benutzt und instandgehalten worden4; auch sie ließen weiterhin große Mengen noch lebender Fische einkaufen und diese dann bis zum Verzehr in den Teichen halten. Während der Abwesenheit Urbans V. von Avignon geriet der Fischteich im Verfall und mußte von seinem Nachfolger wiederhergestellt werden5. Im Jahre 1377 sind abermals Instandsetzungsarbeiten an dem Fischteich überliefert6. Die Ursache wird man in den Raub- und Plünderungszügen der in der Provence marodierenden Söldnerbanden zu suchen haben, welche auch die Umgebung Avignons nicht verschonten.

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ANDRE-MICHEL, Palais 1, S. 87 von 1343 Juli:... pro aquerio Trolhacii... pro fundamento aquerii ...juxta murumpalacii, vgl. auch SCHÄFER, VQ 3, S. 314 von 1345 Mai 21. Abbildungen findet sich bei LABANDE, Palais 2, S. 23; VINGTAIN, Avignon, S. 263 ff.

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SCHÄFER, V Q 3 , S . 3 4 1 v o n 1 3 4 6 M a i 9.

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Vgl. etwa SCHÄFER, V Q 6, S. 612 f. von 1376 Jan. ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 31 von 1369 Mai 13.

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ANDRE-MICHEL, Palais 2, S. 42 von 1377 März 31.

VII,3. Zusammenfassung Versucht man, sich aufgrund der vorangegangenen Informationen ein Bild vom päpstlichen Hofe zu machen, so muß man ihn sich wohl als eine (heute) merkwürdig anmutende Mischung aus Schloß, Kloster und Gutshof vorstellen. Der Palast enthielt nicht nur Räume für die geistlichen und herrscherlichen Aufgaben des Papstes, sondern ebenso Kuh-, Schweine-, Hühner- und sonstige Ställe; weiterhin Küche, Schlachthof, Vorratskammern, Speiseräume und andere Räumlichkeiten mehr, die zur täglichen Versorgung einer großen Menschenmenge nötig waren. Die frommen Choräle mögen nicht selten vom Blöken der Schafe und Gackern der Hühner übertönt worden sein. Ich habe einiges Gewicht auf die kurialen Bemühungen gelegt, sich so weit wie möglich aus eigenen Quellen zu versorgen1. Die finanzielle Entlastung, welche die Kurie dadurch erzielte, ist insgesamt wohl nicht allzu groß gewesen, sie ist aber in anderer Hinsicht bedeutsam. So sehr sich auch die sechs behandelten Päpste durch ihre Verschwendung und ihre Sparsamkeit unterschieden haben, in ihrem Bestreben, die Kurie möglichst selbst zu versorgen, stimmten sie überein. Dies deutet daraufhin, daß man es hier nicht so sehr mit einer bewußten Politik, vielmehr mit einem völlig selbstverständlichen Verhalten zu tun hat. In der Tat reihen sich die Päpste damit in eine altehrwürdige Tradition ein: man kann sie bis weit in die Antike zurückverfolgen. Gemeint ist die allem vorindustriellem und agrarischem Wirtschaften eigentümliche Tendenz, möglichst wenig Geld auszugeben, seinen Bedarf dagegen möglichst aus den eigenen Gütern zu befriedigen, eine Philosophie, die im Diktum des älteren Cato gipfelt: Patrem familias vendacem, non emacem esse oportet2. Begründet ist diese Tendenz in wirtschaftlichen Verhältnissen, in denen Arbeitskraft vergleichsweise billig, gewerbliche Erzeugnisse und Warentransporte dagegen relativ teuer waren3. Diese Praxis der größtmöglichen Selbstversorgung, die im ökonomischen Schrifttum der Antike auch theoretisch begründet worden ist, erfuhr eine breite Rezeption durch die früh- und hochmittelalterlichen Kirche. Hier kam das Ideal des geistlichen Hauses des Klosters - zum tragen, das sich als ein in jeder Hinsicht - auch in wirtschaftlicher - selbstständiges Gebilde verstand4. Die hier bemerkbare Kontinuität setzt sich ins

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Man wüßte gerne, ob und inwieweit die Kardinäle ihrerseits versucht haben, sich aus eigenen Gütern zu versorgen. Daß dies immerhin vorkam, belegt ein Brief Johannes' ΧΧΠ. an den französischen König, wo er diesen bittet, er möge dem Kardinal Guillelmus Godin Getreide zurückerstatten, das die Leute des Königs auf den Gütern des Kardinals in der Champagne beschlagnahmt hatten (ed. GUERARD, Documents 1, S. 39 n. 30 von 1318 Apr. 29). Einen ähnlichen Beleg bietet eine Zollbefreiung des päpstlichen Kämmerers für Kardinal Stephanus Alberti für Wein und Getreide (WILLIMAN, Calendar η. 760 von 1369), das er sich von seinen Gütern in der Provence nach Rom schicken lassen wollte. De agriculture 2,7. Vgl. etwa SOMBART, Kapitalismus 1,1, S. 221 ff. und passim; für die Antike vgl. FINLEY, Wirtschaft, vor allem S. 127 ff. und passim. Detailliert nachgewiesen bei MEYER, Handeln, S. 288 und passim.

Zusammenfassung

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Spätmittelalter hinein fort. Gleiches wirtschaftliches Denken findet man sinngemäß etwa bei Aegidius Romanus1, und auch Konrad von Megenberg setzt ein noch erheblich höheres Maß an Selbstversorgung voraus, als es an der Kurie erreicht worden ist. Nicht nur für viele Waren, sondern auch für Dienstleistungen, die an der Kurie herkömmlicherweise gekauft worden sind, sieht Konrad eigene Ämter mit eigenem Personal vor - etwa eigene Bäcker, Müller, Forstmeister, Flurwächter, Weinbauern, Gärtner, Fahrer und andere mehr2. Verglichen mit anderen - etwa gleich großen Höfen dürfte die Kurie daher rein zahlenmäßig mit relativ wenig Personal ausgekommen sein. Der Leser wird hier einen Verweis auf Otto Brunners Lehre vom „Ganzen Haus" erwarten3. Ich zögere, denn wenn ich auch das Konzept des „Ganzen Hauses" für durchaus tragfahig halte, so scheint es mir in der Brunnerschen Fassung fragwürdig4. Das gilt vor allem hinsichtlich der Bedeutung, die Brunner und seine Adepten der angestrebten Autarkie der Haushalte beimessen. Was sie bei ihrer Interpretation nicht erkennen, ist, daß die Autarkie nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, nämlich Mittel zum standesgemäßen Leben ist. Dieses erfordert aber - zumal in adligen Kreisen - den Konsum von Luxusgütern, von Gütern also, die in relativ kleinen Mengen mit hohen Kosten unter großen Gefahren von weither herangeschafft werden und dann mit viel Geld teuer zu bezahlen sind. Gerade hier sind aber die Anfange des mittelalterlichen Handels und die Anfange der Entstehung von Marktbeziehungen überhaupt zu suchen. Somit zielte mittelalterliches und schon antikes Wirtschaften keineswegs auf eine Autarkie des gesamten Haushalts ab, sondern lediglich auf größtmögliche Selbstversorgung der Haushaltsangehörigen, unter welchen der Hausherr nicht mitinbegriffen war5. Sinn dieses Strebens war es, einen Überschuß zu erwirtschaften, dessen Verkauf wiederum dem Hausherrn die Mittel für standesgemäße Lebensführung bereitstellen sollte, d. h. die Mittel für den Konsum von Luxusgütern,

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Qui enim singula alimenta pecunia emit, magis vivit ut advena quam ut civis. De regimine Π,3 c. 12, hier zit. nach Konrad von Megenberg, ed. KRÜGER 1, S. 162 Aran. 2. Konrad von Megenberg handelt im dritten Traktat des ersten Buches davon (ed. KRÜGER 1, S. 121 ff.). Vgl. auch DROSSBACH, Yconomica, S. 84 ff. BRUNNER, Haus, S. 103 ff. Voran ging sein Buch „Adeliges Landleben und europäischer Geist". Die erste Publikation bietet gleichsam den theoretischen Rahmen, die zweite eine Fallstudie. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit Brunners Konzept wird demnächst unter dem Titel: „Otto Brunner und das 'Ganze Haus1 oder: Die zwei Arten der Wirtschaftsgeschichte" in der HZ erscheinen. Brunners Kritiker insistieren darauf, daß sein Konzept die historische Realität nur unzureichend beschreibe. Dies würde allerdings weniger gegen Brunner als vielmehr gegen seine Quellen sprechen, die - wie Brunner durchaus erkannt hat - normativer Art waren. Zur Diskussion über Brunners Theorie des „Ganzen Hauses" vgl. den Forschungsbericht von BORGOLTE, Sozialgeschichte, S. 385 ff. Speziell zur Frage der Autarkie vgl. RICHARZ, Das ökonomisch autarke „Ganze Haus", S. 269 ff. Wie relativ gering im Vergleich zu heute die im Mittelalter umgesetzten und transportierten Warenmengen selbst bei Massengütern waren, zeigt SOMBART, Kapitalismus 1,1, S. 279 ff. bes. 309 ff; vgl. auch KELLENBENZ, Wirtschaft, S. 272 ff.

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Der Trend zur Selbstversorgung

für Politik, Kriegführung u. s. w. Weit davon entfernt, Marktbeziehungen unnötig zu machen1, war dieses Konzept vielmehr darauf ausgerichtet, sie dem Hausherrn überhaupt erst zu ermöglichen und sie zugleich auch in seiner Hand zu monopolisieren, indem es Zahlungen von Geld innerhalb des Haushalts, also insbesondere Zahlungen an Personal, Dienstboten, Untergebene u. s. w., wie auch Ausgaben für Grundbedürfnisse soweit als möglich zu vermeiden half. Auch bei Klöstern und anderen geistlichen Institutionen war dies nicht grundsätzlich anders. Zwar waren hier Ausgaben für Luxus, Krieg, Politik nicht intendiert, indes hatte auch ein Kloster spirituelle und karitative Aufgaben, die über die bloße Subsistenz der Mönche hinausgingen. Um deren Erfüllung zu ermöglichen, war wieder die Erzeugung eines entsprechenden Überschusses nötig3. Das beschriebene Wirtschaftsverhalten, das man innerhalb der Rahmenbedingungen der mittelalterlichen Wirtschaft als durchaus rational bezeichnen muß, läßt sich selbstverständlich - auch am päpstlichen Hofe beobachten. In dem Maße wie es gelang, beispielsweise Einkäufe von Getreide durch Getreidelieferungen von den Bischofsgütern zu ersetzen, wuchsen die disponiblen Mittel für den Krieg in Italien, für den Bau des Palastes, für Kredite an befreundete Fürsten oder was auch immer die Interessen und die Politik des jeweiligen Papstes verlangten. Herkömmlicherweise war ein mittelalterlicher Herrscher zugleich der größte Grundbesitzer seines Reichs und mußte es sein, da er von den Erträgen dieses Grundbesitzes seinen Hof und sein Gefolge unterhielt. Dies galt auch für die hochmittelalterlichen Päpste, solange jedenfalls wie sie sich in ihrem eigenen Herrschaftsbereich, d. h. in den italienischen Provinzen des Kirchenstaates aufhielten4. Mit dem Umzug in die Provence aber entfielen die Naturalabgaben, bzw. konnten nicht mehr vom Hof verbraucht werden; ohne weiteres transferierbar waren nur die finanziellen Abgaben. Wie aber sollte ein Herrscher ohne Land auskommen? Johannes XXII. hatte dieses Problem zu lösen versucht, indem er die Nähe zum Venaissin suchte, vor allem aber die Kurie dem Bistum Avignon gleichsam aufpfropfte. Dieses war freilich viel zu klein, als daß es ein solches Gewicht hätte tragen können. Es ist wohl kein Zufall, daß die Umstellung in der Besoldung der Kurialen von Naturalleistungen auf Geld mit dem Umzug der Kurie in die Provence zusammenfiel. Weder gab es dort größeren päpstlichen Grundbesitz, noch konnte die Kurie auf feudale Rechtstitel zurückgreifen,

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Zum Teil hat Brunner das gesehen, wenn er etwa darauf hinweist, daß Produktion für den Markt das Ziel der alten Ökonomiken gewesen sei (BRUNNER, Haus, S. 125). Er verkennt aber, daß das nicht nur für die Angebots-, sondern auch für die Nachfrageseite gilt. Den Idealtypus eines solchen Haushalts entwirft Weber, Wirtschaftsgeschichte, S. 57 f. Vgl. allgemein MEYER, Handeln, S. 242 if. Über den päpstlichen Grundbesitz und über die verschiedenen Abgaben im Kirchenstaat vgl. WALEY, Papal State, S. 2 5 2 ff. Er betont die Mischung von Natural- und Geldabgaben. Schon im 13. Jahrhundert waren der Kammer einzelne Provinzen und Orte des Kirchenstaates zur direkten Verwaltung überwiesen worden, das sogenannte demanium speciale camerae. Aus dieser „Domäne" hat der Hof offenbar einen Teil seines Unterhalts gezogen. Vgl. RUSCH, Behörden, S. 2 7

Zusammenfassung

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die ihr entsprechende Naturalleistungen gesichert hätten1. Das, was man als den „Fiskalismus" des Avignoneser Papsttums zu bezeichnen pflegt, hat seine Ursache teilweise in dem Umstand, daß der Papst seinen Hof nicht mehr selbst ernähren konnte. Abgeschnitten von den üblichen Quellen des Unterhalts verstärkte er die Besteuerung der Kirche. Man kann dieses Vordringen der Geld- auf Kosten der Naturalwirtschaft als Fortschritt sehen, indes, die Zeitgenossen selbst waren nicht dieser Auffassung. Die Kritik, die man vielfach an den Päpsten in Avignon geübt hat, ist zumindest teilweise auf das Vorherrschen der Geldwirtschaft an der Kurie zurückzufuhren2. In einer durch patriarchalische und herrschaftliche Beziehungen geprägten Gesellschaft, in der sich die Mechanismen des Marktes nur langsam verbreiteten, mußte es anstößig wirken, daß ein Herrscher nicht von den Erträgen seiner Güter, sondern von Steuern lebte3. Auch die verbreitete Ansicht vom großen Reichtum der Avignoneser Päpste dürfte hier eine ihrer Wurzeln haben. Ein Herrscher, der das Brot für sein Gefolge nicht vom eigenen Landgut erhielt, sondern es sich leisten konnte, diesem Gefolge statt dessen ein Gehalt zu zahlen, mußte offensichtlich unermeßlich reich sein. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß ausgerechnet ein Geizhals wie Johannes ΧΧΠ. im Armutsstreit als entschiedener Gegner des Armutsideals auftrat und auftreten mußte. Wie hätte er sonst die Kurie unterhalten sollen?

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Für die Schismazeit betont WILLIMAN, Camerary, S. 65 f., den Kontrast zwischen dem römischen Papsttum, das in erster Linie von seinem Landbesitz, und dem avignonesischen, das von Steuern lebte. Sehr deutlich wird dies in der Zusammenstellung bei HALLER, Papsttum und Kirchenreform, S. 112 ff.; vgl. auch PIUR, Buch, S. 57 ff.; einen Überblick über die zeitgenössische Kritik am Avignoneser Papsttum bietet MARTIN, Papsttum, S. 4 4 5 ff. Man denke an König Karl V., der auf dem Totenbett die Steuern abzuschaffen befahl, deren Einführung der größte Erfolg seiner Regierungszeit gewesen war. Ganz ähnlich hat auch der sterbende Clemens V. noch die Abschaffung verschiedener - von ihm eingeführter - Steuern angeordnet. Vgl. HALLER, Papsttum und Kirchenreform, S. 46.

VIII. Hof und Umland. Die Einkäufe von Getreide, Wein, Fleisch, Fisch, Brennholz und Spezereien VIII, 1. Politische Rahmenbedingungen In diesem Kapitel werden die wirtschaftlichen Beziehungen erörtert, die infolge der Ansiedlung des Papsttums in Avignon zwischen der Stadt und den sie umgebenden Regionen entstanden sind. Grundlage sind die tabellarisch aufgeschlüsselten Großeinkäufe, die in den Hauptbüchern ihren Niederschlag gefunden haben. In den Tabellen wird versucht, die Orte, wo die päpstlichen Beauftragten Lebensrnittel einkauften, und auch die verschiedenen Arten von Nahrungsmitteln, die gekauft worden sind, zu erfassen. Vollständigkeit, d. h. Erfassung aller Einkäufe ist dabei nicht möglich; es sei daran erinnert, daß nur die außerordentlichen Einkäufe, die man außerhalb von Avignon getätigt hat, so genau verzeichnet worden sind, daß sie nach Menge, Ort des Einkaufs und Preis erfaßbar sind1. Zudem betreffen sie lediglich den Konsum des päpstlichen Haushalts, nicht erfaßt wird deijenige der sonstigen Kurialen, der Kardinäle und ihres Gefolges sowie der zahlreich herbeiströmenden Fremden. Den ermittelten Daten kommt aber repräsentative Bedeutung zu, zum einen, da mit dem an anderer Stelle erörterten System der Provisionsbriefe2 auch andere Angehörige der Kurie die Möglichkeit zu auswärtigen Großeinkäufen hatten, und zum anderen, da auch die lokalen Händler ihre Waren von auswärts beziehen mußten. Auf diese Weise informieren die Tabellen über den Einzugsbereich des Avignoneser Handels und die Anziehungskraft, welche der päpstliche Hof als Konsumzentrum auf die Region ausübte. Des weiteren geben die Tabellen wie auch die Einträge selbst Aufschluß über die Land- und Wasserwege, auf denen sich der Handelsverkehr abspielte, wie auch über die Art und Weise des Transports und schließlich über die Kosten, welche dieser verursachte. Daß die lokalen Ressourcen mit der Versorgung der Bevölkerung weit überfordert waren, zeigt sich schon daran, daß selbst ein Grundnahrungsmittel und zugleich Massengut wie Getreide von auswärts aus weit entfernten Regionen herangeführt werden mußte. Gerade die große Spannweite der betroffenen Waren, die vom Grundnahrungsmittel bis zur exotischen Delikatesse reicht, verspricht ein differenziertes Bild mittelalterlichen Wirtschaftens. Wie bereits erwähnt, hat die Kurie ihre auswärtigen Einkäufe durch eigens entsandte Einkäufer tätigen lassen. Diese - ausgerüstet mit entsprechenden Vorschüssen kauften und bezahlten die Waren direkt beim Produzenten und rechneten nach ihrer Rückkehr mit der Kammer ab. Sie haben sich bei ihren Einkäufen häufig der Unterstützung örtlicher Kräfte bedient. Bei den Weineinkäufen Johannes' XXII. sind es

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Vgl. Kap. Π,Ι und IV, 1. Vgl. Kap. Vffl,9.

Politische Rahmenbedingungen

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nicht selten die lokalen Verwalter der bischöflichen Güter, welche als Vermittler des jeweiligen Kaufs oder sogar als Verkäufer selbst genannt werden. In vielen Fällen haben sie für die Einkäufer zugleich die Naturalabgaben der bischöflichen Güter eingezogen und dann vor Ort die Einkäufer beim Kauf weiteren Getreides oder weiteren Weins unterstützt. Auch bei der Vermittlung von Lagerräumen, der Anwerbung von Fuhrleuten und dergleichen waren die bischöflichen Verwalter behilflich1. Diese Methode, sich bei den Einkäufen der Hilfe von Personen zu bedienen, die sowohl vor Ort ansässig waren, als auch in päpstlichen Diensten standen, ist unter Clemens VI. dahingehend erweitert worden, daß nun auch die päpstlichen Kollektoren in die Einkäufe des Hofes einbezogen worden sind. Insbesondere bei den Wein-, Getreide- und Fischeinkäufen in Burgund2 haben die Einkäufer die Waren oft nur teilweise selbst bezahlt, haben sie das Fehlende aus den Geldern des örtlichen Kollektors oder Unterkollektors bezahlen lassen3. Diese verwandten dazu das Geld, welches sie im päpstlichen Auftrag vor Ort eingetrieben hatten. Auf diese Weise mußten diese Gelder nicht mehr nach Avignon transferiert werden, vermied man die teure und nicht ungefährliche Transaktion. Auch die Einkäufer mußten entsprechend weniger Geld mit sich fuhren. Vor allem der Kollektor der Kirchenprovinzen von Lyon, Vienne, Besan