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German Pages [141] Year 1987
ELKE KUHLMANN
Versicherungsrecht und Europäisches Kartellrecht
MUNSTERISCHE BEITRÄGE ZUR RECHTSWISSENSCHAFT Herausgegeben im Auftrag der Rechl8wissensmaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp
Band 25
Versicherungsrecht und Europäisches Kartellrecht
Von
Dr. Elke Kuhlmann
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kuhlmann, Elke: Versicherungsrecht und Europäisches Kartellrecht I von Elke Kuhlmann. - Berlin: Duncker und Humblot, 1987. (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 25) ISBN 3-428-06233-7 NE:GT
D 6 Alle Rechte vorbehalten & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany
© 1987 Duncker
ISBN 3-428-06233-7
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
11
B. Der Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt
13
I. Die Steuerungsfunktion ...........................................
14
1. Das Kapazitätsproblem ........................................
a) Das Angebot ................................................ b) Die Nachfrage ......................................... " . . . ..
15 15 17
2. Die Gewinnmaximierung.......................................
18
3. Die risikogerechte Prämie ......................................
20
II. Die Leistungs- und Antriebsfunktion ..............................
23
1. Die Schadenskosten
23
2. Die Betriebskosten
24
III. Die Verteilerfunktion .............................................
25
1. Die Konsumversicherung .......................................
26
2. Die Produktivversicherung .....................................
28
IV. Die Leistungsauslese ..............................................
28
C. Die Wettbewerbsregeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unter besonderer Berücksichtigung der Versicherungswirtschaft
32
I. Bundesrepublik Deutschland ....................................
32
II. Belgien
36
III. Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
37
IV. Griechenland .... ,..............................................
39
6
Inhaltsverzeichnis V. Frankreich......................................................
40
VI. Irland
41
VII. Italien
42
VIII. Luxemburg ...... . ..............................................
43
IX. Niederlande ....................................................
43
X. Großbritannien .... . ............................................
44
XI. Spanien und Portugal ...........................................
45
D. Die Wettbewerbsregeln im EWG-Vertrag
47
I. Art. 85 EWG-Vertrag ...................... " . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
48
11. Art. 86 EWG-Vertrag ..... . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
50
IH. Die Verordnung Nr. 17 ............................................
50
E. Die Anwendbarkeit der Art. 85 ff. EWG-Vertrag auf die Versicherungswirtschaft I. Historische Hintergründe ..................................... . . . ..
52 53
11. Die vorläufige Nichtanwendbarkeit des Art. 85 EWG-Vertrag auf die
Versicherungswirtschaft ...........................................
55
1. Die Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 2 c EWG-Vertrag ..... . . . ..
56
a) Die nationalen Regelungen ........................... ',' . . . .. 57 b) Die Besonderheiten des Versicherungsmarktes auf Gemeinschaftsebene ................................................ 58 2. Die Anwendbarkeit des Art. 88 EWG-Vertrag ................. . . 60 a) Der Sinn des Art. 88 EWG-Vertrag ........................... 60 b) Art. 8711 c EWG-Vertrag im Rahmen des Art. 88 EWG-Vertrag 61 c) Entscheidung im Einklang mit den nationalen Vorschriften und dem Gemeinschaftsrecht ..................................... 62 d) Die Voraussetzungen des Art. 85 Abs.3 EWG-Vertrag ........ 62 e) Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts ........................ 65 3. Art.90 EWG-Vertrag ..........................................
67
Inhaltsverzeichnis
7
F. Die nationale Struktur der Versicherungsmärkte
69
I. Der Binnenmarkt in der Versicherungswirtschaft nach dem EWGVertrag und den Allgemeinen Programmen........................ 69 11. Der Binnenmarkt in der Versicherungswirtschaft nach den bisherigen EG-Richtlinien ............................... '. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. 71 1. Die Niederlassungsfreiheit ......................................
71
2. Die Dienstleistungsfreiheit ..................................... a) Innerstaatliche Diskriminierungsvorschriften ................. b) Gerichtliche Entscheidungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . ..
73 74 79
c) Das Aufsichtsrecht .......................................... d) Wirtschaftliche Teilmärkte ..................................
86 88
111. Die Rückversicherung .............................................
90
IV. Die Transportversicherung ........................................
92
V. Die Mitversicherung .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
92
VI. Die Korrespondenzversicherung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
G. Möglichkeiten der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
95
I. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels durch Wettbewerbsbeschränkungen zwischen inländischen und ausländischen Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . ... . . . . . .. 95 11. Wettbewerbsbeschränkungen zwischen inländischen Versicherungsunternehmen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 96 IH. Wettbewerbsbeschränkungen zwischen der inländischen Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens und inländischen Versicherungsunternehmen .................................. 100 1. Die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens unter nationalen Gesichtspunkten ... " ........... 100
a) Gesellschaftsrechtliche Aspekte .............................. 103 b) Steuer- und bilanzrechtliche Aspekte ........................ 104 c) Aufsichtsrechtliche Aspekte ............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104 d) Der internationale Privatrechtsverkehr ...................... 106 2. Die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens unter EWG-vertraglichen Aspekten .............. 107 a) Gesellschaftsrechtliche Aspekte .............................. 108 b) Wirtschaftliche Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109
8
Inhaltsverzeichnis
H. Einzelprobleme der Anwendung
112
I. Die Empfehlung .................................................. 113 1. Als Beschluß ................................................... 114
2. Als aufeinander abgestimmte Verhaltensweise .................. 116 3. Das Befolgen der Empfehlung .................................. 117 11. Die Prämienanpassungsklausel der Rückversicherer ................ 118 111. Die Genehmigung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen ....................................................... 121 IV. Empfehlungen über Bruttoprämien ................................ 123 1. Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit bei der Erstellung von
Statistiken ..................................................... 123 2. Die Notwendigkeit von Bruttoprämienrichtlinien ................ 125 V. Tätigwerden der Kommission in Bezug auf Versicherungen und Kartellrecht .......................................................... 128 1. KFZ-Versicherung ............................................. 128
2. Flußkaskoversicherung ......................................... 128 3. Atompools ........................................... . ......... 129 4. Transportversicherung ......................................... 129 5. Nuovo Cegam .................................................. 129
I. Zusammenfassung
132
Literaturverzeichnis
134
Ahkürzungsverzeichnis a.a.O. Abl.EG Abs. a.F. AMG Anh. Anm. Art. Aufl. AWD BAV BB Bd. BGBl. BGH BKartA BT-Dr. bzw. CEA ders. Dis's. Dok. EG EGKS-V. Einl. EuGHE EuR EWG-V. f.., ff. FIW Fn. frz. GD GdV GG
am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäis'chen Gemeinschaften Absatz alte Fassung Arzneimittelgesetz Anhang Anmerkung Artikel Auflage Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Bundesaufsichtsramt für das Versicherungs1wesen Betriebs-Berater Band Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeskartellamt Bundestagsdrucksache beziehungsweise Commite Europee des Assuranoes derselbe Dissertation Dokument Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europä1schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Einleitung Sammlung der Rechtsprechung des Geri,chtshofs der Europäischen Gemeinschaften Europarecht (Zeitsdlrift) Vertrag zur Gründung der Europäisd1en Wirtschaftsgemeinschaft folgende Fachinstitut für Wettbewerb e. V., Köln Fußnote französisch Generaldirektion Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft G rundgesretz
10
Abkürzungsverzeichnis
Gemeinschaftskommentar Grundzüge Herausgeber in Verbindung mit Kraftfahrzeug· mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nummer Gesetz über die Pflichtvers,i,cherung für Kraftfahrzeughalter Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtssache S. Seite s. o. siehe oben StAnpG Steueranpassungsgesretz TB Tätigkeitsbericht TU Testo Unico v. von, vom VersR Versicherungs recht (Zeitschrift) VAG Versicherungs'aufsichtslgesetz VdS Verband deutscher Sachvers,icherer VersBAV Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen vergleiche vgl. Volume Vol. Vorbemerkung Vorbem. Versicherungswirtschaft VW Wirtschaft und Wettbewerb WuW zum Beispiel z.B. ZfV Zeits:chrift für Versicherungswesen ZHR Zeitschrift für das Gesamte HandelsiI'echt ZIP Zeitschrift für WirtS/chaftS/recht und Insolvenzpraxis ZVersWiss Zeitschrift für die geS/amte Versicherungswissenschaft GK Grdz. Hrsg. i. V.m. KFZ m.w.N. NJW Nr. Pf,UchtVG RGZ RS
A. Einleitung Aktuell wurde das Thema "Versicherungen und Europäisches Kartellrecht" - zumindest in der Bundesrepublik - durch das NorthernVerfahren!. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vertrat in diesem Verfahren die Auffassung, daß Wettbewerbsbeschränkungen inländischer Niederlassungen ausländischer Versicherer dem ausländischen Unternehmen zuzurechnen seien. Wettbewerbsbeschränkungen zwischen inländischen Versicherungsunternehmen und inländischen Niederlassungen ausländischer Versicherer wären demnach geeignet, "den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen". Diese Ansicht ermöglicht es der Kommission, die Versicherungswirtschaft in weit größerem Umfang als bisher den europäischen Wettbewerbsregeln zu unterwerfen. Gern wird die Internationalität der Versicherungen behauptet.2 Der erste Grund liege in der Natur des Versicherungsschutzes selber. Dabei handele es sich um ein unsichtbares Produktionsgut. Seine Herstellung sei nicht an bestimmte Örtlichkeiten gebunden. Das Versicherungsgeschäft werde nicht durch Entfernungen, Transportschwierigkeiten und vor allem nicht durch Grenzen erschwert. Als zweiter Grund für die angeblich internationale Natur des Versicherungswesens soll die notwendige Verteilung des Risikos auf einen weiten Raum dienen. Die Versicherungswirtschaft sei nur mittels einer möglichst großen Risikostreuung und Ausweitung der Bestände in der Lage, eine effektive Deckung zu geben. Die Versicherung beruhe auf dem Gesetz der großen Zahl. Damit ein Gleichgewicht zwischen Schäden und Prämieneinnahmen erreicht werden könne, müsse es eine große Zahl von Versicherungsnehmern geben. Die Schwankungsbreite der Wahrscheinlichkeitszahlen, der Schadenshäufigkeit und der durchschnittlichen Schadenshöhe werden progressiv mit der Ausweitung des Versicherungsbestandes geringer. Diese Ausweitung sei nur durch eine Verteilung des Risikos auf einen großen Raum möglich3 • -
Dennoch besteht kein internationaler Versicherungsmarkt. Es gibt mit Ausnahmen im Bereich der Rück- und Transportversicherung in !
ABI. EG, L vom 26. 3,. 1983, Nr. 80, S. 36.
Salomonson S. 18. a Salomonson S. 18. 2
12
A. Einleitung
allen Versicherungssparten so viele Märkte wie Mitgliedstaaten in den Europäischen Gemeinschaften. Das liegt an den unterschiedlichen Aufsichtsrechten und innerstaatlichen Vorschriften, die die Dienstleistungsfreiheit beschränken. Unter diesen Umständen bleibt wenig Raum für internationalen Wettbewerb und dementsprechend für Wettbewerbsbeschränkungen, die den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen können. Das Kartellrecht des EWG-Vertrages kam wegen dieser nationalen Struktur der Versicherungsmärkte bisher kaum zur Anwendung. Erst durch die oben zitierte Northern-Entscheidung fand die Kommission eine Möglichkeit, auf Wettbewerbsbeschränkungen im Direktversicherungsgeschäft das EWG-Kartellrecht anzuwenden. In der vorliegenden Arbeit werden zunächst die Marktbesonderheiten in der Versicherungswirtschaft aufgezeigt, und es wird geprüft, ob der Wettbewerb im Versicherungswesen seine Funktion erfüllen kann. Danach wird untersucht, wie die nationalen Rechtsordnungen und der EWG-Vertrag die Versicherungen unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten behandeln. Es folgt die Erörterung der Frage, ob in der Versicherungswirtschaft ein zwischenstaatlicher Handel besteht, der im Sinne des Art. 85 beeinträchtigt werden kann. Innerhalb dieser Untersuchung wird auch das Problem geprüft, ob die Wettbewerbsbeschränkungen einer inländischen Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens mit einem inländischen Konkurrenten dem ausländischen Versicherungsunternehmen zuzurechnen sind.
B. Der Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt In der Marktwirtschaft beruht die Aufstellung von Wirtschaftsplänen auf selbständigen, dezentralen Entscheidungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte. Die zahlreichen verschiedenen Wirtschaftspläne treffen am Markt zusammen und müssen koordiniert werden. Diese Aufgabe übernimmt der Wettbewerb. Der Wettbewerb ist also das Verfahren, mit dessen Hilfe Einzelpläne koordiniert sowie Informationssuche und -übermittlung gesteuert werden, eine Anpassung der Nachfrage an das vorhandene Potential erfolgt, Macht kontrolliert wird, Leistungen initiiert, Tatsachen und Problemlösungen entdeckt werden, die ohne sein Bestehen nicht bekannt oder nicht genutzt würden1 • Dem Wettbewerb kommen die folgenden Funktionen zu2 : -
Steuerungsfunktion: Der Wettbewerb bringt Angebot und Nachfrage zu einem Ausgleich, stellt also ein Marktgleichgewicht her. Er führt auch zu einem gerechten Preis.
-
Leistungs- und Antriebsfunktion (Optimale Faktorallokation): Der Wettbewerb sorgt für den wirtschaftlichsten Einsatz der Produktionsfaktoren.
-
Verteilerfunktion: Derjenige Unternehmer, der die beste Leistung anbietet, wird mit dem höchsten Gewinn belohnt. Der Wettbewerb sorgt also für eine gerechte Einkommensverteilung.
-
Leistungsauslese: Kostenungünstige Anbieter scheiden aus dem Markt aus.
Können sich diese Funktionen auf dem Versicherungsmarkt sinnvoll entfalten? In der Wettbewerbsordnung nimmt die Versicherungswirtschaft eine Sonderstellung ein. Das unsichtbare Produktionsgut Versicherungsschutz und die gegenläufigen Schuldner- und Gläubigerinteressen verleihen diesem Wirtschaftszweig einen besonderen Charakter, der sich insbesondere im Wettbewerb auswirkt. Hollenders vertritt in seiner jüngst erschienenen Arbeit eine andere Meinung. Danach be1 2
Gutmann S. 141. Kantzenbach S. 16 -
18; Emmerich, Kartellrecht, S. 3 f.
14
B. Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt
stehen in der Versicherungswirtschaft keine Besonderheiten, die eine Sonderbehandlung dieses Wirtschaftszweiges im Wettbewerb rechtfertigen würden. Hollenders geht nach Darstellung des historischen Hintergrundes 3 nacheinander auf die für die Freistellung vorgebrachten Argumente ein. Er untersucht, ob die jeweils behauptete Besonderheit besteht, vergleicht sie mit Besonderheiten in anderen Wirtschaftszweigen und prüft, ob die Freistellung das richtige Mittel ist, auf die Besonderheiten zu reagieren. Grundsätzlich bestehen Zweifel an Hollenders methodischem Vorgehen. Der Rückblick auf die Geschichte der Kartelle in den einzelnen Versicherungszweigen ergibt für ihn folgendes: "Abgesehen von einem im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen größeren Gewicht der Bedingungen - ihre Vereinh-eitlichung war regelmäßig Vorbedingung für das Funktionieren eines Prämienkartells - sind versicherungsspezifische Ums.tände, als'Ü solche, die nicht in ähnlicher Form auch auf anderen Märkten vorliegen, nicht zu erkennen."4 Ein derart kurzer geschichtlicher überblick kann ein solches Ergebnis kaum rechtfertigen 5 • Daß Hollenders Arbeit stärkerer historischer Absicherung bedurfte, folgt zusätzlich daraus, daß er durch den geschichtlichen Überblick sein Gesamtergebnis vorwegnimmt: wenn es in der Vergangenheit keine versicherungsspezifischen Umstände gab, dann kann es in der Gegenwart Besonderheiten nur unter der Voraussetzung geben, daß sich die Aufgabe oder das Wesen der Versicherung grundlegend geändert haben. Da dies nicht der Fall ist, muß Hollenders auch für die Gegenwart zu demselben Ergebnis wie bei seinem historischen Rückblick kommen. Der größte Teil seiner Arbeit dient dann der Absicherung einer vorangestellten These. Zweifel bestehen auch bei einzelnen Argumenten Hollenders; sie werden im folgenden aufgegriffen.
I. Die Steuerungsfunktion Im Wettbewerb kommen Angebot und Nachfrage im Regelfall bei einem bestimmten Knappheitspreis zu einem Ausgleich. Überwiegt die Nachfrage für ein Produkt das Angebot, so steigt der Preis dieses Gutes. Erst diese Preiserhöhung ist der sichtbare Ausdruck für den Knappheitsgrad des Produktes. Hohe Gewinnchancen locken andere Unter3 4 5
Hollenders, S. 11 ff. Hollenders S. 30. Großfeld, ZVersWiss
1986, S. 305, 307.
1. Steuerungs funktion
15
nehmer an, die in dieser Wirtschaftsbranche Kapital anlegen und als zusätzliche Anbieter auftreten. Die bisher in diesem Produktionszweig tätigen Unternehmen werden dazu motiviert, ihre Kapazitäten durch Investitionen auszuweiten. Das Angebot nimmt zu. Die Anbieter bemühen sich nun durch Preiszugeständnisse um Abschlüsse mit Kunden, um ihr größeres Angebot abzusetzen. Der Preis sinkt so lange, bis die angebotene Menge abgesetzt werden kann, also Angebot und Nachfrage zu einem Ausgleich gekommen sind. Der erneut niedrigere Preis veranlaßt Unternehmer, sich aus dem Markt zurückzuziehen und in anderen Wirtschaftszweigen zu investieren, um höhere Gewinne zu erwirtschaften. Dadurch wird das Angebot verknappt, der Preis steigt und der Zyklus beginnt von vorn. Diese Preismechanik versagt im Versicherungswesen aus drei Gründen: -
-
-
Der Versicherungsmarkt ist ein Käufermarkt 6 • Versicherungsschutz kann in weit größerem Umfang angeboten werden als Abnehmer vorhanden sind. Das Prinzip der Gewinnmaximierung funktioniert auf dem Versicherungsmarkt nicht, denn die Grenzkosten können niemals gleich dem Grenzerlös sein. Der Wettbewerb führt nicht zu einem gerechten Preis. 1. Das Kapazitätsproblem
a) Das Angebot Das Angebot an Versicherungsschutz ist nahezu beliebig vermehrbar 7 • Das liegt in erster Linie daran, daß es sich bei dem Versicherungsschutz um ein immaterielles Wirtschaftsgut handelt. Es wird ein Garantieversprechen verkauft, also die unsichtbare Ware "Sicherheit" produziert. Man braucht nur Papier zu bedrucken und zu unterschreiben. Das Angebot kann so lange vermehrt werden, wie Policenpapier zur Verfügung steht8 • Das ist überspitzt formuliert. Richtig ist, daß bei der Herstellung von Versicherungsschutz wenig sachliche Betriebsmittel erforderlich sind. Die Produktion des Versicherungsschutzes hängt nicht von Fertigungsstätten und Rohstoffen ab. Die wichtigsten Produktionsfaktoren, Dienstleistungen und Kapital, lassen sich einfach beschaffen. Das Geld für die Versicherungsleistungen stellen die Versicherungsnehmer durch ihre 6 R. Schmidt, rechtliche Grundfragen, S. 8; Meyer-Rauschenbach S. 401, 413; Badenhoop, ZfV 1981, S. 426, 428. 7 Finke, BB 1952, S. 984; Arnhojer I Förster I Steinmüller I Winkler,
ZVersWiss 1978, S. 547, 558. 8 Meyer S. 25, 28 f.
B. Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt
16
Prämienzahlungen selbst zur Verfügung. Bei einer Kapazitätsausweitung entstehen relativ wenig zusätzliche Kosten. Soll nur die Versicherungssumme erhöht werden, kann dies innerhalb kürzester Frist geschehen. Farny9 bringt das Beispiel, daß alle Versicherungsnehmer eines Feuerversicherers gleichzeitig die Verdoppelung der Versicherungssumme ihrer Versicherungsverträge beantragen. Das Versicherungsunternehmen könnte diesem Antrag innerhalb weniger Stunden nachkommen. Der Versicherer hätte seine Produktionsmenge verdoppelt, ohne zusätzliche Produktionsmittel einzusetzen. Begrenzungen für die Anzahl und Höhe der abzuschließenden Verträge ergeben sich für Hollenders aus der Abhängigkeit der Produktion des Versicherungsschutzes von zahlreichen Produktionsfaktoren, insbesondere den sachlichen und persönlichen Ressourcen, dem Geld für die Versicherungsleistungen und einem ausreichenden Eigenkapital1°. Das ist sicher richtig. Entscheidend ist aber, wie stark sich die genannten Faktoren in der Versicherungswirtschaft auswirken. Das geringste Hemmnis bilden die persönlichen und sachlichen Ressourcen. Gerade jetzt in Zeiten großer Arbeitslosigkeit und guter Umschulungsmöglichkeiten stehen jederzeit genügend Arbeitskräfte zur Verfügung und auch die zusätzlichen Büroräume und -maschinen lassen sich schnell beschaffen. Die finanziellen Mittel dafür stammen aus dem bei Erhöhung der Kapazitäten gleichzeitig steigenden Prämieneinkommen. Hollenders vertritt die Ansicht, auch das Geld für Versicherungsleistungen bilde eine Grenze der Kapazitätserweiterung 11 • Die in jedem zusätzlichen Versicherungsvertrag vereinbarten Prämienvorauszahlungen brächten erst nach vielen Jahren das Geld für die in demselben Vertrag für den Schadensfall versprochenen Versicherungsleistungen auf. Die Prämienzahlungen machten regelmäßig nur einen kleinen Bruchteil der Versicherungssumme aus. - Hierbei berücksichtigt Hollenders nicht, daß die Versicherungsunternehmen in der Regel auch nicht sofort die Versicherungsleistung erbringen müssen. Das ist nur selten der Fall. Das Gesetz der großen Zahl sorgt dafür, daß die Prämienvorauszahlungen den Versicherungsleistungen entsprechen. Wegen der grundsätzlich anderen Funktion des Eigenkapitals in der Versicherungswirtschaft im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen12 begrenzt auch die Höhe des Eigenkapitals nicht die Angebotsmenge. Die Versicherten müssen das Risiko in sich selbst zum Ausgleich bringenl3 . Farny, Versicherungsmärkte, S. 90. Hollenders S. 95 ff. 11 Hollenders S. 98. 12 Vgl. unten B I 3.
9
10
13
Großfeld,
ZVersWiss 1986, S. 305, 308 f.
I. Steuerungs funktion
17
Die Solvabilitätsvorschriften der Ersten Koordinierungsrichtlinie 14 begrenzen die Summenkapazität. Die Höhe der mindestens erforderlichen Eigenmittel-Solvabilitätsspanne - beträgt 16 - 18 'J/o des Beitragseinkommens des letzten Geschäftsjahres. Falls die Summe von 23 7. Dieser Fall ist mit dem Niederlassungserfordernis im Versicherungswesen vergleichbar. Bei den Arzneimitteln geht es um den freien Warenverkehr (Art. 30 ff.), in der Versicherung um die Dienstleistungsfreiheit (Art. 58 ff.). Zwischen den beiden Freiheiten besteht eine enge Verwandtschaft. Wie der Verbraucher im Gemeinsamen Markt Waren von dem kostengünstigsten Standort frei beziehen können soll, so muß ein gemeinsamer Dienstleistungsmarkt dem Abnehmer von Dienstleistungen eine freie Wahl aus einem verzerrungsfrei zustande kommenden und gemeinschaftsweiten Angebot ermöglichen58 • Die Vorschrift des Art. 65 Abs. 1 entspricht der des Art. 36 im Bereich des freien Warenverkehrs. In beiden Fällen wird auf die Rechtfertigung durch die öffentliche Sicherheit abgestellt. Die Gründe für das Niederlassungserfordernis im Arzneimittelwesen sind mit denen für das Versicherungswesen vergleichbar: nur das Niederlassungserfordernis gewährleistet eine geordnete Beaufsichtigung der Unternehmenstätigkeit im Inland. Aber der Einwand des Europäischen Gerichtshofes, den von der deutschen Regierung verfolgten Zielen der Überwachung könnte auch durch geeignete organisatorische Maßnahmen im Stadium der Prüfung der Anträge und der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen59 genüge getan werden, gilt für die Versicherungswirtschaft nicht. Solche organisatorischen Maßnahmen wären hier nur möglich, wenn man die Wirksamkeit der im Dienstleistungsland geltenden Aufsichtsbestimmungen über die Grenzen hinweg dorthin ausdehnt, wo das 56 EuGH NJW 1984, S. 1290. 57 EuGH NJW 1984, S. 1290, 1291. 58 Troberg in v. d. Groeben Vorb. II zu Art. 59 Rdn. 10. 59 EuGH NJW 1984, S. 1290.
II. EG-Richtlinien
83
Dienstleistungsunternehmen seinen Sitz hat. Die Hoheitsrechte eines Staates enden jedoch an seinen Grenzen. Die inländische Versicherungsaufsicht kann nicht auf ausländische Versicherungsunternehmen ausgedehnt werden. Die Tätigkeit ausländischer Versicherungsunternehmen im Inland wäre dem Einfluß der inländischen Versicherungsaufsicht gänzlich entzogen. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit ist, solange keine wirksame Zusammenarbeit der nationalen Aufsichbehörden besteht, nicht anders als durch das Niederlassungserfordernis zu erreichen. Das Niederlassungserfordernis im Versicherungswesen ist also anders zu beurteilen als im Arzneimittelwesen. Es stellt eine nach Art. 66 Abs. 1, 56 Abs. 1 gerechtfertigte Sonderregelung dar und verstößt nicht gegen die Vorschriften des Vertrages60 • Dieses Ergebnis läßt sich auch mit dem van Binsbergen-Urteil vereinbaren. Der Europäische Gerichtshof schränkte nämlich seine Feststellungen über die unmittelbare Wirkung der Art. 59 Abs. 6, 60 Abs. 3 dahingehend ein, daß die Dienstleistungsbeschränkungen dann mit dem Vertrag vereinbar seien, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen61 • Danach verstößt das Niederlassungserfordernis nicht gegen Art. 59 Abs. 1, 60 Abs. 3, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: -
die berufliche Tätigkeit muß durch besondere Vorschriften insbesondere über Organisation, Berufspflichten, Kontrolle und Haftung geregelt sein, diese Vorschriften müssen im Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt sein,
-
sie müssen auf alle Personen anwendbar sein, die im Tätigkeitsland ansässig sind und
-
der Dienstleistungserbringer muß sich der Anwendung dieser Bestimmungen deshalb entziehen können, weil er in einem anderen Mitgliedsland ansässig ist62 •
Die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen im Versicherungswesen gelten für alle im Inland tätigen Versicherungsunternehmen. Gemäß § 1 VAG unterliegen Privatunternehmen, die den Betrieb von Versicherungsgeschäften zum Gegenstand haben, der Aufsicht nach diesem Gesetz. Und § 105 Abs. 2 VAG bestimmt, daß die Vorschriften des Gesetzes auf ausländische in der Bundesrepublik niedergelassene Ver60 GoZdberg § 106 Rdn. 4; Rieger, VW 1975, S. 342, 344; Ipsen, EuR 1978, S. 199, 224 ff.; Müller, ZfV 1978, S. 267, 269. 61 EuGH E vom 3. 12. 1974, S. 1299, 1311 f. 62 EuGH E vom 3. 12. 1974, S. 1299, 1309.
84
F. Nationale Struktur der Versicherungsmärkte
sicherungsunternehmen entsprechende Anwendung finden. Alle in der Bundesrepublik tätigen Versicherungsunternehmen unterliegen also gleichen Bestimmungen, die "für alle im Gebiet des Staates, in dem die Leistung erbracht wird, ansässigen Personen verbindlich sind"63. Das Versicherungsaufsichtsrecht trifft besondere Bestimmungen zur Regelung der beruflichen Tätigkeit von Versicherungsunternehmen. Es enthält Vorschriften zur Ausübung und zur überwachung dieses Wirtschaftsweiges. Ermöglicht wird die Aufsicht durch die Festlegung von "Berufspflichten" und der "Verantwortlichkeit" 64. Diese Vorschriften dienen dem Schutz des Versicherungsnehmers und stehen daher im Interesse der Allgemeinheit65 • Die ausländischen Versicherungsunternehmen können sich den inländischen Bestimmungen dadurch entziehen, daß sie von ihrem Sitzstaat aus Versicherungsleistungen anbieten. Unterhalten sie im Inland keine Niederlassung, ist das inländische Recht nicht auf sie anwendbar. Sanktionen bei Verstößen gegen die aufsichtsrechtlichen Vorschriften können nicht vollzogen werden. Die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Voraussetzungen, bei deren Vorliegen Dienstleistungsbeschränkungen mit dem EWG-Vertrag vereinbar sind, sind in der Versicherungswirtschaft also erfüllt66 . Das Niederlassungserfordernis verstößt damit nicht gegen den EWG-Vertrag. Das Urteil gibt der Kommission keine Handhabe, gegen die diskriminierenden Vorschriften der Mitgliedstaaten einzuschreiten. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bemüht sich daher, eine dem van Binsbergen-Urteil entsprechende Entscheidung für die Versicherungswirtschaft zu erreichen. Sie leitete gegen Frankreich und Dänemark Verfahren nach Art. 169 ein, weil die jeweiligen Staaten von ausländischen Versicherern weiterhin eine Niederlassung fordern, wenn sie im Inland Dienstleistungen auf dem Gebiet der Mitversicherung als führende Versicherer erbringen wollen67 . Auch gegenüber der Bundesrepublik leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren in die Wege 68 . Anlaß dafür bot der "Fall Schleicher". Der deutsche Versicherungs agent F. Schleicher vermittelte deutschen Kunden Versicherungsschutz bei englischen Versicherungs63 EuGH E vom 3. 12. 1974, S. 1299, 1309. 64
Von der Burg / Hansmeyer S. 949, 970. Siehe oben F II 2 b); Rieger, VW 1975,
S. 342, 344; von der Burg / Hansmeyer S. 949, 964 f. 66 Rieger, VW 1975, S. 342, 344; Müller, ZfV 1978, S. 267, 270; Buchmeier, VW 1984, S. 488, 492. 67 Klage gegen Frankreich ABl. EG C vom 5. 11. 1983, Nr. 299, S. 5; Klage gegen Dänemark ABl. EG, C vom 1. 12. 1983, Nr. 327, S. 6. 68 EURO FORUM S. 11 in: EG Magazin 9/84 Okt. &5
H. EG-Richtlinien
85
gesellschaften, die nicht zum Geschäftsbetrieb in der Bundesrepublik zugelassen waren. Das Berliner Kammergericht entschied, daß Schleicher gegen § 144 a Abs. 1 Nr. 1 VAG verstoßen habe 69 • Danach stellt die Versicherung eines inländischen Risikos bei einer in der Bundesrepublik nicht zum Geschäftsbetrieb befugten Unternehmung eine Ordnungswidrigkeit dar. Schleicher legte gegen den Bußgeldbescheid Rechtsbeschwerde mit folgender Begründung ein: die Vorschrift des § 144 a Abs. 1 Nr. 1 VAG könne im vorliegenden Fall keine Gültigkeit haben, weil sie mit den Bestimmungen des EWG-Vertrages über die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs (Art. 59, 60 Abs. 3 EWG-V) nicht vereinbar sei. Doch das Kammergericht weigerte sich, die Beschwerde dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Mit der oben70 genannten Begründung sieht das Berliner Gericht das Niederlassungserfordernis als gerechtfertigt an und erkennt keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht. Es sei selbst befugt, über die Vereinbarkeit von innerstaatlichen Rechtsnormen mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden. Es müsse auch dafür sorgen, daß die Vorlagepflicht beim Europäischen Gerichtshof auf ein sinnvolles Maß begrenzt werde. Die Vorlagepflicht sei auch nur dann gegeben, wenn Sinn und Zweck der anzuwendenden Bestimmung des EWG-Vertrags, der hierzu ergangenen Entscheidungen und der Meinungen im Schrifttum fraglich seien. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben71 • Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften strengte am 20. 8. 1984 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland an und begründete es unter anderem damit, daß Versicherer hier gezwungen seien, im Land des abgedeckten Risikos eine Niederlassung zu eröffnen72 • Doch das van Binsbergen-Urteil reicht wegen der erörterten Einschränkungen nicht aus, um die betreffenden innerstaatlichen Vorschriften für unvereinbar mit dem EWG-Vertrag zu erklären. Solange weder der Europäische Gerichtshof ein Urteil, das die Unvereinbarkeit der nationalen Diskriminierungsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht feststellt, noch der Rat eine Richtlinie zur Aufhebung der Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet der Versicherung erläßt, gelten die Vorschriften, die das grenzüberschreitende Tätigwerden eines Versicherungsunternehmens ohne Niederlassung verhindern, weiter. 69 70
71 72
Kammergericht, VerR 1983, S. 969 H. Siehe oben F H b). Kammergericht, VerR 1983, S. 969, 972. EUROFORUM in EG-Magazin Okt. 1984, S. 11.
86
F. Nationale Struktur der Versicherungsmärkte c) Aufsichtsrecht
Die Verschiedenartigkeit der nationalen Aufsichtsrechte trägt zu einer Abschottung der nationalen Märkte bei73 • Das Ziel der Versicherungsaufsicht, nämlich der Schutz der Versicherungsnehmer vor wirtschaftlichen Gefahren, stimmt überein, wird jedoch mit unterschiedlicher Intensität verfolgt. Die Aufsichtssysteme in den verschiedenen Mitgliedstaaten reichen von einer bloßen Solvenzaufsicht bis zu einer strengen materiellen Staatsaufsicht. Zur Solvenzaufsicht gehört die überwachung der finanziellen Grundlagen der Versicherungsunternehmen. Auch die Zulassungsvoraussetzungen fallen darunter. Die materielle Staatsaufsicht bildet den größeren Bereich und befaßt sich mit der Qualität des angebotenen Versicherungsschutzes. Sie umfaßt die Prüfung der allgemeinen Versicherungsbedingungen: ob der angebotene Versicherungsschutz ausreichend ist, ob ein angemessenes Verhältnis zwischen Prämie und Leistung besteht, ob für den Versicherungsnehmer überraschende Klauseln in den Versicherungsbedingungen enthalten sind usw. In der Bundesrepublik, Frankreich und Italien herrscht ein starkes Aufsichtsrecht. Nach Auffassung dieser Staaten bedarf es einer strengen materiellen Aufsicht, um sicherzustellen, daß der unkundige Versicherungsnehmer durch ein übersichtliches und vergleichbares Angebot einen echten Preisvergleich anstellen kann und daß der Deckungsschutz bedarfsgerecht und kundenfreundlich ausgerichtet ist. Die Engländer und die Niederländer beschränken sich auf eine bloße Solvenzaufsicht. Die Qualität des Angebots wird dem freien Spiel des Wettbewerbs überlassen. Nach Ansicht der Kommission wurde durch die erste Koordinierungsrichtlinie in der Direktversicherung die Solvenzaufsicht koordiniert. Die Zulassung und die SolvabiIitätsvorschriften sind einheitlich geregelt. Die Mitgliedstaaten hingegen behaupten, daß eine völlige Koordinierung - insbesondere hinsichtlich des Komplexes der technischen Reserven74 - noch ausstehe. Da der Rat der Europäischen Gemeinschaften in der ersten Koordinierungsrichtlinie die Koordinierung der technischen Reserven ausdrücklich späteren Richtlinien überlassen wollte75 , überrascht die Ansicht der Kommission, daß eine Koordinierung bereits 78 Nowak, VW 1974, S. 12; Levie, ZVersWiss 1973, S. 341, 351; R. Schmidt Studienwerk D III 1, S. 110. 74 Technische Reserven sind Gelder aus Prämienzahlungen, die das Versicherungsunternehmen für noch nicht abgelaufene Versicherungsverträge und noch nicht bezahlte Schäden zurückstellt. 75 ABI. EG, L vom 16. 8. 1973, Nr. 228, S. 3 vor Art. 1.
H. EG-Richtlinien
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erreicht sei. Jedoch verfolgt jeder Mitgliedstaat mit seinen Regeln über die technischen Reserven denselben Zweck, nämlich die Erfüllbarkeit von Versicherungsverträgen zu gewährleisten. Auch die Belastungen, die die technischen Reserven mit sich bringen, sind für die Versicherungsunternehmen die gleichen. Deshalb lassen sich die Regelungen in den Mitgliedstaaten insgesamt vergleichen. Eine weitere Koordinierung scheint demnach nicht erforderlich76 • Die Solvenzaufsicht ist vereinheitlicht. Im materiellen Aufsichtsrecht erfolgte bisher noch gar keine Koordinierung. Vor Herstellung der Dienstleistungsfreiheit, also vor Schaffung eines europäischen Binnenmarktes im Versicherungswesen, ist aber eine Koordinierung aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit und des Verbraucherschutzes notwendig. Ohne eine solche Koordinierung ergäbe sich folgendes: Die Versicherungsunternehmen aus Staaten mit einem strengen Aufsichtsrecht können ihren Versicherungsschutz nur zu den von der Aufsichtsbehörde genehmigten Bedingungen anbieten. In einem europäischen Binnenmarkt dürfen ausländische Versicherungsunternehmen ohne Niederlassung im Inland tätig werden. Sie brauchen sich nicht an die Bedingungen der Aufsichtsbehörde zu halten. Sie sind so in der Lage, ihren Versicherungsschutz zu anderen, das heißt für sie günstigeren Bedingungen und deshalb auch preiswerter anzubieten. Der Versicherungsnehmer, der diese unterschiedlichen Bedingungen nicht durchschaut, wählt den angeblich billigeren ausländischen Versicherer, der tatsächlich vielleicht sogar teurer ist. Dies führt zu Wettbewerbsverzerrungen77 • Die Versicherungsunternehmen aus Staaten mit einem relativ starken Aufsichtsrecht sind gegenüber solchen mit einer schwachen Versicherungsaufsicht im Wettbewerb benachteiligt. Ohne eine Koordinierung des Aufsichtsrechts tauchen zudem Probleme des Verbraucherschutzes auf. Die Versicherungsnehmer in Deutschland, Frankreich und Italien (also in den Ländern mit einer strengen Staatsaufsicht) können sich auf die Qualität der Versicherungsbedingungen verlassen, ohne sie erst eingehend prüfen zu müssen. Diese Aufgabe übernahm die jeweilige Versicherungsaufsichtsbehörde. Dem beispielsweise britischen Versicherungsnehmer hingegen obliegt die Pflicht, selber die Qualität des Versicherungsangebotes zu prüfen. Die ausländischen Versicherungsunternehmen, die grenzüberschreitend tätig werden, bieten oft Versicherungsschutz minderer Qualität, also Versicherungsschutz, der hinter der üblichen inländischen Deckung Vgl. hierzu Buchmeier, Schranken der Dienstleistungsfreiheit, S. 71 ff. Sieg, VW 1980, S. 16; W. Börner, VW 1970, S. 986, 990; Levie, ZVersWiss 1978, S. 341 343. 76
77
88
F. Nationale Struktur der Versicherungsmärkte
weit zurückbleibt. Der Versicherungsnehmer, der bisher zu Recht darauf vertraute, daß die Aufsichtsbehörde die Qualität des Versicherungsangebotes geprüft und gebilligt hat, kann böse Überraschungen erleben, wenn er bei einem ausländischen Versicherungsunternehmen Versicherungsschutz sucht. Ein Beispiel: Ein französischer Versicherungsnehmer schließt einen Feuerversicherungsvertrag für sein Haus ab. Dabei geht er selbstverständlich davon aus, daß der Versicherungsschutz das Haftpflichtrisiko umfaßt. Das bedeutet, der Anspruch eines Nachbarn, auf dessen Haus ein Feuer überspringt, wird vom Versicherungsschutz mitgedeckt. Ein ausländisches Versicherungsunternehmen bietet Versicherungsschutz zu günstigeren Prämien an. Sein Versicherungsschutz erstreckt sich aber nicht auf das Haftpflichtrisiko. Das bleibt dem unkundigen Versicherungsnehmer, der sich die Versicherungsbedingungen flüchtig ansieht, verborgen. Im etwaigen Schdensfall wird er von dem mangelhaften Deckungsschutz, der weit hinter seinen Mindestvorstellungen zurückbleibt, überrascht. Solange eine Harrnonisierung des europäischen Versicherungs aufsichtsrechts nicht erfolgt, bringt die volle Öffnung der Versicherungsmärkte für den freien Dienstleistungsverkehr - und damit auch für einen internationalen Markt - durch die unvollkommene Überwachung der Geschäftstätigkeit von Versicherungsunternehmen aus Ländern mit geringer Aufsichtstätigkeit Gefahren für die Versicherungsnehmer und führt zu Wettbewerbsverzerrungen. d) Wirtschaftliche Teilmärkte Die nationale Struktur der Versicherungsmärkte läßt sich nicht nur mit rechtlichen, sondern auch mit wirtschaftlichen Gesichtspunkten begründen. In jedem Mitgliedstaat bestehen andere Bedürfnisse der Versicherungsnehmer. Das liegt an der unterschiedlichen Schadenshöhe und -häufigkeit, an dem unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnis der Versicherungsnehmer und anderen Komponenten des sozialen Umfelds. Ausländische Versicherungsunternehmen müssen die inländischen Risikoverhältnisse und Anforderungen der inländischen Versicherungsnehmer berücksichtigen. Um sie bei ihrer Prämienkalkulation und bei der Ausgestaltung ihres Angebots ausreichend berücksichtigen zu können, muß der Versicherungsunternehmer diese Bedürfnisse kennenlernen. Das ist nur vor Ort möglich. Ausländische Feuerversicherer beispielsweise müssen die Bauweise der Häuser in dem Land, in dem sie Versicherungsschutz anbieten wollen, berücksichtigen. In Landstrichen, in denen strohgedeckte Häuser
11. EG-Richtlinien
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vorherrschen, müssen die Versicherungsunternehmen mit höheren Schadensaufwendungen rechnen. Oder: ausländische Versicherungsunternehmen, die in Deutschland den Versicherungsschutz moderner Fabriken übernehmen wollen, müssen bei ihrer Prämienkalkulation in Rechnung stellen, daß die in Deutschland übliche Verwendung des feuergefährlichen PVC zu außergewöhnlich hohen Schäden führen kann. Um den speziellen Risikoverhältnissen des fremden Landes Rechnung tragen zu können und geeignete Bewertungsgrundlagen für den Schadensbedarf zu erlangen, müssen die Versicherungsunternehmen in dem betreffenden Land arbeiten. Dann bietet sich die Errichtung einer Zweigniederlassung für den Versicherungsunternehmer eher an als die Erbringung seiner Leistung über die Grenzen hinweg von seinem Sitzstaat aus. Unter diesen rechtlichen und tatsächlichen Umständen bleibt wenig Raum für einen internationalen Versicherungsmarkt. Die Generaldirektion XV der Europäischen Kommission arbeitet seit über 25 Jahren daran, im Versicherungswesen binnenmarktähnliche Verhältnisse herzustellen. Sie stößt dabei auf den Widerstand derjenigen Mitgliedstaaten, die ihr strenges Aufsichtsrecht nicht durch ausländische Versicherungsunternehmen im Inland unterlaufen sehen wollen. Dazu kommt die Angst der meisten Mitgliedstaaten vor den auslandserfahrenen Briten. Großbritannien versichert bereits jetzt in großem Umfang ausländische Risiken im Wege des freien Dienstleistungsverkehrs über seine Grenzen hinweg, z. B. in Australien und Pakistan. In jedem Mitgliedstaat - mit Ausnahme Luxemburgs - führt Großbritannien die Liste der ausländischen Versicherungsunternehmen, die im Inland tätig werden, an78 • Außer der Auslandserfahrenheit genießen die Briten zudem den Vorteil ihrer Sprache. Ein britischer Versicherer, der ins Ausland geht, kann in seiner eigenen Sprache vorgehen. Dieser Vorteil ist um so höher zu bewerten, als es nicht ausreicht, wenn der Vorstand die fragliche Sprache beherrscht. Erforderlich ist eine größere Anzahl mehrsprachiger Mitarbeiter, die die Versicherungsfälle bearbeiten müssen79 • In einem europäischen Binnenmarkt für Versicherungswesen befinden sich die Engländer also gegenüber den anderen Mitgliedstaaten in einem Wettbewerbsvorteil. Die Engländer können ihr Angebot auf die übrigen Staaten der Europäischen Gemeinschaften ausdehnen und mit den inländischen Versicherungsunternehmen in Wettbewerb treten, 78
VW 1984, S. 62.
79
Müller-Gotthart, VW 1984, S. 45.
F. Nationale Struktur der Versicherungsmärkte
90
während diese Staaten ihrerseits - da Neulinge auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Versicherung - im Ausland schwer Fuß fassen können. Auch aus diesem Grund sind die Mitgliedstaaten - mit Ausnahme der BritenBO - an der Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit nur mäßig interessiert. Als Gründe gegen die Öffnung der Märkte führen sie aber zumeist das unterschiedliche Aufsichtsrecht und die damit verbundene Gefährdung ihrer Versicherungsnehmer an. Gegenwärtig untersucht eine Gruppe von Regierungssachverständigen einen Vorschlag des deutschen Staatssekretärs Tietmeyer. Er regte Mitte 1983 eine vorrangige Behandlung des Großschadensgeschäftes an. Insbesondere sollte die Versicherung von Transport-, Industrie- und HandeIsrisiken liberalisiert und das Massegeschäft abgetrennt werden. Der Vizepräsident der Europäischen Gemeinschaften Tugendhat wandte jedoch ein, daß der EWG-Vertrag die Dienstleistungsfreiheit generell vorsehe. Es gebe keine vertragliche Grundlage für die Auf teilung in zwei Risikoarten mit unterschiedlicher Liberalisierung. Dennoch scheint der Vorschlag erwägenswert, denn eine strenge Versicherungsaufsicht ist bei den Unternehmensrisiken weniger wichtig als im Massegeschäft. Dem Unternehmer kann, da er in der Regel durch sachverständige Rechtsanwälte bei der Aushandlung der Versicherungsbedingungen unterstützt wird, die Prüfung des Versicherungsangebotes auf seine Angemessenheit hin zugemutet werden. Er ist versierter und weniger schutzwürdig als der private Versicherungsnehmer, der zum Beispiel für seinen Personenkraftwagen eine KFZ-Versicherung abschließt. Binnenmarktähnliche Verhältnisse in der Direktversicherung bestehen weder jetztBl, noch ist abzusehen, wann sie erreicht werden82 • Bis sich die EG-Mitgliedstaaten auf ein einheitliches Aufsichtssystem geeinigt haben, ist eine grenzüberschreitende Erbringung von Versicherungsleistungen zudem nicht wünschenswert. Andernfalls könnten die aufsichtsrechtlichen Entscheidungen in den einzelnen Mitgliedsländern unterlaufen werden und sich das Maß des Verbraucherschutzes auf dem Stand des Aufsichtssystems mit den geringsten Anforderungen einpendeln. III. Die Rückversicherung
Das bisherige gilt nicht uneingeschränkt. Die Rückversicherung muß man als international bezeichnen. Hier bestehen keine national abgeschotteten Teilmärkte. Die nationalen Versicherungen werden hier auch grenzüberschreitend tätig. 80
81 82
Sieg, VW 1980, S. 14, 30. Ellis, S. 166. Eic1choff, ZVersWiss 1983, S. 1, 4.
111. Rückversicherung
91
Das bedarf einer gen aue ren Begründung: Die Rückversicherung ist die Versicherung der vom Versicherer übernommenen Gefahr (§ 779 Abs. 1 HGB). Beim Rückversicherungsvertrag stehen sich geschäftsgewandte Partner gegenüber. Sie sind selbst in der Lage, ihre Interessen zu wahren. Es besteht nicht - wie bei der Erstversicherung - die Notwendigkeit zu einem starken Gläubigerschutz. Aus diesem Grund unterliegen die Rückversicherer auch nur einer beschränkten Versicherungsaufsicht. Gemäß § 1 Abs. 2 VAG gelten nur gewisse Vorschriften des Gesetzes für Unternehmungen, die ausschließlich die Rückversicherung betreiben und die nicht die Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit haben. Auch in den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften unterliegen die Rückversicherungsunternehmen keiner oder nur einer beschränkten Versicherungsaufsicht. Es wird den Besonderheiten der Rückversicherung, bei der ein Gläubigerschutz nicht notwendig erscheint, Rechnung getragen. Würden inländische Rückversicherungsunternehmen vollständig der Versicherungsaufsicht unterstellt, befänden sie sich gegenüber ausländischen Rückversicherern, die nicht beaufsichtigt werden, im Nachteil83 • Das Argument, das für eine Abgrenzung der nationalen Teilmärkte der Erstversicherer gilt, nämlich das unterschiedliche Aufsichtsrecht, gilt also nicht für die Rückversicherung. Es bestehen auch keine innerstaatlichen diskriminierenden Vorschriften, die es ausländischen Rückversicherern verbieten, im Inland ohne Niederlassung tätig zu werden. Gemäß § 1 Abs. 2 VAG gelten die §§ 105 ff. VAG, die für ein ausländisches Versicherungsunternehmen das Niederlassungserfordernis festschreiben, nicht für Unternehmungen, die ausschließlich die Rückversicherung betreiben. Erstversicherer dürfen mit ausländischen Rückversicherungsunternehmen, die grenzüberschreitend im Inland ohne Niederlassung tätig werden, kontrahieren, ohne mit einem Bußgeldverfahren rechnen zu müssen. Zu diesen rechtlichen Gegebenheiten, die das Bestehen eines internationalen Rückversicherungsmarktes möglich machen, kommt ein wirtschaftlicher Aspekt, der einen internationalen Versicherungsmarkt geradezu fordert. Insbesondere bei großen Risiken ist der nationale Raum nämlich zu klein, um einen ausreichenden Versicherungsschutz zu erlangen. Dieser Lage hat der Rat der Europäischen Gemeinschaften mit der Rückversicherungsrichtlinie vom 25. Februar 196484 Rechnung getr.agen. Danach mußten die Mitgliedstaaten diejenigen Bestimmungen aufheben, die die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit in der Rückversicherung beschränkten. Nur in Italien war für die Ausübung 83 84
VgI. Begründung oben F 11 2 b). ABI. EG L, vom 25. 2. 1964 S. 878.
F. Nationale Struktur der Versicherungsmärkte
92
der Rückversicherungstätigkeit eine Zulassung erforderlich. Sie wurde aber auch vor Erlaß der Richtlinie regelmäßig gewährtB5• Die Rückversicherungsrichtlinie schrieb also nur einen Zustand fest, der bereits vorher bestand. Die einzelnen Mitgliedstaaten befürworteten eine solche Richtlinie auch deshalb, weil dadurch nicht eine Versicherungstätigkeit, die zuvor unter ihrer Aufsicht lag, aufsichtsfrei stattfand.
IV. Die Transportversicherung Auch den Transportversicherungsmarkt muß man als international bezeichnen B6 . Gemäß § 111 Abs. 1 VAG unterliegen Versicherungsunternehmen, die ausschließlich die Transportversicherung betreiben, nicht den Vorschriften des Gesetzes, soweit sie das Direktversicherungsgeschäft im Wege des Dienstleistungsverkehrs betreiben. Ursprünglich erfaßte die Versicherungsaufsicht die Transportversicherung nicht (§ 148 VAG a. F.). Infolge des Erlasses der Schadensversicherungsrichtlinie B7 wurden die Transportversicherungsunternehmen jedoch der Aufsicht unterstellt. Damit fand § 106 Abs. 2 VAG, der das Niederlassungserfordernis für ausländische Versicherungsunternehmen festschreibt, Anwendung. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sah darin einen Verstoß gegen die Art. 59 ff. und drohte ein Verfahren nach Art. 169 an. Daraufhin erklärte sich die Bundesregierung bereit, den Dienstleistungsverkehr von ausländischen Transportversicherungsunternehmen freizustellen. Das ist durch den neuen § 111 Abs. 1 VAG geschehen. Damit hat der deutsche Gesetzgeber also in der Transportversicherung die Dienstleistungsfreiheit verwirklicht. Die Begründung entspricht derjenigen, die für den Rückversicherungsmarkt gilt. In der Transportversicherung stehen sich erfahrene Geschäftspartner gegenüber. Sie können selber am besten beurteilen, welcher Versicherungsschutz für sie der beste ist und welches Risiko sie eingehen können. Diese Versicherungsnehmer brauchen daher keinen staatlichen SchutzBS hinsichtlich der Versicherungsbedingungen und Prämien.
V. Die Mitversicherung Auch in der Mitversicherung ist die Dienstleistungsfreiheit verwirklichtB9 . Die Richtlinie über die Mitversicherung90 erlaubt es VersicheB5 Badenhoop, ZfV 1981, S. 426, 427. R. Schmidt in Prölss § 111 Rdn.2. 87 ABI. EG L vom 16. 8. 1973, Nr. 228, S. 3. BB Frölss § 111 Rdn. 2. 89 Eickhoff, ZVersWiss 1983, S. 1, 12.
86
VI. Korrespondenzversicherung
93
rungsunternehmen, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften haben, sich im Wege der Mitversicherung an einem Risiko zu beteiligen, das ein Versicherungsunternehmen in einem anderen Mitgliedstaat als führender Versicherer übernommen hat. Dabei ist es nicht erforderlich, daß die Versicherungsunternehmen in diesem Land niedergelassen sind. Gemäß § 111 Abs. 2 unterliegen ausländische Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, soweit sie sich an Mitversicherungen über Risiken in der Gemeinschaft beteiligen, nicht den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Hier ist der Schutz der Versicherungsnehmer nicht gewährleistet, denn die Aufsichtsbehörde kann ihrer Aufgabe, für den Schutz der Versicherungsnehmer zu sorgen, nicht entsprechen. Der ausländische Mitversicherer muß im Inland keine Niederlassung unterhalten. Daher kann seine Geschäftstätigkeit nicht von der inländischen Aufsichtsbehörde kontrolliert werden. Die meisten Mitgliedstaaten wenden diese Richtlinie aber nur auf Risiken an, die so groß sind, daß eine Beteiligung mehrerer Versicherungsunternehmen erforderlich erscheint91 • Gemäß § 111 Abs. 2 Nr. 1 VAG gilt die Freistellung der Mitversicherung von den Vorschriften des Gesetzes nur, sofern die Mitversicherung ausschließlich gewerbliche oder freiberufliche Risiken deckt. Bei Risiken dieser Art treten als Versicherungsnehmer nur gewerbliche Kunden auf. Sie bedürfen keines staatlichen Versicherungsschutzes.
VI. Die Korrespondenzversicherung Für die Korrespondenzversicherung ist ebenfalls die Dienstleistungsfreiheit verwirklicht92 • Das ergibt sich für die Bundesrepublik aus dem Wortlaut des § 105 Abs. 1 VAG. Danach bedürfen ausländische Versicherungsunternehmen, die im Inland durch Vertreter, Bevollmächtigte, Agenten oder andere Vermittler das Direktversicherungsgeschäft betreiben wollen, der Erlaubnis. Daraus folgt im Gegenschluß, daß ausländische Versicherungsunternehmen, die im Inland nicht durch Vertreter usw. tätig werden, sondern nur von ihrem Sitzstaat aus durch Korrespondenz mit einem Versicherungsnehmer im Inland kontrahieren, keiner Erlaubnis bedürfen. Das deutsche Versicherungsaufsichtsrecht greift nur ein, wenn das ausländische Versicherungsunternehmen selber im Inland an den Versicherungsnehmer herantritt. Ein inländischer Versicherungsnehmer, der bei einer ausländischen Gesellschaft 90
ABI. EG vom 7. 6. 1978, Nr. 151, S. 25.
Angerer, ZfV 1982, S. 582, 584. 92 Steindorff, ZHR 139, S.249, 254; Eickhoff, ZVersWiss 1983, S. 1, 12; von der Burg / Hansmeyer, S. 949,961 f. 91
94
F. Nationale Struktur der Versicherungsmärkte
Versicherungsschutz sucht, weiß, worauf er sich einläßt. Er hat Kenntnis davon, daß er mit einem ausländischen Versicherungsunternehmen, das keine Vertretung im Inland unterhält und nicht dem inländischen Recht unterworfen ist, kontrahiert. Einem solchen Versicherungsnehmer muß man staatlichen Schutz nicht aufdrängen. Die Dienstleistungsfreiheit ist also mit Ausnahme auf dem Gebiet der Rück-, Mit-, Transport- und Korrespondenzversicherung noch nicht realisiert. Ein gemeinsamer Versicherungsmarkt besteht nicht 93 •
93 Angerer, ZfV 1982, S. 582, 584; Badenhoop, ZfV 1981, S. 426, 428; Herzog, VW 1973, S.742, 749; Hübner, ZVersWiss 1982, S.221, 225; Müller, ZfV 1978, S. 267, 268.
G. Möglichkeiten der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels 1 Es stellt sich die Frage, ob bei der nationalen Struktur der Versicherungsmärkte der zwischenstaatliche Handel im Sinne des Art. 85 überhaupt beeinträchtigt werden kann.
I. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels durch Wettbewerbsbeschränkungen zwischen inländischen und ausländischen Versicherungsunternehmen Bei Wettbewerbsbeschränkungen, die den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen, sind in der Regel inländische und ausländische Unternehmen beteiligt. Aus dem oben erörterten Sachverhalt ergibt sich, daß im Direktversicherungsgeschäft Versicherungsunternehmen nicht grenzüberschreitend tätig werden und es auch nicht dürfen. Zwischen in- und ausländischen Versicherungsunternehmen besteht also kein Wettbewerb, weil sie auf verschiedenen Märkten tätig werden. Schließen sie dennoch untereinander wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, so können diese jedenfalls nicht den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen. Zwischen den in- und ausländischen Versicherungsunternehmen bestand auch ohne die Wettbewerbsbeschränkung kein Wettbewerb. In der Direktversicherung kann es Wettbewerbsbeschränkungen, die den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen, unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Umständen grundsätzlich nur zwischen im Inland niedergelassenen Versicherungsgesellschaften geben, das heißt: -
zwischen inländischen Versicherungsunternehmen oder
-- zwischen inländischen Versicherungsunternehmen und inländischen Niederlassungen ausländischer Versicherungsunternehmen, sofern man diese als dem Mutterunternehmen zugehörig ansieht.
1 Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf den überwiegenden Teil des Versicherungswesens, in dem die Dienstleistungsfreiheit noch nicht realisiert ist.
G. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
96
11. Wettbewerbsbeschränkungen zwischen inländischen Versicherungsunternehmen Hier geht es um Wettbewerbsbeschränkungen, an denen Unternehmen aus nur einem Mitgliedstaat beteiligt sind. Auch diese nationalen Vereinbarungen können den Tatbestand des Art. 85 erfüllen. Es ist für die mögliche Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels nicht erforderlich, daß die beteiligten Unternehmen in verschiedenen Staaten ansässig sind2 • Wie der Europäische Gerichtshof wiederholt entschied, können auch wettbewerbsbeschränkende Praktiken, an denen nur Unternehmen aus einem Migliedsstaat teilnehmen, unter Art. 85 fallen 3 • Das beruht darauf, daß eine Vereinbarung, die sich auf das gesamte Mitgliedsland erstreckt, schon ihrem Wesen nach geeignet ist, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung zu behindern und die inländische Produktion zu schützen. Die Antwort auf die Frage, ob dies der Fall sei, erfordere es allerdings, die Mittel, über die die Mitglieder eines Kartells verfügen, um sicherzustellen, daß die Kundschaft ihnen treu bleibt, zu untersuchen. Auch soll die relative Bedeutung des Kartells auf dem fraglichen Markt und der gesamtwirtschaftliche Zusammenhang, in dem das Kartell sich betätigt, berücksichtigt werden4 • Die Tatsache allein, daß sich das Kartell auf den gesamten nationalen Markt erstreckt, reicht demnach für das Vorliegen einer zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung nicht aus. Erforderlich ist die Prüfung des wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhanges, in dem die wettbewerbsbeschränkende Maßnahme steht5 • Um die Praxis des Europäischen Gerichtshofes zu verdeutlichen, bedarf es eines genaueren Blickes auf die oben6 genannten drei Entscheidungen. Die Entscheidung Papier Prints betrifft die Vereinbarung eines Gesamtumsatzrabattkartells, bei dem nur die Bezüge von inländischen Herstellern berücksichtigt wurden. Eine Vereinigung von Unternehmen, die Tapeten herstellten und einführten, gewährte ihren Abnehmern "Kooperationsprämien" , die sich nach dem jährlichen Bezug des Kunden bei allen der Vereinigung angehörenden Herstellern zusammen bemaß. Die Entscheidung Cementhandelaren befaßt sich mit Vereinbarungen und Beschlüssen einer Vereinigung von Zementhändlern. Sie legten für BZeckmann S.344; Mestmäcker S.117; Gide / Layrette / NaueZ S.3, 40. EuGH E vom 17.10.1972, S.977, 991; vom 26.11. 1975, S.1491, 1515; vom 16. 6. 1981, S. 1563, 1578. 4 EuGH E vom 26. 11. 1975; S. 1515 Rdn. 25/26. 5 EuGH E vom 12. 12. 1967, S. 544, 555 f. 6 Siehe oben F Fn. 77. 2
3
II. Beschränkungen zwischen inländischen Unternehmen
97
ihre Mitglieder ein Richtpreissystem fest und verpflichteten sie, nur an andere Mitglieder der Vereinigung weiter zu verkaufen. Des weiteren durften die Mitglieder den Bauunternehmen nicht mehr Zement liefern als die für das begonnene Bauwerk benötigte Menge. Im Fall Salonia ging es um eine Vereinbarung, derzufolge nur diejenigen Wiederverkäufer mit Zeitungen und Zeitschriften beliefert werden sollten, die von einem aus Vertretern der nationalen Verbände der Zeitungsverleger und der Wiederverkäufer bestehenden berufsständischen Vereinigung zugelassen sind. Diesen Entscheidungen ist gemein, daß sie nur Kartelle aus einem Staatsgebiet betreffen. Die selektive Vertriebsbindung im Fall Salonia erstreckte sich ausschließlich auf den Vertrieb inländischer Zeitungen und Zeitschriften. Der Beschluß der Zementhändlervereinigung galt nur für Mitglieder ,die ihren Sitz im Inland hatten. Und auch das Kartell der Tapetenhändler betraf nur inländische Abnehmer. Alle Vereinbarungen fanden nur auf Geschäfte Anwendung, die innerhalb des Inlandes abgewickelt wurden. Eine Wettbewerbsbeschränkung zwischen nur inländischen Versicherungsunternehmen würde ebenfalls nur inländische Versicherungsnehmer betreffen und sich nur auf inländische Verträge beziehen. In den oben genannten Entscheidungen kam der Gerichtshof, obwohl die Wettbewerbsbeschränkungen nur im Inland galten, doch zu dem Ergebnis, daß die betreffenden Vereinbarungen unter Art. 85 fielen. Sie beeinträchtigten somit den zwischenstaatlichen Handel. Für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals kommt es darauf an, ob die Maßnahme aufgrund der gesamten Umstände geeignet ist, unmittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Handel zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu beeinträchtigen, die der Verwirklichung des Zieles eines einheitlichen, zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann, indem sie zur Errichtung von Handelsschranken im Gemeinsamen Markt beiträgt und die vom Vertrag gewollte, gegenseitige Durchdringung der Märkte erschwert7. Die Zustände mit und ohne Wettbewerb sind miteinander zu vergleichen. Es ist zu prüfen, ob infolge der wettbewerbs beschränkenden Maßnahmen der zwischenstaatliche Handel sich anders als in einem System unverfälschten Wettbewerbs entwickelt hat8 • Da in dem Fall der Tapetenhersteller die Rabatte mit den Abnahmemengen stiegen, bestand für die Käufer ein Anreiz, ausschließlich von 7 Emmerich, Kartellrecht, S.343; EuGH E 1966, S.321, 389; 1975, S.1663, 1942; 1975, S. 1491 1515; 1981, S. 2021,2033. 8 EuGH E 1980, S. 3125, 3274 f.
7 Kuhlmann
G. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
98
der Vereinigung Waren zu beziehen. Die Rabatte hielten die Wiederverkäufer davon ab, nicht über die Vereinigung eingeführte ausländische Erzeugnisse zu verkaufen. Dies behinderte den Vertrieb ausländischer Erzeugnisse im Inland, und der Wettbewerb auf Gemeinschaftsebene konnte verfälscht werden. - Im Zementhändlerfall setzte die Kartellvereinigung den größten Teil des eingeführten Zements ab. Demnach unterlagen diese Verkäufe auch dem System der Richtpreise und Vertriebsbindungen. Dies beeinflußte den zwischenstaatlichen Handel. - Das Vertriebssystem der inländischen Presseerzeugnisse bei der Salonia-Entscheidung wirkte sich auf den Vertrieb ausländischer Presseerzeugnisse aus, weil diese nur über das normale Vertriebsnetz verbreitet werden konnten. In den den Entscheidungen zugrundeliegenden Fällen waren die nationalen Märkte ohne die Wettbewerbsbeschränkung nicht für ausländische Wettbewerber gesperrt. Der Tapeten- und Zementmarkt ist international, da in diesen Branchen keine rechtlichen und tatsächlichen Hindernisse bestehen, im Ausland tätig zu werden. Die Transportschwierigkeiten auf dem Zementmarkt lassen sich überwinden, wie die hohe Einfuhr an Zement in die Niederlande im Zementhändlerfall zeigt. Der Zeitungsmarkt ist nur in begrenztem Umfang international. Der größte Teil der Zeitungen gilt nur für ein nationales bzw. grundsätzlich noch kleineres Gebiet. Das liegt außer an der Sprache auch an dem nur für Ausländer interessanten Geschehen. Trotzdem gibt es Zeitungen und Zeitschriften, die überall auf der Welt verbreitet werden. Auch im Zeitungsmarkt gibt es demnach einen zwischenstaatlichen Handel, der beeinträchtigt werden kann. Die innerstaatlichen Wettbewerbsbeschränkungen wirkten sich also auf die Märkte anderer Mitgliedstaaten aus. Ausländische Unternehmen konnten jeweils nicht so im Inland tätig werden, wie es ihnen ohne die inländischen Wettbewerbsbeschränkung möglich gewesen wäre. Vergleicht man im Fall der Versicherungswirtschaft - wie vom Gerichtshof gefordert9 - den Zustand mit Wettbewerbsbeschränkung mit dem hypothetischen Zustand, der ohne die Wettbewerbsbeschränkung bestünde, so kommt man zu dem Ergebnis: es bestehen in beiden Fällen keine Dienstleistungsströme über die Grenzen hinweg. Sie können deshalb auch nicht beeinträchtigt werden. Die Versicherungsmärkte sind abgeschottet. Solche Verhaltensweisen, die nur im Inland Wirkungen zeigen, unterliegen nicht dem Gemeinschaftsrecht10 • So entschied der Europäische Gerichtshof: 9
10
EuGH E 1967, S. 543, 556. Schröter in v. d. Groeben Art. 85 Rdn. 33.
11. Beschränkungen zwischen inländischen Unternehmen
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"Unter den Geltungsbereich des EWG-Kartellrechts fallen nur solche Praktiken, die geeignet sind, die Freiheit des Handels zwischen den Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten nachteilig sein kann, indem insbesondere die nationalen Märkte abgeschottet werden oder die wettbewerbliehe Struktur im Gemeinsamen Markt verändert wird. Dagegen fallen Verhaltensweisen, deren Auswirkungen sich auf das Gebiet eines einzelnen Mitgliedstaates beschränken, unter den Geltungsbereich der nationalen Rechtsordnung."l1 Die Wettbewerbsbeschränkungen in der Versicherungswirtschaft haben nur Auswirkungen auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates. Demnach dürften sie nicht dem Europäischen Kartellrecht unterfallen. Dennoch entschied der Europäische Gerichtshof in seinem sogenannten Farbstoff-Urteil, daß auch auf national abgeschotteten Märkten eine Wettbewerbsbeschränkung den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen könnte 12 • Es gab 1972 keinen gemeinsamen Farbstoffmarkt, sondern voneinander abgegrenzte und getrennte nationale Märkte. Deshalb konnten Wettbewerbsbeschränkungen den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen. Ein zwischenstaatlicher Warenstrom bestand nicht. Der Europäische Gerichtshof erkannte dennoch auf eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. Die Wettbewerbsbeschränkungen hätten dafür gesorgt, daß die Abschottung beibehalten werde. Ohne die Kartellvereinbarung hätte die Abschottung in Gefahr geraten können. Die Wettbewerbsbeschränkung verringerte das Risiko einer Veränderung der Wettbewerbsbedingungen, insbesondere die Entstehung neuer innergemeinschaftlicher Handelsströme. Die Wettbewerbsbeschränkung hätte dazu beigetragen, die Auf teilung der nationalen Märkte weiter zu zementieren13 • Es fragt sich, ob auch in der Versicherungswirtschaft eine zwischenstaatliche Wettbewerbsbeschränkung zu einer weiteren Abschottung der nationalen Märkte führen könnte. Zu vergleichen sind die Gründe, warum der Farbstoffmarkt einerseits und der Versicherungsmarkt andererseits nicht international sind. Auf dem Farbstoffmarkt gibt es keinen zwischenstaatlichen Handel wegen der Notwendigkeit sofortiger Belieferung und eines aufwendungstechnischen Kundendienstes 14 • Im Versicherungswesen gelten auch wirtschaftliche Gegebenheiten, die zur Abschottung der Märkte führen, wie die Notwendigkeit eines inländischen 11 12 13 14
7*
EuGH E 1979, S. 1869, 1899. EuGH E 1972, S. 619 ff. EuGH E 1972, S. 619 ff., Rdz. 121/123. EuGH E 1972, S. 619 ff., Rdz. 69/75.
100
G. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
Kundendienstes und eines speziell inländischen Angebotes. Daß solche Gründe allein nicht ausreichen, um eine Abschottung zu bej ahen, die nicht weiter zementiert werden kann, hat der Europäische Gerichtshof klargestellt 15 • Doch bestehen in der Versicherungswirtschaft rechtliche Gründe, die das Entstehen eines Gemeinsamen Versicherungsmarktes verhindern. Die inländischen diskriminierenden Vorschriften, die die grenzüberschreitende Tätigkeit von Versicherungsunternehmen ohne Niederlassung im Inland verbieten, begründen die nationale Abschottung der Versicherungsmärkte. Da die nationale Abschottung gesetzlich festgelegt ist, kann eine private Beschränkung die Abschottung nicht noch zementieren. Solange die gesetzlichen Vorschriften bestehen, kann es keinen internationalen Markt geben. Auch ohne Kartellvereinbarungen in der Versicherungswirtschaft könnte die Abschottung auf den Versicherungsmärkten nicht "in Gefahr geraten". III. Wettbewerbsbeschränkungen zwischen der inländischen Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens und inländischen Versicherungsunternehmen Möglicherweise könnten aber Wettbewerbsbeschränkungen zwischen inländischen Niederlassungen ausländischer Versicherungsunternehmen und inländischen Versicherungsunternehmen den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen.
1. Die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens unter nationalen Gesichtspunkten Die Niederlassungsfreiheit ist im Versicherungswesen verwirklicht. Jedes Versicherungsunternehmen kann in einem anderen als dem Sitzstaat eine Zweigniederlassung errichten und VOn dort aus Versicherungsgeschäfte betreiben. Diese Möglichkeit nutzen die europäischen Versicherungsunternehmen in großem Umfang. Der Anteil der EG-Niederlassungen am gesamten Versicherungs angebot betrug 1982 16 in: Belgien .............................. Dänemark ........................... BR Deutschland ...................... Griechenland ........................ Frankreich ........................... 15 16
EuGH E 1972, S. 619 ff. 1984, S. 62.
VW
37,9 ~/o 16,3 Ofo 15,8 Ofo 36,6 Ofo 25,2 Ofo
III. Inländische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens Irland
60,01J/o
Italien
16,3 Ufo
101
Luxemburg .......................... 63,4 6 / 0 Niederlande ......................... 22,7 Ofo Großbritannien ......................
2,9 6 / 0
Vereinbaren diese inländischen Zweigniederlassungen ausländischer Versicherungsunternehmen mit ihren inländischen Konkurrenten wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen, könnte dadurch der zwischenstaatliche Handel im Sinne des Art. 85 Abs. 1 beeinträchtigt werden. Diese Ansicht vertritt die Generaldirektion IV der Kommission in dem zur Zeit laufenden Northern-Verfahren. Die Northern Assurance Company Limited ist ein britisches Versicherungsunternehmen. Unter anderem übernimmt sie den Versicherungsschutz für industrielle Feuerrisiken. Das Unternehmen unterhält eine Zweigniederlassung in Deutschland (Bremen). Diese Niederlassung ist Mitglied des Verbandes der deutschen Sachversicherer. Dieser Verband richtete im Juni 1980 an seine Mitglieder eine unverbindliche Prämienempfehlung zur Stabilisierung und Sanierung des Geschäftes der industriellen Feuer- und Feuerbetrie bsun terbrechungsversicherung . Allein aus der Tatsache, daß dem Verband der deutschen Sachversicherer EG-Versicherer mit Sitz außerhalb Deutschlands angehören, folgert die Kommission die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. Die inländischen Niederlassungen ausländischer Versicherungsunternehmen seien nicht inländische Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit im Sinne der Wettbewerbsregeln der Art. 85 ffP Unter Wettbewerbsgesichtspunkten handele es sich bei einer Zweigniederlassung nur um den verlängerten Arm eines ausländischen Unternehmens. Bei wirtschaftlicher Betrachtung hänge die Niederlassung von dem Goodwill des ausländischen Versicherungsunternehmens ab, dessen Unternehmensleitung die Geschäftspolitik der Zweigniederlassung bestimme. Auch werde nicht die inländische Zweigniederlassung, sondern das ausländische Unternehmen aus den Versicherungsverträgen, die die Niederlassung abschließe, privatrechtlich berechtigt und verpflichtet. Die von der Niederlassung erzielten Gewinne flössen dem ausländischen Versicherungsunternehmen zu, das auch bei etwaigen Verlusten der Niederlassung deren Finanzmittel durch eigene Mittel erneuern müssen1B • Aus diesen Umständen schließt die Kommission die Beteiligung der inländischen Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens am zwischenstaatlichen Handel. 17
18
ABI. EG L vom 26. 3. 1982, Nr. 80, S. 36, 37. ABI. EL L vom 26. 3. 1982, Nr. 80, S. 36, 37.
G. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
102
Damit setzt sie sich in Wiederspruch zu der von ihr vor gut 20 Jahren vertretenen Ansicht. Der damalige Generaldirektor der Generaldirektion IV Verloren van Thermaat teilte dem Comite Europeen des Assurances in einem Brief vom 3. Juli 1972 folgendes mit: "... Hinsichtlich der Ausnahme einer Anmeldung, die von Art. 4 Abs. 2 (1) der Verordnung Nr. 17 vorgesehen ist, ist sie nur insoweit vorgesehen, als an der Vereinbarung nur Unternehmen teilnehmen, die einem einzigen Mitgliedstaat angehören und daß die Vereinbarung weder den Import noch den Export zwischen Mitgliedstaaten betrifft. Auf dem Gebiet der Versicherung legen die Aufsichtsregelungen im allgemeinen den ausländischen Unternehmen, die auf dem Territorium eines Mitgliedstaates arbeiten wollen, die Verpflichtung auf, sich als eine Gesellschaft nationalen Rechts zu konstituieren oder einen Repräsentanten zu benennen, der die Nationalität des Staates hat, wo die Versicherungstätigkeit ausgeübt wird. Infolgedessen hat es den Anschein, daß im Inneren desselben Staates die verschiedenen Versicherungsgesellschaften die Eigenschaft von Staatsangehörigen dieses Staates haben, was die Anwendung des Art. 4 Abs. 2 (1) der Verordnung Nr. 17 erlauben wird."19 Gemäß Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 Verordnung Nr. 17 brauchen Vereinbarunden, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, für welche die Beteiligten Art. 85 Abs. 3 in Anspruch nehmen wollen, nicht bei der Kommission angemeldet zu werden, wenn an der Wettbewerbsbeschränkung nur Unternehmen aus einem Mitgliedstaat teilnehmen und nicht die Ein- oder Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten betroffen ist. Vom Wortlaut her bedeutet die Freistellung von dem Anmeldungserfordernis jedoch nicht, daß solche Wettbewerbsbeschränkungen nicht unter Art. 85 Abs. 1 fallen, weil sie den zwischenstaatlichen Handel nicht beeinträchtigten. Sie bedeutet lediglich, daß solche Wettbewerbsbeschränkungen durch Art. 85 Abs. 3 von Art. 85 Abs. 1 freigestellt sind ohne daß es einer Anmeldung bedarf. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes ist es möglich, daß dieselbe Vereinbarung zwar im Sinne der Vorschrift des Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 17 nicht die Ein- und Ausfuhr zwischen Mitgliedstaaten betreffe, aber trotzdem im Sinne von Art. 85 Abs. 1 den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtige2°. Es soll hier aber nicht nur festgestellt werden, ob die inländischen Niederlassungen ausländischer Unternehmen unter Art. 85 Abs. 1 fallen, sondern ob die inländische Niederlassung unter Wettbewerbsgesichtspunkten als Inländer zu behandeln ist. In Art. 4 Abs. 2 Verordnung Nr. 17 spielen allein wettbewerbsrechtliche Aspekte eine Rolle, wenn bestimmt wird, ob nur Unternehmen aus einem Mitgliedstaat an der 19 Abgedruckt in: 14. Geschäftsbericht des GdV 1961/62. EuGH E 1970, S. 127, 135 f.
20
III. Inländische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens
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wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung beteiligt sind. Wenn die Kommission nun feststellt, daß die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens die Eigenschaft eines inländischen Staatsangehörigen habe und Art. 4 Abs. 2 Verordnung Nr. 17 anwendbar sei, dann gilt diese Feststellung für das gesamte Kartellrecht. Im Jahr 1962 zählte die Kommission die inländischen Niederlassungen eines ausländischen Versicherungsunternehmens zu den inländischen Versicherungsunternehmen. Diese Betrachtungsweise stellte die Kommission aber bereits im nächsten Jahr wieder in Frage. Sie erwog, die Zurechnung der Niederlassungen der ausländischen Unternehmen zu den Inländern im Sinne des Art. 4 Abs. 2 a) der Verordnung Nr. 17 auf Gesellschaften innerstaatlichen Rechts, also auf selbständige Tochterunternehmen zu beschränken und den Fall des Generalbevollmächtigten anders zu behandeln. Begründet wurde dies damit, daß der Bevollmächtigte nicht im eigenen Namen handelt und aus den von ihm getroffenen Vereinbarungen das ausländische Unternehmen selbst berechtigt und verpflichtet wird. Die Versicherungswirtschaft beruft sich demgegenüber auf das oben2! zitierte Schreiben Verloren van Thermaats. Die Branche habe über 20 Jahre darauf vertraut und werde jetzt von der neuen Ansicht der Kommission überrascht. Doch kritisierte die Versicherungswirtschaft bereits in ihrem 15. Geschäftsbericht von 1962/63 22 die neue Ansicht der Kommission, daß Niederlassungen ausländischer Unternehmen nicht zum Kreise der Inländer gerechnet werden könnten. Der Versicherungswirtschaft war somit bekannt, daß die Kommission ihre Ansicht geändert hat, und sie kann sich daher nicht auf einen Vertrauenstatbestand berufen. Es ist nun unter verschiedenen Aspekten zu prüfen, ob die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens als Inländer behandelt wird. a) Gesellschaftsrechtliche Aspekte Unter gesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten ist die Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens Zweigniederlassung im Sinne des § 13 HGB. Die Zweigniederlassung ist der Hauptniederlassung nachgeordnet23 • Sie ist nicht selbständige juristische Person, son21 22
23
Siehe oben G III 1. Geschäftsbericht des GdV, S. 108. Würdinger § 13 Rdn. 4.
104
G. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
dern nur Teil eines Handelsgeschäftes, dessen Rechtssubjekt der Unternehmer ist24 • Sie bildet ebenso wie das ganze Handelsgeschäft einen Bestandteil des Vermögens des Unternehmens25 • Das gilt auch für die inländische Zweigniederlassung eines Ausländers. Die Rechte, die die Niederlassung erwirbt, sind Rechte des ausländischen Unternehmens 26 • Die Verbindlichkeiten der Niederlassung sind Schulden des Unternehmens 27 • Die Rechtsgeschäfte, die namens der Zweigniederlassung abgeschlossen werden, sind namens des Unternehmens abgeschlossen, sonstige Rechtshandlungen in seinem Namen vorgenommen28 • Mangels eigener Rechtspersönlichkeit kann die Niederlassung auch nicht Partei in einem Rechtsstreit sein. Das Gesellschaftsrecht behandelt die Niederlassung demnach als zu dem ausländischen Unternehmen gehörig. b) Steuer- und bilanzrechtliche Aspekte Die Zweigniederlassung wird auch im Steuerrecht nicht als selbständiges Rechtssubjekt angesehen. Deren Gewinne hat das ausländische Unternehmen mit zu versteuern (§ 16 Abs. 2 StAnpG). Lieferungen zwischen der Zweigniederlassung und dem Mutterunternehmen sind als sogenannte Innenumsätze nicht umsatzsteuerpflichtig. Buchungen zwischen Zweigniederlassung und Hauptsitz beurkunden nicht echte Forderungen, sondern sind nur Unterlage für Dispositionen der Leitung des Gesamtunternehmens und Posten der innerbetrieblichen Erfolgsrechnung 29 • c) Aufsichtsrechtliche Aspekte Das deutsche Versicherungsaufsichtrecht behandelt die ausländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens - auch wenn es nur durch einen Hauptbevollmächtigten vertreten ist - als Inländer. Gemäß § 106 Abs. 2 VAG müssen ausländische Unternehmen, die in der Bundesrepublik Versicherungsgeschäfte betreiben wollen, im Inland eine Niederlassung errichten und dort alle die Niederlassung betreffenden Geschäftsunterlagen zur Verfügung halten und für die Geschäftstätigkeit der Niederlassung gesondert Rechnung legen. Die Zweigniederlassung muß so eingerichtet sein, daß sie notfalls jederzeit als selbständiger Betrieb fortgeführt werden kann. Es müssen Bücher geführt werden, aus denen sich die erforderlichen Angaben für das 24 25
26 27
28 29
RG Z 108,265,267. Würdinger § 13 Rdn. 11. RG Z 107, 44, 46. KöbZer, BB 1969, S. 845. Bay ObLG 32, 504. Baumbach / Duden / Hapt § 13 D (S. 58).
III. Inländische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens
105
deutsche Geschäft ohne Einschaltung der Zentrale im Ausland gewinnen lassen3o • Für die Niederlassung muß ein Hauptbevollmächtigter, der seinen ständigen Aufenthalt im Inland haben muß, bestellt werden. Er ist alleiniger Repräsentant des ausländischen Versicherungsunternehmens. Er hat alle Pflichten zu erfüllen, die den Vorständen der inländischen Versicherungsunternehmen obliegen, und ist für die Erfüllung der Pflichten dem Aufsichtsamt allein verantwortlich. Das gesamte inländische Geschäft muß über ihn laufen31 • Der Hauptbevollmächtigte hat im Außenverhältnis unbeschränkbare gesetzliche Vertretungsmacht32 • Versicherungsverträge im Inland können nur über die Zweigniederlassung durch den Hauptbevollmächtigten abgeschlossen werden (§ 107 VAG). Gerichtsstand der Niederlassung ist der Sitz der Niederlassung (§ 109 VAG). Das zur Deckung der Inlandsverpflichtungen notwendige Vermögen der Niederlassung muß im Inland angelegt werden (§ 110 VAG). Der Deckungsstock ist so sicherzustellen, daß nur mit Genehmigung des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen darüber verfügt werden kann (§ 110 VAG). Durch diese Regelung kann die Niederlassung unabhängig von dem ausländischen Unternehmen ihre Gläubiger befriedigen. Die zum Inlandsbestand der Niederlassung gehörenden Forderungen haben im Inland ihren entscheidenden Schwerpunkt und gelten als im Inland belegen33 • Der geschäftliche Mittelpunkt der Niederlassung befindet sich demnach im Inland. Die Niederlassung besitzt zwar keine eigene Rechtspersönlichkeit, sie ist aber aufgrund der gesetzlichen Regelung in den §§ 105 ff. VAG so verselbständigt, daß sie im Rechtsverkehr weitgehend als selbständige Rechtspersönlichkeit behandelt wird34 • Der nationale Gesetzgeber behandelt die inländische Zweigniederlassung also unter aufsichtsrechtlichen Gesichtspunkten als Inländer. Damit verfolgt er das Ziel, jedweden Versicherungsschutz, der in Deutschland angeboten wird, durch die Aufsichtsbehörde kontrollieren zu lassen. Salomonson35 will bei der Frage, ob es sich bei der inländischen Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens um einen 30 BAV in Rundschreiben R 1162 v. 22.2.1962, VersBAV 1962, S.74 unter Ziffer 2, abgedruckt bei Prölss VAG § 106 Rdn. 3. 31 a.a.O. Ziffer 1. 32 Prölss § 106 Rdn. 7. 33 BGH Z 9, 34, 43. 34 Goldberg § 106 Rdn. 5; Koenige I Petersen § 86 Anm.4; BGH Z 9, 34, 42; 17, 74, 77; NJW 1979, 1785. 35 SaZomonson S. 18,27.
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G. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
Inländer handelt, allein das Aufsichtsrecht entscheiden lassen. In den Ländern, die an eine Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens strenge Anforderungen stellen - wie z. B. die Hinterlegung einer Kaution, die Pflicht, Reserven im Inland zu haben, einen Repräsentanten im Inland zu benennen - sei die Niederlassung so unabhängig von dem ausländischen Unternehmen, daß sie als Inländer im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Verordnung Nr. 17 anzusehen sei36 • In den Mitgliedstaaten, die keine strengen Anforderungen für Niederlassungen haben, gilt die Niederlassung als dem Hauptunternehmen zugehörig36 &. Je größer die Unabhängigkeit der Niederlassung von dem ausländischen Hauptsitz, desto eher könne man zu der Existenz eines separaten Unternehmens im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Verordnung Nr. 17 kommen37 • Dieses Kriterium ist nach Erlaß der ersten Koordinierungsrichtlinie 3B des Rates jedoch nicht mehr zur Unterscheidung geeignet, ob die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens In- oder Ausländer ist. Nach Art. 10 der Richtlinie machen alle Mitgliedstaaten die Errichtung einer Niederlassung von denselben Bedingungen abhängig. d) Der internationale Privatrechtsverkehr Allgemeiner Gerichtsstand einer inländischen Niederlassung eines ausländischen Hauptunternehmens ist grundsätzlich nicht der Sitz der Niederlassung, da § 21 ZPO ein besonderer Gerichtsstand ist 39 • Anders verhält es sich aber im Sonderfall einer Versicherungsgesellschaft mit Sitz im Ausland, die im Inland eine selbständige Niederlassung unterhält. Hier sieht der BGH40 den Sitz der Niederlassung als maßgebend für den allgemeinen Gerichtsstand an. Grund dieser Entscheidung ist die weitgehende Verselbständigung der Niederlassung, die in den §§ 105 ff. VAG wie eine selbständige Rechtspersönlichkeit behandelt wird. Die zitierte Entscheidung gilt aber nur für den Fall des § 689 ZPO, der eine Beschleunigung und Vereinfachung des Mahnverfahrens bezweckt. Ob der BGH auch in anderen Fällen bei seiner Entscheidung bleibt, ist zweifelhaft. Nach Prölss 41 behandelt auch der internationale Privatrechtsverkehr die inländische Zweigniederlassung eines ausländischen Versicherungs36 36a.
37
38 39
40 41
Salomonson S. 18, 27. Salomonson S. 18,27. Salomonson S. 18, 27. ABI. EG, L vom 16. 8. 1973, BGH NJW 1978, S. 321. BGH NJW 1979, S. 1785. Prölss, ZIP 1951, S. 203 f.
Nr. 228, S. 3.
III. Inländische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens
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unternehmens als inländische juristische Person. Gemäß Art. 7 f des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen42 wird ein außerhalb der Gemeinschaft wohnhafter Versicherer, der in einem Mitgliedstaat eine Niederlassung unterhält, für Streitigkeiten aus dem Betrieb dieser Zweigniederlassung so behandelt, als wenn er seinen Sitz in dem Hoheitsgebiet dieses Staates hätte. Gegen dieses Argument ist aber einzuwenden, daß die genannte Regelung gerade nur solche Niederlassungen betrifft, deren Hauptunternehmen ihren Sitz nicht innerhalb des Gemeinsamen Marktes haben. Das Ergebnis des Überblicks lautet: Das deutsche Recht sieht die inländische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens grundsätzlich als Ausländer an. Unter gesellschafts-, steuer- und bilanzrechtlichen Gesichtspunkten gelten Hauptsitz und Zweigniederlassung als wirtschaftliche Einheit. Bei der Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens trägt das nationale Aufsichtsrecht aber den Besonderheiten der Versicherungen Rechnung und behandelt die Niederlassung als Inländer. Es fragt sich, was für das europäische Kartellrecht gilt.
2. Die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens unter EWG-vertraglichen Aspekten Die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens hat nach Klaue auf der Grundlage des deutschen Aufsichtsrechts die Qualität einer wirtschaftlich selbständigen Organisationseinheit 43 • Sie sei deshalb auch unter EWG-vertragsrechtlichen Gesichtspunkten als Inländer anzusehen. Klaue berücksichtigt dabei aber nicht ausreichend die Besonderheiten des Versicherungsaufsichtsrechts. Die Versicherungsaufsicht sieht die Niederlassung nur als eigenständiges Rechtssubjekt an, um sicherzustellen, daß Klagen gegen die inländische Niederlassung vor inländischen Gerichten erhoben werden und daß Sanktionen gegen die inländische Niederlassung ausgesprochen werden können. Daß die inländische Niederlassung unter aufsichtsrechtlichen Aspekten als selbständige inländische Rechtsperson behandelt wird, hat allein verbraucherschützende Funktion und geschieht aus nationalem Interesse heraus. Solche nationalen Interessen können nicht dafür ausschlaggebend sein, wie der EWG-Vertrag die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens behandelt. 42 Vom 27.9.1968, BGBL 1972, II S. 773; vgl. Bericht zum übereinkommen in: Bülow / Böckstiegel 601-45. 43 Klaue, BB 1983, S. 2019, 2022.
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G. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
Es steht dem nationalen Gesetzgeber zwar frei, die Niederlassung als Inländer zu behandeln, doch hat dies keinen Einfluß auf die internationale Rechtsordnung44. Er kann nicht über das Gemeinschaftsrecht verfügen. Menges 45 und Schröter~ lassen hingegen gesellschaftsrechtliche Aspekte ausschlaggebend sein. Nach Menges ist bei Art. 85 Abs. 1 allein der Unternehmens sitz maßgeblich. Da die Niederlassung keine eigene Rechtspersönlichkeit besitze, seien Niederlassung und "Mutter" als einziges Unternehmen zu betrachten47 • Auch Schröter48 hält den juristischen Sitz für das entscheidende Kriterium bei der Frage, ob ein Unternehmen In- oder Ausländer ist. Der juristische Sitz der Niederlassung liegt beim Hauptunternehmen im Ausland. Danach dürfte man die inländische Niederlassung nicht als Inländer ansehen. Welche Aspekte für Art. 85 Abs. 1 entscheidend sein könnten, läßt sich aus der Vorschrift selbst herauslesen. Es sind einmal gesellschaftsrechtliche, denn in den Art. 85 ff. sind nur Unternehmen angesprochen. Zweitens sind es wirtschaftliche Gesichtspunkte, da Voraussetzung für Art. 85 Abs. 1 die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen HandeIns ist. a) Gesellschaftsrechtliche Aspekte Der Europäische Gerichtshof definiert ein Unternehmen unter Wettbewerbsgesichtspunkten als eine einheitliche, einem selbständigen Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, immaterieller und materieller Faktoren, mit welcher auf die Dauer ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird 41l • Erforderlich ist demnach, daß ein Unternehmen eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt50 oder zumindest der Träger des Unternehmens Rechtsfähigkeit hat, da andernfalls nicht vorstellbar ist, wie es Partner eines Kartellvertrages sein sollte51 • Es kommt also darauf an, daß die Niederlassung selbst Partei einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung sein kann. Die Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens ist zwar ermächtigt, einen solchen Vertrag zu schließen, doch wird sie nicht selber da44 ABI. EG, L vom 26. 2. 1982, Nr. 80, S. 36, 37. Menges, Mitteilungen, S. 13. 46 Schröter in v. d. Groeben va Nr. 17, Art. 4 Rdn. 13. 47 Menges, Mitteilungen, S. 13. 48 Schröter in v. d. Groeben va Nr. 17, Art. 4 Rdn. 13. 49 EuGH E 1962, S. 653,687,717,750. 50 Wohljahrth Art. 85 Anm. 1. 51 Emmerich, EuR 1971, S. 295, 306; Deringer Art. 85 I Anm. 6.
45
III. Inländische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens
109
durch verpflichtet. Die von ihr abgeschlossenen Verträge berechtigen und verpflichten das ausländische Unternehmen52 • Dieses wird Partner der Kartellvereinbarung. Die Zweigniederlassung ist nicht selbständiges Rechtssubjekt, sondern Teil des vom Unternehmer betriebenen Handelsgeschäfts53 • Sie kann demnach nicht Unternehmen im Sinne des Art. 85 Abs. 1 sein. Dieses Argument ist aber zu formal, um für die Frage nach der Inländereigenschaft einer inländischen Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens von Nutzen zu sein. Man könnte aber darauf abstellen, inwieweit das ausländische Unternehmen an der Wettbewerbsbeschränkung der inländischen Niederlassung tatsächlich beteiligt ist, das heißt, inwieweit sie auf das Verhalten der Niederlassung Einfluß nehmen kann. Die Vollmacht des Hauptbevollmächtigten ist nach außen unbeschränkbar, kann aber im Innenverhältnis beschränkt werden54 • Im Regelfall erhält der Hauptbevollrnächtigte bei wichtigen Fragen von dem Hauptsitz Weisungen. Die Niederlassung unterliegt der Einflußnahme des ausländischen Unternehmens. Hiergegen läßt sich aber einwenden, daß die Lage bei einer inländischen Tochtergesellschaft, deren Aktien im Mehrheitsbesitz eines ausländischen Unternehmens stehen, nicht anders ist. Auch hier unterläge die Geschäftspolitik der inländischen Gesellschaft ausländischer Einflußnahme. Trotzdem ist diese Tochtergesellschaft selbständiges Rechtssubjekt und gilt auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten als Inländer55 • Gesellschaftsrechtliche Aspekte eignen sich also nicht für die Feststellung der Inländereigenschaft einer Versicherungsniederlassung. b) Wirtschaftliche Aspekte Wichtiger scheint die Frage nach der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Niederlassung zu sein. Es kommt für Art. 85 nicht so sehr auf die formale Bezeichnung "In-" oder "Ausländer" an, sondern darauf, ob der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt wird. Dafür eignet sich das Kriterium der Inlandseigenschaft ohnehin schlecht, da man allein von der Beteiligung des ausländischen Versicherungsunternehmens an der Wettbewerbsbeschränkung nicht auf einen zwischenstaatlichen Handel schließen kann. Regelmäßig wird ein wettbewerbsbeschränkender Vertrag der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, wenn die 52
Würdinger §
S. 36, 37. 53
54 55
13 Anm. 11; Kommission ABI. EG L vom 26.3. 1982, Nr.80,
Würdinger § 13 Anm. 11; Baumbach I Duden I Hopt § Pröl55 § 106 Rdn. 7. Klaue, BB 1983, S. 2019, 2022.
13 D (S. 61).
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G. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
beiden vertragsschließenden Versicherungsunternehmen in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind56 • Der Sitz der Firmen ist aber nur ein erstes Indiz für die Zwischenstaatlichkeit des Verkehrs. Allein entscheidend ist der Ort des Sitzes für die Anwendung des europäischen Kartellrechts nicht 57 • Die Tatsache allein, daß eine Staatsgrenze die Geschäftssitze der Kartellpartner scheidet, kann nicht genügen, um den zwischenstaatlichen Handel zu bejahen58 • Bisher hat der Europäische Gerichtshof die Zwischenstaatlichkeit einer Wettbewerbsbeschränkung noch nie mit dem Sitz der beteiligten Unternehmen begründet. Wenn allein der Sitz ausschlaggebend wäre, hätte der Europäische Gerichtshof nicht gegen die Wettbewerbsbeschränkungen der Unternehmen aus nur einem Mitgliedstaat vorgehen können. Allein entscheidend ist, daß vorhandene Dienstleistungsströme über die Grenzen hinweg beeinträchtigt werden59 • Durch die Verträge, die die Niederlassung im Inland eingeht, wird das ausländische Unternehmen berechtigt und verpflichtet. Es ist verpflichtet, den Versicherungsvertrag zu erfüllen. Daraus folgert die Kommission, daß die Versicherungsleistung, die die Niederlassung erbringt, eine Leistung des Hauptunternehmens ist. Das ausländische Unternehmen erbringe also seine Dienstleistung über die Grenzen hinweg ins Inland. Ein zwischenstaatlicher Handel sei gegeben. Doch ist es gerade die Leistung der Niederlassung, die dem inländischen Versicherungsnehmer entgegengebracht wird. Die Niederlassung nimmt die Prämien ein und deckt die eingetretenen Schäden aus ihren eigenen Mitteln. Diese Mittel stehen im Inland bereit (§ 110 VAG). Die Niederlassung erbringt selber die Serviceleistungen. Das ausländische Unternehmen schickt gerade nicht seine Leistung über die Grenze. Die Niederlassung macht ein eigenes und anderes Angebot als das ausländische Unternehmen. Ihr Produkt ist ein ganz anderes als das, welches das ausländische Unternehmen anbietet. Das Versicherungsangebot ist national ausgerichtet. Es wird nach inländischem Recht und nationalen Bedürfnissen gestaltet. Die inländischen Risikoverhältnisse müssen zugrundegelegt und die Prämien entsprechend kalkuliert werden. Das ausländische Versicherungsunternehmen kennt nicht die Umstände, die ein bestimmtes Angebot erfordern. Wenn es auch vom juristischen Standpunkt die Leistung des ausländischen Versicherungsunternehmens ist, da dieses durch die Verträge 56 57
Bleckmann S. 344. Emmerich, Kartellrecht, S.342; Klaue, BB 1983, S.2023; Mestmäcker
S.117. 58 59
Steckhan S. 203. Klaue, BB 1983, S. 2019, 2023.
III. Inländische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens
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berechtigt und verpflichtet wird, ist es tatsächlich doch die Leistung der Niederlassung. Bei der Zwischenstaatlichkeitsklausel kann es aber nur darauf ankommen, ob tatsächlich Dienstleistungsströme über die Grenzen hinweg vorhanden sind. Hier geht die wirtschaftliche Wirklichkeit der juristischen Form vor 60 • Die inländische Niederlassung hat alle Unterlagen, die die Versicherungsverträge betreffen ,im Inland, ebenso die Gelder für die Schadenszahlungen. Auch die Angestellten, die die Serviceleistungen erbringen, sind im Inland. Faktisch erbringt die Niederlassung die Versicherungsleistung allein. Dienstleistungsströme über die Grenzen hinweg existieren nicht. Gerade hier wird der Unterschied zwischen Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit deutlich. Nur bei der Dienstleistungsfreiheit bringt das ausländische Untermen seine Leistung über die Grenze hinweg. Bei der Niederlassungsfreiheit hingegen darf es nicht grenzüberschreitend tätig werden, das heißt seine Leistung im Ausland verkaufen. Es muß eine Niederlassung errichten, die dann ihre eigene Leistung anbietet. Ein zwischenstaatlicher Handel ist demnach nicht gegeben, wenn eine inländische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens im Inland Versicherungsgeschäfte betreibt. Wegen der nationalen Struktur der Versicherungsmärkte hat eine Wettbewerbsbeschränkung der bezeichneten Art auch nur Wirkungen im Inland. Die Wettbewerbsbeschränkung verändert nicht das Marktverhalten des ausländischen Unternehmens in seinem Sitzland. Durch diese Wettbewerbsbeschränkung wird nicht auf den zwischenstaatlichen Handel eingewirkt. Wettbewerbsbeschränkungen in der Versicherungswirtschaft wirken SICh demnach nur im Inland aus, auch wenn die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens daran beteiligt ist. Die Kooperationen der Niederlassung mit inländischen Versicherungsunternehmen sind demnach so zu beurteilen wie nationale Wettbewerbsbeschränkungen von inländischen Versicherungsunternehmen.
60
EuGH E 1972, S. 619, 634.
H. Einzelprobleme der Anwendung Da der zwischenstaatliche Handel durch Wettbewerbsbeschränkungen in der Versicherungswirtschaft nicht beeinträchtigt wird, liegen die Voraussetzungen des Art. 85 Abs. 1 nicht vor. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften geht aber zu Unrecht davon aus, daß es in der Versicherungswirtschaft einen zwischenstaatlichen Dienstleistungsverkehr gibt, der auch durch Wettbewerbsbeschränkungen beeinflußt werden kann. Falls man dieser Ansicht folgt, ist zu prüfen, welche weiteren Probleme sich stellen. Fast alle rechtlichen Schwierigkeiten, die sich bei der Anwendung des Art. 85 auf die Versicherungswirtschaft ergeben können, verdeutlicht die Untersuchung der EG-Kommission wegen vermuteter Verstöße der deutschen Feuerversicherer gegen Art. 85. In diesem Verfahren ist die schon oben1 zitierte Northern-Entscheidung2 ergangen. Der Verband der deutschen Sachversicherer, dem fast alle in Deutschland tätigen Feuerversicherer angehören, richtete im Sommer 1980 an seine Mitglieder eine "Unverbindliche Empfehlung zur Stabilisierung und Sanierung des Feuerindustrie- und Feuerbetriebsunterbrechungsversicherungsgeschäftes" . Die vorgeschlagenen Sanierungsmaßnahmen stellten auf die Laufzeitfälligkeit und die Höhe der Versicherungssumme der bestehenden Verträge ab. Der Verband der deutschen Sachversicherer empfahl eine Erhöhung der Prämiensätze pauschal um 10, 20 oder 30.rJ/o. Dabei wurden Bruttoprämien festgelegt, also die Betriebskosten in den Prämiensatz mit aufgenommen. Die deutschen Rückversicherer flankierten die Empfehlung durch Maßnahmen ihrerseits. Nach ihrer "Prämienberechnungsklausel" behandeln sie eine Tarifierung, die nicht den Grundsätzen der Stabilisierungs- und Sanierungsempfehlung entspricht, im Schadensfall als Unterversicherung. Das heißt, ein Versicherungsunternehmen, das Versicherungsschutz zu Prämien unter den empfohlenen anbietet, erhält im Schadensfall vom Rückversicherer nur einen Betrag, der um denjenigen Prozentsatz gekürzt wird, um den die geforderte Prämie hinter der empfohlenen Prämie zurückblieb. Sowohl die Verbandsempfehlung der deutschen Sachversicherer als auch die Entscheidung der Rückversicherer über die 1 2
Siehe oben G III 1. ABI. EG, L vom 26. 3. 19S2, Nr. SO, S. 36.
I. Empfehlung
113
Prämienberechnungsklausel kamen mit Billigung der deutschen Aufsichtsbehörde zustande. Dieser Fall wirft außer dem Problem der zwischenstaatlichen HandeIsbeeinträchtigung, das oben 3 erörtert wurde, vier weitere Probleme auf: I. Fallen Empfehlungen unter Art. 85 Abs. I? II. Inwieweit sind Empfehlungen unverbindlich, wenn sie durch Maßnahmen der Rückversicherer flankiert werden? III. Wie wirkt sich die Genehmigung der Wettbewerbsbeschränkung durch die nationale Aufsichtsbehörde auf das Vorliegen des Art. 85 aus? IV. Gehen Empfehlungen über Bruttoprämien über das durch Art. 85 erlaubte Maß an Kooperation hinaus?
I. Die Empfehlung Seinem Wortlaut nach fallen unter Art. 85 nur Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Ein ausdrückliches Empfehlungsverbot - wie im deutschen Kartellrecht (§ 38 Abs. 2 Nr. 11 GWB) - besteht nicht. Der EWG-Vertrag verwendet den Begriff der Empfehlung, jedoch nicht im wettbewerbsrechtlichen Sinn, sondern nur als besondere Befugnis der Kommission (Art. 155). Unbestritten ist, daß Empfehlungen so lange nicht unter das Verbot des Art. 85 Abs. 1 fallen, als sie nicht befolgt werden4 • Ein Einschreiten gegen eine Empfehlung ist erst dann erforderlich, wenn die Empfehlung ein wettbewerbsgleichförmiges Verhalten bewirkte5 • Einigkeit besteht auch darüber, daß eine Empfehlung, die von einem Unternehmen ausgesprochen wurde und nach wechselseitiger Abstimmung von den Unternehmen übereinstimmend befolgt wird, unter Art. 85 zu subsumieren ist 6 • Dann liegt der Tatbestand der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen vor. Dabei fällt nicht die Empfehlung selber, sondern das Ergebnis, das abgestimmte Verhalten, unter den Tatbestand des Art. 85 Abs. 1. Streitig ist jedoch, wie man die Fälle behandelt, die zwischen den genannten liegen. Die Frage ist also: ist ein Verhalten als erlaubt an3
Siehe oben G IH.
4
Ehle, NJW 1964, S. 1593, 1595; Gleiss I Hirsch Art. 85 Rdn. 23; Rüdell S. 57. Ehle, NJW 1964, S. 1593. Ehle, NJW 1964, S. 1593; Gleiss I Hirsch Art. 85 Rdn. 23.
5
6
8 Kuhlmann
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H. Einzelprobleme der Anwendung
zusehen, bei dem die Empfänger der Empfehlung folgen, ohne sich untereinander abzustimmen, jedoch in dem Wissen, daß die Empfehlung auch den anderen zugegangen ist? Denkbar sind die folgenden Möglichkeiten: Die Empfehlung läßt sich als Beschluß, aufeinander abgestimmte Verhaltensweise oder als Anstiftung zu einer Wettbewerbsbeschränkung qualifizieren. Und schließlich könnte das Befolgen der Empfehlung als abgestimmte Verhaltensweise anzusehen sein. 1. Als Beschluß Die Kommission vertritt die Ansicht, daß die Organe des Verbandes die Stabilisierungs- und Sanierungsempfehlung beschlossen haben. Somit sei sie der Unternehmensvereinigung selber zuzurechnen. Die Empfehlung sei als satzungsgemäß vorgesehene und im Einklang mit den Rechtsvorschriften der Satzung zustandegekommene Willensäußerung der Unternehmensvereinigung deren Mitgliedern zur Kenntnis gebracht worden. Damit knüpft die Kommission an ihre Entscheidung7 an, die sie bereits für Art. 65 § 1 EGKS-Vertrag getroffen hat. Laut Art. 65 § 1 EGKS-Vertrag sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Verbänden und Unternehmen und verabredete Praktiken, die darauf abzielen, auf dem Gemeinsamen Markt den Wettbewerb zu beschränken, verboten. Auch hier gibt es kein allgemeines Empfehlungsverbot. Die Kommission stellt aber fest, daß Verbandsbeschlüsse, unabhängig davon, ob sie zwingender Natur sind oder lediglich empfehlenden Charakter besitzen, auch unter das Kartellverbot fallen, solange sie darauf abzielen, das Wettbewerbsverhalten der Verbandsmitglieder festzulegen oder zu beeinflussen. Tatsächliche Handlungen eines Unternehmensverbandes, seiner Organe oder seiner Untergliederungen stünden einem Beschluß im Sinne des Art. 65 § 1 EGKS-V gleich, denn es sei davon auszugehen, daß der Verband auch insoweit nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung seiner Mitglieder tätig werde. Wohne diesem faktischen Verhalten dieselbe wettbewerbsbeschränkende Tendenz inne, so falle es gleichfalls in den Anwendungsbereich der VerbotsbestimmungB. Dagegen bestreitet der Verband der deutschen Sachversicherer, daß die Beratung und deren Ergebnis in dem Fachausschuß der industriellen Feuer- und Feuerbetriebsunterbrechungsversicherung ein Beschluß einer Unternehmensvereinigung im Sinne des Art. 85 Abs. 1 sei. Es handele sich bei den Beratungen um vorbereitende Verbandsinterna. 7
S
ABI. EG, L vom 7. 3. 1980, Nr. 62, S. 28, 33. ABI. EG, L vom 7. 3. 1'980, Nr. 62, S. 28, 33.
1. Empfehlung
115
Der Ausschuß sei satzungsgemäß gar nicht dazu berufen, für den Verband nach außen und verbindlich für die Mitglieder des Verbandes Erklärungen abzugeben. Erst recht dürfe er keine Beschlüsse fassen. Es stellen sich also zwei Fragen: erstens, ob eine Empfehlung begrifflich ein Beschluß im Sinne des Art. 85 Abs. 1 sein kann, und zweitens, ob für die innerbetrieblichen Beratungen Wettbewerbsrecht maßgebend ist. Beschluß ist ein mehrseitiges unselbständiges Rechtsgeschäft, durch das Rechtsbeziehungen innerhalb bestehender Rechtsverhältnisse festgelegt werden9 • Beschlüsse werden von Unternehmensvereinigungen gefaßt. Der Verband der deutschen Sachversicherer ist ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder deutsche Unternehmen sind, die sich als Versicherer von Sachgütern betätigen. Der Verband deutscher Sachversicherer ist eine Vereinigung im Sinne des Art. 85 Abs. 1. Ist Voraussetzung für einen Beschluß im Sinne des Art. 85 Abs. 1, daß er rechtlich verbindlich ist10 , so kann ein Beschluß, der lediglich eine Empfehlung enthält, nicht unter Art. 85 fallen. Ein solcher Beschluß ist nicht verbindlichl l . Es liegt gerade in dem Wesen einer Empfehlung, daß sie unverbindlich ist1 2 • Es wird aber die Ansicht vertreten, die Tatsache, daß die Empfehlung unverbindlich ist, nehme dem Beschluß, auf dem sie beruhe, nicht die Qualität eines Beschlusses im Sinne des Art. 85. Ein Beschluß setze schon wegen der Nichtigkeit nach Art. 85 Abs. 2 nicht die rechtliche Durchsetzbarkeit voraus 13 • Wenn aber ein Beschluß nicht rechtlich verbindlich sein muß, um die Tatbestandsmerkmale eines Beschlusses im Sinne des Art. 85 Abs. 1 zu erfüllen, dann unterscheidet er sich durch nichts von den aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen. Diese Form der verbotenen Maßnahmen wäre dann in Art. 85 überflüssig. Die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen hatten von vornherein den Zweck, Absprachen und Beschlüsse, denen die beteiligten Unternehmen keinen rechtsverbindlichen Charakter beilegen wollten, unter das Verbot des Art. 85 fallen zu lassen14 • Ein Beschluß im Sinne des Art. 85 Abs. 1 muß demnach rechtlich verbindlich sein. Verbindlichkeit könnte aber dem Beschluß des Verbandes der deutschen Sachversicherer, die Empfehlung auszusprechen, zukommen. Hier 9 10
Mestmäcker S. 619; Günther S. 101. Ipsen S.619; Schröter in v. d. Groeben Art.85 Rdn.12; Gleiss I Hirsch
Art. 85 Rdn. 20. 11 Günther S. 102; Gleiss I Hirsch Art. 85 Rdn.21; v. Gamm § 1 Rdn.19. 12 Henkel S. 71; Schmitt, VW 1974, S. 886; Krawielicki S. 17. 13 Langen I Niederleithinger I Ritter I Schmidt § 38 Rdn. 14. 14 Schröter in v. d. Groeben Art. 85 Rdn. 13. 8·
H. Einzelprobleme der Anwendung
116
stellt sich - wie oben angedeutet - die Frage, ob diese vorbereitende Entscheidung nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist. Die Entscheidung selber mag verbindlich gewesen sein und so die Erfordernisse eines Beschlusses erfüllen, doch wurde sie innerhalb der Vereinigung getroffen und gelangte nicht nach außen. Nach außen gelangte nur die Empfehlung selber. Für die Vorentscheidung innerhalb des Verbandes ist Vereins- und nicht Wettbewerbsrecht maßgebend 15 • Charakteristisch für einen Beschluß ist nämlich die entsprechende Ermächtigung in der Satzung und die Ausführung durch ein dazu bestimmtes Organ1G • Der Ausschuß des Verbandes deutscher Sachversicherer ist aber satzungsgemäß nicht dazu berufen, für den Verband nach außen verbindliche Erklärungen abzugeben oder Beschlüsse zu fassen. Das EWG-Kartellrecht kann nicht schon Tatbestände erfassen, die erst die Wettbewerbsbeschränkung vorbereiten. Verboten ist erst die wettbewerbsbeschränkende Maßnahme selber. Der Beschluß, eine Empfehlung auszusprechen, die den Wettbewerb beschränkt, fällt noch nicht in den Anwendungsbereich des Art. 85. Erst die Empfehlung selber veranlaßt die Wettbewerbsbeschränkung. Doch ist sie nicht verbindlich und kann deshalb nicht als Beschluß im Sinne des Art. 85 Abs. 1 angesehen werden. 2. Als aufeinander abgestimmte Verhaltensweise Die Empfehlung könnte aber als aufeinander abgestimmte Verhaltensweise anzusehen sein. Dieser Begriff ist dem angloamerikanischen Rechtskreis entlehnt (coneerted actions). Er bezweckt die Einbeziehung von Unternehmens- und Verbandspraktiken, denen die Beteiligten keinen rechtsverbindlichen Charakter beilegen wollten, in den Geltungsbereich des Art. 85 Abs. 117 • Das Kartellverbot will damit Verhaltensweisen des Wirtschaftsverkehrs auch ohne ihren aus Form und Rechtsrelevanz ersichtlichen Wirkungsgehalt wegen ihrer gleichermaßen wettbewerblichen Intention und Wirksamkeit erfassen 18 • Es geht darum, in der gemeinschafts rechtlichen Regelung für Kartelle keine Lücken entstehen zu lassen111 • Das Tatbestandsmerkmal der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen ist ein Auffangtatbestand für den Fall, daß die Kriterien einer Vereinbarung oder eines Beschlusses nicht vorliegen 20 • Das Streben 15 16
17 18
19 20
Henkel S. 68.
Schmitt S. 12. Ipsen S. 619; Schröter in v. d. Groeben Art. 85 Rdn. 13. Ipsen S. 619. Schröter in v. d. Groeben Art. 85 Rdn. 13. Gleiss / Hirsch Art. 85 Abs. 1 Rdn. 22.
I. Empfehlung
117
nach Vollständigkeit mußte offenbar hinter der Sorge der Vertragsväter, die ohnehin komplizierte Fassung des Art. 85 nicht noch schwerfälliger zu machen, zurücktreten21 • Daher könnten auch Empfehlungen unter den Auffangtatbestand der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen fallen 22 • Da das EWG-Kartellrecht das strengste Wettbewerbsrecht der Mitgliedstaaten ist, liegt die Vermutung nahe, daß es nicht gerade in dieser Beziehung schwächer als die nationalen Kartellrechte sein soll. Doch erfordern die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen bereits dem Wortsinn nach ein Zusammenwirken mehrerer Unternehmen aufgrund einer bewußten gegenseitigen Willensübereinstimmung. Sie sind begrifflich wechselseitige Maßnahmen, die von mindestens zwei Unternehmen ausgehen müssen. Die Empfehlung dagegen ist ein einseitiger Ratschlag, der nicht aufeinander abstimmen kann. Durch die Einseitigkeit unterscheidet sich die Empfehlung gerade von einem Kartellvertrag. Demnach stellen Empfehlungen selber keine aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen dar23 • Zum Teil wird aber angenommen, eine Empfehlung könne, sofern sie zu einer abgestimmten Verhaltensweise führte, durch Art. 85 als Anstiftung erfaßt werden 24 • Die Anstiftung ist jedoch nach der Verordnung Nr. 17 nicht sanktioniert. Erfaßt werden durch das EWG-Kartellrecht nur die Ausführenden, nicht die Anstifter25 • Nur wenn der Empfehlende sich gleichzeitig an der Wettbewerbsbeschränkung beteiligt, fällt er in den Anwendungsbereich des Art. 85, aber nicht als Anstifter, sondern als Ausführender. In der Regel werden solche Empfehlungen auch von einzelnen Personen, Verbandsgeschäftsführern oder Unternehmensberatern ausgesprochen. Sie sind keine Unternehmen und können schon deshalb nicht in den Anwendungsbereich der Art. 85, 86 fallen, die ein Sonderrecht für Unternehmen darstellen. 3. Das Befolgen der Empfehlung
Zu erörtern bleibt die Frage, ob das Befolgen der Empfehlung als aufeinander abgestimmte Verhaltensweise unter das Verbot des Art. 85 Abs. 1 fällt. Wie oben ausgeführt, liegt ein abgestimmtes Verhalten im Sinne des Art. 85 dann vor, wenn die Adressaten der Empfehlung ihr nach anschließender wechselseitiger Abstimmung folgen. Wie aber ist 21 22
23 24
25
Schröter in v. d. Groeben Art. 85 Rdn. 4. Krawielicki S. 17; Wohlfahrth Art. 85 Anm. 3. Spengler in Gemeinschaftskommentar EWG-Kartellrecht Erl. Rdn. 61. Koch, BB 1959, S. 241, 243; Kleemann S. 32. Rüdell S. 59; Ehle, NJW 1964, S. 1593, 1595.
118
H. Einzelprobleme der Anwendung
der Fall zu beurteilen, wenn die Unternehmen der Empfehlung folgen, ohne sich abzustimmen? Große Teile der Literatur wollen auch diese Konstellation unter das Verbot des Art. 85 Abs. 1 subsumieren26 • Für die Annahme einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise reiche es aus, wenn im konkreten Fall die Abstimmung durch einen außerhalb des Kreises der beteiligten Unternehmen stehenden Koordinator herbeigeführt werde. In der Regel sei eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise bei einem durch eine Empfehlung ausgelösten gleichförmigen Verhalten anzunehmen27 • Nach anderer Ansicht ist eine unmittelbare gegenseitige Abstimmung zwischen den Empfehlungsadressaten notwendig28 • Bei der Lösung des Problems ist vom Sinn und Zweck des Art. 85 auszugehen. Er will jedes wettbewerbsbeschränkende Verhalten erfassen29 • Die Empfehlung eines Verbandes geht allen Mitgliedern zu. Jeder Unternehmer weiß, daß sie auch seinem Konkurrenten zur Kenntnis gebracht wurde. Er kann damit rechnen, daß seine Wettbewerber sich nach der Empfehlung richten. Das Wettbewerbsverhalten der Marktgegner ist vorhersehbar. Dadurch wird der Wettbewerb beschränkt. Es kann für Art. 85 nicht ausschlaggebend sein, ob die Unternehmen ihr Verhalten selber aufeinander abgestimmt oder ob sie sich eines außerhalb des Kreises stehenden Koordinators bedient haben, der ihr Verhalten in ihrem Interesse aufeinander abstimmt. Das Ergebnis bleibt gleich. Befolgen die Adressaten eine Empfehlung, so liegt - auch wenn sich die Unternehmen nicht wechselseitig abstimmen - eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise vor, die unter das Verbot des Art. 85 Abs. 1 fällt. 11. Die Prämienanpassungsklausel der Rückversicherer
Die deutschen Rückversicherer unterstützen die Stabilisierungs- und Sanierungsempfehlung des Verbandes deutscher Sachversicherer durch eine spezielle Prämienberechnungsklausel. "Bei Abweichung von der Vereinbarung gemäß Absatz 1" (Behandlung des Feuer- und Feuerbetriebsunterbrechungsversicherungsgeschäftes nach der Empfehlung des VdS) "wird im Schadensfall vom Rückversicherer die Untertarifierung als Unterversicherung behandelt und seine Leistung entsprechend 26 Deringer Art.85 Anm.23; Wohlfahrth Art.85 Anm.3; Menges, WuW 1963, S. 783, 789; Knopp, AWD 1962, S. 269, 271; Huber S. 98 f. 27 Menges, WuW 1963, S. 783 789. 28 Gleiss / Hirsch Art. 85 Rdn. 23; Frankfurter Kommentar vor Art. 85 Tz. 6; Ehle, NJW 1964, S. 1593, 1595; Sandrock S. 265. 29 Siehe oben H 11.
II. Prämienanpassungsklausel der Rückversicherer
119
vermindert"30. Die Kommission sieht darin eine wesentliche Verstärkung der Wettbewerbsbeschränkung, die von der Stabilisierungs- und Sanierungsempfehlung ausgeht. Begründet wird diese Ansicht mit der starken MarktsteIlung der deutschen professionellen Rückversicherer. Aufgrund ihrer überragenden Stellung seien sie in der Lage, in den Rückversicherungsverträgen auf die Erstversicherer Druck auszuüben, um die Befolgung der Sanierungsempfehlung zu erzwingen. Die deutschen Rückversicherer bildeten einen gegenüber dem übrigen Gemeinsamen Markt abgegrenzten Teilmarkt Bundesrepublik Deutschland. Selbst ausländische Rückversicherungsunternehmen würden durch die deutsche Aufsichtsbehärde mittelbar beaufsichtigt. Die Behärden prüften die Rückversicherer durch die ihrer Aufsicht unterliegenden Erstversicherer. Die deutschen Rückversicherungsunternehmen besäßen einen Marktanteil von mehr als 2/3• Aufgrund der geschäftlichen Verbindungen zwischen Rückversicherern untereinander - sei es im Wege der Mitversicherung oder der Retrozession - lasse sich ein einheitliches Vorgehen gegenüber den Erstversicherern jederzeit verwirklichen. Die Versicherungswirtschaft widerspricht dieser Ansicht. Von der Hückversicherung gehe keine Verstärkung der Wettbewerbsbeschränkung aus, sondern die Rückversicherer handelten im eigenen Interesse. Sie seien durch etwaige Verluste der Erstversicherer besonders stark betroffen. Die langjährige Untertarifierung der Feuerindustrieversicherung wirke sich bei den Rückversicherungsunternehmen durch schlechte Gesamtergebnisse aus. Die Rückversicherer bemühten sich aus eigenem Antrieb und Interesse heraus, ihre eigenen Ergebnisse zu verbessern. Die Rückversicherer verfolgten bei ihren Maßnahmen eigene Anliegen. Es stellt sich die Frage, ob die Empfehlung des Verbandes deutscher Sachversicherer dann noch als unverbindlich angesehen werden kann, wenn die Nichtbefolgung durch die Rückversicherer als Untertarifierung sanktioniert wird. Das hängt davon ab, ob die Prämienanpassungsklausel auf die Erstversicherer Druck ausübt und zweitens, ob die MarktsteIlung der deutschen Rückversicherer so stark ist, daß sich den Erstversicherern keine Alternativen bieten. Die Versicherungswirtschaft selber ist der Auffassung, durch die Klausel gehe der Versicherungsunternehmer in keiner Weise eine Verpflichtung ein, die Risiken nach den getroffenen Vereinbarungen zu behandeln. In der Prämienberechnungsklausel liege keinerlei Ausübung von Druck auf den Erstversicherer in Richtung auf die Einhaltung des von dem Verband empfohlenen Prämiensatzes. Richtig ist aber, daß der Erstversicherer durch die Klausel in seiner Tarifgestaltung nicht mehr 30 Nr. 3 der Prämienberechnungsklausel.
H. Einzelprobleme der Anwendung
120
frei ist. Nur wenn er die empfohlene Prämie verlangt, kann er ausreichenden Versicherungsschutz erlangen. Indem man den Erstversicherer vor diese Alternative stellt, wird Druck auf ihn ausgeübt. Diesem Druck kann der Erstversicherer nicht entgehen, wenn sich für ihn keine Möglichkeit bietet, bei einem anderen Unternehmen Rückversicherungsschutz zu erlangen, das nicht die Prämienanpassungsklausel anwendet, also bei einer ausländischen Gesellschaft. Die Kommission, die von einem nationalen Rückversicherungsmarkt ausgeht, verkennt, daß die Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Rückversicherung verwirklicht ist31 • Die §§ 105 ff. VAG gelten nur für den ausländischen Versicherer, der in der Bundesrepublik das Erstversicherungsgeschäft betreiben will. Ausländische Versicherungsunternehmen, die sich in Deutschland als Rückversicherer betätigen wollen, brauchen keine Niederlassung zu errichten, um in der Bundesrepublik Versicherungsschutz anbieten zu können. Demnach stehen den deutschen Rückversicherern zahlreiche ausländische Konkurrenten gegenüber. Das gibt selbst die Kommission zu. In gewissem Umfang würden die deutschen Rückversicherer mit dem Wettbewerb ausländischer Rückversicherer konfrontiert. Den Erstversicherern bleiben also Alternativen. Sie müssen sich nicht der Empfehlung unterwerfen. Doch ist es ihnen nicht zuzumuten, nach jahrelangen Geschäftsverbindungen zu deutschen Rückversicherern diese aufzugeben und ausschließlich bei ausländischen Unternehmen Versicherungsschutz zu suchen. Es ist auch unwahrscheinlich, daß der ausländische Rückversicherer sich auf diesen Vertrag einläßt, da er weiß, daß der Erstversicherer - aus der Sicht der deutschen Rückversicherungsunternehmen - unzureichende Prämien einnimmt. Praktisch werden die Erstversicherer durch die Prämienanpassungsklausel der deutschen Rückversicherer gezwungen, sich nach der Empfehlung zu richten. Die Versicherungswirtschaft vertritt die Ansicht, die Rückversicherer würden durch die Maßnahmen nicht die Empfehlung des Verbandes deutscher Sachversicherer flankieren, sondern aus eigenem Antrieb handeln. Es ist zwar richtig, daß ausreichende Prämien im Interesse der Rückversicherer liegen, denn sie müssen etwaige Verluste tragen, doch ändert dieses eigene Interesse nichts daran, daß sie tatsächlich die Maßnahmen des Verbandes aktiv begleiten. Sie bezwecken die Befolgung der Empfehlung. Auch wenn es ihre Entscheidung ist, die Prämienanpassungsklausel zu erlassen, so knüpft sie doch an die Stabilisierungsempfehlung an. Die Prämienanpassungsklausel verstärkt die Emp31
Siehe oben F IH.
111. Genehmigung des BAV
121
fehlung. Durch diese Maßnahme geht der Empfehlung jegliche Unverbindlichkeit verloren. Die Erstversicherer werden dadurch gezwungen, die Empfehlung zu befolgen. Der Kommission ist demnach zuzustimmen, wenn sie in der Prämienanpassungsklausel der Rückversicherer eine Verstärkung der Wettbewerbsbeschränkung sieht.
III. Die Genehmigung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen Es fragt sich, welchen Einfluß die Zustimmung des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen auf das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung hat. Sowohl die Stabilisierungs- und Sanierungsempfehlung als auch die Entscheidung der Rückversicherer über die Anwendung der Prämienberechnungsklausel ist mit Billigung des Amtes zustandegekommen. Möglicherweise könnte eine Verletzung des Art. 85 Abs. 1 schon deshalb entfallen, weil eine deutsche Aufsichtsbehörde der Wettbewerbsbeschränkung zustimmte. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften erkennt jedenfalls an, daß Versicherungsbedingungen, die von einer nationalen Behörde festgesetzt werden, nicht in den Anwendungsbereich des Art. 85 Abs. 1 fallen. Die Einheitlichkeit der Versicherungsbedingungen sei in diesem Fall nicht die Folge einer Absprache, eines Beschlusses oder einer abgestimmten Verhaltensweise. Es sei jedoch nicht möglich, "die Billigung oder Genehmigung der Versicherungsbedingungen durch die nationalen Aufsichtsbehörden der Festsetzung der Bedingungen gleichzustellen, denn in diesem Fall ist die Einheitlichkeit der Versicherungsbedingungen von den Versicherungsgesellschaften gewollt und nicht etwa das Ergebnis eines Eingriffs der Aufsichtsbehörden"32. Dementsprechend beruft sich die Kommission33 im Northern-Verfahren auf ihre Entscheidung UGEL/BNIC34. Das BNIC (eine staatliche Stelle zur Verteilung von Cognac) legte im Rahmen einer Branchenvereinbarung Einzelhandelspreise für Cognac fest. Dieser Vertrag war Gegenstand einer interministeriellen Allgemeinverbindlichkeitserklärung, wonach die Bestimmungen der Vereinbarungen auf alle Winzer, Großhändler usw. Anwendung fanden. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch die staatlichen Stellen stützte sich auf ein Gesetz. Die Kommission trennte die Branchenvereinbarung von der Allgemeinverbindlichkeitserklärung und stellte ausschließlich auf die erstere ab 35 . Die Branchenvereinbarung allein beschränke schon den Wettbewerb. Diese sei lediglich vertrags32 Kommission, 2. Wettbewerbsbericht S. 68. 33
Menges S. 17.
ABI. EG, L vom 31. 12. 1982, Nr. 379, S. 1. 35 ABI. EG, L vom 31. 12. 1982, Nr. 379, S. 1, 11. 34
122
H. Einzelprobleme der Anwendung
rechtlicher Natur. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung bewirke nur, daß die Branchenvereinbarung auch für andere als die Unterzeichner zwingend festgeschrieben worden sei. Die Kommission setzt also die Billigung oder Genehmigung der Versicherungsbedingungen nicht der Festsetzung durch die nationale Aufsichtsbehörde gleich. Hier stellen sich demnach die Fragen, ob die Mitwirkung der Aufsichtsbehörde am Zustandekommen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und den genehmigten Tarifen eine bloße Billigung oder vielmehr eine Veranlassung38 ist und ob diese doch einer Festsetzung durch die nationalen Behörden entspricht. Um diese Fragen zu beantworten, ist der Charakter der Mitwirkung des Aufsichtsamtes zu untersuchen. Grundsätzlich wird zwischen den Verbänden und dem Amt eine gemeinsame Fassung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen erarbeitet. Die einzelnen Versicherungsunternehmen übernehmen dann in der Regel diese Versicherungsbedingungen. Bieten sie zu anderen Bedingungen an, so verweigert die Aufsichtsbehörde ihre Genehmigung37 • In der Zustimmung des BAV liegt dann ein behördlicher Druck. Die Bereitschaft der Versicherungsunternehmen, sich diesen Auflagen zu unterwerfen, kann nicht als abgestimmte Verhaltensweise, Beschluß oder Vertrag ausgelegt werden. Auch wenn die Versicherungsunternehmen mit den einheitlichen Versicherungsbedingungen nicht einverstanden wären, müßten sie sie doch wegen der erforderlichen Genehmigung der Aufsichtsbehörde akzeptieren. Die gemeinsamen Versicherungsbedingungen verdanken ihre Existenz allein dem Willen der Aufsichtsbehörde. Die vorhergehenden Beratungen zwischen den Versicherungsunternehmen und der Aufsichtsbehörde sind nur Vorbereitungshandlungen dazu. Wendet die Kommission auf diese einheitlichen Bedingungen die Wettbewerbsregeln an, so bedeutet dies eine Kontrolle der Tätigkeit der Aufsichtsbehörde. Dazu ist die Kommission nicht berechtigt38 • Der EWG-Vertrag gibt den Gemeinschafts-Organen nämlich nicht das Recht, über die Aufsichtstätigkeit nationaler Behörden zu wachen und ihre Entscheidungen zu überprüfen. Grund für die Genehmigung von nationalen Wettbewerbsbeschränkungen durch die Fachaufsicht ist das Interesse an ausreichenden Prämien. Das Aufsichtsamt will dafür sorgen, daß die Gegenleistung sichergestellt ist. Dieses Interesse ist in der Tat nur aus nationaler Sicht zu begründen. Aber die Kommission muß grundsätzlich auch auf diese na36 37
38
Großteld, Versicherungsbedingungen, S. 637, 645. Großteld, Versicherungsbedingungen, S. 637, 645. Gleiss I Hootz in Gemeinschaftskommentar § 102 Rdn.33; R. Schmidt,
Rechtliche Grundfragen, S. 64.
IV. Empfehlungen über Bruttoprämien
123
tionalen Interessen Rücksicht nehmen. Das ergibt sich aus Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17. Danach führt die Kommission das Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln in enger und stetiger Verbindung mit den Behörden der Mitgliedstaaten durch. Die Kommission darf nicht ohne wichtigen Grund wirtschaftspolitische Entscheidungen der nationalen Behörden durchkreuzen. Übt die nationale Behörde dergestalt Druck auf die Versicherungsunternehmen aus, daß sie bei Abweichung von den vorher vereinbarten Versicherungsbedingungen ihre Genehmigung verweigert, so entspricht die Zustimmung des BAV einer Festsetzung der Versicherungsbedingungen. Die einheitlichen Versicherungsbedingungen unterfallen dann nicht dem Anwendungsbereich des Art. 85 Abs. 13 9 • Anders verhält es sich, wenn die Versicherungsunternehmen selber einen neuen Tarif oder neue Versicherungsbedingungen erarbeiten, die anschließend vom BAV genehmigt werden. Diese nachträgliche Genehmigung macht aus einer staatsfreien Entscheidung der Verbände keine Entscheidung, die unter staatlicher Beteiligung zustande kam. Die Einheitlichkeit der Versicherungsbedingungen ist von den Versicherungsgesellschaften gewollt und nicht die Folge eines Eingriffs der Aufsichtsbehörde. Die Genehmigung durch die staatliche Stelle entzieht eine Wettbewerbsbeschränkung nicht dem Anwendungsbereich des Kartellverbotes des Art. 85 Abs. 1, sofern sich die Versicherungsunternehmen frei entscheiden können, ob sie die genehmigten Tarife befolgen. Doch wird im Einzelfall die Abgrenzung schwierig sein.
IV. Empfehlungen über Bruttoprämien 1. Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit bei der Erstellung von Statistiken Nur bei einem ausreichenden Prämieneinkommen ist auf Dauer die Gegenleistung gesichert. Um dies erreichen zu können, sind sichere Berechnungs grundlagen notwendig. Die möglichst genaue Kalkulation erfordert eine umfassende statistische Erhebung über Schadenshäufigkeit und Schadenshöhe der vergangenen Versicherungsperioden. Die einzelnen Versicherungsunternehmen haben aber nicht einen genügend großen Bestand, aus denen sich solche Berechnungsgrundlagen ableiten könnten. Je mehr statistische Unterlagen in die Prämienkalkulation einfließen, desto näher liegt die errechnete an der tatsächlich benötigten Prämie. Dann nämlich entfaltet das Gesetz der großen Zahl, worauf 39
Gleiss / Hootz § 102 Rdn. 5.
124
H. Einzelprobleme der Anwendung
die Prämienkalkulation im Versicherungswesen beruht, seine volle Wirkung. Daraus folgt, weshalb die Versicherungsunternehmen ihre Daten auch den anderen Versicherungsgesellschaften mitteilen sollen. Die errechneten Gesamtdaten könnte nun jedes Versicherungsunternehmen für sich selber auswerten und so die künftig benötigte Prämie ermitteln. Doch beziehen sich die einzelnen Werte auf die vergangenen Versicherungsperioden und sind deshalb mit zahlreichen Unsicherheitsfaktoren belastet. Es muß den Änderungen der Risiken und der Kosten Rechnung getragen werden. Auch darf aus den Zahlen der einzelnen Versicherungsunternehmen nicht einfach der Durchschnitt errechnet werden. Vielmehr sind gemeinsame Bewertungsgrundlagen zu bilden. Bestimmte Risikoarten müssen in Gruppen zusammengefaßt werden und etwaige Unterschiede, die bei der Schadenshöhe und -häufigkeit der einzelnen Versicherungsunternehmen eine Rolle spielen, berücksichtigt werden (wie z. B. Maßnahmen der Schadensverhütung, Versicherung nur bestimmter Berufsgruppen, Tätigwerden nur in bestimmten Landesteilen). Dazu sind die einzelnen Versicherungsunternehmen nicht in der Lage. Ihre aus der Gesamtstatistik gewonnene Prämie ist nicht genau genug. Sinnvoll erscheint deshalb, die gesammelten Marktdaten durch eine neutrale Stelle auszuwerten und aufzubereiten. Diese Aufgabe können nur die Versicherungsverbände übernehmen, die ein umfassendes Fachwissen haben und denen alle notwendigen Unterlagen zugänglich sind. Die Verbände werten die Meldungen ihrer Mitglieder aus und erstellen daraus eine Gesamtstatistik. Daraus versuchen sie die zukünftige Schadensentwicklung abzulesen und erarbeiten sogenannte Referenztarife. Das sind solche Tarife, die die Verbände für notwendig erachten, um die Versicherungsleistungen in der zukünftigen Versicherungsperiode sicherzustellen. Diese Tarifwerke werden den einzelnen Versicherungsunternehmen zugänglich gemacht. Sie können ihre Prämie mit dem Referenztarif vergleichen und feststellen, ob ihre eigene Prämie davon abweicht und ob die Abweichung aufgrund ihrer individuellen Kostensituation gerechtfertigt ist. Unterschreitet ihre Prämie den Referenztarif, so ist das betreffende Versicherungsunternehmen gewarnt und prüft die Auskömmlichkeit seiner Prämie. Die Erstellung der Tarifwerke durch die Versicherungsverbände trägt dazu bei, daß die Versicherungsunternehmen ausreichende Prämien einnehmen und die Versicherungsleistungen gesichert sind. Kleine und mittlere Unternehmen sind in der Regel nicht in der Lage, ihre Prämien genau zu kalkulieren, da ihr Bestand zu gering ist, um die durchschnitt-
IV. Empfehlungen über Bruttoprämien
125
liche Bedarfsprämie zu kennen. Größere Versicherungsunternehmen können genauer kalkulieren. Die Referenztarife ermöglichen also gerade den Wettbewerb auch zwischen großen und mittleren Unternehmen40 • Deshalb erlaubt die Kooperationsfibel der Kommission41 auch - wie oben dargestellt - die Erstellung von gemeinsamen Statistiken. Die Kommission stellte in ihrer Entscheidung Nuovo Cegam42 die Notwendigkeit solcher Prämienfestsetzungen fest: "Gäbe es keine solche Festsetzung des Nettotarifs, so wäre es ... schwieriger, die Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung" zu erreichen, "da der Versicherungssektor, um erfolgreich zu sein, seines umfangreichen technischen Wissens und großer Erfahrung in Schadens fragen bedarf". 2. Die Notwendigkeit von Bruttoprämienrichtlinien
Die Kommission weist die Notwendigkeit der Erstellung von Referenztarifen nicht ab. Sie befürwortet sie aber nur, wenn es sich um Nettoprämienrichtlinien handelt. Das heißt, die Tarifwerke der Versicherungsverbände dürfen nur Empfehlungen über die Risikoprämie enthalten. Das ist diejenige Prämie, die ausschließlich zur Deckung der Schäden bestimmt ist. Sie enthält die Erwartungswerte des zukünftigen Schadens, der Sicherheitszuschläge und der Schadensermittlungskosten. Die Betriebskosten und Gewinnbestandteile fallen nicht unter den Begriff Nettoprämie. Die Versicherungswirtschaft hingegen hält Bruttoprämienrichtlinien für erforderlich. Bruttoprämien umfassen Nettoprämien und zusätzlich alle Arten von Kosten, die dem Versicherer bei der Gewährung von Versicherungsschutz entstehen. Die Bruttoprämie besteht also aus dem Erwartungswert der Bruttoschäden, den Bruttobetriebskosten und dem Gewinn. Nur wenn ein Referenztarif, der alle Kalkulationspositionen berücksichtigt, durch die Verbände bekanntgegeben werde, seien die emzelnen Versicherungsunternehmen fähig, wettbewerbskonforme Prämien zu kalkulieren. Die EG-Kommission fordert jedoch, daß die einzelnen Versicherungsunternehmen die Bruttoprämie aufgrund eigener unternehmerischer Überlegung selbständig festlegen. Der Versicherungsnehmer soll alle Vorteile, die aus dem im Bereich der Bruttoprämie gelagerten Spiel des Wettbewerbs erwachsen, genießen43 • Die Verbände sollen nur den Netto40
41
42 43
Sache Nr. IV/30.804. ABI. EG, C vom 29. 7. 1968, Nr. 75, S. 3. Sache Nr. IV/30.804. Sache Nr. IV/30.804.
126
H. Einzelprobleme der Anwendung
prämientarif festlegen. Die sonstigen Kosten der Versicherung bleiben unberührt. Die Unsicherheit in der Kalkulationsgrundlage besteht nur in bezug auf die Risikoprämie. Nur dafür ist eine große Zahl von Versicherungsverträgen notwendig, um die Durchschnittsprämie errechnen zu können. Bei den Betriebs-, Provisions- und Rückversicherungskosten gilt anderes. Hier können die einzelnen Versicherungsunternehmen auf ihren eigenen Bestand zurückgreifen. Auch wenn dieser noch so klein ist, die Versicherungsunternehmen müßten dennoch in der Lage sein. ihre eigenen speziellen Betriebskosten auszurechnen und sie auf den einzelnen Versicherungsvertrag umzulegen. Hier kann das Argument. daß nur durch gemeinsame Statistiken und eine Festlegung der Referenztarife eine sichere Prämienkalkulation möglich ist, nicht gelten. Gerade die Betriebskosten sind bei jedem Versicherungsunternehmen sehr unterschiedlich. Sie hängen davon ab, ob die Unternehmen einen weit verzweigten Außendienst haben oder nur eine Hauptverwaltung, von der aus alle Versicherungsgeschäfte abgewickelt werden. Man sollte daher annehmen, daß es den einzelnen Versicherungsunternehmen nur auf eine errechnete Prämie ankommt, die von den Bertriebskosten bereinigt wurde und sich nur an dem Schadensbedarf orientiert. Die Betriebskosten sind für jedes Versicherungsunternehmen verschieden und leicht selbst zu errechnen. Doch ist die Versicherungswirtschaft gerade an Bruttoprämienrichtlinien interessiert. Sie fordert die Bekanntgabe eines Tarifs, in dem alle Kalkulationspositionen berücksichtigt wurden und beruft sich dabei auf ein Gutachten von Farny44. Darin legt Farny die Notwendigkeit von Brutto- und Nettoprämienrichtlinien in der industriellen Feuerund Feuerbetriebsunterrechnungsversicherung dar. Informationen über Nettoprämien ließen sich leicht durch überbetriebliche Schadensstatistiken gewinnen. Die Betriebskosten hingegen seien Gemeinkosten, die sich den einzelnen Versicherungsverträgen nicht direkt zurechnen ließen. Die Betriebskosten eines Vertrages seien daher vom Versicherer nicht eindeutig feststellbar. Doch entstehen bei allen Produktionsgütern - und nicht nur beim Versicherungsschutz - Gemeinkosten. Sie allein begründen noch keine Notwendigkeit von B ru ttoprämienrichtlinien. Nach Farny verbessern Bruttoprämienrichtlinien die Entscheidungssicherheit der Rückversicherer. Diese böten ihren Versicherungsschutz 44 Farny, Brutto- und Nettoprämienrichtlinien in der industriellen Feuerund Feuerbetriebsunterbrechungsversicherung, unveröffentlichtes Gutachten vom 6. 5. 1975.
IV. Empfehlungen über Bruttoprämien
127
nämlich im V0rtrauen auf eine angemessene Prämienpolitik des Erstversicherers an. Bruttoprämienrichtlinien bildeten daher einen überbetrieblich festgelegten Maßstab, an dem die Rückversicherer die Prämienpolitik der Erstversicherer messen können. Doch sollten die Rückversicherungsunternehmen nicht allein auf die Richtbruttoprämie abstellen, um herauszufinden, ob die Prämie ausreichend ist. Sie müssen in jedem Fall die Gegebenheiten des Versicherungsunternehmens prüfen und einen Überblick über die betriebsspezifischen Betriebskosten gewinnen. Die Betriebskosten der einzelnen Versicherungsunternehmen weichen zu sehr von der empfohlenen Bruttoprämie ab, als daß sie für die Rückversicherer notwendig erscheinen. Ein weiterer Nachteil von Nettoprämienrichtlinien bestünde darin, daß die ausländischen Versicherungsunternehmen, die auf dem deutschen Markt über Niederlassungen oder Tochtergesellschaften ihren Versicherungsschutz anböten, weiter über Informationen aus ihren Sitzländern verfügten. Sie würden so gegenüber den inländischen Versicherungsunternehmen begünstigt. Doch ist das Prämienniveau zu unterschiedlich, als daß die ausländischen Versicherungsunternehmen Rückschlüsse von ihrem Sitzland auf die Bundesrepublik ziehen könnten. Auch werden diese Prämienrichtlinien veröffentlicht. Sie gelangen also auch zur Kenntnis der inländischen Versicherungsunternehmen. Eine Besserstellung ausländischer Rückversicherer scheint demnach ausgeschlossen. Farny ist der Ansicht, ohne Bruttoprämienrichtlinie nähme die Ungewißheit im Prämienkalkül zu. Die Kostendeckung sei nicht mehr gewährleistet, da eine externe Kontrollmöglichkeit der Prämienpolitik durch die Gegenüberstellung von empfohlener Bruttoprämie und tatsächlich verlangter Prämie nicht möglich sei. Das ist aber zweifelhaft, da Ungewißheit nur in bezug auf die Höhe der Versicherungsleistungen bestehen. Und die Höhe der Schadensleistungen einschließlich der Sicherheitszuschläge und Schadensermittlungskosten ist durch erlaubte Nettoprämienrichtlinien kalkulierbar. Schließlich bestehe - nach Farny - die Gefahr einer Aufspaltung des Versicherungsgeschäftes in ein Risiko- und ein Verwaltungsgeschäft. Die Versicherungsunternehmen würden einen Deckungsbeitrag für die Schäden und einen Beitrag für die Betriebskosten und den Gewinn verlangen. Möglicherweise führten zwei verschiedene Unternehmen diese beiden Geschäfte durch. Das sei unter betriebswirtschaftlichen, preispolitischen und aufsichtsrechtlichen Aspekten nicht wünschenswert. Da Farny aber selbst auf den engen Zusammenhang zwischen Schadensund Betriebskostendeckung hinweist, erscheint eine Trennung unwahrscheinlich. Aber auch wenn sie eintritt, gäbe es keine so nachteiligen
128
H. Einzelprobleme der Anwendung
Folgen für das Versicherungsgeschäft, wie Farny befürchtet. In Italien gibt es loss adjusters, die für Versicherungsunternehmen die Versicherungsfälle bearbeiten. Trotzdem funktioniert das Versicherungswesen in Italien weiterhin reibungslos. Demnach ist die Notwendigkeit von Bruttoprämienrichtlinien für die Versicherungswirtschaft zweifelhaft. V. Tätigwerden der Kommission in bezug auf Versicherungen und Kartellrecht Die Kommission beschäftigte sich zwar mehrfach mit Versicherungen und Europäischem Kartellrecht, doch erließ sie bis zum April 1984 nie eine förmliche Entscheidung. In ihrem zweiten Wettbewerbsbericht erwähnt die Kommission drei Fälle, in denen sie sich unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten mit den Versicherungen befaßte 45 •
1. KFZ-Versicherung Einmal ging es um ein einheitliches Tarifierungssystem in der KFZVersicherung, das in einem Mitgliedstaat praktiziert wurde. Dieses System benachteiligte importierte Fahrzeuge gegenüber den inländischen. Die Kommission sah darin eine gemäß Art. 85 verbotene Wettbewerbsbeschränkung und erzwang eine Tarifänderung. Hier ging es um das oben46 erörterte Problem der aufsichtsbehördlichen Genehmigungspraxis. Die Kommission erachtete die Einheitlichkeit der Versicherungsbedingungen als von den Versicherungsgesellschaften gewollt und nicht als das Ergebnis der Aufsichtsbehörde. Hier liege eine Vereinbarung zwischen Versicherungsunternehmen vor, die den Wettbewerb in der Versicherungswirtschaft wesentlich beschränkte 47 •
2. Flußkaskoversicherung Der zweite Fall betraf die Flußkaskoversicherung. Unternehmen der Flußkaskoversicherung aus vier Mitgliedstaaten hatten auf der Ebene ihrer nationalen Verbände Vereinbarungen getroffen. Sie enthielten Prämienzuschläge für einen Versicherer, der eine Versicherung, die in einem anderen Land abgeschlossen worden war, übernahm. Diese Zuschlagsätze wendete der neue Versicherer auf den Prämiensatz des Vorversicherers an. Die Kommission griff ein, und die Versicherungen hoben die Vereinbarung auf. 45 46 47
Kommission, 2. Wettbewerbsbericht, S. 68. Siehe oben H IH. Kommission, 2. Wettbewerbsbericht, S. 68.
V. Tätigwerden der Kommission
129
Weiter tauschten die Versicherungsunternehmen innerhalb dieses Vertrages weitgehende Informationen bei der Verlagerung des Risikos von einem Mitgliedstaat zum anderen aus. Der Versicherungsübernehmer informierte sich beim Vorversicherer über den an gewandten Prämiensatz, die tatsächlich erhaltene Prämie usw. Diese Auskünfte gehören normalerweise zum Geschäftsgeheimnis, und echte Konkurrenten tauschen solche Informationen nicht aus. Die Kommission erreichte die Aufgabe dieser Vereinbarung, da sie geeignet war, den Wettbewerb zwischen den beteiligten Unternehmen zu beschränken.
3. Atompools Versicherer schlossen sich zu Atompools zusammen. Die Pools bestimmen, daß die Atomrisiken ausschließlich im Pool versichert werden. Auf nationaler Ebene wird die Zuständigkeit der einzelnen Zusammenschlüsse geographisch aufgeteilt. Die Kommission erließ keine Entscheidung gegen die Atompools. Wohl sah sie die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit bei diesen besonders großen Risiken ein.
4. Transportversicherung Im vierten Fall ging es um die Transportversicherung. Transportversicherer in den Niederlanden vereinbarten untereinander, keine Rück-versicherungsverträge mit niederländischen Konkurrenten, die nicht Mitglied der Vereinigung sind, abzuschließen. Weiter sollte der neue Versicherer eines Seeversicherungsvertrages nur mit Zustimmung des Vorversicherers einen neuen Versicherungsvertrag abschließen können. Die Kommission erreichte die Beseitigung der sich aus dieser Vereinbarung ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen.
5. Nuovo Cegam Die erste förmliche Entscheidung zur Anwendung der Wettbewerbsregeln auf dem Versicherungssektor traf die Kommission im April 1984 in der Sache Nuovo Cegam4S • Die Kommission schritt gegen einen Konsortialvertrag von 15 italienischen Direktversicherern ein, die durch einen Rückversicherungsvertrag mit außerhalb Italiens ansässigen Unternehmen verbunden sind. Aufgabe des Konsortiums war die Aufbereitung technischer Daten. Es legte Bruttoprämien fest, die auf gemeinsamen Schadensstatistiken basierten. Einige Bestimmungen des Vertrages verstießen nach Ansicht der Kommission gegen das Kartellverbot 48
Sache
Nr. IV/30.804.
9 Kuhlmann
130
H. Einzelprobleme der Anwendung
des Art. 85. Insbesondere das vom Konsortium beschlossene Bruttopreissystem wurde beanstandet. Die betroffenen Unternehmen änderten ihre Bestimmungen. Das Konsortium legte nur noch Nettoprämien fest, und die Versicherer beschlossen ihre Bruttoprämie aufgrund eigener geschäftspolitischer Erwägungen. Der Konsortialvertrag enthielt auch Regelungen für die Rückversicherung. Die Mitglieder des Konsortiums waren verpflichtet, sich ausschließlich bei Rückversicherern zu denselben Policenbedingungen und den allgemeinen und besonderen Bedingungen und Bestimmungen, zu denen die Konsortiumsmitglieder die Versicherung gezeichnet hatten, abzuschließen. Nach Ansicht der Kommission wurden durch diese Bestimmungen besonders enge Bindungen zwischen Erst- und Rückversicherern getroffen. Sie erschwerten es Dritten, auf den Markt vorzudringen. Der zwischenstaatliche Handel werde dadurch beeinträchtigt, daß die Vereinbarung auch außerhalb Italiens ansässige Rückversicherungsgesellschaften erfaßte. Es sei den Erstversicherern nicht möglich, mit anderen als den im Vertrag über die Quoten- und Exzedentenrückversicherung genannten zu kontrahieren. Die Kommission stellte die Konsortialvereinbarung jedoch auf zehn Jahre vom Kartellverbot frei (Art. 85 Abs. 3). Die Vereinbarung erleichtere die für den Erfolg der Versicherungsbranche notwendige Spezialisierung und stelle einen angemessenen Rückversicherungsbestand bereit. Die Verbraucher seien an dem Gewinn, der durch die Gründung des Konsortiums entstehe, angemessen beteiligt, da dadurch die Kapazität des italienischen Marktes ausgeweitet werde. Die Verbraucher hätten somit mehr Wahlmöglichkeiten. Hier stellte die Kommission erstmals durch eine förmliche Entscheidung klar, daß sie die Wettbewerbsregeln auch auf dem Versicherungssektor anwenden wird. Damit leistete sie der Aufforderung des Rates 49 , streng über die Anwendung der Wettbewerbsregeln in allen Bereichen der Versicherungswirtschaft zu wachen, Folge. Zugleich stellte sie aber die Wettbewerbsbeschränkung vom Kartellverbot gemäß Art. 85 Abs. 3 frei. Indem die EG-Kommission Art. 85 Abs. 3 im vorliegenden Fall für einschlägig hielt, erkannte sie die Besonderheiten des Versicherungsmarktes an: Wettbewerbsbeschränkungen in der Versicherungswirtschaft können positivere Auswirkungen als unkontrollierterWettbewerb haben. Denn der hinter Art. 85 Abs. 3 stehende Grundsatz lautet: Das Kartellverbot soll ausnahmsweise dann nicht gelten, wenn Wettbewerbsbeschränkungen bessere Ergebnisse als der Wettbewerb zeitigen. 49
ABI. EG, C vom 15.6. 1981, Nr. 144, S. 19, Abschnitt 12 cl.
V. Tätigwerden der Kommission
131
Zu kritisieren bleibt der Weg, den die Kommission wählt, um Wettbewerbsbeschränkungen in der Versicherungswirtschaft vom Kartellverbot freizustellen. Verfahren nach Art. 85 Abs. 3 dauern lange. In dieser Zeit gilt die betreffende Vereinbarung als verboten. Währenddessen stellen sich die oben50 genannten Mißstände, die der Wettbewerb im Versicherungswesen hervorruft, ein. Sie können durch eine Freistellung gemäß Art. 85 Abs. 3 nicht rückwirkend beseitigt werden. Die Kommission stellt deshalb dem Rat den Vorschlag einer Verordnung nach Art. 87 Abs. 2 c unterbreiten, damit auch das europäische Kartellrecht die Versicherungswirtschaft nur einer Mißbrauchsaufsicht unterstellt.
50
9·
Siehe oben B.
I. Zusammenfassung Der Wettbewerb erfüllt seine Funtkionen in der Versicherungswirtschaft nur mangelhaft. Da das Angebot an Versicherungsschutz nahezu beliebig vermehrbar ist, kann der Wettbewerb Angebot und Nachfrage nicht zum Ausgleich bringen. Dieser Angebotsüberhang führt zu einem starken Wettbewerbsdruck. Dieser läßt die Versicherungsprämien unter das risikogerechte Prämienniveau ab sinken. Zu niedrige Prämien entsprechen nicht den Interessen der Versicherungsnehmer, da sie nicht nur Schuldner der Versicherungsprämie, sondern gleichzeitig Gläubiger einer späteren Versicherungsleistung sind. Diese Gegenleistung wird gefährdet, wenn die Versicherungsunternehmen auf längere Zeit nicht risiko gerechte Prämien einnehmen. Konkurse sind in der Versicherungswirtschaft unerwünscht, da sie nicht nur den Unternehmer, sondern die große Anzahl der Versicherungsnehmer treffen. Mit Rücksicht auf diese Marktbesonderheiten unterstellen die nationalen Wettbewerbsrechte der Mitgliedstaaten die Versicherungswirtschaft nicht einem absoluten Kartellverbot, sondern nur der MiHbrauchsaufsicht. Der EWG-Vertrag hingegen enthält keine Sonderregelung. Er unterwirft die Versicherungswirtschaft grundsätzlich dem Kartellverbot des Art. 85 Abs. 1. Der Rat der Europäischen Gemeinschaft hat von seiner Möglichkeit nach Art. 87 Abs. 2 c, den Anwendungsbereich des Art. 85 näher zu bestimmen, für die Versicherungswirtschaft keinen Gebrauch gemacht. Ein Tätigwerden des Rates ist aber erforderlich, um die Versicherungswirtschaft vom Kartellverbot des Art. 85 Abs. 1 freizustellen. Ob die Versicherungswirtschaft über Art. 88, 87 Abs. 2 c dem Anwendungsbereich des Kartellverbots bereits jetzt entzogen ist, scheint zweifelhaft, weil Art. 88 nach Erlaß der Verordnung Nr. 17 seine Bedeutung im wesentlichen verloren hat und es zudem fraglich ist, ob Art. 88 den Fall des Art. 87 Abs. 2 c betrifft. Die Voraussetzungen des Kartellverbots liegen jedoch bei der Versicherungswirtschaft grundsätzlich nicht vor. Entscheidendes Kriterium für die Anwendung des europäischen Kartellrechts ist nämlich die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. Eine solche Beeinträchtigung kann es aber nur geben, wenn überhaupt ein zwischenstaatlicher Handel besteht. In der Versicherungswirtschaft - mit Ausnahmen in der Rück- und Transportversicherung - bestehen aber einzelne na-
I. Zusammenfassung
133
ti on al abgeschottete Teilmärkte. Das liegt an innerstaatlichen Vorschriften, die die Dienstleistungsfreiheit beschränken und den unterschiedlichen Aufsichtsrechten. Der zwischenstaatliche Handel könnte nur dann beeinträchtigt werden, wenn man - wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften - Wettbewerbsbeschränkungen, die die inländische Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens mit einem inländischen Versicherungsunternehmen vereinbart, dem ausländischen Versicherungsunternehmen zurechnet. Diese Wettbewerbsbeschränkungen haben aber keine Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel, da es nicht das ausländische Unternehmen ist, das seine Leistung über die Grenze schickt, sondern die Niederlassung selber eine Leistung erbringt. Dienstleistungsströme über die Grenzen hinweg sind nicht vorhanden. Sie können daher auch nicht beeinträchtigt werden. Zur Zeit ist die Dienstleistungsfreiheit im Versicherungswesen nicht verwirklicht. Eine Richtlinie, die die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs aufhebt, kann wegen des Widerspruches einzelner Mitgliedstaaten nicht verabschiedet werden. Denkbar ist zur Zeit nur ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das die unmittelbare Geltung der Art. 59 ff. EWG-Vertrag auch für die Versicherungswirtschaft festschreibt. Sollte es dazu kommen, müßte die kartellrechtliche Behandlung der Versicherungswirtschaft gen au überdacht werden. Wünschenswert ist eine Lösung nach dem deutschen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen.
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